Dr. phil. B. Renz:
DAS KIND
2. Band.
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in 2011 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/daskindinbrauchu02plos
Cuyi
zt
DAS KIND
IN BRAUCH UND SITTE DER VÖLKER
Völkerkundliche Studien
von
Dr. med. Heinrich Ploß
Dritte, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben
von
Dr. phil. B. Renz
Zweiter Band
Mit 274 Abbildungen im Text
Leipzig
Th. Grieben's Verlag (L. Fernau")
1912
JAN 9 1970 !]
ALLE EECHTE VORBEHALTEN
iq/l
['nick von A. Hopfer in Burg b. H.
Kapitel XXXI.
Das kleine Kind und das ihni gesungene Lied.
§ 200. In dem Organ des Katholischen Frauenbundes l) war im Jahre
1909 in einem „Vom Schlafen" überschriebenen Beitrag zu lesen: „. . . Auch
liege ich ganz und gar mit dir in Fetide, du gute Mutter, die du abends am
Bettchen deines Kindes sitzest und ihm Liedchen singst. In der Kunst und
Poesie haben die etwas Liebliches und Rührendes, aber laß sie am Kinderbett.
Einzigste Ausnahme, wenn eins krank ist. Du gewöhnst deinen Liebling daran,
daß er vor dem Schlafen eine kleine Sensation eileben muß. Aus dem Lied
wird späterhin eine Geschichte, und wenn du sie nicht mehr erzählen kannst,
nimmt das große Kind sich ein Buch mit ins Bett; eine kleine Kerze ist vom
Taschengeld wohl zu erschwingen. Und was ist die Folge? Kurzsichtige
Augen, nervöse Gereiztheit sind noch die geringsten Übel."
Mit dieser Anschauung vom Schlummerlied tritt die moderne Frau,
wie in zahlreichen andern Auffassungen, in einen bemerkenswerten Gegensatz
zur Frau oder überhaupt zum Menschen vergangener Zeiten. Die Vernunft
soll auch in diesem Punkte Phantasie und Gemüt beherrschen ; ihr soll etwas
geopfert werden, was einer Reihe von Völkern zum Teil seit undenklichen
Zeiten ganz besonders sympathisch war. Finden wir doch das Schlummer-
bzw. Wiegenlied chronologisch schon im alten Griechenland und ethnologisch
bei Indogermanen, Semiten, Negern, Hottentotten, Malayo-Polynesiern, Dravida,
Völkern mit isolierenden Sprachen, Ural-Altaien und Indianern, d. h. rings um
die Erde.
„ Ammenzauber'' nannte die Chronik des Franziskaners Salimbene die
Lieder, „welche das Weib hersagt beim Schaukeln der Wiege, um das Kind
einzuschläfern, ohne welche dasselbe nur schlecht schlafen und keine Ruhe
haben könnte". — Kaiser Friedrieh II. soll den Versuch gemacht haben, Knaben
von Ammen und Wärterinnen stillen und pflegen zu lassen, ohne mit ihnen zu
reden, noch sie zu liebkosen (noch ihnen vorzusingen); „denn er wollte ersehen,
ob sie hebräisch als die älteste Sprache, oder griechisch, oder lateinisch, oder
arabisch, oder etwa die Sprache ihrer Eltern sprechen würden. Aber er
bemühte sich vergeblich, weil sie alle im Kindes- oder vielmehr Säuglings-
alter starben. Sie konnten ja nicht leben ohne den Beifall, die Gebärden,
freundlichen Mienen und Liebkosungen ihrer Wärterinnen und Ammen" 2).
Im 16. Jahrhundert riet der deutsche Arzt Rößlin, man solle dem
Wiegenkind „eine süße Weis" singen, und im gleichen Jahrhundert (1777)
schrieb Fischer in seinem „Podagrammisch Trostbüchlein" :
„Wo Honig ist, da samlen sieh die fliegen,
Wo kinder sind, da singt man um die wiegen." —
i) „Der Katholische Frauenbund", Köln a. Eh., 3. Jahrg. (1909) Nr. 2.
2) Hierzu bemerkte jedoch Ploß in der 2. A uflage, der Chronist erkläre den frühen Tod
dieser Kinder grundfalsch.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 1
2 Kapitel XXXI. Das kleine Kind und das ihm gesungene Lied.
Im 19. Jahrhundert berichtete Rüekeri über seine eigene Kindheit:
„Ich war ein böses Kind und schlief nie ungesungen;
Doch schlief ich ein geschwind, sobald ein Lied erklungen,
Das meine Mutter sang gelind.
Und also bin ich noch, ein Schlaflied muß mir klingen;
Nur dieses lernt' ich noch, es selber mir zu singen,
Seit ich der Mutter wuchs zu hoch.
Und was mir tief und hoch nun mancherlei erklungen,
Ist nur ein Nachhall doch von dem, was sie gesungeu;
Die Mutter singt in Schlaf mich noch."
Kunstlose Formen und kindlicher Inhalt charakterisieren das
dem kleinen Kind gesungene Lied, wo immer sich ein solches findet.
Die allgemeine Kultur eines Volkes beeinflußt die. Form kaum merklich, und
auch der Inhalt läßt im allgemeinen wenig auf jene schließen. Unentwickelt
ist der Verstand des Wiegenkindes aller Völker und Zonen. Diesem unent-
wickelten Wesen wird es gesungen, und zwar schon in einem Stadium, in
welchem von einem Verständnis noch nicht oder nur in einem geringen Maße
die Rede sein kann. Die Liebe zu den Kleinen war und ist hier Lehrmeister
und Überlieferer zugleich. Was die Urgroßmutter erfunden und womit sie
ihr Töchterlein in Schlaf gelullt, summt, wenigstens zu einem guten Teile noch,
ihre Urenkelin an der Wiege ihres eigenen Kindes. Herzlich und innig soll
es klingeu. Leicht erfundene Reime und ruhig dahinschreitender Rhythmus
sollen dem Schlummerlied etwas Trauliches verleihen. Das Kind soll durch
die stetig ins Ohr klingende Melodie beschwichtigt, bei fortschreitender seelischer
Entwicklung durch den Inhalt des Liedes auch beruhigt, oder aber angeregt
und erheitert werden. Für das Schlummerlied kann allerdings nur die erste
dieser Wirkungen in Frage kommen. Das gleichmäßige Tempo, das Monotone
der wiederholten Melodie, welche mehr gesummt als gesungen wird, soll auf
das Kind wirken wie das leise und langsame Zählen, oder wie der innere
Blick auf ein wogendes Kornfeld, wodurch der Erwachsene sieh selbst ein-
zuschläfern versucht.
Abgesehen von der erhofften Wirkung auf das Kind ist manches Wiegen-
lied aber auch ein Erguß des Mutterherzens, eine Offenbarung des
Gemütslebens der Gattin: Ein Strauß von Blumen, ein Blümchen, das nie
vom Elend versengt werden darf, ist der Zigeunerin ihr Liebling. -- Bauern-
wohlstand, einen reichen Zukünftigen mit „herrischen" Zimmern and eine an-
gesehene Stellung' unter seinen Mitbürgern malt die Siebenbürger Sächsin ihrem
..guhlijr Kaijnf vor. — Die Schlesierin überbringt ihrem Liebling Grüße von den
Engelein, begnügl sich mit dem Wunsch nach einem Gängelwagen, um ihr
Kind in die Kirche zu fahren, und bestreut es mit Rosen. — Die Ostfries-
lämlerin umfaßt in Liebe Mann und Kind: den Glanz ihres Eheringes ver-
gleicht sie mit dem der Sonne und des Mondes. — Die Venezianerin stellt
in ihrer Aliwesenheit Gott zum Wächter der Wiege auf. — Die Dravida-
Mutter in Indien sagt ihrem Liebling vor, was Vater und Geschwister ihm
heimbringen werden. - Die Sioux-Indianerin singt von Krieg und schürt
schon im Wiegenkind den Kampfesmut an usw. —
§ 201. Wiegen- und Schlummerlieder bei Indo-Germnuen.
Die transsx ivanische Zeltzigeunerin lullt ihr Kind in den Schlaf,
indem sie singt :
„Schlaf mein Blümchen zart und klein,
Schlaf mein Blumenstraußchen fein!
Noch in süßer Mutterhul
Ja dein kleines Herzchen ruht;
Solls! von Elend nie was wissen,
\ las <Tlück sollst du vermissen." (H. V. Wlislocki.)
§ 201. Wiegen- und Schlummerlieder bei Indo-Germanen. 3
Ein mittel- und süddeutsches Wiegenlied aus Bauernkreisen singt
zugleich den Storch an1,). Es lautet:
„Aenchen, Benehen. Gänseschnabel,
Wenn ich dich im Himmel habe,
Reiß ich dir ein Beinchen aus,
Mach ich mir ein Pfeifchen draus;
Pfeif ich alle Morgen,
Hören's alle Storchen,
Macht die Wiege knick und knack,
Schlaf, du kleiner ] labersack!"
Einige der in Schlesien beliebten Schlummerlieder hat Drechsler ver-
öffentlicht. Wir entnehmen ihnen das Folgende:
,.Hnllai bäbai,
Schlof-mr ock, mei sinle ei.
Schlof, Hänsle, sause,
der Voatr-es nech zu Hause ;
Schlöf, Hänsle, siße,
de-engelcn lön-dich griße,
de-liwe engelen lön-dr säen,
de-wärn-dich mürn eis Himmele traen.
Schlof, flansle, lange,
der Tüd sezst ofdr stange,
ar-hot-n weiße kettel 6n,
ar-wel mei sinle mette hon." —
Im Liebauer Tal in Niederschlesien singt man:
„Schlof, Kindla, schlof,
Der Väter schlacht a Schof,
A trat das Fell räch Friedeland
Und keft dam Kind a Wiegaband.
Das Wiegaband trat a uf Brassel;
A bringt dam Kind a Masser;
Das Masser trat a uf Bulkahäyn
Und keft dam Kinde en Creugelwäin,
Doß mer könn eis Kerchla forn.
Aus dam Kerchla wieder hem,
Warn mersch Kindla schlofa len.
Honmersch Kindla wull schlofa gelet,
Honmersch mit lauter Hislan bestret,
Mit gelba Rislan, mit gelba Klie,
Kän das Kindla schlofa, su lange es will." —
Ein Beispiel aus Österreich-Schlesien ist das folgende:
„Haid'l-dunjm-dänne
Haast maine Hänue?
Wann ich äne Hanne haa,
Muß ich aa an Haan haan.
Kickrickii schrait mai Haan
Haid'1-dumm-dänne,
Hast maine Hanne."
„Ich saach amol d'r aala Zickzick aas Aett'r,
Ich dochte, 's wäärn Muume ood'r a Fätt'r;
s waar käne Muume, 's war kä Fätt'r,
's waar d'r aala Zickzick ür Aettr." (A. Peter.)
Im Vogtlande singt die Mutter:
„Hei Puppeia (Eia popeia2) was raschelt im Stroh':'
Die jungen Gänsle laufen barfuß und haben keine Schuh;
Der Schuster hat Leder und keine Leisten dazu,
Drum laufen die Gänsle barfuß und haben keine Schuh."
') Vgl. die Storchliedlein der Kinder in Kap. XXX, Bd. I.
!) Altgriechisehe Beste.
Kapitel XXXI. Das kleine Kind und das ihm gesungene Lied
In der Gegend von Reichenbach im Vogtland wird gesungen:
,,123456 sieben,
Muß ich an dem Schiebbock schieben,
Muß ich singen: Husch, husch, husch,
Kleiner Würgel, halt' die Gusch!"1) —
1.
„Ich ging einmal nach Engelland,
Begegnete mir ein Elefant;
Elefant mir Gras gab.
Gras ich der Kuh gab,
Kuh mir Milch gab,
Milch ich der Mutter gab,
Mutter mir 'nen Dreier gab,
Dreier ich dem Bäcker gab,
„Liebe Mutter, 's wird Winter,
Mach's Stübchen schön warm,
Komm, setz' dich hinter' n Ofen
Und nimm mich in'n Arm."
2.
Bäcker mir ein Brötchen gab,
Brötchen ich dem Fleischer gab,
Fleischer mir ein Würstchen gab,
Würstel ich dem Hunde gab,
Hundel mir Pfötchen gab,
Pfötcheu ich der Magd gab,
Magd mir einen Klitsch gab."
(J. A. E. Köhler.)
Im Fränkisch -Hennebergischen:
„Amen, Amen, Amen,
Die Geiß, die geht in Samen,
In Samen geht die Geiß;
Die Suppe, die war heiß;
Heiß war die Suppe,
Die Kuh kriegt den Schnuppe,
Eu Schnuppe kriegt die Kuh;
Aus Leder macht man Schuh;
Schuh macht man aus Leder,
Die Gänse haben viel Feder,
Viel Feder haben die Gänse,
Die Füchse haben lange Schwänze,
Lange Schwänze haben die Füchse,
Der Edelmann hat eine Kutsche,
Wo er drein fahren kann.
Eine Katze und eine Maus,
Da war die Geschichte aus."
( Weisungen.)
„Annele,
Wannele,
Besser dich, Annele,
Plonisöck."
„Bim Barn,
[ (er Pfafi ist krank.
Bot kä Stückle Brud in Schrank.
Hut deß Baus voll kleine Kinder
I nd kä Stöckle Holz im Winter."
{Meiningen.)
..Eia, bobeia.
Schlaf lieber wie du,
Willst du's nicht glauben, sieh mer mal zu.
Sieh mer mal zu wie schläfrig ich bin,
Zum Schlafen, zum Schlafen steht mir
mein Sinn."
„Fräle, Fräle, reine,
Siebe Kennerle dreine,
Boß esse nie gern?
Boß trenke nie gern?
Brot und Wein,
Plätzle drein,
Schuck, seluick, Schuck!"
(Ostheim.)
„Da kümmt die Krippel-Krappelmaus,
Hu will se naus?
In der Mariele ihr Hühnerhäusle."
(Meiningen.)
„Eia, bobeia,
Boß rappelt im Struu,
Gänsle gän barwes od honn kä Schuu,
Schuster hat Lader, kä Leistle dezu ;
Boß könne die arme Gänsle dezu?"
„Ich will dir was erzählen
Von der Mummerelen,
Diese hatt' ein' schönen Garten.
Hier ein' Garten, dort ein' Garten,
Und das war ein Wundergarten.
In dem Garten stand ein Baum,
Hier ein Baum, dort ein Baum,
Und das war ein Wunderbaum.
Auf dem Baum war ein Nest.
Hier ein Nest, dort ein Nest,
Und das war ein Wundernest.
In dem Nest lag ein Ei,
Hier ein Ei, dort ein Ei,
Und das war ein Wunderei.
Aus dem Ei kroch ein Vogel.
Hier ein Vogel, dort ein Vogel.
Und das war ein Wundervogel. "
„An dem Baum stand ein Bett,
Hier ein Bett, dort ein Bett,
Und das war ein Wunderbett.
In dem Bett lag eine Nonne.
Hier eine Nonne, dort eine Nonne,
Und das war eine Wundernonne.
Bei dem Bett stand ein Tisch,
Hier ein Tisch, dort ein Tisch,
') In R. Fr. Kaindls „Lieder, Neckereien, Spiele aus der Kinderwelt" findet sich
die folgende Variante dieser vier Verse:
„1, 2. 8, 4, 5, 6, 7,
Muß ich bei der Wiege knien,
Muß ich singen, husch, husch, husch.
Kleine Bänkart. halt dein Husch."
§ 201. Wiegen- und Schlummerlieder bei Indo-Germanen.
Und das war ein Wundertiseh.
Auf dem Tisch lag ein Buch.
Hier ein Buch, dort ein Buch,
Und das war ein Wunderbuch.
In dem Buche stand geschrieben:
Die Kinder sollen ihre Eltern lieben."
(Meiningen.)
„Ich rüiir on rüür en Brei
On tu en Bröckle Butter nei.
Schlag' ein!"
„Schockele, schockele Weide,
Herrle fährt noch Kreide,
Fährt nach Römhild in die Stadt,
Kauft sich e Weckle on iß sich sott,
Legt e Stöckle henner die Thür.
Kömmt der Wolf on freßt's herfür;
Steigt der Wolf den Baum hinauf,
Quarzt der Baum, knärzt der Baum,
Im Meininger Oberlande:
„Eia bobeia schlouf liiwer wie duu
Un wilstes niiet geleeeb,se gukmer nar zu."
„Heia beia wiighensehtruua
Schlöft mei Kinla, bin ich frua."
„Schlouf, mei bezzerla, schlouf,
Dei daada hütt die schouf,
Gucke drei Pur Docke raus,
Die eine spinnt Seide,
Die andere dreht Weide,
Die dritte steigt den Himmel nauf,
Läßt e besle Sonne raus,
Läßt e besle nei,
Daß denflannjörgle sä Himmle trocke sei."
,,Sole, sole, sole,
Da dobe kommt deß Mole (Männchen);
Da dobe kommt der Krippelkrapp,
Will de Kindle gleich dertapp."
„Wickwerwick, mein Mann ist krank,
Wickwerwick, was fehlt ihm denn?
Wickwerwick, ein Gläschen Wein,
Wickwerwick, das kann nicht sein.
Wickwerwick, den Doktor holen,
Wickwerwick, das Loch besohlen."
{Bali. Spieß.)
Dei mamma hütt die Lemmerküü,
Schlöft mei bezzerla bis zerfrüü."
„Schlouf, büüwla, schlouf,
Dei fatter is a schouf,
Dei Mutter is a meerkatz,
Duu bist a kleeuer draakbatz."
In Zützschdorf im Geisel tal tritt das weitverbreitete Schlummer-
liedehen: „Schlaf, Kindchen, schlaf" vom 4. Vers mit der Abänderung auf:
,,üa kriege mer schiene Röcke,"
„N. N. kriegt ein' blauen,"
„N. N. kriegt ein' roten,"
„N. (das angesungene Kind) kriegt ein' gelben,"
„Der ist hinten und vorn zerrissen."
Im Schwäbischen lautet eine Variante des letzten Verses: „Ist hinda
und vorna verschissa."
Bei den Siebenbürger Sachsen hört das Kind unter anderem folgende
Weisen:
..Schlüef. Tren'o, schliief!
Der Voter hat' de Sehüei;
De Motter hat de Lämmeher,
Se broin't der och zwei däck Mämcher."
,.Suso. Suso, Siegeltschen!
Der Vöter seheßt e Viegeltschen,
E seheßt et en dem grane Wold;
Suso, Suso, schlüef nor bald."
„Schlief, ieneg Maidsehen, sehlief!
Der Vueter hait de Schief.
Den' Kül mät viele Pferden,
En hiescher vun geberden.
Die friegt am dech am Ställen
Und wird dech froien wällen.
Schlief, ieneg Maidschen. schlief!
Der Vuoter hait de Schief.
Den' Kül huet harresch Stuven,
Die sollst da wunnen üwen,
Die sollst da dech verteiren.
Det gonz Hous die regeiren.
Schlief, ieneg Maidschen, schlief!
Der Vuoter hait de schief;
Ech wäll dech waeschen, kommen,
Dech fluchten und afrömmen,
Dat da de Loiden allen
Am Muort sollst wülgel'allen !"
(„Schlaf, o Katherina, schlafe!
Der Vater hütet die Schafe;
Die Mutter hütet die Lämmlein,
Sie bringt dir auch zwei dicke Brüste.")
(„0 Suschen, Suschen, Goldkind!
Der Vater schießt ein Vögelchen,
Er schießt es in dem grünen Wald;
0 Suschen, Suschen, schlafe nur bald.")
(„Schlafe, liebliches Slädchen, schlafe!
Der Vater hütet die Schafe;
Dein Geliebter mit vielen Pferden,
Ein hübscher von Gebärden,
Der fragt um dich im Stillen
Und wird dich freien wollen!
Kapitel XXXI. Das kleine Kind und das ihm gesungene Lied.
Schlaf, liebliches Mädchen, schlafe!
Der Vater hütet die Schafe,
Dein Geliebter hat herrische Zimmer,
Da sollst du wohnen oben,
Da sollst du dann verkehren;
Das ganze Haus dort regieren.
„Si, 81 sigelchen,
Der Truewe flecht e Wigelchen,
Har nedde stägen de Nonnen,
Se hatten e Kaenjd gefongen,
Se schmiessent en de Bach,
Dat et alles zebräch."
..Hajo, Hajo
Kit der Hajo
Nit de Mierzken aen de Sack,
Drid en aen de Bierebansch,
Fraßt en wan en Haselnaeß."
Schlafe, liebliches Mädchen, schlafe.
Der Vater hütet die Schafe,
Ich will dich waschen, kämmen,
Dein Haar flechten und dich putzen.
Daß du den Leuten allen
Im Markt sollst Wohlgefallen!")
„Schlaf, Hanzi, schlöf.
De Vigel sanjen aem Hof,
De Katze spaennen af 'em Hiert,
Te banst mer tausend Gaelde wiert,
Schlöf, Hanzi, schlaf."
,,Susi, susi, sigeltchen.
Der Voter schuß e Vigeltchen
E schuß et aen dem graene Wald,
Susi, Kaendchen, schlöf nor bald."
(Im Winter:)
„Wol flaegen de Wölken,
Wol saußt der Wajint,
Wol staewen de Flocken,
Aemeraenk.
Schlöf nor, schlöf nor,
Me güldig Kaijnt."
(Hillner.)
Ein preußisches Schlummerlied lautet:
„Schlafe, Kindchen, schlafe,
Draußen stehn zwei Schafe,
Ein buntes und ein weißes,
Wenn das Kind nicht schlafen wi
Kommt das bunte und beißt es."
„Schlafe, Kindchen, schlafe,
Draußen stehn die Schafe
Mit den weißen Füßen,
Geben Milch, so süße;
Süße .Milch und Weizenbrot
Machet mir mein Kindchen rot."
Kili bunter Bock spielt auch in einem plattdeutschen Liedchen dieser
Art eine Rolle.
„Schlap, Kindlc, schlap,
Hute stahn de Schap,
Bute steil du bunte Hock,
Bringt dem Kind e nüe Rock."
Kili anderes plattdeutsches aus der Gegend von Xeuenkirchen-Damme
in Westfalen lautet:
..Als ick Da ne Junfer was, was ick so lin.
So Im, as man no gnädig Friilen mag sin.
Da was ick so wacker un so fin, als derto.
Nu silt ick bi de Weigen un singe ei ei,
I ia popeia, ei eia popei."
„Won Märkten nix was to dann.
Dann konn ick up'n Awend mit den Spinnrad utgaun,
Dal sang dal spann sick vor Lust un Pleseer,
egg' Jo igens: Üisi doch en wacker Deerrn.
Xu sitt iclt bi de Weigi a un singe ei, ei,
Bi, i ia poj i in popei."
§ 201. Wiegen- uud Schlummerlieder bei Indo-Germanen.
„As ick na ne Junfer, da was at mi paß.
Da ging de Viole, nu geht de Brummbaß.
O war ick doch ewig ne Junfer blewen,
Un hadd' mi nich up dat Frien begewen.
Nu sitt ick bi de Weigen un singe ei ei,
Ei, eia popeia, ei, eia popei."
IuOstfriesland schläfert die Mutter ihr Kindlein mit folgenden Versen ein:
..Tot, Tot, soggt d'Goos,
Kumm, kumm, soggt d'Gant, •
Laat uns na Fock sien Schüiir to gaan
Dar heff wi noch wat Hafer stan usw."
„Ho, ho, si, so!
Wat nüsselt in't Stroh?
Dat sunt te Totgööskes,
De hebben gien Schoh usw."
{Sundermann.)
,,Süse mien Lamm, süse mien Lamm,
Mamma wull kieken, of Papa kam.
Papa was so wiet weglopen,
Wull (wollte) sien Puppi'n kooktje kopen.
Süse mien Lamm, süse mien Lamm,
.Mama wul kieken, ob Papa kam."
„Süse mien Kindje slaap!
Dien Vater haalt'n old Schaap.
Dieu Moder melkt d'old swartbunt koo.
Kindje do (thu, mache) du dien Ogen to."
..Süse — nanne — pope!
Dat Kind liggt in de Grope (Stallrinne),
Vader un Moder sunt wiet van Hus,
Wie können hör neet beropen,
Dien Vader is in Engeland
Haalt dat Kind 'n Ledeband (Gängelband),
*'n Ledeband mit Kuopen,
Dar kan dat Kind mit lopen;
'n Ledeband mit Ringen,
Dar kan dat Kind mit springen;
'n Ledeband mit Kränzen,
Dar kan dat Kind mit danzen."
,.Düdei Kindje slap.
Dien Vader haalt'n Schaap
Mit twee witte Föte,
De girrt de Melk so söte.
Noch söter as twee Fiegen,
Un noch wil't Kindje neet swiegen.
Hör, hör, hör un su, su, su,
Uu doo dien Oanges too.
Die Vader plant de Bometjes
Dien Moder melkt de Koo."
,.Ho, si, so, wat is't moj Wehr,
't Süntje scheint under de Wulken dor,
Un 't re-gent;
Lüttje Kinder worden groot,
Un groten bliefen Zegen."
..Süse mien Kind, ik weege (wiege) di,
Dat du kritst (weinst), dat jammert mi.
Deit di dann dien Bukje sehr?
Dann wil ik di weegen mehr."
,,Sü! Sü! Mien söte Kind!
Dien Vader gaf mi 'n golden Ring,
'n golden Ring heb ik kum dahn
So rund und blank as Sün un Maan
(Mond)."
„Sü! Sü! Noch 't Kindje waakt?
Een Engelke het dat maakt.
Dee nam ut Sün — un Maneschien
Dat Gold so week un warm un fien."
„Sü! Sü! Slaap in, mien Kind!
Wat Sün un Maan gift, wast un wint.
Dann kumt dat Grasje ut de Grund
Un 't Bloomke ok, so sot un bunt."
Ein englisches Schlummerlied beginnt mit dem lieblich klingenden
,,Shoho, lullaby, go to sleep baby". Außergewöhnlich hübsch ist auch der
folgende, in den Denham Tracts veröffentlichte Nursery Song „The Babes in
tlie "Wood", in welchem das Rotkehlchen die Leiden zweier entführter Kinder
mit Erdbeerblätteru bedeckt. Xacli Härdy, dem Herausgeber, finden sich
Sagen, daß Rotkehlchen menschliche Leichen mit Blättern bedecken, auch
bei Shakespeare, Drayton und Webster. Das angedeutete Ammenliedchen
lautet:
,,My dear do you know.
How a long time ago,
Two poor little children
Whos names I don't know,
Were stolen away,
On a fine summer's day.
And left in a wood,
As I've heard people say.
8 Kapitel XXXI. Das kleine Kind und das ihm gesungene Lied.
And when it was night.
So sad was their plight;
The sun it went down,
And the moon gave no light!
And they sobbed and they sigh'd,
And they bitterly cried;
And, poor little things,
They laid down and died !
And when they were dead,
The robin so red
Brought strawberry leaves
And over them spread;
And all the day long
He sang theru his song —
Poor babies in the wood,
Foor babies in the wood!
And don t you remember
The babes in the wood?"
Ein zweites Liedchen lautet:
„Black and white is my delight,
And green and yellow's bonny,
I woud'nt part with mi' sweetheart,
For all my father's money.'' —
Realistischer klingt das von Robert Craig Maclagan veröffentlichte
Schlummerliedchen aus Argyleshire im westlichen Schottland, welches das
Kind vor Wanzen warnt und dieser Warnung eine Erzählung von Wanzen-
und Flohabenteuern beifügt, von denen das letzte damit endigt, daß die Mutter
einen Floh fing, wusch, sott und zum Tee servierte.
„Good night, sleep tight;
Don't let the bugs bite.
On a still calm night, when the bugs began to bite,
And the fleas ran away wi'my pillow,
If I had a string, I would make their ears ring
And gar them eome back wi my pillow."
„0 dear me! my mother eaught a flea;
The flea died, and my mother cried, o dear me!
() dear me! my mother eaught a flea;
She washed it and boiled it and made it for the tea."
In Aschaffenburg singt man:
..Heia Bopeia! Die Nünnereher
Bringen dem Kindchen Blümercher,
Un die schöne Kosniarin
Soll mei Kindchen schlöfern ein."
Schon tirji/, erkannte in diesen „Nünnereher" die altnordischen drei
Schicksalsschwestern (Xornen). Achtzehn Jahre später (1894) veröffentlichte
Anton Englert Wiegenlieder aus dem Spessart, in welchem die Nornen
deutlicher in den Vordergrund treten.
„Haio bobaio '), die Nunne.
Die bringe meim Kindele Blume,
Die bringe meim Kindele Veilchc,
Daß es muß geschweige."
Ferner:
„Haie babaie, die Nunne
Hömmer das Kindle genumme,
Hummers genumme un nimmer gebracht.
Was h&wwe die Nunne Ter Sache gemacht!"
'i Siehe Seite ii, Amn. 2.
§ 201. Wiegen- und Schlummerlieder bei Indo-Germanen. 9-
Wie die altnordischen drei Schicksalsscliwestern an einem Brunnen
wohnend gedacht waren, so auch die „Nunne", „Nünnerchen" oder „Ninnercher"
in den Sagen des Spessarts. Sie sind Wasserweibchen, die in alten Zeiten
oft herauskamen, den Kindern schöne Blumen, manchmal einem Sonntagskind
auch einen Ring schenkten und kranken Kindern halfen, wie Englert im
Hinweis auf A. Herrlein schreibt.
Englert machte uns ferner mit dem folgenden Oberpfälzer Wiegen-
liedlein bekannt.
„Schweig stillä g'sehwind,
' Mä loibes Kind!
Da Woutzel kummt
Und nimmt de mit.
Schweig stillä g'sehwind
Und halt da Mäul,
Er is schou drass'n
Mit sein' (jaul!
Dou, dou, dou, dou!"
Dieser „Woutzel" mit seinen Gäulen ist nach Englert wahrscheinlich
kein anderer als Wotan.
Wotan erscheint auch in den folgenden, seinerzeit viel umstrittenen
Versen, welche nach Jakob Grimm und Franz Pfeiffer ein althochdeutsches
Schlummerlied, nach Wilhelm Müller. Grohmann, C. Hofmann und Jaffe aber
unecht sind. Da in ihnen die von Tacitus erwähnte germanische Göttin Taufana
eine Rolle spielt, waren sie von Pfeiffer und Grimm als höchst wertvoller
Fund bezeichnet worden. In neuhochdeutscher Übersetzung lauten sie:
„Docke, schlaf, schlummrc! Das Weinen sogleich lasse!
Triwa (Treua) wehrt kräftig dem Wolfe, dem würgenden.
Schlaf bis zum Morgen, des Mannes Lieblingssöhnchen,
Ostra stellt (hin) dem Kinde Honigeier süße,
Hera bricht dem Kinde Hlumen, blaue, rote,
Zanfana sendet morgen fette, kleine Lämmer,
Und der einäugige Herr (Wuotan) vielleicht bald (dir) harte Speere."
Im heutigen Böhmerwald hörte Frau Bayerl Schwejda-Silberberg nirgends
ein eigentliches Wiegenlied. Am gebräuchlichsten sei der folgende Singsang
beim Einschläfern der Kinder:
„Hutscherlo. hajerlo
Stejs dr ka Zejrl o
Hajerlo
Mei Bubrlo (oder Dienalo)."
In dem folgenden Wiegenlied des steirischen Oberlandes sowie in
dem tirolesischen und in der Schweiz w. u. begegnen uns wieder schwarze
und weiße Schafe. (Vgl. das preußische und ein plattdeutsches Wiegenlied w. o.)
„Schlof, mei Büaberl, schlof,
Auf'n Üfn obn sein d'Schof,
Die schworze und die weiß'n,
De taten's Büaberl beißen."
Andere, von Rosegger mitgeteilte Schlummerlieder aus dem steirischen.
Oberland sind folgende:
„Heidi, nutz Heidi
Greane Stäudl
Bote Hedl dron
S'Büaberl schlaft schon."
10
Kapitel XXXI. Das kleine Kind und das ihm gesungene Lied.
„Schlof mei Büaborl, schlof,
Dei Voder is a Orof,
Dei Muader is a Fee,
De führt dich üban See;
üe setzt dich auf a hohes Roß
Und führt dich in a Kinigschloß,
Seim host a guldas Tischl glei
Und a Belli ah dabei.
Schlof mei Büaberl, schlof.
Dei Voder is a Grof!"
„Biga boga Hobalhurn
Zechni Kina sein geburn;
Liegt da Fisch
Auf'n Tisch,
Kimmt de Kotz,
Frißt'n Fisch,
Kimmt da Weba mit da Toschn,
Geit da Kotz a brave Floschn.
Sogt die Kotz: Miauu!
Wo muaß i mei Häuserl hinbaun;
Baut ihr Häuserl in Kerschbaum auffi,
Da Kerschbaum hebt on ins brina,
s'Katzerl hebt on in's springa."
Die Tirolerin hat folgende Schlaf liedlein:
„Heia popeia,
Mei riglata Kue,
Wer wird dir denn futtern,
Wenn i heirathen thue?
üeirath nar hin. heirnlh nar her!
Kimmt schon an and'rer Kuttrar mehr!
„Heia popeia
Mein großkopfetes Kind,
Wenn du nicht schläfst,
Schlag ich dir auf n Grind."
„Jetzt geh'n wir geh'n schlafen,
Sagt der Wolf zu den Schafen.
Ei wohl wir legen uns nieder,
Sagt der große weiße Widder."
„Schlaf nn, schlaf im, schlafe,
s'kumincn a Kutte Schafe,
A Büseh'l weiß, a Büseh'l schwarz,
Schlaf du, schlaf im, mei lustiger Schatz."
„Schlaf nu, schlaf und schweige,
I kauf dir a goldige Geige,
I kauf dir an goldenen Kiedelbogen,
Schlafm!, moi Büb'l: s'ist all's erlogen."
„Schlaf, Büble, schlaf,
Die Mutter gibt Acht,
Daß die Trud dich nit drückt.
Und der Alb nicht erstickt,
Schlaf, — Holde kumm,
Alb, dreh dich um."
„Schlaf nu, schlaf nu stille.
Der Putz ist auf der Dille,
Willst du nit stille sein,
Wird er bald runten sein."
Auch summt man in Tirol einzuschläfernden Kindern (im Tone knur-
render Katzen?) vor:
„Wir zwei, wir drei
Gehen auf's Wiesheu,
Moosheu, Moosheu,
Wiesheu."
Ein schweizer Spruch lautet: „Jenes Kind wird nicht heiter, nicht
musikalisch, kann nicht den Schlaf finden, dem man nicht an der Wiege singt."
Die folgenden Wiegenlieder gehören zu den in der Schweiz beliebten:
,.Schlof n.i. uns Ditti, no bisch du im Ei,
Wachse! dird'Flügel, so Battreschdu frei."
„Es fahrt e Wind durch d'Lindo
Und de Uuetter sinnt de Chinde
\ o zwou liebi Schofe.
Bis (hiß si all] seli!
Es Lämnili und es Höclcli,
Bringet dem Büebi es Itöckli,
Rs Böckli und es Lämmeli
Bringi i dem Maidschi Milchmämmeli,
Zwei schv ai - und zwei « issc.
Sir «ml da Büebli
wisse und zwei schwarze,
Sie chömmet's oho ge chratzc.
Wehr, wehr, lliitcli. wehr.
Aß sie s'Büebli nit verzere!
s'Böckeli und Lämmeli
Bisset s' Büebi is llömmeli.
s'Lämmli und es Widderli
Stoßet s'Büebi is Füdeli.
Bisset's doch au nit so hart,
s'lil j«i nummen im Federbett,
Bissct's doch au nit so stark,
s'lit jo nummen am Sprüersaek."
„Soli-soli will i der singe
Oepfel und Birli will der bringe
Oepfeli, Birli. Ncspeli taig,
Aß mis Maideli z'esse heig.
Oepfeli, Birli, Ohraspeleteig (d. i. mürb-
gebackenes Brot)
Schlof mis Maideli. wie nie de leit." —
Auch französische Wiegenlieder gibt es in Menge.
§ 201. Wiegen- und Schlummerlieder bei Indo-Gcrmanen. 11
Wie in manchen deutschen Schlummerliedern, so erscheinen in manchen
französischen Tiere, an welchen nach der Beobachtung der Mütter und Pflege-
rinnen das Kiudesauge sich erfreut. Mau will Schäfchen, Gänse, Schmetter-
linge und andere Lieblinge der Phantasie des Kindes vor dem Einschlafen
nochmals vorführen, damit das Kind heiter einschlafe und froh träume. Ferner
faud im französischen ^'iegenliede der Reiher einen Platz.
Andre Theuriet schrieb: ,,Ces berceuses ont toutes une melodie cäline
et attendiie; les paroles n'y brillent pas par la logique, mais elles sont
ingenieusement appropriees ä Tintelligence naissante de l'enfant. Les phrases
sans rime ni raison sont cbmposees de mots lumineux et sonores, destines ä
agir sur la fraiche imagination du bambin.1' — Und wiederum: ,.A chaque
appaiition d'un noiu'eau personnage, la scene change et une nouvelle perspective
s'ouvre ä l'esprit de l'enfant, jusqu'ä ce que, charme il glisse doucement ä la
reverie, dans le reve, et du reve dans le bon sommeil profond de l'enfance."
Hier nur einige Proben teils im Text, teils in Übersetzung.
„Petite fille de Paris,
Prete-moi tes souliers gris
l'our aller en Paradis,
Nous irons un ä im
Au chemin des saints,
Deux ä deux
Dans le chemin des cieux."
..Schlaf, mein Kindlein, schlaf,
Schläfst du gleich, so bist du brav!"
,,SchIaf jetzt, schlaf. Kuchen kriegt Papa
Klaus, mein Brüderlein, Und auch die Mama
Schlaf jetzt, schlaf. Und ein Körbchen voll
Kriegst auch Kuchen feiu; Ich bekommen soll."
(Poitou, Angoumais und andere Bezirke.)
„Papa, der sagt's, daß gleich du schläfst,
Jlaiua, die sagt's, daß gleich du schläfst,
Papa, Mama, die wollen's so,
Drum, Kindlein, schlaf!"
„Schlaf, mein Herzenssohn, du schönster auf der Welt.
Sullst auch Hauptmann sein, ein großer Kriegesheld.
Von Gold trägst du ein Kleid,
Ein Schwert, zum Kampf bereit,
Bist herrlich anziisehau'n
Den Mädchen und den Frau'n.
Wenn sie in ihrer Pracht
Zum Schlosse dich gebracht.
Und kommt herbei das Jahr,
So führst du zum Altar
Die Allerschönste gar." (Kuhff'sche Sammlung.)
Dem französischen Säugling singt man ferner, wie im sächsischen Sieben-
bürgen, von Hochzeiten vor.
„Ah! Ah! papillon, marie-toi!
— Helas! mon maitre, je n'ai pas de quoi.
— La. dans ma bergerie, j'ai cent moutons,
<„'a s'ra pour faire la noce du papillon.
Ah! Ah! que dit le hcron?
— J'ai les alles et le cou long,
.l'irai ä la riviero pecher le poisson.
t.'a s'ra pnur faire la noce du papillon." —
12 Kapitel XXXI. Das kleine Kind und das ihm gesungene Lied.
In italienischen Volksliedern wird der Schlaf (souno) bisweilen noch
nach antiker Anschauung' personifiziert:
„Suonno, suonno, ehi vai e vieni da lo monte
Co' 'na palluccia d'oro e dalli 'n fronte;"
oder
„Suonno, suonno, vieni ea ti conto
Come a la messa de tutti li santi."
„Suonno, suonno, vieni ca t'aspetto
Come Maria aspettava San Giuseppe."
„Suonno, suonno, vieni ca 'mo viene
Vene 'na varca carrica te bene." (Nach Cicellino.)
Oder, wie dem Säugling auf Sizilien gesungen wird:
„Suonnu, sunnuzzu, chi va' firiannu?
Li picciriddi vaju addurmintannu.
Suonnu veni dl luntanu,
Annumiscitila, Sammastianu." (Noto.)
„B a-la-vö, li galeri junceru .-
E suntiu junti docu a lu Molu." (Palermo.)
„E a-la-vö sunnuzzu vinili
E a nie figgliiu m'addurmisciti." (Marsala.)
Ein sizilianisches Schlummerlied, das sich zugleich auf böse Frauen
bezieht, findet sich in Kap. V. — Ein venezianisches Schlummerliedchen lautet:
„Famo la nana1) e ni-na-na de longo
Sera i to oceti e fame un sono longo.
E nina, nana, e ni-nana, ni-nano
A meza note sona stu campauo"2).
Hin anderes lautet in deutscher Übersetzung:
„Schlaf, mein Kindchen, und schlafe lange, Die dich gebar, hält AVacht an der Wiegen.
Schließe ilie Äuglein und schlafe lange, An der Wiege steht sie und singt und wiegt.
Schlafe, ja schlafe die ganze Nacht. His mein Kindchen in süßem Schlummer liegt.
Bis dir zur Freude der Morgen lacht. Und muß ich, mein Herzchen, von dir gehen,
Gott gebe Glück dir und gebe Vergnügen, Wird Gott zur Wacht an der Wiege stehen." —
Floß vermutete, das italienische „nö u6" (siehe Anmerkung) könnte aus
sonno (Schlaf) entstanden sein, womit viele italienischen Wiegenlieder beginnen.
Beispiele hierfür sind der je erste Vers der fünf ersten Strophen oben; ferner:
„Suonno, suonno, e suonno suonno dico,
Quanto ti faccio te lo benedico." —
In der Schweiz kommt der Ausdruck „Nuni-nuni-soli" vor. Ob damit das
„Susaninne" in der folgenden Strophe aus Martin Luthers, „Kinderlied auf
die Weihnachten vom Windeiern Jesu-' zusammenhänge, ließ l'lofi unentschieden:
..Davon ich allzeit fröhlich sei,
Zu springen, singen immer frei,
I >as reihte Susaninne schon
Mit Herzenslust den süßen Ton."
Das Wort ..Susaninne" komme auch in der spielenden Sprache der Mütter
und Wärterinnen und in den sogenannten „Kindelwiegenliedern" vor, die seit
M Den Schlaf der K bezeichnet man auch mit nonua, oder „nonno, nauna", die
Wiegenlieder niil „ninne-naune". Dem weinenden Kind in der Wiege ruft man zu: „fa nö nö." —
•i Die obigen Schlui erlieder sind unverändert aus Auflage 2 herübergenonunen. Für
die Richtigkeit des Dialektes kann die Herausgebern der vorliegenden Auflage nicht einstehen.
§ 202. "Wiegenlieder bei Niehtindogermanen. 13
alter Zeit am Weihnachtsfeste in manchen Gegenden Deutschlands unter
Umhertragen des Christkindleins vom Volke gesungen weiden.
Schlummerlieder (ßaoxaAYjjAaTa) gab es im alten Griechenland. Theohrit
läßt Alkmene, die ihre Zwillinge ins Bett legt und ihnen die Haare
streichelt, die Verse sagen:
..Schlafet nun ein und erwachet mir wieder,
Friedlich schlaft bis zum folgenden Morgen,
Herzensseelchen, Briiderpärchen, meine kleinen Kinderlein !-i
§ 202. Wiegenlieder bei Niehtindogermanen.
Auch im Kaukasus, bei den Georgiern, singt man den Säugling in
Schlaf. Aber die Melodien sind hier gewöhnlich traurig, was A. Dirr damit
erklärt, daß viele Melodien georgischer Volkslieder kirchlichen Ursprungs seien.
Schlummerlieder gibt es dann bei den Semiten. Die folgenden Verse
sind einem 66 zeiligen Lied dieser Art entnommen, welches S. Weißenberg
mit andern Liedern der südrussischen Juden veröffentlicht hat,
„Schluf man Veigele,
Mach zi dus Eigele,
Schluf sech ois man Kynd.
Die schlufst myt Freid,
Die weißt nyt vyn ken Leid,
Schluf sech ois gesynt.
Ich dan Mytter
-Hyn dan Beschytzer,
Schluf sech ois gesynt.
Der Schluf der giter
Asoi wi a lliter
Steit ba dir bys fri.
Myt san Fligele
Yber dan Wiegele
Deckt er dech styl zi."
Von den Wasuaheli hat Veiten Schlafliedchen mitgeteilt, von denen
hier eines folgt:
„Weine nicht, Mama1), weine nicht.
Weine nicht, mein Kind,
Du Kind, du ganz kleines Kindchen,
Du Esser von warmem Brei.
Dein Bäuchlein mache er warm."
Ein von Tkeoph. Sahn mitgeteiltes Liedchen der Hottentottin lautet
in Übersetzung:
„Du Sohn einer helläugigen Mutter,
Du weitsichtiger,
Wie wirst du einst ,,Spur schneiden" (d. h. das Wild aufspüren).
Du, der du starke Arme und Beine hast,
Du starkgliedriger,
Wie wirst du sicher schießen.
Die Herero berauben
Und deiner Mutter ihr fettes Vieh zum Essen bringen —
Du Kind eines starkschenkligen Vaters,
Wie wirst du einst starke Ochsen zwischen deinen Schenkeln bändigen,
Du, der du einen kräftigen Penis hast,
Wie wirst du kräftige und viele Kinder zeugen!" —
Hierbei pflegt die Mutter die besungenen Teile zu streicheln und zu
küssen, die Geschlechtsteile jedoch betastet sie nur und küßt die eigenen
Finger, welche diese Teile berührt haben.
') Kosenamen für das Kind {Veiten).
1-t
Kapitel XXXI. Das kleine Kind und das ihm gesungene Lied.
Aus Ost-Sumatra hat M. Moszkowski übersetzt:
,. Schlaf. Kindeben, schlaf,
Es zog zur Stadt der Graf (Lacaiuana).
Der Tiger heult im wilden Wald.
Und alles furcht' sich, jung und alt."
Nach Gerland-Waite und Die/jfenbach suchen ferner die Australierin
und die Maori-Mutter auf Neuseeland ihre weinenden Kinder mit Absingen
von Liedern zu beruhigen. — Siebert erwähnt speziell von dem Dieri- Stamm
und deren Nachbarn in Zentral-Australien. daß die Mütter und Großmütter
den Kleinen Liedchen vorsingen und Märchen erzählen.
Eiu besonders hübsches Wiegenlied, ein anmutiges Bild von dem Gemüts-
leben einer Dravida-Familie, hat 11". Gallenkamp aus der Landschaft Kurg
(Coorg) im südlichen Indien übersetzt.
i. Wasuakeli- Krauen und -Kinder beim Frisieren. — Kunstverlag C. Viucenti, Dar-es-Salaam.
,.Ju\va. juwa, Liebling mein.
Wenn des Kindchens Mutter kommt,
Kriegt das Kind zu trinken.
Juwa. juwa. Liebling mein,
Kommt des Kindchens Vater heim.
Kriegt's ne Kokosnuß.
Juwa. juwa. Liebling mein.
Kommt des Kindchens Bruder heim.
Kriegt's ein Yögelein.
Juwa. Juwa, Liebling mein.
Komm! des Bündchens Schwester heim,
Kriegt's ?nen Teller Reis." —
Einhundertundvierzig chinesische Kinder- und Wiegenlieder im Urtext
und mit englischer Übersetzung hat Isaac Taylor Headland in New York
§ 202. Wiegenlieder bei Nichtindogermanen.
15
(1900) veröffentlicht. Zwei derselben erschienen im Globus (Bd. 80) in
der folgenden Übersetzung:
„Eine rote Pfefferblume
Lang, ling, ling,
Die Mutter wird aufpassen.
Das Kindchen macht sing, sing.
Alte Mutter Wind,
Die weht auf uns zu
Und wird das kleine Kind
Wiegen in süße Ruh.'" —
Aus der ural-alraischen Völkerfamilie, von den Finnen, hat Castren ein
Wiegenliedchen mitgeteilt :
Fig. 232. Australierinnen mit Kindern. Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
„Alä itke hyvä lapsi!
Kun Kilia kirkkon tekeevi,
Xalli nauloja takoovi —
Munkalainen muuraa."
., Weine nicht, o gutes Kindchen!
Da Kilia die Kirche bauet,
Da die Nägel Nalli schmiedet —
Maurer ist ein Fremdling."
Endlich sei hier eines jener Lieder übersetzt, von denen Schoolcraft
schrieb, nichts liabe ihm die nordamerikanischen Jägervölker in einem
anziehenderen Licht erscheinen lassen als ihre Mutter- und Kinderlieder.
„Schaukle, schaukle, Wiegelein,
Schlafe. Töchterlein, schlafe;
Es wachet deine Mutter bei dir,
Wieget, wieget dich immerfort,
Töchterlein, schlafe.
Es liebt deine Mutter vor allen dich.
Schlafe, Töchterlein, schlafe;
Wiegend bin ich ganz nahe dir;
Kindlein, Kindlein, weine nicht,
Töchterlein, schlafe.
16
Kapitel XXXI. Das kleine Kind und das ihm gesungene Lied.
Wiegend, wiegend, sehläfre ich dich ein,
Schlafe, schlafe, mein Kindelein,
Deine Mutter wird nahe dir sein.
Schaukelst, schaukelst nicht allein;
Töchterlein, schlafe." —
Ein altes Wiegenlied der Sionx lautet nach K. Wolterecks Übersetzung:
„Schlaf, schlaf, mein Kind, die Chippewas
Sind noch nicht da, sind noch nicht da —
Schlaf, schlaf, mein Kind, und werde stark.
Der Kampf dein harrt, der Kampf dein harrt ..." —
§ 203. Sogenannte Reiter-
oder Knieliedchen.
Ein in Europa wohl be-
kannter Brauch ist, daß man
-kleine Kinder, besonders Knaben,
auf ein Knie oder einen Schenkel
nimmt und ihnen unter Auf-
und Abwärtsschaukeln, als Nach-
ahmung von Reitbewegungen,
kindliche Verse vorträllert. Ein
solches „Reiterlied" findet sich
z. B. in Achim von Arnim und
Hanois von Brentano?, Samm-
lung „Des Knaben Wunderhorn".
„Troß, troß, trill,
Der Bauer hat ein Füll,
Das Füll will nicht laufen,
Der Bauer will's verkaufen usw."
Ein von Veriiuh/.iii aus
der Wiener Gegend mitgeteiltes
Liedchen dieser Art soll mit
seinem „Schimmelmann" an
Wotan erinnern. Es lautet:
„Hot. hot, hot, Schimmelmann!
's Katzerl hat Stieferl an;
Jagerl. geh du voran,
Daß's Katzerl nit beißen kann."
Fig. 889. Kindsrspielzeug bei denSioux, Nord-Dakota.
Milium 1 K. H. Prinzessin Therese tun Bayern.
Das
gesungen:
folgende Keiterliedchen wird im österreichischen Schlesien
„Ens'r Binder Malch'r, dar wold a Kait'r waan,
A hatte, ach. käu Sabl; a konde kätin'r wann.
D'Mottr naams knaa schalt an.
Hungs Malchan aan d'Sait;
Hait. Malch'r, rait, a Saabl aan d'r Sait."
Die lebhafte Phantasie der Niederschlesier im Liebauer Tal kommt
in den von II*. Pai chovsky*) mitgeteilten „Reiterliedchen" zum Ausdruck, von
denen hier die kürzere der beiden Varianten folgt:
„Malcher wulH a Reiter sein, a hatte kene Mütze.
!>'> nä im de Mutter a Ufatop
Und set/.'n Malchern uf a Köp.
Reit, Malcher, reit.
l) In M. d. Seh. ei. f. \'. II. IV. 27.
§ 203. Sogenannte Reiter- oder Knieliedchen.
17
Malcher wallt a Reiter sein, a hätte kene Spörner.
Do nahm de Mutter de Ziegahörner
Und macht se Malehern ä statt Spörner.
Reit, Malcher. reit.
Malcher wullt a Reiter sein, a hätte kene Flinte.
Do nahm de Mutter de Ufakrücke
Und bundse Malchern uf a Rücke.
Reit, Malcher, reit.
Malcher wullt a Heiter sein, a hätte kene Stiefeln.
Do brucht' de .Mutter die Käana raus
Und macht dann Malcher Stiefeln draus.
Reit. Malcher, reit.
Malcher wullt a Reiter sein, a hätte kenen Säbel.
Do nahm de Mutter 's Kübelscheit
Und Lands dem Malcher ä die Seit.
Reit. Malcher, reit.
Fig. 234. Sionx-Indianerin mit Kindern aus Minnesota. Im K. Ethnographischen Museum in
M iincheu.
Malcher wullt a Reiter sein, a hätte o ke Pfard.
Do nahm de Mutter die rate Kuh
Und setzt a Malcher ubadruf.
Reit, Malcher, reit.'"
In Thüringen singt man dem Kindchen auf dem schaukelnden Knie:
..Troß, troß, troß.
Der Reuter kommt vom Schloß,
Der Reuter kommt von Eisenach,
Henne (wenn er) kommt, ze womme (wollen wir) lach." —
Reiterlieder, welche im Knaben kriegerischen Geist, Freude am Reiten
und Mut wecken sollen, finden sich auch bei Rochholz, Peter, Zingerle und bei
Frischbier.
Bei den Insel-Friesen fand Hans Leust in den folgenden Schaukel-
versen das Katzengespann der Freyja und Nerthus:
„Jann, spann an!
Dree Katten voran.
Dree Müs vörut,
So foahrt Jann na siene Bruud.'' —
Ploß-Renz. Das Kind. 3. Aufl. Band II. 2
\Q Kapitel XXXI. Das kleine Kind und das ihm gesungene Lied.
Ein anderes Schaukellied der Insel-Friesen lautet nach Leust:
..Ikk segg 'dr van Japik1) staa still!
lkk segg 'dr van Japik staa still!
Worum schall ikk denn stille stahn?
lkk hebb geen Minschgeen quadd gedaan;
Ikk wull (uder sclnill) de Ken too t' Kohl ufjagen
Unn joog see 'dr midden herin!'' —
Ans dem nordöstlichen Schottland veröffentlichte Walter Gregor ein
Liedchen, welches als Tanzliedchen bezeichnet ist, wahrscheinlich aber das
gleiche Spiel begleitet, welches wir „Reiten auf dem Knie" nennen; denn es
ist dazu bemerkt, daß man das Kind auf die Kniee setzt und „dandling it
with an upward an downward motion to the rhythm of tlie words". Das
Liedchen liest sich folgenderweise:
.,Danee t' yir daddie,
My bonnie laddie,
An ye 11 get a fishie,
An a litt le dishie.
Dance t' vir daddiet-
My bonnie dol." —
Französische Knieliedchen hat Otto Kamp übersetzt. Eines der-
selben lautet:
„Auf dem Tier, das da rennt,
Kommst du bald an's fernste End.
Nach Ronen über See
Auf dem Pferd so weiß wie Schnee.
Nach Paris fahr im Saus
Auf dem Schwanz der kleinen Maus.
Nach Versailles immer zu
Auf dem Schwanz der bunten Kuh."
Kin Knieliedchen. das besonders in Keims seit den Kämpfen der Herzöge
von Burguiid gegen diese Stadt volkstümlich ist, lautet übersetzt:
„Ihr Reiter, auf's Pferd,
Soldaten zur Eni'.
Vorwärts, drauf!
Champagne heißt's Ziel.
Und Hafer gibt's viel,
Pferdlein lauf!" —
In Toscana läßt man das Kind gleichfalls auf dem Knie leiten, indem
man ihm vorsingt:
„Staccio buraltci
Martino e cavallaccio
Murtino andette a Colle
Turm, tutto molle
Molle asciutto.
Aprimi l'uscio
L'nscio 'un lo voglio aprire
Casca casca giü u dormire." —
In der Gegend von Siena:
„Trucci, trucci, cavallino,
Porta l'nsino al mulino.
11 mulino e rovinato,
II mugnario fo impiccato,
Fu impiccato alla catena;
Ln su mamma fjli ;i fatto cena.
I'. g!i ä fatto un bei bimbino:
Trucci, trucci. cavallino." —
1) Jakob (oder Jaspi
§ 204. Fingerliedchen. 19
§ 204. Fingerliedchen.
Ein bei Germanen, Romanen (und Kelten?) beliebtes Spiel mit
kleinen Kindern1) bestellt bekanntlich darin, daß man ein Händchen faßt und,
vom Daumen oder vom kleinen Finger angefangen, alle fünf Finger einzeln
berührt oder, wie es im Böhmerwald heißt, „wuzelt" und dabei je einen
Vers spricht oder singt. Aber auch die Dravidas im südlichen Vorder-
indien haben diesen Brauch. Es ist bemerkenswert, daß Essen, Stehlen und
Selbstsucht die drei Hauptgedanken sind, welche in den europäischen Finger-
liedchen zum Ausdruck kommen. Pädagogischen Wert haben diese also kaum. —
Wenn das Fingerspiel im bayerischen Schwaben mit dem Daumen
beginnt, dann wird es von dem folgenden Spruch begleitet:
„Dös iseht der Daunia,
Dear schüttlät Pflauma,
Dear glaubats auf,
Deal' draids hoiin,
Und der glain frißt all alloin." —
Im Böhmerwald, und mit entsprechendem Dialekt auch im bayerischen
Schwaben heißt es, wenn das Spiel mit dem kleinen Finger begonnen wird:
„Der is in' Brunn g'fall'n,
Der hat ihn raus'zogen.
Der hat ihn nach Haus trog'n,
Der hat ihn iu's Bett g?legt,
Der hat ihn zudeckt."
Fängt das Spiel mit dem Daumen an, dann sagt man im Böhmerwald:
,.Dös is dr Dain-damerl
Dös is dr Birnseppl
Dös is dr longs Johannerl
Dös is dr krumm Steffel
Dös is dr tatsch-tatschkrl." (Bayerl-Schn'ejtla.)
Diesen deutschen Fingerversen entsprechen die folgenden italienischen:
„Questo gä fato'l vovo,
Questo l'ä messo in fogo,
Questo l'ä cusinä,
Questo lo gä magna,
E sto povareto no ghe n'ä gnanca tocä."
Übersetzung:
..Her hat's Ei gelegt,
Der hat's aufs Feuer gesetzt.
Der hat's gekocht,
Der hat's gegessen.
Und der arme Tropf (Kleine) rührte es gar nicht an."
Das venezianische Fingerlied lautet:
„Questo domanda del pan,
Questo dise. no ghe a e.
Que.-to dise. come faremo,
Quell' altro dise: rularemo,
11 mignolo dise: chi ruba 'mpicca, 'mpicca/'
Ein Fingerlied ist auch in Frankreich bekannt:
..c'Vst lui qui va ä la chasse,
C'est lui qui a tue le liferre,
') Größere Kinder spielen es unter sich.
20 Kapitel XXXI. Das kleine Kind und das ihm gesungene Lied.
C'est lui qui Ta fait cuire,
C'est lui qui l'a mange.
Et le petit glin glin
CJui etait derriere le moulin,
Disait: Moi, j'en veux, j'en veux,
J'en veux, j en veux, j'en veux."
(Franehe-Comte; nach Ph. Kuh ff'.)
In Schottland wird, wie es scheint, das damit verbundene Spiel „brack
the barn" genannt, weil der erste Vers in seinem zweiten Teil so lautet.
Man beginnt mit dem Daumen:
..This is the man it brack the barn.
This is the man it stealt the corn,
This is the man it cat it a'.
This is the man it ran awa.
Peer little cranie paid fart a'." (Walter Gregor.)
Ein Dravidisches Fünffingerliedchen und ein Zehnfingerliedchen hat
W. GallenJeamp übersetzt. Das erste lautet:
..Des kleinen Fingers Nagel ist klein.
Der Kingfinger da ist eitel Gold,
Der Mittelriuger hat Gold so lieb.
Der vierte, der heilit Kötera.
Der Daumen Marutika
Und beide holen Käs." —
Das zweite:
..Zähl' die beiden kleinen Finger, und wo der King dran sitzt,
Und Mittelfinger und Vorfinger und Daumen: zusammen sind es zehn."
§ 205. Lieder oder Verse auf andere Körperteile des Kindes.
Im Böhmerwald patscht man im Spiel den kleinen Kindern beide
Händchen zusammen und singt dabei:
..l'lesch d'Händrla
Plesch d'Händrla
Was wird der Tatta bringen'/
Schöi Sehouerla, schöi Strumpfrla
Da wird der (Name) — springen!"
Beim Letzten Worte hebt man das Kind in die Höhe.
Oder man kitzelt das Kind an der Fußsohle und sagt dabei:
„Mou ma Riisserl bschlogn
VVejviel Nägel mon i hobn?
Eins, zwei, drei
Und a Fuda Heu
Und a Fuda Zucka
Frist ma Kößrl trucka (trocken-gänzlich)
Und a F'uda Mandelkern
Frilit ma KöUrl alles gern." (Baycrl-Schioejda.)
Andere Berührungsspiele bestehen darin, daß man gewisse Teile des
Gesichtes, Kinn. Stund, Nase, Augen und Stirn des Kindes, bei anderen auch
die Kopfhaare zupft, oder berührt und dabei entsprechende Verse sajrr. Die
Reihenfolge ist verschieden. Bald fängt man oben, bald unten an. Ein Bei-
spiel dieser An aus Toscana hat Corazzim mit den Verseu angeführt:
,.Questo e l'occhio bello,
Questo e il suo fratello,
C^uesta e la chiesina,
Questi so' i fratini,
• Questo ('■ il canipain
Din din din."
§ 205. Lieder oder Verse auf andere Körperteile des Kindes. 21
Ihm entspricht das plattdeutsche:
„Könne wöppke,
Rod Löppke,
Nase piepke,
Ogebrahuke,
Steern bahnke,
Schipp, schipp, Meirahnke."
Feiner die folgenden schottischen Liedcheu mit begleitendem Spiel:
„Ohio cherry,
Moo merry,
Niz nappy,
Ee winky,
Broo brinky,
Ower head an away, Jock."
„Knock at the doorie (the brow).
Peep in (the eye)
Lift the latch (the nose)
Walk in (the mouth)."
Bei einem dritten Liedchen beginnt das Spiel mit einer Zehe (toe) und
endet mit den Augenbrauen.
„Taa titly,
Little fitty,
Silin sharpy,
Knee knapy,
Hinchie pincliy,
Wymie bulgy,
Breast berry,
Chin cherry,
Moo merry,
\<>se nappy,
Ea winky,
Broo brinky,
Ower the croon,
And awa 'wi't. —
Kapitel XXXII.
Sitz-, Steh- und Gehversuche des Kindes. Hilfsmittel.
§ 206. Um das kleine Kind in seinen Sitz-, Steh- und Gehversuchen
zu unterstützen, wenden Volker verschiedener Kulturgrade besondere Apparate
an. Bekannt ist die Bedeutung, welche man in unserm eigenen Kulturmilieu
beispielsweise dem Kinderstuhl beimißt. weH das Kind auf ihm einen Teil
seiner körperlichen Entwicklung durchlebt. Er muß so beschaffen sein, daß
er das gesunde und gerade Wachstum der Glieder, die Ausweitung des Brust-
korbes, die normale Entwicklung- der Lunge und des Rückgrates nicht
hindert. „Die Füße müssen ausruhen können," schrieb Ploß (II, IIb),
„damit sie durch Herabhängen nicht ermüden, und damit nicht in den Beinen
der Blutlauf behindert werde. Der Sessel muß hoch genug sein, damit er an
den Tisch der erwachsenen Personen angeschoben, den Kindern den Ausblick
auf denselben gestatte. Die Tischplatte aber, welche man am Stuhl vor
der Brust des Kindes anbringt, damit letzteres auf demselben bequem spiele,
muß eine gerade Haltung des Körpers gestatten, und darf insbesondere nicht
so niedrig sein, daß das Kind sich zu bücken und den Rücken zu krümmen
genötigt ist. Ist dagegen diese kleine Tischplatte zu hoch, so wird das Kind
veranlaßt, die Gegenstände zu nahe an die Augen zu bringen, und es wird
hiermit in die Gefahr gebracht, kurzsichtig zu werden."
Als ein absolut notwendiges .Möbel für eine normale Entwicklung des
kindlichen Organismus kann der Kinderstuhl vom Ethnographen nicht
angesehen werden, da zahlreiche Völker ihre Kinder ohne Kinderstuhl zu
stattlichen .Menschen heranwachsen sehen. Zwar dürften die Forschungs-
reisenden sowohl diesem Möbel als auch den steh- und Geh-Apparaten bisher
verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben, aber es scheint doch
ziemlich sicher zu sein, daß nicht nur die meisten sogenannten Natur-
volker. sondern auch verhältnismäßig hochstehende Kulturvölker
des Orients, die zeitlebens mit unterschlagenen Beinen auf Teppichen hocken
oder auf niederen Polstern sitzen, einen Kinderstuhl nicht kennen.
Übrigens wachsen auch die deutschen Bauernkinder ohne diesen Apparat zu
kräftigen Menschen heran.
Parallelen zu ziehen, ist bei dem verhältnismäßig wenigen Material.
welches mir einstweilen für dieses Kapitel vorliegt, nicht nötig. —
§ 207. Hie Wohlhabenden untei den Armeniern des Kreises Xucha
unterstützen die Steh- und (i eh versuche ihrer Kinder mit dem „Tschera!'",
einem dreieckigen, auf Rädern lautenden Rahmen, in welchen das Kleine
hineingestellt wird ( /■'. St janow). Die ärmere Bevölkerung überläßt, wie in
Deutschland, die Stell- und Gehversuche der .Natur des Kindes allein. —
Im Gouvernement Eriwän benutzen die Armenier und Kurden einen
ähnlichen Apparat, „Tschrik" oder „Tschor" genannt. Der Rahmen ist hier
viereckig. Er steht mit seinem untern Rand auf zwei Rädern. Von der Mitte
§ 207. Sitz-, Steh- und Gehversuche des Kiudes. Hilfsmittel. 23
der durch diese gehenden Achse läuft ein Stab aus, an welchem ein drittes
Rad befestigt ist. Manchmal ist der Stab und der obere Rand des Rahmens
mit einem zweiten Stab verbunden. Das Kind hält sich am oberen Rand des
Rahmens fest und schiebt diesen vor sich hin. — Eine dritte Art gibt es bei
den Armeniern des Kreises Kasasch, Gouvernement Jelisawetpol. An
einem etwa 35 Zentimeter hohen hölzernen Pfosten, der in der Erde steckt,
läßt man einen Stab von der gleichen Länge horizontal sich drehen. Mit ihm
dreht sich das Kind, welches sich am Stabe hält.
Bei russischen Völkern gibt es Hohlzylinder, ausgehöhlte Baumstämme
oder Klötze, welche als Hilfsmittel bei Steh- und Gehversuchen dem Kind
bis an die Schultern reichen.
Bei den germanischen Völkern können Kindersessel nach PJoß bis
in das Mittelalter zurück verfolgt werden. Nach einem Gemälde von Metzu
aus dem 17. Jahrhundert, das sich in der alten Pinakothek in München
Fig. 235. Ein Sitzkasten aus der Schweiz. In der K. Sammlung für deutsche Volkskunde in Berlin.
befinde, seien die damaligen den jetzt noch in Holland gebräuchlichen sehr
ähnlich gewesen.
Aus der Schweiz befindet sich ein Sitzkasten in der K. Sammlung
für deutsche A'olkskunde in Berlin. Figur 235 ist eine Abbildung davon.
Ebendort befindet sich ferner ein Kinderlaufstuhl ans Österreich,
dessen Abbildung hier als Figur 23G folgt.
Laufstühle, auch Gängelwagen, bzw. Gängelkörbe genannt, gab es neben
Gängelbändern in Deutschland spätestens schon im 18. Jahrhundert, wie
Floß nachgewiesen hat.
Die Gängelbänder wurden dem Kind um die Brust oder unter den
Achseln festgebunden und von den Müttern oder Wärterinnen gehalten, wie
es ja auch jetzt noch vielfach geschieht.
Die deutschen G e h k ö r b e waren ähnlich jenen der jetzigen Armenier, Kurden
und Tataren im russischen Transkaukasien auf Räder gestellt, und das Kind
stützte sich mit Brust und Schultern auf den Korbrand. Ein Holzschnitt in
„Petrarchae Trostspiegel" (Frankfurt 1572) stellt eine Kinderstube mit
einem nackten Kind im Gehkorb dar. Dieser läuft auf vier Rollen und reicht
dem Kind unter die Achseln. Nach Scheible stammt der Holzschnitt aus dem
Jahre 1520. Veit Conrad Schwarz (1(5. Jahrhundert) lernte nach seinem
24
Kapitel XXXIL Sitz-, Steh- und Gehversuche des Kindes. Hilfsmittel.
„Bilderbuch", worin er selbst als Kind dargestellt ist. in einem Lauf- oder
Gängel wagen das Gehen.
Ferner waren in deutschen Gebieten früher die jetzt noch teilweise
üblichen Fall hüte, auch „Türkenbund" genannt, vielfach in Gebrauch. Ein
Exemplar aus der Gegend von Nürnberg befindet sich in der K. Sammlung
für deutsche Volkskunde in Berlin. Eine Abbildung davon wird hiermit als
Figur 237 veröffentlicht.
Der Fallhut sollte den Kopf des fallenden Kindes schützen, doch wird
er von der neueren Hygiene mißbilligt, weil er den Kopf erhitze und mehr
als eine Beule schade. (Vgl. indessen die catalonischen Fallhüte w. u.)
Ebenso haben sieh moderne Hygieniker gegen das Gängelband aus-
gesprochen: Das Kind gewöhne sich durch dieses scheinbare Hilfsmittel, beim
Gehen Kopf und Oberkörper nach vorn zu halten, so daß es beim Loslassen falle.
Auch der in Paris erfundene „sautoir des enfants'', ein von der Decke
herabhängender Apparat, in dem das Kind schwebte, ist von PJoß mißbilligt
Fig.
Ein Kunl.ilaufstiihl aus Oberöst erreich. In der K.
Sammlung für deutsche Volkskunde in Berlin.
Fig. -237. Ein Fallhut aus
der Gegend um Nürn-
b e rg In der K. Samm-
hing für deutsche Volks-
kunde in Herl in.
worden. Die Vorrichtung bestand aus einem Holzreif, der an einer starken
Gummischnur so an der Zimmerdecke aufgehängt wurde, daß man ihn höher oder
niederer stellen konnte. Von dem Reif gingen vier Bänder zu einem Korsett
herab, welches dem Kind angezogen wurde. Dieses mußte mit den Fußspitzen
den Boden berühren können. Durch das Gewicht des Kindes und durch die
Elastizität der Schnur entstanden leichte Schwingungen, die sich das Kind gern
gefallen ließ. Ks fing an zu hüpfen und sich bald links, bald rechts zu drehen.
- Die K ob eua- Indianer hatten eine solche Erfindung allem Anschein nach
schon lange vorher gemacht. (Siehe Fig. 244.)
Mehr Anklang als der sautoir. fand, hauptsächlich in England und bei
den Nordamerikanern weißer Rasse, eine viereckige Hürde mit gefütterter
Innenseite, oder mit einem netzartigen Geflecht zwischen einem kindeshohen
Rahmen. Diese Hürde umgibt den Platz, wo das Kind seine Gehversuche
macht. Der Platz selbst ist mit einem Teppich bedeckt, damit das fallende
Kind eine weiche Unterlage habe.
Was die romanischen Völker betrifft, so waren Gehkörbe und Lauf-
stühle der älteren Art zu Floßs Zeit in Rom noch vielfach in Gebrauch, und
in Catalonien sah Frau Julita Michael vor wenigen Jahren noch die kleinen
Kinder ihre steh- und Gehversuche mit Fallhüten machen. Erhitzung des
§ 207. Sitz-, Steh- und Gehversuche des Kindes. Hilfsmittel.
25
Kopfes sei durch die dortigen Fallhüte nicht zu befürchten, da diese aus
Stroh hergestellt seien. Der gewölbte Rand besitze trotz dem leichten
Material Widerstandskraft genug, um üble Folgen des Falles zu verhindern.
Von den Semiten, Hamiten und Negern liegt mir einstweilen Material
über hier einschlägige Hilfsmittel der Kinder nicht vor1), wohl aber von den
Chinesen. Originale, deren Abbildungen hier als Fig. 238—240 folgen,.
Fig. 238 Chinesischer Kiudei
stuhl mit Rolleu.
Fig. '.'33. Chinesi-
scher Apparat zum
Steheulernen.
Im Museum für Völkerkunde in Leipzij
Fia
240. Chinesischer
„Laufstulil"(f).
befinden sich im Museum für Völkerkunde in Leipzig. — Ploß erwähnte in
der 2. Auflage als Hilfsmittel beim Sitzenleruen der chinesischen Kinder
ein Stühlchen, welches von einem Gestell aus Bambusstäben umgeben sei.
Es gestatte, dem Kind Bewegungen mit den Armen und verhindere durch
eine vor der Brust niedergeschlagene Klappe das Kind, aufzustehen. — Zu
dieser Beschreibung paßt erstens das Puppenstühlchen rechts auf Figur 241;
zweitens scheint die Beschreibung aber
auch auf Figur 240 zu stimmen, so
daß wir in dem als „Laufstuhl" be-
zeichneten Möbel vielleicht einen Stuhl
zum Sitzenleruen haben, wenn anders
das Möbel nicht als kleine Hürde
gedacht ist. innerhalb welcher das
Kind seine Steh- und Gehversuche
macht, — Nach Ploß behängen die
Chinesen ihre Kinderstiihle mit Spiel-
sachen. — Auf Fig. 239 paßt der
Ausdruck „bienenkorbähnlicher Zylin-
der", Womit Ploß in der 2. Aulhlge Fig. 241. CliinesiscliesSDielzeug: Links eineMutter,
TT'iü 'i» 1 oj. 1 1 die ihr Kind stillt; rechts eine Puppe im Sitzstühlchen.
eill Hilfsmittel Zlim Steheulernen Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
') Ploß wies auf die eigentümlichen Gehversuche der Araber- und Manyucma-
Kinder hin, welche Liolngstone in „Letzte Heise in Zentralafrika'' schilderte: „Manyuema-
Kinder kriechen nicht gleich europäischen Kindern auf ihren Knieen, sondern beginnen
ihre Gehversuche damit, daß sie einen Fuß vorwärts setzen und ein Knie gebrauchen. Gewöhn-
lich benutzt ein Manyuema-Kind beide Füße und beide Häude zum Gehen, aber niemals
beide Kniee. Ein Araber-Kind macht es ebenso, es kriecht niemals, sondern bewegt sich auf
beiden Füßen fort und hilft mit den Händen nach.''
26
Kapitel XXXH. Sitz-, Steh- und Gehversuche des Kindes. Hilfsmittel
in den Dörfern um Shanghai bezeichnete. Sie umschließen die hineingestellten
Kinder von unten aufwärts bis zu den Achseln. Die Arme bleiben frei.
Hilfsmittel zum Gehenlernen haben ferner einige Zweige der ural-
altaischen Völkerfamilie. Jene der Tataren in den transkaukasischen
Gouvernements Tiflis und Eriwan sind die gleichen wie die der dortigen
Armenier und Kurden, welche weiter oben beschrieben worden sind.
Der von Finsch aus Sibirien mitgebrachte Apparat bestand nach Floß
aus einem primitiv gearbeiteten Holzrahmen auf Kadern aus durchbohrten
Holzscheiben. Das Kind hielt sicli an dem Rahmen aufrecht und schob ihn
vor sich her. Die Ostjaken und Samojeden scheinen also, so ziemlich die
gleiche Vorrichtung zu haben wie die Armenier. Kurden und Tataren.
Fig
Turkinenenf ran mit Kindern. Schwan phot. — Im K. Etlinograpli. Museum in München.
Das Gleiche gilt von jenem Gängelwagen, welchen Forsyth aus Jangi-
Hissar, Ostturkestan, mitbrachte.
Von den Esten war in der 2. Auflage des vorliegenden Werkes ein
..schwer zu beschreibender" Apparat erwähnt, in welchen die dortigen Kinder
gestellt werden, sobald sie Stehversuche machen. Die gewöhnlichen Folgen
■dieser .Methode seien krumme Beine und Abnormitäten der Wirbelsäule.
Bei nordamerikanischen [ndianerstämmen sind Eilfsapparate zum
Sitzenlernen beobachtet worden. So heißt es in der deutschen Übersetzung
von Dixon und Pbrtlocks „Reise um die Welt" von den Indianern auf Queen-
Charlotte-Island u. a.:
..Man könnte glauben, diese Völker ließen ihre Kinder in der Jugend
Freiheit für die Glieder. Im Gegenteil werden drei Stück Baumrinde an-
einander befestigt, so daß sie eine Art von Stuhl bilden. In diesen Stuhl
§ 207. Sitz-, Steh- und Gehversuche des Kindes. Hilfsmittel.
27
nun werden die Kinder, nachdem sie in Pelze gewickelt worden, gesetzt und
so festgebunden, daß sie ihre Positur sogar durch Sträuben nicht ändern
können. Der Stuhl ist so eingerichtet, dal?, wenn eine Mutter ihr Kind
füttern oder ihm die Brust geben will, sie dasselbe aus seinen Fesseln nicht
befreien darf."
In den Dörfern am Fluß Jukon in Alaska sah Wlujmper kleine Stühle
von Birkenrinde für kleine Kinder. „Der
Stuhl," so zitierte Ploß, „hat (?) ein Stück
Holz, welches den Zweck hat, das Krumm-
Fig. 24<i. Kindermädchen ans Ostturkestan. Lopnor
Nach einem Modell im K. Museum für Völkerkunde in
Berlin.
Fig. -J4. Koueua-Hädchen im Ilangestühlchen.
liio Cnduiary, nordwestliches Brasilien. Aus Koch-
Griinberg: „Zwei Jahre unter den Indianern" Bd. IT,
Abb. 67. Beilin 1910.
werden der kleinen Glieder zu verhüten. Das Kind sitzt bequem auf einer
Lage Moos und wird häufig von der Mutter in einem solchen Stuhl auf dem
Rücken getragen." Whymper habe mit Humor beigefügt: ..Meine Skizze ist
allen europäischen Müttern ehrfurchtsvoll gewidmet : und vielleicht findet sich
auch ein unternehmender Kinderfreuud und Stuhlmacher, dem die Idee will-
kommen ist."
Die Kobeua-Tndianerin am Rio Cnduiary, nordwestliches Brasilien,
stellt ihr Kleines, um es zum Stehen und Gehen anzuspornen, und zugleich
es los zu sein, in ein Hängestülilchen {Koch-Grüribcrg).
Kapitel XXXU1.
Sympathie oder Zauber und verwandter Aberglaube
in der Behandlung des gesunden Kindes.
§ 208. Bekanntlich versteht der heutige Physiologe unter Sympathie
eine bestimmte gegenseitige Beeinflussung der Organe, welche mittels des
Nerven- oder des Gefäßsystemes, oder des Zellengewebes in gesunden, mehr
aber noch in kranken Individuen stattfindet.
Mit dieser Sympathie beschäftigt sich das vorliegende Kapitel nicht,
sondern mit jener im Volksmunde aus längst vergangenen Zeiten her noch
immer geläufigen Sympathie, welche im Grunde mit Zauberei identisch ist,
und die von bestimmten Verbindungen des Kindes mit organischen oder un-
organischen Wesen oder Zuständen Wirkungen erwartet, welche weder vom
rein wissenschaftlichen, noch von einem geläuterten religiösen Standpunkt aus
erwartet werden können, bzw. dürfen.
Verwandtes ist uns schon aus manchen früheren Kapiteln, besonders aus
der Behandlung des kranken Kindes (Kap. XXVIII) bekannt. Dort trat
die Sympathie mehr therapeutisch auf; im vorliegenden Kapitel erscheint sie
hauptsächlich prophylaktisch1). Auch der uns bisher schon oft begegnete
Glaube an eine Übertragung von Fähigkeiten und Zuständen spielt in den
sympathetischen Kuren eine bedeutende Rolle.
Der Stoff läßt sich unter den folgenden Überschriften unterbringen: Wie
bringt man ein Muttermal weg? - Das Kinderbad und der Aberglaube. —
Geheimnisvolle Beziehungen der Haare und Nägel zum physischen und psychischen
Gedeihen des Kindes. — Zauberische Wirkung der Kleidung auf das Kind. —
Das Durchkriechen, Durchziehen, Durchreichen und Überschreiten des gesunden
Kindes. - Ei, Brot und andere Nährstoffe in ihren geheimnisvollen Wirkungen
auf das Kind. — Das Sprechenlernen im Volksglauben. — Amulette als Schutz-
mittel. - Die Zauberwirkung des Kusses auf das Kind. - Varia.
Die verhältnismäßig leichte Übersicht über die einzelnen Paragraphen
auch dieses Kapitels ermöglicht es, daß der geschätzte Leser Parallelen ohne
große Schwierigkeil selbsl ziehe, zumal der Text mehrfache Hinweise auf
die Ähnlichkeit der Bräuche enthält. —
§ 209. Wie bringt man ein Kuttermal weg?
Um ein Kind von einem Muttermal zu befreien, soll man dieses in
Swinemünde und Umgebung mit der Hand einer Leiche des anderen
I .'schlechtes bestreichen. Wenn die Leiche zu verwesen beginnt, vergeht
') Das anscheinend Unlogische in der Erscheinung dieses Hundes nach den Kap. XX'X
und XXX des 1 Bandes verschwindet, wenn man den Inhalt dos 2. Bandes in dem Sinne
auffaßt, daß or das gesunde Kind bis zur Pubertät ins Auge faßt, während der erste Band
mit dein Tode jener Kinder abschloß, welche dieses Alter nicht erreichten.
§ 210. Das Kinderbad und der Aberglaube. 29
das Mal. — Oder man gehe bei zunehmendem Mond auf einen Kreuzweg,
blicke in den Mond und spreche, indem man das Mal mit der Hand bestreicht:
,.Alles, was ich sehe, nimmt zu.
Alles, was ich streiche, nimmt ab."
Auch im Fürstentum Waldeck wird geraten, ein Muttermal schweigend
mit der Hand einer Leiche dreimal zu bestreichen, damit es verschwinde.
In Mecklenburg bestreicht man es dreimal mit dem Menstrualblut
eines gesunden Weibes. Der Leinwandlappen, mit dem das geschehen soll, ist
danach ins Feuer zu werfen.
In Hessen wird zur Bestreichung des Males das Blut von der Nach-
geburt eines erstgebornen Kindes genommen. —
§ 210. Das Kinderbad und der Aberglaube.
Bei den Rumänen in Siebenbürgen begibt sich, wie Robert Prexel
schreibt, die Hebamme mit einer noch unbenutzten Holzkanne zu einem Bache,
der eine Mühle treibt, schöpft AVasser, gibt Basilienkraut hinein und trägt
die Kanne zu dem Pfarrer, der das Wasser weiht1). Von diesem geweihten
Wasser wird sechs Wochen lang etwas in das Bad des Kindes gegossen;
die Wöchnerin wäscht sich nach jedem Bad des Kindes die Hände in dem
geweihten Wasser. — Manchmal wirft die Mutter auch Silbermünzen in das
erste Badewasser, damit das Kind reich werde (vgl. Karlsbad w. u.). - - Das
Badewasser gießt man gewöhnlich außerhalb des Dorfes über Gesträuch. Es
soll aber nicht über einen Dornenzaun oder überhaupt einen Zaun mit einem
Übergang (Stiegel) gegossen werden, wenn man dem Kind nicht üble Folgen
heraufbeschwören will. - - Prexel teilt uns zwei rumänische Volkslieder mit,
welche sich auf die Vorbedeutung der letzten beiden Punkte beziehen:
„Meine Mutter goß mein Bad
Über einen Strauch am Pfad.
Daß ich immer glücklich sei,
Lang des Lebens mich erfreu".
Mutter sag' mir wahr und gnr .
Wohin gössest du mein Bad'
Über einen Dornenzaun,
Ich soll nie die Heimat schau'n.
Mutter sag mir wahr und grad.
Wohin gössest du mein Bad?
Über'n Zaun mit Stiegel wohl,
Daß ich immer weinen soll." —
Wenn man bei den Serben das Kind aus dem Bad herausnimmt (oder
es von der Stelle, wo es eingewickelt lag, aufhebt), dann soll man immer in
das Bad, bzw. auf jene Stelle über das Kind spucken (Petro witsch).
Im polnischen Oberschlesien leckt die Mutter oder Hebamme in den
ersten sechs Wochen dem Kind vor dem Bad den Rücken ab und spuckt
dreimal auf den Ofen, um es vor Abzehrung zu bewahren.
In Böhmen gibt man das Badewasser von Knaben den Pferden, jenes
von Mädchen den Kühen zu trinken, damit die Kinder einstens diese Tiere
gut pflegen. — In Karlsbad und Umgebung wirft man zum ersten Bad
Geld in die Wanne, damit es dem Kind nie an Geld mangle. — Um Mädchen
i) Nach Prexel liest der Pfarrer dabei auch eine kurze Messe (?). — Nicht-
katholiken nennen irrtümlicherweise so ziemlich jede von einem katholischen Priester vor-
genommene kirchliche Funktion „Messe", hauptsächlich wenn dabei die Gebete lateinisch
gesprochen werden.
30 Kapitel XXXIII. Sympathie oder Zauber iu der Behandlung des gesunden Kindes.
vollbrüstig zu machen, benutzt man zum Wasserschöpfen für das erste Bad
einen großen Topf. Wenn im Böhmerwald das Kind gerne badet, dann
ersieht man daraus, daß die Paten gerne zur Taufe gingen. Hier soll die
Badewanne sechs Wochen lang vor der Geburt unter dem Bett stehen bleiben
und erst zu seinem Zweck liervorgenommen werden (Bayerl-Schwejda).
Wenn man in der Schweiz dem Kind vom eigenen Badewasser etwas
gibt, dann lernt es früh und gut reden (vgl. § 216). — Das Tüchlein, womit
ein Knabe nach dem eisten Bad abgetrocknet wurde, bindet man nach sechs
Wochen auf einen Baum im Garten, damit das Kind ein guter Kletterer und
Steiger werde.
In Schwaben soll das erste Bad nicht an einem Mittwoch gegeben
werden.
In Potsdam bekommen die Kinder Sommersprossen, wenn mau das
Wasser vom ersten Bad am Sonnenschein ausgießt.
In Italien raubt man dem Kinde die Buhe, wenn man während des
l'.ades in die Stube tritt und nicht so lange verweilt, bis das Kind wieder ein-
gebunden ist ( Wohl. Kaden).
Hier möge beigefügt werden, daß die heranwachsenden Schwaben-
Kinder vor ihren Bädern in offenen Gewässern eine Art Exorzismus aus-
sprechen. Ehe sie in das Wasser steigen, werfen sie nämlich eine Blüte der
sogenannten Wollkerze hinein, die an den Ufern wächst. Dabei sprechen sie:
„Ueilig's Benediktuskreuz,
Dreimal g segnet, dreimal g'vveiht.
Bngale nei, und Deutele raus,
I>!il5 i it v'rsink und it v'rsanf."
Kine Parallele zu diesem Rest eines jedenfalls weit zurückgehenden
Glaubens an die Innewohnung des Bösen im Wasser hat P. von Stenin aus
Kleinrußland berichtet, wo die badenden Kinder nie in das Wasser gehen,
ohne vorher gerufen zu haben:
„Teufelchen, Teufeleien! Zerbrich uns nicht die Knochen.
lieh1 du aus dem Wasser heraus,
Und wir gellen hinein."
Hierzu bemerkt von Stenin, unter diesem Teufelchen sei Wodjanoi, der
\\ assergeist, gemeint. - Nach russischem Volksglauben ist das Wasser auch
von ruslialki (Nixen) bevölkert, welche Mädchen rauben und ihnen schwierige
Rätsel /mn Lösen -eben. Gelingt die Lösung nicht, so töten sie die Mädchen. -
§ 211. Kinderschlaf und Wiege im Aberglauben.
Dem Kind .In- transsylvanischen Zeltzigeuner kann man ..den Schlaf
forttragen". Diesem Glauben begegnen wir bei verschiedenen Völkern. — Als
Gegenmittel legen die Zeltzigeuner dem Kind einen Holzlöffel unter das Kissen.
Oder sie lasM'ii das Kind von einem Hund belecken.
Die Russinnen im Gouvernement Archangel blasen ihren Säuglingen
feinen Schnupftabak in die Nase, darnil sie lest schlafen (Schrerik).
I!"i den b'ul lieiien in Galizien darf in einem Hause, worin ein kleines
Kind ist. nach Sonnenuntergang nichts mehr verschenkt oder verliehen werden,
damil man dem Kind nichl Pur die folgende Nacht den Schlaf raube.
Die Serben behandeln Kimler. welche viel weinen und nachts aus dem
Schlal aufschrecken, auf folgende Weise: Sie beräuchern das Kind mit Vieh-
kot, den man aul einem Dorne fand, unter den Armen, zwischen den Beinen,
um den Kopf und den Rumpf. - An manchen Orten wird zum Anräuchern
Haar von Vater und Muttei gebraucht. Viele lösen den angebrannten Docht
der Kerze in Ol und ;ben 'lies dem Kinde zu trinken. Oder man bringt
§ 211. Kinderschlaf und Wiege im Aberglauben. 31
das Kind, wenn der Mond untergeht, vor das Haus und hebt es dreimal in
die Höhe, wozu die Mutter jedesmal spricht: ..Der Mond geht hinter den
Wald, und das Geschrei meines (Name des Kindes) in den Wald." Oder wenn
man an einem Wasser am andern Ufer Feuer sieht, trägt man das Kind
hinaus und nimmt in einem grünen Teller etwas Wasser und ein Stück
brennendes Holz mit. Während man dieses in das Wasser steckt, spricht die
Mutter: „Wila (eine Art Nymphe) verheiratet ihren Sohn und ladet meinen
Palve (oder wie das Kind heißt) zur Hochzeit ein. Ich schicke ihr nicht den
Palve, sondern sein Geschrei.-' Dies macht man dreimal und dann gibt man
dem Kinde aus dem grünen Teller Wasser zu trinken, so viel es kann; das
übrige wird auf eine Katze oder auf einen Hund gegossen; der Teller muß
umgekehrt auf der Erde übernachten. — In der Pozerina wird außerdem
folgendes Mittel angewandt: Die Mutter nimmt eine Fenerschaufel und einen
Tiegel und trägt dies dreimal um das Kind herum, wobei sie sagt: ..Laufe das
Geschrei fort, es jagt dich das mütterliche Werkzeug." —
Ferner: Wenn in Serbien ein Fremder abends aus dem Hause fortgehen
will, so muß er dem Kind den „Schlaf geben". Dies geschieht, indem man von
dem Fremden ein Stückchen Zeug oder Papier nimmt, neben das Kind legt
und dazu spricht: „Schlafe, sowie ich schlafen werde.-' Wenn ein Kind nicht
schlafen kann, wird es mit Wasser aus dem Munde gewaschen und mit dem
hinteren Teile des Hemdes abgewischt. Audi darf das erste Jahr abends
nichts aus dem Hause geliehen werden, wenn man das nächtliche Weinen des
Kindes vermeiden will (Petrowitsch).
Das Schlafmittel der Wenden in Niedersachsen kommt in § '214 zur
Sprache.
In Böhmen finden sich folgende Meinungen: Der Schlaf wird dem Kinde
geraubt, wenn über Nacht ein Messer auf dem Tische liegt, oder wenn Messer,
Gabel und Löffel in Töpfen oder am Boden umherliegen, oder wenn man
etwas auf die Wiege legt und dann wieder wegnimmt. — Wenn sich ein
Nachbar sein Licht in der Stube des Kindes ansteckt, trägt er diesem die
Ruhe weg. — Einem Kinde, das auf dem Weg ins Freie einschläft, ist der
Schlaf ausgetragen. — Sowohl hier als in Schlesien, Sachsen und Thüringen
muß man sich etwas niedersetzen, wenn man in eine Stube kommt, wo ein
kleines Kind ist, damit man diesem die Kühe nicht nehme. Die Bö hm in
trocknet für ein Kind, dem die Kühe genommen ist, das Schläfenbein eines
Fisches, pulvert es und reicht es dem Kind in Wasser; oder sie hackt mit
einer Hacke auf den Hackklotz und legt jene in die Wiege. — Ein anderes
Mittel ist folgendes: Die Mutter kriecht auf allen Vieren in der Stube herum,
wobei sie die Worte: „Ich suche den Schlaf dir, lieber N." so lange wiederholt.
bis das Kind einschläft. — Oder man gießt siedendes Wasser in eine Schüssel,
die man mit einem umgestürzten Topfe zudeckt. Zieht sich Wasser in diesen,
dann ist geholfen1).
Die Wenden in Hannover legen dem Kind Eulenfedern ins Bett, damit
es gut schlafe.
Wenn im Böhmer wähl die Kinder während der ersten sechs AYochen
im Schlaf lächeln, so spielen sie mit den Engeln.
In Schlesien ist es der Schutzengel, mit dem ein im Schlaf lächelndes
Kind spielt.
Hingegen findet sich in der gestriegelten Rockenphilosophie des Praetorius
folgendes: „Wenn die Kinder im Schlafe lächeln und die Augen verdrehen,
so heißt's: das Jüdel läßt sie nicht ruhen, oder das Jüdel spielt mit ihnen.
Dagegen hilft nun ein besonderes Mittel: Es soll ein neues kleines Töpfchen
') Das geschieht nach einem physikalischen Gesetz bekanntlich immer.
32 Kapitel XXXIII. Sympathie oder Zauber in der Behandlung des gesunden Kindes.
und ein Quirlchen gekauft und so teuer bezahlt weiden, als es geboten wird;
da hinein wird etwas von des Kindes Badewasser gegossen und auf den Ofen
gestellt; damit soll das Jüdel spielen und das Wasser hinausplätscheru, bis
nichts mehr im Töpfchen ist."
Sowohl in Böhmen als auch in Schlesien, im sächsischen Erz-
gebirge, im Vogtland, in Mecklenburg. Oldenburg und auf Rügen
raubt man Kindern die Kühe, wenn man leere Wiegen schaukelt.
In der Mark Brandenburg, in Österreich-Schlesien und in Franken
hat das Schaukeln einer leeren Wiege den Tod des Kindes zur Folge.
In Kreuzburg und Schönan (Schlesien) darf während der Sechs-
wochenzeil kein Streichholz noch irgend etwas anders aus dem Hause verliehen
werden, weil das dem Kinde Kühe und Wohlergehen entziehen würde. Wiegen
in Schlesien zwei Personen ein Kind zugleich, dann stirbt es. In die Wiege
eines Kindes darf kein anderes Kind gelegt werden, noch darf ein Erwachsenes
sich in eine Wiege setzen. — Die Ruhe sucht man einem unruhigen Kind, indem
man aus den vier Stubenecken staub kehrt, diesen einwickelt und täglich an
einer andern Stelle unter das Bettchen steckt, was bis zu einem Jahr fort-
gesetzt werden kann (Kreuzburg). Vielweinende Kinder werden in Schlesien
auch dadurch zu beruhigen gesucht, indem man die Mütze des Vaters, oder
„Schlafäpfel", auch „Rosenäpfel" genannt1), unter das Kissen legt. Ferner
zieht man. wie bei den Wenden, weinerliche Kinder dreimal durch die Sprossen
einer heiter.
Im Vogtland kehrt die Mutter die Stube ,.im Kreuz" aus, so daß der
Kehricht in der Mitte der Stube liegt. Hierauf wird er dem Kind unter
den Kopf gelegt.
Wenn in Sachsen und Thüringen eine Frau mit einem Tragkorb in
die Stube kommt, wo ein Sechswochenkind liegt, dann soll man einen Spann
vom Korbe abschneiden und in die Wiege legen, damit dem Kinde nicht die
Bähe fortgetragen werde.
In Oldenburg soll man für die Wiege nicht eher sorgen, als das Kind
da ist. denn das Kind, das in einer vorzeitig angeschafften Wiege schläft,
muß sterben.
Nimmt man auf Rügen das Kind aus dem Bett, so muß man dieses
.sogleich wieder zudecken, sonst nehmen böse Geister den Platz ein. wodurch
das Kind nicht gedeiht, sondern abnimmt.
In der Mark Brandenburg darf man das Stroh in der Wiege im
ersten Lehensjahre des Kindes nicht aufrühren, sonst stirbt dieses.
Auch in Halle heißt's: Das Kinderbett darf nie aufgedeckt werden.
sonst macht man dein Kind das Grab auf.
In North Riding. englische Grafschaft York, muß die erste Wiege
bezahl! werden, ehe sie über die Tnrschwelle kommt. Auch gilt es für rat-
sam, die Wiege so lange umgestürzt aufzubewahren, bis das Kind hineingelegt
wird. Dadurch verhindert man andere (gefährliche?) Wesen, darin zu
schlafen. In Suffolk ist es nicht gut, wenn Kinder auf Knochen, also
auch auf dein Schöße, schlafen.
In der Schweiz darf man einem Sechswochenkind die Wiege nicht
anders stellen, damit es nicht schielend werde. - Hinein Kind, das im Schlaf
lächelt, sagl ein Engel ein Freudelein ins Ohr.
In der Schweiz und in Bayern legt man Kindern, denen die „Ruhe
genommen" ist, einen Schweinstallriegel unter. Im bayrischen Schwaben
kann das jüngste Kind nicht schlafen, wenn am Abend vor dem Schlafengehen
der Erwachsenen der Tisch nicht ganz abgeräumt wird (vgl. Böhmen S. 31).
') Auswüchse des Hagebuttenstrauches, welche von der Rosengallwespe verursacht
werden.
Geheimnisvolle Beziehungen der Haare und Nägel zum Kind.
33
Ferner legt man Schweizer Kindern gegen Schlaflosigkeit einen dort
auch „Rosmies" genannt (Spongia cynobasti) unter das Kissen (vgl. Schlesien
w. o.). Häutiger noch wird die Baummistel als Schlafdorn oder Schlafkuntz
gebraucht, oder man bestreicht dem Kind die Schläfe mit einem Absud von
Mandragorawurz.
Im Kanton Uri scheinen früher christliche Mütter den bei der hl. Messe
gebrauchten Ablntionswein als Schlafmittel für Kinder gebraucht zu haben,
denn nach A. Franz erging im Jahre 1650 ein kirchliches Verbot dagegen.
In Italien verursacht' das Schaukeln einer leeren Wiege dem Kinde
Bauchschmerzen.
Die Maroniten am Libanon fürchten von der gleichen Handlung
Rückenschmerzen für das Kind. — Wiegen hier zwei Personen gleichzeitig ein
Kind, dann geht dieses später eine
doppelte Heirat ein, was als Unglück
gilt (vgl. Schlesien). — Das Bett
der kleinen Kinder soll mit Myrthen
gefüllt werden. Träumt dasMaroniten-
kind, es werde in die Lüfte gehoben
und fliege wie ein Vogel, so wird es
groß und glücklich. Deshalb heißt
ein solcher Traum „die große Freude".
— Träumt es von gutem Fleisch und
Brot, dann kommt Unglück. Hin-
gegen bedeuten seine Träume von
Tod. Krankheit und Unglück Vor-
bedeutungen von Leben, Gesundheit
und Glück (Chemali).
Bei den Bantu am untern
Kongo werden Kinder durch böse
Träume vom Schlaf aufgeschreckt,
wenn man sie in den Spiegel schauen
läßt (Weeks).
Lächelt bei den Negern auf
Jamaika ein Kind im Schlaf, dann
träumt es vom Tod seiner Mutter;
weint es im Schlaf, so träumt es
vom Tode seines Vaters.
Die Mordwinen besprengten
nach Abercromby vor ihrer Christiani-
sierung die Wiegen mit einem Wasser,
in welches Hirse, Eier und Milch geschüttet worden und in welchem die
der Göttermutter Ange Patyai heiligen Birkenzweige geweiht worden waren.
Mit dem gleichen AVasser wurden die Schwangeren besprengt (vgl. Kap. III).
Bei den Kamtschad alen wurden Kinder, die nachts sehr unruhig
waren, von Verstorbenen geplagt, weil das Kind nicht den rechten
Namen bekommen habe. Mau fragte dann eine Schamanin um Rat und legte
dem Kind den von ihr vorgeschlagenen Namen bei (Steiler). —
§ 212. Geheimnisvolle Beziehungen der Haare und Nägel zum Kind.
In Stamfordham, Grafschaft Xort humberland, soll man den kleinen
Kindern die Nägel nie abschneiden, sondern immer abbeißen; sonst weiden
die Kinder Diebe.
Der gleiche Glaube ist auch über Mecklenburg, das Vogtland,
Unter franken, die Rheinpfalz und einen Teil Böhmens verbreitet.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 3
Fig. 245. Kin sieben Monate altes Maronitenkin d
am Libanon nach Bechara Chemali im „Anthropos"
V, 738, Taf. 2.
34 Kapitel XXXIII. Sympathie oder Zauber in der Behandlung des gesunden Kindes.
In Karlsbad heißt es: Nägel und Haare vor dem ersten Jahr geschnitten,
wachsen dem Kind nicht mehr nach ; zudem schneidet man bei Knaben den
Verstand mit den Haaren ab. Auch im Böhm er wähl wachsen Haare und
Nägel nicht mehr nach, wenn man sie im ersten Lebensjahre des Kindes ab-
schneidet statt abzubeißen. Später sollen sie nur beim zunehmenden Mond
geschnitten werden.
Ferner darf man weder in Böhmen noch in Ostpreußen einem Kind
unter einem Jahr das Haar kämmen; nur gebürstet soll es werden, sonst
stirbt das Kind.
In Wettin im preußischen Regierungsbez'nk Merseburg soll das Haar
des Neugebornen zum erstenmal mit einem neuen Kamm gekämmt werden,
damit das Haar stark werde.
Nordamerikanische Iml iunr
\ e g •• r- M ischli
in München.
Im K. Ethnographischen Museum
Im Erzgebirge schneidet man dem Kind das Glück ab, und im öster-
reichischen Schlesien wird das Kind einfältig, wenn man ihm die Nägel ab-
schneidet, statt sie abzubeißen.
In Schwaben kommen unter den gleichen Voraussetzungen Hexen dazu.
und in der Schweiz wachsen die Fingernägel schief. Hier darf man ferner
Kinde]- nicht am Morgen kämmen, sonst haben sie einen verworfenen Tag und
sind bösen Leuten verfallen. Schneidet man ihnen vor dem siebenten Jahr
die Haare, dann kommen sie nie zu Kräften, und verbrennt man die ein-
geschnittenen Ilaare. dann gedeiht das Kind nicht.
In Südfrankreich, in der sogenannten Montagne noire, einem Zweig
der Pyrenäen, huldigt man der alten Überlieferung, man dürfe Säuglingen
deshalb die Nägel nicht schneiden, weil durch diese Operation im Kinderherzen
eine entschiedene Neigung zum Diebstahl hervorgerufen würde (Th. Bodin). —
I bei lie Wirkung des gleichzeitigen Kämmens durch zwei Personen später.
§ 213. Zauberische Wirkung der Kleidung auf das Kind.
35
Auch bei den Maroni ten in Syrien findet sich der in Europa so weit
verbreitete Aberglaube an die Wirkung der Nägel auf die Psyche. B. Chemali
schreibt : Man schneidet den kleinen Kindern die Nägel nicht, aus Furcht, sie
würden sonst später Diebe werden. Um sie abzustumpfen, schiebt man sie
in Mehl hiuein. —
§ 213. Zauberische Wirkung der Kleidung auf das Kind.
In Schlesien, Brandenburg und auf der kurischen Nehrung läßt
man die erste Hülle des Kindes dessen zukünftiges sexuelles Leben beeinflussen.
In Schlesien hüllt man nämlich einen neugebornen Knaben in ein Mädchen-
hemd und umgekehrt, damit das Kind später beim anderen Geschlechte
Glück habe. —
In Brandenburg sollen die Kinder in einem leinenen Laken, nicht in
ein Tuch oder in eine Schürze, gewickelt werden,
weil sie sonst später dem anderen Geschlechte
nachlaufen.
Auf der kurischen Nehrung will man
die geschlechtliche Entwicklung des Kindes be-
fördern, indem man wie in Schlesien verfährt.
Man hält da an diesem Brauche noch immer
strenge fest, wie Julius von Xegelein schreibt. —
Vielleicht haben wir hier in diesen Gebieten
einen slawischen Brauch.
Daß in Königsberg i. Pr. jenes Kind
Glück hat, welches in den ersten Tagen seines
Lebens in das Hemd seines Vaters gewickelt
wird, ist in Kap. V erwähnt worden. — Hier
setzt man dem Kind auch eine grünseidene
Mütze auf, damit es Glück habi .
In Mecklenburg soll man die Wäsche
eines Kindes, welches unter einem Jahr alt ist.
nach Sonnenuntergang nicht im Freien hängen
lassen, damit das Kind nicht stirbt.
In der Schweiz dürfen die Windeln des
Kindes vor der Taufe nicht in der Sonne ge-
trocknet werden, sonst wird das Kind behext:
auch darf man die Windeln nur in laufendem
Wasser waschen, um das Kind vor Bösem zu bewahren. — Wenn man die
Windeln eines Sechswochenkindes auf dem Haag trocknen läßt, so verdaut
das Kind die Milch nicht. -- Je nachdem man beim ersten Einwickeln die
rechte oder die linke Hand mit einbindet, wird das Kind linkisch. — Das als
Patengeschenk einem verstorbenen Kinde gehörige Kleidungsstück (Kinds-
trossel) darf man keinem anderen anziehen, denn dann stirbt auch dieses. —
(Heim ersten Einwickeln legt man das Kind auf eine Hausbibel, dann wirds
gelehrt und fromm.) — Die Mutter darf die Windeln des Kindes nicht vor der
Geburt sehen lassen, sonst stirbt das Kind (vgl. den liier einschlägigen Aber-
glauben im Apennin. Kap. V).
Im Vogtland soll ein Kind keine roten Schuhe tragen, weil es sonst
später kein Blut sehen könne.
In Schlesien findet sich außer dem oben erwähnten Glauben an einen
Zusammenhang zwischen Hemd und Geschlechtsleben auch der folgende: Von der
Rechnung, welche ein Handwerker für die ersten Schuhe und Kleider eines
Kindes ausstellt, darf nichts abgezogen werden, soust hat das Kind in diesen
Kleidungsstücken kein Giück. - - Bei heftigem Wind soll keine Kinderwäsche
3*
Fig. 247. Miilattenmii riehen aus
Pevnambuco. Im K. Ethnograph.
Museum in München.
36 Kapitel XXXIII. Sympathie oder Zauber in der Behandlung des gesunden Kindes.
im Freien aufgehängt werden, weil das Kind sonst unruhig wird. — Die
Wasche eines Kindes unter einem Jahr soll nicht gestärkt werden, damit
nicht des Kindes Bosheit erstarke.
Das blane Tuch, in welches das Neugeborne in Böhmen, und das rote.
worein das Kind der alten Deutschen gehüllt und darauf unter den Tisch
gelegt wurde, stand wohl auch in einer zauberkräftigen Beziehung zum Kind
(vgl. die verschiedenen Farben gegen den bösen Blick n. s. w. in Kaji. VI).
Kbenso wird eine derartige Beziehung zwischen dem Töchterlein und dem
„Pfojdstouß" der Böhmerwäldlerin zu suchen sein. Frau Bayerl-Sehwejda
teilte mir nämlich mit, daß im Böhmerwald neugeborne Mädchen sogleich in
dm Pfojdstouß, d. h. in den unteren, größeren Teil eines Hemdes gewickelt
werden sollen. (Die Hemden bestehen dort noch, wie vor circa 40 Jahren
bei den schwäbischen Bauern, aus zwei verschiedenen Arten Leinwand, von
denen die feinere für den ..Oberstock", die gröbere für den ..Unterstock" ge-
nommen wurde.)
Abermals begegnen wir Hemd und Kind bei den Serben und im Berner
Land. Hier wird das Kind in das Hemd seines Vaters gewickelt, der es auf
Verlangen der Hebamme auszieht, und bei den Serben in Schumadija darf
dem Kind nicht eher ein neues Kleid angezogen werden, bis die Mutter eine
brennende Kohle durch das (?) Hemd geworfen hat mit den Worten: ..Daß
du dies Hemd zerreißest und ein neues bekommst" (Petrowitsch).
Bei den K'uthenen in Galizien darf man die AVäsche eines Mädchens
unter zehn Jahren nicht mit dem Waschholz klopfen, sonst wird es einmal
viui ihrem Mann geschlagen. -- Am Sonnabend darf für ein Kind nichts zu-
geschnitten oder genäht werden. - Dieser Brauch dürfte mit der Verehrung
Mariens zusammenhängen.
Auf Jamaika wollen die Negerinnen nicht, daß die Kinderkleidchen
beim Waschen gerieben (oder geschlagen?) werden, weil das Kind sonst
Schmerzen in den Eingeweiden bekomme. —
tj 214. Das Durchkriechen, Durchziehen, Durehreichen und
Überschreiten des gesunden Kindes1).
Hin Kind soll nicht durch gespreizte Heine kriechen oder, was auf das
Gleiche herauskommt, man soll über ein Kind nicht schreiten, smist wächst
und gedeiht es nicht mehr. Diese Ansicht findet sich zunächst über einen
großen Teil des deutschen Reiches verbreitet: Oldenburg, Mecklenburg
Rügen, das Vogtland, Schlesien und Dnteri'ranken kennt sie. Als
Gegenmittel dient in manchen liegenden, daß man über das Kind zurück-
schreite. In Schlesien soll man wegen der gleichen Folge Kinder auch nicht
unter Wagen oder unter Wagendeichseln durchkriechen lassen. Gegenmittel:
Zurückkriechen.
Ebenso verhängnisvoll ist es. wenn man in Schlesien. Mecklenburg.
Oldenburg, Sachsen und in der Rheinpfalz Kinder durch ein Fenster
reicht, ohne sie wieder zurückzureichen. Aber auch das Zurückreichen hebt
nicht überall die schlimme Wirkung auf. Diese besteht in einem Teil
Schlesiens sowie in den andern vier erwähnten Gebieten darin, daß das Kind
nicht mehr wächst und gedeiht; in einem andern Teil Schlesiens aber.
sowie in der Mark Brandenburg und in der deutschen Schweiz, daß das
Kind, welches /um Fenster hinein- und hinausgehoben wird, das stehlen lernt.
Im Böhmerwald wiederum hindert das Überschreiten des Kindes dessen
Wachst um ( Bayei l-S i
1 Vgl. das Durchziehen kranker um 1 zu adoptierender Kinder in den betreffenden
Kapiteln
O 7
§ 215. Ei, Brot und andere Nährstoffe in ihren geheimnisvollen Wirkungen auf das Kind. 37
Hingegen ziehen die Wenden in Niedersachsen Kinder, welche viel
weinen, dreimal durch die Sprossen einer Leiter, um ihm Ruhe zu verschaffen.
Günstige Wirkung verspricht man sich auch in Frankreich von einem
ähnlichen Verfahren, d. h. man hebt in Saintonge die Neugebornen durch die
Löcher eines Dolmen-Decksteines, um sie vor allen Übeln, gegenwärtigen und
zukünftigen, zu bewahren. In Trie (Oise) muß ein schwächliches Neugeborne,
mit dem Kopfe voran, gleichfalls durch einen durchlöcherten Dolmenstein, um
es zu kräftigen. Ähnliche Berichte liegen von Aisne und Eure-et-Loir
vor (Sebillot)1).
Nach syrischem Volksglauben wiederum wird das Kind verzaubert,
indem es überschritten wird. Um die schlimme Wirkung aufzuheben, hängt man
die Kleider eines solchen Kindes an den oberen Querbalken eines Türgerüstes,
und die Person, welche es überschritten hat, muß unter ihnen durchgehen.
Geht ein Kind selbst unter den gespreizten Beinen eines Menschen hindurch
und wäre es nur im Spiel, dann muß es, um unbeschädigt davon zu kommen,
nochmals in entgegengesetzter Richtung durch. Hilft das nicht, dann soll es
ins Meer getaucht werden. Nach Frederick Sessons hat schon manche Mutter
ihren Liebling zu diesem Zwecke meilenweit getragen. Nicht einmal über die
Mütze eines Kindes kann man schreiten, oder auf sie treten, ohne daß dieses
erkrankt.
Verhinderung des Wachstums durch Überschreiten oder durch Hinaus-
reichen des Kindes durch ein Fenster fürchten ferner die südrussischen
.luden. Hier sollen Kinder wegen der gleichen Folgen auch nicht über die
eigene Höhe gehoben werden (Weißenberg).
Der uns schon von Schlesien, Brandenburg und der Schweiz her bekannte
Aberglaube, daß jenes Kind ein Dieb werde, welches durch ein Fenster ge-
reicht werde, begegnet uns wieder unter den Negern auf Jamaika, und die
Furcht vor dem Überschreiten kleiner Kinder bei den Ilocanen auf Luzön
(Philippinen). Hier werden solche Kinder unglücklich (Blumentritt).
§ 215. Ei, Brot und andere Nährstoffe in ihren geheimnisvollen
Wirkungen auf das Kind.
Bereits in früheren Kapiteln haben wir das Ei in verschiedenen Be-
ziehungen zum Kind gefunden. Das vorliegende macht uns mit weiteren be-
kannt: Abgesehen davon, daß das Ei zur Erleichterung des Sprechens gereicht
wird (§ 216), erwartet man von ihm noch verschiedene andere günstige
Wirkungen. — Günstige Wirkungen sollen ferner von bestimmten Genußmitteln
anderer Arten ausgehen, welche in diesem Abschnitt zu erwähnen sind.
Im nördlichen England soll das Ei, welches ein Kind bei seinem
ersten Besuch erhält, aufgehoben werden, weil es für das Kind zukünftiges
Glück bedeute, wie wir aus den Denham Tracts ersehen. - - James Hardy
hingegen erklärt das bei dieser Gelegenheit gegebene Ei samt einer Handvoll
Salz und einem Päckchen Zündholz als Symbole der Auferstehung von den
Toten, der Unsterblichkeit der Seele und des Feuersees. — Ei, Salz und Weiß-
brot oder Kuchen wird bei dergleichen Gelegenheit in Morpeth, Northumber-
land, gespendet, wo der erste Besuch des Neugebornen auf dem Arm seiner
Mutter oder Wärterin als ein Moment von großer Wichtigkeit gilt. — in der
Grafschaft York (North Riding) bestand das Geschenk in neugebackenem
Brot. Salz und einem Silbergroschen; doch gehörten Brot und Salz der Wärterin.
In Yorksliire kam es auch vor, daß man das Kind mit einem Ei beschenkte.
') Vielleicht erwartet man aber hier die gute Wirkung vor allem von dem Stein.
Vgl. „Steine als Ursitze der Kinder' in Knp. XXX.
38 Kapitel XXXIII. Sympathie oder Zauber in der Behandlung des gesunden Kindes.
Qutseh erklärt diesen Brauch teils mit Aberglauben, den er aber nicht näher
bezeichnet, teils mit Gastfreundschaft.
Im Vogtland hingegen sollen Kinder Eier nicht essen, weil sie sonst
geschwätzig werden. -- Der Genuß von Hirse bringt ihnen Hirsekörner ins
(iesidit und (ieistenkörner in die Augen.
In der Rhön scheint das Brot, welches dem Kind bei seinem ersten
Besuch vom Paten gegeben wird, wichtiger zu sein als das Ei, das man zum
Mint hinzugibt. Denn man bewahrt dieses ein Jahr lang auf und läßt Leben
und Tod des Kindes davon abhängen. Hält sich nämlich das Brot in dieser
Zeit, dann gedeiht das Kind; schimmelt es an, so ist dieses verloren.
In Bayern lernen Kinder, denen man das erste Ei einer Henne zu essen
gibt, gut singen. (Eier sollen ja bei Vögeln die gleiche Wirkung haben.)
In Böhmen steckt man dem Kind ein Stück Brot in den Mund, damit
es nicht genäschig werde und immer zu essen habe; auch legt man ihm Brot
unter die Wiege, damit es keine Not habe. — Stutenmilch macht das Kind
ungemein stark. -- Ißt das Kind ein Katzenhaar, so hört es auf zu wachsen;
ißt es Fisch, so lernt es schwer sprechen. - Mit Kochlöffeln füttern macht
blöd und dumm. Zerbricht man in Karlsbad und Umgebung eines der
Kier, welche dem Kind bei dessen erstem Besuch geschenkt werden, dann
erleidet dieses früher oder später einen Beinbruch (Schaller).
In der deutschen Schweiz heißt es: Das Kind darf nicht Käse ohne
Brot essen, sonst kommt es einmal in den Turm oder an den Galgen. -
Wenn ein Knabe Sauerampfer ißt, so bekommt er Läuse; ein Mädchen wird
davon jähzornig. - - Wenn die Kinder Kletterharz vom Kirschbaum essen,
so weiden sie starke Steiger; essen sie Graubrot, so werden sie gute Sänger.
In den Brei, den man für Säuglinge bereitet, läßt Gott einen oder drei
Tropfen Segen hineinfallen. — Vom Kinderbrei muß man der Hauskatze etwas
übrig lassen; denn wenn die Katze im leeren Pfännchen ,,schnäugget", so
bekommt das Kind den Pfnüsel (Schnupfen). — Brennt man dem Kind seinen
ersten Brei an, so lernt es gut singen. - - Vor einem kleinen Kinde soll man
nichts essen und trinken, ohne ihm auch davon zu geben; es drückt ihm sonst
..der (ilust das Herzieht ab". — Wenn überhaupt ein Kind Verlangen nach
erlaubten Dingen hat, so muß man sie ihm geben, sonst geht es drauf. — Im
Kauton Bern legt man dem Neugebornen ein Stück hartes Brot unter das
Kopfkissen, damit, es nicht, „schnäderfräsig'', d. h. kein Leckermaul weide. -
Wenn bei den llowa auf Madagaskar ein jüngeres Kind vor einem älteren
zu essen bekommt, wächst das ältere nicht mehr; kleine Mädchen, welche
Speisen essen, die auf den Steinen der Feuerstätte (toko) gelegen hatten,
bekommen einst keine Männer (CambouS).
Die Serben im Belgrader Kreis fügen zu dem Ei, welches dem Kind
beim eisten Erscheinen in einem fremden Haus gereicht wird, ein Stückchen
Zucker. Beides lassen sie symbolisch auf: Das Kind soll so rein wie
das Ei und si> silii wie der Zucker sein. Andererseits hat, Petrowitsch, der
dieses mitteilt, am li berichtet, man solle in Serbien kleinen Kindern kein Ei
in die Hand geben, weil sie sonst immer auf ihre Händchen schauen und
damit spielen. —
S '2lt>. Das Sprechenlernen des Kindes im Volksglauben.
Außer den in ^ y lö erwähnten Wirkungen, welche das Ei auf kleine
Kinder ausüben soll, erwartet man bei verschiedenen Volksstämmeu einen
Einfluß desselben am da Spreclienlerneu. Dieses kann auch durch andere
geheimnisvoll wirkende Mittel erleichtert, oder aber verhindert, oder doch
erschwert werden.
§ 216. Das Sprechenlernen des Kindes im Volksglauben. 39
In Thüringen und im Erzgebirge, sowie im Harz und in Franken,
wo der Brauch verlangt, daß man dem kleinen Kind bei seinem ersten Er-
scheinen in fremden Häusern drei frisch gelegte Eier schenkt, drückt man
diese dem Kind dreimal an den Mund und sagt dabei: „Wie die Hühner gackern,
so lernt das Kind plappern." Dadurch wird das Kind beherzt und redselig.
In Königsberg sollen kleine Kinder, die noch nicht sprechen können,
einander nicht küssen; sonst bleiben sie stumm, oder sie lernen doch schwer
sprechen. — Ist das erste Wort, welches das Erstgeborne ausspricht, „Papa",
dann folgt das nächste Mal- ein Mädchen; ist es „Mama", so kommt ein Knabe.
— Kitzelt man einem kleinen Kind die Fußsohlen, dann ist Gefahr vorhanden,
daß es stottern lerne.
Die letztere Ansicht findet sich auch in Schwaben und in der deutschen
Schweiz.
Im Fränkisch-Hennebergischen nennt man die Eier, welche Nach-
barn und Freunde dem Kind bei dessen ersten Besuch nebst einem Apfel oder
einem Butterbrot geben, ..Schwatzgockel".
Über den Einfluß des Spieles auf das Sprechenleinen nach dem Volks-
glauben im Vogtland berichtet § 219.
Um einem Kind das Sprechenlernen zu erleichtern, gibt man ihm in
Bayern und in Schlesien Bettelbrot zu essen. In Schlesien finden sich
ferner nach Drechsler folgende Ratschläge und Mittel: Lernen Kinder schwer
sprechen, so soll man ihnen „den von drei heiligen Messen übriggebliebenen
Wein" (Ablutionswein?) zu trinken geben, oder ihre Namen an je eine Glocke von
drei Kirchen schreiben. — Geht jemand von der heiligen Kommunion schweigend
heim und haucht einem kleinen Kind nüchtern in den Mund, dann lernt dieses
früh reden (Kreuzburs, Österreichisches Schlesien). — Die Wirkung
des Geldes im Patenbrief auf das Sprechenlernen in Königsberg ist in einem
früheren Kapitel erwähnt worden. In Schlesien nennt man diesesGeld „Plapper-
geld". Auch hier bewirkt es frühes Sprechenlernen, wenn der Brief über dem Mund
des Kindes geöffnet wird. Ebenso gleichen sich der schlesische und der
Königsberger Aberglaube über das erstgesprochene Wort „Papa" und „Mama".
Nur soll es in Schlesien sich nicht auf die Erstgeburt beschränken, sondern
für das erste Wort jedes Kindes gelten. — Feiner heißt es in Schlesien:
Wenn man zwei zusammen gebackene, warme Brote über dem Kopf oder hinter
dem Rücken eines stotternden oder stummen Kindes auseinanderbricht mit den
Worten: „Liebes Brot, brich; liebes Kind sprich!" und bald darauf drei Vater-
unser betet, so ist das Kind in kurzem geheilt. — Ein kleines Kind, das man
auf den Mund schlägt, lernt nicht sprechen.
In Bayern gilt neben dem oben erwähnten „Bettelbrot" folgendes Mittel
zur Beförderung des Sprechens: Der Pate schlägt dem Kind schweigend einen
silbernen Löffel dreimal auf den Mund. Zum gleichen Zweck haucht die
protestantische Mutter ihrem Säugling in den Mund, wenn sie ihn am Charfreitag
nach empfangenem Abendmahl zum letztenmale stillt (vgl. Schlesien).
In Böhmen bleibt jenes Kind stumm, oder lernt wenigstens spät sprechen,
das, oder dessen Mutter in der Stillperiode Fisch ißt, weil die Fische stumm
sind. Das bayerische Mittel, dem Kind mit einem silbernen Löffel dreimal
auf den Mund zu schlagen, wird auch in Böhmen anempfohlen, oder man gibt
dem Kind Lerchenzungen. Ebenso gilt im Böhmerwald das Ei als Sprech-
mittel; doch genügt eines, wenn das Kind auf dem Arm seiner Mutter zum
erstenmal auf Besuch kommt. — Im Böhmer wald lernt das Kind ferner
dann leicht sprechen, wenn ihm die Mutter ein Vaterunser ins Ohr betet,
oder wenn es seine Sprechversuche mit „Tad, tad" beginnt (Bayerl-Schwejdd),
Mehrere Eier und ein Geldstück bekommt der Säugling bei seinem ersten
Besuch in Karlsbad und Umgebung. Bei Überreichung der Eier erhält er
40 Kapitel XXXIII. Sympathie oder Zauber in der Behandlung des gesunden Kindes.
die Mahnung: „Lern' du latschen wie die Hühner gatzen." Erleichtert wird
hier ferner das Sprechenlernen, wenn man dem Kind am eisten Gründonners-
tag seines Lebens eine Schüssel und einen Löffel schenkt. — Küssen sich
zwei kleine Kinder, dann ist Gefahr vorhanden, daß eines davon stumm bleibt.
Im Klbogener Kreis bekreuzte man mit dem Ei den Mund des Kindes,
indem ungefähr die gleiche Mahnung gegeben wurde. —
Im Kanton Uri in der Schweiz galt im 17. Jahrhundert der bei der hl.
Messe gebrauchte Ablutionswein für ein gutes Mittel, um die Kinder „fur-
sichtig" und beredt zu machen, oder sie vor Stummheit zu bewahren. (Den
Ablutionswein als Schlafmittel siehe § 211.)
Eine in Saint -Die im Jahre 1572 verbrannte Hexe riet, man solle
recht stark an Glockenseilen ziehen, um einem Kind das Sprechen (und Gehen)
zu ermöglichen (Se'bülot).
Schläge auf den Rücken macht das Kind in Böhmen und Schwaben
stottern.
Bei den Serben darf das Kind kein Geflügel essen, welches nicht schon
gekräht hat, sonst wird das Kind sehr langte stumm bleiben. — Will man.
daß das Kind bald spricht, so soll man ihm aus einer Glocke Wasser zu
trinken geben, welche die Kühe tragen. — Oder man stiehlt ans einem
Zigeunersack ein Stückchen Brot, welches man dem Kinde zu essen gibt. —
Viele backen in der Mühle einen Kuchen für das Kind und mischen in diesen
Kuchen ein wenig Holzstaub von dem „Geklapper", d. h. von jenem Holze,
welches an den Mühlstein schlägt, damit das Getreide in die Mühle fällt.
I lie Glocke der Serben hat seine Parallele in dem italienischen Glauben,
man müsse dem entwöhnten Kinde den ersten Trunk aus einer Klingel reichen,
damit es nicht stottern lerne ( II'- Kaden).
Der böhmische Volksglaube an den Zusammenhang des stummen Fisches
mit der menschlichen Sprache taucht bei den südrussischen Juden wieder
auf. Außerdem läßt man hier Kindern, die nicht früh genug sprechen, durch
eine alte Frau oder einen Arzt die Zunge „piken", d. h. das Zungenbändchen
abschneiden ( Weißenberg). —
Die Maroniten am Libanon lassen Kinder, welche schwer sprechen
lernen, wiederholt auf einen jeuer eisernen Hinge beißen, welche als Hand-
haben au den Türen gewisser Kirchen (sanctuaires) angebracht sind (B.Che'mali).
Auf .Madagaskar bleibt jenes Hova-Kind stumm, dessen Eltern einen
undurchlöcherten Kürbis (une courge non percee) bei sich aufbewahren, während
das Kind noch ganz klein ist. - Wenn sich zwei Kinder, die noch nicht
sprechen können, die Hände reichen, bleiben sie stumm (vgl. das Küssen in Königs-
berg w. o.). - - I LS t ein Kind Krebse, wird es sich schwer ausdrücken (Citnihouc).
§ 217. Amulette als Schutzmittel des gesunden Kindes.
.Mit den in Kap. V aufgezählten Abwehrmitteln gegen geheimnisvolle
Mächte, welche das Kind bedrohen, ist der Reichtum auf diesem Gebiete
noch keineswegs erschöpft. Es liegt mir freilich auch der Gedanke fein, ihn
chöpfen zu können: nur verlangl das vorliegende Kapitel, daß wenigstens
einigermaßen der Einfluß berücksichtigt werde, welcher dem Amulett von
verschiedenen Völkern auf das körperliche und geistige Gedeihen des
Kindes zugeschrieben wird.
Mein Kinde soll man an sein llälslein und Ärinlein Benignenkörner und
rote Korallen hängen; das macht es fröhlich und trtieyhafft, schrieb Jacob Uuefj
in seinem Züricher Trostbüchle vom Jahr 1554.
In Schlesien legen die Tschechen und Mähren Kräuter in die
Ketten ihrer kleinen Kinder, um diese gesund zu erhalten. Die hierzu be-
§ 217. Amulette als Schutzmittel des gesunden Kindes.
41
stimmten Kräuter werden am Vorabend des Joliannisfestes gesammelt und
zunächst unter den Tisch gelegt. Tags darauf trocknet (wischt?) man sie
ab, und gibt einen Teil dem Vieh, den anderen legt man in die Kinderbetten.
Auch Rosen, oder andere Pflanzen und Zweige, die am Fronleichnamstag1) (?)
und Ostern in der Kirche geweiht werden, verwendet man zu dem genannten
Zweck ( Tetzner).
In Italien und Spanien tragen heutzutage noch so gut wie im alten
Rom viele Kinder Amulette mit Glockchen, die nach Hildburgh Zauber und
Hexerei durch ihren Klang fernhalten sollen. —
Fif
248. Männer, Frauen und Kinder ans Mad igaskar. Scftuiu phot. Im Museum für Völkerkunde
in Leipzig.
Die im alten Rom getragenen Bullen, welche Amulette enthielten, sind
in Kap. V besprochen worden. Die jungen Römer legten sie im 15. Jahr
mit den übrigen Zeichen des Knabenalters ab. Nach Wilkinson trugen sowohl
die Kinder der alten Römer als die der Etrusker und alten Ägypter
bisweilen 3— 1 Stück solcher Bullen, teils aus Gold, teils aus Leder, und teils
aus hartem Stein2).
Den Ägyptern galten sie als Sinnbild der Wahrheit und Gerechtigkeit.
Ein solches sei die Bulle auch in der Wage der Gerechtigkeit bei Richter-
szenen; ein Bild der guten Werke bei Verstorbenen. Sie soll den Träger,
') Der Berichterstatter nennt vielleicht die Zweige, welche das katholische Volk am
Fronleichnamsfest nach der Prozession pietätvoll mit nach Hause nimmt, „geweiht"; denn
an diesem Feste findet meines Wissens keine Weihe von Zweigen oder Pflanzen statt.
2) Auch gewisse Halsbänder galten in Korn als Amulette; im alten Griechenland
gab es ringförmige.
42 Kapitel XVXÜI. Sympathie oder Zauber in der Behandlung- des gesunden Kindes.
der sie an einer als Schmuck dienenden Halsschnur aus Glasperlen hängen
hat, zu Weisheit und Tugend anspornen, vor den Wirkungen des bösen Blickes1)
und jedem Unglück bewahren. Auch der jugendliche Gott Harpokrates habe
eine Balle getragen. Ärmere Kinder des alten und neuen Ägypten müssen
sich mit ledernen Bullen begnügen. — Außerdem gab es im alten Ägypten
Kinderamnlette aus beschriebenen und fest aufgerollten Papyrusstreifen, die
man mit Linnen oder anderem Stoff bedeckte. Ferner legte man den Kindern
Halsbänder um, an denen Götterbilder befestigt waren.
Fig. •-•i!' Kinderamulett ge^-eu häufiges Weinen, Kindersclimucli u. a. m. ans Ostafrika-,
l. u 2. Halsschmuck für Mädchen und Frauen. i Lemlensihnur für Mädchen aus weißen Schnecken-
8, Armschmnck aus kleinen europäischen Perlen. häuschen.
< Geflochtene Armringe der Wapogorokinder. 7. Beinernes Kinderamulett gegen liiiiinres Weinen.
isingarmreifen der Waugoniniüdchen. H. Kleine eiserne Fußknöchel-Schellen, für Kinder.
Lufuahmo aus dem Afiika-Mnseum in st. Ottilien. Vgl. Kapitel XI. I.
Kinderamulette aus Pergamentstreifen mit Stellen aus dem Koran, bzw.
der Bibel finden sich bei Arabern und .luden. Jene haben auch Amulette,
die das Kind nur für eine gewisse Zeitdauer gegen Krankheiten schützen sollen
und dann, ähnlich den römischen Hüllen, wieder abgelegt werden, weil das
Kind über die gefährliche Zeit hinausgewachsen sei.
Im lullen Kaukasus hängen die Abchasen (Asega) ihren Kindern
einen Knopf ans (ihr, um von ihnen Krankheiten abzuwehren und ihnen einen
guten Ohara verschaffen (Karute) (vgl. die grünen Knöpfe der Türken
en den bi Blick in Kap. VI).
i) Vgl. Kap vr.
§ 217. Amulette als Schutzmittel des gesunden Kindes.
43
Als Vorbeugungsmittel gegen Kinderkrankheiten verkauft man in vielen
Krämerläden Konstantinopels blaue Korallen in liandförmigen Büchsen.
Griechen, Armenier und Juden kaufen sie. Als Mittel gegen den bösen
Blick sind sie uns in Kap. VI schon begegnet.
„Eine ganze Reihe von Talismanen" um den Hals berichtet Lissauer
von den Kindern der Kabylen.
Dem Ewe-Kind in Togo bindet man bald nach der Geburt um Hals
und Armgelenke einige Perlen oder Korallen, welche vom (?) Fetisch geweiht
Fig. 250. Ein zwei Tage altes Waheke-Kind. (Vorderansicht.) P. Johannes HSßigtr pliot.
wurden. Im Haarwirbel befestigt man ein paar Kaurimuscheln, um das Kind
vor Krankheit zu schützen (Herold).
Im französischen Kongo versehen die Fjort ihre Neugebornen mit
,.charm upon charm" (Dennet).
In Deutsch-Ostafrika gibt es Amulette aus ausgehöhlten Knochen,
welche den Kindern umgehängt werden, damit sie nicht weinen. Ein solches
findet sich im afrikanischen Museum St. Otilien bei München (siehe Fig. 249,
Ziffer 7).
Andere deutsch -ostafrikanische Schutzamulette speziell aus Madibira
mit seiner Wahehe-Bevölkerung zeigte uns Figur 41, Kapitel V.
Die Kaffern feiern im 6. Monat nach der Geburt eine gewisse Zeremonie.
Isiko Lobulunga (Ubulunga) genannt, wobei sie dem Kind ein Halsband aus
44 Kapitel XXXIII. Sympathie oder Zauber in der Behandlung des gesunden Kindes.
dem Schweif eines Kindes nmlogen. Dieses Halsband soll gegen Übel schützen
(Bastian). Vielleicht ist auch das erste Glied des kleinen Fingers, welches
sich die Mutter des Kindes bei einer andern Zeremonie (Isiko Cengqiiiti)
abschneidet, in Lehm steckt und dann an die Wand des Hauses klebt, ein
Aliwdii mittel. -- Die Znlu-Mutter hängt ihrem Xeugebornen als gesundheit-
förderndes Amulett einen Kiemen aus Ziegenleder mit einer Beere des
Umtungwiihaumes um Hals und Lenden. Kann das Kind einmal auf allen
Vieren geheu, dann schlachtet der Vati r eine Ziege, deren Gallenblase dem
■ Ein i altes Wauehe-Kiml Seitenansicht.] P. Jahaant» IlSfUger «not
Kleinen am Handgelenk befestig! wird. Diese Blase wird bisweilen durch
ein anderes Amulett ersetzt. Heide sollen schädliche Arzneien feindseliger
Menschen unwirksam machen (Fr. Mayr).
Als Schutzmittel gegen schädliche Einflüsse gelten zweifellos auch in
Kambodscha die Amulette am Hals der nackt umherlaufenden Kinder.
Hiina gibt es „Hundert- Familien -Vorlegschlösser". von denen
-I. />'• Wright uns eine- im Hilde vorgeführt und dessen Entstehung und
lat. Km Chinese, der das Leben seines einzigen, oder
sonders lieben Sohnes schützen will, schreibt Wright, erbittet
v"" ! Menschen je drei bis vier Kupfermünzen. Diese Summe ergänzt
i Mitteln, bis es zur infertignng eines silbernen Vorlegsculosses
leicht, \ n verschließl er eine silberne Kette, welche er seinem Sohn
Varia.
45
um den Hals schlingt, oder einen silbernen Eing- an dessen Hals und kettet
ihn dadurch ans Leben. — Außer solchen wirklichen Schlössern mit Bolzen
und Schlüsselloch (pih kea so), die, wie es scheint, nur für das männliche
Geschlecht angefertigt weiden, gibt es scheinbare Schlösser für das weibliche
Geschlecht (king keuen so oder Hals-Ringschloß) mit der Inschrift: „Langes
Leben, Reichtum und alles was du wünschest." - - Zum Geburtstag erhalten
Chinesen-Knaben Amulette mit der Inschrift: „Langes Leben, Glück, Reichtum,
Ehre und Beförderung." Die für Mädchen bestimmten Geburtstagsamulette
sind mit heiligem Rot bezeichnet und
tragen die Inschrift: ,. Langes Leben
und Glück." —
Wahrscheinlich sind auch die
Zeichnungen auf Mütze und Schuhe
bei Figur 25'J Schutzbilder.
§ 218. Die Zaubenvirkung des
Kusses auf das Kind.
Die trän ssy Ivanisch en Zelt-
zigeuner halten es nicht für gut.
ein Kind vor der Taufe zu küssen,
weil der Kuß die Seele aus dem
Körper locken könne (von Wlislocki).
Im Erzgebirge dürfen Kinder
unter einem Jahr einander nicht
küssen, weil sie sonst nicht wachsen
und sitzen bleiben.
Daß in Königsberg i. Pr. das
gegenseitige Küssen bei Kindern unter
einem Jahr Stummheit bewirkt, oder
mindestens das Sprechenlernen er-
schwert, ist in § 2lti erwähnt worden.
Der gleiche Glaube findet sich
in Mecklenburg, wo es zudem
heißt, daß ein neugebornes Mädchen
zuerst von der Mutter, ein neugeborner
Knabe zuerst vom Vater geküßt
werden soll, weil sonst das Mädchen
einen Bart bekomme, der Knabe aber
bartlos bleibe. In Königsberg hütet
man sich auch, einem Kinde die Fußsohlen zu küssen, weil es sonst später keine
Achtung vor seinen Eltern haben würde. —
252. Mütze und Sclmlie für Chinesen-Kinder.
Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
§ 21!). Varia.
Wenn die transsvl vanischen Zeltzigeuner nicht die Nachgeburt mit
dem ,.Kindspech" verbrennen, dann kann beides von bösen Feen (Urmen)
weggenommen und Vampyre daraus erzeugt weiden, welche das Kind quälen.
In England scheint mau im H. Jahrhundert die kleinen Kinder zur
Erreichung gewisser Zwecke auf Scheidewege gebracht und auf dem Boden
hingeschleift zu haben; denn Exbertus. Bischof von York, erklärte in seinen
Verordnungen vom Jahre 748 jenes Weib für straffällig, welches bei der Geburt
Zaubermittel anwende, oder das Kind ad compita et per terram trahit.
Damit die Kinder schön werden, soll man sie im heutigen England
(Suffolk?) gleich nach der Geburt mit Gin waschen.
46 Kapitel XXXIII. Sympathie oder Zauber in der Behandlung des gesunden Kindes.
In Stamfordham, Northumberland, soll man den kleinen Kindern
die Hände nicht eher waschen, als sie es selbst tun können, indem sie sie
in Wasser stecken.
In Suffolk trägt man das Neugeborne sofort die Treppe hinauf, damit
es reich und angesehen werde. In Ermangelung eines höheren Stockwerkes
im Hause steigt man mit dem Kind auf einen Stuhl. Nach nordenglischem
Volksglauben darf ein Kind unter einem Jahr nicht in den Spiegel schauen.
Auch viele Deutsche in Pennsylvanien. Nordamerika. lassen das
Neugeborne eine Treppe oder eine Leiter hinauftragen. Das geschieht hier
einige Tage nach der Geburt durch eine nahe Verwandte, oder durch die Amme
oder das Kindermädchen. Statt Reichtum und Ansehen will man hier be-
zwecken, daß das Kind später ..hohe Gedanken" habe. Walter J. Hoffmann
nesischc Kindei mutze i/.um Theaterspieleu?). Im Museum I. K. H. Prinzessin
Thtrtn von Bayern.
fügt dieser Mitteilung' einen Fall bei. in welchem das hinaufzutragende Kind
in die 'in. ihm,] einen Golddollar, in die andere ein kleines Format des Neuen
Testamentes erhielt. Dadurch sollte es reich und fromm werden. Trüge man
das Kind abwärts, bevor es aufwärts getragen würde, dann würde es an-
glücklich. —
In einigen Gegenden Deutschlands soll man kleine Kinder weder
wägen uoch messen; sonst wachsen sie nicht. Ergibt das Messen des gesunden
Kindes an und für sich gute Resultate, so kann die Freude hierüber ebensogut
l uglück bringen wie das Beschreien (vgl. Kapitel Y). Dieser Volksglaube
findet sieh in Schleswig-Holstein, Oldenburg und Thüringen. — Auf
Höh inen kommen wir in diesem Punkt später zu sprechen.
In Oldenburg werden die Kinder sehr klug, wenn man ihnen gleich
nach der Geburt etwas Geschriebenes in die Hand gibt. Legi man hier
ein Kind am Jbhannismoi en uackl auf den Rasen und übersät es mit Lein-
samen, dann fängt es zu gehen an. sobald die Saat aufgeht
Diese Wirkung wird in Ostfriesland erzielt, wenn man das Kind im
Frühliug mit Sommergerste übersät.
§ 219. Varia. 47
In Berlin, in Schlesien, im Vogtland und im Spessart, in derRhein-
und Oberpfalz, in Schwaben und Böhmen darf man ein Kind nicht in
den Regen tragen, damit es keine Sommersprossen bekomme.
Der nordenglische Aberglaube, ein Kind unter einem Jahr soll in keinen
Spiegel schauen, kehrt im Vogtland, im Erzgebirge und in der Rhein-
pfalz wieder, wo das Kind durch das Hineinschauen eitel würde; in Mecklen-
burg würde es, wie in § a IG erwähnt, schwer sprechen leinen, in der Ober-
pfalz leichtfertig, und in der Schweiz ein Narr werden.
Wenn man in Mecklenburg ein Kind „Ding", oder „Kröte", oder
„Kraw' (Krabbe) nennt, so nimmt mau ihm auf neun Tage das Gedeihen
weg. — Setzt man hier einem Kind unter einem Jahr einen Kranz auf, dann
muß es sterben; legt man für ein Kind schon vor dessen Geburt Geld zurück,
so wird es ein Geizhals oder ein Dieb; Geschenke, diu man Kindern unter
einem Jahr macht, verhindern deren Gedeihen.
Nach der Gestriegelten Rockenphilosophie soll mau einem neu-
gebornen Knaben mit den Füßen auf die Brust seines Vaters stoßen, dann
wird er „nimmer kein böses Ende nehmen"; ein neugebornes Mädchen setze
man der Mutter auf die Brust und sage: „Gott mache Euch zu einer guten
Frauen !';; dann kommt das Kind niemals zu Falle.
Im Erzgebirge läßt man ein Kind unter einem Jahr nicht an Blumen
riechen, weil ihm das den Geruch benehmen würde, und im Vogtland bekäme
das kleine Kind einen üblen Atem, wenn man es auf den Abort trüge; wenn
auf den Friedhof mitgenommen, müßte es bald sterben. Kinder, die nicht
(zur rechten Zeit) gehen lernen, setzt man auf einen Esel.
Ferner läßt man im Vogtland zwei Kinder unter einem Jahr nicht
miteiaander spielen, weil sonst eines davon das Sprechen schwer lernen würde.
- Kindern dieses Alters soll man hier auch kein Kleid anmessen, noch etwas
abschneiden, auch nicht einmal einen Haken vom Kleid; sonst schneidet man
ihnen etwas vom Glück ab.
In Ostpreußen darf man das Neugeborne keinem Fremden zeigen.
Der gleiche Aberglaube findet sich in Schwaben und Kärnten. —
In Königsberg i. Pr. werden Kinder, die man unter den Tisch legt,
Vielesser: legt man sie unter die Ofenbank, dann bleiben sie im Leben un-
beachtet.
In Pommern können Neugeborne sterben oder unglücklich weiden,
wenn man sie über einen Kreuzweg trägt. (Vgl. das Verbot des Bischofs von
Vork w. o.)
In Schlesien, Thüringen und Franken hütet man sich, den Kindern
irgend etwas zu flicken, was sie eben tragen, damit ihnen nicht der Verstand
verflickt und sie vergeßlich werden.
Auch der Aberglaube vom Messen, Anmessen und Vagen spielt in
Schlesien seine Rolle: Wenn einem Kind „unterm Jahr" Schuhe angemessen
werden, so führt ihm das den Tod herbei; wird es selbst in dieser Zeit ge-
messen oder gewogen, dann gedeiht und wächst es nicht mehr. — Den Tod
des Kindes hat es auch zur Folge, wenn dieses anders als mit den Füßen
voraus in die Stube getragen wird. - - Gähnt das Kind, so bekreuzt ihm die
Mutter in Jesu Namen dreimal den Mund. Der gleiche Brauch findet sich in
Norwegen (Liebrecht bei Drechder). Gegen häufiges Gähnen und Dehnen
der Sechswochenkinder legt man Stroh aus dem Hundestall in die Wiege,
wozu man ein Vaterunser betet. —
Im Liebauer Tal magern jene Kinder ab, die man mit dem Besen oder
mit einer Rute aus Besenreis schlägt.
In Schlesien wie in Thüringen soll man Kinder unter einem Jahr
überhaupt nicht bestrafen, sonst fruchten später Schläge nichts; einjährige
48 Kapitel XXXIII. Sympathie oder Zauber in der Behandlung des gesunden Kindes.
können nicht aufgezogen werden, wenn man sie schlägt; mit dem Zweig einer
Haselrute soll man Kinder nie strafen, weil sie sonst zu wachsen aufboren. —
Kin Vater, der sein Kind mit Füßen treten will, ziehe zuvor die Schuhe aus.
sonst macht ihm der Teufel die Füße schwarz. - ..Das Maß" verlieren die
Kinder, wenn sie mit nur einem Schuh oder Stiefel umhergehen, während der
andere Fuß nicht, oder nur mit einem Strumpf bekleidet ist. ..Das Maß
verlieren-' heißt im Liebauer Volksglauben, nicht mehr gleichviel messen von
einem Mittelfinger zum andern und vom Kopf bis zur rechten Ferse. Tritt
•da eine Differenz ein. dann ist das Kind krank. —
In Kürsteiiau darf ein Kind weder mit Blumen geschmückt werden,
noch in einen Spiegel sehen, sonst stirbt es bald, oder es wird eitel, oder
sieht später Außergewöhnliches.
In Franken darf eine Mutter nie das Alter ihres Kindes vergessen.
sonst bleibt dieses dumm.
In Schwaben laßt man Kinder über ..gehenden"' Teig schreiten, damit
sie das Gelien lernen.
In der Rheinpfalz soll man dem Neugebornen, das nicht gleich die
Brust nehmen will, das Mündlein mit dem Kirchenschlüsse] erschließen: dieser
muß alier „unversprochen" geholt weiden.
Gefallsüchtig oder schielend wird in Karlsbad das Kind, welches, wie
in Fürstenau, vor Abschluß des ersten Lebensjahres in den Spiegel geschaut
hat. - Klug wird das Kind, wenn die Nachgeburt unter einem fruchtbaren
Baume begraben wird: gesund bleibt es, wenn man sie verbrennt. -- Glück
bringt dem Kind das Geldstück, welches ihm bei seinem ersten Besuch mit
den anderwärts erwähnten Eiern geschenkt wird. — „Dalketa werden die
Kinder, welche man mit der Hand schlägt Der aus Liebau erwähnte Aber-
glaube, daß Rutenschläge die Kinder mager machen, findet sich auch in
Karlsbad, wie überhaupt in Böhmen; ferner in Bayern und in der Lausitz.
Ebenso haben wir in Karlsbad eine Variante des Glaubens über Regen
und Kind, dem wir weiter oben in verschiedenen Gegenden Deutschlands be-
gegnet sind. In Karlsbad tritt er mit einem eigentümlichen Zusatz auf.
Zwar sind auch hier Sommersprossen die Folgen, aber Schaller fügt bei: Das
-ili besonders bei Regen, durchweichen die Sonne scheint, weil da der Teufe]
seine Großmutter prügelt.
In Böhmen werden ferner die Wickelbänder der Kimler vielfach ver-
knüpft aufbewahrt und dann diesen am 7. Geburtstag zum Aufknüpfen gegeben.
■ le nachdem das Kind nun diese Aufgabe leicht oder mühsam löst, steht ihm
ein glückliches oder mühsames Lehen bevor.
Im Böhmerwald soll man den Kot des Kindes nie ins Keiler werfen,
damit es nicht wundes Sitzfleisch bekomme. Die „Räuden" dürfen vor einem
Jahr nicht vom Kopfe entfernt werden, sonst könnte das Kind erblinden.
Läuse sind beim Kind ein Zeichen der Gesundheit.
Kinder, die im Böhmerwald gern mit Licht spielen, sind gewöhnlich
Bettnässer. - Im ersten Jahr schallet dem Kind kein Fall, weil es der Mutter
Gottes in den Arm fällt. Laß die Kinder gewöhnlich erst mit einem Jahr
'•'ii lernen, erklärl eine Böhmerwälder Sage als Strafe: Eva habe von
i den Befehl erhalten, ihren Erstgebornen vom Ann herab auf die Erde
zu stellen, habe sich aber mit den Worten ..vor einem Jahre nicht!- wider-
setzt. Deshalb können seitdem die Kinder vor Ablauf dieser Zeit nii \
gehen i Bayt rl-Schwejda)
In der Schweiz trägl man Kinder unter einem halben Jahr nicht über
ein laufendes Wasser, weil sie son>t abzehren: einjährige soll man auf keinen
Markstein setzen, weil sie dadurch im Wachsen gestört würden. Ferner sagt
der Schweizer: Wenn klein. • Kinder fanhaltend?! irgend wohin sehen, so be-
§ 219. Varia. 4£
trachten sie ihren Schutzengel; solange sie noch in keinen Spiegel geschaut
haben, können sie sich in ihrem linken Händchen sehen. — Einem Mädchen
muß man als ersten Marktkram einen Fingerhut mitbringen, damit es gut
nähen lerne, — Beim Anziehen der ersten Schuhe wird einem Knaben
folgendes Sprüchlein gesagt:
..Schiiehli uud Fiießli, tuend ech paare,
Tuend recht mit enander fahre,
Und enande nie verloh,
Eh's Biiebli mott i's Bettli goh."
Wenn in der Schweiz ein ungewaschenes Kind Weihwasser bekommt,
verliert es seinen Schutzengel. — P^in um Weihnachten und Fronfasten ge-
bornes Kind ist geistersichtig; wickelt man es aber sogleich in Windeln und
legt es unter die Stubenbank, so wird alles verhütet. — Im Mittelalter reichte
man in der Schweiz und in Süddeutschland den Kindern Ablutionswein
von der heiligen Messe, damit sie gescheit winden, weshalb man diese Dar-
reichung „das Witzen" nannte. Daraus entstand im Kirchenlatein der Ausdruck
„dare sapientiam" (A. Franz). — Vgl. den Ablutionswein als Schlafmittel usw.
in den §§ 211 und 216.
In der Bretagne dürfen Kinder nicht über den Eßtisch gereicht werden;
wenn ein böser Wind sie währenddem berührte, wären sie zeitlebens unglücklich.
— In Poitou legt man bisweilen kleine Kinder auf den Altar, damit sie brav
seien; schwächliche rollt man auf dem Altarstein der Kapelle Saint Vizia; in
Ploemeur bei Lorient setzt man sie auf den in der Mitte eingefügten
„heiligen Stein" (Altarstein?); in Savigny rollt man sie am Pfingstsonntag
mehreremal auf dem Altar de Saint Fort hin und her. In Saöne-et-Loire
führen Mütter schwächliche Kinder nach der heiligen Messe neunmal um den
Altar. Der gleiche Brauch existiert im Departement Landes.
In Villedieu (Dep. Vienne) läßt man furchtsame Kinder unter einer
Glocke zu Ehren des Apostels Paulus aus den Evangelien vorlesen, um sie
von ihrer Furcht zu befreien.
In Italien soll das Kind gleich nach der Geburt auf den Boden gelegt
werden, damit es nicht einst im Hospital verkomme1). Auch muß man dem
Kind das Gesicht mit dem Blut bestreichen, welches beim Durchschneiden der
Nabelschnur fließt, damit es einmal nicht durch das Messer umkomme. — Läßt
man ein Kind nicht drei Tage lang mit einer Schere auf dem Bauch schlafen,
dann ist es allen bösen Anfechtungen ausgesetzt (vgl. das Eisen als Schutz-
mittel gegen Dämonen in früheren Kapiteln, z. B. in Kap. V).
In Catalonien, Spanien, dürfen Kinder, während ihr Gesicht verzerrt
ist, keine Uhr ansehen, sonst bleibt ihnen die Verzerrung. ■ Gegen die
Eifersucht oder andere Leidenschaften eines Kindes schneidet man dem Kind
etwas Haar ab, welches zerkleinert und ohne Wissen des Kindes in dessen
Speise gemischt wird. Frau Julita McAaeZ-Breslau, welche dieses berichtet,
kannte ein catalanisches Ehepaar, das sein sechsjähriges Töchterlein von dessen
Eifersucht auf ein neugebornes Brüderchen auf folgende Weise zu kurieren
suchte: Sie legten eine Koralle, einen toten Goldfisch und einen Taler in ein
Glas Wasser und gaben dem Mädchen von diesem täglich einen Löffel voll.
Die Serbeu bestreichen dem Neugebornen die Wangen mit Blut vom
Nabel, damit es immer rotwangig sei; um ihm schöne Augenbrauen zu ver-
schaffen, beschmieren sie diese mit seinen ersten Exkrementen. — Ein Kind,
das vor einem Jahr geschlagen oder an den Fußsohlen gekitzelt wird, wächst
nicht mehr. Um es vor Magenschmerzen zu bewahren, zerbeißt die Mutter
am ersten Morgen nach der Geburt ein wenig Heu aus seinem Bettchen. —
1) Vielleicht ein Rest der früheren formellen Anerkennung durch den Vater (vgl.
Kap. IV).
Ploß-Renz, Pas Kind. 3. Aufl. Band II. 4
50 Kapitel XXXIII. Sympathie oder Zauber in der Behandlung des gesunden Kindes.
Wenn man über dem Kopf des Maroniten-Kindes am Libanon einen
Feuerbrand passieren ließe, dann bekäme das Kind im Gesicht Beulen und
Finnen1). - Um ein Kind vor dem „Froschübel" zu bewahren, hängt man
ihm silberne Fröschchen2) an die Mütze. Alte Frauen sagen, früher habe
man einen lebendigen Frosch, in einen blauen Lappen gewickelt, an der
Wiege aufgehängt. Das sei billiger gewesen (B. Ckemali).
Die Armenier des Kuban-Distrikts in Kaukasien (Armawiren)
legen zu dem Kind, welches zum erstenmal in seine Wiege gebettet wird,
eine Katze, die man 5—20 Minuten bei ihm läßt, damit es so sanft (oder
geschmeidig?) werde wie sie.
Am unteren Kongo gilt es für unglückbringend, wenn jemand seine
Kinder zählt. Böse Geister können es hören und eines durch den Tod dahin-
raffen (WeeJcs).
Bei den Jamaika- Negern heißt es: Willst du. daß ein Kind bald gehen
lerne, keine ihm die Füße mit einem Besen. (Hier ziehe ihm die Füße durch
nasses Gras. - Soll das Kind brav sein, gib ihm Topfschwärze in Milch zu
trinken. -- Schlimme Folgen tili' dein kleines Kind hätte es. wenn du einen
Feuerbrand weggebest, oder ein Insekt in deinem Hause tötetest; auch darf
ein Weib mit einem kleinen Kind mit niemandem außerhalb (des Hauses?)
Sprechen. — Ein Kind, das man hübsch nennt, wächst sich häßlich aus. und
umgekehrt. Ferner sagen die Jamaika-Neger: Ehe die Kinder sprechen
können, verstehen sie die Sprache der Tiere.
Der wiederholt angeführte Aberglauben über das Messen findet sich
auch bei den Bowa auf Madagaskar: Jene Kinder, deren Taille man abmißt,
wachsen nicht, so heißt es. Auf das vor der Beschneidung vorschrifts-
mäßige .Messen der Hüften, Schultern usw. kommt Kap. XXXVII] zusprechen.
Kinder sollen ferner mit dem Reismaß nicht spielen, sonst lernen sie spät
gehen. - Kinder sollen beim Töten eines Tieres nicht zusehen, weil sie sonst
das Leben nicht schätzen F.ssen sie Reis aus dem Teller der Eltern, dann
sl erben sie jung. Läßt mau sie an einen Toten herantreten, so AVerden sie
sinnverwirrt (?) und sterben. Schaut ein Kind, dessen Vater schwächlich ist.
in den Mond, dann wird es selbst schwach. Ehe die Väter auf Reisen gehen,
sollen sie ihren Kindern an den Händen saugen (sucer), um sie vor Unglück
zu bewahren.
hie Dajaken im südöstlichen Bomeo haben eine Reihe von Mitteln,
um von ihren Kindern Krankheit und Zauber abzuhalten. Hier sei aus
Grabowshy nur folgendes erwähnt: Viele Fltern bestreichen ihre Kinder bis
zum zehnten oder zwölften Lebensjahr jeden Monat mit Blut, um sie gesund
zu erhallen. Zu diesem Zweck schlachten wohlhabende Eltern jedesmal ein
Huhn; arme begnügen sich mit eiwas Blut aus einem Hahnenkamm, statt
lilut kann auch Eidotter verwendet werden (vgl. das Blut aus einem Hahnenkamm
als zahnförderndes .Mittel in der Schweiz und in Schlesien Kap. XXXIV).
Sistierung des Wachstums, nachdem «las Kind gemessen worden, hören
wir dann von den Ilocanen auf (\l'v Philippineninsel Luzön (Manila). —
Schläge auf den Kopf und Ohrfeigen machen das Kind blöd oder wahnsinnig.
Au' den Viti-Inseln wächst jenen Kindern ein Kropf, deren Mütter das
Unglück hallen. Heiz vom Orangenbaum ins Feuer zu werfen.— Jede Mutter
ist hier auch darauf bedacht, daß das Viablatt, welches ihr und ihrem Kind
aK Sonnenschirm dient, mit keinem heißen Gegenstand in Berührung komme
(und dadurch verwelke?); denn sonst würde der Körper des Kindes sofort
lilaffen, Die Berührung eines Walfischzahnes ist den Kindern verboten,
imeura et des boutons."
i Vgl. die Amulette der Maroniten in Kap. V und VI.
§ 2J9. Varia. 51
weil sie dadurch zeitlebens unglücklich wären; ebensowenig dürfen sie vom
Zuckerrohr die zwischen den Knoten liegenden Teile essen. Wohl aber sollen
sie die Knoten aussaugen, um schnell zu wachsen. — Ein Neugebornes wächst
nicht, wenn es von einem Mädchen auf dem Kücken getragen wird.
Besonders merkwürdig ist die Ansicht der Fidschi-Insulaner, daß den
kleinen Kindern ihre Seelen abhanden kommen können. Missionar P. E. Eougier
schreibt hierüber: Früher waren die Fidschi-Frauen, welche ihre Säuglinge mit
aufs Feld nahmen und sie während der Arbeit in einen Korb an einen Ast
hängten, sehr darauf bedacht, daß sie bei der Rückkehr nach Hause auf die
Matten klopften und damit die Seele des Kindes riefen, aus Angst, diese
möchte auf dem Felde geblieben sein. — Ferner: Kommt jemand, um das auf
einer Matte liegende Neugeborne zu sehen, so klopft er mit der Hand an den
oberen Querbalken der Türe, um die Seele des Kindes zu rufen.
Die Tataren des Kreises Schoruro-Daralagesk im Gouvernement
Eriwau färben dem Neugebornen die Augenlider und Wimpern schwarz.
Im Verlauf der ersten 40 Lebenstage bestreichen sie alle zwei bis drei Tage
die Ränder der Augenlider mit einem in schwarze Farbe getauchten Stift.
Die Farbe heißt „Sjurma" und ist nichts weiter als Ruß, welcher in folgender
Weise gewonnen wird: In eine irdene Schale wird Rizinusöl gegossen, ein
Docht hineingesteckt und angezündet; diese brennende Lampe wird in eine
Grube gestellt und mit einem kupfernen Teller oder einer reinen eisernen
Schaufel bedeckt. Der an der Schaufel oder dem Teller sich niederschlagende
Ruß ist „Sjurma". - Wohlhabende Leute nehmen wohl auch Gänse- oder
Hühnerfett und einen Porzellanteller zum Zudecken der Lampe. — Das Färben
soll die Augen schwarz, kräftig und weitsichtig machen, erzeugt aber oft
Katarrh der Bindehaut.
Der weitverbreitete Glaube an eine geheimnisvolle Übertragung physischer
Eigenschaften wird abermals deutlich erwiesen durch die folgenden Mitteilungen
aus dem alten Mexiko: Nach Torquemarfa rieb man hier bei Wochen-
besuchen. ehe man das Haus betrat, sowohl sich selbst als seinen mitgenommenen
Kindern alle Glieder, besonders nachdrücklich aber die Kniee, mit Asche ein,
weil dadurch die Knochen und Glieder des Neugebornen gestärkt würden. —
Nach Bdiicroft rieben die Erwachsenen nicht sich selbst, wohl aber ihre Kinder
und das Neugeborne ein, beides in der Absicht, dieses zu kräftigen.
Im alten Mexiko soll ferner der gleiche Glaube über das Anmessen von
Schuhen bei Kindern unter einem Jahr geherrscht haben, wie im heutigen
Schlesien, d.h. daß es den Tod des Kindes nach sich ziehe. —
4*
Kapitel XXXIV.
Das Zahnen.
S 220. Kinderzähne, von denen der Aberglauben der Völker das
Schicksal, Leben und Tod des Neugebornen, oder des Säuglings abhängig machen,
sind schon in Kapitel III gestreift worden1), Es waren Erscheinungen, welche
den Völkern als abnorm, gefahrdrohend, verhängnisvoll gelten. Auch das vor-
liegende Kapitel bringt einige Beispiele dieser Art; im großen und ganzen
aber führt es Bräuche und Formen des Aberglaubens auf, welche nach der
Auffassung der Völker das normale Zahnen befördern und einen günstigen
Za Im Wechsel bewirken sollen. Der Urboden, auf welchem solche Bräuche
und Vorstellungen sproßten, ist in den weitaus meisten Fällen unbekannt. Ob
sie allein auf das freie Spiel der Phantasie längst dahingegangener Ge-
schlechter, oder auf deren bildliche Einkleidung erkannter Wahrheiten, ob
auf den Gedanken der Übertragbarkeit physischer Eigenschaften, oder auf
die Personifizierung, bzw. Apotheosierung von Naturkräften u. a. m. zurück-
gehen, kann in den weitaus meisten Fällen eher geahnt, als nachgewiesen
werden. Tatsache ist, daß die folgenden zwei Paragraphen ebensogut wie
\ie]e frühere, manche gleiche oder doch sehr ähnliche Erscheinungen von
geographisch und linguistisch teilweise weit getrennten Milkern aufweisen, so
daß man auch hier wieder vor die Alternative gestellt zu sein scheint, daß
entweder solche Vorstellungen unabhängig voneinander entstanden sind, oder
daß für sie eine einheitliche Entstehung anzunehmen ist in einer Zeit, als die
betreffenden Völker sieb noch örtlich nahestanden oder doch gegenseitig Be-
griffe austauschten.
Die am öftesten wiederkehrende Vorstellung in den folgenden zwei
Paragraphen ist ein vermeintlicher Zusammenhang zwischen Maus
und Kinderzahn. Wir linden sie nicht nur bei hoch-, mittel- und nieder-
deutschen Völkern, nicht nur bei Nord- und Südgermanen, sondern auch bei
Semiten und alten Mexikanern. An Stelle der gewöhnlichen Maus erscheint
bei dm Negern in Carolina und den Maori auf Neuseeland ihre größere
Schwester, die Ratte; die Schermaus (Maulwurf) spielt ihre Rolle in der
Schweiz, in Thüringen und bei den Maroniten am Libanon. Her im folgenden
Paragraphen erwähnte Volksglaube der Armenier würde dieses Rätsel lösen,
wenn dei Schluß von einem auf viele gestattet wäre. Allerdings faßten
schon Mühlhause und Grimm die Gebräuche beim Zahnen als Überbleibsel
eines Bittopfers auf. welches Wesen gebracht wurde, von deren Gunst das
Zahnen der Kinder vermeintlich abhing, und es ist kaum zu bezweifeln, dafl
diese Ansicht bei manchen Völkern zutrifft. Andererseits aber muß auch der
in diesem Buche wiederhol! nachgewiesene Glaube der Völker an eine Über-
tragung von Eigenschaften berücksichtigt werden. Ferner dürfte,
') Vgl. auch die Kapiti I über Kindesmord.
§ 221. Das zahnende Kind im Brauch und Aberglauben indogermanischer Völker. 53
wenigstens unmittelbar, das Bestreichen des Zahnfleisches mit Hahnenblut,
das Umhängen von Maus- und Krötenfüßchen u. a. m. weder in dieser noch
in jener Kategorie untergebracht werden können. Hier unterliegt vielleicht
der die alte Welt beherrschende Gedanke der Fruchtbarkeit und des
Wachstums. Hahn. Maus, Kröte1), Schnecke und eine Reihe anderer Tiere
standen oder stehen direkt oder indirekt in diesem Gedankenkreis, was dem
Ethnologeu wohl bekannt ist. Die „Yulvenzähne" der deutschen Schweiz im
folgenden Paragraphen scheinen hierzu abermals eine Illustration zu liefern. —
Wahrscheinlich sollten und sollen gewisse Mittel da und dort auch den als
Dämon gedachten Zahnschmerz abhalten, z. B. das gegen Dämonen so viel
gebrauchte Eisen. Intellektuell wenig entwickelte Menschen personifizieren
mit Vorliebe.
Ohne indessen weitere Spekulationsversuche zu machen, seien hier in
Kürze noch einige Parallelen aus den §§ 221 und 222 gezogen.
Gefährlich erscheint das Durchbrechen der oberen Zähne vor
den unteren im Glauben der Juden, im Volksglauben der Schlesier und Böhmen,
in der Auffassung der Araber in Sansibar und der folgenden Negervölker:
Suaheli, Wasaramo, Waganda uud Wanjoro, sämtlich in Ostafrika. Den Wolf
bringen die transsylvanischen Zeltzigeuner, die württembergischen Schwaben
und die deutschen Schweizer in Verbindung mit dem Zahnen; den Hund: die
Thüringer, Argentinier und Neger in Carolina; das Pferd: die alten Römer
und heutigen Franken; die Feuerstätte (Ofen und Herd), bzw. das Feuer:
die Armenier, Ostpreußen. Deutsch- und Tschechisch-Böhmen, die Wenden im
Spreewald und das Volk in Northumberland ; die Sonne: die semitischen
Maroniten und die Neger am Kongo; Eisen bzw. Kupfer: die Djolof-Neger
und die Serben; Knochen: die sibirischen Tungnsen und die Fahrländer bei
Potsdam; Blut vom Hahnenkamm: deutsche Schweizer und Schlesier. Der
Kindeszahn soll von der Mutter verschluckt werden: iu Schlesien
(slawisch?) und im slawischen Spreewald. Endlich weisen die folgenden zwei
Paragraphen Zahngeschenke auf bei den alten und jetzigen Deutschen, bei
Negern und vorderindischen Dravida. ■ —
§ 221. Das zahnende Kind im Brauch und Aberglauben indogermanischer
Völker.
Nach dem Glauben der Hindus bringt ein Kind, dessen obere Zähne zuerst
kommen, den Bruder seiner Mutter in schwere Gefahr. Diese merkwürdige
Vorstellung, daß Zähne für Mitglieder der Familie oder der Verwandtschaft
gefahrbringend seien, findet sich auch schon bei den alten Indern, denen das
Erscheinen der ersten Zähne als ein besonders wichtiger Zeitabschnitt im
Leben des Kindes galt. Hierauf bezieht sich der folgende Hymnus (nach
Avesta 6, 140):
„Sie, die groß geworden, tigergleich Vater und Mutter zu fressen wünschen,
diese beiden Zähne, Brhaspati, mache hold, o Jatavedas."
;,Reis eßt, Gerste eßt, Bohnen und Sesam eßt: das ist der euch beiden
bestimmte Theil. nicht verletzt Vater und Mutter."
„Angerufen sind die beiden vereinten Zähne, daß sie sanft und glück-
bringend seien; anderswohin wende sich eure Schrecklichkeit, Zähne: nicht
verletzt Vater und Mutter.-' —
Um das Zahnen zu erleichtern, hängen die transsylvanischen Zigeuner
ihren Kindern eine Wolfskehle an den Hals und, damit sie nie Zahnweh be-
kommen, keilen sie den eisten ausgefallenen Zahn in ein kleines Loch in
irgendeinen Baum. —
!) Nach Seligmann ist die Kröte das Bild der Erdgöttin. Der böse Blick II, 163.
54 Kapitel XXXIV. Das Zahnen.
Wir kommen nun zu dem bekannten, weit verbreiteten Brauch, ausge-
fallene Kinderzähne den Mäusen vorzuwerfen. Julius von Negelein führt ihn
auf ein Erstlingsopfer der. Milchzähne zurück, das man schon in indogerma-
nischer Zeit den in Mäusegestalt gedachten Manen am Herde gebracht hätte.
Nach einer Mitteilung des Armeniers Manul: Abeghian glaube das armenische
Volk heilte noch, daß die Manen vielfach in Mäusegestalt am Herde
wohnen, der hoch in Ehren gehalten werde. Heute noch opfere man dort
Haare, Nägel und Zähne am Herd. Beim Hineinwerfen eines ausgefallenen
Zahnes sage man: ..Nimm dir, Großvater, einen Hundezahn und gib mir einen
goldnen Zahn." - Die Heilighaltung des Herdes bei den transkaukasischen
Armeniern geht auch nach SelinsM noch heutzutage so weit, daß man an ihm
Taufen und Trauungen vollziehen läßt, obgleich der Klerus Widerstand leistet, —
Sprüche, welche beim Wegwerfen ausgefallener Kinderzähne gesprochen
werden, und die sich hauptsächlich um Maus und Zahn drehen, treten in
mannigfachen Formen auf. Einer dieser Art lautet in der deutschen
Schweiz:
..Müsli. Müsli, nimm de Zah,
Gim mer en schöue goldige dra.
Frei en schöue wisse
Aß ech's Brot cha bisse.'-
In Tirol:
..Maus, da hast du einen alten Zahn.
Gib mir bald einen neuen."
In Baden (Pforzheim):
..Mäusehen, da hast du einen hölzernen Zahn.
Gib mir einen beinernen dran "
In Württemberg sagt das Kind nur bei einem Schneidezalm, wenn es
ihn über sich wirft:
,,Se Mauste, hascht du dean Za,
Setz mer derfür en andra na!"
Im bayrischen Schwaben steckt das Kind den ausgefallenen Zahn
in ein Mausloch und spricht:
...Maus. Maus, dau hascht en Zan.
(üb mir wieder en aodra dran."
In Hessen lautet der Spruch vor dem Mausloch:
Häuschen, Mäuschen, hier habe ich einen hölzernen Zahn,
Gib mir dafür einen knöchernen." (Vgl. Baden oben.)
Beim dritten .Male muß der Zahn rücklings über den Kopf in das Loch ge-
worfen werden.
Am Rhein singen die Bänder;
In Schlesien:
..Maus. Maus, komm heraus,
Bring mir einen neuen Zahn heraus "
„Mäusel, u-h gab dir ein Beindel,
(üb nur dafür ein Stei&del."
[n Westi hlar) sagt das Kind:
.,&! : eh !_'e|p dir einen knöchernen Zahn.
einen eisernen."
§ 221. Das zahnende Kind im Brauch und Aberglauben indogermanischer Völker. 56
Iu Altenburg:
„Maus, da hast du en bennern (beinernen),
Gib mir dafür en stennern (steinernen)."
Im Namen Gottes usw. -j- •{- -j-
Im Herzogtum Oldenburg:
.,Mus, Mus,
Bring mi ne Kus'."
In Mecklenburg heißt's: Wenn man einer lebenden Maus einen Zwirn-
faden durch beide Augen zieht, sie dann wieder laufen läßt und den blutigen
Faden einem neugebornen Kinde um den Hals bindet, so zahnt es leicht.
In Norwegen wirft das Kind den Zahn, den es verliert, in das Feuer,
spuckt dreimal aus und sagt:
„Maus, Maus, da hast du einen beinernen Zahn;
Gib mir dafür einen goldenen.-1)
Auf Hiddensee (Hiddensöe) an der Westküste der Insel Rügen
lautet der Reim:
„Mus, Mus, Mus, Vedder,
Ick gew di 'n knäkern Tähn,
Giw du mi n stahl-isern wedder,2)
Dei nich brekt,
Dei nich stekt,
Dei sin Ledach (Lebtag) nich weih dauhn ward."
Varianten des Zahn- und Mausspruches fand von Negele'm auch in
Schleswig, in der Provinz Brandenburg, bei den Litauern, Esten,
Tschechen u. a. 0. Die ostpreußischen Kinder werfen ihre Zähne teils
den Mäusen hin, teils in den Ofen. Im letztem Falle sagen sie:
..Ofchen, Ufchen, da hast du einen knöchernen Zahn;
Gib du mir einen eisernen."
Auch in Rußland rezitiert das Kind, indem es sich rückwärts an den
Ofen stellt und den Zahn hinter sich wirft:
..Mäuschen, Mäuschen, dir den Rübenzahn,
und gib mir einen Beinzahn."
Ebenso erscheint bei den Tschechen in Böhmen das Mäuslein (mysko)
bisweilen im Zahnspruch der Kinder. Öfter tritt jedoch, wie bei den Slawen
überhaupt, der Fuchs an dessen Stelle, welcher bei den Balkanvölkern und
in Japan vergöttert wird {Grohmann bei J. v. Negele'm). Das tschechische
Kind wirft seinen ausgefallenen Zahn unter freiem Himmel hinter sich über
den Kopf und spricht dabei:
„Da hast du Fuchs den beinernen,
Gib mir für ihn 'nen eisernen."
Ferner wirft das Tschechen-Kind einen ausgerissenen Zahn hinter sich
auf den Falousek des Backofens, mit den Worten:
„Tu mas babo kosteny,
Dej mi za to zelezny."
Oeschieht das nicht, so sitzt der nachwachsende Zahn nicht fest und fällt
bald aus. —
') (Vgl. den Schweizer Spruch w. o.)
2) (Vgl. die Sprüche in Westfalen, Ostpreußen und Böhmen, sowie bei den
südrussischen Juden in § 222.)
56 Kapitel XXXIV. Das Zahnen.
In Deutschböhmen wird das Eichkätzchen angerufen, indem das
Kind hinter den Ofen geht, den Zahn über sich wegwirft, und dreimal die
Worte sagt:
„Eichkätzchen, Eichkätzchen.
Ich geb dir einen beinernen,
Gib mir einen eisernen.4'
Der Wolf wird von den württembergischen Schwaben-Kindern zum
lj~.it/. eines Milchzahnes angerufen:
„Wolf, Wolf, <la hascht en Zau.
Gib mer derfiir non koin Biberzau."
(d. h. irgendeinen, nur keinen Biberzahn1).
Außer den bisher erwähnten Bräuchen und abergläubischen Formen
finden sich bei den Indogermanen unter vielen andern folgende:
Die alten Deutschen gaben ihren Kindern, wenn bei diesen der erste
Zahn erschien, Geschenke (tannfe). Mit diesem Brauch hat Mühlhause den
.Mythus zu erklären versucht, Freyr habe im Anfang der Zeiten Alf heim als
Zahngebinde erhalten. — Heute noch ist es an vielen Orten Deutschlands Sitte,
beim Erscheinen des ersten Zahnes das Kind, oder eine arme alte Frau, oder
den, der den Zahn zuerst sieht, zu beschenken. Letzteres ist z. B. in Hessen
der Fall.
Vielfach angewandte Mittel zur Erleichterung des Zahnens sind
beim deutschen Volk rote Korallen und Päoniensamen (sogenannte Zahnperlen),
welche man dem zahnenden Kind um den Hals hängt. Darauf hat Ploß
bereits in der zweiten Auflage hingewiesen. — Nach Marie Ändree-Eysen
sind die „Zahnperlen" in ganz Bayern und Österreich beliebt. Sie
bemerkt dazu: ,.Es wäre nicht einzusehen, warum gerade diese Früchte als
Schutzmittel gegen Zahnschmerz und zur Erleichterung des Zahnens der
Kinder dienen sollen, wenn man nicht im Auge behielte, daß die Samen-
kapseln, worin sie sitzen, auffallenderweise die Form eines mit. Wurzeln ver-
sehenen Zahnes besaßen. Sie sind in Apotheken als Semen paeoniae bekannt
und weiden vom Volk als ..Zahnperlen" verlangt."
In der deutschen Schweiz läßt man Kinder zur Erleichterung des
Zahnens auf Kerzen von Jungfernwachs heißen: auch reibt mau das Zahn-
fleisch mit Wolfszähnen, oder mit Blut aus dem Kamme des Haushahns, oder
mit dem 1 Molchen einer Schermaus ein. welche man dann dem Kind als
„Füllenzähne" oder „Vulvenzähne" anhängt. Audi haut man einer Kröte die
Vorderfüße ab und reibt damit das Zahnfleisch ein. Ferner rührt man den
Kindslirei mit Lindensprossen an, die am Karfreitag- beim Zwölfschlagen ge-
schnitten wurden. • Im Züricher Oberland beißt man einem lebenden
Basen die Vorderzähne aus. um sie einem Kind zur Erleichterung des Zabnens
umzuhängen. Aus 'lern Kanton Zürich meldet /•;. /fiiff)mi>i»-Krai/er auch
folgendes: 7 oder H Bolzwanzen in einem frischen Säcklein von rauher
Leinwand mit rauhem Eulen ohne Knopf zugenäht, an einem neuen rauh-
leinenen Band umgehängt, i .u das Zahnen. Um das Zahnen zu
erleichtern, hängt man den Kindern ferner die Zähne (?) von 3 Garten-
Bchnecken in einem Säckchen um den Hals. — In Basel bewahrt man den
ersten Zahn eines Kindes gern auf und faßt ihn bisweilen in einen Ring. -
Wenn in Bein einem Kinde die Zahne so wachsen, daß breite Lücken da-
zwischen sind, dann heißt es, es komme weit in der Welt herum. Ist
1 „Biberzahn" hat Ploß mit „krummer" Zahn, nach Art des Schnabels eines Trut-
iim Schwäbischen „Biber1'), erklärt. Warum hier nicht an einen Zahn des Bibers
gedacht werden ich nicht.
§ 221. Das zahnende Kind im Brauch und Aberglauben indogermanischer Volker. 57
zwischen den beiden vordersten Zähnen der obern Eeihe eiue Lücke, dann
lernt es gut singen.
In Schwaben heißt es, das Beste fürs Zahnen sei ein Mauskopf, der
„unbeschrieeir', d. h. abgebissen wurde, ohne daß der Abbeißende angesprochen
wurde. Diesen Mauskopf näht mau in Leder ein und hängt ihn dem Kind
um den Hals. Ferner gibt man Kindern unter einem Jahr, wenn sie zum
erstenmal zu anderen Frauen gebracht werden, ein hartgesottenes Ei als
zahnbeförderndes Mittel. Auch findet sich in Schwaben der Züricher Ratr
dem Kind Schneckenzähne (?) umzuhängen.
In Böhmen kniet die Mutter beim ersten Kirchgang mit dem rechten
Knie nieder, damit ihr Kind vor Zahnschmerzen bewahrt werde. Eine andere-
Form des Aberglaubens stellt das zahnende Kind vor eine merkwürdige Alter-
native: Erscheint der erste Zahn am Unterkiefer, so gräbt es sich selbst das
Grab; erscheint er oben, so stirbt es bald. Auch heißt es: Das Kind bleibt
am Leben, wenn die unteren Zähne zuerst kommen ; es überlebt aber die
Milchzähne nicht, wenn die oberen zuerst erscheinen.
In Franken reibt die Hebamme heimlich das Zahnfleisch des Täuflings
mit Tauf wasser ein, um ihm das Zahnen zu erleichtern; auch legt man dem
Säugling einen Hosenknopf und dazu die getrocknete Nabelschnur unter das
Kopfkissen, oder man hängt ihm bei zunehmendem Mond den Zahn eines
einjährigen Füllens um den Hals.
In Hessen bestreicht die Mutter zur Beförderung des Zahnwuchses
ihrem Kind das Zahnfleisch schweigend mit drei weißen Brotstücklein, welche
sie von dem Mahle aufbewahrte, das sie an ihrem Hochzeitstag beim Einzug
in ihr neues Heim genossen hatte. — Die beim Erscheinen des ersten Zahnes
üblichen Geschenke in Hessen sind früher erwähnt worden.
In Thüringen läßt man zahnende Kinder von einem Hund belecken;,
oder der Vater des Kindes erdrückt einen Maulwurf in der Hand, haut oder
beißt diesem eine Pfote ab, näht sie in ein Beutelchen und hängt das dem
Kind um den Hals (vgl. Schwaben).
Im Erzgebirge trägt man das Kind zu einem Fleischer, damit dieser
seinen Finger in frisches Kalbsblut tauche und damit dessen Zahnfleisch
berühre.
Über einen ansehnlichen Reichtum an Sympathiemitteln zur Beförderung
des Zahnens verfügt das Volk in Schlesien, wie wir von Drechsler er-
fahren : Man legt dem Kind den Brautkranz der Mutter auf den Mund, oder
taucht den Saugpfropfen ins Weihwasser, oder legt das erste für den „Lutscher"
bestimmte Brot vorher auf eine Axt. — Kinder, die man am Gründonnerstag,
oder Johannistag, oder bei Vollmond entwöhnt, bekommen die Zähne leicht
und schön und sind vor Zahnschmerzen sicher. Vor Zahnschmerzen bewahrt
auch jene Mutter ihr Kind, welche es entwöhnt, während sie auf einem Kiesel-
stein sitzt. Tut sie das mit bloßem Gesäß und während zum Gottesdienst
geläutet wird, dann werden die Zähne des Kindes steinhart. — Leichtes
Zahnen bewirkt man ferner, wenn dem Kind Schlafäpfel (moosige Galläpfel)
unter das Kopfkissen gelegt werden, oder wenn man ihm, wie in der Schweiz,
das Zahnfleisch („Biller") mit Blut aus dem Kamm des Haushahnes ein-,
meistens zweimal bestreicht. — Verschluckt die Mutter den zuerst aus-
gefallenen Milchzahn, so befreit sie dadurch ihr Kind vom Zahnweh und
verschafft ihm schöne Zähne. Wie in Böhmen, so sterben auch in Grünberg
in Schlesien jene Kinder, welche die oberen Zähne zuerst bekommen. „Hoch
erhaben, tief begraben" heißt es hier, während an anderen Orten Schlesiens
solche Kinder „etwas Hohes werden". — Das Zahngeschenk für die Meldung
des ersten Zahnes ist auch in Schlesien gebräuchlich.
58
Kapitel XXXIV, Das Zahuen.
Brot vom Hochzeitstiscli eines unbescholtenen Brautpaares gibt man zur
Beförderung des Zahnens in .Mittenwalde (Brandenburg); vgl. Hessen.
In Falirland bei Potsdam legt man dem zahnenden Kind einen
gefundenen Knochen unter den Strohsack (vgl. den Hosenknopf der Franken).
ohne Antrabe des Ortes erwähnte Ploß (II, 225) den Brauch, daß das
zahnende Kind beim Eintreten eines Mannes, der es noch nie gesehen, von der
Mutter diesem Manne bis zur Haustür entgegen getragen wird. Hier reicht die
Mutter dem Ankömmling ein Geldstück, womit er dem Kind schweigend dreimal
am Zahnfleisch reibt. Dann nimmt er das Geld mit und vertrinkt es sofort.
In Mecklenburg heißt es: Kinder, welche beim Säugen den Daumen
in die Hand kneifen, zahnen schwer. —
Im nördlichen Eugland lautet ein Sprichwort : „Soon teeth, soon toes",
d. b. wenn ein Kind bald Zähne bekommt, folgt schnell ein anderes nach. -
Wenn in Tv nemout b. Nort liumberland , einem Kind ein Zahn ausfällt.
dann besprengt man diesen mit Salz und wirft ihn
ins Feuer, wozu das Kind sagen soll: „Feuer brenne;
verbrenne Zahn und gib mir einen anderen. Nicht
einen schwarzen, sondern einen weißen; nicht einen
krummen, sondern einen geraden." Oder: „Feuer,
Feuer, brenn', brenn', Gott schickt mir wieder
einen Zahn."
Dem Aberglauben der Germanen stellt sieh
jener der Slawen in den folgenden Formen zur
Seite: Wenn bei der wendischen Bevölkerung des
Spreewaldes einem Kind der erste Zahn infolge
Zahnschmerz gezogen wird, dann soll bei einem
Jungen die Mutter, bei einem Mädchen der Vater
den ersten Zahn verschlucken. Alle später aus-
gezogenen Zähne sind in das Feuer zu werfen und
zu verbrennen; dann tun die Zähne nicht mehr weh
und es wachsen wieder neue. Ein anderes Mittel
dei Bewohner des Spreewaldes gegen Zahnschmerz
i-t folgendes: Man beiße dem Biet wurm oder einem
Molch den Kopf ab und spucke ihn schnell aus.
oder nehme einen alten Besen und halte ihn über
Feuer, bis er anfängt zu brennen. Dann schlage
man es ans. daß die Funken absprühen, und lasse sich den Bauch in die
Zähne kommen. - Ferner gibt es im Spreewald Zahnamulette, sogenannte
Schrecksteine i Fig. 254 |.
Bei den Selben soll man dem Kinde, um es für immer vor Mund-
schmerzen zu bewahren, im Munde einige Male einen Schlüssel umdrehen und
dann denselben an einen Ort legen, von wo er niemals weggenommen werden
kann. Das Kind bekommt so starke Zähne, wie das Eisen ist. — Wenn zur
Zeit des Zahnens das Kind sehr viel weint, so soll es die Mutter auf die
Wange schlagen und sagen: ..Mein Kind weint nicht wegen der Zähne, sondern
i des \Vangenschlagens." - Vor der Taute darf der Pate nichts essen,
damit dem Kinde die Zähne gesund und vor den Würmern bewahrt bleiben. —
l>ie alten Römer banden nach Pliniua ihren Kindern Pferde- und
Eberzähne zur Erleichterung des Zahnens um.
Ki^v -i >t. Zwei BOgenannte Sehreck-
u'kii» im Spref w d l d
n Kindern angehängt
werden In der K Sammlung für
deutsohe Volkskunde in Berlin.
§
9-y-l
Die
die
Kinderzähne in» Brauch und Aberglauben uicht-imlo
germanischer Völker,
Mierinals tritt uns hier, zunächst vielleicht unter
Maus in Verbindung mit dem Kindeszahn entgegen:
slawischem Einfluß,
.Masele. Masele, na
§ 222. Die Kinderzätme im Brauch und Aberglauben nicht-indogermanischer Völker. 59
dir a beinern Zeindele yn gib mir an asernes," sagen die. südrussischen
Judenkinder, wenn sie beim Zahnwechsel einen herausgefallenen Zahn auf
den Dachboden werfen. — Um schweres Zahnen zu verhüten, zeigen die süd-
russischen Juden ihren Säuglingen vor dem Zahndurchbruch keinen Spiegel
(Weißenberg).
Maus und Zahn spielen aber auch unter den Maroniten am Libanon
eine gemeinsame Rolle: „Die Maus," so scherzt man beim Ausfallen der
Milchzähne, „ist gekommen und holt den
Zahn." — Das Zahnen gilt hier nach
Che'mali als eine Gefahr, neben welcher
noch zwei andere, nämlich die Entwöhnung
und die Schule, das Kind bedrohen. Ein
Sprichwort lautet: Wüßte meine Mutter,
wann meine ersten Zähne durchbrechen,
dann würde sie mir mein Leichentuch bereit
halten. — Um das erste Zahnen zu er-
leichtern, reibt man dem Kind das Zahn-
fleisch mit dem Hirn eines kleinen Sperlings
ein, fügt zu den bereits umgehängten
Amuletten noch eines, d. h. einen Maul-
wurfszahn, und veranstaltet ein Fest,
wobei Zuckersachen und ein in Wasser
gekochtes Mehlgericht an Verwandte und
Freunde verteilt wird. Eine Unterlassung
dieses Brauches hätte zur Folge, daß die
neuen Zähne quer wachsen würden. Die
Mutter wird unter Wiederholung des
Spruches „sein Zahn ist erschienen, möge
seine Mutter sich freuen" beglückwünscht.
— Gewöhnlich nimmt man am Libanon
an, daß frühes Zahnen frühen Zahnverlust
zur Folge habe. — Beim Ausfallen der
Milchzähne finden sich, neben dem er-
wähnten Scherz von der Maus, der Brauch,
daß das Kind den Zahn der Sonne mit
dem Spruch zuwirft: Sonne, Sonne,
nimm den Eselszahn und gib mir einen
Hirschzahn.
Den Arabern in Sansibar gilt, wie
den Negervölkern der Wasaramo und
Suaheli, ein Kind, dem die obern Schneide-
zähne vor den untern durchbrechen, für
Deshalb lesen sie ihm
vor, beugen ihm den Kopf
nicken scheint und lassen
wollen.
ünjöro und Uganda,
Fig. 256. Mädchen aus der Landschaft Udoe
ander deutsch-ostafrikanischen Küste.
Mit Erlaubnis der Väter vom hl. Geist in
Knech ts t eden.
es dadurch schwören, der Familie
Britisch-Ostafrika, das Durch-
unheilbringeiHl.
aus dem Koran
so, daß es zu
nie Böses zufügen zu
Ebenso gilt in
brechen der obern Schneidezähne vor den untern als unheilverheißend. Wo
es vorkommt, ruft man sofort den mbändua (Zauberei1), damit dieser das Kind
durch Aufführung gewisser Tänze schütze.
In der deutsch-ostafrikanischen Landschaft Mkulwe heißt man Kinder,
denen zuerst die Oberzähne durchbrechen, „Kinkula". Ein Kinkula ist ein
Unglückskind. Seine unabwendbare Bestimmung- wäre, die ganze Familie zu-
grunde zu richten, wenn es groß würde, schreibt Alois Hamhergev. Deshalb
60
Kapitel XXXIV. Das Zahnen.
wurde ein Kinkula früher unerbittlich und sofort beseitigt, was in der Regel
ältere Weiber besorgten. Im geheimen geschehe das heute noch. Auf die
Frage, worin das Gefährliche eines solchen Kindes bestehe, erhalte mau keine
V adöi Kinder von <ler deutsch-ostafrikanisohen Küsteniandschafc Uiloe. Mit Erlaubnis der
Vater vom lil. Geist in Kneohtsteden.
Deutscli-Mikn i i. Jugend ant Korror. Vom Sekretariat der Kapnzineimission^
Kll li' 11 li I .' 1 I sl i-i 11 n. Rh.
bestimmte Antwort. Das Kind sei einfach ein ünglückskind. Zur Zeit des
Zahndurchbruchs legi man in Mkulwe den Kindeni einen kleinen Antilopen-
kinnbacken um den Leib; um den Hals erhalten sie ein aus „allerhand Schmutz
zusammengestelltes Amuletl zum allgemeinen Schutz- (Samberger).
S"222. Die Kiuderzäkne im Brauch und Aberglauben nicht-indogermanischer Völker. 61
In Zentral-Afrika wird nach Livingstone jedes Kind getötet, das
einen oberen Vorderzahn vor den unteren bekommt. Dieser Brauch findet
sich auch bei anderen Völkern (vgl. Kindesmord).
Fig. 25s. Kuabeii aus Patau, Deutsch-MiUrouesien. Vom Sekretariat der Kapuzinermission
Ehrenbreiisteiu a. Rh.
&— ;...!-*
Fig 2ü9. Tamil-Kinder (Dravida) auf Ceylon. K. Ethnograph. Museum in München.
Einen an die Maroniten am Libanon erinnernden Brauch hat Weeks
von den Negern am untern Kongo berichtet. Hier wirft man den ersten
62
Kapitel XXXIV. Das Zahnen.
Zahn, welchen ein Kind verliert, der aufgehenden Sonne mit den Worten zu:
Bring mir, wenn du wieder kommst, einen neuen Zahn." Hierauf wirft man
westwärts eine Holzkohle und spricht: „Nimm meinen alten Zahn, ich mag
ihn nicht mehr."
Die Pjolof-Neger im französischen Sudan hängen ihren Kindern zur
Erleichterung des Zahnens um den Hals einen Kupferring, von dem fünf
Fig. 2C0 i ihm) Mädchen (Dravida) auf Ceylon. Im K. Ethnograph. Museum in München.
l>is sechs Kupferbänder mit großen (ilasperlen an den freien Enden herab-
hängen.
Bei diu Negern auf Jamaika finden wir das Zahngeschenk wieder.
Hier soll es dem Kind heim ersten Zahn selbst yeinaclil werden, damit ihm
die Zähne nicht faulen.
Im nordamerikanischeii Staat Karolina unterweisen alte Neger die
Kinder, sie sollen ihre ausgefallenen Zähne mit dem Ruf über das Haus schleudern
..Hier. Ratte, nimm diesen alten Zahn and gib mir deine milchweißen Zähne."
Kin anderer Aberglaube dieser Neuer drückt sich in dem Spruch aus: Tritt
ein Hund auf den weggeworfenen Zahn eines Kindes, so wächst dem Kind
ein Bandezahn.
§ 222. Die Kinderzähne im Brauch und Aberglauben nicht-indogermanischer Völker. 63
Die Zähne der Ratte wünschte auch die Maori-Mutter auf Neusee-
land ihrem Kind, wenn sie beim Durchbrechen der Zähne ihres Sohnes sang:
..Sprossender Kern, sproß',
Sproß', daß du mögst kommen
Zu sehen den Mond nun voll!
Komme du sprossender Kern,
Laß die Zähne des -Mannes
Gegeben werden der Katte.
Und der Katte Zähne
Dem Manne!- {Fr. Müller.)
Vorenthaltung warmer Speisen während des Zahnwechsels wird, leider
ohne nähere Begründung, von Nauru, Deutsch-Mikronesien, berichtet
{Brandeis).
Die Warramun'gä im nördlichen Australien führen ihre Zahnoperationen
(Ausschlagen) an einem Wasserloch aus. und bei den dortigen Gnanji wird
der ausgeschlagene Zahn in einem Wasserioch begraben, damit der Regen
aufhöre und mehr Wasserlilien im Teiche wachsen. — Hierüber mehr in
Kap. XXX Vi. —
Geschenke beim Zahndurchbruch finden wir bei einem Teil der Dra-
vida- Völker, welche, wie schon mehrfach erwähnt, im südlichen Vorderindien
und auf Ceylon leben. Bei den Nair in Malabar z. B. sendet die Mutter beim
Durchbrechen der Zähne Kuchen an die Hausfreunde (Jagor).
Die Tungusinnen binden ihren einjährigen Kindern zur Erleichterung
des Zahnens einen Renntierknochen um die Hand (Middendorf).
Zahn und Maus erscheinen uns wieder zusammen im alten Mexiko,
wo der Wechselzahn in ein Siausloch gelegt werden mußte, weil sonst die (?)
Zähne nicht mehr gewachsen wären {Plofi II, 227 f.).
Iltis- oder Hundezähne zur Beförderung des Zahnens hängt man den
Säuglingen in Argentinien um den Hals (Mantegazza). —
Kapitel XXXV.
Haaroperationen am Kinde. Das Haar,
ein Bild des Lebens.
§ 223. „Im Haupthaar dachte sich das Altertum den Sitz des Lebens.
Mau schnitt darum den Opfert ieren die »Stirnhaare als Zeichen ihrer Weihe
an die Gottheit ab. Das Abschneiden der menschlichen Haare bedeutete ...
Hingabe au die Gottheit." Durch diese Darlegung stimmt A. Franz1) im
wesentlichen mit Floß überein, welcher an die Blutopfer der alten Griechen
erinnert, die dem Opfertier Haare (oder sonst einen Teil) abschnitten, sie auf
dem Altar verbrannten und damit das Tier der Gottheit weihten. -- Höfler
weist auf Homers /Hu* (III, L36) hin, wo der altgriechische Brauch erwähnt
ist. daß die Sklaven mit ihren abgeschorenen Haaren den Leichnam bedeckten.
An Stelle des als Opfer gedachten ganzen Menschen trat sein Haar. -
Im römischen .Mythus ließ sich Jupiter von Numa, statt der zur Sühne
verlangten Menschenhäupter, deren Kopfhaar unterschieben-).— In Deutsch-
land erinnern nach Höfler heute noch die sogenannten ..Seelenzöpfe" und derartige
Gebäcke in Formen von Frauenhaar, welche die Paten ihren Patenkindern zu Aller-
seelen schenken*), an die altgermanischen Frauenopfer am Grabe eines Mannes.
Der neugriechische Brauch, die abgeschnittenen Haare des Täuflings
in das Tauf becken zu weifen'), ist nach Floß ein altgriechisches Überbleibsel,
selbstverständlich mit christlicher Modifizierung; die zeremonielle Haarschur
trag! religiösen Charakter.
Das trifft aber keineswegs nur bei den Griechen zu. sondern die folgenden
<lrei Paragraphen zeigen uns Repräsentanten fast der sämtlichen Sprachen-
bzw. Völkerfamilien, welche in diesem Punkte mein oder weniger miteinander
übereinstimmen. Hier sei einstweilen an die in Kap. XXIX erwähnten Bräuche
der Hudson-Indianer und der Sioux erinnert. Jene verbrannten ihr Haar
auf dem Grab ihrer verstorbenen Söhne, und bei diesen verbrannte es die
Witwe unter dem Baum, auf welchem die Leichen ihres Mannes und ihres
Kindes beigesetzt waren. —
Es braucht wohl nicht bemerkt zu werden, daß in dem vorliegenden
Werke, wie reizvoll auch weitere Kreise wären, wiederum regelmäßig nur das
Kindesalter berücksichtigt, spätere Lebensabschnitte nur ausnahmsweise
reifl werden können.
ene Völker, welche ihren Haaroperationen einen evident religiösen
Charakter aufdrücken, in den folgenden drei Paragraphen ohnehin zusammen-
gestellt sind, s ist hier wohl nur die Gruppierung einiger anderer Erschei-
kirchlichen Benediktionen, 2, 248.
ich /•,' Krause) in seinem „Haaropter in Teigform". Im Archiv f. Antln-Mp.il
N. V. Bd. [V, S
I XVII.
'; Siehe w. n.
§ 223. Haaroperationen am Kinde. Das Haar, ein Bild des Lebens. 65
minien erwünscht1). Aus diesen sei zunächst der mit der Haarschur ver-
bundenen Adoption, bzw. Eingehung eines Schutzverhältnisses gedacht.
Wir finden diese bei den Indern und Germanen, im byzantinischen Reich und
im päpstlichen Rom.
Patenverhältnisse wurden oder werden durch die Haarschur ein-
gegangen bei den abendländischen Christen des Mittelalters, bei den heutigen
Zigeunern in Siebenbürgen und den Südslawen, aber auch in Japan, bei den
Pirnas in Mexiko, im alten Peru, bei den Karaiben der Antillen und den
Aymara in Bolivia.
Haarschur und Namengebung finden wir, abgesehen von jenen christ-
lichen Völkern, welche beides mit der Taufe verbinden, unter den Polen, die
den vorchristlichen Brauch der Namenänderung -) teilweise beibehalten haben
und mit der Haarschur verknüpfen; wir finden Namengebung und Haarschur
aber auch vereinigt bei den alten Römern und Chinesen, bei den afrikanischen
Soninke und den mongolischen Miaotse im chinesischen Reich, den Japanern,
AI füren, Karaiben und im altperuanischen Inkareich.
Als Symbol der Aufnahme in den Stamm ist die Haarschur im
dritten Kapitel nachgewiesen bei den Malayen der Mentawai-Inseln und bei den
Munda Kolli in Nagpur. Hierher gehört in gewisser Hinsicht auch die Haar-
schur der Mädchen bei den Guinea-Negern in Folgia und Quoja, sowie der
Masai-Mädchen vor ihrer Beschneidung; ferner die nach der Beschneidung
vorgenommene Haarschur der Bakulia-Mädchen. Denn die Beschneidung bildet
ein Hauptmoment der Pubertätsfeier, also der Anerkennung als Mitglied des
Stammes (vgl. Kap. XNNV1II).
Wahrscheinlich haben auch die Haarfiguren, welche man beim Rasieren
oder Schneiden stehen läßt, bzw. bestimmte abgeschorne Flächen, ursprünglich
eine tiefere Bedeutung gehabt. Schrieb doch Bachofen*), dem man trotz
mancher Verirrung eine außerordentliche Kenntnis der Mythen und Bräuche
der alten Welt zuerkennen muß: Die Ätoler und Herniker schoren die
linke Kopfhälfte ab zu Ehren der Muttergottheit Erde, wie denn Teile
der linken Seite überhaupt dem großen weiblichen Naturprinzip gewidmet
worden sind.
Auf diesem Gebie^ wäre noch viel zu forschen. Aus den verhältnismäßig
wenigen Mitteilungen in unserm vorliegenden Kapitel erscheint indes erwähnens-
wert, daß die alten Chinesen das Haar bei Knaben links, bei Mädchen rechts
stehen ließen, also bei jenen die rechte, bei diesen die linke Kopfhälfte schoren,
wenn nicht ein Büschel zu einem Hörn oder Knoten vorhanden war; ferner,
daß die Howa auf Madagaskar zuerst die Haare der linken Kopfhälfte, dann
die der rechten abschneiden und jene bös, diese gut nennen. Auf der rechten
Kopfhälfte steht auch die Halbmondform des stehenbleibenden Haares bei
den Marokkanern, und eine abgeschorene Kopfhälfte war, neben andern Figuren,
im alten Ägypten gebräuchlich. Stehenbleibende Wirbelhaare, bzw. eine
Scheitellocke zeigt uns dieses Kapitel bei altägyptischen Prinzen, bei Arabern
und Marokkanern. Die Kreuzesform, in welcher das Haar der Täuflinge in
der griechischen Kirche geschnitten wurde, bestärkt unsere oben ausgesprochene
Ansicht, daß die Haarfiguren auch der nichtchristlichen Völker eine tiefere
Bedeutung haben, welche zu erforschen wert wäre. —
') Doch möge hier hervorgehoben werden, daß sowohl von den alten Ägyptern als
von den vorislamischen Arabern berichtet wird, daß sie abgeschnittenes Haar mit Silber
aufwogen und dieses den Göttern, bzw. dem Heiligtum zuwendeten. Vgl. Abschnitt ,.Opfer':
in Kap. IV.
'') Vgl. Kap. XXIII. Abschnitt „Namenänderung--.
•,) Mutterrecht, 159 f.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 5
66 Kapitel XXXV. Haaroperationen am Kinde. Das Haar, ein Bild des Lebens.
§ 224. Das Schneiden and Rasieren der Kopfhaare als religiöser Akt
bei Indogermanen und Semiten.
Im (arischen?) Indien ist mit der Schur sowohl des Haupthaares als
auch des Bartes ein komplizierter Ritus verbunden. Die erste Haarschur
findet je nach der Kaste im ersten, oder im dritten, spätestens im siebenten
Lebensjahre statt (PotJcdnsU). Die Bartschur nimmt der Jüngling im 16. Jahre
selbst an sich vor1). Ploß erwähnte (I, 292) das fünfte Jahr als die Zeit
der ersten Haarschur. Vielleicht bezieht sich dieser Termin auf eine der
eben angedeuteten Kasten. Das Kind wird zu dieser Zeremonie au einen
heiligen Badeort (Tirtha), oder, was noch gebräuchlicher, nach Iwalamukhi
gebracht, wo eine Flamme aus dem Boden bricht, und hier vollzieht ein
Brahmane die erste Haarschur. Mit 8—12 Jahren wird dem Knaben der
Kopf rasiert, worauf sein Unterricht in den heiligen Gebräuchen durch einen
Oberpriester erfolgt. -- Nach PotkänsM sind im heutigen Indien Haarschur-
zeremonien auch bei Adoptionen gebräuchlich, und zwar als Symbol der Ein-
verleibung des Kindes in den neuen Familienverband. Daß übrigens die Haar-
schur auch in diesem Sinn zugleich religiösen Charakter trägt, geht aus dem
weiter unten folgenden Bericht PofkdnsJci über die altgermanische Adoption
hervor. Zunächst möge noch erwähnt werden, daß E. Schröder aus dem nörd-
lichen (arischen) Vorderindien mitteilte, junge Mädchen ließen sich aus
religiösem Eifer ihr prächtiges Lockenhaar vom Kopf rasieren.
Bei den Germanen fand die Zeremonie der Haarschur im 12. Lebens-
jahre statt. Nur das Familienoberhaupt hatte das Recht, diesen Akt zu roll-
ziehen. — Die Bartschur fiel in die Zeit vom L6. bis 18. Jahr'-), was mit der
im alten Indien eingehaltenen vollständig übereinstimmt. - Auch die alten
Germanen verbanden Baarschur mit Adoption, und zwar bedeutete sie nach
PotMnshi in dieser Verbindung „gewissermaßen" ein Opfer, weil das adoptierte
Kind vor allein in die Religion der Familie eingeführt wurde, deren Oberhaupt
zugleich ihr Priester war3).
Von den griechischen Stämmen sind mir verschiedene Termine be-
kannt: die spartanischen Knaben hatten den Kopf bis zum Epheben-
alter, d. li. bis zum Eintritt der Mannbarkeit, geschoren (Wachsmuth). Dem-
nach hätte die erste Haarschur im Kindesalter stattgefunden. — Hingegen schrieb
der griechische Kirchenvater Iheodoret, die „Hellenen- hätten den Brauch
gehabt, ihren Kindern die Haare (y.opu'icu)J) nicht zu schneiden, sondern sie zu
Locken heranwachsen zu lassen, welche später den Göttern geopfert worden
seien .1. Franz scheint diesen Brauch bei den „Griechen" überhaupt an-
zunehmen und gibt den Herakles als jenen Gott an, welchem zu Ehren die
Jünglinge bei ihrer Aufnahme unter die Epheben ihre Locken abschnitten
und ihm weihten. —
Mit einem so späten Termin der ersten feierlichen Haarschur lallt sich
allerdings der Brauch der griechischen Kirche, die Haarschur gleich mit
der Taute des Neugebornen zu verbinden, kaum in Einklang bringen. Bart-
ch //. Zimmer bei Ploß (11. 448) war im alten Indien die Bartschur mit dem
Eintritt der Mannbarkeit verbunden. Als Alter d.es Kandidaten ist das IG — 18. Lebensjahr
Die Zeremonie hieß „Godaoavidhi". — Von all diesen Terminen weicht der von
ilii, Bhuyias und Bendkars in Bengalen stark ab denn diese scheren ihren Kindern
□ach Dali am siebenten 'I 'ag, dem Tai,' der Namengebung, das Haar.
Uter als Zeit der Bartschur nicht von allen germanischen Stämmen
eingebalten wmd'-. g Facitus (Germania, c. ;il) hervor, welcher von den Kalten
(Chat! I heutigen Hessen, schrieb: Mit dem Eintritte der Mannbarkeit
Bart und Haupthaar wachsen, und erst, wenn sie einen Feind erschlagen, legen
ihten Schmuck ihres Antlitzes ab,
i Vgl klärung der Haarschur als Akt der Unterwerfung bei .1. Franz.
'> Sollten etwa nur die Haare am Kopfwirbel gemeint sein?
§ 224. Das Schneiden u. Rasieren d. Kopfhaare als religiöser Akt b. Indogerruanen usw. 67
und Haarschur bei heranwachsenden Knaben und Jünglingen hat die christ-
liche Kirche ohnehin beibehalten; daß sie dazu noch einen Haarschurtermin
beim Neugebornen bestimmt hätte, welcher noch nicht vorhanden war, ist
kaum annehmbar. Franz schreibt mit einem Hinweis auf Goar (H. Jahrh.)
u. a.: „In der griechischen Kirche wurde an den eben getauften und gesalbten
Kindern die Zeremonie das Abschneidens von Kopfhaaren vollzogen. Das
geschah in Kreuzform unter den Worten: Es wird geschoren der Diener
Gottes N. im Namen des Vaters usw. Die abgeschnittenen Haare wurden
von dem Priester am heiligen Orte aufbewahrt oder dem Paten übergeben,
welcher sie mit Wachs verband und an ein Kreuzbild als Symbol der Weihe
des Kindes an den Gekreuzigten heftete. Die Zeremonie wurde gewöhnlich
und wird noch heute mit den zwei bei Goar mitgeteilten Gebeten eingeleitet1). —
Die sprachlich zu den Semiten, religiös der christlichen Kirche ange-
hörigen Maröniten des Mittelalters hatten nach Franz unter ihren Haar-
schurgebeten eines, welches den Knaben jenen Segen wünschte, den Isaak
empfing, die „Statur Jakobs, die blühende Jugend Josephs und die Weisheit
Salomons". Für die Mädchen wurde um eine gottgefällige Nachkommenschaft
gebetet, — Das abgeschnittene Haar galt als Opfer des menschlichen
Leibes, weil man die Haare gleichsam als Kauchopfer des ganzen Körpers
auffaßte. Die kreuzweis erfolgte Scherung war ein Bild der Hingabe an
Christus.
Das oben erwähnte, im Mittelalter gebräuchliche Zusammenkleben der
abgeschnittenen Haare mit Wachs kommt noch heutzutage bei den Mainoten
(Mauiaten) im Peloponnes vor, von denen Henri Belle schrieb, man reibe
das Kind zuerst mit Pfeffer und Salz ein, dann schneide man ihm einige
Haare ab. klebe sie mit Wachs von der Altarkerze zusammen und werfe sie
in das Taufwasser. —
Von den Neugriechen überhaupt schrieb Ploß, daß der Priester am
Tauftage dem Kinde dreimal einige Haare abschneide, die er in das Tauf-
becken werfe. Es scheint also, daß auch die alten Griechen eine feierliche
Haarschur mit religiösem Charakter schon am Neugebornen vornahmen.
Von den Malisoren in Oberalbanien teilte Spiridion Gobcpviee im
Jahre 1881 mit, daß manche Stämme ihre Kinder bald nach der Geburt,
andere erst nach einem Jahr taufen, und daß der Pate dem Kinde bei dieser
Gelegenheit den Kopf schere. Die abgeschnittenen Haare bewahrte man mit
dem Patenpfennig drei Tage lang in einem Beutel auf, wonach sie verbrannt
wurden. Während dieser drei Tage gehe es lustig her.
Diese Malisoren scheinen demnach der orientalischen Kirche anzugehören,
da die abendländische Kirche nach Franz die Haarschur nicht mit der
Taufe verband, sondern sie am Ende der Knabenjahre vollziehen ließ.
Auch die Bulgaren verbinden mit der Taufe ein Haaropfer (Ploß).
Wann im Abendland die Haarschur mit religiöser Weihe umgeben und
in die Kirche verlegt wurde, ist nach Franz nicht festzustellen. Die dabei ge-
sprochenen Gebete des Priesters, von denen er mehrere anführt, drücken,
wie die der griechischen Kirche, Wünsche für das körperliche und geistige Wohl
des Knaben aus. Der Brauch sei nach dem 15. Jahrhundert aus der abend-
ländischen Kirche verschwunden.
Analoga und Parallelen zur indischen und altgermanischen, mit
Adoption verbundenen Haarschur finden sich nach Franz im byzantinischen
Kaiserhaus des 7. und bei den Longobarden und Franken des 8. Jahrhunderts,
wenn der Begriff des religiösen Opfers hier auch fehlt, und den Menschen
') Diese, sowie andere bei der Haarschur verrichteten Kirchengebete siehe bei Adolf
Franz. op. c. IT, 245 ff. —
5*
68 Kapitel XXXV. Haaroperationen am Kinde. Das Haar, ein Bild des Lebens.
gegenüber nur das Verhältnis der relativen Abhängigkeit und des Schutzes
ausgedrückt werden sollte. Schutz für seine Söhne Justinian und Heraklius
wollte Kaiser Konstantin Pogonatus vom Papste Benedikt IL, als er diesem
ihre Locken sandte, und Adoption seines Sohnes Pipin wünschte Karl Martell,
indem er diesen dem Longobardenkönig Liutprand schickte mit der Bitte, er
möge dessen Haar „der Sitte gemäß" in Empfang nehmen. Dieser Mitteilung
habe Paulus Diaeonus beigefügt: „qui eius caesariem incidens, ei pater effectus
est", d. h. Liutprand habe durch diesen Akt der Haarschur Vaterstelle au
Pipin angenommen.
Frau: bemerkt ferner, daß im Abendland die feierliche Haarschur ein
patenähnliches Verhältnis herbeigeführt habe. —
Das ist nach PotMnski heutzutage noch der Fall bei den Südslawen
in Bosnien, Serbien, der Herzegowina und in Montenegro. Die geistige
Verwandtschaft, welche das geschome Kind, nach serbischer Auffassung, mit
dem verbindet, der die Haarschur vorgenommen hat, bildet nach Milovanovitsch
ebenso ein Ehebindernis wie das Taufpatenverhältnis, wie denn der Serbe
auch meint, eine Sünde der Patenschaft1) sei unverzeihlich, während eine Sünde der
Verwandtschaft verziehen werden könne, d. h. er stellt die Patenschaft höher als
die Verwandtschaft. Das Patenverhältnis beeinflußt ferner das Recht, als Richter
oder Zeuge zu fungieren. Milovanovitsch setzt den Ausdruck ,. Haarschneiden"
gleichbedeutend mit „Haaropfer". Demnach sieht auch der Serbe die Haarschur
als ein Symbol eines religiösen Opfers an, obgleich sie, wenigstens jetzt nicht mehr,
in der Kirche stattfindet. Gewöhnlich bittet der Vater des Kindes dessen Tauf-
paten, die Bandlung zu vollziehen, so daß dieser eigentlich in ein doppeltes Paten-
verhältnis tritt. Wird jemand anders zur „Patenschaft des Haaropfers oder
Haarschneidens" aufgefordert, dann wird dieser bei einem folgenden Geburts-
fall in der Familie Taufpate. Die Feier der Haarschur wird von Krauß so
beschrieben: Die gebetene Persönlichkeit kommt an dem festgesetzten Tag
in das Elternhaus des Kindes, dem die Haare geschnitten werden sollen.
Nach einem festlichen Empfang bringt man dem Paten auf einem Teller eine
kleine Schere und führt ihm das Kind zu. Dieses zieht er an sich und
schneidet ihm Haar an drei stellen ab (vgl die Schnittfigur' in der
griechischen Kirche des Mittelalters und die drei Schnitte der heutigen Neu-
griechen, w. o.). Das abgeschnittene Haar wird zunächst auf den Teller
gelegt, später aber von einem Hausgenossen auf den Mist geworfen. -
In Polen fand früher die Haarschur statt, wenn das Kind sein siebentes
Lebensjahr zurückgelegt hatte. Dabei erhielt es einen Namen, oder sein bis-
heriger wurde geändert < PotMnski)2).
Die mit einem religiösen Opfer verbundene Haarschur im vor- und nach-
mohammedanischen Arabien ist in Kapitel IV geschildert worden. Die Be-
streichung tles Kopfes des Kindes, welchem das Haar abgeschoren oder ab-
rasiert wurde, ihm dem Blut des Opfertieres erinnert besonders lebendig an
die Blutopfer im klassischen Altertum, und beweist, daß auch der vormohamme-
danische Araber in der Haarschur das Bild der Hingabe des Lebens sah.
Diese Zeremonie wurde am Neugebornen vollzogen Spätere Termine werden
wohl späteren Ursprungs sein. Lane gibt aus dem arabischen Ägypten
des 19. Jahrhunderts den Brauch an. den Knaben die Haare mit zwei oder
drei Jahren, doch auch früher, zum erstenmal zu schneiden. Man ließ ihnen
nur zwei Büschel stehen: den einen auf dem Wirbel, den andern über der
i Milovanovitsch i wohl an geschlechtliche Vergehen zwischen Paten, bzw.
■ andten.
i Nach Potkdnski ist die Zeremonie der Haarschur bei den slawischen Völkern ge-
ehtlich mir bis ms iL'. Jahrhund rl nachweisbar.
§ 225. Das Schneiden u. Rasieren d. Kopfhaare als religiöser Akt b. Härmten usw. 09
Stirne. Die Mädchen unterwarf man der Haarschur nur selten, während die
der Knaben in allen arabischen Ständen in Oberägypten.und Kairos ge-
bräuchlich war. Die Zeremonie sei von den Arabern nach Ägypten gebracht
worden, die auf ihrer Halbinsel noch in islamischer Zeit das Opfer eines Tieres,
gewöhnlich einer Ziege, damit verbanden. Vor Mohammed war das Opfertier
nach Robertson Smith gewöhnlich ein Schaf1). -- Opfer und Haarschur vollzog
man in islamischer Zeit an einem Heiligengrab. —
§ 225. Das Schneiden und Rasieren der Kopfhaare als religiöser Akt
bei Hamiten und Negern.
Heroilot erzählt von den alten Ägyptern, daß sie gewissen Gottheiten
Gelübde machten, wobei sie ihren Kindern das Haar ganz, oder zur Hälfte,
bisweilen nur ein Drittel abschnitten und das abgeschnittene Haar gegen
Silber aufwogen. Dieses Silber übergaben sie den Wärtern jener Tiere, welche
der betreffenden Gottheit heilig waren, und die Wärter reichten hierauf diesen
Tieren zerlegte Fische2). —
Ein Recht auf die Haarschur beanspruchen die Priester, Zauberer und
Medizinmänner verschiedener Negervölker. Kapitel XXY1II machte uns mit
den Zauberern und Ärzten der Wahehe bekannt, welche das Haar ihrer
Rekonvaleszenten gewissermaßen in Beschlag nehmen, bis das Honorar für die
Cur bezahlt ist. Wenn wir damit den Inhalt des vorliegenden Kapitels ver-
gleichen, dann klärt sich jene Beschlagnahme auf: Der Zauberer und Me-
dizinmann betrachtet sich als Herr des Lebens, welches durch seine
Kunst vor dem drohenden Tod bewahrt worden ist. Allerdings haben
wir es hier zunächst mit der Macht des Zauberers und Medizinmannes zu tun,
und Richard Anclree hat davor gewarnt, Handlungen jener Persönlichkeiten,
welche diese beiden Rollen spielen, als religiös zu charakterisieren. Allein
wir dürfen nicht vergessen, daß diese Zauberer und Medizinmänner ihre Kräfte
vielfach, vielleicht immer, einem Fetisch oder einer andern geheimnisvollen
Kraft zuschreiben, von welcher sie besessen zu sein, oder mit welcher sie doch
in enger Verbindung zu leben vorgeben.
Ein solcher Fall liegt z. B. bei den Bassari in Deutsch-Togo vor.
Hier gehört dem Fetisch das Leben jener Kinder, welche bei anfangs un-
fruchtbaren Ehen durch die Sympathiemittel des Priesters des Fetisches
geboren werden. Wenn solche Kinder das 15. oder 17. Jahr erreicht haben,
je nachdem sie weiblichen oder männlichen Geschlechtes sind, dann müssen
sie dem Priester vorgeführt werden, wobei man Hühner, Yams und Guinea-
korn opfert. Ferner muß man ihnen die Haare abschneiden und diese dem
Priester geben. Nichtbeachtung dieser Pflichten hätte den Tod dieser Kinder
zufolge (Klose). — Der Fetisch hat also hier durch den Priester Leben ge-
schenkt, und dieses wird wieder genommen, wenn man dem Priester des
Fetisches nicht die Haare, das Bild des Lebens, gibt und ihm außerdem andere
Opfer bringt.
Am unteren Kongo darf nur der Zauberer die erste Haarschur vor-
nehmen. Wenn eine Geburt bevorsteht, dann verbietet der Zauberer bisweilen,
daß die Haarschur an dem zu erwartendem Kind stattfinde, ehe er selbst
wiederkomme. In solchen Fällen wartet man zwar nicht immer so lange, aber
man schneidet die Haare auch nicht eigenmächtig, sondern läßt den Zauberer
i) Vgl. Kapitel IV. Opfer.
2) Vielleicht versinnbildeten auch diese Fische das Opfer des Menschenlebens; denn
der Fisch ist das Bild der Fruchtbarkeit, somit auch des Lebens. — Das Haar als Symbol
des Alters und Standes im alten Ägypten siehe im folgenden Paragraphen.
70 Kapitel XXXV. Haaroperationen am Kinde. Das -Haar, ein Bild des Lebens.
holen. Dieser drückt dann Elembalembablätter aus, läßt den Saft auf das Haar
träufeln und schneidet dieses (WeeJcs).
E
= -
>z
AusMhonda, Deuts« Ostafrika, hat F. K Vogt einen Fall berichtet,
welcher beweist, daß die dortigen Zauberer auch dann ein Recht auf das
ler Kinder haben, wnin sie das Leben der Mütter gerettet haben.
1"/// erwähnt nämlich aus Mhonda einen vierjährigen Knaben mit langen
§ 2'2."j. Das Sohneiden u. Rasieren d. Kopfhaare als religiöser Akt b. Hamiten usw. 71
Haaren, was bei den Negern eine Seltenheit sei. Die langen Haare mußten
dem Kind gelassen werden, weil dessen Mutter bei ihrer schweren Entbindung
einen Zauberer zu Hilfe rufen ließ und dann die von ihm verlangte Ziege als
Lohn nicht geben konnte. Hätte man das Haar vor Entrichtung des Lohnes
geschnitten, dann hätte der Knabe sofort sterben müssen. —
Als feierlichen Akt schilderte im Jahre 1879 Chr. Stech die Haarschur
und die damit verbundene Salbung des Basuto-Kindes im britischen Süd-
afrika. Sie findet bald nach der Geburt statt und wird vom Zauberer voll-
zogen. Dieser erscheint behängt
mit Krokodilzähnen, Vogelschnäbeln.
Tierknochen, Fetzen von Antilopen-
fellen und mit dem Medizinbeutel.
Auch die Zauberwiirfel hat er bei
sich, welche Gutes und Böses, Leben
und Tod vorher verkünden. Die
in seinem Beutel befindliche Medizin,
ein schwarzes Pulver, hat er vor-
geblich weit herholen müssen; die
Würfel haben ihm den Weg ge-
zeigt. Nun setzt er sich keuchend
nieder, schüttet die Medizin (molemo)
in etwas Wasser und quirlt beides
bis es schäumt. Dann schmiert er
damit dem Kind den Kopf ein
und rasiert ihn bis auf die Mitte
des Schädels, wo ein runder oder
ovaler Büschel stehen bleibt je
nach dem Stamm, dem das Kind
angehört. Hierauf gibt er zu der
Flüssigkeit Fett und Rötel und reibt
mit dieser Mischung den stehen-
bleibenden Haarbüschel und, wenn
noch genügend vorhanden, den
ganzen Körper
Diese Mischung
d. h. Tracht, oder
Fig. 262.
Deutsch
Knaben-Haartracht im Urnguru-GebiTge,
Ostafrika. Von den Vätern vom hl. Geist
in Knech tsteden.
des Kindes ein.
heißt ,,servalo",
das was getragen
wird. Sie soll auf dem Kopf haften
bleiben. Reicht sie zur Einsalbung
des Körpers nicht, so bereitet man
in der Familie selbst eine Salbe
von ,.letsoku" (gemahlenem Rötel)
und Fett, womit die Mutter dem
Kind Rumpf und Glieder gehörig einreibt. Also rotglänzend wird das Basuto-
Kind allen gezeigt und vom Vater geherzt.
Der Zauberer erhält als Honorar einen Ziegenbock. Kafferbier steht ihm
schon vor der Zeremonie zur Verfügung. Bei vermöglieheu Leuten richten
einige Zeit nachher die „badimo" (Götter?) nachts unter dem Vieh Schaden
an, um „Rache zu üben", weshalb nochmals ein Bock geopfert wird, dessen
Blut der Zauberer zur Verhütung weiteren Unglücks verwendet und dessen
Fleisch er ißt. —
Plofs führte die ganze Zeremonie zugleich als
(vgl. Kap. XV). -
In neuester Zeit schreibt Minni Cartwright von den Basutos, die Haar-
schur des Neugebornen finde gewöhnlich am zweiten Tag nach der Geburt
leidnische Taufe" an
72 Kapitel XXXV. Haaroperationen am Kinde. Das Haar, eiü Bild des Lebens.
statt; der „Doktor" habe aber nur dann ein Recht, die Zeit zu bestimmen,
wenn er auch zur Geburt gerufen worden sei. — Auch hier scheint sich
demnach der Begriff des Lebens mit dem des Haares zu verbinden. -
§ 226. Das Schneiden und Rasieren als religiöser Akt bei malayisch-
polynesisclien Völkern, Japanern, Dravida, Mongolen und Indianern.
Die Hova auf Madagaskar nehmen die Zeremonie des ersten Haar-
schneidens (fanalam-bolon-jazä) vor, wenn das Kind einige Monate alt ist.
Auch entfernt lebende Familienmitglieder kommen zu diesem großen Fest herbei.
Viel Vorsicht ist bei der Wahl des Haarschneiders nötig; denn fällt sie
auf einen, dessen Vater schon tot ist, so wird man seinem eigenen Kind durch
Fig. 26:i und 264. Knabenhaartracht in Kigonsera, Deutsoh-[Ojstafrika. Aus Wahrmeiettr
„Vor dem Sturm".
den Tod entrissen und muß es als Waise zurücklassen. - - Die Operation beginnt
mit der linken Hälfte des Kopfes, und zwar mit dem ..bösen Haarbüschel"
über dem linken Ohr, welchen man eiligst samt der hierzu gebrauchten ver-
wünschten Schere an der Südseite der Hütte wegwirft. Dann geht es zur
rechten Kopfhälfte. Hier steht über dem rechten Ohr der „gute Haarbüschel",
welcher nun abgeschnitten und in einer Reisschwinge mit Fleischstückchen
aus dem I Imker des einheimischen Ochsen (Zebu oder Bos indicus) und mit
Knollen des Arum esculentum (saonjö) vermischt wird. Diese Mischung wirft
man als Talisman für glückliche Geburten unter die begierig danach
haschenden Festgäste1).
In Indonesien beeinflußt der Glaube an heilige Zahlen vielfach das
Haarschneiden, Zahnfeilen und Durchbohren der Ohrläppchen2). So verwendet
') \i " wieder Haar und Leben in enger Beziehung cedac
'••: Vgl. Kap. XXW1I.
bt.
§ 226. Das Schneiden u. Rasieren a. religiöser Akt b. rnalayisch-polynesischen Völkern usw. 7 3
man z. B. im südlichen Celebes zur Haarschur der Prinzen ersten Ranges
3x7 Scheren; abwärts folgen 2x7, 1x7 und eine einzige Schere. Bei der
Bestimmung des Datums spielt die Siebenzahl eine Rolle auf Sumatra; die
Dreizahl auf Bomeo und Ceram.
Bei den Maori auf Neuseeland bereitet sich die Familie, aus welcher
ein Kind der ersten Haarschur unterworfen werden soll, durch Fasten auf
diesen festlichen Akt vor. Der Großvater des Kindes oder ein Tohunga bringt
Fig. 265. Ein katholisches Pal auki ml. (Deutsche
Karolinen.) Missions-Sekretariat der rheinisch-
westfäl. Kapuzinerprovinz F.hrenbreitstein
a. Rh.
Fig. 266. EinPalaukiml. (Deutsche Karolinen.)
Missionssekretariat der rheinisch-westfal. Kapu-
zinerprovinz Ehrenblei tst ein a. Rh.
die Nacht vorher auf einem heiligen Platze zu. Wenn er dann am darauf-
folgenden Morgen das Kind kommen sieht, singt er:
..Komm, mein Kind,
Ich will schneiden
Jedes deiner Haare
Zur Ehre Tu's."
Zum Abschneiden benützt er ein Obsidianmesser, worauf ihm vom Vater des
Kindes ein Stock aus Poporokai-wiria gereicht wird, mit welchem er mittels
Reibung Feuer erzeugt ]). In diesem Feuer verbrennt er das Haar, indem er
Verse singt, von denen uns freilich eine nur unklare Übersetzung vorliegt:
,,Die Ehre, die du suchest, mein Sohn,
Sie kam und ist nun vorüber!
Du warst geheiligt
Und bist nun gemein (?).
Die Kückkehr steht dir nun frei!
Hier bin ich, mein Sohn.
Ich habe mich erhoben.
Ich habe empfangen,
Ich bin befriedigt.''
i) Wenn diese Erzeugung des Feuers hier das Bild der menschlichen Zeugung ist,
wie es bei verschiedenen Völkern aufgefaßt wird, dann sehen wir abermals Haar und Leben
in enger Verbindung.
74 Kapitel XXXVr. Haaroperationen am Kinde. Das Haar, ein Bild des Lebens.
Dabei röstet er ein Stück Farnkrautwurzel, berührt mit ihr des Knaben
Kopf und Schultern und ißt sie; damit schließt die Zeremonie.
In Japan rasiert man den Kindern den Kopf, wenn sie 30 Tage alt
sind, worauf sie gereinigt und festlich geschmückt von der Mutter in den
Tempel getragen werden. Hier opfert sie einige Münzen und bringt dem
Familiengott (?) ihren Dank dar. Dann wird das Kind den Verwandten gezeigt
und von ihnen beschenkt. Vom 11. Tag des 11. Monats an, der wieder feierlich
begangen wird, rasiert man dem Kind, (wohl nur den Knaben) das Haar von
gewissen Stellen des Kopfes; an den übrigen läßt man es wachsen bis zum
15. Jahre. Dann schneidet ihm der Pate die vordere Haarlocke ab; der junge
Japaner wechselt seinen Namen und gilt nun als heiratsfähig. Die Haarlocke
wird bis zum Tod des jungen Mannes aufbewahrt und dann seiner Leiche mit
in den Sarg gegeben. Sie scheint
Bild
das
des
demnach auch hier
Lebens zu sein.
Im (dravidischen?) Malabar,
südwestliches Vorderindien, wird
die Haarschur bei Knaben mit Exor-
zismus verbunden. Das abgeschnittene
Fig. Ji'.r. Ein japanisches Kind wird rasiert.
Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Fig. 268. Kinderhaartracht in Japan. Nach einem
Modell im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Haar wird dem Dämon, von welchem der Knabe besessen sein soll, zur
Besänftigung geweiht.
Die (nicht-arischen) Munda-Kolh in Nagpur, Vorderindien, verbinden
den ersten Haarschnitt mit der Aufnahme des Kindes in den Stamm und mit
den Zeremonien der Reinigung seiner Mutter. Zu dieser Gelegenheit wird
zunächst das Haus gestöbert; dann opfert man dem Singbona ein weißes Huhn
\uu\ sprengt das Opferblul im gereinigten Haus umher. Hierauf schneidet
i dem Kind etwas Haar von der Mitte des Kopfes und reibt die Stelle
Opferblut ein?),
. Mongolen in Canton, verbinden, ähnlich den Japanern,
Rasieren des Kopfes mit dem Dankfest (Tschut-gut), und wie diese,
auch die Miaotse den 3»>. Tag nach der Geburt für die beiden
ü gleichen Tag geben sie dem Kind seinen Namen. Vom
fchr an wird nicht mehr der ganze Kopf, sondern nur noch die
Seiten?) rasiert (Kröszyk).
§ 226. Das Schneiden u. Rasieren a. religiöser Akt b. malayiseh-polynesischeu Völkern usw. 75
In der Mongolei ist die Haarschur bei jenen Knaben, welche von ihren
Eltern schon im zartesten Alter zu Lamas bestimmt sind, eine Vorbereitung
zu ihrem Stand (Huc-Gabet).
Im alten Guatemala verbanden die Mayas das erste Haarschneiden,
sowie die ersten Geh- und Sprechversuche mit Opfern, Gastmählern und
Lustbarkeiten. Das abgeschnittene Haar wurde verbrannt. Da zu den Tauf-
zeremonien1) der 9 — 12 jährigen Mayakinder auch das Herausschneiden eines
Haarschmuckes aus Glasperlen durch den amtierenden Priester gehörte, und
da ferner der Priester bei. der Taufe den Knaben die weißen Baumwollbinden
abnahm, mit welchen ihnen die Mütter bis dahin das Haupthaar zusammen-
gehalten hatten, so ist wohl anzunehmen, daß die Mayas von der ersten Haar-
schur an das Haar bis zur Taufe wachsen ließen, daß aber das Heraus-
schneiden des Haarschmuckes (mit einem Steinmesser) bei der Taufe seiner
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Fig. 269. Japanische Kinderhaartrachten. Nach Modellen im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
zweiten Haarschur gleichkam. Auf jeden Fall trugen beide Akte religiösen
Charakter.
Die alten Mexikaner (Nahua) hielten die abgeschnittenen Haare so hoch,
daß sie sie in einem schön gearbeiteten, mit Götterbildern bemalten Kästchen auf-
bewahrten. Diese Haare stammten von der ersten und letzten Haarschur des
Kindes. Die erste fand am Neugebornen, die letzte an der Leiche statt, der
man nur wenig, und zwar vom Scheitel abschnitt. Das Haar erinnerte sie
an die Seele, den Geburts- und Todestag des Kindes.
Die indogermanische Patenschaft des Haarschneidens hat eine
Parallele auch im alten Peru. Die Peruaner des Inkareiches verbanden die erste
Haarschur mit der Namengebung und Entwöhnung ihrer zweijährigen Kinder (vgl.
Kap. „Namengebung"). Da zur Haarschur und Namengebung des Thronfolgers
der Hohepriester aus dem Sonnentempel Gevatter stand, und da zu den
üblichen Geschenken bei der dreifachen Zeremonie der Haarschur, Namen-
gebung und Entwöhnung auch Opfertiere gehörten, so unterlag zweifellos auch
hier ein religiöser Gedanke.
]) Siehe Kap. XV.
7G Kapitel XXXV. Haaroperationen am Kinde. Das Haar, ein Bild des Lebens.
Alle Verwandten versammelten sich zu diesem Fest, welches bei Kindern
wohlhabender Eltern 3—4 Tage, bei königlichen Prinzen und Erstgebornen
reiner Rasse volle drei Wochen währte. Der Pate mit seinem Feuermesser
machte den ersten Schnitt; ihm folgten die übrigen Anwesenden nach Alter
und Würde, wobei jeder seine Geschenke an Opfertieren, Waffen, Kleidern,
Trinkgefäßen, kostbaren Federbüschen u. a. m. übergab. Die Festfreude kam
in Trinkgelagen, Tanz und Gesang zum Ausdruck, was bis in die Nacht hinein
währte.
Haarschar mit Hinzuziehung von Paten ist ferner bei Völkern, auf
welche der folgende Paragraph zurückkommt, nachgewiesen.
Hier sei noch ein Seitenstück zu einigen weiter oben erwähnten Neger-
völkern erwähnt: Wie diese, so überließen auch die jetzt ausgestorbenen
Abiponer in Paraguay die erste Haarschur dem Zauberer (paje), den sie schon
einige Stunden nach der Geburt eines Kindes herbeiriefen. Der Zauberer schnitt
dem Neugebornen, gleichviel ob Knabe oder Mädchen, einige Haare am Vorder-
kopf ab und erhielt dafür ein Geschenk. —
§ 227. Das zeremonielle Schneiden und Basieren der Kopfhaare ohne
nachgewiesene religiöse Bedeutung.
Wie so manche andere Völker im vorigen Abschnitt, so ziehen auch die
transsylvanischen Zeltzigeuner zum ersten Haarschneiden ihrer Kinder
einen Paten, oder wie von Wlislochi schreibt, einen Beistand (koma) hinzu.
I »ieser gießt dem Kind nach der Handlung drei Eier von einer schwarzen
Henne') auf den frischgeschorenen Kopf, nachdem der Inhalt der Eier2) in
Salzwasser aufgelöst worden ist. In Kap. LI wird die Haarschur dieser Zigeuner
in Verbindung mit dem sogenannten Mutterrecht erwähnt, d. h. es wird dort
berichtet, daß ein Witwer nur dann noch als Mitglied der Sippe seines ver-
storbenen Weibes gilt, wenn er zur ersten Haarschur seines Kindes aus zweiter
Ehe einen Beistand aus jener Sippe nimmt. Die Haarschur-Patenschaft hat
also beim Zigeuner mehr bindende Kraft als die Vaterschaft; denn nicht die
in der Sippe seines Weibes lebenden Kinder erster Ehe verbinden ihn nach
dem Tod seiner Gattin mit dieser Sippe, sondern der Haarschurpate (vgl. damit
die sehr ähnliche Auffassung der Serben im § 224). Es handelt sich bei den
transsylvanischen Zeltzigeunern vielleicht um den Gedanken der geistigen
\\ Ledergehurt durch die Haarschur und um deren höheren Wert als den der
leiblichen (leburt. —
Von den alten Kömern wissen wir, daß sie den ersten Haarschnitt mit
der Namengebung verbanden. —
Im alten Ägypten hing die Haarschur, von religiösen Gelübden ab-
gesehen, auch mit Alter und Stand zusammen. Die Knaben im allgemeinen
schor man so. daß ihnen mehrere Haarbüschel stehen blieben, wie im heutigen
Ägypten, Japan und China, sowie bei gewissen Negervölkern (siehe Fig. 2G2).
Jugendliche Prinzen trugen als Zeichen der Kindheit einen einzigen geflochtenen
Eaarbüschel, der vom Wirbel ausging und hinter dem ( ihr auf den Nacken nieder-
fiel. Eaivlinson wies auf eine Stelle bei Lucianus Irin, nach welcher in
Ägypten das geflochtene Haar bis zum Eintritt der Mannbarkeit ein Zeichen
der freien Geburl der Knaben war. während in Griechenland das geflochtene,
zurückgekämmte Haar die gegenteilige Bedeutung hatte. -- Nach Bawlinsov
l) [m lien mußten ea schwarze Opfertiere sein, welche in gewissen Notlagen,
''■■ B. bei Du irhörungen bewirken sollten. — Nach Bachofen war sowohl im alten
1 i als im alte □ schwarz das Bild der Fruchtbarkeit — Vielleicht,
■ Licht auch niif die schöne, aber (und?) schwarze Braut im Hohen Lied.
-' !' Eier als Zeichen des L bens und der Fruchtbarkeit sind bekannt.
§ 227. Das zeremonielle Schneiden u. Rasieren d. Kopfhaare ohne religiöse Bedeutung. 7i>
neuzeitlichen China findet das Basieren bereits nach einem Monate statt.
Freunde und Verwandte werden dazu geladen und es geht dabei so hoch her
wie bei einer europäischen Taufe.
Die Siamesen treiben einen wahren Kult mit dem Haar ihrer Kinder,
das sie bei drei- oder vierjährigen so rasieren, daß auf dem Scheitel, etwas
nach vorn zu, ein runder Schopf bleibt. Diesen Schopf knüpft man in einen
Knoten, welcher bei Armen durch einen Stachel
vom Stachelschwein zusammengehalten wird;
Wohlhabende ersetzen diesen Stachel mit einer
silbernen oder goldenen, juwelenbesetzten Nadel,
l'in den Schopf legen sie einen Perlenkranz, an
den Festtagen einen Kranz aus den wohl-
riechenden Blüten der weißen „Liebesblume"
der Malaven. Ja, H. Hillmann schreibt, dieser
Haarbüschel werde, so lange er auf dem Kopf
des Kindes steht, mit großer Ehrfurcht be-
handelt. Man schneidet ihn unter feierlichen
Zeremonien ab, nachdem das Kind 12 — 13 Jahre
alt geworden ist.
Haarschur, Patenschaft und Namengebung
linden wir dann wieder bei den Antillen-
Karaiben des 17. Jahrhunderts miteinander
verbunden. Wenn der Karaibe seine strenge
Fasten vollendet (vgl. „Couvade") und weitere
acht Tage hinter sich hatte, dann erbat er einen
seiner besten Freunde zum Paten seines Sohnes,
oder eine Freundin zur Patin seiner Tochter.
Dem Kind sollte am Vorderkopf etwas Haar
abgeschnitten und die Ohrläppchen, Nasen-
löcher und Unterlippe durchbohrt werden1). Das
leitete man durch einen Schmaus ein. Die drei
letzteren Operationen wurden bei sehr schwäch-
lichen Kindern ein Jahr hinausgeschoben, der
Name aber, wie schon angedeutet, am Tag des
ersten Haarschneidens gegeben. Den Paten
salbten die Eltern aus Dankbarkeit den Hals
mit Palmöl (Du Tertrc). — De Rochefort er-
wähnte ein Fest des Haarschneidens, wenn das
Kind etwa 2 Jahre alt geworden war. Die ganze
Familie feierte es'-').
Die christlichen Aymara-Indianer in
Bolivia sehen heutzutage in der Haarschurfeier
eine willkommene Gelegenheit zur Berauschung,
wie Ch. X. im Globus (Bd. 51) schrieb. Die
Haarschur wird an den Säuglingen, welche
allerdings 3 — 4 Jahre alt sein können, vorgenommen. An dem hierfür be-
stimmten Abend versammeln sich die Taufpaten des Kindes mit sonstigen
Freunden und Verwandten in der Hütte der Eltern, die sie geladen haben.
Manchmal erscheint auch der Ortspfarrer. In der Mitte des Baumes steht
auf einem gedeckten Tisch eine silberne Schale mit einer Schere, und daneben
eine Flasche Branntwein und ein silberner Becher.
Fig. 272. Haartracht der Kaia-Kaia
in Niederländisch - Neiigu inea.
Nach H. Nolten im „Anthropos" IV, 608,
Tafel IV.
i) Vgl. Kap. XXXVII.
-) Vgl. Rcnz, Des Indianers Familie, Freund and Feind, S. 66.
80 Kapitel XXXV. Haaroperationen am Kinde. Das Haar, ein Bild des Lebens.
Zum Beginne der Feier schüttet man dem Kind einen tüchtigen Schluck
Branntwein ein und zwingt es trotz seinem mörderischen Geschrei, einen
Mund voll Kokosblätter zu kauen. Dann reichen die Eltern dem Angesehensten
unter den Gästen einen Becher voll Branntwein, damit er das Haarabschneiden
vornehme. Der Mann leert den Becher und spricht: „Im Namen des Vaters,
•des Sohnes und des hl. Geistes. Sei ein guter Christ und gehorsamer Sohn:
sei arbeitsam und reich, besitze viele Schafe, Ochsen und Lamas.1' Hierauf
schneidet er einen Büschel Haare ab und legt ihn mit einem Goldgeschenk
in die Schale. Nach ihm wiederholen die übrigen Festgäste die gleiche
Zeremonie und bringen je nach ihren Verhältnissen ihre Geldspenden dar.
Sind 15—20 Taler beisammen, so kauft man dafür Spirituosen und veranstaltet
ein lärmendes Gelage, bei welchem unter den Klängen von Saiteninstrumenten
und Pfeifen ein Rundtanz aufgeführt wird. Das Ganze endet mit der Morgen-
dämmerung und allgemeinen Räuschen. —
§ 228. Varia.
Außer den im vorliegenden Kapitel bisher referierten Mitteilungen von
Bräuchen und Anschauungen liegen uns einige andere vor, welche in den
Rahmen weder des einen noch des anderen Abschnittes passen, nichtsdesto-
weniger aber ein wissenswerter Beitrag zu diesem Kapitel genannt werden
können. Was darin unklar ist. harrt, wie so vieles andere, einer zukünftigen
Klärung; vielleicht ergänzt das eine oder andere gewisse Erscheinungen der
vorhergehenden Paragraphen.
Beim Volk Israel galt einerseits das ungeschorne Haar als Zeichen,
daß der Träger Gott gelobt ist. Im vierten Buch Moses, Kapitel 6, ist
Männern und Weibern, welche sich dem Herrn, als Nasiräer, auf eine be-
stimmte Zeit weihen, vorgeschrieben, es soll während dieser Zeit kein Scher-
messer über ihr Haupt kommen. — Kleine Kinder wurden ausdrücklich mit
Einschluß dieses äußeren Zeichens Gott gelobt. Ein Beispiel hierfür ist
Samuel, dessen anfangs unfruchtbare Mutter ihn mit dem Gelübde erflehte,
wenn Jehova ihr einen Sohn schenke, so wolle sie ihn ihm geben alle Tage seines
Lebens, ..und kein Schermesser soll über sein Haupt kommen" (1. Samuel 1. II)1).
Andererseits ist bei 4. Mos. 8, 7 die Enthaarung des ganzen Körpers als
Reinigungszeremonie bei der Levitenweihe vorgeschrieben. Ob es sich hier
auch um das Haupthaar handelt, ist unklar. Übrigens glaube ich, daß 4. Mus.
0, 18 und 19 ein Haaropfer zu Ehren Jehovas enthält, welches der Nasiräer
am Abschluß seiner Weihezeit neben anderen Gaben darbringt: „Dann schere
der Nasiräer an der Tür des Versammlungszeltes sein geweihtes Haupt; und
nehme das Haar seines geweihten Hauptes, und werfe es in das Feuer,
das unter dem Dankopfer ist." (Dieses Dankopfer bestand aus einem fehler-
losen Widder und ungesäuertem Brot mit Öl Übergossen, bzw. bestrichen.) —
Rasieren des Kindskopfes als Volksbrauch ohne Angabe der dabei
beobachteten Zeremonien ist mir von den Negern der Goldküste bekannt,
welche dabei so vorgehen, daß das stehenbleibende Haar geometrische Figuren
bildet l 1 ortisch).
Die Batak lassen an einer beliebigen Stelle einen Busch oder Kranz von
Haaren stehen; das übrige wird wegrasiert,. Die Ansicht Frhr. von Brennen,
daß hierbei Reinlichkeit und Förderung des Haarwuchses maßgebend seien,
dürfte nach einer Vergleichung der tieferen Bedeutung der Haaroperationen
bei anderen Völkern kaum ausreichend begründet sein.
l) Vgl. indessen die Haarschur am ganzen Körper bei Einweihung der Leviten 4. Mos. 8, 7.
§ 228. Varia. 81
Ausraufen der Kopfhaare berichtete Spix von den Tecunas-Indianern
am oberen Solimoes. Brasilien. Diese Handlung findet am Neugebornen
statt und ist mit einem wilden Fest verbunden, dessen Teilnehmer groteske
Masken tragen, welche Tiere des Waldes darstellen.
Ausreißen der Augenwimpern berichtete Rechenow aus Kamerun.
Dieser Operation werden hauptsächlich die Mädchen unterworfen ; sie sei wahr-
scheinlich an der dort häufigen Augenentzündung schuld.
Die Pima-Indianer in Mexiko unterwarfen im 18. Jahrhundert ihre
f> — 12 Monate alten Kinder der gleichen Operation, gingen aber in der Grausam-
keit noch weiter, d. h. sie erweiterten die Löchlein mit einem spitzen Dorn
und rieben gestoßene Kohle hinein. Die dabei gebräuchlichen Paten siehe
in Kapitel XXXV IL
Die Andaman-Insulaner im Bengalischen Meerbusen scheren ihre
Kinder am Morgen nach dem Tage der Geburt. Fände die Schur am ersten
Tage statt, dann zöge sie dem Kind den Tod herbei (Jagor).
Die Todas im Nilgiri-Gebirge, südliches (nichtarisches) Vorderindien,
scheren ihre Neugebornen beiderlei Geschlechts nach 1 — 2 Monaten. Bei den
Mädchen wird die Schur bis zum 12. Jahr wiederholt unternommen, wobei
nur ein drei Finger breiter Streifen über der Stirn stehen bleibt. Erst vom
12. Jahr an darf das Haar lang wachsen (derselbe).
Die Nair in Malabar warten mit der ersten Haarschur, bis ihre Söhne
und Töchter 3 — 5 Jahre alt geworden sind (derselbe). —
Schließlich mögen hier noch zwei Formen des Aberglaubens erwähnt
werden, die sich im bayrischen Schwaben und in der deutschen Schweiz
erhalten haben : Hier wird das Haar grauslockig, wenn man es zum erstenmal
im Zeichen des Widders schneidet; im Zeichen des Löwen wird es grau. Im
bayrischen Schwaben darf das Haar nicht beim abnehmenden Mond ge-
schnitten werden, soust wächst es nicht mehr. —
Ploß-Renz, Das Kind. S. Aufl. Band H.
Kapitel XXXVI.
Operationen am Kindesschädel.
§ 229. Wie die höchststehenden Kulturvölker der Jetztzeit von der
Mode des Korsetts, so werden und wurden niedererstehende Völker von der
Mode der Sehädelverbildung beeinflußt. Aber auch einzelne Völker der höchsten
Kulturstufen huldigen ihr. Man will und Wollte den Kopf des Kindes nicht
lassen wie er, vou der Natur gebildet, ans dem Mutterschoße kam, sondern
glaubt und glaubte, ihm durch mechanische Eingriffe eine schönere Form geben
zu sollen.
Diese merkwürdige Auffassung findet sich meines Wissens, mit Aus-
nahme der Völkergruppe mit isolierenden Sprachen, deren bekanntester Zweig
die Chinesen sind1), i» allen übrigen Völkerfamilien der Erde, wenn auch
nicht bei allen ihren Zweigen.
Der Modegeschmack der Völker in dieser Hinsicht kann im Verhältnis
zu dem geographisch weiten Gebiet der künstlichen Deformation nicht sehr
produktiv genannt werden, was sich allerdings einigermaßen von selbst erklärt,
wenn man an die beschränkte Oberfläche des Schädels und an seine relative
[Jnbildsamkeit denkt.
Als zwei Hauptformen werden im vorliegenden Kapitel wohl zunächst
die I. angköpfe und die Rundköpfe zu unterscheiden sein, welche als künstliche
Gebilde zuweilen aber auch bei ein und demselben Volke nebeneinander nach-
weisbar sind. z. B. in Frankreich und in der Schweiz. Jedenfalls finden sie
sich innerhalb der einen oder andern Völkerfamilien beisammen, z. B. in der
indo-europäischen. —
Diese beiden Hauptformen treten dann wiederum unter verschiedenen
Modifikationen auf: keil-, kegel-, zuckerhut-, walzen- oder zylinderförmig, auf
einer oder beiden Seiten abgeplattet, breite oder abgeplattete Stirne, monströs
zurückgeschobenes Hinterhaupt, künstlicher Prognathismus usw.
Als Mittel zur Schadeldeformation finden wir Streichen und Drücken
mit den Bänden, straff angezogene Haarbänder2), enganschließende Hauben mit
und ohne besondere Preßapparate aus Metall oder einem andern widerstands-
fähigen Material. Kompressen aus Baumrinden, getrocknete Formen aus Erde
oder Töpferton, Saudsäckchen, Stofflappen mit aufgenähten Strohhalmen, ein
oder zwei Bretter, auf welches bzw. zwischen welche der Kopf gepreßt wird,
kahnförmige Wiegen mit Koinpressionsapparaten u. a. m.
Die Zeitdauer, während welcher das Kind dieser Tortur unterworfen
wird, variier! zwischen einigen Tagen und der ganzen Jugendzeit bis aar
') l ;t.ri<,'.-ns scliriili Floß (2. Aull. 1. :s-JH). Gosse habe behauptet, die „Siamesen"
Sehädelverbildung dumm und grausam. Demnach hätte auch die Vöikergruppn
Sprachen diesen Brauch aufzuweisen.
'■' A'M'h angewollte Vorbildungen sind auf solche Haarbänder zurückzuführen (Schiig).
§ 229. Operationen am Kindesschädel. 83
Verheiratung. Das letzte Extrem finden wir merkwürdigerweise im neuzeit-
lichen Frankreich.
Immer aber scheint der Beginn der Operation mit der zartesten
Kindheit zusammenzufallen.
Die mir bekannte Motivierung der Deformation lautet meistens auf
Schönheit. Neben oder statt ästhetischen Gründen und Zwecken begegnen
wir aber auch praktischen und religiösen. Der religiöse Charakter ist besonders
deutlich in den Berichten aus dem alten Mexiko ausgedrückt. Hier finden
wir ferner die Anschauung, daß die Zeremonie der Schädelpressung das
Wachstum des Kindes befördere. Wahrscheinlich ist diese Anschauung eng
mit der Feier der Zeremonie am Feste des Feuergottes, als apotheosierte
Fruchtbarkeit, verknüpft. Ferner dient die Deformation als Zeichen der vor-
nehmen Geburt und des reinen Stammblutes, bzw. des Rassenuuterschiedes.
Bei den meisten der in diesem Kapitel eingeführten Völkern begegnet
uns die Deformation als Begel; bei den wenigsten als Ausnahme.
Eine Benachteiligung der intellektuellen Fähigkeiten und des körperlichen
Gedeihens durch die Schädelverbildung ist bisher, allgemein gesprochen, nicht
stichhaltig nachgewiesen worden. Wohl gibt es Völker, welche diesem Brauch
huldigen und als wenig bildungsfähig gelten; allein andere Völker mit dem
gleichen Brauch sind im Kuf intellektuell höher zu stellen, als ihre Nachbarn,
welche ihren Schädeln die natürliche Form lassen. Beispiele hierfür finden sich
in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels. Ebenso finden sich hier auch Be-
lege dafür, daß künstliche Schädeldeformation, von den Ausnahmsfällen bei
den alten Maya-Völkern abgesehen, die Kindersterblichkeit nicht erhöht, und
daß Völker mit diesem Brauch trotzdem zu den kräftigsten und stattlichsten
Völkern der Erde gehören. Freilich wird auch in diesem Punkte zu bedenken
sein, daß der Überschuß an Körperkraft, welchen der Barbar und Halbbarbar
in sich trägt, und die verhältnismäßig geringen Anforderungen, welche die
Kultur seines Volkes an seinen Geist stellt, zwei Faktoren sind, welche den
Einfluß der Schädelverbildung wohl eher neutralisieren können, als es einem
Kulturmenschen Europas möglich sein dürfte. Wenigstens schrieb Ploß1) mit
einem Hinweis auf Broca'-). daß in Frankreich eine Prädisposition zu Geistes-
krankheiten in Gegenden, wo tSchädelverbildung gebräuchlich ist, vorzuherrschen
scheine. Auch haben Forille, Delaye und Lunier ihrerzeit an vielen Geistes-
kranken in französischen Irrenhäusern künstliche Schädelverbildung bemerkt.
Der letztere Punkt beweist allerdings unter einer Bevölkerung, welche diesem
Brauch im allgemeinen huldigt, nicht, daß gerade bei diesen Individuen die
Geisteskrankheit von der Schädelverbildung herrühre, sonst müßte die gleiche
Ursache auch bei den auderu die gleiche Wirkung haben.
Übrigens möchte ich meinen Lesern nicht vorenthalten, was Ploß im
Hinweis auf Rüdinger, Broca und Ecker über die Einwirkung der Schädel-
verbildung auf die Physiologie und Anatomie des Gehirns schrieb: Wenn ein
Druck auf den Kopf nur an einzelnen Stellen stattfindet, dann ist für das
Gehirn die Möglichkeit gegeben, nach druckfreien Seiten hin auszuweichen,
und dieses kann um so leichter ohne hochgradige Beeinträchtigung der Gehirn-
funktion geschehen, wenn der Druck einseitig, allmählich und nicht allzu stark
ist. .Ie allseitiger und je intensiver aber der Kopf gedrückt wird, um so mehr
muß das Wachstum des Gehirns uud des Schädels leiden. ,.Ohne Nachteil für
die Intelligenz," meinte Rüdinger, ,.kann die starke, mehrere Jahre fortgesetzte
Kompression schon deshalb nicht sein, weil die normale Füllung der Gefäße
des Gehirns mit Blut und die hiervon abhängige Ernährung desselben nicht
unbehindert vor sich gehen kann." —
') 2. Aufl. I. 329.
*) Broca im Bulletin de la soc. anthr. 1879, p. 417.
6*
84. Kapitel XXXVI. Operationen am Kindesschädel.
Tatsächliche anatomische Veränderungen des Gehirns durch künstliche
Schädelverbildung sind in Frankreich an einem 62jährigen Mann aus Albi
und an einer Frau aus Toulouse nachgewiesen worden: »Starke Ver-
wachsung der harten Hirnhaut mit dem Schädel, bedeutende Abflachung der
Stirnlappen und starke Reduktion der Scheitellappen in ihrem äußeren und
oberen Teil. —
Wie schon oben bemerkt, beginnen die Völker mit der Schädelverbildung
im zartesten Alter ihrer Kinder: Einzelne schon am Tag der Geburt; die
übrigen bald darauf. Die Schädelknochen des Neugebornen sind ja auch
elastisch und untereinander noch nicht verwachsen. Zwischen diesen Knochen
befinden sicli die Nähte und Fontanellen, d. h. Streifen und Stellen, an welchen
die Knochensubstanz noch fehlt. Diese Elastizität und Verschiebbarkeit der
Knochen zusammen ermöglichen eine Formveränderung durch andauernden
Druck. Dauert dieser Druck so lange bis die Schädelknochen ihre spätere
Festigkeit erlangt und die Nähte und Fontanellen durch Ansatz von Knochen-
substanz sich geschlossen haben, dann behält der Schädel jene Eindrücke
und Ausgleichungen, welche durch den mechanischen Druck herbeigeführt
worden sind.
Eine entscheidende Antwort auf die Frage nach dem Ursprung dieses
Brauches und nach den Wegen, auf welchen er sich ausgebreitet hätte, wenn
der Ursprung ein einheitlicher gewesen wäre, ist heute noch ebenso unmöglich
wie zu Virchows Zeh, der schrieb:
Wenn wir das Gebiet dieser Deformitäten sich so weit über die Erde
erstrecken sehen, so wird man sich wohl darein finden müssen, anzunehmen,
daß. durch eine gewisse Übereinstimmung des menschlichen Geistes, wie sie
uns auch sonst oft genug überrascht, derartige Gebräuche sich an den ver-
schiedensten Orten festgestellt haben, ohne daß man daraus Folgerungen
auf einen direkten Zusammenhang der Völker ziehen darf, und ohne daß man.
was meiner Meinung nach das Wichtigste ist. von dem Vorkommen gewisse]
Schädeldeformitäten berechtigt ist. auf die Abstammung der Völkerschaften
und auf prähistorische Wanderungen derselben zurückzuschließen.
Virchow spricht damit, wenn auch nicht formell, seine Übereinstimmung
im! den hypothetischen „Elementargedanken" aus. — Übrigens glaubte Virchow,
den Brauch der künstlichen Schädeldeformation von zufälligen Defor-
mationen herleiten zu können, welche durch die Lage des Kindes im Mutter-
schoß herbeigeführt werden1)- Nach seiner Erfahrung werden „nicht ganz
wenige" Kinder mit auffälligen Druckwirkungen am Schädel geboren. Solche
Druckwirkungen können durch den Widerstand der Beckenknochen oder ge-
wisser Teile des Köms selbst, oder eines Zwillingskindes verursacht werden.
Schädelveranstaltungen werden auch während der Geburt herbeigeführt; andere
wieder sind erblich, oder pathologisch. Auch lang dauernde Rückenlage,
besonders bei harter Unterlage, wie sie nicht nur in den folgenden Abschnitten
dieses Kapitels, sondern auch in den Kapiteln XIII und NIV des L.Bandes
childert ist. führen beim zarten Kind, auch unbeabsichtigt. Schädeldeforniation
herbei, und können so den ersten Anstoß zur absichtlichen Verbindung gegeben
haben.
Mehr als den Wert einer Hypothese hat dieser Erklärungsversuch
aber, wie gesagt, nicht. —
unvergleichlich weniger Material als über die hier angedeuteten Schädel-
verbildungen liegt mir über die Schädeldurchlöcherung (Trepanation)
vor. Ein Überblick über dieses ist in § *32 so leicht, daß ich hier davon
absehen kann. —
Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1892, 24. Jahrg. Supplement, S. 51. und 20 f.
§ 230. Die künstliche Schädelverbildung bei Völkern der alten Welt und bei den Eskimos. 85
§ 230. Die küustliche Schädelverbildung bei Völkern der alten Welt
und bei den Eskimos.
In Bannu, nordwestliches Britiscb-Indien, sind breite Stirnen sehr
beliebt. Um nuu ihren Kindern diesen Vorzug zu versebaffen, legen die Mütter
ihren Neugebornen Tonformen auf und betten den Körper des Kindes höher
als den Kopf, um so den Druck gegen das Gehirn zu vermeinen (Krebel).
Die Hebammen der Armenier im transkaukasischen Gouvernement
Eriwan suchen dem Neugebornen den Kopf nach ihren Schönheitsbegriffen
dadurch zu bilden, daß sie ihm vom 15. Lebenstag an nach jedem Bad mit
der rechten Hand, vorsichtig drückend, vom Nacken über den Scheitel fahren,
wobei sie mit der linken Hand den Unterkiefer des Kindes stützen. Ähnliches
geschieht bei den dortigen Kurden und Tatareu.
Ebenso drücken die russischen Hebammen und Badefrauen dem Neu-
gebornen am dritten Tag den Kopf von allen Seiten, um ihm die richtige
Form zu geben, wie sie meinen (Krebel).
Die Thraker und Mazedonier hatten, wie der römische Arzt Soranuä
im Jahre 100 n. Chr. schrieb, die Gewohnheit, ihre Kinder auf ein Brett zu
binden, damit Hinterkopf und Nacken breit würden.
Nach Seobel gehören die Thraker und „wohl auch die Mazedonier" zur
westlichen Abteilung der indoeuropäischen Völker. — Die Grenzen der Gebiete
beider Völker haben im Laufe der Jahrhunderte stark geschwankt. Herodot
erwähnte die Thraker als eines der größten Völker des südöstlichen Europas.
Zur Zeit des kaiserlichen Korns, also auch zur Zeit des Soranus, war aber
bereits der Hämus (Balkan) thrakische Nordgrenze; südwestlich lag und
liegt Mazedonien. Somit ist durch die obige Mitteilung des Soranus künstliche
Umgestaltung des Schädels auf der Balkanhalbinsel, und zwar bei Indo-
Enropäern, nachgewiesen.
Zur indo-europäischen Völkerfamilie, und zwar zur germanischen
Gruppe, gehörten feiner die Cimbern. Als Cimbern-Schädel aber konstatierte
Brocii sechs künstlich deformierte Schädel, welche in den siebziger Jahren
des 19. Jahrhunderts in Transkaukasien1), bei Tiflis, Gouvernement
Grusien, gefunden, von u. Barr als Avarenscbädel erklärt uud von Bayern
Iberern zugesprochen worden sind.
Die Iberer oder Basken sind nach den neuesten Forschungen Heinrich
WinJclers2) zu den sogenannten Kaukasus-Völkern zu rechnen; die Avaren
aber sind ein Turkstamm, also Dral-Altaien. Auf beide komme ich später
zurück. Indessen sei bemerkt, daß man auch in Niederösterreich künstlich
deformierte Schädel fand, welche man als „Avarenscbädel-1 bezeichnete, die
aber nach neueren Untersuchungen Germanenschädel sind. Es ist das der
im Jahre 182(> zu Feuersbrunn, Herrschaft Gravenegg, und der im Jahre
1840 in Atzgersdorf bei Wien gefundene Schädel, von denen -4. Schliz
schreibt, ihre ethnische Zugehörigkeit sei durch keine Beigaben belegt und
sii schlössen sich somalisch den in germanischen Gräbern gefundenen Schädeln
an. Zu diesen gehört ein deformierter Schädel, welcher schon im 18. Jahr-
hundert in Göttingen gefunden wurde; feiner der bei Niederolm zwischen
Mainz und Alzey in einem fränkischen Totenfeld entdeckte Frauenschädel.
Undenschmit hatte die Gräber dieses Totenfeldes als merovingisch erklärt,
und J'ln/i sah darin einen Beweis, daß unter den Franken jener Zeit, wenn
1) Die wichtige Holle, welche der Kaukasus als Fundort verbildeter Schädel in
diesem Abschnitte spielt, legte eine Abweichung in der in diesem Werke regelmäßig einge-
haltenen Reihenfolge der Völker nahe. Somit folgen hier die Ural- Altaien in ihren turk-
tatarischen Zweigen unmittelbar auf die Ind oeuropäer.
2) Das Baskisehe und der vorderasiatische mittelländische Völker- und Kulturkreis.
Breslau 1909.
3-i Kapitel XXXYL Operationen am Kiudesschädel.
Tatsächliche anatomische Veränderungen des Gehirns durch künstliche
Schädelverbildung siud in Frankreich an einem 62jährigen Mann aus Albi
und an einer Frau aus Toulouse nachgewiesen worden: Starke Ver-
wachsung der harten Hirnhaut mit dem Schädel, bedeutende Abdachung der
Stirnlappen und starke Reduktion der Scheitellappen in ihrem äußeren und
oberen Teil. —
Wie schon oben bemerkt, beginnen die Völker mit der Schädelverbildung
im zartesten Alter ihrer Kinder: Einzelne schon am Tag der Geburt; die
übrigen bald darauf. Die Schädelknochen des Neugebornen sind ja auch
elastisch und untereinander noch nicht verwachsen. Zwischen diesen Knochen
befinden sich die Nähte und Fontanellen, d. h. Streifen und Stellen, an welchen
die Knochensubstanz noch fehlt, Diese Elastizität und Verschiebbarkeit der
Knochen zusammen ermöglichen eine Formveränderung durch andauernden
Druck. Dauert dieser Druck so lange bis die Schädelknochen ihre spätere
Festigkeit erlangt und die Nähte und Fontanellen durch Ansatz von Knochen-
substanz sich geschlossen haben, dann behält der Schädel jene Eindrücke
und Ausgleichungen, welche durch den mechanischen Druck herbeigeführt
worden sind.
Eine entscheidende Antwort auf die Frage nach dem Ursprung dieses
Brauches und nach den Wegen, auf welchen er sich ausgebreitet hätte, wenn
der Ursprung ein einheitlicher gewesen wäre, ist heute noch ebenso unmöglich
wie zu Virchows Zeit, der schrieb:
Wenn wir das Gebiet dieser Deformitäten sich so weit über die Erde
erstrecken sehen, so wird man sich wohl darein finden müssen, anzunehmen,
daß durch eine gewisse Übereinstimmung des menschlichen Geistes, wie sie
uns auch sonst oft genug überrascht, derartige Gebräuche sich an den ver-
schiedensten Ort (Mi festgekeilt haben, ohne daß man daraus Folgerungen
auf einen direkten Zusammenhang der Völker ziehen darf, uud ohne daß man.
was meiner Meinung nach das Wichtigste ist, von dem Vorkommen gewisser
Schädeldeformitäten berechtigt ist, auf die Abstammung der Völkerschaften
und auf prähistorische Wanderungen derselben zurückzuschließen.
Virehow spricht damit, wenn auch nicht formell, seine Obereinstimmung
mit den hypothetischen „Elementargedanken" aus. — Übrigens glaubte Virehow,
den Brauch der künstlichen Schädeldeformation von zufälligen Defor-
mationen herleiten zu können, welche durch die Lage des Kindes im Mutter-
schoß herbeigeführt werden1). Nach seiner Erfahrung werden „nicht ganz
wenige" Kinder mit auffälligen Druckwirkungen am Schädel geboren. Solche
Druckwirkungen können durch den Widerstand der Beckenknochen oder ge-
wisser Teile des Fötus selbst, oder eines Zwillingskindes verursacht werden.
Schädelverunstaltungen werden auch während der Geburt herbeigeführt; andere
wieder sind erblich, oder pathologisch Auch lang dauernde Rückenlage,
besonders bei harter Unterlage, wie sie nicht nur in den folgenden Abschnitten
dieses Kapitels, sondern auch in den Kapiteln XIII und XIV des 1. Bandes
geschildert ist. führen beim zarten Kind, auch unbeabsichtigt. Schädeldeformation
hei bei. und können so den ersten Anstoß zur absichtlichen Verbilduug gegeben
haben.
Mehr als den Wert einer Hypothese hat dieser Erklärungsversuch
alicr. wie gesagt, nicht. —
Unvergleichlich weniger Material als über die hier angedeuteten Schädel-
verbildungen liegt mir über die Schädeldurchlöcherung (Trepanation)
vor. Ein Überblick über dieses ist in § *3ä so leicht, daß ich hier davon
absehen kann. —
i) In: Zeitschrift für Ethnologie, Berlin 1802. 24. Jahrg. Supplement, S. 5 f. und 201.
§ 230. Die künstliche Schädelverbildung bei Völkern der alten Welt und bei den Eskimos. 85
§ 230. Die künstliche Scliädelverbildung bei Völkern der alten Welt
und bei den Eskimos.
In Bannu, nordwestliches Britisch-Iiidien, sind breite Stirnen sehr
beliebt, Um nun ihren Kindern diesen Vorzug zu verschaffen, legen die Mütter
ihren Neugebomen Tonformen auf und betten den Körper des Kindes höher
als den Kopf, um so den Druck gegen das Gehirn zu vermehren (Krebel).
Die Hebammen der Armenier im transkaukasischen Gouvernement
Eriwan suchen dem Neugebornen den Kopf nach ihren Schönheitsbegriffen
dadurch zu bilden, daß sie ihm vom 15. Lebenstag an nach jedem Bad mit
der rechten Hand, vorsichtig drückend, vom Nacken über den Scheitel fahren,
wobei sie mit der linken Hand den Unterkiefer des Kindes stützen. Ähnliches
geschieht bei den dortigen Kurden und Tataren.
Ebenso drücken die russischen Hebammen und Badefrauen dem Neu-
gebornen am dritten Tag den Kopf von allen Seiten, um ihm die richtige
Form zu geben, wie sie meinen (Krebel).
Die Thraker und Mazedonier hatten, wie der römische Arzt Soranüä
im Jahre 100 n. Chr. schrieb, die Gewohnheit, ihre Kinder auf ein Brett zu
binden, damit Hinterkopf und Nacken breit würden.
Nach Scobel gehören die Thraker und „wohl auch die Mazedonier" zur
westlichen Abteilung der indoeuropäischen Völker. — DieGrenzen der Gebiete
beider Völker haben im Laufe der Jahrhunderte stark geschwankt. Serodot
erwähnte die Thraker als eines der größten Völker des südöstlichen Europas.
Zur Zeit des kaiserlichen Borns, also auch zur Zeit des Soranus, war aber
bereits der Hamas (Balkan) thrakische Nordgrenze; südwestlich lag und
liegt Mazedonien. Somit ist durch die obige Mitteilung des Soranus künstliche
Umgestaltung des Schädels auf der Balkanhalbinsel, und zwar bei Indo-
Europäern, nachgewiesen.
Zur indo- europäischen Völkerfamilie, und zwar zur germanischen
Gruppe, gehörten feiner die Cimbern. Als Cimbern-Schädel aber konstatierte
Broca sechs künstlich deformierte Schädel, welche in den siebziger Jahren
des 19. Jahrhunderts in Transkaukasien1), bei Tiflis, Gouvernement
Grusien, gefunden, von v. Barr als Avarenschädel erklärt und von Bayern
Iberern zugesprochen worden sind.
Die Iberer oder Basken sind nach den neuesten Forschungen Heinrich
Winklers2') zu den sogenannten Kaukasus-Völkern zurechnen; die Avaren
aber sind ein Turkstamm, also Ural-Altaien. Auf beide komme ich später
zurück. Indessen sei bemerkt, daß man auch in Niederösterreich künstlich
deformierte Schädel faud, welche man als „Avarenschädel" bezeichnete, die
aber nach neueren Untersuchungen Germanenschädel sind. Es ist das der
im Jahre 1820 zu Feuersbrunn, Herrschaft G ravenegg, und der im Jahre
184t; in Atzgersdorf bei Wien gefundene Schädel, von denen .4. Schliz
schreibt, ihre ethnische Zugehörigkeit sei durch keine Beigaben belegt und
sie schlössen sich somalisch den in germanischen Gräbern gefundenen Schädeln
an. Zu diesen gehört ein deformierter Schädel, welcher schon im 18. Jahr-
hundert in Göttingen gefunden wurde; feiner der bei Niederolm zwischen
Mainz und Alzey in einem fränkischen Totenfeld entdeckte Frauenschädel.
Lindenschmit hatte die Gräber dieses Totenfeldes als merovingisch erklärt,
und Ploß sali darin einen Beweis, daß unter den Franken jener Zeit, wenn
x) Die wichtige Bolle, welche der Kaukasus als Fundort verbildeter Schädel in
diesem Abschnitte spielt, legte eine Abweichung in der in diesem Werke regelmäßig einge-
haltenen .Reihenfolge der Völker nahe. Somit folgen hier die Ural-Altaien in ihren turk-
tatarischen Zweigen unmittelbar auf die Indoeuropäer.
z) Das Baskische und der vorderasiatische mittelländische Völker- und Kulturkreis.
Breslau 1909.
8g Kapitel XXXVI. Operationen am Kindesschädel.
auch nur ausnahmsweise, küustlich Deformation von Kinderschädeln vorkam.
Denn die Untersuchungen dieser Schädel und auch jener, welche in Ost er-
reich, in der Krim und in der Schweiz ') gefunden worden sind, ergaben, daß
die Verbildung im jugendlichen Alter stattgefunden hat. In neuerer Zeit
finden wir aber den Niederolmer Schädel bei Schliz als ,.alemannisclr'
erwähnt. Ebenso konstatierte Schliz den von ihm selbst im Jahre 1901 in
Heilbronn gefundenen deformierten Frauenschädel als alemannisch, und zwar
als frühalemannisch. Dieser, wie der Niederolmer bildeten unter den übrigen
unverbildeten Schädeln der umliegenden Gräber aus der gleichen Zeitperiode
und von dem gleichen Volk Ausnahmen. Letzteres war nach Rütimeyer und
His auch der Fall mit dem in einem Schweizer Grab gefundenen.
Einen weiblichen Longobarden-Schädel mit künstlicher Verbildung
erwähnt Schliz aus Wien, einen angelsächsischen, gleichfalls weiblichen
(mit angelsächsischen Beigaben) aus Harnham Hill bei Salisbury in Eng-
land2), und zwei burgundische aus Beiair und Villy surRegnier, wobei
er bemerkt, daß der erstere möglicherweise fränkischer Herkunft sei:!).
Außerdem finden wir bei Schliz in Ungarn gefundene deformierte Schädel
angeführt. Die Fundorte sind: 0' Szöny,~Szekely-Udvarhely und Velem
St. Veit. Wie bei der niederösterreichischen, so fehlen auch bei dieser unga-
rischen Gruppe die Beigaben, nach welchen die ethnische Zugehörigkeit fest-
gestellt werden könnte; doch sei die ungarische Gruppe auf dem Boden
römischer Niederlassungen gefunden, der Rassentypus nichtgermanisch4).
Eine absichtliche Deformation wäre nach Schliz bei den in germa-
nischen Gräbern gefundenen Schädeln nicht anzunehmen. Die Verbildung sei
vielmehr die unabsichtliche Nebenwirkung eines Haarbandes. Es habe
immer einzelne Kinder gegeben, die sich von Geburt aus durch ungewöhnlich
starken Haarwuchs auszeichneten, welcher von den ersten Lebensmonaten an
durch ein Band aus dem Gesicht zurückgewöhnt werden mußte. Ein solches
Band, Tag und Nacht getragen, konnte auf den rasch wachsenden Kindes-
schädel die Wachstumshemmung in der einen und den kompensatorischen
Wachstumszwang in der andern Richtung ausüben.
Vielleicht habe auch der eine oder der andere Kopf dem Druck geringeren
Widerstand geleistet als die übrigen. —
Deformation im jugendlichen Alter ist ferner konstatiert worden für die
in Chesaus bei Lausanne und für den bei Riquier in Savoyen gefundenen
Schädel.
ob es sich bei den obigen Deformationen nur um Ausnahmen handelt,
wie Sehlü und andere meinten, ist kaum festzustellen5).
Daß Schädelumbildung in der Schweiz des 17. Jahrhunderts nicht Aus-
nahme, sondern Regel war, dürfte aus der folgenden Stelle in J. Muralts
„Hebammenbüchlein" hervorgehen: ..Sobald die Hebamme das Kind auf dem
Schoß li.it. betrachtet sie's allenthalben, ob es recht gestaltet sei, dann gibt
-i.- seinem Eäuptlein die runde Gestalt und verwahret ihms mit einem 8char-
1 1 II ieriiber weiter unten
•') Vgl Barnard Davis im Archiv f. Anthropol. Braunschweig 18(17. S. 17.
i ' habe seinerzeit darauf hingewiesen, daß auch in Hamburg Schädel-
pn ■ ■ ■! ' i x vorgekommen Bei (De generis humani varietate aativa p. <>0).
*) Vgl. Joseph von Lenhossek, Die künstlichen Schädelverbildungen im allgemeinen
und zwi künstlich lete makrokephale Schädel aus Ungarn. Budapest 187s. sowie
Archiv f. Anthrop. X.IE i 1879), S 363
') Vgl. 1. .1. Gosse, Essai mit- les deform, artif. du eräne. Paris 1855. Tab. II. — //.
./ Qosse fils, Suite In notice sur d'anciens cimetieres trouves soit ™ Sänne, soit dans le
ii di Gi i du Tome XI des meni, de la soc. d-histoire et d'archeologfe.
(Jem e L85" ; Bulletin soc d'Anthrop. de Paris, 1878. p. 234.
D üques du cräne. Revue d'Anthrop. VIII. 1879, p. 496.
§ 230. Die künstliche Schädelverbildung bei Völkern der alten Welt und bei den Eskimos. 87
lachpelz und Käppiein." — Allerdings ist liier anscheinend nur von einem
einmaligen Eingriff die Bede, nicht von jenem dauernden Druck, welchen die
Verbildung der bisher erwähnten Schädel nach den Urteilen der Anthropo-
logen voraussetzt.
Sehliz kommt auch auf die noch im 19. Jahrhundert gebräuchliche
Schädelverbildung in Frankreich zusprechen, welcher Floß in der S.Auflage
bereits seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Sie war in nördlichen, w est-
lichen und südlichen Departements, aber auch im Innern, besonders bei Land-
leuten, oder in Städten unter den niederen Volksschichten, üblich und ist es
wohl heute noch. In der Bretagne hielten in der ersten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts die Hebammen eine längliche Kopfform für einen Fehler, den sie
gut zu machen suchten, indem sie den Kopf des Xeugeborneu in eine rund-
liche Form drückten1). Makrokephaloi. d. h. Langköpfe, waren in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts modern in der Xormandie, Bouen und in
Deux-Sevres (hier besonders in Niort); ferner in Limousin und Gascogne;
in den südwestlichen Departements Haute-Garonne, Ariege, Aude und
Gers. Sogar in Paris war Schädeldeformation üblich. Man bewirkte diese
durch einen Apparat, welchen die Knaben bis zum achten Lebensjahr, die
Mädchen bis zu ihrer Verheiratung tragen mußten, und der das Schädelgewölbe
nicht nur niederdrückte, sondern auch einen breiten Quereindruck über die
Sutura coronalis und sagittalis verursachte. Der Apparat hieß an einigen
Orten einfach „beguin", d. h. Kinderhaube, an anderen „arcelet" (Bogen), und
wieder an andern trug er seinen rechtmäßigen Titel „serre-tete-' (Kopfpresser).
Er bestand aus einer breiten Haubenbinde mit Schleifen und einer eisernen
bogenförmigen Spange oder einer harten, nichtmetallenen Platte im Innern.
Diese Binde wurde dem Xeugebornen über die viereckige Stirufontanelle
gelegt, und deren Schleifen entweder möglichst tief über die Hinterhaupt-
schuppe, oder unterhalb des Unterkiefers, und von da aus wieder zurück zur
Fontanelle geführt, über welcher sie verknotet wurden. Im letzteren Fall
zeigte das Schädelgewölbe im Profil zwei Abteilungen, eine vordere und eine
hintere, wofür Gosse den Ausdruck „tete bilobee", zweilappiger Kopf, wählte.
Im ersteren Fall. d. h. wenn die Schleifen der Haubenbinde über die Hinter-
hauptschappe gefühlt wurden, bewirkte die Einschnürung einen ringförmigen
Eindruck. Goggrs ..tete annullaire". Am stärksten wurde der Unfug der
Schädelpression in Toulouse, also in dem südwestlichen Departement Haute-
Garonne getrieben, wo die Stirne vier bis fünf Zentimeter über dem Arcus
superciliaris in einen Winkel oeknickt wurde. Weitere notwendige Folgen
der annulären Kompression war eine Verminderung des Schädelrauminhaltes
und Schädelunifanges; ferner wurde der Oberkiefer vorgeschoben, die oberen
Schneidezähne erhielten eine schiefe Bichtung nach vorn, und das ganze Ge-
sicht etwas ..Bestialisches".
Die Schädeldeformation soll in Frankreich auf 300—400 Jahre zurück-
g-'hen und. nach Broea, von einem belgischen Volk, den arctosagischen
VoLkem (?)') herstammen. — .1. L. Foville hingegen führt den Unfug
auf einen hohen Kopfputz zurück, zu dessen Festhaltung die Verbildung des
Schädels notwendig gewesen wäre. — Nach Foville war Schädeldeformation,
Verlängerung des Hinterkopfes (Makrokephalie) in der Xormandie in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine häufige Erscheinung bei Männern,
und häufiger noch bei Weibern. —
>i Von der Bretagne der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird ein Pressen
des Kopfes zu einer Walzen- oder Zuckerhutform erwähnt (Ploß 2. Aufl. 1, 32S).
-i Vielleicht rVolcae" gemeiQt. das größte keltische Volk des römischen Gallien.
welches sich in die zwei großen Zweige der Arecomici, von der Rhone bis Narbo. und
der Tectosages im Norden der östlichen Pyrenäen teilte.
gg Kapitel XXXVI. Operationen am Kindessehädel.
Während die Schädeldeformation innerhalb der indoeuropäischen Völker-
familie nur bis zum 1. Jahrhundert nach Chr. geschichtlich nachweisbar ist,
gehen Belege für die gleiche Erscheinung unter den sog. Kaukasus-
Völkern undUral-Altaien, oder doch für eine alte Bevölkerung am Nordabhaug-
des Kaukasus und der davor liegenden Steppe1) bis ins 5. Jahrhundert vor
Chr. zurück. Denn von diesen beiden Gebieten teilte Hippokrates in seinem
Lib. de aere, aquis et locis den Brauch mit, deu Kopf der Kinder zu verlängern.
H. meint sogar, hier habe die Natur mit der Zeit die Kunst ersetzt. Er
hielt diesen Brauch für einzig dastehend in der Welt, indem er schrieb:
Es gibt gewiß kein Volk, welches solche Köpfe hat. wie die Makro -
kephalen. Ferner bemerkte er, daß diejenigen, welche die längsten Köpfe
hatten, für die vornehmsten galten. Sobald ein Kind geboren gewesen,
habe man dem noch weichen und zarten Kopf mit den Händen die bestimmte
Form ueueben2) und ihn dann durch Anlegung von Binden und Maschinen
gezwungen, in die Länge zu wachsen. Zu seiner Zeit habe aber dieser Brauch
nicht mehr bestanden.
Die Zweitälteste Mitteilung über Makrokephalen findet sich bei Plinius.
Seitdem sind diese beiden Mitteilungen für Völker jener Gegend mehrfach
bestätigt worden: In der Krim wurden unter fünf vorhistorischen Schädeln
drei makrokephale (lang und schmal) gefunden. Noch waren die Spuren der
Binden, welche die Verbindung bewirkt hatten, zu sehen: Die eine Binde war
horizontal angelegt und lief von der Stirne über die Schläfen zur Protuberans
des Hinterkopfes; die andere kreuzte die erste an den Schläfen. Die Folgen
des Druckes waren eine beträchtliche Entwicklung des Hinterkopfes, die
Flucht des Stirnbeins und ein abnormes Hervortreten des Gesichtes3). Die
Deformation hat nach dem Urteil A". /•.'. o. Baers auch hier in frühester Kind-
heit stattgefunden. Den Griechen gehörten sie dieser Autorität zufolge nicht
an. sondern einem später von Osten hergekommenen Volk. Auf der Krim
tummelten sich ja auch Hunnen, Tataren und Türken. Nach Floß (2. Aufl.
1. ■'<•-':; i spricht alles dafür, daß diese Schädel aus der Krim von einem
tatarischen (türkischen) Volk herstammen, und daß auch die von Hippokrates
erwähnten Makrokephaloi Tataren waren; denn Kopfdepression sei ein alter
Brauch tatarischer Völker: Von den Turktataren in Kaschgar berichtete
der Chinese Hien-Tschang im 7. Jahrhundert nach Chr.4), daß sie deu Neu-
gebornen die Köpfe abflachen, indem sie diese mit Platten zusammendrücken.
Nach K. /•.'. von Baer war Kopfdepression im 7. Jahrhundert bei den Uigur
(Hunnen) Brauch. Auch Amede'e Thierry erwähnte von den Hunnen die Unsitte,
ihren Kindern durch Binden den Schädel zurückzupressen und die Nase platt
zu drücken. Von Baer bezweifelt zwar die Richtigkeit dieser Angabe, weil
die Römer von einem solchen Brauch der Hunnen nichts erwähnt hätten;
allein wenn ihr östlicher Zweig, die Uiguren. ihn übten, dürfte Thierrys
Mitteilung doch an Wahrscheinlichkeit gewonnen haben. Aber auch die zu
dieser Völkergruppe gehörigen Kirgisen und europäischen Türken übten
bzw. üben Schädelverbildung. Von den ersteren berichtete es Prichard, und
von den Türken schrieb Andreas Vesalius, der Begründer der neueren Ana-
tomie, im 16. Jahrhundert, daß die Hebammen den Köpfen der Kinder durch
zweckmäßige Manipulationen Kugelform galten, weil diese Gestalt des Schädels
für schön und zum aufsetzen des Turbans zweckmäßig gelte. Ungefähr zwei
'i \ !. // n Her saßen früher übrigens Türken, Finnen, lndogerman n
miil Basken gleich lieh vom Kaukasus.
•') Vgl, denselben Brauch in der Schweiz des 17. Jahrb. w. ob.
■ x Di Formation w. o.
'i //■■ Mittelasien in den Jahren 629 — 645. Seinen Reisebericht
Französische.
§ 230. Die künstliche Schädelverbildung bei Völkern der alten Welt und bei den Eskimos. 89
Jahrhunderte später schrieb von Asch an den Begründer der deutschen An-
thropologie, Blumenbach: Die Hebammen in Konstantinopel pflegen die Mütter
zu tragen, welche Kopfform sie für den Neugebornen wünschen, und die Asiaten
pflegen diejenige vorzuziehen, welche durch eine. Stirn und Hinterhaupt eng
umschließende. Binde hervorgebracht wird, da auf einem solchen Kopf die
rote Kopfbedeckung besser sitze. Endlich sollen die zwei in Tiflis, Trans-
kaukasien, ausgegrabenen künstlich deformierten Schädel von F. Szjepura
als tatarische erwiesen worden sein. Hingegen ist der Irrtum betreffs
„Avarenschädel" in Niederösterreich und anderen Orten des westlichen
Deutschlands bereits früher angedeutet worden, so daß dieser Zweig der
Turk- bzw. Tatarengruppe hier wohl auszuschalten ist.
Hingegen wissen wir, daß die Mongolen ihren Kindern den Kopf kegel-
förmig nach dem Vorbild der Tiara banden (A. Bastian).
Die ural-altaische Völkergmppe ist also auf dem Gebiete der künst-
lichen Schädelverbildung relativ stark vertreten.
Aber auch bei den sogenannten Kaukasusvölkern ist dieser Brauch
nachgewiesen. Nicht nur um das Asowsche Meer (dem Mäotischen
Busen der Alten) und nicht nur in der Krim und im transkaukasischen
Tiflis1). sondern in Nord- und Transkaukasien überhaupt, also zweifellos
auch von den sogenannten Kaukasusvölkeru. ist künstliche Makrokephalie
nachgewiesen. Virckow brachte aus dem Kaukasus eine Wiege mit Kom-
pressionsapparat mit. Niemand zweifle dort, daß nur solche Menschen makro-
kephal werden, denen in der Kindheit Druckapparate angelegt worden sind.
Lebende Individuen und Schädel aus Gräbern beweisen den Brauch. —
Künstliche Schädelverbildung gibt es ferner bei Vertretern der semi-
tischen Völkerfamilie und bei Negervölkern: Wie Floß (2. Aufl. 1. 319)
schrieb, ist eine solche von älteren Schriftstellern von den Mauren erwähnt
worden. Von dort habe sie sich nach Europa, besonders nach Italien, ver-
breitet. Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hätten bei einigen
moslemischen Stämmen Nordafrikas die Mütter ihren Kindern regelmäßig den
Kopf seitlich abgeplattet, um das reine Blut von den verachteten Berber-
stämmen zu unterscheiden.
Über den künstlichen Prognathismus der Frauen in und am Senegal
berichteten Faidh rbe, Hami und Thulie. - Hami fand am Schädel einer
30jährigen Negerin von Saint-Louis am Senegal die zwei oberen Schneide-
zähne künstlich nach vorn geschoben. Diese Abnormität wurde dadurch bewirkt,
daß man die betreffenden Milchzähne sehr bald entfernte und die hervor-
kommenden Ersatzzähne teils durch Ziehen, teils durch einen Druck mit der
Zunge nach vorn schob, wodurch zugleich der Kieferknochen afflziert wurde.
In Mussumba, im Becken des unteren Kongo, pressen viele vornehme
Kalunda-Neger ihren Neugebornen den Kopf derart zusammen, daß das Hinter-
haupt monströs weit zurückstellt. In der Familie des Herrschers Muata Jamwo-
ging man in dieser Hinsicht so weit, daß die Kinder mit ihren breiten Schädeln
wie Mißgeburten aussahen (Fogg( \.
Bei den ostafrikanischen Wasiba im Westen des Viktoria-Sees hat
die Hebamme die Pflicht, dem Kopf der Neugebornen durch Drücken mit den
Handflächen eine angenehme Form zu geben. Die Handflächen werden zu
diesem Zweck mit Fett beschmiert und am Heidfeuer erwärmt {Sermann Echse),
Auch die Aiidanian-Insulaner iMinkopies) pressen dem Neugebornen
den Kopf mit den Händen (Jagor). Hierüber Näheres in Kapitel NNNVTL
Abschnitt: „Das Ordnen des kindlichen Organismus". —
1) Vgl. oben die hier gefundenen Tatarenschädel, sowie den oben erwähnten Brauch
der transkaukasischen Armenier.
90 Kapitel XXXVI. Operationen am Kindesschädel.
Auf den Nikobaren im Bengalischen Golf drückt man vielen Kindern
den Schädel mit einem Brett flach (H. TT'. Vogel).
Von den Kanikar, einem kraushaarigen kleinen Völklein (also wohl
ein Zweig der sogenannten Pygmäen) in den Wäldern des südlichen Vorder-
indien, berichtete Jagor, sie behandelten den Scheitel bei jeder Waschung
mit besonderem Nachdruck, damit er nicht zu hoch werde.
Unter den Dayaken üben nach Cracker nur die Milanaus Schädel-
deformation. Nach Ghas. Hose können sie aber das nur am besten. Erstem-
schrieb: Eine flache Stirne gilt als schön. Gewöhnlich unterwirft man nur die
Mädchen, gelegentlich aller auch die Knaben der Operation. Einige Tage
nach der Geburt wird der Kopfdeformator am Kind angebracht, unter den
ein kleines Kissen gelegt wird, welches selbst wieder auf grünen Bananen-
blättern aufliegt. Durch eine passende Verschnürung verteilt sich der Druck
gleichmäßig auf der Stirn. Crocker beobachtete Mütter, die innerhalb einer
Stunde 20 mal das Instrument auf- und zuschnürten, wenn das Kind Schmerz
verriet. Klie ein Jahr vorüber, hat die Kopfpresse ihren Zweck erfüllt. —
Fig. 273. Apparat zur Schädelverbildung auf Celebes. Im K. Museum für Völkerkunde in Berlin.
Kopfdeformation war feiner wahrscheinlich auf ganz Celebes gebräuch-
lich, wie ./. G. F. Riedel meint. Jedenfalls erfuhr er, daß es der Fall war
bei den Toumbuluh, Tounsear, Toumpakewa und Mongodon. welche
diesen Brauch von den im nördlichen Celebes eingewanderten Bentenan
übernommen hatten. Das Instrument, welches sie zur Abplattung der Stirn
benutzen, nannten sie Pepesch. Die Bantiks und die Bugis im südöstlichen
Teil der Insel übten Schädelverbildung noch zur Zeit Riedels; ebenso die
Bewohner der Landschaften Kaidipan, Bolaangitans und Buool im Norden.
Eine in den Adelsfamilien von Buool gebrauchte Wiege mit Kompressions-
vorrichtung sandte Riedel der ethnologischen Gesellschaft in Berlin. Kissen
und Polster waren von Seide und mit Gold gestickt, die goldenen Ringe mit
Diamauten besetzt1), aber an die Stirne des Kindes und an den Hinterkopf
wurden Bretter g< h gt. welche man mit durchlaufenden Schnüren zusammen-
zog. I>ie Kinder nahm man jeden zweiten Tag auf eine Weile zum Baden
aus ihrer Presse heraus; die übrige Zeit mußten sie 6—8 Monate lang fest-
gebunden darin aushalten. — Eine andere Prozedur beschrieb Riedel folgender-
weise: Man umwindet die Schädel mit ausgeklopfter Rinde des Lahendang-
baumes (Sponia sp.), später mit Kapäs oder Kattun und klemmt sie dann auf
4— •"> Monate zwischen zwei Bretter. Dadurch erhalten die Schädel eine un-
gewöhnliche Breite was man hochgradig schön nennt. Die gleiche Zeitf
') Floß. 1». K. 2. Auil. I, 319.
§ 230. Die künstliche Schädelverbildung bei Völkern der alten Welt und bei den Eskimos. 91
dauer fand Riedel in Zentral-Celebes unter den Völkern To Ragi, To Dai,
To Rau und To Mori. Hier preßte man die, Schädel der Kinder, nachdem
diese 40 Tage alt geworden, zwischen drei Bretter. Der Apparat hieß Paupi.
Das Pressen des Gesichtes zu beiden Seiten, wie es bei den Knaben
geschah, sollte diese zu unerschrockenen Kriegern machen. Für
Mädchen umwickelte man ein Stück Erde (Porempe), das an der Sonne
getrockuet worden war, mit Fuja oder geklopfter Baumrinde und band es auf
die Stirne, um diese breit zu machen und so die Schönheit des Mädchens
zu erhöhen. Auch bei den Kaili wurden bisweilen Mädchen dieser Prozedur
unterworfen.
Von den Philippinen berichtete The'venot gegen Ende des 16. Jahr-
hunderts, daß sie nach den Angaben eines Priesters die Gewohnheit hatten,
ihren Neugebornen den Kopf zwischen zwei Bretter zu legen und so zu-
sammenzupressen, daß er nicht mehr rund blieb, sondern sich verlängerte.
Außerdem platteten sie ihnen die Stirne ab, weil sie diese Form für besonders
schon hielten. — Diese Notiz über die Philippiner blieb so ziemlich isoliert,
bis um das Jahr lb70 Jagor von einer Höhle bei Lanang an der Ostküste
der Philippineninsel Samar und aus der Nipa-Nipa-Höhle an deren Südküste
Schädel mitbrachte, von denen Virchow konstatierte, daß sie in der frühesten
Jugend künstlich deformiert seien. Ein doppelter Druck war auf sie ausgeübt
worden: Einerseits schräg von hinten und unten, andererseits von vorn und
oben her. Damals wies Virchow darauf hin, daß man sich die beiden Druck-
Aachen nur verlängert zu denken brauche, um die nach vorn zusammenlaufende
Stellung der Druckbretter gewisser In dian er stamme von der nord-
amerikanischen Westküste zu erhalten. —
Die Bewohner von Samar sind Visayas, ein malayisch-indonesisches
Mischvolk. — Dasselbe gilt von den Bicols, von deren Begräbnisplätzen Schetelig
gleichfalls künstlich verbildete Schädel brachte. Ein Mädchenschädel zeigte
seitliche Kompression; bei einem anderen Schädel fiel der Hinterkopf stark
ab, die Gegend der hinteren seitlichen Fontanellen war abgeplattet und die
Hinterhauptgrube stark vorgewölbt. - - Eine seltene Deformation trat an zwei
Schädeln von Albay, welche einem Mann und einem Weib gehörten, hervor,
d. h. die Wirkungen seitlicher Pressionen, von denen die rechte stärker war
als die linke. —
Endlich sammelte A. B. Meyer auf der Philippinen-Insel Luzon
Negritosschädel, welche nach Virchow, mit Ausnahme eines einzigen, künst-
liche Verunstaltungen aufwiesen, wenn auch keineswegs so bedeutende wie die
Schädel von Lanang.
Schädeldeformationen traf ferner die Hamburger Südsee-Expedition
1908/1909 auf Neupommern im Bismarck-Archipel, vom Montague-Hafen
bis Kap Pedder. Sie sei nicht auf die Küste beschränkt, sondern erstrecke
sich auf das Hinterland, und wurde bei der Durchquernng bis nahe an die Xord-
küste verfolgt. Anscheinend sei sie als Verschönerungsmittel angesehen. Man
bewirkt sie dadurch, daß man dem Neugebornen einen geölten Streifen aus
Rindenstoff fest um den Kopf wickelt und so lange tragen läßt, bis das Kind
gehen lernt. Die dadurch bewirkte Verlängerung des Schädels ist während
dieser Zeit hochgradig, gleicht sich aber später häufig wieder aus.
Andere Melanesier mit Schädelverbildung sind die Eingebornen von
Mallikollo, einer Hebriden-Insel. und von Vanikoro, einer Insel der
Santa-Cruz- oder Königin-Charlotte-Gruppe. Buch wies an einer Reihe
von Schädeln nach, daß die Mallikollesen dieselben vorn abplatten, und Krause
fand Niederdrückung der Stirnwölbung und Einschnürung der Scheitelbeine
an 1B Schädeln.
92 Kapitel XXXVI. Operationen um Eindesschädel.
Schädelverbildung war ferner bei den melanesischen Neucaledoniern
ziemlich allgemein; doch war der Druck nicht sehr tiefgehend. Einige
Stämme bezweckten damit Verlängerung, andere Kürzung oder abnorme Breite
des Schädels (Bourgarel). —
Aus Samoa meldete Knliary, man umgebe den Kopf eines Neugebornen
in den ersten Tagen mit flacheil Steinen, um dem ausgewölbten Hinterteil
und der vorstehenden Stirne möglichst entgegenzuarbeiten und eine kurze,
mehr abgerundete Form zu erhalten, die den dortigen Schönheitsbegriffen
entspreche.
Ferner ist von den polynesischen Inselgruppen Hawaii, Tahiti und
Paumotu Schädelverbildung als alte Volkssitte gemeldet worden (Seath).
Desgleichen von den .1 apanern und Siamesen (Gosse). —
Die Dravidas machen keine Ausnahme: Bei einem ihrer Zweige, den
Badagar im Nilgiri-Gebirge, fand Jagor einen kleinen Knaben mit auf-
fallend zylindrischem Kopfe, auf den die Mutter stolz zu sein schien. Nach
einigem Zaudern gestanden die Weiber, daß sie die Schädel der Neugebornen
zwischen den Händen zu pressen pflegen, um ihnen eine schöne Form zu
g-eben. Die Manipulation beginnt gewöhnlich acht Tage nach der Geburt,
wird morgens und abends wiederholt und auch auf andere Körperteile aus-
gedehnt. Auf Jagors Bitte vollzog die Mutter die Operation vor seinen
Augen, d. h. sie erwärmte die Hände am Feuer, bestrich sie mit Ghi (Butter)
und drückte sie dann zuerst leicht auf den Brustkasten; dann wurden Arme,
Schenkel, Beine. Füße, Kniee und Ellbogen zusammengepreßt. Die Nase wurde
nicht plattgedrückt, sondern von beiden Seiten gepreßt, der Schädel mit den
beiden Händen möglichst gerundet.
Bei den Nair. einer vornehmen Kaste der Dravida in Malabar, wird
dem Kinde täglich der Kopf gepreßt, um ihm eine runde Form zu geben.
Die A in u auf Sachalin wünschen Köpfe, die von oben, vorn und hinten
abgerundet sind. Zu diesem Zweck behandeln auch sie den Kopf des Neu-
gebornen einigemal am Tage, indem sie ihn mit den Händen zu formen suchen;
dabei umhüllen sie ihn, besonders an den weicheren Stellen, mit weichen
wannen Bolzspänen (Pilsudski). —
Die Eskimos im Indien Nordosten Amerikas drücken den Neugebornen
den Kopf mit den Händen von beiden Seilen zusammen und ziehen ihm dann
ein enganschließendes Käppchen aus Fell über den Kopf, welches ein Jahr
lang getragen werden muß. Dadurch erhält der Kopf Pyramidenform. —
§ 231. Künstliche Schädclverbildung bei »Ion Indianern.
Häufiger als bei allen bisher behandelten Völkern dieses Kapitels ist
der Brauch der künstlichen Schädelverbildung bei den Indianern. Da sind
ä zunächst im Nordwesten die Kwakiul-Indianer, welche uns mit diesem
Braui h begegnen.
Im nördlichen Teil der Vancouver-Insel fand von Hesse-Wartegg teil-
i den Gebrauch, die Köpfe nicht abzuflachen, sondern zuzuspitzen, d. h.
den Schädel zu einem spitzen Kegel umzuformen. .Alan bewirkte dieses, indem
man die | um einer Bandage umwickelte, welche allmählich fester ge-
zogen wurde, statt, wie bei den Chinooks, den Kopf an ein Brett zu schnalle».
Diesi Chinooks (Tschinuk), meint von Hesse-Wartegg, würden wegen ihres
Brauch »pfe abzuplatten, viel eher den Namen „Flatheads" (Flach-
köpfi als jener [ndianerstamra, der früher zwischen Kit ter-Koot-
Vfountains em Felsengebirge lebte, in Kuropa als „Flatheads" oder
§ 231. Künstliche Scliädelverbiltlung bei den Indianern. 93
Selisch-(Salish-)Indiauer bekannt sind, und von denen es neuerdings heißt,
sie hätten das Kopfabplatten überhaupt nie geübt1).
Allerdings scheint der Begriff ..Flachkopf-' (Plattkopf) im Lauf der Zeiten
auch auf andere Indianervölker, die Schädelabplattung trieben, angewendet
worden zu sein, z. B. gerade auf die Tschinuk, welche neben den Cowlitz
(Cowelits) in diesem Brauche weiter gingen „als irgendein anderer der
Plattkopf Stämme", wie Karte schrieb. „Flathead-Tribus" am Columbia-
Fluß-) wendeten nach S. H. Morton zur Schädelverbildung eine Wiege an, in
welcher ein dreiseitiger querliegender Klotz mit aufwärts gerichteter Kante
den Nacken des Kindes stützte. Über die Stirne des Kindes, welches in diese
Wiege ausgestreckt hineingebunden war. lief ein Querriemen, der an den
beiden seitlichen Wiegengeländern befestigt war.
Catlin, der in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts unter den Tschinuks
weilte, präsentierte seinen Lesern eine Tschinuk-Mutter mit Flachkopf samt
ihrem Kind, das, in der „kahnartigen" Kompressionsmaschine liegend, von ihr
Fig. 274. Kinderwiege mit Kopfpresse bei den K w ak i ul-I ndi anern. Im K. Museum für Völkerkunde
in Berlin
getragen wird, auch wenn sie an den weiten Wanderzügen ihres Stammes
teilnimmt (vgl. Kap. XIV). — Bei Karte, der sich gleichfalls bei den Chinooks
aufhielt, finden wir ein mit Moos oder Fasern der Zederrinde bedecktes
„Brett", auf welchem das Kind befestigt wurde; zur Abflachung des Kopfes
wurde dem Kind ein Polster auf die Stirne, darüber glatte Baumrinde gelegt
und beides mit einem Kiemen befestigt, welcher darüber geführt und durch
je ein Loch zu beiden Längsseiten des Brettes gezogen wurde. Statt des
dreiseitigen Klotzes bei Morton finden wir bei Kaue ein Kissen von Gras oder
Zederfasern im Nacken des Kindes als Stützpunkt. Dieses Verfahren, so
schrieb er, beginnt mit der Geburt und wird 8 — 12 Monate fortgesetzt. Nach
dieser Zeit hat der Kopf seine natürliche Gestalt verloren und die eines
Keils erhalten: der vordere Teil des Schädels ist flach, nach dem Wirbel hin
höher. — Schmerzen schienen die Kinder durch den Druck nicht zu leiden, denn
•sie wimmerten und weinten nicht, solange sie die Stirnbandage trugen, obgleich
•diese ihnen die Augen aus dem Kopfe trieb. Allerdings war Kanes Vermutung
') Eine Flathead- oder Seiischreservation ist jetzt im Staate Montana.
2) Die Tschinuk leben an der Mündung- dieses Flusses.
94 Kapitel XXXVI. Operationen am Kindesschädel.
wohl richtig, daß die Kinder durch den Druck betäubt waren, denn sie weinten
nach Entfernung der Riemen, bis man sie ihnen wieder anlegte. Dennoch sei
ihre Gesundheit kaum (weiter) benachteiligt worden, denn die Kinder-
sterblichkeit sei unter den Flach- oder Plattkopfindianern1) nicht merklich
höher als unter den andern Indianerstämmen. Ebensowenig schienen die
geistigen Fälligkeiten darunter zu leiden, denn die Plattköpfe galten für
ebenso begabt wie die umwohnenden Stämme mit natürlichen Schädelformen.
Sie selbst sahen in einem abgeplatteten Kopf das Merkmal der Freiheit;
sie nahmen ihre Sklaven aus den mndköpfigen Stämmen und schätzten auch
die Weißen wegen ihrer runden Köpfe gering.
Die Keilform des verbildeten Schädels konstatierte Scouler für die
nordwestlichen Indianer Nordamerikas überhaupt2), ebenso für die
Antillen-Karaiben. Scouler bemerkt hierzu, daß der Kopf des Kindes
häufig schon unmittelbar nach der Geburt, und dann 3 — 4 Tage lang
(jedenfalls mit Zwischenpausen gemeint) mit der Hand leicht gedrückt werde.
Als Ausfütterung der Wiege oder Kiste gibt er Moos und Werg an. Das
auf einem Brett ruhende Hinterhaupt werde ebenfalls durch Moos und Werg
gestützt, auf dem Vorderkopf aber ein Brett3)"" festgebunden. Das Kind bleibe
in diesem Apparat, von kurzen Zwischenpausen abgesehen, bis es gehen
könne; dreijährige Kinder boten einen schauerlichen Anblick: keilförmigen
Kopf und hervorstehende, nach oben gerichtete Augäpfel. — Auch Dufiot
de Mofras beschrieb einen Apparat für Schädeldeformation von der nord-
amerikanischen Westküste: Ein Brett mit Moos und mit einem Fell bedeckt. Der
Stützpunkt im Genick soll verhindern, daß das Kinn auf die Brust herab-
falle. —
Als schädeldeformierende Stämme im Innern Nordamerikas fanden sich
bei Ploß (2. Aufl. I, 308) die von Haie erwähnten Sahaptin und Wallawalla.
Im südöstlichen Teil des nordanierikanischen Kontinents waren es die
Natchez, Waksaws, Creeks und Maskoki. Auch der weiter nördlich,
im Osten der Felsengebirge, lebende Zweig der Maskoki. die Tschokta,
sowie die Tschickasaw, Athacapas, Solkuks u. a. m. übten Schädel-
deformation. Die Tschokta legten dem auf dem Wiegenbrett befestigten Kind
einen Sandsack auf die Stirne (Bertram); die Waksaws im nördlichen
Carolina eine Rolle (Laicson); die Völker in Louisiana Töpferton (Lii/itmn.
Ähnlich wie bei den erwähnten Völkern im Nordwesten, so band man auch
liier die Stirnpressen durch Schnüren (oder Riemen?) an den Seitenlöchern
des Wiegenbrettes fest und verstärkte den Druck allmählich. Der Hinterkopf
wurde da und dort in ein Loch im Wiegeiibrett gelegt, das manchmal trog-
förmig ausgehöhlt war. Als Zeitdauer hat Ploß von diesen Völkern drei
Jahre angegeben.
Die Form der verbildeten Natchez -Schädel aus den Gräbern am
Mississippi war eine zylinderförmig verlängerte, wie die der Ayniaras und
Hiianclias in Peru und Bolivia. Nach Morton bewiesen die hinterlassenen
Eindrücke, daß der Schädel ringsum von Bandagen umgeben war, welche ihn
noch hielten und abwärts drückten. Eiue Binde lief von der Basis des llinter-
ko] i' - über die Stirne, eine zweite über den Scheitel hinter der Kreuznaht,
' Vi . auch liier Ausdehnung des Begriffes „Flachkopfindianer" auf die Tschinuk
und. wie es schei d " i tiimme mit künstlicher Schädelverbildung.
"I wohl all em Stämme auf Vancouver-Island, in den benachbarten
Buchten bis herunter zum Columbia-Fluß und zum nördlichen Kalifornien gemeint,
lichkeit in Aussehen, Sprache und Sitte unter dem gemein-
samen Namen N utka-Columbier vereinte (vgl. indessen Hesse-Warteggs Mitteilung über
eine Kegel Island, S. !»ü u.). —
Polster und Sir auf S. 93.
§ 231. Künstliche Schädelverbildung bei den Indianern. 95
uin die Seiten des Schädels zu drücken. Nur der Hinterkopf konnte sich frei
entwickeln. Nach De Soto (bei Ploß, 2. Auti. I, 307) waren Xatchez-Indianer
auch in Florida, und von A. Ecker wissen wir, daß die Mehrzahl der von
ihm untersuchten, aus alten Gräbern Floridas stammenden Schädel künstlich
deformiert waren, d. h. daß auch hier die Eindrückung des untern Teils der
Scheitelbeine auf Bandagen zurückzuführen ist. Die kräftig gebaute und un-
gewöhnlich große Bevölkerung, von der diese Schädel stammen, sei gewiß
diejenige gewesen, welche die Europäer im 16. Jahrhundert noch in Florida
vorfanden.
Vou den Xahua-Völkern, deren wichtigster Zweig die Azteken oder
Mexikaner waren, schrieb Gomara. daß sie die Kinder so in die Wiege
legten, daß das Hinterhaupt nicht wachsen konnte, weil diese Entwicklung
für häßlich galt. — Humhoklt hingegen behauptete, daß die Azteken (Mexikaner)
nie Schädeldeformation übten. Die in Gräbern und auf Monumenten nach-
gewiesenen Deformationen sollen auf eine voraztekische Bevölkerung zurück-
geführt werden. Doch dürfte das kaum stichhaltig sein. Klemm beschreibt
bei Bancroft die Nahua-Wiege als ein hartes Brett, auf welches das Kind so
befestigt wurde, daß die Schädelverbildung stattfinden mußte. Fast scheint
aber das nur bei "Wohlhabenden Brauch gewesen zu sein ; denn es folgt bei
Bancroft die Bemerkung: Die Armen hatten leichte Rohrwiegen, welche die
Mütter auf den Rücken binden konnten.
Besonders interessant ist es. daß die alten Mexikaner nach Bancroft
die Zeremonie der Schädelpressung mit der Zeromonie des Ohrendurchstechens
verbanden, daß also beide am Feste des Feuergottes stattfanden, und daß
dieses Fest auch „Itzcalli" (Wachstum) hieß, weil die Zeremonie derSchädel-
pressung das Wachstum des Kindes befördern sollte (vgl. das folgende
Kapitel. Abschnitt ..Das Durchlöchern der Ohren . . ."). —
Einem voraztekischen Volk in Mexiko, d. h. den Zapoteken, schrieb
Berchthold einen künstlich deformierten Schädel zu.
Auch die Maya-Völker flachten ihren Kindern die Köpfe ab. In
Nicaragua hielten die Mayas dafür, daß die Götter selbst die Kompression
des Schädels eingeführt hätten, daß solche Köpfe ein Zeich en vorn eh 111 er Geburt
und der Typus höchster Schönheit sei. Außerdem trug ein abgeflachter
Schädel die Lasten leichter. Von den Mayas in Yucatan berichtete Landa (bei
Bancroft): Am vierten oder fünften Tag nach der Geburt legte man das
Kind auf das Gesicht und preßte den Kopf zwischen zwei Bretter, von denen
das eine auf die Stirne, das andere auf den Hinterkopf zu liegen kam. In
dieser Folter mußte das Kind mehrere Tage verharren, bis die erwünschte
Form erreicht war. und so stark war der Druck, daß bisweilen ein Kinder-
schädel brach. — Abflachung des Hinterkopfes durch zweckmäßiges Befestigen
der Kinder auf einem Brett erwähnt Sguier (bei Bancroft) von den Maya-
Xweigen der Qu ich es, Cakchiquels und Zutugils, wozu Bancroft bemerkt:
Die vielen deformierten Schädel auf den Skulpturen in Chiapas, Honduras
und Yukatan beweisen zur Genüge, daß eine abgeflachte Stirne das Ideal
männlicher Schönheit war, und daß diese Operation im Altertum noch all-
gemeiner vorgenommen wurde als in der Gegenwart.
Von den Kindern der Smu im Mosquito-Gebiet, welche der gleichen
Operation unterworfen werden, schrieb Ch. X. Bill, daß sie zwischen ihren
aufgeschnürten Brettern klagten und wimmerten, und daß viele aus ihnen
durch diese Prozedur zugrunde gingen.
Auf den Antillen benutzten die Karaiben keinen künstlichen (V)1)
Apparat, sondern die Mütter legten sich die Kinder quer so über die Schenkel,
'i Aus Ploß (2 Aufl. I. 309 und 314) geht nicht klar hervor, ob nach einigen Tagen
nicht doch noch ein künstlicher Apparat angewendet wurde.
t)ß Kapitel XXXVJ. Operationen am Kindesschädel.
daß der linke unter den Nacken des Kindes kam, und war dieses eingeschlafen,
dann legte ihm die Mutter die rechte Handfläche auf die Stirne, stützte den
linken Ellbogen auf den Rücken dieser Hand und drückte so die Stirn an-
haltend nieder [Gosse).
Für die von der Fregatte Novara seinerzeit mitgebrachten süd-
amerikanischen Schädel mit künstlicher Vorbildung konstatierte Zucher-
handl drei verschiedene Formen: a) die keilförmige, welche hauptsächlich
durch Abplattung des Hinterhauptbeins und der hinteren Teile der Scheitel-
beine hervorgerufen wird, oder die Deformation steigert sich durch die Ver-
kürzung des Längendurchmessers des Schädels so, daß dieser einen unmittel-
baren Übergang zur Schädelfonn der „Flachkopf-Indianer"1) in Nordamerika
bildet; b) die bisquitförmige; c) die von Tschad'/ beschriebene Huancaform,
wovon die Schädel aus Arica und Cochabamba Beispiele sind2).
In Peru gibt es nach Virchow umfangreiche Gräberfelder, auf denen es
eine besondere Aufmerksamkeit erfordert, wenn natürlich gebildete Schädel
gefunden werden sollen. Die ersten am Titicaca-See auf der peruanisch-
bolivianischen Hochebene gefundenen, welche man Pentlanä verdankte, wurden
anfangs von Tiedemaa» und Tschudi als Rasseneigentümlichkeiten gedeutet, von
Morton und d'Orbigny aber als künstliche Verbildungen nachgewiesen. Übrigens
hatten schon verschiedene spanische Schriftsteller über diesen Brauch im
Inkareich belichtet (vgl. Kap. XIV, §90). Im Jahre 1585 soll den Peruanern
die Schädeldeformation durch eine Synode unter Androhung von Strafen ver-
boten worden sein (v. Martins nach Mayen). Aber noch im 19. Jahrhundert
winde sie von manchen Stämmen geübt. Die Conibos (Canivos) banden den
Kopf der Kinder auf ein halbes Jahr zwischen zwei Bretter, welche mit
!) Die Meinungsverschiedenheiten über diese, bzw. die Ausdehnung dieses B< .
ist weiter oben angedeutet worden.
-i Bim Beschreibung der von Rüdinger-Häochen seinerzeit festgestellten vier Typen
amerikanischer Schädelverbildungen aus der 2. Auflage möge hier als Anmerkung folgen:
Typus 1: Die Schädel sind nach hinten und oben in die Länge gedrückt. Der quere
Durchmesser nebst dem Höhendurchmesser sind sehr gering. Die einzelnen Schädel-
knochen sind in ihrer Form stark verändert, das Stirnbein ist von vorn nach hinten ver-
längert, die Scheitelbeine und die Schuppen der Schläfenbeine so stark nach rückwärts
hoben. daß der SchläFenmuske] einen rechten Winkel machen muß, um zum I nterkiefer
herunter zu gelangen. Die Ausdehnung nach rückwärts beginnt vom Hinterhauptsloch, hinter
welcher der größte Teil des Gehirns Hegt. Hier sieht man, daß die Druckmittel oft in den
Nacken hinab gewirkt haben müssen. Die Basis des Schädels ist von hinten nach vorn
deshalb am wenigsten verändert, weil liier keine Angriffspunkte für die Druckmittel möglich
sind. Uli die Kapazität des Schädels im Vergleich zu der eines normalen verringert ist.
läßt sich schwi inen Rüdinger hat die Kapazität eines solchen Schädels bestimmt
und 1500 Kubikzentimeter als Rauminhalt gefunden. Pas Gehirn muß in seinen einzelnen
der Knochen auf gleiche Weise mitmachen.
Typus II: Der S I zuckerhutförmig. Man nennt solche Schädel Turmköpfe. Hier
wurde das knnchenwachstum in der horizontalen Ebene beschränkt. Der Durchmesser von
vorn nach hinten ist unverhältnismäßig gering, voo oben nach unten unverhältnismäßig groß.
Die Zuckerhutform findet man auch im Süden Prankreichs.
Typus III: Einfache Abplattung der Stirn und der Scheitelhöhe. Diese Form
findel sich jetzl vielen Stämmen im Norden des Columbiaflusses Stirn- und
b oe, der Querdurchmesser ist auf Kosten der Höhe bedeutend
1 irn muß hierbei als allgeplattetes gedrücktes Organ erscheinen.
I »er Schädel ist eigentümlich bisquitförmig mit kantigem Vorsprunge auf der
Kranznahl sigen Ausbauchungen an den Scheitelhöckern. Das Stirnbein ist un-
verhältnismäßig lii Mute der Scheitelhöhe zeigt muldenförmige Vertiefungen.
Bei dieser Form itäl bedeutend verringert. Dos Gehirn ist nach d i
S mittel scheinen von zwei Seiten gewirkt zu haben: Das
eine von vorn, das hinten Zu diesen Druckmitteln wurden auch Kompressen
let, uiii die Rint im Kopfe zu erzeugen. Die Schädelkapazität betrug bei
Schädel 1360 Kubikzentimeter. (Correspondenz-Blatt der
' \nthrupo]. 1874, Nr. 7. S. 54 \
§ 231. Künstliche Schädelverbildung bei den Indianern. 97
Baumwolle belegt wurden. Das eine lag über der Stirne, das andere am
Hinterkopf, und beide wurden durch Schnüre so verbunden, daß der Kopf eine
platte und verlängerte Form erhielt. Man schrieb diesem Volk geringe geistige
Begabung zu; doch dürfte diese, wenn wirklich vorhanden, kaum auf die
Schädeldeformation zurückführbar sein, da die Omaguas, mit gleichfalls
deformierten Schädeln, als geweckte und betriebsame Indianer geschildert
worden sind. Auch bei diesen Omaguas, welche von Missionaren in San Paulo
de Olivenqa im nordwestlichen Brasilien angesiedelt worden sind, um-
wickelten die Mütter, nach . Paul Marcoy, den Kopf des Neugebornen mit
Baumwolle und befestigten darüber (und darunter?) zwei Bretter. Die Methode
scheint also die gleiche gewesen zu sein wie bei den Conibos. Das Kind
der Omaguas mußte aber in seinem Apparat so lange bleiben, bis es gehen
konnte. Der Schädel war dann oblong, und die Augen hatten eine eigentümliche
Stellung. Die Bemühungen der Missionare, diesen uralten Brauch abzuschaffen,
waren bei den Omaguas1) keineswegs immer mit Erfolg gekrönt. Bei ihnen
hatte im Jahre 1819 Spix übrigens einen Kompressionsapparat anderer Art
als der oben beschriebene gefunden, d. h. ein kahnförmig ausgehöhltes leichtes
Holzstück mit einem zurückschlagbaren Brettchen über den Beinen des Säug-
lings. Der Kopf des Kindes ruhte auf einem weichen Kissen, hatte aber je
einen viereckigen Baumwolllappen mit flach aufgenähten Strohhalmen auf Stirn
und Hinterhaupt, welche den nötigen Druck ausüben mußten. Das Kind wurde
in diesen Kahn hin eingeschnürt; schlief es, dann schlug man das Brett chen
zur Verstärkung des Druckes nach oben. Auch beim Stillen ließ die Mutter
ihr Kind in diesem Apparate festgebunden; reinigte sie es, dann wurde das
Brettchen, wie während des Schlafes, nach oben geschlagen.
Sowohl die Omaguas als auch die Conibos scheinen ehemals unter der
Herrschaft der peruanischen Inkas gestanden zu haben. Jedenfalls waren die
Aymara einer der sechs Hauptstämme der Inkaperuaner. Von den in alten
Aymaragräbern gefundenen, künstln h deformierten Schädeln aber schrieb
Virchow, daß sie die gleiche Abplattung des Hinterhauptes und der Stirne hatten,
wie die auf der Südküste von Mallicollo, einer Insel der Neu-Hebriden,
auf Luzon (Philippinen), auf Tahiti und Niue gefundenen, welche in diesem
Kapitel schon einmal erwähnt wurden. Wer darauf besteht, die peruanische
Einwanderung aus der Südsee geschehen zu lassen, der möge hier die Etappen
der Überführung der einstmaligen Insulaner nach der amerikanischen West-
küste erkennen. Daß Virchow selbst diese Verbreitung der Schädeldeformation
nicht als erwiesen ansah, geht aus seinen Äußerungen hervor, welche in der
Einleitung zu diesem Kapitel wiedergegeben worden sind.
Künstliche Schädelverbildung ist ferner nachgewiesen bei den Pampas,
Araucos und Patagonen oder Tehuelchen. Von den Pampas, Nachkommen
der Araucos, schrieb Oldendorf, Chef des Argentinischen Agrikultur-Departements:
Sobald die Pampas-Indianerin ihr Kind geboren und im nächsten Fluß oder
See gebadet hat, wird des Neugeborne auf ein, an beiden Enden zugespitztes,
Brett gebunden (gewöhnlich von Algarrobo- oder Talaholz), wobei der Kopf
durch einen um das Brett gebundenen Hautstreifen fest mit dem Hinterhaupt
darauf gepreßt wird; daher die Abflachung, da das Kind in dieser Lage bleibt,
bis es Anstalten zum Gehen macht. Geht die Mutter ihrem häuslichen Ge-
schäft nach, so stößt sie das Brett mit der einen Spitze in aufrechter Stellung in
die Erde; nachts wird es mit den beiden zugespitzten Enden in zwei, im Toldo
(Zelt von uiigegerbten Häuten) angebrachte Schlingen gehängt, die Stelle der
Wiege vertretend. Reitet sie aus, so wird das Kind samt Brett auf den
Rücken der Mutter gebunden, in einen Poncho gehüllt. — Die in den 70ger
!) Von andern Brasilianern auch Canga oder Acangaapeba, Plattköpfe, genannt.
Ploß-Renz, Das Kind. 8. Aufl. Band II. 7
gg Kapitel XXXVI. Operationen am Kindesschädel.
Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Burmeister an die Berliner An-
thropologische Gesellschaft eingesandten und von Virchow untersuchten Pampas-
schädel bestätigten dann auch Oldendorfs Bericht über den Brauch der künst-
lichen Verbüdung.
Ein aus Araucanien nach Argentinien eingewanderter Zweig der Pampas
sind die jetzt fast ausgestorbenen Ranquelas. Ihre Methode stimmt nach
dem Berichte Wiens mit der von Oldendorf beschriebenen, bei ihren Stamm-
verwandten üblichen, vollständig überein.
Die Deformationsmethode der jetzigen Patagonier ließ sich Virchow
von einer durch Hagenbeck in Berlin vorgestellten Patagonierin vor-
demonstrieren. Seinem Bericht zufolge wird das Neugeborne auf ein
Brett gelegt; dann kommt je ein Brettchen auf beide Seiten des Kopfes,
damit dieser beim Reiten der Mutter auf den langen Umzügen ihres Stammes
nicht wackelt, und schließlich bindet man den Kopf mit einer breiten Binde,
welche die Weiber sonst um den Leib tragen, auf dem horizontalen Brett
lest, auf welchem das Kind liegt. Die Zeitdauer, während weichet- es in
diesem Apparat leben muß, wurde auf ein Jahr festgesetzt. Das Resultat
dieser Prozedur ist das gleiche wie bei den Pampas, d. h. Hinterkopf
und Stirne bilden fast senkrechte Flächen. Hingegen zeigten die alt-
patagonischen Schädel, welche Bv/rmeister eingesandt und Virchow unter-
sucht hatte, und die aus Dünen-Gräbern längs des Rio Xegro, von Carmen
de Patagones aufwärts, stammten, eine künstlich stark zurückgedrängte
Stirne mit wenig verändertem Hinterhaupt '). Diese Deformation wird auf
die dort noch übliche Kopfbinde zurückzuführen sein, mit welcher sich nach
Moreno und anderen die jetzigen Tehuelchen die Haare nach rückwärts
zusammenhalten. —
§ 232. Die Schädel-Trepanation.
Die Trepanation oder Durchlöcherung der Hirnschale ist nicht Erfin-
dung der neuzeitlichen Chirurgie unseres Kulturmilieus, sondern ist bereits
für die jüngere Steinzeit nachgewiesen worden, welche in Mitteleuropa
bekanntlich bis zum zweiten Jahrhundert v. Chr. herabreicht.
Die ersten spuren von Schädel-Durcbbohrung zeigten sich mit jenen
Schädelplättchen (Üondelles), welche der Franzose Prunieres in den Dolmen
\<>n Lozere fand und die als Amulette getragen worden seiu sollen. Dann
kamen aus verschiedenen Grabgretten trepanierte Menschenschädel zum Vor-
schein. Nun ihnen waren nach Broca, dem Pariser Anthropologen, viele bei
Lebzeiten der betreffenden Personen durchbohrt worden. Seine Vermutung,
daß die Operation bei Kindern vorgenommen wurde, um Krämpfen und
anderen inneren Krankheiten entgegen zu wirken, ist nach ungefähr 30 Jahren
durch den folgenden Bericht aus dem Bismarckar chipe] bekräftigt
worden.
Im nördlichen Neumecklenburg und auf Neuhannover schneiden
nämlich die Mütter ihren kleinen Kindern die Stirnhaut durch und schaben
unter dem furchtbaren Geschrei des Kindes so lange, bis das Stirnbein klafft
und die Hirnhaut bloß liegt. Dadurch will man späteren Kopfschmerzen, die
von eiic isl herkommen sollen, im voraus entgegenarbeiten. l>enn
nun kann der Lose Geisl hinaus (Glob. 89, 211, nach Parkinson).
I S sind übrigens auch „altpatagonische" Schädel erwähnt,
deren I , I ; . , 1 1 . ■ r hervorgebracht ist. vou
rag an die Stirn, das andere an den Hinterkopf gelegt wurde. Dadurch
entstand, wi pn, eini Zuröckschiebang der Stirn und eine Abdachung
des Hinterkopfes." —
§ 232. Die Schädel-Trepanation. 99
Ähnliche Schädel wie die von Broca untersuchten fand B. Dudlik zu
Sedlec bei Kattenberg in Böhmen in einem alten Beinhaus, sowie WanJcel
in der Byziskala-Höhle in Mähren, und öredner in einem Gräberfeld von
Giebichenstein bei Halle, so daß der Wahrscheinlichkeitsbeweis erbracht
ist, daß in der jüngeren Steinzeit die diese Gebiete bewohnenden Völker den
mehr oder weniger geübten Brauch der Schädeltrepanation hatten.
Broca unterschied eine „trepanation posthume" und eine „trepanation
cliirurgicale": jene mit rauhem und schartigem, diese mit scharfkantigem und
förmlich geglättetem Schnitt. Aber auch eine durch Schaben bewirkte Durch-
löcherung, also wie im Bismarckarchipel, scheint in der europäischen
Steinzeit stattgefunden zu haben1).
Den Brauch, Plättchen aus Menschenschädeln unter den Halskorallen als
Amulett zu tragen, versetzte Ploß in eine viel spätere Zeit; vielleicht habe
er sich auf die historischen Gallier vererbt. Ein solches Amulett befindet
sich in der Sammlung „Meorel" in Chalons-sur-Marne. —
!) Durchbohrte Schädel hat man^auch in einigen nordamerikanischen Mounds,
d. h. Grabhügeln, mit prähistorischen Überresten gefunden. Vgl. Annual Reports of the
board of regeuts of the Smithsonian Institution 1875. S. 234 ff. Archiv f. Anthropol. XIII.
1881. S. 499. Die künstliche Perforation ist jedoch hier in allen Fällen nach dem Tode
des Individuums gemacht und hatte wahrscheinlich den Zweck, mittels des Loches den
Schädel aufhängen zu können {Ploß).
7*
Kapitel XXXVII.
Operationen mannigfacher Arten am Korper des
Kindes.
§ '1'tö. Schon frühere Kapitel haben einzelne Operationen am Körper
des Kindes, nämlich die Haarschur, die Veranstaltung der Füße und Beine
miil die sexuellen Operationen behandelt. Mit diesen ist aber den Bräuchen
vieler Völker noch lange nicht genug getan. Der ganze Organismus, oder
doch noch verschiedene andere Teile, als die von den obigen Operationen
berührten, bedürfen nach althergebrachten Anschauungen der Nachhilfe, der
Ordnung durch geschickte Menschenhände, sei es gleich nach der Geburt, oder
später, einmal oder öfter. Deshalb knetet, frottiert, drückt und preßt man
das Neugeborne nicht nur im heutigen Bannu im nordwestlichen Indien und
bei den Kurden. Armeniern und Tataren des russischen Kaukasus, sondern
man tat ähnliches auch im kaiserlichen Rom; und wie die alten Kömer. so
bangen auch die heutigen Küssen und Esten, Kurden, Armenier und Tataren
die Kindlein an den Füßen auf, um ihr Rückgrat zu strecken, oder ihnen den
Verstand in den Kopf zu schütteln, oder andere Wohltaten zu sichern. Das
Recken, Strecken und Schütteln der Glieder der Neugebornen und Säuglinge.
scheinl überhaupt zahlreichen Völkern als Pflicht vorzuschweben. I>ie süd-
afrikanischen Basutos und Maravi tun es auch, und ebenso die Yaper und
Australier. Nichtarische, kulturell tiefstehende Völklein in Vorderindien gehen
im Kneten und .Massieren ihrer Neugebornen besonders systematisch vor, und
mit dem Schütteln der Extremitäten in den Gelenken verfolgen sie den
wesentlich gleichen Zweck, den die Ärzte im klassischen Koni verfolgten,
nämlich Elastizität.
Auch Vertreter der semitischen und hamitischen Völkerfamilien schütteln
und reiben den kleinen Weltbürger.
Daß Neugeborne mit Birkenruten gestrichen werden, scheint nur in
Rußland und bei den Esten vorzukommen.
Erweiterung der Nasenlöcher und streichen der Harnblase mußte sich
das Kleine früher in Deutschland gefallen lassen; 1 »rücken des .Magens bei
Hyperboräern und Indianern; Wölbung des Gaumens im heutigen Persien;
kreuzweisi - Luseinanderziehen, bzw. Zusammenbiegen der Hände und Füße
im beutigen Rußland und im alten Rom; Einschnüren der Taille das neu-
geborne Mädchen im heutigen Catalonien.
1 ii. Gesundheil und Kraft war und ist das ge-
wöhnlichste Motu dieser „Ordnung" des kindlichen Organismus.
besondere Aufmerksamkeil erfährt bei mehreren Völkern die Nase,
diesei pl oi Iste Teil des menschlichen Gesichtes.
isten [che sich überhaupt mit ihrer künstlichen Um-
bildung beschäftigen, scheinen der Meinung zu sein, daß die Nase ihre
§ 233. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes. 101
Umgebung zu viel überrage; wenigstens liegt uns mehr Material über Ab-
plattung, als über Verschmälerung vor. Jene können wir, von den Negern
abgesehen, bei den Hottentotten und Bnschleuten, bei Malayen, Mikronesiern,
Polynesiern, Tatarenstämmen und brasilianischen Indianern nachweisen; Ver-
schmälerung einstweilen nur in der indo-europäischen Völkerfamilie, auf
Luzon, wo sie vielleicht gleichfalls auf europäischen Einfluß zurückzuführen
ist, bei vorderindischen Nichtariern und eventuell in Australien. Selbst-
verständlich gilt aber das uns jetzt vorliegende Material keineswegs für
endgültig. Die einstweilige Beschränkung an Material gestattet uns auch
einstweilen keine Entscheidung darüber, ob das Abplatten der Nase und das
Schmücken dieses Gesichtsteiles sich gegenseitig regelmäßig ausschließen, oder
ob beides indifferent nebeneinander bestehe, oder aber sich gegenseitig ergänze.
Wir finden nämlich in den folgenden drei Paragraphen, daß die Yaper die
Nasen ihrer Kinder sowohl abplatten als auch durchbohren, ohne jedoch einen
Schmuck einzuführen. Von den übrigen dort eingeführten Völkern ist uns
bisher diese doppelte Operation bei ein und demselben Volk entweder gar
nicht oder nicht mit genügender Deutlichkeit bekannt.
Übrigens geht aus unserem Material hervor, daß die Nasendurchlöcherung
und der darauf eingeführte Fremdkörper keineswegs ästhetische Zwecke allein
haben; sie sind teils soziale, religiöse und vielleicht auch sexuelle Symbole.
Welches von diesen das primäre war, ist nicht festzustellen.
In den seltensten Fällen wissen wir, welches die Operateure sind.
Aus Australien, diesem Lande reichster Symbolik, ist uns bekannt, daß im
Süden alte Männer, im Innern der zukünftige Gatte des zu operierenden
Mädchens die Durchlöcherung übernimmt, ein Brauch, der sicher wiederum
einen tieferen Sinn hat. Im südlichen Kamerun und auf Yap besorgen es
die Kinder selbst, bzw. irgendein Erwachsener.
Die durchlöcherten Teile sind entweder die Nasenscheidewand oder ein
Nasenflügel.
Als Schmuck oder Symbol werden in die Löcher eingeführt: Stäbchen,
Pflanzenmark, Scheiben oder Pflöcke aus Holz, Zinn und Silber, Knochen,
Federspulen, belaubte Zweige, Krebsscheren, Muscheln, Hinge aus Bernstein
oder Gold u. a. m.
Das Alter des operierten Kindes variiert bei den Völkern der folgenden
Abschnitte zwischen 14 Tagen und zehn Jahren, wenn wir von der mit der
Pubertätsfeier verbundenen Durchbohrung absehen, auf welche spätere Kapitel
zurückkommen.
Was schließlich das Geschlecht der zu operierenden Kinder betrifft,
so geht aus den hier folgenden Mitteilungen hervor, daß ein Teil der Völker
nur den Mädchen, andere nur den Knaben, und wieder andere beiden Ge-
schlechtern die Nase operiert.
Ein noch reicheres Material als über Nasenoperationen liegt uns über
das Durchlöchern der Ohren und Lippen vor. Die dort fehlenden Semiten,
Hamiten und Völkergruppen mit isolierenden Sprachen treten hier auf; auch
die amerikanischen Völker sind hier viel zahlreicher als dort vertreten.
Den Brauch, sowohl Ohren als Lippen zu durchbohren, finden wir
in § 238 bei den wenigsten Völkern, d. h. nur bei den alteu mittelamerika-
nischen Kulturvölkern der Mayas, dann bei den südamerikanischen Tapuya,
Karaiben. Macusi und Botokuden; Durchbohrung der Ober- und Unter-
lippe, oder beider zusammen, bei einigen ostafrikanischen Völkern, im
nordwestlichen Amerika, bei den mexikanischen Pirnas und brasilianischen
Bororo. Viel häufiger ist das Durchlöchern der Ohren, welches ja auch
inmitten unserer eigenen Kultur zur Genüge bekannt ist und teilweise so früh-
zeitig geübt wird, daß z. B. in Catalonien schon das Neugeborne darunter zu
102 Kapitel XXX VIL Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
leiden hat. In Assam, nördliches Indien, herrscht der gleiche Brauch. Im
allgemeinen weisen die Völker des § 238 die Zeit von der Geburt bis zu
12 Jahren als jene Periode auf. während welcher die Kinder den Operationen
des Lippen- und Ohrendurchlöcherns unterworfen werden.
\\ Le die Xasendurchlöcherung, so hat auch die Durchlöcherung der
Obren und Lippen keineswegs überall den alleinigen Zweck, Schmuck aufzu-
nehmen, wenn dieser auch, wenigstens nach der jetzigen Auffassung der Völker,
öfter als andere erscheint. Die Operation selbst trägt bei einzelnen Völkern
einen ausgesprochen religiösen Charakter, oder soll das Kind vor Un-
glück schützen, seinen Verstand und Charakter entwickeln helfen, oder
sie läßt durch ihre Verbindung mit der Xamengebung wenigstens auf einen
religiösen oder sozialen Grundgedanken schließen. Das nach der Operation
bleibende Merkmal gilt als Xationalzeichen; der in das Loch eingeführte
Fremdkörper als Amulett gegen bösen Zauber. Die meisten Völker aller-
dings haben, wie bereits bemerkt, zunächst ästhetische Zwecke im Auge.
Was das Geschlecht der zu operierenden Kinder betrifft, so gilt hier
das gleiche wie bei den Xasenoperationen.
Als Schmuck in den Ohren und Lippen dienen Ringe. Pflöcke. Muschel-
scheiben, Blumen, Beeren. Blätter, Federn. Papier- und Stoffrollen, bunte
Bändchen mit Röhrchen, Platten. Kettchen und Glöcklein aus Silber, C las-
perlen, Stifte u. a. m.
Diese Gegenstände haben bei einzelnen Völkern einen erstaunlichen Um-
fang. Hier sei nur im voraus auf die 20 Zentimeter langen Ohrgehänge der
Assam-Mädchen aufmerksam gemacht.
Als Operateur begegnet uns im § 238 bei Negern und Dravidas der
Onkel des Kindes, was vielleicht mit dem sogenannten Mutterrecht zusammen-
hängt; denn von den Badagar ist ausdrücklich der älteste Bruder der Mutter
genannt. Zauberer sind die Operateure der Tapuya-Kinder.
Aber auch Paten treten bei diesen Operationen auf. Wir linden sie im
alten und neuen Mexiko; dort mit nachhaltigen Pflichten.
Mine weitere Operation im Kindesalter, oder, wie in späteren Kapiteln
gezeigt werden wird, mit Abschluß dieser Zeit, wird an den Zähnen vor-
genommen. Wenn wir die in § 239 gegebenen Tatsachen ins Auge fassen, so
sehen wir Äthiopier, Neger, Malayen. sog. Pygmäen und Pyg;moide. Australier
und alte Kulturvölker von Mittelamerika diesen Brauch ausüben. Immer sind
es Vorderzähne, welche der Operation zum Opfer fallen. Die Wirkung soll
also sichtbar bleiben, sei es. daß die Zähne am Unter- oder Oberkiefer aus-
geschlagen, oder ausgezogen, oder nur zugespitzt, oder in irgendeiner anderen
Form bearbeitet werden. Es liegt also nahe, anzunehmen, daß solche Zahn-
operationen die Verschönerung des Kindes zum Zwecke haben. In diesem
Sinne schrieb /,'. Ln.^li1), sie seien ursprünglich ein rein kosmetischer Brauch,
ein Anziehungsmitte] für das Weib. Nach diesem Grundsätze wären die
Zahnlücken, bzw. die verstümmelten und gefärbten Zähne der Mädchen ein
Anziehungsmitte] für den Mann: denn daß bei einem Teil der Völker das
weibliche, bei einem anderen das männliche, und wieder bei anderen beide
biechter einer Zahnoperation unterworfen werden, ersehen wir aus dem
vorliegenden Kapitel
Auch Dach Ratzi i ist die Färbung der Zähne ein Verschönerungsmittel, dem
■ les dauerhaften Harzes gegen das Verderben der Zähne
vorausgegai Das hygienische Bedürfnis wäre also dem ästhetischen
voraus^ Opferakt, welchen Eatzel und WiUeen in dem schmera-
o rblicken wollten, anerkennt Lasch nicht als primär,
•) Lasch, Die elhng der Zähne, S. 19—21.
§ 233. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes. 103
■weil die Idee eines Opfers nur sekundären Ursprunges sein könne. Primär
sei wohl der Gedanke gewesen, daß der Jüngling Beweise seines Mutes gebe.
Allerdings ist die Anschauung, der Opfergedanke könne nur sekundären Ur-
sprunges sein, nur hypothetisch.
Wilhelm Wundt1) bringt die Zahnverstümmelung mit dem ..Hauchzauber"
primitiver Menschen in Verbindung. Wenn z. B. beim Eintritt der Reife dem
Mädchen, oder vor der Eheschließung beiden Kontrahenten die Vorder- und Eck-
zähne entfernt werden, so gründe das wahrscheinlich in der Vorstellung, dadurch
„das Ausströmen der Seele als Zauberhauch zu fördern". Daß die Zahnver-
stümmelungen von Anfang an bloß dem Schmuckbedürfnisse gedient haben,
erscheint ihm unwahrscheinlich, ausgenommen in Fällen äußerer Übertragung.
Später freilich seien sie fast durchweg in eine kosmetische Bedeutung überge-
gangen. Bei der Männerweihe sei der Hauchzauber zu einer Mut- und Schmerz-
probe geworden. Ursprünglich habe man wohl im Ausbrechen der Zähne ein
direktes Mittel zur Erhöhung der Kraft des Kriegers und Jägers mittels des aus
dem Munde strömenden Hauchzaubers gesehen. Die Ansicht des H. Schürte, die
Zahnfeilung sei aus der Neigung zur Übertreibung vorhandener Eigen-
schaften hervorgegangen, teilt Wundt nicht. Mit seiner eigenen Hypothese
will er den australischen Eitus erklären, in welchem der Medizinmann seine
unteren Schneidezähne gegen die oberen Schneidezähne des zu operierenden
Knaben preßt. Der Medizinmann wolle vielleicht dem Jüngling durch das
Einblasen seines Atems etwas von seiner Zauberkraft mitteilen. —
Obgleich erst ein späteres Kapitel die. Zahnoperation als einen Teil der
Pubertätsfeier behandelt, glaubte ich, diese Anschauungen doch hier schon
wiedergeben zu sollen, damit der geschätzte Leser sie gleich mit den von den
Völkern jetzt selbst angegebenen Motiven und mit den Zeremonien, welche
einen Schluß auf ihre frühere Auffassung ermöglichen, vergleichen könne.
Leider fehlt bei allzu vielen Mitteilungen der Forschungsreisenden sowohl die
Motivierung als auch die Angabe von Zeremonien. Soweit aber das eine oder
andere, oder beides vorliegt, ergibt sich folgendes:
Die jetzigen Masai in Deutsch-Ostafrika verfolgen einen praktisch-
ästhetischen Zweck, wenn man ein strahlenförmiges Ausspucken so nennen kann;
aber nach ITViss ist ihre Zahnoperation „fraglos" eine alte religiöse Sitte; die
ost- bzw. südafrikanischen Wakamba und Batongas bezeichnen ihre künstlich
verstümmelten Zähne bzw. ihre Zahnlücken als Stammeszeichen; auch die
Herero tun das, verbinden aber zugleich religiöse Zeremonien damit und
machen sozial-religiöse Vorrechte davon abhängig; als früheres Stammeszeichen
und jetzige Verschönerung samt Reinlichkeit gilt die Wirkung des Brauches
bei den Malayen auf den Mentawei-Inseln. Alle Australier, bei denen das
Alter der Kandidaten die Kindheit und die Reife beider Geschlechter umfaßt,
verbinden damit derartige Zeremonien und Anschauungen, daß man dem
Brauch einen religiös-sozialen Charakter kaum absprechen kann. Die Mayas
verfolgten ästhetische Zwecke.
Praktische, ästhetische, hygienische2), soziale und religiöse
Zwecke begegnen uns also bei den Zahnoperationen im Kindes-
alter. Welcher von diesen der primäre war, oder ob nicht jeder aus
ihnen in dem Kulturmilieu, in welchem er gefunden wird, primär sein
kann, ist eine Frage, auf die wohl nur hypothetische Antworten gegeben
werden können, ehe anderweitige Tatsachen vorliegen. Die menschliche Psyche
mit ihrem Reichtum an Empfindung, Phantasie, Verstand und Willen läßt sich
') Völkerpsychologie 2. Bd., 2. Teil, Leipzig 1906, S. 5lj ff.
2) Hygienisch, wenn die Mentawei-Insulaner die Reinlichkeit nicht vom ästhetischen,
sondern vom gesundheitlichen Standpunkt auffassen.
104 Kapitel XXXVII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
auf keiner Kulturstufe so arm denken, daß die Bräuche der Völker immer
nur auf eine Grundform ihrer Art müßten zurückbezogen werden.
Der gleiche Grundsatz dürfte auch für die Tätowierung gelten. Dieser
in § 242 dieses Kapitels behandelte Brauch war nach Joest, dem wir auf dem
Gebiet der Tätowierung vieles verdanken, ursprünglich ein ästhetischer. Andere
plädieren für ein religiöses, wieder andere für ein soziales Urmotiv. Nach
Karutz, der uns neuestens mit interessantem Material aus Tunis bekannt
machte, wäre die Tätowierung auf die Volksmedizin zurückzuführen, d. h.
auf Narben, die vom Schröpfen, von Blutentziehungen ') durch Einschnitte,
von sogenannten Haarseilen u. a. m. zurückblieben.
Mir erscheint freilich eine solche Reduzierung der, jetzt wenigstens, so
vielgestaltigen Motive und Zwecke kaum durchführbar. Die Ka>utzsc\\en
Tätowiermuster für Kinder allein schon repräsentieren physische Stärkemittel,
Schutzmittel gegen Zauber, religiöse Symbole u. a. m., was der vielseitigen
Sorgfalt der Eltern für ihre Kinder entspricht. Sicher hat der Gedanke, daß
diese Stärke-, Schutz- und Zaubermittel, diese religiösen Symbole usw. dauernd
dem Kind aufgedrückt und somit am zweckmäßigsten in dessen Haut gezeichnet
werden, zum mindesten ebensoviele Wahrscheinlichkeit für sich, als der obige.
Überblicken wir dann die in § 212 angeführten Bedeutungen, welche
die betreffenden Völker der Tätowierung unterlegen, so linden wir diese
als Stammeszeichen, Zeichen königlicher Abstammung, als Privi-
legium von Häuptlingstöchtern und Häuptlingsfrauen, und zwar als ein
religiös-mystisches, das der Seele nach dem Tode mittels der geheimnis-
vollen Schlange glücklich ins Jenseits verhilft, als religiösen, nicht näher
definierten Brauch, und als Verschönerungs- und Anziehungsmittel des
weiblichen Geschlechtes. Daß all diese Motive notwendigerweise auf ein einziges
zurückgeführt werden müßten, sei dieses nur als religiös oder nur sozial,
oder nur ästhetisch, oder nur chirurgisch usw. gedacht, dürfte unhaltbar
sein.2)
§ 242 zeigt uns Völker, welche nur das weibliche Geschlecht tätowieren,
dann wieder andere, welche nur das männliche, und wieder andere, die sowohl
ihre Töchter als auch ihre Söhne dieser Operation unterwerfen.
Von allen Operationen dauert die Tätowierung am längsten, denn sie
setzt sich mit kürzeren oder längeren Zwischenpausen bei mehreren Völkern
Jahrzehnte lang fort. Ein Extrem dieser Art sind wohl die Mentawei-
Insulaner mit ihrer Fortsetzung durch ein halbes Jahrhundert.
§ 24:5 enthält Bruchstücke über Blutentziehungen, Ritzen, Brennen. Ein-
reiben, Abschneiden von Fingergliedern, Durchlöchern der Wangen, Erweitern
der Augenhöhlen, Abschneiden von Teilen an den Ohren und des männlichen
Gliedes, Verrenkung und Brechen der Glieder. Der Überblick über diesen
und die übrigen Abschnitte dieses Kapitels sind leicht, weshalb hier nicht
weiter darauf eingegangen wird. —
§ 234. Das Ordnen des kindlichen Organismus.
Im allen Indien galt es als Aufgabe der Arzte, den abnorm gebildeten
Neugebornen eine normale (festalt zu geben. Im heutigen Bannu, nordwest-
liches Indien, sucht die Mutier selbst die Glieder ihres Neugebornen schön zu
bilden, indem ie sie knetet und drückt.
1 . I ätowiermuster, S. 54.
B) Es sei I Uerodot V, 6 hingewiesen, welcher schrieb, daß Tätowierung
I In 'Li vornehmer Geburt war. Nach Backöfen erscheint sie in»
grieohwcl H thu ..wohl des Adels als auch der Schmach (Mutterrecht 335 f.).
Vgl. auch die Togoneger in § 213.
§ 234. Das Ordnen des kindlichen Organismus. 105
In Persien führt die Hebamme beim Baden des Kindes ihre Finger in
dessen Mund, um dem Gaumen durch Drücken eine gehörige Wölbung zu
geben und die allenfalls getrennten Gaumenbeine zusammenzufügen. In diese
Operation setzt das persische Volk einen so festen Glauben, daß es den Wolfs-
rachen der Ungeschicklichkeit der Hebamme in diesem Punkte zuschreibt
(Polalc).
Die Hebammen der Kurden und Armenier im transkaukasischen Gouver-
nement Eriwan beginnen ihre Manipulationen, welche dem Kinde schöne
Körperformen, feste und regelmäßige Glieder verschaffen sollen, vom 15. Lebens-
tag an1). Sie streichen ihm von dieser Zeit an nach jedem Bad die Schulter-
gegend, ziehen ihm Beine und Arme, drücken jedes einzelne Glied derselbeu,.
heben und ziehen den Kopf, um den Hals zu verlängern, und drücken mit
den Fingern die Ohrmuscheln an den Schädel. An einigen Orten schwenkt
man das Kind nach dem Bade, indem man es zuerst an den Füßchen, Kopf
abwärts hält und es dann umgekehrt, d. h. am Köpfchen, faßt und es so
pendeln läßt. Auf jede dieser Stellungen kommen je zwei Schwenkungen.
Ahnliche Bräuche werden auch den dortigen Kurden zugeschrieben.
In Rußland drücken die Hebammen (Badefrauen) dem Neugebornen
alle Glieder, fassen es dann gleichfalls an den Füßen und schütteln es mit
herabhängendem Kopf, weil es zerknittert auf die Welt gekommen sei. Schon
in einem früheren Kapitel wurde der russische Brauch erwähnt, das Neu-
geborne am zweiten oder dritten Tage in den Ofen zu stecken oder in die
Badestube zu bringen, wo es mit einem Bündel Birkenzweige gerieben und
geschlagen, mit Seife gewaschen, mit Salz von dem Niederschlag aus dem
Fruchtwasser usw. gereinigt wird. Auch der in Kapitel XXXVI erwähnte
Versuch, den Schädel hübsch zu bilden, und das Ziehen der Nase2) findet bei
dieser Gelegenheit statt. Dann reckt man die Extremitäten und damit den
ganzen Körper, indem man das Kind zuerst bei der linken Hand und am
rechten Fuß und herauf an der rechten Hand und beim linken Fuß faßt und
zieht. Schließlich ergreift man es an beiden Füßen und hebt es schnell nach-
einander mehrere Male auf, ..um die Eingeweide in die gehörige Lage zu
bringen und von den Nieren die inneren Brüche abzuleiten". — Von den
Russen in Astrachan berichtete Meyerson, daß sie das Kind bald nach der
Geburt in die Badestube bringen, wo ihm die Glieder wiederholt ..abduziert,.
adduziert, flektiert und extendiert werden". Man nenne dieses Verfahren
„Pravif.
Merkwürdigerweise erwartete man auch im alten Rom von einer ähn-
lichen Behandlung eines Neugebornen Gutes. Der Arzt Soranus empfahl, die
Kinder nach jedem Bade an den Füßen zu fassen und den Kopf nach unten
hängen zu lassen. Auch bei dem vermeintlich altgriechischen Arzt Moscion,
der nach Valentin Rose aber wahrscheinlich ein Afrikaner nach dem 6. Jahr-
hundert n. Chr. ist, findet sich diese Ansicht vertreten. Man wollte dadurch
das Rückgrat dehnen und biegsam machen. Außerdem sollte dem Kinde nach
den Vorschriften des Sora>ius3) täglich nach jedem Bade Zunge, Zahnfleisch-
und Mundwinkel sanft gerieben und der Unterleib etwas gedrückt werden,
um die Entleerung des Harns zu veranlassen. Auch suchte man beim Salben
und Frottieren des gebadeten Kindes etwaige Formfehler an dem kleinen
Organismus zu verbessern, indem man mit dem Ballen der rechten Hand zuerst
von der linken Hinterbacke in schräger Richtung nach oben und dann von
dem linken Schulterblatt nach dem rechten Schenkel strich. Hierauf bog man
') Nach Ploß (2. Aufl. LT, 35) streckt man dem Neugebornen die Beinchen auch gleich
nach dem ersten Bade.
2) Hierüber im § 236 des vorliegenden Kapitels.
3) Dessen Vorschrilten über die Reinigung des Kindes sind in Kap. XI referiert worden.
106 Kapitel XXXVII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
4ie Extremitäten so, daß sieh die Finger und Zehen kreuzweise berührten.
Dadurch sollten die Sehnen und Bänder elastisch werden.
In Deutschland drückten und streckten im 16. Jahrhundert die Heb-
ammen dem Neugebornen alle Glieder, erweiterten ihm mit den Fingern die
Nasenlöcher, gössen etwas Baumöl hinein und suchten die Ohren künstlich zu
bilden — alles, um das Kind schön zu machen. Damit es leicht uriniere, ver-
ordnete der Arzt Bö/ili». man solle dem Kind über die Harnblase streichen.
Seine diesbezügliche Anweisung in Versen lautet:
PDu sollt auch ihm zur selben Stundt
Sein Glieder streichen auf und ab,
Wann es dieselben strecken mag.
Du magst sie ihm auch lenken fein,
Dieweil sie ihm noch linde sein,
Nach Deim gefallen, wie Du will,
Damit sie werden wol gebildt.
Desgleichen magstu auch dem Kindt
Sein Ohren, weil sie noch lind sind,
Die Xass, darzu das Häuptlein sein
Sänfftigklichen formieren fein
Mit Deinen Händen auf das B^st.
Das Bäuchlein streich ihm auch zuletzt."
Im 18. Jahrhundert erging es nach C. L. Walten Darlegungen dem Kind
in Deutschland noch nicht besser, und auch jetzt sollen da und dort ähnliche
Unsitten unter dem deutschen Volke herrscheu.
Gelien wir von den Indo- Europäern zu anderen Völkern über, so
finden wir zunächst bei den Maroniten am Libanon eine ganz gründliche
Behandlung des Neugebornen. Alle seine Glieder und Organe werden in
.Mitleidenschaft gezogen, schreibt Beehara Chemali. Man bestreicht ihm die
Augen mit Pulver, welches dadurch gewonnen wird, daß man den Bauch von
einem Weihranchkorn und Alaun auffängt1), die in einem Stück blauen Stoffes
verbrannt werden. — Da der Name dieses Pulvers von ChSmali mit „collyre
de coquetterie" übersetzt wird, dürfte es ein Schönheitsmittel sein. Die .Mutter
des Kindes bestreiche ihre Augen gleichfalls damit. — Um dem Kinde das
Atmen und Schlucken zu erleichtern, behandelt man mit einem in Salzwasser
getauchten Finger wiederholt dessen Gaumen, Mandeln und Halszäpfchen. —
Um die Glieder des Neugebornen geschmeidig zu machen, ölt und reibt man
sie mit Myrtenpulver ein, bewegt die Händchen nach oben und unten, vor-
und rückwärts, und die Füßlein biegt man so aufwärts, daß sie den Kopf
berühren.
Im arabischen Ägypten ist es Sitte, das Neugeborne am siebenten
Tage in ein Sieh zu legen und zu schütteln, weil das dem Magen zuträglich
sei ( Lara I.
Die Kahylen reiben ihren Neugebornen die Gelenke ein. wohl auch
um sie elastisch zu machen (Ledere).
Bei den ßasutos nimmt die Großmutter das mit Fett bestrichene Neu-
geborne auf den Schoß und reckt und streckt ihm die Glieder, damit es ge-
lenkig und stark werde.
Die Frauen der Maravi-Neger im portugiesischen Südafrika rollen
ihre kleinen Kin lieh nach vorgenommener Waschung und Besprengung
mit heißem Wasser ml ihren ausgestreckten Beinen, recken sie dann mit
einer Hand an Annen und Beinen in die Höhe und schütteln sie. während
sie mit der andern Hand den kleinen Körper in der Mitte umfassen (W.Peters).
Bei den zu den insularen Zwergstämmen gerechneten Minkopies auf
n-Inseln mint gewöhnlich der Vater das traditionelle
ttuß davon.
§ 234. Das Orduen des kindlichen Organismus. 107
Pressen des Schädels und Körpers des Neugebornen. Es findet sowohl am
Tage der Geburt selbst, als auch am folgenden Tage statt und hat wie bei
andern Völkern den Zweck, dem Kinde die richtige Form zu geben. Jagor
ließ sich das Verfahren wiederholt zeigen und fand es immer wesentlich gleich.
Der Vater erwärmte die Fläche seiner Hand am Feuer oder an einer Harz-
fackel und drückte damit stark zuerst auf die Stirne, dann auf die Schläfen,
hierauf mit dem Zeigefinger auf die Nasenwurzel, während die Linke den
Unterkiefer drückte. Hierauf wurden die Handgelenke. Elleiibogenvorsprünge,
die Nasenscheidewand zwischen Daumen und Zeigefinger gepreßt, während zu-
gleich die Nase mit dem unter derselben angelegten Zeigefinger der linken
Hand nach oben gedrückt wurde. Nachdem das Kind umgekehrt worden war,
preßte man ihm nacheinander das Ende der Wirbelsäule, die Kniescheibe, die
Knöchel mit Daumen und Zeigefinger. Vor jeder einzelnen Operation wurde
die Hand erwärmt. —
Auf der deutschen Karolinen -Insel Vap werden die Neugebornen während
des ersten Monats stark gerieben; auch streckt man ihnen oft die Glieder,
um sie zu kräftigen (Miclucho-Maclay).
Aus Australien berichtete seinerzeit, HooJcer, man drücke dem Neu-
gebornen die Nase und strecke ihm die Finger, Zehen und andere Glieder,
wobei man zu Alna (Gott) bete, daß das Kind groß, stark und geschickt
werde. Und an einer anderen Stelle (bei Ploß, 2. Aufl. I, 334): Man streckt
ihm die Arme und Glieder täglich abwärts durch eine Art Pressung; seine Hände
und Finger werden rückwärts gebunden.
Dem Maori-Kind auf Neuseeland werden nach dem ersten Bad alle
Gelenke gebogen.
Die von Jagor erwähnte Pulayer Sklavenkaste in Malabar (also wohl
Nicht-Arier) kneten dem Kinde vom zehnten Tage an den Körper, nachdem
dieser eingeölt oder mit Turinerikpulver eingerieben ist. Auch zupfen sie
ihm die Nase nach vorn, streichen ihm Gesicht und Stirne mit den Handflächen
viui der Mitte aus nach den Seiten, die Arme und Beine der Länge nach und
schütteln ihm Hände und Füße in den Gelenken. —
Wenn die südindischen Vedas das Neugeborne zum erstenmal ge-
badet haben, dann reiben sie es mit Turmerik und Öl ein und kneten und
streichen es nach bestimmten Begeln, d. h. man streicht mit den flachen
Händen, vom Scheitel beginnend, über den Kopf nach allen Richtungen gleich-
mäßig abwärts, fährt mit der inneren Kante der Hand, den Zeigefinger fest
aufdrückend, längs beider Seiten der Nase hin, dann unter der Nase von links
nach rechts und umgekehrt. Hierauf setzt man die Handflächen auf die
Wangenbeine und dreht sie drückend hin und her. Auf die gleiche Weise,
jedoch nur mit einer Hand, wird dann auch der Scheitel gedrückt, bzw.
massiert, und schließlich streichelt man, von oben beginnend, den ganzen Körper.
Die Tataren behandeln ihre Neugebornen ungefähr nach der weiter
oben bei den Armeniern und Kurden geschilderten Methode.
Die Esten machen es ähnlich den Russen, d. h. sie peitschen dem Kleinen
nach dem Bade in der heißen Badestube den Hintern mit Birkenreisig1), fassen
es an den Füßen und schütteln es hin und her, um allen Verstand in den
Kopf fallen zu lassen {Krebel).
Die Tungusen im nordöstlichen Asien und die Koluschen oder Thlinkit,
Indianer in Alaska, drücken dem Neugebornen die Magengegeud, bis Erbrechen
erfolgt. —
!) Vielleicht steht dieser Brauch mit dem Birkenkult der den Esten verwandten Mord-
winen in ihrer vorchristlichen Zeit in Verbindung.
108 Kapitel XXX VII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
§ 235. Das Abplatten der Nase.
Ein absichtliches Plattdrücken der Nase bei den Negern scheint nicht
nachgewiesen zu sein. Wohl „sollen" viele Negervölker, darunter auch
die Acra der Goldküste, einen starken Druck auf den Nasenknochen
der Neugebornen ausüben, die Ohren in die Länge, die Lippen in die Breite
ziehen und das Gesicht platt quetscheu, um die typische Negerschönheit zu
steigern; aber solchen Angaben wurde widersprochen, oder man zweifelte sie
wenigstens an. Auch die von Stanley am Tanganyika-See gefundenen
Uhombo-Neger dürften ihre flachen Nasen mehr als unabsichtliche Wirkung
der dortigen Tragart bekommen haben; denn als Stanley einen Mann mit auf-
fallend flacher Nase nach der Ursache fragte, erhielt er die Antwort, seine
Mutter habe ihn in seiner Kindheit zu fest an ihren Eücken geschnürt.
Hingegen ist der Brauch, die Nase platt zu drücken, für die Hottentotten
nachgewiesen. Zu Koü>s Zeit gingen sie dabei so weit, daß bisweilen das
Nasenbein verrenkt oder gar gebrochen wurde.
Spuren solcher Verletzungen fand Gosse im 19. Jahrhundert auch an
Buschmann-Schädeln.
Plattdrücken der Nase bei Kindern erwähnte Floß1) als Brauch auf
Sumatra und Celebes. Feierlichkeiten seien hier mit der Operation nicht
verbunden gewesen. Auf Tahiti ging das Plattdrücken der Nase bei
Neugebornen mit der Zeremonie der Namengebung vor sich.
Als eine notwendige Zeremonie erscheint sie bei den Maoris auf
Neuseeland, wo sie die gleiche Wichtigkeit hatte, wie die Darreichung
von Butter und Zucker im alten Schottland (Tide). Cole>iso>i begründete
sie hier einerseits mit der dortigen Auffassung, flache Nasen seien schönr
andererseits mit dem Brauch, sich durch gegenseitiges Beiben der Nasen zu
begrüßen.
Auf Neu-Caledonien tauchte man die Finger in heißes Wasser und
quetschte dann damit dem Neugebornen die Nase (Montroueier).
Als Schönheitsideal gilt eine Plattnase auch auf Samoa. Die dortigen
Frauen linden Adlernasen und gerade Nasen abscheulich, nennen sie ,.isu wa"
(Kahnnasen) und suchen ihre Neugebornen davor zu bewahren. Gleich drückt
man den Kindern nicht nur die Stirn'-), sondern auch die Nase flach, und auch
wenn die Mütter stillen, drücken sie ihren Säuglingen die Nase mit der Hand
nieder {Kubary und Turner). Marsden (bei Phfi, '2. Aufl. I, 304) berichtete
von den Weibern der polynesischen Inseln überhaupt, daß sie ihren
Kindern die Nasen abplatten und ihnen die Ohren auswärts ziehen, und von
„manchen" tnseln Polynesiens erzählt G. Förster (ebenda), daß die Heb-
ammen das Plattdrücken der Nase an den Neugebornen wiederholt vornehmen,
weil sie platte Nasen für schön halten.
Die Yap- Insulanerinnen teilen die gleiche ästhetische Auffassung. Das
Plattdrücken findet hier in den ersten Lebensmonaten statt und wird so
energisch durchgeführt, daß die Kinder schreien. Die Mütter oder Wärterinnen
wannen vor der Operation die Hände am Feuer. Man nennt sie auf Jap
„Andowek".
An einem Negrito-Schädel von den Philippinen8) fand Virchow eine
sehr breite und platte Nasenwurzel, welche durch künstliche Manipulation
und seitliche Verwachsung der Nasenbeine mit dem Oberkiefer hervorgerufen
worden war.
■ \nM. T. 304.
Kap. XXXVI.
Kap XXXVI.
§ 236. Die Verschmälerung der Nase.
109
Die Hunnen und (sibirische?) Tataren bezwecken mit dem Platt-
drücken der Nasen bei ihren Kindern eine Veredelung der Gesichtsform.
Einen ähnlichen Geschmack scheinen gewisse brasilianische Stämme
gehabt zu haben. Lery wohnte im 18. Jahrhundert bei den dortigen Tupin-
Inba-Indianern der Geburt eines Kindes bei und sah, daß das Plattdrücken
der Nase zu den ersten Verschönerungsversuchen gehörte, welche der Vater
an dem Neugebornen machte. Dapper erwähnte von den Maragnas. einem
Zweig der Tupin-Inba, die Hebammen hätten den Neugebornen ihre von
Natur eingebogene breite Nase eingedrückt. —
§ 236. Die Verschmälerung der Nase.
Über Versuche, die natürlich gegebene Nase schmalrückig zu machen,
liegt uus eine Mitteilung von Blumentritt vor, daß in Böhmen die Ammen
oder Kindsfrauen den aristokratischen
Kindern die Nase zwischen den
Fingern von oben nach unten streichen,
um eine schmalrückige Nase zu er-
zielen, und daß zu dem gleichen
Zwecke die Ilocauen auf Luzon
(Philippinen-Insel) den Gaumen des
Kindes kitzeln (?).
In Bannu im nordwestlichen
Britisch-Indien sucht man durch ent-
sprechende Behandlung die Nase des
Neugebornen schmal und möglichst
lang zu bilden (Qerland, nach Thor-
burri).
Ferner ist ein seitliches Zu-
sammendrücken der Nase bei Neu-
gebornen unter den Armeniern im
transkaukasischen Gouvernement E r i-
wan gebräuchlich.
In Bußland wird die Nase
„in die rechte Form" gezogen (Krebel).
Die südindische Pulayer
Sklavenkaste zupft dem Neugebornen
die Nase nach vorn und auch die
dortigen Vedas, sowie die von HooJcer beobachteten Australier scheinen
durch ihre Behandlung, welche in § 234 geschildert worden ist, die Nase
schmälern zu wollen. —
Fig. 27R. Stationsdolmetscher von Jauiide mit Familie.
Dictze pliot. Im Museum für Völkerkunde in L e i p zi g.
§ 237. Das Durchlöchern der Nasenscheidewand und der Nasenflügel.
Einführung von Fremdkörpern: Schmuck usw.
Bei den Jaunde-Negern im südlichen Kamerun durchbohren sich die
Mädchen selbst die Nasenscheidewand und stecken ein Stäbchen durch das Loch.
In Lukuledi im südöstlichen Deutsch-Ostafrika durchsticht man
den sechsjährigen Mädchen mit einer Nadel den linken Nasenflügel und steckt
in die Öffnung zunächst einen Grashalm. Später kommt ein Hölzchen, bis der
eigentliche Schmuck, das „Chipini" ^ aus Holz oder, öfter noch, aus Metall
eingeführt werden kann.
*) Nach Wcule heißt dieser Nasenpflock nur im Idiom der Wayao „Chipini" ; bei den
Suaheli „Kipini".
HO Kapitel XXXVII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
In späteren Jahren zieht das Chipini den Nasenflügel unschön herunter,
und noch weniger schön sieht die Nase dann aus, wenn es ganz fehlt. Dieser
Schmuck, ein einheimisches Kunstprodukt, welches von dem Künstler um
10 15 Pfennig (6 — 10 Pesa) erworben weiden kann, ist in Lukuledi das
Unterscheidungsmerkmal der Geschlechter, da der Haarwuchs bei beiden
ist und die meisten Männer bis ins vorgerückte Alter bartlos bleiben
gleich
( Wehrmeister).
Auch die
diesen kleinen
Suaheli der Küste und die Wangoni von Nchichira tragen
koketten Pflock im linken Nasenflügel, wie Weide schreibt.
Ursprünglich indisch, habe ei-
sernen Siegeszug über die ganze Ostküste
Afrikas, gehalten und sei jetzt
im besten Begriff, als Sinnbild
höherer Bildung und feinerer
Zivilisation auch die fortschritt-
lichen Stämme des Innern zu
erobern. ,,In einfachster Form
ein bloßer Zylinder aus Pflanzen-
mark, wird er je nach dem Reich-
tum der Trägerin in den besseren
Exemplaren aus Ebenholz ge-
fertigt oder gar aus Zinn oder
Silber hergestellt. Die Ebenholz-
» pflöckchen sind fast immer in
f ^^ m gl sehr zierlicher, geschmackvoller
Weise mit Zinnstiftchen aus-
gelegt." Weide fügt dieser Be-
schreibung noch die Bemerkung
bei, daß das Chipini nach unseren
Begriffen zwar keine Verschöne-
rung des Gesichtes sei, aber nach
einiger Gewöhnung doch ganz
nett und ansprechend wirke, da
^v ifHillkAiV^ l!r,M braunen Oesichl der
Trägerin unstreitig etwas Ko-
kettes verleihe.
Durchbohren des Septums
kommt bei den Mikronesiern auf
der deutschen Karolinen-Insel
Vap vor. Kinder und Er-
wachsene vollziehen diese Opera-
tion entweder an sich selbst,
oder lassen sie von andern voll-
Zierat komml in die Öffnung nicht hinein (Senfß). Nach Miclucho-
Maelay benutzt man bei kleinen Kindern zum Durchbohren ein zugespitztes
Stück von einer Kokosnußschale.
\ns Britisch-Neuguinea berichtete M. Krieger, daß die Papuas
ihren Söhnen den Nasenknorpel im Alter von sechs Jahren, also im gleichen
Aller wie in Lukuledi, durchbohren und den unentbehrlichen Nasenschmuck
anlegen. Nach dem Glauben der Eingebornen muß man mit demselbes
"ii sein, um nach dem Tode in ein Land einzugehen, wo Überfluß
ihrungs- und Genußmitteln herrscht. Stirbt ein Kind, dessen Nasenbein
iit durchbohrt ist, so versäumt man es nicht, diese Operation bei dem
i nachzuholen, aus Furcht, es könnte ihm sonst dadurch
der Einlaß in das „gute Land" verschlossen sein. — In Holländisch-
Fig. 276. Mädchen »n< I . u k u 1 .-,] i mit Kindern. Das Mäd-
chen links im Einlergrund hat ein „Chipini" im linken
Au-. P. C. Wthrmtistar, „Vordem Sturm", S. 61.
ziehen.
§ 237. Das Durchlöchern der Nasenscheidewand und der Nasenflügel usw. \l\
Neuguinea durchbohrt man den Knaben die Nasenknorpel mit etwa sechs
Jahren.
Auf den Salomon-Inseln sah Becchy Eingeborne mit Krebsscheren
durch den Nasenknorpel gesteckt. — Ob die Durchbohrung in der Kindheit oder
später stattfindet, ist mir unbekannt.
Im Süden Australiens wird dem Kinde am 14. Tage die Nasenwand
durchbohrt {Eijre), was nach Angas am Maquarie erst zur Zeit der Mann-
barkeit geschieht. Diese Operation der Nasendurchlöcheruug wird Mudla-
willpa genannt, bei dem Stamme der Dieri an Kindern im Alter von
y — 10 Jahren durch einen Alten vorgenommen, der mit dem zugespitzten
Holze der Acacia Cuyamura das Septum durchbohrt und dann, um Heilung
zu verhindern, eine Federspule einfügt. Diese Mudlawillpa-Opeiation und die
dabei gebräuchlichen Zeremonien beschreibt JE. Jung, wie sie im Seengebiete
Australiens vorkommt. In der Regel ist es der Vater, der die Zeit bestimmt;
die übrigen Lagergenossen werden gewöhnlich um ihre Zustimmung befragt;
sie wird bei Mädchen und Knaben zwischen dem 5. — 8. Jahre vorgenommen.
Ist die Zustimmung erfolgt, was ausnahmslos geschieht, so ersucht man einen
der alten Männer, den Akt zu vollziehen. Dieser wählt von dem Cuyamura-
baum einen dünnen, spannenlangen Zweig, glättet, spitzt und härtet ihn.
Etwa wenn die Sonne am höchsten steht, befiehlt er den Eltern, das
Kind zu ihm zu bringen. In ihrer Begleitung kommen alle Männer und
Frauen im Lager, umringen den Operateur und den Vater, der das Kind
hält, und stimmen einen eintönigen Gesang an, den sie bis nach der
Operation fortsetzen. Man glaubt, daß der Gesang die Schmerzen des Kindes
lindere. Der alte Mann faßt die Nasenscheide des Kindes mit den Fingern
der linken Hand, während seine rechte das spitze Holz hindurchstößt.
Eine bereitgehaltene dünne Federspule, in der Regel vom Habicht oder
der Krähe, wird sodann in die Öffnung gesteckt und verbleibt dort, bis
die Wunde völlig geheilt ist. Im späteren Leben wird selten etwas, sei
es Knochen, Holz oder Federspule, in der Nase getragen; nur junge Mädchen
und Frauen legen bei besonders festlichen Gelegenheiten einen solchen
Schmuck an.
Auch die nördlichen Stämme von Zentral-Australien, d. h. alle jene
Stämme, welche das weite Gebiet zwischen dem Carpentaria-Golf bis zu
den Macdonnell Ranges im Innern des Kontinents bevölkern, üben den Brauch,
den Kindern die Nasenwand zu durchbohren. Der Warramunga-Stamm
führt ihn auf Alcheringa, die graue Sagenzeit, zurück. Eine alte Krähe
habe die erste Operation mit ihrem Schnabel ausgeführt. Heutzutage sollen
weder die Warramunga, noch irgendein anderer der nördlichen Zentral-
stämme Australiens der Nasendurchbohrung einen anderen als ästhetischen
Zweck zuerkennen, d. h. das durch die Nasenscheidewand geschobene Stöckchen
oder Bein gelte ihnen einfach als Schmuck. Aber die Medizinmänner der
Warramunga tragen doch das geheimnisvolle Zeichen ihres Standes, das
Kupitja, in der Nase. Auch ersetzen die Stämme des Innern bei gewissen
Zeremonien den Knochen oder Stab in der Nase durch ein Büschel belaubter
Zweige, was wohl mit dem Baum-, bzw. Geschlechtskult zusammenhängt. Die
Bedeutung der Nasendurchbohrung scheint also doch eine tiefere als nur die
des Schmuckes zu sein (vgl. Neuguinea w. o.). Diese meine Vermutung wird
auch dadurch bestärkt, daß den Mädchen der Stämme Arrunta, Ilpirra und
Unmatjera der zukünftige Gatte die Nasen durchbohrt. Das Mädchen füllt
hierauf ein kleines hölzernes Gefäß mit Sand und hüpft mit enggeschlossenen
Füßen umher, während sie das Gefäß wie beim Schwingen des Samens hin
und her bewegt. Die Knaben ziehen bei diesen Stämmen, nachdem ihnen das
Septum durchbohrt ist, ein Stück Rinde von einem Baum und werfen es, wie
112 Kapitel XXXVII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
später den abgeschlagenen Zahn1), nach der Richtung des Alcheriiigalagers
ihrer Mutter {Spencer und Gillen).
Im alten Zentral-Amerika hatten alle Maya-Völker, mit Ausnahme
jener in Guatemala, deu Brauch, Ohren, Lippen und Nase beider Geschlechter
zu durchbohren. In die Löcher fügte man Stäbe, Knochen, Muscheln und
Ringe von Bernstein oder Gold ein. Bei den Mayas in Guatemala war der
Brauch auf die Könige beschränkt, weil hier durchbohrte Ohren, Lippen und
Nasen als Zeichen von Rang und Macht galten (Bancroff).
Daß bei den Macusi mit der Durchbohrung der Lippen und Ohren auch
die der Nase verbunden war, ist bereits erwähnt worden. —
B
i
d
Fig. 271
Drei afrikanische Ohrenpflöcke und ein Nasenpflock iChipini).
Nasenpflock Ohrpflock Ohrpflock Ohrpflock
.ms Blei
WaVao.
aus Hörn
Suaheli.
Wamwera.
Im Museum für Völkerkunde in Leipzij
K a (1 j
Hinterland
von Togo.
§ 238. Das Durchlöchern der Ohren und Lippen.
Schmuckes.
Einfügung des
us, dali hier der (Haube an den Schutz vor Zaubertönen mit dem
Schon die alten Babylonier, Perser und Meder schmückten sich mit
Ohrringen. Ihnen diente dieser Schmuck zugleich als Aniulettenträger. Die
Amulette sollten (las Ohr vor Zaubertönen schützen. Denselben Brauch und
Glauben schrieb I'lofi auch den Hebräern und Arabern zu, und sprach die
Verinutun
Glauben an das „böse Auge" zusammenhänge.
Das dürfte den Aberglauben unter dem deutschen Volk, daß das Stechen
der Ohrlöcher und das Tragen goldener Ohrringe vor „bösen" (kranken) Augen
schütze, erklären. Diese Ansicht gewinnt noch mehr an Wahr-
Ischeinlichkeit durch den Zusammenhang, ja häutige Identität des
bösen Blickes mit dem „Beschreien" (vgl. Kapitel VI). Zauber
und Religion durchdringen sich im Völkerleben, wie wir in den
vorhergehenden Kapiteln sahen, vielfach aufs innigste, oder sie
nähern sich doch sehr. Auch der vorliegende Abschnitt bringt
beides in gegenseitiger Berührung; denn der Auffassung der
Babylonier, Perser, Meder, Hebräer und Araber reihen sich jene
anderer Völker an, welchen das Durchstechen der I ihren selbst
als religiöser Akt gilt. Das ist z. B. im heutigen Persien der Fall.
Im östlichen Afrika ist das Durchbohren der Ohren und
i ippen zum Einschieben von Schmuck (Ringen und Pflöcken) sehr
gebräuchlich. Ein anderes .Motiv scheint hier nicht zu unterliegen.
Von den Massai, einem äthiopischen Zweig der hamitischen
erfamilie in Deutsch-Ostafrika, schreibt Max Weiß:
In früher Kindheit durchstechen sie den Knaben und Mädchen die
Ohrläppchen mit einem Akaziendorn und durchschneiden den un-
i ihr-
mit i
11111
K 0 11 k
Mut,
Im Mus. -um für
Völkerkunde
in Lei]
i, Siehe [
§ 238. Das Durchlöchern der Ohren und Lippen. Einfügung des Schmuckes. 113
mittelbar darüber befindlichen Knorpel. Durch Einsetzen von Holzpflöcken, die
man anfangs kleine]-, dann immer größer wählt, werden die Ohrlappen nach und
nach derart gedehnt, daß sie in nicht seltenen Fällen bis auf die Schultern
herabhängen. —
Die Mangandja zwischen Schirefluß und Nyassasee durchstechen
ihren Töchtern, wenn sie noch klein sind, die Oberlippe dicht unter der Nasen-
scheidewand und stecken einen kleinen Pflock hinein, wie A. Eichel (nach
L'trlngstone) schrieb. Ploß hatte mit einem Hinweis auf Oberländer bemerkt,
das Durchstechen geschehe mit einer Nadel, welche nach Vernarbung der
"Wunde herausgenommen und durch eine dickere ersetzt werde. Auf diese
folge wieder eine stärkere und so fort, monate- und jahrelang, bis das Loch
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Fig. 279. Lippenpflöcke, Spielsachen usw. aus Ostafrika. Im Museum St. Ottilieu bei München.
P. Columban phot.
1 und 2 geflochtenes SpeiseteUerehen und Speisenäpfchen für Kinder
3 Klapperkörbchen
4 Telephon aus Kürbisschalen mit Litotwefell überspannt
5 und 6 Tierformen aus Ton. ein Kinderspielzeug
7 Menschenform aus Ton. ebenfalls Kinderspielzeug
S Lippenpflöcke (Pelele) von Eberholz
9 Leudenschurz aus Bastschuüreu ihr Knaben.
mit Leichtigkeit einen Ring (Pelele) von ca. 5 cm Durchmesser fasse {Eichel
gibt ti cm an). Dieses „Pelele" besteht bei der ärmeren Klasse der Be-
völkerung aus Bambus; bei den Vornehmen hat es die Form eines Zinntellers
oder eines Serviettenringes aus Elfenbein. Es wird nicht nur am oberen,
sondern auch am unteren Schire, also auch im portugiesischen Ostafrika, ge-
tragen. Aus dem südöstlichen Deutsch-Ostafrika, Nyangao, berichtet neuer-
dings Cyrillus Wehrmeister freilich: Die greuliche Sitte des Lippenpflockes
(Pelele) scheint allmählich den Reiz zu verlieren. Die Europäer haben Ekel
davor und die müssen es wissen. Die Burscheu heiraten schon lieber Mädchen,
welche von dieser Verunstaltung verschont geblieben sind. Auch in Lukuledi
sei der Lippenpflock unmodern geworden. Zwei deutsch-ostafrikanische Lippen-
pflöcke befinden sich auf dem vorstehenden Bilde (Fig. 279) unter der
Ziffer 8. —
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band It. 8
114 Kapitel XXXVII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
Nach K. Weide steht der Lippenpflock bei den Wamuera und Makonde
aber noch immer in hohem Ansehen.
Bei den Wamuera heißt er „Itona". Er beschränkt sich liier auf das
weibliche Geschlecht, das ihn allgemein trägt. Er ist aus schwarzem Eben-
holz oder einem hellen Holz, welches mit geschlämmter Tonerde weiß gefärbt
wird. Die erste Durchlöcherung der Oberlippe erfolgt zwischen dem siebenten
und neunten Lebensjahre mit dem ahlenförmig zugespitzten Ende des Rasier-
messers. Um das Zuheilen der Wunde zu verhindern, fügt man zuerst einen
Strohhalm oder einen andern dünnen Fremdkörper ein, deren Zahl in der Folge
vermehrt wird, so daß die Öffnung sich allmählich weitet. Später werden
sie durch einen spiralförmig zusammengerollten Blattstreifen eines Palmfieders
ersetzt, der durch seine Elastizität die Öffnung noch vergrößert, bis schließlich
der erste massive Pflock eingefügt wird. Der Durchmesser desselben schwankt
bei den Wamuera zwischen dem eines Fingers und eines Zweimarkstückes.
Noch erheblich größere sah Weide bei den Makonde, wo Klötze von
7 — 71/, cm Durchmesser und 3 — 5 cm Höhe nicht selten seien. Sie werden
von der Trägerin täglich schneeweiß gefärbt. Auch hier findet die erste
Durchbohrung, der Oberlippe am Kinde statt.
und zwar scheint diese Operation regelmäßig vom
Onkel vorgenommen zu weiden (Weide S. 436).
Die allmähliche Ausweitung der Löcher ent-
spricht der bei den Wamuera beschriebenen:
das Einstecken des ersten Holzpflockes wird fest-
lich begangen. Die Operation gelingt nicht immer.
Weule erwähnt ein Mädchen und eine junge Frau
mit vereiterter bzw. ausgerissener Oberlippe.
Lippenpflöcke tragen ferner die von
Sc/twciiifurth besuchten Bongo und die Mittu,
beide Negervölker des äquatorialen Afrika.
Bei den Zulu- Ivaf fern in Natal gelten
durchbohrte Ohren als Nationalzeichen. Jedem
Kg. 28o. Mnerafrau mit Lippen- siebenjährigen Kind ohne Unterschied des Ge-
pflni'k. Aus u eitle, ..Negerleben in ,. {. ° , . . . ,_.
Ostafrika", s. 76. schlechts werden von einem erfahrenen Mann
die Ohren mit einem Assegai durchbohrt; man
ist der Ansicht, daß Leute mit andurchbohrten Ohren kindisch bleiben, nie
geistig geweckl und tüchtig würden (Mayr).
Ohrendurchstechen wird ferner von den Papuas auf Neuguinea von
mehreren Seiten berichtet: Van Hasselt schrieb, daß die Noefoor-Papua diese
Operation mit der Namengebung verbinden (vgl. diese), daß beides stattfinde,
wenn das Kind einmal gehen könnt', und daß man in die gestochenen Löcher
Ringe einhänge. Krieger gab für die Knaben im Niederländischen Oebiete sechs
Jahre an, and Nollen berichtete von den dortigen Kaia-Kaia-Mädchen1),
man durchbohre ihnen mit 8 — 12 Jahren die Ohren, worauf man sie mit
Farben. Perlen und Blätter schmückte und mit Kokosöl einreibe.
Kndlich liegt mir die folgende Mitteilung von J. D. F.. Schmelü vor:
Bei den Stämmen des Meraüke-Flusses, Neuguinea, steckt man Kindern ein
rundes Eolzstück in das Loch des Ohrlappens.
Feine Bambusstäbchen führen die .lap- Insulaner ihren Kindern in die
Ohren ein. Als Operateure fungieren bestimmte Männer. Die Wunden werden
mit warmem < »1 bestrichen und die Öffnungen jeden zweiten Tag vergrößert.
Doch scheinen die Bambusstäbchen nur zum Offenhalten des Loches, nicht als
Schmuck zu dienen; denn Senfft fügte dem obigen Berichte bei: Die Öffnung
') Siehe Fig. 282.
§.238. Das Durchlöchern der Ohren und Lippen. Einfügung des Schmuckes. H5
wird später mit den Blättern der Cordyline terminalis ausgefüllt und dient zur
Aufnahme von Ohrschmuck aus Muschelscheiben, Blumen, Blättern, Federn u. dgl.
Von den Mortlock-Inseln, östliche Karolinen, brachte August Krämer
fein geschnitzte und sehr zierlich schwarz-weiß
bemalte Ohrpflöcke mit, welche dort von Mädchen
getragen werden. Ihre Höhe beträgt 9y2 cm, ihre
Breite oben 6.2 und unten 4.5 cm. Zur Erweiterung
der Ohrläppchen werden den Mädchen im Anfang
Knollen von Taroblätter in die durchlöcherten Ohr-
Fig. 281. Kaia-Kaia-Knaben, Niederländisch-Neuguinea, im Alter bis zu etwa 12 Jahren.
Nach Hollen im „Anthroposu IV, 568, Tafel IV.
Fig. 282. Kaia-K a ia -Madchen. Xach Xollen im „Anthropos" IV, -V>6 um<1 66S
läppchen gesteckt. Das Museum für Völkerkunde in Berlin besitzt zwei
solche und einen dritten, der andere Form und Zeichnung aufweist. Eine
Abbildung folgt anbei.
8*
116 Kapitel XXX VII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
Auf Nauru fand Brandeis einen ähnlichen Ohrenschmuck wie Senfft
auf Jap. Den Naurukindern durchsticht man die Ohren im Alter von 10—12
Jahren. Die Löcher haben neben dem ästhetischen auch einen praktischen
Wert, d. h. sie sind nicht nur zur Aufnahme von Muscheln als Tanzschmuck
oder von Baummark und Blumen bestimmt, sondern die Männer hängen auch
aus Bequemlichkeit ihre. Fischhaken hinein, da sie keine Taschen haben.
Blumen, Beeren u. dgl. trägt man ferner auf Tahiti in den durch-
stochenen Ohren.
Zur Aufnahme von Schmuck durchstechen ferner die Katchin in Birma
ihren Söhnen im Kindesalter das linke, ihren Töchtern beide Ohren. Den
Knaben führt man in die nach und nach erweiterte Öffnung des linken Ohr-
läppchens Blumen ein, bis sie diese durch wertvolleren Schmuck, d. h. durch
einen Silberring mit silbernen Anhängseln ersetzen können1). Die Armen be-
gnügen sich mit kleinen Rollen aus Papier oder Stoff, auf welche sie jedoch
Fig. 383. Ohrpflöcke von den Mortlock-Inseln. Im K. Museum für Völkerkunde Berlin.
Sammler: .luj. Krämer.
bei vorgerücktem Alter verzichten. Den Mädchen durchsticht man an beiden
Ohren Lappen und Muschel. In das Muschelloch komml ein rotes Bändchen, an
welchem eine drei Zoll lange und 1'/., Zoll breite Silberplatte hängt; an dieser
Platte selbst hängen bisweilen noch silberne Kettchen und an diesen Glöcklein
aus dem gleichen Metall. Durch das viel größere Loch im Ohrläppchen2)
steckt man silberne Röhren von 15 — 20 cm Länge, deren vorderes dickeres Knde
zur Aufnahme von Blumen oder bunten Stoffbändchen bestimmt ist (Gilhodes).
In Ass.ini durchbohren die Ao-Nagas ihren Kindern beide Ohren gleich
nach der Geburl (Molz).
Im südlichen | dravidischpn) Indien ist das Ohrlöcherstechen nach /'/-)//
ein religiöser Akt (vgl. Perser). Die dortigen Nairs verbinden die Handlung
für Knaben regelmäßig mit der festlich begangenen Namengebung. Unterbleibt
es bei dieser Gelegenheit, dann wird es am siebenten, neunten oder elften
Geburtstage nachgeholt. Den Mädchen durchsticht man die Ohren meistens
am Dusserahfest, seltener an einem andern Festtag. — Auch die Badaga
im Nilgiri-Gebirge verbinden die festlichen Akte der Namengebung (siehe
i) Vgl, Kap. XLI.
-i Vielleicht umgekehrt?
§ 238. Das Durchlöchern der Ohren und Lippen. Einfügung des Schmuckes. 117
diese) und das Olirendurchstechen, welches der älteste Bruder der Mutter mit
dem zugespitzten Ende kleiner kupferne]' Ringe ausführt (Jagor).
Von den Mongolen wissen wir durch Karutz, daß sie ihren Neugebornen
ein Ohr durchstechen, um sie vor Unglück zu bewahren.
Bei den Babines-Indianern am Skeena-Fluß in Britisch Columbia
gilt ein kurzes zylindrisches Holzstück in der durchlöcherten Unterlippe als
Zeichen freier Geburt. Paul Kerne und Gordon fanden diese Verunstaltung
hier aber nur beim weiblichen Geschlecht. Das Holzstück ist mitunter zwei
Zoll dick und drei Zoll lang; entfernt man es, dann fällt die Unterlippe weit
über das Kinn hinunter. Die nördlichen Nachbarn der Babines fügen der
Oberlippe, der ganzen Länge nach, eine Reihe Glasperlen ein und lassen die
Haut so darüber wachsen, daß die Perlen etwa um ein Drittel herausragen,
was die Täuschung hervorbringt, als ob die Zähne über die Oberlippe hinaus-
gewachsen wären. Hesse- Wartegg sah den oben beschriebenen Holzschmuck
der Babine auch auf der Vancouver-Insel. Ob die Operation bereits im
Kindesalter vorgenommen wird, lassen wir in diesen beiden Fällen dahingestellt;
hingegen scheint dieses Alter für das Olirendurchstechen bei den Sioux be-
stätigt zu sein. Hier wurde dieser Akt feierlich begangen.
Das gleiche gilt für das alte Mexiko, wo die Handlung im Tempel statt-
fand. Im 18. Monat1) jedes vierten Jahres brachte man zu diesem Zweck jene
Kinder, welche in den letzten vier Jahren das Licht der Welt erblickt hatten,
in den Tempel {Baneroft). — Nach Walter Lehmann war es der Festtag
des Feuergottes Xiuhtecutli. Das Durchbohren geschah mit einem scharfen
Bein, worauf in die Löcher Federn des Macao, eines Papageis (Tlachcayotl)
eingeführt wurden. Ein Pate oder eine Patin hielt das Kind während der
Operation. Diese Paten hießen Onkel, bzw. Tante, und hatten die Pflicht,
die Kinder in den Dienst der Götter einzuführen. Nach der Operation opfert e
man Mehl aus Chiansamen und hob die Kinder durch ein Feuer, wobei je
eins vom Priester mit beiden Händen am Kopf gehalten wurde. Auch
beschenkte man die männlichen Paten (?) mit einem roten'2) Gewand, die
weiblichen mit einem Huipil. Nach Hause zurückgekehrt, erfolgte ein Fest-
mahl, worauf man abermals im Tempel erschien. Hier gaben die Paten
beider Geschlechter den Kindern Pulque aus winzigen Täßchen zu trinken,
nahmen sie auf den Rücken und tanzten so. Mit einbrechender Nacht ging
es heimwärts, wo das Tanzen und Trinker, fortgesetzt wurde. Wahrscheinlich
erhielten auch die Kinder hier noch Getränke; denn dieses Fest hieß das Fest
der Berauschung der Knaben und Mädchen. Auch „Itzcalli" (Wachstum) wurde
es genannt, weil mit ihm die Zeremonie der Schädelpressung ver-
bunden war. die das Wachstum der Kinder befördern sollte (Bancroft)s).
Die mexikanischen Pirnas des 18. Jahrhunderts verbanden mit der in
Kapitel XXXV erwähnten Operation des Ausreißens der Augenwimpern auch
das Durchstechen der Lippen und die Tätowierung. Zu all diesem waren
Paten nötig. Ein Pate und eine Patin hielten das Kind, welches sich in
seinen Martern wand, weinte und blutete. Viele unterlagen ihren Leiden,
bis der missionierende Jesuit P. Josef Och festsetzte, daß jedermann, der sich
an solchen Operationen beteilige, mit einer ordentlichen Anzahl von Peitschen-
hieben bestraft werde. Beim Durchstechen der Lippen wurde das Innere der
oberen und unteren Lippe möglichst weit nach außen gewandt und mit vielen
hundert Dornstichen traktiert, dann mit Kohle oder dem tintenfarbigen Saft
der Hülsenfrucht Visachen bestrichen. Die Lippen schwollen hierauf blau-
schwarz an und blieben lebenslänglich so (v. Murr).
') Das bürgerliche Jahr umschloß im alten Mexiko 18 Monate und b'Iage (Bancroft 11, 508).
2) Wohl ein Symbol des Feuers.
») Vgl. Kapitel XXXV [.
118 Kapitel XXXVII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
Auch die alten Maya-Völker, mit Ausnahme jener in Guatemala.
durchbohrten ihren Söhnen und Töchtern Ohren. Lippen und Nase1).
Ein großes Fest ist das Durchbohren der Ohren und Lippen bei den
südamerikanischen Moxurunas. Auch hier findet die Operation schon früh
statt i v. Martins).
Ohrendurchstechen bei Mädchen hat Koch-Grwnberg von den Passes
erwähnt. — Die Carajas durchbohren den Knaben die Lippen (/ on Koenigswald).
Dieser Akt sei hier ein willkommener Anlaß zu einem Festtage.
Die Tapuya. ein Zweig der Ges an der brasilianischen Ostküste, durch-
bohrten zu Jacob Rabbis Zeit allen ihren Söhnen im Knabenalter Lippen und
Ohren. -Alan brachte die Knaben zu diesem Zweck an den Versammlungsort
des Stammes, der das Ereignis mit Tanz und Gesang feierte. Hier setzten
sich die Zauberer in zwei Reihen gegenüber; dann ergriff einer aus ihnen
einen Knaben und fesselte ihm Hände und Füße, worauf ein anderer mit einem
zugespitzten Holz(-Stab?) die Operation vornahm, während die Mutter des
Knaben weinend dabei stand (Dapper).
Zwei andere Zweige der großen Gesgruppe sind die Capiekrans oder
Canelas nahe derSerra dos Canelas und die Botokuden. Von den ersteren
berichtet E. Ignace, allerdings ohne Angabe der Zeit, in welcher die Ohren-
operation vorgenommen wird: Ihre in die Länge gezogenen Ohren reichen
bis zu den Schultern herab, was von den schweren Cou'i herrührt, welche
diese Leute am unteren Teil der Ohrlappen anhängen. Auch die Aguite-
quedichayas und die Lingoas in Paraguay deformierten ihre Ohren auf
diese Weise. Tgnaee macht hierzu die Anmerkung: „Auch bei den Mundu-
rucus werden in die Ohren große Löcher gebohrt, in welche man Holzstücke
einfügt" Wenn dieses ..auch" den Schluß gestattet, welchen es zu gestatten
scheint, dann hätten wir Ohrenpflöcke nicht nur im Osten, sondern auch im
Westen des südamerikanischen Kontinents. Daß die Botokuden ihren Namen
von ihren Lippen- und Ohrenpflöcken2) erhielten, welche die Portugiesen mit
Faßspünden verglichen, ist bekannt. Sie durchbohren ihren 9— 10jährigen
Kindern Unterlippe und Ohren mit Pfeilspitzen und erweitern die Löcher in
der Folge durch Einzwängen von Holzstückchen immer mehr, bis sie (nach
Sehlobach) eine Weite von zwei Zoll erreichen. Eichel gibt mit einem Hin-
weis auf Lamberg für den Holzpflock in der Unterlippe 7 — 10 cm Durch-
messer und 1,5—3 cm Dicke an.
Die Bororö /.wischen dem oberen Paraguay und Paranä. also im
Innern des südamerikanischen Kontinents, lassen ihren männlichen Säuglingen
gleich nach der Geburl vom Medizinmann ein Löchlein in die Unterlippe
bohren. An Festtagen steckt man dann in dieses Löchlein Stifte (von den
Stein
Bei den Pampas-Indianern nimmt man im dritten Jahr die Zeremonie
des Ohrendurchstechens vor, um dadurch das Ende der Säuglingsperiode und
den Beginn der weiteren Erziehung festlich anzudeuten, und um dem Kinde
die Gunst des guten Gottes und der Verwandten zuzusichern. Der Vater
bestimmt den Tag der Feierlichkeit, zu welcher die Verwandten herbeieilen.
Vor dem Zelte weiden einem Pferde die Füße zusammengebunden; man
wirft es zu Boden und hält es fest. Dann bringt man das Kind herbei
und legt es am das Pferd, liier durchsticht ihm der Vater mit einer Nadel
die < ihren.
Wenden wir uns vom Süden zum Norden des südamerikanischen Kon-
tinents, dann sind es in Britisch-Guayana die Macusi. bei welchen der
1 1 Hierüber später
-i Rotoque (Faßspund).
§ 239. Das Aussehlagen, Schärfen und Bemalen der Zähne. 119
Vater seinem Kind in der frühesten Jugend Ohrläppchen, Unterlippe und
Nasenscheidewand durchsticht.
Von den Karaiben der Antillen berichtete Dapper, daß sie ihren
Kindern am 15. Tag nach der Geburt durch einen Mann und eine Frau die
Ohren und beide Lippen unter der Nase durchbohren und einen Draht zum
spätem Aufhängen des üblichen Schmuckes in die Löcher ziehen ließen. Etwas
abweichend von dieser Mitteilung ist jene im Kapitel „Haaroperationen",
welche Durchbohren der Ohrläppchen, Nasenlöcher und Unterlippe erwähnt.
Nach Du Terthe, aus welchem diese geschöpft ist, führten die Antillenkaraiben
Baumwollfäden in die Löcher ein, damit diese sich nicht schlössen. —
§ 239, Das Ausschlagen, Schärfen und Bemalen der Zähne.
Die Massai im nördlichen Deutsch-Ostafrika machen ihren Söhnen
und Töchtern in frühester Jugend die unteren zwei Schneidezähne mit einem
Messer los und entfernen sie dann mit der Hand. Beim Zahnwechsel wird dieser
Eingriff wiederholt. May Weiß meint, es handle sich hierbei fraglos um eine
alte religiöse Sitte, deren Bedeutung sie aber selbst bei den Dorfältesten nicht
mehr erfragen konnte. Sie gaben als Grund nur an, es solle eine Zahnlücke
entstehen, durch welche man beim Bier- und Milchtrinken in einem langen
Strahl spucken könne.
Um Wasser durch die Zahnlücke in den Mund lassen zu können, lautet
der angebliche Zweck der ostafrikanisehen Kikuyu, wenn man sie fragt,
warum sie ihren Kindern einen unteren Schneidezahn herausnehmen. Es gebe
bei ihnen Krankheiten, in welchen sich die Kinnladen so zusammenpressen,
daß man sie nicht mehr auseinanderbringe (um dem Kranken Nahrung ein-
zuflößen?). Das Entfernen eines Zahnes im Kindesalter sei daher ein Vor-
beugungsmittel. Cayzac, der dieses mitteilt, ist aber, wie Weiß, geneigt, in
dieser Zahnoperation eine ursprünglich religiöse Handlung zu erblicken. Die
Kikuyu bezeichnen sie als „wehe". Der Brauch ist allgemein, obgleich seine
Beobachtung nicht zur Pflicht gemacht wird. Nur die Mutter oder ihre Stell-
vertreterin darf diese Zahnoperation ausführen, und nur die Zeit zwischen
dem Erwachen der Vernunft und der zur Pubertätszeit stattfindenden Be-
schneidung gilt als die erlaubte, in welcher der Zahn entfernt werden darf.
Ein allenfallsiges Versäumnis darf nach der Beschneidung1) nicht nachgeholt
werden.
Die Wahua feilten ihren Söhnen im zarten Alter die oberen Schneide-
zähne spitz zu. so daß sie den Zähnen der Baubtiere glichen. Es wurde
von Behr versichert, daß diese von den Medizinmännern ausgeführte Operation
sehr schmerzlich sei. Der Brauch ist jetzt stark in Abnahme begriffen, nur
bei wenigen alten Leuten sehe man noch solche gefeilte Zähne. — Von den
Wahua westlich vom Tanganyika-See schrieb Walter-Hutley im Jahre
1881, daß sie ihren Söhnen im 7. Jahre die beiden vorderen (oberen?)
Zähne abraspelten und ihre Töchter im gleichen Alter tätowierten. Vielleicht
handelt es sich hier um ein und dasselbe Volk.
Umfangreiche künstliche Zahndeformationen haben Elliot Smith und
Demj im Jahre 1909 an einigen Negerschädeln aus der Zeit zwischen 200
und 400 n. Chr. in Nubien, Umgegend von Dakke, nachgewiesen. Es waren
Zähne abgefeilt, in bestimmte Formen geschnitten und Schneidezähne ausge-
zogen2). Ob die Operation im Kindesalter stattfand, weiß ich nicht.
Die Wakamba in Britisch-Ostafrika spitzen die oberen Schneidezähne
nach dem ersten Zahnwechsel, oder erst ..in den Flegeljahren". Die Operation
i) Siehe Kapitel XXXVIII.
2) Nach A. Wiedemann im Glob. 98, S. 338.
120 Kapitel XXXVII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
geht ohne Zeremonie vor sich; die zugespitzten Zähne seien ein Stammes-
abzeichen {Hildebrandt).
Die Batongas im britischen Südafrika ziehen sich außer den oberen
Schneidezähnen manchmal auch die Augenzähne aus. Diesen Brauch führen
sie auf die vorbritische Zeit zurück, als sie von den Matabeles, Barotse
und anderen Feindeu vielfach in die Sklaverei geschleppt wurden. Damals
hätten sie sich an den Zahnlücken erkennen wollen. — Demnach wäre der
Zweck der Zahnoperation auch hier ein Stammeszeichen.
Der gleiche Zweck wird von den Herero angegeben, vom Sanitätsamt
in Windhuk aber nicht als der ursprüngliche geglaubt. Dem folgenden
Bericht nach liegt hier der Operation ein religiöser und sozialer Gedanke zu-
gleich zugrunde, wie ja die Völker hauptsächlich niederer Kulturstufen beide
Charaktere innig miteinander verbinden. Bei den Herero galten früher
nur jene Stammgenossen, welche sich der Zahnverstümmelung unterwarfen, als
vollberechtigt. Nur sie durften aus der gemeinsamen und geweihten Kalabasse
trinken. Noch heutzutage ist mit dieser Operation eine Reihe religiöser Ge-
bräuche verbunden, obgleich, wie gesagt, die Zahnverstümmelung nur noch als
National- oder Stammeszeichen gilt, welches auch die Kriegsgefangenen tragen
müssen. Deshalb unterwirft man auch diese, die zugleich durch das Abhacken
des Endgliedes eines oder beider kleiner Finger als Sklaven gekennzeichnet
werden, der gleichen Zahnoperation, d. h. man schlägt ihnen, wie den Herero
selbst, 3 — 4 mittlere Zähne am Unterkiefer aus und feilt die inneren Ecken
der beiden oberen Schneidezähne in Dreieckform aus. Das Ausschlagen der
unteren Zähne wurde stets am heiligen Feuer (Okuro) frühmorgens zwischen
5 und 6 Uhr vorgenommen, und es war eine strenge Pflicht, daß die zu operierenden
Kinder dabei nüchtern waren. Zur Blutstillung erhitzte man ein Stück Fleisch
am heiligen Feuer1) und legte es auf die "Wunde. Die Operation wurde an
mehreren Kindern (20 — 40) zugleich vorgenommen und mit einem nachfolgenden
Fest gefeiert, das sich in Schmausen, Tänzen, Gesängen und Händeklatschen
äußerte. Die Väter der Kinder lieferten dazu Fleisch und Milch. Mit der
Anerkennung der Operierten als Männer oder Weiber, wie Hahn und Francis
wollten, soll die Zahnverstümmelung nichts zu tun haben. Die erste Men-
struation werde hierbei nicht berücksichtigt und der Altersunterschied der
Beteiligten sei oft erheblich. Letzteres ist freilich bei den Pubertätsfesten
mancher Völker der Fall und das regelmäßige Alter der Hererojugend für die
Zahnoperation scheinen doch 10 — 15 Jahre zu sein. Übrigens sollen die
Herero-YYeiber die Zahnverstümmelung so schön finden, daß sie dem Verbot
der Missionare nicht nachkommen wollten, während die Männer wenig
Schwierigkeiten machten.
Als Stamnieszeicheu sollen ausgeschlagene und verstümmelte Zähne
während einer bestimmten Zeitperiode bei den Malayen auf den Mentawei-
Inseln gegolten haben. Hier spitzt man den 6— 7jährigen Knaben und Mädchen2)
nach eingetretenem Zahnwechsel die vorderen Zähne des Ober- und Unter-
kiefers dreieckig zu. Früher benutzte man dazu einen Stein, womit man die
Zähne abschliff; jetzt schlägt man die Ecken mit einem Messer oder kleinen
Stemmeisen ab. Dieser Brauch soll nach Plei/te schon von der Zeit vor der
Einwanderung auf die Mentawei-Inseln herstammen und einer Verordnung ihres
Stammvaters Jambang Djaja seinen Ursprung verdanken, der durch dieses
Zeichen seine Untergebenen von jenen des Radjas von Munangkabau unter-
scheiden wollte, nachdem ihm im Auftrage dieses Radjas seine Braut gestohlen
worden war. Jetzt wollen die Mentawei-Insulaner damit nur noch Verschönerung
') Vgl. das Feuer und das Stück Fleisch bei der Zahnoperation der australische!)
Warramunga auf S. 123.
-) Nach Foketwa mit Knitritt der Pubertät (Archiv f. Anthropol. 32. N. F. IV, S.107f.).
§ 239. Das Ausschlagen, Schärfen und Bemalen der Zähne.
121
und Reinlichkeit bezwecken, letzteres insofern zwischen den zugespitzten Zähne»
keine Speisereste zurückbleiben sollen.
Zufeilen und Ausschlagen von Zähnen ist ferner auf Java gebräuchlich.
Instrumente dazu befinden sich im K. Museum für Völkerkunde in Berlin. Die
Abbildung einer Feile und eines Schlegels folgt hier als Fig. 284. — Auf
Kremers ') Frage nach Grund und Zweck dieser Operation gaben ihm die
Javaner zur Antwort, viele aus ihnen hätten ein ungleiches Gebiß; vielfach
rage ein Zahn über den anderen hinaus, oder die Lippe sei wegen der
zu weit vorstehenden Zähne aufgeworfen. Diese Abnormität komme daher,
daß sie beim Essen alles mit den Zähnen abreißen. Somit sehen viele schon
in der Jugend Hunden und Affen gleich. Das Feilen der Zähne aber gebe
dem Mund wieder seine menschenwürdige Form.
Eine ähnliche Erklärung erhielt Hasselt-) von Malayen3), welche
Leute mit ungefeilten Zähnen mit dem Ausdrucke charakterisierten: ,.Ganz
wie ein Hund".
Über die Batak auf Sumatra schrieb Frhr. v. Brenner im Jahre 1894:
„Das auffallendste Objekt gewaltsamer Eingriffe und Umgestaltung der reinen
Fig. 284. Feile und Schlägel zum Glätten, bzw. Ausschlagen der Zähne auf Java. K. Museum für
Völkerkunde in Berlin.
Natur im Dienste des subjektiven Schönheitsgefühles bilden die Zähne, die-
gefeilt und gefärbt werden, und denen gerade das genommen wird, was wir
an ihnen bewundern, d. i. Form und Farbe. Diese alte und allgemein ver-
breitete Sitte hat wahre Zahnküustler ins Leben gerufen, die an Knaben und
Mädchen zur Zeit des Eintrittes der Pubertät die schmerzhafte Operation der
Zahnverstümmelung vornehmen. Die ganze Prozedur zerfällt in zwei Teile:
1. In das Abtragen der Schneidezähne im Oberkiefer bis zur halben Länge,
im Unterkiefer bis fast zum Zahnfleisch, und mitunter auch der Eckzähne.
Der Operateur bedient sich dabei eines kleinen eisernen Meißels und eines
hölzernen oder beinernen Hammers, mittels welcher er durch einzelne kurze
Schläge Stück um Stück von den Zähnen absprengt, bis sie die richtige Länge
erhalten haben, worauf die scharfen Kanten durch Steine und in neuerlicher
Zeit vielfach durch Feilen geglättet werden. — 2. Ist dies geschehen, so geht
der Zahnkünstler bei Knaben daran, den Schneidezähnen des Oberkiefers das
richtige Profil zu geben, wodurch die natürliche konvexe Oberfläche derselben
in eine konkave verwandelt wird. Den Mädchen werden auch diese bis dicht
an das Zahnfleisch abgetragen.
') Bei J. Frhr. v. Brenner, Besuch 193.
2) Ebenda.
') Nach Frhr. v. Brenner huldigen alle llalayen dem Brauch des Zähnefeilens.
Auch hinterindische Völker folgten ihm.
122 Kapitel XXXVII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
Dieser Schilderung fügt von Brenner bei, daß die schmerzliche Zahn-
operation ohne Klage aasgehalten werde, das Selbstbewußtsein der jungen
Leute hebe und ihre Volljährigkeit dokumentiere, weshalb das Ereignis mit
einem Familienschmaus gefeiert werde. Nach seiner Ansicht liegt die un-
mittelbare Ursache des Zähnefeilens bei den Batak wirklich in der abnormen
Größe ihrer Schneidezähne, welche ein Schließen der Lippen verhindern.
Auf das Feileu folgt bei den Batak das Schwärzen der Zähne. Zur
Herstellung der Schwärze verbrennt man Zitronenholz auf einer Messerklinge
und vermischt das hervorquellende Harz mit der Kohle1).
Zahnfeilen fand Volz auch bei den Kubus im südlichen Sumatra,
konnte aber über Zeit und Technik nichts feststellen.
Von den Bewohnern der Molukkeninsel Buru2) schrieb B. Andree3),
daß sie ihren Kindern beiderlei Geschlechts bei der Beschneidung die Zähne
abfeilen.
Bei den Negritos auf den Philippinen ist es nach Thevenot, Semper
und Jagor allgemeiner Brauch, daß man die Zähne in frühester Jugend spitz
zuteilt. Nach Sehadendorf hingegen feilen nti»; einige Stämme (Familien) die
Zähne, und selbst diese erst nach eingetretenem Zahnwechsel4). Die Operati m
werde an den Schneidezähnen vorgenommen, welche dadurch sageförmig werden.
Aus Victoria, südliches Australien, lag Plo/i die Mitteilung vor, daß den
Knaben im achten Jahr die Vorderzähne ausgeschlagen werden. — Von den
Kaitisch in Zentral- Australien schreiben in neuerer Zeit Spencer und
Grillen: Das Zahnausschlagen findet im Alter von 10 — 30 Jahren statt und
hat nach der jetzigen Anschauung der Eingeborneu nur ästhetischen Zweck.
Die Operation kann beim männlichen Geschlecht von älteren Männern und
Weibern ausgeführt werden; beim weiblichen ist gewöhnlich ein Weib damit
beauftragt. Oft sind es Verwandte. Der Anstand verlangt, daß Männer dem
Zahnausschlagen beim andern Geschlecht nicht zuschauen, weshalb die Ope-
ration in einiger Entfernung vom Lager vorgenommen wird. Als Instrument
dient ein Stein, mit welchem auf einen Stock geschlagen wird, den man an
den Zahn hält. Ein von Spencer und Gillen beobachtetes Mädchen tanzte
nach ihrer Operation mit der Operateurin im Kreise herum und warf den
aasgeschlagenen Zahn so weit sie konnte in der Richtung des Alcheringa-
Lagers ihrer Mutter. Der Sage nach waren es zwei Schlangenbrüder, die
in der Urzeit (Airheringa) sich zuerst gegenseitig die Zähne aasschlagen.
Seitdem geschehe das. Die Zahnoperation steht also hier mit dem Schlangen-
kult in einer gewissen Verbindung.
Zwei gleichfalls von Spencer und Gillen beobachtete Männer durften
gegenseitig nicht zusehen, als ihnen die Zähne aasgeschlagen wurden, sondern
der eiste zog sieb nacb seiner Abfertigung in den Busch zurück: beide warfen
ihre Zähne, wie das Mädchen, nach dem „Alcheringa-Lager" ihrer Mütter. —
Bei den Warramuaga findet man einen oder zwei aus<reschlaa;eiie Zähne oft
beim weiblichen, relativ selten beim männlichen Geschlecht. Die Zeit der
'i Vornehme Protzen begnügen sich nicht mit dem Schwärzen, sondern lassen auch
noch schmale \ q am Zahnfleisch entlaug ziehen, oder, in seltenen Fällen (die
Zähne?), mit Gold überkleiden und dieses selbst mit kleinen Ornamenten verseben. Ferner
gibt es Gold lind I reinlagen, welche in entsprechenden künstlichen Vertiefungen in
den Zähnen angebracht ■■■■< rden. In diese Vertiefungen legt man, ehe diese überbrückt werden,
lizin, welche vor Vergiftung schützen seil (t>. Brenner).
*) Die Molnkken sind nach Scobel von den Harafuru (Alfuren). einem Mischvolk
von Malayen und Papnas, bevölkert.
») Ethnogr. Parall. 191 1
' (17. Jahrhundert) kann ein früher allgemeiner Brauch sein- wohl
reduziert worden sein. Daß Thivenots Bericht wenigstens über die damals übliche Schädel-
deformation auf den Philippinen wahrheitsgetreu war, hat Kapitel XXX VI erwähnt.
§ 239. Das Ausschlagen, Schärfen und Bemalen der Zähne. 123
Operation schwankt von früher Jugend bis zum mittleren Alter, und zwar
hier wie im Tjingilli-Stamm gegen Ende der Regenzeit, d. h. wenn die Leute
genug Feuchte haben und schönes Wetter wollen. Von den Tjingilli schreiben
Spencer und Gillen, daß der ausgeschlagene und in Wasser geworfene Zahn Regen
und Wolken verscheuchen soll.
Von der Operation an ti — 7 AVarramunga-Mädchen berichten Spencer
und Gillen, sie habe an einem Wasserloch stattgefunden, während Männer in
einiger Entfernung zu einer heiligen Zeremonie vorbereiteten, welche aber
von den Weibern und den zu operierenden Kindern nicht gesehen werden
durfte. Ob diese Zeremonie im Zusammenhange mit dem Zähne-Ausschlagen
stand, geht aus Spencer und Gillen nicht klar hervor. Immerhin wurden bei
der Ankunft der Weiber und Kinder am Wasserloch 2 — 3 Feuer angefacht,
und die Mädchen gingen, ehe sie sich zur Operation auf die Erde legten, bis
zur Brust in das Wasser hinein, tranken davon, spritzten einen Teil nach
allen Richtungen aus und spritzten das Wasser dann über sich selbst, wobei
sie hauptsächlich den Scheitel bedachten. Die ausgezogenen Zähne wurden
zerstoßen und so in ein Stück Fleisch ') getan, welches die Mutter essen mußte.
Die gleichen Zeremonien werden beim männlichen Geschlecht beobachtet, mit
der Ausnahme, daß die zerstoßenen in Fleisch gemischten Zähne von der zu-
künftigen oder bereits aktuellen Schwiegermutter gegessen werden. Der
Gnanji-Stamm schlägt die Zähne gleichfalls in der Regenzeit aus. Hier
trägt der Operateur den ausgeschlagenen Zahn einige Zeit bei sich, gibt ihn
hierauf der Mutter der oder des Operierten, die ihm Eßwaren und roten
Ocker schenkt, Sie muß den Zahn neben einem Wasserloch begraben, damit
der Regen aufhöre und mehr Wasserlilien im Teiche wachsen. Die ausge-
schlagenen Zähne scheinen demnach ein Bittopfer zu sein. Vgl. den Brauch,
ausgefallene Zähne den Mäusen zu geben, in Löcher zu werfen usw. in
Kapitel XXXIV.
Einen anderen Ritus bei einer australischen Zahnoperation referiert
Wundt mit einem Hinweis auf Rowitt: Der Medizinmann preßt seine unteren
Schneidezähne gegen die oberen Schneidezähne des einzuweihenden Knaben,
um den Zahn zu lockern und dann mit einem Meißel herauszuschlagen. Wwndta
Deutung dieses Ritus wurde in der Einleitung zu diesem Kapitel erwähnt.
Beim weiblichen Geschlecht der Mayas in Yucatan galten Zähne in
Sägeform als Schönheitsideal. Die Operation wurde von alten Weibern als
Profession vorgenommen, wobei scharfe Kieselsteine und Messer dienten. Das
Alter der zu Operierenden ist bei Bancroft nicht angegeben.
Die Wichtigkeit, welche die Japanerinnen dem ersten Zähne-
schwärzen beimessen, geht aus den Glückwünschen und Geschenken hervor,
welche sie ihren Bekannten zu dieser Zeremonie darbringen. Eigene Gratu-
lationsbriefe finden sich für solche Gelegenheiten in Briefstellern. Der folgende
samt Autwort ist dem „Globus" (Band 58) eutnommen:
..Weil heute ein guter Tag ist, so hat Ihre Tochter beschlossen, zum
ersten Male die Zähne zu schwärzen. So habe ich gehört und große Freude
darüber gefühlt. Dazu habe ich als Glückwunschzeichen eine Bürste, einen
Sack voll Pulver und dazu ein Gefäß geschickt. Wir haben miteinander
darüber gesprochen, daß es gut geeignet sein würde. Seinerzeit werde ich
Ihnen persönlich Glück wünschen. Grüßen Sie die Großeltern herzlich von
mir. Das wünsche ich." — In der Antwort grüßt die Mutter des Mädchens,
dessen Zähne zum ersten Male geschwärzt worden sind, „ewig" für die Glück-
wunschzeichen und fügt bei: „Aus Ihrem treuen Herzen haben Sie viele Zeilen
') Vgl. Feuer und Fleisch der Herero.
124 Kapitel XXXVII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
geschrieben. Das freut mich sehr. Seinerzeit werde ich Ihnen vor Ihrem
Angesicht vielen Dank sagen." —
§ 'HO. Bruchstücke über wirkliche und sagenhafte Behandlung der
Kinderbrust.
An vielen Orten Deutschlands wird die milchähnliche Flüssigkeit, eine
ganz natürliche Absonderung in den Brüsten der Neugebornen, „Hexenmilch"
genannt. Statt den naturgemäßen Verlauf abzuwarten, pressen die Hebammen
und Großmütter diese Hexenmilch mit ihren Fingern aus den kleinen Brust-
warzen heraus. Es könnte ja sonst die Drude oder der Alp kommen und sie
aussaugen.
Die gleiche Anschauung und Behandlung findet sich nach BirJcctt in
England und nach Dieruf in Neapel.
In Catalonien, nordöstliches Spanien, drückt man den neugebornen
Knaben die Brust aus, damit der Teufel keine Gewalt über sie habe, d. h.
damit sie nicht leidenschaftlich werden (Jiilita Michael). Demnach gilt auch
hier die in der Brust befindliche Flüssigkeit als etwas der deutschen ,.Hexen-
milch" Ähnliches.
An der afrikanischen Westküste binden die Angola-Negerinnen
den kleinen Mädchen ein Band über die Brust, um sie bereits in der Kind-
heit daran zu gewöhnen und so den lästigen Hängebrüsten vorzubeugen (Pogge).
Exstirpation der Brustwarze fand Cameron in Akalunga und in Kasan -
galowa am Tanganjika. Die hübschesten Frauen hatten statt der Brust-
warze ein Loch. Die Angabe, daß die Frauen diese schmerzhafte Operatiou
aus ästhetischen Gründen selbst an sich vornehmen, hielt Cameron für unrichtig.
Allerdings weiß ich auch nicht, ob sie in der Kindheit vorgenommen wurde.
Von den Amazonen-Inseln bei Yukatan ging das Gerücht, daß sie sich
in der Kindheit die linke Brust abschnitten, um Bogen und Pfeil besser hand-
haben zu können (Alonso de Santa Cruz). — Wie dieses Gerücht auf-
zufassen ist. können wir gleichfalls nicht feststellen. Interessant ist jedenfalls
seine Ähnlichkeit mit der griechischen Amazonensage, nach welcher den
Mädchen von ihren eigenen Müttern, den Amazonen, die rechte Brust aus-
gebrannt wurde, damit sie beim Bogenspannen nicht hindere. -
§ 241. Die Verunstaltung der Füße und Beine.
Die nstafrikanischen Mischvölker der Wak(h)uma und Wakuafi, welche
sprachlich dem äthiopischen Zweig der hamitischen Völkerfamilie angehören,
aber viel Negerblut haben, sind der Ansicht, daß starke Waden schnelles und
ausdauerndes Laufen verhindern. Um nun der Entwicklung der Waden zu-
vorzukommen, binden sie den Neugebornen die Unterschenkel vom Knie bis
zum Knöchel fest ein und lassen diese Bandagen dort, bis die Kinder stehen
können.
Die Maori auf Neuseeland drücken ihren Kindern täglich die inneren
Knieflächen abwärts, um sie gelenkig zu machen (II'. Colenson).
In Australien winden gewisse Stämme ihrem Neugebornen eine Bolle
Muka fest um die Kniee, um ihm gerade Glieder zu verschaffen.
Kine unabsichtliche Wirkung der Art, die Kinder zu tragen, scheinen
die einwärts gekrümmten Kniee vieler Japaner zu sein. Das Kind wird
nämlich seiner Trägerin mit einem Tuch in der Weise fest auf den Rücken
gebunden, daß das Tuch der Trägerin um den Leib und die Schultern, dem
Kinde um Rücken und Oberschenkel läuft, und die Kniee des Kindes gegen-
einander zu liegen kommen.
§ 241. Die Verunstaltung der Füße und Beine. 125
Weltbekannt ist die Verunstaltung der Mädchenfüße in China, In den
wohlhabenden und vornehmen Chinesenfamilien ist sie im ganzen Laude zu
finden, besonders in den südlichen Provinzen, unter welchen Kwansinund
Kwangtun die ausgesuchtesten Exemplare aufweisen sollen. Selten scheinen
sie in Peking mit seiner vorherrschenden Mandschu-Bevölkerung zu sein.
Immerhin findet im kaiserlichen Palast selbst keine Frau mit natürlichen Füßen
Gnade; alle, von der Kaiserin bis zur letzten Zofe, haben sie verkrüppeln lassen.
Die Methode der Verkrüppelung ist nicht überall die gleiche, vielmehr
scheinen, von unwesentlichen Abweichungen abgesehen, drei Hauptmethoden
maßgebend zu sein. In den nördlichen Provinzen wird der Fuß zunächst
geknetet; dann bringt man die vier kleineren Zehen unter den Fuß zurück
und bindet sie so mit einer 5 cm breiten Binde, welche täglich erneuert wird,
fest. Darüber kommt ein hoher Schnürstiefel mit platter Sohle ohne Absatz
und einer Spitze nach vorn, wo die große Zehe liegt (G. Morache).
Damit ist aber noch nicht die eleganteste Form des chinesischen Damen-
fußes erreicht. Vielmehr erfordert diese eine weitere Behandlung, welche im
folgenden besteht: Sind die Zehen nach der eben erwähnten Methode so weit
gebracht, daß sie gebogen bleiben, dann legt man unter den Fuß einen halben
Metallzylinder und preßt mittels Binden die Zehen und das Fersenbein über diesem
Halbzylinder zusammen, so daß die Lage des sogenannten Kahnbeins verändert
wird. Später kommt der Fuß in einen Stiefel mit starker konvexer Sohle.
Die Binden, welche bis zu den Knieen hinaufgeführt werden, so daß auch die
Beine schwinden, wie Bingham nach eigener Anschauung von einem 16 jährigen
Landmädchen berichtete, bleiben Tag und Nacht liegen1). Durch das Brechen
oder Biegen der Ferse wird zwischen ihr und den Zehen ein Bogen gebildet, —
Eine dritte Methode ist aus Canton und Macao berichtet, Hier bleibt die
Ferse ganz unangetastet, Dafür wird ein sehr hoher Absatz angebracht,
wodurch die Spitze der großen Zehe auf den Boden kommt.
Die hochgradige Verkrüppelung der Füße, wie sie beim weiblichen Ge-
schlecht der höheren Stände getrieben wird, ist bei den Landleuten nicht
üblich. Die Mandschu lassen, nach Stern, die Füße überhaupt in ihrem natür-
lichen Zustand. Das Kaiserhaus (Mandschu-Dynastie) scheint also weniger
einsichtsvoll zu sein als das Volk (vgl. die weiter oben erwähnte Verkrüppelung
der Füße in der kaiserlichen Residenz).
Die Verkrüppelung beginnt nicht überall mit dem gleichen Lebensalter.
In vornehmen Familien werden den Mädchen schon in der Wiege Hemmschuhe
angelegt; in gewöhnlichen Kreisen beginnt die Tortur im Alter von 5 — 8 Jahren.
Hier sind es die Mütter, welche die Sache besorgen, dort professionelle Frauen,
die in den Diensten der Familie stehen und erhalten werden.
Die verkrüppelten Füße erschweren den Chinesinnen das Gehen in hohem
Grade, besonders da, wo die Verbildung nicht nur die vier kleineren Zehen,
sondern auch die Ferse umfaßt. Das ganze Gewicht des Körpers lastet hier
auf der Fersenspitze und der großen Zehe, weshalb der Gang wacklig und
ähnlich dem eines Stelzengängers sein soll. Um nicht zu fallen, stützen sich
die Damen auf Spazierstöcke, oder suchen mit den Armen das Gleichgewicht
zu erhalten. Trotz alldem trägt der Fußstumpf der Chinesin iu der poetischen
Sprache ihres Landes den lieblichen Namen Kinlien, d. h. ,.goldene Wasser-
lilie", die weibliche Eitelkeit verlangt ihn, und der Mann schätzt die Frau
nach der Kleinheit ihrer Füße.
Gipsabgüsse solcher Füße befinden sich wohl in allen europäischen
Völkermuseen. Ihre Länge schwankt zwischen drei und fünf Zoll, wovon drei
als die elegantere Form gilt,
J) Vgl. folgende Seite.
126 Kapitel XXXVII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
Die geschilderte Unsitte verursacht dem weiblichen Geschlecht in China
viele Qualen. Nach Parker brande» bisweilen die Füße bis zu den Knöcheln
hinauf: nach Stent faulen bei nachlässiger Behandlung die Zehen ab, und
viele Kinder erliegen den Krankheiten, welche durch die Störung des Blut-
laufs verursacht werden. Aber ohne verkrüppelte Füße ist keine Aussieht
auf spätere Verheiratung, und verheiratet müssen die Mädchen werden. Das
Merkwürdige dabei ist, daß die auf ihre kleinen Fiißchen stolzen Chinesinnen
sich schämen, dieselben entblößt zu zeigen, und wäre es auch dem eigenen
Gatten, und daß den Männern der Anstand verbietet, von den Füßen einer
Dame zu sprechen, oder einen Frauenschuh anzufassen. Ja, es ist nach Stern
nicht einmal erlaubt, scharf auf die Schuhe einer Frau zu sehen. Das schon
erwähnte Mädchen vom Land, welches seinen Fuß Bingham zeigen sollte,
schämte sich sehr, überwand aber ihre Scham beim Anblick eines neuen
Kopftuches, welches ihr dafür versprochen wurde.
Bei Kindern macht die Natur den Mißgriff der Menschen bald wieder
gut, wenn man die Füße ihrer Händen entledigt. Das hat sich bei kranken
Fig. 286. Verkrüppelte chinesische Füße. Nach Modellen im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Kindern gezeigt, welche in Peking von barmherzigen Schwestern verpflegt
winden. Nach einigen Wochen hatten die Füße wieder ihre natürliche Form.
Aber nicht nur die Füße, sondern auch die Unterschenkel der Mädchen
werden künstlich verbildet. Nach Bingham war das ganze Bein des von ihm
untersuchten Landmädchens vom Knie abwärts stark geschwunden.
Kin entgegengesetztes Resultat scheint die von <•. Keitner aus dem
Löß-Gebiet zwischen Si-ngan-fu und Lan-tschou-fu mitgeteilte Waden-
schnürung herbeizuführen. Fr schreibt nämlich: „Die den Mädchen eigen-
tümliche Eitelkeit, möglichst kleine Füße zu erzielen, reicht so weit, daß sie
schon von dem Knie an die Wade durch Faschenbänder einzwängen; diese
gewinnen endlich solche Dimensionen, daß sie dem Geiste des Gouverneurs in
der Oper Don Juan zur Ehre gereichen könnten. Der Effekl wird noch er-
höht, wenn in der Wadenmitte ein zollbreiter Streifen freibleibt und das Bein
wir ein alle, Strumpfband hervorblickt." (Vgl. die Waden- und Schenkel-
schnürung der Ka ra iben w. u.) ')
'i Di.' äußeren Bandagen laufe ich Bingham um den Fuß über einen schmalen,
von der Ferse berai □ Streifen, Dann folgt (nach innen zu) der Sehuh. und auf
diesen die zweite Bindi un ere Strümpfe ersetzt. Die Binden um Zehen und Knöchel
baben die direkte \m I- rschobenen Fußteile an der ihnen zugewiesenen Stelle fest-
zuhalten, and n en dahei ehr straff.
§ 241. Die Verunstaltung der Füße und Beine. 127
Die Frage nach dem Grund und dem Anfang dieses Mißbrauchs der
Beine und Füße in China wurde schon verschieden beantwortet:
Nach Scherger und andern hätte die Eifersucht der Männer dem weib-
lichen Geschlecht dieses Hindernis in den Weg gelegt. — Dem Missionar
Stern wurde in China gesagt, die Männer hätten die Fußverkrüppelung ver-
langt, weil sie nicht leiden wollten, daß die Frauen durch müßiges Herum-
laufen und Klatschen die Zeit verbrächten.
Wäre dieses letztere Motiv historisch richtig, dann müßte man aller-
dings sagen, daß es seinen Zweck nicht erreichte; denn Stern teilt auch
mit, daß die Chinesin auch jetzt noch auf den Straßen eine Zungenfertigkeit
beweise, welche die gewisser Europäerinnen übertreffe. Somit wäre auch das
Eifersuchtsmotiv, wenn es geschichtlich wäre, nicht ans Ziel gekommen. —
Wahrscheinlicher klingt eine dritte Erklärung. Stern hörte auch diese in
China. Ihr zufolge ist die Verkrüppelung der Füße der Nebenfrau eines
chinesischen Kaisers, bzw. der Vorliebe dieses Kaisers zu kleinen Damen-
füßchen zu verdanken. Dieser Kaiser, der aber nicht genannt ist, soll nämlich
eine Nebenfrau gehabt haben, die. wenn sie vor ihm tanzte, mit ihren kleinen
Füßen Blumen in den Sand gezeichnet und durch diese beiden Vorzüge dem
hohen Herrn besonders gefallen haben. Deshalb wollten die andern Frauen
ihr gleichkommen, und so sei der verkleinerte, verkrüppelte Fuß allgemeine
Mode geworden.
Zeitlich verlegen chinesische Sagen den Ursprung dieser Mode um das
Jahr 1100 v. Chr.; andere zwischen die Zeit des Kaisers Vaugli (695 n. Chr.)
und des Kaisers Li-Yuh (961 — 976 n. Chr.). Aber Marco Polo fand sie im
13. Jahrhundert noch nicht vor; sonst hätte er sie siclier erwähnt.
In neuerer Zeit ließ sich in China eine vernünftige Stimme gegen die
Fußverkrüppelung vernehmen: Der fortschrittliche Vizekönig Yan-sche-Kai
der Provinz Tschili, auf dessen Kampf gegen den Mädchenmord Kapitel IX
zu sprechen kam, weist in seinem Aufruf gegen diesen auch auf die Fuß-
verkrüppelung als eine schlimme Sitte hin. In Europa 'meinte freilich der
Anatom Welcher, es gäbe Dinge, über welche das Publikum eine Belehrung
nicht wolle. Vergeblich habe Sömmering gegen das Schnüren geschrieben;
vergeblich habe Hogareth in den Umriß der Venus ein Korsett eingezeichnet.
Die Chinesinnen würden also wohl mit dem Eindringen europäischer Kultur das
Einschnüren der Füße gegen das Einschnüren des Brustkastens vertauschen. —
Eine Krümmung der Beine bezwecken die Kalmücken, wenn sie ihren
Kindern Keile zwischen die Beine stecken. Sie wollen sie dadurch zum
Reiten geschickt machen.
Eine dem chinesischen Brauch ähnliche Erscheinung fand Richardson
bei den Loucheux, einem Zweig der Tinneh- oder Dene-Indianer in
Nordamerika. Der ganze Stamm habe kurze unschöne Füße gehabt; denn
nicht nur den Mädchen, sondern auch den Knaben habe man die Füße ge-
schnürt, um sie möglichst klein zu bilden.
Die Carrier-Indianer suchten ihre Kinder durch zweckmäßige Behand-
lung vor krummen Beinen zu bewahren. (Vgl. die Kalmücken.)
Von den Karaiben berichtete A. v. Humboldt, daß sie auf gewisse
Körperformen hohen Wert legten. Die Mütter würden der Gleichgültigkeit
gegen ihre Kinder beschuldigt werden, wenn sie diesen nicht die Waden
und Schenkel nach der Landessitte formten, d. h. die Ober- und Unterschen-
kel in gewissen Abständen mit breiten Baumwollbinden einschnürten, so daß
das unter den Binden liegende Fleisch in die freien Zwischenräume gedrängt
wurde und hier herausquoll. Ähulich scheint das Resultat der von Keitner
erwähnten Wadenschnürung in China zu sein (vgl. S. 126).
128 Kapitel XXXVII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
§ 242. Die im Kindesalter begonnene Tätowierung. — Bemalung des
Kindes.
Die Bewohner von Bannu im nordwestlichen Indien färben ihren
Neugebornen Augenbrauen und Schädel mit Spießglanz, damit das Kind
schwarze Haare bekomme.
Die vorwiegend arabische Bevölkerung in Tunis zeigt eine hochgradige
Vorliebe für tätowierte Körper. Eichard Karuh schrieb im Jahre 1909 von
den dortigen Erwachsenen, von den Ohren abgesehen, seien sie ganz mit
Tätowiermustern bedeckt; die Eltern unterwürfen ihre Kinder der Tätowie-
rung schon mit dem siebenten oder achten Tag nach der Geburt. Die Muster
'*"ig. 280. Tätowiermuster aus Tunis. Aus Karulz: Tätowiermuster aus Tunis. Im Archiv f. Anthropologie
Bd. 36, N. V ., Bd. VII, S. 65.
Die erste Zeichnung rechts soll einen Adler darstellen (siehe Text); die beiden andern Verden
Mädchen auf Untersohenkel und Wade tätowiert. Die Kreuzehen in der größten Figur, links, sind Dach
Knwi „Glückskrenze" ; die Leuchterarme tragen je eine Lampe und Kerze; die kleinen Kreise in der
mittleren Figur sind „Augenkreise", schützen gegen den bösen Blick.
Andere Figuren
zu schließen, ist
mihI verschiedene) Art. haben verschiedene Bedeutung und sollen verschiedene
Wirkungen ausüben. Ein Adler (Fig. 286, rechts) soll den kleinen Kindern
Stärke verleihen; kleine Kreise als Symbole des Auges sollen vor dem bösen
Blick schützen. Schlangen vor Schlangenbiß bewahren.
wieder sind /eichen des Islam usw. (Vgl. Pubertätsfeier.)
Kino All Tätowierung im Kindesalter, nach Fig. 287
auch bei den Madi, Ostsudan-Negern, üblich.
Eine mit besonders intensivem Schmerz verbundene Tätowierung an
kleinen Kindern und an Erwachsenen hat Floß (nach Tarano) in der 2. Aufl.
(I, 337) von den „afrikanischen Küsten" erwähnt. Bei dieser Operation
wurde eine ziemlich starke Stahlnadel schräg unter die Haut eingeführt.
Je tiefer das geschehe, desto wirkungsvoller erscheine das Muster. Die Nadel
reißt die Haut nach der Richtung, in welcher sie eingeführt und
gewaltsam
§ 242. Die im Kindesalter begonnene Tätowierung. — Bemalung des Kindes. 131
entlaug laufenden Reihe von Querstreifen. Nach dem Rückenornament kommen
Qaerstreifen auf den Hüften und an der äußeren Seite der Beine, sowie ein
Streifen auf jeder Backe und von der Unterlippe zum Kinn. Damit, schreibt
Pleyte, ist vorläufig das Muster fertig, und nun wird an der Vervollständigung
der Brusttätowierung gearbeitet, die allein mehrere Jahre beansprucht. Diese
Zeit fällt aber bereits in das reife Mannesalter, und der vollkommen täto-
wierte Mann habe gewöhnlich sein fünfundvierzigstes oder fünfzigstes Jahr
erlebt. Das weibliche Geschlecht ist im allgemeinen weniger tätowiert. Statt
Fig. 289. Ein tätowierter Katurei. Aus
Vvlt: Znr Anthropologie und Ethnographie
von Indonesien. Im Archiv für Anthro-
pologie. 32. }». F. IV. S. n>5 u. lu7.
maaL
Fig. 290. Eine tätowierte Katurei.
Aus Volz. Ebenda.
des Brustschildes bekommt es sternförmige Figuren auf Schultern und
Brüste.
Nach Volz hat auf den Mentawei-Inseln nicht nur jede Gegend ihr beson-
deres Muster, sondern auch die Eingebornen der einzelnen Gegenden weisen
Unterschiede in ihren Tätowiermustern auf; denn die Tätowierung ist sowohl
Stammesabzeichen als auch das Zeichen für erfolgreiche Kriegszüge.
Nach jedem Sieg haben jene, welche ihn erringen halfen, das Recht, die
Tätowierung ihrer Kinder zu vervollständigen. Die des weiblichen Geschlechtes
ist auch nach Volz viel einfacher als die des männlichen, wie aus Fig. 289
und Fig. 290 zu ersehen ist.
Über die Bedeutung der Tätowierung konnte Volz auf den Mentawei-
Inseln nichts erfahren. Er macht darauf aufmerksam, daß hier nur die unbe-
kleideten Körperteile tätowiert sind, und daß die Tätowierung diesen ange-
paßt ist, sie abgrenzt und hervorhebt, also keine den Körper bedeckende
132 Kapitel XXXVII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
Bilderschrift, sondern eine anatomische Tätowierung sei. Hierin glaubt Yolz
die ursprüngliche Bedeutung der Tätowierung zu sehen. Baumstämme, z. B.
eine Sagopalme in der Brust-Bauchtätowierung zu sehen, wie es vor ihm
geschehen ist, weist er ab. Gewisse Detailverzierungen seien spätere Zugaben.
Auf den Laughlan-Inseln, Britisch-Neuguinea, beginnt die Täto-
wierung, wie es scheint, nur bei den Mädchen im Kindesalter. Auch hier
findet der Abschluß, wenn es überhaupt so weit kommt, erst nach Jahren statt.
Wo die Schmerzen und Kosten gescheut werden, läßt man eben das Muster
nicht fertig machen. Professionelle alte Weiber führen die Operation mit
einem Stäbchen aus, das an einem der beiden Enden ein gezähntes Knochen-
stück trägt und dem polynesischen Tätowierinstrument gleicht, wie Q. Thilenius
bemerkt. Früher war die Tätowierung (Kutukuat) auf den Laughlan-Inseln
der Vorzug der Töchter und Frauen der Häuptlinge; jetzt ist sie durch den
Einfluß der Weißen auch dem Volke gestattet, und hat ihren früheren religiösen
Wert größtenteils verloren. Dieser wurde von den Vornehmen folgenderweise
erklärt :
Sie müßten nach ihrem Tode ihre Tätowierung einer großen Schlange
abtreten, wenn ihre Seelen von den Laughlan-Inseln zur westlichen Insel Vatum
der Trobriandgruppe wandern. Erschiene die Seele einer vornehmen Frau
vor dieser Schlange untätowiert, so würde diese sich strecken, so daß sie
schmal und eckig würde und die Seele somit abgleiten müßte1). Dann fiele die
Seele ins Meer und erreichte niemals Vatum, das Totenreich. Gibt aber eine
Seele der Schlange ihr Kutukuat, dann besänftigt sie sie damit; die Schlange
streift die Tätowierung über sich, macht sich flach und breit, und so kann
die Seele wie über eine Brücke nach Vatum gelangen. Was das Muster der
Tätowierung betrifft, so verweisen wir auf die Illustration des Thilenius im
Glob., Bd. 81. S. 47.
In Birma tätowiert man jedes männliche Kind. Als Muster dienen
Figuren, welche Tiger und andere reißende Tiere darstellen. Alle Teile des
Körpers, besonders aber die Schenkel, erhalten ihren Teil. Die Operation
wird mit einem Instrument ausgeführt, an welchem viele scharfe und dicht
nebeneinander stehende Spitzen angebracht sind. Nachher reibt man die
blutende Haut mit einer Salbe ein, deren Hauptbestandteil Galläpfel bilden.
Dem darauf eintretenden Fieber sollen zwei Fünftel der Kinder erliegen.
I );i> Muster trete namentlich am Schenkel schwarz auf.
Bei den Ai'nos sind es dann wieder die Mädchen, welche der Tätowie-
rung unterworfen werden. Sie wurden sonst nach dem Glauben ihres Volkes
nicht heiraten; auch als alter religiöser Brauch gilt die Tätowierung unter den
\inos. Im fünften Lebensjahr, wenn die Mädchen gewöhnlich noch nicht der
Mutterbrust entwöhnt sind, beginnt man mit ihr im (Besicht, an Händen und
Armen. Alljährlich folgt eine Fortsetzung, bis die Operation mit der Ver-
heiratung der Mädchen ihren Abschluß findet (Isabella L. Bird).
Aus Furcht, ihre Töchter möchten sonst keine Männer bekommen, täto-
wieren auch die Kskinio- Weiber die Mädchen schon in der Kindheit. An
Kinn, Wangen, Bänden und Füßen ein eigentümliches Muster zu haben, gilt
ihnen als dii te Zierde. Das Muster wird ausgeführt, indem die Mutter
dir Haut mit einem rußgeschwärzten Faden durchnäht, wodurch sich schwarze
Punkte bilden und die Haut den Anschein bekommt, als wäre sie mit schwarzen
Bartstoppeln bedeckl (.Fr. Müller).
Von den Indianern Liegen mir einstweilen nur zwei Mitteilungen darüber
vor, daß bei ihnen auch Kinder tätowiert werden. Die eine, von Schomburgk
l) Diese Schlange ist, wie weiter unten folgt, als Brücke zwischen den Laughlan- und
den Trobriand-Inseln gedacht.
S 243. Varia. 133
stammende, ist schon in der 2. Auflage referiert worden. Wir erfahren durch
sie, daß die Warrau-Indianer in Britisch-Guayana bereits ihre Neu-
gebornen tätowieren; die andere finden wir bei Koch-Grünberg, der von den
Passes im östlichen Bolivia berichtet, daß die Mutter das Ohr ihrer Tochter
durchbohrt und die schmerzliche Operation der Tätowierung beginnt, wie der
Vater es für die Knaben tut. Daß es sich hier um Söhne und Töchter in
den Kinderjahren handelt, geht daraus hervor, daß diese Mitteilung dem Ab-
schnitt „Ornamentation of Children" einverleibt ist.
Das Bemalen der Kinder wird von mehreren Indianer- Völkern belichtet.
Wir kommen darauf im Kapitel „Die Toilette des heranwachsenden Kindes"
zurück. Hier sei nur erwähnt, daß das von Lery beobachtete Tupin-Imba-
Kind im östlichen Brasilien gleich nach seiner Geburt rot und schwarz an-
gestrichen wurde, und daß Dapper von einem Zweig dieses Stammes, den
Martinas, schrieb: Sie beschmieren die von Geburt aus weiße Haut der Kinder
mit Roukou und Ol. —
§ 243. Varia.
Um den Neugebornen „das unreine Blut der Mutter" zu entziehen, läßt
man ihnen in den Dörfern Farsistans, südwestliches Persien, am dritten Tage
nach der Geburt zu Ader.
Die meisten Maroniten am Libanon lassen ihre Kinder am Scheitel
ätzen, um sie vor Augenleiden zu bewahren. Gegen Entzündung des Mundes
und Gaumens, sowie gegen Gelbsucht ätzt man eine kleine Vene unter der
Zunge.
Von den libyschen Nomaden schrieb Herodot (IV, 177): Die meisten
„brennen ihren Kindern, wenn sie vier Jahre alt sind, die Adern auf dem
Scheitel mit Fett aus Schafwolle; andere brennen auf diese Weise die Adern
an den Schläfen, damit ihnen der aus dem Kopfe herabfließende Schleim nicht
schade. Daher sollen sie ihrer Meinung nach die gesundesten Leute sein. Die
Libyer sind auch in der Tat die gesundesten Menschen, die wir kennen. Ob
es von der gemeldeten Ursache herrührt, weiß ich nicht; genug, sie sind es.
Wenn von dem Brennen der Kinder ein Krampf entsteht, so sprengen sie
Bocksurin darauf." (Nach Floß, 2. Aufl.)
Nach Thovi. Bärtolin hatten die Äthiopier und die Etrusker einen
ähnlichen Brauch, d. h. jene brannten ihren Kindern die Venen an der Stirne,
und diese am Hinterhaupt.
Wenn bei den Togonegern Eltern eines oder mehrere Kinder durch
den Tod verloren haben, dann glauben sie, es gehe dem, welches später ge-
boren wird, auch so. Dieses erhält deshalb, wenn es anfängt, auf dem Boden
herumzukriechen, einen oder mehrere Schnitte, je nachdem ein oder mehrere
Kinder starben, zwischen Augenwinkel und Schläfen. Man benutzt dazu ein
gewöhnliches Messer, läßt die Wunde ausbluten und streicht dann pulverisierte
und mit Öl angerührte Holzkohle hinein. Diese gibt der Narbe eine dunklere
Farbe, so daß sie von der Hautfarbe deutlich absticht. Man heißt diese
Narbe blenu (sich abplagen?), das Kind selbst dsikudsikuvi, d. h. „ein für
den Tod gebornes Kind" (P. L., nach Hornberger).
Aus dem südöstlichen Deutsch-Ostafrika berichtete Weide, daß man
den Neugebornen mit dem landesüblichen Rasiermesser das Bändchen unter
der Zunge löse, damit sie sprechen lernen.
Bei den Basutos in Britisch-Südafrika findet ein ähnliches Ritzen
des Kindes mit darauffolgender Einreibung statt wie bei den Togonegern,
ohne jedoch auf bestimmte Kinder beschränkt zu sein. Missionar Grützner
hat diese Zeremonie samt andern damit verbundenen seinerzeit eingehend be-
134 Kapitel XXXVII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
schrieben. Sie finden nach dem ersten Lebensnionat des Kindes statt wie
folgt: Der „Doktor" kommt mit seinem dithebele (Zauberkästchen), nimmt
daraus mit jeder Hand je eine Priese pulverisierter Medizin und streut diese
dem Kind in der Weise auf den Kopf, daß er gleichzeitig mit der einen Hand
am Hinterkopf, mit der andern an der Stirne beginnt, so daß die beiden Hände
sich am Scheitel (wohl Wirbel?) treffen. Dabei zischt er wiederholt fi, fi
und betet: Modimo u re neele noana eo! (Gott, laß uns dieses Kind), u mo
thuse! (hilf ihm).
Die aufgestreute Medizin heißt „das zu Tragende" und der ganze eben
geschilderte Akt ,.Xo thusa noana" (dem Kind zu helfen). Nach diesen
Zeremonien ritzt der Medizinmann das Kind mit einem Kasiermesser an der
Stirne, vorn am Hals, über den Knieen. zwischen der großen und zweiten Zehe,
Fig. 291. Kinderimpfung bei den Waliehe in Hadibira, Deutsoh-Ostafrika. P. Häßiger phot.
an beiden Füßen, an den Lenden, im Kreuz, an den Achselgelenken, im Nacken,
an den Schläfen und an den Haudgelenken. Hierauf rührt er in seinem Bocks-
horn Fett und Medizin (molemb) ineinander und schmiert das Gemisch dem
Kinde, das ihm zwischen den Füßen steht, mit einem Stückchen Holz in die
Wunden, wobei er einen eigentümlich zirpenden Ton von sich gibt. Dann
entnimmt er seinem Sack ein Stückchen Holz, modimo (Gott) oder modisa oa
noana. Unter des Kindes genannt, und bindet es mit einem Kiemchen an die
Felldecke, in welchem die Mutter das Kind trägt. Es soll dieses vor dem
Zaubei böser Menschen behüten. Diese Zeremonie wird xo kokoteloa noana
genannt, was ...las Geklopft werden des Kindes. confirmatio"(?) bedeute. Zum
Schluß reiht der Doktor sich, die Mutter und das Kind mit einem (Temisch
von roter Erde, Fett und Medizin von oben bis unten ein. — Eltern, denen
ihre Kinder am Herzen liegen, wiederholen diese Zeremonien von Zeit zu Zeit,
weil sie nicht nur vor Krankheit und vielen anderen ("bei bewahren, sondern
kranke Kinder auch gesund machen.
§ 243. Varia.
135
Die Amabomvu und einige andere Stämme der Zulu in Natal schneiden
ihren Kindern im Alter von 6 Jahren das letzte Glied des (welches?) kleinen
Fingers ab. Diese Verstümmelung gilt als Stammerkmal und soll mutig und
tatkräftig machen (Fr. Mayr).
Das Langziehen der Ohren bei verschiedenen Völkern der Negerrasse,
im malayischen Archipel und in Polynesien ist schon früher angedeutet worden.
Auf Jap bringen sich die Knaben selbst Ziernarben am Oberarm bei
zum Zeichen, daß sie Mut haben. Das geschieht mit einem glühenden Stäbchen,
meist dem Stiele der Kokosnuß (Senff't).
Fingeramputation kommt nicht
nur im südlichen Afrika, sondern auch
im östlichen und nordwestlichen
Australien vor. Hier wird sie aber
auf das weibliche Geschlecht be-
schränkt, findet bald nach der Geburt
statt und wird anders motiviert. Im
Osten heißt es (nach Turnbull, Lang,
Angas, Hunter u. a.), die Mädchen,
deren amputierter Finger ins Meer
geworfen wird, würden dadurch glück-
lich im Fischfang werden. Während
diese Motivierung geheimnisvoll lautet,
hört sich die vom Nordwesten prak-
tisch an. Hier heißt es nämlich, die
Mädchen können dann die Angelschnur
besser um die Hand winden (Stolces,
Collins). Wahrscheinlich ist aber weder
die eine noch die andere Motivierung
die ursprüngliche. Die Operation be-
steht darin, daß man zwei Glieder des
kleinen Fingers der linken Hand ab-
schneidet (De Riem'i), oder das erste
Glied desselben Fingers zuerst unter-
bindet und dann ablöst (Collins)').
DasKauterisieren der alten Etrus-
ker, Libyer und Äthiopier hat seine
Parallele bei den heutigen Badagar,
Todas und anderen Dravida- Völkern
im vorderindischen Nilgirigebirge.
Jagor fand hier Kinder mit krätzartigen
Hautausschlägen und eiternden Ge-
schwüren, welche von den Brandwunden
herrührten, die ihnen die Eltern bei-
gebracht hatten, um sie von Krankheiten zu befreien. Ein kleiner Knabe
hatte eine solche Wunde au der Stirne, zwei über den Brustwarzen, zwei
über dem Nabel, zwei rechts und links daneben und eine am Unter-
leib. Zum Brennen dient die glimmende Wurzel der Wasserpflanze Vasambu
(Acorus calamus).
Die Katschinzen, ein turk-tartarisches Volk im sibirisch-russischen
Gouvernement Jenisseisk, brennen ihren einjährigen Kindern „die Flocken
Fig. 292. Ein „Doktor* bei den Ivaffern. ImMuseum
für Völkerkunde in Leipzig.
') Das Abschneiden von Fingergliedern oder ganzen Fingern gehört bei verschiedenen
Völkern verschiedenen Symbolkreisen an. Bei Trauer, gewöhnlichen Hochzeiten, Witwen-
Jieiraten usw. ist diese Handlung nachweisbar.
136 Kapitel XXXVII. Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes.
(jedna) aus", d. h. sie wollen ihm durch Cauterisieren vom Speicheln helfen
(Duhmberg, Arzt in Barnaul) J).
Ob die bei den Eskimos westlich vom Mackenzie gebräuchliche Durch-
löcherung der Wangen bereits in der Kindheit stattfindet, muß hier unent-
schieden bleiben. Die Öffnungen werden allmählich vergrößert und dann ein
Stein in der Form eines Manschettenknopfes eingeführt (Lubbock).
In Nordamerika hielten die Carrier, ein Zweig der Dene(Tinneh)-
Indianer, große Augen für schön; deshalb bearbeiteten die Mütter die Augen-
höhlen der kleinen Kinder häufig. Auf welche Weise scheint A. G. Monte,
der dieses im „Anthropos" schreibt, nicht zu wissen.
Im alten Mexiko schnitt man nach Dappcr den Säuglingen je ein
Stückchen von den Ohren und dem männlichen Glied und opferte es dem
Vitzliputzli (Hnitzilipochtli). Innerhalb des ersten Lebensjahres schröpfte
man die Kinder am Feste dieses Gottes auf der Brust und auf dem Magen
oder an den Armen, um sie dadurch als Nachfolger dieses Gottes zu be-
zeichnen. Bancroft, der dieses referiert, erinnert auch daran, daß der Azteken-
könig Moteuczomatzin (Montezuma II) Zwerge und Bucklige in seinem Palast
gehabt habe, die in ihrer Kindheit mit viel Geschick bucklig gemacht, ver-
renkt und gebrochen worden waren2). —
J) Wie Ploß (2. Aufl. I, 340) bemerkt, hat Barnaul diesen Brauch Strümpell brief-
lich mitgeteilt.
2) Bancroft war allerdings geneigt, das spanische „quebrar" mit „castrar'- zu übersetzen,
weil der spanische Geschichtschreiber Motolinia hinzugefügt habe, daß die Könige sich
dieser Knaben und Männer auf die gleiche Weise bedienten, wie der „Große Türke" sich
seiner. Eunuchen bediene.
Kapitel XXXVIII.
Sexuelle Operationen.
I. Teil.
§ 244. Überblick.
Wichtiger als alle bisher geschilderten, oder kurz erwähnten Operationen
am Kindeskörper, erscheint im Völkerleben die Beschneidung der Kinder. Be-
sonders ist es die Knabenbeschneidung in ihren drei Hauptformen:
Zirkumzision, Inzision und Subinzision, wovon die ersteren zwei eine
erstaunliche Verbreitung gefunden haben. Richard Andree schätzte schon im
Jahre 1889 die Zahl derer, welche die eine oder andere üben, auf 200 Millionen,
d. h. auf den siebenten Teil der gesamten Bevölkerung der Erde. Seitdem
ist dieser Brauch auch bei damals noch wenig erforschten Völkern nachge-
wiesen worden, so daß die 200 Millionen wohl bedeutend überschritten sind.
Ein sehr seltener Brauch scheint die künstliche Verlängerung des
Gliedes an Knaben zu sein. Außer den schon von Floß aufgeführten
Völkern ist mir keines bekannt, welches diesen Brauch übt. Häufiger findet
sich der analoge Brauch bei Mädchen.
Wenig Material liegt mir einstweilen auch über die Infibulation bei
Knaben vor. — Daß die etruskische Art der Unterbindung des Präputiums
mit einem Bändchen auch in Griechenland (neben dem Ring) gebräuchlich
war, ist ethnisch interessant.
Etwas umfangreicher ist das in diesem Kapitel verwertete Material über
Kastration. Ihm zufolge ist sie nachgewiesen im Orient, im alten und neuen
Rom, im jüdischen und christlichen Abessinien, ferner bei einem äthiopischen
Zweig der Härmten, bei Hottentotten, Mikronesiern und Polynesien]. — Be-
gründet wird diese Operation direkt oder indirekt mit Rache, Strafe, Hab-
gier1) und Religion; ferner mit dem Glauben, dadurch der Zeugung von allzu
vielen Zwillingen zuvorzukommen, gewisse Krankheiten zu verhindern, Schön-
heit und Lust zu steigern usw.
Der Überblick über diese drei Operationen ist leicht. Ganz anders
verhält es sich mit der Beschneidung, welche ich wegen der Fülle des
Materials nach Völkergruppen, und diese selbst in 2 Abschnitte einteilen zu
müssen glaubte, und welche zudem einer eingehenden Einleitung bedarf,
wenn sich der Leser in dem Chaos der Vorstellungen einigermaßen zurecht
finden soll, die den Beschneidungszeremonien zugrunde liegen.
Die Knabenbeschneidung findet sich bei Juden, Muselmanen, Heiden
und Christen. Als Ganzes genommen tritt bei ihr die Religion im weitesten
Sinn, also auch im Sinne des Geschlechtskultes, ferner dieser letztere an
und für sich, sowie der Stammes-, Volks- oder Nationalgeist am meisten
1) Die Verwendung Kastrierter im Harem kann wohl nicht als Grund der Kastration
angesehen werden, wohl aber die Habgier dessen, der Kastrierte zu diesem Zwecke liefert.
138 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
in den Vordergrund. Welcher von diesen drei Charakteren ') der primäre ist,
kann trotz mehrfacher aufgestellter Hypothesen wissenschaftlich nicht überall
entschieden werden, weshalb es methodisch zulässig ist, wenn ich zunächst
das religiöse Moment im engeren Sinne heranziehe.
Die Juden sehen bekanntlich in der Beschneidung ein Zeichen ihres
Bundes mit Jahve; von den Samaritern wissen wir. daß sie mit der Operation
Gebete verbinden. Das gleiche tun die Araber in Arabia Petraea, welche
zudem mit der Operation Opfer verbinden, Lobgesänge auf Gott anstimmen,
eheliche Enthaltungen beobachten u. a. m. Als „sehr verdienstlicher Akt",
doch nicht vom Koran geboten, immerhin mit Abbetung des moslemischen
Glaubensbekenntnisses und anderer Gebete, bzw. Gesänge auf Allah und den
Propheten verbunden, begegnet uns die Beschneidnng bei den Arabern in
Yemen'-) und in Afrika, wo sie außerdem in der Moschee, oder doch nach
einer Vorfeier in der Moschee, oder nach einem feierlichen Aufzug dahin, oder
von dort zurück stattfindet. Ferner ist bei einem Teil der Araber der Begriff der
sittlichen Reinigung und der Befähigung zur Ausübung der Religion durch
die Beschneidung nachgewiesen. Schou die Zurückbeziehung des Brauches
auf Ismaelj den Sohn Abrahams aus der Hagär, also indirekt auf Abraham,
verleiht der arabischen Beschneidnng in ihrer von den Arabern anerkannten
Wurzel eine religiöse Seite.
Die christlichen Abessinier und Kaffitscho, sowie die Priester und
übrigen gebildeten Stände der christlichen Kopten erkennen der Beschneidnng
einen religiösen Charakter nicht zu. wohl aber tut das die bäurische
Bevölkerung unter den Kopten. Ein Licht auf den Ursprung der Beschneidung
überhaupt wirft ihre Erklärung nicht, da sie auf die Beschneidung Christi nur
als Vorbild hinweist. Zu den verschiedenen Bedeutungen der Beschneidung
im alten Ägypten wird von einer Seite aus auch eine religiöse gerechnet; sie
habe als Weihe und Merkmal der Priester und Krieger gegolten; in Deutsch-
Togo stattet man beim Regraben des Präputiums der Gottheit Dank ab; die
Ga üben Beschneidung, weil das Gesetz des Fetisches es verlangt, also aus
einem religiösen .Motiv. - Als religiöse Handlung wird sie von den Akkra
und Sierra Leone-Negern bezeichnet. -- Eine Fülle religiöser Zeremonien, die
mit der Säuberung des Landes von Verbrechern eingeleitet und mit der Be-
gnadigung der Verbrecher (Amnestie) abschließt, weisen die im vorliegenden
Kapitel beschriebenen Beschneidungsfeierlichkeiten bei den Negern und Malayen
auf Madagaskar nach. (Über ihren Baum-, Feuer- und Wasserkult später.)
Als religiöse Handlung ist die Beschneidung ferner auf den Viti-, Tahiti- und
Tongainseln (Melanesiern und Polynesien^ nachgewiesen, und zwar als Opfer
auf Viti Levu. In Australien kennzeichnet schon teilweise das vom Himmel
heruntergeworfene Beschneidungsmesser die Operation als religiösen Brauch.
Viel stärker aber und allgemeiner tritt der australische Religionsgedanke in
deren später zu besprechenden Riten hervor. - Laß die moslemischen Turk-
stämme mit ihrer Beschneidung Gebete, Opfer und andere religiöse, bzw.
charitative Handlungen verbinden, versteht sich nach dem über ihre Glaubens-
genossen in Arabien und Afrika (iesagten fast von selbst. - Die religiöse
Bedeutung des Schnittes in die Vorhaut bei den Neugebornen im alten Mexiko
ist schon dadurch angedeutet, daß der Operateur ein Priester, die Stätte aber,
wo es geschah, ein Tempel war.
Außer diesen bekannteren Formen religiöser Kulte verbinden
verschiedene Völker mit der Beschneidang mehr oder weniger kompli-
zierte Formen des Baum-, Pfahl-, Feuer-, Wasser- und Schlangen-
'i Nämlich: der religiöse, sexuelle und soziale, welche jedoch auf gewissen Kultur-
stufen vielfach ineinanderfließen.
2) Die Ausnahmen weiter unten.
§ 244. Überblick. 139
bzw. Geschlechtskultes, sei es, daß sich je einer, oder mehrere dieser
Kultformen bei je einem Volke vorfinden. Daß es sich bei diesen Kulten
wenigstens zum Teil um religiöse Auffassungen handelt, geht teils aus den
in diesem Kapitel referierten Zeremonien selbst, teils aus einer Reihe von
Mitteilungen in früheren Kapiteln hervor; man vergleiche z. B. Kapitel XXX.
Derartige Kulte im Beschneidungsritus sind im vorliegenden Kapitel
nachgewiesen hauptsächlich bei den Kikuyu, Massai, Yao und Makua in Ost-
afiika; ferner bei den Howa auf Madagaskar, bei den Eiugebornen (Papua?)
auf Karesau und bei australischen Stämmen.
Der Apotheosierung der Fruchtbarkeit, welche jenen Kulten zu-
grunde zu liegen scheint, entsprechen die mit der Beschneidungsfeier
vielfach verbundenen geschlechtlichen Ausschweifungen, bzw. die
offizielle Einführung der Frischbeschnittenen in das Geschlechts-
leben durch Wort und Tat. — Der Besuch des heiligen Baumes bei den
Kikuyu, die Errichtung eines mit Opferblut umringelten Beschneidungsbaumes
bei den Makua und den Karesau-Insulanern, die wichtige Rolle des Bananen-
stammes in der heiligen Ecke des Hauses bei den Howa auf Madagaskar,
die Umarmung des heiligen, auf grünen Zweigen liegenden Pfahles durch den
Beschneidungskandidaten während der Operation bei den Uumatjera in Australien,
die mit der Subinzision verbundenen wochenlangen Schlangenfeste der Warra-
munga usw. usw. sind Erscheinungen, welche an der Bedeutung der Be-
schneidung (in verschiedenen Formen) als einen Akt des Geschlechts-
bzw. Fruchtbarkeitskultes bei diesen Völkern kaum zweifeln lassen.
Von andern Völkern wieder liegen uns zwar weniger eingehende
Schilderungen derartiger Bräuche vor, aber die vorhandenen genügen, um zu
beweisen, daß die Beschneidung bei ihnen so gut wie bei den obigen höchst-
wahrscheinlich eine offizielle Einführung in das Geschlechtsleben be-
deutet, obgleich geschlechtlicher Verkehr bei einzelnen Stämmen, z. B. bei
den obigen Massai und bei den Australiern an der Roebuck-Bay schon vor-
her, gewissermaßen privatim, stattfindet. Sexueller Verkehr ohne Heirats-
absichten bilden eineu Hauptbestandteil der mit der Beschneidung der Bakulia
verbundenen Erscheinungen; zügellose Ausschweifungen der beschnittenen
Burschen mit gereiften Mädchen ist im Kafferstamm der Kosa gebräuchlich,
wie denn von den Kaffern überhaupt berichtet wird, daß obszöne Handlungen
zur Schlußfeier ihrer Beschneidung gehören. Ein monströser Phallus ist das
Attribut des Fetisches, unter dessen Anrufung, und vor welchem die Be-
schneidung der Vuila-Xeger stattfindet. Bei den Mandingo berechtigt dann
wieder die Beschneidung zum geschlechtlichen Verkehr; im südlichen Sumatra,
Lampong-Distrikte, bringt die Wiederholung der Beschneidung, selbst im vor-
gerückten Alter, die Zeugungskraft zurück; im nördlichen Nias befähigt
sie zum Koitus; an der Roebuck-Bay berechtigt erst sie zur Heirat, also
zum legitimen Geschlechtsverkehr, wenngleich der Kandidat vorher schon
Kinder gezeugt hat; bei den nördlichen Stämmen von Zentralaustralien darf
kein Mann heiraten, ehe er zirkumzidiert und subinzidiert ist. Die Dieri
und andere Stämme am Eyre-See verteilen bei jeder Beschneidung aufs neue
die in Gruppenehen (Pirauru) lebenden Männer und Weiber. — Einführung
der Beschneidungskandidaten in das Geschlechtsleben ist auch bei den Yao
und Makua erwiesen, deren Baum- bzw. Feuerkult weiter oben erwähnt worden
ist. Ferner verheiraten die moslemischen Suaheli und ein Teil der Araber
ihre Söhne bald nacli der Beschneidung, was kaum ohne Zusammenhang mit
der obigen Bedeutung der Operation ist.
Die Weigerung der Weiber, Unbeschnittene zu heiraten, oder
überhaupt mit ihnen zu verkehren, finden wir im vorliegenden Kapitel bei
den Negerinnen in San Salvador, portugiesischer Kongo, bei den Bafiote an
140 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
der Loangoküste und bei den nördlichen Stämmen von Zentralaustralien, wohl
abermals ein Hinweis auf die hohe Bedeutung, welche diese Völker der Be-
schneidung in bezug auf das Eheleben beilegen. Nicht weniger wichtig ist
es, daß nur jene Karesau-Insulaner das Geisterhaus betreten dürfen, von denen
die Weiber wissen, daß sie sich den traditionellen Operationen unterworfen
haben. Gerade hier aber bildet, wie erwähnt, der Baum-, also der Fruchtbarkeits-
kult, einen wichtigen Bestandteil der Bescbneidungs- und Mannbarkeitsfeier.
Ein Hinweis auf die Richtigkeit meiner auf S. 139 ausgesprochenen Ver-
mutung ist ferner der Brauch der Mandingo, das abgeschnittene Präputium
lebenslänglich als kräftiges Zeugungsmittel bei sich zu tragen. Auch die
Zähigkeit, mit welcher das australische Weib an der Roebuck-Bay an dem
Kängnruhäutchen hängt, mit welchem ihr Mann ehedem nach seiner Be-
schneidung das Glied verband, spricht eine deutliche Sprache, wenn auch
nicht in dem Sinn, daß die Beschneidung bei all diesen Völkern
und ausschließlich in dem Trieb zur Fortpflanzung gründe. Da und
dort hat man auch niederere Motive, wenigstens in der Art und Weise der
Operation entdeckt, d. h. einzelne Völker erwarten davon Erhöhung der
Lust bei der Kopula, wie aus diesem Kapitel- hervorgeht, und auch die mit
der Beschneidung verbundenen Orgien bei gewissen Völkern gehören hierher,
wenn sie nicht eine jener Formen des Bundesgedankens zum Ausdruck bringen
sollen, auf welche ich bald zu sprechen komme.
Auf die Bedeutung der Beschneidung wirft vielleicht auch der Ort, an
welchem sie stattfindet, der Stand des Operateurs und die Verwendung des
Präputiums einiges Licht. Als Beschneidungsstätte lernen wir in dem
vorliegenden Kapitel kennen: Synagogen, Moscheen, heilig erklärte Orte, eigens
erbaute Beschneidungshütten, die zum Teil den Magen des Geistes darstellen,
aus welchem die Wiedergeburt stattfindet; ferner ein Zelt, das durch die
Hörner und ein Stück Schädeldecke vom Opfertier geheiligt worden ist; den
Platz vor einem Fetisch, entlegene Orte im Busch und am Meeresstrand.
Was den Stand des Besch neide rs betrifft, so begegnen uns sach-
kundige Laien (bei den Juden „Mohel" genannt), ferner Chirurgen, Barbiere,
Oberpriester, gewöhnliche Priester und Männer mit teilweise priesterlichem
Ansehen (hierher gehören auch Schmiede und Zauberer); ferner die Väter der
Kandidaten (im alten Testament auch Mütter1), und endlich die Beschneidungs-
kandidaten selbst, sei es, daß sie sich gegenseitig operieren, oder daß jeder
sich selbst beschneidet.
Die Verwendung des Präputiums ist sehr mannigfach: Man ladet es
in eine Flinte und schießt es den Hörnern des Opfertieres zu oder in die
Luft; man steckt es auf eine Lanzenspitze und wirft es über das Hausdach
des Vaters; man läßt es als heilig vom Onkel mütterlicherseits verschlucken,
oder der Vater des Knaben muß es essen, oder dieser selbst hat es in Brannt-
wein zu nehmen; ein Kalb muß es verschlucken; es wird verbrannt, ins Wasser
gewmfen. in einen Ameisenhaufen oder in die Erde verscharrt, in ein Wasser-
loch gegraben, damit die Lilien wachsen, dem zukünftigen Schwiegervater ge-
geben, in hohle Bäume als Verwandte der Stammgeister gelegt, als zeugungs-
kräftiger Talisman konserviert usw. — Sowohl diese Zusammenstellung, als auch
die Zeremonien und Verhältnisse, welche mit der Verwendline- ,i,.s Präputiums
zusammenhängen, mint für einige derselben zu dem Resultate, daß die Be-
schneidung eine sexuelle, oder soziale, oder religiöse Bedeutung hat, oder dr.ß,
wie im Völkerleben so häufig, alle diese Momente innig ineinander ver-
schmolzen sind.
l) Die Weiber als Beschueiderinncn der Mädchen siehe im 3. Hauptabschnitt dieses
Kapitels.
§ 244. Überblick. 141
Einiges Licht auf Bedeutung und Zweck der Beschneidang wirft ferner
das Alter der Kandidaten, obgleich sich diese Hoffnung auf den ersten Blick
nicht zu erfüllen scheint, da von verhältnismäßig vielen Völkern Altersangaben
nicht vorliegen, und das von andern Völkern tatsächlich vorliegende Material
oft bei ein und demselben Volk große Schwankungen aufweist.
Am 8. Tage nach der Geburt beschneiden die Juden und Samaritaner,
sowie die südamerikanischen Otomaco-Indianer; regelmäßig schon innerhalb
der ersten 8 Tage die brasilianischen Neger; vom 8. Tage aufwärts die Howa
auf Madagaskar; die Araber schwanken zwischen 7 Tagen und 14 Jahren;
ähnliche Altersunterschiede linden sich bei den übrigen Muselmanen. Die
polytheistischen Völker weisen noch größere Differenzen auf. Ihre unterste
Grenze, zwei Wochen, finden wir bei den Ngombe Lutete im belgischen Kongo,
wo die Operation aber auch bis auf 20 Jahre hinausgeschoben werden kann.
Noch ältere Beschneidungskandidaten. d. h. 25jährige, sind die Sühne der
Sulu-Kaffer. und in Australien fiuden wir gar periodische AViederholungen der
Subinzi^ion an ein und demselben Individuum durch dessen Mannesleben hindurch.
"Wiederholungen der Perforation auf Karesau bilden ein Seitenstück dazu.
Zwischen 8 Wochen und 20 Jahren schwankt das Alter der christlichen Be-
schneidungskandidaten in Afrika1).
Trotz alledem herrscht aber unter den Völkern, als Gesamtheit be-
trachtet, und wenn man ihr als Regel beobachtetes Beschneidungsalter im
Auge behält, das Pubertätsalter vor, und zwar nicht nur bei den Poly-
theisten, sondern auch bei den Muselmanen, was abermals für die vorzugsweise
sexuelle Bedeutung der Beschneidung im Islam und im Polytheismus spricht.
Die Auffassung des Beschneidens als „sühnender", ,.reinigender"
Akt, welche wir bei einigen Völkern rinden, braucht mit dem Geschlechtskult
nicht notwendig im Widerspruch zu stehen. Vielleicht weist sie nur auf eine
Vorstellung von der Sünde hin. welche von der unseligen abweicht. Die Sünde,
welche die Kikuyu durch die Be^chneidung sühnen, ist nicht mit dem identisch,
was wir Sünde nennen, sondern mit jeglichem Übel. Allerdings ist es
nicht ausgeschlossen, daß sich hier, wie bei den folgenden Völkern, mono-
theistische und polytheistische Ethik miteinander verquickten, zumal die
„unreinen-1 Tiere der Kikuyu fast sämtlich mit denen der Juden identisch
sind2). Reinigend, sühnend scheint die Beschneiduug auch in Arabia Petraea
wirken zu solleu, denn „rein-' müssen alle Anwesenden sein, und die Sünden
des Kandidaten werden, wie erwähnt, auf den Beschneidet- gewälzt. „Reinigend"
soll nach einem älteren Bericht die Beschneiduug ferner wirken bei den Massai.
die nach neuester Forschung freien geschlechtlichen Verkehr schon vor der
Beschneidung gestatten. — Reinigung durch die Beschneidung soll an der
ostafrikanischen Küste überhaupt, sowohl von Heiden als von Muselmanen,
angenommen weiden. Bei den Kaffern findet sich der gleiche scheinbare
Widerspruch wie bei den Kikuyu. d. h. geschlechtliche Ausschweifungen
schließen diesen Akt der „Reinigung" ab. Man erinnert sich hierbei un-
willkürlich an die Auffassung der Todas im südlichen Vorderindien, daß jeder
verachtungswürdig ist, der zeugen kann und es nicht tut. Dem Heidentum
scheint überhaupt Nicht-Zeugen Sünde zu sein.
Andererseits ist zu beachten, daß die alttestamentliche Beschneiduug von
einzelnen christlichen Theologen als ein Ersatz der christlichen Taufe, somit
auch als ein von Sünden reinigender Akt aufgefaßt worden ist. Im 4. Jahr-
i) Nach C. M. Pleyte (Glob. 61, 2781.) üben auch die Christen auf der Insel Rote
(Rotti) im malayischen Archipel Beschneidung.
2) Die gleiche Möglichkeit liegt von den südafrikanischen Balemba vor, die Beschneiduug
üben und das Verbot, das Fleisch ungeschächtet er Tiere zu essen, beobachten.
iig Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
hundert hat Zeno von Verona die Beschneidung mit dem ersten Sündenfall
in Verbindung gebracht, also in einer Zeit, als im nördlichen und nordöstlichen
Afrika, sowie in Arabien christliche und jüdische Auffassungen durchaus nicht
unbekannt waren. Eine Verquickung jüdisch-christlicher Auffassungen mit
heidnischen ist dort also keineswegs ausgeschlossen, wenn es auch ebenso
möglich ist, daß die Beschneidung in Afrika und in jedem der übrigen Welt-
teile selbständig, sei es aus sexuellen, hygienischen, oder aus anderen Absichten
eingeführt worden ist. Ebensowenig erscheint es wissenschaftlich als aus-
geschlossen, daß sie bei den Hebräern, denen eine Vorzugsstellung in der
Auffassung Gottes nicht abzusprechen ist, aus eiuer ursprünglich geschlecht-
liclien') oder hygienischen2) Bedeutung in eine höhere Sphäre erhoben
worden wäre3).
Sehr beachtenswert ist die Auffassung der Beschneidung als Wieder-
geburt aus dem Magen, Bauch eines Geistes bei den Papuas in Kaiser-
Wilhelmsland, auf Deutsch-Karesau und in Australien. Die bei den beiden
ersteren als Magen (Bauch) des Geistes gedachte Isolierhütte der Kandidaten
gibt uns vielleicht den Schlüssel zum Verständnis auch jener Isolierhütten,
in welchen die Beschneidungskandidaten, bzw. Frischbeschnittenen in Afrika, z.B.
bei «hu Dilotiseheu Kawirondo, den Masaai, Vao. Makua, Sulu, Amakosa, Balemba4)
und bei verschiedenen Kongovölkern, ferner bei den Soninke im nordwestlichen
Sudan wochen- oder monatelang verweilen müssen. Ähnlich dürfte es sich
mit der Isolierung der melanesischen Burschen auf Neupommern und Tanna
in hohen Umfriedungen verhalten; denn daß die Hütte zur Wiedergeburt oder
doch Umgestaltung nicht überall nötig ist, scheint daraus hervorzugehen, daß
bei den nördlichen Stämmen von Zentralaustralien die Beschneidungskandidaten
vom Geist teils, wie bei den obigen Papua, aufgegessen, teils nur ent-
fuhrt, in beiden Fällen jedoch umgewandelt, zurückgegeben werden5).
'i Es sei hier auf des Hkrotiymns Comraentar in Philemon 5 hingewiesen: ,.Abraham
de terra su ;i et engnatiutie jussus exire. ei i cumcisiouem. quam in Signum f uturae prolis
acceperal pusteris dereliquit.-'
Letzteres nimmt z. B. der Breslauer Kxeget Johanne* Nücel an. (Vgl. dessen „alte
und neue Angriffe auf das alte Testament". Münster i. W. 19Ü8, S. 19.)
») Über Analoga zur Besebueiduug der Juden als Bundeszeichen bei verschiedenen
Völkern später.
- Schächtgebot S. 111. A um. 2.
6) üben Fällt nur ein Exemplar von Frozen „The Golden Bough" der 3. Auflage (1911)
in die Eände, in welchem der Verfasser die Hoffnung ausspricht, den lang verlornen Schlösse]
zur B Beschneidung gefunden zu haben, d. h. Freuer vermutet, daß Wieder-
gebuii die in pri und allgemein gültige Bedeutung der Beschneidung sei. Er
kam zu dieser Ansicht, weil die auch in diesem Kapitel wiederholt erwähnten ostafrikanischen
Kikuyu ehemals ihre Beschneidung mit den Zeremonien einer scheinbaren Wiedergeburt
verbanden hatten, welche jetzt getrennt voneinander gefeiert werden, und weil, wie auch
in diesem Kap Zentralaustralien die abgeschnittenen Vorhäute in die
gleichen I leisen und anderen Totemzentren gelegt werden, in denen die
Menschenseelen während der Zeit zwischen ihrem Ausfabren aus einem Sterbenden und ihrer
Wiedergeburt in einem Kind verweilen.
ein Ausgangspunkte entwerten selbstverständlich die meinigen nicht, sondern be-
kräftigen sie. Dil ' der Völker gefällt sich eben, ein und denselben Gedanken
in mannigfachen Korn zum Ausdruck zu bringen. "Wenn aber Frazer vermutet, die
H ei die. daß dem Kandidaten die Zauberkräfte eines tieistes
zuerteilt werden, odei Scheingeburl (Wiedergeburt) zu einer wirklichen Wieder-
geburt auf Erden (nach i em wirklichen imii verhelfen solle, so bezweifle ich das.
Null meinen obigen Dar _ bzw. Hinweisen auf die in diesem Kapitel referierten Tat-
sachen dürfte che] Bein, daß die Viilker mit diesen Arten von
\\ illi n. daß der Beschnittene, bzw. in die Reihen der
Erwachsenen Aufzunehmen! jetzt an ein anderer Mensch sei als er bishet gewesen
war, ein Mensch mit andi d Pflichten als bisher, daß er nun seine sexuelle, soziale
im. i lebt habe.
§ 244. Überblick. 143
Auf einen durch die Beschneidang bewirkten neuen Menschen weist
ferner die bei manchen Völkern mit ihr verbundene Erteilung eines Namens,
oder wo ein solcher schon vorhanden ist, dessen Ersatz durch einen neuen
Namen, hin; ferner das bei einzelnen Völkern gebräuchliche Rasieren oder
Schneiden der Kopfhaare (vgl. Kapitel XXXV), die neue Bekleidung der
Beschnittenen usw.
Mehrere Völker haben Bäder in ihren Beschneidungsritus aufgenommen,
die nicht überall nur Reinlichkeit bezwecken, sondern zum Teil auch
mystische Bedeutung haben, d. h. ethische Reinigung bewirken, oder doch
versinnbildlichen sollen. Die Kikuyu z. B. messen nach Cayzac ihren Be-
schneidungsbädern die Kraft bei, Sünden hinwegzunehmen (vgl. S. 141).
Es sei hier ferner an die beachtenswerte Harmonie in der Auffassung
der Beschneidung bei drei, bzw. vier sprachlich und örtlich mehr oder weniger
weit getrennten Völkern aufmerksam gemacht. Bei den Kikuyu Britisch-
Ostafrika erhebt erst sie die. Jugend zur Menschenwürde, was daraus her-
vorgeht, daß der von den beschnittenen Mädchen mißbrauchte unbeschnittene
Knabe noch nicht als Mensch gilt. — ..Persönliche Würde" verleiht die
Beschneidung dem kannibalischen Mangbuttu. — Die Muselmanen in Mittel-
sumatra bezeichnen die Beschneidung mit dem Ausdruck „Von der Schande
befreien" und erinnern dadurch an die gleiche Auffassung bei den Juden zu
Josuas Zeit, wenn die an einer anderen Stelle dieses Kapitels referierten
Zweifel nicht die Oberhand behaupten, d. h. wenn diese Bibelstelle unverfälscht
auf uns gekommen ist.
Übrigens ist die Vorstellung, daß der Beschnittene eine höhere
Menschenwürde inne habe als der Unbeschnittene, im Grunde genommen
bei allen jenen Völkern vorhanden, welche die Beschnittenen von
der Operation an zu den Erwachsenen rechnen, und das tun alle jene,
welche um die Zeit der eintretenden Reife beschneiden, d. h. die große Mehr-
zahl. Die Beschneidung bildet da stets den wichtigsten Teil der
ganzen Pubertätsfeier, Jünglingsweihe. Aufnahme in die Rechte und
Pflichten der Männer des Stammes, des Volkes, der Nation. Diese Tatsache
stimmt mit der Auffassung der betreffenden Völker von den Rechten und
Pflichten des erwachsenen Mannes sehr wohl überein; denn unter diesen ist
die vorherrschende: Zeugung.
Wenn wir die obigen auf einen neuen Menschen hinweisenden Bräuche
und Auffassungen mit Kapitel XV vergleichen und uns erinnern, daß auch die
dort erwähnten mystischen Waschungen zum Teil ethische Reinigung
und geistige Wiedergeburt bezwecken, dann stehen wir vor dem über-
raschenden Resultate, daß die Auffassung der alttestamentlichen Beschneidung
als Ersatz der Taufe, welche sich bei manchen christlichen Theologen
findet, mit der Auffassung mancher nichtchristlicher Völker betreffs ihrer Be-
schneidung und ihrer Taufe verwandt ist. Dennoch scheinen Beschneidung
und Taufe im Völkerleben sich nicht gegenseitig zu ersetzen; denn in Kap. XV
lernten wir verhältnismäßig viele Völker, darunter auch die Juden, kennen,
welche uns in dem vorliegenden mit ihrer Beschneidung beschäftigen, also
beide Bräuche üben. Von der Taufe der Christen, der Buddhisten der gelben
Kirche, der Maya und Nahua und vielleicht noch einiger anderer Völker ab-
gesehen, scheint der Wert der geheimnisvollen AVasseranwendungen hinter
jenen der Beschneidung ebenso zurückzutreten, wie das kleine Kind gesell-
schaftlich hinter dem Erwachsenen zurücktritt.
Besonders beachtenswert dünkt es mich, daß der Bundesgedanke im
Zusammenhang mit der Beschneidung nicht nur bei den Juden, sondern auch
bei anderen Völkern auftritt, allerdings mit einer Modifikation, welche der
144 Kapitel XXX VIII. Sexuelle Operationen.
religiösen Sonderstellung der Juden unter den Völkern der alten Welt ent-
sprechen dürfte. Während es sieh nämlich bei den Juden vor allem um
einen Bund mit ihrem Einen Gott handelt, und der gegenseitige Zusammen-
schluß der Glieder dieses Bundes sich erst aus diesem ergibt, hat die Be-
schneidung bei anderen Völkern, insofern in ihr der Bundesgedanke durch-
blickt, es vor allem mit menschlichen Bundesgenossen zu tun1). Auch muß viel-
leicht der Begriff Bund bei diesen Völkern in einem weiteren Sinne genommen
werden: Als Zeichen der nationalen Zusammengehörigkeit nämlich tritt
die Beschneidung nicht nur bei den alten Ägyptern 2), sondern auch bei den
Herero auf. - Bei den muselmännischen Negern in den Quellengebieten des
Nil dauern die Freundschaften, welche die gleichzeitig beschnittenen
Burschen unter sich schließen, für das ganze Leben; auf dem Makondeplateau
ist das Band, welches den Beschnittenen mit jenem Mann, welcher ihm zur
Operation als eine Art Pate und Lehrer beigesellt wird, „fast" inniger als
das, welches ihn mit seinen eigenen Eltern verbindet; ähnliches finden wir
im vorliegenden Kapitel auch bei verschiedenen anderen Völkern. Besonders
drastisch zeigt sich der Bundes- oder vielmehr Stammgedanke in dem von
Karesau berichteten Brauch, daß die Beschnittenen gemeinsam das gesammelte
Penisblut der älteren Männer trinken müssen. Auch unter den außerordent-
lich reichen und merkwürdigen Ritusformen der Australier findet der Leser
in diesem Kapitel mehrere, in denen die Zusammengehörigkeit der an der Be-
schneidung Teilnehmenden und ihr Unterworfenen drastisch zum Ausdruck
kommt. Hier sei nur an die Kopula der jüngeren und älteren Stammes-
brüder mit jedem beschnitteneu Mädchen erinnert, was bei gewissen Stämmen
gleich nach der Operation des Mädchens geschehen muß8); ferner an die Ber-
gung der abgeschnittenen Präputien in hohlen Bäumen, welche mit den Geistern
des Stammes verwandt sind (vgl. S. 140). Das Beschneidungsblut wird teils
getrunken, teils läßt man es als Band inniger Freundschaft aber Stammes-
mitglieder träufeln usw.
Das uns Befremdende, daß das beschnittene Zeugungsglied Bundes- oder
Stammes- oder Nationalzeichen sei4), und daß die Operation selbst als der
geeignetste Moment zur Schließung lebenslänglicher Freundschaften gilt, ver-
schwindet, wenn man an die Apot heosierung der Zeugungskraft5) bei
polytheistischen Völkern und an die Hochschätzung der Zeugungskraft
auch bei Monotheisten denkt").
') Bei deo alten Ägyptern könnte allerdings nach der auf S. 138 erwähnten Deutung
der I ieses Zeichen der priesterlichen Weihe vielleicht doch als Zeichen des
Bun !■ m öotl und Priester aufgefaßt werden.
*) Diese Bedeutung findet sich bei Ruwliiison.
:,l Siehe Müdchenheschncidung.
4i Max Buchner schrieb (Glob. 74, S. 138): „. . . Welch unwürdige Auffassungen
dieses Jehova, daß er dem Menschen erst etwas ganz Überflüssiges an den Leib gehängt
haben sollte, damit es, bloß zum Zeichen des Bundes, schmerzvoll wieder entfernt werden
konnte . . ." Ihm te // S hurtz, man sollte durch ernste Forschung die Ideen-
welt der primitiven Völker zu begreifen suchen.
i Es sei hier an die polynesische Auffassung des lebenspendenden Gliedes als „heilig"
erinnert Vgl pitel über den bösen Blick, wo der Phallus wiederholt als Schutz-
uinl Abwehrmittel gekennzeichnet ist.
rauf hin, daß sich in den vorderasiatischen Religionen mystische Vor-
stellungen an Zeugung und Geburl knüpften, welche sowohl zur Entmannung als auch zur
Verel i Zengnng iihrten. Ploß hatte letzteres, d.h. den Ph nl luskult. ruhig
auch für liehen. Afrika. Amerika und Australien feststellen können. Gerade zu diesem un-
gemein weil verbreiteten Kult verhält sich der israelitische Begriff von der Be-
schnei I. h. als Bund mit Javeh. und folglich als Zeichen der Unterwerfung
unter das (iesetz des Einen Gottes, als Weihe des von den Polytheisten apotheosierten
und mißbrauchten Gliedes an den Einen Gott, wie eben der Monotheismus selbst sich zum
Polytheismus verhält.
§ 244. Überblick. 145
Daß der Phallus bei Bundesschließungen alter semitischer
Völker eine wichtige Rolle spielte, geht aus folgendem hervor: Um das
Jahr 745 v. Chr. schloß1) Asurnirai, König von Assyrien, mit Mali' ilu,
dem Fürsten von Bit-Agusi im nördlichen Syrien, einen Vertrag, welcher
unter anderem durch die folgenden Zeremonien rechtskräftig gemacht wurde:
Man brachte einen Bock, nicht zum Opfer oder zum .Schlachten bestimmt, wie
Paul Karge bemerkt, sondern damit Mati' ilu die Eidschwüre für Asurnirai
leiste. Diese lauteten dahin, daß es dem Mati' ilu, wenn er eidbrüchig würde,
samt seinen Söhnen und Töchtern und seinem Volke ergehen würde wie diesem
Bock, d. h. daß er und jene' alle aus ihrem Land heraus und vor den König
Asurnirai gebracht, und daß ihnen wie diesem Bock der Kopf abgeschlagen (?)
würde2). Hierauf sei nach Weber die gleiche Zeremonie auch mit dem
Phallus des Tieres vorgenommen worden. — Daß die Assyrer und Syrer
auch Beschneidung übten, über deren Bedeutung mir anderweitig nichts vor-
liegt, welche aber nach dem eben Gesagten geahnt werden kann, wird an
einer andern Stelle dieses Kapitels erwähnt werden.
Als blutiges Buudeszeichen oder vielmehr in noch innigerem Sinn, als
blutiges Vermählungszeichen ist die Beschneidung bei 2. Moses 4, 24 — 26
gekennzeichnet, wo es heißt, daß Javeh Moses töten wollte, Zepphora aber
mit einem Stein die Vorhaut ihres Sohnes beschnitt, damit seine Füße berührte
und dabei sprach: „Wahrlich! ein Blut bräutigam bist du mir!" - „Daließ
er von ihm ab, als sie gesagt hatte: Blutbräutigam, um der Beschneidung
willen." Durch das Blut des Gliedes, welches Leben bedeutet, die zeugende
Kraft aber von Javeh erhalten hat, ist Moses und sein Sohn, und durch sie
beide, auch Zepphora mit Javeh verlobt, verbunden, wie denn der Bund
zwischen Javeh und Israel oft genug als Ehebund (im geistigen Sinn) gekenn-
zeichnet ist; Javeh gehört alles. Nach seinem Gesetz muß alles, somit auch
(und das in besonderer Weise) die Zeugung untergeordnet sein. Jeder Miß-
brauch des Gliedes zu anderen Zwecken ist Treubruch, durch welchen das
Leben verwirkt wird. Von diesem Standpunkte aus kann die alttestamentliche
Beschneidung auch als Weiheakt aufgefaßt werden Schon Gerland schrieb3),
das lebenspendende Glied sei Gott für die Abraham versprochene Nachkommen-
schaft geweiht worden. Duneher meinte4), die alttestamentliche Beschneidung
sei ein Javeh dargebrachtes stellvertretendes blutiges Opfer für das Leben
des Kindes. Wenn er aoer dabei auf 2. Mos. 4, 24 — 26 hinweist, beachtete
er vielleicht doch zu wenig, daß es sich hier kaum um ein stellvertretendes Opfer
handelt, sondern um die rechtzeitige Abwendung der drohenden Strafe, welche
Javeh über Moses dafür verhängen will, weil er die Beschneidung, das Bundes-
zeichen, vernachlässigt hat. Da tritt Zepphora schnell ein und bewahrt so
den Moses vor dem Tod. Der Bundesgedanke blickt also meines Erachtens
auch durch die obige Stelle. Blutbruderschaften und Blutfreundschaften, also
Blutbündnisse waren ja den alten Völkern sicher noch weit mehr geläutig als
jenen jetzigen Völkern niederer Kulturstufen, bei denen Blutaustausch lebens-
längliche Freundschaften und Treuebündnisse besiegelt. Als ein „rein national-
politisches Requisit, und nicht als Religionsgebot, wie Plo/i an einer Stelle5)
meinte, ist die alttestamentliche Beschneidung sicher nicht aufzufassen, schon
aus dem Grund, weil Israel theokratisch war, was Floß übrigens an einer
') Nach einer von Peyser in den Mitteilungen der Vorderasiatischen Gesellschaft 1898
■veröffentlichten Urkunde. Bei Paul Karge, Geschichte des Bundesgedankens im Alten Testa-
ment. 1. Hälfte. S. 239f. Münster i. W. IHM).
2) Das „abgeschlagen" hat Karge mit einem Fragezeichen gegeben.
3) Bei Ploß, 2. Aufl. I, 371.
*) Ebenda, 344.
6) 2. Aufl. I, 346.
Ploß-Renz. Das Kiud. 3. Aufl. Band II. 10
J4(j Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
anderen Stelle selbst zugibt. Ploß schwankte stark. So schrieb er z. B.
an einer andern Stelle1): . . . Denjenigen, welche die Beschneidung im Volke
der Hebräer einführten. . . . (schwebte) die Idee vor, daß die Zirkumzision
den Koitus erfolgreicher für die Befruchtung mache; denn es heißt in
der Bibel: „Durch die Beschneidung stellte Gott ihm reichliche Nachkommen-
schaft ir Aussicht".-)
Ploß widmete der Knaben-Beschneidung seine Aufmerksamkeit auch vom
sanitären Standpunkte aus. Seine diesbezüglichen Ausführungen lauteten in
der ü. Auflage:
Es ist . . . nicht zu leugnen, daß das Fehlen der Vorhaut, sei es in-
folge angeborner Mißbildung, sei es durch zufällige Verwundung, sei es durch
absichtliche "Wegnahme, weit mehr Vorteile, als Nachteile bringt3), indem
einerseits die hohe Empfindlichkeit der Eichel, andererseits die Neigung zu
Excoriationen und Entzündung aufgehoben wird. Die Reinhaltung der Ober-
fläche der Eichel wird erleichtert, die Ansammlung und Zersetzung des
Schleimes (Smegma) wird verhindert, Eicheltripper wird vermieden und Ge-
schwüre (namentlich syphilitische) können weniger leicht Fuß fassen. Daher
meinen auch manche Ärzte4), daß die Abwägung aller dieser Vorteile und
Nachteile seinerzeit den einzigen Grund zur Einführung der Beschneidung ab-
gegeben haben möge, und daß sie somit im Orient und in heißen Landein
überhaupt hei wirklich verlängerter Vorhaut ihre Berechtigung hatte."6)
„Gegenüber dieser Ansicht muß ich (Ploß) nochmals hervorheben, daß
nur in wenig Fällen die bestimmte und wirkliche Absicht, gesundheitliche
Vorkehrungen zu treffen, bei der Ein- und Ausführung der Beschneidung
offen ausgesprochen wird, oder sonst zutage tritt, indem nur einzelne Völker,
/.. B.' die Sanioauer, sanitäre Bücksichten, Beförderung der Reinlichkeit
usw. ausdrücklich hervorgehoben6). Eine ungemein große Anzahl von
Völkern, welche die Beschneidung üben, zeigt sogar sehr wenig
Passion für Reinlichkeit, und es läßt sich daher wohl kaum annehmen,
daß sie gerade am männlichen Gliede ausnahmsweise recht reinlich sein
wollen. Es muß ein anderes psychisches Motiv vorliegen, welches sie zur
Vornahme der Operation bewog."
An einer andern Stelle7) schrieb Ploß: ..Von der sanitären Tendenz
der Beschneidung unter den .luden ist nach meiner Überzeugung abzu-
sehen. Ich teile diese Meinung vor allem mit solchen Ärzten, die sich mit
genauer Berücksichtigung der geschichtlichen Quellen um die Frage be-
kümmert halicn. wie und unter welchen Umständen die Beschneidung im
jüdischen Volke Aufnahme gefunden hat: r. Auienrieth, Trusen u. A. In
den heiligen Schriften der Juden ist nirgends eine hygienische Absicht
betont; und wenn man die Sache als hygienische Maßregel auffassen will,
so lag doch eine solche Auffassung Abraham, Moses, Josua, sowie den
Propheten lern. Wenn hei und mit ihr von „Reinigung" gesprochen wird,
') Ebenda, 34
-I Dp' l nmöglichkeit, eine einheitliche sichere Begründung der Beschneidung als
wissenschaftlich erwiese ler auch nur als spekulativ einzig annehmbar aufzustellen, geht
in 'sein Kapitel zur Genüge hervor.
'ha in Virchows Handb. der speziellen Pathol. und Therapie. VI. 2. Abt. S. 4.
Erlangen 1856 L865 Ploß wies nierauf hin.
4i P in Billroths und Pithns Handb. der Chirurgie. Krankh. d. Penis. S. 6.
6| Ans diesen Gründen hatte man schon zu Ploßs Zeit von verschiedenen Seiten die
allgemeine Einführung <1<t Beschneidung von Staats wegen beantragt. Vgl. Ctaparcde, La
circoiH-isn.il et Sun importance dans la Familie et dans l'etat. Paris 18G1. — Rosenztceig,
Zur Beschneidungsfrage. Schweidnitz 1878.
6) Pritchard, Üem. read betöre the Anthrop. Soc. I. S. 326.
■i 8, Aull. 1 345.
§ 244. Überblick. 147
so wollte man in ihr nur das Zeichen von Glaubensweihe und Sünden-
reinigung erblicken. Trusen sagt ganz richtig: „Die Beschneidung, als
Schutzmittel gegen Krankheit gedacht, ist wider den Bibeltext, darin einer
solchen Veranlassung nicht gedacht wird."
S. 368f. ') führte Floß aus: „Zweck und Absicht dieser Operation
liegt meiner Ansicht nach in dem Bestreben, die Natur zu korri-
gieren, ihr bei ihren angeblichen „Verirrungen" zu Hilfe zu kommen und
an den Sexualorganen einen Zustand herbeizuführen, welchen man für einen,
beim erwachsenen Menschen normalen hält, und der von der Natur an kleinen
Kindern wohl nie von selbst, in der Pubertätsepoche sehr oft auch noch nicht
spontan hergestellt, vielmehr zum Nachteil der sexuellen Funktionen gar nicht
selten in das Mannesalter hinübergebracht wird; — man will die „Phimose"
beseitigen, denn man hält den mit einer solchen behafteten
Menschen für minder zeugungsfähig. Um dies zu verstehen, muß auf
die Umwandelung hingewiesen werden, welche am Penis allmählich bis zum
zeugungsfähigen Alter in der Regel, wenn auch nicht immer, vor sich geht.
Die Vorhaut, welche die Eichel bedeckt, ist beim Neugeboruen stets so
gestaltet, daß sie nur mit Mühe oder gewaltsam über die Eichel zurück-
gezogen werden kann; nach und nach wird sie im Verhältnis zum ganzen
wachsenden Gliede (Penis) an ihrer Öffnung viel ausdehnbarer, so daß sie sich
später meist von selbst zurückstülpt, namentlich dann, wenn sich der Penis
in Erektion befindet. Das neugeborne Kiud besitzt also ganz regelmäßig eine
Phimose, d. h. eine solche Verlängerung der Vorhaut, mit gleichzeitiger Engigkeit
ihrer Mündung, daß die (beim Manne zur Ausübung des Koitus für die Ejakula-
tion förderliche) Zurückschiebung hinter die Corona der Glans nicht aus-
führbar ist. Wenn nun überall, und ohne Frage selbst bei den schlecht oder
unzulänglich beobachtenden Naturvölkern, die Tatsache wahrgenommen wurde,
daß der zum Manne herangewachsene Jüngling die Eichel nicht selten frei
zu tragen beginnt, weil das Präputium sich von selbst zurückschiebt und
hinter der Corona liegen bleibt, daß aber auch beim Manne die Eichel im
erigierten Zustande nur ausnahmsweise noch von der Vorhaut bedeckt bleibt,
so erschien die Bedeckung der Eichel durch die Vorhaut als ein nicht normales
Verhältnis, dem man korrigierend schon frühzeitig und ganz allgemein ent-
gegentreten muß."
„Somit fasse ich {Floß) die ursprüngliche Tendenz der Be-
schneidung auf als den operativen Vorbereitungsakt auf die
Sexualfunktion des Mannes. Man betrachtete die noch immer bei dem
Jüngling in einigem Grade vorhandeue Bedeckung der Eichel mit der Vor-
haut, den seit frühester Jugend noch vorhandenen, immerhin geringen Zustand
der Phimose als etwas mehr oder weniger Hinderliches für den Koitus, das
man durch einen operativen Eingriff beseitigen muß. Daher kommt es, daß
die meisten Urvölker erst in demjenigen Lebensalter die Vorhaut ein- oder
wegschneiden, in welchem die Reife zum Geschlechtsgenuß, die Pubertät, er-
reicht ist; man will den Jüngling mit einem Male völlig reif und normal in
sexueller Hinsicht machen. Es ist hiermit gleichzeitig ein Akt auszuführen,
durch den der junge Mensch gleichsam in die Reihe der reifen, heiratsfähigen
Männer aufgenommen wird, man verknüpft diesen Akt mit gewissen diese
Aufnahme symbolisierenden Zeremonien; dabei mochte man auch im Hin-
blick auf den Schmerz, den diese an dem sehr empfindlichen männlichen
Sexualorgane vorzunehmende Operation verursacht, eine Art Prüfung der
männlichen Standhaf tigkeit im Auge haben. Allein diese, auf die
sexuelle Reife vorbereitende Operation wird ja auch, z. B. bei Juden und
l) 2. Aufl. I.
10*
14H Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Mohammedanern, schon in ganz jugendlichem Alter ausgeübt; hier glaubt man
schon an Xeugebornen dem Zustande der natürlichen Unfertigkeit entgegen-
treten zu müssen. Schon dem Kinde will man eine möglichst zahlreiche
Nachkommenschaft garantieren und sich nicht auf den Zufall verlassen, ob
die an ihm bemerkte, dem Zeugungsakt vielleicht nicht hinderliche Phimose
dereinst sich von selbst beseitigen wird oder konstant bleibt. Da wurde
es dann für ein Gott wohlgefälliges Werk betrachtet; denn es galt
den Juden schon an sich für höchst wertvoll, zahlreiche Nach-
kommenschaft zu besitzen."
Der Ploßschen Theorie stimmte der Hauptsache nach auch Richard Andres
zu. Die große Mehrzahl der die Beschneidung übenden Völker, meinte Andree,
bezwecke damit Vorbereitung auf die sexuellen Funktionen1), was ja
auch aus dem vorliegenden Kapitel hervorgeht.
Ebenso schlich Heinrich Schürte: Der Zweck der Beschneidung ist
„trotz aller tiefsinnigen Hypothesen doch wohl nur der, die Begattung zu er-
leichtern und allenfalls im hygienischen Sinne günstig zu wirken. Entsprechend
wird in manchen Gegenden Australiens die Vagina der Mädchen künstlich
erweitert" *). -
Nach C. M. Fleyte*) herrscht „bei unbeeinflußten Heiden nun allgemein
die Meinung . . ., daß ein Unbeschnittener nicht zu einer frucht-
baren Kopulation fähig sei-'"1). Die Meinung, die Beschneidung sei ein
religiöser Brauch, sei veraltet. Damit trat er speziell gegen den jüdischen
\r/i Jacobs auf. der den religiösen Charakter der Operation abermals zu be-
weisen suchte und zugleich in Abrede stellte, daß die Phimose häufig so
hochgradig vorkomme, daß sie die Befruchtung verhindere. Die Phimose
sei also nicht der Grund der Beschneidung.
Es würde viel zu weit führen, wollte ich hier auch noch auf andere
Bemühungen, den sinn der Beschneidung zu finden, eingehen.
Auch meine bisherigen Ausführungen machen den Eindruck,
daß die Knabenbeschneidung bei den weitaus meisten Völkern als
eine Vorbereitung zu den geschlechtlichen Funktionen erscheint.
Und doch ist dieser Eindruck kein zwingender, weil er die Frage
provoziert, ob denn die beschnittenen Völker in ihrem Umgang mit den
unbeschnittenen nicht einsehen, daß diese ihnen weder an Zeugungs-
fähigkeit, noch an Gesundheil und Peinlichkeit, noch an sozial-
politischer Einheil nachstehen.
Ain-h diese Schwierigkeit in der Lösung des Problems hat übrigens
schon Andret bemerkt, der andererseits meinte, die Beschneidung habe eine
religiöse Bedeutung erst dann erhalten können, nachdem sie bereits vorhanden
und ihre etwaige Beilsamkeil erprobt war. —
Mioe Probe scheint aber die Beschneidung eben doch nicht bestanden
ZU haben, und so wäre denn anzunehmen, daß die so weit verbreitete Be-
rn- aui einer irrtümlichen Überschätzung ihrer Wirkung auf
d ie Zeugung beruhe.
Den religiösen Charakter kann man ihr aber auch unter der
letzteren Annahme und trotz vorgeworfener Veraltung bei den wenigsten
.■r. Pan.ll. X. F. 206 ff.
md Uläunerbünde, S. 96f. Berlin 11102. — lUier die Öffnung
'i Pleyle ■ ml !'!•>/'. Andree und Wilken, zu deren sehr wertvollen
i fn i;>'l, Material gekommen ist.
§ 244. Überblick. 149
Völkern absprechen, wenn man Religion im weitesten Sinn, also auch
im Sinne d.es Geschlechtskultes mit seinen zahlreichen Formen sieht, und das
muß man wohl, wenn man den Polytheismus als Religionsform auffaßt, was
nicht zurückweisbar ist.
Bundesgedanke, Fortpflanzung, Wiedergeburt, Sühneakt und
Religion widersprechen sich im monotheistischen Religionsgedanken ebenso-
wenig wie im polytheistischen. Die verschiedenen Resultate, welche sich aus
den Untersuchungen über Grund und Zweck bzw. Bedeutung der Beschneidung
ergeben, können also eher. als gegenseitige Ergänzungen, denn als Wider-
sprüche angesehen werden.
Der wesentliche Unterschied zwischen Polytheismus und Monotheismus
ist eben der, daß dieser die Natur dem Geiste, bzw. dem einen Gott unter-
ordnet, während jener die Natur vergöttert. Diese zwei sich gegenüberstehenden
Gedanken scheinen durch die Beschneidungsbräuche der Völker zu gehen, sei
es in mehr oder weniger klarer Sonderung, sei es in mehr oder weniger gegen-
seitiger Durchdringung. Welcher von beiden zeitlich der erste war, d. h. ob
die Beschneidung zuerst von Polytheisten oder von Monotheisten ge-
übt wurde, ob ein einziger, oder ob mehrere Ausgangspunkte anzunehmen
sind, ist gleichfalls eine noch immer ungelöste Frage, die kaum wird beant-
wortet werden können, ehe die Frage über die Ausbreitung und das Ineinander-
greifen der Völker gelöst sein wird, was vollkommen kaum je der Fall sein wird.
Immerhin sei hier ein Versuch gemacht.
Geschichtlich scheint das höchste Alter der ägyptischen Beschneidung
erwiesen zu sein, wie aus Rawlinsons Angabe in § 248 hervorgeht, selbst
wenn man von SerodoW1), Diodors und Strabos Mitteilungen absieht. Auch
G. Ebers") behauptete, daß die Ägypter die Beschneidung längst vor den
Juden hatten. Auf den ägyptischen bildlichen Darstellungen des Zeugungs-
gliedes fehle ,.überall" die Vorhaut. Floß, dessen Zweifel an Abraham als
geschichtlicher Persönlichkeit mittlerweile widerlegt worden sind, meinte, wenn
Abraham geschichtlich zu nehmen sei, dann habe er die Beschneidung wahr-
scheinlich zuerst in Ägypten kennen gelernt. Unbeschnitten lasse ihn die
Bibel aus Ur und Haran in Chaldäa, seinem Geburtslande gehen, und in Kanaan,
wo er hierauf lebte, sei Beschneidung nicht Brauch gewesen. Aber er sei
zum Einkauf von Getreide nach Ägypten gegangen, seine Frau und eine
seiner Schwiegertöchter seien aus Ägypten gestammt, und so sei denn anzu-
nehmen, daß er die Beschneidung in Ägypten als einen bedeutsamen Weihe-
akt kennen gelernt habe3). — Schon lange vor Ploß hatte Trusen an eine
Entlehnung der alttestamentlichen Beschneidung von den Ägyptern gedacht,
als er schrieb4): „Es scheint nicht unwahrscheinlich, daß Abraham mit
Bezug auf den Kultus des ägyptischen Isis-Dienstes und aus eben der Ver-
ehrung des Sinnbildes alles organischen Lebens die Notwendigkeit der Be-
schneidung seines Volkes als Opferakt abgeleitet habe, um durch die Weihe
des edelsten (?) Teils des menschlichen Leibes die Weihe des ganzen zu
ersetzen." — Nach Ploß5) läßt die Sage ägyptische Halbgötter ebenso gut
wie jüdische Patriarchen, und wie Adam, David und Mohammed beschnitten
auf die Welt kommen.
i) Rerodot II, 36, 104; Dioilor I, 28 und Strabo XVII, 824 ed. Casaub. (Bei Ploß
2. Auflage 1, 344.)
2) Ägypten und die Bücher Mosis. Leipzig 1868 (bei Ploß 2. Auflage I, 343 Anm.).
3) 2. Auflage I, 344.
*) J. P. Trugen, Die Sitten, Gebräuche und Krankheiten der alten Hebräer. Breslau
1853, S. 115 und 124 (bei Ploß I, 345).
5) I, 370.
150 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Die Bantu-Völker entlehnten die Beschneidung nach P. H. Brincker1}
von den Semiten, mit denen sie auf ihren langwährenden Wanderzügen aus
ihrer vorderasiatischen Heimat in Berührung gekommen sein müssen.
Als geschichtlich erwiesen ist nach Brincker der Zusammenstoß der Bantu
mit den Elamitern und Assyrern. So sei z. B. Thideal-Thidegal (in
Ostjiherero Tji-nda-ng 'ombära, der Berühmte), der Fürst und Führer der
Gojim-Stämme, mit dem elamitischen Eroberer Kedor Laomer verbündet
gewesen. Diese Gojini sind nach Brincker die Urstämme der Neger-Bantu.
Damals seien auch semitische Missionare unter nichtsemitischen Völkern
tätig gewesen. An semitischen Einfluß in Religion und Sprache erinnern
manche Gebräuche und Sitten der Bantu in auffallender Weise, und zwar
seien diese entschieden älter als die Invasion der mohammedanischen Araber.
Eine Entlehnung der Beschneidung von diesen durch die Bantu lehnt
Brincker ab, nimmt aber auch für die Beschneidung unter den Semiten
ein über Abraham hinausgehendes Alter an, für diese Zeit allerdings nicht
als jehovistisches Institut, welches den Israeliten schon als kleines Kind
in den mit Javeh geschlossenen Bund aufnimmt, sondern wie bei anderen
Völkern als Pubertätsweihe, als welche die-Beschneidung ja auch bei den
Bantu gelte2).
Brinckers Behauptung, daß Bantu und Semiten früher dauernd im Ver-
kehr lebten, so daß eine Entlehnung der Beschneidung keineswegs aus-
geschlossen erscheint, wird neuestens durch die vielen Funde althebräischer
Münzen in Südafrika (1. und 2. Jahrhundert v. Chr.) bestätigt.
Sogar von den Monbuttus im Herzen von Afrika, deren Beschneidung
für Andree ein Beweis für die von Mohammedanern und Juden unabhängige
Entstehung des Brauches galt, schrieb Schweinfnrth3), sie hätten semitische
Prolile. ■ In F. Müllers Zwölfrassensystem erscheinen die Monbuttu mit
den Nubiern und Fulben zu einer Rasse verbunden, und Nachtigal schrieb
von den zu den Bua verschlagenen Fulben: „Sie . . . waren so sehr von
der Herkunft ihrer Vorfahren aus den Küstenländern des Mittelmeers
überzeugt, daß sie bald nach ihrem Eintreffen zu mir kamen, um mich als
Vetter - Uld Ammi arab - zu begrüßen. Alle sprechen gebrochen
arabisch." 4)
Die Forschung bringt immer neue Überraschungen, so daß die von
Schwarz vermuteten semitischen Einflüsse in Kamerun ebensowenig undenkbar
sind, wie die Beschneidung in Amerika ein sicherer Beweis dafür ist, daß sie
dort selbständig entstand.
Zum Teil nachgewiesen ist die Verbreitung der Beschneiduug durch die
muselmanischerj Araber in Afrika, Asien und Europa. —
Was die Formen der Operation betrifft, so finden wir ein bloßes
Abtrennen der Vorhaut zunächst im alttestamentlichen Israel und bei der
') Globus, Bd. «2, 41 f.
'-') Bei der Entstellung der Beschneidung (im allgemeinen) meint Brincker, sei der
Gedanke maßgebend esen, „daß durch den Gebrauch des Gliedes demselben eine
gewisse Schuld anhafte, die man vor dem bürgerlich erlaubten Gebrauch einesteils vorab zu
sühnen, andernteils denselben aber auch öffentlich zu weihen trachtete. Letztere Bedeutung
sei die herrschende geworden und sei es noch jetzt, nämlich eine Inauguration des
männlichen (Jliedes. — Diese Annahme Brinckers wird allerdings durch die weit verbreitete
Auffassung gestützt, daß geschlechtliche Funktionen verunreinigen. Vgl. die Kapitel XXI
und XXII, aber andererseits auch die Apotheosierang des Phallus, des Geschlechtslebens und
der r'rm-hlharkeit im vorliegenden Kapitel.
'i Im Unzen von Afrika. S. 292f. und 288. Leipzig 1878.
*) Nachtigal, Sahara und Sudan. Bd. II, 657.
§ 244. Überblick. 151
heutigen jüdischen Sekte der Karäer; auch von den Arabern in Arabia Petraea
und in Algier, von den persischen Muselmanen, von den moslemischen, heid-
nischen und christlichen Kaffitscho wird sie berichtet; dann sehen wir sie
bei den ostafrikanischen Negervölkern der Wakamba, Wanika, Kikuyu, Bakulia
und Wakua; ferner im Süden bei den Kaffern und bei den Negern auf
Madagaskar; im "Westen bei den Kongo-Negern in San Salvador; im Nord-
westen bei den Dahomeern und den Soniuke. Auch auf den Opferinseln bei
Yukatan (Islas de Sacrificios) hat es sich wahrscheinlich um diese Art der
Operation gehandelt.
Die Talmudisten sollen es gewesen sein, welche sich mit der Beschneidungs-
form ihrer Vorväter nicht mehr begnügten, sondern zu dem Querschnitt einen
Längsschnitt fügten. -- Auch nichtjüdische Völker üben Doppel-, ja Tripel-
operationen, und zwar teils geradezu barbarischer Art. Hierher gehört die
Abtrennung der Vorhaut mit Längsschnitt auf dem Glied und Lostrennung
eines Hautfetzens vom Unterleibe bei einem Stamm im südwestlichen Arabien
die Perforation neben der Zirkumzision auf Karesau, und ganz besonders die
australische Subinzision neben der Zirkumzision.
Bloße Spaltung der Vorhaut finden wir bei einer Reihe malayisch-
polynesiseher Völker und im alten Mexiko. - - Statt dieser Spalte wird da
und dort ein Einschnitt in die Eichel gemacht. Auch finden sich
diese beiden Operationen zusammen1). Isolierte Erscheinungen sind meines
Wissens Tätowierung der entblößten Eichel und keilförmiger Ausschnitt aus
der Vorhaut.
Als Beschneidungsinstrumente lernen wir in diesem Kapitel kennen:
Scharfe Steine und Steinmesser, Glasscherben, Muscheln, Bambussplitter,
Bambusmesser, Dolche, Rasiermesser und gewöhnliche Messer mit einfachem
und doppeltem Schnitt, Scheren und wohl auch noch andere Instrumente;
im australischen Mythus das Feuer.
Was endlich gewisse, hier noch zusammenzustellende Begleit-
erscheinungen der Knabenbeschneidung betrifft, so gehören hierher:
Leidensproben, welche mit entsprechenden Modifikationen, losgelöst von
der Beschneiduug, eingehend in Kapitel LVIII behandelt werden; ferner Be-
lehrung über die Rechte und Pflichten des nun in die Reihen der
erwachsenen Männer eintretenden Beschnittenen; Enthaltung von bestimmten
Speisen; strenge Absonderung vom weiblichen Geschlecht2); Ge-
schenke, phantastischer Schmuck und ebensolche Bekleidung, Gesänge,
Tänze, Festreden, Festessen, Trinkgelage u. a. m. —
Nimmt nach den bisherigen Ausführungen des vorliegenden Kapitels die
Beschneidung des männlichen Geschlechts die erste Stelle unter den Operationen
am gesunden Kindeskörper ein, so steht an zweiter Stelle die Beschnei düng
des weiblichen Geschlechtes. Wie jene, so erscheint auch diese bei den
meisten Völkern vor allem als ein Brauch, welcher das Eheleben, die
Nachkommenschaft oder doch die sexuelle Verbindung begünstigen
soll. Denn die martervolle Verwundung und mancherorts darauffolgende
Vernähung der Mädchen mit Roßhaar, Faden oder Draht (Infibulation) bei
einer Reihe semitischer, hamitischer und Neger-Völker, sowie einzelner
Malayen und Burmanen moslemischen Glaubens bezwecken nichts anderes, als
den Ausschluß eines jeglichen Nebenbuhlers des zukünftigen oder bereits
aktuellen Ehemannes. Ob es diesem dabei vor allem um sein Eherecht, oder
') Vgl. die mehr komplizierte Form bei Weiß in den Referaten dieses Kapitels.
2) Zu den wenigen Ausnahmen von dieser Hegel gehört das alte Weib, mit einer Art
priesterlicher Funktionen bei den Makua (Deutsch-Ostafrika).
252 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
vor allem um ausschließlich eigene Kinder zu tun ist, kann wohl nur er
feststellen.
Um die Nachkommen vor den durch die Zeugungsglieder vererblichen
Sünden oder Übeln zu bewahren, beschneiden die afrikanischen Kikuyu ihre
Töchter (und Söhne1), und einen ähnlichen Zweck scheint die Beschneidung
der Massai-Mädchen zu haben, da bei ihnen, die doch schon vorher der freien
Liebe leben, Mutterschaft vor der Beschneidung den Tod für Mutter und
Kind zur Folge hätte. Als notwendige Vorbedingung des Ehelebens und
somit sicher auch der Nachkommenschaft finden wir die Beschneidung beider
Geschlechter in Alt-Kalabar, nordwestliches Afrika. —
Unbeschnittene Mädchen können keine Kinder haben, heißt es bei den
Bantu am untern Kongo.
Bei den Bakulia bedeutet die Beschneidung auch der Mädchen offizielle
Einführung in das Geschlechtsleben. - - Die Mädchen gewisser australischer
Stämme (§ 253) werden unmittelbar nach der martervollen Öffnung der Vagina
dem geschlechtlichen Verkehr mit einer bestimmten Anzahl bestimmter Männer
übergeben und gleich darauf verheiratet, d. h. ihrem eigentlichen Mann aus-
geliefert. Die barbarische Öffnung der Vagina mit Fingern, Stöcken und
künstlichen Gliedern in Australien, Afrika und Amerika müssen die gemarter-
ten Mädchen aushalten, damit der Mann beim ersten Beischlaf kein Hinder-
nis findet! Das geht aus § 253 und i; 254 klar genug hervor. Als
Hindernis im Beischlaf und somit der Fruchtbarkeit galten, bzw. gelten wohl
auch die in § 253 erwähnten weiblichen Geschlechtsteile (labia major a, labia
minora und clitoris), welche durch die Beschneidung entfernt oder doch ver-
kleinert werden.
■ Somit würde die Beschneidung beider Geschlechter bei einer
beträchtlichen Anzahl von Völkern direkt eine, wenn auch nur
vermeintliche Erleichterung des Beischlafes uud dadurch wohl eine
Förderung der Fruchtbarkeit bezwecken2).
Die Töchter der Panos-Indianer sollen durch die Beschneidung und
Öffnung der Vagina „geschickter werden für ihren natürlichen Beruf", also
zum Eheleben oder zur .Mutterschaft. Den gleichen Zweck hat allem Anscheine
nach aber auch die Defloration der neugebornen Töchterlein vornehmer
Leute im alten Mexiko und bei einem [ndianei stamm in Paraguay (§ 252).
Die dabei üblichen "Worte bei den letztern: „Das ist ein Weib" sprechen ja
eine deutliche Sprache. Der Umstand, daß im alten Mexiko das Hymen vom
Hohenpriester selbst durchbrochen wurde, beweist zudem, daß liier diese
Operation im /.ältesten Kindesalter nicht weniger im religiösen Sinn auf-
gefaßt winde, als die Beschneidung und Infibulation der reifen Mädchen bei
den Sudan-Negern, die Beschneidung der reifen Kikuyu-Töchter u. a. in. (§ 252).
Zeugung und Fruchtbarkeit ist diesen Völkern heilig. Deshalb ent-
fernte der Hohepriester das Hymen (wohl als Hindernis des künftigen Bei-
schlafes) der neugebornen Aristokratinnen im Tempel; deshalb sehen wir
die gereiften Beschneidungskandidatinnen der ostafrikanischen Kikuyu ebenso
wie die dortigen männlichen Kandidaten den Tempel und den heiligen Baum3)
besuchen, deshalb amb eine Priesterin als Beschneiderin bei früheren Guinea-
Negerinnen.
1 Vgl. § 849.
-! Freilich stellt sich bei der Mädchenbeschneidung wie bei der Knabenbesehneidui g
das schon ungerührte Bedenken «rieder ein, duü die betreffenden Völker durch die Frucht-
barkeit anbeschnittener Völker nicht eines Besseren belehrt wurden. F^in einheitlich tiefster
und sicherer Gr I ist also auch durch den Vergleich der Mädehenbeschneidung noch nicht
gefundrn. obschon dieser Vergleich uns abermals einen Schritt vorwärts bringt.
3) Baum- bzw. Fruchtbarkeitskult!
§ 244. Überblick. 15;}
Was das Alter der Mädchen betrifft, welchen entweder das Hymen
künstlich durchbrochen wird, oder die der Zirkunizision, oder Exstirpation.
oder Infibulation usw. unterworfen werden, so ergibt ein Überblick über die
§§ 252 und 253, daß die betreffende Operation außer in Mexiko und Paraguay
auch bei den Falaschas (abessinischen Juden) im zartesten Alter vorgenommen
wird, d. h. Ende der zweiten Lebenswoche. Wenige "Wochen nach der Geburt
beschnitten die Araber zu Strabos Zeit ihre Töchterlein: zwischen vier und
zwölf Monaten tun es die heutigen Kafhtscho, ein Gallastamm in Abessinien;
bald nach der Geburt die Peul, ein Volk mit semitischer Sprache im nord-
westlichen Afrika: mit vierzehn Tagen die Soninke, ein Zweig der Mandingo:
gleich nach der Geburt manche Muselmanen in Pegu1). Alle andern Völker
des § 252 unterwerfen ihre Töchter der einen oder andern, oder mehreren
der angedeuteten Operationen erst in einem vorgerückteren Alter,
dessen unterste Grenze fünf Jahre, dessen oberste die Zeit unmittelbar nach
der Hochzeit bildet. Die meisten Völker dieser zweiten Klasse nehmen die
Operation kurz vor Eintritt der Reife, oder in dieser Zeit selbst,
oder gleich nachher vor. wiederum ein Wahrscheinlichkeitsbeweis dafür,
daß sie eben die Beschneidung auch der Mädchen als direkte Vorbereitungen
zum sexuellen Leben ansehen. Damit ist zugleich ihre wichtige Rolle bei
der Pubertätsfeier auch des weiblichen Geschlechtes erklärt. Fruchtbarkeit
ist eben nach der Anschauung Dichtchristlicher Völker für das Weib ebenso
eine notwendige Bedingung, um als vollgültiger Mensch undStammes-
genosse angesehen zu werden, wie für den Mann, und diese Fähigkeit
erhofft man durch die Beschneidung. „Unbeschnitten" genannt zu werden,
ist infolgedessen bei einzelnen Völkern eine Beleidigung für beide Geschlechter
(vgl. die Araberinnen in § 253, sowie die betreffenden Mitteilungen über die
Knabenbeschneidung). Bemerkenswert ist, daß der Bundesgedanke auch in
der Beschneidung des weiblichen Geschlechtes da und dort zum Ausdruck
kommt, z. B. in Australien und bei den von Dapper angeführten Guinea-
Negerinnen (§ 253).
Ebenso finden wir bei der Mädchenbeschneidung kürzere oder längere
Zurückgezogenheit der Kandidatinnen an abgeschiedenen Orten, Unter-
weisung im sexuellen Leben und anderen Rechten und Pflichten ihres zu-
künftigen Berufes, in Tanz und Gesang; auch Haarschur, Bäder und andere
uns schon von der Knabenbeschneidung her bekannte Zeremonien, sowie
Festesjubel u. dgl. mehr sind vielenorts mit der Mädchenbeschneidung
verbunden.
Ob diese eine spätere Erscheinung im Völkerleben sind, als die Knabeu-
teschneidung, wie schon behauptet wurde, scheint mir bisher unbewiesen;
denn schon im alten Ägypten galten die Mädchen erst heiratsfähig
nach ihrer Beschneidung (§ 253).
Ganz verschieden von der Beschneidung, ja in einem gewissen Gegen-
satz zu dieser, ist bei manchen Völkern die künstliche Verlängerung
jener weiblichen Geschlechtsteile, welche bei anderen Völkern durch die Be-
schneidung verkürzt, oder ganz beseitigt werden. Diese in § 252 be-
schriebenen Mißbräuche haben wohl mit der Geschlechtslust allein zu
tun. Zu ihnen steht einerseits die Begründung der Beschneidung dieser
Teile bei einzelnen Völkern des § 253 im scharfen Gegensatz, welche dahin
lautet, daß sie beschneiden, um übergroße Reize der Sinnlichkeit zu unter-
drücken. —
') Vgl. das Alter der semitischen bzw. islamischen und indianischen männlichen
Beschneid ungskandidaten.
254 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
IL Teil.
Sexuelle Operationen «am männlichen Geschlecht.
§ 245. Künstliche Verlängerung des Gliedes.
Wenn in Paraguay „die Hebamme ein Kind männlichen Geschlechts
empfängt, so zieht sie mit ihren Händen sehr stark den Penis lang". —
Diese Mitteilung erhielt Floß' schriftlich von Mantegazza mit der Beifügung,
daß dort die männlichen Glieder sehr lang seien. — Über die entsprechende
Manipulation an neugebornen Mädchen in Paraguay später.
Die Schangalla in Guarague (?) suchen das männliche Glied „eine
Spanne lang auszudehnen . . ., damit die Mutter der Tochter, die den Mann
heiraten will, die gehörige Länge finden möge" ').
§ 246. Inflbnlatiou bei Knaben.
Nach einer mit R. A. gezeichneten Mitteilung im Globus2) hat Ludwig
Stieda zwei Arten antiker Infibulation nachgewiesen: die eine, bei Griechen
und Römern gebräuchlich, verschloß das Präputium vor der Glans mit
einem durchgelegten Metallring und wurde bei Knaben und Jünglingen
„interdum vocis, interdum valetudinis causa" vorgenommen; die andere, bei
Etruskern und Griechen, bestand in einem Zubinden des Präputiums mit
einem Bändchen. —
§ 247. Kastration des männlichen Geschlechtes.
Weniger selten als die in den vorhergehenden zwei Paragraphen er-
wähnten Erscheinungen ist die Kastration des männlichen Geschlechtes.
Abgesehen davon, daß die Kastration Erwachsener auf verhältnismäßig
niederen Kulturstufen eine gebräuchliche Straf- oder Racheform für Ehebruch
und andere Vergehen war und ist, entmannten sich Jünglinge und Männer aus
religiösem Fanatismus, kastrierte man Knaben aus verschiedenen Gründen
und zu mancherlei Zwecken. In Asien und später in Rom kamen solche
Knaben in den Dienst der Kybele. - - Im päpstlichen Rom verwendete man
die Singstimmen Kastrierter zur Verschönerung des Gottesdienstes, bis Leo XIII.
diesem Mißbrauch ein Ende machte3).
Kastration zu Eunuchenzwecken soll in abessinischen Klöstern noch
heute vorkommen. Die kastrierten Knaben treten als Haremswächter in
türkische Dienste, weil der Islam Entmannung an seinen eigenen Gläubigen
verbietet.
Solche Zwecke hatte man schon zu Heroäots Zeit im Auge. Dieser
macht uns (VIII. c. 105 und 106) mit einem gewissen Panionius auf Chios
bekannt, der Kastration gewerbsmäßig betrieb. Er fahndete nach außer-
i) 2. Aufl. I. 372 ..ikI 376.
2i Bd. I.XXX1I, S. 17.
3) Über die sittliche Erlaubtheil der Kastrierung zu dem letzteren Zweck waren die
Ansichten der christlichen Moralisten geteilt. In der Moral des Alphons -V. de T.igorio ist
Kastration als sündhaft erklärt: „Peecant parentes. qui lilios etiam consentientes castrant ut
sint utiles cantui." Doch waren andere Moralisten, darunter Elbcl, der Ansicht, die Ver-
herrlichung (iottes durch den schönen Gesang und die zeitliche Versorgung des Sängers seien
zwei Faktoren, «reiche die Kastration, wenn mit Zustimmung der Knaben unternommen, zu
einer erlaubten Handlung gestalten (Theologia Moralis 8. Alphonsi M. de IÄgorio, Vol. I, 430f.).
§ 247. Kastration des männlichen Geschlechtes. 155
gewöhnlich schönen Knaben, die er kastrierte und für hohe Geldsummen
als Eunuchen nach Sardis oder Ephesus verkaufte. Unter seinen vielen
Opfern befand sich Hermotimus, ein Pedasier, der später dem Perserkönig
Xerxes zum Geschenk gemacht, von diesem bald allen anderen Eunuchen
des Hofes vorgezogen wurde, und sich an Panionius dadurch rächte, daß
er ihn samt dessen Familie nach Sardis lockte, wo er ihn zwang, seine
eigenen vier Söhne zu kastrieren und sich selbst hierauf von diesen kastrieren
zu lassen. Charakteristisch für die damalige Auffassung eines solchen Ge-
werbes und des Gemütszustandes eines Zerschnittenen ist die Ansprache des
Hermotimus an Panionius; Du, der du dein Brot auf die gemeinste Art
verdienest, was hatten ich oder die meinigen dir oder den deinen getan,
daß du mich zu dem Nichts gemacht, das ich jetzt bin? Ah! du meintest
wohl, daß die Götter deine Verbrechen nicht gewahrten! Aber sie in ihrer
Gerechtigkeit haben dich, den Missetäter, meinen Händen überliefert und
nun kannst du dich über die Rache, die ich an dir zu nehmen gedenke,
nicht beklagen.
Aus dieser Ansprache geht übrigens hervor, daß Kastration damals
in Kleinasien als ein von den Göttern zu bestrafendes Unrecht angesehen
wurde.
Eunuchen als Haremshüter traf Polak noch in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts in Persien an. Die weitaus meisten waren Schwarze,
welche schon in ihrer Kindheit von Afrika eingeführt worden waren. Ein
weißer Eunuche — es soll der letzte weiße gewesen sein — starb im Jahre 1856.
Die Kastrierung, völlige Abtragung der Geschlechtsteile, habe den meisten
ihr unterworfenen Kindern das Leben gekostet, zumal das Verfahren roh
gewesen sei. Deshalb kostete ein Eunuche wenigstens dreimal mehr als ein
anderer Sklave.
Im kaiserlichen Rom griff die Unsitte der Kastrierung, nachdem sie,
wie oben bemerkt, mit dem religiösen Kult aus Asien eingeführt worden war,
immer mehr um sich. Deshalb wurde sie von Domitian als strafbares Ver-
brechen erklärt; Hadrian verschärfte das Verbot und stellte sie unter das
Mordgesetz.
Im religiösen Kult finden wir die Kastration wieder bei den heutigen
Falaschas, Juden in Abessinien, wenigstens nach Aussage der nicht-
jüdischen Abessinier. Die erstgebornen Söhne der Falaschas seien es, welche
dieser Operation im zartesten Alter unterworfen werden, weil sie dem Priester-
staud gewidmet seien. Auch essen die Knaben, um ihre Männlichkeit zu zer-
stören, Wurzeln (D'Abbadie).
Von den Bejah oder Bischarin, einem äthiopischen Zweig der hamitischen
Völker nördlich von Abessinien, an den Ufern des Nils, schrieb im Mittel-
alter Magrizi, es sei bei ihnen kein Mann, dem nicht der rechte Hoden
exstirpiert wäre. Hierzu bemerkte Plofs'), er habe in späteren Berichten von
einer solchen Sitte bei den Bedja (Bedscha) nichts gefunden. Mit Recht gilt
ihm letzteres aber nicht als ein Beweis, daß deshalb zu Magrizis Zeit ein
solcher Brauch nicht bestanden haben könne.
Ebenso richtig dürfte Ploß über die im 18. Jahrhundert von Peter Kolben
berichtete, später wiederholt angezweifelte Kastration bei den Kap-Hotten-
totten geurteilt haben. Es möge hier Ploßs Darlegung wörtlich folgen:
..Angezweifelt bleibt auch der Bericht des einst in Südafrika reisenden
Botanikers Peter Kolben, daß die Hottentotten den Knaben durch einen
Priester den linken Hoden ausschneiden ließen. Er gibt an. daß dies eine
') 2. Aufl. I, 340.
]56 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
religiöse Zeremonie sei, und daß keine Frau einen Mann zulassen würde,
der diese Operation nicht ausgehalten hätte. Er beschreibt diese Operation,
welche er in emem Falle sogar selbst mit ansah, sehr genau. In Ermangelung
eines tauglicheren Instruments benutzte der Priester ein geschärftes Brot-
messer, machte eine Öffnung anderthalb Glieds groß in den Beutel, drückte
den linken Knoten heraus und schnitt die Blutgefäße und Samenleiter dicht
an demselben durch. Dann steckte der Operateur eine aus Schafsfett und
Arzneikräutern (namentlich Buchul bestehende kleine Kugel in die Wunde,
die er schließlich mittels einer aus einem Vogelknochen hergestellten Ahle
und mit Tiersehnen zunähte. Nach der Operation wurde der Patient heftig
gerieben, daß er stark schwitzte, und zuletzt mit Urin besprengt. ' Tanz und
Schmausereien folgten dem Akte."
„Die Hottentotten gaben Kolben die Auskunft, daß das „Gesetz" der
Verschneidung bei ihnen seit urdenklicher Zeit bestehe und kein Mann eine
Frau erkennen dürfe, bevor man ihm den linken Hoden ausgeschnitten.
Regelmäßig werde das (iesetz alle 8 — 9 Jahre ausgeführt. Sie meinten, daß
ein Mann ohne Verschneidung lauter Zwillinge zeuge."
„Der Bericht Kolbens macht allerdings- den Eindruck der Wahrheit,
denn er spricht als ehrlicher Augenzeuge, und es scheint auch kaum möglich,
daß er die Beschneidung und Kastrierung miteinander verwechselt habe;
er hat nicht bloß einer Operation persönlich beigewohnt, sondern auch öfter
die Narben bei jungen Hottentotten betrachtet. Spätere Beobachter melden
dagegen nichts davon, daß die Hottentotten die Kastration üben. Schon Le
Vaillant widerspricht der Angabe Kolbens, die er für nichts als eine Fabel
erklärt: allein auch er fand bei einem Hottentottenvolke, die er Gheyssiquois
nennt, den Gebrauch der Halb verschneidung vor. welche auf zweierlei
Weise fast immer vom Vater am Neugehornen verrichtet wird. — Man darf
demnach die Sache durchaus nicht gänzlich in Abrede stellen. Und wenn
bereits Sparrmann ') die Verschneidung der Hottentottenknaben für un-
begründet erklärt, wenn auch G. Fritseh vermuten möchte, daß Kolben be-
logen wurde, und demselben die Entfernung des Hodens statt der der Vor-
haut aufgebunden worden sei, so liegt doch die andere, wohlberechtigte
Annahme für uns vor. daß wenigstens früher bei einem Teile der Hotten-
tottenstämme Kastration geübt, später unterlassen worden sei. Es ist ja
auch bei den Kaffern und anderen Völkern der Brauch der Beschneidung in
Abgang gekommen."
Zu diesen Darlegungen in der 2. Auflage sei bemerkt, daß auch Richard
Andree im Hinweis auf Sparrmann und Fritseh die Behauptung Kolbens be-
zweifelt. Trotz alldem scheint dieser Zweifel nicht ganz berechtigt zu sein.
Denn wenn Sparrmann ungefähr 70 Jahre nach Kolben den Brauch nicht
vorfand, so kann, gesetzl auch, daß es sich um ein und dieselben Stämme
handelt, der holländische Kintluß innerhalb dieser Zeit wohl zur Unterlassung
der Kastration geführt haben. Der Zeitraum aber zwischen Kolben und Fritseh
ist so bedeutend, daß beispielsweise auch die hottentottische Werbeform Ver-
änderungen*) aufweist. Zu Kolbens Zeit. d. h. zu Anfang des 18. Jahrhunderts,
wurde kein Hottentottenmädchen zur Annahme eines ihr unlieben Werbers
gezwungen; nach Fritseh winde in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts keines
mehr um ihre Zustimmung gefragt8).
Sparrmann: Reise nach dem Vorgebirge» der guten Hoflnung. S. 173. Berlin 1784.
•i M. Feier Kolb, Capul bonae spei hodiernum. S. 424, 426 f. und 451 ff. Nürnberg 1719.
;tl Vgl. die spätere Anzweiflung der früheren SchädeldeformatiOD auf den Philippinen in
Kap. XXXVI.
§ 248. Knabenbeschneidung bei Semiten und Iraniern. 157
Übrigens steht ja die südafrikanische Exstirpation des einen Hodens nicht
vereinzelt da. Zu den schon erwähnten Bedjas kommen Mikronesier und
Polynesien
Die Mikronesier auf Pouape, östliche Karolinen-Insel, exstirpieren,
Avie Otto Finsch berichtet, mittels eines geschärften Stückes Bambus den
Knaben im 7. bis 8. Jahre den linken Hoden. Dies soll deshalb ge-
schehen, weil man dadurch einer möglichen Orchitis (Hodenentzündung') für
immer vorzubeugen meint, und dann, weil die Mädchen einhodige Männer
schöner und begehrlicher finden. Finsch habe die Bestätigung von zu-
verlässiger Seite.
Der gleiche Brauch herrscht, wie Wright angibt, bei den Polynesiern auf
Niuatabutabu. einer der Freundschaftsiuseln, wo fast jeder über 20 Jahre
alte junge Mann nur einen Hoden besitzt. Knaben von 12 — 14 Jahren wett-
eifern darin, gemeinschaftlich zu einem Operateur zu gehen, und jeder will,
um mutig zu erscheinen, der Erste zur Operation sein. Auch hier verhindert
die Halbkastration nach der Auffassung der Eingebornen Krankheiten, be-
sonders der Geschlechtsorgane.
§ 248. Kiiiibenbesehneidimg bei Semiten und Iraniern.
Nach Mos. 17. 10 — 14 sprach Gott zu Abraham '): ..Dies ist mein Bund,
•den ihr halten sollet, zwischen mir und zwischen euch, und zwischen deinem
Samen nach dir, daß alles Männliche bei euch beschnitten werde. Ihr sollet
nämlich das Fleisch euerer Vorhaut beschneiden; und das soll sein das Zeichen
des Bundes zwischen mir und zwischen euch. Wenn es acht. Tage alt ist,
soll alles Männliche bei euch beschnitten werden in euren Geschlechtern, sowohl
der Hausgeborne, als der um Geld Erkaufte von irgendeinem Fremden, der
nicht von deinem Samen ist. Beschnitten soll der Hausgeborne werden, und
der um Geld Erkaufte. So soll mein Bund an einem Fleische sein ein ewiger
Bund. Ein unbeschnittener Männlicher aber, bei dem das Fleisch seiner Vor-
haut nicht beschnitten ist — ausgerottet soll eine solche Seele werden aus
ihrem Volke, denn er hat meinen Bund gebrochen."
Dieses Bundeszeichen wurde von den alttestamentlichen Hebräern im
allgemeinen festgehalten. Nur die' 40 Jahre Wüstenleben nach ihrem Auszug
aus Ägypten machten eine Ausnahme, so daß vor der Eroberung Jerichos
bereits alle jene, die beim Auszug aus Ägypten beschnitten waren, tot, und
nur noch Unbeschnittene im Lager waren. Josua holte das Versäumte auf
Befehl Jahves nach. , .Nachdem nun alle beschnitten waren, blieben sie an
demselben Lagerorte, bis sie geheilt waren. Da sprach der Herr zu Josue:
„Heute habe ich die Schmach Ägyptens von euch hinweggenommen '-').
Und jener Ort war Galgala genannt, bis auf den gegenwärtigen Tag."
(Jos. 5.)
Später, unter der Herrschaft der Seleuciden, wurde die Treue der
Juden auf eine harte Probe gestellt: Antiochus Epiphanes, der im Jahre
174 v.Chr. den syrischen Thron bestieg, wollte der religiösen und nationalen
Sonderstelluno; der Juden ein Ende machen. Zu seinen Gewaltmaßregeln ge-
l) Über Herotlols Ansicht, die Juden hätten die Beschneidung von den Ägyptern,
und Rawlinsons Stellung zu dieser Ansicht vgl. d. f. Paragraphen.
-i Diese Stelle kommentierte Augustin Arndt S. J.: ,,. . . die Vorhaut, wodurch ihr den
Ägyptern wie allen Heiden ähnlich wäret; leget nun aber auch allen heidnischen Sinn ab."
Aber die Ägypter selbst übten damals die Beschneidung, wie wir später erfahren werden.
Floß meinte im Hinweis ..auf Trusen, es sei hier der „gemeine" Ägypter gemeint, da die
Krieger und Priester der Ägypter durch Beschneidung ausgezeichnet gewesen seien, oder die
Bibelstelle sei falsch verstanden. — Nach Raivlinson wurde freilich auch der „gemeine"
Ägypter beschnitten (vgl. S. 170).
jgg Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
hörte auch die, daß alle Jüdinnen, welche ihre Söhne beschneiden ließen,
sowie alle, welche die Beschneidung ausübten, getötet wurden. „Und man
hing die Knäblein an ihren Hals in allen ihren Häusern (1. Machab. IV.
Viele Juden zogen damals in ihrer Treue gegen Jahve den Tod vor; aber
einige unterwarfen sich dem König und erhielten von diesem die „Gewalt,
die Satzungen der Heiden zu üben. Sie bauten also eine Übungsschule in
Jerusalem nach dem Brauche der Heiden. Und sie stellten sich die Vorhaut
wieder her1), fielen von dem heiligen Bunde ab, schlössen sich an die Heiden
an, und verkauften sich dazu, böses zu tun" (ebenda).
Diese Wiederherstellung der Vorhaut bestand nach Ploß'*) darin, daß
der von der Beschneidung gebliebene Best der Vorhaut künstlich vorgezogen
und allmählich verlängert wurde.
Um der Wiederholung einer solchen äußeren Verleugnung des Bundes
mit Jahve vorzubeugen, verordneten die Talmudisten das Einreißen der
Vorhaut, wodurch die Eichel völlig entblößt wird. Ursprünglich habe die
Operation wahrscheinlich nur in einem Querschnitt („Chituch") bestanden,
welcher den vorderen Teil der Vorhaut ringsum loslöste, worauf der Best
hinter die Eichel zurückgeschlagen wurde, während der von den Talmudisten
eingeführte zweite Akt auch noch eine Längsspaltung der Vorhaut („P'riah")
erfordert.
Ein zweiter Ansturm auf die Beschneidung der Juden ist aus dem
kaiserlichen Koni bekannt. Hadrian stellte sie gleich der Kastration3)
unter das Mordgesetz (wohl aus Mißverständnis, meinte Mommsen). Bald
nachher wurde jedoch die Beschneidung von Pins wieder für Kinder jüdischer
Herkunft gestattet, während die der Proselyten für alle Beteiligten die Strafe
der Kastration nach sich ziehen sollte.
Als Operateure erscheinen im alten Testament nicht nur Männer;
auch die Gattin des Moses beschneidet ihren Sohn. Das von ihr benutzte
Instrument ist ein scharfer Stein. Abraham und Josua hatten Steinmesser4).
Später waren Glas und andere schneidende Werkzeuge gestattet; Pflauzen-
rohr war verboten; als am geeignetsten empfahl man Instrumente von Eisen
(Messer oder Schere).
Einzelheiten über die Ausführung, bzw. den Eitus der Operation bei
den alttestamentlichen Juden scheinen, außer dem früher bemerkten „wahr-
scheinlichen" Querschnitt, nicht bekannt zu sein; bei den neuzeitlichen Juden
verläuft sie, wenn die Beschneidung in der Familie stattfindet, im allgemeinen
folgenderweise.
Nachdem die nötigen Vorbereitungen getroffen worden, der Mohel (Be-
schneide!), der Gevatter und womöglich zugleich acht männliche Personen,
die das Alter von mindestens 13 Jahren haben, im Operationszimmer ver-
') Weil sie beim Ringen nackt erscheinen mußten (Arndt).
') 2. Aufl. I, 3-17. Floß wies auf die ausführliche Beschreibung dieser Gegenoperatioo
bei Cclsus, De arte medica VII, c. 25 hin.
i Uso war der Kustrate im Grunde ein sozial Toter, weil er nicht mehr zeugen konnte.
4) Hierzu bemerkte l'loß (2. Aufl. I, 348): „Die Benutzung des Messers von Stein
deutet auf eine srlu- liiihe Herkunft der Sitle aus einer Periode, in welcher noch die Stein-
werkzeuge im Gebrauch waren (Steinzeit). Und wie sehr viele Völker, die schon längst in
die Metallzeil eingetreten sind, noch immer zu gewissen, durch ihr Alter geheiligten Hand-
lungen sich der ganz außer sonstigen Gebrauch gekommenen Steinwerkzeuge bedienen, so-
hielten die Juden, vielleicht auch diejenigen ägyptischen Kasten, welche die Beschneidung
übten, das Steinmesser für ein notwendiges Requisit dieser Operation. Schon der Dmstand,
daß an den beiden betreffenden Bibclstcllcn ausdrücklich das Messer als Sleinmesser be-
zeichnet wird, wählend auch bei den alten Ägyptern der erste Schnitt in die einzubal-
samierende Leiche mit einem Steinmesser geschehen mußte, ist bemerkenswert."
§ 248. Knabenbesehneidung bei Semiten und Iraniern. 159
sammelt sind, nimmt der Gevatter das Kind, welches die Gevatterin ihm zu-
trägt, an der Tür in Empfang und führt es dem Mohel zu, während die
andern rufen: „Gesegnet sei der Ankömmling!" Das fest eingehüllte Kind
wird so gelagert, daß der Penis leicht zugänglich ist, und nachdem eine kleine
Schüssel mit Sand in dessen Nähe gestellt worden, spricht der Mohel ein
hebräisches Gebet und vollführt hierauf den Schnitt (Chituch). Er faßt das
Glied mit dem Daumen und Zeigefinger der linken Hand, macht einige gelinde
Friktionen, um eine Erektion zu erwecken; faßt sodann mit der äußeren
zugleich die innere Lamelle der Vorhaut zu beiden Seiten (nicht von oben
nach unten) und zieht sie glatt gedrückt über die Eichel hinweg, indem er
zugleich die Hand in die Höhe hebt und dadurch dem Gliede eine senkrechte
Stellung gibt. Der Mohel faßt nun mit dem Daumen und Zeigefinger der
rechten Hand ein Zünglein, schiebt in dessen, von oben nach unten zu
richtende Spalte die Vorhaut so, daß die Eichel hinter dieser Platte,
und die abzutragende Vorhaut vor derselben zu stehen kommt und in sie
eingeklemmt wird. Jetzt faßt er mit den drei ersten Fingern der rechten
Hand das Messer so, daß es auf dem Mittelfinger ruht, der Zeigefinger auf
dem Rücken des Messers und der Daumen auf dessen Stiel aufliegt; mit einem
Zug von oben nach unten schneidet er den vor der Platte stehenden, mit der
linken Hand gehaltenen Vorhautteil knapp an derselben ab. Ist nach dieser
Vorschrift genau verfahren, so ist nach vollendetem Schnitte die äußere Lamelle
der Vorhaut bis über die Krone der Eichel zurückgezogen, die Eichel noch
von der inneren Lamelle der Vorhaut bedeckt, sie an ihrer Spilze abgeschnitten
und hat eine Öffnung von der Größe einer Erbse. Hierauf folgt die Ent-
blößung der Eichel (P'riah). Gleich nach vollführtem Schnitte setzt der Mohel
die Spitze seines Daumennagels (der in der Regel lang und lanzettförmig zu-
geschnitten ist), oder, wie jetzt fast allgemein üblich, eine lanzettenartige
Schere, in die Mündung des inneren Blattes der Vorhaut, faßt sie damit durch
Beihilfe der beiden Zeigefinger, spaltet sie auf dem Rücken der Eichel mittels
Schützens bis auf die Krone und schiebt die aufgeschlitzte Vorhaut über die
Krone hinweg. Schließlich reißt der Mohel, indem er beiderseits die durch
den Schnitt gebildeten Vorhautlappen mit Daumen und Zeigefinger faßt, die
ganze Vorhaut rings um die Korona der Eichel ab1)- Nun folgt das Aus-
saugen der Wunde (M'ziza) auf die Weise, daß der Mohel das beschnittene
Glied in seinen Mund nimmt und durch zwei bis drei Züge das Blut aus der
verwundeten Stelle aussaugt2). Er nimmt sodann aus einem Becher einen
Mund voll Wein und spritzt ihn in zwei bis drei Teilen auf die Operations-
wunde. Hierauf spricht der Mohel, der die abgetragene Vorhaut auf den be-
reitstehenden Sand legt, über einen zweiten Becher Wein einen Segen und
verrichtet ein kurzes Gebet für das Kind. Die Blutung ist meist gering und
wird durch Aufstreuen eines Pulvers von Lycoperdon Bovista gestillt. Schließ-
lich wird ein einfacher Verband angelegt.
Nach Ploß (2. Aufl. I, 350) ist der Brauch, die Beschneidung in der
Synagoge vorzunehmen, jetzt abgekommen. Den damit verbundenen Ritus
(früherer Zeit?) schilderte er folgenderweise: Gewöhnlich findet die Be-
schneidung nach dem Morgengebet in Gegenwart von wenigstens zehn Personen
*) Terquem hat seinerzeit zur Ausführung dieses zweiten Akts der Beschneidung ein
eigenes Instrument (Posthetom) beschrieben, eine Schere mit einer durchgehends stumpfen
Klinge, deren eine Seite leicht konkav- ist. Damit wird die Vorhaut ein- und dann abge-
schnitten. Durch dieses kunstgerechtere Verfahren ersetzt man häufig das Ein- und Abreißen
der Vorhaut mittels des Daumennagels und der Finger. (Terquem, Die Beschneidung usw.
Magdeburg 1844. Bei Ploß I, 349 Anm.) — In Budapest dürfen seit 1880 nur graduierte
Ärzte die rituelle Zirkumzision der Juden ausüben.
*) Vgl. die Ausscheidung dieses Brauches auf S. 160.
KjO Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
statt. Neben den Schrank mit den Gesetzesrollen stellt man den Eliasstuhl1).
Knaben bringen auf den lauten Ruf eines der Anwesenden die zum Ritus ge-
hörenden Werkzeuge, eine brennende Fackel, das Messer, Pulver zum Streuen
auf die Wunde, ein Band, die Wunde zu verbinden, einen Becher Wein, eine
Schüssel mit Öl und eine andere voll Sand und stellen sich nahe an den Be-
sehneider. An der Tür der Synagoge empfängt der Gevatter das Kind aus
•den Händen der Gevatterin und bringt es zur Versammlung, wobei der Mohel
ruft: „Gesegnet sei der Ankömmling!" Diese Worte wiederholt die ganze
Versammlung. Dann legt jener das Kind auf seinen Schoß, der Beschneider
nimmt es aus den Wickeln, dehnt die Vorhaut und bringt sie in die Spalte
einer Klammer oder nimmt sie einfach zwischen die Finger und drückt sie
zurück. Indem er das Messer ergreift, ruft er mit lauter Stimme: „Gelobet
seist Du, Herr, unser Gott, König der Welt, der Du uns geheiligt durch Deine
Gebote und uns die Beschneidung befohlen hast." Bei dem letzten Wort
schneidet er die Vorhaut weg und wirft sie in das Gefäß mit Sand. Um das
Blut etwas zu stillen, nimmt er einen Schluck Wein, bespritzt damit die
Wunde, wenn das Kind schwach wird, auch dessen Gesicht, und zerreißt dann
mit seinen Nägeln (jetzt mit einem eigens dazu eingerichteten Instrument)
die innere .Membran der Vorhaut; darauf satlgt er, wahrscheinlich um Ent-
zündung zu verhüten, dreimal das Blut aus (was gegenwärtig in den zivili-
sierten Staaten nicht mehr geschieht)2) und spuckt es in das Gefäß mit
Sand. Nun verbindet er das Kind mit Linnen, wickelt es wieder ein und
wäscht sich Mund und Hände. Der Gevatter stellt sich mit dem Kinde
ihm wieder gegenüber, und der Beschneider beschließt die Handlung mit
einem Gebete, daß Gott das Kind am Leben erhalten wolle und den Eltern
viel .Freude gewähren möge3).
Stirbt ein Knabe vor dem achten Tage, so beschneidet man ihn im Sarge
über dem Grabe, damit er die Vorhaut nicht mit in das Grab bringe und ihm
solches zur Sünde gerechnet werde; auch wird ihm ein Name beigelegt*).
Abweichungen von diesen Bräuchen liegen in den folgenden Mitteilungen
aber die Karäer und die Falaschen vor.
Von der jüdischen Sekte der Karäer in der Krim schreibt S. Weißen-
berg: Sie lassen ihre Knaben am achten Tage nach der Geburl besehneiden.
Die Beschneidung besteht bei ihnen aber nur in einem Akte, der Milah oder
eigentlichen Beschneidung, ohne die bei den .luden üblichen Pariah und
Mezzizah (Einreißen des innern Vorhautblattes und Blutaussaugen). — Dem-
nach findet das Blutaussaugen bei den Juden der Krim noch statt.
Bei «hu Falaschas, .luden in Abessinien, welche in religiöser Hin-
sicht vortalmudisch sein sollen, führt der Vater selbst die Beschneidung am
.Milien Tage aus. Die Ansicht, daß die Falaschas Samaritaner seien, wird
von ■/. TfaUvy nichl geteilt.
Aber nicht nur die jüdischen Einwohner von Abessinien, sondern auch
die christlichen A bessi nier •"') üben Beschneidung, ohne ihr jedoch eine
') Bei der Be chneidung im Hause benatzt man (nach Floß) zwei Stühle: den einen
für den Zeugen odei Gevatter, den andern für den Elias, welcher nach einer rabbinischen
Mißdeutung von Mich ::. I 1 mit Bezug auf 1. Könige 19, 10 gegenwärtig gedacht ist.
•'i In Rußland scheint es aber nach Weißenbergs Bemerkung über die Karäer und
eigentlichen .luden doch noch Üblich zu sein. Siehe weiter unten.
;) Bwx&orf, Synag. Judaic M2 — 110. Bauer, Beschreib, der irnttesdicnstl. Verfassung
der alten I tebi ier 1 . 76
l Die Beschneidung nach dem Tod kommt auch im Islam vor. Leider isl nur des
Beleg hierfür abhanden gekommen. Nach l'loß ist er kabbalistischen Ursprungs und bei den
.1 ud e u keineswegs allgeu
i Die Abessinier sind somatisch Mischlinge aus Negern, Arabern und Agypto-Libyern ;
iie Sprache betrifft, so ist bei ihnen das Semitische vorherrschend.
§ 248. jrlnabenbeschneidung bei Semiten und Iraniern. 161
religiöse Bedeutung zuzuschreiben. Der eingeborne König Claudius er-
klärte in seinem christlichen Glaubensbekenntnis vom Jahre 1555: „Unsere,
•der Abessinier, Beschneidung ist bloße Landessitte, wie die Einschnitte im
Gesichte bei anderen Äthiopiern und den Nubiern sind, und wie das Durch-
bohren der Ohren in Indien; wir verrichten die Beschneidung nicht um
des mosaischen Gesetzes willen, sondern als einen bloßen menschlichen Ge-
brauch."
Auch andere Zweige der semitischen Völkerfamilie übten oder üben noch
den Brauch der Beschneidung.
Von den Assyrern schrieb Caspar Hoffmann im 17. Jahrhundert: Sie
komprimierten bei Kindern, die der Operation der Beschneidung unterworfen
werden' sollten, die Halsgefäße, um sie dadurch gegen Schmerz unempfindlich
zu machen. Ferner ist die Beschneidung konstatiert worden bei den Phö-
niziern, die sie n&d\ Herodot. Diodor und Strähn, wie die Syrier in
Palästina1), von den Ägyptern erhalten haben.
Erst nach ihrer A'erbindung mit den Griechen sollen die Phönizier
den Brauch der Beschneidung aufgegeben haben.
Den Edomitern (Idumäern), Nachkommen Esaus und somit Abrahams.
Feinde Israels, wurde die Beschneidung im Jahre 129 v. Chr. von Johannes
Hi/rkanus aufgenötigt (Ploß, 2. Aufl. I, 343).
Beschneidung übten ferner2) die Ammoniter, Nachkommen Amnions,
«•in Solm des Lot und Neffe Abrahams, welche die Bibel gleichfalls als
Feinde Israels erwähnt und sie schließlich durch Judas, den Machabäer, ver-
tilgen läßt.
Desgleichen wird von den Moabitern, Nachkommen Moabs, eines anderen
Huhnes von Lot, Besclineidung erwähnt. —
Die Samariter waren bekanntlieh ein Mischvolk aus assyrischen
Kolonisten und der einheimischen altisraelitischen Bevölkerung3). Von ihren
Nachkommen des 19. Jahrhunderts schrieb K. Petermann, daß sie ihre Söhne
am 8. Tage nach der Geburt beschneiden. Die Operation wird von dem
Priester vorgenommen, nachdem er einige Gebete verrichtet hat, Hierauf wird
ihm vom Vater des Kindes der diesem zu erteilende Namen mitgeteilt; er
spricht den Segen; der Knabe wird beschenkt und die Anwesenden vom
Vater bewirtet.
Die Philister, obgleich Semiten, hatten den Brauch der Beschneidung
nicht (Ploß, 2. Aufl. I, 344).
Eine eingehende Schilderung der Beschneidungsbräuche im heutigen
Arabia Petraea liegt mir von Musil vor.
Die Operation wird am liebsten an einem Montag vorgenommen. Doch
darf dieser Montag nicht auf den 6., 16., 7., 17., 9., 19. und 21. Tag im
Monat fallen. Am besten ist es, wenn er auf den 1. oder 15. Tag fällt;
Mittwoch und Donnerstag gelten als Unglückstage. Der Beschneidung geht
eine Vorfeier voraus, welche in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag oder
von Donnerstag auf Freitag beginnt. Die Mutter, Schwester oder nächste
Verwandte befestigt vor der Mitte des Zeltes eine Lanze oder Stange mit
weißem Mindil und einer Straußfeder, wobei sie spricht: „Diese Fahne ist
um Gottes willen (aufgestellt)." Bei dem Stamme der Tijäha werden
auch noch bunte Bänder beigebuuden. Die Fahne bleibt einen Monat hängen.
Sobald sie angebracht ist, lassen die Frauen ihr Zarärit hören und stimmen
>) Vgl. S. 169.
2) Nach Ploß und Dapper.
3) Die assyrische Kolonie in Samaria datiert von 720 v. Chr.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 11
162 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen,
dann Lieder an, von denen hier aus Musils Übersetzung in seiner „Arabia
Petraea" nur das folgende erwähnt sei:
„0 wie schuf unser Herr im Stamme schöne Menschen!
Und der Verstand ist wie die Edelsteine; wer ihn hütet, hat Ruhe." —
„O (die Fahne) eurer Beschneidung, die aufgepflanzt,
wir alle freuen uns deshalb:
Genug gibt es für alle Wanderer
und für jeden, der vor ihm (?) erscheint." —
„Habe ich dir nicht gesagt, o Augapfel,
steig nicht (auf den Hügel)?
Es würden dir sicher erscheinen deine Freunde,
und deine Tränen würden fließen.'- —
Am Abend ladet einer der Väter, dessen Kind beschnitten werden soll,
zum Essen ein. Vor dem Zelte tanzt und singt die Jugend:
..Wir wollen euch hüten
vor dem Schneidenden;
wir wollen euch hüteH.
Schneide, o Schneidender,
mache nicht Wehe dem N.,
Schneide, o Schneidender!
Gib acht auf das Rohr,
o mein Liebling,
gib acht auf das Rohr." —
An jedem der folgenden Abende fällt die Pflicht der Bewirtung auf einen
anderen der Väter, welche Beschneidungskandidaten haben. Am Montag, dem
Beschneidungstage, wäscht man die Kinder, legt ihnen weiße Hemden, lange
rote Röcke und rote Kopftücher um und fuhrt sie in ein großes Zelt, welches
zu diesem Zweck an einem hervorragenden Platze errichtet und vor dem
gleichfalls eine Fahne aufgepflanzt worden ist. Bei dem Hwetät-Stamm läuft
der Knabe vor der Beschneidung mit einem Säbel dem zum Opfer bestimmten
Tiere nach und zerschneidet ihm die Seimen der Hinterfüße, worauf es sofort
geschlachtet wird. In dem Zelte reinigt man den Kindern die Füße und setzt
jedes auf einen großen Stein oder auf eine Handmühle. Dann schließt man
das Zell, in dem sich der Besehneider und die nächsten männlichen Ver-
wandten der Knaben, oder die Beschneiderin und die nächsten weiblichen
Verwandten der Mädchen befinden. Alle müssen rein sein, d. h. sie durften
in der letzten Nacht keinen geschlechtlichen Umgang' gepflogen, nicht innerhalb
der letzten 10 Tage etil blinden haben und nicht menstruieren. Beim Betreten
des Zeltes ruft der Beschneider die Sünde des zu Beschneidenden auf
seinen eigenen Nacken herab und trägt dessen Vater oder Bruder oder
Vormund, was sie ihm schenken. Die Antwort lautet auf eine Stute oder
eine Kamelin, und das betreffende Tier gehört dem Knaben von nun an auch
tatsächlich.
Dieses äov e das folgende Geschenk scheint nur für Knaben zu sein.
Furchtsame Knaben weiden angeleitet, einen der anwesenden Verwandten
anzurufen, was sie mit der Formel tun: „Unter deinen Schirm, o Oheim N.
(oder Vetter N.il" Der Angerufene tröstet ihn dann mit einer Kamelin, oder
einem Schaf, einer Zi oder mit seiner Tochter oder Schwester. Das be-
treuende Tier gehört nun dem Knaben, und das in Aussicht gestellte Mädchen
gilt als seine Kraut.
§ 2-18. Knabenbesehneidung bei Semiten und lraniern. 163
Während der Beschneidung der Knaben stehen deren weibliche Ver-
wandte hinter dem verschlossenen Zelte, schlagen mit krummen Messern auf
das Zelttuch und lassen ihre Zaräritlaute erschallen zum Schutze des Be-
schnittenen vor dem bösen Blick1). Sie bekommen dafür von den Vätern
der Knaben kleine Geschenke. Nach der Operation tragen die Frauen das
Kind samt dem Stein oder der Handmühle, auf dem es sitzt, und worauf das
Blut geflossen, unter „Lu-lu-lu-lu-li-a" -Geschrei dreimal um das Zelt herum.
Dann legt sich die Mutter oder nächste Verwandte den schweren Stein auf
den Kopf und hält ihn so lange, bis der Beschnittene sagt: „Wirf ihn ab
und was du wünschest, das- soll geschehen. Ich gebe dir das und das." Hierbei
nennt der Knabe etwas von dem Eigentum seines Vaters, was hiermit der
Mutter geschenkt wird. Dann bringen die Verwandten dem Beschnittenen
Geschenke, zu denen beim Tijäha-Stamm ein mit roten Bändern geschmücktes
und von vier Frauen geführtes Kamel gehört.
Die Zeremonie endet mit chorweise gesungenen Liedern der Männer
und Weiber, von denen ich aus Musils Übersetzung die zwei folgenden
anführe:
,,Neu ist dein Kleid, o Hirt des Neuen!
O, er möge gesegnet und glücklich sein!
Seine Beschneidung sei wie ein Festtag!" —
,,Gesegnet sollst du sein, o du, der2) du aufstelltes die Feder,
gesegnet sollst du sein, und das Knäblein soll leben,
gesegnet sollst du sein so viel mal als Bäume im Walde sind!" —
Die Beschneidung selbst besteht im Abschneiden der Vorhaut.
Was das Alter betrifft, so nennt Musil das dritte Lebensjahr als
das am wenigsten gefährliche. Doch werden in Arabia Petraea auch ältere
Kinder manchmal dieser Operation unterworfen").
Von den arabischen Bauern (Gabili) in Yemen berichtete Manzoni,
daß sie ihre Söhne mit 14 Jahren beschneiden. Mit der Operation sind, wie
in Arabia Petraea, Festlichkeiten verbunden, zu denen in Yemen Tänze gehören.
Der Kandidat, aufs beste gekleidet, reitet, von seinen Eltern, Kaineraden und
von Musikanten begleitet, wie in einem Triumphzuge auf einem Maulesel durch
den Ort. Bei der Moschee angelangt, erinnert ihn der Iman an die Wohltat,
daß er der wahren Religion angehöre, und läßt ihn das Glaubensbekenntnis
ablegen: „Gott allein ist groß. Ich bekenne, daß es nur Einen Gott gibt. —
Ich bekenne, daß Mohammed der Prophet Gottes ist." Nach der Operation
wiederholen alle Anwesenden: „Es gibt nur Einen Gott, und Mohammed ist
sein Prophet." — Zur Linderung der Schmerzen wird die Asche verbrannten
Papieres appliziert, der die Araber große Heilkraft zuschreiben. Der Operierte
wird ebenso feierlich, wie er ankam, nach Hause begleitet, wo die Familie
drei Tage lang offene Tafel hält, zu der jedermann willkommen ist. —
Für die Städtebewohner ist nach Manzoni ein Beschneidungstermin
nicht festgesetzt, sondern das Alter der Kandidaten wechselt von Stadt zu
Stadt. Doch sollen sie das Pubertätsalter nicht überschritten haben. Wir
sehen hier somit als äußerste obere Altersgrenze ungefähr jenen Termin, der
den Bauern vorgeschrieben ist. Wie der Sohn des Bauern, so reitet auch der
Sohn des Städters, wenigstens des vermöglichen, festlich bekleidet, mit einem
Gefolge von Eltern, Freunden und Musikanten zur Moschee, in welcher die
]) Siehe Kap. VI.
*) Oder .,die" (?). Vgl. auf S. 162 die mit einer Straußenfeder geschmückte Lanze
oder Stange, welche die Mutter, Schwester oder nächste Verwandte vor dem Zelt aufstellt.
:,j Musil III, 219ff.
11*
]54 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Operation stattfinden soll. Keiclie Eltern entfalten dabei einen großen Pomp.
1 las Reittier des Knaben, ein Maulesel, Pferd oder Kamel, ist reich an-
geschirrt, und seine Schulkameraden verbrennen Benzoe, Weihrauch und Aloe.
Zur Vorfeier der Beschneidung verbringen die an der Prozession teilnehmenden
einen großen Teil des (vorhergehenden?) Nachmittags in der Moschee. Auch
das Festmahl wird hier bereits vor der Operation gegeben. Nach Beendigung
des Mahles führt der „Barbier" den Knaben in einen abgeschlossenen Raum,
beschneidet ihn hier mit einem Rasiermesser und stillt das Blut mit adstrin-
gierendem Pulver. Hierauf wird der Beschnittene von den Festgästen mit
lautem Geschrei begrüßt und beschenkt. Acht Tage später geleitet man ihn
mit großem Pomp ins Bad.
Nach der Manzoni gegenüber ausgesprochenen Ansicht der städtischen
Araber in Yemen ist die Beschneidung ein sehr verdienstlicher Akt, dem
man sich unterwerfen solle, wenn nicht vernünftige Dispensatiunsgründe vor-
handen seien. Immerhin könne man auch ohne Beschneidung ein sehr guter
Moslem sein. Im Koran findet sich nach Manzoni auch nicht ein Wort über
die Beschneidung.
In Dschauf1) gilt die Zirkumzision als^der erste Akt der Männlichkeit
und als feierlicher Eintritt in das Kriegerleben. Wer den Mut nicht hat,
diese Operation als Erwachsener an sich vornehmen zu lassen, gilt als Feigling,
dessen Berührung dem Gegner Schmach brächte (Halevy).
Aus dem südwestlichen Arabien erwähnte ferner Floß (nach Hilde-
brandt) den Brauch, die Knaben, bei einigen Stämmen auch die Mädchen,
am 7., 14., 21. oder anderem mehrfach siebenten Tag, oft erst mehrere Monate
nach der Geburt, zu beschneiden. Der Grund der Verzögerung liege in den
kostspieligen Festlichkeiten, welche veranstaltet werden müssen.
Eine Beschneidunp; außergewöhnlicher Art erwähnte Niebuhr von einem
Araberstamm zwischen Abu-Arisch und Hedschas, also gleichfalls im süd-
westlichen Arabien, der aber deu übrigen Arabern als ungläubig gilt. Hier
wird nicht nur die Vorhaut beschnitten, sondern man macht auch einen Längs-
schnitt in die Haut oben auf dem Glied und löst vom Unterleib ein Stück
Haut ab. Nach ihren Aussagen geben sie dem Kandidaten eine Lanze in die
Hand, die er auf seinen Fuß aufsetzen und deren oberste Spitze er während
der ganzen peinlichen Operation unverrückten Auges und mit angstloser Miene
anseilen muß; die Lanze selbst darf nicht zittern. Wer dagegen fehlt, wird
als Feigling verachtet; denn man setzt eine große Ehre darein, Qualen stand-
haft zu eil ragen. Diese Beschneidung führt bei Erwachsenen bisweilen den
Tod herbei.
Die muselmanischen Araber und Suaheli in Deutsch-Ostafrika be-
schneiden ihre Knaben etwa im 12. Lebensjahre (nicht schon nach der Geburt).
Meisl werden mit dem Herrensohn auch alle etwa gleichaltrigen Sklaven-
knaben beschnitten. Ein Fest, zu dem alle Freunde und Bekannten geladen
werden, schließt sich der Operation an. Nach der Beschneidung uilt der
Knabe als erwachsen und wird bald verheiratet (H. F. ran Behr),
Eine ausführliche Beschreibung der Beschneidungsprozessionen bei den
ibern verschiedener stände in Kairo und Oberägypten gab Lane. Die
der mit t leren und höheren Bürgerk lassen schilderte er folgenderweise-):
Der Beschneidungskandidat reitet vor der Operation auf einem schön aus-
staffierten, aber vielfach nur geborgten Pferd durch die Straßen. Er tra>t
einen lohn Kaschmir-Turban und möglichst kostbare, gleichfalls geborgte
') II i wohl ilas Dschauf im südlichen Yemen gemeint.
-) ^1» bi davon isl uns schon aus Yemen bekannt.
§ 248. Knabenbeschneidung bei Semiten und Iraniern. 165
Frauenkleidung und Frauenschmuck1). Beides ist ihm gewöhnlich viel
zu groß. Mit der rechten Hand hält er sich beständig ein zusammengelegtes
gesticktes Taschentuch vor den Mund. Ihm voraus schreitet ein Diener des
operierenden Barbiers und drei oder mehr Musikanten. Die Instrumente der
letztern sind eine Hoboe und Trommeln; der Diener trägt das Schild (hheml)
des Barbiers, d. h. einen hölzernen Halbzylinder mit vier kurzen Beinen,
dessen Bückseite mit einem Vorhang und dessen Vorderseite mit Spiegel-
seheiben und getriebenem Kupfer bedeckt ist. Das Pferd des Knaben wird
von einem Burschen geführt; oft sitzen auch zwei Beschneidungskandidaten
auf einem Pferde, oder es lassen sich zwei auf je einem Pferd zusammen zur
Mcischee führen. Hinter dem Reittier schreiten die weiblichen Verwandten
und Bekannten.
Um die Kosten zu verringern, verbindet man solche Prozessionen meist
mit einem Hochzeitszug. der in einem solchen Fall von dem Beschneidungs-
kandidaten und seinem Gefolge eröffnet wird.
Feierlicher noch gestaltet sich die Sache bei den Söhuen der Lehrer.
Gelehrten. Geistlichen und einzelneu Reichen Kairos. Die bei diesen
Ständen üblichen Umzüge (Sira' feh) verlaufen wie folgt: der Beschueidungs-
kandidat, Knabe, geht am Tage der Operation kurz vor Mittag zu einer der
hervorragendsten Moscheen der Stadt. Ihn begleiten seine festlich gekleideten
Mitschüler und die männlichen und weiblichen Mitglieder der Familie, Ver-
wandte und Freunde beiderlei Geschlechtes; die Söhne des Scherifs weiden
bisweilen auch von Soldaten begleitet, und dazu gesellt sich eine Schar
Fremder. In der Moschee verrichtet man die Mittagsgebete, und nun findet
die eigentliche Prozession von der Moschee zum elterlichen Hause
des Kandidaten statt. Voran schreitet der uns schon bekannte Diener des
Barbiers mit dessen Schild; ihm folgen bisweilen 5 — 6 Lehrer unter Ab-
singung eines lyrischen Gedichtes zu Ehren des Propheten: hierauf kommen
paarweise die Schulknaben. welche abwechselnd singen: 0 Nächte der Lust!
0 Nächte der Freude! - Lust und Verlangen, mit Freuden zusammen! —
Gewähre, o Herr, das klare Licht! - - Ahh'mad2). den Erwählten, Haupt der
Apostel!!,'?) —
Der YVechselgesang setzt sich auf dem ganzen Wege fort. Hinter den
Schulknaben schreiten die männlichen Verwandten des Beschneidungskandidaten:
auf sie folgen abermals Knaben, ca. 6 an der Zahl, von denen drei eine silberne
Flasche mit wohlriechendem Wasser aus Bösen oder Orangeblüten tragen,
womit sie die Zuschauer besprengen. Die andern drei tragen je ein silbernes
Bauchgefäß, worin Benzoe, Weihrauch oder andere wohlriechende Stoffe
brennen. Neben diesen Knaben geht ein Mann mit einem Wasserschlauch
auf dem Rücken. Der Schlauch ist mit einer gestickten Serviette bedeckt,
und der .Mann reicht den Vorübergehenden aus dem Schlauch Wasser in
Metalltassen.
Nach diesem Mann und den erwähnten Knaben kommen drei Diener,
von denen der erste eine silberne Kaffeekanne in einem silbernen, an drei
Ketten hängenden Gefäß mit brennenden Kohlen trägt; der zweite hat eine
silberne Platte mit 10 — 1 1 Kaffeetassen und den dazugehörigen silberneu
„zurfs", d. h. eierbecherähnlichen Gefäßen, in welchen sich die henkellosen
Kaffeetassen befinden. Der Dritte reicht jedem gut gekleideten Passanten
eine Tasse Kaffee, wofür er durchschnittlich einen halben Piaster erhält.
J) Nach Ploß (2 Aufl. I. ;55f>) „vielleicht zum Zeichen, daß er bis zu diesem Moment
noch dem Harem angehört-. Auch ein goldgesticktes \Veiberkä[>pchen setzt man dem Knaben
auf. Doch findet die weibliche Verkleidung nicht immer statt; in diesem Fall werden die
Kandidaten mit neuen kostbaren Männergewändern bekleidet.
2) Ein Titel des Propheten.
lßg Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Auf diese Diener folgen die Sha'wee slies, auf welche manchmal eine
zweite Knabenabteilung mit Riechtiascben und Rauchgefäßen kommt. Hinter
ihnen trägt ein Knabe die vom Lehrer verzierte Schreibtafel des Beschneidungs-
kandidaten an einem Tuch um den Hals. Jetzt kommt der mootä hir
(Beschneidungskandidat) selbst zwischen zwei Knaben. Er ist wie die
Bürgersöhne (S. 165), vom Turban abgesehen, als Mädchen gekleidet, trägt
Weiberschmuck und hält ein gesticktes Tuch vor den Mund. Hinter ihm
divin kommen die Weiber mit schrillem Freudengeschrei. Ein Weib streut
fortwährend Salz hinter dem Knaben umher, damit er vor dem neidischen
bösen Blick bewahrt bleibe.
Vor dem Elternhause angekommen, singt der vorderste Schalknabe:
Du bist eine Sonne! Du bist ein Mond! Du bist Licht über Licht! — Die
andern fügen bei: 0 Mohammed! 0 mein Freund! 0 du Schwarzäugiger! —
Unter Wiederholung dieser Anrufung des Propheten betreten sie das Haus.
wo sich der Gesang fortsetzt. Während die Erwachsenen (Männer) unten
bleiben, steigen die Knaben und Frauen die Treppe hinauf und rufen wieder-
holt: 0 du. seine Tante väterlicherseits! 0 du. seine Tante mütterlicherseits!
Kommt! richtet zu seiner „Sirä feh" her. —
Beim Betreten des Hauptgemaches des Harems gibt man den Knaben
einen Kaschmir-Schal, den sie an den Bändern halten müssen und in dessen
Mitte die verzierte Schreibtafel des Kandidaten gelegt wird. Dieser, sowie
die Weiber und der 'ari'f (ein Knabe, der in der Schule Aufsicht hat) steheu
dabei und nun singt dieser abwechselnd mit den andern Knaben teils religiöse
und ernste, teils komische Verse: Lob sei Gott, dem mächtigen Schöpfer! —
Der Sonne, dem Vergeber, dem Erhalter! — Er kennt die Vergangenheit und
Zukunft. -- und verschleiert die Dinge mit Dunkelheit. — Erkennt den Weg
der schwarzen Ameise, und ihr Werk, — wenn wach im Finstern. — Er bildete
und errichtete des Himmels Gewölbe, -- und breitete die Erde aus über des
Meeres Salz. — Möge er diesem Knaben langes Leben und Glück verleihen, —
dall er aufmerksam den Koran lese — , daß er lese den Koran und die
Geschichte — , die Geschichte alter und neuer Zeiten. — Dieser Knabe hat
Lesen und Schreiben — , Buchstabieren und Rechnen gelernt. - - So soll sein
Vater ihm nicht verweigern — ein Geldgeschenk, Silber und Gold. — Für
meinen Unterricht, o Vater, hast du bezahlt - Gott gebe dir dafür einen
Platz im Paradies -- und du. meine Mutter, nimm meinen Dank -- für deine
bange Sorge um mich ■ früh und spät. — Möge Gott mich dich — im
Paradiese sehen lassen — von Maria') und Zeyneb8) und Fätimeh3) begrüßt. —
Nach diesem Gesang wenden sich die Knaben mit komischen Versen an
ihren Lehret, der unten an der Treppe steht, sowie an die Mädchen und
Frauen, jung und alt. Den letzteren z. B. rufen sie wenig ehrfurchtsvoll zu:
0 ihr alten Weiber, die ihr da steht! -- Mit alten Schuhen sollte man euch
schlagen und fortjagen. • Doch sollten wir alten Weihern eher sagen: —
Nehmet das I lecken und den Eimer, waschet und betet. —
Während dieser und ähnlicher Rezitationen lasseu die Weiber auf
die verzierte Schreibtafel ihre Geschenke fallen, welche nachher in einem
Tuch gesammelt und yon den Knaben dem Lehrer hinuntergetragen werden.
Nach dieser Zeremonie folgt das Festmahl, welches von den Frauen oben
im Harem, von den Knaben und Männern unten eingenommen wird. Der
Beschneidungskandidal wird auf einen Stuhl (?) gesetzt; ihm zur Seite stehen
der Barbier und dessen Diener. Das Schild des Barbiers steht auf dem Boden.
1 1 !»:>• Mutter Jesu.
I mam 'AI i
3) Torluer des Propheten.
§ 248. Knabenbeschueidung bei Semiten und Iraniern. 1(37
Die Gäste legen in einer darüber angebrachten Schale ihre Geschenke für den
Barbier nieder.
Nach dem Mahle bleibt nur die Familie (und nächsten Verwandten?),
sowie der Kandidat, der Barbier und dessen Diener im Hause; alle übrigen
gehen fort. Und nun folgt die Beschneidung (wenn sie nicht auf den nächsten
Tag verschoben wird) in einem abgesonderten Gemach unter Anwesenheit von
zwei männlichen Verwandten.
Ungefähr eine Woche später führt der Barbier den beschnittenen Knaben
ins Bad.
Zur Erhöhung der Beschneidungsfeier lassen die Eltern manchmal Fecht-
und Gaukelspiele und dergl. aufführen.
Als Alter gab Lane durchschnittlich 5 — 6 Jahre an; doch sei es nicht
selten, daß die Bauern ihre Söhne erst mit 12 — 14 Jahren beschneiden lassen.
Nach Klunzinger, der die oberägyptische Beschneidung als einen religiösen,
der Konfirmation ähnlichen Akt nennt1), soll sie den Knaben „rein" machen,
zum Eintritt in die Moschee und zum Beten, überhaupt zur Ausübung seiner
Beligion befähigen. Von Lane abweichend, gibt Klunzinger (bei Ploß) das
Alter von „meist" 5 — 10 Jahren an. Als Ergänzung zu der uns bekannten
äußeren Feier sei hier aus Klunzinger folgendes erwähnt: Am Vorabend, der
„Nacht der Henna", versammeln sich die Frauen, kneten Hennablätter zu
einem Teig, setzen diesen stückweise auf einen Präsentierteller und stecken
über jedem Stück eine Kerze an. Unter Singen, Trillern und Pauken zieht
die Weiberprozession im Hause herum, der Festknabe hinter dem Hennateller.
Man beschert der Mutter, den Sängerinnen, und bindet dem Knaben ein Stück
des Hennapflasters in die Hohlhand; ebenso machen es die versammelten Frauen,
und alle erwachen mit braunroten Handflächen 2).
Die Araber in Algier lassen ihre Söhne „im allgemeinen schon gegen
das 5. Jahr" beschneiden. Den Verlauf der Operation und die darauf folgende
Behandlung des Knaben schilderte Bertherand: Der Operateur (thahar) setzt
sich, nachdem er einen großen hölzernen Napf gefüllt hat, um darin das Blut
aufzufangen, unter ein haik (großes Stück Leinwand) mit einem oder zwei
Assistenten, von denen der eine die Schenkel des Knaben auseinanderhält.
Er zieht die Vorhaut des letzteren soweit als möglich nach vorn und bindet
dieselbe mit einem gewöhnlichen Faden gegen die Eichel. Hierauf ergreift
er eine hölzerne Scheibe (oueurgha), die ein wenig größer als ein Fünffrank-
stück ist und in der Mitte ein rundes Loch hat, durch welches man den kleinen
Finger stecken kann. Durch diese Öffnung führt er das Ende des Fadens und,
indem er die Holzscheibe über den Faden weiterschiebt, drückt er dieselbe
schnell und kräftig gegen die Eichel. Nun zieht er leicht am Faden, um
die Vorhaut anzuspannen, und während er die Aufmerksamkeit des Knaben
dadurch, daß er ihm befiehlt, nach der Decke zu sehen, abzulenken sucht,
schneidet er mittels einer starken Schere, bisweilen auch mit einem Rasier-
messer, noch häufiger mit einem gekrümmten arabischen Messer die
Vorhaut (djelda) ab. Einer der Assistenten gibt ihm sofort ein frisches, schon
vor der Operation geöffnetes Ei, das er über das ganze Glied stülpt. Nach
zwei bis drei Minuten bedeckt der Thahar die Wunde mit dem feinen Staube
der Blätter von Thuya articulata (aghar), um das Blut zu stillen, und umhüllt
das Glied mit einer kleinen Bandage oder einem Läppchen. Der Knabe wird
nun auf den Kücken gelegt und muß mehrere Tage in dieser Stellung ruhig
verharren. Sieben Tage lang besucht ihn der Operateur; das erstemal
1) Nach Ploß (2. Aufl. I, 345) heißt die Beschneidung auf arabisch „tuhur", „tahir",
<i. i. Reinigung.
') Henna ist im moslemischen Marokko sowohl Schönheits- als auch Zaubermittel.
2(jg Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
legt er auf die Wunde warme Butter und zerstoßene Zj-pressensamen. an
den anderen Tagen einen Brei von Zwiebeln, Absinthium Judaicum und Butter,
um die Eiterung zu vermindern. Ist am 7. Tage die Wunde noch nicht ge-
heilt, so wird das Glied in heißem Sand gebadet. Blutungen kommen selten
vor, und in der Regel ist Patient schon am 7. Tage genesen. — Die ab-
geschnittene Vorhaut wird alsbald nach der Operation vom Assistenten in
ein Läppchen gehüllt und auf irgendeinen Gegenstand, einen Baum (Palme),,
ein Tier (Ochse usw.i gelegt; der Vater des Beschnittenen macht diesen
Gegenstand dem Thahav zum Geschenk. ■ Bertherand erwähnt ferner eine
Beschneidungsform. bei dem die mit dem Finger vorgezogene Vorhaut dicht
vor der Eichel mit einem Faden umbunden wird, worauf ein zweiter Faden
ein Stück vor jenem in gleicher Weise umgelegt und zugeknüpft wird; der
Operateur schneidet mit einem scharfen Messer die Vorhaut zwischen diesen
beiden Fäden durch. Die erste Ligatur ist so fest, daß sie das Gefühl ver-
mindert und die Operation fast schmerzlos macht.
über die Beschneidung in Marokko berichtete G. Rohlfs, daß sie von
einem Schriftgelehrten (Fakih) in der Weise ausgeführt wird, daß er nach
einem verrichteten Gebet die Vorhaut mit einem raschen Schnitt von der
übrigen und dann das noch übrige Frenulum mit einem zweiten Schnitte trennt,
während der Knabe von seinem Vater gehalten wird. Nach der Operation
streut ein Taleb pulverisierten Alaun auf die blutenden Ränder. Der Knabe
murmelt während der Beschneidung zwischen den zusammengebissenen Zähnen:
..Gott ist der größte: es gibt nur einen Gott." Als Festgeschenk erhält er
von seinem Vater Kleider, die er nach völliger Genesung anlegt. — Das zur
Operation benutzte Instrument ist ein Steinmesser oder ein gewöhnliches
Rasiermesser.
Fragt man die Araber nach dem Ursprung der Beschneidung, so
erhält man zur Antwort, sie Liehe auf Ismael, den Sohn Abrahams und seiner
Magd Piagar, den biblischen Stammvater der Araber, zurück. Nach Josephus')
ließen zu seiner Zeit die Araber ihre Söhne mit 13 Jahren beschneiden, also
in dem gleichen Alter, in welchem Ismael (1. Mos. 17, 25) von seinem Vater
Abraham beschnitten wurde. - Mohammed behielt die Beschneidung bei. und
sie fand mit dem Islam eine sehr weite Verbreitung, obgleich sie nicht als
Dogma gilt. Das Volk sieht in ihr den wichtigsten Akt beim übertritt eines
„Ungläubigen" zum Islam. Nach Richard Andree*) führten die Araber die
Beschneidung mit dem Islam nach Innerafrika und Innerasien, zu den Iraniern
and Mongolen8).
Verwandte der Araber waren die Ithuräer östlich von Palästina. Bei
1. Mos. "-'■">, 15 wird deren Stammvater ein Solin Ismaels genannt. Auch sie
übten die Beschneidung, doch erst, nachdem sie ihnen von den Juden auf-
gedrängt worden war {Floß, '2. Aufl. I, 343).
Die Massai, neuestens von Max Weiß zu den Semiten gerechnet, sind
in diesem Buch noch nach der älteren Anschauung den Hamiten beigezählt
(siehe f. Paragraph).
Über die Beschneidung der iranischen Völkergruppen liegt mir nur
sehr wenig Material vor. Wenn die Wachietsclii in Afghanistan Iranier
sind, dann sei hier von ihnen bemerkt, daß sie ihre Söhne im Alter von
12 — 14 Jahren beschneiden lassen. Festlichkeiten sind damit nicht verbunden
i /'. von Stenin i.
•i Bei Bicliard F.thnogr. l'arall., S. 170.
*) Ebenda.
') In Indoo Bie mit altheidnischen) Brauch zusammengetroffen. — Vgl. die
Berber im folgenden Paragraphen.
§ 249. Knabenbeschueidung bei Hamiten und Negern. 169
Die muselmanischen Perser übernahmen den Brauch von den Arabern
mit dem Islam. Die Knaben werden hier der Operation gewöhnlich um das
dritte oder vierte Lebensjahr unterworfen; doch könne sie bis zum 13. Lebens-
jahr hinausgeschoben werden. Nach Polali wird hier die Beschneidung vom
Dalak (Barbier) durch Einzwängen der Vorhaut in ein gespaltenes Rohr und
Abtragen mittels eines Rasiermessers ausgeführt. Sie unterscheidet sich von
der Beschneidung der Juden dadurch, dal? der zweite Akt, nämlich das Ein-
reißen des inneren Blattes, bei den Persern wegbleibt. Die Blutstillung wird
durch styptische Pulver bewirkt; die Anwendung von Wasser ist streng ver-
pönt. Die Zeremonie ist von einigen Festlichkeiten begleitet: Man verteilt
Spenden an die Armen; es werden Gäste geladen und mit Süßigkeiten be-
wirtet, und der Operierte erhält ein neues Kleid. Im ganzen entfaltet man
jedoch nicht jenes Gepränge, welches in manchen anderen muselmännischen
Ländern, z. B. im arabischen Ägypten, der Fall ist.
Die um die Mitte des 19. Jahrhunderts im südlichen Persien entstandene
islamische Sekte der Babisten behielt die Beschneidung aus zwei Gründen
bei, einerseits mit Rücksicht auf die Hygiene, und andererseits, um der Ver-
folgung der altgläubigen Muselmanen zu entgehen (N. von Seidlitz).
§ 249. KHabenbesclineidiing' bei Hamiten und Negern.
Herodot hat (II, c. 104) geschrieben: „Die Kolchier, Ägypter und
Äthiopier sind die einzigen Völker, welche die Beschneidung seit frühester
Zeit üben." — Die Gemeinsamkeit dieses Brauches bei den beiden ersten Völkern
galt Herodot als ein Beweis für deren ethische Zusammengehörigkeit. Ob
die Äthiopier die Beschneidung von den Ägyptern, oder umgekehrt, entlehnt
haben, ließ er dahingestellt. Die Phönizier und die „Syrierin Palästina
aber hätten selbst eingestanden, daß sie den Brauch von den Ägyptern über-
nommen, und die Syrier am Thermödon und Parthenius, sowie die ihnen
benachbarten Macronianer hätten gesagt, daß sie ihn von den Kolchiern
entlehnten. Herodot selbst zweifelte nicht, daß alle diese Völker, von den
Äthiopiern abgesehen, den Brauch von den Ägyptern übernahmen. -
Dazu bemerkt Rawlinson, daß gerade die Äthiopier sowohl ihre Religion
als ihre kulturellen Bräuche von den Ägyptern entlehnten. Sogar der ägyp-
tischen Sprache bedienten sie sich für ihren Kult und an ihrem Hof. Diese
Tatsache sei durch Monumente über alle Zweifel erhaben; die gegenteilige
Ansicht gründe vielleicht auf der Zurückverlegung des ägyptischen Hofes aus
Äthiopien nach Ägypten. Nach Äthiopien sei er bei dem Einfall der Hirten
verlegt worden. Unter den „Syriern" Palästinas verstehe Herodot offenbar die
Juden, welche geographisch in diesem Stamm einbegriffen waren '). Herodots
Annahme, die Juden hätten die Beschneidung von den Ägyptern entlehnt, sei
entschuldbar, weil die Juden erst nach ihrem Auszug aus Ägypten die Be-
schneidung allgemein und regelmäßig übten, was aus Josua V, 5, 7 hervor-
gehe. Erst auf der Ebene von Jericho sei die neue Generation beschnitten
worden, obgleich die Patriarchen und deren Familien seit Abraham die Be-
schneidung übten. Natürlicherweise könne jeder Forscher annehmen, daß die
Juden die in Ägypten schon lange geübte Beschneidung von da entlehnten.
Sie gehe in Ägypten wenigstens bis zur vierten Dynastie, wahr-
scheinlich noch weiter, zurück, sei dort also lange vor Abraham allgemein
üblich (common) gewesen; nach den ältesten Monumenten zu urteilen, habe
man in Ägypten schon vor 2400 Jahren v. Chr. beschnitten.
') Vgl. die Beschneidung bei Semiten im vorigen Paragraphen.
170 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Mit dieser Feststellung geht Rawlinson geschichtlich über jenes Datum
hinaus, welches Ehers und Welcher mit der Untersuchung des Penis von der
Mumie des ägyptischen Feldhauptmanns Amen-em-heb gegeben hatten. Dieser
Hauptmann soll nämlich unter Thutmes, um J614 — 1555 v. Chr., also zu jener
Zeit gelebt haben, als die Juden noch in Ägypten waren1).
Serodot gab auch einen Grund für die ägyptische Beschneidung
an, d. h. er bemerkt (II, c. 37), die Ägypter hätten sie aus Peinlichkeit s-
gründen geübt. - - Nach Ploß (I, 346f.) war sie in Ägypten die Weihe und
das Merkmal der Kasten der Krieger und Priester, wurde also nur an
den Vornehmen und an den zu einem religiösen Amt Berufenen vorgenommen.
Deshalb habe sich der griechische Philosoph in Ägypten beschneiden lassen,
Als er sich von den dortigen Priestern in die Geheimnisse des Isiskultes ein-
weihen lassen wollte.
Daß Rawlinson einen derartigen Klassenunterschied bei Anwendung der
Beschneidung nicht annimmt, ist schon angedeutet worden. Ihm zufolge be-
weisen die Mumien und Skulpturen, daß die Beschneidung ein Unterscheidungs-
merkmal der Ägypter gegenüber ihren Feinden war. Später, als sich in
Ägypten viele Fremden ansiedelten, schied die Beschneidung den orthodoxen
Ägypter von den fremden Dissidenten. Deshalb durfte auch nur der Be-
schnittene in alle Geheimnisse der ägyptischen Wissenschaft eingeführt werden.
Das habe wahrscheinlich zu der Auffassung geführt, daß nur die Priester
beschnitten waren. Übrigens hat Plo/i selbst auf eine Stelle bei 0. Ebers*)
hingewiesen, nach welcher auf den bildlichen Darstellungen des Zeugungs-
gliedes der Ägypter „überall die Vorhaut fehlt".
Daß die Kolchier die Beschneidung von den Ägyptern entlehnten, wollte
Sayce nicht gelten lassen. Hingegen schrieb der anonyme Verfasser einer
Serie von Artikeln, betitelt: „Degli Hittim o Hethei e delle loro migrazioni"
in der „Civiltä cattolica"?), daß die Vorfahren der Kolchier (Scythen, Hettiter)
jahrhundertelang mit den Ägyptern zusammen lebten und sich ihnen assimilierten,
nicht nur in der Beschneidung, sondern auch in der Sprache und in der Haut-
farbe. Nebenbei bemerkt, verteidigt der anonyme Verfasser (gegen Sayce und
Rawlinson) Herodots Mitteilung über die Verwandtschaft der Ägypter
mit den Kolchiern4).
Als direkte Nachkommen des altägyptischen Volkes werden die christ-
lichen Kopten angesehen {Scobel). Von ihnen schrieb Lane:
Die meisten Kopten beschneiden ihre Söhne. Nur bei den iu Kairo
lebenden wird der Brauch weniger beobachtet. Ein Alter ist nicht bestimmt,
doch nimmt man die Operation gewöhnlich mit sieben oder acht Jahren, aber
auch mit zwei und mit zwanzig und noch mehr Jahren vor. Der Akt vollzieht
sich immer privat. Die aufgeklärteren der Kopten sehen in der Beschneidung
keinen religiösen, wohl aber einen empfehlenswerten Brauch. Die
Priester selbst negieren den religiösen Charakter. Hingegen scheinen die
Bauern, bei welchen allgemein beschnitten wird, darin mehr als einen rein
bürgerlichen Akt zu erblicken, wie Lane meint. Manche behaupten, es sei
eine Nachahmung Christi, der sich der Beschneidung unterwarf.
i \ls einen Beweis für das hohe Alter des Bcschneidungsbrauches in Ägypten
fährte Ploß \2. Aufl. 1. 342) auch ein von Chabas erklärtes Relief im kleinen ILons-Tempel
zu Karnak an. — Schon Blumenbach, Anatom und Begründer der Anthropologie, habe auf
Spuren der Beschneidung an ägyptischen Mumien hingewiesen.
:i und die Bücher Mosis. Leipzig 18tiS.
riltä cattolica, Anno 4t. Serie SV, vol. VII. pp. 293 ff. — Der Verfasser der
genannten Serie sieht in den Kolchiern Nachkommen der Hyksos.
Ibstverständlich will die eielumstrittene Frage nach der ethnischen und anthro-
polo ng der Eettiter nicht hier ihre Lösung gefunden haben. Neuestens werden
ja die Hettiter mit den Nordkaukasiern in Zusammenhang gebracht.
§ 249. , Knabenbeschneidung bei Hamiten und Negern. 171
Die Beschneidung finden wir dann im berberischen und libyschen
Zweig der Hamiten, ob durch moslemischen Einfluß oder aus älterer Zeit,
dürfte schwer zu unterscheiden sein.
Die Knaben der Kabylen werden mit drei Jahren beschnitten, wie
A. Lissauer im Jahre 1908 schrieb; nach Bertherand ') zwischen dem sechsten
und achten Jahre.
Bei den Berbern ist die Beschneidung nicht allgemein. Ob das mit
dem oberflächlichen Islam verschiedener Stämme im Rifgebirge und dem
nördlichen Atlas zusammenhängt, wie Ploji meinte, oder ob das dortige Fehlen
des Brauches andere Ursachen hat, lasse ich hier uneutschieden.
In El Bedig, nordlich von Abessinien, östlich vom Nil, leben die
Bedja oder Bischarin. ein äthiopischer Zweig der Hamiten. Auch sie
scheinen (nach Ploji I. 361) die Beschneidung zu üben.
In Abbessinien sind es die zum gleichen Zweig gehörigen Kaffitscho,
von denen Friedrich J. Bieber berichtet:
Alle Kaffitscho. bekennen sie sich nun zum Hekkoglauben, oder
zum Islam, oder zum Christentum, lassen ihreu männlichen Kindern die
Vorderhaut abschneiden. Das geschieht, sobald diese acht Wochen alt sind.
Als Grund geben die nichtmoslemischen keine Glaubensvorschrift an, sondern
..weil es so Brauch ist, zur Reinheit des Körpers". Bei den sich als Moslim
bezeichnenden Kaffitscho entspricht die Beschneidung der uns von den Musel-
manen im vorigen Kapitel her bekannten Erklärung. Die Beschneidung
nehmen nicht die Priester, sondern sachkundige Männer (dokorino) gegen Be-
zahlung Mir. Sie ziehen bei der Operation die Vorhaut des auf dem Rücken
liegenden und festgehaltenen Kindes mit zwei Fingern der linken Hand vor
und schneiden sie mit der rechten rasch mit dem Beschneidemesser (abbo) ab.
Eine Behandlung der Wunde erfolgt nicht. Als Honorar erhält der Be-
Schneider vom Vater des Kindes eine Salzstange oder andere Geschenke. Den
Vollzug der Operation feiert der Vater mit den Nachbarn durch eiu Gastmahl
mit Bier.
Die Somal2) beschneiden ihre Söhne im Alter von 8 — 10 Jahren. Hier
wird oben auf der Eichel ein Längsschnitt derart gemacht, daß neben dem
unverletzten Bändchen zwei heruntergeklappte Lappen stehen bleiben. Zur
Blutstillung wird Styraxlösung oder ein anderes adstriugierendes Mittel
angewendet.
Von den Kawirondo. einem nilotischen Volk in der Landschaft gleichen
Namens in Englisch-Ostafrika, schreibt N. Stam: Viele üben die Be-
schneidung. Ein bestimmtes Alter scheint nicht verordnet zu sein; denn wenn
der Stammeshäuptling die Zeremonie vorschreibt, unterwerfen sich alle jungen
Burschen. Immerhin dürfte das Alter von 14 Jahren die Regel sein.
Während der Operation darf kein Schmerzensschrei über die Lippen des
Kandidaten kommen, wenn er nicht eine bestimmte Anzahl Ziegen zur Strafe
geben will. Zur Feier der Handlung werden Tänze aufgeführt, an denen
alle umliegenden Dorfbewohner jauchzend teilnehmen. Die Beschnittenen
tragen nach der Operation einen langen Grasmantel und einen phantastischen
Kopfputz und müssen sich bis zu ihrer völligen Heilung in einem besonderen
Hause aufhalten. Nur einige Verwandte dürfen, wenn sie das Essen bringen,
diesem Hause nahe kommen.
Ist die Heilung eingetreten, dann wird vor der Rückkehr der Be-
schnittenen in das Dorf ein dreitägiges Festessen gegeben, welches die jungen
!) Bei Ploß (2. Aufl. r, 351).
2) Scheinen nach Richard Andree (Ethnogr. Parallelen, 173) Strabos beschnittene
Troglodyten zu sein.
J72 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Leute beiderlei Geschlechts mit Tanz verherrlichen. Das bei diesem Fest ge-
spendete Bier darf nur von verheirateten Männern getrunken werden.
Von den Massai in Deutsch-Ostafrika schrieb Ploß: Die Massai-Knaben
werden im dritten Jahre ' ) „gereinigt" ; die Operation selbst werde auf die
gleiche Weise wie bei den Somal (S. 171) ausgeführt. — Seitdem hat Max
Weiß über die Beschneidung bei den Massai folgendes mitgeteilt:
Die Massai im nördlichen Deutsch-Ostafrika lassen ihre Söhne und Töchter
beschneiden (die letztern siehe Teil III). Die Beschneidung der Knaben erfolgt
erst, wenn sie zum Eintritt in den Kriegerstand kräftig genug sind. d. h.
zwischen 14 und 16 Jahren; bei besonders gut Entwickelten auch früher.
Nach der Beschneidung gelten die Leute als erwachsen. Sämtliche Knaben
eines Distriktes müssen sich an ein und demselben Tage, der nach Beratung
der Ältesten festgesetzt wird, der Operation unterziehen. Sie feiern dieses
bedeutsame Ereignis schon Wochen vorher mit Gesang und Tanz in ihren
und befreundeten Kraalen. Am Tage vor der Beschneidung wird ihnen das
Kopfhaar rasiert. Diese wird von den Alten in frühester Morgenstunde in
Gegenwart der Krieger in der Nähe des Kraals vorgenommen. Weibliche
Wesen dürfen sich dem Ort nicht nähern. Die frühe Morgenstunde, sowie
das Begießen des Gliedes mit kaltem Wassw vor der Operation, soll allzu
heftigen Schmerzen zuvorkommen. Äußerungen des Schmerzes werden von
den Kriegern mit Verachtung des Kandidaten und dessen Eltern bestraft und
tragen dem Empfindsamen einen Spottnamen ein. Die Alten führen die Be-
schneidung mit einem kleinen, spitzen, zweischneidigen Messer aus. wählend
die Kandidaten mit gespreizten Beinen auf ihren Lederschürzen sitzen. Sie
ziehen die äußere Haut des Gliedes zurück und durchschneiden das innere
Blatt der Vorhaut dicht hinter der Eichel ringsum. Hierauf gleitet die Eichel
in die verlängerte Haut zurück, die oben, wo jene durchtreten soll, ein-
geschnitten wird, so daß sie unter der Eichel herabhängt, worauf man die
Hälfte von ihr abtrennt. Die andere Hälfte wächst in 14 Tagen zusammen
und bildet nach der Heilung ein Zäpfchen. Nach der Operation wird der
Penis mit Milch abgewaschen2); sonstige blutstillende oder heilende Mittel
wendet man nicht an. Nach der Operation geben die glücklichen Väter
allen aus der Umgebung geladenen Massai ein Festmahl. — Da die Be-
schneidung den jungen Massai zum Eintritt in den Kriegerstand berechtigt,
die Krieger aber mit den jungen Mädchen, schon ehe diese selbst be-
schnitten werden, im Kriegerkraal ein ungebundenes Leben führen, so ist
anzunehmen, daß die Beschneidung nur dem Mann erst den geschlechtlichen
Verkelir eröffnet.
Max Weiß schildert ferner die Beschneidung bei den Bakulia zwischen
Gori- und Marafluß im nördlichsten Deutsch-Ostafrika, welche ihre
Söhne im Alter von \2 — 15 Jahren dieser Operation durch besondere Medizin-
männer unterwerfen. Sie findet nach der Ernte, aber nicht alljährlich, sondern
je nach IVstinimung des Häuptlings, oder wo dessen Autorität nicht bedeutend
ist, nach Übereinkommen der Dorfältesten statt. Diese Zeitbestimmung gilt
auch für die Mädchenbeschneidung (siehe diese). Die beschneidenden Medizin-
männer gelien den Knaben Verhaltungsmaßregeln für das Leben, besonders
dem weiblichen Geschlecht gegenüber: Sie gehörten jetzt zu den Erwachsenen,
sollten ihre Eltern einen und nie unangemeldet deren Hütte betreten, vor
den Mädchen keine Angst mehr haben, ihre zukünftige Schwiegermutter be-
i| S,, auf S. 361, Bd. I CJ. AnlU; auf S. 3HÜ (ebendort); hingegen: „Zum Akte der
Beschneidung vereinigen bei den Massai . . . sich jedes dritte oder vierte Jahr alle reiche»
es Distrikt
2) Vgl. das Begießen der Beschnittenen mit Milch bei den Kikuyu auf S. 174.
§ 249. Knabenbeschneidung bei Hamiten uud Negern.
173
Tücksichtigen, deren Haus in Ordnung- halten und deren Feldwirtschaft unter-
stützen.
Die Operation, welche auf einer entlegenen Stelle in unbebauter Gegend
unweit vom Dorf stattfindet, besteht im gänzlichen Abtrennen der Vorhaut
uud wird mit einem kleinen scharfen Messer durch kurzen scharfen Schnitt
ausgeführt. Die Knaben stehen dabei in Reih und Glied nebeneinander.
Schreien und Weinen wird verhöhnt. Kein weibliches Wesen darf den Platz
betreten. Nach der Beschneidung kehren die Knaben iu ihre Hütten zurück.
Die Heilung, welche etwa vier Wochen dauert, wird nur durch Hoclilagerung
des Penis erleichtert, wozu ein Grasring mit Bastschnur verwendet wird.
Häufig treten böse Eiterungen ein. Nach erfolgter Genesung beginnt eine
mehrwöchentliche Freudenzeit mit täglichen Tanzfesten, wozu jeder ein
^Mädchen wählt, mit dem er, ohne schon an eine Heirat zu denken, geschlecht-
Fig. 293. Massai- und Wadsehagga- Jugend im Ringkampf. Von deu Missionären C. S. Sp. in
Knech tst eden.
lieh verkehrt. Der zu diesen Festen angelegte Schmuck ist höchst phantastisch
(Illustrationen und Aveitere Einzelheiten bei Max Weiß, 285 ff.).
In Deutsch-Ostafrika finden wir die Beschneidung ferner bei den
Wadschagga, und zwar nach Plofs, 2. Auflage, in der gleichen Weise, wie
bei den Massai ') und Somal. Auch iu vielen Familien der Kikuyu. Britisch-
Ostafrika, wurde die Operation auf diese Art ausgeführt (-/. 21. Hildebrandf),
hier aber erst mit 16 — 17 Jahren, wenn sich der Bartflaum zeigt. Vorher
dürfen die Burschen, wie bei den Oigöb (Massai?) und Wakuafi, keine
eisernen Waffen haben, weshalb sie sich für ihre Kriegsspiele Waffen aus
Holz fertigen. Nicht einmal ein eisernes Messer können sie besitzen; brauchen
sie ein solches zur Arbeit, so können sie es zwar von einem Erwachsenen
entlehnen, müssen es aber baldigst zurückerstatten (Waitz).
Der Beschneidungsritus der Kikuyu wurde von Ploß (1,362) folgender-
weise geschildert: Die Kandidaten hocken in einer Eeihe. Der Beschneide!-
*) Daß das mit der obigen Schilderung von Weiß nicht stimmt, ist klar. Vielleicht
handelt es sich um verschiedene Stämme. Die Karte zeigt die Massai aut weite Strecken zer-
streut. Jedenfalls haben wir sehr verschiedene Altersangaben über die Massai und Somal,
wie aus den schon angeführten Mitteilungen über diese Völker hervorgeht.
174 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
(kein Zauberer) ') hat sich festlich geschmückt; ihm hilft ein hinter der Eeihe
stellender Mann, welcher das Glied des Jünglings festhält. Der Operateur
beginnt beim ersten die Eeihe. Sein Messer ist etwa 0,2 m lang mit lanzett-
förmiger, zweischneidiger Klinge. Er hält es beim Schnitt in eigentümlicher
\\ eise, indem der Mittelfinger hinter dem Messerhefte, die andern Finger
vor demselben zu liegen kommen. Die abgeschnittene Vorhaut wird dann
in die Erde vergraben, wozu sich der Beschneider eines spitzen Stabes be-
dient. Das Blut läßt man zur Erde rieseln und bedeckt es später. Die Ope-
rierten bleiben noch auf der Erde hocken, werden in ein Lendentuch gehüllt,
mit frischer Milch beschüttet und sind nun unter die Erwachsenen des Stammes
aufgenommen. Dann erst erhalten sie vom Vater Waffen. Auch zwei bis drei
Ochsen geben die Eltern jedem der Jünglinge. Diese begeben sich gemein-
schaftlich weit von den Dörfern weg in den Wald, schlachten dort die Ochsen
und verzehren deren Heisch. Nach etwa einem Monat kehren sie zum elter-
lichen Dorfe und Hause zurück, erhalten nochmals Vieh und ziehen wieder
in ihr Waldversteck. So treiben sie es, so lange Fleisch da ist und bis sie
des Fressens und Faullenzens müde und „stark und fett" geworden sind.
Dann verschaffen ihnen die Väter Weiber {Hildebrandt). - Vgl. Mädchen-
beschneidung. —
Die ethische, soziale und religiöse Bedeutung der Beschneidung bei den
Kikuyu hat uns in neuester Zeit (1910) Cayzac erklärt. Diese Operation,
welcher sich nach dessen Erfahrung die Knaben und Mädchen vor Eintritt
der Geschlechtsreife unterwerfen müssen, ist der wichtigste und feierlichste
Ritus im Lebeu der Kikuyu. Am Vorabend statten die Kandidaten dem
„heiligen Baum"2), dem Baume Gottes3) und Tempel des Ortes, einen Besuch
ab, um ihm singend zu verkünden, daß sie nun das Kindesalter hinter sich
haben und zur Wiiide eines Mannes bzw. Weibes gelangt sind. Jedes schneidet
von dem heiligen Baum einen Zweig ab, um ihn am folgenden Tage, während
der Operation, neben sich zu legen. Am Morgen des Beschneidungstaues be-
gleitet man die Kandidaten beiderlei Geschlechtes in Prozession zum Fluß,
in den sie sich stürzen. Hierauf werden sie unter Siegesrufen auf die Be-
schneidungsstätte geführt. Auch dieses Bad ist nach Cayzac ein Beweis für
die sittlich religiöse Bedeutung der Beschneidung. Es bedeutet für den
Kikuyu das gleiche wie diese selbst, d. li. Reinigung von der Sünde. Da-
her hat dort der Ausdruck „sich in den Fluß stürzen-' den gleichen Sinn
wie „sich beschneiden lassen". Nach der Auffassung der Kikuyu pflanzt sich
nämlich das Übel (die Sünde) durch die Zeugung fort und hat den Tod zur
Folge, weshalb die Zeugungsorgane gereinigt werden müssen. Daher blutige
Beschneidung.
Das durch diese Operation gereinigte Organ soll nun nicht mehr ver-
unreinigt werden: doch scheint das nach Kikiiyu-Auflassung wenigstens mit
dem eisten Koitus Neubeschnittener einzutreten. Denn Cayzac schreibt: Das
eiste Zusammenkommen eines Neubeschnittenen mit einem Weib würde den
Tod beider zur Folge haben. Um sich aus diesem Verhängnis zu retten, übten
die Kikuyu früher folgenden Brauch: Die frisch beschnittenen Burschen fielen
zu 15- 20 Köpfen stark an einem abgelegenen Ort ein altes Weib an und miß-
achten es. worauf sie, es zu Tod steinigten. Durch den Tod des Weibes
waien sie selbst vor dem Tode gesichert4).
'i Nac Si.lle auf der gleichen Seite ist es aber ein Zauberdoktor.
innigen Zusammenhang des Baumknltes mit dem Geschlechts- bzw. Frucht-
itskull h:i Ihui früher, z. 1'.. Bd. 1, ">1 und 581, hingewiesen.
:li Dei KationaI| ,der Schwarze".
') I I prechendes Brauch der Mädchen Bpäter. —
Knabenbeschneidung bei Haruiten und Negern.
17;
Die Wakamba und Wanika, gleichfalls in Britisch-Ostafrika, beob-
achteten ungefähr den gleichen Beschneidungstennin wie die Kikuyu, d. h. den
Eintritt der Reife.
Das bei den Wakamba gebrauchte Operationsmesser wird von einem
bestimmten Zauberdoktor aufbewahrt. Es ist etwa u.l m lang, dünn, von
weichem Eisen und nur an einer Seite schneidig. Bei beiden Völkern besteht
die Operation darin, daß man die langgezogene Vorhaut abschneidet (.7. M.
Hildebrandt).
Das von den Wakamba angewendete Mittel zur Blutstillung ist das
gleiche wie das der Somal (s. S. 171). Zur Heilung nimmt man hier wie
dort Fett. Rizinusöl u. a. m. Große
Festlichkeiten beschließen den Akt.
Die stark mit Araberblut
gemischten Suaheli an der
deutsch - ostafrikanischen
Küste und auf Sansibar be-
schneiden ihre Söhne mit etwa
sieben Jahren. Bis dahin standen
sie unter der Obhut ihrer Mütter;
jetzt aber beginnt für sie der
Schulbesuch und das Leben außer-
halb des mütterlichen Kreises. —
An der Sansibar-Küste werden
gewöhnlich die gleichaltrigen Kna-
ben einer Verwandtschaft oder
eines Freundeskreises am gleichen
Tage beschnitten.
Die mit den Suaheli ver-
wandten Wapokomo teilen sich
in vier Stämme. Einer beschneidet
nicht: der zweite nur Knaben;
der dritte und vierte beide Ge-
schlechter; die Knaben nach voll-
endetem sechsten Lebensjahr (C.
Denhardt und R. Andrei).
T7„. ,i„., MnoalmtTKm nn^ Fig. 294. Wa k am ba- Knaben, Britisch-Ostafrika Hof-
Von den JlUseinidnen lind mann phot. Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Heiden der < »stküste überhaupt
schreibt Andree, daß die Knaben vor der Beschneidung als „unrein" gelten.
Bruce teilte von den muselmanischen Negern der Quellengebiete des
Nils folgende Beschneidungsfeierliebkeiten mit: Je mehr gleichalterige Knaben
beisammen sind, desto mehr Freundschaften werden bei dieser Gelegenheit
geschlossen, und sie dauern lebenslänglich. Nur Männer dürfen der Feier,
welche an einem abgelegenen Orte stattfindet, beiwohnen. Sie verlief nach
Bruce in der folgenden Weise: Die Griots (Sänger) führten mit ihren Trommeln
den Vortrab des Zuges, und ohne Gesaug wurde langsam ein Marsch ge-
schlagen. Die Marabuts (Priester oder Heilige) der benachbarten Dörfer
folgten paarweise in laugen weißen Röcken und mit langen Hassagaien. Hinter
ihnen kamen in einiger Entfernung die Knaben, welche beschnitten werden
sollten, in lange Gewänder, wie Kutten, gekleidet. Sie gingen einzeln, und
neben jedem ein oder zwei Verwandte, sie zur Standhaftigkeit ermunternd.
Zweitausend bewaffnete Neger beschlossen deu Zug. Auf den Versammlungs-
platz war ein Brett gelegt, auf dessen beiden Seiten sich die Priester und
Vornehmen stellten; in der Mitte des Platzes standen die Knaben und deren
17g Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Freunde, um welche ein Kreis geschlossen wurde. Der erste Marabut ver-
richtete'das Gebet, dann kam der Beschneidungspriester und der Vater
des ersten Knaben, der beschnitten werden sollte, wozu er auf das Brett ge-
setzt wurde.
Die Waseguha im östlichen Deutsch -Ostafrika beschneiden ihre
Knaben schon mit 1—2 Monaten.
Die Waschamba in Usambara, nordöstliches Deutsch-Ostafrika, nehmen
die Zirkumzision im Alter von 3—4 Jahren vor (Keith Johnson).
Die Wasiba im Westen des Viktoria-Sees kennen die Beschneidung
nicht [Eerrmann). ,
Bei den Yao (Wayao) auf dem Makon de -Plateau im südöstlichsten
Teil von Deutsch-Ostafrika ist die Beschneidung mit der Mannbarkeitsfeier
verbunden, welche ihren Turnus vou einem Dorfkäuptling zum andern macht,
also nicht' jedes Jahr in jedem Dorf stattfindet, Weule vermutet, daß die
damit verbundenen Kosten der Grund dieser Abwechslung' sind (vgl. Kap. LVII1).
Zu dem einleitenden Feste werden für die Beschneidungskandidaten Hütten
um den Festplatz herum errichtet, Die Operation selbst aber wird nicht liier,
sondern in einer tief im Walde gelegenen Hütte ausgeführt, wo die Knaben
mehrere Monate hindurch von ihren Anamungwi über Schickliches und un-
schickliches unterrichtet werden, was sich tfäch Wrulc im wesentlichen so zu-
sammenfassen läßt:
„Du, mein Lehrling (Schüler), jetzt bist du beschnitten. Deinen Vater
und deine Mutter, ehre sie. Ins Haus gehe nicht unangemeldet; du möchtest
sie sonst treffen in zärtlicher Umarmung. Vor Mädchen mußt du keine
Angst haben; schlaft zusammen; badet zusammen. Wenn du fertig bist, soll
sie dich kneten; wenn du fertig bist, soll sie dich grüßen: masakam. Dann
antwortest du: marhaba. Bei Neumond nimm dich in acht: dann würdest du
leicht krank werden. Vor Kohabitation während der Regel hüte dich (du würdest
sonst sterben); die Kegel ist gefährlich; (sie bringt) Krankheiten viele."
Die von Weule besichtigte Beschneidungshütte „Daggara" (Fig. 295)
war für 15 Knaben und ihren Lehrer berechnet, etwa zehn Meter lang und
vier Meter breit, mit Türöffnungen in der Mitte jeder Längswand, aber ohne
Verschluß. Die Wände waren aus krummen ästigen Baumstämmen gebildet,
durch deren Lücken der Wind pfiff, und das luftige, schlecht gehaltene Stroh-
dach gewährte ebenso mangelhaften Schutz gegen die kalte Tropennacht.
Auf dem Boden lagen Lö Betten aus Hirsestroh, von denen eins dem Lehrer,
die anderen je einem der 1 5 Knaben gehörten. Auf diesem Lager hatten sie
die schmerzhafte Operation mit zusammengebissenen Zähnen ohne Schmerzens-
laut ausgehalten; sonst wären sie von ihrem Lehrer und ihren Gefährten
ausgelachl worden. Zwischen je zwei Betten lagen grolle Äschehaufen; denn
nachts wurde zum Schutz gegen Frost Feuer unterhalten. .1 oder der Burschen
war vom Scheitel bis zur Sohle mit einer dicken Schicht von Dreck. Staub
und Asche he, leckt, so daß das am Schluß übliche gemeinsame Bad keines-
wegs unnötig war'). Obgleich die Beschneidung bereits einen Monat hinter
ihnen lag, hatte doch der eine und andere noch Eiterungen. - Die Bezeich-
nung für die Kiiabenbesclineidung ist bei den Wayao „Lupanda"; die der
Knalien während der Beschneidungsperiode, von einem bestimmten Moment
an. „Wari". Mit der Beschneidung bzw. der Reifefeier sind typische Tänze
verbunden, darunter eine Masewe, nach den Rasseln'2) an den Beinen der
Tänzer so benannt.
1,1 hat das Bad aber auch hier, wie bei verschiedenen anderen Völkern dieses
[8, die Bedeutung einer ethischen Reinigung,
"J Die Hassel als Symbol des Geschlechtslebens ist in der Völkerkunde wohl bekanut.
§ 249. Knabenbeschneidung bei Hamiten und Negern.
177
Der Unterricht wird nicht in der Waldhütte selbst, sondern auf einem
eigens dazu hergerichteten Platz daneben erteilt. Einen solchen, in der Nähe
von Chingulungulu, hat Weule besucht und beschrieben als eine Lichtung
von etwa 15 — 20 Meter im Durchmesser, kreisrund und von einzelnen
Sträuchern besetzt. Um einen Baumstumpf in der Mitte gruppieren sich
konzentrisch zwei Kreise kleiner Baumstümpfe von 25 — 30 Zentimeter Höhe,
die Sitze der Schüler und ihres Lehrers.
Feuer- und Baumkalt, diese mit dem Geschlechtsleben häufig und innig
verbundenen Kulte, finden sich nach meiner Ansicht zweifellos in Weules Be-
schreibung der Beschneidung und Pubertätsfeier der Makua; denn diese lautet:
Die Makua pflanzen, mitten auf den Festplatz einen vielgegabelteu
Baumast von ganz bestimmten Eigenschaften '), den Männer unter Absingung
Fis
Eine Beschueidungshütte (Daggaral der Wayao. Aus Weules „Negerleben in Ostafrika", S. 209.
eines Liedes") aus dem Pori holen, und der in langem Zug in den Festhütten-
ring getragen wird, wo der Leiter des Festes als Oberpriester steht und ein
Huhn schlachtet, dessen Blut in eine bereitgehaltene Schale fließt11).
In einer zweiten Schale wird Holzkohle zu Pulver gerieben; in einer dritten
Schale roter Ton zerstoßen. Bot-schwarz-rot wird dann der vielgegabelte
Baumast mit diesen drei Stoffen (Blut, Kohle und roter Ton) geringelt. Dieser
Baumast selbst wird Lupanda genannt, d. h. mit dem gleichen Ausdruck wie
die Beschneidung belegt. — Unterdessen haben zwei Männer ein Loch
gegraben, in welches ein Amulett aus zusammengebundenen Stücken von Baum-
rinde4) gelegt wird. Dann füllt man das Loch wieder auf, macht einen
kleinen Hügel darüber und pflanzt den geringelten Baumast darauf.
') Vgl. (S. 174) die Zweige vom heiligen Baum der Kikuyu bei deren Beschneid ungsfeier.
-) Vgl. den Gesang der Kikuyu vor dem heiligen Baum.
s) Vgl. den Charakter der Beschneidung als Akt sittlicher Reinigung bei den Kikuyu.
Wahrscheinlich ist das Huhn der llakua als Opfer, sein Blut als Opierblut aufzufassen.
4) Auch diese Baumrinde dürfte mit dem Baum- bzw. Fruchtbarkeitskult im Zusammen-
hang stehen.
PloO-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 12
178
Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Dann wirft man einen zweiten Hügel auf. Das ist der Sitz für den
Vornehmsten der Kandidaten, eine Parallele zu dem Mittelsitz des Lehrers-
nahe der Waldhütte der Wayao, welche wir bereits kennen gelernt haben. Um
ihn herum gruppieren sich die minder vornehmen Dnyagoknaben auf Baui -
Stümpfen.
Wie die Wayao, so erbauen auch die Makua oeben diesem Platz eine
Hütte, in welcher die Beschneidungs- und Pubertätskandidaten monatelang
§ 249. Knabenbesehneidung bei Hamiten und Negern. 179
leben. Das Erbauen übernehmen Männer, welche gleich darauf „Medizin",
d. h. bestimmte Wurzeln aus dem Busch holen. Diese werden am Abend
des gleichen Tages von einem alten Weib in einem Mörser zerstampft und
hierauf von dem Oberpriester (Munchira) 5—6 Männern tupfenweise auf den
Oberarm gestrichen. Um Mitternacht strömt auf den Trommelschlag des
Oberpriesters hin groß und klein zum Tanz herbei, welcher bis zum nächsten
Nachmittag dauert; es wird geschossen, man verteilt Geschenke unter sich
und au die Lehrer der Kandidaten, und der Oberpriester hält eine Festrede,
in welcher er die 5 — G getupften ') Männer als geweiht erklärt. Diese dürfen
nun ungestraft stehlen, rauben und sich mit den Frauen anderer einlassen,
haben aber die Pflicht, in den folgenden drei Monaten der Beschneidungs-
bzw. Pubertätsperiode allnächtlich um Mitternacht die Trommel zu schlagen.
In diesen drei Monaten bereiten die Frauen ungeheure Mengen Pombe
zum Schlußgelage. Nach Ablauf dieser Zeit findet die folgende Zeremonie in
der Likumbi (Beschneidungshütte). bzw. um sie herum statt. In der Hütte
steht ein rundes Deckelkörbchen (Chihero) mit Medizin. Auch diese wurde (w. o.)
von einem alten Weib zerstampft, welches nun daneben steht2). Männer, die
stillschweigend trockenes Holz auf den Festplatz gebracht hatten, spucken
etwas Festpombe auf diese Medizin im Körbchen, welches dann von der Alten
auf den Kopf genommen wird. Hierauf erfaßt diese eine lange Zeugbahn und
beginnt, mit dem Oberpriester an der Seite, die Prozession um die Festhütte,
wobei die Brennholzsammler die Stoffbahn tragen, damit diese nicht den
Boden berühre, sondern langgestreckt darüber schwebe. Nach dem Umzug-
wickelt der Oberpriester den Stoff um das Körbchen, hält dieses damit der
Reihe nach und in kurzen Zwischenpausen sich an das rechte Ohr, auf Schulter,
Hüfte, Knie uud äußeren Fußknöchel, und eignet es sich dann als Honorar an.
In der darauffolgenden Nacht, etwa eine Stunde nach Mitternacht, steckt
der Oberpriester den erwähnten Holzstoß in Brand, und wenn das Feuer
seinen Höhepunkt erreicht hat und die Männer es umstehen, dann umkreist
er es eilenden Schrittes und spiicht es an: ..Laß die Wunden der Knaben
schnell und schmerzlos heilem den Häuptling aber, der diesmal das Likumbi
feiert, laß recht viel Freude an den Knaben erleben." Weules Frage: „Liegt hier
ein wirklicher Feuerkult vor, oder ist Rundgang und Ansprache auch nur
noch ein letztes, unbewußtes Überbleibsel einer solchen uralten Verehrung des
lohenden Elementes?" glaube ich im Hinblick auf die Bedeutung des Feuers
und Baumes im Völkerleben dahin beantworten zu dürfen, daß das Feuer,
hier wohl wie so oft im ATölkerleben, das Sinnbild der apotheosierten ge-
schlechtlichen Leidenschaft ist, wie der Baumast die Fortpflanzung symbolisiert.
Damit stimmen nicht nur die früher erwähnten Rasseln an den Füßen der
Beschneidungstänzer, sondern auch die Rasselstäbe (Kakalle) in den Händen
der Beschnittenen beim Festzug am Schlußtanz des Unyago; denn auch die
Rassel ist. wie schon bemerkt, im Völkerleben ein häufiges Sinnbild des
Geschlechtslebens. — Das Alter der Beschneidungs-, bzw. Reifekandidaten beider
Geschlechter gibt Weide auf 8 — 10 Jahre an3).
C. Wehrmeister nennt die Beschneidung das „Wesentliche" bei der
Pubertätsfeier der Knaben in Lukuledi. wo es sich auch um Wayao und
Makua zu handeln scheint. In Lukuledi beginne sie nach der Ernte und
erstrecke sich auf die Monate Juli, August und September. Jedes Kind müsse
das große Unyago einmal mitmachen; das Alter sei 7 — 10 Jahre; höheres
Alter haben Kandidaten, die durch Krankheit oder Reisen an einer früheren
') Vgl. das getupfte Weib bei den Jlaskoki-Indianern, Bd. I, S. 99.
-) Dieses Weib scheint also eine Ausnahme von der Regel zu sein. Denn nachS. 3<52(Weule)
soll der Aufenthaltsort der Beschneidungskandidaten keinem weiblichen Wesen bekannt sein.
3) Negerlebeu, S. 360.
12*
180
Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Teilnahme verhindert waren. Auch hier bekommt jeder Kandidat einen Er-
wachsenen als Mkubwa, Patron oder Ratgeber für sein ganzes zukünftiges
Leben, der ihm fast mehr als seine Eltern gilt.
Vor der Beschneidung wird ein Hahn ') als Opfer geschlachtet und mit
seinem Blut ein Baum2) bestrichen, worauf der Hahn mit Ugalibrei von den
Eltern und Mkubwa der Knaben verzehrt wird.
Nach diesem Mahl (Opfermahl?) packt plötzlich ein Mkubwa seinen
Knaben und eilt in die Wildnis, wo ein Beschneider wartet und die Operation
an dem Knaben vornimmt. Bald eilt ein anderer Mkubwa mit seinem Burschen
dem Beschneider nach, der sich nach jeder Operation an einen anderen Ort
begibt. Die Wakubwa verwehren ihren Knaben das Weinen.
Sind alle Knaben beschnitten, dann haut man den mit Blut beschmierten
Baum um und läßt ihn liegen. Die Wunden der Knaben werden nicht ver-
bunden. Diese bleiben mit ihren Wakubwa bis zu ihrer Heilung, also etwa
einen Monat, in kleinen Hütten in der Wildnis und kleiden sich von jetzt an
nur mit geschlagener Baumrinde.
"fc-
if ff 1
■ Spxyyfeggy^
ä(Sie5w*«S»fe
Fig. 2'.i7. Hakua-Knaben mit Rasselstäben (Kakalle) beim festlichen Abschluß ihrer Beschueidungsfeier.
Aus Wen/es „Neg< llel'fn in Ostafrika-'. S. :»,:;.
Während dieser Zeit dürfen die Knaben kein weibliches Wesen, auch
nirht ihre Mütter sehen, wenn diese das Essen bringen. Die Wakubwa holen
es. nachdem die Mütter es in einiger Entfernung von der Hütte hingestellt haben.
Die Patrone selbst dürfen während der Beschneidungsperiode keinen Umgang
mit ihren Weibern pflegen, weil sonst die Wunden der Knaben nicht heilen.
Dieser Glaube zieht dem Mkubwa eines Knaben, der in dieser Hinsicht
Beschwerden hat, sofort den Vorwurf zu, er habe jenes Verbot übertreten.
unter Umständen muß er sogar einem andern Mkubwa seine stelle abtreten8). -
Von den Wasaramo an der mittleren Küste von Deutsch-Ostafrika besitzt
das Museum für Völkerkunde in Leipzig einen Tanzstab, welchen die Knaben
bei der Beschneidungsfeier tragen. Eine Abbildung davon folgt als Fig. 2V)8.
Ferner besitzt das Leipziger Museum Beschneidungsmesser der Wagaya
am Victoria Nyansa-See, welche hier als Fig. 299 abgebildet sind. Die
Wagaya beschneiden Knaben und Mädchen.
Über die Sulu, einen Kaffernzweig in Natal. schrieb im Jahre 1907
Fr. Mayr: Sie ließen sich früher mit 25 Jahren beschneiden. Die gleich-
') Der Halm ist im Völkerleben vielfach ein Sinnbild des Geschlechtslebens.
*) Also abermals Baum und Bi ichneidung im Zusammenhang.
i A.il weitere Branche kommt Kap. LV11I zu sprechen.
§ 249. Knabenbeschneidung bei Hamiten und Negern.
181
alterigen jungen Leute begaben sich zu diesem Zweck auf einen nahgelegenen
Hügel und errichteten da Hütten aus Gras und Zweigen. Die Operation wurde
von einem oder mehreren erfahrenen Männern vorgenommen. Die
Beschnittenen blieben in diesen Hütten ein ganzes Jahr. Alte
Weiber brachten ihnen die Speisen; die Jugend hatte keinen Zutritt.
Demnach ist hier die Beschneidung jetzt nicht mehr üblich.
Im Jahre 1870 schrieb Callaway noch: Die Amazulu (Sulu)
führen die Beschneidung auf einen Befehl Unkulunkulus, ihres
Stammvaters (und Schöpfers?), zurück. Das männliche Geschlecht
solle sich beschneiden lassen, damit es mannhaft werde, nicht
Knabe bleibe '). Unkulunkulu selbst habe beschnitten. - - Nach
Fritsch2) hat bereits Tschdka, der sogenannte afrikanische
Napoleon und Begründer des nationalen Lebens der Sulu, auf die
Abschaffung der Beschneidung hingewirkt.
Andere Kaffernstämme, darunter der südlichste, die Kosa
(Ama-Kosa), übten sie weiter. Bei diesen letzteren ist die Be-
schneidung des männlichen Geschlechtes mit den Uku-tshila-Tänzen
verbunden, welche die Aufreizung der Sinnlichkeit bezwecken.
Gereifte Mädchen nehmen daran teil; jeder Aba-Kvveta, d. i. Neu-
beschnittene, .darf bei dieser Gelegenheit jedes gereifte Mädchen
benutzen. — Ähnlich ging es bei dem Uku-hlobonga der Amazulu
her (SJwoter).
In der '2. Auflage hat Plo/i für die Beschneidung der „Kaf f er"-
(Stämme?) das Lebensalter von 8 — 10 Jahren angegeben und sie
ein höchst wichtiges Fest genannt, das stets im Monat Mai ab-
gehalten werde. Den Beschnittenen, schrieb er, baut man eine
große Rohr- oder Strohhütte, fast wie eine Scheune, in deren kleineren
Abteilungen, bis 25 an der Zahl, sich die Beschnittenen auf-
halten, abgesondert von den Eltern und aller anderen Gesell-
schaft. Man bereitet ihnen das Essen, und erlaubt ihnen auch
wohl, sich selbst Wurzeln zu suchen. Sie sind mit Binsen am
Leibe bekleidet und tragen eine tonnenförmige Binsenmütze. In
der Mitte des September ist erst dieser Aufenthalt beendigt.
Dann kommen die Weiber und tanzen bis
spät in die Mitternacht; auch stellen sich
nach und nach alle Leute der Nachbar-
Fic
Fi^r. 199. Besckneidungsinstru-
mente bei den Wagaya. Links:
Messer zur Beschneidung der
Knaben ; rechts : Messer zur Be-
schneidung der Mädchen (Ex-
stirpation der Klitoris) Im
Museum für Völkerkunde in
Leipzig.
298. Tanz-
stab derWasa-
ramo - Knaben
bei ihrer Be-
schaft ein. Das Oberhaupt der Horde teier. im Muse-
geht mit seinem Gefolge nach der Hütte, guJelnLe^
und aller Unrat um die Hütte herum, zig-
alle Eß- und Trinkgeschirre werden nun
in dieselbe hineingeworfen. Man tanzt bis abends
8 Uhr; hierauf führt man die jungen Leute fort, hinter
welchen die Hütte an vier Ecken angezündet,
wird. Sie dürfen sich aber nicht umseheu, sonst
würden die Genesenen wieder krank werden :!).
Tags darauf werden die Beschnittenen ganz früh in
einen Wald gebracht; dort erhalten sie ihren Lager-
platz unter einem großen Baume auf Matten. Bald
erscheint das Oberhaupt und der Arzt (Zauberer,
M Vgl. das Uku-lilobonga der Sulu (Amazulu) w. u.
a) Bei Floß I, 363.
3) Vgl. die Balemba w. u. — Es ist nicht unwahrscheinlich, daß auch die obigen
Binsen ein Symbol des Geschlechtslebens bzw. des feuchten Elementes sind. Vgl. Kap. XXX.
]g2 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
welcher die Beschneidung verrichtet hat); die Knaben werden mit Korallen und
Hassagaien beschenkt und dadurch gleichsam unter die Krieger aufgenommen.
Hierauf bewirtet man sie. Schließlich laufen auch die Mütter mit Freuden
zu ihren Kindern, werden aber von ihnen mit Stockschlägen empfangen, um
anzuzeigen, daß die Knaben nun Männer und der Aufsicht der Mütter ent-
wachsen sind. Singen, Tanzen und Trinken beschließen die Feierlichkeit.
Das Verbrennen der Hütte und seines Inhaltes hat, nach den Feuer-
zeremonien bei anderen Völkern zu schließen, wohl auch hier einen tieferen
Sinn als nur den der Vernichtung der Hütte und seines Inhaltes; ob als Bild
des abgeschlossenen Kindes- und Anfang des Manneslebens, ob als Bild der
Reinigung usw., muß wohl einstweilen unentschieden bleiben.
G. Fritseh erzählt, daß sich bei den Kaffern die jungen Burschen zur
Zeit der Pubertät unter der Obhut eines altern Mannes in die Wildnis zu-
rückziehen, sieh mit weißem Ton bemalen und eine Genossenschaft bilden.
Nun vollzieht ihr Mentor an ihnen unter den eigentümlichsten, mit Peinigungen
und Disziplinar- Prüfungen verbundenen Zeremonien die Zirkumzision. Jeder
Knabe hat seine abgeschnittene Vorhaut hinwegzutragen und im Stillen irgendwo
zu begraben, damit mit derselben kein schadender Sympathiezauber getrieben
werde. Dann folgen Aufzüge in phantasti&chen Trachten, obszöne Hand-
lungen1), zuletzt Waschungen im Flusse.
Das Auspeitschen der Beschneidungskandidaten usw. wird in Kap. LVIII
beschrieben werden; hier sei im voraus bemerkt, daß die Beschneidung auch
bei den Kaffern einen wichtigen Bestandteil der Aufnahme in die Reihe der
Männer ausmacht (vgl. Lukuledi w. u.).
Ähnliches gilt von den Basuto oder Sotho, einem Zweig der Bet-
schuanen im britischen Südafrika, welche die Beschneidim? und Aufnahme
unter die Erwachsenen-) „Polio" (von volla, d. i. Auszug) bezeichnen, ..weil
die Betreffenden dabei ins Feld ziehen" (?). Hier geht die Sage, es sei ein-
mal jemand gekommen, der sie hätte bewegen wollen, die Beschneiduno- an-
zunehmen. Da habe man sich erst vergewissern wollen, ob man nicht vom
Beschneiden sterbe. Man habe also erst an einem Fremdling den Akt probiert,
und als man gesehen, daß es ihm nichts geschadet, habe man die Beschnei-
dung eingeführt. Dalier noch heute stets Jünglinge von andern Stämmen am
Polio teilnehmen. —Endemann meinte, daß nach diesen Sagen die Beschnei-
dung der Basuto mohammedanischen Ursprungs sein könne. - Dafür
spräche auch der ('instand, daß die dortigen Beschneidungskandidaten in Na-
tionalliedern „Krokodilskinder" genannt werden, was nach Plofi I, 364 ent-
weder auf äthiopischen Ursprung, oder aber auf die beim Polio stattfindenden
Waschungen hinweisen soll.
Beides wäre möglich; wahrscheinlicher aber dünkt mir ein tieferer Sinn
dieses Wortes, der abermals aus dem Hauptzug im Leben der Heiden-
welt, aus dem Geschlechts- bzw. Fruchtbarkeitskull entsprangen sein dürfte.
Denn das Krokodil ist, wie die Eidechse und Schlange, unter anderm ein
Bild der Zeugung. Was aber den „Fremdling" der Basutosage betrifft,
so scheint er ein Balemba gewesen zu sein, wie wir auf S. 183 sehen werden.
Das Polio der Basuto findet nach Endemann nicht jedes Jahr statt,
ist aber in seinem weiteren Sinne, d. h. als Pubertätsfeier, obligatorisch für
beide Geschlechter; wer sich ihm entziehen wollte, würde aus dem stamm
ausgestoßen oder gar getötet werden. Doch nur das männliche Geschlecht
hat sich der Beschneidung, dem einen Hauptteil des Polio, zu unterwerfen.
l) Siel i ku-tshila-Tänze S. 181.
-i Beider Geschlechter. Vgl. Kap. LVU und LVIII.
§ 249. Knabenbesehneidung bei Hamiten und Negern. 183
Die Beschneidung wird vom Xaka an einem bestimmten Ort vollzogen.
Wehe dem. der dabei Angst zeigt, oder Zeichen des Schmerzes vou sich gibt!
Er erhält unbarmherzige Schläge mit Ruten vom beiwohnenden älteren Manns-
volke. — Nach vollzogener Beschneidung tritt an Stelle der bisherigen Be-
deckung der Lenden ein Schurz, welcher dem der Mädchen gleicht. Die Be-
schnittenen bleiben drei Monate im Felde, bis sie völlig heil sind. Während-
dem vertreiben sie sich die Zeit mit Singen und Tanzen; außerdem werden
sie „geschult" von einem dazu gesetzten Aufseher. Die Schulung betrifft
„die Einweihung in alles, was ein Mann zu beobachten hat". Dabei erhalten
•die Schüler von den sie besuchenden älteren Beschneidungsklasseu oft un-
barmherzige Schläge, die um so unbarmherziger sind, je mehr einer Zeichen
■des Schmerzes von sich gibt. Eine bestimmte Zeit dürfen die Xeubeschnittenen
kein Wasser trinken; hartes Staupen straft die Übertretung dieses Verbotes. Die
Speise wird den Beschnittenen täglich von bestimmten männlichen Personen
ins Feld getragen: eine weibliche darf ihnen nicht nahen. Nach Verlauf von
drei Monaten ziehen die Beschnittenen, mit einem neuen kxesoa angetan, nach
Hause. - Alle, die zusammen das Polio durchmachen, bilden eine xoera
(Kameradschaft, also einen Bund).
Unter den Basuto und Bathonga lebt zerstreut der Bantn-Stamm der
Balemba, Von ihnen schrieb im Jahre 1908 Missionar He)ui A. Junod:
Sie hängen mit Überzeugung an der Beschneidung (ngoma). Junod zweifelt
nicht, daß liier semitischer Einfluß vorliegt, da die Balemba das jüdische
Verbot, Fleisch von ungeschäehteten Tieren zu essen, beobachten.
Übrigens hat Nauch (bei B. Andree) auf den auffallend jüdischen Typus der
Balemba hingewiesen.
Anknüpfend an die Basutosage (S. 182) von der Einführung ihrer
Beschneidung durch einen Fremden ist die folgende Mitteilung Junods
besonders interessant. Ein alter Shangaan erzählte -Junod nämlich, daß die
Balemba früher die Beschneider der Basutos gewesen seien. Sie hatten
den Zauber zu besorgen für die kreisförmige Umzäunung der Beschneidungs-
hütte. um sie gegen böse äußere Einflüsse zu schützen1); ihnen kam es auch
zu, die Hütte an dem Tage in Brand zu stecken, an welchem die beschnittenen
Knaben wieder heraus durften. Sonst wagte es niemand zu tun. Die Knaben
selbst mußten die Hütte laufend verlassen und einem nahen Teich zueilen,
wo sie ein Bad nahmen. Zurückblicken zur brennenden Hütte war ihnen
<treug verboten, da der Anblick des Feuers ihre Augen durchbohren und sie
■erblinden würden'-). Aber die Balemba, die Herreu des ngoma, fürchteten
das nicht.
Es scheint also, daß die Balemba es waren, welche den Basuto die
Beschneidung brachten.
Sicher ist. nach Junod, daß sie diesen Brauch bei den Bavenda ein-
führten.
Beschneidung üben ferner die erwähnten Bathonga, unter welchen die
Balemba leben; ebenso die Barolong.
Auf Madagaskar ist die Beschneidung allgemein. Eine Unterscheidung
•der Bräuche nach Malayen und Negern dürfte bei der dortigen ethnischen
Vermischung kaum überall möglich sein. Jene der malayischen Howa werden
im folgenden Paragraphen besprochen. Wahrscheinlich ist aber ein Teil davon
auch der kraushaarigen Bevölkerung an der Westküste gemeinsam. Von
dieser schrieb Plofi (2. Aufl.). daß die beschnittenen Knaben ihr Präputium
') Diese Mitteilung wirft auf die Umzäunung der Beschneidungs- bzw. Rekonvaleszenz-
hütten auch anderer Völker ein Licht.
2) Vgl. das Verbot der Kaff'er auf S. 181 f.
134 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
in Branntwein verschlucken mußten. — Bei den Bara warfen die Väter die
Präputien in den nächsten Fluß. - Nach likharchon bestimmt bei den Bara
heutzutage noch ein Wahrsager die Zeit der Beschneidung und erhält dafür
einen halben Ochsen und einen Speer.
Bei den Sakalaven auf Madagaskar finden Zeremonien erst nach glücklich
ausgefallener Operation statt. C. Keller spricht in diesem Fall von einem
„Dankfeste". Die Beschneidung findet nach Grandidier unter Beisein der Ver-
wandten statt, die das Kind mit ihren Gewändern bedecken, während der Vater
es im Arme hält. Der Operateur benutzt ein schlechtes Rasiermesser. Die ab-
geschnittene Vorhaut wird in eine Flinte geladen, oder auf die Spitze einer
Lanze gesteckt und über das Dach des väterlichen Hauses geworfen. Fällt
der Speer gerade stehend zur Erde, so ist dies ein gutes Zeichen: Der Knabe
wird mutig. — Der Körper des Kronprinzen aber ist nach madagassischem Begriff
heilig, weshalb dessen Oheim das Präputium zu verschlucken hat (Grandidier).
Die Antankarana am Ambro-Gebirge, ebenda, haben etwas andere
Gebräuche, als die Sakalaven. Die Beschneidung der Knaben findet bei ihnen
statt, wenn sich mehrere Kinder, Säuglinge und solche bis zu sechs Jahren,
eingefunden haben. Der Angesehenste der Familie (gewöhnlich der Älteste
nimmt die Zeremonie vor. Nachdem sich die Kinder mit ihren Eltern und
sonstigen Verwandten in seinem Dorfe eingefffnden haben, und man sich durch
Trinken und Essen in die richtige Feststimmung versetzte, wird ein Ochse
gebracht, zu Boden geworfen und gefesselt, Den Kopf des Tieres richtet man
nach Osten. Nun nimmt der Alte einen Topf Wasser und begießt unter
Gebetmurnielu das Tier vom Kopf bis zum Schweife. Dann stellt oder setzt
er sich hinter den Ochsen, in der Hand ein Stäbchen haltend. Mit diesem
klopft er viermal auf die Rippen des Opfers, dabei Gesundheit. Reichtum und
anderes Gut für die Kinder erflehend. Darauf wird der Ochse durch Zer-
schneiden der Halsader geschlachtet und sein Fleisch - - bei den Antankarana
ist kein Körperteil des Viehs „fadi" ') -- gegessen. Die Hörner mit einem
Stück Schädeldecke steckt man auf lange, oben zugespitzte Stangen mitten
im Dorfe. Hier wird aus Bootssegeln und anderen Tüchern ein dicht ver-
schlossenes Zelt aufgestellt, in welchem die Beschneidung durch den Alten
vorgenommen wird. Einen der Knaben nach dem anderen geleitet man hinein.
Die Operation geschieht mit einein beliebigen .Messer, gewöhnlich Rasier-
messer, in gleicher Weise wie bei den Orientalen. Die abgeschnittene Vor-
haut laden die Verwandten in eine Flinte und schießen sie unter Frohlocken
in die Luft oder gegen die Ochsenhörner hin. Essen, Trinken oder Tanzen
beschließt das Fest.
Vom südöstlichen Afrika zum südwestlichen übergehend, finden wir die
Beschneidung bei den Herero, die ihre Söhne dieser Operation im Alter von
fünf Monaten unterwerfen. Zu den alttestainentlichen Israeliten bildeten sie
vor der deutschen Ära insofern ein Seitenstück, als sie, gleich jenen, auch
Fremde, die sie ihrem Volke einverleibten, d. h. ihre Kriegsgefangenen:
Bergdamara, Hottentotten und Buschmänner, beschnitten, wie vom Sanitäts-
amt in Windhuk berichtet wird.
An einem als heilig- erklärten Ort wird die Beschneidung östlich von
Loanda bis zum Reiche des Muata .lamwo, also im nördlichen Angola
und den angrenzenden Gebieten des Kongostaates vorgenommen. Das
\lter der Kandidaten umschließt 8 — 10 Jahre (li. Andree).
l\{ni Pogge berichtete nach seinen Erfahrungen „Im Beiche des Muata
Jamwo" von den Songo-Negern. Die zu Beschneidenden. Knaben von
8 — 10 Jahren, ziehen gemeinsam mit dem Arzte und seinen Assistenten an
') Die Bedeutung des „fadi"' oder ,.fady" s. S. 191, Anm.
§ 249. Knabenbeschneidung bei Hamiten und Negern. 185
einen fern vom Dorfe gelegenen Ort, bauen sich hier Hütten und friedigen
dieselben mit einem hohen Zaun1) aus Flechtwerk ein. Sie verbringen hier
meistens viele Wochen und beschäftigen sich während dieser Zeit hauptsächlich
mit zeremoniellen Gesängen. Niemand hat Zutritt zu diesem heiligen Ort.
Die Mütter bringen Lebensmittel, jedoch kein Fleisch, weil den Kandidaten
der Fleischgenuß verboten ist; sie dürfen auch nicht in den geheiligten Kaum
eintreten, um ihre Söhne zu sehen. Sobald die Operation vollendet ist, zieht
der Arzt mit seinen Pflegebefohlenen auf die Jagd; nach Erlegung eines
Stückes Wild wird dies von der Gesellschaft teilweise verzehrt, dann ziehen
die Knaben mit dem Operateur ins Elternhaus zurück. Zum Zeichen, daß
sie entlassen sind und Fleisch wieder essen dürfen, überbringen sie ihren
Eltern ein Stück von dem erlegten Wild. Die Angehörigen geben ihren
Söhnen meistens ein Fest, bestehend in Tanz und fröhlicher Bewirtung mit
Speise und Trank; außerdem in der Regel ein neues Kostüm. Die Eltern
bezahlen den Arzt, je nach Umständen, mit einer Ziege, 4 Yards Zeug oder
anderen Gegenständem Stirbt dem Arzt im Exil einer seiner Schützlinge, so
hat er durch Zahlung Ersatz zu leisten, der entweder in einem Sklaven oder
in Vieh besteht.
Von den Kongo-Negern in der Umgegend von San Salvador") und von
Warben (Xgombe Lutete3) schreibt der englische Missionar John H. Weehs:
In der Umgegend von San Salvador ist die Beschneiduug mit andern
Formalitäten verbunden als in der Umgebung von Wathen bei den Ngombe
Lutete.
Wecks beschreibt dann zunächst jene: Im Mittelpunkt einer Gruppe von
Dörfern, aus denen die Beschneidungskandidaten kommen, wird von den Männern
ein großes Haus „vela" auf einem Hügel in der Nähe eines Gewässers erbaut.
Dieses Haus erhält seine Benennung nach dem nganga, der die Kandidaten
empfängt. Ist der Mann ein 'ngang' eseka, so heißt es „eseka"; ist er ein 'ngang'
a lubwiku, so heißt es „lubwiku"4). Beide können auch nebeneinander
besteben, und es hängt dann der Zulauf der Knaben von dem größeren Ruf
des einen oder anderen ab. Die Beschneidung fällt in die kalte Jahreszeit,
d. h. vom Mai ins Oktober. Der nganga, seine Assistenten und Beschneidungs-
kandidaten leben in dieser Zeit, d. h. fünf Monate lang, von den Speisen.
welche die Eltern der Knaben in das Beschueidungshaus schicken. Außerdem
erhält der nganga für jeden Beschnittenen fünf Reihen blauer Perlen. Knaben,
die nicht von selbst zur Operation kommen wollen, was jedoch selten ist.
werden von den ihrigen gewaltsam hingebracht. Während ihres Aufenthaltes
im Beschueidungshaus muß ein Knabe dafür sorgen, daß das Feuer nie aus-
geht; ginge es aus, so müßte seine Mutter ein Huhn als Strafe zahlen5). In
dieser Zeit dürfen die Knaben weder ihre Mütter, noch irgendein weibliches
Wesen sehen. Streit untereinander wird bestraft, indem die Schuldigen einen
Teil der kalten Nacht im nahen Wasser sitzen und dabei mit den am Ufer
sitzenden nganga, Assistenten und Kandidaten singen müssen. Oder sie haben
nackt auf einem Hüo-el zu liegen. Mancher leidet zeitlebens an den Folgen
solcher Strafen. — Die abgeschnittenen Vorhäute werden verbrannt und die
Wunden täglich gewaschen. Obwohl die ßeschneidung zu verschiedenen Zeiten
geschieht, verlassen doch alle erst nach Ablauf der Saison das Haus. Dieser
') Vgl. die L'mz'aunung als Schutzmittel gegen böse Einflüsse bei der Bechneidung der
Balemba und Basuto S. 183; ferner die Beschueidungshütten als Magen der Gottheit, aus
welchem die Kandidaten ihre Wiedergeburt erleben, bei den Papuas im folgenden Paragraphen.
s) Portugiesischer Kongo.
3) Im belgischen Kongo.
l) Den Unterschied zwischen den beiden Männern s. S. 186.
6) Auch hier scheint das Peuer in einem tieferen Sinn aufzufassen zu sein.
Igg Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Zeitpunkt wird festlich begangen. Verwandte und Bekannte kommen in ihrer
besten Kleidung. Flinten knattern, Trompeten erschallen und Trommeln wirbeln.
Ein ,,'ngang' a lubwiku" hat einen mächtigeren Fetisch als ein ,,'ngang"
eseka". Das zeigt er am Ende der Saison. Er läßt sich an den Mittelpfosten
des Beschneidungshauses binden, dieses anzünden und sich unverletzt durch
seinen Fetisch aus dem brennenden Haus befreien.
Als Grund für die Beschneidung (um San Salvador) konnte Wecks
nur erfahren, daß die Weiber Beschnittene vorziehen, Unbeschnittene
nicht heiraten wollen. In manchen Distrikten dürfen Unbeschnittene sich
nicht zu den Beschnittenen hinsetzen. Die Beschneidung ist allgemein üblich.
Nicht allgemein ist sie im Wathendistrikt. Hier findet sie übrigens
manchmal schon 2 — 3 Wochen nach der Geburt statt, bisweilen jedoch im
Alter von 10 — 12 Jahren, oder gar erst mit 20 Jahren. Der Operateur ist
der „nganga kumbi". Er erhält von jedem Knaben zwei Kupferdrähte.
Der Kandidat darf, wie bei anderen Völkern, auch hier einige Zeit keinen
Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht haben, noch von diesem gesehen
werden. Ein besonderes Beschueidungshaus erwähnt Weeks hier nicht. —
Nach der Operation gräbt der Knabe ein ca. 18 Zoll tiefes Loch mit eben-
solchem Durchmesser, erhitzt harthäutige große Bohnen am Feuer, legt sie ins
Loch und sich selbst darüber, um den heißen Dampf aufzunehmen, worauf er
sich in einem fließenden Wasser wäscht. Die AVunde wird mit der Asche
verbrannter Grasstengel eingerieben, worauf der Beschnittene heimgeht und
die Wunde heilen läßt. Dann legt er ein neues Kleid an. und die Sache
ist abgetan.
Daß in San Salvador die Knaben bei der Beschneidung einen neuen
Namen erhalten, ist in einem früheren Kapitel erwähnt worden.
Im Dorfe Vuila, etwa eine Stunde von Inkissi im Gebiete der Kongo -
fälle, wird die Beschneidung der Knaben „in einem gewissen Alter" vor dem
„Fetisch der Beschneidung" unter Anrufung des Fetisches vorgenommen.
Dieser „Fetisch" ist ein ca. 12 m langer und 3 m hoher Portikus aus dünnen
Brettern mit 6 Türöffnungen. Auf jedem Türpfeiler steht eine einen Europäer
darstellende Figur mit einem monströsen Attribut, das an die Phallusembleme
des alten Rom erinnert (Glob. 70, nach P. Briart).
Im belgischen Kongo, und zwar im Osten und Nordosten, sind ferner die
Manjema, Warega, Mangbuttu und Akka, letztere ein sog. Zwergvolk.
Alle üben Beschneidung.
Von den Manjema hat sie Livingstone bezeugt. Sie ist hier allgemein
üblich und wird an den Knaben schon im Kindesalter vollzogen. Soll der
Sohn eines Häuptlings beschnitten werden, dann versucht man die Operation
zuerst an einem Sklaven, da man gewisse Zeiten, z. B. Dürre, für ungünstig
hält; haben sie durch dieses Experiment die geeignete Zeit festgestellt, so
gehen sie in den Wald, schlagen die Trommel und begehen die Zeremonie
festlich. - Den Sitten anderer Afrikaner entgegen schämen (?) sie sich nicht,
von der Zeremonie zu sprechen, und tun es sogar in Gegenwart der Frauen.
Daß die Warega ihre Knaben beschneiden lassen, hat Delhaise berichtet.
Bei dem .Mischvolk der Mangbuttu, die, nebenbei bemerkt, stark semi-
tischen Typus haben sollen, verleiht die Beschneidung persönliche Würde
(/'/„/;' I, 370).
Von den zerstreut unter den Mangbuttu lebenden Akka erwähnt Richard
Andree den Brauch der Beschneidung.
Wir Liehen zum französischen Kongo über.
\ "ii den Bafiote, Fetischdienern an der Loango-Küste, meldete Falk- h-
in ungefähr das Gleiche, was wir oben durch Weeks von San Salvador
erfahren haben, d. h. die Weiber wollen mit l'nbeschnittenen nicht verkehren.
§ 249. Knabenbeschneidung bei Hainiten uad Negern. 187
Die Operation der Knaben nimmt man bei den Bafiote in verschiedenen
Altersstufen vor, sie muß nur vor der Verheiratung stattfinden. — Der Operateur
bedient sich eines Messers. — Prüfungen. Feste, oder überhaupt öffentliche
Zeremonien sind hier mit der Beschneidung nicht verbunden.
Daß die Fjort im französischen Kongo ihre Knaben beschneiden, wenn
diese zur Pubertät gelangt sind, hat D&nnet mitgeteilt.
In Kamerun lassen die Dualla ihre Söhne im Alter von 4 — 5 Jahren
von eigens dafür bestimmten Männern, deren es ein bis zwei in jedem Orte
gibt, beschneiden (Pauli).
Die dortigen Bakwiri unterwerfen ihre Söhne dieser Operation mit
12—14 Jahren. Semitischen Einfluß weist hier B. Andree im Gegensatz zu
Schwarz zurück1).
Die Batanga in Kamerun hingegen lassen nicht beschneiden (Alfred
Kirchoff).
In Dakome wird die Beschneidung, Adagbwiba genannt, allgemein geübt;
in Wydah und an der Küste wird sie im 1^.-16. Jahre, mehr im Innern
bisweilen erst im '20. Jahre, vorgenommen. Ein Laie, kein Fetischmann, führt
sie aus. Der Patient sitzt über einer kleinen, in den Boden gegrabenen
Höhlung. Der Operierende zieht die Vorhaut vor, die. wie gewöhnlich bei
Afrikanern, lang und fleischig ist. Er entfernt durch Manipulationen das Blut
aus derselben. Ein Stückehen Bast oder Stroh, mit Speichel angeklebt, gibt
den Kreis au. wie weit abgeschnitten werden soll. Ein Schnitt oben, einer
unten mit einem scharfen Rasiermesser ausgeführt, vollendet die Operation.
Heißer Sand auf die Wunde gestreut, stillt das Blut. Man wäscht die "Wunde
jeden dritten Tag mit warmem Wasser und gibt Ingwersuppe zu trinken.
Aus Deutsch-Togo teilt Fr. Müller mit:
In Atakpame werden die Knaben zwischen dem achten und zehnten
Jahre ohne besondere Feierlichkeiten und Zeremonien beschnitten. Früher
sollen aber solche beobachtet worden sein. Nach Aussage der Eingebornen
würde diese Beschneidung weder mit der Religion noch mit der Pubertät zu-
sammenhängen. Dennoch spricht für ersteres der Dank, welchen der Be-
schneider der Gottheit ausspricht. Ehe er nämlich das Präputium in das zu
dem Zwecke gegrabene Grübchen legt, sagt er: „Dank, Dank gebührt Gott.
Ich weiß nichts; ich bin ein kleines Kind; Dank, Dank gebührt Gott!-' Das
Grübchen wird hierauf mit Erde bedeckt. Beschneiden darf jeder, der es
kann; Fetischpriester Bind hierfür nicht bestimmt.
Die Ho er beschneiden ihre Knaben zwischen sechs und neun Jahren.
Sie verwenden dazu Stein-, jetzt wohl auch Stahlmesser, schreibt K. Fies.
Nach Zündel beschneiden die Ewe im zwölften Jahre. Über die Be-
deutung des Brauches wissen sie nichts; dieser sei sehr alt.
CruikshanJc erwähnte die Beschneidung bei den Negern in Accra an
■der Goldküste. Nach seiner Ansicht trug sie religiösen Charakter. Das
Aller betrug sieben bis acht Jahre. In neuerer Zeit berichtete Yortisch von
dem Gä-Volk an der Goldküste, das Gesetz des Fetisches verlange Knaben-
beschneidung.
Die Wai-Neger in Liberia nehmen die Beschneidung ihrer Söhne vor
Eintritt der Mannbarkeit oder im (zarten?) Kindesalter vor, wie OsJcar Bau-
maint mitteilt.
l) Xeuesteus, d. h. in den ,. Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten", 24. Bd.
■(Berlin 1911) S. 152 gibt auch Kurt Hassert das Alter der Beschneidungskandidaten bei den
Bakwiri mit 12 — 14 Jahren an und bemerkte dazu, „nach erfolgter Reife"; nach der Be-
schneidung heiraten sie. Kurz habe aber 3 Jahre als dortige Beschneidungszeit augegeben,
und Preuß eine Beschneidung der Bakwiri ganz in Abrede gestellt.
Jg3 Kapitel XXXV11I. Sexuelle Operationen.
Von Sierra Leone, hat Winterbottom Beschneidung erwähnt. Mädchen
und Knaben werden ihr unterworfen. Auch hier findet sich ein religiöses
Moment darin.
Die dortigen Balantes üben sie nach Art der Muselmanen.
Im französischen Nordwest afrika, zwischen Senegal und Gambia, leben
die Djoloff oder Wolof, d. h. „die Schwarzen". Sie unterwerfen ihre Söhne
der Beschneidung mit 15 — 1H Jahren. Nach der Operation tragen die Be-
schnittenen das getrocknete Präputium lebenslänglich bei sich, weil es ein
kräftiges Zeugungsmittel sei (E. de Rochebrime).
Weiter von der Küste entfernt, am obern Senegal und Niger, sind die
Mandingo, welche ihre Söhne und Töchter mit Eintritt der Pubertät, d. h.
mit 12 — 14 Jahren beschneiden lassen. Die damit verbundenen Zeremonien
sind hochfestlich. Schon zwei Monate vorher wird der Tag, an welchem
mehrere junge Leute der Operation unterworfen werden sollen, angekündigt.
Mau schmückt das ganze Dorf mit Blumen auf diesen Tag. Dem Akte selbst
dürfen (bei den Knaben?) nur Männer beiwohnen. Die Kandidaten sind
wiihieml zweier Monate von jeder Arbeit frei, bilden in dieser Zeit besondere
Gesellschaften, Solimane1) genannt, ziehen in den Dörfern umher, singen,
tanzen und werden überall gut bewirtet. Die Beschneidung gibt die Erlaubnis
zum geschlechtlichen Umgang und verleiht" überhaupt die Rechte des Er-
wachsenen (LajttiUc und M/dii/o Park).
Zwischen dem oberen Senegal und Niger wohnen auch die von den
Mandingo zerstreuten Soiiinkes (Saraholes, Serechules). Diese lassen
ihre Söhne zwischen 12 und 13 Jahren beschneiden. Bis dabin heißen die
Knaben Munt n' te; nach der Operation bis zu 20 Jahren Yakambane; die
Beschneidung selbst wird mit Salin' de bezeichnet und auf Anordnung des
Vaters von einem Schmied mit einem gewöhnlichen Messer ausgeführt. Man
wählt zur Operation mit Vorliebe die kalte Jahreszeit, d. h. die Zeit von
November bis Februar. Alle zu beschneidenden Knaben haben sich im Hause
des Schmiedes zu versammeln. Die Reihenfolge scheint nach Staudesunter-
schieden festgesetzt zu sein; denn Fernand Daniel schreibt: „Celui-ci (der
Schmied) commence par circoncire les forgerons, les griots 2), les domestiques,
et termine par les gens de qualite." — Nach der Abschneidung des Präputiums
bestreuen die Knaben selbst ihr Glied mit warmem Sand oder Asche, bleiben
vier Wochen in einem besondern Hause beisammen, brauchen in dieser Zeit
nicht zu arbeiten; das Essen bringt man ihnen. Als Grund und Zweck gibt
Daniel hier Hygiene an. — Der Operateur erhält zum Lohne die Kleider,
welche tlie K andidaten am Tage der Beschneidung trugen. Jede Beschneidung
wird mit einem großen achttägigen Tam-tam gefeiert, an welchem das ganze
Dorf teilnimmt. —
Durch den Islam kam die Beschneidung auch zu den Nachkommen
ehemaliger Negersklaven in Brasilien. Ignace Etienne berichtet sie
von der dortigen moslemischen Sekte der Males, welche die Beschneidung ge-
sunder Knaben innerhalb der ersten acht Tage nach der Geburt verlangt.
Krankheil gestattet Verzögerung. — Dieser mit dem jüdischen zusammen-
fallende Beschneidungstermin ist um so interessanter, weil es wahrscheinlich
ist. daß die Nachkommen der Negersklaven diesen Termin von ihren Vorfahren
übernahmen, und daß diese ihre altafrikanischen Sitten mit in den neuen
Weltteil nahinen.
Dieser Beschneidungstermin scheint also die in neuerer Zeit wiederum
auftauchenden Annahmen, z. B. Brinehers und Schwarzs, zu stützen, daß
'i Auch eine weibliche Solimane sah Mungo Park.
a) Die griots sind die Sänger und Spaßmacher der Soninke und anderer Negervölkelt
§ 2.50. Knabenbeschneidung b. malayisch-polynesischen Völkern inkl. Papuas u. Australier. 189
und
und
die Beschneidung verschiedener Negervölker doch auf semitischen Einfluß
zurückzuführen sei ').
Die Auin-') und Tannekwe- oder Sumpf-Buschleute üben nach H. Kauf-
mann bzw. Franz Seiner*) die Beschneidung nicht. -- Die Kastration der
Hottentotten ist früher erwähnt worden. Somit können wir nun zu den
malayisch-polynesischen Völkern übergehen.
§ 250. Knabenbeschneidung bei malayisch-polynesischen Völkern inkl.
Papuas und Australier.
Zu der Gruppe dieser Völker gehören, wie in früheren Kapiteln wieder-
holt bemerkt, die Howa auf Madagaskar4). Ihre Anschauungen über die
Beschneidung und die damit verbundenen Bräuche der Vergangenheit
■Gegenwart hat in neuester Zeit (1909) Paul Camboue teils nach AUnal
La Vaissiere, teils nach eigener Beobachtung
mitgeteilt und eingehend beschrieben. Nach jenen
beiden Quellen verliefen die Zeremonien vor
dein Jahre 18B9 folgenderweise:
Die Regierung (autorite) verordnete alle
sieben Jahre5) die Eröffnung der Feierlichkeit.
Nachdem dieses geschehen war, erging an alle
Häuptlinge jener Dörfer, in welchen die Be-
schneidung (Zirkunizision) stattfinden sollte, der
Befehl, jedem der Zauberei Verdächtigten das
tangena zu reichen, um das Reich von diesen
Urhebern alles Unheils zu reinigen. Mit dem
Reichen des tangena erwartete man ein Gottes-
urteil. Der Trank bestand nämlich in Wasser,
worein man ein Fruchtkorn des tangena-Baumes
(tanghinia venenifera, Poir.) geraspelt, und wor-
über der mit der Handlung Beauftragte Flüche
aussprechen mußte. Mit diesem Getränk hatte
der Verdächtigte drei Fetzen Hühnerhaut zu
verschlingen; gingen diese nicht unverletzt ab,
dann war er als Zauberer überwiesen und mußte
sterben.
Eine zweite Vorbereitung zur Beschnei-
dungsfeier war, wenigstens unter der Regierung des Königs Andriamspoinimerinä,
d. h. des Prinzen im Herzen von Imerina (1787 — 1810), das Frisieren. Damals
trug jeder Howa beider Geschlechter die Haare lang, welche zur Beschneidung
nach einem bestimmten Ritus frisiert werden mußten. Das geschah auf dem
Gemeindeplatz der Hauptstadt. Zur Eröffnung dieser Zeremonie wurde ein
weißgefleckter Ochse geopfert; zum Schluß feuerte man schweres Geschütz ab.
Von diesem Tag an erfüllte die Freude alle Dörfer, welche der Schau-
platz der Beschneidung werden sollten. Tag und Nacht fort dauerten Ge-
sänge und Tänze der von allen Seiten herbeiströmenden Gäste, für welche
zahlreiche Ochsen geschlachtet wurden6).
:) Über Brinckers Begründung s. S. 150.
2) H Kaufmann, Die Auin-Buschleute, 142.
3) Die Buschmänner des Ukawengo- und Sambesigebietes. Glob. 97, 344.
4) Da die Sprache aller Völker auf Madagaskar das den polynesischen Spraehstamm
augehörige Madagassi ist, könnten wir übrigens auch die Bevölkerung mit Negertypus mit
den Howa klassifizieren. Doch sielie diese im vorigen Paragraphen.
6J Alle über acht Tage alten Knaben ohne Ausnahme mußten auf königlichen Befehl
bei der öffentlichen Beschneidungsfeier beschnitten werden.
6) Da Camboue hier das Verbum „immoler" gebraucht, muß vielleicht auch hier an ein
Opfer gedacht werden.
Fig. 300. Easchmann-Knalip. Im K.
Ethnographischen Museum in llüuche n.
|90 Kapitel XXX VI II. Sexuelle Operationen.
Zu dem feierlichsten Tag- der Beschneidungsperiode wurde das ran»
masinä (das heilige Wasser), welches bei der Beschneidung verwendet werden
sollte, feierlich von einer abergläubisch verehrten Quelle geholt. Hofbeamte
in hochfestlicher Tracht waren mit diesem wichtigen Akte betraut. Sie be-
reiteten sich mehrere Tage dazu in einem Zelte vor und brachten das Wasser
triumphierend in einer Kürbisschale, welche der König mit eigener Hand
präpariert und verziert hatte ]).
Bei dieser Gelegenheit wurde der größtmögliche Prunk entwickelt. So
seien bei der letzten Beschneidung königlicher Prinzen zwei kräftige, als
„Helden der Toilette-' betitelte Männer unter der Last der goldenen und
silbernen Ketten zusammengebrochen, mit welchen man sie belastet hatte.
An diesem Tag wurde ferner der „große Leuchter" hergerichtet. Das
war ein Bananenstamm2) (Musa paradisiaca oder Musa sapientum), auf dem
ein Topf mit Kuhmist stand. Letzterer wurde in Dochtform gebracht und
angezündet.
Am Tage darauf führte der König und sein ganzer Hof einen Tanz auf
einer rautenförmigen Zeichnung auf der Erde aus, wobei der Herrscher die
vertikalen, seine Suite die transversalen Linien tanzte3). Auf dem Lande
führte man solche Tänze auf dem Basen aus; sie dauerten manchmal drei
aufeinanderfolgende Tage.
Der vorletzte Tag vor dem Beschneidungstag war der Tag der Segnung.
Diese bestand darin, daß man den zu beschneidenden Kindern alle irdischen
Güter, Gesundheit, Freude und ein glückliches Alter wünschte, worauf ein
geschickter Eedner in bilderreicher Sprache ihre zukünftige Kraft, ihren
zukünftigen Ruhm und Reichtum schilderte und, den Propheten spielend, sie
als Helden wunderbarer Taten pries. Währenddessen besprengte mau die
Kinder mit dem heiligen Wasser, dem reiner Honig beigemischt worden war.
Von der Mitternacht vor dem Tag der Beschneidung an ist alles auf
den Beinen. In kriegerischer Ausrüstung schleichen Männer aus dem Dorfe,
wählend das übrige Volk sich in der großen Beschneidungshalle versammelt.
Noch ehe die Morgenröte erscheint, erschallt vor dem Dorf das Geschrei
der zurückkehrenden Männer in Kriegsrüstung. Sie bringen in einem Kürbis
frisches Wasser, um damit die Schmerzen der Wunden zu lindern, werden
aber von dem herbeieilenden Volk mit einem Hagel von Steinwürfen und
Wurfgeschossen aller Art empfangen. Sie beschleunigen ihre Schritte und
suchen das Wasser mit ihren Schildern zu schützen; denn wenn dieses ..starke
Wasser" ( ratio mahenl verschüttet würde, dann müßte die Beschneidung auf
einen andern Tag verschollen werden, weil es ein böses I >men wäre.
.Mittlerweile reißt man die zu beschneidenden Kinder aus dem Schlaf
und bring) sie in die dicht mit Menschen gefüllte Beschneidungshalle, wo die
glänzend uniformierten Krieger ihre Lanzen schwingen, dabei auf ihre Schilder
schlauen und ein fürchterliches Kriegsgeschrei erheben, das sich in der Menge
fortpflanzt.
Schließlich vollzieht der Oberpriester*) die Beschneidung unter dein Weinen
der Kinder und den diesen ausgesprochenen Glückwünschen.
Im folgenden Jahr ließ damals der Herrscher die Danksagung (für den glück-
lichen Verlauf?) veröffentlichen und ordnete abermals öffentliche Lustbarkeiten
an. I>ei dieser Gelegenheit wurden die seit dem letzten Fest gebornen Kinder
') . . . dans une gourde preparei et ornee de la main royale elle-meme (vom König
eigenhändig . . .'').
Vgl. S. 191.
') Es dünkt mich Dicht unwahrscheinlich, daß auch hier an den schon früher au-
gedeuteten Sinn der Kreuzung, d.h. an den Zeugungsakf zu denken ist.
4) Le pontife de la Circoncision (Camboui).
§ 250. Knabeubeschneidung b. nialaviseh-polynesischen Völkern inkl. Papuas u. Australier. 191
beschnitten und ein Dankesjubiläum verkündet. Alle Verbrechen wurden ver-
ziehen und alle Gefängnisse evöfi'net.
Von diesem Jubeljahr bis zum nächsten Beschneidungsjahr lagen fünf
Jahre Zwischenzeit, was später, als diese Aufeinanderfolge in Vergessenheit
geraten war. zu der irrigen Annahme führte, daß die Howa zwei periodisch
wiederkehrende Beschneidungsfeste hätten, von denen das eine alle fünf, das
andere alle sieben Jahre wiederkehrte.
Nach diesen Referaten über die Beschneidungszeremonien vergangener
Zeiten schildert ( 'amboue das Resultat seiner eigenen Erfahrungen in der Gegen-
wart, welche folgendes Bild geben:
Seit der offiziellen Abschaffung der allgemeinen und periodischen Be-
schneid ungsfeier bestimmt in Imerina jede Howa-Familie den Tag der Be-
schneidung ihrer Kinder nach Gutdünken. Die kalte Jahreszeit wird vorgezogen ;
nach madagassischer Annahme würde die Wunde nach der Beschneidung während
der heißesten Tage länger zum Heilen brauchen. Gewöhnlich unterwirft
man jetzt die Kinder der Operation nach dem ersten Lebensjahr, doch kommt
sie auch früher vor. Je nachdem das eine oder andere der Fall ist. wechselt
der Ausdruck für die Beschneidung selbst, welche u. a, auch: Güte.
Schönheit. Dank (Anmut?). Freude genannt wird. Der Sinn der übrigen
Benennungen sei realistischer.
2 — 3 Tage vor der Operation versammelt sich die Verwandtschaft zur
Wahl der Väter oder Paten und der Mütter oder Patinnen der zu beschneidenden
Kinder. Daß die Beschneidung seines Kindes stattfindet, darf aber der Howa
nicht jedermann sagen; das wäre fädy1); das Kind müßte sterben. Während
der ganzen Woche, welche der Operation vorangeht, darf der Vater des zu
beschneidenden Kindes mit der Mutter nicht in einem Bett schlafen. Die
gleiche Vorschrift haben die Patinnen zu beachten, sonst gelingt die Operation
nicht. (Also eheliche Enthaltung!)
Eine andere Vorsichtsmaßregel zu einem guten Gelingen ist das mifa-
diträ ahiträ, d. h. eine Art Reinigungszeremonie, welche darin besteht, daß man
Kräuter (ahiträ) über den Kopf wirft (wem?). Auch müssen die Männer das
Haupt entblößen, wenn sie das Haus betreten, in welchem ein Kind beschnitten
werden soll; hingegen sind die gewöhnlichen Grußformeln untersagt.
Das aus frühereu Zeiten erwähnte heilige Wasser und der Bananen-
stamm spielen auch heute noch eine Rolle. Zwar bemerkt hier Camboue
nichts von einer feierlichen Abholung dieses heiligen Wassers; aber beim
Herbeiholen des Bananenstammes singt die tanzende Menge, indem jedermann
mit der rechten Hand sein loses Gewand (lamba) schüttelt: ,.0 heiliges Wasser!
Wasser der Kraft (Tugend?)! - - Was ist es denn für ein Wasser? Es ist
das heilige Wasser, das Wasser der Kraft (Tugend?)."
Über die Behandlung des Bananenstammes berichtet Camboue: Im Hause,
wo die Beschneidung stattfinden soll, angekommen, schneidet man den herbei-
gebrachten Stamm in mittlerer Mannshöhe ab und pflanzt ihn in der nordöstlichen
Ecke, d. h. in der heiligen Ecke (zorofirarazana) des Hauses in die Erde,
worauf man die schon früher erwähnten irdenen Töpfe mit getrocknetem
Kuhmist (als Docht) auf dem Stamme anbringt. Der Kuhmist ist mit Talg
bestrichen und von drei Quarzsteinen umgeben. Diese eigens für die Be-
schneidungszeremonie hergerichtete Lampe (fototra) wird dann angezündet und
muß bis zum nächsten Morgen von Männern brennend unterhalten werden.
Wurde ein Weib diesen Dienst sich anmaßen, dann würde der zu beschneidende
Knabe nie „ein Mann", sondern kraft- und mutlos werden.
2) Fädy, dem ,,tabu;c anderer Völker entsprechend, bedeutet auf Madagaskar verboten,
unglückbringend, aber auch heilig (Camboue. Anthrop. IL 984, Anm. 2).
192 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Die Segnung des zu beschneidenden Kindes, welche in der früheren
Schilderung am vorletzten Tag vor der Operation stattfindet, wird jetzt inlnierina
in der Nacht vor der Beschneidung vollzogen. Man füllt zu diesem Zweck eine
hölzerne Getreideschwinge mit Wasser und wirft silberne Kettchen hinein.
Diese werden dann von drei Männern mit einem Stengel der fantaka, einer
Art Rohr, bis zu zehnmal nacheinander in die Höhe gehoben, wobei die
Männer dem Kind Reichtümer wünschen.
Beim ersten Hahnenschrei bereitet man zum Herbeiholen des „starken
Wassers" l) vor: Jemand aus der Versammlung befestigt einen Stengel Quecken-
gras oder eine Kletterpflanze, oder Gorcania pennigera, Tulsn., welche nach
früherem Glauben die Stiere mutig machte, an den Hals einer Kürbisflasche.
In dieser Flasche holen Männer, die man aus den stärksten und tapfersten
aussuchte, das ..starke Wasser", wozu sie sich ihr lamba fest um die Lenden
gürten, ein Bild des Mutes und Eifers für die bevorstehende Handlung. Wie
schon weiter oben erwähnt, wäscht man mit diesem Wasser die Wunden der
Beschnittenen aus. Die Männer, welche es holen, singen auf dem ganzen
Weg: „Das .hinge des Vogels voromahery legt seine Eier auf den Felsen!"-')
Streit, gegenseitige Ulihöflichkeit dieser Wasserbringer auf dem Wege ist
fädy, unglückbringend. Eine Verletzung djeses fädy hätte eine mißglückte
Beschneidung zur Folge.
Nach der Ankunft des starken Wassers (rano mahery) schreitet der Be-
schneider an seine Arbeit. Dieser hatte am Vorabend im Dunkeln allein
kommen müssen, und kein Weib durfte in dem Hause sein, in welchem er
diese Nacht schlief. (Also wiederum eheliche Enthaltung, ja noch mehr.)
Das zu beschneidende Kind wird auf eine Trommel oder in Ermangelung
einer solchen auf einen Mörser gesetzt; das Instrument des Operateurs ist
ein eigentümlich geformtes eisernes Messer mit Griff und Klinge in einem
einzigen Stück. (Eine Abbildung davon siehe bei Camhoue, Anthropos IV, 381.)
Unterdessen ergreift ein Assistent einen Assagai (Mona) oder eine Lanze,
die er, sobald das Blut fließt, schwingt und auf die Türschwelle stößt, wobei
er, wenn das Kind ein freigebornes ist, ruft: „Du, o du, mögest du ein Ideal
der Schönheit sein! 0 du, mögest du ein Ideal der Güte sein! 0 du, mögest
du nicht auf Abwege geraten! Mögesl du nicht ein wankelmütiger Tauge-
nichts1) sein! 0 du. mögest du von deinem Herrscher geliebt werden! Mögest
du vom Volke geliebt werden!"
Vor der Abschaffung der Sklaverei durch die Franzosen wünschte man
dem beschnittenen Sklavenkind: „0 du, mögest du stark zur Arbeit sein!
.Mögest du fleißig Gras sammeln! 0 du. mögest du von deinem Herrn geliebt
werden! Mögest du dich selbst loskaufen können!" —
Nach der Operation muß der Vater des Kindes das abgeschnittene
Präputium mit einer Banane essen. — Der Operateur erhält einen roten Hahn
und etwas Silber (Geld?); das letztere Honorar muß aber erhöht werden,
wenn das Kind während der Beschneidung die Trommel oder den Mörser
beschmutzt hat.
Das Iluwa-Kind erhält während der Beschneidungszeit bisweilen seinen
endgültigen Namen, was besonders bei angesehenen Familien der Fall ist (vgl.
die Kap. XXIII und XXIV).
Die Schilderung der madagassischen Beschneidungsbräuche durch Sibree,
aus welcher Ploß für die 2. Auflage des vorliegenden Werkes schöpfte, deckt
sich teilweise mit jener des Cambou6 b/.w. Abinal und Ln Vaissiere. Zu er-
11 \ g I. I' iblichen früheren Zeremonien auf S. 190.
•i Voromahery ist eine Falkenart, der königliehe Vogel, das Emblem der Dynastie
von Tananan \ o.
J) „Uu vuin inconstanl "
§ 250. Knabenbeschneidung b. malayiseh-polynesiscken Völkern inkl. Papuas u. Australier. 193
wähnen sind aus der 2. Auflage die folgenden zwei Ansprachen. Erstens sagt
man beim Bespritzen der Knaben mit dem heiligen Wasser: „Der Knabe ist
kein Kind mehr, er ist ein Mann, der den Strom zerteilt, der nicht im Netze
gefangen wird. Der Bursche ist ein Bananenbaum im Norden der Stadt (d. h.
er ist windgeschützt) mit ungebrochenen Blättern und jungen, nicht ent-
fernten (?) Schößlingen. Der Bursche ist kein Kind mehr! Er ist ein Soro-
hitra (Vogel) auf dem Felsen. Sein Vieh möge die Ebenen bedecken. Sein
Geld möge ein großes Grab füllen! Seine Sklaven mögen sein Landhaus be-
völkern!"
Zweitens redet der Herrscher vor der Beschneidung seiner Kinder jedes
an: „Werde ein Mann, mein- Bursche! Werde alt! Erobere das Land, mein
Bursche! Sei Herr des Königreichs!" -- Die Knaben aus dem Volke werden
ermahnt: „Werde ein Mann! Werde ein tüchtiger Schütze! Sei gewandt
mit dem Speer! Erreiche ein hohes Alter!" —
Das abgeschnittene Präputium wird nach Sibree1) in ein Bananenblatt
gewickelt und einem Kalb zu fressen gegeben.
Zu erwähnen ist hier ferner aus der 2. Auflage, daß die Krüge mit dem
heiligen Wasser siebenmal -) um das Haus getragen werden, und daß man
vorschriftsmäßig von den zu beschneidenden Kindern das Maß von Hüften,
Schultern und dem ganzen Körper nimmt; ferner daß die Trommel, auf welche
das Kind während der Beschneidung gesetzt wird, im Süden des Herdes, gegen-
über der Türe steht, und daß das Kind sofort nach der Operation am Feuer
erwärmt wird, worauf man es nach Hause bringt.
Was die Prinzen betrifft, so schrieb Sibree, daß sie von einem tüchtigen
Speennann zum Orte der Zeremonie getragen wurden. Auf diesen warf dann
ein verborgener Speerträger einen Speer. Wurde das Kind oder sein Träger
verletzt, so verlor jenes seine Kaste und war nicht länger Prinz; blieb das
Kind unberührt, so galt das als ein Zeichen, daß es ein echter Prinz war 8).
- Der Mutter des Kindes wurden vor der Beschneidung verschiedene Speise-
verbote auferlegt; brach sie dieselben, so verlor das Kind gleichfalls seine
Kaste. — Die Zauberer vollführten die Operation mit einem krummen Messer;
die Wunde wurde von einigen mit Milch gewaschen4).
Eine sinnreiche Zeremonie referierte R. Andree aus Sibree: „Die Mütter
der (zu beschneidenden) Kinder flechten kleine Körbe aus Sandrifyblättern,
für jedes Kind eins, in welchen dieses die unreifen Bananen zu halten hat,
die dann als Faditra oder Sühnopfer weggeworfen werden."
Beim Überblick dieser madagassischen Sitten, welchen ihrer offenbar tiefen
Bedeutung wegen verhältnismäßig viel Baum eingeräumt wurde, dürfte es
schwer sein, mit C. Keller 5) und /«'. Andree6) übereinzustimmen, wenn diese
Gelehrten meinen, es werde auf Madagaskar der Beschneidung eine religiöse
Bedeutung nicht unterbreitet. C. Keller schrieb übrigens: Vor Einführung des
Christentums war die Beschneidung bei den Hova mit großartigen Zeremonien
und Volksfesten verbunden; jetzt wird sie in aller Stille vorgenommen.
Im indischen (malayischen) Archipel, schreibt R. Andree, wird die
Beschneidung von den Muselmanen als echt mohammedanischer Brauch an-
gesehen; „ohne Zweifel" habe sie aber dort schon vor Einführung des Islam
') Vgl. die verschiedenen Verwendungen des Präputiums auf S. 140.
2) Die beilige Siebenzahl in Indonesien ist in früheren Kapiteln erwähnt worden.
3) Bei Floß, 2. Aufl.
*) Vgl. das „starke Wasser" auf S. 100 IT.
6) Ploß hatte (2. Aufl. I, 361) gezweifelt, ob die Malayen die Besehneidung schon vor
Einführung des Islam kannten.
6) Andree weist hier auf G. A. Wüken hin : „De Besnijdenis bij de volken van den
indischen Archipel'-. Abdruck aus den Bijdragen tot de taal-, land- en volkenkunde van
Nederlandsch-Indie. 'SGrarenhage 1885.
Ploß-Renz, Das Kiud. 3. Aufl. Band II. 13
194
Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
bestanden, was u. a. durch Gebräuche und Anschauungen bewiesen werde, die
als heidnische Überbleibsel aufzufassen seien.
Aus Java befinden sich Beschneidungsinstrumente im K. Museum für
Völkerkunde. Eine Abbildung hiervon folgt hier als Fig. 391. — Einzelheiten
über die Ausführung der Operation liegen mir nicht vor.
Die Stäbchen auf unserer Abbildung dürften die gleichen Dienste leisten
wie jene bei den Battak, Heiden im Innern der Nordhälfte von Sumatra, von
welchen Freiherr von Brenner schrieb, daß sich die Knaben im Alter von
9 — 11 Jahren, wenn bei ihnen Schamgefühl erwacht, in der Stille sich selbst
Fig. 301.
Stäbohm, Zange und Messer zur Beschneidung auf Java. Im K. Museum für Völkerkunde in
Berlin.
nach der folgenden Methode beschneiden: Sie bedienen sich dabei eines Messers,
oder, was das Gewöhnlichere ist, zweier scharfkantiger Bambusstäbchen, die
zusannm ngrbunden werden und so an einen Handschuhweiter erinnern. Das
Präputium wird gespalten und dann zurückgeschoben, in welcher Lage die
Wunde verheilt. An dieser Stelle werden später dann und wann kleine, aus
dem Pakpaklande kommende, prismatische Steinchen in eigens dazu angebrachten
ziemlich liefen Schnitten, ad augmentum coitus volnptatan, eingelegt, die in
den meisten Fällen über kurz oder lang Ursache langwieriger Eiterungen sind.
Übrigens scheine diese Sitte in Abnahme begriffen zu sein. —
Nach Richard Andree, bzw. Wilken haben dieMalayen1) von Mitted-
Sumatra für die Beschneidung den Ausdruck „malapekan dari malu", d. h.
') Naeli lii'iu (iliiiibcnsbekenntnis (S. 195) haben wir es hier mit Muselmanen zu tun.
§ 250. Knabenbeschneidung b. rnalavisch-polynesischen Völkern inkl. Papuas U.Australier. 195
von der Schande befreien. Mit der Stelle bei Josua 5, 9: ..Heute habe ich
die Schande Ägyptens von euch gewendet" habe das aber nichts zu tun.
Den Beweis für die Richtigkeit dieser Bemerkung kenne ich nicht. Die
Operation findet im Alter von 10 — 18 Jahren statt; der Patient spricht dabei
dreimal das moslemische Glaubensbekenntnis1).
Im südlichen Sumatra wird die Beschneidung bei den Kubus, einem
Urwaldvölkchen '-), nur gelegentlich, und dann meist bei Eintritt der Pubertät
vorgenommen, wie W. Volz schreibt. Sie wird von besonders geschickten
Leuten ausgeführt. Die abgeschnittene Vorhaut wirft man in fließendes Wasser.
Im östlichen Sumatra sind die Sakai*), ein kulturell niedrigstehendes
Völkchen, das wiederholt als Negritos, neuestens aber von Felix Speiser als
wahrscheinlich malayisch bezeichnet worden ist. Von ihnen berichtet
M. Moszkotoski, der ihnen jede Religion abspricht und einen muselmanischen
Einfluß durch die benachbarten Malayen zurückweist: Der größte Festtag für
eine Sakai-Gemeinde ist jener Tag, an welchem die Inzision an den Jüng-
lingen eines Kampongs vorgenommen wird.
Auf Xias, einer Insel an der "Westküste von Sumatra, beschneiden
die Väter ihre Söhne meistens selbst, wenn diese im Alter von 5—8 Jahren
stehen. Eine religiöse Bedeutung wird der Handlung nach Rosenberg nicht
beigelegt *). R. Andree erwähnt außer der Beschneidung eine Inzision. Diese
finde mit 15 Jahren statt.
Auf Celebes, in der Landschaft Limo lo Pahalaa, findet die Be-
schneidung der Knaben im Alter von 12 Jahren statt. Die Vorhaut wird
gespaltet.
Auf Amboina werden die Burschen mit 12 — 16 Jahren beschnitten.
Die Heiden auf Timor, Sawu, Roti und Sumba beschneiden mit
14—15 Jahren.
Als besonders schmerzlich erwähnt R. Andree das Abklemmen der Vor-
haut bei den 12 — 14jährigen Dayaken im südöstlichen Borneo.
Auf der Molukken-Insel Buru unterwirft man beide Geschlechter der
Beschneidung. Besondere Operateure gibt es nicht.
Beschneidung ist ferner bei den Sakai auf Malakka5) gebräuchlich,
welche Scobel und R. Andree, wie schon bemerkt, zur Papua -Rasse
rechnen.
Auf den Philippinen sind nach Andree nur noch Reste einer Be-
schneidung vorhanden.
Bei den Papuas in Kaiser-Wilheimsland wird die Beschneidung ge-
wöhnlich mit dem Eintritt der Mannbarkeit vorgenommen. Doch gibt es auch
Ausnahmen, d. h. es werden einerseits erst fünfjährige Kinder, anderseits schon
verheiratete Männer beschnitten, weil die Operation nur nach längeren Zeit-
abschnitten vorgenommen wird. Man hat nämlich nicht immer genug Schweine,
die zum Beschneidungsessen gebraucht werden, wie Krieger schreibt, dessen
Schilderung der Zeremonien und sonstiger Umstände hier kurz folgen möge.
Die Beschneidungszeit versetzt die Papuas in Kaiser-Vv ilhelmsland
immer in große Erregung und macht sie gegen Verhandlungen, Anwerbungen usw.
') Über die Ansicht in den Lampong-Distrikten (südliches Sumatra), daß die Be-
schneidung zeugungskräftig mache (Pleyte), an einer andern Stelle.
2) Nach Yolz sind die Kubus „vielleicht die Reste mehrerer uralter Schichten'-, haben
viele Battakworte und einige javanische Worte in ihrer Sprache.
8) Die Sakai auf Malakka sind nach Scobel und R. Andree Papuas (s. w. u.).
4) Nach Durdik bei Pleyte gelten in Nord-Niaa Unbeschnittene als unfähig zum
Koitus; im südlichen Nias begründet man die Beschneidung mit Reinlichkeit (von Rosen-
berg bei Pleyte).
5) Verwandte der Sakai auf Sumatra? Vgl. diese oben. Eine ethnische Feststellung
hier und auf Jlalakka scheint für diese Sakai demnach noch nicht möglich zu sein.
13*
lyg Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
mit und durch die Weißen anempfänglich. Im Stamme der Jabim ist diese
Zeit eine Art treuga dei, d. h. es darf kein Totschlag vorkommen. Dieser Stamm
hat auch Beschneidung ohne Zeremonien. Eine solche findet bei Gelegenheit
eines Schweinemarktes statt und wird nur an einzelnen Knaben vorgenommen.
Zu einer feierlichen Beschneidung hingegen müssen sich die Kandidaten etwa
eineu Monat lang durch strenge Diät vorbereiten. Hierauf werden sie unter
dem Heulen der Weiber und unter den Rutenstreichen der Männer nach dem für
die Beschneidung bestimmten Platz geführt, wo sich das Haus des „Balum"
befindet. Der Magen (Bauch?) dieses mythischen Ungeheuers stellt sich als
eine ca. 3u m lange Hütte dar1), aus welcher bisweilen die Stimme des Balum
ertönt, die natürlich künstlich hervorgebracht wird. An der Hütie angekommen,
ruft man ihn beim Namen und fordert ihn durch Blasen auf Muschel hörnern
auf, herauszukommen. Läßt er sich hören, so bedeutet das sein „Heraufsteigen" -),
und nun beginnen die Männer ihren Gesang oder vielmehr ihr Geheul, und
bringen Schweine als Opfer dar, um das Leben der Knaben zu erhalten. Auch
binden sie, damit das ungeheuer nicht davonlaufe und etwa den Weibern und
kleinen Kindern schade, die Hütte mit Stricken fest.
In dieser Hütte, dem Magen des Balum, findet die Beschneidung statt.
Die Operation wird in verschiedener Weise ^vorgenommen. In der Kegel
besteht sie in der Spaltung der Vorderhaut, oder in einem Einschnitt
in die Eichel, und soll dadurch nach der Ansicht ..aufgeklärter" Papuas
schlechtes Blut entfernen und eine kräftige, rasche Entwicklung der Burschen
bezwecken. Die Weiber dürfen während der Beschneidimgszeit keinen der
Kandidaten sehen. Schon vorher, d. h. während an der Hütte des Balum
gebaut wird, müssen sie sich bei ihren Ausgängen innerhalb des Dorfes eines
trommelartigen Instrumentes, und die Beschneidungskandidaten eigenartiger
Bambusflöten bedienen, um sich gegenseitig ein Zeichen zu geben, damit sie sich
ungesehen ausweichen können. Wäre doch jede Frau, die eine solche Flöte
sehe, des Todes. Solange dann der Geist des Balum in der Hütte, also im
helfe gegenwärtig gedacht ist, müssen die Frauen und Kinder außerhalb des
Dorfes in eigens errichteten Hütten leben. Der Anblick eines Beschneidungs-
kandidaten würde ihnen das Leben kosten. Überhaupt sucht man die Weiber
der Beschneidung gegenüber in religiöser Scheu, z. B. in dem Glauben zu er-
halten, daß das Balum die Knaben verschlinge und nach erhaltenen Sehweine-
opfern sie als kräftige Burschen wieder von sich gebe. Das Fleisch dieser
Schweine wird von den Männern gegessen; das Balum bekommt die Schweins-
seelen i
Nach der Operation müssen die Beschnittenen noch so lange im Balum
bleiben, las sie durch abermalige Opferung von Schweinen als erlöst erklärt
werden. Dann führt man sie in feierlichem Zuge zum Dorfe zurück. \oi\
jetzt an haben sie das Recht, selbst an kommenden Beschneidungst'esten teil-
zunehmen und darüber zu sprechen.
Stirbt ein Knabe oder Jüngling infolge der Beschneidung, so heißt es.
er sei unversehens in den Schweine-, statt in den Menschenmagen des Balum
geraten; denn nur der letztere gibt die Burschen wieder heraus.
Nach h'i iit/rr ist die Beschneidung nicht in ganz Kaiser-Wilhelmsland
üblich.
ihere Beschreibung derselben sowie der ..Stimme des Balum" mit Hinweis auf
di Missionars Veller, siehe Krieger: Neu-Guinea, S. 168.
-') Wohl aus dem Meere. Vgl. das Meerungeheuer bei den Karesau S. 197 ff., ferner
Kap. X\\ „Woher das Kind . . .••
I E dünkt mich, daß diese Schweineopfer gleichfalls tieferen Sinn haben; denn auch
das Aufziehen der Schweine bei den Papuas steht in einer geheimnisvoll gedachten Be-
ziehung zur Fortpflanzung der Papuas. Leider ist mir der Belag und die Einzelheiten dieser
hauung abhanden gekommen -- Vgl. den Schweinekult der Mordwinen in Kap. XL1I.
§ 250. Knabenbeschneidung b. malayiseh-polynesischen Völkern iukl. Papuas u. Australier. 197
Ebensowenig' ist sie in Holländisch-Neuguinea allgemein. Jene
Stämme, welche sie haben, unterwerfen ihre Söhne der Operation mit ein-
getretener Geschlechtsreife und verbinden damit Festlichkeiten.
In Britisch-Neuguinea wird die Beschneidung ähnlich ausgeführt
wie in Deutsch-Neuguinea, aber ohne die hier üblichen Zeremonien. Im Osten
komme sie hantiger vor als im Westen.
Zu Deutsch-Neuguinea gehört Karesau, eine Insel der deutschen
Schoutengruppe. Hier ist die Durchstechung des Penis und, wenn der
Bursche oder Mann schon über 13 Jahre alt ist, auch die Zirkumzision mit
der Junglingsweihe1) verbunden, welche P. W. Schmidt nach der mündlichen
Mitteilung des Karesau-Iiksulaners Bonifaz-Tamatai Pritak im „Anthropos", II,
ausführlich beschrieben hat. Die Karesauzeremouien gleichen in mancher
Hinsicht auffallend einem Teil der uns schon bekannten, d. h. der von Wehr-
meister und Weule geschilderte ost afrikanische Brauch, bei derBeschneidungs-
feier bzw. Jünglingsweihe einen Baum zu bemalen, rindet sich auch auf
Karesau. Sogar das ringel weise Bemalen stimmt (vgl. S. 17 7 und 199).
Baumkult und Beschneidung bzw. Geschlechtsleben. Fortpflanzung, Wachsen und
Gedeihen wird offenbar da wie dort unter diesen Bildern dargestellt. Die uns von
Afrika und aus Neuguinea schon wohlbekannte Beschneidungshütte treffen
wir auch auf Karesau. Sie stellt hier wie auf Neuguinea den Bauch des
Geistes dar. durch welchen die Beschnittenen ihre Wiedergeburt erfahren'-').
Der kulturell sonst viel höher stehende Hindu versinnbildet Wiedergeburt,
indem er sich in eiue künstlich hergestellte Kuh einschließen läßt. Doch das
um' nebenbei!
Die Be*chneidiing auf Karesau findet wegen der mit ihr und den übrigen
Festlichkeiten der Jünglingsweihe verbundenen Ausgaben, und weil eine
ziemliche Anzahl von Kandidaten gewünscht ist, nicht jedes Jahr statt. Viel-
mehr läßt man mehrere Jahre verstreichen, so daß bereits verheiratete Männer
sich zu elfjährigen Knaben <j-e>.ellen. Nach vorausgegangenem Bad am Vor-
abend des Beschneidungstages ziehen sich die Kandidaten in zwei leicht
gebaute Häuser an je einem Ende des Dorfes, am Strand, zurück. Von jetzt
an dürfen sie bis zum Schluß der Feier keines ihrer Angehörigen mehr sehen,
eine Verordnung, die wir gleichfalls zur Genüge aus Afrika usw. kennen. Das
Kssen wird ihnen von ihren Beschneidungspaten gebracht und von deren
Frauen bereitet. In der ersten Nacht fingiert man dann das Nahen des
Kasuarg-eistes Makarpon von dem Meere her3), indem Flöten geblasen, die
See mit breiten Kokosblättern geschlagen und schlangenförmige Windungen
in den Ufersand als Schwanzspuren eines Geistes gemacht werden.
Makarpon kehrt aber nicht in diesen beiden Hütten, sondern in dem außerhalb
des Dorfes liegenden „Geisterhaus" mit dem davorliegenden Tanzplatz ein und
hierher werden die Kandidaten etwa l/27 Uhr früh des folgenden Tages von
ihren Paten geführt. Übrigens beteiligen sich mehrere Geister an der Feier.
Schon am Vorabend streitet sich der Kasuargeist Makarpon mit dem Kasuar-
geist Tambus (Männchen und Weibchen) um die Beschneidungskandidaten. und
jetzt, wenn die Kandidaten mit ihren Paten auf dem Tanzplatz erscheinen,
naht sich ihnen aus dem Geisterhaus zuerst ein, dann ein zweites Geisterpaar,
je ein Männchen und ein Weibchen in Vogelgestalt, die Tänze aufführen.
Von dieser Zeit an dürfen die Kandidaten zeitlebens Vögel und Fische außer-
') Hierüber im Kap. LV11I.
-I Wie schon augedeutet, vermute ich. daß. nach der Bedeutung der Beschncidiings-
hütten unter den Papuas zu urteilen, vielleicht auch die afrikanische Beschneidungshütte
auf den (iedanken der Wiedergeburt zurückzuführen ist.
3) Meerungeheuer als Stammvater, Urheber des Lebens, Bild der Zeugung und Frucht-
barkeit sind im Völkerleben wohl bekannt. Das Wasser ist das gleiche Bild.
198 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
halb des Geisterhauses nicht mehr essen1). Das zweite Geisterpaar streitet
sich um ein Stück Holz, welches der Mann als der stärkere behält, dann aber
fallen läßt, worauf sich das Paar mit ausgespreizten Flügeln den Knaben,
welche sie „fressen" werden, nahen und sie mit den Flügeln streifen.
Sobald dieses Paar hierauf in das Geisterhaus zurückgekehrt und letzteres
hinter ihnen verschlossen worden ist, werden die Knaben einzeln, vom ersten
der Eeihe angefangen, von ihren Paten zur Operation nach einem abseits
gelegenen Platz am Strand geführt, wo zwei Männer auf sie warten. Keiner
der Knaben weiß, was mit ihm nun geschehen soll. Da faßt der Pate seinem
Patenkinde die Hände hinter dem Rücken zusammen und beugt ihm den Kopf
so nach rückwärts, daß der Knabe die Operation nicht sehen kann. Sie geht
folgenderweise vor sich:
„Der eine von den zwei dort wartenden Männern'2) hält einen spitzen
Dolch aus Kasuarknochen, etwa von der Breite eines mäßigen Federhalters,
in der Hand. Mit diesem durchsticht er den Penis des Knaben an dessen
Spitze an einer Seite von oben nach unten so, daß die Spitze des Dolches
unten wieder hervorkommt, und zieht den Dolch dann zurück: hierauf stößt
er auf der anderen Seite des Penis noch einmal hinein, aber nicht so weit,
daß die Spitze hervorschaut, und zieht dann den Dolch wieder heraus.-'
„Ist der Knabe noch sehr jung, etwa 11—13 Jahre alt, so ist damit die
Operation vollendet. Ist er dagegen älter, so hebt der erste Mann mit dem Dolch an
den beiden Wunden die Vorhaut empor, und der zweite schneidet dann mit einem
scharfen etwa daumenbreiten Bambusmesser die ganze Vorhaut rund herum ab."
,.Die Vorhaut wird entweder in einen Ameisenhaufen geworfen oder in
einer kleinen Grube in die Erde gescharrt."
Die atnputatio praeputii wird bei jenen Knaben, au denen nur die per-
Eoratio vorgenommen worden ist, später nicht mehr nachgeholt, auch wenn sie
heiraten3). Will aber ein solcher Mann das Geisterhaus eines fremden Dorfes
betreten, und schöpfen die Dörflinge wegen seiner Unterlassung des üblichen
( Ipfers Verdacht, dann untersuchen sie ihn und vollziehen an ihm die ampu-
tatio praeputii gewaltsamerweise. Zum Betreten des Geisterhauses im eigenen
Dorfe scheint die im Knabenalter erlittene perforatio aber genügend zu sein.
Nur solche Männer, welche die Jünglingsweihe überhaupt nicht mitgemacht
haben, dürfen das Geisterhaus nicht betreten und sind von allen Zeremonien
ausgeschlossen, an denen Frauen und Kinder nicht teilnehmen dürfen. Doch
können auch bereits verheiratete Männer, wenn sie noch keine Kinder haben,
die gemeinsame Weihefeier nachholen. Sind sie aber bereits Väter, dann wird
ihnen die Vorhaut ..wühl unversehens, auf einer Reise" amputiert. Weil das
aber nicht feierlich stattfindet, so daß die Frauen von ihrer Initiation nichts
wissen, darum dürfen sie zeitlebens das Geisterhaus nur heimlich, ohne Mitwissen
der Frauen und Kinder, besuchen4).
1) Nach Bachofen stand der Vogel Strauß in vorzugsweiser Beziehung zum Dionysus-
kult, hatte also sexuelle Bedeutung. Der Fisch ist ein wohlbekanntes Bild der Fruchtbarkeit.
sheinlich haben wir in dem Kasuarkult und dem Fisch bei der Beschneidungsfeiei
anl Haresau ähnliches. Das erste Geisterpaar trä^t eine» Fisch auf einem mit Kasuarfedern
umwundenen Stab.
i Diese beiden .Männer gehören, nach Schmidt-Tamatai, der Gruppe der Kinäau an,
die eine \n priesterlichen Ansehens genießt.
3) Ebensowenig scheint sie bei jenen Jünglingen nachgeholt zu werden, die von der
Erlaubnis Gebrauch machen, die Jünglingsweihe in fremden Dörfern mitzumachen, wo an
ihnen als Fremder nur die perforatio vorgenommen wird (Anthrop. II. 1032).
') üb dei I dii en Brauch nicht weiß, oder ob er das Opfer als Unbeschnittener
anoh si inem Gewissi n ich) bringen darf, ist bei Schmidt (Anthrop. II, 1037) nicht klar genug
Irückt. Bingegen es klar, daß nicht die Perforatio, sondern erst die Amputatio den
i vollbi echtigl in- und außerhalb seines Dorfes macht, und das besonders
den Geistern gegenüber. Die Beschneidung ist also hier ein vorzugsweise religiöser Akt.
§ 250. Knabenbeschneidung b. malayisch-polynesisehen Völkern inkl. Papuas u. Australier. 199
Während der Operation zeigen sich die Jünglinge standhaft; die Knaben
aber weinen, schreien, schimpfen, suchen die Männer mit Steinen zu werfen
und drohen ihnen, sie würden es den Frauen sagen, denn das sei „nicht schön".
Die Männer zeigen ihnen aber Speere und Dolche und bedrohen sie mit dem
Tode, wenn sie das Geheimnis verrieten. Besonders unbändige Knaben werden
noch einmal gestochen.
Die Operierten waschen sich in der Kegel gleich die Wunde im Meer,
oder wenn ein Knabe sich weinend am Ufer niederlegt, wird er von Männern
hineingeworfen. Freundlichere Männer hingegen suchen auf die Kleinen mit
freundlicher Zuspräche einzuwirken. Erst wenn der Letzte ins Wasser ge-
gangen, dürfen alle wieder .heraus.
Von jetzt an erhalten die Knaben, welche bisher nackt waren, einen
Leibgurt, welcher nur von den bloß Perforierten zeitweise wieder abgelegt
werden darf.
Auf der Rückkehr zum Geisterhaus ermahnen die Paten ihre beschnittenen
Patenkinder, daß sie bis zum Abschluß der Zeremonien nichts mit Frauen zu
tun haben, von min an mit keinem Mädchen mehr spielen, nicht mehr auf
Männer schimpfen dürfen usw.
Dem (ieisterhaus gegenüber ist für jeden Knaben ein Lager zubereitet,
auf dem er mit geschlossenen Augen ausharren muß, bis er den „Hund" ') hörte.
Abermaliges Blasen auf Bambusflöten, welches als Stimme des Geistes Tambus
aus der Gattung der Kasuare gilt, kündigt den Frauen im Dorf an, daß die
Beschnittenen im Bauche des Geistes sind, während sie in der Tat ohne Schutz
an der sengenden Sonne liegen. Etwa um zehn Uhr erfolgt ein zweites Blasen,
das Zeichen, daß sie aus dem Geisterbauch wieder herauskommen. Kurz vor
zwölf Uhr erschallt die bellende Hundsflöte, welche den Knaben gestattet, die
Augen zu öffnen und zu sprechen. Dann kommen Männer aus dem Wald mit
Speer, Bogen und Pfeil, und einer davon wirft einen Spieß, oder schießt einem
der daliegenden Beschnittenen einen Pfeil, dicht über die rechte Schulter in
die Erde hinein, worauf die Knaben aufspringen und die Männer verkünden,
daß es zu Ende sei.
Aber noch immer wechselt eine geheimnisvolle Zeremonie mit der andern
ab: Man bringt den Beschnittenen eine Schüssel mit Yams, den die Frauen
gekocht haben, und verteilt unter sie mehrzackige Fischspeere. Jeder Knabe
schleudert seinen Speer in die Schüssel, holt ein Stück Yams heraus, leckt daran,
wirft Yams und Speer in die Schüssel zurück, welche schließlich mit ihrem
ganzen Inhalt ins Meer geschleudert wird. (Hier haben wir vielleicht ein
Opfer an den aus dem Meer gekommenen Geist.)
Die Beschnittenen oder nur Perforierten werden „Kinder des Kasuar-
geistes (Kaiwar)" genannt, dürfen nun selbst im Geisterhaus Geistertlöten
spielen und schmücken nach Sonnenuntergang einen tannenähnlichen
Baum, welchen der getaufte Bonifaz'1) mit dem Christbäumchen verglich.
Dieses „Schmücken" besteht darin, daß sie die Aste so abhauen, daß nur
noch Stümpfe von halber Armeslänge 3) am Stamm bleiben. Dann werden
Stamm und Äste vollständig abgeschält und ringel weise schwarz, rot, weiß
und gelb bemalt4), mit Federn und Guirlanden von kirschroten, zitronen-
') Auch der Hund spielt in der Geschleehtssymbolik eine Kolle. Vgl. Bachofen, „Das
Mutterrecht''. 11". Schmidt weist übrigens (Anthrop. II, S. 1043) auf zwei (mythische?) Hunde
hin, welche früher besonders den Mädchen auflauerten und sie erschreckten; man habe die
beiden Hunde dann in die See geworfen.
2) Siehe S. 197.
*) Das Holzstück, um welches sich das eine Vogelpaar vor der Besehneidung streitet,
ist nach Schmidt armlang und armdick.
4) Die Hinge des von Weide beschriebenen Beschneidungsbaumes der ostafrikanischen
Makua sind rot und schwarz.
200 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
großen föfeäk-Früchten behängen, worauf man den Baum an jenen Ort, wo-
nach dem Esseu die Teller zusammengelegt werden, in die Erde pflanzt
(vgl. das Einpflanzen des Baumes bei den Makua). In einer gewissen Ent-
fernung von dem Baum. Kälpem genannt, steckt man zwei Stäbe in die Erde
und verbindet sie mit einem kunstvollen, mit Federn besteckten Geflecht aus
zwei Kokosblättern. worauf die Beschnittenen ihren Gesang beginnen, der die
ganze Nacht fortdauert und ihre gesamte ..Nationalliteratur" umschließt, wie
II '. Schmidt sich ausdrückt. Beim Aufgehen des Morgensterns stellen sie ihre
Trommeln, mit denen sie ihre Gesänge begleitet hatten, um den Kalpembaum,
worauf sie zum Schlafen in das Geisterhaus gehen.
Mittlerweile kommen einige Männer aus dem Dorf, vergewissern sich,
daß die Beschnittenen den Kalpembaum ohne andere Beihilfe gemacht haben,
bewundern ihn, reißen ihn dann aus 1), rupfen ihm die Federn aus und nehmen
diese zu sich; sie gehören ihnen.
Aus der Reihe der weiterfolgenden, vielfach mit Gesang begleiteten
Zeremonien sei hier eine Kahnfahrt der älteren Knaben unter Beschnittenen
erwähnt, welche Baumrinde zu Leibgürteln holen, die nach der Rückkehr
zum Platz vor dem Geisterhaus hier angefertigt werden; ferner Bereitung
einer Salbe aus Kokosnußöl und roter Farbe, Avomit sie sich die Haare ein-
reiben; Gewinnung einer wohlriechenden Substanz aus den Blättern des pok-
Baumes und Einreibung des Körpers mit derselben; Versenkung eines mit
Blättern geschmückten Pfahles2), Anspucken dieses Pfahles mit wohlriechender
Substanz seitens sämtlicher Beschnittenen, die ihn doppelt umkreisen und dabei
singen :
Kalembö kalembö komcäl kalembö,
Kalernbö kalembö rurau kalembö.3)
Erwähnt seien hier ferner die Stäbchen mit Grasbüscheln an der Spitze,
welche zwei „Oberjünglinge-' jedesmal tragen, wenn sie in den übrigen Be-
schnittenen prozessionsweise jeden neu angekommenen Mann auf dem Platz
vor dem Geisterhaus begrüßen4").
Ein sehr beachtenswerter Beitrag zum Baum-, bzw. Fruchtbarkeits-
kult scheint mir ferner in der folgenden Zeremonie zu liegen: Wenn die
Beschnittenen ihre weiter oben angedeuteten Leibgürtel aus Baumrinde fertig,
und die Männer davon Kenntnis genommen haben, unternehmen diese eine
Kahnfahrt, um eine heilig gehaltene (tabu) Liane und gewisse duftende,
immer blühende und von Vögeln5) gern besuchte Bäume aufzusuchen.
Wenn ein Eingeweihter Nichteingeweihte zu dieser Liane führt und
sie damit spielen ließe, würde er getötet werden. Haben die Männer die
gewünschten Baumarten6) gefunden, dann kratzen sie Saft heraus, nehmen
') Vgl. das von Wehrmeister beschriebene Umhauen des Beschneidungsbaumes in-
Lukuledi, Deutsch-Ostafrika, auf S. 180.
-) Wahrscheinlich abermals ein sexuelles Symbol. Wenigstens findet sich der l'fahl
als solches in der Symbolik verschiedener Völker.
3) Hierzu bemerk! Schmidt, Komcäl bedeute ein Halsband aus Bundezähnen und
rurau Mu cheln zum Armband. Etwas an. leres bringe er aus Bonifaz nicht heraus.
— Mir dünkl die Muschel im obigen Zusammenhang in jener Bedeutung wahr-
scheinlich, welche sie bei nicht wenigen Völkern hat. nämlich als Symbol der weiblichen
Scham. Die I I nun einmal nachweisbar bei zahlreichen Völkern die Einführung
ms Geschlechtsleben Selbstverständlich mache ich mit dem Heranziehen der Symbolik
anderer Volk« Anspruch auf unfehlbare Anwendung derselben bei den Karesau-
[nsnlanern. Die Völkerkunde bringt ja immer neue Überraschungen, denen ich ohne \ or-
urteil entgegensehi
'i VgL den Tanzstab der Wasaramo (Fig. 298) und was über die sexuelle Bedem
des Stabes Bchon Erühei gesagt worden ist.
Bangt vielleicht mit dem weit verbreiteten Glauben zusammen, daß Menschenseelen
als Vögel erscheinen. Vgl. Kap. XXX.
6 1 llire Bi siehe Ä.nthrop, II. 1049.
§250. Knabenbesehneidungb. malayiseh-polynesischen Völkern inkl. Papuas u. Australier. 201
ihn in einem Baumblatt auf und stecken dieses zusammengeschlagen in die
Tasche. Reim Anblick der Liane fangen die Männer auf ihren Handtrommeln
zu trommeln an, worauf alle anderen Männer hinzulaufen. Dann kratzt einer
der Finder in Gegenwart aller Saft aus der Liane; jedermann liefert die
Blätter mit dem vorher gesammelten Baumsaft ab, der nun in zwei große
Blätter zusammenkommt. Auch diese zwei Blätter scheinen sehr wichtig zu
sein; denn zwei ältere Männer, aus einer Anzahl jüngerer, waren vorher zu
ihrem Schutz aufgestellt worden. Hierauf schmückt man mehreren Greisen
das Haupthaar mit roter Farbe, Federn usw., worauf diese mit den Saft-
kratzern die Liane ansingen: „Hilf uns, unseren Frauen, Kindern, Jünglingen."
Bann besucht man der Reihe nach alle Bäume, aus welchen Saft gekratzt
worden war, singt sie alle an, trägt die zwei großen Blätter mit dem Saft
zusammengewickelt zum Kanoe und fährt, unter Gesang auf die beiden „See-
hunde", zum Geisterhaus zurück, wo die Beschnittenen die Männer erwarten.
Hier tragen diese die beiden Blätter mit dem Baum-dind Lianen ?)saft, tanzend
und singend, in Prozession um das Haus.
Die Beschnittenen nennen sich in einem von Schmidt (Anthrop. II,
S. 104m mitgeteilten Gesang selbst ein Blatt vom Baum parai, der sich
durch seine schönen Blätter auszeichnet.
Auch das Feuer spielt bei der Karesauer Beschneidungs- und Pubertäts-
feier eine Rolle'): Nach Beendigung der eben geschilderten Prozession werden
hinter dem großen Geisterhaus zwei große Feuer angezündet; in die beiden
Aschenhaufen legt man dann je eines der beiden Blätterbündel mit dem ge-
sammelten Baumsaft, welche nach Mitternacht wieder herausgenommen, ihres
Inhaltes entledigt, und dieser an die vorher gebadeten Beschnittenen verteilt
wird. Die leeren Blätter wirft man, um sie vor den Blicken der Frauen und
Kinder zu schützen, ins Meer. - - Außerdem tritt bei der Schlußfeier eine
jüngere Frau in Männerkleidung mit einer brennenden Fackel und einem
mehrzinkigen Fischspeer in der Hand auf und geht der Reihe der Knaben
entlang. Nach ihr erscheint ein fremder Mann, gleichfalls mit brennender
Fackel, der diese den Knaben um die Füße fuchtelt.
Nach Ablauf der hier geschilderten und mancher anderen Zeremonie
treten die Beschnittenen mit ihren Eltern und Geschwistern eine ca. 14tägige
Besuchsreise bei Freunden und Bekannten an. Nach ihrer Rückkehr folgt
unter anderen Zeremonien, auf welche Kap. LVIII zurückkommt, die folgende,
welche mit der Beschneidung enge zusammenhängt.
Die Männer entfernen aus einer Steinhöhlung am Strand das darin
befindliche Meerwasser und tragen Süßwasser hinein. Dann durchstechen
sie sich mit Kasuarknochen2) das Glied, lassen das Blut in dieses Wasser
hineinlaufen, schaben auch das auf den Rand getropfte hinein und befehlen
den Beschnittenen, das ekelhafte Gemisch zu trinken3), und stellen es ihnen
anheim, jene Operation von nun an täglich an sich selbst vorzunehmen. Als
Pflicht gilt es zwar nicht, aber man sieht doch Krankheiten als eine Strafe
') So klar wie bei der Beschneidungsfeier der Makua tritt hier der Feuerkult nicht
auf. Vielmehr erscheint es auf Karesau nach dem folgenden Referat mehr Mittel zum Zweck
(Dunsten des heiligen Saftes und Schreckmittel, bzw. Mutprobe) als Symbol des apotheosierten
Feuers zu sein.
2) Mit diesen wurde auch die erste Perforation vorgenommen (S. 198).
3) Vielleicht soll durch diese Zeremonie die enge Zusammengehörigkeit aller
Männer des Stammes versinnbildet werdeu. In Australien geht man bei einzelnen Stämmen
noch weiter, d. h. die älteren und jüngeren Stammesbrüder eines beschnittenen Mädchens verbinden
sich mit diesem. Vgl. ferner die Bedeutung der gemeinsamen Wiederholung der austra-
lischen Subinzision, w. u., welche die jungen und alten Männer innig miteinander verbinden
und die jungen zu ,.guten Schwarzen" machen soll.
202
Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
für Unterlassung an. Übrigens schwäche dieser Brauch viele Jünglinge derart,
daß sie arbeitsunfähig werden1). —
Auf der zwischen Kaiser- Wilhelmsland und Neupommern gelegenen Insel
Rook besteht die Operation der männlichen Jugend nur in einem Einschnitt
in die obere Seite der Vorhaut. Der Beschnittene muß sich einige Tage
in das öffentliche Versammlungshaus (Barem) zurückziehen, wo am Besehneidungs-
tag und beim Abschluß der Retraite ein großes Fest stattfindet. Sein Vater
muß den Freunden ein Schwein und Taro zum Besten geben, was arme Leute
nicht leisten können. Ihre Kinder werden daher nicht beschnitten. ,.Un-
Fig. 302. Eingeborne vor ihrer Hütte auf Vannua Leva, Neue Hebriden. Im K. Ethnographischen
Museum in München.
beschnittener" gilt (deshalb?), ähnlich dem deutschen „Lump" als Schimpf-
wort (JReina).
Auf Neupommern ist die Beschneidung allgemein (Ii. Andrea). Ebenso
in jenem Teil von Neu-Mecklenburg, der die meisten und kunstvollsten
Tanzmaskeu aufweist. Von Schleinitz glaubte, daß beides mit dem religiösen
Kultus im Zusammenhang stehe.
Von der zu den Neuen Hebriden gehörigen Insel Aneityum er-
wähnt //. Andree Beschneidung im Alter von fünf Jahren.
Auf der zur gleichen Gruppe gehörigen Insel Tanna wird den Knaben
im Alter von 7 — 10 Jahren die Vorhaut aufgeschlitzt. Schon zwei Monate
') An die häufigen Blutentziehungen der alten Azteken aus verschiedenen Körper-
teilen ist in dem vorliegenden Werke an anderer Stelle hingewiesen. — Das fast allzulange
Verv den ELaresau möge damit entschuldigt werden, daß ihre Zeremonien in miig-
lichster Vollständigkeit sehr geeignet sind. Lieht auf die fragmentarischen Mitteilungen von
Bräuchen anderer Völker zu werfen. Nur durch möglichst viele und eingehende Vergleichung
rmafien zu deren Verständnis.
§ 250. Knabenbeschueidung b. malayisch-polynesisehen Völkeru inkl. Papuas u. Australier. 203
vor dem Beschneidungstag werden die Kandidaten in eine leicht bedeckte
Umzäunung gesperrt, vor welcher Tag und Nacht ein Eingeborner "Wache
hält. Die Weiber dürfen die Knaben in dieser Zeit bei Todesstrafe nicht
sehen. Täglich zweimal führt der Wächter die Knaben an den Strand zum
Baden, nachdem er durch einen Stoß in das Muschelhorn allen Unberufenen
das Signal gegeben hat, daß sie sich in den Busch zurückzuziehen haben.
Nach dem Bad zeigt der Ton des Muschelliorns an, daß die Luft rein sei.
Bei der Operation wird wacker gegessen: Yams werden oft an 200 Pfund
schwer, zwischen zwei Stäben befestigt, von vier Männern herangeschleppt;
es wird Kawa getrunken usw.
Schlitzung der Vorhaut ist ferner auf Neu-Caledonien im französischen
Ozeanien gebräuchlich (MeinieJce). Desgleichen auf den Viti-Inseln mit ihrer
Fig. 303. Familie auf Tauna, Neue Hebriden. Aus Turner, Nineteen Years in Polynesia. London 1861.
melanesisch-polynesischen Mischbevölkerung, wo, nach Williams, die Knaben
dieser Operation nach dem 7. Jahr unterworfen werden; E. Andree gibt
10 — 12 Jahre und Emanuel Bougier (1907) 12— 15 Jahre als Beschneidungs-
alter an. Rougier nennt zudem die Operation „Zirkumzision". -
Nach Andree folgen auf die Operation religiöse Feste. Unbeschnittene
Burschen gelten als unrein und dürfen den Häuptlingen keine Nahrung bringen.
Auf Viti Levu hat die Beschneidung den Charakter einer Opferhandlung.
Auf den Viti-Inseln wird auch eine Operation geübt, welche wir in
Australien als Mika (Subinzision) kennen lernen werden. Auf Viti ist sie
aber nur zu Heilzwecken angewendet uud steht mit der üblichen Beschneidung
nicht in Verbindung (.7. de Marzan).
Das bloße Aufschlitzen der Vorhaut ist auch bei den Polynesiern auf
Tonga und, wie es nach Floß (2. Aufl. I, 370f.) scheint, überhaupt in Poly-
nesien üblich. Gerland hatte geschrieben: Die Polynesier sind hinsichtlich
204 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
der Eichel ungemein schamhaft, und doch pflegen sie sie durch Aufschlitzung
der Vorhaut zu entblößen; auf Tonga tätowiere man sogar die entblößte
Eichel. I hie Sclieu vor dem Anblick der Eichel gründe in der Religion: Die
Eichel sei tabu und ihr Anblick ein Frevel. ..Man schlitzte die Vorhaut auf,
um den den Göttern besonders heiligen, lebenspendenden Teil nicht zu ver-
hüllen: man band ihn wieder zn. um den Teil, der wegen seiner Heiligkeit
streut;- tabu, d. h. den Göttern angehörig war, den Blicken der Menschheit
zu entziehen, damit kein Bruch des Tabu entstehe." Als vorzüglich leben-
spendendes Glied habe man die Eichel, und als Ausgangspunkt des Lebens
habe man den Nabel betrachtet, und deshalb beide mit dem Bilde oder Zeichen
des Gottes versehen, wie das neue Leben und Wesen selbst dem Gotte heilig
war. Tätowierung um den Nabel war nämlich auf Samoa üblich, weil dieser
Teil mit dem Mutterleib zusammengehangen. Die Beschneidung scheint aber
auf Samoa (wenigstens in neuerer Zeit) keinen religiösen Charakter zn tragen.
Nach Kuh, inj tindet sie dort jetzt ohne besondere Zeremonien statt; religiöse
Bedeutung mißt man ihr nicht zu. Wenn die Knaben ungefähr 7 Jahre alt
seien, gehen einige zusammen zu einem sachkundigen Mann, der die ( Iperation
gegen ein Geschenk von Matten vollziehe. Nach Thilenius-Krämer und
II". T. Pritchard bezwecken die Samoaner einfach Reinlichkeit. Die Operation
besteht auch hier nicht in einer Zirkumzision, sondern nur in einer Spaltung
der Vorhaut, wozu früher ein Bambussplitter, später ein Rasiermesser benutzt
wurde. Nach Pritchard ist in jedem Orte ein Mann, welcher die Operation
gegen Bezahlung ausführt; doch ist es nicht selten, daß sich 10 oder 15 Barschen
in den Wald begeben und sich dort gegenseitig beschneiden. Als Alter wurde
hier 8—10 Jahre, bei Floß (II, 424) 9 — 11 Jahre augegeben. — Der Brauch
gehöre zu den ältesten der Samoa-Inseln.
Die Beschneidung auf den weiter oben erwähnten Tonga-Inseln wurde
von Mariner geschildert: Ein Stückchen Holz vou passender Form wird mit
Gnatu umwickelt und in das Präputium eingeführt; alsdann wird auf dem
Rücken desselben ein Längseinschnitt von einem halben Zoll entweder mit
einem Bambussplitter oder einer Muschelschale gemacht, am liebsten mit der
letzteren. Diesen Einschnitt macht man durch die äußeren Hautpartien und
den Anfang der inneren und reißt den Rest der letzteren mit den Fingern
auf. Das Ende des Penis wird dann in ein Blatt des Guataibaumes ein-
gewickelt und mit einer Bandage versehen. Der Knabe darf drei Tage lang
nicht baden, und das Blatt wird ein- oder zweimal täglich erneuert.
Auf Tahiti schlitzten die Priester den Knaben die Vorhaut im Alter
M'ii H Jahren auf. Es waren stets mehrere Kandidaten dabei beteiligt; die
Feier, welche religiösen Charakter trug, dauerte fünf Tage {Cook und Forster).
Auf Xukahiva, einer Marquesas-Insel, findet das Aufschlitzen der
Vorhaut zur Pubertätszeit der Knaben statt. Man verwendet dazu einen
schalten Stein.
Im Aufschlitzen der Vorhaut besteht die Operation feiner auf der Oster-
insel und den Sandwich-Inseln. —
Wir kommen nach Australien, das wegen seiner reichen Symbolik im
allgemeinen und wegen seiner sexuellen Operationen im besonderen ethnologisch
srordentiieh merkwürdig ist.
Was zunächst das westliche Küstengebiet des australischen Kontinents
betrifft, so ha1 schon Floß1) erwähnt, daß Oldfield die Beschneidung am
Murchison River, im Stamme der Angaardies, und Eyre dieselbe am
King-Georges-Sound und Swan-River entdeckte.
') 2. AMI.
§ 250. Kuabenbeschneidung b. malayisch-polynesisehen Völkern inkl. Papuas u. Australier. 205
Ein neuerer Bericht liegt mir von Mrs. Peggs über die Eingebornen
an der weiter nördlich gelegenen Roebuck Bay vor. Die Beschneidung
schließt hier die Beifezeremonien der jungen Burschen ab. Peggs bezeichnet
die Art und Weise der Operation nur als „very roughly performed-'. Man
beschneidet mit zwei Glasscherben. Nach der Operation und Reifefeier über-
haupt muß der Jüngling schwören, daß er von dem Erlebten nichts seinen
jüngeren Bekannten mitteilen werde. Ehe die Wunde verheilt ist, darf er
das Lager des Stammes nicht betreten und untersteht der Pflege eines Mannes
oder alten Weibes. Doch darf kein Weib bei der Reifefeier zugegen sein.
Nach seiner Genesung kann sich der Beschnittene um ein Eheweib umsehen.
Übrigens verkehren schon viele vor der Operation und Mannbarkeitserklärung
mit dem anderen Geschlecht und haben 1 — 2 Kinder. Peggs deutet dann
eine zweite Operation an, welche nach der Heilung der von der ersten Wunde
stammenden stattfinde, und weist dabei auf den Report of the Hörn Scientific
Expedition (IV, 169) hin. die mir leider nicht vorliegt. Doch werden im
folgenden zwei aufeinanderfolgende Operationen bei anderen australischen
unuen geschildert1). Einstweilen sei der von Peggs beigefügte Brauch
erwähnt, 'laß ca. 30 — 40 Meilen landeinwärts von Boebuck Bay der be-
schnittene Bursche sein wundes Glied mit einem Stück Känguruhhaut verbindet.
Auf dieses Stück hat das Mädchen, welches der Bursche später heiratet, ein
Anrecht, und sie würde lieber ihr Leben als dieses Hautstückchen lassen-).
Im nordwestlichen Küstenstrich nimmt man eine partielle Spaltung
der Urethra, d. h. eine Erweiterung des Orificium urethrae vor, indem man
längs der unteren Mittellinie der Glans penis einen Einschnitt macht. Das
bezwecke eine Steigerung der Wollust bei der Kopula (MiMucho-Maelay) s).
Aufschlitzung der Harnröhre ihrer ganzen Länge nach, die sogenannte
Mika-Operation, ist sowohl im Norden, um Port Darwin, als im Innern
von Australien üblich. In Port Darwin unterwerfen sich ihr alle Männer,
wie Plofi*) schrieb, indem er zugleich bemerkte, daß viele dieser Männer Väter
seien, was der Mitteilung MiMucho-Maclays, die Mika-Operation mache Zeugung
unmöglich, widerspreche5). Von einem Berichterstatter hatte dieser gehurt,
daß der erwähnte Längsschnitt an der unteren Wandung gemacht werde, und
daß der Penis nur noch eine Rinne, keine Röhre mehr darstelle, weshalb bei
der Kopulation das Sperma abtließe. ..Auffallend" nannte PJoß die Be-
hauptung des Berichterstatters, daß in Zentral- Australien neben ca. 100 Ope-
rationen dieser Art nur 3 — 4 Männer mit unverletztem Glied für die Nach-
kommenschaft des Stammes sorgen sollten6).
Seitdem haben bekanntlich Spencer und (>'illr>i auf diesem Gebiet be-
deutsame Mitteilungen gemacht: Mit einer einzigen Ausnahme üben
alle von ihnen beobachteten nördlichen Stämme von Zentral-
Australien sowohl Mika-Operation (Subinzision) als auch Zirkum-
zision. Sobald beim Knaben Geschlechtsreife eintritt, muß er sich zunächst
der Zirkumzision unterwerfen. Über die Bedeutung dieser und jener konnten
Spencer- Gill&n allerdings nichts Befriedigendes erfahren. Die Einführung der
Operationen führen die Eingeborenen auf das „Alcheringa", d. h. die Traum-
oder Sagenzeit zurück.
') Vgl. Kap. LV11I.
2) Die innige Beziehung der Beschneidung zum Eheleben bei diesem australischen
Stamm geht schon aus dieser Mitteilung hervor.
M Vielleicht haben wir hier die Ton Peggs angedeutete zweite Operation.
*) 2. Aufl. I, 359.
6) Die Bedeutung der Mika-Operation scheint trotz mehrfacher Nachforschung noch
unklar zu sein. Vgl. das hier Einschlägige in diesem Abschnitt und „Operative Eingriffe
in die Eierstöcke" im dritten Teil dieses Kapitels.
8) Vgl. die Mika-Operation (Subinzision) zu Heilzwecken auf Viti.
206 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Ein Vorfahre habe die eine oder beide Operationen zuerst an sich selbst
und dann an andern ausgeführt • |. Seitdem sei man seinem Beispiele gefolgt. —
Das scheint die vorherrschende Erklärung zu sein. — Der Kaitisch -Stamm
hingegen führt die Zirkumzision auf den im Himmel wohnenden mächtigen
Geist Atnatu zurück. Dieser habe zwei Knaben, welche aus zwei Eiern
schlüpften, je ein Steinmesser heruntergeworfen, als ihnen die Schamhaare zu
wachsen anfingen und sie wiederholt versucht hatten, die Vorhaut zurück-
zuziehen. Jeder der beiden habe dann die Zirkumzision an sich selbst aus-
geführt, worauf sie gegenseitig die Subinzision vorgenommen hätten2).
Eine numerische Beschränkung des Stammes, wie der Berichterstatter
des MiJducho-Macla// und anfangs Spencer und G'dlcn. sowie Roth an-
nahmen, bezweckt die Subinzision nach der späteren Ansicht Spencers und
Gillens nicht. Die Männer, so meinen diese beiden, würden aus jenem Grunde
nicht so hochgradige Schmerzen auf sich nehmen, da ja jedes unwillkommene
Xeugeborne getötet werden kann und es tatsächlich auch wird.
Wenn die Subinzision die Befruchtung ausschlösse, müßten die sie übenden
Stämme übrigens längst ausgestorben sein; denn nach Spencer und Oillen
muß sich ihr, ebenso gut wie der Zirkumzision. jeder Knabe unterwerfen.
Keiner darf heiraten, ehe er beide Operationen hinter sich hat. — Die Weiber
verachten jeden unbeschnittenen Mann. — ~Im Warrant unga-Stamm wird die
Subinzision sogar regelmäßig wiederholt und auch im Arunta- Stamm ist ihre
Wiederholung häufig. Bei den Warramunga versammeln sich die Neu-
initierten (also die bereits beide Operationen, Zirkum- und Subinzision. hinter
sich haben) mit den älteren Männern und jeder schneidet sich selbst oder
läßt sich, nach Beobachtung einer heiligen Zeremonie auf dem Corrobboreeplatz,
von einem andern schneiden bis reichlich Blut fließt. Das geschieht in dem
Bette des Baches, in welchem die jungen Leute nach ihrer ersten und eigent-
lichen Subinzision ihr Lager hatten aufschlagen müssen. Das zur Wiederholung
benutzte Instrument ist je nach Wahl ein scharfer Stein oder eine Glasscherbe.
Diese Operation, „kuntamara" genannt, soll die jungen und alten Männer
inniger miteinander verbinden und jene zu ..guten Schwarzen" machen.
Doch fehlt ihr die Feierlichkeit der eigentlichen Subinzision (parra). Am
Schluß bestreicht der Initiierte seinen rechtmäßigen Vater3) etwas mit seinem
eigenen Blut und streichelt seinem Großvater mit einem grünen Zweig das
Haupt4).
Viele vor, bei und nach der Zirkumzision und Subinzision beobachteten
Zeremonien gleichen sich bei verschiedenen Stämmen, hauptsächlich bei den
Warramunga, Walpari, Wulmala, Tjingilli und Umbaia einerseits und
den Mara und Anula andererseits5). Bemerkenswert ist die Gegenwart
der Weiber bei der Subinzision im Warramunga-Stamm. während sie
bei den anderen Stämmen strenge ausgeschlossen sind, oder doch nur an den
einleitenden Feierlichkeiten teilnehmen, z. B. Tänze aufführen6).
Wesentlich gleiche Züge bei verschiedenen Stämmen sind ferner das dem
Kandidaten auferlegte Stillschweigen, seine unter Aufsicht unternommene
monatelange Reise zu verwandten Stämmen, um sie zu seiner Initiation ein-
»i ■-> !!,„, The Northern Tribes of Ceutral Australia 328ff.
8) Dil I44f.
i ..Vater- heißen auch andere Männer des Stammes. Vgl. Kap. LXI (Urgeschichte
der Familie).
*) Op. cit., 359 ff. — Dieser grüne Zweig hat nach meinem Dafürhalten die gleiche
Bedeutung, welche der Bnumkult der Völker überhaupt hat.
«) 348 und 369.
•) ::
§ 250. Knabenbeschneidung b. tualayisch-polynesischen Völkern inkl. Papuas u. Australier. 207
zuladen, seine Unikleidung mit einem Haargürtel ]). die Umwindung des Kopfes
mit einem Weiberkopf ring'-'), Bemalung, teils zu rein ästhetischen Zwecken,
teils mit Totemzeichen, Speiseverbote und anderen Vorschriften unter mehr
oder weniger schweren Strafandrohungen, deren Verwirklichung teilweise
mächtige Geister übelnehmen, Einführung des Kandidaten in die heiligen
Zeremonien seines Stammes, fortgesetztes ptlichtmäßiges Schwingen eines heilig
gehaltenen Stockes, dessen Ursprung von den Kaitisch in die graue Sagenzeit
zurückversetzt wird, und dessen Töne Weibern und Kindern als Stimme eines
Geistes gilt, der die Knaben aufißt*) oder doch entführt und sie
als Männer wieder zurückgibt, Übergabe eines Feuerbrandes*), der von
den Kandidaten brennend erhalten werden muß, Austausch von Geschenken,
zurückgezogenes Leben bis zur Heilung, Entfernung aus dem Weiberlager
und Einführung in das Männerlager. Besonders bemerkenswert ist ferner der
verschiedenen Stämmen gemeinsame Brauch, daß der Kandidat, sowohl während
der Zirkumzision, als während der Subinzision, einigen ihm verwandten
Männern auf den Bücken gelegt wird, die mit dem Gesicht auf der Erde
liegen oder in gekauerter Stellung eine Art Tisch bilden, und daß ihm der
Mund verstopft wird, damit er nicht schreien könne. Während das bei
anderen Stämmen mit Beizstreifen geschieht, benutzten die Warramunga bei
der Subinzision dazu die Benisquaste des Vaters, mit welcher der Kandidat
nach der Subinzision bestimmten Verwandten die Köpfe streicht. In diesem
Stamme zeigen verwandte Männer dem Kandidaten vor dessen Zirkumzision
ihre Benis, strecken und dehnen sie; auch legen sich in diesem Stamme ver-
wandte Weiber vor der Zirkumzision auf den Kandidaten5).
Diese stark hervortretende niedere Sinnlichkeit stimmt nach meinem
Dafürhalten ganz und gar zu dem üppigen Schlangen kult dieses Stammes.
Seine Wollonqua (große Schlange) -Zeremonien dauern über einen Monat. Mit
ihnen verbinden die Warramunga Subinzision6). Auch nach der erwähnten
Wiederholung der Subinzision (kuntamara) feiern die Warramunga wochen-
lange Schlangenfeste (Thalaualla), denen die Operierten beiwohnen und in deren
Zeremonien sie sorgfältig unterrichtet werden7).
Nach den Mitteilungen in diesem und in früheren Kapiteln und meinen dazu
ausgesprochenen Ansichten über den ZusammenhangzwischenGeschlechts-
leben, Schlangen-, Feuer-, Baum-, Bfahlkult usw. ist es nicht zu ver-
wundern, daß wir diese Kulte auch bei den nördlichen Stämmen von Zentral-
Australien beisammen finden. Der Feuerbrand in der Hand der Beschneidungs-
kandidaten ist schon erwähnt worden8), und der Bfahl- bzw. Baumkult wird
durch den folgenden Brauch bewiesen: Im Stamme der Unmatjera legt man
vor der Subinzision den „heiligen Bfahl"' auf grüne Zweige. Diesen muß der
Beschneidungskandidat umarmen; auf diesen Bfahl auch legt sich der Bruder
des Mädchens, welches zum Weibe des Kandidaten bestimmt ist, und auf diesem
zukünftigen Schwager liegend, wird der Knabe operiert. — Bfahlzeremonien
sind mit der Subinzision auch in den Stämmen der Mara und Anula ver-
bunden. — Bemerkenswert ist ferner von den Unmatjera, daß jeder Knabe
von seinem zukünftigen Schwiegervater beschnitten (zirkumzidiert) wird, was
') Wenn ich mich recht entsinne, so berichten Spencer und Gillen an einer Stelle, daß
das Haar zu diesem Gürtel von dem zukünftigen eigentlichen Weibe des. Kandidaten sei.
2) Vgl. die Verkleidung der arabischen Beschneidungskandidaten in Ägypten als Frauen.
3) Also auch hier Wiedergeburt aus dem Geiste.
4) Vgl. das Feuer der Karesau-Insulaner und der ostafrikanischen Makua.
6) 350 und 355.
«) 354.
1) 361.
8) Über das Feuer als sagenhaftes Operationsmittel siehe weiter unten.
208 Kapitel XXXYII1. Sexuelle Operationen.
abermals den engen Zusammenhang der Beschneidung mit dem Eheleben her-
vorhebt1).
Blut und Vorbaut finden bei den verschiedenen Stämmen verschiedene
Verwendung: Bei den Urabunnaberührt der ältere Bruder des Zirkumzidierten
mit dessen Vorhaut den .Magen eines jeden anwesenden nuthi, d. h. älteren
Bruders. (Über die Bedeutung der Verwandtschaftsbegriffe siehe Kapitel LX.)
Hierauf wird die Vorhaut auf einen Feuerbrand gelegt und ohne Zeremonien
verscharrt2). Bei den Unmatjera bewahrt der ikuntera. d.h. der zukünftige
Schwiegervater des Kandidaten, dessen Vorhaut auf, bis sie stark riecht, wo-
rauf er sie dem Knaben gibt. Dieser legt sie auf einen Schild, bedeckt sie
mit einer breiten Speerschleuder (?) und legt sie nach eingebrochener Dunkel-
heit heinilich in einen hohlen Baum. Nur des Vaters Schwester« Sohn darf
den Ort wissen. In der Vorzeit sollen die Ahnen ihre Vorhäute stets in
nanja-Bäume, welche mit ihren Geistern verwandt waren, gelegt haben3). -
Die Warramunga fangen das bei der Zirkumzision fließende Blut in einem
Schild auf und bringen es der Mutter des Knaben, welche einen Teil davon
trinkt4). Die Vorhaut wird in ein von einem Wurm gemachtes Loch in
einem Baum versteckt, damit es recht viele solche (eßbare?) Würmer gebe;
oder man legt sie in das Loch einer Erdspinne, damit der Penis wachse. Der
Knabe darf die Vorhaut aber weder sehen noch wissen, wohin sie gelegt
wird5). Das bei der Subinzision vergossene und in einem hölzernen Gefäß
aufgefangene Blut wird den Eltern ins Lager gebracht und von diesen ge-
trunken6). -- Im Binbinga-Stamm begräbt die Mutter das Blut ihres zir-
kumzidierten Sohnes am Rand eines Wasserloches, damit die Lilien besser
wachsen. Die Vorhaut wird nach einiger Zeit unter dem Austausch von Ge-
schenken dein Vater gezeigt und dann beerdigt7).
Bei den Mara- und Anula-Stämmen läßt man nach der Zirkumzision
söforl etwas Blut von der Wunde auf die als Unterlage des Operierten bildenden
verwandten .Männer träufeln, um eine besonders innige Freund- und Ver-
wandtschaft herbeizurufen. Das übrige Blut wird wie bei den ßinbinga
verwendet; ebenso begräbt man die Vorhaut, nachdem sie bald zu diesem,
bald zu jenem Verwandten geschickt worden, neben einem Wasserloch 8).
Die Subinzision findet erst nach Heilung des zirkumzidierten Gliedes,
jedoch vor Ablauf zweier Monate nach der Zirkumzision statt. Die Stämme
Biubinga, Mara und Anula verbinden Subinzision mit der Beisetzung der
Gebeine eines Toten in einem hohlen Baumstamine. Das geschieht, nachdem
das Fleisch des Toten voll den Männern verzehrt worden ist9).
Nach der Subinzision muß bei den Binbinga der Operierte das mit
-einem Blut belleckte Steininesser ablecken. Das übrige Blut wird, wie das
bei der Zirkumzision vergossene, in einer Papierrinde der Mutter gebracht,
die damit wie oben und zu dem gleichen Zwecke verfährt10). Zur Linderung
der Schmerzen wärmt sich ein Mann die Hände an einem Feuer und hält sie
hierauf dem Knaben über den Penis "j.
cit. 340.
*) 334.
s) 341.
352.
<•) 354
«) 35«
168.
8) 372
i 873.
"'i 868.
n) Ebenda
^ 2öO. Knabenbesckneidung b. mal avisch-polvnesiselien Völkern inkl. Papuas u. Australier. 209
Dem Mythus zufolge wurden früher beide Operationen (Zirkumzision
und Subinzision) mit Feuer ausgeführt. Viele Knaben seien daran gestorben1).
Erst später habe man Steinmesser verwendet.
Eine Pause von vier Jahren zwischen der Zirkumzision und der Subin-
zision berichtete MiJclucho-Maclay vom Nasim-Stamm an dem westlichen
Küstenstrich des Carpentaria-Golfes, also auch im Norden des Kontinents.
Die erste Operation findet im Alter von 14. die zweite mit 18 Jahren statt.
Zeremonien seien mit jener nicht verbunden. Zur Aufschlitzung verwenden
die Männer eine .Muschel oder einen Quarzsplitter. In die Wunde der auf-
-i schlitzten Harnröhre legt man ein Stöckchen oder einen dünnen Knochen.
Nach eingetretener Heilung erscheine das Glied sehr zusammengezogen „and
has in its collapsed State the appearance of a large button", was mit der
früher erwähnten ..Rinne" kaum stimmt. Es scheinen also zwei verschiedene
Arten von Subinzision üblich zu sein. Bei diesen Nasini gelte es für eine
Ehre, wenn man für die Operation gewählt werde, und es scheine, daß man
die stärksten jungen Leute dazu ausersehe. Die Weiber ziehen die Operierten
den Nichtoperierten vor.
Hingegen sollen am Hei bertfluß im nordöstlichen Australien „be-
sonders schwache" .Männer der Subinzision (Mika) ausgesetzt sein. Die Weiber
der < Iperierteu sollen hier von Zeit zu Zeit bei nichtoperierten Männern schlafen,
um befruchtet zu werden. Als Instrument zur Mikaoperation dient hier ein
Quarzsplitter in einem Holzschaft, also ein Steinmesser.
Da nach Spencer- Gillen, wie schon früher bemerkt, die Subinzision bei
den von ihnen beobachteten Stämmen allgemeiner Brauch ist. kann der von
Miklucho-Maclay'1) angegebene Zweck, die Kopula ohne Befruchtung aus-
führen zu können, kaum der allgemeine sein.
Zweierlei Operationen fand Rieh. Schomburgk auch am Peake River in
Süd-Australien. Die erste besteht in der Zirkumzision; die zweite in der
i partiellen?) Aufschlitzung der Harnröhre. Die hier zunä chst mit der Beschneidung
verbundenen Zeremonien waren bei PJoß:i) folgenderweise geschildert:
Sobald sich die ersten Barthaare im I resicht des heranwachsenden Burschen
zeigen, beruft einer der Alten die Männer des Stammes zur Beratung ein.
Ausgeschlossen ist nur der Vater des Kandidaten: auch hütet man sich wohl,
diesen selbst oder seinen Eltern von dem Vorhaben etwas wissen zu lassen.
Kiuer Frau wird der Auftrag gegeben, dem Knaben eine Muschelschale4!, das
Kurie, um den Hals zu hängen, was sie an einem bestimmten Abende ausführt,
nachdem sie den jungen Mann unter irgendeinem Vorwand heimlich zu sprechen
versuchte. Der Knabe weiß, was es bedeutet, und eilt aus dem Lager, um
sich in einiger Entfernung niederzulegen. Kaum ist das im Lager bekannt
geworden, so erhebt sich ein höllischer Lärm: Alles schreit, gestikuliert, tobt;
besonders der Vater und die Brüder des Knaben gebärden sich über das Vor-
haben der alten Männer höchst unwillig. Schließlich geht mau aber schlafen,
als ob nichts vorgefallen wäre.
Mit Tagesanbruch suchen die jungen Männer im Lager, welche mit dem
Kandidaten nicht verwandt sind, diesen auf und machen mit ihm eine Rund-
reise durch befreundete Lager, zuweilen 20—30 deutsche Meilen weit, um
Nah und Fern zu der bevorstehenden Feierlichkeit einzuladen. Der junge
Mann darf aber bei diesen Besuchen das Lager nicht betreten, sondern er ist
tagsüber mit seinen Genossen auf der Jagd; bei Nacht schläft er allein, mehrere
hundert Schritt von den andern.
') Op. cit. 424 f.
■') N. r. Miklucho-Maclay bei Ploß, 2. Aufl. II, 423.
3i 2. Aufl. II, 419—422.
*) Vgl. die Muscheln bei der ßesehneidungsfeier auf Karesau.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Bandit. 14
210 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Gewöhnlich dauert die Rundreise 14 Tage, worauf der Jüngling- in die
Nähe des Lagers seines Stammes zurückkehrt. .Seinen Aufenthalt hier kündet
er dadurch an, daß er zwei- oder dreimal grüne Zweige anzündet, dessen
weithin sichtbare Bauchsäule seinen Aufenthalt angibt. Nun wird eine Anzahl
alter Frauen abgeschickt, um ihn ins Lager zu führen. Vater. Mutter und
Brüder kommen ihm entgegen, um ihn zu begrüßen; aber ehe noch viele Worte
gewechselt sind, stürzt eine Anzahl junger Männer herbei, von denen einer
den Burschen auf den Rücken nimmt und ihn, während die alten Männer
einen dreimaligen Schrei ausstoßen, etwa hundert Schritte weit vom Lager
wegträgt, wo er ihn auf die Erde legt und mit Fellen zudeckt. So bleibt
er bis zum nächsten Morgen liegen.
Im Lager fallen die männlichen Angehörigen des Kandidaten über die
anderen Männer her, auf deren Anordnung die ganze Sache geschieht, zuerst
mit Worten, dann mit Knütteln und Keulen, und es entsteht eine allgemeine
Rauferei, wobei man sich aber wohl hütet, einander ernstlich zu verwunden.
Immerhin können Streiche und Stöße nicht immer vermieden werden, so daß
mancher Tropfen Blut fließt und mancher Kopf schmerzt. Die Weiber kämpfen
nicht, schreien aber und weinen, zischen und beschimpfen die scheinbaren
Feinde. Schließlich tritt verhältnismäßige Ruhe ein; die Weiber schlafen oder
schweigen doch, und die Männer bewegen -nur, am Boden sitzend, ihren Ober-
körper hin und her, wobei sie den monotonen Thahama singen oder summen.
Gegeu 4 Ihr morgens müssen sich alle Weiber und Kinder wenigstens 400 Schritt
vom Lager entfernen. Hier lagern sie sich. Die Weiber legen ihre hölzernen
Mulden, Pirras, vor sich hin und schlageu in Zwischenpausen von etwa einer
Minute rhythmisch darauf, und die Männer in ihrem Lager erwidern auf die
gleiche Weise. So geht es hin, bis der Morgen graut.
Am Morgen begeben sich alle Männer zu dem Kandidaten und umstellen
ihn in einem Kreise, in welchen der Alte tritt, dem die Operation zufällt.
Ein junger Mann ergreift eine Hand voll Sand und streut ihn, schnell im Kreise
um die Anwesenden laufend, auf den Boden. Dies treibt den bösen Geist
Kutschie aus und schließt den Muramura, den guten Geist, ein.
Die Operation wird mit einem scharfen Stein, gewöhnlich Quarz, aus-
geführt. Der Leidende stößt keinen Laut aus.
Nach der Beschneidung beugt sich der Vater oder der nächste männliche
Verwandte über den am Boden Liegenden und gibt ihm unter dem Einfluß
des guten Geistes einen neuen Namen, den der Beschnittene fortan trägt.
Er, der zuerst ein Kurawulie, dann ein Mockaworo gewesen war. tritt nun unter
die Thutsehawaras ein und hat von jetzt an alle Rechte des Mannes.
Floß hat (I, 358) auch einen Gürtel „Yinka" aus Menschenhaar erwähnt,
welchen der Beschnittene um die Hüften tragen muß, bis er nach einigen
Tagen ins Lager zurückkehren darf. Nach einer Mitteilung, deren Quelle mir
leider nicht mehr präsent ist, dürfte auch dieser Gürtel mit dem zukünftigen
Eheleben des Operierten zusammenhängen.
.Mit der Aiilschlitzung der Harnröhre am Peak-Fluß. „Kulpie" genannt,
wartet man bis dem Jüngling der Bart so gewachsen ist. daß man dessen
Enden zusammenbinden kann. Dann halten die alten Männer im Geheimen
eine Versammlung, bestimmen den Tag. au welchem die Operation vorgenommen
wiid. und geben vor. daß eine große Jagd stattfinden solle, an welcher alle
Männer sich beteiligen, ('her den Rat der Alten hinaus verlautet nichts über
den eigentlichen Zweck der Expedition. Früh am Morgen bricht das ganze
Lager mit Ausschluß der Weiber und Kinder auf. Sobald man am verab-
redeten I Matze immer mehrere Kilometer vom Lager gelegen und durch
große Bäume. Felsen oder andere Naturmerkmale ausgezeichnet — angelangt
ist. werfen siel fünf junge kräftige Leute, von den Aiten dazu bestimmt, auf
§ 250. Knabenbeschneiduug b. malayisch-polynesisehen Völkern inkl. Papuas u. Australier. 211
den Nichtsahnenden. Zwei erfassen seine Arme, zwei die Beine, der fünfte
setzt ihm das Knie auf die Brust und verschließt ihm den Mund mit der
Hand. Zur Verhinderung von Schmerzenslauten sei das kaum nötig, denn
auch bei größtem Schmerze zeigen die Australier eine Selbstbeherrschung,
welche einen alten Römer geehrt haben würde. Bis die Wunden geheilt
sind, stehen dem Burschen zwei Altersgenossen zur Seite. Nach seiner Rück-
kehr ins Lager darf er von jetzt an auch vor Frauen ohne die Unpa oder
Thippa erscheinen, welche er vorher stets tragen mußte.
Nach dem Ploßschen Zusammenhang1) zu schließen, ist diese doppelte
Operation im ganzen Seedistrikt (südliches Australien) gebräuchlich'-). Die
Eiugeborneu beantworten aber die Frage auf Ursprung und Zweck nicht
befriedigend. Wie bei den nördlichen Stämmen, so heißt es auch hier, der
Brauch stamme von ihren Vorfahren. Sie bewahren ihn mit religiöser Scheu.
und kein Bursche dürfte daran denken, sich ihm zu entziehen.
Bei B. Andres, lesen wir: Im Port- Lincoln -Distrikt findet das Auf-
schlitzen des Penis von unten bis (?) zur Harnröhre auf der mittleren Stufe der
Jünglingsweihe statt, und die Quaste aus Opossum-Haar8), welche der Kandidat
am Penis tragen muß, gehört zu den „heiligen" Unterscheidungszeichen. Als
Grund der schmerzvollen Operation geben die Eingebornen an, ihre Vorfahren
hätten es auch so gemacht, und den Weibern und Kindern erzählen sie von
einem Fabelwesen, welches die Ursache sei. - - Nach Pfo/?4) scheint Missionar
Schürmann aus dieser Gegend eine partielle Spaltung der Urethra erwähnt
zu haben.
Aus der Gegend von Adelaide (Dieri-Stamm?) an der südlichen Küste
erwähnte Gaston Beschneidung. Daß die Dieri und verwandte Stämme
am Eyre-See mit jeder Beschneidung eine neue Verteilung der in Pirauru
(d. h. Gruppenehe) lebenden Männer und Weiber verbinden, wird in Kap. LX
eingehender besprochen. Dieser Brauch beweist abermals die enge Verbindung
der Beschneidung mit dem Eheleben, bzw. geschlechtlichen Verkehr.
Übrigens soll die Beschneidung im südöstlichen Teil Australiens nun
stark in Abnahme begriffen sein. Die Stämme in der Umgebung von Adelaide
üben sie, wie W. Schmidt (nach W. Wyatt) schreibt, nicht mehr. Ebensowenig
kommt sie bei den Narrinyeri vor, welche mit den Stämmen um Adelaide
vieles gemeinsam haben. Im übrigen gleichen die Initiationsbräuche der
Narrinyeri denen der westlichen Stämme, welche die Beschneidung üben, so
daß anzunehmen sei, daß diese früher auch bei den Narrinyeri bräuchlich
gewesen sei. — Die Yerkla-Minung und die Narangga seien die einzigen
zwei Stämme dieses Gebietes, welche die Beschneidung noch beibehalten
haben. —
§ 251. Knabenbeschneiduug bei Turkstänimen und Indianern5).
Schon Dapjier hat in seinem Werke „Die Unbekannte Neue Welt" darauf
hingewiesen, daß von den „Tataren" nur jene Beschneidung übten, welche
») 2. Aufl. H, 422.
a) Am Lake Blanche, am Lake Torrens und am Mount Hopeless fand
Sturt den Brauch der Beschneidung. Hier, wie bei allen bisher erwähnten australischen
Stämmen, bildet sie einen wichtigen Teil der Pubertätszeremonien.
3) Vgl. das Penisfutteral bei der Pubertätsfeier der Yaunde in Kamerun, Kap. LV1II.
*) 2. Aufl. I, 359.
B) Ploß erwähnte in der 2. Aufl. (T, 354) ein Beschneidungsmesser aus Malabar. Die
Beschneidung ist wohl durch deu Islam dorthin gekommen. Da mir weiteres Material über
Knabenbeschneidung im arischen und nichtarischen Indien einstweilen fehlt, gebe ich diese
Notiz als Anmerkung. — Bei den Ao-Nagas in Assam fand Molz keine Beschneiduug,
wohl aber bei einzelnen das Präputium zurückgezogen.
14*
•jl2 Kapitel XXXYI1I. Sexuelle Operationen.
dem Islam anhängen, während die anderen, z. B. die Eataier und Sarniaten
am Ob, sie nicht hätten1).
Ploß2) erwähnte von den Tataren als eine Eigentümlichkeit ihrer Be-
schneidung, daß aus der Vorhaut ein keilförmiges Stück herausgeschnitten
werde. Welche Stämme der Tatarengruppe diesen Brauch üben, weiß ich
nicht; anfalle dehnl er sich sicher nicht aus, schon deshalb nicht, weil nicht
alle die Beschneidung- haben.
In Ost-Turkestan verfiel der alte Brauch der Beschneidung unter
der chinesischen Herrschaft, kam aber später wieder zu hoher Geltung. Zu
der vom Barbier feierlich ausgeführten Operation werden alle Nachbarinnen.
Tanten, Basen usw. eingeladen. Als Alter wird das zweite bis zehnte Lebens-
jahr angegeben; die genauere Fixierung der Beschneidungszeit komm! den
Astrologen zu. — Speziell für Kaschgar gab Paquier das Alter des Kindes
zwischen zwei und acht Jahren an. Auch hier verbindet man mit der Operation
ein großes Familienfest.
Die von Prschewalsh besuchten Karakurtschinen, sämtlich Muselmanen,
nehmen die Operation im vierten oder fünften Jahre, und zwar gewöhnlich
im Frühjahr vor, weil es zu dieser Jahreszeit genügend Fische und Enten
zur Bewirtung der Gäste gibt.
Nach 1'. von Stenin lassen die Baschkiren ihre Knaben im Alter von
ein bis zwei Jahren unter Gebeten beschneiden. Die Operateure sind dort
aber meist so selten, daß man sie von weit her kommen lassen muß. In der
liege! sind es fünfundzwanzig- bis fünfzigjährige Mestscherjaken (ein Turk-
stamm), die von dem moslemischen Geistlichen ein Zeugnis besitzen.
Die Türken feiern die Beschneidung als ihr größtes Familienfest, das
reich und arm von einem Freitag bis zum nächsten, also volle acht Tage
leiert. F. W. Oppenheim hatte als Arzt Gelegenheit, der Beschneidung zweier
Söhne des Mufti in Monastir beizuwohnen. Die Knaben standen im Alter
VOI) zehn Ins zwölf Jahren.
Die damit verbundenen Bräuche schilderte Oppenheim8) wie folgt:
Alle Muselmänner hatten während der achttägigen Feier freien Zutritt
in das Haus des Mufti und wurden täglich bewirtet. Die Vornehmen der
Stadt waren eingeladen und schickten vor ihrem Erscheinen den Kindern reiche
( reschenke: Goldgeschmeide, Diamanten, seidene Stoffe usw. Im Hause herrschte
ungewöhnliches Treiben und Lärmen. Die ( Ipferhammel, welche täglich geschlach-
tet und verzehrt wurden, waren mit Blumen und Bändern geziert und wurden
durch das Hans, auch durch den Harem, geleitet. Spielleute und Tänzer unter-
hielten fort während die ( laste. Am siebenten Tage erst, in der Nacht des
Donnerstag auf den Freitag, fand die eigentliche Zeremonie statt. Die Kinder
wurden dazu prächtig gekleidet, und zugleich wurde an einer großen Zahl
armer Kinder an demselben Tage die Operation im Hause und auf Kosten
des Fest gebe rs vorgenommen.
In einigen Zimmern neben dem Harem waren Betten aufgemacht; in
dem hintersten zwei prächtige für die Söhne des Mufti, in den anderen für
die Kinder, welche zugleich mit jenen beschnitten werden sollten.
iiald fand sich der bärtige Operateur (Süiietschy ) ein. Seine Instrumente
bestanden aus einem hölzernen Stäbchen, einem zweischenkligen Instrumente
zum Zusammenkneifen, einem Rasiermesser und einer Büchse mit styptischem
Pulver.
') Dapper zitierte Im' die8e Bphuupttmg Mirlmrins iSariiiat. I. c. 5).
2) 2. Aufl. 1, 353.
s) Bei Floß, 2. Aufl. 1. 252 f.
§ 251. Kuabenbeschneiduug bei Turkstämmen und Indianern. 213
Nun wurden die Knaben entkleidet, und mehrere Diener hielten einen
Vorhang- vor das Bett, auf welches jene gestellt, von hinten gehalten und stehend
operiert wurden.
Bei der Operation brachte der Chirurg zuerst das hölzerne Stäbchen in
die Öffnung der Vorhaut, schob sie mit beiden Händen hinter die Eichel zurück,
legte dann den Daumen auf die Eichel, zog die Vorhaut so weit als möglich
über dieselbe hervor, kniff sie mit dem gleichschenkligen Instrument zusam-
men, drückte den Penis nach abwärts und schnitt nun von oben nach unten
die Vorhaut, die er unten mit der linken Hand festhielt, hart an der Klemme
in einem Zuge mit dem Rasiermesser ab. Der Knabe wurde dann auf das
Bett niedergelassen, und der Operateur streute das blutstillende Pulver auf
die Wunde; dann deckte man den Knaben zu. — Durch diese Operation wird,
wie Oppenheim bemerkte, von der äußeren Lamelle die Vorhaut mehr entfernt,
als von der inneren, und die Eichel noch zur Hälfte unbedeckt gelassen, die
daher auch in späteren Jahren nicht ganz entblößt ist; ja in vielen Fällen
bleibe noch so viel von der Vorhaut zurück, daß man später von der Opera-
tion gar nichts gewahr werde.
Während die Zirkumzision ausgeführt wurde, rief alles in und außerhalb
des Zimmers, um den Operierten zu betäuben: „Allah, Allah, Allah!" und klatschte
in die Hände. In der ersten Nacht durfte das Kind nicht schlafen, sondern
wurde durch Geschrei, Gesellschaft und Musik wach erhalten.
Bis zur Beschneidung lebte der Knabe im Harem. Nach dieser gehörte
er der männlichen Gesellschaft an.
Von den Türken in Bosnien beschneiden einige die Knaben bald nach
der Geburt. Die andern, von der großen Sterblichkeit unter den Kindern
veranlaßt, warten bis zum dreizehnten Jahre; wieder andere glauben, daß das
zehnte Jahr das günstigste zu dieser Handlung sei. — Der Beschnittene
muß liier einen Monat lang liegen, bis die Wunde heilt. Diese wird mit
Asche bestreut, um die Blutung zu stillen; ein anderes Heilmittel wenden sie
nicht an. Während der vier Wochen muß der Beschnittene Brot essen und
frische Milch trinken. Nimmt er einen Schluck Wasser, so gilt die als religiöse
Handlung angesehene Beschneidung für entweiht.
Relativ wenig ist über die Beschneidung unter den Indianer-Völkern
bekannt. Von den Sklaven- und denHundsrippen-Indianern imNorden schrieb
Maekenzie. er könne nicht behaupten, daß bei ihnen Beschneidung üblich sei, .aber
bei den von ihm beobachteten 25 — 30 Mann habe der Schein dafür gesprochen.
A. G. Morice, der auf diese Stelle bei MacJcenzie1) hinweist, erinnert
ferner daran, daß Petitot die Beschneidung (Zirkumzision) bei den Loucheux-
und Hasen-Indianern bezeugt habe. Sie finde bei diesen beiden Dene (Tinneh)-
Stämmen einige Tage nach der Geburt statt und werde mit einem Kiesel-
stein ausgeführt. Die Heilung der Wunde werde durch Anwendung einer
Mischung von Fett und pulverisiertem Pyrit herbeigeführt.
Nach Morice sehen diese Indianer in der Beschneidung ein Schutzmittel
gegen zwei Arten von aussatzähnlichen Hautkrankheiten.
Um nicht von diesen Stämmen verachtet zu werden, bat ein Tschiglit-
Eskimo am Mackenzie den Missionar Petitot, ihn zu beschneiden (Andree).
Im alten Mexiko erhielt das Neugeborne, wenn von seiner Mutter mit
Geschenken zum Tempel gebracht, von einem Priester einen kleinen Schnitt
in die Vorhaut und in das Ohr2), wie Plo/i im Hinweis auf Acosta, Duran
J) In dessen ,. Voyages from Montreal'1. Vol. I, p. 235.
2) Der neutestamentliehe Diakon Stephanus (Apostelgesch. 7, 51) wirft den Juden vor.
sie seien unbeschnitten an Herz und Ohren.
214
Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
§ 252. Künstliche Verlängerung der weiblichen Genitalien. Deflorierung im Kindesalter. 215
und Brasseur de Bombourg schrieb. — Nach Zuazo wurde diese (?) Art
Beschneidung nur an Kindern vornehmer Leute vollzogen; geboten sei sie im
mexikanischen Staate nicht gewesen. - - Nach Ploß1) kam sie überhaupt nur
bei einigen Stämmen vor. — Las Casus und Mendieta haben sie von den Azteken
und Totonaken erwähnt.
Auch Torquemada habe sie von den letzteren bezeugt. Das Totonaken-
kind sei am achtundzwanzigsten oder neunundzwanzigsten Tag in den Tempel
gebracht worden, wo es einer Art Beschneidung mit der Bedeutung eines
ersten Blutopfers unterworfen wurde. Die von Baumgarten den Mexikanern
zugeschriebene Verbindung des Ritzens der Geschlechtsteile mit der mystischen
Waschung2) des Neugebornen ist nach Ploß irrig.
Blutentziehung aus dem männlichen Glied wiederholte sich im alten
Mexiko, in Nicaragua und überhaupt bei den halbzivilisierten Völkern
Amerikas im späteren Leben häufig als religiöser Akt. Sqnier schrieb
von diesem Blutopfer: Es bestand darin, daß man das den Zeugungsorganen
•entzogene Blut auf Mais sprengte, der nachher unter großer Feierlichkeit
verteilt und gegessen wurde3).
Vom mittelamerikanischen Festland abgesehen, erwähnte Ploß „Be-
schneidung" von der Insel Cosumel, und nach Alonso de Santa Cruz
waren die Eingebornen der von Yucatan 70 — 80 Meilen westlich gelegenen
Inseln de Sacrificios zur Zeit ihrer Entdeckung durch Joan de Grijalve
beschnitten. Da Alonso de Santa Cruz „beschnitten „mit" retajados" gab,
und „retajados" nach dem spanischen Wörterbuch des C. F. Francesco „ringsum
beschnitten" bedeutet, so wird man hier also wohl eine regelrechte Zirkumzision
annehmen dürfen.
Der Brauch der Beschneidung wurde von den Spaniern ferner bei den
Karaiben angetroffen, weshalb sie einen Zusammenhang dieser Indianer mit
■den Juden annahmen.
Die Salivas, Guamos und Otomacos in Colombia beschneiden ihre
Knaben am 8. Tag nach der Geburt. —
Am Ucayale, Peru, sollen alle anliegenden Indianer ihre Kinder beider
Geschlechter der Beschneidung unterwerfen4).
Beschneidung, und zwar Zirkumzision beider Geschlechter erwähnte
Ploß ferner (nach von Spix und von Martins) von den Ticunas, einem aus-
sterbenden Stamm am oberen Solimoes. Hier erhält der Beschnittene gleich
nach der Operation einen Namen, der gewöhnlich von einem Vorfahren
genommen wird. —
III. Teil.
Sexuelle Operationen am weiblichen Geschlecht.
§ 252. Künstliche Verlängerung der weiblichen Genitalien. Deflorierung
im Kindesalter.
Im Negerreiche Dahomey, nordwestliches Afrika, war es in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Brauch, die Schamlippen der Mädchen
künstlich zu verlängern (Adams).
>) 2. Aufl. I, 356.
2) Siehe Kapitel XV.
3) Vgl. das gemeinsame Trinken des Blutes aus den beschnittenen, bzw. durchbohrten
■Gliedern auf Karesau und in Australien. Bundeszeieheu!
4) Ploß, 2. Aufl. 1, 357. — Hier schrieb Floß auch: Bei „vielen" südamerikanischen
Stämmen finde die Beschneidung der Kinder von 10 — 12 Jahren statt.
216 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Eine bedeutende Verlängerung der Labia minora durch methodisches
Zerren und Schnüren hat l'lo/i1) für Uganda, englisches Ostafrika, an-
gegeben.
Von den Makua in Deutsch-Ostafrika berichtete Weule den gleiches
Mißbrauch. „Ganz systematisch müssen die heranwachsenden Mädchen die
Labia minora verlängern bis zur Größe von 7 — 8 und mehr Zentimeter. Der
Endzweck der ganzen Maßnahme ist erotischer Natur." Auch bei den
anderen Stämmen des Makonde-Plateaus finde sich dieser Brauch, wie
Weule versichert wurde.
Die Wahia am Nyassasee verlängern die Klitoris bis zur Länge
eines Fingers'2).
Im Jahre 1875 berichtete Missionar A. Merensky künstliche Verlängerung
der Labia minora von den Basti tos „und vielen anderen afrikanischen
Stämmen". Sie werde dadurch hervorgebracht, daß die älteren Mädchen,
sobald sie mit jüngeren allein seien, z. B. beim Holz- und Früchtesammeln,
diese an den erwähnten Teilen zerren und später förmlich auf Hölzchen
wickeln. Die Manipulationen beginnen fast gleich nach der Geburt.
Künstliche Verlängerung der Labia minora gab Merensky auch für
die Hottentottinnen an. Bekanntlich ist die „Hottentottenschürze" ja
schon vielfach der Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und Be-
sprechungen gewesen. „Das Weib" von PI oft -Bartels enthält eine ge-
drängte Übersicht über die wichtigsten Resultate derselben. Hier sei vor
allem das wesentliche aus dem schon in den früheren Auflasen des vor-
liegenden Werkes mit dem Zusätze mitgeteilt, daß die Ansichten, ob die bei
den Hottentottinnen und Buschweibern bzw. -mädchen nachgewiesene
außerordentliche Länge der Schamlippen künstliche oder natürliche seien,
auseinander gehen. Der Zoologe Lichtenstein in Berlin z. B. hielt die
„Hottentottenschürze" für kein Kunstprodukt8). Ein Vergleich der genannten
Erscheinung mit ähnlichen bei anderen Völkern, welche sie künstlich bewirken,
scheint Lichtensteins Ansicht allerdings zu widerlegen.
Le Vaillant berichtete in seinen „Reisen in das Innere von Afrika",
daß es unter den Hottentotten der Brauch sei, die großen4) Schamlippen
künstlich bis zu ca. 9 Zoll zu verlängern. Der Brauch sei nicht allgemein;
in einer Horde habe er nur vier Weiber und ein .Mädchen mit dieser Er-
scheinung beobachtet, welche auf Koketterie zurückzuführen sei. Die Ver-
längerung werde dadurch erzielt, daß man die Teile reibe und zerre und
schließlich durch Einführung von steinen oder dgl. noch wirksamer ziehe.
Nach Ploß-Bartels5) bezeichnete Damberger diese Behauptung Le Vaillants
als ..unstatthaft", was ..jeder leicht einsehe". - Ob Damberger damit recht
hat, ist unter anderem nach der obigen Mitteilung Merenskys zweifelhaft.
Denn wenn die Basuto-Mädchen die Labia minora nach Erlangung einer be-
') •-'. Aull. 1. 374.
-) Außer diesem Bericht fand sich bei /'/../; (I. 372 und 371) der folgende: „Als
Cameron durch (Jhiyo zog, das unweil des Tanganyika-Sees liegt, sagte man ihm, ein
wenig weiter nach Westen gingen die Leute völlig nackt, aber durch fortgesetzte Manipulation
n Kindern, wenn sie noch ganz klein sind, brächten sie es dahin, daß die Fettdeoke
des I' ii t eil ei I. es wie eme Seliiirze last bis auf die Mitte der Schenkel herab-
ixi dies entspräche bei ihnen dem Zweck der Bekleidung. Adtniral Andrade babe
i Cameron auf dessen Mitteilung von diesem Brauch erwidert, er habe Ähnliches in der
'■ii Mozambique, portugiesisches Südostafrika, gesehen.
■ /■',,<; Bartels, „Das Weib". 8. Aufl. I. L')S7.
4) Die im vorliegenden Paragraphen erwähnten Völker mit ähnlichen Bräuchen unter-
werfen die ■ n (LabU minora) der Deformation. Vgl. übrigens die andern Bericbti
über die Hottentotten auf dieser und dei folgenden Seite.
>•) I. e.
§252. Künstliche Verlängerung der weiblichen Genitalien. Deflorierung im Kimlesalter. 217
stimmten Länge auf Hölzchen wickeln, dann erscheint die Verwendung von
Steinen bei Hottentotten-Mädchen keineswegs unglaublich.
Hingegen stimmen die „großen" Schamlippen bei Le Yaillant nicht mit
den „kleinen- bei Men nshy. Andererseits definierte aber auch der Ethnograph
Fr. Müller nach seiner Teilnahme an der Novarareise die „Hottentotten-
schürze" als eine Verlängerung der „äußeren-' Schamlippen, welche 4 bis
6 Zoll herabhängen.
Bei den wenigen in Europa von Cuvier, Virey, Luschka, Gürte, Wäldeyei
u. a, untersuchten Hottentott innen und Buschmädchen bzw. Buschweibern
waren es nicht die großen, sondern die kleinen Schamlippen, welche Ver-
längerung zeigten; jene waren verhältnismäßig sehr klein, so daß Floß1) in
ihnen „ein stehenbleiben auf fötaler Stufe" zu erkennen glaubte und meinte.
es sei kein Grund zu der Annahme vorhanden, daß die Mißbildung bei den
jetzigen Generationen künstlich hervorgebracht sei. „Sollte," so fügte er bei. „zuerst
eine willkürliche Verlängerung der kleinen Schamlippen auf Kosten des Unifangs
der großen Schamlippen jahrhundertelang stattgefunden haben, und dann nach und
nach bei der Bevölkerung eine angeborne Verlängerung dieser Organe habituell
geworden sein, so würde allerdings dieser Nachweis der Übertragung einer
künstlich erzeugten Deformität auf die Nachkommen jener Völker für Darin »s
Lehre über die Arten- und Rassenbildung durch Vererbung und Zuchtwahl
sehr wichtig sein."
Seine Beschreibung eines deformierten Organs obiger Art lautete: „Die
großen (äußeren) Schamlippen stellten hier zwei ganz flache Wülste dar, die
sich nach oben und unten hin so allmählich verloren, daß weder von einer
Rima pudendi, noch von einer Kommissur die Rede ist; die kleinen Scham-
lippen liegen daher frei (fötale Bildung); vom flachen Venusberg (Mons veneris)
geht ein 26 mm langer Wulst ab, der Kitzler (Klitoris); die von der Kitzler-
vorhaut (Präputium clitoridis) ausgehenden kleinen Schamlippen haben eine
Höhe von 3,85 cm und eine Länge von 6 cm. Beide Nymphen, in der Mitte
aneinander gelegt, bilden einen nasenähnlichen Vorsprung."
Franz Müller schrieb, wie teilweise schon angedeutet: „Die sogenannte
Hottentotten-Schürze besteht in einer Verlängerung der äußeren Scham-
lippen, welche 4 — 6 Zoll lang herabhängen. Sie haben bei Frauen eine
schmutzig blaue Färbung und gleichen dem am Schnabel des Truthahns be-
findlichen Fleischklumpen. Wie es scheint, ist diese Verlängerung keine
natürliche, sondern künstlich erzeugte, und wurde nach und nach, wie dies
bei Mißbildungen häutig zu geschehen pflegt, vererbt."
Flower und Murie erwähnten'-') ein zwölfjähriges Mädchen bei den Cap-
Hottentotten, dem die Nymphen als zwei 3ya Zoll lange Lappen herabhingen.
Auf „Pithecoide" Zustände im evolutionistischen sinn, wie Blanchard
meinte3), darf nach den obigen Mitteilungen über die Dahomey-Neger, Waganda,
Makua, Wahia und Basutos, wegen solcher Erscheinungen, freilich noch nicht
geschlossen werden, zumal neuestens H. Kaufmann von den Auin-Busch-
leuten nicht nur künstliche Kürzung, sondern auch künstliche Ausdehnung
der kleinen Schamlippen, letzteres durch Langrecken mit der Hand,
berichtet hat4). Übrigens drängt sich einem bei dem Überblick über die
i) -J- Aufl. I. 374.
*) Hei Floß-Bartels I, 238.
3) Ebenda.
li Nach Floß-Bartels (I, 242) gibt es übrigens auch in Deutschland „Hottentotten-
9 thürzen". Der Verdacht liege nahe, daß deutsche Weiber durch Masturbation zu dieser
Auszeichnung kommen. — Andererseits ist aber zu erwägen, daß die verlängerten .Nymphen der
Abessinierinnen im lrj. Jahrhundert mit dem dortigen Klima erklärt wurden. Ähnliches be-
richtete der Arzt ./. Bruce in der. zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, sowohl von den
Abessiuierinnen, als auch von den Ägypterinnen und anderen Völkern.
218
Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
wissenschaftlichen Arbeiten betreffs „Hottentottenschürze" die Frage auf, ob
denn die untersuchten Mädchen und Weiber keine Erklärung der Erscheinung
abgaben. Wie aus Floß-Bartels (I, 238) hervorgeht, wurden ja nicht alle erst
nach dem Tod untersucht. —
Eine Deformation anderer Art ist bei den Malayen in Niederländisch-
Ostindien und in China gebräuchlich, d. h. hier wird das Hymen (Jungfern-
häutchen) der Mädchen von klein an teilweise oder ganz zerstört, indem die
Ammen, bzw. Kinderfrauen, bei den täglichen Waschungen der Geschlechts-
teile den Finger in die Scheide des Kindes einfuhren, wodurch das über den
Eingang gespannte Häufchen
zunächst nach innen ausgedehnt
wird und dann ganz oder zum
Teil verschwindet. Allerdings
scheint diese Wirkung nicht
bezweckt zu sein, sondern die
Amme oder Wärterin beab-
sichtigt nach Vilh'iirurrs Dar-
stellung dieses Brauches in
China nur die Beseitigung des
vielen Schleimes, welcher sich
unter dem heißen Klima in den
Genitalien sammelt. In
Niederländisch - Ostindien
verfahren die einheimischen
Ammen sogar mit den ihnen
anvertrauten Töchtern der Eng-
länder und Holländer auf jene
Art. Die Chinesen, ihre Ärzte
initinbegriffen, sollen von dem
bei den Bräuten anderer Völker
so hochwichtigen Hymen gar
nichts wissen.
Die uns aus Afrika be-
kannte künstliche Verlängerung
der Schamlippen war auch auf
l'onape, einer Insel der öst-
lichen Karolinen gebräuch-
lich. Otto Finsch schrieb: „Als
bi soliderer Beiz eines Mädchens
oder einer Frau gelten beson-
ders verlängerte, herabhängende
Labia interna. Zu diesem Behüte
durch Ziehen und Zupfen bei
sind, diesen Schmuck künstlich
gewissen Zeiten bis zur lieran-
Zeit ist es ebenso die Aufgabe
natürliche Entwicklung zu ver-
leihen, weshalb dieser Teil nicht allein anhaltend gerieben sowie mit der
Zunge beleckt, sondern auch durch den stich einer großen Ameise gereizt
wird, dei einen kurzen, prickelnden Beiz verursacht. Im Einklänge hiermit
-teilen die Extravaganzen im Genuß des Geschlechtstriebs. Die Männer be-
dienen sieh zur größeren Aufreizung der Frauen nicht allein der Zunge,
sondern auch der Zähne, mit welchen sie die verlängerten Schamlippen fassen,
um sie Länger zu zerren."
Pig. 306. Eine Christin auf Ponape mit ihren sechs Neffen.
Von dein Missionssekretariat der rheinisch - westfälischen
Kapuzinerprovinz Ehrenbreitstein a. Rh.
werden impotente Greise angestellt, welche
Mädchen, noch wenn dieselben kleine Kinder
hervorzubringen bemühl sind, und damit zu
nahenden Pubertät fort fahren. Zu gleicher
dieser impotenten, der Klitoris eine mehr als
§ 252. Künstliche Verlängerung der weibliehen Genitalien. Deflorierung im Kindesalter. 219
Künstliche Verlängerung der äußeren oder auch der inneren Schamlippen
ist ferner bei nordamerikanischen Indianerstämmen gebräuchlich. Prinz Max zu
Wied hat sie von den Mandan-, den Minetari- und den Krähen-(Crow-)
Indianern, sämtlich Zweige der Sioux-Familie, berichtet.
Die uns aus China und Niederländisch-Ostindien bekannte gewalt-
same Zerstörung des Hymen an kleinen Mädchen hat ihre Parallele in Süd-
amerika.
W. Ch. G. v. Feldner1) meldete von den Machacura-Indianerinnen
in Brasilien:
Nulla inter illas invenitur virgo, quia mater inde a teuere aetate filiae
maxima cum cura omnem vaginae constrictionem ingredimentumque2) amovere
Fig. 3ü6. Kinder aus dem Stamme der Krähen-Indianer. (Copyright F. A. Rinehart, Omaha.) Im K.
Museum für Völkerkunde in Berlin.
studet hoc quidem modo: manui dextrae imponitur folium arboris in infundi-
buli formam radactum, et dum index, in partes genitales immissus, huc et illud
movetur, per infundibulum aqua tepida immittitur.
Wenn in Paraguay ein Mädchen zur Welt kommt, dann bohrt ihm die
Hebamme den Finger in die Vagina, wozu sie sagt: Dies ist ein Weib
(Mantegaezd) :i).
Im alten Mexiko war die erste Deflorierung ein hohepriesterlicher
Akt und ein Vorzug der Vornehmen. Bancroft schrieb:
Die Töchter der vornehmen alten Mexikaner wurden am 28. oder 29.
T. <xe nach ihrer Geburt, oder doch innerhalb ihrer ersten fünf Lebensjahre
') Bei Ploß, 2. Aufl. I, 376, Anm.
2) Wohl „iinpedimentum"?
s) Nach einer schriftlichen Mitteilung an Ploß.
220 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
von dem Hohenpriester mit dem Finger defloriert, und im sechsten Jahre
wurde die Operation auf Geheiß des Priesters von der Mutter des Kindes
wiederholt ').
§ 253. Exstirpation, Zirkuinzision, Infibulation, Aufschneidung usw.
In Persien ist es nach Chardin bei einigen Nomadenstäinmen Brauch,
die Mädclien mit Eintritt der Reife zu beschneiden. — Polak hingegen er-
fuhr von einer Mädchenbeschneidung in Persien nichts, wie Plo/i in der
2. Auflage bemerkte.
Die Falaschas, vortalmudische Juden in Abessinien, lassen ihre
Töchterchen am Ende der zweiten Lebenswoche von Frauen beschneiden.
Aus Arabien erwähnte schon Strähn Mädchenbeschneidung. — Im
9. Jahrhundert n. Chr. wurde sie von dem arabischen Arzt Rhazes erwähnt.
Die üppigen Araber hätten sich dadurch (?) vom weiblichen Geschlecht Genuß
zu verschaffen gesucht.
Als Beschneidungsalter für die Mädclien gab Niebuhr wenige Wochen
nach der Geburt an. — Nach Seezen wird in den Städten die Beschneidung
öffentlich angeboten, d. h. die Weiber, welche sie ausführen, ziehen in der
Stadt umher und rufen: „Gibt es Mädchen zu beschneiden?" - Die Operation
besteht nach Niebuhr und Muradyea d'Ohsson darin, daß die Beschneiderin
in die Geschlechtsteile des Kindes einen kleinen Einschnitt macht. Etwas Näheres
anzugeben sei nicht möglich, da die dortigen Muselmanen niemanden zugegen
seiu ließen und wenig darüber mitteilten. - - Die Operation bezeichnen die
Araber als „battar" oder „chaphadh" (Knabenbeschneidung „chatau"). -■ Die
Beschneiderin heißt „mobatterat" und der abgeschnittene Teil „bäta".
Golius beschrieb es'-) als „res oblongior, caruneulae similis in pudendis feminae"3).
Für den beschneidenden Teil haben die Araber die Bezeichnung „nava".
Ein Mädchen „Unbeschnittene" zu nennen, ist eine Beleidigung.
Auf die Beschneidung der Mädchen speziell in Arabia Petraea ist
schon bei der Knabenbeschneidung hingewiesen worden.
Auch die Araber in Afrika üben Mädchenbeschneidung.
Burchhardt teilte sie von den Araberst ämnien am westlichen Ufer
des Nil von Thebae bis zu den Nilkatarakten, also im südlichen Ägypten
mit, aber auch von den nubischen. also haniit ischen, Völkern südlich von
Kenne und Esne bis Sennaar.
Was die Art und Weise der Operation betrifft, so erwähnte Burchkardt
aus der Umgebung von Esne, Siut und Kairo, also von Ober- und Unter-
ägypten, Rasierer, welche „obstruetionem novacula amovent".
Hartmann berichtete aus Ägypten und Abessinien, den dortigen
Mädchen werde, das Praeputium clitoridis, seltener die Klitoris selbst, oder ein
an der vorderen Kommissur der labia majora hervorwachsender Klunker ab-
getragen.
h'iili/irl. meldete ans A ltess i n i en und Massaua4) „K'ezision der Nerven-
warze am Pubis", was nach Floß gleichfalls „Ausschneiden der Klitoris" be-
deutet. -■ Im i«i. Jahrhundert scheinl in Abessinien die Mädchenbeschnei-
dung sowohl die Klitoris als auch die Nymphen umschlossen zu haben. Denn
Floß schrieb in der 2. Auflage (I, 380):
') Vgl. die rohe Deflorierung australischer Mädchen in S 258.
-) Bei Floß, 2. Aul'l I. 382.
3i Nach Floß (I, :183) ist mit dieser „res oblongior" wohl die Klitoris zu verstehen,
da die dort angeführte Operation in den Städten Arabiens die gleiche sei wie auf Massen a
und in A bessi nien.
4) Für Massaua erwähnte Floß (2, Aufl. 1,885) auch die noch später zu beschreibende
I n I i liul ;i I i ii ii ili ■ weiblichen Geschlechtes.
§ 253. Exstirpation, Zirkumzisioii, Infibulation, Aufschneidung usw. 221
„Die katholischen Priester, welche im 16. Jahrhundert in Abessinien
Fuß gefaßt und das Christentum ausgebreitet hatten, verboten zu jener Zeit
die Beschneiduno: ihrer Proselythmen, denn sie glaubten, in derselben einen
Überrest des Heidentums zu finden. Allein die Folge dieses Verbots war, daß
sich dort Niemand mit einer Katholikin verheiraten wollte. Die Priester
sahen sich daher genötigt, die Beschneiduno- der Weiber zuzulassen, nachdem
ein von der Propaganda in Rom abgesandter Wundarzt die „Notwendigkeit"
des alten (durchaus nicht religiösen) Gebrauchs festgestellt hatte. Der Arzt
wollte nämlich daselbst beobachtet haben, daß der in jenen Ländern heimische
Auswuchs (die große Klitoris und die verlängerten Nymphen) an den
Geschlechtsteilen der Frauen bei den Männern einen großen und unüberwind-
lichen Abscheu errege und folglich dem Zwecke der fthe hinderlich sei."
Im welche Völkerschaften Abesstniens es sich hier handelt, muß ich
unentschieden lassen (vgl. Harrar w. u.). Von den Agau (Agow, Agaw), der
hamitischen, sogenannten Urbevölkerung des Landes, sowie von den gleichfalls
hamitischen Gallas1), Gongas und Gaff ats bezeugte J. Bruce Mädchen-
beschneidung. Diese habe wegen der durch das heiße Klima und anderer,
Ursachen bewirkten Ungestaltheit der Geschlechtsteile als notwendig gegolten.
Die Operation sei mit s Jahren vorgenommen worden.
In neuester Zeit teilt Bieber von den Katfitscho, einem Gallastamm
in Abessinien. mit:
Kbenso allgemein wie die Knabenbesclmeidung (vgl. diese) ist auch die
Mädchenbeschneidung. Sie besteht im Abschneiden der Spitze der Klitoris.
Die Operation wird nicht von Priestern, sondern von berufsmäßigen Laien,
und zwar von Frauen „etakawati" gegen Bezahlung vorgenommen. Die
Mädchen müssen älter als die Knaben sein, d. h. 4 — 12 Monate zurück-
gelegt haben. Die Wunde wird nur mit Wasser gewaschen. Das Honorar
ist das gleiche wie bei der Knabenbesclmeidung. wird aber von der Mutter
des Mädchens ausgehändigt. Der bei der Knabenbesclmeidung erwähnte Fest-
akt unterbleibt bei der Mädchenbeschneidung'.
Für Harrar. einer Landschaft in Abessinien, deren Bevölkerung
sprachlich zu den Semiten gehört, fühlte Floß Infibulation an, und da.
wie wir weiter oben sahen, auch die abessinischen Falaschen (Juden) Be-
schneidung üben, scheint ganz Abessinien das weibliche Geschlecht sexuellen
Operationen zu unterwerfen.
Hier sei ferner eines semitischen Zweiges im nordwestlichen Afrika.
der Peul, gedacht, welche ihre Töchter bald nach der Geburt beschneiden2).
Vom ersten Katarakt nilaufwärt s3;. so schrieb Ferdinand Werne,
wird bei den Muselmanen an 9 — 10jährigen Mädchen nach der Exzision
eine zweite i Iperation vorgenommen, eine sicherere Vorkehrung, als alle künst-
lichen Schlösser und Federn, mit welchen rohe Ritter ihre Frauen umschlossen,
wenn sie Kreuz- und andere Züge machten, oder überhaupt den Gattinnen
nicht trauten4). Alte Weiber legen ein solches, dem Volksgebrauche unter-
') Von den Gallas erwähnte Floß auch Infibulation.
-i Floß, 2. Aufl. 1, 382.
3j Wenn, wie gewöhnlich angenommen wird, die nördliche Grenze von Nubien mit
dem Parallelkreis der Katarakte bei Assuan zusammenfällt, das von Burckliarilt \\ ,-. u. er-
wähnte Oberägypten also nur bis dorthin reicht, dann kommt Infibulation auch noch nil-
abwärts von den ersten Katarakten vor. Kbenso darf nicht vergessen werden, daß wir es
in Nubien nicht nur mit äthiopischen Zweigen der Hamiten. sondern auch mit Arabern zu
tun haben.
*) Im 18. Jahrhundert sollen sogar in Frankreich Vorschläge zur Vernähung des weib-
lich-n Geschlechtes nach nubischer Methode gemacht worden sein. Floß wies bei dieser Be-
merkung namentlich auf den Dictionnaire de Theboux, Tome VI, Paris 1752, p. 943, Art.
..Kitrecisseuse" hin.
220 Kapitel XXXVill. Sexuelle Operationen.
worfenes Opfer auf einen Anqareb und skarüizieren mit einem scharfen Messer
die beiden Wände der großen Schamlefzen bis auf einen kleinen Raum nach
dem After hin. Darauf nehmen sie eine Ferda (jenes lange Stück Baum-
wollenzeug mit verzierten Enden, so .Männer und Weiber um ihren Körper
gürten) und umwickeln damit dem Mädchen tue Kniee fest, wodurch jene
skariiizierten Teile, aneinandergeschlossen, auf die Dauer verwachsen, bis auf
den nicht wund gemachten Teil: in die kleine Öffnung wird wegen des möglichen
Zusammenwachsens ein Federkiel oder ein dünnes Rohr gesteckt, um den Be-
dürfnissen der Natur den Weg offen zu halten. 40 lange Tage muß das
.Madchen in dieser Lage auf dem Anqareb mit gebundenen Knieen aushalten.
ausgenommen wo ein Bedürfnis eintritt; und es scheint dieser Zeitraum, der
Erfahrung über wirklich erfolgte Zusammenwachsung der Schamlippen ent-
sprechend, gleichsam gesetzlich zu sein. Ist nun eine auf solche skandalöse
Art erhaltene Jungfrau — welche nicht selten, wenn man liebkosend sich ihr
nähert, mit einem „el bab masdüht oder makful" (das Tor ist verschlossen i
sich entschuldigt - - früher oder später Braut geworden, so werden die ob-
szönen Handlungen fortgesetzt. Eines von den Weibern, welche jene Operation
ausführen, kommt unmittelbar vor der Hochzeit zum Bräutigam, um dessen
männliche Vorzüge zu messen; sie verfertigt darauf eine Art Phallus von Ton
oder Holz und verrichtet an der Braut genau nach dem Maße desselben eine
teilweise Aufschneidung; der mit einem Fettlappen umwundene Zapfen bleibt
stecken, um ein neues Zusammenwachsen zu verhüten. Unter den gebräuch-
lichen lärmenden Hochzeitsfeierlichkeiten führt alsdann der Mann sein mit
verbissenem Schmerze einherschreitendes Weib nach Hause auf das Gerüst
hinter einen grob wollenen Vorhang -- und schon nach vier oder fünf Tagen,
ohne die Wunden heilen oder vernarben zu lassen, fällt der Tiermensch über
sein Opfer her. Vor dem Gebären wird das Muliebre zwar durch totale
Lösung in integrum restituiert, allein nach der Geburt, je nach Belieben des
Mannes, bis auf die mittlere oder die kleinste Öffnung wieder geschlossen,
und so fort.
In der Berberei lernte F. Werne eine junge Witwe kennen, welche
sich über den Tod ihres Gatten freute, weil er sie in kurzer Zeit siebenmal
einer solchen Operation, von der die Narben, sieht- und fühlbar. Ekel erregten,
unbarmherzig unterworfen hatte.
Tanners Schilderung lautet: „Puella, adhuc tenera, humi supina prosterni-
tnr, cruribus sursum trusis, genubus tlexis et in diversum extensis. Sic ja-
centi, verendorum labia acuta novacula utrinque per totum paene os scalpuntur,
relicta ad extremnm deorsus hiatum in longitudinem quarta unciae parte, in
quam calamus pennam anserinam circulo aequiparans intro immittitur. Hoc
facto labiorum margines, sanguine adhuc stillantes in ununi coguntur, eo con-
siliu nt resanescentes conjungantur, et nihil aliud apertum reliiiquatur. quam
exiguum illud foramen, quod per calamum insertum reservatur.
Quae ut tiat conjunetio et superficies labiorum scalpro nuper incisa quam
optime coeat, puellae crura genubus et talis inter se nexis colligantur. Hinc
fit, ut nulla membrorum tensione vel luctatione labella jamjam concrescentia
possint separari. Pos1 paueos dies firmiter intei se cohaerent, et forma, quam
natura dederat, nulla apparet. Ita laevis est pars ea, quae monti qui veneria
proxime subjacet, ut speciem nudae feminae, quem admodum sculptores
ituam es ea parte laevigant, omnino repraesentet. Calamo subdueto perexigua
quae relinquitur apertura officio urethrae fungitur.
Hoc artificio t litis licet pnellis cum pueiis libere consociari. dum dies
nuptialis advenerit, quo tempore sponsa sine controversia virgo est.
Festum, quod in honorem nuptiarum celebratur, rhu, qui tinem castitati
adhuc coaetae imponat, concluditur. Sponsa a quibusdam ex amicis suis, officio
§ 253. Exstirpation, Zirkumzision, Infibulation, Aufschneidung usw. 223
proiiubaruin fugentibus, tanquam jure occupatur. Mulier, rei agendae perita,
ferramentum acutum, curvatum, in falsi urethrae canalem inserit, quod eum
adiuodum curvatum est, ut, quum cuspis cura adhibita, sursum propellitur.
cutis, ubi opus est, perforatur. Uno ictu tegumentum dissuitur, et rimae
longitudo eadem prope, quae prius fuerat, restituitur. Ex illo tempore sponsa
summa vigilantia a pronubis observatur, a quibus ad mariti tugurium deducitur.
Ibi ante fores in vigilia manent pronubae, et Signum, quod ex usu convenit,
auscultantes exspectant: quo intus edito, chorus omnis feminarum clara voce,
arguta simul et injucunda, more suo exultantes ululant . . . Antequam mulier
puerum eniti possit, opus est, vaginam secando dilatare, quae post partum
arundine introducta ad priorem mensuram iterum con contrahitur." -
Burckhardt schrieb: ,-.Milii contigit nigram quandam puellam, quae hanc
operationem subierat, inspicere Labia pudendorum acu et filo consuta mihi
plane detecta fuere, foramine angusto in nieatum urinae relicto.'- — Hier
handelt es sich also um ein förmliches Zusammennähen, nicht nur, wie in
Wernes und Tann ers Schilderung, um ein Zusammenwachsen. Dieses folgt
auf jenes in Burekhardts Fall:
„Cäcatrix post excisionen clitoridis') parietes ipsos vaginae, foramine
parvo relicto, inter se glutinat. Cum tempus nuptiarum adveniat, membranam,
a qua vagina clauditur, coram pluribus inciditur, sponso ipso adjuvante. Inter-
dum evenit, ut operationem efficere nequeat sine ope mulieris alicujus ex-
pertae, quae scalpello partes vaginae profundius rescindit. Maritas crastina
die cum uxore plerumque habitat; unde illa Arabum'-) sententia: Leilat ed-
dokhle messel leilat et Fatouh i. e. Post diem aperturae dies coitus. Ex hac
consuetudine fit, ut sponsus nunquam decipiatur, et ex hoc fit, ut in Aegypto
Superiori innuptae repulsare lascivias hominum Student, dicentes: Tabousny
wala' takghergang. Sed quantum eis sit invita haec continentia post matri-
inonium demonstrant, libidini quam maxime indulgent.es.
Ähnlich wie Burekhardt erwähnt Russegger eine förmliche Zunähung
der Labia mit Nadel und Faden oder Draht. Diese Operation finde (nach
der Exzision und Zirkumzision) im Alter von 6—8 Jahren statt. Wie
Tanner, so erwähnte ferner Russegger sachkundige Weiber, welche mit der Auf-
schneidung der Naht vor der Hochzeit betraut sind. Das sei ein festlicher Akt.
Von den Bedja im nördlichen Nubien schrieb Magrizi schon im Mittel-
alter, daß sie die Schamlefzen der Mädchen beschneiden und dann die Wunde
zusammenwachsen lassen, um sie erst bei der Verheiratung wieder zu öffnen3).
Das Alter der zu operierenden Mädchen bei den heutigen Bedja, sowie
bei den Galla und Somal, ferner in Hariar und auf Massaua beträgt nach
Ploß*) 2 — 9 Jahre; Brehm habe 5 — 7 Jahre angegeben.
') Ploß (2. Aufl. I, 329) meinte, Bwcklmrdt habe die Zirkumzisiou (Besehneidung der
Nymphen) mit der Exzision der Klitoris verwechselt. Aber hier dürfte der Irrtum bei Ploß
liegen; denn auch Rußegger fand bei den „meisten Völkern des südlichen Nubien" neben
der Zirkumzisiou (Beschneidung des Bandes der Vagina) Ausschneidung der Klitoris, wie
Ploß selbst in der 2. Auflage referierte und allerdings ebenfalls anzweifelte. Aber auch hier
dürfte sich Ploß getäuscht haben, der in beiden Fällen vorauszusetzen schien, daß diese
Operationen sich gegenseitig ausschließen. Merkwürdigerweise bemerkte er aber zu R. Hart-
manns Mitteilungen über den gleichen Gegenstand: „Es scheint also nach Hartmanns Bericht,
als ob man auch bei der Vernähung gleichzeitig mit die Exzision vollbringt. Hiervon sprechen
aber andere nicht" (I, 390). Die Vernähung bzw. das Zusammeuwachsenlassen der Labia
folgt auf jene Operationen. — Vgl. ferner Ploß über Rüpjpels „Rezision der Nervenwarze",
S. 220, sowie die dortige Anmerkung zu Massaua.
2) Das beweist wohl, daß die Infibulation nicht etwa nur hamitischer, bzw. nubischer.
sondern auch arabischer Brauch ist, worauf ich schon früher aufmerksam machte. Die ein-
gangs dieses Paragraphen angeführte Bemerkung des Arabers Rhazes läßt vermuten, daß der
Araber sich das Weib schon im 9. Jahrhundert auf diese Art zu sichern suchte.
3) Ploß, 2. Aufl. I, 386.
*) Ebenda, 385.
224 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
E. Hartmanns Beschreibung der „Vernähung" .südlich von Wädi Halfah
(Nubien), sowie in Dar-Sennär und Kordofan, zwei weiteren Provinzen des
ägyptischen Sudan1), stimmt im wesentlichen mit dem uns bereits bekannten
iiberein. Bemerkenswert darüber hinaus ist, daß die Operierte während der
Heilung sich mit schmaler Kost begnügen muß. daß der Sudanese die Ver-
schließung seiner Töchter als eine geheiligte Sitte betrachte, deren Vor-
trefflichkeil rühme und den Tag dieser Operation festlich begehe.
Ebenso stimmt die Schilderung Brehms im allgemeinen mit den uns
bekannten, früheren und späteren, aus dem Sudan überein. Außerdem teilte
Brehm mit, daß in Dar For2), zentraler Sudan, an den zu beschneidenden
Mädchen auch die Sutura cruenta, d. h. die uns durch Burckhardt und Russegger
aus den mein- östlich-nordöstlich gelegenen Gebieten her bekannte Vernähung
mit Nadel und Faden vorgenommen werde, und zwar in Dar For an den
großen Schamlippen, nachdem die kleinen durch Schnitte wund gemacht
sind. Demnach ist hier das Mädchen doppelt verschlossen; denn die
verwundeten Labia minora verwachsen infolge der Verwundung wohl auch
ineinander3).
Was Dar-Sennär und Kordofan betrifft, so linden sich die obigen
Angaben größtenteils durch jene des Fr. Cailliaud und Rüppell bestätigt.
Nach jenem verwendet man in Dar-SenmTr bei der Aufschneidung vor der
Hochzeit im Notfall glühendes Eisen und ein Rasiermesser. Dazu bemerkt
Cailliaud: „On dirait que la sensibilite emoussee chez ces peuples les empeche
d'apprecier les souffrances inouies et les accidents graves et inevitables de
ces pratiques inhumaines, inventees par te despotisme du sexe le plus fort,
pour s'assurer la jouissanee premiere de cette fleur virginale si fugitive dans
Ions les autres pays. Quoi qu'il en soit, il en coüte assez eher pour faire
remettre Line jeune fille en etat de remplir des devoirs conjugaux. S'il en est
quelqu'une qui, ä defaut de moyens peeuniaires, se marie sans avoir subi reite
preparation essentielle, c'est ä l'epoux prendre ä cet egard le parti qui hü
convient; mais lorsqu'il reussit, chose difficile, ä la rendre feconde, eile a le
droil d'exiger qu'une des matrones, qui exercenl ce cruel metier lasse disparaitre
gratis des obstacles, qui contrarient le travail de l'enfantement. La jeune
veuve, qui conserve l'espoir de se remarier, n'hesite point ä se soumettre une
seconde Eois aus tortures de cette double laceration."
Aus Rü/ppelh Mitteilungen über Kordofan sei hier erwähnt, daß die Auf-
schneidung der Brau! nicht vor der Entrichtung des ganzen Brautpreises statt-
findet4), und daß die nach der Entbindung wiederholt inlibuliei teil Labia nach
der Entwöhnung des Säuglings wieder aufgeschnitten werden5). Das wieder-
hole sich auf Verlangen des Ehemannes (bei vielen?) bis nach dem dritten
oiler vierten Wochenbett; öfters unterbleibe die tufibulation aber schon nach
dem ersten.
Rüppell sah Weiber, deren Männer kurz nach einem i\vt- ersten Wochen-
betten ihrer Gatten gestorben waren, und da zur Zeil des Todesfalls die Wunde
der Aufschneidung zugewachsen war. befanden die Krauen sich in einem
sonderbaren Zustande, aber ihre Eltern zwangen sie. in dem traurigen Status
Die Bevölkerung von Kordofan setzl sich aus Arabern, Nubiern und Sudannegern
iimen.
Araber und Km-, ein Negervolk,
') W;i Werne von der Berberei mitteilte, berichtete Brehm von den Sudanesen,
0 gu( wie dort, Ehemänner gibt, welche ihre Frauen nach der Knt-
ei Beschneidung um. hl [nfibulatioo?) unterwerfen.
b Für die meisten Stämme in Kordofan 20 Tage vor der Hochzeit an.
:'< Vgl. dii i Enthaltung während der Stillzeit auch bei anderen Völkern in
Kap XXVI.
§ 253. Exstirpation, Zirkumzision, lnfibulation, Aufschneidung usw. 225
zu bleiben, denn durch die Aufschneidung hätten sich diese Frauen eo ipso
in die Klasse der Freudenmädchen versetzt. —
Die Exzision findet in Kordofan um das achte Lebensjahr statt
(Ignas Pallme).
Infibulation ist ferner von den Beduinen der Bajudah- Steppe (Kababisch-
A raber?) im westlichen Nubien, linkes Nilufer, berichtet worden. A.ls Be-
schneidungsalter der dortigen Mädchen gaben A. von Barnim und R. Hart-
mann 5 — 8 Jahre an.
Exzision der Nymphen soll in der „Kleinen Oase" (Uah el-Beharie)
im nördlichen Teil der Libyschen Wüste stattfinden {Paul Ascheron).
Exzision hat ferner Ploß1) im Hinweis auf Werne von den Kopten,
den Nachkommen der alten Ägypter, erwähnt.
Auch bei den alten Ägyptern ist Mädchenbeschneidung, und zwar, wie
ans dem unten folgenden „7repwsu;vs(ji}ai" hervorgeht, Zirkumzision erwiesen. —
Das war aber nicht die einzige Beschneidungsform, sondern man amputierte auch
die Klitoris, wenn diese aus den Labia majora hervortrat, hauptsächlich, wenn
es sich um mannbare Mädchen handelte, welche in fremde Dienste traten, wie
aus der folgenden Stelle bei Paulas von Aegina (7. Jahrh. n. Chr.) hervor-
geht: „Quapropter Aegyptiis Visum est ut antequam exuberet, ämputetur, tunc
praecipue, quum nubiles virgines sunt elocaudae." — Paulus von Aegina selbst
riet'-) zur Abschneidung der widernatürlich vergrößerten Klitoris3).
Die altägyptische Zirkumzision bei Mädchen wird, wie augedeutet, durch
das 7tepiT£[j.v3oi)ai in einem ägyptischen Papyrus erwiesen, aus welchem Back-
ofen die folgende Stelle nach Bernardino Peyron anführte: „Armai, ein in der
Klausur des memphitischen Serapeum lebender Ägypter4), reicht dem Strategen
Dionysios folgende Klagschrift ein: Tatemi, die Tochter der Nefori von
Memphis, lebe mit ihm im Serapeum. und habe durch ihre Kollekten und die
freiwilligen Gaben der Besucher bereits ein Vermögen, betragend ein Talent
und 300 Drachmen, gesammelt, das sie ihm als Depositum zur Aufbewahrung
anvertraut. Darauf sei er von der Mutter der Tatemi folgender Art betrogen
worden: sie habe ihm vorgegeben, die Tochter stehe in dem Alter, in welchem
sie nach ägyptischer Sitte beschnitten werden müsse (irspiTSftveoftai) ; er möge
ihr daher jene Summe verabfolgen, damit sie bei der Vornahme jener feier-
lichen Handlung die Tochter einkleiden und angemessen dotieren könne. Sollte
sie nicht dazu kommen, das Vorhaben zu erfüllen und die Tochter Tatemi
im Monat Mechir des Jahres XVIII zu beschneiden, so werde sie mir die
Summe von 2400 Drachmen zurückerstatten. Auf diesen Vorschlag sei er
eingetreten und habe der Nefori das Talent und die 300 Drachmen eingehändigt,
Aber die Mutter habe von allem nichts gehalten, und als nun die Tochter
ihm Vorwürfe gemacht und ihr Geld zurückverlangt, sei es ihm durch wichtige
Geschäfte unmöglich geworden, sich selbst nach Memphis zu begeben und
dort seine Angelegenheit zu besorgen. Darum gehe seine Bitte dahin, Nefori
möge vor Gericht geladen und die Sache zum Gegenstand richterlicher Be-
urteilung gemacht werden."
Die Beschneidung der Mädchen war also im alten Ägypten vorgeschrieben
und ein feierlicher Akt, nach welchem die Mädchen als heiratsfähig galten.
') 2. Aufl. I, 381.
-I Nach Ploß (2. Aufl.) I, 379.
3) Vgl. die „Hottentottenschürze" und ähnliche Erscheinungen bei anderen afrikanischen
Völkern, auch bei deutschen Frauen. Man muß mit dem Verdacht der Masturbation doch
sehr vorsichtig sein.
4) Bei dem Serapis-Tempel bei Sakkara, südlich von Kairo, am linken Nilufer, lebten
Mönche.
Ploß-Renz. Das Kind. 3. AuB. Baml II. 15
9^. Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Die von Ploli ausgesprochene Vermutung i), daß die Beschneidung vielleicht
^n Vorrecht der im Serapeum erzogenen Mädchen war, da dieselbe ja beim
n?„nli hen Ges h echt ein Vorrecht der Priester- und Kriegerkaste gewesen
S Skauir ThaUbar, weil das letztere Vorrecht nicht bestand, wie Bawhnscn
stellen förmlich zusammen,
wozu Pferdeliaar benutzt
wird. Ein enger Kanal zum
Entleeren des Urins wird selbst-
verständlich auch im Somali-
Land freigelassen. — Das Alter
der Kandidatinnen schwankt
zwischen 8 und 10 Jahren
i Hildebrandt und Paulitschke).
Daß Mädchenbeschnei-
dung auch bei den Kikuyu in
Britisch -Ostafrika üblich
ist, wurde bei der Knaben-
beschneidung angedeutet. Ihre
sozial-religiöse Bedeutung ent-
spricht jener der Knaben.
Hier sei beigefügt, daß die
durch die Beschneidung weg-
zunehmende Sünde nach
Kikuyu-Auffassung die Ur-
sache aller Übel ist, daß man
mit der Sünde nur Bluts-
» verwandte infizieren kann, und
f t daß man die Sünde, also auch
■'■V/ L die Ursache aller Übel, haupt-
' : _~7a/l sächlich durch die Zeugung auf
. ' ( / seine Nachkommen überträgt.
• > __^ JT Deshalb müssen beide be-
schlechter beschnitten werden,
ehe sie der Zeugung fähig
sind; denn nur so sind .ihre
Nachkommen vor dem Übel
o-eschützt. Es gilt als Sünde,
wenn ein Mädchen die erste Regel hat, ehe *S*ä£^ ~ ^JJ?Ä
des Tempels, Baumkult usw. werden vor der ^^^^^J^S, der
Knabenbeschneidung vorgenommen. - Der frühere J™uch^au na und
Beschneidung Burschen zum ersten Koitus ein altes ; Weib "*«"» den
dieses hierauf zu Tode steinigten, um den nach K.ku >u-A i . mi nB ai
erste, Koitus folgenden Tod auf dieses \\ ei b . wöxen, natt ir
Parallele in dem Brauch der beschnittenen Madchen, sie* n c* ^t| dieser
mit einem unbeschnittenen Knaben zu verbinden. Getötet ,™«J h
deshalb nicht zu werden, weil er als Unbeschnittener noch nicht als Mensc
galt (Cayzac).
i) 2. Aufl. I, 378. . ... r^.hWhtes Abschnitt 11 anüten und Neger.
*) Siehe die Beschneidung «los mannlichen Geschlechtes, ädscdu
Fi» 807 Knaben aus den ustufrikaiiisolien Mizollen der Vater
vom hl. Geist. Sekretarial Kneohtsteden, Rheinprovinz.
§ 253. Exstirpation, Zirkumzision, Infibulation, Aufsehneidung usw.
227
Mädchenbeschneidimg bei den Kikuyu (Wakikuyu) hatte aucli Ploß in
der 2. Auflage I, 362 erwähnt, und zwar in Verbindung mit der Mädchen-
beschneidung der Massai1), Wakamba und Wanika. Sie finde, wie die der
Knaben, jedes dritte oder vierte Jahr an allen reifen Mädchen eines Distriktes
statt. Die Mädchen werden, getrennt von den Knaben, von einem alten Weib
beschnitten. — Auf S. 383 schrieb Ploß mit einem Hinweis auf Hildebrandt,
die Mädchenbeschneidung werde bei diesen Völkern und bei den Wad-
schagga nach dem ersten Zeichen der Pubertät, d. h. im 8. — 10. Jahre, oder
auch später, kurz vor der Heirat vor-
genommen'). „Die Operation geschieht durch
Abschneiden des Praeputium Clitoridis." Die
Beschneiderin der K i k u y u-Mädchen gebrauche,
hierzu eines der dort gebräuchlichen drei-
eckigen Rasiermesser. — Vernähung im eigent-
lichen oder uneigentlichen Sinn komme bei
diesen Völkern Ostafrikas nicht vor (I, 389).
— Bei den Wakamba benutze man zur
Mädchenbeschneidung das gleiche Messer,
welches zur vorhergehenden Knabenbe-
schneidung verwendet werde; nur biege man
die abgerundete Spitze oben am Messer um.
— Zum Auffangen des Blutes werde bei den
Kikuyu das junge, noch unaufgerollte Spitzen-
blatt der Banane vorgehalten, welches dann
samt, dem Fleische verscharrt werde. — Nach-
dem sämtliche Kandidaten beider Geschlechter
beschnitten seien (vgl. Knabenbeschneidung),
führen die männlichen Glieder des Stammes
um die Burschen, die weiblichen um die
Mädchen einen Tanz auf; man hülle die auf
der Erde sitzenden Beschnittenen so in Leder,
daß nur der Kopf frei bleibe, die Angehörigen
schütten ihnen Ströme von Milch über Kopf
und Korper, und nun gelten die jungen Leute
als Erwachsene und Stammesmitglieder3).
Mädchenbeschneidung (neben der Knaben-
beschneidung) erwähnte Plo/ii) mit einem
Hinweis auf Clemens Denhardt, ferner bei
den englisch-ostafrikanischen Wapokomo,
einem Nachbarvolk der Somali; doch sei sie
hier nicht, allgemein; ferner von den
dortigen Waboni und Wasanja.
Was die im nördlichen Deutsch-
Ost afrika lebenden Massai und Bakulia betrifft, so hat in neuester Zeit
(191ü) Max Weiss nicht nur über deren Knaben-, sondern auch über deren
Mädchenbeschneidunjr Wertvolles berichtet:
Fig. 308. Mädchen aus den ostafiikauischen
Missionen der Väter vom hl. Geist. Sekre-
tariat Knechtsteden, Rheinprovinz.
') Über diese auf S. 228.
2) Auf S. 384 desselben Bandes schrieb Ploß, die Töchter der Massai und Wakuafi
werden, „erst kurz nach der Verheiratung beschnitten". Das gleiche hatte er S. 382 ge-
schrieben. — Auf S. 384 hatte Ploß ferner bemerkt, daß bei diesen beiden Völkern eine un-
beschnittene Person nicht in die Gesellschaft eintreten könne, und daß die Knaben schon im
3. Jahr beschnitten werden.
3) Ploß II, 437 f. (nach Hildebrandt).
*) 2. Aufl. I, 362.
228
Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Die Mädchenbeschneidung findet bei den Massai meist zwischen 12 und
14 .Taliien statt, d. h. wenn die schon vorher im Kriegerkraal zügellos lebenden
Madchen merken, daß ihre Reife herannaht. Dann verlassen sie den Kraal,
begeben sich zu ihren Müttern, und diese verabreden sich untereinander über
den Tag einer gemeinschaftlichen Operation, steht eine Knabenbeschneidnng
bevor, so wartet man diesen Tag ab, wählt jedoch einen andern Ort. häufig
die mütterliche Hütte. Am Tag vor der Operation rasiert man den .Mädchen
das Kopfhaar ab1). Die Beschneidung besteht im Abtrennen der Klitoris,
welche vorher mit kaltem Wasser unempfindlich gemacht wird. Während der
Handlang sitzt das Mädchen auf einem langen schmucklosen Lederschurz, der
nun an Stelle der bisherigen Kleidung tritt. Als Operateurin fungiert die weise
Kran: die unbedeutende Wunde wird mit Milch gewaschen. — Beim darauf-
Fig. 809. Massai-Weiber und Massai-Kinder. Aufnahme des Kunstverlages C Vincenti in Daressalaam,
Deutsch-! Istafrika.
folgenden .Mahl bewirten die Väter der Beschnittenen sämtliche Weiber des Kraals
mit Fleisch und Honigbier, was auch beim Beschneidungsmahl der Knaben ge-
reicht wird, hie Beschneidung dieser gilt für wichtiger als jene der Mädchen. —
Nach Hildehrandt verfiele bei den Massai jenes Mädchen, das vor der
Beschneidung ein Kind gebären winde, dem Ted. und das gleiche Schicksal
würde das Kind ereilen.
Die Mädchen der ßakulia werden nach .1/'" Weiß imAlter von 9 — 12
Jahren beschnitten. Auch hier sind die sogenannten weisen Frauen, sonst
Geburtshelferinnen, die Operateure. Wie für die Knaben (vgl. diese), so wird
für tlie Mädchen ein versteckter Platz in der Nähe des Dorfes gewählt Kein
männliches Wesen darf ihn betreten. Die von den weisen Frauen gegebenen
Lehren beziehen sich, wie dort, besonders auf das Geschlechtsleben, doch auch
auf sonstiges Verhalten für die Zukunft. Diese Frauen bleiben die Berate-
'i Vgl. die llaarschur nach der Beschneidung bei den Bakulia S. 229, sowie Kapitel XXX V.
§ 253. Exstirpation, Zirkumzision, Infibulation, Aufsckneidung usw.
229
rinnen der Beschnittenen für das spätere Leben. Die Operation. Abtrennen
der Klitoris, findet statt, während die Mädchen sitzen. Unmittelbar darauf
folgt das Rasieren des Haupthaares1). Die Heilung, welche durch nichts
unterstützt wird, warten die Mädchen in den Hütten ihrer Mütter ab, worauf,
wie bei den Knaben, große Tanzfeste stattfinden, und zwar auf dem Tanzplatze
der Knaben, doch ohne daß sich die Mädchen unter die Gruppen der Knaben
mischen. Nach der Beschneidungsfeier eröffnen die Mädchen offiziell den ge-
schlechtlichen Verkehr; sie empfangen die gewählten Jünglinge in den Hütten
ihrer Mütter.
Zu der phantastischen Ausstattung der beschnittenen Mädchen gehört
unter anderem ein Kürbistopf 2).
Zirkumzision der Mädchen
erwähnte Plo/i:i) von den Be-
wohnern Londus in Uganda.
englisches Ostafrika, welche „von
Westen herstammen".
Exstirpation der Klitoris
ist bei den Wagayo gebräuch-
lich. Die Abbildung eines von
dort stammenden Messers zn dem
genannten Zweck ist im Ab-
schnitt über die Knabenbeschnei-
dung eingereiht worden.
Die hochfestliche Beschnei-
dung der Mandingo -Jugend
beiderlei Geschlechtes mit ein-
tretender Pubertät, französisches
Nordwestafrika, ist im Abschnitt
Knabenbeschneidung erwähnt
worden. Hier sei nur beigefügt,
daß die Mandingo mit der Be-
schneidung Fruchtbarkeit der
Ehe bezwecken. — Die jungen
Mädchen wurden zu Mungo ParJcs
Zeit, also Ende des 18. Jahr-
hunderts, oft schon während der
zweimonatlichen Schlußfeier ver-
heiratet.
Über die Mädchenbeschnei-
dung der Soninkes (Sarakoles)
zwischen 8ene° a I und Niger bemerkte Fernand Daniel, dessen Mitteilungen über
die dortige Zirkumzision der 12 — 13jährigen Knaben schon früher wiedergegeben
worden sind, nur: ,,L' excision se pratique plus tot chez les filles."
Als Alter der zu beschneidenden Mädchen gibt Daniel „ungefähr
14 Tage- (quinze jours environ) an. - - Der Altersunterschied der beiden
Gesehlechter ist also nach Obigem in diesem Punkte auffallend. Auch der
Zw ick ist ein verschiedener, wenn Daniel ihn wahrheitsgetreu erfahren hat;
denn er schreibt: „Mesure d'hygiene, la circoncision est pratiquee par
tous les noirs*), meme fetichistes. Quant ä l'excision, son principal objet
J) Vgl. Massai.
-i Der Kürbis tritt in der Völkerkunde wiederholte Male als sexuelles Symbol auf.
s) 2. Aufl. I. 374.
4) Daß hygienische Gründe keineswegs bei „allen Schwarzen" die einzigen Gründe für
die Beschneidung des männlichen Geschlechtes sind, wenigstens sofern von ihnen Gründe an-
gegeben werden, ist aus den Mitteilungen über die Knabeiibeschueidung ersichtlich.
Km Massai- Mädchen aus dem Missionsgebiet
der Vater vom hl. Geist.
230 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
est de refrener les ardeurs genesiques de femmes nees sous im ciel
trop dement." — Als Besclineideriii fungiert das Weib eines Schmiedes, was
wohl mit dem eigentümlichen, teilweise geheimnisvollen Beruf der Schmiede
in der Auffassung verschiedener Negervölker zusammenhängen dürfte. —
Einige Stücke einheimischer Seife und ein Mudd (ungefähr 2 Kilo) Hirse
bilden das Honorar der Operateurin.
In Deutsch-Togo sind es die Yoruba- Stämme, welche ihre Töchter
vor der Verheiratung oder im Alter von etwa 14—17 Jahren der Exzision
unterwerfen. Im letzteren Falle führen die beschnittenen, noch unverheirateten
Mädchen ein zügelloses Leben. Alte Frauen vollziehen mit denselben Worten
und dem gleichen Bitus wie die Männer bei den Knaben1) die Operation.
Auch der Ausschnitt wird auf die gleiche Weise wie dort begraben.
Als zugestandene Vorbereitung zur Ehe faud Arehibäld Hewan die Mädchen-
beschneidung in Alt Calabar, englisches Nordwestafrika. Die Operation,
Amputation der Klitoris, wird mit Eintritt, der Reife an einem von der
Stadt entfernten Orte von einem Weibe mit einem Basiermesser ausgeführt.
Blutstillende Mittel sind bekannt. — Findet ein Mann nach der Verheiratung,
daß seine Gattin unbeschnitten ist, so trennt er sich von ihr, wie das Weib
es nach einer solchen Entdeckung an ihrem Gatten macht. — Dnbeschnitten-
sein ist also bei den Negern in Alt Calabar ein Scheidungsgrund.
Vnii den Bantu am untern Kongo schreibt der Baptisten-Missionar
/. //. Weeks, dessen Beschreibung der Knabenbeschneidung wir bereits kennen:
Auch an den Mädchen muß eine Operation vorgenommen werden, aber ich
kann darüber keine Auskunft erhalten, weil es ein Geheimnis ist. das der
nganga kumbi und die Mädchen bei sich behalten. — Alles was Weeks er-
fahren konnte, war, daß für die Mädchen auf einer Plattform ein Haus er-
richtet wird, weil die Mädchen in dieser Zeit mit dem Erdboden nicht in
Berührung kommen dürfen, und daß sie darin 3 — 4 Monate zubringen, singen
und tanzen. Gelegentlich komme der „nganga kumbi'' und unterrichte sie im
Eheleben. Die Mütter der Mädchen und andere Weiber sagen den Kandi-
datinnen, sie könnten keine Kinder bekommen, wenn sie diese „Operation
oder Zeremonie" nicht durchmachen würden.
J. B. DouriUe berichtete aus Loanda, portugiesisch Südwestafrika, daß
dort die Mädchen acht Tage vor der Hochzeit beschnitten weiden. Der
Zauberer schließt sich in dieser Zeit mit der Braut in einer abgesondert
gelegenen Hütte ein, wo er die Operation ausführt. Nach Ablauf der acht
Tage wird die Braut feierlich von ihren Verwandten abgeholt.
In der 2. Auflage hat Floß nach Dapper (17. Jahrh.) die folgenden
Beschneidungsbräuche aus einer Landschaft der Guinea-Neger erwähnt Sie
hätten ihren Ursprung in Gale (?) genommen und seien zu Dappers Zeil auch
in Polgia und Ouoja gebräuchlich gewesen. Die Stelle lautete bei I'lofi:
..Man bring! zehn- oder zwölf-, auch wohl mehrjährige Töchter, als auch Frauen
an einen sonderlichen abgeschiedenen Ort in einen Busch, nicht weit vom Dorfe;
da die Männer ihnen erst Wohnungen gemacht, und danach eine Frau aus
Gola2) kommen hissen, welche sie So»iiwilly nennen. Diese Soghwilly, welche
als eine l'iiesterin ist. gibt der Versammlung Hühner zu essen, welche sie
II iiliner des Hundes nennen, weil sie dadurch verbunden werden, allda zu
bleiben. Danach scheret man ihnen das Haar mit einem Schermesser
und bringl sie des andern Taues an einen Fluß im Busche; da zur Stunde
die gemelte Priesterin die Beschneidang verrichtet: nämlich eine muß
die andere festhalten, und die Priesterin zieht und schindet den Kitzel der
' i Siehe diese.
-i Ein Gola befindel sich in Andrces Handatlas östlich von Loanda, portugiesisch
i iko. Vi. lieses Gola das obige (i ale.
§ 253. Exstirpation, Zirkumzision, Infibulation, Aufsehneidung usw. 231
Wollust aus der Scham, welches überaus blutet und selir schmerzet. Nach der
Beschneidung heilt die Priesterin die "Wunden mit grünen Kreutern, welches
zuweilen kaum in 10 oder 12 Tagen geschieht. Gleichwohl bleiben sie allda
3 — 4 Mohnden beieinander und lernen unterdessen Tänze und Lieder usw."
Mädchenbeschneidung finden wir ferner bei den Bamangwato. Maka-
tisses und andern Betschuanen-Stämmen im südlichen Afrika.
Bei den Bamangwato wird sie an 14jährigen Mädchen vorgenommen.
Diese ziehen bei dieser Gelegenheit phantastisch gekleidet umher, wobei sie
eine Geißel mit Dornenzweigen schwingen, die gleichaltrigen Burschen ver-
folgen und peitschen. "Wer diese Marter ruhig hinnimmt, gilt als reifer Mann.
Von den Makatisses hat Di legorgue Mädchenbeschneiduno- zur Pubertäts-
zeit erwähnt. Plo/i. der diesen zitierte, fügte bei, daß die Betschuanen
(überhaupt?), ähnlich den Kiffern, die Beschneidung als nationales Fest feiern.
— Bei den Amakosa-Kaffern gelten die Kinder bis zur Beschneidung
für unrein '). —
Auf Java und anderen Inseln des malayischen Archipels unterwirft
man die Mädchen der Besclmeidung zur Zeit des zweiten Zahnens. Die
Operation besteht nach F. Epp '-') in der Beschneidung der Nymphen. Als
Grund dieser Operation ist in der 2. Auflage die bedeutende Größe und Er-
schlaffung der Schamteile genannt; beides werde durch die dort herrschende
Onanie und große Tätigkeit der Geschlechtsteile herbeigeführt. Bei „manchen
der mohammedanischen Malayen" fand Epp3) auch Infibulation vor. Ob diese
von den Muselmanen aus Tegu im südlichen Burma (Hinterindien) hierher
übertragen wurde, wie Ploji vermutete, kann ich nicht entscheiden. Ploß
selbst meinte übrigens auch, sie könne im malayischen Archipel ebensogut
autochthon sein
Aus Pegu lautet Lindschottens Bericht in J. v. Brys Übersetzung wie
folgt: „Man findet etliche bei ihnen, so ihren Töchtern, wenn sie geboren
werden, ihre Scham zunähen und ihnen nur ein klein Löchlein lassen, dadurch
sie ihr jungfrauwlich "Wasser abschlagen mögen; wenn sie dann erwachsen,
und verheyrat werden, so mag sie der Bräutigam wiederumb aufschneiden so
groß und so klein, als er vermeinet, daß sie ihm eben recht sey4)".
Wir haben hier also wieder den uns von Afrika her wohl bekannten
Brauch, wenn auch in Indien nicht so allgemein geübt, wie im östlichen Afrika.
.7". Kögel erwähnte aus Java ein mit der Mädchenbeschneidung (Botong-
itell) verbundenes Fest.
Über Celebes schrieb J. G. F. Riedel daß in den dortigen Landschaften
Holontala. Bone. Boalemo und Katinggola die Mädchen in ihrem 9. oder
12. oder 15. Jahr beschnitten werden. Diese Handlung bezeichne man als
„mopolihoe olimoe" (mit dem Citrus histrix gebadet werden). "Wie mit der
Knabenbeschneidung, so seien auch mit der Mädchenbeschneidung große
Festlichkeiten verbunden, obgleich man das Festessen für diese weniger kost-
spielig als für jene gestalte. — Die Operation wird von weiblichen Personen
vollzogen.
Daß auf der Molukkeninsel Buru gleichfalls Mädchenbeschneidung
&bli< h ist, wurde im Abschnitt bei der Knabenbeschneidung angedeutet.
Bei den Stämmen im Innern von Australien bildet das Einreiben
der Brüste mit Fett und rotem Ocker die erste der Initiations-Zeremonien
■des weiblichen Geschlechtes. Die zweite Zeremonie besteht im Öffnen der
J) Vgl. die gleiche Auffassung bei den Kikuyu.
2i Bei Ploß I. 380.
3i Nach Ploß I. 386.
*) Bei Ploß-Bartels, „Das Weib", 8. Aufl. I, 253 wird an Limhchottrns Mitteilung
gezweifelt, weil sieh der Brauch bei anderen Forschungsreisenden nicht erwähnt finde.
232 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Vagina, welches der Subinzision ') des männlichen Geschlechtes entspricht und
als atna ariltha kuma2) bezeichnet wird. Die erste Zeremonie entspricht
nach Spencer-Gillens Ansicht dem Bemalen und in die Luft werfen der jungen
Burschen. Die Zirkumzision dieser hat bei den Mädchen keine Parallele*).
Bei allen von Spencer- Grillen beobachteten Stämmen, von den l'rabunna
im Süden bis zur Westküste des Golfes von Carpentaria, wird das Mädchen
nach der atna ariltha kuma bestimmten Männern zur Verfügung gestellt und
dann ihrem eigentlichen Ehemann übergeben, der sie aber auch wieder her-
leihen muß.
Was die Einzelheiten dieser Operation betrifft, so stimmen sie der Haupt-
sache nach bei den verschiedenen Stämmen überein. Das Alter der Mädchen
ist gewöhnlich 14 oder 15 Jahre. Ist bei den nördlichen Arunta und
Ilpirra diese Zeit gekommen, dann bespricht sich der ihr zugesprochene
Mann mit seinen unkulla4), welche zusammen mit anderen Männern, unawa5)
genannt, und einem alten ipmunna6), das Mädchen in den Wald hinausnehmen.
Der letztere berührt hier die Schamlippen des Mädchens mit einem Churinga.
um zu starke Blutung zu verhindern, worauf er die Operation mit einem Stein-
messer ausführt. Nach der Operation verbinden sich diese sämtlichen Männer
in der Reihenfolge: ipmunna, unkulla und unawa mit dem Mädchen. Hierauf
wird dieses von dem ipmunna mit Pelzstreifen,. Rattenschwänzen usw. geschmückl
und in das Laser des ihr als eigentlichen Ehemann zugedachten Mannes ge-
bracht, der sie den gleichen Männern abermals zur Verfügung stellen kann.
Im Illiaura-Stamm haben außer den oben erwähnten Männern auch
die okilia und itia, d. h. die älteren und jüngeren Stammesbrüder, Zutritt zur
Operierten. Die leiblichen Brüder des Mädchens sind ausgeschlossen. — Im
Kait isch-Stamm vollzieht eine ältere Schwester des Mädchens die Operation,
und die Brüder der Großmutter mütterlicherseits, sowie die älteren und
jüngeren Stammesbrüder, ferner die Brüder der Mutter und die gesetzmäßigen
Gatten der Operierten verbinden sich mit ihr. —
Im Warramunga-Stamm nimmt eine ältere Schwester das zu operierende
Mädchen mit auf einen bestimmten Platz nahe dem Lager, indem sie sagt:
„Komm mit mir, wir wollen miteinander Corrobboree Liehen7)." Auf dem
Platze angekommen, wird das Mädchen von ihrer Schwester querüber auf drei
Stammesbrüder gelegt, von denen zwei ihre gesetzmäßigen, der dritte ihr
eigenster Gatte ist. und welche drei dicht nebeneinander liegen. Die Operation
vollzieht liier der Sohn der Tante, also der Vetter des Mädchens väterlicher-
seits, und zwar so. daß alle Männer und Weiber es vom nahen Lager aus
sehen können. Nur die eigenste Schwiegermutter und deren Brüder dürfen
es nicht sehen. Nach der Operation wird das Mädchen mit Schnüren (strings),
Kopf-, Hals- und Armbändern geschmückt, die sie später ihrem Vater und
ihrer Mutter schenkt. Dann wird sie von ihrem eigensten Verlobten, d. h.
von dem Manu, dessen Eigentum sie wird, in sein Lauer genommen, wo
beide an zwei entgegengesetzten Seiten des Feuers schlafen, ohne zusammen-
zukommen. An den folgeuden 2 3 Morgen wird sie von diesem Mann in den
Wald genommen und am ganzen Körper mil Fett und rotem Ocker eingerieben,
i. Pura-ariltha-kuma (pura = penis). Verhinderung der Befruchtung bezweck! <lie Sub-
inzisi i Grillen nicht.
\ii:i vulva, kuma = schneiden (Spencer-Gülen, The Northern Tribes, 133)
>) i al Tribes of Central Australia, 869ff. London 1890.
1 1 Söhne der Schwester seines \ aters.
Gesetzmäßige Gatten des Mädchens. (Über das Familienleben dieser Stamme mehr
in Kapib i I.X.i
0) l; I Iroßmutter mütterlicherseits.
and 1 walk along corrobboree."
§ 253. Exstirpatioa, Zm-kurnzision, Infibulation, Aufsehneiduug usw. 233
Verbinden dürfen sie sich aber nicht. — Das Mädchen sammelt Gras, Samen,
Yams usw. und bringt das ihrer Mutter und älteren Schwester. Diese binden
ihr (dafür) ein kurzes Schürzchen aus Schnüren (string apron), das Zeichen
einer Verheirateten des Stammes, um. Nach dieser Zeit verbindet sich das
Mädchen während zweier Nächte mit ihrem Großonkel mütterlicherseits, mit
den Söhnen ihrer Tante väterlicherseits, mit ihrem Großvater väterlicherseits,
mit ihren jüngeren und älteren Stammesbrüdern (ihre leiblichen Brüder aus-
geschlossen) und mit ihren gesetzmäßigen Männern. Erst dann wird sie der
Besitz ihres eigensten Mannes.
"Wesentlich das gleiche ist der Brauch bei den folgenden Stämmen:
Worgaia, Bingongina, Wulmalla, Tjingilli, Umbaia und Walpari.
mit der Ausnahme, daß hier der Vater des eigentlichsten Gatten des Mädchens
als Operateur auftritt.
Ähnlich ist es bei den Binbinga, Auula und Mara, wo das Mädchen
während der Operation auf ihrem künftigen eigentlichsten Manne liegt. Hier
findet die Operation schon vor Eintritt der Reife statt, und bis dahin darf
keine Kopula vorkommen. Nach eingetretener Reife wird das Mädchen von
ihrem versprochenen Ehemann den Söhnen ihrer Tanten väterlicherseits, ihren
gesetzmäßigen Gatten und den Söhnen ihres Onkels mütterlicherseits zur Ver-
fügung gestellt. Das Gleiche geschieht bei den Gnanji, bei denen aber der
Onkel des Mädchens mütterlicherseits die Operation ausführt. —
Folgende australische Formen, die Vagina der Mädchen zu öffnen, hat
Ploß in der 2. Autlage1) referiert: Wenn am Peake-Fluß, Süd-Australien,
einem jungen Mädchen die Brüste schwellen und sich ein Haarwuchs zeigt,
so wird sie von einer Anzahl älterer Männer an einen einsamen Ort geführt,
Dort wird sie niedergelegt; ein Mann hält ihre Arme, zwei andere die Beine;
der vornehmste darunter führt dann zunächst einen Finger in die Vagina.
dann zwei, zuletzt viel-. Zurückgekehrt in den Lagerplatz, kann das arme
Ding infolge der Mißhandlung 3 — 4 Tage den Platz aus Schmerz nicht ver-
lassen. Sobald es ihr möglich ist, geht sie fort, wird aber von den Männern
in jeden Winkel verfolgt und 111111! sich den Koitus von 4—6 aus ihnen ge-
fallen lassen. Dann aber lebt derjenige, mit dem sie als Kind versprochen
worden war, mit ihr als Gattin. Bei den Einwohnern von Charlotte Waters
und Alice Springs besteht dieselbe Sitte, doch gebraucht man hier zur
Zerstörung des Hymen (zur Deflorierung) einen Stein und an Stelle der Finger
einen Stock. —
Die Deflorierung der Töchter vornehmer Familien im alten Mexiko ist
im ^ 252 erwähnt worden.
Von den Conibos. einem Zweig der Pano-Indianer im nordöstlichen
Peru, meldete Alfred Reich und Felix Stegelmann Zirkumzision und Öffnung
der Vagina nach einer uns von Afrika her bekannten Methode. Sobald ein
Mädchen zur Reife gelangt ist, wird ein Fest veranstaltet, bei dem der
Maschato, ein aus Maniokwurzeln gekautes berauschendes Getränk, eine große
Rolle spielt. Das Mädchen wird bis zur Sinnlosigkeit trunken gemacht und
dann der Operation unterzogen. Ein altes Weib führt sie in Gegenwart des
tobenden Stammes mit einem Bambusniesser aus. während das Mädchen auf
drei Pfählen ausgespannt liegt. Sie umschneidet den Introitus vaginae, trennt
das Jungfernhäutchen von den Schamlippen Ins und legt damit die Klitoris
frei. Hierauf bestreicht sie die blutenden Teile mit Medizinkräutern und führt
nach einer Weile einen aus Lehm geformten und etwas befeuchteten Penis.
der jenem des Verlobten in der Größe genau entsprechen soll, in die Scheide ein-
Nun kann die Braut ihrem Bräutigam ausgeliefert weiden.
!) I. 376.
234 Kapitel XXXVIII. Sexuelle Operationen.
Teilweise stimmt diese Beschreibung mit jener überein, welche PJoß in
der zweiten Auflage mit einem Hinweis auf E. Grandidier und v. Martins
von den Chunchos ,.oder" Campas1) gegeben hatte und welche folgender-
weise lautet:
„Die Indianer in Peru am Flusse Ucayali, welche man mit dem Namen
Chunchos bezeichnet (auch Campas), üben bei den Mädchen von 10 Jahren
ebenfalls die Zirkumzision aus. Bei dieser Gelegenheit kommen die Nachbarn
mit vollem Schmucke angetan zusammen und bereiten sich 7 Tage lang
durch feierliche Gesänge und Tänze zu dem Feste vor, wobei sie in reichlicher
Menge die berauschende Chicha, aus Manioc bereitet, genießen. Am achten
Tage wird das Mädchen durch eine starke Gabe des gegorenen Manioc
belauscht und unempfindlich gemacht; in diesem Zustande vollbringt eine alte
Frau an ihr die Operation. Durch einfache Übergießungen stillt mau die
Blutung. Alsbald beginnen wieder die Gesänge und Tänze: dann legt man
das Opfer in eine Hängematte und trägt es von Haus zu Haus. Durch die
Zirkumzision ist das junge Mädchen unter die Frauen aufgenommen."
Von den Panos „der Landschaft Maynas" (nach Plofi im heutigen
Ecuador) erfuhr übrigens schon Missionar Franz Xavier Vci<j! im 1«. Jahr-
hundert, daß sie früher Mädchenbesehneidung übten. Als Grund gaben sie
an, man habe beschnittene Weiber für ihreTi natürlichen Beruf geschickter
gehalten.
Die Zirkumzision der Mädchen bei den Ticunas am oberen Solimoes
ist mit der Zirkumzision der dortigen Knaben erwähnt worden. -
§ 254. Operative Eingriffe in die Eierstöcke.
In Australien, diesem Land geschlechtlicher Verstümmelungen und
Mißbräuche xar Hoyj^, sind auch operative Eingriffe in die Eierstöcke un-
reifer Mädchen nachgewiesen worden.
In der 2. Auflage zitierte Plo/i von Mihhicho-Maclays Mitteilung aus
dem Jahre 1882, daß in Australien von Zeit zu Zeit jungen Mädchen die
Ovarien exstirpiert werden, um für die jungen Männer eine besondere Art
Hetären herzustellen, die nie Mutter werden können2). — Ein Berichterstatter
habe ein solches Mädchen unter den Eingebornen am Parapitschuri-See
mit länglichen Narben in der Leistengegend und mit knabenhaftem Aussehen
getroffen3).
Bei einigen Stämmen in Zentral-Australien werden übrigens die
Ovarien nicht durch Öffnungen an der Leistengegend, sondern, wie Purcell
im Jahre 1893 berichtete, durch eine „viel schrecklichere Verstümmelung''
entfernt, d. h. man reißt 10 — 12jährigen Mädchen mittels einer Rolle von
Emu-Federn und einer daran befestigten Haarschnur einen Teil der Gebär-
1) Floß schrieb I, 382: ,, . . . den Chunchos oder Campas" und S. 385: „Die
Indianer in Peru am Flusse Ucayali, welche man mit dem Namen Chunchos bezeichnet (auch
i'ainpas)." Nach Amlrccs Handatlas (Ausgabe Scobel, 1899) wären aber diese beiden
Völker nicht identisch, sondern die Campas wären am Ucayali, die Chunchos am Madre de
Dios. — Die Conibos sind nach Andree nördlich von den Campas zwischen dem Ucayali
und dem Huallaga.
ibliche Eunuchen traf Roberts in Vorderindien. Da er ihr Alter aber
auf ca. 25 .lahre angab und .Näheres über die Operation nicht vorliegt, kann „Das Kind"
iinuchen absehen.
i dlich ist, daß dem von John Mac OÜlivray am Cap York gesehenen
Weib dii iisg. schnitten wurden sein sollen, weil sie stumm war und weil man keine
stummen Nachkommen haben wollte. Der Kiudermord ist unter den Australiern
noch in üppiger Blüte, und kein Eingeborner braucht wegen Kindsmord von seinem Stamme
ten.
§ 254. Operative Eingriffe in die Eierstöcke. 235
mutter durch den Mutterhals heraus, führt hierauf ein kleines Steinmesser
ein und inzidiert damit den Mutterhals horizontal und vertikal. — Die Operateure
sind alte Männer. — Nach Heilung der Wunden schneiden alte Weiber dem
Mädchen erst die Vagina für die Mika, den aufgeschlitzten Penis der Männer,
gegen den After hin auf (siehe Mika-Operation bei Knabenbeschneidung)1). —
Der von Pureell angegebene Zweck der obigen Operation scheint im Grund
den gleichen 'Widerspruch mit dem in Australien erlaubten und häufigen
Kindsmord zu enthalten, wie die schon früher mitgeteilte Begründung der
Mika-Operation und die Kastration der Stummen auf S. 234, Anm. 3, d. h. der von
Pureell bezeichnete Zweck lautet2): „Vorzubeugen, daß die Frau fremden
Stämmen Kinder gebäre und durch das Tragen von Kindern behindert werde,
das trockene und wenig Nahrung bietende Land zu durchziehen.'" — Wo die
Schwangere bis zur Niederkunft ihre gewöhnliche Arbeit leisten muß, und wo
das Kind ungestraft gleich nach der Geburt getötet werden kann, klingt
eine solche Begründung zweifelhaft. Bei der außerordentlich komplizierten
Geschlechtssymbolik der Zentralstämme Australiens dünkt es mir vielmehr
wahrscheinlich, daß sowohl der Mikaoperation (welche ja nach Spencer und
Oillen eine Verhinderung der Befruchtung nicht bezweckt) als auch
der Exstiipation der Eierstöcke ein uns noch unbekannter Grund und
Zweck unterliege. Da die Mikaoperation nach Sipencer-Gillen zudem ein
allgemeiner Brauch bei verschiedenen Stämmen ist, so werden wir annehmen
müssen, daß das Aufschneiden der Vagina nicht nur nach der obigen
Exstirpation der Ovarien, sondern bei den gereiften Mädchen der im
vorigen Paragraph erwähnten .Stämme überhaupt den Zweck hat, dem
Mika-Operierten die Verbindung zu ermöglichen. Somit müßte vor
allem der Sinn der Mika-Operation gefunden werden. —
') Eine derartig Operierte heiße Eurilthas; eine deren Vagina halb eingeschnitten ist
^ohue andere Verstümmelung) „Woridoh Windee's".
*) Bei Ploß-Bartels, „Das Weib", 8. Aufl. I, 295.
Kapitel XXXIX.
Des Kindes Spiel und Spielzeug.
§ 25Ö. Im Leben des Menschen hat das Kinderspiel eine nicht zu
unterschätzende Bedeutung. Manch frohe Erinnerung im späteren Leben
knüpft sich an jene Augenblicke, iu welchen wir uns scherzend mit unseru
spielenden Altersgenossen tummelten; willig unterwarfen wir uns damals den
Spielgesetzen, die sich das kleine Völkchen teils selbst gegeben, teils aus alter
Zeit empfangen hatte.
Rochholz fährte eine Reihe hervorragender Persönlichkeiten an. welche
das Spiel der Kinderwelt beobachtet, oder selbst nochmals mitgemacht und
weiter ausgebildet haben. Männer, die einstanden für die Wahrheit des
Sehillerschen Wortes, es liege oft hoher Sinn im kindlichen Spiele. — Leib'i
wies auf die Erfindungskraft hin, die in manchen Spielen steckt: er selbsl
Hieb das Grillenspiel; HeraMit ordnete am Dianentempel zu Ephesus die
Knabeiispiele: SoJcrqtes machte sie zu Athen mit. Cosimo dei Medici ver-
besserte seinem Enkel auf öffentlichen! Platze die Pfeife; Gustav Adolf spielte
mit seinen Offizieren Blindekuh; Wallis betrieb das Ringelspiel und schrieb
eine Abhandlung darüber1); Lavater erfand das Spiel mit Bausteinen9). Her
spartanische König Agesilaos ritt mit Kindern auf einem stecken: Heinrieh IV.
von Frankreich diente den seinigen selbst zum Reitgaul und rutschte mit
ihnen im Zimmer umher.
Kaiserin Katharina II. von Rußland schrieb einst an ihre Freundin,
Fnin von BielJce in Hamburg: ..Sowie ich nur immer konnte, habe ich ge-
lacht, und ich schwöre Ihnen, dal.» ich noch jetzt, wo doch die ganze Last
meines Standes auf mir liegt, abends aus Herzenslusl mit meinem Sohne Blinde-
kuh spiele. Wir sagen /.war. es geschehe der Gesundheit halber, unter uns
gesprochen, geschieht es indes nur. um Possen zu treiben."
Die Neigung zum spiel offenbart sich im Kinde bald, wenn man dessen
Reaktion auf die ihm gebotenen Spielsachen „Spiel" statt ..Arbeit- nennen
will. Wenn das Kind zu tasten beginnt, sucht es zunächst diejenigen Dinge
zu fassen, die ihm in die Augen fallen, oder die Ohren affizieren. Es reagiert
auf die Töne der Klapper, auf den Glanz eines bunten Gegenstandes, den man
ihm vorhält; es fängt auch an. sich dieser Dinge zu bemächtigen, schwingt
mit Wohlgefallen die Klapper tun und her, auf deren Töne es lauscht. Hängt
man ihm Ringe und ähnliche Dinge über seinem Bettchen auf. so pendelt es
sie hin und her und freul sich, daß es die Sachen bewegen kann.
Diesem Trieb des Kindes zur Tätigkeil scheinen, so weit das mir vor-
liegende .Material reicht, alle Völker Rechnung zu tragen und die dabei ent-
'i 7'/,v;. 2. Aufl. II.
Kenntnis von den chinesischen Spielen mit Hausteinen. Siehe
im folgenden Kapil
§ 255. Des Kindes Spiel und Spielzeug. 237
faltete Tätigkeit des Kindes als Spiel aufzufassen, da sie ja jenen Nutzen,
welchen die Arbeit Erwachsener bringt, regelmäßig- nicht bewirkt, auch aus
freier Wahl und mit Lust unternommen und durchgeführt wird, was bei
der Arbeit im engeren Sinne keineswegs immer der Fall ist.
Aber des Kindes Spiel ist, weil großenteils eine Nachahmung- der
Arbeit seiner erwachsenen Umgebung, großenteils eine lustvolle
Selbsteinführung- in den späteren Pflichtenkreis.
Hierher gehört das Puppenspiel der Mädchen mit dem mehr oder
weniger primitiven oder verfeinerten Puppenhaushalt. Was das Töchterlein
seine eigene Mutter und die übrigen in seinen Erfahrungskreis kommenden
Frauen tun und lassen sieht, das ahmt es seiner Puppe oder seinen lebenden
Spielgenossen gegenüber nach. Seine meiste Erfahrung hat es bisher im Kreis
der Familie gewonnen, und deshalb spielt es am liebsten Familienleben.
Zu diesem naturgemäßen Umstand kommt freilich häufig auch ein
gewissermaßen künstlich geschaffener, d. h. man gibt dem Mädchen aus-
schließlich, oder doch hauptsächlich Spielsachen, welche sich auf das häus-
liche Leben beziehen, oder welche nach der Ansicht seiner erwachsenen Um-
gebung- für Mädchen passend sind, und dazu gehört eben die Puppe, welche
wir in diesem und im folgenden Kapitel schon im alten Ägypten, Griechen-
land und Rom, sowie im deutschen und schwedischen Mittelalter finden. Sehen
wir uns bei Völkern der Gegenwart um, so erblicken wir sie, abgesehen von
den europäischen und amerikanischen Kulturvölkern weißer Rasse1), bei den
Haussa im westlichen Sudan, bei Kamerun- und Kongonegern, auf Madagaskar
und den Hawaii-Inseln, in China, Japan und Siam, bei den Golden an der
asiatischen Ostküste, den Tschuktschen im nordöstlichsten Sibirien, den Ost-
jaken und den Eskimos, sowie bei verschiedenen Indianervölkern in Nord- und
Südamerika.
So wenig aber der Wirkungskreis einer Hausfrau und Mutter sich auf
die direkte Pflege ihres Kindes beschränkt, so wenig begnügt sich ihr Töckter-
lein mit dem Puppenspiel. Ein ganzer Haushalt, und alles was diesen
beeinflußt, wird spielend geschaffen, überblickt und geführt, Je
«eitei- der Wirkungskreis der erwachsenen Umgebung, und je weiter der
dem Kinde durch Worte oder Lektüre gestattete Einblick in die große Welt,
desto reichhaltiger sein Spiel.
Bei Völkern auf verhältnismäßig niederen Kulturstufen, deren Leben
vornehmlich in Beschaffung und Genuß materieller Werte aufgeht, sehen wir
die Kinderschar das gleiche tun. Spielend bauen Knaben und Mädchen Hütten
und Kraale, legen kleine Gärten und Pflanzungen an und bebauen sie. Knaben
fertigen sich Handwerkszeug und Waffen: Bogen, Pfeile, Speere, Lanzen,
Schwirrhölzer, Schleudern, Blasrohre u. dgl., wenn sie sie nicht von ihrem
Vater erhalten, gehen auf den Fischfang, legen Leimruten und Schlingen,
um Vögel und kleine Vierfüßler zu erbeuten, bauen Schiffe usw. usw.2)
Auch das Stammesleben, der Nationalcharakter, politische
Feindseligkeiten kommen im Kinderspiel zum Ausdruck: Spielend raubt
sich der kleine Australier eine Spielgefährtin zur Braut, wie der Erwachsene
es im Ernste tut; spielend tummeln sich Söhne und Töchter der Nomaden-
volker schon im Kindesalter auf den Reittieren; Chinesenknaben eröffnen gern
Buden und Pfandhäuser, oder bestehen Prüfungen und erreichen das von den
'i Krau Julitn Michael sah in Katalonien keine Puppen. Über das dortige Spiel-
zeug später.
") Es ist bemerkenswert, daß Bogen, Pfeil, Schleuder, Wurfholz und andere Waffen-
gattungen, welche unsern Altvordern halfen, Haus, Herd und Vaterland zu schirmen, bei
uns ihr Dasein nur noch in den Museen und in Kinderstuben und Kinderhänden fristen,
während sie ihren alten Wert auf niederen Kulturstufen noch immer haben.
238 Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
Erwachsenen angestrebte Ziel, d. h. Würde und Einkommen eines Mandarins;
die japanischen Kinder geben mit Berücksichtigung der komplizierten Etikette
ihres Volkes Gesellschaft; die spanische und mexikanisch-spanische Jugend
spielt mit Vorliebe Stierkämpfe; in Mexiko kommt ferner die Abneigung der
Weißen gegen die chinesischen Einwanderer spielend zum Ausdruck; im
englisch-schottischen Grenzgebiet dauern im Spiele der Jugend die früheren
Kriege zwischen England und Schottland fort, und das gleiche gilt, mit Ab-
änderung der Gegner, von zahlreichen Kinderspielen bei Völkern aller Kultur-
stufen.
Alt und doch immer neu ist die Lust, hauptsächlich der männlichen
Jugend, an Ringkämpfen, Wettlaufen, Turnen, Rudern und ähnlichen
Kraftproben. Nicht nur im alten Griechenland und Rom finden wir sie,
sondern auch im alten Ägypten, im heutigen Arabien sowie bei den sogenannten
„wilden" Malayen auf Formosa, bei den Howa auf Madagaskar, im keltischen
Schottland, bei den Indianern und zahlreichen andern Völkern.
Ein gewisser Kraftaufwand und Behendigkeit ist ferner nötig zu den
weitverbreiteten Pflock- und Schlägelspielen.
Auch der Tanz ist eine Muskelübung, bei welcher allerdings noch andere
Motive, z. B. Anmut, sexuelle Erregung usw. maßgebend, oder doch mitwirkend
sein können, hauptsächlich wenn es sich mn Tänzer handelt, welche das
Kindesalter hinter sich haben. Kindertänze sind in unsern beiden Kapiteln
über Spiele auf allen Kulturstufen nachgewiesen: in Australien so gut wie in
Europa,
Wo Tanz und Spiel, da ist Musik nicht fremd. Die dazu nötigen In-
strumente sind bei den musizierenden Kindern teils Nachbildungen der In-
strumente Erwachsener, teils dem Kindesalter eigen und meist, wie es scheint,
eigenhändig hergestellt. Da gibt es Geigen und Klaviere primitivster Art
(Stäbchenspiele), Gitarren, Pfeifen, Flöten, Trompeten, Trommeln u. a. m.
Auch an Gesang und dramatischen Aufführungen fehlt es weder höheren noch
tieferen Kulturstufen. Es sei hier im voraus nur auf die dramatischen Spiele
der Kongo- und Guayana-Jugend aufmerksam gemacht,
Primitive Kunst entwickeln die Kinder verschiedener Völker ferner in
der Darstellung von Menschen und Tieren, sei es, daß sie solche zeichnen,
(Hier aus Papier, Vegetabilien, Wachs oder einem andern Stoff Figuren her-
stellen, oder aber im Spiele nachahmen. Die vorliegenden zwei Kapitel bieten
zahl reiche derartige Beispiele.
Selten sind wohl wirkliche Tierkämpfe, wie sie von der Howa-Jugend
hervorgerufen werden, und die vielleicht ebensogut Tierquälerei genannt
werden können, wie das Anbinden von Maikäfern, Zikaden, Heuschrecken usw.,
und das Quälen der Hunde durch europäische, malayische, chinesische und
hyperboräische Kinder. Dieser grausame Zug hat ein Gegenstück in der über-
großen Zärtlichkeit anderer Kinder gegen Tiere. Beispiele hierfür sind die
der Maskoki- und Pimas-Indianer.
Mit Fangspielen unterhält sich nicht nur die deutsche Jugend, sondern
auch die Kinder der Wakamba in Deutsch-Ostafrika, der Melanesier auf Neu-
mecklenburg in der deutschen Südsee, der Polynesier auf den Hawaii- oder
Sandwich-Inseln.
I>;is Versteckspiel weisen Kap. NXXIX und XL außerhalb Deutsch-
land in England, auf Sizilien, bei den eben erwähnten ostafrikanischen
kamba und Hawaii-Insulanern, sowie in Australien nach.
Manches Kinderspiel und Spielzeug scheint mit uralten Mythen und Vor-
stellungen zusammenzuhängen. Hierher gehören wohl vor allem die Drach« n.
seien sie aus Papier oder Kinde oder irgendeinem Stoffe verfertigt. Dieses
Spielzeug ist ja in China mit seinem vordringlichen Drachenkult in den Händen
!; 255. Des Kiades Spiel und Spielzeug. 239
von groß und klein. Auch in Burma, unter den Dajaken auf Borneo und
auf den polynesischen Hawaii-Inseln ist es wohlbekannt,
Mit einem alten Dämonenkult einerseits und mit einem alten Hochzeits-
brauch andererseits scheint das Blindekuh- oder Blindemausspiel im Zu-
sammenhang zu stehen, wie aus dem vorliegenden Kapitel hervorgeht, welches
dieses Spiel in Deutschland, England und den Niederlanden, im keltischen
Schottland, in Frankreich und auf Sizilien, bei Litauern, Griechen und Ungarn
nachweist, Kap. XL zeigt es uns auf den Hawaii-Inseln, also bei Polynesiern.
Ebenso finden sich dämonische Elemente in den Brückenspielen
gewisser Gegenden, z. B. auf Sizilien und im bayrischen Schwaben. Dort wird
der Teufel gefangen; hier kommt ein Teil der Kinder in seine Gewalt. Ob es
sich um Vor- oder Nachchristliches haudelt, kann freilich kaum entschieden
werden. Das vorliegende Kapitel weist Brückenspiele nur bei den Indo-
germanen, und zwar in Deutschland, England, Frankreich, auf Sizilien und
bei den Litauern nach.
Ferner scheinen die Ringelreihen oder Reigentänze, auch Rund-
tänze genannt, einerseits auf einen alten Mythus mit religiösem Hintergrund
zurückzugehen, wenn wir den Beigen um das ungarische bzw. slawische „Dodolo"
(Regenmädchen) im folgenden Kapitel mit den zu Regengöttern erhobenen
Kinderseelen der Cora-Indianer und ähnlichen ethnologischen Erscheinungen
vergleichen, obwohl andererseits das Anmutsvolle eines Reigentanzes diesem
schon an und für sich Existenzberechtigung verleiht. — Wir finden Ringel-
tänze außerhalb Ungarn bekanntlich in Deutschland. Auch in England und
Italien, dort teilweise mit tragischer Zwischenhandlung, in Afrika (Deutsch-
Togo) und bei den sogenannten „wilden" Malayen auf Formosa werden sie in
diesem und dein folgenden Kapitel nachgewiesen.
Mythische Grundlage wird ferner für die jetzigen Kinderreime auf
die Marienkäferchen, für die Knabenliedlein beim Anfertigen der Weiden-
pfeifen, sowie für gewisse Rätsel und Sprüche im Kindermund angenommen.
An und für sich unbedeutend, aber geschichtlich und völkerpsychologisch
bemerkenswert ist das Würfeln mit den Fußknöcheln des Schafes (Astragal-
spiel), welches wir in diesem und dem folgenden Kapitel im alten Griechen-
land und Rom, bei den Neugriechen, in Deutschland und den Niederlanden,
im Orient und bei den südrussischen Juden, sowie bei verschiedenen Indianer-
völkern des nördlichen und südlichen Amerika finden, bei denen es allerdings
Entlehnung von Europäern sein kann. Das Würfelspiel im weiteren Sinn,
d. h. das Spiel mit künstlichen Würfeln, oder mit Sämereien, Fruchtkernen
u. dgl., hat ein noch höheres Alter aufzuweisen; wir finden es bereits im
alten Ägypten.
Ähnliches gilt vom Ballspiel, das uns in großer Mannigfaltigkeit ent-
gegentritt. Das alte Ägypten kannte es; Kelten, Germanen, Slawen, Romanen,
Inder, Perser, Araber, Türken, Chinesen, Japaner, Papuas, Australier, Melanesien
Polynesier, Indianer, vielleicht alle Völker der Erde unterhalten sich mit ihm
oder lassen ihre Kinderscharen sich daran ergötzen.
Kreiselspiele stehen den Ballspielen weder an Alter noch an Ver-
breitung nach. Die Beweise finden sich gleichfalls in diesem und dem folgenden
Kapitel1).
Auf Steckenpferden ritten die Knaben bereits im alten Griechenland;
der mittelalterliche Schwede sah sein Söhnchen darauf reiten, und der Chinese,
Japaner und Hawaii-Insulaner freut sich heute so gut wie der Deutsche über
seinen Sprößling, der sich mit ihm herumtummelt.
') Vgl. auch Richard Andree, „Das Kreiselspiel und seine Verbreitung", Glob 69, 371 ff.
240 Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
Schaukeln als Kinderspielzeug finden wir bis in die Urwälder von
Sumatra und dfe Chinesin setzt seit Jahrhunderten ihr Töchterlem Innern,
ihr Söhnchen aber auf ein Schaukelpferd. .,,. , XT
Kinderklappern oder Kinderrasseln weisen Kap. N\M\ und XL
im alten typten, Griechenland und Rom, bei der europäischen sog. Ui-
™v Ölke rangfin Indien, bei verschiedenen Negervölkern und bei den 1 »ayaken nach.
Am „Diabolo«- Spiel erfreuten sich Chinesen, Nege>- und Indianer-
irnahen längst vor den Deutschen. .
\ut Stelzen laufen Neger-, Buschmann- und Indianerkinder
Knallbüchsen sind die Freude der Knaben im Himalayagebirge and
in Brasilien- Windmühlen die der Chinesen, Papuas und Hawaii-Insulaner;
Purzelbäume schlagen die dunkelfarbigen Neumecklenburger der deutschen
sdsee e o gern wie ihre weißen Altersgenossen in Nord- und Suddeutsch-
land Seil und Reihenspiele gibt es auch in China, bei den Papuas auf
Neuguinea und auf den Hawaii-Inseln; Schneesport in China und in der
Heimat der Eskimo-Kinder. . . ,
Teilweise mehr entwickelt als bei uns sind die laden- bzw. Ab-
nehmespiele auf Palau und Nachbarinseln, auf Yule-Island, bei Neuguinea,
in Australien und bei den Eäua-Indianern im nordwestlichen Brasilien
Finger- bzw. Katespiele gab es*chon im alten Ägypten und Rom,
und gibt es heute noch in Kuropa so gut wie auf Neuseeland und Samoa, in
China und anderen Ländern. „, R,„8,p;„p„
Rätsel gaben sich schon die altägyptischen Rinder ant: an Baustein.)
und den dazu gehörigen Erklärungen üben sich die Chinesenkinder schon .mt
Jahrhunderten den Märchen und Gespenstergeschichten seiner Muttei
„,1er Wärterin lauschte bereits das Kind in, alten Griechenland
Hall zur Erweckung der Jugendlust kostspielige Fabrikate nulit not g
sind, beweist nach den, Gesagten und den, hier Folgenden die Völkerkunde
unwiderleglich - ..Die Pädagogik des Spieles und Spielzeuges hat sich
an den angeheuchelten, wahrhaftigen Äußerungen der Kinde, -
seele zu orientieren." schrieb Jos. Ante mit Recht1). —
§ 256. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Indern und Persern.
Paula Karsten, eine fleißige Besucherin der im Jahre 1898 in Charlotten-
burg-Berlin stattgehabten indischen Ausstellung, schrieb: „Ich begab »mich
häuft- auf den Spielplatz, eben weil es mich interessierte zu sehen, da
unsere Spiele und die der Indier in, Grande g, n.z dieselben sine
Karsten weis, dabei auf die Überlegenheit der indischen Kinder ™ Gebrauch
der Füße und Zehen hin. Beim Tschidamuburumspiel welches dem
schlesischen Paradies-Spiel und den, Berliner Himmel- und Hollenspie
.ehr ..'leich,^, befordert z. B. das indische Kind sein Steinchen mit den Zehen
;,!; & Feld zun, andern, während das deutsche Kind dazu die Finger
braucht. - Ein anderes sehr beliebtes Spiel der indischen Knuler in , Ghai .-
lottenburg-Berlin bestand nach Karsten darin, daß sie ihrem auf den Rocken
liegenden und die Beine in die Höhe reckenden Vater an den Beinen hinauf-
kletterten und sich da als angehende Luftkünstler ™f™-^*™>J"
kau,,, .eben konnten, za] lten schon vor Ungeduld und ^langen nach
diesen, Vergnügen. Eoffmann schrieb ans [ndien: Das Spielzeug de rM äd hen
bestehl in rohe,, hölzernen Pappen, welche sie verheiraten und die Cottei
ve.vhr.n lassen; ferner in Herden. Kochgeschirr u. dgl. Hildebrandt er-
.,li Spielzeug. In ..Die christliche Frau", 7. Jahrg., S. 95 ff.
chende Spiel auf Sizilien und m hngland spat,,.
§ 25(>. Inder und Ferser.
241
wähnte seinerzeit Strohpuppen, Ballspiele und Drachensteigen als indische (und
europäische) Kinderspiele, die sich auf Sansibar eingebürgert hätten (Ztschr.
f. Etlinol. 1878, 393).
Dalton bemerkte, daß die Kinder der Kasias in Bengalen sich wie
die europäische Jugend mit Kreiselspiel und Stangenklettern amüsierten.
Letzteres gehört wohl zu den von Karsten erwähnten Luftkünsten.
Daß sich indische Kinder auch selbst Spielzeug anfertigen, beweisen die
hier folgenden drei Abbildungen, welche lebhaft an manche in unseren Kinder-
gärten angefertigten Gegenstände erinnern.
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— ^1 -Jm^j
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5f J
■
1
Fig. 311. Zwei indische Puppen. Im K. Museum für
Völkerkunde in Berlin.
Fig. 312. Indisches Spielzeug, von
Kindern selbst aus Lontara-Blättern
hergestellt. Im K. Museum für Völker-
kunde in Berlin.
Ein indisches Knabeuspiel beschreibt der Inder M. K Venkatasvami
wie folgt: Ein halbes Dutzend oder mehr Hindukinder im Alter von <> bis
7 Jahren stellen sich abends um eine Frau auf und bücken sich so, daß sie
mit den Fingerspitzen den Boden berühren. Die Finger stellen die Pferde
eines Räjäräm, eines vornehmen Inders, vor, die sich an der Tränke eines
Fremden laben wollen. Die Bolle dieses Fremden übernimmt die mitspielende
Frau, welche eines der Kinder anspricht, indem sie auf die Finger deutet:
,.Ai kiskä ghorä?"
Wessen Pferd ist dieses?
Kind: „Räjäränikä"
Räjäräms.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 16
242
Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
Frau: ..Käbe ko äyä."
Warum kam es?
Kind: „Pänl pine ko."
Um Wasser zu trinken.
Frau: „Achchä! Jane deo, jäne den!-'
Ganz recht. Laß es nur. Laß es nur.
Damit entschuldigt die Frau die Freiheit des Pferdes, und das Kind liebt
seine Hand wieder vom Boden auf. Dann wird die Frage an ein zweites
Kind und so fort gerichtet. Zum Schluß packen sich die Knaben gegenseitig
und die Frau an den Ohren, schließen einen Kreis, setzen sich und rufen kichernd
und unter Vor- und Rückwärtsbewegungen: „Kia mia, Kia mia", ein nach
Fig. 313. Indisch|e9_SpieIzeug, von Kindern selbst aus Lontara-Blättern hergestellt. Im K. Museum für
Völkerkunde in Berlin.
M. N. Vmlcatasvami bedeutungsloser, aber beliebter Kinderausdruck. Damit
ist das Spiel zu Ende l).
Ein in der Provinz Gujerat beliebtes Spiel2) der Mädchen und Frauen
besteht darin, daß sie Tamarindensamen in die Luft werfen und dann mit
dem Bandrücken auffangen. Gelingt letzteres für den größeren Teil des
Samens, so hat man gewonnen. E. Lovett, der dieses mitteilt, sieht in diesem
Spiel eine entartete Form des später zu erwähnenden Astragalspieles.
Diesem indischen Spiel gleicht das sizilianische „a lipisuli". Unter diesen
„pisuli" verstellt der kleine Nizilianer nämlich 16 — 18 Prirsichsteine oder
ebensoviel Schusser. Diese liegen in der hohlen Hand des Spielers und
werden von ihm in die Luft geworfen. Beim Herunterfallen soll er sie mit
dem Kücken der Hand auffangen, von wo aus er sie ein zweites Mal in die
Die vielleicht ans A 1 1 - 1 n d i e n stammenden Waffentänze tibetanischer i.nd
slawischer Knaben siehe im Abschnitt „Lettoslawen" am Schluß dieses Kapitels.
IIb arischen oder niehtarisehen Ursprungs, muß hier unentschieden bleiben.
§257. Griechen, Körner und romanische Volker der Neuzeit. Seitenstücke bei Germanen. 243
Luft wirft. Was dieses Mal auf die Handfläche fällt, ist sein Gewinn. Dieses
Spiel wird von je zwei Knaben unternommen (Coote)*). —
Aus Persien erwähnte Plo/i') das weitverbreitete, auch bei den Arabern
und Türken beliebte „Tschaugan", ein Schlagballspiel, welches von den
Rittern des deutschen Hauses in Jerusalem nach dem Abendland verpflanzt
worden sei.
§ 257. Griechen, Römer und romanische Völker der Neuzeit. Seiten-
stiicke bei Germanen.
Von den Kinderspielen der alten Griechen schrieb Wachsmuth: Archytas
galt ihnen als Erfinder der Kinderklapper
(idata-pi); an Puppen. • Ammenmärchen, Ge-
spenstergeschichten und Steckenpferden maugelte
es nicht. Plo/i erwähnte3) altgriechische Puppen
mit bemalten Holz- und Tongesichtern, sowie
Gliederpuppen aus Terrakotta, und bemerkte
hierzu: 'Wenn ein Mädchen mannbar wurde, so
forderte die Sitte, daß es sein Spielzeug der Göttin
Aphrodite weihte und in ihrem' Tempel aufhing.
Die Dichterin Sappho begleitete diesen Akt mit
der Bitte, die Göttin möge die kindlichen Ge-
schenke freundlich annehmen, auch die roten
Kopftüchlein der Puppen nicht verachten.
„Die roten Kopftüchlein der Puppen
Verachte nicht ; dies hab' ich, Sappho,
Geschenkt dir als nicht unwertes Geschenk." —
Ein kleines, mit Elfenbein verziertes Bett-
chen, sagenhaftes Spielzeug der Hippodameia. er-
wähnte Paust/Unis4) unter den Merkwürdigkeiten
des Junotempels zu Olympia.
Ein sehr beliebtes Spiel war im alten
Griechenland und Rom das noch jetzt im
Morgen- und Abendland beliebte Spiel mit
den vier Fußwurzelknochen des Schafes, Astragali
genannt, welche mit ihren je sechs Flächen die
Urform des Würfels gewesen sein sollen. Zwei
Knöchel waren gelb, zwei rot gefärbt. Zu Plo/is
Zeit war das in Trier noch der Fall. Auch aus
der Gegend von Wernigerode teilte Plo/i
(2. Aufl. II, 318) ein Knöchelspiel als Überbleibsel
des antiken Astragalispieles mit. Man wirft
Knöchel in die Höhe, um sie wieder aufzufangen.
Dieses ..Überhändchenspiel" sei dem ..Fascheln"
oder „Fassein" der Berliner Jugend ähnlich, welches aber nicht mit Knöcheln,
sondern mit Steinchen ausgeführt werde5). —
E. Lovett erwähnt eine Terrakottagruppe im Britischen Museum, welche
aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. stammt und zwei mit Astragali spielende
') Eine Auswahl anderer sizilianischer Spiele folgen später.
2) 2. Aufl. H. 293.
3i 2. Aufl. II, 291 und 293, Anm. 2.
*) Bei Floß, ebenda. 291.
s) Ploß vermutete, daß die Griechen und Römer das Astragalispiel den Orientalen
entlehnten. Ob diese Vermutung richtig ist, dürfte schwer zu sagen sein, da das Spiel auch
bei Indianern gefunden wurde (siehe diese in Kap. XL).
16*
Fig;. 314. Kinderklapper aus Madras,
südliches Vorderindien. Im K. Mu-
seum für Völkerkunde in Berlin.
2-44 Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
Mädchen darstellt: ferner erwähnt Lovett Astragali aus griechisch-römischer
Zeit, die, aus Bronze, Bergkristall, Achat und anderem Material verfertigt,
sich jetzt gleichfalls im Britischen Museum befinden. — Auf seiner Reise
durch Holland und Belgien sah er Ende des 19. Jahrhunderts metallene
Nachbildungen dieses Spielzeugs in den Händen ärmerer Stadtkinder.
Im alten Griechenland kam es beim Astragalspiel gelegentlich zu
derben Schlägen; Patroklus soll dabei den Sohn des Amphidamas erschlagen haben.
Das Spiel hat sich, wie die Täuze der Jungfrauen, auch bei den Neu-
griechen erhalten.
Verwandt mit dem griechisch-römischen Astragalspiel ist nach Elisabeth
Lemke das deutsche „Fangspiel mit Steinchen"1); ferner das „Schirkeu" oder
„Wassermännle weifen'1, auf welches wir später bei den Spielen der englischen
und schwäbischen Jugend, als „Duck and Drakes" bzw. „Schättala" zurück-
kommen. E. Lemke beruft sich dabei auf Wagner-Rochholz, welche auch den
Strombos oder Strobilos der alten Griechen und den Turbo der Römer im
Kreiselspiel der deutschen Jugend wiederfanden.
Eine nationale Bedeutung erhielten im alten Griechenland die
Wettkämpfe der Knaben. Sie standen bei den olympischen Spielen auf
der Tagesordnung, so daß den Knaben Gelegenheit geboten war, sich vor
ganz Griechenland auszuzeichnen. -- Olympiade 37 wurde der erste Sieg eines
Knaben im Lauf und eines andern im Ringen erkämpft, während bis dahin
lediglich Erwachsene den Kampfplatz betreten hatten. < llympiade 41 fochten
auch im Faustkampf Knaben; Olympiade 145 kam das Pankration der Knaben
hinzu. Dieses war eine sehr beliebte Komplikation des Ringens und Faust-
kampfes, den die Knaben unter sich bestanden. - - Die Griechen erteilten den
kämpfenden Knaben, die sich wider die Anordnungen der Hellanodiken bei
den Kampfspielen vergangen hatten, Peitschenhiebe als Strafe, und wenn durch
einen Knaben ein Sie- erschlichen worden war, so hielt man sich an seinen
Vater, der die Strafsumme zahlen mußte.
I'lul'i erklärte die Kinderspiele für notwendig, weil sie speziell zu Ernstem
kräftigen und. wenn richtig geleitet, im allgemeinen dem Körper und dem
leiste förderlich seien. Der Staat soll für Spielplätze sorgen und die Spiele
überwachen. — Aristoteles teilte Piatos Ansicht. Man müsse ruhen, um mit
erneuter Kraft wieder arbeiten zu können. Das Spiel gewähre dem Geiste
Ruhe und Erheiterung zugleich.
Im alten Rom erhielten die Kinder schon am Tag ihrer Namengebung
(dies nominum oder nundinae) Spielzeug (Klappern und Rasseln?) geschenkt.
Bei Knaben war dies der neunte, bei Mädchen der achte Tag. Sogar die
Sklaven machten solche Geschenke. Man hängte sie den Kleinen um den
Hals und nannte sie crepundia (von crepare, Klappern)-).
Zur Zeit Neros, kam in Rom eines jener Fingerspiele auf. die mit wenig
veränderten Formen eine außerordentliche Verbreitung haben. Es handelt sich
dabei gewöhnlich um das Erraten der Zahl ausgestreckter Finger:
„Bucca, Bucca, quot sunt hie?" fragte der Römer, und in der englischen
Einderstube fragt heute noch die Amme: ..Duck. Huck, how niany horns du I hold
up?"8) Il.iii entspricht auf Sizilien das Spiel ..a Cancara e bella" und „a
Gadduzza", wie )/. C. Coote in seiner Rezension der Preschen „Giuochi
fanciuleschi siciliani" schreibt und dabei bemerkt, daß eine sehr große Anzahl
der sizilianischen Kinderspiele auch in England gebräuchlich und hier wie dort
') Wohl 'las Berliner „Fascheln" geraeint?
i >ß, 2. \ull. II. 291.
3) Die Finger sind hier und im folgenden italienischen Spiel als Hörner bezeichnet.
Vgl. Finger und Hm-n als Schutzmittel gegen den biison Blick im Kap. VI.
§ 257. Griechen, Körner und romanische Völker der Neuzeit. Seitenstücke bei Germanen. 245
Reste lateinischer Jugendinst seien1). — In Florenz und Pisa entspricht
dem altrömischen Fingerspiel das „a biccicalla". „Biccicalla, Biccicalla, quante
corna ha la cavalla?" (Wie viel Hörner hat die Stute?) fragt hier das Kind,
welches rittlings auf dem Rücken eines andern Kindes sitzt, an das diese
Frage gerichtet wird. Und „Bicicü, cü, quante corna son lassu?" ("Wie viele
Hörner sind da oben?). — In Genua heißt das gleiche Spiel „a Cancaignan".
Hier legt das Kind, auf welchem ein zweites reitet, seinen Kopf auf den
Schoß eines dritten, welches sitzt und ihm mit beiden Händen die Augen zu-
hält, damit es die Finger nicht sehen kann. Der Reiter fragt: „Cancaignan,
Cancaignan, quante corne l'ha o mae Can?" (Wie viel Hörner hat mein Hund?)
Dem italienischen „Mona", gleichfalls ein Ratespiel, entspricht das
französische „Mourre".. — Die alten Römer nannten ihr Fingerfunkeln
„micare digitis". Man streckte dabei die Finger schnell aus und ließ ihre
Anzahl erraten. — In Deutschland spielte man es früher als „Fingerlein
snellen" -).
In Italien wird ferner „Schlägel und Pflock" (Mazza e pivreza) ge-
spielt: Die Ersten, welche das Los trifft, nehmen einen Pflock, die anderen
einen Schlägel in die Hand. Einer von denen, welche den Pflock haben,
sucht ihn in eines der beiden Löcher festzutreiben, welche man dazu gemacht
hat, worauf der mit dem Schlägel schnell so nach dem Pflock schlägt, daß er
ihn möglichst weit fortschleudert. Wer den Pflock verloren hat, muß ihn
wieder holen, während die Spieler, welche den Schlägel haben, möglichst
schnell von einem Loch zum anderen laufen und zählen, wie oft sie hin- und
herkommen. Können sie, ehe der Pflocksucher zurückkehrt, zehnmal ihre Tour
beenden, so werden sie Sieger und nehmen ihrerseits den Pflock; kehrt aber
der mit dem Pflock früher zurück, so bleibt er Sieger und ..darf ihn nochmals
in ein Loch stecken (Freih. v. Reinsberg-Düringsfeld). ■ — Ähnliche Spiele mit
Varianten gibt es in Deutschland und England; Ploß war geneigt, ihre
Verbreitung auf die Völkerwanderung zurückzuführen. — Zwei andere von
Freih. v. Reinsberg-Düringsfeld beschriebene Spiele der italienischen Jugend
sind „Je castella" und „sur imbasciatur". Bei dem ersteren stellen je vier
Nüsse, von denen drei die Basis der vierten bilden, ein castello (Schloß) dar.
Jeder Mitspieler hat ein solches zu liefern. Jeder auch wirft mit einer großen
Nuß, pallone genannt, nach den Schlössern und gewinnt davon so viele, als
er trifft. — Das zweite Spiel (Herr Gesandter) ist im Piem ontesischen
zu Hause und verläuft wie folgt:
Ein Knabe, dem die Rolle des Hausherrn zugefallen ist, hält an jeder
Hand ein Mädchen, denen zu beiden Seiten in langer Reihe andere sich an-
schließen. Ein anderer Knabe steht vereinzelt dieser Kette gegenüber, geht
einige Schritte vorwärts und singt:
„Sur imbasciatur
(Herr Gesandter)
Lantanti rulirula
Sur imbasciatur
Lantanti rulirula."
Beim zweiten Verse ist er zurückgetreten, beim dritten wieder vorgegangen,
beim vierten steht er, wo er stand. Dann auf die gleiche Weise beim ersten
') Bekanntlich haben sich auf sizilianischem und englischem Boden aber auch noch
andere Völker getummelt.
-' K. E. Georges bemerkte in seinem Lateinisch-deutschen Handwörterbuch, man habe
durch dieses Fingerspiel auch Ungewisse Dinge entscheiden lassen, wobei er auf Cicero und
Suetonius hinweist: „Patrum et filium pro vita rogantes micare jussit." — „Quid enim sors
est? Idem propemodum quod micare." — Über die Entlehnung dieses Spieles von den
Ägyptern siehe Kap. XL.
246 Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
vor-, beim zweiten zurücktretend, und diese Bewegungen beim dritten und
vierten wiederholend, singt der Hausherr neben den beiden Mädchen, die
er führt :
,.(Y>sa völi vui?
(Was begehrt ihr?)
Lautanti rulirula
Cosa völi vui?
Lantanti rulirula."
Der Gesandte antwortet:
..I vöi una dVostre fie'-
(Ich will eine Eurer Töchter).
worauf der Hausherr und die Mädchen fragen :
„(j.uala völi vui?-'
(Welche wollt ihr?)
Der Herr Gesandte will (es folgt nun die Gewünschte) die Braune, die
Blonde, die Schönste, die Kleinste usw. Mädchen und Hausherr fragen nun:
..(.'he nieste faräla?"
(Welches Standes wird sie sein?).
1 »er Gesandte will sie bald zur Prinzessin, bald zur Fruchtverkäuferin usw.
Bisweilen dünkt dem Mädchen der Stand, zu welchem es geworben wird, gar
zu gering; dann wird es böse, will nichts mehr von der Heirat hören und
muß erst durch das Versprechen einer glänzenderen Stellung besänftigt werden,
bevor es einwilligt, zugleich mit dem Hausherrn und dem anderen Mädchen
weitere Fragen zu stellen, deren wichtigste die Morgengabe betritt!, welche
der Gemahl der Braut zu bieten beabsichtigt. Schließlich wird die Erwählte
unter dem Gesänge:
„Pievla pura cha L'e vostra"
(Nehmt sie nur. denn sie ist Euer).
dem Gesandten übergeben, der sie mit sich fortführt, während die übrigen
Kinder mit Jube.lrufen im Kreise tanzen.
Ein italienisches Räuberspiel beschrieb Otto Badice: Einer Gruppe von
Knalien stehen zwei einzelne Knaben gegenüber, die mit herabhängenden
Armen sich gegenseitig die Hand reichen. Einer aus der Gruppe singl :
„Tor, du kleines Tor.
• Iffnet mir dieses Tor."
Aul' diese Anrede halten jene beiden die Arme empor, so daß sie ein Tor
bilden, und singen dabei:
..Das Tor ist offen.
Wer will hindurch gehen?"
Der erste aus der Gruppe erwidert:
„Ich habe Furcht
Vor den Räubern,
Daß sie mir
Meine Kinder nehmen.-'
Dann stürzt er sich in das Tor und alle übrigen folgen ihm. Der letzte der
Gruppe wird von jenen beiden unter Absingen der Schlußverse:
„Deine Kinderchen sind geraubt,
Du bisl betrogen und geschlagen",
gi i mgen genommen und mit einer vorbei- festgesetzten strafe belegt.
In Venedig isl bei den kleinen Mädchen das Fangspiel „Siora Cate"
beliebt: Eines der Mädchen, die zur Signora Catalina geworden, kniet inner-
halb des K'nises ihrer tanzenden Gespielinnen. Nach einigen Rundtänzen
halten diese inne und fragen: „Siora Cate, ehe ora c'e?" (Signora Cate, welche
stunde istVj) Die t'ate antwortet: ..l'n boto de notte" U Uhr nachts). Da
§257. Griechen, Römer und romanische Völker der Neuzeit. Seitenstücke bei Germanen. 247
beginnt der Kreis wieder zu tanzen uud singt zweimal: „Siora Cate giä dito
che c'e im boto de note" (S. C. hat gesagt, daß es 1 Uhr nachts ist). Dann
setzt sicli der Dialog fort: „Siora Gate, was tun Sie?" — „Ich rühre die
Polenta." — „S. C. hat gesagt, daß sie die Polenta rührt." — „S. C, gebt
Ihr uns eine Schnitte davon?" - - „Wenn Ihr brav seid, geb ich sie Euch." -
Chor: „S. C, was suchet ihr?" — „Ich suche die Brille." - - Chor: Gott gebe,
daß die Mäuse sie gefressen!" — „S. C, was suchen Sie?" — „Ich suche
ein Messer, um Euch umzubringen." - - Da löst sich der Kreis uuter Geschrei
auf, die Mädchen fliehen nach allen Seiten, doch die Siora Cate hascht eines
von ihnen, das nun an ihrer Statt als Siora Cate im neuen Kreise umtanzt wird.
H. C. Coote sagt in seinem Vergleich sizilianischer Kinderspiele mit
englischen: In den sizilianischen entfaltet sich vielleicht mehr Leben und
Feuer. Dort gibt es mehr Formeln und Dialoge; ferner sichern die sizili-
anischen Knaben durch die Wahl eines Anführers (capogiuoco) ihrem Spiel
eine gewisse Ordnung zu; auch zeichne treues Festhalten am Althergebrachten
die sizilianischen Spiele aus1). —
Teils Ähnlichkeit, teils völlige Gleichheit fand Coote in den folgenden
Spielen der sizilianischen, bzw. der italienischen und englischen Jugend:
Im sizilianischen acuta e cruci und in dem von der englischen Straßenjugend
gespielten heads or tails. (Den Gang des Spieles gab Coote nicht an.) - - Im
sizilianischen aneddu sei das englische „Hot Cockles" versteckt, Es verläuft
wie folgt: Eine Anzahl Knaben sitzen im Kreis auf dem Boden und reichen
sich die, Hände. Der erste hält einen Stein, oder einen Schlüssel, oder eine
Nuß, oder eine Bohne, oder einen Ring und läßt das Ding heimlich bei den
andern herumgehen. Dann fragt er einen, wer es hat. Errät es der Gefragte,
so wird er Anführer des Spieles; im andern Fall reicht er seine geöffnete
Hand zu einem Schlag als Strafe hin. - - „A lu Castellu", nennt Coote ein
Spiel, in welchem sich Kraft, Behendigkeit und Geschick in der Erstürmung
und Behauptung „des Schlosses", d. h. irgendeiner kleinen Anhöhe entfalten,
und welches zu dem auf Sizilien und in Italien überhaupt gebräuch-
lichen Spiel ,.a li Palazzi" die Einleitung bildet. Coote findet es im englischen
,,1'm King of the castle" wieder. Das sizilianische „A lu Balluni" sei das
englische „Football". — „A Manciugghia" gleiche dem gefürchteten „tipcat"
der Londoner Straßenjugend. — „A Bocci e a Ravigghia" nennt er ein Croquet-
spiel in rauherer Form. - - „A la Strummula" ist ein mit großem Geschick
ausgeführtes Kreiselspiel. — Das ,.a Bue" ist das englische „Hide and seek"
(Versteckspiel); das „ad attuppa occhi" das englische „Blindmans buff"
(Blindekuh). - Eine Form des englischen „Aunt Sally" fand Coote in dem
sizilianischen Spiel „a lu Granu supra le nuci". Man stellt bei diesem Spiel
eine Walnuß aufrecht in die Erde und legt eine kleine Münze auf sie. Wer
diese Münze von einer gewissen Entfernung aus mit einer Nuß herunterwirft,
gewinnt die Münze. —
Das sizilianische „a murari" besteht darin, daß die Spieler gegen eine
Reihe von Nüssen, Äpfeln oder Aprikosenkernen von einer bestimmten Ent-
fernung aus werfen. Das aus der Reihe gestoßene ist der Gewinn. — In
England vertreten Schusser die Nüsse, Äpfel oder Aprikosenkerne. — Auch
das folgende Ratespiel auf Sizilien hat sein Seitenstück in England: Ein
Knabe hält in einer Hand Nüsse oder Aprikosen und läßt einen anderen
deren Anzahl erraten. Gelingt es diesem, so gehören sie ihm; rät er mehr
«der weniger, dann hat er für die Differenz aufzukommen. Coote fügt dieser
Mitteilung bei. dieses Spiel komme schon in Shakespeares „King Lear"
anter dem Namen „Handy Dandy" vor.
') Letzteres kann kaum eine Eigentümlichkeit des sizilianischen Spieles genannt werden.
248 Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
Es braucht kaum daran erinnert zu werden, daß die von der sizilianiscben
und englischen Jugend gespielten Spiele zu einem guten Teil auch die deutsche
Jugend erfreuen. Hier sei einstweilen nur folgendes erwähnt: Das Eispicken
des bayrischen Schwabenkindes findet sich in dem sizilianischen Spiel
A lu Struzzi. Hierzu dienen hart gesottene Eier, deren Spitzen man aneinander
stößt. Das zuerst verletzte ist verloren.
Ebenso ist, Nußspicken, wenn auch mit mehr oder minder abweichenden
Formen, im bayrischen Schwaben so gut bekannt wie auf Sizilien. Hier ver-
lauft es, nach Coote-Pitre, sehr einfach. Ein Knabe läßt eine Nuß eine kleine
Anhöhe hinunterrollen, wo sie liegen bleibt. Nun schickt ihr ein anderer
eine zweite Nuß nach. Stößt sie auf die erste, so hat sie gewonnen. — Im
bayrischen Schwaben sind die Spieler etwas anspruchsvoller. Sie bilden kleine
Häufchen aus Walnüssen, welche sie nach bestimmten Kegeln mit einer
einzelnen Nuß anrempeln. Der Sieg ist hier bedeutender; denn es handelt
sich um das ganze getroffene Häufchen.
Auch die bayrischen Brückenspiele haben auf Sizilien ein Seiten-
stück, welches Coote schildert: Zwei Reihen Knaben stellen sich einander
gegenüber auf und reichen sich mit emporgehobenen Armen die Hände, so
daß sie einen Durchgang bilden. Nun setzt sich der Anführer des Spiels einen
Knaben so auf den Nacken, daß dessen Beine dein Träger vorn herunter-
hängen, und trägt ihn unter dem Durchgang weg mit den Worten: San
Giovanni (oder irgendein anderer Name) geht durch. „San Giovanni" erhält
von jedem einen leichten Kippenstoß, darf jedoch passieren. Nach diesem
trägt der Anführer einen zweiten, dritten, bis 6. oder 7., jedesmal mit Ab-
änderung des Namens durch. Schließlich kommt er mit einem und sagt: Ah
ca passa lu diavolo (jetzt kommt der Teufel). Auf diese Ankündigung stürzt
sich alles auf die zwei, und das beliebte Spiel endet in einer allgemeinen
Rauferei. —
Das deutsche Paradies- oder Himmel- und Höllespiel, welches
dem englischen „Hopscotch" entspricht, wird auch auf Sizilien gespielt.
Wie das indische Kind, so benutzt das sizilianische zur Weiterbeförderung
des Steinchens oder Holzstückes nicht die Hand, sondern den Fuß. Coote
beschreibt das sizilianische folgenderweise: Es werden auf dem Boden zwei
senkrechte Linien und so viele wagerechte gezogen, daß 7 — 8 Felder ent-
stehen. Hierauf läßt der Spieler in das erste Feld ein Scheibchen (palasu)
fallen, dem er mit dem einen Bein nachhüpft. Mit dem anderen Bein stößt
er die Scheibe der Reihe nach in das zweite und die folgenden Felder. Nur
beim vierten Feld darf er die Linie berühren und das aufgehobene Bein
herunterlassen.
Das deutsche „Anmauern" spielt der sizilianische Knabe als „a lu
Spangu". Drei oder mehrere Knaben ziehen vor einer Mauer, in einer Ent-
fernung von zirka 3 m, eine Grenzlinie und graben außerhalb derselben ein
Loch. Dann weifen sie der Reihe nach je eine Münze an die Wand, damit
sie beim Zurückprallen in das Loch falle. Wem dies nicht gelingt, der ver-
liert seine .Münze.
Ferner haben die sizilianischen und die bayrischen Schwaben-
kind er das Ratespiel mit Strohhalmen gemeinsam. Ein Kind hält dabei
zwei Strohhalme von ungleicher Länge in den beiden geschlossenen Händen und
läßt raten, in welcher Hand der eine oder der andere ist.
sizilianische Stadtknaben spielen ,.a la morti" oder ,.a quartaccio".
Bei diesem Spiel suchen sie eine jener großen Steinplatten auf, welche die
Kanäle decken und gewöhnlich fünf runde Löcher oder drei horizontal laufende
Spalten haben. Es wird eine Entfernung angegeben, von welcher aus der
Spieler mit einem Ball oder einer Orange auf die Löcher oder Spalten zielt.
§257. Griechen, Römer und romanische Völker der Neuzeit. Seitenstücke bei Germanen. 249
Trifft er, und bleibt der Ball bzw. die Orange im Ziele stecken, so streicht
er sich den Wurf an und zielt der Reihe nach auf die anderen Löcher oder
Spalten. —
In Catalonien unterhalten sich die Kinder, der nationalen Vorliebe der
Spanier entsprechend, vielfach mit fingierten Stiergefechten. Auch Tänze,
von den Knaben auf der Mundharmonika gespielt und von den Mädchen ge-
tanzt, bilden eine beliebte Unterhaltung der Kinder. Puppen und Kreisel sah
Frau Julita Michael-Breslau in Catalonien nicht, wohl aber Ballspiel.
Spiele mit Muscheln und viele Bilderbücher. — Fächer wissen schon
zweijährige Kinder anmutig zu handhaben. — Fünf-Finger-Spiel, „Tauben-
fliegen-', Plumpsack erwähnte Floß im Hinweis auf Liebrecht1).
Kin besonders frischer, kampflustiger Zug geht durch die Spiele der
mexikanischen Jugend spanischer Abkunft. Frederik /Sfarr-Chicago hat
uns in seinem ..Catalogue of a Collection of Objects illustrating the Folklore
of Mexico-''2) eine reiche Auswahl daraus vorgeführt. Hier mögen einige
folgen: Der „Toro enteio-' ist die Nachahmuug eines Stierkampfes mit
allen Einzelheiten eines wirklichen Stierkampfes. Die Zuschauer, zugleich
Musikanten, sitzen auf einem erhöhten Platz und musizieren; man wählt einen
Kampfrichter (juez); der Stier ist eingespeirt; einmal losgelassen, treten die
capeadores. banderilleros und matadores auf, und ist er am Schluß getötet, dann
ruft man nach den Mauleseln, damit er hinausgeschafft werde. — Nach Starrs
Versicherung wird dieses Spiel bei der spanisch-mexikanischen Einderschar
allen anderen vorgezogen. Man sehe es von den Gassenjungen auf allen
Plätzen aufführen. Lumpen oder zerrissene Jacken dienen als capas, Stöcke
als banderillas und Schwerter.
Ein anderes Stiergefechtspiel in Mexiko sei der „Toro Chicho" 3). Ein
Knabe spielt den Stier; die andern stürzen als Kämpfer auf ihn los. Gelingt
es ihm, einen von diesen auf den Rücken zu schlagen, dann tritt dieser an
seine Stelle, d. h. der Geschlagene übernimmt die Rolle des Stiers. — Starr
bemerkt hierzu: „It is lively work.-'
Aber nicht nur der Stier, sondern auch der Löwe, der Tiger, der "Wolf,.
der Adler, die Schlange, der Hirsch und andere Tiere beschäftigen die Phantasie
der mexikanisch-spanischen Kinderschar bei ihren Spielen. Hiervon einige
Beispiele:
„El leon y el tigre" (Löwe und Tiger). Zwei Knaben. Löwe und
Tiger, werden von den Mitspielenden, Jägern, mit Stöcken und Schildern ver-
folgt. Beim Aufeinanderprallen soll es sehr handgreiflich zugehen. Für tot
gilt einer, wenn er, niedergeschlagen oder niedergeworfen, auf dem Rücken
liegt, und erst wenn Löwe und Tiger oder alle Jäger so zur Strecke gebracht
worden, ist das Spiel zu Ende.
„Coyote" (Prärienwolf). Ein Knabe ist der Wolf; die andern sind
Hühner und bilden, sich die Hände reichend, einen Kreis, während der Wolf
beiseite steht. Nun drehen sie sich im Kreise und rufen ihnen zu; „Coyote
por donde vas?" (Coyote, wo gehst du hin?) Dieser stürzt nun auf einen los
und sucht ihn aus dem Kreis zu reißen. Die Hühner dürfen sich bei ihrer
Abwehr nicht der Hände bedienen, stoßen den Wolf aber mit den Füßen, wenn
er ihnen nahekommt. Der läßt jedoch nicht nach, bis nur eine Henne übrig
bleibt. Diese wird der Wolf für das neu beginnende Spiel.
„Culebra" (Schlange). Ein Knabe stellt einen Adler, alle übrigen
Mitspieler zusammen eine große Schlange dar, indem jeder seinen Vormann
am oberen Saum des Beinkleides oder an einen Knopf seiner Joppe festhält.
i") Liebrecht, ..Zur Volkskunde", S. 390.
8) London 1899.
3l Wohl „chico" (klein iV
250 • Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
so daß sie eine lange Eeihe, die Schlange, bilden. An ihrer Spitze steht der
größte Knabe dem Adler gegenüber, der nun fragt: „Per donde sale el sol?1'
(Wo geht die Sonne auf?) - Schlange: „Acä!" (hier). — Adler: „No! acä!"
(Nein! hier!) Diese Meinungsverschiedenheit führt zum Kampfe. Schreiend
und heftig gestikulierend stehen sich das Schlangenhaupt und der Adler gegen-
über, und dieser versucht den Schwanz der Schlange, d. h. den kleinsten und
letzten der Knaben, zu erhaschen. Gelingt es ihm, so folgt der nächste u. s. f.
Er darf auch zwei zugleich wegreißen. Immer aber läuft er Gefahr, von deu
die Schlange bildenden Knaben umschlungen und so besiegt zu werden. ..ißt"
aber er alle auf, so ist der Sieg sein1).
Ferner schildert Starr das Spiel ..Cebollita'" (Kleiner Zwiebel): Eine
Eeihe Knaben setzt sich so auf die Erde, daß immer der eine zwischen den
Beinen seines Hintermanns sitzt und dieser dessen Oberkörper mit den Armen
umspannt. Nun redet ein außerhalb der Reihe Stehende]' den ersten an:
„Der Pfarrer möchte einen kleinen Zwiebel." Antwort: ..Er soll ihn aus-
reißen, wenn er kann." — Jener sucht dieser Aufforderung nachzukommen,
indem er den Angeredeten packt. Gelingt es ihm, dann macht er sich an
den nächsten u. s. f. Gelingt es ihm nicht, so tritt der Festgewurzelte an
seine Stelle als Herauszieher.
„Venado" (Hirsch). Knaben setzen sich in einen durchbrochenen Kreis.
Die Öffnung stellt eine Tür vor. Neben~jedem Knaben ist ein Häufchen
Schmutz, dessen Spitze etwas eingedrückt ist. Es sind die Tränken für den
Hirsch und enthalten etwas Speichel oder Wasser. Der Hirsch naht sich
alsdann den herumsitzenden Knaben von hinten, schlägt mit den Worten
„cacaon, cacaon" zwei Steine aneinander und beriecht einem jeden Kopf und
Schultern. Lacht der Beschnüffelte, dann erhält er einen Stoß. Hat der
Hirsch seine Tour außerhalb des Ringes vollendet, dann tritt er durch die
Tür hinein und geht nun von Tränke zu Tränke, indem er auch diese der
Reihe nach beschnüffelt. Verboten ist. daß man ihm den Kopf hineindrückt,
aber es soll doch vorkommen. Hat er auch hier seine Runde gemacht und will
er hierauf entfliehen, dann entsteht der Kampf. Die im Kreise sitzenden wollen
ihn nicht hinauslassen, und bricht er doch durch, dann geht eine allgemeine
Verfolgung los. Wer den Hirsch fängt, wird selbst ein Hirsch und muß von
dem alten auf dem Rücken zum Spielplatz zurückgetragen werden, wo das
Spiel aufs neue beginnt. —
Als ein Spiel, das an die Aufmerksamkeit der beteiligten Kinder, meistens
Madchen, bedeutende Anforderungen stellt, beschreibt Starr den ...luan
Pirolero". Die Kinder sitzen mit ihrem Anführer oder ihrer Anführerin
im Kreise. Alle, die letzten ausgenommen, wählen ein Handwerk: Waschfrau,
Kuchenbäckerin, Kleidermacherin, Müllerin usw. Die Anführerin ist stets eine
Flötenbläserin. Das ganze Spiel wird unter wiederholter Absingung der
Strophe durchgeführt:
..Este es el juegn Das ist das Spiel
De Juan I'imlero. Des Juan I'irolero.
t(w cada cual Jedes für sich
Atiende a su juego.'" — Habe acht auf sein Spiel.
Während dieses Gesanges muß jede Mitspielende ihr Handwerk durch passende
Gebärden ausdrücken. Die Flötenspielerin hat das Vorrecht, daß sie bisweilen
plötzlich irgendein beim Spiel vertretenes Handwerk nachahmt, und das
Mädchen, welches dieses Handwerk vertritt, hat dann die Aufgabe, ihr eigenes
Gebärdenspiel ebenso plötzlich und ebenso lange v.fj:<-n die Pantomime des
Flütenspiels umzutauschen.
l) Kirnte, gleichfalls von Store mitgeteilte, interessante Spiele sind illustriert und ver-
weise ich den geschätzten Leser aui dessen „Catalogue - . ." (pp. .'S8 — 12).
§257. Griechen, Römer und romanische Völker der Neuzeit. Seitenstiieke bei Germanen. 251
Den mexikanischen Bevölkerungsverhältnissen und der herrschenden Ab-
neigung gegen die eingewanderten Chinesen entwachsen ist wohl das Spiel
„El gran Chino" (Der große Chinese). Ein Knabe sitzt in einem Stuhl;
um ihn kauern im Kreise seiue Spielkameraden auf der Erde. Jeder aus
diesen nimmt den Namen eines Landes oder einer Stadt an und macht ihn
allen andern mit lauter Stimme bekannt. Der Chinese auf dem Stuhl aber
ballt sein Taschentuch zusammen und spricht:
„Yo soy el gran Chino de Valencia,
Que tiene la gran ocurrencia
De entrar en la ciudad N. N."
Ich bin der große Chinese von Valencia
Mit dem gxoßen Plan,
In das Land (oder die Stadt) N. N. einzuziehen.
Hierbei nennt er einen der gewählten Städte- oder Landnamen und wirft sein
zusammengeballtes Taschentuch nach dem Träger des Namens. Dieser ent-
gegnet ihm, er solle nicht hier, sondern in die Stadt (in das Land) N. N.
einziehen, indem er seinerseits das Taschentuch auf den genannten Knaben
wirft. Jeder Irrtum bei diesen Benennungen gilt als Verlust und drei solche
Verluste, schließen aus dem Spiele aus.
Neben diesen und vielen anderen Spielen, welche die spanisch-mexi-
kanischen Kinder auf den Straßen und Plätzen aufführen, hat Starr auch zahl-
reiche Karten- und Brettspiele mitgeteilt, mit welchen sich die dortigen Kinder
zu Hause unterhalten. Von den letzteren erscheint mir besonders „El Laberinto"
(Das Labyrinth) erwähnenswert. Das Spielbrett trägt das Bild einer vielfach
verschlungenen Schlange1), deren Körper 64 Felder aufweist, von denen 63 je
eine Zahl und "in Bild enthalten. Das 64. hat keine Zahl, aber das Bild des
Todes. Man spielt mit drei Würfeln. Wirft ein Spieler gleich anfangs drei
Einser, so hat er das Spiel gewonnen. Andernfalls spielt er die Serie bis
Nr. 63 durch. Diese Nummer trägt das Bild der blinden Fortuna. Geht er
aber weiter, also bis zum Feld des Todes, so hat er das Spiel verloren, wenn
er nicht von einem andern zurückgeworfen wird. Ein erster Wurf mit drei
Fünfern läßt bis Nr. 42 vorrücken. Wenn im Feld mit dem Stier, darf der
Spieler eine Marke aus dem Einsatz nehmen; wenn beim Hahn, zwei; wenn
beim Hahn Nr. 51, drei. Hingegen hat er eine Marke zum Einsatz zu legen,
so oft ein Würfel auf eine legende Henne fällt, wobei er zugleich einen Wurf
verliert. Ein laufendes Kaninchen verdoppelt den Wurf; beim Hund und beim
Kamel muß der Spieler warten, bis ein anderer ihm nachkommt und sein
Feld einnimmt. Kommt er an ein Feld, das bereits eingenommen ist, so wirft
er den Würfel seines Vormannes zu dessen früherer Stellung zurück. Fürchtet
er über 63, also bis zum Tod, hinauszukommen, so kann er bei 61 oder 59
stehen bleiben, verliert aber dadurch einen Wurf und muß eine Marke be-
zahlen, überholen ihn die andern Spieler und kommen bis zum Todesfeld,
so gehört doch das Spiel ihm, wenn er Nr. 63 am nächsten ist, und wird er
aus seiner Stelle zurückgeworfen, so braucht er die Marke nicht zu zahlen
und hat noch einen Wurf.
Interessant schildert dann Starr die Spiele: „Castillo de los Aztecas"
(die Burg der Azteken); „2° de Abril", ein Kriegsspiel, welches das Datum
einer in der mexikanischen Geschichte denkwürdigen und glorreichen Be-
lagernng trag« ; ..La Batalla'" (Die Schlacht); „la Guerra de los Kickapoos"
(Der Kickapookrieg); „Oca General Porfirio Diaz" und ..Kos Insurgentes". —
Ferner gibt es geographische Spiele: ,.Los viajeros en Mexico" (Die
') Die verhältnismäßig vielen Schlangenspiele im heutigen Mexiko dürften mit dem
üppigen Schlangenkult im alten Mexiko zusammenhängen.
252 Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
Reisenden in Mexiko) und „Los Exploradores del Polo" (Die Nordpolforscher).
Eto politisches Spiel endlich ist „El Cambio del Ministro" (Der Minister-
wechsel)1) ■ ■ Sehen wir uns nun nach französischen Kinderspielen um:
Das uns schon aus Sizilien und Bayern bekannte Brückenspiel ist
auch bei der französischen Jugend beliebt. Sein hohes Alter ist dadurch
bewiesen, daß es schon in „Babelais' Gargantua" erwähnt ist2). —
Von den Rundgesängen der französischen Kinder schrieb Andre lhewnet:
Le repertoire de ces rondes franijaises, si alertes, si sautillantes et si gaies.
est aussi varie et abondant que les herbes d'une prairie. 11 y en a de drama-
tiques comme le Pont du nord. de galantes comme les Trois Alles dans un
pre ou Cecilia, d'ironiques comme celle-ci, qui est originaire du Poitou. et
dont le mouvement est si bien rythme, qu'on croit voir a tont moment tour-
noyer la chaine des danseurs:
..Derriere chez mon pere
11 y a un etang,
Trois jeunes demoiselles
S'y vont promenant.
Vous qui menez la ronde,
Menez-la rondement."
En chemin, les trois demoiselles rencontrent un pelerin qui les implore,
mais les helles n'ont pas le coeur tendrj; et elles rabrouent le quemandeur
indiscret:
..Avoir pitie des hommes,
Nous n'avrons pas le temps.
Les gar§ons sont volages
Comme la feuille au vent,
Vous qui menez la ronde,
Menez-la rondement." —
Andere Liedchen der französischen Jugend sind an den Maikäfer ge-
richtet, welchen sie zum Fliegen auffordern:
„Hanneton, vole, vole!
Ton mari est ä l'eeole,
11 a dit qu'si tu volais,
Tu aurais d'la soupe au lait,
II a dit qu'si tu n'volais pas.
Tu aurais la töte en bas." —
Oder sie singen nach Kamps Übersetzung:
..fliege. Käfer, flieg' bergan,
In der Schule ist dein Mann,
Hat gesagt, daß wenn du fliegst,
Du mit Milch die Suppe kriegst,
Hörst du aber nicht hierauf,
So bekommst du's hinten drauf."
(Heims; Tarbes Sammlung.)
„April, fliehe schnell, .Am Himmel, o Graus.
Der Mai ist zur Stell', Da brennt schon dein Haus,
Damit er gleich den Kopf dir fegt Die Türken kommen mit dem Schwert,
Und Frosl und Regen niederschlägt, Dann wird dir deine Brirt verheert —
Flies?', Maikäfer, flieg', Flieg', Maikäfer. ">g.
Kli.-' Maikäfer, flieg'." Flieg', Maikäfer, flieg !
(Elsaß; Champfleurys Sammlung.)
§ 258. Kelten und Germanen. Europäische sogenannte Urbevölkerung.
Seitenstücke bei Slawen.
Den Kinderspielen im schottischen Hochlande ha1 R. Graig Maelagan
in neuerer Zeit seine Aufmerksamkeit zugewandt. Wir lernen aus ihnen
») Die Ausführung dieser Spiele ist in Statrs ..Catalogue" beschrieben.
2) Floß, 2. Aufl. II, 292 (nach Buchholz).
§ 258. Kelten und Germanen. Europäische sog. Urbevölkerung. Seitenstücke bei Slawen. 253
keltische Jugendlust kennen: Als bei den schottischen Hochländern noch
das gaelische slabhraidh über jedem Feuer hing, so schreibt er, machten
sich die Knaben oft das Vergnügen, sich über dem Feuer hin- und herzu-
schwingen, indem sie sich mit einem Fuß in den Haken des slabhraidh und
mit den Händen an der Kette oder dem Balken, an welchem es befestigt war,
festhielten. Dieses Spiel scheint von den Eltern nicht gern gesehen worden
zu sein, denn Craig Machgan setzt hinzu: Wenn die Eltern ausgegangen
waren, strömten die Knaben zahlreich ins Haus, um sich auf die obige Art
in Rauch und Büß zu ergötzen. — Ein noch mehr aufregender Sport der
schottischen Hochländerknaben bestand darin, daß sie sich mit den Füßen an
einem Querbalken des Hauses aufhängten, und kopfabwärts, sich völlig ent-
kleideten, die Kleider fallen' und sich selbst hierauf an einem Dachsparren
herunterließen.
Eine Art Blindekuh- oder Blindemausspiel1) ist unter den schottischen
Hochländern als „Spionadh Anna Gorach", d. h. „die närrische Anna zupfen"
bekannt. Den Verlauf schildert Maclagan wie folgt: Nachdem man dem
Knaben oder Mädchen, welches die Rolle der Anna Gorach übernimmt, die
Augen verbunden hat, räumt man alles weg, worüber das Kind stolpern könnte,
und nun entspinnt sich zwischen ihm und den Mitspielenden folgendes Gespräch:
„Tha do mhathair ga d'iarruidh." — „C'arson?" — ,,A ghabhail do bhrochan."
- „C'ait bheil an spain?" — „Tionndaidh mu'n cuairt tri nairean agus amhairc
air a shon." (..Deine Mutter fragt nach dir." — „Warum?" — „Du sollst
deine Suppe essen." — „Wo ist der Löffel?" — ,.Dreh' dich dreimal um und
suche ihn.") Nun sucht Anna Gorach eines der Kinder zu erhaschen, während
sie bald von diesem, bald von jenem einen Stoß erhält oder gezupft und
„Spionadh Anna Gorach" angeschrieen wird. Wen sie erwischt, tritt an
ihre Stelle.
Dieses Spiel wird auf einigen Hebrideninseln als „Posadh cheirt" auf
einen Hochzeitsbrauch in St. Ivilda zurückgeführt, welcher folgenderweise
beschrieben wird: Der Geistliche nahm die Hochzeitslente in die eigens für
die Hochzeit verdunkelte Kirche und stellte sie in zwei Reihen längs den
Mauern auf, Braut und Bräutigam an zwei gegenüberliegenden Ecken, wo
man ihnen die Augen verband. Nach Verrichtung eines Gebetes sagte der
Geistliche „Air ord", worauf Braut und Bräutigam einander zu erhaschen
suchten. Dreimal durften sie es versuchen; gelang es auch das drittemal
nicht, dann mußten sie unverheiratet abziehen.
Auch volkstümliche Zun gen Übungen der Art, wie wir sie weiter unten
im Munde der deutschen Jugend finden werden, hat Craig Maclagan in
gaelischer Sprache gefunden und dazu die englische Übersetzung gefügt.
Hiervon zwei Proben.
Gaelisch: Englisch:
..Uisg' blatb, bog, Water warm, soft
Tighiun mach a gob Coming from the spout
A eheatail." — of the Kettle. —
Gaelisch: ,,Cac circ' air au spar, pairt de dubh's pairt de ban."
Englisch: The heu . . . on the spar, part black, part white.
Die letztere Zungenübung habe ein Lehrer mit Vorliebe seinen Schülern
zu sehr schnellem Aussprechen gegeben, wobei diese eine feierliche Miene
machen mußten. Taten sie letzteres nicht, so wurden sie strenge gestraft.
Andere Schulkinderverse aus Schottland (Argyleshire) lauten bei
-K. Craig Maclagan:
') Im Englischen .,Blindfold Games", „Blindman's buff".
254 Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
„Dicky Dan was a funny wee man,
He washed his head in a tarry pan,
He combed his hair with the leg of a chair,
Dicky Dan was a iunny wee mau." —
„John Brown is a nice young man.
He comes to the door hat in han'.
Doun comes she all dressed in silk,
A rose in her bosom white as milk.
He pulls of his glove and shows her the ring,
To-morrow the wedding shall begin." —
„Barber, barber, shave a pig.
llnw many hairs will make a wig?
Twenty-four, that's enough;
Give the barber lad a snuff." —
Von den zu Argyleshire gehörigen westlichen Inseln beschreibt
Maclagan zwei Ballspiele. Bei dem ersten, „Cluich an Tighe" genannt, weiden
an einem Dreieck drei zirka tiü Ellen voneinander entfernte Kreise auf die
Erde gezeichnet. Diese Kreise heißen „an Tigh". Innerhalb eines der Kreise
stellen die Mitspielenden mit einer einzigen Ausnahme, und dieses einzige Kind
steht außerhalb. Es soll die drinnen, welche den Kreis verteidigen, gefangen
nehmen, d. h. sie mit seinem Ball treffen,"während die. Verteidiger von einem
Kreis zum andern laufen Wer getroffen wird, bleibt bis zum Schluß des
Spieles gefangen. Der Außenstehende oder Belagerer geht als Sieger hervor,
wenn es ihm gelingt, jeden Verteidiger zu treffen, ehe diese die Kreise so
oft umlaufen haben, als vor dem Spiel festgesetzt worden war.
Das zweite Spiel heißt „Bonnety" und verläuft so:
Alle Mitspielenden legen ihre Mützen längs einer Mauer der Reihe nach
so auf die Erde, daß der Boden der Mützen gegen die Mauer, die Öffnung
gegen die Spieler schaut. Das Ziel des jeweiligen Spielers ist ca. acht Fuß
von den Mützen entfernt. Von da aus sucht er einen Ball in eine von diesen
hineinzurollen. Gelingt dieses, so ergreift der Eigentümer der Mütze, während
alle andern davoneilen, den Ball und wirft ihn einem nach. Dreimal muß er
jedoch ein und denselben treffen, ehe dieser aus dem Spiel ausgeschaltet wird.
Hiergegen berechtigt der Ball, wenn von einem erhascht, diesen an Stelle
seines Vormannes zum Rollen.
Weitere Spiele der gaelischen Jugend sind die Bat- oder Knüttel-
spiele und eine Reihe anderer Spiele, welche Maclagan in seinem Werke
mehr oder weniger ausführlich beschreibt. —
Im englisch-schottischen Grenzgebiete halten die Kinder die Er-
innerung an die alten Fehden durch das „schottisch-englische Spiel" oder
„The Kaid" lebendig. Es spielt sich folgenderweise ab: Die Knaben eines
Dorfes wählen aus ihrer Mitte zwei Häuptlinge, teilen sich in zwei Gruppen,
ziehen sich ans und legen die Kleider auf zwei Hauten, jeden auf das jeder
Partei gehörende Gebiet, welches durch einen stein vom Gebiete des Gegners
abgegrenzt ist. Hierauf fallen die Parteien in die entgegengesetzten Gebiete
ein, wobei die Engländer rufen: „Ein Sprung in dein Land, du hartbaucluger
Schotte." Die Gegner plündern sich nach Kräften aus. Gefangene fallen
unter die Gerichtsbarkeit des Feindes, können aber von der eigenen Partei
OSgekauft werden {Ihilfour-Northcote).
Aus Suffolk teilt Lady Everline Camdla Gurion das Spiel „Ducks
and Drakes" mit, welches dem schwäbischen „Schättala" entspricht und
im folgenden besteht: .Man wirft einen Ilachen Stein schief in ein stillstehendes
Gewässer, damit es ein- oder mehreremal wieder auftauche. In Suffolk heißt
das einmalige Auftauchen „a duck" (eine Ente); das zweimalige „a duck an
§258. Kelten und Germanec Europäische sog. Urbevölkerung. Seitenstücke bei Slawen. 955
a drake" (eine Ente und ein Enterich); das dreimalige „a duck an a drake
an a fie' penny cake" (eine Ente und ein Enterich und ein Fünfpfennig-
Kuchen) usw. Diese Benennungen müssen während des Spieles ebenso rasch
ausgesprochen werden als der Stein untertaucht. Dieses Spiel ist hier also
zugleich eine Zungen Übung.
Die folgenden drei englischen Reigentänze mit Gesang hat Lad}'
Qurdon nach den Mitteilungen der Miss Nina Layard veröffentlicht. Bei
dem ersten „Es ist eine Dame auf dem Berg" bilden Mädchen einen Kreis
und drehen sich singend um ein Mädchen, das in der Mitte steht. Der Text
des Gesanges lautet:
,.There's a lady on tue mountain,
Who she is 1 do not know;
All she want is gold and silver:
All she want is a niee young man.
Now you're married you nnist be good.
Make your husband chop the wood.
Chop it fine and bring it in,
Give three kisses in the ring." —
Beim folgenden Reigentanz steht in der Mitte des Kreises ein Knabe und
ein Mädchen, etwas voneinander entfernt. Dieses ist die Dame, jener der
Herr. Der Knabe beginnt:
„There Stands a lady on yonder hill,
Who she is I cannot teil;
ril go and court her for her beauty.
Whether she answers me yes or no.
Madam I bow once to thee."
Nun folgt ein kurzes Zwiegespräch zwischen dem „gentleman" und der
„lady", worauf jener diese ersticht. Die lady fällt zu Boden und der gentle-
man umkreist sie singend:
„Rise up, rise up, my pretty fair maid,
You're only in a trance;
Kise up, rise up, my pretty fair maid,
And me will have a dance."
Dann richtet er das Mädchen auf, und das Spiel ist zu Ende.
Das dritte Spiel ist betitelt: „Die arme "Witwe". In der Mitte des
Kreises steht ein Kind; die den Kreis bildenden Mitspieler singen:
„One poor widow is left alone, all alone. all alone,
Chobse the worst and choose the best,
And choose the one that you like best."
Nun wählt das Kind in der Mitte ein mitspielendes aus dem Ring, während
die andern singen:
„Now she's married I wish her joy,
Her father and mother she must obey,
Love one another like sisters and brothers,
And now it's time to go away." —
Aus Suffolk teilte Lady Gurdon ferner Kinderreime auf das Marien-
käferchen (golden-bug oder lady-bird) mit, welches bekanntlich auch von
den deutschen Kindern angesungen wird. (Über diese später.) Setzt sich
in Suffolk ein solches Käferlein auf ein Kind, dann ruft man ihm zu:
,.Gowden-bug. Gowden-bug, fly away home ;
Yar house is bahnt down, an yar children all gone."
Bei der dritten Wiederholung dieser Verse fliegt das Marienkäferchen sicher
fort, —
256 Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
Henderson machte uns aus dein „nördlichen England1'1) mit der folgenden
Variante dieser Reime bekannt:
„Ladybird, ladybird, fly away home.
Tay house is on fire, thy children all gerne.-' —
Wie in Italien, Deutschland und Polen, so singen auch in England
die Kinder Schnecken an. Im nördlichen England drohen sie: „Snail,
snail put out your hörn, — Or l'll kill your father and mother tlie niorn!''
In Süd-England: „Snail, snail, come out of your hole, Or eise l'll
beat von as black as a coal!'-
Aus Süd-Italien wird ein ähnliches Sprüchlein übersetzt: „Schnecke,
Schnecke, streck aus dein Hörn, - Deine Mutter gibt dir ihren Spott und
Zorn, - Denn sie hat just ein Söhnchen gebor'n!" Im Polnischen:
„Sliimic, slimac wypusc rogi, - Dam ci grosz na pirogi!"' (Pirog = feines
Weizenbrot, Semmel.) — Deutsche Schnecken verse später.
In Norfolk singen die Kinder beim Schaukelspiel:
„l went down the garden,
And there 1 found a i'arden;
I gove it to my mother,
To buy a baby brother;
II v brother was so cross:
We put him on a horse;
The horse was so founded,
(? so randy or bandy),
We gave him a drop o' brandy;
The brandy was so strong,
We put him in the pond;
The pond was so deep;
We put bim in a oradle
And rocked him off to sleep
W'ith a heigh-ho!
Over the bowling green." —
Mit dein „heigh-ho!" erhält das in der Schaukel sitzende Kind einen stärkeren
Schwung und macht nun einem anderen Kinde Platz (TP. B. Gensh).
Ein englisches Wahrsagespiel hat Graig Maclagan veröffentlicht:
lin festzustellen, wann der oder jener Knabe oder irgendein Mädchen heiratet,
berührt man die Knöpfe der Weste oder Joppe oder Taille und sagt dabei:
„This year,
Ncxt year,
Some time,
Never2).-'
Das mit dem letzten Knopf Zusammenfallende trifft ein.
Eine englische, wohl bekannte Zungen Übung lautet: „Peter Piper
picked a peck of pickled pepper off a pewter plate. Where is the peck of
pickled pepper Peter Piper picked?" (Graig Maclagan). —
WirkoinmenzumKinderspielzeugder sogenannten l' rein wo Im er Deutsch-
lands. Hierher gehört die Kinderklapper, welche in Gräbern aus der dama-
ligen Zeil gefunden worden ist. Sie besteht aus zwei birnenförmigen, hohlen, an-
einander gebackenen Tonkugeln mit eingedrückten kreisfönnigenVerziernngen,und
enthält Steinchen zum Klappern. Auch Vogelfiguren aus Ton, mit Sternchen im
tnnern, dienten als Kinderklappern und Kinderrasseln. !'!"/: erwähnte solche
aus der Sammlung der „I »rutschen Gesellschaff in Leipzig, sowie aus dem
K. Museum für Völkerkunde in Berlin. Die letzteren stammen nach seiner
Angabe aus den Gräberfeldern von Groß-Czettritz in der Neumark, aus
i) Ploß, 2. Aufl. 11. 312. '
2) Ein ähnliches Wahrsagespiel haben auch die bayrischen S ch wabenkinder.
§258. Kelten und Germanen. Europäische sog. Urbevölkerung. Seitenstücke bei Slawen. 257
den Gräbern bei Striegau, Schlesien, und aus jenen bei Pforten in
der Lausitz. Ferner erwähnte Floß derartiges Spielzeug aus der Bronze-
zeit in Sachsen, Württemberg und in der Schweiz; rundgeschliffene Kiesel,
wie sie die Knaben heute noch beim Spiele benutzen, seien im Urnenfriedhof bei
Darzau, in der Provinz Hannover gefunden worden, und ein beinernes Gäulchen
mit einer Kinderpfeife an Stelle des Schweifes habe Preusker beschrieben.
Die Puppe, oder wie die alte deutsche Benennung lautete, die „Tocke''
oder „Docke"1), wie sie heute noch im bayrischen Schwaben und in
Schlesien heißt, ist nach Weinhold in Deutschland seit dem 9. — 10. Jahr-
hundert allgemein bekannt. Vielleicht hatte das Kind mit ihr in Asien schon
vor der Völkerwanderung gespielt'2). — Im 13. Jahrhundert schilderten
Gedichte die Freude der Mädchen au schönen und vielen Puppen. In Wolframs
„Parcival" will das Töchterchen des Burggrafen dem heimkehrenden Gast,
der sich scherzend zu ihrem Bitter erklärt, ihre Puppen verehren, welche
jene der Nachbarskinder an Schönheit weit überragen. Floß, der auf diese
Stelle hinwies3), erwähnte auch weiße Tonpiippchen in der deutschen Fraueil-
tracht des 14. Jahrhunderts aus dem Germanischen Museum in Nürnberg, die
kaum daumenlang seien und am Brustteil eine Vertiefung zur. Einlegung des
Patenpfennigs haben. Man habe sie im Jahre 1859 bei der Umlegung des
Pflasters unter der Straße gefunden. Auch nackte Kindlein und Wickelkinder,
gepanzerte Keiter, einige Heiligenfiguren, sowie kleine Töpfe, Kannen, Schalen,
Hörner und anderes irdenes Spielzeug fand sich dabei, ein Fund von über
100 Tonfigürchen. — Schon vor dieser Zeit waren auf der Burg Tannenberg
in Franken Püppchen aus gebranntem Ton in der Tracht der 2. Hälfte des
14. Jahrhunderts gefunden worden4). — Ebenso wurden in Schlesien Püppchen
(Frauenfigürchen) in der Tracht des späteren 14. Jahrhunderts ausgegraben.
Sie waren aus Kalkstein und ca. 9 cm hoch5).
Im 13. Jahrhundert spricht sich der volkstümliche Prediger Berthold
von Regensburg tadelnd darüber aus, daß die Mädchen ihre Liebe auf Puppen,
Glasringe. Kränze, Vögelchen und Hündlein werfen. Die Mädchen spielten mit
Hausgerät und Putz, füllten die kleinen Schreine mit Puppenkleidung, ahmten,
wie heute, die Wirtschaft ihrer Mütter nach und lebten sich spielend in ihren
späteren Beruf als Hausfrauen und Mütter ein. - - Auch Tierfiguren aus Ton,
Holz und Metall gehörten zum Spielzeug der Kinder.
Die schwedischen Bauernmädchen besaßen gleichfalls schon im Mittel-
alter Puppen, die Knaben belustigten sich mit Steckenpferden und Bogen-
schießen. Ferner ergötzte sich die Kinderschar mit Schneeschuhlaufen.
Floß machte darauf aufmerksam0), daß ein Teil des Waffenspielzeugs
auch der deutschen Knaben eine längst vergangene Kulturperiode vertritt.
„Ein gutes Beispiel ist Pfeil und Bogen" schrieb er. „Alt und in der wilden
Kultur weit verbreitet, können wir die Waffe durch das barbarische und
klassische Leben hindurch und hinauf bis zu einer hohen mittelalterlichen
Stufe verfolgen. Aber wenn wir jetzt bei einem Scheibenschießen zuschauen,
oder zur Zeit, wenn die Kinder mit Pfeil und Bogen spielen, durch die Land-
straßen gehen, so sehen wir die alten Waffen, welche bei einigen wilden
Stämmen noch ihre tödliche Stellung auf der Jagd und im Kampfe einnehmen,
zu einer bloßen Kurzweil erniedrigt. Die Armbrust, eine verhältnismäßig
') Tocke oder Docke soll ursprünglich der Ausdruck für ein Holzkästchen gewesen
sein (Ploß, 2. Aufl., 319).
2) Vgl. die indischen .Puppen, Fig. 311.
5) 2. Auf! II, 292.
*) Anzeiger für Kunde deutscher Vorzeit. 1859. Sp. 210.
6) Schlesiens Vorzeit, 111, 497 ff. (bei Ploß, 2. Aufl. U, 319).
6) 2. Aufl. II, 308.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 17
258 Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
späte und lokale Verbesserung des Bogens, ist fast vollkommen aus dem
praktischen Gebrauche verschwunden, aber als Spielzeug dient sie noch in
ganz Europa, und so wird es wahrscheinlich noch lange bleiben. In Alter
und weiter Verbreitung über die Erde, von der wilden bis zur klassischen
Zeit hinauf, wetteifert die Schleuder mit dem Bogen und Pfeil. Aber im
Mittelalter kam sie als praktische Waffe außer Gebrauch. Trotzdem ist diese
alte rohe Waffe von den Knaben in ihren Spielen aufrecht erhalten. . ." —
Eine gewisse Form der Pflockspiele haben die Knaben des sächsischen
Vogtlandes mit ihren Altersgenossen tschechischer und magyarischer
Stämme gemeinsam; dieSachsenjugend kennt es als „Eimalab-' und als „Potschek";
die tschechische als „Spacek"; im Banat, Ungarn, heißt das dabei benutzte
zugespitzte Holz „Gatschkai". Das Spiel verläuft im Vogtland folgenderweise:
Ein keilförmig zugeschnittener kurzer Pflock wird auf die Erde gelegt. Dann
schlägt man mit einem Stocke auf sein zugespitztes Ende, so daß der Pflock
in einem weiten Bogen fortfliegt; ein anderer Knabe hat ihn mit seinem Stocke
aufzufangen; trifft er ihn nicht, so nimmt er den Pflock und wirft ihn gegen
den angelegten Stock des ersten Knaben.
Der Schlagballspiele als orientalisches Erbe ist schon früher gedacht
worden. Nach Plofs ist „Ball" vom romanischen „ballare" (tanzen) herzuleiten.
Eine (sächsische?) Form dieses Spieles, bei welchem eine Kugel auf ebener
Bahn durch einen Eisenring geschlagen wurde, erwähnte er als das „Bügel"
schlagen, und „durch die Kloospforte" schlagen; im Vlämischen sei es bekannt
als closen, cloten, bollen und bogheten; in Norddeutschland sei das Schlagen
der „Kliese", eines Holzballs, zu Ostern ein herkömmliches Gesellschaftsspiel.
Das Kegel- und Kluckerspiel, das Radtreiben, „Puck oder Schneid", sowie
das Paarlaufen usw. gehörte nach Johannes Holte schon im 15. und 16. Jahr-
hundert zu den Belustigungen der Jugend süddeutscher und schweizer
Städte, und manche Polizeiverordnung beschäftigte sich damit. In Nürnberg
gestattete der Stadtrat im Jahre 1503 das Kugeln und Schussern (Kluckern)
auf der Hallerwiese; an den Feiertagen aber erst nach dem Gottesdienst. —
Der Ulm er Rat verbot 1517 Fuchs, Vogelspiel und Kluckern bis auf St. Ulrichs-
tag (4. Juli), erlaubte den Knaben aber das Klebern. — In Zürich ward
1530 das Kluckern mit steinernen Kügelchen. 1627 außer dem Spielen mit
Karten, „Würflen, wetten, gerad oder ungerad machen" auch das Kluckeren,
Stöcklen, Huetschießen und derlei Spiel untersagt. — In Bern ward 1560
das Kluckern auf dem offenen Platz des sog. Kirchhofes verboten. — In
St. Gallen erhielt 1589 der Messner zu St. Laurenz den Befehl, alle Buben,
so unter den Fischbäuken tupfen, bölen oder kluckeren. wenn sie sich nicht
warnen lassen, mit einer Geißel abzutreiben.
Bolte zitiert ferner aus Martin Luther: „An die Ratherren aller Städte
deutsches Lands"1) (1524): „Meyn meynung ist, das man die Knaben des tag
eyn stund odder zwo lasse zu solcher schule, gehen . . . Bringen sie doch
sonst wol zehen mal so viel zeyt zu mit Keulichen schießen, ball spielen,
lauften und rammeln."
Eine ansehnliche Reihe jetziger deutscher Kinderspiele sind, wenn auch
größtenteils unter anderen Namen, schon in dem mittelhochdeutschen Gedicht
„Der Tugenden Schatz" und in Fiseharts „Gargantua" (16. Jahrhundert) er-
wähnt. Plo/i schrieb über diese Tatsache: ..Das bekannte Blindekuhspiel
ist in jenen beiden Verzeichnissen als „Blindemaus"-) angeführt, doch setzt
Mschart neben diesen Namen schon: ..I »er blinden Kuh". Das „Hafen- oder
Topfschlagen" erwähnt Fischart unter der Bezeichnung': ..Brich den Haien".
Das jetzt unter den Namen: „Platz wechseln", „Kämmerchen vermieten" und
M Werke, Weimarer Ausg. 15, 47. 1.
!) Diesen Namen führt das Spiel heute noch im bayrischen Schwaben.
§258. Kelten und Germanen. Europäische sog. Urbevölkerung. Seiteustücke bei Slawen. 259
„Schneider, leih mir deine Schere" bekannte Spiel wird iu der Tugenden
Schatz angeführt als: „Zwei sprachen: der Platz ist mein"; und das bei Fischart
genannte Spiel: „Schulwinkel" ist unser Versteckspiel mit dem Blinzwinkel.
Das Spiel ..Fuchs im Loch", bei dem der Spielreim heißt: ..Fuchs, Fuchs, beiß
mich nicht usw." führt Fischart auf unter dem Namen: „Wolf, beiß mich nicht".
Unser Spiel: „Der Abt ist nicht zu Hause" heißt bei Fischart: „Des Abts
und seiner Brüder". Das Batespiel: „Pinkepank, in welcher Hand?" oder:
„Pinkepank, wo steht der Schrank, unten oder oben?", bei dem es darauf an-
kommt, zu erraten, in welcher Hand der Stein verborgen sei, erwähnt Fischart
unter dem Namen „Steinverbergen". - Weitere Angaben über die Kinderspiele
jener Zeit finden sich in den von den beiden Schwarz (Vater und Sohn) hinter-
lassenen Aufzeichnungen, aus welchen wir ersehen, daß in der Mitte des
IG. Jahrhunderts das „Tribeln", d. h. ein Stück Holz in die Luft prellen, das
.. Klukern", d. h. Marmorküglein in ein Loch an der Erde werfen, das „Baift-
treiben", sowie das ..Eggeti", d. h. das Aufsuchen der sich um die Ecke des
Hauses Verbergenden unter den Knaben Deutschlands beliebt war." —
In Breslau sah die Herausgeberin im Sommer 1911 zwei Knaben mit
einem Schwirrholz spielen, das unwillkürlich an den australischen Bumerang
erinnerte. Sie schleuderten das Holz wiederholte Male in die Luft, wo es bald
schlangtnförmig, bald in Kreisen mit blitzgleicher Geschwindigkeit umher-
schwirrte. Einigemal geschah es, daß es beim Niederschwirren die Erde be-
rührte und dann abermals aufstieg. —
Das Stelzenlaufen haben unsere Kinder mit Negerknaben gemeinsam,
wie das folgende Kapitel nachweist.
Die deutschen Kinderspiele: Blinde Kuh, Maus, Katze, Henne, Eule und
blinder Bock; ferner die entsprechenden Spiele in Frankreich, England
und den Niederlanden, sowie das griechische Haschespiel „blinde Fliege"
u. dgl. führt Samuel Singer auf die indogermanische Vorzeit zurück1).
..Man wird annehmen dürfen," so sehreibt er, „daß es in jener Zeit Volks-
belustigungen gab, in denen ein die Maske eines tiergestaltigen Dämons
Tragender die Umstehenden zu faugen suchte. Dabei scheint die Maske nicht
mit Augenlöchern versehen gewesen zu sein, sei es, um einfach das Fangen
zu erschweren, sei es, um den „bösen Blick" des Dämons auch in der Nach-
ahmung zu vermeiden."
Daß mit den Tiermasken ursprünglich ein dämonisches Wesen gemeint war,
schließt Singer unter anderm aus noch gebräuchlichen Haschespielen. Solche
Spiele fand Singer in der Schweiz, England, den Niederlanden usw. Hier
möge aus seiner Beschreibung nur das in Bern übliche folgen: Ein Kind spielt die
Mutter und befiehlt einem anderen. Butter aus dem Keller zu holen. Dieses
kommt bald zurück mit der Bemerkung, im Keller sei eine Hexe. Ein zweites
bringt dieselbe Nachricht. Dann geht die Mutter selbst, sieht eine mit einem
Tuch verhüllte Gestalt sitzen, rührt sie an und sagt: Das ist ja nur ein Faß
(oder ein Kätzchen). Doch die Hexe stößt bei der Berührung schreckliche
Töne aus und erhebt sich. Alles flieht, sie aber fängt ein Kind, das nun an
ihrer Statt die Hexenrolle übernimmt.
Auf einen früheren Dämonenkult will Singer ferner die weil verbreiteten
spiele des Farbenratens zurückführen. Ein Kind, das den Teufel darstellt,
ahmt die Töne einer Klingel nach: ..Geling, geling, geling (Ging, ging, ging)."
— „Wer ist da?" — „Der Teufel mit der Ofengabel." — „Was möchte er?"
— ..Eine Farbe." - „Was für eiue?" — Nun ratet der Teufel eine Farbe,
d. h. ein Kind, das nach dieser Farbe genannt ist. Trifft der Name zu, dann
muß das Kind auf seine Seite.
*) Vgl. die entsprechenden Spiele der litauischen Jugend in § 259.
17*
260 Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
Doch will Singer nicht jedes Haschespiel und jedes Kauf- und Verkauf-
spiel auf alten Dämonenkult zurückführen, sondern glaubt nur, daß daraus
gewisse Typen herausgehoben werden können, welche Nachahmungen alter Kult-
handlungen seien. Die Kinder, meint er, ahmten von jeher die Großen nach.
Den frühesten Jahrhunderten germanischer Geschichte wies Rochhote1)
gewisse Reimsprüche und Lieder im Kindermund zu: Halliwella englische
und l'huiiihrrs schottische Sammlung von Kinderliedern seien den deutschen
durchgängig um so ähnlicher, je älter sie seien. ..Je mehr nach der Völker-
wanderung." sagt Rochhole, „die deutschen Volksstämme sich auch in ver-
schiedenartige Sprachstämme sonderten, um so unmöglicher wurde ein gegen-
seitiges Abborgen dieser Keimsprüche aus gegenseitig sich entfremdeten
Mundarten und Sprachen; der Kinderspruch muß also so alt sein, wie unsere
deutsche Heldensage, welche vor der Völkerwanderung bei allen deutschen
Volksstäniinen einheimisch war, von ihnen mit in die Fremde hinausgenommen
wurde und in den sagenhaften Erinnerungen des Skandinaviers und Angel-
sachsen heute noch ebenso fortdauert, wie beim Schwaben, Hessen und
Bayern. Weil der Longobarde und Gote in Italien seßhaft wurde, und
der Franke in Gallien, darum gleicht selbst in diesen gallischen und
italienischen Landstrichen noch mancher einzelne Kinderreim nach Inhalt und
Form dem unseligen2)."
Hierher gehören die Keime und Lieder, welche die Kinder sagen oder
singen, wenn sie Weidenflöten und Weidenpfeifchen machen, vielleicht
Nachklänge alter Zauber- und Kunenlieder, die in Bast und Kinde geritzt
wurden; sie sollen den Bast vom Holze lösen.
Ein Liedchen dieser Art lautet:
,.Zapf, zapf, Pfeife!
Auf dem Mühlendeiche
Da steht ein Manu,
Der heißt Johann,
Der hat so rote Strümpfe an "
Rochholz erinnert bei diesen Versen an den rotstrümpfigen Wassermann der
Sage, der auf den Mühlendeich heraufsteigt, Regen bringt und den Mühlbach
schwellt, sobald man ihn mit der Pfeife lockt3).
Auch im folgenden Liedchen, das die Kinder im Vogtlande singen,
wenn sie mit ihrer Messerscheide die Rinde losklopfen, haben wir wohl eine
alte Überlieferung vor uns:
,.Pfietsch o, pfeif o,
Laß dein Teich o.
Wenn's Katzcrl wiederkimmt,
Is mei Pfeif rn."
In Schlesien sagen die Knaben, wenn sie ihre ,.Weidentuten'' und Bast-
pfeifen inachen:
„feifla. feifla gib mir säft,
bis der pauer a hoaber rafft,
bis die l'rau de kiche (Küche) kehrt.
bis die moid a schwäfi nausträet.
raff-ock ni zu lange,
suste werd-mr bange:
do kumma de tolla fleescherhunde,
ziehn-drsch fäl vinn puckl runder. —
räff-ock ni alaene,
de kätze hot vier baene,
de katze hotu-n langa schwänz:
feifla, feifla, bleib mir ganz." (Drechsler.)
') Bei Ploß, 2. Aufl. II. .'Ulf.
Virh Island wurden norwegische Kindersprüche getragen.
s) Bei l'Ioß, 2. Aufl. II, 312. — Vgl. Grimm. Mythol. 1190; Hocltholz, Alemann. Kinder-
lied. 1 S2 ; Firmenich, Gennaniens Völkerstimme II. 102, 561.
§258. Kelten und Germanen. Europäische sog. Urbevölkerung. Seitenstücke bei Slawen. 261
Ploß führt in der 2. Auflage auch die folgenden zwei Spruche an:
„Niklos, mach mir meine Pfeife los!" Und: „Anne Gret, mach, daß meine
Pfeife geht." —
Eine andere Reihe deutscher Kinderlieder bezieht sich, wie in Frank-
reich, auf das Marienkäferchen (coccinella septempunctata) unter seinen
vielerlei Benennungen; ferner auf Maikäfer, Schmetterlinge, Schnecken usw.1).
In Schlesien z. B. fordern die Kinder das ihnen auf einer Hand sitzende
„Marienschäfle'", „Mai- oder Sommerkälble" auf:
„Sommerkälbe fleij aus,
fleij bes eis summerhaus,
lüß-de Uwe sonne raus."
Auch die erste Schnecke setzen sie sich auf die Hand und beschwören sie:
„Sehnecke becke recke
deine eins, zwei, drei, vier hörndl raus;
da bäckt dir meine mutter a scheues wäechbrotl aus;
wenn-de-sie nie rausreckst,
stech ich dir deine scheuen goldeigel aus.-' (Drechsler.)
In Pommerellen singen nach Mannhardt, der in diesen Kinderreimen
mythische Elemente vermutet, die Kinder die Marienkäferchen an: „Heergotts-
peerdke, -- diue Kinderke schriee, -- din Huuske brennt, — Fleeg weg!:'2).
Der Maikäfer wird, von kleinen Dialektformen abgesehen, in der
Gegend um Leipzig und im bayrischen Schwaben ganz gleich an-
gesungen :
..Maikäfer fliege.
Dein Vater ist im Kriege,
Deine Mutter ist im Engelland (oder Pommerland),
Engelland ist abgebrannt,
Maikäfer fliege!"3) —
Den Schmetterling singt der Knabe in Nord-England an: „Le, la.
let, my bonnie pet!" und ladet ihn damit ein, sich niederzulassen, damit er ihn
fangen kann, wie dies der Junge iu Nord-Deutschland tut: „Molketewei
sett di, - - kömmt e Pogg de frett di!'' - - Oder in anderer Lesart: „Molke-
tewer sett di, — Gew di e Stökke Botterbrod! — Botterbrod verlang öck
nich, — Dusend Dahler gew öck nich!" • Dagegen rufen die Kinder im
Vogtlan d, wenn sie einen Schmetterling über sich flattern sehen: „Schmetterling
setz dich, — Wenn du dich nicht setzen tust, — Reiß ich dir dei Häusel
ein, — Kannst du net mer nein!''
Ein den englischen, italienischen und polnischen Schnecken-
liedchen entsprechendes lautet im Mund der bayrischen Schwabenkinder:
„Schneck, Schneck,
Ströck deine Hoara raus,
Oder i schlag dr a Loch ins Haus."
In der 2. Auflage hat Ploß bemerkt, daß die deutsche Jugend Schnecken-
lieder in mannigfachen Variationen kenne. Eine davon lautet: „Schnecken-
haus (?), kriech heraus, — Strecke deine vier Hörner heraus. — Sonst werf
ich dich in Graben, — Fressen dich die Raben!" —
Verschiedene, mit der Herkunft des Kindes zusammenhängende, Storch -
liedlein sind im Kapitel XXX zusammengestellt. Der Storch wird aber
auch ohne diesen Zusammenhang besungen, z. B. in Westfalen, wo die Kinder
ihm zurufen, indem sie von einem Bein auf das andere hüpfen:
') Vgl. die früher angeführten Schneckensprüche aus England, Italien und Polen.
2) Englische Verse an das Marienkäferchen (Ladybird) sind in diesem Kapitel schon
mitgeteilt worden.
3p Französische Maikäferliedchen siehe auf S. 2.VJ.
262 Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
„Stork, Stork, Langebeen,
Hest din Vater wohl hangen sehn'/"
Tüsken de glönigen Tangen
Süste din Yaar wohl hangen.
Da hängt din Vaar. da hangt din Vaar." —
Oder:
„Stork, Stork. Langebeen,
Wann wirst du wier ut den Lande gehn'f
..Wenn de Roggen riepet.
Wenn de Wagen quiek seggt." —
Im bayrischen Schwaben spielt der Fuchs eine Rolle: „Schau nicht
um, der Fuchs geht um" beginnt ein Spiel, bei welchem die Mitspielenden
nicht umsehen dürfen. Ihm entspricht das Kinderspiel bei den Tschechen
in Mähren: „Seht euch nicht um, der Brummsack geht um."
In den uns bereits aus anderen Ländern her bekannten Reihen- oder
Ringeltänzen, womit sich auch in Deutschland an warmen Tagen und
Abenden hauptsächlich die Mädchen im Freien unterhalten, sah Ploß1) Reste
von Kultformen, welche sich auf personifizierte Jahreszeiten bzw. bestimmt ^
Gottheiten unserer Altvordern bezogen. Reste jener Tänze und Lieder, deren
Gebrauch Bonifaeins und kirchliche Konzilien den neubekehrten Deutschen
untersagten. Eines der zu solchen Ringeltänzen gesungenen Lieder aus der
Umgegend von Leipzig lautet:
„Ringel, Ringel, Rosenkranz,
Fuchsschwanz,
Saß auf einer Weide,
Spann so klare Seide,
So klar wie ein Haar,
Spann wohl über sieben Jahr.
Sieben Jahr gesponnen ;
Sieben Jahr sind um und um.
Alte Hexe, dreh dich am." —
Bei den letzten Worten dreht sich ein Mädchen um.
Nach Haupt'1) ist auch in der Lausitz ein ähnliches Lied heimisch.
Unter den im Liede erwähnten sieben Jahren seien die sieben Wintermonate
zu verstehen.
Fast gleichlautend mit einem bayrisch-schwäbischen Ringelspiel-Lied
ist ein schlesisches, wie aus der Xebeneinanderstellung der beiden hier
folgenden hervorgeht:
Schlesisch (Liebenthal): Schwäbisch (Altenstadt a. d. Hier):
„Ringel ringel rei-e, „Ringle, ringle reia
wir sind der kinder dreie, Kinder simmer zweia,
wir sitzen um'n Holunderpusch M'r sitzat hinterm Holderbusch
und machen alle husch husch husch." — Und schreiat alle husch husch husch." —
(Drechsler.)
Vielleicht hängt dieser „Holderbusch" mit dem Kult der altgermanischen Frau
Holle zusammen.
Eine merkwürdige Übereinstimmung weist das folgende Ringelreihen-
lied der bayrischen Schwabenkinder mit einem von den Kindern des
nördlichen Vogtlandes und der Kaschuben, Slawen am Lebasee3). auf,
welches im schwäbischen Dialekt lautet:
i) 2. Autl. II, 316.
i Nachtrag zu seinem Sagenbuch: Lausitzer Magazin. 41. 1. Hd.. S. 91. - ^ gl.
v. Schulenburg, Wend. Volksthum. 1882. S. 178.
3) An der Küste der Ostsee. Siehe Telzner im ülob., Bd. 70, S. 271.
§258. Kelten und Germanen. Europäische sog. Urbevölkerung;. Seitenstüeke bei Slawen. 263
„Eisenklar (oder sonnenklar) wie ein Haar
Hat gesponnen sieben Jahr;
Sieben Jahre rumbumbum,
Fräulein N. N. dreht sich um.
Fräulein N. N. hat sich umgedreht,
Hat der Katz den Schwanz verdreht.
Eisenklar usw." —
Im nördlichen Vogtland steht für den ersten Vers des schwäbischen Textes:
..Har und klar wie ein Schar". Statt Vers 6 des schwäbischen hat jenes im
nördlichen Vogtlande:
„Ihr Schatz hat ihr ein' Kranz beschert
Von veilchenblauer Seide;
Ihr Schatz ist nicht gescheite." —
Ein anderes derartiges Lied aus dem Vogtland lautet:
„Ringele, Ringele, Rosenkranz,
Wer sitzt drin?
Der alte Kaiser.
Was macht er?
Federn schleißt er,
Kielen beißt er;
Trägt die Magd das Wasser ein,
Fällt der ganze Kessel ein." —
Dazu bemerkte Floß1)-. Hier tritt die alte Mythologie sehr bestimmt
hervor. Odhin erscheint hier „als der alte Kaiser in seiner Wolkenburg,
ohnmächtig und schwach geworden, da des Winters Herrschaft angegangen (?)
isl er ist im Kinderspiele zur weibischen Beschäftigung des Federschleißens
herabgewürdigt worden; die Federn aber sind die Schneeflocken, welche er
herabstreut; und der Schluß des Liedes mag das Gewitter andeuten. Solche
Auslegungen sind den Männern von Fach geläufig, doch muß man wohl auf
diesem Gebiete ziemlich vorsichtig sein. Vielleicht hielten (sich) sonst die
Jungfrauen bei gewissen feierlichen Reigen an einer Kette oder Blumengirlande.
Wenigstens weist darauf folgender Brauch hin: In der Schweiz wird, wie
Rochhob berichtet, bei diesen Ringeltänzen der Kinder aus den Hohlstengeln
des Löwenzahns (Taraxacum pratense) eine der Ausdehnung des Kreises in
ihrer Länge entsprechende Kette gewunden; wer sie zerreißt, wird pfand-
pflichtig. (Dazu singen die Kinder:)
„Trettet zue. trettet zue,
Sparet nit die nüe Schueh!
Trettet uf das chettemli,
Dass es soll erklingale,
Wer die schönste Jumfer sig
I dem ganze Ringele."
In den Harzer Bergstädten, wo der Johannistag noch kirchlich be-
gangen wird, schmückt man große Tannenbäume mit Blumen und bemalten
Eiern und führt um sie einen Tanz auf, dessen begleitender Text lautet:
Die Jungfer hat sich umgedreht — So rar — Wie ein Haar, — So klein —
Hühnerlein; — Dreißig, vierzig, fünfzig Jahr — Die Jungfer wandt sich um — .
Diese Harzer Sitte beweist, daß wir es hier in der Tat mit einem auf den
Frühling oder Sommer bezüglichen Spiele zu tun haben.
Ploß wies ferner auf die Übereinstimmung unserer Mädchenringeltänze
mit dem von Müllenhoff geschilderten alten Springel- und Langtanz der
Dithmarschen hin.
x) 2. Aufl. II, 316 f. — Mir scheint die oben folgende Pasche Erklärung des vogt-
ländischen Liedes doch zu gewagt.
264 Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
WCniger Stoff als über die Ringeltänze liegt mir über die Brückenspiele
vor. Immerbin weist die schon in einem früheren Paragraphen dieses Kapitels
erwähnte Tatsache, daß ein Brückenspiel bereits in Rabelais' Gargantua
(lö. Jahrhundert) angegeben ist. auf ein relativ hohes Alter auch dieses Spieles
hin, und ein noch höheres läßt sich aus der Übereinstimmung eines Northumber-
länder Brückenspiels mit dem folgenden schwäbischen vermuten. Es ist im
bayrischen Schwaben auf dem Lande, eines der beliebtesten Spiele der Kinder
beider Geschlechter. Dabei reichen sich zwei Kinder mit wagerecht gehobenen
Armen die Hände, d. h. sie bilden eine Brücke, während sich die andern in einer
Reihe aufstellen, indem jedes seinen Vormann am Kleide hält. Der Anführer
oder die Anführerin der Reihe spricht die ersteren zwei Kinder an: „Wir
wollen über die goldene Brücke fahren." — Antwort: „Sie ist zerrissen. " -
..Wir wollen sie machen lassen mit Dreck und Speck." — „So fahren Sie,
so fahren Sie ..." Diese letzten "Worte werden von den beiden brückebildenden
Kindern so lange wiederholt, bis das letzte der Reihe unter ihren Armen ist.
Dieses wird festgehalten und nach seinem Reiseziel gefragt. Das ist der
Himmel, oder die Hölle. Je nach der Antwort kommt es hinter den einen
oder andern Brückenpfeiler.
Ganz ähnlich hat JBalfour-Northcote das Brückenspiel der Beiford-Kinder
in Northumberland beschrieben: nur bietet hier der Text mehr Abwechslung1 1.
Ein sizilianisches Brückenspiel ist in diesem Kapitel schon erwähnt worden,
und eines litauischen wird am Schluß dieses Kapitels gedacht. -
Das Spiel der Schweizer Kinder ..es chunut en Her mit eim Pantoffel"
hat nach Ploß sein Seitenstück in einem Tanz, der auf den Faröer-Inseln
(Dänemark) vom Volk noch in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts getanzt
wurde. Die Kinder im bayrischen Schwaben führen das Spiel so auf,
daß sie sich zunächst in zwei gegenüberstehenden Reihen derart aufstellen.
daß zwischen beiden ein Abstand von mehreren Metern liegt. Dann nähern
und- entfernen sich . die Reihen abwechselnd gegenseitig, wobei in abwechseln-
den Chören gerufen wird: ,,Es kommt ein Herr mit eim Pantoffel"; (beim
Rückzug:) „Ade. ade, ade." (Hinbewegung:) „Was will der Herr mit eim
Pantoffel"; (Rückzug:) „Ade. ade, ade". — „Er will ein kleines Brieflein schrei-
ben." — „Ade, ade, ade." — „Was soll in diesem Brieflein stehn?" — „Ade,
ade. ade." — Nun folgt der Inhalt, d. h. daß dieses oder jenes mitspielende
Mädchen verheiratet werden soll. -
Auf vorchristliche Zeiten geht nach Friedi ich Schön das folgende Nornen-
lied der Ensheimer Kinder in der Pfalz zurück.
„Hopple, hopple Rößchen,
Droben steht ein Schlößchen,
Droben steht ein Glockeohaus,
Gucken drei Jungfern r;ius.
Die eine, die spinnt Seide,
Die andre wickelt Weide.
Die dritte schneidt den Faden ab.
Sinket jemand in das Grab." —
Friedrich Schön bemerkt zu diesem Liedchen, die Anschauung, daß die
drille der Schicksalsfrauen den ..Faden abschneide", sei römisch und könne
im rheinfränkischen Ensheiin schon zu fränkischer Zeit in die deutsche
Mythologie übergegangen sein. Das Seidenspinnen faßt Schiin als die Tätig-
keit der guten Norne auf. Der Weidenstrick, auf welchen das Wickeln der
Weide hinweise, ist nach seiner Anschauung das Schicksalsseil, das die Nomen
führen und welches verschiedenen Zwecken dient. —
i Country Folk-Lore IV . London 1904, pp. 1131'.
§258. Kelten und Germanen. Europäische sog. Urbevölkerung. Seitenstücke bei Slawen. 265
Wiederum die drei Nomen, darunter eine als Seidenspinnerin, die andere
als Weidenwicklerin, suchte Floß mit einem Hinweis auf Simrock und Panzer1)
in den „drei schönen Puppen", welche in den folgenden Versen eine Rolle
spielen, und zwar ihre Rolle als Schicksalsgöttinnen des Kindleins, welches
noch ungeboren im Brunnen liegt'2). Die dritte Norne schneidet hier nicht,
wie im Ensheimer Liedchen den Faden ab, sondern geht an das Brünnelein
und findet hier das goldene Kindlein; sie steht also hier dem Leben, dort
dem Tode vor.
..Sonn, Sonn, scheine!
Fahr über Rheine,
Fahr über's Glockenhaus,
Gucken drei schöne Puppen raus;
Eine, die spinnt Seide,
Die .andere wickelt Weide,
Die dritte geht an's Brünnchen,
Find't ein goldig Kindchen,
Wer soll's haben? (hebeu?)
Die Tochter aus dem Löwen ;
Wer soll die Windeln waschen?
Die alte Schneppertaschen." —
Ploß vermutete3), daß dieses Kinderlied, welches schon Panzer mit
ähnlichen Liedern verglichen habe, als Abzählreim gedient habe. Weit
verbreitet ist ja der Kinderbrauch, die Spielrollen gewissermaßen durch das
Orakel zu verteilen, indem ein Kind zählt, oder Reime aufsagt, wobei es mit
dem Finger bei jeder Zahl, bzw. jedem Wort, je ein mitspielendes Kind der
Reihe nach bezeichnet. Solche Abzählverse teilte Hans Leuß von den Frie-
sischen Inseln mit:
„Eener mener, miener mu,
Well stinkt im,
Datt deihst du." —
Auf wen das „du" kam, der war der erste Sucher beim Versteckspiel
in den Dünen.
Aus Leipzig und Umgegend hat Kurt Müller Abzählreime veröffentlicht,
welche aus der Franzosenzeit stammen:
„Eins, zwei usw. zwanzig,
Die Franzosen hatten einen Tanz,
Der Tanz fing an zu brennen,
Die Franzosen mußten rennen,
Ohne Strumpf und ohne Schuh
Kannten sie nach Frankreich zu.
In Frankreich war ein wildes Schwein,
Das biß den Hauptmann in das Bein.
Der Hauptmann schrie: „0 weh! o weh!
Mir tut mein linkes Bein so weh." —
In Liebenthal und Jauer, Schlesien, wird das Kind, welches beim
Fangspiel die andern erhaschen soll, durch die folgenden Verse gewählt:
„1, 2, 3, 4, 5, 6, 7,
komm, wir wollen Kegel schieben,
Kegel rum, Kegel num,
bitsche, batsehe, bum bum bum,
und die alte Häringsgrete
saß auf einem Baum und nete,
hängt die Beine beide rab,
und das eine Bein war ab.
') Panzer, Bayrische Sagen und Bräuche, 2. Bd. S. 545. München 1855.
*) Vgl. § 192. Das feuchte Element als Ursitz des Kindes. Kap. XXX. Bd. I.
3) 2. Aufl. II, 315.
•2ß6 Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
Kommt der Schneider Zappelmann,
net das Bein ihr wieder an,
kommt der Schneider Alexander,
reißt das. Bein ihr auseinander,
i a u, i a u,
aus bist du!" — (Drechsler.)
Andere Abzählverse finden sich unter den von W. J. Hoffman-Washingtm
mitgeteilten Kinderreimen \).
,.Ens, tswe, drei,
Ilikka, hokka, hei,
Hikka, hokka. hawersehtrö,
Der milier hot sain frä ferlöra,
Der greklo hot si gfunna.
Die mais di kärä schtuwa aus,
Die ratta draga drekk anaus.
Hokt en maisl uf em Dach
Urt hot sich schir gar dot gelacht." •) —
Zur Unterhaltung der Kinder dienen ferner bekanntlich die Rätsel,
deren Alter gleichfalls zum Teil ein ganz ansehnliches ist. Nach Ploß3) waren
ja viele unserer volkstümlichen Scherzrätsel schon im 9. Jahrhundert bekannt.
Eines vom Schnee und von der Sonne linde sich in lateinischer Fassung
in einer Reichenauer Handschrift aus -dem Anfang des 10. Jahrhunderts.
Auf deutsch lautet es:
,,Es kam ein Vogel federlos, - - Saß auf dem Baume blattlos. — Da
kam die Jungfer mundlos — Und aß den Vogel federlos — Von dem Baume
blattlos." — Müllenhoff sagte von diesem Rätsel: ,,Man braucht es nur Wart
für Wort in's Althochdeutsche oder Angelsächsische umzuschreiben und
das Wort „Jungfer" mit „magad" oder „niagath" zu vertauschen, so erhält, man
eine Strophe von regelmäßig gemessenen und alliterirenden Versen; jeder Vers
hat vier Hebungen und je zwei Liedstäbe." — Daher darf man nach Ploß
das Alter dieses Rätsels weit über das zehnte Jahrhundert zurückdatieren.
Wie die englische Jugend, so hat auch die deutsche ihre scherz-
haften Zungenübuugen, von denen Simrort; Rochhole, Frischbier und andere
eine gute Anzahl sammelten4). Sie sollen so schnell als möglich, ohne Atem
zu holen, und fehlerfrei aufgesagt werden. Hier möge zunächst die schon in
der 2. Auflage unseres Werkes5) enthaltene hochdeutsche, dann zwei im
schwäbischen Dialekt folgen:
„Wenn mancher Mann wüßte, wer mancher Mann war'.
Gab' mancher Mann manchem Mann manchmal mehr Ehr'.
Da mancher Mann nicht weiß, wer mancher Mann ist,
Drum mancher Mann manchen Mann manchmal vergißt."
Schwäbisch: „Hinter Hasa Hansa Haus
fläiin' i hundert Hasa
Höara hüasta." —
„Zwua Zwitschga,
Zwiiä Zwetschga,
Zwüa Zwiezwitsehige Zwetschga." —
') In. Globus 67. S. -18.
'') tjber Zeppelin als Gegenstand moderner Abzahlreime später.
») 2. Aufl. 11. :il5.
■ii Ploß wies hin auf Simrock: Das deutsche Kinderbuch. 3. Aufl. Frankfurt a, M. 1857 ;
Rochholz: Üemannisches tinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz, Leipzig 1857; Frischbier:
Preußische Volksreime und Volksspiele, Berlin 1867.
5) II, 285.
§ 258. Kelten und Germanen. Europäische sog. Urbevölkerung. Seitenstücke bei Slawen. 267
Nach Floß gibt es Zungenübungen für die meisten Buchstaben des
Alphabets. Als Beispiele führte er an:
„Boll, Boll, Boll, Boll, Boll. Boll." — „De dönne Diewel drog den dicke
Diewel dorch den dicke Dreck." — „Fritz, Fritz, friß frische Fische, Fritz!"
— ...Tene graue Gans ging jenes grüne Gras grasen." — „Hans haut Holz,
hinter Hackers Hinterhaus haut Hans Holz." — „Jung, säd de Jung, dat de
Jung dem Junge seggt, dat de Jung de Schwien utjegt." - - „Kein klein Kind
kann keinen kleinen Kessel Kohl kochen." —
Außer Abzählversen, Zungeniibungen, Rätseln usw. verfügen unsere Kinder
bekanntlich über Reime, die sich auf ihre härteste Arbeit, das Lernen in der
Schale, beziehen. Ein derartiges Beispiel hat Kamill von der Schulbank in
der Bukowina und in Galizien mitgeteilt:
„6 mal 6 ist 36,
Ist der Schüler uoch so fleißig,
Ist der Lehrer aber dumm,
Macht das Staberl bum, bum, bum." —
Ein etwas derbes Seitenstück dazu ist mir aus Schwaben bekannt:
„6 mal R ischt sexadreiß'g
.Friß d'r was der Pudel seh . . .
Dr Pudel seh . . . Bolla,
Kaüseht x Jaur dräu nolla." —
Im Böhmerwald necken sich die Knaben:
„Raufangkihra, Suppenstiera,
Bandlbeissa, Hosenschei ..." —
Auf die modernen Spiele der deutschen Kinderschar einzugehen, ist,
wie schon früher bemerkt, in diesem Werke kein Raum. Doch möge hier
erstens daran erinnert werden, daß das Diavolospiel auch die Neger auf
dem ostafiikanischen Makonde-Plateau und südamerikanische Indianerkinder
ergötzt, worauf das nächste Kapitel zu sprechen kommt; zweitens mögen hier
einige Abzählverse und andere Reime aus deutschem Kindermund folgen,
in welchen Zeppelin eine Rolle spielt. Der Schlesischen Volkszeitung1) zu-
folge sind sie von einer Volksschullehrerin (schlesischen?) Kindern abgelauscht
worden:
„Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben,
Wo ist denn der Zepp' geblieben?
Nach Berlin, nach Berlin
Kommt niemals der Zeppelin!'' —
Ihr Fang- und Versteckspiel leiteten diese Kinder mit den Versen ein:
,. Flieg' Zeppel. fliege!
Dein Vater ist im Kriege;
Du selber fährst ins Frankenland,
Dein Luftballon ist abgebrannt.
Flieg', Zeppel, fliege!"2)
Erwischte der Knabe, welcher die mitspielenden Kinder zu fangen hatte,
niemanden, dann riefen seine Spielgefährten ihm lachend zu: „Abgebrannt!
Abgebrannt!" —
Die uns schon früher bekannten Reime:
„Schaut nicht um,
Der Fuchs geht um"
i) 41. Jahrg. Nr. 291.
2) Es liegt hier also nur eine Umschreibung des „Maikäfer flieg
268 Kapitel XXXIX. Des Kindes Spiel und Spielzeug.
travestierten die Kinder:
..Dreht euch nicht um,
Der Zeppel geht um." —
Diese beiden Verse, im Chor gesungen, galten als Antwort auf die
folgenden, welche von einer andern Chorabteilung vorgetragen wurden:
„Der Zeppel kam gezogen,
Von weit kam er geflogen.
Zeppel hin. Zeppel her,
Zeppel ist ein Zappelbär!" —
Ob sich diese Verse einstens auch des hohen Alters werden rühmen
können, welches so manche erlebt haben, die wir in diesem Kapitel kennen
lernten? —
§ 259. Lettoslawen. Seitenstücke bei Germanen, Tibetanern und alten
Indern.
Auf die Verschmelzung germanischer und slawischer Völkerstämme und
infolgedessen auch ihrer Anschauungen und Bräuche durch Jahrhundert!
hindurch ist in diesem Werke wiederholt aufmerksam gemacht worden. \ iel
Neues läßt sich also von den lettoslawischen Kinderspielen kaum sagen.
Eajacsich schrieb von jenen der Kroaten^Slawoniern und Syrmiern: Die
Spiele der Jugend sind hier die in allen anderen Gegenden bekannten Unter-
haltungen, d. h. Laufen, Ballspiel, Schleifen auf dem Eise usw.
Ein Pflockspiel der Tschechen in Böhmen, Spacek genannt, ist schon
mit dem deutschen (und magyarischen) Seitenstück erwähnt worden.
Mehr Aufmerksamkeit verdient ein Waffentanz, welcher noch im
Jahre 189H in Sträni (Mähren) gebräuchlich war und von fünf halbwüchsigen
Burschen aufgeführt wurde. Man brachte diesen Tanz mit dem sagenumwobenen
Berg Javofina in den mährischen Karpathen in Zusammenhang. Die Tänzer
waren mit einem weiß-rot-grünen Band umgürtet und mit hölzernen Säbeln
ausgerüstet, auf denen viele gelbe Ringe an eingeschlagenen Nägeln so
angebracht waren, daß durch die Bewegungen der Tänzer auch sie in Bewegung
versetzt wurden. Auf dem Kopf trugen die Knaben Hüte, welche mit roten
Bändern schopfartig aufgeputzt waren. Die Tanzbewegungen bestanden in
Gesten, Schritten und Fußbewegungen. Sie hatten einen Führer und einen
Sackpfeifer, der zu ihren Wendungen und Gesängen brummte und quiekte.
Zu diesem von Doufalik mitgeteilten slawischen Waffentanz gab L.
von Schroeder ein Seitenstück in einem tibetanischen Waffentanz, welchen
George Bogle im Jahre 1774 als Gast des Teshu Lama in Teshu Lumbo
(Tashilhumpo) sah. Dieser Tanz wurde von fünfzehn Knaben zwischen
7 und 12 Jahren an einem großen Feste aufgeführt. Die Knaben waren in
verschieden gefärbte Kattune und Goldbrokate gekleidet, hatten weiße Turbane
auf und trugen kleine Äxte in der rechten Hand. Von Zeit zu Zeit tanzten
sie vor dem Lama zu einer mit Hoboen, Flöten, Kesselpauken und Glocken
gespielten .Musik, indem sie den Takt mit ihren Äxten. Sprüngen. Umdrehungen
und anderen Bewegungen angaben, welche Bogle nur andeutete, nicht beschrieb.
Man habe ihm gesagt, daß es die Nachahmung eines Sadok ^-Tanzes sei.
M. v. Brandt erwähnte derartige Tänze aus Bockhill (Tibet), wo sie
der Dalai Lama am Xeujahrstage vor den chinesischen und tibetanischen
Beamten ausführen läßt. Die zehn oder mehr Knaben, welche tanzen, tragen
grüne Kleider und sind, wie die von Bogle beschriebenen, mit Turban und
Axt versehen. Außerdem werden Fußschellen erwähnt. Vor ihnen stehen
1 1 Sa.lok sull ein Titel des Mundschenks oder Günstlings des Teshu Lama sein.
§ 259. Lettoslawen. Seitenstücke bei Germanen, Tibetanern und alten Indern. 269
Trommler in der gleichen Tracht, nach deren Takt sich die Tänzer bewegen.
Der Tanz beginnt, nachdem den Gästen der Wein ausgeschenkt worden ist.
An Regelmäßigkeit soll diese Musik jede andere alte Tanzmusik übertreffen.
L. v. Schroeder meint, ungefähr so ein Bild hätten wohl im alten
Indien die festlichen Tänze der „Maruts"1) geboten, welche gleichfalls
mit Äxten bewaffnet waren. L. v. Schroeder hält es daher auch nicht für
ausgeschlossen, daß die tibetanischen Waffentänze mit dem Buddhismus aus
Indien eingeführt wurden.
Sehr mannigfaltig sind nach Tetener-JuschMewitsch die Kinder- und
Jugendspiele der Litauer. Iltis-, Bär-, Kranich-, Kater-, Affen- und Hirsch-
spiele werden erwähnt; ferner Teerbrennen, Pflügeschmieden, Sternezählen,
Häckselfressen und Flachsbrechen; Himbeerchen, Fee, Häschen, Kuckuck usw.
usw. — Das litauische „Schweinchentreiben" entspricht dem schwäbischen
„Sautreiba". denn Tetener schildert jenes folgenderweise: Man gräbt neun
Löcher in der Ordnung in die Erde, daß je drei in gleichen Entfernungen
über je drei kommen. Das mittlere ist größer als die übrigen und heißt
Dwaras (Bauerngut). Die kleineren sind „Putra" (Mehlsuppe). Au jedem
Loch steht ein Knabe mit einem Stock und sucht die von einem außen
stehenden Knaben geworfene Kugel, das Schwein ( Kaule), zurückzuschlagen,
damit sie nicht in die Dwaras kollert. Kommt sie aber doch hinein, dann
muß der Hüter des Dwaras ans neunte. Loch, und der erste Knabe beginnt
das Spiel aufs neue. — Sehr niedlich lautet das beim Spiel „Häschen in der
Grabe" gesungene Liedlein: „Du mein Häschen, du mein blaues, du mein
liebes blaues Häschen, darfst noch nicht, darfst noch nicht im Gärtchen
hüpfen. Denn wie Eisen sind die Pförtchen, und aus Silber sind die Schlüssel;
darfst noch nicht, darfst noch nicht im Gärtchen hüpfen." - - Aus der Reihe
anderer, von T< tzner angeführten Spiele sei liier nur noch das „Sperling-
rupfen" erwähnt, bei welchem ein Knabe mit verbundenen Augen von den
umstehenden Spielkameraden gezupft wird und er den Täter erraten muß,
um diesen an seine Stelle treten zu lassen. — Dem deutschen Blindekuh-
spiel entspricht nach Tetener das litauische Hasenfangen. Hingegen sei
unser Such- und Fangspiel dort nicht bekannt, wohl aber unsere „Goldne
Brücke". Ebenso erinnere das russisch-litauische „Schafweiden'' an unser
„Katze und Maus" oder „Fuchs und Gans"; ihr Hängespiel an unsere Mühle. —
Den Spielen gehen, wie bei den deutschen Kindern, Abzählreime voraus.
Ferner ist auch bei den litauischen Kindern das Aussprechen schwieriger
Wortverbindungen mit Pfändergeben verbunden, und Rätselaufgaben
sind bei ihnen noch häufiger als bei uns. Auch vergnügt sich in Litauen die
Jugend, wie in Deutschland, mit Wassermühlen -und Dammbauten, mit Puppen,
Bildern, Pfeifen u. dgl. — Das Beilegen von Spitznamen sei an der
Tagesordnung. —
') Sturmgötter, deren Harn als befruchtender Regen auf die Erde rauscht. Vgl. auch
■den Reigentanz um das „Regenmädcheu" (Dodolo) bei Magyaren, Raizen (Serben) und
Rumänen im folgenden Kapitel, sowie die zu Regengöttern erhobenen Rinder der Cora-
Indianer in Kap. XXX. Vielleicht spielten bei ihrer Apotheosierung nicht nur ihre vielen
frönen, sondern auch ihr vieler Harn mit.
Kapitel XL.
Des Kindes Spiel und Spielzeug' bei Nicht-
Indoeuropäern.
§ 260. Orientalische Mischvölker. Semiten und Hamiten.
Wie schon im vorigen Kapitel angedeutet worden ist. war Ploß der
Ansicht, daß die Griechen und Römer ihr Astragali- (Knochen- oder Würfel-)
Spiel dem Orient entlehnten, wo es unter den Spielen der Kinder und Er-
wachsenen vor den Häusern, auf freien Plätzen und in den Höfen eine bevor-
zugte Stellung einnimmt, und wo die dabei benutzten Lämmerknöchel „Kaal>".
d. h. Würfel, genannt werden, wie denn auch die damit ausgeführten spiele
„Spiele mit Würfeln" heißen. Je naclT ihrer Verschiedenheit tragen die
einzelnen Spiele verschiedene Namen, z. B. „drei Schritt-', „Festung", „Schlag
an die Wand-'1), „Sultan und Vezier" usf.
Das erste dieser Spiele, „drei Schritt", hat H. Petermann*) beschrieben.
Es werden Knochen oder Würfel in einer Linie aufgestellt. Auch jeder Mit-
spielende hat einen solchen. Diese werden von einem Knaben in die Hände
genommen, geschüttelt und auf die Erde geworfen. Der, dessen Würfel (oder
Knochen) zuerst auf die hohe Kante zu stehen kommt, fängt das eigentliche Spiel
an; die anderen folgen nach der Reihe, nach welcher ihre Knochen aufrecht
stehend hingeworfen werden. Dann treten sie in die Linie, welche die auf-
gestellten Knochen bilden, und werfen die ihrigen in der vorhin festgesetzten
Reihenfolge von da weg. Der, dessen Knochen am weitesten fällt, schnellt
ihn mit dem Zeigefinger von der Stelle aus, wohin jener fiel, auf die auf-
gestellte Linie, um einen oder mehrere von den Knochen dieser Linie drei
oder mehrere Schritte fortzuschleudern, welche er dadurch „ißt", d. ii. gewinnt.
Gelingt ihm dies, so schnellt er wieder von der stelle aus. wohin sein Würfel
gefallen ist. und wiederholt dies so oft, als er Würfel die bestimmte Strecke
weit weggeschleudert. Vermutet der letzte Knabe, daß die anderen nichts treffen
würden, dann stellt er seinen Würfel dicht vor die Reihe und sagt dabei
„darin". Wenn dann die Reihe an ihm ist. so schnellt er von diesem Stande aus
auf die Linie, und wenn er von dieser aus die Knochen drei oder mehrere Sehritte
weggeschleudert hat. immer wieder von dem Orte aus, wohin der seinige gefallen
ist. Sind alle Knochen der Linie „gegessen", d. h. weggenommen, so ist das Spiel
zu Ende, und der. welcher den letzten gewonnen hat. beginnt es aufs neue.
Die Knochen der Spielenden können nicht gewonnen werden, da jeder
den seinigen, nachdem er geworfen hat. ohne zu treffen, wieder weg-
nimmt. Isi aber beim Schnellen der Knochen eines Spielers auf die hohe
Kante zu stehen gekommen, so tritt sein Hintermann schnell hinzu, sagt
l) Wohl dem deutschen Spiel „Anmauern" und den entsprechenden Spielen in Italien,
China u. a. 0. ähnlich.
■'} Ploß, '-' Aufl. II, 301 f. Der Anfang dieses Spieles wurde da leider nicht klar ge-
schildert, und Petermanns Text liegt nur nicht vor, weshalb ich eine kleine Abänderung in
den ersten zwei Linien vornehmen zu müssen glaubte.
§ 2G0. Orientalische Mischvölker. Semiten und Hamiten. 271
..1100 Schritte weg", und schnellt ihn so weit als möglich fort; bleibt dieser
wieder stehen, so wiederholt er das, bis der Knochen zu liegen kommt. Der
Inhaber des auf diese Weise so weit weggeschleuderten Knochens muß ihn
dann, wenn die Reihe wieder an ihm ist, von der Stelle aus, wohin er ge-
schleudert wurde, auf die Linie werfen. Trifft einer die Knochen der Linie
so, daß keiner drei Schritte weggeschleudert wird, so beginnt das Spiel
von neuem.
Im Spiel „Festung" wird die Reihenfolge nach ähnlichen Regeln wie bei
„drei Schritt" bestimmt, aber die Knochen bilden in ihrer Aufstellung eine
Festung, auf welche die Knaben der Reihe nach aus gleicher Entfernung
einen Knochen schnellen, um sie zu zerstören. Wer trifft und zerstört, ißt.
d. h. gewinnt alle jene, welche auf die gleiche Weise wie der seinige
gefallen sind, und schnellt so lange fort, als er einnehmen darf oder sein
Knochen auf die hohe Kante zu stehen kommt.
Aus Bagdad1) führte Ploß ein Würfelspiel an, in welchem zwei Knöchel
in die Höhe geworfen werden. Kommen beide beim Herunterfallen auf die
eine der beiden schmalen Kanten zu liegen, und zwar auf eine und dieselbe,
so gewinnt der Werfer doppelt; kommen sie auf verschiedene, so verliert er
doppelt; liegen beide auf der gleichen breiten Seite, so gewinnt und verliert
er nichts, liegt der eine auf der hohen schmalen, der andere auf der hohen
breiten Seite, so verliert er einfach usw. — Auch mit drei Knöcheln wird
das gleiche Spiel nach den obigen Gesetzen gespielt, die Knöchel aber dann
an die Wand geworfen.
Ferner haben die Kinder in Bagdad ein Spiel mit zwei Kugeln, die
entweder gegeneinander oder nach einem Loch in der Erde geworfen werden.
Außerdem gibt es Kreisel, Schleudern und Ballspiele. Der Ball wird z. B.
je nach Verabredung hundertmal, oder weniger oder öfter, an eine Wand
geworfen und aufgefangen, oder die Knaben werfen im Freien nacheinander.
Wenn einer sein Ziel verfehlt hat, wirft der Gegner den Ball möglichst weit
fort und setzt sich auf den Rücken seines Gegners, der ihn bis zu dem Orte,
wo der Ball liegt, tragen muß. Das gleiche geschieht, wenn die Knaben den
Ball auf die Erde werfen und wieder auffangen wollen, aber verfehlen. Auch
teilen sie sich in zwei Parteien und werfen einander den Ball mit einem
Stock zu. Auf beiden Seiten wird ein Zeichen gemacht; wirft einer den Ball
über das entgegengesetzte Zeichen hinaus, so hat seine Partei gesiegt. —
Außerdem gibt es ein Spiel mit zwei Messingblechen mit einer Vertiefung
in der Mitte. Diese Bleche werden in die Höhe geworfen, und wenn beide
auf die flache Seite fallen, gewinnt der Werfer doppelt; wenn auf die ent-
gegengesetzte Seite, einfach; fallen sie auf verschiedene Seiten, so verliert er.
E. Lovett, der, wie im Kapitel XXXIX erwähnt, dem Astragalispiel ver-
gangener Zeiten und der Gegenwart nachforschte, teilte aus Syrien ein
Knöchelspiel mit, bei welchem die Kinder auf der Erde einen Ring zeichnen,
einen kluckerförmigen Knöchel hineinlegen und diesen mit einem anderen,
bisweilen mit Blei beschwerten, hinausstoßen.
Ein dem (englischen) Kluckerspiel ähnliches Spiel sah John F. Keane
in Mekka bei 5 — 15jährigen Schulknaben. Andere Knaben unterhielten sich
mit dem Abschießen von Kapseln aus alten Pistolen.
Bekannt ist, daß die nomadisierenden Araber, wie andere Nomadenvölker,
z. B. die Kirghisen und Patagonen, ihren Kindern das Reiten spielend bei-
bringen, indem sie sie schon im zarten Alter auf ein Pferd setzen2).
*) Die Bevölkerung von Bagdad besteht bekanntlich der Hauptsache nach aus-
Semiten, Türken und Armeniern.
*) Vgl. Erziehung. Kapitel XLIV und XLV.
272 Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Nicht-lndoeuropäern.
In Arabia Petraea spielen die Knaben nach Alois Musil, abgesehen
von Stock- und Steinschleudern, gern „Darüh", „Hibe" und ,.Höma'\ Beim
Darüli bilden sie zwei parallele Reihen, halten die Hände an den Leib und
versuchen, den Gegenüberstehenden mit den Füßen Stöße zu versetzen, indem
sie „diremh, dem!" rufen. Gelingt es einem, auf diese Weise seinen Gegner
auf die Erde zu bringen, so wirft er sich auf ihn; flieht jener, so verfolgt er
ihn mit dem Siegesgeschrei „jiih, jüh". Beim Spiele „Hibe" zeichnet ein
Knabe einen Kreis in den Sand, innerhalb dessen sich die eine Hälfte der
Spieler in einem Halbkreis aufstellt. Dann hüpft von der andern Hälfte
außerhalb einer auf dem linken Fuß herein und sucht mit dem rechten einen
Knaben zu stoßen. Berührt er dabei mit diesem Fuß den Boden, so muß er sich
außerhalb des Kreises niedersetzen. Aber auch der von ihm getroffene Knabe
muß heraus und sich zu ihm setzen. Das Spiel endet- mit dem Sieg der einen
Hälfte. — Beim „Höma" setzt sich ein Knabe nieder; ein zweiter stellt sich
zu ihm und legt ihm die Rechte aufs Haupt. Die übrigen Mitspielenden haben
nun die Aufgabe, den Sitzenden zu berühren, während der Stehende mit dem
Fuß nach ihnen stößt. Wer getroffen wird, muß die Stelle des Sitzenden ein-
nehmen. — Außer diesen Spielen führt Musil den von Gesang begleiteten
Raza'tanz an, welchen bei den Stämmen Teräbiu und 'Azäzme je zwei Reihen
Knaben tanzen, wobei sie sich gegeneinander neigen, den Körper nach rechts
und links wiegen, mit den Füßen stampfen und in die Hände klatschen. Von
-den chorweise gesungenen Liedern, welche Musil im arabischen Texte mit
deutscher Übersetzung gibt, wählte ich die zwei folgenden Strophen aus:
,.(Die Ruine) ar-Rabijje hat ihren Mann entlassen,
sie wird (das Gebiet) ad-Donkür nicht nehmen,
sie nimmt jedoch (den Brunnen) es-Senek,
der bringt ihr rote Korallen."
„Habe ich dir. o Gazelle, nicht gesagt:
setze dich und wandere nicht;
wir werden trinken Milch von unseren Ziegen
und den Lebensunterhalt Gott anheimstellen."
In der westlichen Sahara, bei den räuberischen Uled De lim1) fand
( 'amille Douls ein bei den Knaben sehr beliebtes Spiel, welches darin bestand,
daß sie einen aus ihnen in ihre Mitte nahmen und ihn durch Zurufe und
Schläge so lange reizten, bis er ausbrach und einen anderen zwang, an seine
Stelle zu treten. Bei diesem Spiel sei hochgradige Gewandtheit und Wildheit
entfaltet worden.
Unsern alten Bekannten, das Astragalispiel, finden wir wieder bei Juden-
kindern im südlichen Rußland, wo es nach S. Weißenberg hauptsächlich
von den Mädchen gern gespielt wird. Viel Zeit zum Spiel sei aber den süd-
russischen Judenkindern nicht gegeben. Nur an den Feiertagen sei es ihnen
vergönnt, sich ein wenig auszutoben; doch sollen gerade diese Spiele dazu
dienen, die jüdischen Kinder mit der Bedeutung der Feste vertraut zu
machen. So bewerfen sie sich und die Erwachsenen z. B. auf Tyschebow
(Tempelzerstörung) mit den stacheligen Früchten verschiedener Dornkräuter,
die an den Kleidern und an den Haaren stecken bleiben. Zu Simchas Thora
(Thorafreude) verfertigen sich die Knaben Fahnen aus Papierstreifen mit
daraufgedruckten Bildern und Inschriften passenden Inhaltes. Oben steckt
ein Apfel, und in diesem eine Kerze, welche am Vorabend in der Synagoge
angezündet wird.
Überhaupt tragen, nach S. Weißenberg, die Spiele der südrussischen
Judenkinder einen ganz eigentümlichen Charakter, da ihnen ausgelassene
') Semiten?
§ 260. Orientalische Wischvölker. Semiten und Hamiten. 273
Fröhlichkeit fast ganz fehle. Zwar nehmen sie nicht selten an den orts-
üblichen Spielen der russischen Kinder teil, doch werde das von den Eltern und
Beben nicht immer gut geheißen. Ihre eigenen Spiele seien stille Zimmerspiele,
an denen sich meistens nur zwei beteiligen können. Doch beziehen sich jeden-
falls die folgenden, von Weißenberg mitgeteilten Abzählverse auf mehrere
Mitspieler. Weißenberg bezeichnet sie als einen Wirrwarr sinnloser Worte:
..Une bene ress
Quinter quinter shess
Une bene rabe
Quinter quinter shabe."
,.Eins zwei drai
Ruscher ruscher rai
.Ruscher ruscher
Rlatzer tuscher
Eins zwei drai."
„Eins zwei drai
Oder lider lai
Oken boken
Zwei die loken
Zirl Perl
Duks arois.'- —
Von der Gegenwart wieder auf längst vergangene Zeiten zurückblickend
sehen wir die altägyptische Schuljugend mit Vorliebe ihre freie Zeit mit
gymnastischen Spielen zubringen. Ähnlich ihren griechischen Altersgenossen
übten sie sich mit Lust im Eingen, Wettlaufen, Springen, Speerwerfen,
Scheibenschießen, Fechten u. dgl, wie ./. Wolf schreibt. Als Kraftübung galt
ferner das Auflichten gefüllter Sandsäcke. — Auch Gesellschaftsspiele gab
es. Da saß z. B. eiue Anzahl Knaben nebeneinander; einer aus ihnen streckte
plötzlich so oder so viele Finger der rechten Hand aus und zog sie schnell
wieder zurück. Die andern hatten die Zahl der ausgestreckten Finger zu
erraten. Wolf ist der Ansicht, daß die Köm er ihr micare digitis von hier
entlehnt haben. — Ferner unterhielten sich schon im alten Ägypten die Kinder
mit Katen. Ein Knabe ließ z. B. raten, ob er in seiner mit Gerstenkörnern
gefüllten Hand eine gerade oder ungerade Zahl habe. — Oder ein mit dem
Gesicht zur Erde liegender Knabe, der sich zudem die Augen mit den Fingern
bedecken mußte, hatte zu erraten, wer ihm den Rücken berührte, oder wie
viele Finger seine Spielkameraden über ihm ausgestreckt hatten.
Als altägyptisches Spielzeug führte Champollion Figeac an: Eine hölzerne
Puppe mit beweglichen Armen, mit natürlichem Haar auf dem Kopf, ein
winziges Püppchen aus Elfenbein, einen Schmied aus Elfenbein mit beweg-
lichen Armen, roh gearbeitet; ferner Bälle aus zusammengenähten Leder-
stückchen, mit Häcksel gefüllt; einen hölzernen Ball mit rot und blau gemalten
Abteilungen; Knöchelchen aus Elfenbein, Kreisel aus Holz, welche gepeitscht
wurden usw.
Aus der ägyptischen Abteilung des Louvre zu Paris erwähnte
Floß') insbesondere eine Klapperpuppe, deren Arme im Schultergelenk be-
weglich sind und deren Hände einen Holzklotz halten, der beim Schütteln
aufschlägt.
Wilkinson und Birch brachten unter andern Abbildungen altägyptischer
Spielzeuge einen Wäscher und ein Krokodil, welche durch entsprechendes
Ziehen an Schnüren bewegt werden. Das Krokodil bewege die untere Kinn-
lade, was WilMnson-Birch besonders betonen, da dieses Spielzeug dadurch
i) 2. Aufl. II, 294.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 18
274 Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Nicht-Indoeuropäern.
beweise, daß Herodots Ansicht, das Krokodil bewege die untere Kinnlade nicht,
von den Ägyptern nicht herrühren könne l).
Bei den Berabra, einem äthiopischen Zweig der Hamiten im Niltal
südlich von Assuan, sah Hartmann, wie Kinder sich selbst ein Spielzeug
fertigten, indem sie je zwei kurze Taubenfedern in ein Reis steckten. Vom
Wind bewegt, sei dieses einfache Spielzeug ein täuschendes Bild der hurtig
über den Wüstenboden dahineilenden Gespenstheuschrecke gewesen.
Auch der Somali-Knabe fertigt sich selbst sein Spielzeug: kleine Bogen.
Pfeile und Lanzen; auch baut er sich ein Schifflein aus einem Brett und einem
Fetzen Leinwand und läßt es auf einem Wassertünipel am Meeresstrande
schwimmen (G. Bevoil).
§ 2(51. Sudan- und Bantuneger. Busehleute.
Die Ringelspiele2) sind keine Eigentümlichkeit der europäischen Kinder;
wir finden ihresgleichen auch im nordwestlichen Afrika: H. Klose erwähnt
ein Kinderspiel aus dem Atyutiland in Togo, das ihn sehr an unser „Ringel-
Ringel-Rosenkranz" erinnert habe. Kinder von <i — 9 Jahren tanzten singend
im Kreis um ein Kind herum. Beim letzten Ton des Liedes stob der Kreis
auseinander, das Kind in der Mitte suchte einen der Flüchtlinge zu erhaschen,
und dann begann das Spiel aufs neue. — Bewundernswert fand Klos,' das
Nachahmungstalent der Togo-Kinder im Sojdatenspiel. „Als ich einmal,"
schreibt er, „in dem Dorfe Kollern in der Danyi-Ebene rastete, hörte ich
eine Truppe unter Trommelschlag heranrücken. Nicht wenig waren wir abei
erstaunt, als bald darauf die Dorfjugend stramm in Reih und Glied, mit Holz-
säbel und Holzgewehren bewaffnet, unter Führung eines älteren Jungen aut-
marschierte und zum Gaudium meiner Soldaten ihre Kriegskünste vorführte
Mit einem Ernst und einer Würde wurden die nachgeahmten deutschen
Kommandos abgegeben und ausgeführt, daß man Tränen lachen mußte. Jedes
Versehen wurde mit einer Kopfnuß von dem Kommandierenden geahndet, dir
der Unglücksvogel hinnahm, ohne eine Miene zu verziehen. Die ganze Gesell-
schaft war aus Knaben von 15 bis herunter zu 5 Jahren zusammengesetzt,
Kinige größere Knabeu trugen sogar alte Uniformen der Polizeitruppe, während
andere nur mit ihrer schwarzen Naturmontur ausgerüstet waren."
Mit Vorliebe, so schreibt K. Fies aus Deutsch-Togo, versammelt sich
die heranwachsende Jugend der Hoer zu fröhlichem Spiel auf der Dorfstraße.
Die Soldaten-, Mühlen- und Didadaspiele gehören zu ihren Lieblingen. An
den letzteren beiden ergötzen sich auch die jungen Männer. Beim Mühlen-
spiel werden die Spielbretter durch Linien ersetzt, welche man im Schatten
eines Baumes auf die Erde zeichnet; als Steine dienen Holzstäbchen, die
schief geneigt nach ihrem Eigentümer in der Erde stecken. - Am Didada-
spiel können sich zehn und noch mehr Personen beteiligen. Man scheidet
sich in zwei Parteien, jede legt vor sich auf die Erde zwei Keinen kastanien-
großer Kerne, welche von der Gegenpartei weggeschossen oder -geworfen
werden sollen. Als Kugeln dienen gleichfalls Kerne obiger Art. Man spielt
bockend, auf ca. 4 m Entfernung, und entwickelt erstaunliche Geschicklichkeit
und Ordnung. Mit einer Kugel beginnt das Spiel; trifft sie, so wird sie
sinnt dem getroffenen Kern dem Schützen zurückgegeben, und auch dieser
Kein darf nun von seiner Partei als Kugel benützt werden. Die Schützen
wechseln der Reihe nach. Alle fehlgegangenen Kugeln werden von der
Gegenpartei aufgefangen und von ihr verschossen. Sieger bleibt, wer dem
Feind sämtliche Kerne weggeschossen hat. —
') Der Beweis dürfte indessen mangelhaft sein.
-' Si ■■■ • origes Kapitel.
§ 261. Sudan- und Bantuneger. Buschleute.
275
C. Spieß sah in Togo Kinder der Eingebornen. welche mit Leimruten-
Vögel fingen. Zu den Leimruten hatten sie Harz vom Dzabaum genommen. —
Ein dort beliebtes Spiel besteht nach Spieß ferner darin, daß die Kinder einen.
Faden durch die roten Blüten des Kpöntsitsri- oder Kpotigiabaumes ziehen,
den Faden sich dann um die Füße binden und den Vorübergehenden
zurufen: ..Akoka! Akoka!" Wir haben einen Papageienschwanz, wir haben
einen Papageienschwanz! — Aus der äußeren Frucht-
schale des Affenbrotes machen sich die Togo-Kinder
Trommeln. —
Da das Kinderspiel zum großen Teil im Nachahmen
der Handlungen und Verhältnisse der Erwachsenen besteht,
ist es fast selbstverständlich, daß Puppen auch dem Neger-
kind, wenigstens mancher Stämme, bekannt sind. So er-
wähnt beispielsweise Felix von Luschan in seinen
„Beiträgen zur Völkerkunde" Puppen aus den Haussa-
iändern im inneren West-^Sudän1), wozu er bemerkt.
daß sie eine überraschende Ähnlichkeit mit alten myke-
ni sehen Figürchen haben.
Mit Puppen spielen ferner die Kinder der Bakundu
im nordwestlichen Kamerun (Fig. 315). Auch im franzö-
sischen Kongo sind sie nicht unbekannt,
wie die hier als Figur 316 folgende Holz-
puppe aus Loango beweist. Allerdings
scheinen europäische Puppen am
unteren Kongo befremdend zu wirken.
Wenigstens schreibt Weeks, daß die dor-
tigen kleinen Mädchen für Puppen, welche
er ihnen gab, kein Verständnis hatten,
sie sogar fürchteten, und bald habe man
sie auf dem Markt als Fetische und Zauber
zum Verkauf angeboten. Dafür banden
sich die kleinen Mädchen eine Kassave-
wurzel auf den Kücken und spielten so
Kinderträgerin. — Kleine Knaben spielten
Soldaten, musizierten mit alten Konserven-
büchsen europäischer Abkunft, bauten
Hütten aus Gras, Ruten und Stöcken. —
Ferner ahmten die Kinder beider Ge-
schlechter die Erwachsenen in gegen-
seitigen Besuchen und Einladungen zu
Festen, im Haushalt usw. nach2).
Bemerkenswert ist wohl ferner, daß
die Kinderklapper auch bei den Ein-
gebornen des Kongostaates und am Nyassasee gefunden wird (Fig. 317).
Am Kassai, einem linken Zufluß des Kongo, sah Wißmann Negerknaben
auf stelzen gehen.
Daß das Bafiote-Kind an der Loangoküste, wie seine kleinen Alters-
genossen in Europa, spaßhafte Zungenübungen3) macht, hat Pechuel-Loesche
mitgeteilt. Die Mütter bringen sie ihren Kindern schon früh bei. Die
I
Fig. 315. Puppen der Bakun du. nordwestliches
Kamerun; die eine links aus Holz, die andere
rechts aus Mark; beide mit buntem Kattun be-
kleidet. Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
J) Sammler: Staudinger und Flegel.
2) Andere Spiele siehe John H. Weeks: Notes od some customs of the Lower Corjgo
People. In Folk-Lore XX (1909), pp. 457 ff.
3) Siehe voriges Kapitel.
18*
276
Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Xicht-Indoeuropäern.
Fig. 316. Holzpuppe aus
Loango. Im Museum für
Völkerkunde in Leipzig.
(„es ist nicht tot").
Übungen bestehen, wie bei uns. im schnellen Hersagen meist sinnloser Verse
mit schwieriger Wortverbindung. Das „kluge" Kind muß dann seine Kunst
vor Besuchern zeigen, um Bewunderung und Heiterkeit zu erregen.
Größere Kinder entfalten bei ihren Spielen gelegentlich musikalische und
dramatische Talente. Fig. 318 führt uns beispielsweise drei konzertierende
Knaben der Bena Kanioka vor, und einer drama-
tischen Vorstellung in Equateurville am Kongo haben
die Missionare Comber und OrenfeU im Jahre 1884
beigewohnt. Diese Vorstellung wurde den Weißen zu
Einen gegeben und dauerte einige Stunden. Ein hübscher
Tanz leitete die Opernvorstellung nach griechischer Art
ein. wie ich dem Globus1) entnehme. Der Chor wurde
durch Mädchen im Alter von 8 — 12 Jahren sehr gut
ausgeführt. Die dramatische Handlung
nahm folgenden Verlauf: Auf einer Bahre
lag ein mit rotem Tuch bedecktes, schein-
bar totes Mädchen, und am Ende der
Bahre saß eine hübsche Kleine mit
trauriger Miene. Eine Frau an der Seite
stimmte einen Klagegesang an, zu
welchem kleine, die Bahre umgebende
Mädchen den Chor sangen. Oft und oft
wiederholte sich der Kefrain: Ka-wa-ka
Nach einiger Zeit bewegte sich das
Mädchen unter dem roten Tuch, man entfernte letzteres, und
nun lag es wie von Krämpfen ergriffen da. Zwei Personen
kamen heran und richteten es bei den Armen auf. —
Als Keith Johnston zum Xyassa reiste, versammelten
sich zu Nyamba die Kinder des Orts. Knaben und Mädchen,
am Abend, stellten sich in zwei Reihen einander gegenüber
auf und unterhielten die Reisenden mit ihren Tänzen bis
in die Nacht hinein, während die übrigen den monotonen
Gesang anstimmten: ..Xyambo-yambo". worauf die anderen
antworteten: „oi, oi".
Über die Spiele der Kinder in Unjanjembe, Zentral-
afrika, schrieb Livingstone in sein Tagebuch: „In manchen
Teilen des Landes ist es auffällig, daß die Kinder so wenig
Spielzeug haben; das Leben scheint für sie schon eine ernste
Aufgabe zu sein, und ihre Vergnügungen bestehen darin, daß
sie die Arbeiten der Erwachsenen nachahmen, indem sie
Hütten bauen, kleine Ciärten anlegen. Bogen und Pfeile. Schilde
und Speere machen. An anderen Orten trifft man wiederum
Kinder, die außerordentlich erfindungsreich sind und allerlei
hübsches Spielzeug haben; auch schießen sie Vögel mit ihren
kleinen Bogen und richten gefangene Hänflinge zum Singen
all. Sie sind sehr geschickt. Sprenkel und Fallen für kleine
el anzufertigen, wie in der Bereitung des Vogelleims. Ebenso
machen sie .ins Schilf kleine Spielflinten mit Halm und Lauf
und stellen den aus letzterem kommenden Rauch durch Asche
dar, ja sie versteigen sich sogar zur Herstellung von Doppel-
Fig. 317. Zwei Kinder-
klappern. Die eine,
oben, ausLeopold-
v i 1 1 e , belgischer
Kongo; die andere
mihi Nyassa. Im
Museum für Völker-
kunde in Leipzig.
') Bd. -18. S. 79.
§ 261. Sudan- und Bantuneger. Buschleute.
277
Hinten aus Ton, bei denen der Rauch durch Baumwollflocken nachgeahmt
wird."
Puppen wiederum fand Cameron in Makakira, Zentralafrika. Diese
Puppen waren freilich nichts anderes als mit Perlen geschmückte Pombe-
flaschen, welche die Mädchen sich auf den Rücken banden.
Von den Waschamba in Deutsch-Ostafrika besitzt das Museum für
Völkerkunde in Leipzig eine Kinderrassel, deren Abbildung hier als Fig. 319
folgt. Daneben, rechts, ist ein Strohgewehr als Kinderspielzeug.
Die halbwüchsigen Kinder der Wapogoro in Deutsch-Ostafrika schlagen
den Kreisel oder schleudern und fangen mit einer an zwei Stöcken befestigten
Schnur ein in der Mitte eingekerbtes länglich-rundes Holzklötzchen, wie Fabry
schreibt, Beide Spiele seien nach Aussage der Eingebornen eigene Erfindung,
nicht Nachahmungen aus Europa. Offenbar schildert Fabry mit dem ersten
Fig. 318. Knaben der Bein Kanioka, Bantuneger iin belgischen Kongo, auf einem „Mvex" spielend.
Nach V. H. Trittes im „Anthropos" IV, 950.
dieser beiden Spiele das afrikanische Diäbolospiel, welches Weide auf dem
Makondeplateau fand.
Weule fand auf dem Makondeplateau ferner vier Arten von Kreisel.
Eine dem europäischen Kegelkreisel genau entsprechende Form, die, wie der
europäische Kreisel, mit der Peitsche angetrieben wird; ferner einen Kreisel,
welcher aus einem runden oder quadratischen Stück Flaschenkürbis an einem
kurzen, derben Holzstift als Rotationsachse besteht. Bei einem dritten war
der obigen Scheibe von der Größe eines Fünfmarkstückes noch eine kleinere
Scheibe untergeschoben, um den Schwerpunkt zu verstärken. Dieser und der
vorhergehende Kreisel wurden nicht mit der Peitsche, sondern mit Daumen
und Mittelfinger angetrieben. Der vierte Kreisel „benötigt eines Abzugs-
rahmens in Gestalt eines der Länge nach durchbohrten Stückes von einem
ausgesogenen Maiskolben, durch den die Abzugsschnur schnell zurückgezogen
wird"1).
') Negerleben, 350f. Hier auch Abbildungen dieser Spiele.
278 Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Meht-Indoeuropäern.
Auf dem Gebiete der Musik nennt Weide die Jugend des Makonde-
plateaus ganz unselbständig ob sie auf der Sese dem geigenartigen Mono-
chord, fiedelt, oder die „Ulimba", die afrikanische Universalklimper, mißhandelt,
jenes kastenartige Gerät, auf dessen Oberfläche sieben hölzerne oder eiserne
Tasten angebracht sind, die mit den Fingerspitzen geschlagen werden; ob
sie das Mgoromondo, jenes vorsintflutliche Xylophon, bei dem die Tasten auf
einem »Strohlager ruhen, mit flinken Stäbchen hämmert, oder das Lugombo,
jenes weit über Ost- und Südafrika verbreitete Bogeninstrument, bei dem die
Sehne den durch einen Flaschenkürbis als Resonanz verstärkten Ton gibt,
stets sind diese Instrumente mehr oder minder plumpe Nachahmungen des In-
strumentariunis der Großen. Selbständig ist nur die Natura ein Wald-
teufel. Dieser besteht aus einem der Quere nach halbierten Flaschenkürbis
oder einer halben Baobafrucht, die mit feiner Tierhaut trommelartig über-
spannt ist. Von der Mitte der Membran geht ein Grashalm durch das Gefäß,
aus dem er weiterhin noch weit nach unten hängt". Die Töne, welche die
Knaben mit dem Durchziehen dieses Halmes durch die angefeuchteten Daumen
und Zeigefinger hervorbringen, seien furchtbar.
Groß nennt Weule sein Erstaunen über die Entdeckung, da Li unter dem
Spielzeug der Makonde-Neger auch Wurfstock und Wurfschlinge zu finden
waren. Bis dahin habe man den Wurfstock ja nur iu Australien, in einigen
Teilen der westlichen Südsee, bei den Hy4)erboräern und liier und da in
Amerika gefunden. — Maspero führte AVurfstöcke (Bumerangs), manchmal in
Schlangenwindung gebogen, schon aus dem alten Ägypten, d. h. aus der
Zeit des Ramses II. (14. Jahrhundert v. Chr.) an1).
Erwähnenswert ist ferner, daß Weule unter dem Spielzeug kleiner
Makondeknaben auch Ipiviflöten und Stäbe (Kakalle), Attribute der Mannbar-
keit, fand, welche bei den Pubertätsfesten (Unyago) ihre Rollen spielen.
Die. kleinen Knirpse übten sich auf den Flöten schon für die Zukunft ein.
schreibt er.
Das Spiel auf Weules „Mgoromondo"2) ist wohl mit dem von C. Wehr-
meister beschriebenen „Spiel mit Holzstäbchen" identisch, welches auf Fig. 320
aber von zwei Knaben gleichzeitig gespielt wird, während Weides Illustration
uns einen Solisten vorführt. Wehrmeister erläutert seine Abbildung folgender-
weise: „Auf zwei Bambusstangen ist eine Schicht Gras gelegt und über beide
hinweg eine Reihe Brettchen von verschiedener Länge, die unter sich durch
eingesteckte Stäbchen getrennt sind. Zwei Knaben hämmern mit einem
Stück Holz auf diese Brettchen und erzeugen so ein ähnlich melodisches
Spiel, wie unser Glockenspiel oder das Läuten der Kuhglocken in den Alpen3)."
Bei den Wakamba in Britisch-Ostafrika unterhalten sich die Kinder,
wie bei uns, mit Fang- und Versteckspielen; ferner tragen sich die Kleinen,
ganz wie unsere, Huckepack, oder Rücken an Rücken mit verschränkten
Armen und schaukeln sich in dieser Stellung hin und her. Kleine Mädchen
pflücken sich manchmal einen Strauß grellfarbener Blüten. Die Jungen machen
sich den Spaß, einen frischgrünen Sorghumhalm in der Asche eines Feuers
zu erhitzen. Wenn dadurch die Luft in den inneren Zellenräumen desselben
in Spannung versetzt ist, schlagen sie den Halm auf einen Stein, wodurch er
mit starkem Knall zerplatzt {Hildebrandt).
l) Maspero: Ägypten und Assyrien, Deutsch. Leipzig 1891, S. 104 IT.
2i Abbildung dazu in dessen „Negerleben", S. 353.
') BLlapperkörbchen sowie Tier- und Monschonformen aus Ton als ostafrikanische
lvinderspielsachen aus dem Museum St. Ottilien bei München, wurden mit Fig. 27ü in
K..p. XX.W'II vorgeführt.
§ 261. Sudan- uud Bantuneger. Buschleute.
279
Die Kinder der Makololo, Basuto und anderer Betscliuanenstämme
im britischen Südafrika vertreiben sich, wie es scheint, besonders beim
Viehhüten die Zeit mit der Herstellung: von Tonfiguren, welche Binder u. a. m.
darstellen (Hartmann). — Nach Ch. Stech kann man den Basuto-Knaben
im Nachbilden von Ochsen und Kälbern in Ton ein gewisses Geschick nicht
absprechen. Ferner bauen die Basuto-Knaben kleine Viehkraale, wenn sie
einen freien Sandplatz finden, die sie mit kleinen Pflöckchen einzäunen, und
in welche sie die tönernen Ochsen paarweise in längeren
Zügen einwandern lassen, so wie das lebende Vieh abends in
den Kraal einwandert. Ihr Hauptspiel aber ist das Kriegs-
und Jagdspiel. — Nie geht ein Junge ohne einen Schild, der
entweder kreisrund oder (bei anderen Stämmen) oval ist,
wozu auch ein kleiner Köcher mit kleinen vergifteten Pfeilen
und ein kleiner Assagai (Spieß), ein Stock und ein Knopf-
kirri (kurzer Wurfstock mit sehr dickem Knopf aus festestem
Eichenholz) gehört. Ist, so bewaffnet, ein Haufen versammelt.
so beginnen die Knaben bald allerhand Sprünge, ähnlich dem
Wilde, das vom Jäger gejagt wird: ilarauf folgen (Testen, die
dem spürenden Jäger gelten. Plötzlich verkriechen sich einige
hinter Klippen und Büschen, bis einer in Schuß- oder Wurf-
weite des vorgeblichen Wildes wirft, worauf er hervorspringt
und auf jene Stelle zustürzt, von allen anderen unter lautem
•lubel gefolgt. Dann entsteht ein wechselseitiger Tanz, begleitet
mit Gesang und Hüft- und Luft-
sprüngen. — Ähnlich geht es beim
Kriegs spiel zu. Freunde und
Feinde verstecken sich erst; dann,
nachdem Fühlung gewonnen, stürzt
man aufeinander los, und wehe dem.
der seinen Schild nicht geschickt zu
handhaben weiß, um die Schläge des
Kirri richtig zu parieren. Denn es
fallen harte Schläge, bei denen Blut
fließt. Kleinere Knaben bekämpfen
sich wohl erst noch mit Buten und
grünen Büschen. Der Feigling,
Flüchtling oder gar Schreihals wird
verlacht und verachtet. — Endemann
erwähnt neben den Scheingefechten
und Scheinjagden der Basuto-Jugend
wirkliche Jagden, welche zum Zeit-
vertreib auf Hasen und anderes
Kleinwild angestellt werden; den
Vögeln stellen die Knaben mit
Sprenkeln und Leimruten nach. —
Die Mädchen springen über geschwungene Riemen, tanzen, bauen aus Sand
Kraale, im Sommer Hütten aus hohem Kraut, machen Töpfe, bebauen Gärtchen.
sammeln Gräser, um daraus Körbchen zu flechten usw.
Fast sämtliche Spiele begleiten die Basuto-Kinder mit Gesang. Der
Takt wird durch Händeklatschen und Stampfen mit den Füßen gegeben, und
der chor oder die Brummstimmen pflegen höchst präzis einzufallen. Gehen
mehrere Kinder auf das Wasser, was täglich vorkommt, so stimmt eines
davon einen Gesang an, und wie auf ein verabredetes Zeichen fallen ganz
von selbst die anderen ein und klatschen den Takt mit den Händen dazu. —
"■-4» /v ■
Fig. 319. Spielzeug: Links eine Kinderrassel der
Waschamba (Deutsch-Ostafrika) aus Mtamahalmen
und Hirsekörnern: rechts ein Strohgewehr für Kinder
der Wabunga. Im Museum für Völkerkunde in
Leipzig.
280
Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Nicht-Indoeuropäern.
Sehen sie abends das Vieh in den Kraal zurückkommen, so sind bald zwei
oder drei Kinder beisammen, von denen eines beginnt: „Kchomo, kchomo,
kchomo no nödi". was immer wieder und wieder kehrt, und zwar nach dem
folgenden Rhythmus:
Das „no nödi" gehöre in die Kindersprache der Basutos und komme
etwa dem nachklingenden Jodel eines Liedes gleich. Der Sinn des ganzen
Reimes sei etwa: „Das Vieh, das Vieh, das Vieh, es kommt, es kommt!"1) —
Oder die Kinder, Knaben wie Mädchen, sehen einen Reiter dahin galoppieren:
sogleich erklingt das stereotype: ea kabök'i, ea kabölä (es galoppiert, es
galoppiert). — Geht das Pferd im Schritt, dann heißt es: „a e kaböle, a e
kaböle (laß es doch galoppieren, laß es doch eilen!), denn Galoppieren sehen
die Kinder gerne. —
Fig. 320. Kuabeu aus der Missionsstation Lukuledi, Dentsch-Ostafrika, bei einem Spiel mil Holzstabeben.
Aus C. Wehrmeisltr: „Vor dem Sturm", S. 85.
Ein eigenartiges, hübsch verziertes Spielzeug eines Häuptlingskindes aus
dem Betschuanenland haben wir in Fig. 321 vor uns. —
Mit kleinen Bogen und Pfeilen spielen auch die Kinder der Auin-
Buschleute der Kalahariwüste. Ferner unterhalten sie sich mit einem
Vexierspiel, welches Hans Kaufmann folgenderweise beschrieben hat. Die
Partner hocken einander gegenüber. Beide klopfen sich gleichzeitig unter
unartikulierten Lauten mit beiden Händen auf die Oberschenkel. Dann streckt
der eine Partner überraschend die rechte oder linke Hand gegen den andern
aus, oder macht irgendeine andere Handbewegung. Imitiert der andere nicht
sogleich genau, dann hat er gewissermaßen verloren, was der Gegner dadurch
markiert, daß er eine wegwerfende Handbewegung macht oder mit dem rechten
Zeigetinger auf seine linke Faust schlägt, womit er sagen will: „Ich schlage
meinem Gegner den Kopf entzwei." Unterbrochen wird das Spiel dadurch
aber nicht. Nach Kaufmann haben auch die Hereros und Bergdamara
ein ähnliches Spiel, doch soll es ursprüngliches Buschmannspiel sein. Es wird
') Nach Ploß in der 2. Aull.
§ 2t>2. Matay'.seh-polynesische Völker.
281
nicht nur von den Knaben, sondern auch von den Erwachsenes gespielt, —
Den Auin sind Stelzen bekannt, die von Knaben und Männern gebraucht
werden. — Ferner unterhalten sich Knaben und Männer stundenlang unter
großem Jubel mit Rutenwerfen, wobei Ruten bis zu 2 m Länge mit Anlauf
in sausendem Schwung, an einem Ende gefaßt, vorwärts geworfen werden.
Die damit verbundene Anstrengung verlange guten Ernährungszustand. Dieses,
wie alle andern Spiele, verlegen die Auin aus diesem Grund auf die Regenzeit.
Auch das Rutenwerfen wird von Kaffern und Hereros gespielt; es
sei kein ursprüngliches Buschmannspiel. —
262. Malayisch-polynesische Völker.
Missionar Paul Camboue, dessen wert-
volle Mitteilungen über die Howa auf
Madagaskar in unserem vorliegenden
Werke bereits wiederholt verwertet worden
sind, hat seitdem im ..Anthropos" (September-
Oktober-Heft 1911) auch über die Spiele
der Howa-Kimler geschrieben. Diese Spiele
sind von einer außerordentlichen Mannig-
faltigkeit und deshalb ein beredter Ausdruck
einer kräftigen, lebensfrohen Kindesseele.
Selbstverständlich können hier nur einige
aus ihnen zur Sprache kommen.
Im zartesten Alter spielt das Howa-
Kind mit einer Blume, einem Zweig oder
einer Frucht, mit den Haarzöpfen seiner
Mutter oder Wärterin; später gibt man ihm
eine Heuschrecke oder einen Maikäfer an
einem Rofiafaden (Sagus raphia), welchen
das Kind in seinen Händchen hält (vgl. die
Maikäferliedchen im vorigen Kapitel).
IM i t dem Heranwachsen des Kleinen ver-
vielfältigen sich seine Spiele. Da verdienen
zunächst gewisse Einzelheiten im Puppen-
spiel der Mädchen unsere Aufmerksamkeit.
Zwar sind es keineswegs kunstvoll her-
gestellte kostspielige Puppen; vielmehr muß
einfach die Frucht der Physalis peruviana
den Kopf, die Hülle dieser Frucht den Rumpf.
und ein darum gewickeltes Blatt das
Nationalkostüm, das ,.lamba'' bilden. Aber
die kleine Mama der Puppe, d. h. das
spielende Mädchen, macht ihr einen Tragstnhl
grases (Andropögon sp.), damit ihre Puppe, wie
Landes, darin herumgetragen werden kann. AI
ferner einen Sonnen- und Regenschirm, den ihr
mit Perlen umwundene
Pulverbüchse als Spielzeug des Sohnes
eines Bet sehn a neu- Häuptlings (südliches
Afrika). Im Museum I. K. H. Prinzessi7i
Therese Ulm Bayern.
aus den Halmen des Bart-
die vornehmen Damen des
; solche braucht die Puppe
die kleine Mama fabriziert,
indem sie das Gewebe der großen Spinne Nephila madagascariensis über einige
Reiser steckt, Ein Wohnhaus baut sie ihr aus Erde oder Lehm, und damit
ein hervorragender Zug aus dem Howa-Leben nicht vergessen sei, macht sie
ihr noch zu deren Lebzeiten das Grab aus Stein und Erde, sowie das obligate
Leichentuch. — Das ist ..das Gräbchenspiel". — Fast selbstverständlich ist
es, daß die kleine Mama als solche ihre Puppe nach Landesbrauch auf dem
Rücken trägt.
282 Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Xicht-Indoeuropäern.
1 >ie kleinen Knaben machen Gehege und Gräben, um darin nach Art
der Erwachsenen Ochsen zu mästen; nur sind ihre Ochsen selbstgemachte
Lehmfiguren, oder Heuschrecken, oder auch nur eine Hülse der Cassia laevigata,
oder ein Stein. - - Beim „Gräbchenspiel" ersetzen die Knaben die Puppen der
Mädchen durch einen Lehmmann, oder einen Frosch, oder eine Heuschrecke. —
Ferner legen die Knaben kleine Reis-. Maniok- und Patatenfelder an. zeichnen
auf Fußwege und Hüttenwände die Umrisse von Menschen und Tieren und
formen solche aus Lehm.
Camboue zählt dann eine Reihe primitiver Musikinstrumente auf. welche
von den Howa-Knaben angefertigt und gespielt werden: Trompeten aus Reis-
halmen und Blättern des Cyperus latifolius, Rohrflöten, eine Art Gitarre
und Trommeln, wovon er die Queckengrastrommel die originellste nennt1!.
Besonders interessant erscheinen mir unter den von Camboue beschriebenen
Spielen der Howa-Kinder die Grillen-, Spinnen- und Chamäleonkämpfe.
Ferner verdienen die fingierten Zehnkämpfe als ein Seitenstück zu den
fingierten Stierkämpfen bei der spanischen und spanisch-mexikanischen Jugend
unsere Aufmerksamkeit.
Einen Grillenkampf veranstaltet der kleine Howa folgenderweise: Er
nimmt ein Grillenpaar, Männchen und Weibchen, aus ihrem Loch und tötet
zunächst das Weibchen, hebt aber dessen Kopf und ein Bein auf. Dieses
Bein wird an dem einen Ende eines Strohhalmes befestigt und so an die
( >ffnung eines Loches gesteckt, worin ein anderes Grillenpaar lebt. Beim
Anblick dieses Grillenbeins stürzt der Herr des Grillenheims aus seiner Tiefe
an die Öffnung, und nun läßt der Knabe seinen gefangenen Grillenwitwer
los. der sich sofort dieses Grillenlochs bemächtigen will, damit aber sich mit
dem Hausherrn in einen Kampf verwickelt. Ermüden die beiden Kämpfer,
dann zeigt ihnen der Knabe den Kopf des getöteten Grillenweibchens, um die
beiden Männchen zu neuer Wut anzuspornen.
spielend machen sich größere Knaben ihren Eltern nützlich, indem sie
Vögel, Krabben und Frösche fangen. Die dazu nötigen Instrumente und
Lockspeisen verfertigen bzw. verschaffen sie sich selbst. - Die größeren
Mädchen erhaschen sich Heuschrecken zum Dessert und zur Würze ihres
Reises. — Besonders gern aber erlisten sich Knaben und Mädchen Schmetter-
linge aus der Familie der Sphingidae, welche in der Abenddämmerung in
großer Anzahl die Blumen umschwärmen, um deren süßen Saft zu bekommen.
I»a nimmt dann das Howa-Kind eine solche Blume, geht einem dieser Schmetter-
linge nach, streckt sie ihm vorsichtig hin und zerdrückt ihn in dem Augenblick,
in welchem der getäuschte Schmetterling seinen Saugrüssel in den Blumen-
kelch senkt. Dann wird der Gefangene als Leckerbissen verspeist.
Zu den verschiedenen Gesellschaftsspielen beider Geschlechter gehören
auch gymnastische Übungen, welche Camboue" teilweise illustriert, sowie
ein Wettstreit der Schönheiten anter den .Mädchen.
Auch eine Art Schlitten machen sich die Kinder, auf denen sie von
grasigen Hügeln hinuntergleiten, usw. usw. —
Die Knaben der Minkopier, ein Zwergvolk auf den Andaman-Inseln
im Meniralischen Meerbusen, üben sich spielend in der Handhabung von Bogen
und Pfeilen.
Die Kinder der Batak auf Sumatra zeigen schon in frühester .lugend
einen ausgesprochenen Hang zum Hasard und ähnlichen Spielen. Man kann.
schreibt Frhr. v. Brenner, kaum ein Dorf der Hochebene betreten, ohne dies
Schauspiel zu erleben, wobei man von der Lebhaftigkeit und Aufgewecktheit
>i I ) i r-«- Beschreibung and Abbildung findet der Leser im Anthropos VI (1911), S. 669.
§ 262. Malayisch-polynesische Völker. 285
Mit dem plötzlichen Auftauchen der Fadenspiele will jedoch Raymund
keineswegs sagen, daß es vorher auf Palau nicht existiert habe; vielmehr teilt
er uns mit, daß es alte Palauerspiele sind, die sich von Mutter auf Kind, von
Generation zu Generation vererben, und deren Ursprung- die Eingebornen auf
die ..Chalid" zurückführen, d. h. auf jene Geister oder höhere Wesen, die über
dem heutigen Palau ein herrliches Land bewohnen, und denen der Paktier
auch das einheimische Geld, das Feuer, Land und Meer, kurz alles, dessen
Ursprung ihm dunkel ist, zuschreibt. Die Fadenspiele (chalidebaol) l) der
Kinder repräsentieren nach Raymund nur die einfachsten Formen; die feineren
und abwechslungsreicheren seien nur noch einigen alten Häuptlingen und
vielleicht dessen Frauen und Kindern bekannt. In einzelnen Bezirken scheine
das Spiel schon ausgestorben zu sein. Andererseits werde das Fadenspiel
auch auf verschiedenen Nachbarinseln, z. B. auf Bur (bei Sonsorol) uud Yap,
auf den Marianen und Pönape gespielt2). Die Formen des Fadenspiels
stellen teils Gegenstände in der Natur, z. B. Wellen, Fische und Früchte, dar ;
teils beziehen sie sich auf Palaus Geschichte und Sage. Einzelne Formen
und Reden werden den Chalid selbst in Hand und Mund gelegt, als ob einer
aus ihnen selbst die Fäden schlänge und die Worte spräche. Manche seien
neuerer Erfindung und wenig sinnreich3).
Faden- und Schnurspiele nannte G. Thilenius die Lieblingsspiele
von aroß und klein auch auf Yule Island an der Südküste von Britiseh-
Neuguinea und iu Nord-Queensland (nordöstliches Australien). Es
wurden hier unter anderem sitzende, stehende und fliegende Vögel, auf Yule
Island Papageien oder Tauben dargestellt.
Von denPapua-Kindern in Kaiser-Wilhelms-Land schrieb Maximilian
Krieger: Wie unsere Kinder, so sind auch sie groß im Erfinden verschiedener
Spiele. Sie spielen „schwarzer Mann" und Ball, haben auch ein unserem
Barrlauf ganz ähnliches Spiel. Besonders bevorzugt sind Kriegs- und
Jagdspiele; sogar unser „Zeck-' und „Kettenreißen" scheint bei ihnen ver-
treten zu sein. — Das gilt hauptsächlich bei Knaben, während die Mädchen
nur als ganz klein sich im Dorfe herumtummeln, dann aber bald an die
Arbeit müssen.
Zu den Knabenspielen in Holländisch Neuguinea gehören, außer den
von Kaiser- Wilhelms-Land erwähnten. Peitschen- und Reifenspiele.
Von den Mo tu'-mo tu- Kindern in Britisch-Neuguinea erwähnte „Die
Natur"4) unter den von den Kindern selbst verfertigten Spielsachen kleine
Windmühlen aus Kokosblättern, Kreisel und fliegende Blasen. Knaben
warfen Kokosschalen am Boden hin, welche die andern unterdessen mit ihren
Speeren zu treffen suchten5); oder sie tummelten sich im Wasser und suchten
dabei mit Speeren und Pfeilen Fische zu erlegen, um sie am Strand auf
Kohlen zu braten.
Die Spiele der männlichen Jugend von Laur. dem mittleren Teil der
Insel Neumecklenburg-, Bismarck- Archipel, hat Missionar Abel beobachtet
und eingehend beschrieben. Knaben und Jünglinge versammeln sich am
liebsten beim Voll- und Neumond abends auf den großen Sandflächen, welche
bei Ebbe am Meeresstrand erscheinen. In den Bergdörfern haben die Burschen
ja nur den engen Platz vor der Männerhütte zur Verfügung; im warmen,
J) Nach Raymund bedeutet dieses Wort ..Geschenk, Gabe der chalid", also der Geister.
2) Vgl.fr. Thilenius Mitteilung über Fadeuspiele auf Yule Island und in Australien w.u.
3) Näheres in Text und Bild siehe Raymund: Die Faden- und Abnehmespiele auf
Palau. Im „Anthropos" VI, 40ff.
4) 1879, S. 280.
6) Auf den Salomo-lnseln schießen die Knaben mit kleinen Speeren nach aufgehängten
Kokosschalen. (3/. Eckardt, Glob. 39, 365.)
286 Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Kicht-Indoeuiopäern.
weichen Ufersand aber können sie nach Herzenslust Purzelbäume schlagen,
rennen, rollen und kugeln. - Von den Gesellschaftsspielen nennt Abel
das „Mattehalten" (a kapkap-ben), das „Strickziehen'- (a särsarat-hinäu) und
eine Art Fangspiel (a hunuläga) als besonders bevorzugte Spiele1).
Beim ..Mattehalten" bilden die Knaben zwei numerisch möglichst
gleiche Parteien, die sich auf einen Abstand von 20 — 30 m trennen und mit
Vorliebe Stellen suchen, die vom Mondlicht wenig beleuchtet sind. Eine der
Parteien nimmt dann eine Matte zu sich, während die andere in sehr schnellem
Tempo ein Lied singt, dessen Text und Melodie Abel im Anthropos veröffent-
lichte, dessen Sinn er aber nicht weiß, da er auf seine Frage nur die Antwort
bekam: „I ra tuara diet qa inge man huo!" (,.Die Alten haben auch so
gesungen".) Während dieses ziemlich melodischen Gesanges treten die Knaben
der ersten Partei dicht zusammen, einer aus ihrer Mitte ergreift die Matte.
hält sie vor sich, damit er vor den Blicken der zweiten Partei geschützt
ist, und schreitet so dem feindlichen Lager etwa bis zur Hälfte der Distanz
entgegen, wo er stehen bleibt.
Im feindlichen Lager verstummt der Gesang und man beginnt zu raten,
wer der Träger der Matte sei. Schnell und aus vieler Munde ertönt die
Frage: „Sige ngu, si ngu, si ngu?" Wer bist du, wer, wer bist du?" Hierauf
beobachtet jeder scharf den Ankömmling; man beratet sich im stillen unter-
einander, und schließlich ruft einer den vermutlichen Namen aus. War die
Vermutung richtig, so läßt der versteckteTräger die Matte fallen und kehrt,
etwas beschämt, zu seiner Partei zurück, während die Sieger ihm nachjauchzen,
die Matte zu sich nehmen, ihrerseits das gleiche Spiel wiederholen, uud die
besiegte Partei im Galgenhumor jenes Lied singt, mit welchem das erste Spiel
eingeleitet worden war.
Errät der Feind den Mattenträger nicht, dann ruft man ihm zu, daß et
falsch geraten, und er hat das Lied zum zweitenmal zu singen, sein Rateglück
nochmal zu versuchen2). Bei wiederholtem Mißgeschick wird er verhöhnt. -
Nach Abel entwickeln die Knaben bei diesem Spiel, das nicht selten 2 — .S Stunden
daure, viel Witz, Schlauheit und kräftigen Humor.
Beim „Strickziehen" teilen sich die Knaben gleichfalls in zwei Gruppen.
Die einen legen sich dann alle rücklings so auf den Boden, daß die Füße je
eines Knaben (oder Jünglings) dem Kopf seines Vordermannes naht, und daß
die ganze Mannschaft mit Köpfen und Füßen in einer geraden Linie liegt.
Seine Füße stemmt dabei jeder in einem selbst gegrabenen Sandloch an. Zum
Ersten der Reihe wählt man einen kräftigen Burschen, da der Sieg seiner
Partei vor allem von seiner Widerstandsfähigkeit abhängt. Denn von ihm
aus läuft ein zu einem Kranz geschlossenes Kotangseil über die andern
Burschen der Reihe nach hin, deren jeder das Seil freilich auch seinerseits
mit beiden Händen und gestreckten Armen dicht an seinen Körper halten
muß. Die Aufgabe der Gegenpartei, welche sich in Reih und Glied aufstellt,
ist es nun. die Liegenden an dem Rotangstrick, welchen auch sie ergreift,
zum Sitzen zu bringen. Die Liegenden fordern die Stehenden mit einem
kräftigen Lied auf. die Kraftprobe zu beginnen. Bei der Schlußnote fallen
die Stehenden mit voller Brust ein und ziehen dabei mit Leibeskräften an
dem Rotangkranz. Gelingt der Ruck, geben die Sandgrübchen nach und
kommt die liegende Reihe ins Rutschen, dann ist der Sieg bereits entschieden;
denn die, Liegenden müssen den Rotang auslassen, um nicht von dem rück-
') Doch schreibt er (Anthropos II. 7oS), kein Spiel werde so andauernd gepflegt, wie
das Lanzen- oder Speerspiel, auf dessen eingehende Beschreibung bin- aber nur hin-
gewiesen werden kann.
i Man kann also dieses Spiel ein Ratespiel nennen.
§ 262. Malayiseh-polynesische Völker. 287
yit-htslos fortstürmenden Gegner geschleift zu werden. Ein unbeschreibliches
Siegesgeheul erschallt, und das Spiel beginnt aufs neue. Diesesmal ist das
Ziehen an den Besiegten.
Mißglückte aber der Ansturm, dann bekommt die Zugpartei ein Trutz-
lied zu hören. — Nicht selten reißt der Rotang, und die Zugpartei wird in
den Sand geschleudert, was den Liegenden unbändige Freude macht. - In
schwierigen Fällen, wenn der beiderseitige Widerstand zu lange anhält, benützt
der Anführer der Zugpartei den Kniff, seine Leute etwas zur Seite zu schieben,
so daß das Tau einen stumpfen Winkel bildet, dessen Scheitelpunkt, in der
Hand des Ersten von der liegenden Partei gebildet wird. Dadurch werden
die Kräfte der Liegenden zersplittert; sie lassen bald das Seil los, einer nach
dem andern fliegt auf die Seite, und der Widerstand ist gebrochen.
Kuhigere Spiele werden auch in der elterlichen Hütte gespielt. Hierzu
gehört ein Ratespiel, bei welchem der Anführer des Spieles einem der
Knaben, welche ihn umstehen, einen Splitter von der Größe eines Zündholzes
in die Hand lest, was dann von einem andern Knaben erraten werden muß1). —
Mit ähnlichen Spielen ergötzen sich bekanntlich ja auch deutsche Kinder.
Von Spielen auf den Hawaii-Inseln hat Stewart Culin nicht weniger
als 91 aufgezählt, zu denen allerdings auch die der Erwachsenen gehören.
Die Knaben reiten, wie die unsrigen, auf Steckenpferden; die Mädchen
spielen mit Puppen, oder vielmehr mit Steinen, welche sie in Bananenblätter
wickeln. Es werden kleine Kähne aus Palmblättern gemacht, die man auf
dem Wasser schwimmen läßt. Aus Papier und Baumrinde verfertigen die
Kinder Windräder, Schachteln, Vögel u. a. m. Wie unsere Jugend, so hat
auch die hawaiische ihre Abzählverse, Versteck-, Fang- und Blindekuh -
spiele, springt über Stangen und Seile, schaukelt sich, schlägt Purzelbäume,
steht auf dem Kopf und läßt Drachen aus Rindenstoff steigen. Ferner üben
sich die Knaben im Speerwerfen, Pfeilschleudern. Laufen, Schwimmen, Rudern
und in verschiedenen Ballspielen. — Wie deutsche Kinder Maikäfer, so fangen
die hawaiischen AVasserjungfern und lassen sie wieder frei oder angebunden
fliegen; statt unseren Gluckern (Schussern, Marbeln) haben die hawaiischen
Kinder zum entsprechenden Spiel Samenkörner. Auch unser Paradies-, Himmel-
und Höllespiel ist ihnen wohl bekannt. Wie die indischen Kinder, so be-
nützen die hawaiischen dabei nicht die Hand, sondern stoßen mit dem Fuß
den Stein vor sich her (Karutz, nach Culin).
Von Neuseeland hat Polal2) ein Fingerspiel „ti" erwähnt, Ein Mit-
spielender ruft eine Zahl, wobei er schnell den richtigen Finger zu berühren
hat. Diesem Spiel entspricht ein samoanisches, in welchem einer eine
Anzahl Finger in die Höhe hält, worauf der Gegner sofort die entsprechenden
auch in die Höhe heben muß. Mißglückt das, dann verliert er einen Punkt.
— Nach Tylor besteht das Lieblingsspiel der Neuseeländer darin, das
Zischen einer Säge, einer Axt, einer Flintenkugel und anderer Instrumente
nachzuahmen, wie die englische Jugend sich mit der Nachahmung von Tier-
stimmen erfreue. Tylor sah in diesem Nachahmungstrieb einen wichtigen
Faktor bei der Entwicklung der Sprache.
Übersprudelnde Lebenslust tritt nach E. Jung im australischen Spiel
zutage. Kaum haben die Kinder den Magen angefüllt, so heißt es „Tscbupadu!''
(laßt uns spielen!), und nun geht es entweder ans Verstecken (Kulkuri) oder
Ball spielen (tschubu tschubu), oder an die Nachahmung der Erwachsenen im
Kampf, im Werfen oder in Tänzen, und dann ist ein Kreischen und Lachen,
*) Näheres über dieses und andere Spiele siehe Abd, „Knabenspiele auf Neu- Mecklenburg",
im „Anthropos" I. 818ff., II, 219 ff. und 708 ff.
2) Bei Ploß, 2. Aufl. II, 310.
288 Kapitel XL. Des Kindes Spiel uud Spielzeug bei Nicbt-Indoeuropäern.
daß es weit durch den Busch hallt, bis einer der älteren sein Kulu (genug!)
ertönen läßt, Hierauf kehrt alles ohne Zögern zu den Hütten zurück. —
Während des Spiels sehen die Alten mit unverhohlener Freude zu und geben
-dieser häufig ebenso lauten Ausdruck, wie ihre Sprößlinge.
Lubboek erwähnte ein Tauspiel der australischen Kinderwelt, welches
Ähnlichkeit mit dem englichen „Cat's-cradle" habe. Die liebste Unterhaltung
der dortigen Kinder sei aber das Erlernen der Jagd und Fischerei. Miniatur-
Bumerangs (Wurfhölzer) und Lanzen gehören zu ihrem Spielzeug, und
ebenso wie sie in diesem Spiel die Praxis der Erwachsenen nachahmen, so
auch im ,. Brautraub", der in ihren Spielen ebenso häufig vorkomme, wie im
Leben der Erwachsenen (Oldfield, Dumont, d'Urviile und Ada Janet Peggs).
§ 263. Yölker mit isolierenden Sprachen. Japaner und Koreaner.
In der 2. Auflage1) zitierte Floß die folgende Stelle aus Gustav Kreitner*),
in welcher dieser die vermeintliche Armut des Chinesenkindes an Spielen und
Spielsachen beklagt. Zwar scheint sich die Klage Kreitners hauptsächlich
auf das Gebiet zwischen Lan-t schon und Liang-t schou zu beziehen
aber sie umfaßt, wie wir gleich sehen werden, doch wiederholt auch das ganze
chinesische Reich. Die Stelle lautet nach PIoßs):
,.Die armen Kinder! Schon im zartesten Kindesalter soll sich das Köpfchen
mit den unverständlichen Aussprüchen der größten Landesphilosophie plagen.
Anstatt umherzuspringen und herumzujagen auf dem freien Hofe vor dem
Hause, wie es hoffnungsvollen Knaben geziemt, klammern sich die jüngsten
in lebloser Resignation an die Hand der Mutter, und die entwickelteren unter-
stützen bereits den fleißigen Vater bei der Bebauung der Felder. Die Jugend
kennt keinerlei Spiele, welche sie zur gemeinsamen Unterhaltung im Freien
vereinigen4). Ohne Erheiterung und Zerstreuung, ohne Freude und Vergnügen
ist die ..glücklichste Zeit" in China nur ein vorbereitendes Stadium für die
Zeit der Arbeit und Plage. Und doch steckt in den Kindern auch der an-
geborne Trieb, sich in irgendeiner Weise zu zerstreuen. Wie oft bemerkte
ich solche Kleinen, die, wenn sie sich unbeholfen und unbewacht vor der Haustür
langweilten. Versuche machten, in den Lößlandschaften aus der gelben Erde
kleine Pagoden und in den Wüstenstrichen aus den Geröllsteinen niedliche
Ilauser zu bauen. Das einzige Spielzeug, welches nicht allein bei den
Kindern, sondern auch bei Erwachsenen im ganzen Reiche Anwendung
rindet, ist der Federball. Er besteht aus einem aus Stoffabfällen zylindrisch
geformten kleinen Ball, dessen verlängerte Achse nach einer Seite durch einen
niedlichen Federbusch geziert wird. Das Spiel ist nichts anderes, als das Empor-
schnellen und Wiederauffangen des Balls mit der Fußspitze. Hat der rechte
Fuß hundertmal seine Schuldigkeit getan, so wird hierauf in gleicher Weise
der linke geübt. Beteiligen sich zwei Personen an der Unterhaltung, so siegt
diejenige, welche nach langweiliger, aus einem Fehler entspringenden Ab-
wechslung zuerst zweihundert zählt5)."
Dazu bemerkte Floß: „Man sieht aus diesen und ähnlichen Berichten.
wie sehr der Mensch in seinem ganzen Tun und Treiben, wie sehr aber auch
insbesondere das Kind in seiner Spieltätigkeit, in seiner ganzen pädagogischen
Richtung von der äußeren Umgebung der Natur abhängig ist. Der arme
•) II, 298.
») ..Im fernen Osten". Wien 1881. S. 607.
3) kreitner liegt mir nicht vor.
») Vgl. damit Walter Medhursts Bild eines chinesischen Dorfplatzes auf S. 290.
6) Vgl. das von Medhurst beschriebene Ballspiel auf S. 290.
§ 263. Völker mit isolierenden Sprachen. Japaner nud Koreaner.
289
produktionsunfähige Boden ') erzeugt eine Bevölkerung, deren geistige Produk-
tionskraft in der Jugend durch freies kindliches Gebaren in Spiel und Unter-
haltung kaum geweckt und gefördert werden kann."
Nun ist aber Lan-tschou die Hauptstadt der Provinz Kan-su, und
auch Liang-tschou ist eine wichtige Stadt dieser Provinz, von deren Kindern
Dols schreibt, daß sie mit Pferdchen und Gliederpuppen aus Papier. Holz und
gebranntem Ton spielen. Als ein weiteres Spielzeug der dortigen Kinder
erwähnt Dols Götterfigürchen mit Glöcklein, welche den Kleinen an die Arme
gehängt werden2). Manchmal unterhalten sich die Kinder auch damit, Figuren
aus Schmutz herzustellen.
Was dann die Kinderspiele und Spielsachen in China überhaupt betrifft,
so braucht mau nur unsere Museen für Völkerkunde zu besuchen, um sich
von ihrer Mannigfaltigkeit zu
überzeugen. Abbildungen sol-
cher Spielsachen haben bereits
Kap. XI und Kap. XXXII ge-
bracht; andere folgen hier. Sie
beweisen, daß nicht nur dem
Geschmack des Kindes aus dem
gewöhnlichen Volke, bzw. dessen
Eltern, sondern auch einem in
Spielsachen sehr verwöhnten
Geschmack Rechnung getragen
ist. Man vergleiche nur den
„Stehauf"3) (Fig. 323) mit der
chinesischeu Puppenstube und
dem chinesischen Puppenbett
(Fig. 324 u. Fig. 325); auch der
Holzsäbel, die Lauze, der Drache,
der Diavolo4) (Fig. 326) und
andere Illustrationen beweisen,
daß in China auf die Anfertigung
von Spielsachen großer Fleiß
verwendet wird, daß die Spiele
mannigfaltig sind, und daß also
keineswegs alle „vom Handels -
geiste gleichsam durchschwän-
gert" sind, wie Ploß nach dem
,.Globus"(1874,Nr.l7)zitierte5).
übrigens schrieb Ploß auch6): Die Spielwaren der Chinesen und Japaner
sowie anderer asiatischer Völker sind in vieler Beziehung den unseligen ganz
ähnlich, nur sind manche bei ihnen mehr ausgebildet, z. B. die Papierdrachen,
die Kreisel usw., da sich mit ihnen dort auch gern die Erwachsenen belustigen.
Ploß wies ferner auf das Steckenpferd und die kleine Wind-
mühle, mit welcher die Kinder gegen den Wind laufen, als einen
gemeinsamen Besitz der europäischen, chinesischen und japanischen Kinder-
Fis
323. Chinesisches Spielzeug. Hund als Stehauf.
Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
') Ploß meint hier offenbar das von Kreitner als Wüste bezeichnete Gebiet zwischen
Lan-tschou und Liang-tschou.
-) Wohl als Schutzmittel. Vgl. die Syrenen mit Glöcklein gegen den bösen Blick in
Spanien u. a. Kap. V.
3) Meines Wissens ist uns der Stehauf eine neue „Errungenschaft".
4) Ob wohl der Diavolo unserer Kinder den Chinesen entlehnt ist?
6) 2. Auflage II, 296.
«) 2. Aufl., Bd. II, 293 f.
Plo ß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 19
290
Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Xicht-Indoeuropäern.
weit hin. In Deutschland sei beides durch Holzschnitte schon für das 16. Jahr-
hundert nachgewiesen.
Ein den verschiedenen europäischen und polynesischen Katespielen mit
den Fingern entsprechendes Spiel in China war in Auflage 21) als ,,tsoe,y-moey'
erwähnt, und das Bild, welches L. V. Fischer (nach Walter Medhurst) von einem
chinesischen Dorfplatz mit darauf spielenden Knaben entworfen hat. war
folgenderweise wiedergegeben worden:
„Ein Knabe unterhält sich mit einem Wollhall, der so fest gedreht ist.
als wäre er aus Gummi. Er schleudert ihn weder einem anderen Knaben
zum Fangen zu, noch benutzt er ein Schlagbrett, um ihn in die Höhe zu
treiben. Das Fangen und Schlagen des Balls sind hier unbekannt; er stößt
den Ball, wenn derselbe vom Boden zurückprallt, mit flacher Hand in die Höhe
und wiederholt die Stöße, so oft ihm dies möglich ist, ohne den Ball zur
Erde fallen zu lassen. Wenn er es fertig bringt, sich auf der Ferse herum-
Fig. H24. Chinesische Puppenstube. Im Museuni für Völkerkunde in Leipzig.
zudrehen, während der Hall im Kluge ist, und wenn er den Stoß mit ab-
gewendetem Gesicht auszuführen vermag, so wird er um so mehr bewundert.
Fehlt er den Ball, so nimmt ihn der zunächst stehende Knabe auf, und so
fort, bis die Reihe an alle Spielenden gekommen ist.
Hart nebenan sehen wir eine andere Gruppe von Knaben. Einer von
ihnen ist damit beschäftigt, ein kleines rundes Ziegelstück, auf einem Bein
hüpfend, mit dem Fuße nach einer Richtung zu treiben. Ein Stück des Bodens
ist in gleichmäßige Felder geteilt, die ganz genau abgemessen sind und uns
an ein ähnliches Hüpfespiel unserer Jugend erinnern. (Vgl. unser Paradies-.
Himmel- und Höllespiel.)
Einige Schritte weiter spielen zwei Knaben mit einem kleinen, an beiden
Enden zugespitzten Stückchen Holz, welches so auf einem Steine liegt, daß
die eine Spitze frei schwebt. Der eine der beiden Spielenden schlägt nun
mit einem Stäbchen auf dieselbe, wodurch das Hölzchen in die Höhe fliegt.
(Auch dieses Spiel ist bei uns wohlbekannt.)
Dort drüben hantieren einige Jungen mit Kupfermünzen und einem Dach-
ziegel: sie lehnen den Ziegel gegen eine passende Stütze, so daß er eine
') Bd. II, 311.
§ 263. Völker mit isolierenden Sprachen. Japaner und Koreaner.
291
geneigte Stellung bekommt, und nun wirft ein Junge nach dem andern mit
einer Münze derart nach seiner Fläche, daß das Geldstück einige Schritt
weit abspringt. Nachdem jeder der Spielenden seinen Wurf getan hat, kommt
das Spiel zur Entscheidung: Jede einzelne Münze wird von ihrem Eigentümer
nach der ihr zunächst liegenden Münze geworfen, und der, welcher glücklich
genug ist, das gegnerische Stück zu treffen, steckt es ein. Dies ist ein sehr
beliebtes Spiel der kleinen Chinesen, verleitet jedoch die größeren Knaben
zur Übervorteilung ihrer schwächeren Kameraden. (Vgl. das deutsche „An-
mauern".)
Schreiten wir weiter. Dort unterhalten sich Kinder mit der Peinigung
lebender Zikaden. Die unglücklicheu Geschöpfe sind an Zwirnfäden
Fig. 3-25. Ciii uesiscbes Puppenbett. Im Mnseum für Völkerkunde iu Leipzig.
gebunden, an welchen sie von ihren Peinigern mit der größten Unbarmherzigkeit
herumgeschwungen werden. - - Der Mißbrauch, Kindern lebende Insekten zum
Spielen zu g-eben, ist unter deu Chinesen nur zu sehr verbreitet.
Die Kinder, die sich solchergestalt unterhalten, stehen zwischen sechs
und zwölf Jahren und sind durchgehends Knaben. Die Erwachsenen sehen zu." —
Der weiter oben angedeutete Handelsgeist der chinesischen Knaben
kommt in ihrem Lieblingsspiel, offene Buden und Pfandhäuser zu halten, zum
Ausdruck. Möglichst früh gewöhnen sie sich die Handelssprache und
Schacherausdrücke, an welchen das Chinesische sehr reich sei, an1).
Auch John Antenorid erinnert an diesen Charakterzug: „Alles Spiel ist
ohne Gewinn-', lautet ein Schlußwort der chinesischen Bibel. Doch macht auch
') 2. Aufl. II, 296 (nach Globus 1874. Nr. 17).
19*
292
Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Xicht-Indoeuropäem.
er darauf aufmerksam, daß das chinesische Spielzeug dessenungeachtet mannig-
faltiger sei, als der eine und andere Forscher zugegeben habe. Auf chinesischen
Aquarellen belustigen sich Kinder im Sommer mit Seifenblasen, im Winter
mit Schneelöwen; auf Schaukelpferden saßen chinesische Knaben schon
um 950 n. Chr.. und Schaukeln für chinesische Mädchen, welche von den
Knaben getrennt spielen müssen, sind seit Anfang des 15. Jahrhunderts
n. Chr. bekannt,
.4. B. Wright macht uns mit den Spielen der Chinesenkinder mit Bau-
steinen bekannt. Er führt eines daraus mit 7 Blöcken, ein anderes mit
15 an. Aus jenen setzen die Kinder Männer, Frauen. Vierfüßler, Vögel und
Fische, allerdings mit künstlerisch unschönem Erfolg, zusammen. Feiner und
Fig. 32 i. Japanisches
Spielzeug:
Verschiebbare Stäbehen.
Chinesisches Sjpielzeug:
Steckenpferd, Drache,
Bolzsäbel, Si-hwingscheibe,
I.anze, ■ Diavolo.
Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
spannender ist das zweite Spiel, welches in den chin<esj
-Uten unter dem Titel „Die fünfzehn Zauberblöcke" bekari'nt
'esischen Kinder-
it ist. Aus diesen
Blöcken können über 20(> Bilder hergestellt werden, welche sjch auf die drei
Nationalreligionen : Konfmrianismus, Buddhismus undTaoismus beziehen. Mythus,
der auswendig
und schon im
Geschichte. Moral und Stellen aus Gedichten, welche die Kii
zu lernen haben, werden auf diese Weise vor Augen gefühlt
Kindergarten dem Gedächtnis eingeprägt.
Stern erwähnt neben Gesang1). Ball- und Knickerspiel, steigenlassen
von Papierdrachen, Nachahmung der Soldaten und .Mandarinen. Klc „e Studenten
üben sich in Schach oder Dame, bestehen spielweise Prüfungen |a„a erlangen
hohe Ämter. Auch ein „Quartettspiel" sei sehr beliebt.
'l Vgl. das Schulliedchen in Kap. XLVI.
§ 263. Völker mit isolierenden Sprachen. Japaner und Koreaner.
293
Ein anderer Zeitvertreib, welcher bereits im Knabenalter beginnt, ist
der Theaterbesuch. —
Die Mädchen der ärmeren Volksklassen, besonders auf dem Lande, wissen,
wie es scheint, vom Spielen nicht viel aus eigener Erfahrung; denn sie müssen
nach Stern schon früh im Haushalt helfen, statt einer toten Puppe ein
lebendiges „Uaua" in Gestalt eines kleinen Brüderleius oder Schwesterchens
überwachen, schon mit 8—10 Jahren spinnen und in der Küche helfen.
Hingegen lerne das Stadtmädchen (wohl nur der vermöglichen Kreise) nicht
viel mehr als Spielen. — Für sie also werden wohl jene künstlichen Puppen-
zimmer sein, von welchen Fig. 324 ein Bild gab, und denen die hier folgende
japanische Zimmereinrichtung zum Puppenfest (Fig. 327) würdig zur Seite steht.
Zwei japanische weibliche Puppen sehen wir in Fig. 328; eine männliche
in Fig. 329.
Nach Isabella Bird geben in Japan die Kinder ihre „Kindergesellschaften'-.
zu denen sie ordentlich einladen, und bei welchen sie Szenen aus dem sozialen
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Japanisches Spielzeug
Zimmeieinrk'htini;; zum
Museum in München.
Puppellfest. Im K. Ethnographischen
Leben mit allen Gewohnheiten und Gebräuchen der Erwachsenen aufführen,
z. B. eine Vorstellung, bei der der Arzt zum Kranken gerufen wird. Er gibt
Verordnungen; man behandelt den Patienten; dieser stirbt; schließlich folgt
das Begräbnis. So werden Hochzeiten. Gastereien usw. aufgeführt; dabei
zeigen die Kinder auch, daß sie schon die Umgangsformen der Erwachsenen
kennen.
Außer diesen Spielen kennt das japanische Kind eine Reihe anderer.
Unsere ethnographischen Museen besitzen auch von japanischen Spielsachen
hübsche Sammlungen. Ein Instrument zu einem Stäbchenspiel haben wir
z. B. in diesem Kapitel auf Abb. 320 kennen gelernt; bewegliche Schildkröten,
einen Ball mit Becher zum Auffangen und einen Kreisel sehen wir auf Ab-
bildung 330; Figuren, welche von dem spielenden Kind so ineinander hinein-
geschoben werden, daß aus sieben eine einzige wird, auf Abbildung 331; ein
japanisches Steckenpferd auf Abbildung 332, welche uns zugleich chinesisches
und koreanisches Spielzeug zeigt, Auf der dortigen Trommel links ist
eine Zeichnung, welche einer von Bor/seh ma rm veröffentlichten1) Zeichnung
entspricht, d. h. die heilige Zahl 3 (Trias) darstellt, aus welcher der Chinese
') In Ztschr. f. Ethnol. 42. Jahrg. (1910), S. 399.
294
Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Nicht-Indoeuropäern.
alles Seiende entstehen läßt. Diese Zahl 3 umschließt das männliche und
das weibliche Prinzip, welche, beide als lischartige, kongruente Flächen, zu-
gleich den Kreis (das ,.Tao'\ das Höchste) bilden.
Was die Spiele der koreanischen Kinder betrifft, so dürften sie. nach
der Gesamtkultur Koreas zu urteilen, den chinesischen und japanischen sehr
ähnlich sein. Verschiedene Spielsachen aus Korea sind im Museum für Yölker-
Fig. 328. Japanische Puppen. Im K. Ethnographischen Museum in München.
künde in Leipzig vorhanden. Die Abbildung eines Knabentigiiichens ist dem
Kap. XX.XI11 eingereiht worden; eine Kindertrommel und einen Vogel haben
wir auf Abi». 332, „Katze und Maus" auf Abb. 333. Diese, sowie die Schlange
aus Birma und die Eidechse aus China (Fig. 334) sind im Original beweglich.
Der Kinderpfeife (Fig. 335) nach zu schließen, gibt es auch in Birma nied-
liches Spielzeug.
Das gleiche ist in Siam der Fall, wo man die Augen der Kinder, schon
ehe diese gehen können, mit hübschen Gegenständen zu erfreuen sucht, zumal
die Kleinen oft stundenlang allein in der Wiege bleiben müssen, wählend die
Mutier auf dem Krefeld oder sonst beschäftigt sind, wie H. Hillmann schreibt.
ij 263. Volker mit isolierenden Sprachen. Japaner und Koreaner.
295
der seinem Text „Kinderspiele in Siam"1) einige Illustrationen beigefügt hat.
Unter diesen ist ein fliegender Fisch mit seinen Jungen. Die Siamesin
befestigt diese Fische an dem Vereinigungspunkt der vier Stricke, an welchen
die Wiege an der Decke des Wohnraumes aufgehängt wird. Der große Fisch
ist nach Hillmanns Schilderung aus dünnen Palmblattstreifen geflochten,
hohl und so leicht, daß er mit den unter
ihm befestigten kleineren Fischen
und herzförmigen Figuren vom gering-
sten Luftzug bewegt wird. Ein schär-
ferer Luftzug bringt ein Geraschel
hervor, dem das Kind gerne lauscht.
Die gelbe und hellrote Bemalung der
Fische mit grünen Flecken, schwarzen
Linien und Augen zieht gleichfalls die
Aufmerksamkeit des Kindes auf sich. —
Mehr Geschick noch als bei Herstellung
der fliegenden Fische verwendet man
auf die Anfertigung „fliegender Vögel".
ein anderes Spielzeug der siamesischen
Kinder. Der Körper ist aus Papier
und mit Federn bedeckt, die Füße aus
bemaltem Draht, die Augen aus Perlen
und die im Innern des Körpers mit
Blei beschwerten, aber losen Flügel
flattern, wenn man an dem Gummi-
band zieht, an welchem der Vogel
hängt.
Die größeren Kinder machen in
Siam ebensogern Lärm wie anderswo.
Diesem Bedürfnis nachzukommen, gibt
man ihnen solide Trommeln, d. h. aus-
gehöhlte, mit dickem Leder überzogene
Holzklötze, welche, um zugleich das
Auge zu befriedigen, hellgrün oder
rot bemalt werden. Ferner erwähnt
Hillmann leicht zerbrechliche Ton-
püppchen, teils nach europäischer
Mode, teils nach der Landestracht ge-
kleidet. Die ersteren werden auch
nach europäischem Brauch auf Stühl-
chen gesetzt; die letzteren stellen, mit
ihren nach innen gedrückten Ellbogen,
Typen höchst entwickelter siamesischer
Geschmeidigkeit dar. Zwei Puppen sind von ihren Dienern in schwarzer Jacke
begleitet.
In der Nachahmung Erwachsener spielen die siamesischen Kinder ferner
Kaufmann, kochen und gehen auf den Markt. Deshalb macht der Vater
seinem Söhnchen ein kleines Traggestell für Früchte, eine genaue Nachahmung
seines eigenen, das aus einer halbierten Bambusstange mit zwei Körben an
beiden Enden in Rotangringen besteht. Die Stange wird auf der Schulter
getragen. — Die kleinen Mädchen bekommen Körbchen, welche sie gegen
die Hüften stemmen und mit der Hand am Rande halten, genau wie ihre
Fig. 329. Japanische Spielngur. Im K. Ethno-
graphischen Museum in München.
») Im Globus 78, 191 ff.
296
Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Nicht-Indoeuropäern.
Mütter es machen, wenn sie zu ihren Einkäufen auf den Markt gehen. Auch
kleine Reisschwingen und Kochgeschirr bekommen sie. — Als ein beliebtes
Spielzeug der siamesischen Kinder erwähnt Hillmann ferner den aus Rotang
geflochtenen Fußball, den sie, in einem Kreise stehend, durch Stöße mit den
Füßen, Knieen. Hüften, Köpfen und Schultern in der Luft zu erhalten suchen.
Mit der Hand darf der Ball nicht gefaßt werden. —
Waffentänze der tibetanischen Jugend sind, zusammen mit den
mährischen "Waffentänzen, im vorigen Kapitel erwähnt worden.
Fig. 3.10. Japanisches und chinesisches Spielzeug. Linl.s japanische kleine Schildkröten, die hei
leichter Erschütterung bewegt werden: dann ein chinesischer Hund, der bellen kann, ein japanischer
Ball zum Auffangen in den daneben liegenden Becher, ein japanischer Kreisel und ein Chinesen-
Knabe mit Peitsche. Im .Museum für Völkerkunde in Leipzig.
* A
i
Gfifi«
Fig. 331, Japanisches Spielzeug. Sieben Figuren, welche so ineinander hineingeschachtell werden,
daß zuletzt alle in der größten verborgen sind. Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Bei der mit den Tibetanern verwandten Bevölkerung von Sikkim. einem
britischen Schutzstaat des Himalaja, sah HooJcer ein Kind mit einer Knall-
büchse aus Bambus spielen.
§ 264. Nichtarische Inder und Crnlaltaiun. Ungarisch-schwäbische Ver-
gleiche.
Aus Madras im südlichen, also vorzugsweise nichtarischen Indien, hat
bereits das vorige Kapitel die Abbildung einer Kinderklapper gebracht.
In der 2. Auflage erwähnt Floß1) aus Südindien: Tierfiguren, Zappel-
männchen und Kugeln.
Kinderlieder mit Alliteration finden sich bei den Dravida in der vorder-
indischen Landschaft Croog, von denen W. Gallenkamp die folgenden Über-
setzungen mit der Bemerkung veröffentlicht hat, daß sie durch den Verlust
') II. 293 \m.i.
§ 264. Nichtarische Inder und Uralaltaien. Ungarisch-schwäbische Vergleiche. 297
des Wortspieles inj Deutsehen halb unsinnig erscheinen, weshalb er zur Über-
setzung einige Verse im Urtext beigefügt habe.
(lvak, kakeka
Käkera mangalekek . . .)
..Ruf des Raben Schwester!
Wann ist denn die Hochzeit?
Morgen oder Sonntag(?) früh.
All die jungen Geier
Ertranken im Strom.
All die jungen Raben
Suchen nach Käse." —
Fig. 332. Spielzeug. Chinesische und koreanische Trommeln, japanisches Steckenpferd und kore-
anischer Vogel." Im Museum für Völkerkunde in Leipzig. Erläuterung zu der Zeichnung auf der
Trommel links siehe Text.
„Chemba nahm den "Wassertopf,
Ohembas Frau ein Tani-tam.
Der Ochse nahm ein (jlöckehen,
Jung Kopla nahm ein Hörn,
Und Eyappa 'neu Stock.
Das Mädchen muß ein Kleidchen haben,
Und ich 'nen Löffel Mehl."
(Beginnt im Urtext:)
..Chemb, chenib. ehemb, yodet
Chembanda mandi duddi yedet
Manika mand mani yedet.'- —
Die Kinder der Golden, einem Tungusenstamm an der asiatischen Ost-
käste, spielen mit Vögeln aus Fischknochen und mit Puppen aus Fischhaut.
Ferner gehören zu ihren Spielsachen hölzerne Ratten oder andere kleine
Tiere aus Holz, karikierte russische Soldaten aus dem gleichen Material
u. a. ra. Die Karikaturen der russischen Soldaten sind nach Jdkdbsen- Genest
eiu Ausdruck der Abneigung, welche die Golden gegen die Russen hegen.
-298
Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Nicht-Indoeuropäern.
Mit selbstverfertigten Puppen (Agan) vergnügen sich die Töchterchen
■der Ostjaken. Statt des Kopfes haben die nach Landestracht in Pelz ge-
hüllten Puppen Enten- oder Schwanenschnäbel. Die Knaben unterhalten sich
mit Pfeil und Bogen. An der Soßwa und Sygwa verfertigt man den
Kindern auch andere kleine Werkzeuge sowie Hausgeräte zum Spielen. Ferner
■erwähnt Kondratowitsch von dort ein Spiel mit sechs Stäbchen, bei dem je
drei in einer Reihe in die Erde gesteckt werden. Die Knaben suchen dies«
Stäbchen aus einiger Entfernung mit Pfeilen zu treffen.
Fig. 333. Spielzeug.
Korea. China.
Katze und Maus. Ein Mensch im Kampf mit einem Tier.
Ein Akri'lut.
Kim- Pfeife.
Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Fig. 334. Killderspielzeug
Birma: Bewegliche Schlange. China: Bewegliche Eidechse.
Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Ball iiiid Würfel (Astragali)1) als Kinderspiel beiden Teke- Türkin ene n
fand der Chefarzt Heyfelder im Jahre 1881 in der erstürmten Festung G ök-
Tepe.
Eine Reihe angarischer Kinderspiele und Spielsachen hat Franz
von Odbnay mitgeteilt. Unter ihnen befinden sich Kreisel. Klucker and
Drachen, das Anschlagen mit Geld oder Knöpfen an die Wand (Anmauern).
das ..Eiertitschcii" < Kierspicken), das „Schulspiel mit acht Klassen" (indisches.
deutsches usw. Paradies- oder Himmel- und Höllespiel). Knallbüchsen, aus
]i Vgl. das vorige Kapitel.
§ 264. Nichtarische Inder und Uralaltaien. Ungarisch-schwäbische Vergleiche. 299
denen Wergpfropfen geschossen werden usw. Besonders erwähnenswert scheint
mir die Übereinstimmung gewisser ungarischer Spiele mit bayrisch -
schwäbischen Spielen bis zu deren kleinsten Einzelheiten. Hierhergehört
das „Schnapperl", wofür das bayrische Schwabenkind zwar keinen Namen
hat. es aber doch besitzt. Man nimmt hierzu die Hälfte einer Nußschale,
schneidet am Band einen kleinen Splitter heraus, spannt ein Zündhölzchen
oder sonst ein entsprechend kleines Stäbchen mittels eines Zwirnes derart
über die Hohlseite der Schale, daß das eine Ende des Hölzchens an der Kante
der Schale aufliegt, während man mit den Fingern auf das andere Ende
trommelt. —
Ein anderes Spiel, welches im bayrischen Schwaben und in Ungarn auf
die gleiche Weise gespielt wird, ist ein Papierspiel, ..Himmel und Hölle"
genannt1). Hierzu wird von einem quadratförmigen Stück Papier eine Hälfte
mit Tinte geschwärzt (Hölle): die andere bleibt weiß, worauf das Papier nach
bestimmten Regeln gefaltet wird.
Auch der gleichfalls aus Papier gefaltete Blasebalg hat einen Bruder
im bayrischen Schwaben, und das „Scherenspiel" weist nur den Unterschied
auf. daß das Schwabenkind sagt: „Schneider, leih' m*r dei Scher", während
das Bndapester Kind etwas höflicher erscheint mit dem Spruch:
„Bitt Frau Main (Muhme) leihn S'mir die Scher"-)." —
Das schwäbische Spiel ..Schau dich um. der Fuchs geht um"
findet sich bei den von Gabnay aufgeführten ungarischen Spielen
in veränderter Form, hat auch im ersten Teil seines Titels eine
Verneinung, d.h. dieser lautet: „Schau dich nicht um..." Der
Grund dieses Verbotes erklärt sich aus dem Laufe des Spiels: |
Der Budapester Fuchs drückt nämlich, indem er die Spielgefährten
umkreist, einem Knaben eine Karbatsche in die hinten gehalteneu Fig. 335. Eine
Hämle. womit dieser unversehens auf seine Nachbarn einhaut. — lu^weife zum
In Budapest kleiden Mädchen aus dem Volk abgenagte Mais- ^tenjn %^]\
kolben. oder stücke Brennholz, oder abgebrochene Zweige als ma. im Muse-
Puppen an: am Plattensee und im Arader und Pester Komitat kUndehiLe?i>-
veifertigen sie sich Puppen, indem sie im Sommer die roten ziK-
Blütenblätter des wilden Mohns von der Fruchtkapsel abwärts
streichen und mit einem Grashalm umwinden, wodurch oberhalb die Taille
und unterhalb der Bock. bzw. Unterleib, einer Puppenfigur entsteht. Das
Saniengehäusi' entspricht dem Kopfe. Manche zupfen die Staubfäden weg;
andere lassen sie als Spitzenkrause stehen, wie von Gabnay (nach Arnold Eutin
schreibt. Was nun diese Mohnpuppen betrifft, so werden sie von den
bayrischen Schwabenmägdlein im Illerthal ganz genau so hergestellt.
wie sie eben aus Ungarn geschildert worden sind. — (Über andere ungarische
Puppen primitivster Art siehe von Gabnay3), der seinem Text auch mehrere
Abbildungen beigefügt hat.)
Ein den lokalen Verhältnissen entsprungenes Spiel fand von Gabnay
in der ruthenischen Gemeinde Ljuta im Komitat Ung, nordöstliches Ungarn.
Hier stehen die Häuser fast alle an 2(S Nebenbächen der Ljutyanka. Da
bewaffnet sich denn eine Kinderschar mit 611 — 70 cm langen und 4—5 cm
dicken Holunderstäben, welche als Wasserspritzen dienen, teilen sich in zwei
feindliche Parteien und stellen sich an zwei Bächen auf. Abwechselnd stürzt
man daun aufeinander los, wobei man sich spritzt, und zieht sich wieder
zurück, um neue Munition (Wasser) zu holen.
') Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen, oben erwähnten, welches auch „Para-
diesspiel1' heißt.
*) Es handelt sich also um die Spiele deutseh sprechender Kinder.
») Im Glob. 81, 205 ff.
300 Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Xickt-Indoeuropäera.
Ferner machen sich die Kinder in Ljuta aus Weichholzschindeln Geigen
mit Saiten aus Hanfschnur, den Bogen aus einem mittels Roßhaar gebogenen
Stabe. Ferner binden sie eine Hanfschnur an einen Stock, schultern ihn und
exerzieren damit wie mit einem Gewehr.
Die Mädchen dieser Gemeinde halten sich ganz an die Spiele der Knaben,
haben nicht einmal Puppen.
Beinahe gar keine Kinderspiele fand von Gabnut/ in Tschornoholowa
an der Ljutyanka. —
Erwähnt sei hier ferner das ungarische Spiel „Räuber und Pandur".
welches auch unter den Titeln „Ungar und Österreicher", „Ungar und Türke",.
in neuerer Zeit ..Bur und Engländer" aufgeführt wird. Jeder will bei diesem
Spiel Ungar oder Bur, niemand Pandur, Österreicher, Türke oder Engländer
sein, so daß diese Truppe mit Gewalt zusammengebracht werden muß. Die
Räuber verstecken und verteidigen sich, die Panduren müssen sie auffinden
und fangen, worauf die Rollen vertauscht werden. Meistens nehmen die
Truppen einen Sandhaufen bei einem Neubau ein, wobei die einen Angreifer»
die andern Verteidiger sind.
Endlich sei hier noch eines ungarischen Reigentanzes gedacht, welcher
schon in der 2. Auflage dieses Werkes1) beschrieben wurde, und der wohl,
wie seine Seitenstücke im vorigen Kapitel, in die vorchristliche Zeit zurück-
zuführen ist. Dieser ungarische Reigen unterscheidet sich indessen von den
uns bisher bekannten dadurch, daß er nichj, zu jeder beliebigen Zeit, sondern
nur nach anhaltender Dürre aufgeführt wird. Er scheint den gleichen
Titel wie die dabei beteiligte Hauptperson zu führen, d. h. „Dodolo" (Regen-
mädchen), ist nach Floß in ganz Ungarn verbreitet, wird aber hauptsächlich
unter den dortigen Raizen und Rumänen, also unter der slawischen, bzw.
mit slawischen Elementen stark durchsetzten Bevölkerung aufgeführt. Er
verläuft folgenderweise: Ein armes Mädchen hüllt sich in grünes Reisig und
erscheint so in Begleitung einer oder mehrerer Spielgefährtinnen als ,,Dodolo"
im Hofe oder vor dem Hause eines Bauern, wo es singt: „Dodolo, Dodolo,
Dodolo!" Die Kinder der Umgebung sammeln sich und umtanzen das Mädchen
im Reigen mit dem eintönigen Gesang „Dodolo". Dann erscheint der Haus-
herr mit einem Eimer Wasser, den er dem Mädchen auf den Kopf oder grünen
Wighel gießt. Das Dodolo nimmt die Erfrischung mit Heiterkeit und lustigen
Sprüngen an. Das geschieht dreimal, und der Hausherr sendet dabei seine
Wünsche um Regen zum Himmel. Dann sammelt ein Mädchen der Umgebung1
bei den Hauseinwohnern Gaben: kleine Münzen. Eier, Kinn. Mehl, Schmalz.
Diese Geschenke werden von den armen Kindern mit nach Hause genommen
und geben gute Tage in den armen Hütten. Der Bauer aber hofft nun sicher
auf Regen2).
§ 2(55. Hyperboriier und Indianer.
Nach den bisherigen Mitteilungen über die Spielsachen der Kinder i>t
es fast selbstverständlich, daß auch zu jenen der Hyperboräer und Indianer
die Puppe gehört. Wir finden sie zunächst bei den Tschuktschen oder
Tschautschu im nordöstlichen Sibirien und bei den Eskimos. Die letzteren
schnitzen für ihre Töchterlein Puppen aus Walroßzähnen und bekleiden sie
mit Fellen3). Auch kleine Tierfiguren und lebende Hunde werden den Eskimo-
kindern zum Spielen gegeben. Die Hunde sollen in dieser Eigenschaft unter
der Grausamkeil ihrer kleinen Gebieter viel auszustehen haben. — Größere
II. 317.
- Krinni'it an die früher erwähnten altindischen Sturmgötter und an die als Regen-
götter gedachten verstorbenen Corakinder, noch mehr aber an die Regenpuppen des S; 286.
'i Floß (nach Bessels Polar-Expedition, S :J66).
§ 2^5. Eyperboräer und Indianer.
301
Kinder bauen spielend Schneehütten, welche sie mit einem Stück erbetenen
Lampendochts erleuchten, oder fahren auf ihren zierlichen Schlitten, welche
ihnen von ihrem Vater gemacht worden sind, wie Eivind Astrup, Pearys
Begleiter, am Smith-Sund sah. Hier sah Astrup auch ein Kinderspiel, das
dem norwegischen „Letztes Paar herbei" entspricht. Dazu bemerkte Astrup,
die „rührend süßen Knirpse" hätten sich bei ihren Spielen nie geschlagen und
sich nur in der mildesten Form gezankt. Schimpfworte gebe es unter diesen
Kindern nicht. —
Figur 336, ein ,.säugendes Weib", möge die Reihe der Spielsachen bei
Indianer-Kindern eröffnen. Sie ist zugleich
ein deutlicher Beweis dafür, daß die Kwakiul-
Indianer aus der Ernährung des Kindes an
der Mutterbrust vor dem Kind durchaus kein
Geheimnis machen. Das gleiche Sujet eines
Kinderspielzeugs sahen wir ja auch schon
früher bei den Chinesen in Kapitel XXXII.
Das Töchterlein der Flach kopf-
(Flathead-)Indianer spielt nicht minder als
das deutsche Mädchen Mama bei ihrer Puppe.
Diese muß geschaukelt und getragen werden
wie ein kleines lebendiges Kind, und des-
halb braucht die Puppe, wie das Indianerkind,
einen Tragapparat, eine sogenannte Indianer-
wiege, wie Fig. 337 zeigt.
In Sault de St. Marie im Norden
des Huronsees beobachtete Th. L. Ale
Kenney das folgende, von Chippeway-
Kindern beider Geschlechter ausgeführte Ball-
spiel, das sie bag-gat-iway nannten, und
welches Mc Kenney mit dem englischen bandy-
Spiel verglich. Wir, schreibt er, schlagen
den Ball mit einem Stöckchen, das an einem
der beiden Enden gebogen ist; sie haben
statt dieses gebogenen Endes ein ungefähr
zwei Zoll tiefes Täschchen aus Hirschleder-
riemen, welche ein netzförmiges Geflecht von
der doppelten Größe des Balls bilden. Mit
diesem Täschchen schlagen sie den im vollen
Lauf befindlichen Ball, fassen ihn geschickt
auf, und schleudern ihn über den Köpfen
weg, worauf die ganze Spielgruppe flink wie
der Wind ihm vorauszueilen sucht, um ihm
eine andere Richtung zu geben1).
Mit Tonpuppen spielten schon die Kinder
ausgestorbenen Moundbuilders in der Ohiogegend, südliche
Irokesen. Man fand solche in ihren Mounds oder Grabhügeln.
Die Maskoki-Indianerin läßt die von ihr angefertigte Puppe, ehe sie
ihrem Töchterlein gibt, sogar vom Schamanen weihen. Die Puppe wird
dann von dem Kinde sorgsam gepflegt, bei Tag herumgetragen, bei Nacht in
Wollendecken eingewickelt. — Außer den Puppen erwähnt A. Owen Hunde
als Lieblinge der Maskoki-Kinder, die für ihre Vierfüßler kämpfen und kräftig
heulen, wenn andere Hunde ihnen das Fressen wegnehmen wollen. Gewöhn-
der
der
sie
Fig. 330. Ein säugendes Weib als Einder-
spielzeug auf Hope Island. Kwakiul-
Indianer. Im K. Museum für Völker-
kunde in Berlin.
Zweige
') Eine Abbildung eines Kinderspielzeugs bei den Sioux brachte Kapitel XXXI.
302
Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Xieht-Iudoeuropäern.
lieh gelinge es deu Kindern, bei solchen Zusammenstößen die Hundsschüssel
vor den fremden Gästen in Sicherheit zu bringen.
Große Vorliebe der Kinder für Hunde fand Missionar von Murr auch
bei den Pirnas in Mexiko. Hier schleppten die Kinder den ganzen Tag
junge Hunde auf den Armen herum, küßten, drückten und fütterten sie. Jedes
besaß so einen Vierfüßler als persönliches Eigentum und war stolz auf ihn.
Fig. 337. Puppenwiege bei den Fiat he ad -In <li an ern in Montana. Im Museum I. K. H. Prinzessin
Thvrese ton Bayern.
Frederick Starr erwähnt „Naguales" als eines der merkwürdigsten
„Spielzeuge" der mexikanischen Kinder. -- „Naguales" kennen wir aus
Kapitel 111 (£ 34) und Kapitel V (§ 46) als mexikanische Schutzgeister und
Vampyre. Bei Starr handelt es sich aber um eine Figur, um ein künstliches
Bild des Nagual. welches nach der Auffassung dieses Wesens hergestellt wird,
und zwar als ein vierfiißiges. schwanzloses Tier1) mit Menschengesicht und
') Abbildungen hiervon gab Starr in seinem Catalogue. p. 28.
rige Kugel gedacht ist, wurde in § 4ti mitgeteilt.
Daß^der Xagual auch
§ 265. Hyperboräer und Indianer. 303-
wollenem Fell. Gewöhnlich stattet man es mit einer Art Kappe ans und gibt
ihm auf den Kücken die vermeintliche Beute, welche der Nagual aus einem.
Haus gestohlen haben soll. —
Von den Choctaw-Indianern am See Pontchartrain (Staat Louisiana)
erwähnt Bushneil ein Männern und Knaben früher gemeinsames Spiel,
welches darin bestand, daß sie mit verbundenen Augen über einen breiten
Fluß nach einem bestimmten Punkt schwammen. Bei einem anderen Spiel
rollten sie, in Decken oder Felle gebunden, einen Hügel oder die Bayouufer-
abhänge hinunter. Sieger war, wer zuerst eine bestimmte Linie erreichte1).
Von der indianischen Jugend in Oalifornien berichtete Powers mit einem
Hinweis auf deren Benehmen beim Spiel: „Sie verbringt den größten Teil des-
Tages mit Spielen, Jagen und Fischen. Es ist eine sehr bemerkenswerte
Eigenschaft des Indianers, daß er bei seinen Spielen keine Eifersucht kennt.
Stets findet man ihn beim' Spiel heiter, fröhlich und gut gelaunt. Niemals
vergessen die Knaben, daß das Spiel zur Erheiterung da ist, und niemals
haben die Schwachen unter dem Übermut der Starken, oder die Besiegten
unter der Erbitterung der Sieger zu leiden. Die rote Jugend kennt keine
Spielverderber."
Altperuanisches Spielzeug fanden Evu/i und Stiibel neben Kinder-
leichen auf dem Totenfeld von Ancon. Es waren Holzpuppen mit Wiegen
und eine kleine Tonfigur als Wickelkind2). Die letztere war auf ein Holz-
gestell gebunden.
Bei den Käua am oberen Aiary, nordwestliches Brasilien, sah Koch-
Grünberg Knaben Stelzen laufen, d. h. die Knaben hatten sich Stücke von
hohlem Ambaüvaholz oben zur Hälfte gespalten, mit Stricken an die Beine
gebunden und stolzierten so einher. — Ferner hatten die Knaben Knallbüchsen
aus Ambaüva-Bohr, wozu eiu glatter Stab und ein Pfropfen aus gekauter
Rinde kam. Vor dem Laden bliesen die Knaben heftig in das Rohr. —
Kleinere Knaben spielten oft mit einfachen Kreiseln und Brummkreiseln.
Jene bestanden aus einer runden Scheibe aus schwarzem Bienenwachs oder
aus gebranntem Ton, durch die ein Holzstäbchen getrieben war, und wurden
durch Quirlbewegungen mit beiden Händen zu 2 — 3 zusammen in einem großen
flachen Korb in Schwung gesetzt. Bei den Brummkreiseln war die Scheibe
durch eine hohle Tucumäfrucht mit einem Loch an der Seite ersetzt, wodurch
der Tou ermöglicht wurde. Den Gebrauch dieses Kreisels, sowie Faden- oder
Abhebespiele, ferner eine Reihe von Wachsfiguren, welche Knaben spielend
modellierten, hat uns Koch-Grünberg mit seinen Abbildungen 68, 69 und 70
im 2. Band seines Werkes „Zwei Jahre unter den Indianern" vor Augen
geführt3). Hier sei nur noch erwähnt, daß die Figuren der Fadenspiele
Namen wie „Bogen", „Mond", „Plejaden", „Gürteltier", „Spinne", „Raupe" usw.
hatten, und daß die Wachsfiguren Menschen und Tiere darstellen.
Bei den Kobeua am Rio Cuduiary spielen die kleinen Kinder mit
Bambusstäbchen. Das von Koch-Grünberg abgebildete4) Spielstäbcheu ist mit
einer hübschen Zeichnung verziert.
Von den Caraja-Kindern am Xingu und Araguay, zentrales Brasilien,
erwähnte von Koenigswald „allerlei" Spielzeug aus Holz und Federn, sowie
Tonpuppeu, welche von den Müttern hergestellt werden5).
J) Siehe auch die mit südamerikanischen Spielen verglichenen Spiele nordameri-
kaniseher Indianer gegen Schluß dieses Paragraphen.
2) Vgl. die Hülle des Säuglings im Inkareich, Bd. I, S. 232 und 245.
3) S. 119ff.
*) II. 150.
6) Vgl. auch Steffens: Die Iudianerpuppeiisammlung von Frau A. L. Dickermann.
Im Glob. 75, S. 354.
304 Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Xicht-Indoeuropäern.
Den Spielen der Indianerkinder in Guayana, südlich vom Orinoco,
hat F. im Thurn seine Aufmerksamkeit zugewandt. Das Spiel sei hier gleich-
bedeutend mit Erziehung. Als erstes Spielzeug der kleiueren Knaben nennt
F. im Thuni Pfeil, Bogen, Lötrohr (P)1) und anderes Handwerkszeug in
kleinem Format. Je grüßer dann der Knabe wird, desto grüßer auch sein
Spiel- oder vielmehr Handwerkszeug und seine Waffen.
Ebenso verhält es sich mit dem Mädchen. Dieses fertigt aus Lehm
kleines Kochgeschirr in der landesüblichen Form, flicht Körbchen, mit denen
es spielend Lasten trägt, fertigt Gestelle zum Anbringen von Hängematten,
kurz, tut spielend im kleinen, was ihr später im großen Pflicht ist.
Doch gibt es nach F. im Thurn in Guayana auch eine Art drama-
tischer Spiele, welche von Knaben und Jünglingen gemeinsam aufgeführt
werden und ihnen gewissermaßen das sind, was unserer Jugend Erzählungs-
bücher und Naturgeschichte.
Ein Spiel dieser Art, von der männlichen Macusi- Jugend der Savannahs
an den westlichen Abhängen der Pacaraima-Berge aufgeführt, stellt das
seltene und wichtige Ereignis einer Eeise zur nächsten Stadt, die hier zu
machenden Einkäufe und die Rückkehr zur Heimat dar. Um die Reise auf
einem langen, gut bemannten Boot zum Ausdruck zu bringen, hocken die
Knaben in einer langen Reihe so hintereinander, daß vom zweiten angefangen,
jeder seinen Vormann umfaßt. Dieses lebendige Fahrzeug bewegt sich ab-
wechselnd vorwärts rollend und nach beiden Seiten schwankend, wozu die
Knabeu ihre Füße und Beine in entsprechender Weise gebrauchen. (F. im
Thurn hat dieses Spiel und die folgenden Tierspiele illustriert.) Unterdessen
treten zwei andere Spieler auf, welche die Daheimgebliebenen daisteilen, er-
fassen der Reihe nach jeden der Reisenden bei einem Fuß. und der Eigentümer des
Fußes hat für jede Zehe einen Gegenstand zu nennen, den er kaufen und heimbrin-
gen soll, z. B. ein Rasiermesser, eine Fliute, ein Kleid, Haarül. einen Zylinder usw.
Je reicher sich dabei die Phantasie entwickelt, desto lauter erschallt das
Gelächter der Zuschauer. Die Rückreise in die Heimat muß viele Hindernisse,
darunter einen Sturm überwinden, welcher dadurch versinnbildet wird, daß
ein „Daheimgebliebener" das lebendige Boot mit einer Stange auf die Seite
und zu Boden drückt.
Dann soll dargestellt weiden, wie Kanoe und Waren über Land getragen
werden. Die beiden „daheim gebliebenen" Spieler halten deshalb ihre Stange
horizontal über je einen der auf dem Boden liegenden Reisenden, welcher
sich mit Fingern und Zehen daran klammert, so fortgetragen und an einem
andern Platz, abermals längsgestreckt, auf den Rücken gelegt wird. Ein
drittes Hindernis auf Reisen ist in der trockenen Jahreszeit das seichte .Strom-
bett mit seinen Felsblöcken. Das wird dramatisiert, indem die beiden „Daheim-
gebliebenen" im schnellen Lauf zwischen den Beinen der dicht nebeneinander-
liegenden Reisenden durch-, oder vielmehr hinüberzukommen suchen, was diese
durch Strampeln möglichst erschweren. - Kie Kanoes stoßen aber auch ofl
auf gefallene Bäume und diese müssen aus dem Wasserweg entfernt werden,
soll die Fahrt weitergehen. Die beiden Burschen heben also ihre sich steif-
haltenden Spielkameraden mit dem Kopf von der Erde auf und stellen sie auf
die Füße. - Um endlich den Weg eines Kanoes durch einen von Bäumen
überwölbten Wasserarm zu bezeichnen, stellen sich die Spielenden auf alle
Viere, einer dicht neben dem andern, und der Beihe nach schlüpft jeder von
einem Ende der Reihe zum andern durch, wo er wieder die Stellung der
andern annimmt, so daß der letzte dieselbe Länge durchzukriechen hat wie
der erste.
') Blow-pipe.
§ 265. Hyperboräer und Indianer.
305
Andere, gleichfalls sehr interessante Spiele der Guayana-Jugend, speziell
der Macusi, schildert F. im Thurn als Jaguar-Spiel oder kaikoosi, in welchem
ein den Jaguar vorstellender Bursche stets den letzten der Spielerreihe
packt, bis ihm alle zum Opfer gefallen sind.
In einem Affenspiel ahmen die Knaben die Behendigkeit dieser Tiere,
ihre Gesten, ihr Zähneflet sehen und Schleien bei unliebsamen Überraschungen .
oder überhaupt im Zustand der Gereiztheit nach.
In einem andern Spiel wieder wird ein Schwann Enten dramatisiert,
der, durch die führende Ente
vor einer Gefahr gewarnt,
pfeifend in gerader Linie vor-
und rückwärts fliegt.
Oder ein Ameisenfres-
ser holt sieh unter einer Schar
Ameisen seinen Schmaus; oder
ein Habicht schießt auf eine
junge Brut und holt ein Küch-
lein nach dem andern; oder
ein Schwärm Insekten be-
lästigt einen Affen, dem end-
lich die Geduld ausgeht, wo-
rauf er einem nach dem andern
den Garaus macht.
Das uns von der alten
AVeit her bereits wohlbekannte
Astragali-Spiel findet sich
auch in der neuen \Yelt. und
zwar in Argentinien, wo
es als „Taba" gespielt wird
(Boman). Ein sehr ähn-
liches Spiel sei den nord-
amerikanischen P a p a go s
bekannt. Ob die beiden auf
spanischen Einfluß zuriiekführ-
bar sind, scheint noch zweifel-
haft zu sein.
Von den Chane am Rio
Parapiti im Chaco er-
wähnt Erland NorctensMöld
zwei Spiele, die sich gleich-
falls in Nordamerika wieder-
finden, und welcheNordensMöld
folgenderweise beschreibt: Das
erste heißt Söuki, ist ein Knabenspiel und wird mit Maiskolben p feilen
gespielt. Zuerst wirft ein Knabe seinen Pfeil 2 — 3 m vor sich auf die Erde.
Dann sucht der zweite seinen Pfeil jenem möglichst nahe zu werfen. Kommt
er eine Handspanne oder noch näher an ihn heran, so wird ihm ein Strich
auf die Erde gemacht, d. h. er gewinnt ein Auge. AVer zuerst sechs Striche
hat. während der andere keinen besitzt, hat gewonnen. Nur jene Augen zählen,
welche der eine mehr hat als der andere.
Ballspiele, von Knaben allein ausgeführt, erwähnt Nordenskiöld von
den Chiriguano; vom männlichen Geschlecht aller Altersstufen: bei den
Choroti, Asluslay, Toba, Tapiete und Mataco (sämtlich im Gran
Chaco). Bei diesen Spielen bedient man sich, je nachdem sie von Knaben
Floß-Rene. Das Kind. 3. Aufl. Band II. 20
Fig. 33S. Rassel aus Hirschhufen bei den Toha-Indianern,
Argen tinischer Chaco. Dient bei religiösen Gesängen, aber
auch als Spielzeug der Kinder; letzteres jedoch nie im Chaco
Boreal. Im Museum I. K. H. Prinzessin Therese von Bayern.
306 Kapitel XL. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Nicbt-Indoeuropäem.
oder Männern ausgeführt werden, kürzerer oder längerer Spielkeulen, oder
einer Art Kacket, oder des Blattstiels einer Palme. Das Spiel beginnt, indem
der Ball zwischen die Spielenden geworfen wird, die ihn dann in das Mal des-
Gegners, regelmäßig ans ringförmig in den Boden gesteckten Zweigen, oder
in einem Loch bestehend, hineinzubekommen suchen. Dieses Ballspiel, welches
in Südamerika nur im Chaco bekannt sei, habe Culin in Nordamerika bei
vielen Stämmen gefunden. Ferner berichtet Nordenskiöld ..Buzz" und „Bean-
shooter' als Spiele, die sowohl in Nordamerika wie im Chaco und bei den
Yuracar e gefunden werden, welche mit den Chac o s vieles gemeinsam hätten.
Die Bean-shooter sind eine Art Flinte, welche z. B. von den Chane-Knaben
mit Fruchtkernen geladen werden; die „Buzz", von den Chane „Mou-mou"
genannt, bestehen aus einer Scheibe au einer Fadenschleife, welche einen
summenden Ton (mou-mou) von sich gibt, wenn sie durch das Drehen der
Fäden in schwingende Bewegung versetzt wird. Nordenskiöld bezieht die
Gleichheit dieser Spielsachen auf einen früher bedeutenden kulturellen Aus-
tausch zwischen Nord- und Südamerika zurück. Stelzen. Kreisel und
Seh wirr holz kommen nicht nur im Chaco. sondern auch in andern Teilen
Südamerikas vor. —
Kapitel XL1.
Kleidung-, Schmuck und Haartracht des
heranwachsenden Kindes 1}.
§ 21)6. Wenn wir die Bräuche der §§ 2H7 und 268 überblicken, so
sehen wir, daß nur eine verschwindende Minderheit der hier erwähnten Völker
ihre Kinder in deren ersten Lebensjahren bekleidet. Ist das Kind imstande,
zu gehen, ist es also der Hülle ledig, in welcher es als Säugling gewisser-
maßen an seine Mutter gebunden war, dann läuft es bei den weitaus meisten
Völkern nackt herum, wenn nicht die Winterkälte zur Bedeckung zwingt.
Sogar im alten Ägypten und bei den kulturell gleichfalls hochstehenden Mayas,
Hindus. Arabern und Chinesen gingen bzw. gehen die Kinder teils aller, teils
nur der ärmeren Klassen der Bevölkerung bis zu einem gewissen Alter völlig
unbekleidet, insoweit eben, wie gesagt, nicht das Klima sie zeitweise zur
Bedeckung zwingt.
Welche Motive die vornehmen Klassen der alten Ägypter, der Hindus,
Chinesen und Araber, aber auch der Dualla-Neger zur dauernden Bekleidung
ihrer Kinder bewegten, geht aus den mir vorliegenden Mitteilungen nicht hervor.
Sittlichkeit dürfte es kaum sein; denn hätten z. B. die Vornehmen unter
den alten Ägyptern in der Blöße der Kinder eine sittliche Gefahr gefürchtet,
so hätten sie die ärmere Bevölkerung wohl gezwungen, wenigstens die Scham-
teile zu bedecken. Ein Lappen oder ein Blatt hätte genügt. Vielmehr
dürfte das ästhetische und hygienische Moment in diesen Gesellschafts-
klassen hierfür maßgebend gewesen sein '-'). Nachgewiesen sind gesundheitliche
Rücksichten eo ipso bei jenen Völkern und Klassen einer Bevölkerung, welche
ihre Kinder nur zur warmen Jahreszeit oder innerhalb der erwärmten
Wohnung nackt gehen lassen, sie aber außerhalb des Hauses gegen die Kälte
mit mehr oder weniger wirksamen Mitteln, vom armseligen Lappen angefangen
bis zu mehrfachen Pelzen hinauf, schützen. Hierher gehören die Batak auf
Sumatra und die arme Bevölkerung Chinas; ferner in Hinterindien die Tongki-
nesen und Thai; in Sibirien die Burjäten und Tschuktschen; dann die Ainos
und Carrier-Indianer.
Die Zeitdauer der Nacktheit, sei sie durch die Rauheit des Winters
unterbrochen oder nicht, ist bei den verschiedenen Völkern verschieden: Bei
manchen sind es drei Jahre; bei anderen ein, wieder bei anderen fünf, sechs,
sieben Jahre usw. bis zur Pubertät.
!) Vgl. Kap. XII und XXXV sowie jene Illustrationen des 1. und 2. Bandes, welche
Kinder mit oder ohne Kleidung und Schmuck aufweisen. Auch deren Haarfrisuren mögen
beachtet werden.
*) Vgl. die Eingebornen auf Kuba und den Bahama-Inseln in § 268, bei denen
der ästhetische Zweck der einzig maßgebende zur Bekleidung gewesen zu sein scheint.
20*
308 Kapitel XLT. Kleidung, Schmuck und Haarfracht des heranwachsenden Kindes.
Vom Eintritt der Pubertät an werden bei den weitaus meisten
Völkern1) wenigstens die Geschlechtsteile verhüllt. Das dürfte ein
Wahrscheinlichkeitsbeweis dafür sein, daß die Verhüllung der Geschlechtsteile
bzw. die Kleidung trotz mancher gegenteiligen Behauptung im allgemeinen
doch sittliche Gründe und Zwecke hat. Die Mehrzahl der Völker scheint
eben den Anblick der entwickelten Geschlechtsorgane in der
Öffentlichkeit vermeiden zu wollen, wie sie ja auch den ehelichen Akt
der Öffentlichkeit entzieht. Völker, bei welchen weder diese noch jene
Diskretion zu finden ist. sind meines Wissens Ausnahmen. Allerdings ist die
Verhüllung der Genitalien bei manchen Völkern derart, daß die Ansicht des
einen oder anderen Forschers, es handle sich hier eher um ein Hervorheben,
als um ein Verbergen, eine gewisse Berechtigung hat. Ob es sich in solchen
Fällen um sogenannte Urvölker, oder um kulturell gesunkene Völker handelt,
kann hier nicht entschieden werden. Das gleiche gilt für Völker, die gar
keine Bedeckung gebrauchen und selbstverständlich auch die heranwachsende
Generation zeitlebens ohne eine solche lassen. Mehr als ein Forscher hat
persönlich erfahren, daß gereichte Kleidungsstücke bei solchen Menschenkindern
an ganz anderen Teilen ihres Körpers als auf den Geschlechtsteilen Verwen-
dung fanden, ein Beweis, daß hier ein Schamgefühl in unserem Sinne nicht
vorhanden war2).
Früher, als mit Kleidungsstücken, behängen die meisten Völker ihre
Kinder mit Schmuck im engeren Sinne. .Auch das sonst ganz nackte Kind
trägt bei ihnen schon einen Gegenstand an sich, der nach der Auffassung
seines Volkes schön oder kostbar ist. oder die Schönheit des Kindes hervor-
hebt, oder alle diese Bullen zugleich spielt. Die allgemeine Kulturstufe eines
Volkes nach unserem ästhetischen Empfinden seines Kinderschmuckes zu
beurteilen, ist nicht angängig. Denn das mit Ketten und Spangen behängte
kleine Hindumädchen und das noch schwerer belastete Töchterchen des nord-
afrikanischen Sultans Mukni befriedigen unseren ästhetischen Sinn weit
weniger als die schlichte Reihe Glasperlen am Hals der kulturell tiefer stehenden
Völker des deutsch-ostafrikanischen Makonde-Plateaus. Merkwürdig ist auch
der Kontrast zwischen dem mit Zierat überladenen Chinesenmädchen und der
schlicht und doch zierlich gekleideten kleinen Japanerin, wenn wir von
„Ehrenwachen" der Halbweltdamen absehen. Der allgemeine Kulturstand
beider Völker zeigte aber wenigstens noch vor wenigen Jahrzehnten, d. h. in
der Zeit der noch allgemeinen ,.altjapanischen" Nationaltracht, solch tiefgehende
Unterschiede nicht. -- Der Schönheitssinn der Völker scheint eben oft, abseits
vom übrigen Kulturgrad, seine eigenen Wege zu gehen.
Andere Leitgedanken für dieses Kapitel dürften wegen des leichten Über-
blickes über die §§ 269 und 270, bzw. wegen des noch recht mangelhaften
Materials, nicht erforderlich sein. —
§ 267. Die Kleidung des heranwachsenden Kindes bei Indoeuropäern,
Semiten, Hamiten, Sudan- und Bantnvölhern, Buschleuten
und Hottentotten.
Die Hindumädchen der ärmeren Klassen gehen meist nackt, schrieb
seinerzeit Wilhelm Hoff'mann.
Von Ceylon berichtet in neuester Zeit (1<)08) Aldobrandino Malvezzi:
In den Straßen Colombos scharen sich nackte Kinder um den Fremden und
') Ich vorstehe darunter nicht nur die in diesem Knpitel angeführten, sondern die
Völker im ganzen genommen.
'i Dafür schämten sich solche Menschen aber nicht selten über Dinge, Zustände und
Verhältnisse, welche unser Schamgefühl völlig unberührt lassen.
§ 267. Die Kleidung des heranwachsenden Kindes bei Indoeuropäern, Semiten usw. 309
bieten Blumen und wohlriechende Zimmetzweige zum Verkaufe an. Darunter
sah Malvezzi Mädchen, die als einziges Kleidungsstück ein um die Taille
laufendes Kettchen mit einem silbernen Blatt trugen1).
In den Dörfern Farsistans, südwestliches Persien, gehen die Kinder,
selbst im Winter, völlig nackt. Nur der Kopf wird, nach Art der Weiberköpfe,
mit einer schweren Last von Lumpen, Glasperlen und Amuletten behängt.
Die gesetzlich vorgeschriebene Kleidung der spartanischen Knaben
bis zum 12. Jahre bestand, schon aus Abhärtungsgründen, für Sommer und
Winter nur in einem Kuck (/ltujv), zu dem vom 12. Jahr an ein kurzer Mantel
(■:pi|5tuv) kam. der ein Jahr lang halten mußte. Kopf und Füße waren unbe-
deckt (Wuehsmuth).
Ebenso primitiv sind heutzutage noch die Kinder der Ruthenen in
Ljuta, Komitat Ung, gekleidet, von denen Franz von Oabnay schreibt: Sie
tragen bis zu ihrem sechsten Lebensjahre nur ein hausgewobenes starkes
Hemd, und kommt dieses einmal in die Wäsche,
so laufen sie, bis es wieder trocken, ganz nackt
herum. Im Winter müssen sie sich in diesem
Falle auf das Haus beschränken. Das Hemd wird
auch nicht nach den verschiedenen Größen an-
gefertigt sondern ist vielmehr dem Kleinen an-
fangs so lang, daß es stolpert; später wächst das
Kind hinein, und noch später wächst es heraus.
Werden die Kinder schulpflichtig, dann ist es oft
Mangel an Kleidung, was ihre vielen Schul-
ver>;mmnisse erklärt. Oft haben 6 — 7 Schul-
kinder nur eine gemeinschaftliche Jacke, sehr
selten auch Botschkoren, d. h. eine Fußbekleidung
aus Leder, mit Riemen zusammengezogen.
Lane schrieb von den Arabern der mittleren
und höheren Stände des arabischen Ober-
ägypten, daß sie ihre Kinder nach Art der Er-
wachsenen kleideten. Die Kinder der ärmeren
Bevölkerung trugen ein Hemd und eine baum-
wollene Mütze oder einen Turban, wenn sie nicht
bis zu sechs oder mehr .fahren überhaupt nackt
gingen. Letzteres war der Brauch in den Dörfern.
Kleine Mädchen, die nicht so viel Stoff hatten,
um Kopf und Rumpf zu bedecken, zogen es vor, nur den ersteren zu ver-
hüllen; sie waren manchmal auch kokett genug, einen Teil jenes Stoffes als
Schleier über das Gesicht zu ziehen, wenngleich der Rumpf ganz nackt war.
Vier- und fünfjährige Dämchen trugen meist, wie ihre Mütter, einen weißen
Gesichtsschleier.
Maurische Kindertrachten zeigt uns Fig. 339.
Nackt gingen meistens die heranwachsenden Kinder der niederen Stände
im alten Ägypten. Ebenso fehlte ihnen Fußbekleidung. Die vornehmeren
waren vielfach nach Art der Erwachsenen gekleidet, d. h. sie trugen ein bis
zu den Knöcheln reichendes Gewand und Sandalen.
Viele Kinder der Fellah, Nachkommen der alten Ägypter, tragen bis
zum 7., andere bis zum 10. Lebensjahr nichts anderes als eine Schnur aus
den Fasern der Dattelpalme um die Hüften.
Die Kinder der Barabra am Nil gehen bis zum 5. oder 6. Lebensjahr,
auch noch länger, nackt (R. Hartnnmri).
Fig. 33«. Maurische Kinder aus
Algier. Im K. Museum für Völker-
kunde in München.
l) Vgl. Fig. 259 in Kap. XXXIV,
310 -Kapitel Xlif. Kleidung, Schmuck und Haartracht des heranwachsenden Kindes.
den
Auch die Lega-Galla am oberen Nil lassen ihre Kinder bis hinauf zu
heiratsfähigen Töchtern völlig nackt gehen, während die benachbarten
Koma-Neger ihre Töchterlein
männliche Geschlecht verachtet
riert es sich mit Baumwollstoff
Bis zum 8. Jahr gehen
{Saggenmacher).
Einen Kabylen -Knaben
Kindl. mit Mantelkragen, losem
stellte uns M. Schönhärl in der
im zartesten Alter züchtig verhüllen. Das
aber auch da jede Kleidung; höchstens deko-
die Schultern (Schuver).
ferner die Kinder der Somäl anbekleidet
mit zurückgestülpter Kapuze ä la Münchner
weitem Untergewand und nackten Füßen
„Völkerschau" vor. Die von ihm aufge-
Fig. 340. Hüftschnur für Mäd-
chen aus einer Schlangen Wirbel-
säule aus Os t- Käbure , To^o.
1 im Museum für Völkerkunde in
, Leipzig.
Fig. 341. Schamgürte] für
Mädchen : aus Leder mit Kann
besetzi. fahle. Im Museum
für Völkerkunde in Leipzig.
nommenen kleineren Kinder tragen Henidchen; eins hat auch eine Mütze auf
dem Kopf ').
Bei den Negern der Goldküste tragen die Mädchen bis zu 5 oder 6
Jahren ein Lendentüchlein; doch sieht man auch noch 12 — 18jährige so be-
kleidet (//. Vortisch).
Die Kinder der Bassari, Deutsch -Togo, laufen vollkommen nackt
umher, berichtet H. Klose.
Die Kinder der Adelibevölkerung im Togohinterlande laufen nackt,
oder mit einer Perlenschnur bekleidet, herum, und auch die größereu Mädchen
begnügen sich mit dem „ogo", einem schmalen Zeugstreifen, der vorn über
die Hüftenschnur ans Perlen hängt und hinten mit ihr verknotet ist. daß die
Enden „kokett" herabhängen. Die beliebteste Farbe des ,.ogo" ist rot.
Die Kinder der Ephe-Neger gehen in den nordwestlichen Grenzbezirkeu,
wo es infolge fremder Elemente mit der Ehrbarkeit schlecht bestellt sei,
') Bd. III. München L904. S. 133, 14of. u. 155.
ij 267. Die Kleidung des heranwachsenden Kindes bei Indoeuropäern, Semiten usw.
311
durchweg' nackt'), während tiefer landeinwärts nur einzelne Kinder bis zu
4 oder 5 Jahren ohne alle Bekleidung umherlaufen (H. Seidel und Senrid).
Bei den Dualla gehen nach der Beschneidung, die im 4. oder 5. Jahre
stattfindet, alle Knaben mit einem Lendentuch bekleidet, während vorher nur
einzelne, günstiger situierte Knaben im Besitz eines solchen sind (Pauli).
Die zu den Fangvölkern2) gehörigen Yaunde in Kamerun lassen ihre
Kinder bis zu G oder 8 Jahren völlig nackt. Dann bedecken sich die
Mädchen die Scham mit einem dreieckigen Stück Pisangblatt und legen einen
Lendengürtel an. an dem ein starker Büschel zerschlitzter Pisangblätter, oder
junger Blätter der Weinpalme wie ein gestutzter Pferdeschweif rückwärts
hinunterhängt. Er ist teils rot. teils schwarz gefärbt (Zenker).
<>. Lenz schrieb von den Fan(g), daß sie ihre Kinder bereits in einem
Alter von 5 — G Jahren etwas bedecken.
Hingegen sollen in mehreren Bergdörfern der afrikanischen West-
küste nur die älteren Männer und Weiber Lendenschürzen tragen, alles
1 .'. Kimlerhm aus
Strou. Togo. 1 m Mu-
seum für Völkerkunde
in Leipzig.
Fig. 343. Hiuissa-Kiiider"). Dittie pliot. Im
Museum für Völkerkunde in Leipzig.
andere in „Adamskostüm" gehen. Unter 15 Jahren sei niemand bekleidet,
schreibt Jan Palawertrommel- Greestemünde, welcher einer besonders zutrau-
lichen Scheinen ein seidenes Tuch schenkte, damit sie sich einen Lendenschurz
daraus mache. Sie band sich das Tuch aber um den Hals.
Die Knaben der Herero bekommen vom 3. Jahr ab einen kleinen
Hüftenschurz; später nehmen sie die Kleidung der Männer an. Die Mädchen
werfen ein in Fett getränktes Ochsenfell togaartig über die linke Schulter
und knüpfen es zwischen den Brüsten zusammen. Um die Hüften ist ein
Gürtel mit herabhängenden Ochsenriemen, dicht aneinander gesetzt, geschlungen.
Die hintere Partie der Hüften ist frei.
Bei den Bergdamara, die sich selbst „Haukoin", d.h. ..Menschen" oder
,. wahre Menschen-' nennen, besteht die Kleidung der Kinder meist aus einein
kleinen Lappen als Ynrderschurz. Später kommt ein mehr oder weniger
vollständiger Hinterschurz dazu.
Aus dem Südosten von Deutsch-Ostafrika hat Weide uns mit ver-
schiedenen Kindertrachten in Bildern bekannt gemacht. Von zwei Matambwe-
i) Hier wird also Nacktheit im Zusammenhang mit sittlicher Verkommenheit berichtet.
*) Mach Scobel ist der französische Kongo der Hanptsitz der Fang-Völker.
"5 Die Haussa sind ein mit Fulbeblut stark gemischtes Negervolk im inneren Westsudan.
319 Kapitel XL1. Kleidung, Schmuck und Haartracht de'; heranwachsenden Kindes.
Kindein ist das eine zirka 3 Jahre alt. nackt, das andere, vielleicht fünf-
jährige, hat bereits einen Schamfleck umgebunden. In einer Gruppe von sechs
Makon de- Kindern haben fünf je ein Tuch um die Hüften geschlagen, welches
bis unter die Kniee reicht:
Fig. 344. Negerniadcuen vom untern
Kongo. Im Museum für Völkerkunde in
Leipzig.
das sechste, vielleicht ein Mädchen, trägt ein
hemdartiges Gewand mit Ärmeln, welches die
Figur vom Hals bis gleichfalls unter die Kniee
bedeckt. Weide führt uns auch einen dick-
bauchigen Knaben vor, dessen einzige Be-
kleidung ein zirka 2 cm breites Hüftentuch
ist. Von seinen „drei Vegetariern" vom Makua-
Stamm scheint der mittlere und zugleich größte
der drei Knaben noch weniger Bedürfnis nach
Verhüllung zu haben. Unter der um den
Phonographen sich scharenden Menge [Weide
S. 385) ist dann wieder ein völlig nacktes
I Kind von zirka 3 Jahren.
Ein Lendenschurz aus Bastschnüren für
Knaben ans Deutsch-Ostafrika ist auf Ab-
bildung 279, Kap. XXXVII. zu sehen. —
Aus Lukuledi an der Küste schrieb
Wehrmeister: Die Bekleidung der Kinder ist
sehr einfaah und oft mangelhaft, Xach dem
3. Jahr wird ein Stückchen vom abgetragenen
Kleid des Vaters oder der Mutter abgerissen,
um dem kleinen Knaben als Kleidungsstück zu
dienen. Das Mädchen bekommt von der Mutter
schon früher ein Stück Zeug um den Leib,
das an einer Perlenschnur befestigt ist1).
Aus Peramiho, Post Sougea. im Innern
des südlichen
Deutsch - Ost-
afrika, lautet
eine briefliche Mitteilung des Missionars F. Hai 'irr:
Zur Zeit, wenn die Kinder das Gehen lernen, läßt
man sie noch ganz nackt; höchstens daß ihnen eine
Schnur oder ein Band aus (ilasperlen um die Hüfte
gebunden wird. Die Mädchen tragen dieses Band
am Hals. Auch dann, wenn die Kinder schon
so weit sind, daß sie mit ihren Altersgenossen
tagelang nach Gutdünken umherstreichen, ist ihre
Kleidung meist so mangelhaft, daß kaum das
Geschlechtsglied bedeckt ist. Dieser Mangel ist
schuld, daß die Kinder vielen Krankheiten, nament-
lich Erkältungen, ausgesetzt sind, die zur Regen-
zeit oft tödlich verlaufen.
Einen Schurz als einzige Bekleidung der
deutsch -ostafrikanischen Wasagara-Kinder er-
wähnte Andree.
Ein Gesäßschurz istnachJBernnarm dieeinzige
Bekleidung bis zum mannbaren Alter der YVagogo,
ein deutsch-ostafrikanischer Bantu-Stamm nörd-
lich und nordwestlich von den Wasagara.
Fig. 34n. Kinder aus Deutsch -Ost-
afrika. Mission der Vater vom hl.
Geist.
■i über Schmuck siehe § 269.
§268. Die Kleiduug des heranwachs. Kindes bei malayisch-polynesischen Völkern usw. 313
Die AV a h im a- Kinder in Mpororo an der Nordwestecke von Deutsch-
Ostafrika tragen bis zu fünf oder sechs Jahren keine Kleidung; nach dieser
Zeit ein kleines Fell oder einen Zeugstreifen, wie Weiß schreibt. — NiJco. Fisch
berichtet von den Bahima1) und Baziba"-') in Kiziba, daß ihre Kinder
beiderlei Geschlechtes bis zu zehn Jahren nackt herumlaufen, und nach
Hermann Fabry lassen die Wapogoro ihre Kinder bis zu zirka vier Jahren'
unbekleidet; höchstens legen sie ihnen eine Hüftschnur um.
Ein PerlenÜeck ist in den ersten Jahren das einzige Kleidungsstück des
Zulu-Knaben in Natal. Erst achtjährig vertauscht er ihn mit einer aus-
giebigen Bedeckung, dem „umutsha", welches um die Lenden gehängt wird
und aus einem Hinter- und einem Vorderteil besteht. Das Hinterteil, ibetshu
genannt, ist ein viereckiger Fleck aus Ziegenfell; das Vorderteil, isenene, ein
Bündel Schafschwänze oder Riemen aus Ziegenleder. Die Mädchen tragen bis
zum Eintritt der Reife einen Fransengürtel mit Perlenrand, isiheshe genannt,,
oder die „umayidika" mit Perlenfransen. Mit eintretender Reife folgt eine
ausgiebigere Bekleidung.
In der 2. Auflage hatte Floß als Bekleidung der Kaffer-Kinder beider
Geschlechter (Stämme wurden nicht angegeben) ein Stück gefärbter und be-
malter Haut erwähnt, das nicht ganz bis an die Kniee reichte. Statt diesem
gebe es auch einen Schurz aus schmalen Lederstreifen.
Die Auin-Buschleute bekleiden ihre Töchter etwa im fünften Jahr
mit Schamschürze und Mantel; ihre Söhne mit Schamlappen und Mantel.
Bei den Nama-Hottentotten geht das Mädchen bis zur ersten
Menstruation völlig nackt. —
§ 268. Die Kleidung des heranwachsenden Kindes bei malayisch-poly-
uesischeu Völkern, Japanern, Koreanern und Völkern mit isolierenden
Sprachen, sowie bei niehtarischen Indern, Urnl-A Union, Hyperboräern
und Indianern.
Von den Batak auf Sumatra berichtete Frh. von Brenner, daß sie ihre
Kinder etwa bis zum siebenten Jahr nackt lassen. Kleider sind während
dieser Zeit nur dann und wann zum Schutz gegen die Kälte im Gebrauch.
Auch auf der Sunda-Insel Flores laufen die größeren Kinder ge-
wöhnlich noch ebenso nackt umher wie die kleinen.
In Holländisch-Neuguinea gehen beide Geschlechter etwa bis zum
6. Jahre nackt, worauf das Mädchen einen Schurz oder Kattun-Sarong, der
Knabe eine Tapabinde erhält.
In Britisch-Neuguinea erhalten die Mädchen ihr erstes Kleidungs-
stück, einen Schurz, im 4. Jahr, die Knaben gewöhnlich erst im achten.
Die Kinder der Tauata auf der Yule-Insel (Britisch-Neuguinea)
gehen bis zum 12. oder 13. Jahre wie die Natur sie geschaffen hat. Aber
auch dann verdient, was sie umhängen, nicht den Namen Kleid. F. V. Jf,
Egidi berichtet nämlich, daß die Frauen bis zu wohl vorgerückten Jahren
sich mit einem 1 cm breiten Stoffstückchen begnügen. Die Männer tragen
zwei Flecke in der Größe einer halben Kokosnuß, von denen der eine nach
vorn, der andere nach hinten zu hängen kommt. Ein aus feinem Bindfaden
gestrickter Gürtel hält sie zusammen. Nur außerhalb ihres Dorfes tragen die
Frauen einen gestrickten Sack, der ihnen rückwärts (?) vom Kopf bis zu den
Knieen herabfallt. Begegnet ihnen ein Fremder, dann ziehen sie ihn nach
vorn, um sich zu bedecken.
'i Wohl nur andere Schreibweise für Wahima(?). Fisch zählt die Bahima allerdings
zu den Semiten; nach Weiß sind die Wahima Hamiten.
2) Nach Fisch sind die Baziba Neger.
314 Kapitel XLL Kleidung, Schmuck und Haartracht dec heranwachsenden Kindes.
Auf Nauru erhalten die Kinder ihr erstes Kleidungsstück, ein Palm-
röckchen, im 6. oder 7. Lebensjahr. Nach Eintritt der Pubertät kommt zu
diesem ersten Röckehen ein zweites von dem gleichen Material. Durch die
Missionäre werden jetzt solche Röckchen teilweise durch Kattunkleider ersetzt.
Nackt seht ferner die heranwachsende Jugend auch bei jenen Völkern,
bei welchen die Erwachsenen völlig nackt sind, z. B. bei dem Ost-Stamm
der Gazellen-Halbinsel im Bismarck-Archipel, wo beim Eintreffen der ersten
Fig. 346. Ualayenmädchen. Im K. Ethnographischen Muteuui in München.
Weißen Schürzen aus Plättern oder Blattfasern nur beim Tanzen umgelegl
wurden, und wo sonst nur noch die Säuglinge von ihren Müttern in einem
Basttuch herumgetragen wurden.
Ken Kindern auf Tahiti genügt (wie den dortigen Männern) ein Hemd.
oft nur ein Lendengurt, als Bekleidung.
Aul Samoa besteht die Kleidung der Knaben und Mädchen bis zu elf
oder zwölf Jahren in einem Lendentuche, welches bei Knaben vorn, bei Mädchen
an der linken Seite gebunden wird1).
'i Kleinere Kinder ^ehen auch nackt.
§ 268. Die Kleidung des heranwachs. Kindes bei malayisch-polynesiscben Völkern usw. 315
Unbekleidet sitzt die kleine Ballandella anf Abbildung' 347 im Nacken ihrer
gleichfalls völlig nackten Mutter Turandurey, einer Australierin am Lachlan.
■
Fi? 317. Eine Australierin (Turandurey) am Lachlan mit ihrem Töchterlein (Ballandella). Aus
T. L Mitchells „Three Expeditione into the Iuterior of Eastern Austialia". London 1838, Vol. II.
Das Kind des Japaners wird mit vier Jahren nach Art der Erwachsenen
bekleidet. Die Söhne der Samurai erbalten in diesem Alter von ihren Paten
auch einen Zeremonienanzug mit den Bildern von Kranichen und Schildkröten,
Symbole eines langen Lebens.
316 Kapitel XLI. Kleidung, Schmuck und Haartracht dej heranwachsenden Kindes.
Auf Korea laufen die Kinder bis zum 9. oder 10. Lebensjahre, öfters
noch läuger, nackt oder höchstens mit einer kurzen Jacke bekleidet, herum,
welche die Hälfte des Oberkörpers frei läßt. Nur die Kinder der Getauften
sind bekleidet, doch versicherten die Missionäre nach H. G. Arnous in Fusang.
die Erfüllung dieses Wunsches mache besondere Schwierigkeiten.
Bei den Tschinivan auf Formosa tragen die Kinder auf der Brust ein
Stückchen Tuch, sind aber sonst ganz nackt (Kisah Tamai).
Die Kinder vornehmerer Chinesen sind iu Seide gekleidet, jene der
gewöhnlichen Bauern in Kattun, die ärmsten aber, deren es sehr viele gibt,
gehen im heißen Sommer bloß1) und sind im kalten Winter nur mit einigen
schmutzigen Lappen behangen. Da der Chinese das Bunte liebt, so hat jedes
Kleidungsstück auch schon der Kinder eine andere Farbe. Besonders erinnern
die kleinen Mädchen an schöne bunte Schmetterlinge. Aber auch die Knaben
tragen rot, blau, grün oder bunt, Nach Stern sind die Mädchen wie die
Frauen in weite Pumphosen und weiten Oberrock gehüllt,
Nach dem „Globus" (Bd. 55, S. 381) gehen viele Chinesenmädchen,
besonders in Peking, bis zum 10. Jahr in Knabenkleidung: Das sei in
Fig. 3»s. Japanische Schnitzereien aus Elfenbein. Im K. Ethnographischen Museum in München.,;
Familien, denen Knaben versagt sind, allgemeiner Brauch. — Ein vollständiger
Anzug wird dem Chiuesenkind der Provinz Kan-su schon nach dem ersten
Lebensmonat, d. h. nach seiner Anerkennung durch seinen Vater-), gemacht.
Dieser Anzug, welcher aus Beinkleid, .lacke, Mütze und Schuhen besteht, ist
ein Geschenk der Großeltern des Kindes mütterlicherseits.
Auch bei den prä-chinesischen Miao, deren Frauenkleider die Chinesen
wegen des ausgeschnittenen Halses und der freilassenden Waden ärgern, sind
die Kinder schon vom zartesten Alter an nach Art der Erwachsenen ge-
kleidet (A. Schotter).
Wie die ärmere Bevölkerung in China, so lassen die Tongkinesen ihre
Kleinen im Sommer meist nackt, oder nur mit einem bis zu den Knieen
reichenden Hemdchen bekleidet uniherlaufen (//. Seidel).
Auch in Kambodja laufen, nach K Aymonier, die Kinder den ganzen
Tag völlig nackt umher, die Kleinen unter der Aufsicht der Größeren.
Die Thai bekleiden ihre kleinen Kinder zur Winterszeit mit einem
Hemdchen, welches so lange getragen wird, bis es in Lumpen am Leibe hängt.
'> Dols berichtet aus der Provinz Kan-su, daß dort die Kinder iu der heißen Jahres-
zeit bis zu zehn Jahren unbekleidet gehen.
*) Vgl. Kap. IV.
§ 268. Die Kleidung des lieranwachs. Kindes bei malayisch-polynesischen Völkern usw. 317
Während der schönen Jahreszeit aber durchlaufen die Kinder die Wälder,
bekleidet nur mit dem Hauch des Zephirs und dem Sonnenlicht, wie Bourlet
sich so hübsch ausdrückt. Hat jedoch ein Mädchen das sechste Lebensjahr
hinter sich, dann macht ihm die Mutter einen weiten Rock, der wulstig um
die zarten Hüften geschlungen und, damit er nicht abgleite, mit einem weißen
Gürtel zusammengehalten wird. Bourlets Abbildungen im „Anthropos1) zeigen
uns (auch kleine Knaben in weiten Beinkleidern2) und Jacken, wie sie von
Fig. 349. Cuiuesenkind. Im K. Etluiograpkisclieii Museum in München.
Männern getragen werden; ebenso stehen schon kleine Mädchen in der Tracht
der Erwachsenen vor uns. Als Kopfbedeckung haben einige Mädchen ein über
die Ohren und unter dem Kinn durchgeführtes Tüchlein, wie unsere Bauern-
mädchen; einige Knaben ein turbanartig um den Kopf geschlungenes Tuch;
andere wieder lassen diesen unbedeckt. Graziös nimmt sich ein Studentlein
in seinem weißen losen Gewand aus, das dem Rochette der katholischen
Priester gleicht, und unter welchem die dunklen weiten Beinkleider mehr als
einejHandbreite hervorsehen. Die Füße sind bloß.
») Bd. IL
') Vgl. Fig. 350.
318 Kapitel XLI. Kleidung. Schmuck und Haartracht des heranwachsenden Kindes.
Die Tracht eines Mädchens aus den Bergstämmen der Laos im nörd-
lichen Siam sehen wir in Fig. 351.
Über die Kinder der Katschin in Birma schreibt Gilhodes: Sie werden
früh bekleidet. Zunächst legt der Knabe freilich nur seinen Säbel und seine
Tasche (havre-sac), ein unumgängliches Anhängsel der Katschin. um. Das
kleine Mädchen legt sich vor allem Perlhalsbänder, Binsenarmbänder und erst
danu eine Weste an. Allmählich vervollständigt sich hierauf das Kostüm.
Zwischen fünf und sechs Jahren gehört sich
eine Bekleidung für alle. Wohlhabende
Familien verschaffen eine solche ihren
Kindern eher als arme. Die Tracht ist von
da an für die kleinen Mädchen die gleiche
wie für die Erwachsenen, d. h. eine dunkel-
Fit
360. Sianiesenknabe. Modell im K. Mu-
seum für Völkerkunde in Berlin.
Fi«.
361. Lao- M ;> d c hen, s i d m.
Kimningera phot.
Josef
blaue Weste, welche vorn übereinandergeht und etwas noch unter dem Gürtel
herunterhängt. Um die Hüften wird ein buntes, bis zu den Knieen reichendes
Tuch geschlungen. Auch der Ausputz dieser beiden Kleidungsstücke ist im
allgemeinen für groß und klein gleich; nur ersetzt man die Weihe silberner
Knöpfe, welche den Halsausschnitt der Erwachsenen zieren, bei den kleinen
Mädchen durch Hemdknöpfe ')•
Nackt lassen wieder die Todas, Nichtarier im südlichen Indien, ihre
Kinder bis zu einem gewissen Alter. HarJcneß führt uns eines auf dem Titelblatt
seines Buches ,.The Neilgherry Hills" vor. —
») Die Katschin sind nach Ch, Gilhodes wahrscheinlich aus Tibet eingewandert.
§ 2ti8. Die Kleidung des heranwuchs. Kindes bei iralajiseh-polynesisehen Völkern usw. 319
Zu den Ural-Altaien übergehend, sehen wir die Kinder der Kalmücken
bis zum siebenten Jahr ..fast- nackt umhergehen wie Ploß in der 2. Auflage
schrieb. Nur bei Kälte wirft man ihnen Schafpelze um und zieht ihnen Filz-
Strümpfe an. — Auch die Burjaten hüllen ihre Kinder nur im "Winter in Schaf-
pelze; während der warmen Zeit lassen sie sie bis zum fünften oder sechsten
Jahre nackt gehen.
Das Kirghisen-Kind erhält, sobald es gehen kann, statt des früheren
Hemdchens. die Kleidung der Erwachsenen. Das gleiche berichtete De Dobbeler
von den Samojeden.
Von einem fünfjährigen Tungusen -Knaben, den Middendorf im
Winter in Pelz gehüllt sah, schrieb dieser: Kr erscheint breiter als hoch.
Seine Pelzverpackung hindert ihn, die Arme niederznklappen; sie stehen hori-
zontal ausgespreizt, einer Erbsenseheue täuschend ähnlich. Die Mütze ließe
einen minimalen Teil des' Gesichtes frei, wenn nicht auch dieser hinter
einer Eichhorn-Boa versteckt worden wäre.
Die Kinder der Tschuktschen gleichen
in ihrer reichlichen Kleidung nach Nordi n-
shiöld einer Fellkugel. Im Zelt aber sind sie
völlig nackt, und von hier aus laufen sie
bisweilen auch so hinaus, um sich zwischen
den Zelten herumzutummeln. selbst bei einer
Temperatur unter dem Gefrierpunkt. — Von
den Kindern der Kenntier-Tschuktschen im
sibirischen Anadyrbezirk schrieb Cremat:
Sie tragen die gleiche Kleidung wie die Er-
wachsenen. Man verfertigt sie aus Kenntier-
fellen mit dem Haar nach innen. Sie besteht
aus einer Jacke mit Baschlik und Ärmeln,
Hosen und Stiefeln. Für die Exkremente läßt
man in der Hose einen Einschnitt. Bei
kleinen Kindern befestigt man zwischen den
Beinen eine Art Sack aus Renntievhaut.
Infolgedessen können die Kinder nur mit
gespreizten Beinen gehen und nicht mehr
allein aufstehen, wenn sie fallen.
Die Ainos lassen ihre Kinder, wenig-
stens in der wärmeren Jahreszeit, bis zum
achten Jahre nackt gehen, worauf auch sie sie wie Erwachsene kleiden.
Die zur Tinneh-Familie gehörigen Carrier-Indianer, die zu Harmons
Zeit während des Sommers selbst oft ganz nackt gingen, und unter denen
heutzutage noch alte Männer so gefunden werden, ließen früher auch ihre
Kinder nackt umhergehen. Jetzt tragen die Knaben schon unter 5 — 6 Jahren
Beinkleider. Diese sind kuopflos, vorn und hinten offen (Morice).
Nackt gingen die kleineren Kinder wohl auch anderer nordamerikanischer
Stämme, bei denen die Erwachsenen sich in Felle oder Matten kleideten.
Wenigstens finden wir in der für Schulen bestimmten Egglestonschen „History
of the United States and its People" zehn nackte Indianer-Kinder beim Wild-
und Wolf-Spiel.
Jedenfalls war das bei den Indianern in „Neu-Niederland" (jetziger
Staat New York ?) der Fall. Denn von deren Töchtern schrieb Dapper, sie
seien zu Heinrich Hudsons Zeit bis zum 13. Jahre nackt gegangen.
Die Töchter der alten Mayas in Zentral-Amerika hatten nach Ploß')
eiuen langen Streifen weißen Baumwollstoffes über die Schultern hängen,
') 2. Aufl. I, 260 f.
Fig. 152. Kleiner Prinz aus Si am. Im K.
Ethnograph. Museum in München.
320 Kapitel XLT. Kleidung, Schmuck und Haartracht der heranwachsenden Kindes.
welcher vorn und hinten durch eine Hüftenschnur gezogen wurde, so daß die
Mädchen ganz anständig bedeckt waren. - - Bei dieser Mitteilung handelt es
sich aber wahrscheinlich um gereifte Mädchen; denn Bancroft schrieb, daß
die Kinder in Yukatan bis zu vier oder fünf Jahren nackt gingen, worauf
■die Knaben ein „breech-clout" (Beinkleid ?) und die Mädchen ein Röcklein
•erhielten. In Guatemala habe man die Kinder bis zu acht oder zehn Jahren
unbekleidet gelassen. -- Guatemala und Yukatan waren aber meines Wissens
mit Mayas bevölkert.
Ein hübsch gemustertes Kinderhemdchen hat Walter Lehmann aus
Guatemala gebracht. Eine Abbildung folgt hiermit als Fig. 353.
Was die Bekleidung der Kinder der Azteken (Mexikaner) betrifft, so
hat im Codex Mendoza bereits ein dreijähriges Kind um den Hals ein Tuch
1 4p <S* <&• ^jQ&zi
<JM§> ^> ^ ■«öMS»'
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»Fig. 353. Kimlerhenidchen aus Guatemala. Sammlung Walter Lehmann im K. Ethnograph. Museum in
M u ii f li e li.
gebunden, das den vorderen Teil des Rumpfes bedeckt. Auch ein vierjähriges
hat diese Hülle, während zwei fünfjährige ihre Blöße nicht bedeckl haben.
Zwei dreizehnjährige tragen als einzige Bekleidung bei der Arbeit Scham-
gürtel. Ganz entblößt sind Kinder im Alter von 8 — 11 Jahren, welche eben
gezüchtigt werden. Die Entblößung bezweckt hier wohl eine Verschärfung
•der Strafe.
Nach Doypper gingen zur Zeit der Entdeckung die Mädchen auf Cuba
und den B a h am a -Inseln bis zum Eintritt der Reife, das männliche Geschlecht
auch nachher nackt; nur bei ihren Festen und zum Krieg bekleideten und
schmückten sie sich.
Bei den jetzigen Toba-Indianern gibt es Kinderjacken aus Wildkatzen-
fell, wie Abbildung 354 zeigt.
Die .lugend der Guarayos und Siriones in Bolivia fing erst um die.
Mitte des vorigen Jahrhunderts an, sich in baumwollene talarartige Gewänder
zu hüllen. Früher ging groß und klein nackt (Cortes).
Zum Schluß sei noch der Kinder der feuerländischen Onas gedacht,
welche nach Ifrederick a Cooles Ausdruck „nackt oder fast nackt" im Schnee
§ 2ö'J. Schmuck des heranwachsenden Kindes.
321
herumlaufen. Der von Cook in seiner „ersten Südpolarnacht" auf Seite 28
abgebildete Knabe ist indes in einen Pelz gehüllt, der vom Hals bis unter die
Kniee reicht. Seite 12 des gleichen Werkes zeigt uns drei ganz nackte
Burschen, und ihnen zur Seite sitzen ein vierter und fünfter, die von den
Hüften abwärts einen bis zu den Knöcheln reichenden Stoff sackartig um-
schlungen tragen. Auch diese fünf Knaben sind als „feuerländische" be-
zeichnet. —
Fig. 354. Vorderansicht einer Kimlerjacke aus Wildkatzenfell bei den Toba-Indianern am Vermejo
ond Pilcomayo, argentinischer Chaco und Paraguay. Im Museum I. K. H. Prinzessin Therese
von Beyern-
§ 2(i9. Schmuck des heranwachsenden Kindes ').
Katharina Zltelmann erzählt in ihrem ..Indien'-, es sei ihr ein kleines
Hindu-Mädchen vorgeführt worden, das mit Ketten und Spangen behängt war.
Solchen Schmuck erhält das Hindu-Mädchen schon am sechsten Tag nach
seiner Geburt. Wo es an den hinreichenden Mitteln zum Ankauf eines silbernen
fehlt, begnügt man sich mit einem Schmuck aus Messing oder Eisen, zumal
er ja auch böse Geister fernhalten soll und das Eisen, wie schon in einem
') Vgl. Nasen-, Lippen- und Ohrenschmuek in Kap. XXX VII.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Bandit.
21
322 Kapitel XLI. Kleidung, Schmuck und Haartracht des heranwachsenden Kindes.
früheren Kapitel erwähnt worden ist, im Aberglauben der Vergangenheit und
Gegenwart bei Juden und anderen Völkern eine gewichtige Rolle spielt. —
Zitehnann erwähnt feiner ein dreijähriges Kind mit gefärbten Augenlidern
und einem Rock und Käppchen aus Goldbrokat. Der Schmuck eines kleinen
Hindu-Mädchens bildet bereits eineu Teil seiner späteren Aussteuer. Bei wohl-
habenden Familien vermehrt er sich mit den Jahren immer mehr und mehr.
Fig. 356. Halskette für Kinder bis zu einem Jahr. Aus dem Gorakhpur-Distrikt , nördliches Indien.
Im K. Museum für Völkerkunde in Berlin.
Fig. 856. Hölzernes Armband für Kinder in Bengalen. Im K. Museum für Völkerkunde in Berlin.
Zitehnann versichert uns, sie habe in ihrem Leben keine größere Fülle an
Schmuck gesehen als in dem Haus eines indischen Muselmannes, der Rechts-
anwalt war und eine einzige Tochter hatte: Eine Menge Halsketten, Arm-
and Ohrringe, Fuß- und Haarspangen, alles von edelstem Gold und reich mit
Edelsteinen verziert.
Einen weniger kostbaren Schmuck aus Tndien sehen wir in den Figuren
355, 356 und -">57 abgebildet, von denen 355 auch noch andere, als nur ästhe-
tische Zwecke haben dürfte, was vielleicht einerseits aus der für das Kind
§ 269. Schmuck des heranwachsenden Kindes.
323
festgesetzten Altersgrenze, und anderseits aus der kleinen Muschel und der
länglichen Figur an der Halskette gefolgert werden darf.
Ein geschmücktes Singhalesen-Kind aus Ceylon führte uns Emil
Selenka ') vor. Es trägt ein Perlenhalsband und eine Halsschnur mit Amulett2).
In den Rändern der Ohrmuscheln sowie in den Nasenflügeln sind silberne
Zierate befestigt. — Glasperlen und Amulette am Kopftuch der Kinder in
Farsistan sind in § 267 erwähnt worden.
Aus Algier veröffentlichte Selenka das Bild einer kleinen geschmückten
Aristokratin3). Das Mädchen trägt einen Brustschmuck aus zahlreichen münzen-
artigen Scheibchen, die wohl aus Edelmetall gefertigt sind. Das hübsche
Gesichtchen ist durch eine an beiden Seiten herabfallende Kette und durch
Perlenfransen umrahmt, die wie jene an der Kopfbedeckung befestigt sind.
Fig. 357
Indische Perlenschnur aus Dschaipur, Radschputana, von beiden Geschlechtern getragen.
Im K. Museum für Völkerkunde in Berlin.
Die Perlenfransen fallen auf die Stirne herab. Die Kopfbedeckung selbst
besteht in einem über den Rücken und die Schultern herabwallenden Schleier
mit geschmackvoller Zeichnung.
In Mursuk, der Hauptstadt von Fessan, sah Lyon zwei Töchterchen
des Sultans Mukni mit barbarischer Pracht gekleidet und geschmückt. Um
die zarten Hand- und Fußgelenke der eineinhalb- bzw. dreijährigen Mädchen
waren so schwere Goldreife geschlungen, daß deren Gewicht an den auf-
liegenden Stellen schwielige Ringe gezogen hatte. Kostbarer noch war der
vierjährige Prinz beladen. Dieser Schmuck sollte, wie bei dem früher erwähnten
Hindu-Mädchen, zugleich vor bösen Mächten schützen. Der Knabe trug nämlich
zahlreiche goldgefaßte Talismane; seine Mütze war mit Edelsteinen besetzt,
') In „Der Schmuck des Menschen'-. Berlin 1900, S. 19.
2) Die Amulette sind wohl nicht zugleich als Schmuck, sondern ausschließlich als
Schutzmittel aufzufassen.
*) Der Sehmuck des Menschen, S. 39.
21*
324 Kapitel XLI. Kleidung. Schmuck und Haartracht des heranwachsenden Kindes.
deren Goldfassung in Gestalt offener Hände die schlimmen Wirkungen des
„Bösen Auges" abhalten sollte (vgl. Kap. VI).
Die halbwüchsigen Burschen der Bambara, französischer Sudan, welche
J. M. Henry uns als Illustration zu ,.Le Culte des Esprits chez les Bambara"1)
vorführt, haben Perlen- und andere Schnüre um den Hals, an
denen bei einem eine Quaste und ein Bing befestigt sind; die
Arme sind mit einem oder mehreren Reifen geschmückt; ein
Knabe trägt einen Kopfreif; zwei haben ihre Lendentücher
verziert.
Kopfreife mit kleinen, auf der Stirn aufliegenden An-
hängseln haben ferner die beiden Pen hl, welche Brun in seinem
Gruppenbild aus dem
Fig. 358. Hals-
schmuck im
Hinterland von
Togo. Im Mu-
seum fiir Völker-
kunde in Leip-
2) aufgenommen
hat. Einer der beiden
Knaben ist mit einer über
die Brust herabhängenden
Schnur mit Amuletten und
einer etwas kürzeren
Perlenschnur, beide außer-
dem mit einem enger an-
liegenden Halsreif ge-
schmückt.
Die Togonegerin
beladet ihr Kind mit
Schmucksachen, wie Klose
berichtet. Nach R. Bütt-
ner besteht der Schmuck
eines zirka zwölfjährigen
Backfisches aus Adeli,
Togohinterland, aus
folgendem: Zwei Perlen-
reihen trägt das Mädchen
um den Hals; eine andere
Doppelreihe um die Huf-
enganschließende Perlenschnüre
den Knieen und oberhalb der
eine Anzahl blank geputzter
ten;
unter
Knöchel
Messingringe um einen Oberarm und um
die Armgelenke; ein Lederband (Fetisch-
zeichen?) um den linken Oberarm und, als
neue, von der englischen Küste eingeführte
.Mode. Stahlketten um den rechten Ann
und die Hüften. Das eine Ende der
Hüftenkette hängt bis zum Knie herab.
Eine andere Art Halsschmuck
aus dem Togohinterland ist auf
Figur 358 zu sehen, während uns
Figur 359 Schmuck- und Kleidungs-
stücke für Kinder an derSklavenküste,
in den Haussa-Staaten und im eng-
1 chen Ostafrika irkamba)3) vorführt.
I) Im ...\iitliK.|Mis- III. 710.
'•'i Im „Anthropos'- II. 722.
aJ Bewohner „Wakamba".
Fig. 3r>9. Schmuck und Kleidung für Kinder:
Links Schmuck beiden Bell an der Sklavenküste ;
rechts oben ein Kinderschurz aus blauer Baum-
wolle bei den Haussa; darunter ein Schurz für
Wakamba- Mail chen im Alter von 1—4 Jahren.
Im Museum fiir Völkerkunde in Leipzig.
§ 269. Schmuck des heranwachsenden Kindes.
325
Im südlichen Kamerun schmücken die jungen Mädchen der Yaunde
Finger. Zehen, Füße und Arme mit dünnen Spangen aus Messing und Kupfer,
oft auch mit mehreren Pfund schweren Eingen, die aber jetzt europäischem,
hohlem und leichtem Fabrikat weichen müssen (Zenker).
Die Herero- Mädchen tragen um Handgelenk und Hals Ketten aus Eisen-
perlen oder bukhu- Wurzeln.
Halsketten als Mädchenschmuck finden wir auch bei den Bergdamara.
Über den Schmuck der Wa h im a- Kinder in Mpororo,
Nordwestecke von Deutsch-Ostafrika, bemerkte Weiß, daß
sie Perlenketten um Hals und Handgelenk, bisweilen auch
eiserne und kupferne Ringe um Hand- und Fußgelenke
haben.
Die Negerin in Madibira, südliches Deutsch-Ost-
afrika, schmückt schon ihrem »Säugling die Füßchen mit
kleinen geschmiedeten Schellen und die Haare mit Glas-
perlen (Häf liger. Vgl. Fig. 41, Kap. V).
Mit einer Schnur Glasperlen schmückt auch die ost-
afrikanische Makua-Mutter bereits ihren Säugling.
Auch am Hals der Matambwe-Kinder schimmert
bereits eine Schnur von Glasperlen, wenn sie sich noch
nackt herumtummeln.
DieKaffern-Kinder behängt man, von Amuletten ab-
gesehen, mit Ringen, Halsketten, Arm- und Beinspangen.
Wurzeln, Zähnen u. a. m. —
Die Ho wa- Kinder auf Madagaskar haben um Hals
und Arme Schnüre aus Glasperlen.
Die nackten Kinder der Batak tragen Schmuck
verschiedener Art, welcher hauptsächlich aus Silber gearbeitet
ist und nach Frhr. ron Brenner auf der braunen Haut
recht vorteilhaft wirkt. Je vermöglicher die Eltern, desto
kostbarer und mannigfaltiger der Schmuck. Oft sieht man
dickbäuchige ') Knaben mit Halsreifen, Armbändern. Fuß-
spangen und spanischen Dollars behangen herumlaufen.
Einzelne Kinder haben goldene Hüftenketten (vgl. Fig. atSl).
Wenig Schmuck siehtman an der japanischen Jugend.
Höchstens eine Papierblume oder eine glänzende Nadel
tragen die Mädchen im Haar. Von der „ganzen Sonne
funkelnder Haarnadeln", abgesehen durch welche die Damen
der Halbwelt sich als käufliche Ware kennzeichnen, ist
nach Seierika in Japan überhaupt kein Halsgehänge, kein
Ringschmuck weder des Kopfes noch der Arme, kein Finger-
ring und keine Agraffe zu entdecken. — Selenicas „Schmuck
des Menschen'- zeigt uns auf Seite 50 zwei Kinder als
„Ehrenwache'1 einer Kurtisane, von denen das eine allerdings einen aus-
giebigen Kopfputz trägt; ob die Blumen daran aus Papier oder aus einem
andern Material sind, läßt das Bild nicht unterscheiden. Seierika meinte,
Japan huldige in seiner kleidsamen talarähnlichen Nationaltracht ohnehin einem
Behangschmuck.
Um so mehr Zierat hängt man in China an die Mädchen. Auf dem Kopf
eine Art Diadem mit Behängen, welche zu beiden Seiten bis auf die Schultern
reichen; um Hals und Schultern einen prächtig gearbeiteten Kragen, der in
mehrfachen Reihen gestickter Halbkreise vorn bis unter die Brust reicht,
Sri
1
i
Fig. 3<jü. Oberarm-
schmuck aus Perlen bei
deu Wakamba, Bri-
tisch-Ostafrika. Ira
Museum fürVölkerkunde
in Leipzig.
') Infolge der Überfiitterung mit Reis.
326 Kapitel XLI. Kleidung, Schmuck und Haartracht des heranwachsenden Kindes.
sowie reich gesticktes Ober- und Unterkleid. So steht die Kleine in Ab-
bildung 349, wie zur Schau, vor uns. Ohrringe, Armbänder und Ringe der
Töchter wohlhabender Eltern sind aus Silber und Gold; ärmere müssen sich
mit dem entsprechenden Schmuck aus Glas oder Blech begnügen (Stenz).
Die Tongkinesen hängen ihren kleinen Kindern ein paar Münzen um
den Hals (H. Seidel).
In K am b od ja sah E. Aymonier kleine nackte Mädchen mit einem herz-
förmigen Silberschmuck auf dem Bauche.
Mit Schmuck beladen beschreibt GUhodes die beiden Geschlechter bei
den Katschin in Burma. Anfangs trägt das Mädchen Armbänder nur aus
Binsen und Halsbänder aus gewöhnlichen Perlen; dann folgen aber silberne
Halsringe, deren Anzahl mit ihren Jahren zunimmt, bis es 5 — 6 geworden
Fig. 861. Hüftenkette für kleine Hatak -Madchen von 2—4 Jahren, die im übrigen nackt gehen. Sumatra.
IniJK. Museum für Völkerkunde in Berlin.
sind, welche teils massiv, teils hohl, teils gewunden sind. Armbänder schmücken
ihre Handgelenke, reiche Behänge ihre Ohren usw. usw.
Dil' Ainos hängen ihren Kindern gleich nach der Geburt ein kleines
Silber- oder Zinnornament um den Hals. Nach PilsudsJn schmücken die
Mütter bei den Bärenfesten ihre Kinder mit japanischen und mandschurischen
Goldgewändern und Umhängen aus moderner Seide, worauf sie sie in der
Nähe des zum Tod bestimmten Festbären aufstellen. — ■
Die Kinder der alten May a in Yukatan trugen bis zu ihrer Taufe, also
bis wenigstens zum dritten, längstens bis zum zwölften Lebensjahr einen Haar-
schmuck aus Glasperlen. (Über die Abnahme dieses Schmuckes und der von
den Knaben getragenen Kopfbinden vgl. Kapitel XV.)
Koeh-Orwnberg schreibt von den Kobeua im nordwestlichen Brasilien,
daß die Mütter aus zärtlicher Liebe zu ihren Kindern diese mit allem möglichen
Schmuck behängen. Die schönsten Halsketten aus aufgereihten Tierzähnen
and Pflanzensamen und mühsam durchbohrten Steinperlen sehe man an kleinen
Kindern. ..Durch nichts kann man sich die Eltern und besonders die Mütter
§ 270. Haarfrisuren.
327
rascher zu Freundeu machen, als wenn man ihr Kind mit Perlen beschenkt,
die sofort auf einen Faden gereiht und dem Kleinen um den Hals gehängt
werden, was stets die ganze Familie zu lauten Ausrufen der Bewunderung
hinreißt." Bei jeder Gelegenheit wird das Kind von der Mutter bemalt; teils,
zum Schmuck, mit Urucurot; teils, als prophylaktisches Mittel gegen den bösen
Katarrh und andere Krankheiten, mit dem Purpurrot des Cara3Turu.
Die Carajä -Indianerin webt ihren Kindern, wenn diese einige Monate
alt geworden, baumwollene Knie- und Knöchelbänder; etwas später Manschetten,
um die Glieder zu stärken und zierlicher zu machen. Auch schmückt sie sie
mit Halsketten und sonstigem Zierat (vo>i Koenigswald). —
§ 270. Haarfrisuren.
Kapitel XXXV dieses Bandes hat sich mit Haaropertionen beschäftigt,
denen vorzüglich religiös-soziale Auffassungen zugrunde liegen. Der vorliegende
Paragraph hat eine weniger wichtige Aufgabe. Er will das Haar nur als
«£%&
■ V.. *'K * v
Fig. 363. Mailchen auf Korreor, Deutsche Karolinen, beim Frisieren. Vom Missionssekretariat der
rheinisch-westfälischen Kapuzinerprovinz Ehrenbreitstein a. Rh.
Material zum Ausdruck des Modegeschmackes ins Auge fassen. Ob diese
Scheidung möglich ist bei Völkern, deren Seelenleben wir noch immer viel
zu wenig kennen, ist freilich eine schwer zu beantwortende Frage, welche
hier lieber unterbleibt. Zudem kamen mir bisher verhältnismäßig wenig Mit-
teilungen über die Frisuren der Kinder als Mode oder doch rein ästhetische
Formen unter die Augen. Der vorliegende Abschnitt fällt also kurz aus; eine
Ergänzung zu ihm wolle sich der geschätzte Leser mit der Beachtung der
einschlägigen Abbildungen des 1. und 2. Bandes verschaffen. —
Die Töchter der Herer o haben fast ganz glattrasierten Kopf. Nur am
Hinterkopf lassen sie einige Haare stehen, an denen ca. 10 cm lange, dünne
geflochtene Ochsenschwanzhaare befestigt werden.
Im Süden Deutsch-Ostafrikas reiben die Wakisi, Manda und andere
Stämme, welche selbst ihr Haar mit Lehm zu kleineren oder größeren Klößen
ballen, schon ihren kleinen Kindern ein Gemisch von Lehm und Fett in die
Haare und belasten somit die kleinen Köpfchen (H. Seidel).
Die Wahimakinder, welche uns Weiß im ,,Globus" (Bd. 91, S. 165)
vorführt, tragen das Kopfhaar teils kurz, teils länger. Im letzten Falle ist
328 Kapitel XLI. Kleidung. Sehmuck und Haartracht des heranwachsenden Kindes.
es in kleine Zöpfchen geflochten, die rings um den Kopf herabfallen und (mit
Muscheln ?) verziert sind.
In Mombassa sah Wehrmeister Mädchen, die ihre Haare mit peinlichster
Sorgfalt in Röllchen gewickelt hatten. Wehrmeister fügt bei, die Schönheits-
pflege scheine bei vielen Schwarzen weiblichen Geschlechts die Lebensaufgabe
zu sein.
Bei den Auin- Buschleuten der Kalahari-Wüste flechten die Mädchen
und verheiratete Frauen gerne Glas- und Eisenperlen in die Haare und wenden
eine Art Pomade aus verschiedenen pulverisierten Pflanzenteilen an, welche
mit Antilopenfett gebunden werden. Auch färbt man die Haare häufig rot.
Ob sich diese Mitteilung Hans Kaufmanns auch auf das Mädchenalter vor
der Pubertät bezieht, weiß ich nicht.
Wenn auf Madagaskar das Howa-Kind ungefähr zwei Jahre alt ge-
worden ist und ohne Hilfe zu gehen beginnt, dann läßt man vielen Knaben
über der Stirne einen Haarschopf wachsen. Diese. Frisur hat kein Mädchen.
Aber es gibt auch eine Frisur, welche beiden Geschlechtern gemeinsam ist.
und das ist ein Haarschopf auf dem Scheitel1) (Camboue).
Nach Ernst von Hesse- Wartegg tragen auf Samoa Knaben und Mädchen
bis zu elf oder zwölf Jahren die Haare mit Ausnahme einzelner Haarbüschel
kurz geschoren. — Die Kinder der im Sommer 1910 in Breslau anwesenden
Samoaner hatten wohl kurz geschorene Haare, aber einzelne Haarbüschel
waren nicht vorhanden (siehe Fig. 131, Kap. XX).
In Korea flicht man den Kindern beiderlei Geschlechts das Haar in
einen Zopf und läßt diesen über den Kücken herunterhängen. Sie gehen
immer barhaupt ( W. G. Arnous).
Zöpfe trägt auch die chinesische Kinderschar beider Geschlechter; die
Mädchen bis zum 15. Lebensjahr, worauf die schwarze Haarfülle eine der
wunderlichen chinesischen Haartrachten annehmen muß, wie wir im Globus
(Bd. 65, S. 382) lesen. Die Knaben behalten ihren Zopf lebenslänglich2).
In Kambodja rasiert man den Kindern die Kopfhaare bis auf eine Locke
auf dem Scheitel (Äymonier).
In Tongkin läßt man entweder ein dünnes Scheitellöckchen, oder zwei
Löckchen über den beiden Schläfen unrasiert, welche dann über diese herab-
hängen (//. Seidel).
Bei den Katschin in Burma tragen die kleinen Kinder ihre Haare
gewöhnlich kurz. Bald aber läßt man den Knaben auch hier einen Schupf
am Wirbel stehen, den sie zeitlebens, geschürzt und mit einem Kberzahn ver-
ziert, tragen. Gekämmt wird er selten. — Das übrige Kopfhaar rasieren sie
bisweilen ab. -- Bei den Mädchen wird das Haar des Vorderkopfes, um die
mittlere Stirne herum, geschnitten; die übrigen Haare läßt man lose und über
die Schultern herunterfallen. Erst mit 25 — 30 Jahren läßt das weibliche
Geschlecht das ganze Haupthaar wachsen, um es auf dem Scheitel aufzuschürzen
und eine Art Turban darüber zu tragen. —
') Soramet de la tete.
i Die chinesischen I imvülzungeu des ausgehenden Jahres 1911 erstrecken sich sogar
auf den Zopf des Chinesen, welcher nun bald schwinden wird.
Kapitel XLII.
Feste und Festfreuden des Kindes. Christliche und
vorchristliche Erinnerungen. Fruchtbarkeitskulte
und Verwandtes.
§ 27], Wie fremdartig es auch klingen mag, es ist doch so: Die Fest-
freuden des Christenkindes, insofern sie nicht absolut religiösen Inhaltes
im Geiste Christi sind, gehen heute noch zum weitaus größten Teil auf
einen vorchristlichen Fruchtbarkeitskult zurück. Das wird durch
dieses und das folgende Kapitel bewiesen.
Der Inhalt des Festes ist durch das Christentum ein wesentlich anderer
geworden; die Form ist häufig die alte geblieben oder hat sich doch nicht
wesentlich verändert.
Fassen wir z. B. den Christbaum ins Auge, unser Symbol des geistigen
Lebensbaumes, Christi selbst: Er ist als Baum das altheidnische Symbol der
Fruchtbarkeit und deshalb des Frühlings und Sommers, der schönen Jahres-
zeit, deren Ankunft die Menschheit schon vom Tag der Wintersonnenwende
an sehnsuchtsvoll erwartet. Deshalb begegnen uns in § 275 Tannenzweige
zu Ehren des Gottes Janus beim heidnischen Neujahrsfest in Born, und der
„Bechl- oder Weihnachtsboschen" in der Salzburgischen Waldordnung läßt
erraten, daß die Tanne auch im germanischen Perchta-Kult Ende Dezember
und anfangs Januar eine Bolle spielte. Formell als Zeichen des wieder-
kehrenden Sommers bezeichnet, sehen wir Tannenzweige in § 280 am Sonntag
Lätare in den Händen der Kinder in Mähren, im österreichischen und preußi-
schen Schlesien, und schon in Kapitel XXX IX. § 258, erfuhren wir, daß die
Jugend der Harzer Bergstädte am Fest des hl. Johannes des Täufers, mit
welchem dort und anderwärts Sommerfeste mit vorchristlichen Bräuchen zu-
sammenfallen, um große Tannenbäume tanzt, die mit bemalten Eiern und mit
Blumen geschmückt sind1); $ 282 erwähnt aus Thüringen einen solchen Oster-
baum mit Frühlingsfeier.
Doch ist nicht etwa nur die Tanne das Symbol der schönen Jahreszeit,
des Lebens und der Fruchtbarkeit, sondern der Baum überhaupt, worauf in
diesem Werk übrigens wiederholt hingewiesen worden ist. Daher sehen wir
in § 283 Birken, mit Blumen und Bändern geschmückt, als „Pflngstquacke",
Mädchen als Pappeln verkleidet, oder, wie Knaben und Männer, in Gras,
Laub und Blumen als „Pfingstblumen" u. dgl. gehüllt; denn nicht nur der
ganze Baum, sondern auch einzelne Teile von ihm. d. h. Zweige und Blätter,
ferner Gras und Blumen sind Bilder der schönen fruchtbaren Jahreszeit, Auch
Pfähle vertreten den ganzen Baum und fungieren als .,Pfingstpfähle" oder
,.Pfingstbäume".
') Auf das Ei und den hier einschlägigen Baumschmuck überhaupt komme ich später
noch zurück.
330 Kap. XLII. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
Am bekanntesten, weil am meisten gebräuchlich, sind die Maibäume.
Ihrer ist in § 285 gedacht. Hier und in § 286 sehen wir zudem abermals
Kinder und Puppen in Blättern und Blumen als Personifikationen des Mai
oder der schönen fruchtbaren Jahreszeit überhaupt.
Besonders interessant wirken diese Kinderfreuden, wenn wir sie im Lichte
des Götterkultes der Mordwinen bei deren Sommerfest zu Ehren der Göttin
der Fruchtbarkeit und ihres Sohnes (§ 286) betrachten. Da steht der hl.
Baum der Göttin, die Birke, auf der Opferstätte; Birkenbäumchen werden mit
dem Gürtel1) der jungfräulichen Führerin. mit Schärpen und Tüchlein ge-
schmückt, beim Sammeln der Opfergaben in Prozession herumgetragen; die
dem Opfer eines Schafes, des Bildes der Fruchtbarkeit, beiwohnenden Mädchen
halten während dieses feierlichen Aktes der versammelten Gemeinde bänder-
geschmückte Birkenzweige; der die Opferzeremonie leitende Mann befindet
sich auf der hl. Birke, von wo aus er mit dem Munde Zweige zur Bekränzung
der Mädchen wirft; eine Birke am fließenden Wasser ist es. die von Mädchen
zuerst geschmückt, dann von ihnen wieder des Schmuckes beraubt und in die
Opferflamme geworfen wird2): Alles in allem ein Kult der Birke, ein Baum-
kult, ein Kult der apotheosierten Fruchtbarkeit.
Diese Tatsache wird durch eine Reihe anderer, teils mit den obigen eng
verbundenen, teils ihnen mehr oder weniger fernstehenden Bräuche in noch
helleres Licht gestellt. Unter ihnen ragt das Beschenken der Kinder mit
Eiern, die mannigfachen Spiele mit dieser? Eiern, bzw. deren Verwendung,
hervor. Heuser meinte allerdings :!), es sei nicht klargestellt, ob unsere Oster-
eier an einen vorchristlichen Brauch anknüpfen; allein andererseits4) zählte
er doch die Umzüge der Kinder zum Einholen von Eiern und anderen
Gaben zu den Festlichkeiten, welche „sich aus der alten Feier vom Siege
des Sommers über den Winter erhalten haben". — Dieses und das folgende
Kapitel erweisen nun beide Bräuche als vorchristlich, und zwar sind es wieder-
um . hauptsächlich die Mordwinen, welche uns in den §§ 277 und 285 den
Schlüssel zur Lösung beider Fragen bieten. Das Ei als Sinnbild der Frucht-
barkeit ist uns allerdings schon in früheren Kapiteln wiederholt begegnet,
doch nicht mit der in § 286 ausgesprochenen Deutlichkeit: Das Ei kommt
von der Henne und diese ist, wegen ihrer Fruchtbarkeit, eben wegen
ihres fleißigen Eierlegens, der Liebling der Göttin Ange Patyai, der Göttin
der Fruchtbarkeit. Deshalb bilden die Eier einen so wichtigen Bestandteil
der Opfergaben, welche die Töchter der Mordwinen bei ihrem Umzüge am
Vorabend ihres Sommerfestes sammeln; deshalb werdeu diese Eier mit dem
bei dieser Gelegenheit gesammelten Mehl und Butter zu Opferkucheu ver-
wendet, diese zuerst dem Birkengott angeboten und dann beim gemeinsamen
Opfermahl verzehrt. Auch am Vorabend des mordwinischen Weihnachten
gehören Pfann- d. h. Eierkuchen zu den Gaben, welche von den Kindern
nebst Schweinshaxen, Pasteten in der Form von Schafen, Schweinen und
Hühnern (Sjmibole der Fruchtbarkeit) u. a. m. gesammelt werden.
In diesem Lichte behandelt, verstehen wir den Ursprünglichen sinn
der im Fasching und am Aschermittwoch (§ 379), am Sonntag Lätare (§ 280),
am Gregoriustag (§ 281), in der Karwoche und hauptsächlich in der Oster-
zeit (§ 282), an Pfingsten (§ 283) und im Mai (§ 285) üblichen Geschenke
vnii Eiern, die mit Eiern ausgeführten Spiele, die Eier an den Frühlings-,
Sommer- und Maibäumen usw. usw.
'■ Der Sinn eines Mädehengürtels in diesem Zusammenhang ist unschwer zu erraten.
Vor und während der Prozession beten die Mädchen um Bräutigame.
') Vgl. Das Schicksal der altgewordenen Erdgöttin im alten Mexiko, § 280.
s) Wetzer und Weites K.-L.. 2. Aufl., 4. Bd., Sp. 1418.
') Sp. 1417 f., ebenda.
§ 271. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw. 331
Eigentümlich ist das Eierlegen der Osterhasen in der deutschen
Kindessprache, eine Verbindung zweier Fruchtbarkeitssymbole, da auch der
Hase ein solches ist. Ploß hatte den Hasen in der 2. Auflage (II, 370) das
heilige Tier der germanischen Frühlingsgöttin Ostara genannt. Die neuere
Forschung scheint aber keine germanische Göttin dieses Namens anzuerkennen.
Ostern soll etymologisch nicht mit „Ostara", sondern mit der im Osten wieder -
gebornen Frühlingssonne erklärt werden.
Das gemeinsame Sammeln und Verzehren der Eier und anderen
Gaben, wie es in den vorliegenden zwei Kapiteln mehrfach bei den Christen-
kindern europäischer Völker nachgewiesen ist, erinnert lebhaft an den gleichen
Akt der Mordwinenjugend, welcher hier den Charakter der Opfergemeinschaft
trägt. Auf die altgermanische und keltische Opfergemeinschaft als Urbild
unserer Kinderbräuche haben Heuser, Hofler u. a. hingewiesen. — Diese Opfer-
gemeinschaft umschloß im germanischen Perchta- und Seelenkult und im
mordwinischen Patyai-Kult nicht nur die Menschen, sondern auch deren Haus-
tiere. Alle Lebewesen, bei den Mordwinen sogar auch die Saaten, sollten den
Segnungen des Opfers teilhaftig werden (§§ 277 und 278).
Auf jede einzelne der Gaben, welche, mit oder ohne Eier, den Christen-
kindern an den im folgenden behandelten Festen gereicht werden, möchte ich
hier nicht eingehen. Vielmehr möge die Vorbemerkung genügen, daß auch
sie zum großen Teil Überreste vorchristlicher Opfergaben sind. Näheres findet
der geschätzte Leser an den hier einschlägigen Stellen der folgenden Paragraphen.
Besonders paradox erscheinen Akte heidnischer Fruchtbarkeitskulte an
den christlichen Festen der unschuldigen Kinder und am Aschermittwoch.
Und doch sind solche, freilich in ihrem ursprünglichen Sinne nicht mehr
bekannt, mit diesen Festen, so gut wie mit Ostern und mit weltlichen Früh-
lings- und Sommerfesten, verknüpft. Die §§ 276, 279, 282 und 285 machen
lins nämlich mit dem Brauch bekannt, christliche Mädchen und Ehefrauen an
den genannten Festen mit Riemen, Ruten und Zweigen zu schlagen, oder
ihnen doch mit solchen nachzusetzen, ein Überrest aus römischer Zeit, ein
Seitenstück auch zu einem Mordwinenbrauch. Die Mordwinenmutter bezweckt
mit den Rutenstreichen, welche sie ihren Kindern am Weihnachtsmorgen gibt,
Wachstum und Glück; die römischen Priester (luperci) wollten mit ihren
Peitschenhieben den Weibern Kindersegen verschaffen. Also hier und dort
Fruchtbarkeitskult.
Auf einen alten Fruchtbarkeitskult geht ferner der weit verbreitete
Brauch zurück, am Sonntag Lätare, oder an einem späteren Frühlingstag,
z. B. im Mai, Puppen aus Stroh, Lumpen oder dergleichen Material
zu verbrennen oder zu ertränken, zu enthaupten, entzwei zu sägen, über die
Flurgrenze zu werfen — kurz, sich ihrer zu entledigen. § 280 gibt uns mit dem
blutigen Ende eines alljährlich geopferten alten Weibes, der Repräsentantin
der Erd- und Fruc.htbarkeitsgöttin im alten Mexiko, den Schlüssel zum Ver-
ständnis auch jener Bräuche.
Ein zarteres Siegesbild, doch immer den gleichen Grundgedanken, bieten
Pfingstkrone, Pfingstkönig, Pfingstkönigin, Maikönig und Maikönigin usw.,
welche wir teilweise bereits kennen. Winter und Sommer sind im Kampfe
gedacht, und alles verherrlicht die sehnsüchtig erwartete schöne, fruchtbare
Jahreszeit, die man als Siegerin oder Sieger umjubelt. Niemand steht dem
unterliegenden sterilen Winter helfend zur Seite.
Überraschende Aufschlüsse über den Sinn unseres Johannisfeuers und
der am gleichen Tag manchenorts unter Christen noch gebräuchlichen
Waschungen in fließenden Gewässern bieten uns die entsprechenden Bräuche
bei den heutigen und vorislamischen marokkanischen Berbern und Arabern in
§ 284. Reinigung, Sühne und Fruchtbarkeit will damit in Afrika bewirkt werden,
332 Kap. XLII. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
und der Schluß liegt nahe, daß so ähnliche Zeremonien am gleichen Tag auch
ähnliche Ziele bei unsern Vorfahren hatten.
Ähnlich dürfte es sich mit den in § 279 beschriebenen Bräuchen am
Funkensountag und mit den übrigen sogenannten Freudenfeuern dieses und.
des folgenden Kapitels verhalten, die schon durch das gemeinsame Einsammeln
des dazu nötigen Materials, durch das Umspringen und Umtanzen des Feuers
auf eine frühere Opfergemeinschaft und eine Apotheosierung des Feuers hin-
weisen, sei nun die wiederkehrende Sonne oder ein anderes feuriges Prinzip ge-
meint, was wiederum in letzter Instanz mit dem Fruchtbarkeitskult identisch ist. —
Richtlinien zu § 272 und anderen Paragraphen von leichter Übersicht
zu geben, dürfte nicht nötig sein. —
§ 272. Allerseelen.
Kapitel XVII hat unter den mannigfachen Geschenken, welche die Tauf-
paten ihren Patenkindern bei gewissen Gelegenheiten machen, Gebäck erwähnt,
welches als ,.Seelenzöpfe", „Seelenwecken" oder unter anderen Benennungen
bekannt ist. Es wurde dort1) auch bereits auf den nach neuesten Forschungen
vorchristlichen Ursprung solcher Gebäcke hingewiesen. Deutlicher geschah
das in Kapitel XXXV, § 223, wo die Ansicht wiedergegeben worden ist,
daß die „Seelenzöpfe" und derartige Gebäcke in Formen von Frauenhaar,
welche an Allerseelen den Kindern geschenkt werden, auf altgermanische Opfer
von Frauenhaar bzw. lebendiger Frauen au den Gräbern ihrer Männer zurück-
gehen sollen. Als Opferspeise für die Ahnengeister wirft man nach Höfler
in Schweden und Norwegen noch heutzutage bei versammelter Familie
unter Kniebeugung Gebäck in den Ofen, den Stellvertreter des alten Herdes
und Ahnenaltars. Das geschieht allerdings am katholischen Lichtmeßtag. soll
aber auf ein nordgermanisches, vorchristliches Totenfest, das „Seelen-Lichterfest"
zurückgehen, welches im Februar gefeiert wurde'2). — Daß in Athen anfangs
November ein Ernte- und Totenfest zu Ehren des scheidenden Sonnen- und
Sommergottes Apollo gefeiert wurde, ist bekannt. Auf die bei diesem und
anderen Festen von Knaben herumgetragenen Öl- und Lorbeerzweige (Eiresione)
mit bunten Bändern, Gebäck und Früchten kommen wir bei Besprechung des
Weihnachtsbaumes zurück. Ob die Knaben dabei Gaben einforderten, ist nach
Plofi8) ungewiß. Weder Plutareh noch Suidas erwähnen das ausdrücklich;
doch erzähle Suidas, Homer habe sich als blinder Greis auf Samos von Knaben
vor die Häuser der Reichen führen lassen und dabei ein als Eiresione be-
zeichnetes Bettlerlied gesungen. Das von Floß zitierte lautet: ..Feigen bringt
Eiresione und reichlich nährende Brote, Honig dazu in die Schüssel und Ol,
die Glieder zu salben, Feurigen Weins einen Becher, der Rausch und Schlummer
dir spendet."
Fast ebensowenig als in diesem Liedchen wird der Toten in dem folgen-
den Bettlerliedchen gedacht, welche im heutigen England die Knaben singen,
welche am Vorabend von Allerseelen und manchmal auch an Allerseelen selbst
in Stoffm dshire, Cheshire und North Shropshire von Haus zu Haus
gehen und dabei um Apfel, Kuchen, Wein oder Bier (ale), (ield u. a. m. bitten,
liier wie im alten Athen dominiert vielmehr der Gedanke des Krntefestes,
\v;is bei der griechischen Auffassung vom sterbenden Sommer (beides fällt ja
zeitlich zusammen) auch leicht erklärlich ist. In dem englischen Bettlerliedchen
') Bd. J, s. 339.
"i Ein nordgermui iisch< 's Sonnenkult lest hol nach Höfler gleichfalls auf anfangs Februar.
Höfler, Lichtmeßgebäoke. In Ztschr. d. V. f. V., 15, 310.
- \iill. II. 369. Floß zitierte hier den Glob. 1877, S. 285.
§ 272. Allerseelen. 333
erinnert nur die Benennung- des Brauches „souling", was vielleicht mit „Seelen"
als Verbum übersetzt werden kann, und die Bitte um einen ,.Seelenkuchen"
daran, daß die Kinder beim Betteln von Erntegaben nebenbei auch der Toten
gedenken. Einige dieser Bettlerliedchen lauten:
Soul, soul, for an apple!
Pray, good missis, a eouple!
One for Peter, two for Paul,
And three for Him as made us all!
Allaby, allaby, ceby ce!
Chris traas') comes but onoe a year,
When it's gone it's never the near!
The cock sat np in the yew-tree,
Then he came chackling by,
I wish you all good morning,
And a good fat pig in the sly.
A good fat pig in the sty!
The lanes are very dirty,
My shoes are very thin,
I pray good missis and master
To drop a penny in!
To drop a penny in!
Here comes one, two, three jolly bcys.
All in a mind.
We are eome in a souling
For what we can find,
Both ale. beer, and brandy.
And all sorts of wine.
Would ye be so kind, would ye be so kind?
We'll have a jug of
Your [best old Jlarch] beer,
And we'll come no more souling
Till this time next year.
With Walking and talking
We get very dry,
I hope yow good neighbours
Will never deny.
For goodness sake,
A soul eake!
Up with your kettle and down with your pan,
Give me an apple and Pll be gone!
Put your band in your pocket,
And pull out your keys,
Go down in your cellar
And draw what you please').
Der Brauch, Allerseelen-Brote zu backen, der uns Deutschen so ge-
läufig ist, war um 1817 auch in der englischen Grafschaft York noch zu
verzeichnen, wie Young schreibt. —
Das allerdings noch sehr spärliche Material, welches mir über die Kinder-
freuden an Allerseelen einstweilen vorliegt, weist nach dem Gesagten immerhin
mit ziemlicher Sicherheit darauf hin, daß sich in diesen Kinderfreuden christliche
und vorchristliche Auffassungen und Bräuche, und innerhalb dieser zwei
verschiedene Gedanken miteinander verknüpft haben: Ernte und Tod. —
') Die Gaben werden demnach schon für Weihnachten gesammelt.
2) 2. Aufl. II, B83.
33-t Kap. XLII. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Frinnerungen usw.
§ 2?3. Sankt Nikolaus und Sankt Martin.
Mehrgestaltiger und deutlicher, als durch die Kinderfreuden am Aller-
seelentag, blickt das alte Heidentum durch die Nikolausfreuden.
Heuser schreibt1) über die am Nikolausfest (6. Dezember) den Kindern
gereichten Gaben: Sie sind „wohl christianisierter Überrest von dem
alten germanischen Feste der Wintersonnenwende, welches einen
Monat (6. Dezember bis 6. Januar) dauerte". — Den Schimmel oder weißen
Esel, auf welchen Nikolaus von den Kindern reitend gedacht wird, bezog
Heuser auf Wodan zurück.
Mit dieser Erklärung stimmt, was Floß schon in der 2. Auflage des
vorliegenden Werkes, und was in neuerer Zeit noch eingehender Max Hofier
geschrieben hat. Hören wir zunächst diesen: Der Kult des hl. Nikolaus hat
sich seit dem 11. Jahrhundert ausgebreitet. Nach der Legende gilt dieser
Heilige, der Episcopus puerorum, als kinderliebender Bischof, der auf Ab-
bildungen 1 — 3 Kinder in einem kleinen Schaff (auch Taufbecken) vor ..sich
hat; oft trägt er ein Buch in der Hand, auf dem 1 — 6 Brote oder Apfel
liegen; Brote angeblich deshalb, weil er die Stadt Myra vor Hungersnot er-
rettete. Auf einzelnen Abbildungen hat er einen Geldbeutel, den er drei
armen Jungfrauen als Mitgift durchs Fenster reicht, um sie durch die Heirat
vor Schande zu bewahren. Durch die stets tätige Volkslegende wurde Niko-
laus nach und nach der Patron verschiedener Stände, ohne aber die heidnischen
Elemente aus seinem Kulte zu verdrängen.*" So stellen die Knappen im Rau-
riser Goldbergwerke in der Nacht vom St.-Nikolaus-Tag jetzt noch Speise und
Trank auf den Tisch der großen Stube des Berghauses für die „Bergmannl";
in der Schweiz heißt diese Nacht die „Schleick-Nacht", in der die „Seelen-
geister" heimlich eine Gabe einlegen (schleicken). Auch heißt sie dort die
Eißgrint-Nacht, in der das Schreckgespenst des Eiß-Grint umzieht. Dem
„Samichlaus" (St. Nikolaus) setzt das Schweizer Kind eine Schüssel voll Rahm
(Opferspeise) samt einem neuen Löffel vor und erhält dafür vom hl. Bischof
Weckenbrot, Birnwecken, Lebkuchen. Nüsse, Äpfel usw.
Das unter den Nikolaus-Gaben überwiegende Brot wird nach
Hofier unter verschiedenen Namen und Formen meist, in süßer Qualität her-
gestellt, als Klausen-, Hutzel-, Klötzen-, Birnbrot. Lebzelten, Klausenzelten
usw., ist aber nach dessen Ausführungen in all diesen Formen nur ein Über-
rest der flachen, fladen- oder zeltenförmig ausgebreiteten, aus
Honig bereiteten heidnischen Opferkuchen (Lebkuchen = libetum =
Opferkuchen).
Nach einem weitverbreiteten Volksglauben zieht in der Nacht vor St.
Nikolaus die Spinnerin. Frau Perchta, deren Namen Hofier in dem Knecht
Ruprecht Mitteldeutschlands wiederfindet, durch die Luft; ebenso der Schimmel-
reiter Wode (vgl. Fig. 363 u. Fig. 365), der Gaben verteilt. Opfergaben er-
heischt, die Seelengeister, die wilde Jagd, anführt2).
Diesen altgermanischen Göttergestalten entsprechen am christlichen Niko-
lausfest der kettenklirrende Klaubauf in Oberbayern, der Packauf in der
Schweiz, die weiße Pudelfrau in Niederösterreich, die Buzi-Percht in
der Gegend von Augsburg, diePerchtel im schwäbischen Deffingen usw.
Plofi3) leitete den Namen „Ruprecht" nicht, wie Höfler es später tat.
von „Perchta" her, sondern von „Hruadperaht", d. h. „dem Ruhmglänzenden",
also von Wodan selbst, den der germanische Mythus in den zwölf Rauch-
') In Wetzer und Weites Kirchenlexikoii. 2. Aufl., Bd. 4. Sp. 1427.
») Höfler, St.-Xikolnus-Gebäck in Deutschland, S. 80f.
Aufl. II. 383.
§ 273. Sankt Nikolaus und Sankt Martin.
335
nachten1) oder Loostagen auf weißem Eoß durch die Lüfte reiten und sich
jagend ergötzen ließ. „Als Knecht Ruprecht nahm Wodan christliche Formen
an.'' Die Namen Bartel, Bärdel oder Eärtel, wie St, Nikolaus im süd-
deutschen und Lausitzer Kindermund auch heißt, führte Phß auf deu
langen Bart zurück, mit welchem er vielfach seine Bolle bei den Kindern
spielt, bzw. mit welchem Wodan im Mvthus, aber auch der heilige Nikolaus
als Bischof ausgestattet gedacht ist. In Mecklenburg habe man diesen
früher geradezu Wode geheißen; in Norddeutschland komme er als Klas.
Bullerklas, und Aschenklas, in Schlesien als „der alte Joseph'" vor. — Ganz
das heidnische Wesen hat nach Phß der Begleiter des heiligen Nikolaus, der
österreichische „Grampus" (Krempus) in Pelz, mit Hörnern, roter Zunge und
mit einem Tragkorb auf dem Rücken beibehalten (Fig. 129 in Kap. XVII),
der in Kärnten übrigens auch als „Bartel" also mit dem gleichen Namen
bekannt ist, den St. Nikolaus selbst in anderen Gegenden trägt. —
Fig. 363. Sankt Nikolaus als Schimmelreiter. Figur vom Niederrhein. — In den Schuhen ist Futter
für den Schimmel des Heiligen, oder vielmehr für Wodans Schimmel -'i. In der K. Sammlung für deutsche
Volkskunde in Berlin.
Fassen wir. das bisher Gesagte zusammen, so wird es uns klar, daß sich
um den christlichen Heiligen, auf dessen Fest sich die Kinder schon lange vorher
freuen, ein bunter Kranz vorchristlicher Auffassungen und Bräuche geschlossen
hat. Bergmännchen, Seelengeister, Eiß-Grint, Perchta und Wodan haben dem
heiligen Nikolaus teils schaurige, teils erfreuende Züge ihrer Persönlichkeit
und ihres Wirkens abgetreten. Später taucht er wieder als Weihnachts-
mann auf.
Indessen mögen hier einige Nikolausbräuche in ihren Einzelheiten er-
wähnt werden.
In Altenstadt an der Hier, bayrisches Schwaben, bringt der
St. -Nikolaus-Tag den Kindern, hauptsächlich der Landbevölkerung, eine drei-
fache Freude. Die erste, mit Furcht gepaart, erleben sie am Vorabend.
Wenn es draußen dunkel geworden ist und die kleineren Kinder, welche noch
an den „Klaus glauben", bei der Mutter in der beleuchteten Wohnstube sind,
') Vom 25. Dezember bis 5. Januar.
2) Vgl. einen ähnlichen Brauch in flämischen Gegenden.
336 Kap. XLIL. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw-
■dann verkleidet sich draußen der Vater (oder eines der größeren Geschwister),
indem er einen Sack über sich wirft und Kopf und Gesicht mit Flachs oder
Stroh verhüllt. Um den Hals legt er sich einen jener mit Schellen besetzten
Eiemen. welche unter Tags deu Pferden an den Schlitten umgehängt werden,
versieht sich mit kleinen Geschenken und einer Rute, und so schreitet er
heftig schellend über den Hof gegen das Haus heran. Die Kinder ziehen
sich erschreckt vom Fenster zurück, an welchem der Stroh- oder Flachskopf
•des Klaus erscheint. Mit tiefer Stimme fragt dieser durch das von der Mutter
geöffnete Fenster, wer im verflossenen Jahr brav oder böse gewesen sei, worauf
er eine aus Birkenreisig zusammengebundene Rute, aber auch Nüsse, Äpfel
und gedörrtes Obst in die Stube wirft, - - Der zweite Festakt vollzieht sich
am Nikolaustag selbst, in aller Frühe, wenn die Kinder noch im Bette sind.
Die Vorbereitungen müssen sie vor dem Schlafengehen teilweise selbst treffen,
d. h. jedes Kind stellt einen Teller in der Stube auf und betet dem Klaus
ein Vaterunser. Am nächsten Morgen braucht es nicht der üblichen Mahnung
zum Aufstehen. Sie können die Morgenstunde ja kaum erwarten und stürmen
die Treppen herunter in die Wohnstube hinein, jedes zu seinem
t Teller. In der Ecke, wo die beiden langen Stubenbänke zu-
sammenlaufen, steht abermals eine Rute. Sie ist mit einer
künstlichen Myrte oder Blume geziert, aber immerhin eine Knie,
eine verzierte Drohung. Doch, das geniert so sehr nicht für
den Augenblick. Jedes Kind Jiat ja seinen Teller voll Apfel.
Nüsse, Dörrobst, Lebkuchen und dabei einen „Klausazopf", d. li.
einen auf Nikolaustag eigens gebackenen, zopfartig verschlungenen
Kuchen. (Vgl. die Allerseelenzöpfe im vorigen Paragraphen.)
Felsenfest glauben die Kinder, bis ihnen ein größeres das Ge-
Fig. 364. Ein heimnis verrät, daß der heilige Nikolaus, dessen Legende sie ja
„pflaumen- kennen, die Gaben in stiller Nacht beschert habe. -- Der drilte
eS'r' ;ies ht Festakt erfolgt gegen Mittag. Da kommt je eine Tochter der
Nikolaus ge- beiden Taufpaten und bringt noch viel schönere Lebkuchen als
dacht. Q-eschenK , .. , ,,. f TT. . , , , . • T-i j? i i
für Kinder am der nachtliche Klaus beschert hat; dazu einen „Klausazopf und
Ska°«™!samnv Nüsse, jedem Kind seine eigene Portion. Kein Wunder, daß
lung für deut- „Klausatag" dem sonst sehr sparsam gehaltenen bayrischen
M'llt' \ Ol KSK 11 ml e *
in Beii in. ' Schwabenkind bis vor zirka oO Jahren der begehrteste Tag
im ganzen Jahre war. Seitdem freilich tritt diese Freude
immer mehr und mehr hinter der Clrristbaumfreude an Weihnachten zurück. —
Aus dem Fränkisch-Hennebergischen hat Plu/i1) einen Besuch des
st. Nikolaus oder „Knecht Ruprecht" am Abend des Nikolaustages erwähnt,
Er erscheint hier mit einer Gerte oder Rute in der Hand, in einem
Pelz vermummt, läßt die Kinder ein Gebet hersagen uud droht den Un-
gezogenen, worauf er auch hier aus seinem Sack Nüsse und Äpfel unter
die Kinder wirft. — In der Meininger Gegend heißt diese Schreckgestalt
„Herscheklo-es".
In Eisfeld im Thüringer Wald wickelt sich am „Klausmarkt" das
junge Volk in Erbsenstroh, oder verkleidet sich von oben bis unten in
Federn, oder in Linnentroddeln u. dgl, setzt eine Larve und eine Mütze
aus Pappe oder Stroh auf, legt ein Schellengeläute um und springt
unter Juhgeschrei und Peitschenknall von Lichtstube zu Lichtstube, von
Haus zu Haus, läßt die Kinder und erwachsenen Mädchen beten, teilt
\pfel und Nüsse aus, nimmt Geschenke entgegen und sagt Sprüche auf,
Li runter den folgenden:
') 2. Aufl. II, 327.
§ 273. Sankt Nikolaus und Sankt Martin. 337
.,Ich bin der Hans von Flederwisch,
kann die Kinder schon erwischen hinterm Tisch,
vor dem Tisch,
in den Ecken
wo sie stecken.
und schreien sie alle mordjo,
so rufen wir doch nur ho! ho!" — (F. Kunze nach Möbius.)
Aus dem Liebauer Tal in Niederschlesien schreibt Patschovsky:
Hier kommt der Nickel, auch Ruprecht genannt, an einem Abend der Advents-
zeit, hauptsächlich am Vorabend vom Feste des hl. Nikolaus. In
einen umgekehrten Pelz gekleidet, mit großem Bart, einer Pelzmütze und
Ketten, trägt er einen Sack voll Äpfel, Nüsse usw., sowie eine Rute und
spricht in die Stube stolpernd:
„Holla, Holla, ich kurame rei gefalla!
Hirt ihr ne a 'Sack schun knalla?
Will sahn, ob die Kinder schin fleißig bata und singa.
Do will ich a ne große Bürde briuga!
Thun se aber ne bata und singa,
Do wird a de Kutte um a Hintern rumspringa.
Wenn Ihr ei de Schule thut gihn.
Bleibt Ihr uf alla Wega stihn,
Beißt de Blätter aus a Büchern
Und zieht a Leuten a schief Gesieht.
Oll das unartige Pack
Stecke ich ei diesen Sack." —
Manche verspotten den Nikolaus auf diesem Gang, indem sie ihm zurufen:
., Vater unser, der du bist,
Schmeiß a Nickel uf a .Mist usw."
Dafür bekommen sie aber die Rute zu fühlen. —
Im polnischen Oberschlesien gehen nach Nehring am Vorabend von
St. Nikolaus Knaben als Priester M und Engel verkleidet umher, erkundigen
sich nach dem Betragen der kleinen Kinder, fragen sie im Katechismus aus,
schlagen die Unartigen mit Ruten und beschenken die Braven mit gedörrtem
Obst. Sie selbst erhalten am Schluß etliche Pfennige geschenkt.
In den vläinischen Bezirken Belgiens kommt St. Nikolaus am Vor-
abend seines Festes auf einem Esel geritten und hat zwei große Körbe an
seinem Sattel. Die Kinder stellen für ihn ein Körbchen, einen Teller oder
einen Schuh, den sie vorher selbst geputzt haben, mit Heu, Brot und Mohrrüben
gefüllt, unter den Schornstein2), damit der Heilige ihnen aus seinen Körben
!) Wohl als Bischof, da St. Nikolaus Bischof war, als welcher er auch auf Abbildung
365 erscheint.
2) Hier reitet also St. Nikolaus, wie Wodan, in der Luft. Ahnliche Vorstellungen und
Bräuche knüpfen sich an das Martinifest. Nach Heuser reitet dei hl. Martin in Ypern
nachts über die Schornsteine, weshalb die Kinder bei den Eltern und Paten am Vorabend
für dessen Schimmel einen Strumpf mit Heu in den Kamin hängen. Am folgenden Morgen
ist er mit Geschenken gefüllt. In Belgien, Norddeutschland und am Niederrhein
gehen an diesem Tag die Kinder von Haus zu Haus, um übst und Backwerk zu erbitten;
in Westfalen betteln sie Schinken, Speck und Würste, am Rhein auch um ein Stückchen
Holz. (Über das Martinsfeuer später.) — Vor der Obstbeseherung springen die Kinder an
diesem Tag über einen ausgehöhlten Kürbis mit einer brennenden Kerze im Innern und
singen dabei ein Lied. Auch gibt es Kinderumzüge mit solchen Kürbissen oder Papier-
laternen, wie Heuser im Hinweis auf von Reinsberg-Diiringsfi'hl schreibt. Nach Heuser unter-
liegt es keinem Zweifel, daß auch diese und andere Volksbräuche am Martinstag Überreste
vorchristlicher, und zwar keltischer und germanischer Erntefeste und Ernte-
opfer sind. In Gallien habe man an Stelle der keltischen Gottheiten, in den germanischen
Ländern an Stelle Wodans, den vielverehrten, wohltätigen hl. Martinus treten lassen. Schimmel
und Mantel des Heiligen erinnern au Wodan; desgleichen die Martinsgans; denn dem Wodan
wurden Gänse geopfert. Ebenso seien die an Martinitag geschlachteten Schweine, die her-
umgeschickten Würste, der Martinswein usw. Erinnerungen an vorchristliche Opfer und
Opfergemeinschaft. —
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 22
338 Kap. XLII. Feste uud Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
Leckereien und Spielsachen hernnterwerfe. Vor dem Schlafengehen singen
die Kinder ein Lied, welches Ploß1) in folgender Übersetzung gab:
..St. Xiklas, mein guter Mann,
Wollt Ihr mir wohl was geben?
Dann dien' ich Euch mein Leben lang.
Gebt Ihr mir Nichts, dann dien' ich Euch nicht.
Dann seid Ihr mein St. Nikläs'chen nicht." —
Den Unfolgsamen bringt Nikolaus auch hier eine Ente, welche zur
Warnung im Schornstein aufgehängt wird. —
Eine andere Art Nikolausfreude hat die Straßenjugend iu einem der
Kirchenspiele der portugiesischen Stadt Porto, welches St. Nikolaus als
Schutzpatron hat. Hier wird dem Abt der Kirche, nach altem Brauch, am
Fig. 866. Der hl. Nikolaus mit Gefolge. Links ein Engel, dann der Reihe nach, von links nach rechts:
Nikolaus. Teufel i Krampus), der sogenannte Klilma, eine Stutenmaske mit Reiter, nnd der ..Kozlik" /.iegen-
bockmaske)';). In der K. Sammlung für deutsche Volkskunde in Berlin. iAus dem Tm- hech isch-
Ethnographisohen Museum in Prag.)
6. Dezember ein Maß Kastanien gebracht, vor der Kirche gebraten und von
der Straßenjugend verzehrt (M. Abehing nach Theophilo Braga). —
§ 274. Advent.
Nur vier Bräuche liegen mir über diese Zeit vor, bei denen die Kinder-
welt eine Rolle spielt3). Drei tragen einen ausgesprochen christlichen Cha-
rakter; der vierte dürfte auf vorchristliche Zeiten zurückgehen. Jene bilden
') 2. Aufl. II, 386.
'-) Nach Heuser i Wetzer und Weites Kit
der Bock an einzelnen Orten Böhmens die
Hörner. worauf der Teufel ihnen einige Schlag
ai Allerdings liegt auch der Nikolaustag
da St. Nikolaus in manchen Gegenden mit dei
vorchristliche .lullest seine Vorfeier bis in d
dem 6. Januar abschloß, andererseits aber auch
maßen ein in sich geschlossenes Ganze bildet,
bis 278 nur durch bestimmte Eigentümlichkeiten,
ehenlexikon 2. Aufl., 4. Bd.. Sp. 1427) nimmt
Kinder, welche nicht beten können, auf die
e mit der Rute versetzt.
und Martini innerhalb der Adventzeit, und
Weihnachtsmann identisch ist; da ferner das
en November hinein erstreckte und ersl niil
der christliche Festkreis dieser Zeit gewisser-
so rechtfertigt sich die Abteilung der S,S, 273
welche dadurch deutlicher hervortreten sollen.
§ 275. Weihnachten. 339
eine Vorbereitung auf Weihnachten, sind also ein Ausdruck der liebevollen
Erwartung des Christkindleins im eigentlichen Sinn des Wortes.
In Alnwick, Northumberland, brachten früher die Knaben am
lf>. Dezember (.,0 Sapientia") Hörner mit zur Schule, auf denen sie im Heim-
gehen süße Weisen (auf das Christkind?) spielten.
Über Adventsbräuche in den Münchener Vorstädten Giesing und
Au schrieb Adolphine Freiin von Reichlin-Meldegg: Früher war hier das
„Ansingen" ein beliebter Adventbrauch. Kinder und junge Leute zogen
scharenweise vor die Häuser ihrer Bekannten und sangen vor den Fenstern
oder in der Hausflur allerlei Adventlieder. Dafür bekamen sie getrocknete
Trauben u. dgl. Leckereien, manchmal auch einige Pfennige an Geld.
Ein anderer Brauch war ebendort das ,,Ins Herbergen gehen", woran
gleichfalls neben den Erwachsenen Kinder teilnahmen. Abends gegen sieben
Uhr versammelten sich in der Adventzeit benachbarte Familien bald in diesem,
bald in jenem Haus, wo neben brennenden Wachskerzen zwei Figuren, Maria
und Joseph, auf dem Tisch standen. Alles kniete nieder, betete den Rosen-
kranz und sang hierauf die „Herbergslieder", welche über die Härte der
Betblehemiten klagten, die Joseph und Maria von ihren Häusern gewiesen
hätten. Auch Hirtenlieder wurden beim „Herbergen" gesungen. Am Schluß
bot man Joseph und Maria das eigene Herz als Heiberge an. —
In Oberbayern und im bayrischen Schwaben war es in der 2. Hälfte
des 19. Jahrhunderts auf dem Lande noch Brauch, daß die Kinder im Advent
..Klöpfeln". bzw. „Klopferla" gingen, d. h. sie klopften mit einem hölzernen
Hammer an die Türen der Häuser und sagten oder saugen Bettelverse dazu,
wofür man ihnen getrocknetes Obst und Nüsse hinauswarf. - Ein christ-
liches Element scheint diesem Brauch nicht zugrunde zu liegen. Vielmehr
dürfte der Brauch mit jenen in § 272 und § 273 erwähnten verwandt sein.
Die Kinder erbitten Gaben von der Fülle des Eingeheimsten. Wir haben
also wohl auch hier einen Best alter Erntefestbräuche. —
§ 275. Weihnachten.
Am meisten freut sich das deutsche Kind beim Herannahen des V\ eih-
nachtsfestes heutzutage wohl auf den Weihnachts- oder Christbaum, sei es
nun von seinen Eltern oder Lehrern auf die wesentliche Festfreude des
gläubigen Christen hingewiesen oder nicht. Der Baum ist schön und
mit Leckerbissen beladen, und das genügt, um ein Kind in freudige Stimmung
zu versetzen.
Woher nun stammt dieser Weihnachtsbaum, und was bedeutete er,
ehe er das Bild Christi, des ewigen Lebens, die an ihm prangenden Lichter
das Bild Christi als das Licht der Welt, und die an ihm hängenden, später
zu verteilenden Gaben das Bild der gegenseitigen Liebe und allgemeinen
Freude der Christeumenschen geworden ist?
Ploß schrieb1): „Man nahm bisher an, daß der mit Lichtern besteckte
Weihnachts- oder Christbaum den romanischen Völkern völlig unbekannt,
und daß er ziemlich spät erst in Deutschland aufgetreten sei. da Luther
und andere ihn noch gar nicht erwähnen. Dagegen erfahren wir durch die
Nachforschungen von Alwin Schulte („„Das höfische Leben zur Zeit der Minne-
singer""), daß man schon im zwölften und dreizehnten Jahrhundert den
Christbanm recht wohl gekannt habe, wobei Schultz noch hinzufügt: „„wenig-
stens in Frankreich''"; denn in zwei Gedichten jener Zeit wird ein Lichter-
baum erwähnt, auf dessen Spitze ein nacktes Kind, das Christkind, sichtbar
ist. Entstanden aber ist die Sitte, einen Lichterbaum zum Weihnachtsbaum
') 2. Aufl. IL 385.
22*
340 Kap. XLII. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorehrisÜ. Erinnerungen usw.
anzuzünden, vielleicht auf deutschen Boden aus heidnischen Bräuchen; so be-
hauptet unter anderen Albert Freybe (in seinem Buche: „„Weihnachten in
deutscher Dichtung'""): ,.,,In Deutschland wurden die Jul-Feuer zum Weih-
nachtsbaum."" —
„Eine gründliche Untersuchung dieser vielumstrittenen Frage." fuhr Plo/i
weiter, „nahm Mannhardt1) vor, wobei er zu folgender Entscheidung kam:
Die all heidnische Natursymbolik der nordischen Völker und die
christliche Poesie trafen in mehreren Punkten zusammen, in der
Idee des Lebensbaumes, wie in der Zeit seiner Darstellung ... Jene
altheidnische Natursymbolik findet sich noch hie und da in einigen Spuren,
doch stellt sie auf dem Aussterbeetat. So fand Birlinger-) in manchen Orten
Schwabens den Brauch, zur Weihnachtszeit die Obstbäume des Gartens mit
einem Strohseil zu umwinden, angeblich um die Fruchtbarkeit derselben zu
erhöhen. Dagegen erobert sich der Christ- oder Tannenbaum immer mehr
Terrain. Aus Oldenburg schreibt Stracherjan*): ....Der Tannenbaum ist erst
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts hier eingeführt, verbreitet sich aber
mehr und mehr."" In unserm Jahrhundert *) hielt er seinen Einzug in England."
Plo/i wies auch auf Weinhold5) hin, der im Tannenbaum der Weihnachts-
zeit ein Symbol der wiedererwachenden Natur sah. indem er schrieb: ..So wird
also zu Weihnachten mitten im winterlichen Schnee der grüne Tannenbaum
als Andeutung der wieder nahenden AUj cht des Frühlingsgottes auf-
gepflanzt." —
Fnt: Ortwein und Ernst H. L. Krause scheinen den „Lichterbauni"
des 12. und 13. Jahrhunderts nicht gekannt zu haben: denn Ortwein glaubte
den Weihnachtsbaum nur bis auf das Jahr IG 0*4 zurückverfolgen zu können"),
und zwar sei er zum erstenmal in Straßburg erwähnt worden. Bis zum
15. .Jahrhundert gehe der auch jetzt noch teilweise überlebende Brauch zurück,
im November Zweige von Kirsch- und Apfelbäumen abzuschneiden und sie
ins Wasser zu stecken, damit sie an Weihnachten aufblühten. Lichter waren
,in den Straßburger Tannenbäumen des Jahres L604 nicht, wohl aber bunte
Papierrosen, Äpfel, Oblaten. Rauschgold und Zucker. Noch im Jahre lt>57
von Dannhauer als abgöttisch bekämpft, habe bereits 1737 Kissling in
Zittau den Weihnachtsbaum mit seinen Lichtern und den darunter liegenden
Geschenken als schönen Brauch empfohlen. —
Haben wir schon in Dannhauers Bezeichnung des Weihnachtsbaumes
als „abgöttisch" einen deutlichen Fingerzeig auf den heidnischen Ursprung
des Weihnachtsbaumes, so sehen wir einen zweiten, noch deutlicheren in
der folgenden Mitteilung Krauses1), dessen vermeintlich „älteste" Nachricht
über den Weihnachtstannenbaum vom Jahre 1508 allerdings auch noch zu
neu ist, wenn der erwähnte „Lichterbaum" ein Tannenbaum war. obgleich.
wie wir sehen. Krauses Datum für die gleiche Stadt Straßburg fast um ein
Jahrhundert weiter als Ortweins zurückseht. Nach Krause hat nämlich im
Jahre I5<H der volkstümliche Kanzelredner Oeiler von KaiserbeTg auf den
heidnischen Charakter der Straßburger Weihnachtsbräuche hingewiesen und
betont, sie müßten abgeschafft werden. Die Heiden hätten um Neujahr
') Wilhelm Mannhardt, Der Baumkultus der Germanen und ihrer Nachbarstämme
Berlin L875.
*) Antun Birlinger, Sitten und Volksbräuche. Wiesbaden 1 KT > . II. S. 12.
, /., Strackerjan, Aberglaube und Sagen usw. Oldenburg 1876. II. S. 26.
l) Es ist das V.> Jahrhundert gemeint.
i Weihnachts-Spiele und Lieder. S. 17.
i Bei /.'. Andree. Im Globus 62, 380.
■i Globus, Bd. 70. 388.
§ 275. Weihnachten. 341
den Janus1) mit Tanzen, Springen, Stechen, mit Tannenreislegen
in den Stuben, sowie mit gegenseitigen Geschenken in Lebkuchen,
Wein und mit „beeilten-1 geehrt. Dieses letztere Wort weist nach Krause
auf den alten süddeutschen Berchtakultus hin. Die Salzburgische Wald-
ordnung kenne noch im Jahre 1755 „Bechl- oder Weihnachtsboschen-'.
Die katholische Kirche habe um ltiUO gegen den Tannenbaum nichts mehr
eingewandt, wohl aber habe ein reformierter Straßburger Münsterpfarrer noch
1654 aufs neue zur Abschaffung dieser „Lappalien-' gemalmt.
Nicht mit dem römischen Janus- und dem germanischen Berchtakult,
aber mit dem griechischen Apollokult hat schon Konrad Zacher den Vor-
gänger unseres Weihnachtsbaumes in Verbindung gebracht'2). An verschiedenen
Festen, teils im Frühjahr, teils im Herbst, haben im alten Griechenland Knaben
Öl- und Lorbeerzweige, mit bunten Bändern geputzt, mit Früchten und mannig-
fach geformtem Backwerk behangen, umhergetragen3), worauf die Zweige
(Firesione) vor dem Tempel des Apollo aufgestellt, oder über der Türe von
Privathäusern aufgehängt worden seien, „ganz wie unsere Pfingstkrone
oder in Rom die Corona spicea".
Andere Vorgänger unserer Weihnachtsgeschenke glaubte Ploß4^) in den
Geschenken gefunden zu haben, welche die Römer am Feste der Sigillaria
sich gegenseitig und, wie es scheint, auch den Kindern machten. Die Ge-
schenke bestanden hauptsächlich in Wachskerzchen und Figürchen, auch
Wachs, Ton u. dgl., wie sie den Kindern als Spielsachen gegeben wurden. —
Der gegen Ende des 4. Jahrhunderts lebende Grammatiker Maerobiusb) be-
merkte, dieses Fest gewähre der noch kriechenden Jugend Spiel mit irdenem
Geschirr. Demnach gehörte zu den Saturnaliengeschenken auch eine Art
Puppengeschirr.
Was die Zeit betrifft, so feierte man die Sigillarien nach den Satur-
nalien, also in der zweiten Hälfte, des Dezember, in welcher auch das germa-
nische erste große Opferfest des Jahres, Jul, fiel, dessen Name heute noch
im nördlichen Europa das christliche Weihnachten bezeichnet, wie dieses
letzte Wort den Deutscheu noch stets an die heiligen zwölf Nächte erinnert,
die im germanischen Mythus mit der Nacht des 25. Dezember begannen.
Und wie die Germanen, Römer und Griechen, so feierten die alten Ägypter
um die Zeit unseres Weihnachtsfestes die Wintersonnenwende6).
Ein bevorzugter Anteil der altgermanischen Jugend an der Feier dieser
Zeit dürfte bisher kaum nachgewiesen worden sein. Ploß vermutete jedoch
eine solche. Jedenfalls war nach Grupp das Mittwinterfest unserer Vor-
fahren ebensowenig allgemein verbreitet wie ihr Mittsommerfest am 2\. Juni,
auf welches ich später zurückkomme. Aber einige hier folgende Bräuche,
bzw. dabei gebrauchte Ausdrücke, scheinen doch zu dem Schluß zu berechtigen,
daß die Kinder schon am altgermanischen Julfest, oder um diese Zeit
herum, beschenkt wurden.
') Bekanntlich ist Janus ein altitalischer Gott, unter dessen Schutz die Türen (januae)
der Häuser, aber auch der Anfang (initium) aller Unternehmungen und Dinge, somit auch
der Anfang des neuen Jahres (Januarius), der Anfang des Lebens, die Zeugung usw., ge-
stellt wurden.
2) Hier wäre wohl Apollo als Besieger der Dämonen des Winters und der Finsternis,
somit auch als Hott des wiedererwachenden Lebens aufzufassen.
3) Vgl. die sich hierher beziehenden Mitteilungen bei Plutarch und Suidas in § 272.
Bei Ploß. 2. Aufl. II. 368 f.
«) 2. Autl. IL 382.
*) Saturnal. eonviv. Bei Ploß. ebenda.
«) Heuser in Wetzer und 'Weites K. L, 2. Aufl., 4. Bd.. Sp. 143?. — Wie wir am
Schluß dieses Paragraphen erfahren, feiern auch Indianervölker die Wintersonnenwende.
Ebenso die Chinesen.
342 Kap. X LH. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorehristl. Erinnerungen usw.
Auf Shetland galt der Vorabend vom Thomastag. der fünfte Abend
vor Weihnachten1), für besonders heilig. Auf ihu beziehen sich die Verse:
..The verv babe unborn
eries oh dul! dul!
For the breaking o' Thoraas' night.
Five nights afore YuTe." —
Am Vorabend von Weihnachten knetete und buk man in den Familien
für jedes Kind einen runden, am Rand gezackten (Bild der Sonne?) Haberkuchen,
den sogenannten Yule-cake, dessen Größe sich nach dem Alter der Kinder
richtete. Am Weihnachtsmorgen wurde das gemeinsame Frühstück in den
Familien bei künstlichem Licht eingenommen, wobei von den Kindern mancher
Kerzenstummel zum Vorschein kam. den sie seit Monaten für diese Gelegenheit
verborgen hatten (vgl. die Lichter in den ausgehöhlten Kürbissen am Martini-
tag S. 337. Ainii. 2, welche Heuser auf einen vorchristlichen Brauch zurückbezieht).
Aus Northumberland teilt Balfour-Northcote mit, man habe dort früher
den Kindern an Weihnachten ein „Jule-Baby". d. h. einen aus süßem Teig
gebackenen Kuchen in Kindleinform, geschenkt. In Kindesgestalt war auch
der Jule-Teig, welchen die Bäcker zur Weihnachtszeit ihren Kindern gaben.
Das Kind sollte an das Jesukind erinnern, schreibt Balfour-Northcote, was
unter dem Christenvolk freilich zweifellos ist. Aber sehr wahrscheinlich dünkt
es mich, daß sich in den obigen zwei Bräuchen nicht nur der Name, sondern
auch die Gabe aus altgermanischer Zeit ertialten hat.
.Tule-Kerzen in der Länge von einer halben Elle und Jule-Klötze
zündete man früher in Yorkshire an, um die heilige Weihnacht taghell zu
erleuchten, wie Mrs. Gutch berichtet. —
Vorchristliche Bräuche dürften auch die nächstfolgenden drei aus England
und Schottland sein:
In Suffolk County ist es auf dem Lande vielfach Brauch, daß die
Knaben und größeren Burschen an Weihnachten in den Wald auf die Eich-
hornjagd gehen. Sie treiben die Tierchen mit Stöcken. Steinen und Geschrei
von Baum zu Baum (Wodans Jagd?).
In Northumberland gehen die Knaben, teils am Christabend, teils am
letzten Tag des Jahres, von Haus zu Haus mit der Bitte um ,,Hogmonay"
oder „Hogmena". Im nördlichen Northumberland versteht man darunter einen
kleinen Kuchen oder gewürztes Brot. Käse und Likör (Balfour-Northeote).
In Lerwick, Hauptort der Shetland-Inseln. gehen die Kinder am
Christabend2) maskiert durch die Straßen, fallen in die Privathäuser und
Kaufläden ein und fordern Gaben für Weihnachten {Black). —
Auch in den vlämischen Bezirken Belgiens gehen die Kinder am
Weihnachtsabend von Haus zu Haus, um Gaben zu sammeln. „Ist's erlaubt?"
fragen sie zuerst, und singen hierauf Kers- oder Weihnachtslieder, wofür sie
Pfefferkuchen, Äpfel und Nüsse erhalten. —
Statt Gaben für sich zu erbitten, verteilt in Fröhden. Kreis Jüterbog-
Luckenwalde, die größere Jugend solche hauptsächlich an kleinere Kinder,
allerdings nachdem sie sie selbst zuvor von den Eltern der Kinder in Empfang
genommen haben. Am ersten Christmarkt verkleiden sich zu diesem Zweck
Burschen und Mädchen; diese mit weißen Kleidern, jene als Ruprecht8). Die
Gaben werden ihnen von den Eltern der Kinder im Hausflur zugesteckt.
') Da Thomastag auf den 21. Dezember füllt, dieser aber der Wintersonnenv i'inl -
tag i^t, so ist es wahrscheinlich, daß die Shetländer heute noch deshalb den Vorabend
vom 21. Dezember für besonders heilig halten.
m Dieser soll dort auf den 4. Januar fallen, (f'owie bei Black, C. K. L. III, 203.)
») Vielleicht handelt es sieh hier um Nikolaus-Geschenke. Doch vgl. den Etupi ich!
<lcs Liebauer Tales am Christabend.
§ 275. Weihnachten. 343
In der Eliön ist am zweiten Christtag das „Höckeltragen" Brauch. In
großen weißen Bündeln (Höekeln) bringen die Paten an diesem Tag ihren
Patenkindern, je nach der Entfernung stundenweit her, das Christgeschenk.
d. h. große Wecken oder Brezeln und kleineres Backwerk, z. B. Eeiter oder
..Docken" aus Marzipan ').
In Ostfriesland und Jeverland bäckt man aus Semmelteig, der mit
Korinthen gemischt wird. 8 — 10 Zoll lange und entsprechend hohe Schweine,
Hirsche. Hasen und Pferde. — Ein Vergleich dieser Geschenke mit der
Bedeutung der Weihnachts-, St.-Nikolaus- und St.-Martinus-Geschenke erklärt
die Bedeutung wohl auch dieser Tierfiguren aus heidnischen Vorstellungen
und Opfern.
Ähnliche Weihnachtsgaben, deren gemeinsame Eigenschaft „süß" ist,
werden wohl in allen Ländern deutscher Zunge verteilt. Diese Süßigkeit
wird teils auf vorchristliche Götterspeisen, wie Höfler nachwies, teils aber
doch auch auf die Vorliebe der Kinder für Süßigkeiten zurückzuführen sein.
Bei der schwäbisch-bayrischen Landbevölkerung gab es um das
Jahr 1870 in der Regel nur ein Weihnachtsgeschenk, d. h. den „Zelta", ein
großes Früchtebrot. Auch seine vorwiegende und am meisten geschätzte
Eigenschaft war das ..Süße" der gedörrten Birnen, welche in möglichst großer
Anzahl mit dem Teig gemischt wurden. Jedes Kind und jeder Erwachsene
erhielt einen eigenen Laib.
Neben diesem materiellen Genuß brachte Weihnachten dem katholischen
Schwabenkind einen religiösen: Die Krippe. Wochen-, ja monatelang
bereitete man sich in besser situierten Familien, die einen ..Kripplisberg"
in größerem Maßstabe erbauten, dazu vor. Denn wenn die Hauptartikel
auch von Jahr zu Jahr aufgehoben wurden, so gab es doch immer wieder
vieles zu erneuern, umzugestalten oder ganz neu zu schaffen. An den
langen Winterabenden halfen die erwachsenen Brüder mit, wenn sie den
kleinen Geschwistern hold und nicht eben im üblichen ..Heimgarten" bei
Nachbarn waren. Da wurden aus weichem Wachs und aus Holz Köpfe und
Pumpte gebildet. Drahtglieder durch entsprechende Fmwicklung mit Stoff
hergestellt und jenen einverleibt: die größeren Mädchen fertigten Kleider für
die Figuren und verputzten sie mit alten Silberspitzen aus früheren Trachten
der Mütter und Großmütter usw. usw. Besonders geschickte Brüder arbeiteten
an der Mechanik, welche einen Teil des „Krippiisberges" in Bewegung ver-
setzen, das Wasser eines kleineu Teiches am Fuß dieses Berges springbrunnen-
artig auftreiben sollte usw.
Einige Tage vor Weihnachten gings in den Wald, um lebende und tote
Baumstämme ihrer prächtigen Moosbekleidung zu berauben und diese samt
bemoosten Baumstrünken und Tannenzweigen zu sammeln. All das brauchte
man zum „Kripplisberg". Gewöhnlich wurde dieser in der Tischecke aufgebaut.
Am Fuße des Berges war die Höhle mit dem Christkindlein auf Stroh; Maria,
Joseph und die Hirten mit ihren Schaf lein daneben, ein lieblicher Anblick. In
einiger Entfernung sah man Bethlehem, und noch weiter weg Jerusalem aus
Papier- oder Holzhäuschen. Auf der Spitze des Berges erschien auch schon
die Karawane der heiligen drei Könige. Der „ganze „Kripplisberg" und die
Ebene au dessen Fuß war mit Menschen, Vierfüßlern, Vögeln, Springbrunnen,
kleinen Teichen mit Fischen und Wasser vögeln usw. belebt — kurz: der
„Kripplisberg" war eine Welt im kleinen, ein Paradies im Kinderauge, das
in einzelnen Häusern, die auf Zuschauer aus weiteren Kreisen rechneten, die
ganze Wohnstube einnahm.
*) Vgl. ..Patengesehenke" in Kap. XVII.
344 Kap. XLII. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
Der Reiz solcher Darstellungen wurde erhöht durch den Wechsel der
Szenerien. Jedes Fest im Weihnachtszyklus brachte Veränderung. Schon am
2. Weihnachtstag kniete der erste Märtyrer der christlichen Kirche. Stephanus,
in einiger Entfernung von der Geburtshöhle des Jesuskindes, umgeben von
seinen Steinigern. Am 4. Weihnachtstag wurde der Bethlehemitische Kinder-
mord durch entsprechende Figuren dargestellt: am Neujahrstag folgte die Be-
schneidung; am 6. Januar knieten die heiligen drei Könige vor der Krippe.
Ferner gab es entsprechende Figuren für die Flucht nach Ägypten; dann
kam der 12jährige Jesusknabe im Tempel und endlich die Aufopferung des
Jesuskindes an Maria Lichtmeß. Nach diesem Tag wurde der „Kripplisberg"
abgebrochen l).
In Oberbayern gab es Gegenden, wo die Kinder ihrer Freude über die
Geburt des Christkindleins durch Reigentänze in den Kirchen Ausdruck gaben,
wie A. von Reichlin-Meldegg schrieb. Die Erwachsenen klatschten dazu
Beifall (und sangen?):
..Süllen pfeiffa, sullen geiga.
Süllen singa, sullen springa,
Sullen all lusti sei .
Weil uns heut geboren.
Ganz rein auserkoren.
Ein Kindelein fein.-' —
In Lothringen geht am heiligen Ab_end ein weißgekleidetes Mädchen
als Christkind zu Kindern unter 10 Jahren. Vor dem Mitternachtsgottes-
dienst schellt es vor den Häusern und wirft zunächst Apfel. Nüsse und Zucker-
werk hinein. Die Kinder knieen nieder und beten. Dann verläßt die Mutter
die Stube mit der allerdings wenig christlich-pädagogischen Mahnung, die
Kinder sollen nicht zur Tür hinausschauen, weil sie sonst vom Christkind
mit feuriger Hand ins Gesicht geschlagen würden. Sie selbst wolle nun dem
Esel des Christkindes Futter bringen. Draußen reicht sie dem Mädchen die
Gaben, und so erhält jedes brave Kind ein Christbäumchen von 20 — 40 cm
Hölie. das mit Zuckersachen und Nüssen verziert ist (Bruno Stehle).
In Tyrol finden wir wieder die uns vom bayrischen Schwaben her
bereits bekannten Zelten als Weihnachtsgahen. Ob sie hier gar ein Beweis
von Religiosität sind, wie aus der folgenden Mitteilung Oswald Menghins zu
schließen ist. muß ich dahingestellt lassen. Menghin schreibt Dämlich: Der
Weihnachtszelten spielt bei der Tiroler Weihnachtsfeier eine große Rolle.
Jeder Bauer, der noch etwas auf Religion und alten Brauch hält, leistet sich
dieses Früchtebrot. Das Anschneiden des Zeltens findet in vielen Gegenden
unter feierlichen Zeremonien statt. Nicht nur die Kinder sehnen sich danach,
sondern auch unter Erwachsenen, besonders unter Liebenden, ist dieses t-iebäck
ein gern gesehenes Geschenk. Ärmere Leute, die sich nicht selbst einen Zelten
backen können, suchen ihn von Hauern durch Aufführung eines Spieles zu
erlangen.
Ein solches Spiel, dessen Autor der Bauerndichter S. Klocker bei Inns-
bruck war. hat Menghvn im Jahre 1910 in der ,.Zeitschrift des Vereins für
Völkerkunde"-) veröffentlicht. Da das Spiel indessen von Erwachsenen auf-
geführt wurde, braucht hier nicht darauf eingegangen zu werden.
Aus dem Liehauer Tal in Niederschlesien schreibt PatscKowsky: Am
Weihnachtsabend kommt zu den Kindern das weißgekleidete Christkind, bis-
weilen auch der vermummte Ruprecht mit Sack und Rute. In keiner Familie
fehlt ein Christhaum. Oft wird auch noch „eine Geburt" oder „Klippel" ge-
'i Bekannt ist die künstlerisch und kulturhistorisch sehr wertvolle Krippensammlung
im K. Bayrischen Nationalmuseum in München.
«) 20. Jahrg., :is7 ff.
§ 275. Weihnachten. 345
baut und mit Lichtern beleuchtet. Vor der Bescherung beten die Kinder
und singen ein Weihnachtslied. In Schlesien werden ferner von den Kindern
auf ihren Gängen von Haus zu Haus Weihnachtsspiele aufgeführt1). Ein
derartiges Spiel verläuft nach Drechsler in Liebental wie folgt:
Zuerst tritt der heilige Joseph herein mit Samthosen, Dreispitzhut,
niedern Schuhen und einem Wieglein, das er auf den Boden stellt und wiegt,
wobei er spricht:
„Holla, Holla,
war bäl zur tire reigefalla,
auf meine alten Tage
muß ich noch kleine Kinder tragen." —
Darauf kommt ein weißgekleideter Engel mit einem Zepter und rezitiert:
..Hin- schön guten Abend! In dieser Frist
schickt mich der heilige Jesu Christ.
Er ist geschmückt mit schönen Gaben
für Mädchen und für kleine Knaben." —
Nun tritt das weißgekleidete, sterngeschmückte Christkindlein herein.
eine Krone auf dem Kopf, eine Rute und Gaben in der Hand und erkundigt
sich in einem Spruch nach gehorsamen Kindern. Zum Schluß ruft es St. Peter
mit dem Schlüsselbund in der Hand und einer Krone auf dem Kopf herbei,
der dem Christkind sagen soll, ob die Kinder gehorsam seien. Diese müssen
beten und werden beschenkt. Vor dem Verschwinden der Gruppe gehen das
i 'hristkind. Petrus und der Engel, ein Weihnachtslied singend, um den eifrig
wiegenden Joseph herum2). —
Echt heidnische Weihnachtsbräuche berichtet F. Tetzner von den
Mähren und Tschechen in Schlesien: Am 24. Dezember früh gehen nämlich
bei ihnen die Kinder mit Holzscheiten von Haus zu Haus und singen die
Obstbäume an:
„Bäumehen, steh auf!
Gib Obst, gib Frucht!
Wasch dich ab. zieh dich an,
Christabend ist da." —
Ferner erscheint bei diesen Tschechen und Mähren an Weihnachten ein
Schimmelreiter und ein Bärenführer.
Vorchristliche Auffassungen liegen wohl auch den folgenden Bräuchen
der Serben im Banat zugrunde. Hier achtet man nach Riehard von Strele
allgemein auf den ersten Fremden, der am ersten Weihnachtstag ins Haus
kommt. Gewöhnlich freilich schicken d'e Nachbarn sich gegenseitig ihre
Kinder zu. Man führt das Eintretende in die Stube, wo es sich auf den
Boden setzt. Dann wirft ihm der Hausherr oder die Hausfrau etwas Korn,
mit Gerste und Hafer gemischt3), über den Kopf, worauf es wieder aufstehen
darf. Nun heißt es „Polaschenik", d. h. Bringer des Glückes. Ist der Pola-
schenik ein Glückskind, so wird die Familie, welche er am Weihnachtstag
besucht, das ganze Jahr glücklich sein. Gewöhnlich bleibt der Polaschenik
am gleichen Tag zu Gast, oder er wird am 2. Feieitag geladen. Meist be-
schenkt wird er abends, oft sogar mit Musik, heimbegleitet.
') Weihnachtsspiele in Instituten usw. kommen wohl in allen Gegenden mit christ-
licher Bevölkerung vor. Oben sind aber solche Spiele gemeint, welche die Kinder aus dem'
Volk ohne kunstgerechte Anleitung aufführen.
-'i Es sei hier auf die von Wilhelm rtttschovalty in „Mitt. d. Schi. Gesellseh. für Volks-
kunde," Bd. II, Breslau 1897 veröffentlichten Weihnachtslieder und Weihnachtsspiele hingewiesen.
3) Offenbar haben wir hier Symbole der Fruchtbarkeit. Daher wird sich wohl auch
der „Bringer des Glückes" erklären.
346 Kap. XL1I. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
Im Banat gehen ferner bei Beginn der Weihnachtsfeier die Eltern, und
hinter ihnen drein ihre Kinder, in alle Zimmer des Hauses und streuen Stroh
zur Erinnerung- an das Stroh in der Klippe, wobei dann und wann gesungen
wird. Dann zündet man auf dem Herd ein Feuer an und wirft in die Glut
einen Strauß von Tannenzweigen, wie Richard von Streb schreibt. — Auch
dieser Brauch gehl allem Anschein nach auf das Heidentum zurück.
Besonders deutlich schaut dieses noch durch die Weihnachtsbräuche der
Mordwinen, einem Zweigder finnischen Völkergruppe amSurä, einem rechten
Nebenfluß der Wolga. Ihr letztes öffentliches Opfer nach heidnischem Ritus
feierten sie ja noch im Jahre 1813. Daher ist es nicht zu verwundern, daß
sie sich ihrer alten Göttermutter Ange Pat3^ai, der Quelle der Zeugung und
des Lebens und zugleich ewige .lungfrau, noch immer lebhaft erinnern. Ihr
Fig. S60. Walachisches WeihnaHitsspiel. Darstellung aus Ost-Mähren. Die Figuren sin.l von links
nach rechts: Der Teufel, drei Hirten und ein Engel mit der Krippe. — In der K. Sammlung für deutsche
Volksk le, Berlin. (Aus dem Tschechisch-Ethnographischen Museum in Prag.)
war anter anderen Zeiten des Jahres auch jene Zeit gewidmet, welche mit
unserem Weihnachten und Neujahr zusammenfällt. Kinder, Jungfrauen, ver-
heiratete Frauen und Witwen beteiligten sich in ganz besonderer Weise an
solchen Festen. Half doch die Göttermutter bei den Entbindungen und schützte
Leben und Gesundheit der Neugebomen. Daß ihr Kult ein Fruchtbarkeits-
kull war, gehl schon daraus hervor, daß die Mädchen das große Fest, welches
alljährlich ihr zu Ehren am 7. Donnerstag und Freitag nach dem russischen
Ostern veranstaltet wurde, zum Teil an einem Wasser feierten, und daß
an dem von den Witwen gefeierten, welches auf den Donnerstag nach dem
Dreifaltigkeits-Sonntag fiel, die Hebamme eine Hauptrolle spielte. Das Fest
der Kinder und verheirateten Frauen am 2. Weihnachtstag ..fand gleich im
Hause der Hebamme selbst statt (hieß auch Hebammenfest '). Übrigens scheint
später mehr. Ange Patyai hatte auch den Titel „Bulaman Patyai",
d. b. [eba tmen".
347
das Christentum an diesen Festen der Mordwinen noch wenig geändert zu haben;
denn Abercromiy, welcher sie nach dem russischen Texte des Mßlnikof im
Jahre 1889 schilderte, bemerkte an einer Stelle, auf welche ich später zurück-
komme, daß die christlichen Mordwinen in gewissen Gebeten einfach die heid-
nischen (Hitternamen durch „Gott in der Höhe" und andere christliche Aus-
drücke ersetzen, wenn es auch nicht immer passe.
Die "Weihnachtsbräuche der Mordwinen schildert Abereromby, nach
Melnikof, wie folgt:
Am Weihnachtsabend versammeln sich die Knaben und Mädchen bis
zu 14 oder 15 Jahren zu einem gemeinsamen Umzug. Die Mädchen tragen
Badwische aus Birkenreisig1), an welche sie Schleifen und Taschentücher
geknüpft haben, und die so als ..Kyol Kyolyada"2) bekannt sind. Die Knaben
haben Stöcke, große und kleine Schellen 3) und Ofenplatten. Den Zug führt
«in Mädchen an, das einen. Stock mit einer Laterne am oberen Ende trägt4).
Ihr folgt ein anderes Mädchen mit einem Sack. Alle Kinder singen:
„Kyol. Kyolyada,
Gold-Bärtiger8),
Für ihn gehen wir um:
Kyolyada ist da.
Offne das Tor,
Gib Kyolyada
Würste, Füße
Und alte-Weiber-Kuchen.
Kyol. Kyolyada
Golden-Bärtiger."8) —
Während dieses Gesanges läuten die Knaben mit ihren Glocken, schlagen
auf ihre Ofenplatten und erfüllen das ganze Dorf mit mächtigem Lärm.
Kommen sie einem Fenster nahe, so singen sie:
„Ho! Kyolyada!
Sieh diese roten Pfosten.
Ho! Kyolyada! (Nach jedem Vers wiederholt.)
Dies goldne teste Tor,
"Wie Silber glänzt der Zaun.
Wo schläfst du. Bruder Vasyai, nachts?
Auf dem Ofen ist es heiß,
Auf der Ofenbank Geruch.
Bei dem Ofenloch ein Rauch.
Auf der Bank — ,.a tight fit", (?)
]) „Bath-switches of birch" übersetzte Abereromby, was wohl nichts anderes als ein
Büschel aus Birkenreisig, also eine deutsche Rute ist.
-I Nach Abereromby bedeutet ..Kyol-' „Birke". „Kyolyada" sei auch der Schutzgott
des Viehes und der Birkengott. — Offenbar unterliegt hier wiederum der Grundgedanke der
Fruchtbarkeit, was aus dem ganzen Patyai Pas-Kult hervorgeht. Die Birke ist ja der
heilige Baum dieser Fruchtbarkeitsgöttin. — Besonders interessant dünkt mich die ähnliche
Rolle, welche obige Birkenrute im Verlauf der mordwinischen Weihnachtsfeier und in
der deutschen Weihnachts- und Nikolausfeier spielt. Vgl. auch das Streichen mit Birken-
ruten Xeugeborner bei Russen und Esten in früheren Kapiteln, sowie der Mordwinen-
kinder am Weihnachtsmorgen, welche im Verlauf der obigen Schilderung erwähnt wird.
3) Erinnern an die Schellen unseres Nikolaus, Knecht Ruprecht usw.
4) Erinnert an die Umzüge unserer Kinder mit beleuchteten Kürbissen und Papier-
laternen an Martini.
6) Dieser Titel „Gold-Bärtiger" seheint hier der mit Schleifen usw. geschmückten
Birkenrute zuzukommen. „Goldner Bart" wird aber auch das rote Garn genannt, welches
die Mordwinen bartförmig unter den gebratenen Ferkelkopf legen, welchen sie an Weih-
nachten feierlich zubereiten, umhertragen und verspeisen, wie wir gleich erfahren werden.
Auch dieser Ferkelkopf hängt nach meinem Dafürhalten mit dem Fruchtbarkeitskult
zusammen; denn Ange Patyai Pas ist als Göttin der Fruchtbarkeit begrifflich identisch mit
der deutschen Frau Holle, der nordischen Frigg und der griechischen Demeter, denen
Schweineopfer gebracht wurden. Vgl. auch den Brauch, an Martini Schweine zu essen (§273).
8) Rotbärtig ist auch Rübezahl und Donar gedacht.
348 Kap. XLII. Feste und Festtreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
An dem Platz in der Ecke,
Alte Weiber waren dort,
Alte Weiber tranken dort,
Auch Männer waren dort;
Ehefrauen tranken dort.
Bruder Vasyai ist reich.
Sammelt Geld mit der Schaufel,
Pfannkuchen und Würste,
Kyolyangemen-Pasteten." —
Nur jung verheiratete Frauen reichen an diesem Tage den Kindern
Gaben, und zwar mit Knoblauch1) verzierte Eier1). Schweinswürste mit
Hirsengrütze '), süße Pfannkuchen aus Milch, Butter, Eiern usw.: ferner den
sogenannten Kyolyangemen, d. h. Pasteten in Schaf-. Schwein- oder Huhn-
form l), welche mit Hirse, Grütze und Eiern gefüllt sind. Die Kinder stecken
die Gaben in ihren Sack und verzehren sie nach dem Kundgang im Dorf
gemeinsam in einer Stube (Opfergemeinschaft! i. nachdem sie eine brennende
Kerze und die geschmückte Birkenrute in die vordere Stubenecke gestellt
haben'2). Nach dem Essen gehen sie heim.
Am Weihnachtsmorgen weckt die Mutter ihre Kinder mit Birkenruten,
über welche das Blut eines drei Wochen alten Ferkels beim Schlachten ge-
Hcissen. Sie gibt ihnen einen tüchtigen Schlag mit den Worten: .,Ange Patyai
Kasines: Kvolchanvan Kasines; Kyolkvolyada Kasines". was nach \. Äbercromby
heißt:
..Ange Patyai hat gegeben;
das Birkenfest hat gegeben;
der Birkengott3) hat gegeben." —
Der Schlag mit der Birkenrute soll den Kindern gesundheitlich gut tun:
je lauter sie schreien, desto besser ist es.
Mittags kocht die Mutter den schon erwähnten Kopf eines Ferkels, steckt
ihm dann ein rotes Ei und ein ziu'or geweichtes Birkenreis in den Russe]
und legt unter den Kopf rote Garnfasern, daß sie wie ein Bart herausschauen.
Hierauf zündet der Hausvater eine Kerze an und ladet mit seiner ganzen
Familie und sämtlichen Hausgenossen, am offenen Fenster knieend. die Götter-
nmtter Ange Patyai und andere Götter zu sich (wohl zum Opfennahl?). Auf
die Einladung der Himmlischen folgt eine Aufforderung an die Hausgenossen,
zum Mittagtisch herzurichten, und nun reicht die Hausfrau ihrem Mann den
Schweinskopf auf einer Platte, welche er hinausträgt. Alle seine Kinder
begleiten ihn auf diesem Gang; das jüngste geht voran. Man begibt sich
zuerst zum ,,Kardo syarko", dem in der Mitte des Hofes gelegenen Opferstein,
hierauf in die Pferde- und Kuhställe, zur Schafhürde, zum Hühnerhaus, in
den Keller, in die Scheune und zum Brunnen, wobei jedesmal (iebete an Ange
Patyai, ihren Sohn Nishki Pas und die Gottheit (Dämon oder Genius?) des
betreffenden Platzes gerichtet werden. Nach der Bückkehr in die Stube
folgen abermals Gebete.
Hier bemerkte Abercromby, daß. wie schon früher angedeutet, die christ-
lichen Mordwinen in ihren Gebeten „Gott in der Höhe" und andere christliche
Begriffe an Stelle ihrer vorchristlichen Götter, wenn auch nicht immer glück-
lich, setzen.
- ehe den Knoblauch teils als Götterspeise, teils als Schutz- und Vertreibungsmittel
gegen Dämonen in früheren Kapiteln. — Fi. Hirse. Schaf. Schwein und Huhn als Bilder
der Fracht barkeit sind uns gleichfalls schon bekannt; ebenso Süßigkeiten als Götterspeisen.
•' In die vordere Stubi ecke lehnt bei den bayrischen Sehwaben der Nikolaus
bei escherung die geschmückte Birkenrate.
s) Oder auch der Schulzeott des Viehes.
§ 275. Weihnachten. 349
Nun folgt das Opfermahl, d. h. der Schweinskopf wird verzehrt. Die
Kinder erhalten dabei gewöhnlich Rüssel uud Ohren.
Am Tag nach Weihnachten, am 26. Dezember, folgt abermals ein Fest
zu Ehren der Auge Patyai, an welchem jene Kinder, welche das 7. Jahr noch
nicht überschritten haben, mit ihren Eltern und den Hebammen teilnehmen.
Die Feier, ..Bulaman molyair oder das Hebammenfest genannt, findet am
Abend statt. Frauen, die im Laufe des verflossenen Jahres geboren haben.
bringen ihrer Hebamme schon eiuige Tage vor dem 26. Dezember Hirse und
Butter, damit sie einen dicken und einen dünnen Brei (?) ') daraus mache.
Die Kinder feiern diesen Tag als die „Enkel der Hebammen", welche
bei ihrer Geburt halfen, und als die Enkel der „Bulaman Patyai", Göttin der
Hebammen. Jedes Kind, welches fähig ist, eine Gabe selbst zu tragen, bringt
seiner Hebamme eine Hirsenpastete, einen Honigkuchen und einen Brotlaib
ans feinem Mehl; sein Vater eine Flasche Bier'-) oder Branntwein. Dieser
muß aber heimlich getrunken werden, damit die Göttermutter Ange Patyai
das ihr verhaßte Getränk nicht sieht. Von den Müttern der Kinder bringt
jede als ihre persönliche Gabe eine ellenlange Hirsenpastete und zwei eben-
so lange Kuchen. Jene, deren Kinder noch zu klein sind, um ihr offizielles
Geschenk selbst zur Hebamme zu tragen, bringen auch dieses. Größere Kinder
überreichen außerdem gekochte Schweins- oder Kalbsrücken.
Im Haus der Hebamme angekommen, werden die Leute von dieser unter
verschiedenen Zeremonien bewillkommt. zu welchen das Abküssen der „Enkel"
gehört, denen sie ihre Last abnimmt und einen Topf mit dem von ihr bereiteten
dünnen Hirsenbrei (groats) vorstellt, während die Erwachsenen den dicken
erhalten. Nach Bereitlegung der übrigen mitgebrachten Lebensmittel auf dem
gedeckten Tisch fällt auf den Ruf der Hebamme „Sakmede!" (Still!) alles beim
Fenster auf die Kniee, worauf die Hebamme betet: „0 Cham Pas3), Herr
Savagoth, erbarme dich unser. 0 Ange Patyai, liebe Mutter, heiligste Mutter
Gottes, gib Gesundheit deinen Enkeln, deinen kleinen Kindern, ihren Vätern
und Müttern. 0 Bulaman Patyai. beschütze deine Enkelkinder, daß sie wohl,
fröhlich und gesund seien. 0 Ange ozais, schütze deine Kinder vor dem bösen
Blick, vor Hexen und jeder unreinen Macht, 0 Ange Patyai Pas, steige oft
herunter von deinem goldenen himmlischen Heim, um deine Enkel, die kleinen
Kinder, zu trösten. Gib ihren Müttern Milch in Fülle, daß sie deine Enkel
nähren. Gib Überfluß an Kindern und gewähre, daß sie stark und gesund
aufwachsen." —
Ein anderes Gebet für Mütter und Kinder verrichtet die Hebamme bei
der Opferung des Bieres, von dem sie einen Schöpflöffel voll durch das
offene Fenster dreimal gegen deu Himmel hebt. Dabei betet sie: „0 Cham
Pas, Herr Savagoth selbst, erbarme dich unser. 0 Ange Patyai Pas, Bulaman
Patyai Pas, liebe Mutter, heiligste Mutter Gottes, gib deinen Enkeln, den
kleinen Kindern, Gesundheit; gib ihren Vätern und Müttern Gesundheit, daß
die Kinder gedeihen, daß die Mütter milchreiche Brüste haben." — Auch die
Hebamme ist es, welche den Kindern einen Löffel voll von dem dünnen Hirsen-
brei reicht, nachdem sie selbst den ersten Löffel von dem dicken Brei genommen
und die anwesenden Männer und Weiber nach ihr das gleiche getan haben.
Erst dann wird ein gemeinsames Mahl eingenommen, wobei die mitgebrachten
Lebensmittel teilweise verzehrt werden. —
') Äbercromby übersetzte „groats".
2) Vielleicht haben auch die vordringlichen Bitten der englischen Kinder um Bier
bei ihren Weihnächte- und Neujahrsumzügen Beziehung zu alten Opfergetränken.
3) Nach Äbercromby der höchste Gott. Das folgende „Lord Savagoth" ist offenbar
jüdisch-christliche Entlehnung.
350 Kap. X.L1I. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
Am 27. Dezember finden sich die Kinder ohne ihre Eltern abermals bei
der Hebamme ein. Diese setzt ihnen Reste vom gestrigen Mahl aufgewärmt
vor und führt hierauf die Kinder von Haus zu Haus, wobei diese das folgende
Lied an Auge Patyai singen:
„Laß uns gehen, liebe alte Frau,
Laß uns gehen, liebe alte Mutter:
Der Vater hat Bier gebraut,
Die Mutter kochte Hirse:
Besuche uns, liebe alte Frau.
Besuche uns, o liebe Mutter." —
Die hiermit abgeschlossene Schilderung legt uns den Schluß nahe, daß
die Mordwinen so hervorragende Feste zu Ehren ihrer Göttin der Frucht-
barkeit auf die Zeit der Wintersonnenwende wohl deshalb verlegten, weil
ohne Sonne ') irdische Fruchtbarkeit überhaupt nicht möglich, ihre Wiederkehr
also eine wesentliche Bedingung auch der menschlichen Zeugung ist. —
Weniger deutlich als bei den Mordwinen tritt der Gedanke der mensch-
lichen Fruchtbarkeit beim Sonnenwendfest der Hopi- oder Moki -Indianer
in Arizona auf; aber ein Fruchtbarkeitskult ist es dennoch, eben weil es ein
Sonnenwendfest ist. an dem überdies Schlangen als Boten an die Regengöttei
u. a. m. eine Rolle spielen, Feuchtigkeit und Schlange aber, wie ich wiederholt
nachgewiesen habe, im Fruchtbarkeitskult bzw. in der Generationssymbolik
der Völker eine bedeutende Rolle spielen. Allerdings stellt sich bei den mit
dem Sonnenwendfest der Hopi'2) oder Mo-ki verbundenen Festspielen eine
gekrönte Schlange (aztekischen Ursprungs) der Wiederkehr der Sonne ent-
gegen: aber andererseits nennt Willi/ F. Fischer den bei diesem Fest auf-
geführten Schlangentanz „dramatisierte Gebete für Regen". Tod und Leben
finden wir ja vielfach durch ein und dasselbe Symbol dargestellt.
Da Fischer von einer Teilnahme der Kinder am Sonnenwendfest der
Hopi nichts erwähnt, möge hier die Bemerkung genügen, daß der Sonnen-
priester den Anfang des Freudenfestes am 21. Dezember verkündet, und daß
gegenseitiger Austausch von Geschenken, Verkleidungen und Dar-
stellungen übernatürlicher Erscheinungen die Hauptrollen spielen3).
Nach Fischer ergab übrigens eine vom ethnologischen Bureau der Ver-
einigten Staaten angestellte Untersuchung, daß „viele der eingebornen
Stämme (Amerikas) um die Zeit des 25. Dezember Feste zu feiern pflegten,
welche unserem vorchristlichen Julfest entsprachen". —
S 276. Fest der unschuldigen Kinder.
Wie an den bisher besprochenen Festen dieses Kapitels, so sind auch
an dem der unschuldigen Kinder noch manche Spuren alten Heidentums neben
christlichen Festesformen zu erkennen.
In Kärnthen gehen die Kinder am „unschuldigen Kindertag" mit einer
Rute von Haus zu Haus um: ..frisch und gesund z' göb'n". Dafür heimsen
sie kleine (iahen in (Seid, Nüssen. Äpfeln. Kietzenbrot usw. ein. — Im Möll-
') Mit Unrecht wird der Sonnen- und Mondkult so häufig als reiner Astralkult
aufgefaßt. Man vergleiche nur die Sonnen- und Mondfiguren unter den sich paarenden Tier-
figuren bei der Pubertätsfeier in Madibira. Kap. ">8. sowie eine Reihe anderer Tatsachen
in verschiedenen Kapiteln dieses Werkes, um sich um der sexuellen Bedeutung dieser
irne m der Völkersymbolik zu überzeugen.
lioki", d. h. (nach Willy F. Fischer) „die Toten" wurden diese Indianer von
anderen Stämmen zu einer Zeit genannt, als die von den Weißen eingeschleppten Pocken
ä .nun zur Hälfte dahinraffte. „Hopi", d.h. „die Friedlichen-' nennen sie sich selbst.
In Benz, „Völkerschau", II, 258f. —
3i Näheres über die Erwartung der wiederkehrenden Sonne durch den Sonnenpriester,
sowie über die dramatischen Marstellungen siehe Fischer, 1. c.
§ 27ti. Fest der unschuldigen Kinder. 351
und Lavanttale nennt man diesen Brauch „Schappen", und die Eute heißt
„Schappruafn". — Im Liesertale heißt mans „plissner gean". Da man hier
keine Rute, sondern ein Fichten- oder Tannenästchen zum „Wixen" ver-
wendet, so heißt mans „Plissenastl", weil man die Tannen- und Föhrennadeln
„Plissen" zu nennen pflegt. Während des Schappens oder Plissens sagen die
Kinder folgendes Sprüchlein: „Plisse lustig, frisch und g'sund, lang löb'n,
g'sund bleib'n, gern liab'n." Oder: „Frisch und g'sund! Frisch und g'sund!
Wünsch a glückselig neus Jahr und a Christkindl mit krausem Haar!" (Rud.
Walzer).
In Bayern binden am „Kindstag-' Dienstbuben und Knechte mehrere
Besenreiser in Büschel und hauen damit die Frauen um die Füße herum —
das nennen sie „kindeln". — In der Goldenen Aue tun das die Kinder ihren
Paten mit Rosmarinstengeln. — Letzterer dürfte wohl ein Bild des Lebens
sein, da sein Grün dauernd ist. Vgl. den Trinkbecher aus Rosmarinholz beim
Neujahrwünschen in Yorkshire. (Auch an den Bayrischen Brauch, bei Hoch-
zeiten Rosmarinzweige an die Kleider und in Zitronen zu stecken, sei hier
erinnert.)
Aus dem Tal der Geisel, einem Nebenfluß der Saale, berichtet Max
Adler: In dem nördlich von Schlachten-Roßbach gelegenen Dorf Brauns-
dorf gehen am dritten AVeihnachtstage Kinder unter neun Jahren zum Pastor,
zu Verwandten und Bekannten, wobei sie eine Gerte, womöglich mit einer
Klingel an der Spitze, tragen. Sie suchen die Leute zu überraschen, klingeln
ihnen mit der Gerte zwischen den Beinen herum und rufen: „Heute morgen
ist Klingeltag." — Dafür erhalten sie Pfefferkuchen und dergleichen Geschenke. —
Ähnliche Branche am Unschuldigen Kindertag. Neujahrstag, Ascher-
mittwoch usw. sind bei Germanen und Nichtgernianen ziemlich häufig.
Mit der Erinnerung an den Bethlehemitischen Kindermord, wie man schon
annahm, haben sie allem Anschein nach nichts zu tun. Vielmehr sind auch
sie Reste einer alten Fruchtbarkeitssymbolik, bzw. einer alten Anschauung,
daß dadurch Fruchtbarkeit und animalisches Gedeihen befördert werde. Ferd.
Frhr. ron Reitzenstein macht mit einem Hinweis auf Tertullian (ad Nat. II)
und Arnobius (III, 30) darauf aufmerksam, daß bei den römischen Luperkalien
die luperci (Priester) die nackt umherlaufenden Frauen mit Riemen aus Ziegen-
fell1) schlugen, und daß man nach dem römischen Mythus den geraubten
Sabinerinnen den Rücken mit Riemen aus Bocksfell schlagen ließ, damit
sie schwanger würden ').
Reste dieser Auffassung fand von Reitzenstein bei romanischen und
germanischen Völkern des Mittelalters und der Neuzeit; nur sind die
Bocksriemen durch Zweige verschiedener Bäume ersetzt, was teilweise schon
aus den bisher angeführten Bräuchen ersichtlich ist. Andere gibt von Reitzen-
stein*) an: für Mittelfranken: Wacholderzweige; für Oberfranken und
Schwaben: Rosmarin; für die Oberpfalz und Koburg: Haselnuß und
Schlehen; für das Vogtland und Thüringen: Birken4); für Kulmbach,
Hof und Bayreuth: Buchs; für das Donaumoos: Weide.
!) Gemeint sind wohl .Riemen aus Fellen geopferter Böcke.
2) An die sexuelle Bedeutung des Bockes wurde in diesem Werke wiederholt erinnert.
3) Kausalzusammenhang, 679 ff.
*) Vgl. in § 277 die Birkenruten, mit denen die Mordwinenmütter am Neujahrstag
ihre Kinder wecken. Seitenstücke hierzu finden sich noch an gewissen Orten Deutschlands
und im früheren England, wo man gleichfalls als Festbrauch die Kinder mit Ruten aus
dem Bette treibt. Nur der Tag ist verschieden: Bei den heidnisch-christlichen Mordwinen
ist es der Tag des Schweinefestes (Neujahr); in Deutschland und England der Tag der
Unschuldigen Kinder. Man nenne das „aufkindeln", wie von Üeinsberg-Düringsfehl bemerkte.
(Vgl. Wetzer und Weites Kirchenlexikon, 2. Aufl., 4 Bd., Sp. 1435 )
352 Kap. XLII. Feste ud<1 Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
Ferner weist von Reitzenstein auf einen Bericht des im Jahre 1518
gestorbenen Karmelitergenerals Spagnoli hin, zu seiner Zeit seien in Italien
verborgene Korperteile geschlagen worden. Auch die Polizeiverordnung von
Lauenstein vom Jahre 1599 erwähne einen derartigen Brauch: Große starke
Knechte seien den Leuten in die Häuser gelaufen, hätten die Weiber und
Mägde entblößt und sie mit Gerten und Euten gepeitscht. Schon für das
8. Jahrhundert sei dieses Peitschen bezeugt.
Die Ansicht Aigremonts, dessen ..Volkserotik und Pflanzenwelt"1)
noch mehr derartige Belege enthalte, diese Rute sei ein Symbol des Penis,
teilt von Reitzenstein nicht, sieht aber immerhin in diesem Peitschen Reste
früherer Fruchtbarkeitsfeste2), welche sich nach dem bisher Gesagten durch
die Peitschzeremonie bei romanischen, germanischen und finnischen
Völkern ähnlich gewesen sein dürften. —
Andere Rollen sehen wir die Jugend am Unschuldigen Kindertag in
den folgenden Bräuchen spielen. Vorchristliche Reste sind auch hier zu
finden, und zwar vor allem im „Kinderbischof".
Abeking-Braga teilt nämlich mit, es sei früher am 27. Dezember, dem
Tage der Unschuldigen Kinder, in der Kathedrale von Lissabon ein Knabe
zum ..unschuldigen Bischof" gemacht worden. Wenn bei der Vesper im
„Magnifikat" der Vers „Deposuit potentes de sede" gesungen wurde, dann
übergab der Kantor den Bischofsstab dem jüngsten Chorknaben, «1er nun
24 Stunden Erzbischof spielte, indem er mieden bischöflichen Insignien ver-
sehen in feierlicher Prozession „sämtliche Kirchen seines Erzbistums besuchte" (?)
und den Segen spendete. —
Solche ..unschuldige Bischöfe", oder wie sie im Kirchenlatein heißen,
„episcopus puerorum". gab es im Mittelälter und bis in die zweite Hälfte des
L8. Jahrhunderts an vielen Orten. Da und dort wurden sie schon auf das
Fest des hl. Nikolaus mit ihrer kurz dauernden Würde bekleidet und hießen
dann „Apfelbischof". Nach Andreas Seider9) wurzelte auch diese Sitte „zweifels-
ohne" in den römischen Kaienden- und Saturnaliengebräuchen, wurde aber vom
naiven mittelalterlichen Humor eigenartig ausgestaltet.
In Mainz machte der am Vorabend von St. Nikolaus gewählte ..Schul-
bischof", ein Knabe aus der Domschule, mit seinen gleichfalls aus den Knaben
der Domschule gewählten Kaplänen und sonstigem Gefolge bei den Kurfürsten,
den Domherren und anderen Honoratioren seine Besuche.
In England, wo die Wahl am 6. Dezember stattfand, und der ..boy-
bishop" mit seinem Gefolge auch „Nicolas and bis Clerks" hieß, fand die Feier
nicht nur in den großen Kirchen, sondern auch am königlichen Hof und auf
den Schlössern des hohen Adels statt. Am Tag der Unschuldigen Kinder
regierte der „boy-bishop" im Elton-College.
Ähnliche Bräuche herrschten in den Frauenklöstern*), wurden aber wie
die obigen später von der Kirche verboten. —
Angeblich zur Erinnerung an den Bethlehemitischen Kindermord wird
ferner an verschiedenen Orten am Rhein und in Belgien der Jugend cmc
gewisse Autorität im elterlichen Hause zugestanden, indem man den Kindern
die Schlüssel übergibt, oder durch sie am Tag der Unschuldigen Kinder den
Speisezettel machen läßt usw. -- In den vlämischen Bezirken Belgiens sind
sie an diesem Tage die ..Herren im Hause". ./. v. Düringsfeld schrieb: Schon
am Morgen verkleiden sich die Knaben mit Weste und Schlafmütze des Vaters
•) Balle 1908.
-i Vgl. di bier einschläfrige Pubertätsfeier in Kap. LVI1.
>) Bei Buchher ger: Kirchliches Handlexikon, Lief. 26. München 1907. S. 3öti.
') Wetzer und Weites Kirchenlexikon. 2. Aufl., 4. Bd., L899f.
§ 277. Neujahr. 353
und Großvaters, die Mädchen mit .Tacke und Haube der Mutter, und gehen
truppweise von Haus zu Haus, wobei sie rufen:
„Ich bin Väterchen, ich bin Mütterchen,
Habt Ihr nichts zu geben?" etc.
Pfeffernüsse, Pfennige und was sie bekommen, stecken sie in einen großen
Sack, den sich die Mädchen dazu umgebunden haben. Zu Hause wird dann
gekocht und gebraten, was die Kinder bestellen. —
§ 277. Neujahr.
Welcher Deutsche wüßte nichts von dem Brauch, daß Kinder am Neu-
jahrstag von Haus zu Haus, oder doch in die Häuser ihrer Bekannten gehen,
um ihre Glückwünsche auszusprechen und dafür Gaben zu erhalten? Spezifisch
tili istliche Färbung sieht man an den Kinderfreuden auch dieses Tages wenig.
Die Beschneidung des Jesusknaben dramatisch vorzuführen, geht nicht, und
die mit der Beschneidung verbundene Erteilung des Namens Jesu hat mit
den Neujahrswünschen und dem Einsammeln von Gaben keinen ursprünglichen
Zusammenhang. Vielmehr gehen Gaben und Wünsche wiederum auf vor-
christliche Zeiten zurück, und wiederum ist es der Fruchtbarkeitskult im
weitesten Sinn, welcher hier eine hervorragende Rolle spielt. Zum Beweis
hierfür sei vor allem das Neujahrsfest der Mordwinen und der von ihnen
beeinflußten Bewohner der russischen Gouvernements Ryazan. Wladimir,
Tambow, Saratow, Pensa und Samara geschildert. Ihr Neujahrsfest trägt
den Titel „Taunsyai", d. h. Schweinefest (taun. Schwein). Das Schwein
als Bild der Fruchtbarkeit ist uns ja hinlänglich bekannt.
Am Vorabend dieses Tages, welcher mit dem Vorabend des russischen
Neujahrs zusammenfällt, gehen die Knaben und Mädchen, wie am Weihnachts-
abend1), von Haus zu Haus. Diesesmal tragen sie aber weder Birkenruten
noch Laternen, uud ihre Lieder haben einen andern Inhalt als bei dem Weih-
nachtsumgaug. Bei den Ersa, einem Mordwinen-Stamm, singen die Kinder
in Sergachk. Ardatof, Arsamas und Simbirsk:
„Tannsyai !
Öffne dich, Erde,
Laß die Saat gedeihen,
Die Ähren schwellen,
Körner wie Pfriemen (?);
Laß Stroh auch wachsen
Wie eine Wagen-Deichsel."
„Taunsyai!
Wirf Samen heraus,
Back deine Pastete.
Leg sie ans Fenster;
Eine Taube fliegt her.
Nimmt weg den Samen,
Doch mir die Pastete."
..Taunsyai!
Geh nicht zu der Thüre:
Zum Fenster sie kommen:
Schweinshaxen, Kuchen,
Die lagen im Ofen,
Die schauten auf uns.
Taunsyaü" —
') Siehe § 275.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 23
354 Kap. XLII. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorehristl. Erinnerungen usw.
Wird nicht bald eine Gabe gereicht, dann schlagen die Knaben auf ihre
Ofenplatten, läuten mit ihren Schellen1) und singen:
„Gib uns eine Pastete!
(übst du keine,
Brechen wir durchs Thor.
Gibst du nicht einen Topf voll Grütze,
Treiben wir eine Mistgabel durch.
Gib uns einen Kuchen,
Ein Töpfchen Hirsengrütze.
Taunsyai!"
Hat man ihnen aber Pfannkuchen, Schweinshaxen und Hirsengrütze
durchs Fenster gereicht, dann singen sie ein Loblied auf das Haus und seine
Insassen, z. B.
„Denyan Lasunyas's (oder einen anderen Namen)
Wohnhaus ist hell.
Seine Fenster weiß,
Das Thor geziert,
Die Pfosten rot.
Taunsyai!-'
„Denyan Lasunyas
Ist ein leuchtender Mond,
Masai. sein Weib,
Eine glänzende Sonne,
Denyans Kinder
Wahre Sterne.
Taunsyai!"'
„Mögen Denyans Saaten sich mehren.
Bis die Thüren sie nicht mehr fassen,
Mögen seine Ferkel sich mehren,
Seine Kälber und Lämmer,
Seine (iänse und Schwäne
Und seine grauen Enten.
Taunsyai!" —
Nach diesem Gesaug gehen die Kinder in das Haus hinein, und das
älteste, welches den Sack trägt, nimmt aus seinem Handschuh einige Samen-
körner verschiedener Art und wirft sie den Hausbewohnern mit dem Wunsche
zu'2): „Möge Pas, die fürsorgende Gottheit, euch (reiche) Ernte verleihen!-' -
Die Leute heben diese Körnchen bis zur Zeit der Saat auf.
Die Kinder verzehren nach ihrem Umgang einen Teil der gesammelten
Gaben; den Rest behalten sie für die Hühner, Enten, Gänse, Kälber, Ferkel
und Lämmer auf. Bejahrte Tiere erhalten nichts.
Am Neujahrstag Mittag trägt der Hausvater, wie an Weihnachten, den
Kopf eines geschlachteten Ferkels in Begleitung seiner Kinder in einer Art
Prozession herum. Doch geht diesesmal nicht sein jüngstes, sondern sein
ältestes Kind voran, welches im Mund den von der Mutter hineingesteckten
Schweif des Ferkels und in der Hand einen Handschuh voll verschiedener
Sämereien trägt. Wie an Weihnachten, so geht der Zug auch an Neujahr
vorerst zum Kardo syarko, d. h. zu dem in der Mitte des Hofes befindlichen
Opferstein; von da zu den Schweine- und Kuhställen und zur Schafhürde,
wobei das älteste Kind seine Sämereien umherstreut und der Vater um Segen
tüi- das Vieh und die Saaten betet, — Am 12. Tag (nach Neujahr?) ziehen sich
die Kinder und die erwachsene Jugend in Handschlitten durch das Dorf. Auf
diesen Schlitten sollen alle bösen Geister, welche dem „Shaitan"3), dem Wider-
sacher des höchsten Herrn, Chan Pas, ihr Dasein verdankeu, die Beine brechen. —
'l Vgl. Weihnachten und Nikolauslag.
2i Vgl. den Weihnachtsbrauch der Serben im Banat, S, 275.
3) Satan.
§ 277. Neujahr. 355
Deutlicher und vielfältiger als in dieser Neujahrsfeier kann der Gedanke
der menschlichen, tierischen und vegetativen Fruchtbarkeit kaum
ausgedrückt werden. Schwein, Hirse und Samenkörner überhaupt sind ihre
Bilder. Alles Geflügel, alle Vierfüßler der Haushaltung, insofern sie noch jung,
also fruchtbar sind, erhalten von den Gaben, welche den Kindern für den auf
das Schweinefest angestimmten Gesang, gewissermaßen als Opfergaben, geschenkt
worden sind. Bejahrte Tiere erhalten nichts, offenbar, weil von ihnen keine
Fruchtbarkeit mehr zu erwarten ist. —
Mit christlicher Färbung, aber dem Wesen nach vorchristlich, tritt uns
der englische Neujahrsgedanke in den folgenden Versen entgegen, welche
die Kinder noch im Jahre 1888 in fast ganz Yorkshire sangen, wenn sie in
der Woche zwischen Weihnachten und Neujahr von Haus zu Haus gingen
und das Neujahr anwünschten. Zwei Figuren, Jesus und Maria darstellend,
welche sie in einer Schachtel trugen, erscheinen, wenn mit dem Inhalt des
Liedes verglichen, tatsächlich als Fremdkörper; dreht sich doch fast das ganze
Lied um materiellen Genuß. Besonders auffallend ist, daß sich die Bitte der
Kinder hauptsächlich auf das Trinken bezieht. Zwar ist der Trinkbecher nach
Mrs. Gutch, welche dieses Lied veröffentlichte, das Zeichen der Freude; aber
von religiöser Freude im christlichen Sinn ist eben in dem Lied sehr wenig
zu entdecken. Gottes Segen erscheint nur so nebenbei herabgewünscht, wenn
man damit das Opfer der Mordwinen und die Teilnahme aller vernünftigen
und unvernünftigen Wesen am Opfermahl, bzw. den Festgaben, vergleicht.
Das Lied lautet:
„Here we come a wassailiug,
Among the leaves so green;
Here we come a wandering,
So fair to be seen. —
Nun fällt der Chor ein:
Love and joy come to you,
And to your wassail too;
And God send you a happy new year:
A new year;
And God send yon a happy new year.
Aur wassail cup is made of the rosem ary tree,
So is your beer of the best barley.
We are not daily beggars,
That beg from door to door,
But we are neighbours' children,
Whom you have seen before.
Call up the butler of this house,
Put on his golden ring;
Bid bim bring up a glass of beer
The better that we may sing.
We have got a litt le purse,
Made of shining leather skin;
We want a little of your money
To liue it well within.
Bring us out a table,
And spread the table-cloth;
Bring us out a mouldy cheese,
And some of your Christmas loaf.
God bless the master of this house,
Likewise the mistress too,
And all the little children,
That around the table go.
23*
356 Kap. XL1I. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
(iood master and mistress.
\\ hile you're sitting by the fire,
l'ray think of us poor children,
Wlio are wandering in the niire." —
Hier möge auch eines mit Neujahr verbundenen Aberglaubens gedacht
werden, welchen Mrs. Gutch in Yorkshire vorfand, und der an den serbischen
Aberglauben erinnert, welcher sich im Banat an den ersten Weihnachtsbesuch
(§ 275) knüpft.
In Yorkshire wünscht man nämlich, daß ein dunkelhaariger Knabe
(oder Mann) das erste menschliche Wesen sei, welches beim Schlage der
Mitternachtsstunde, die das alte Jahr vom neuen scheidet, über die Schwelle
ins Haus komme. Das bringt Glück. Blonde läßt man nicht ein. da sie
Unglück brächten. —
Deutlich blickt der vorchristliche Ursprung der Neujahrsfeier auch im
heutigen Griechenland') noch durch. Nicht das Weihnachtsfest, sondern
der Neujahrstag ist hier der eigentliche Freudentag. an dem sich Kinder und
Erwachsene beglückwünschen und beschenken. Allerdings hat diese Neujahrs-
freude insofern ein christliches Gewand bekommen, als die armen Kinder, wenn
sie scharenweise am Sylvesterabend die Straßen durchziehen, den hl. Basilius,
'Agios ^'assilios, als Neujahrspatron feiern. Auf diesem Umzug singen
die Kinder vor den Türen der Bemittelten ihre unrhythmischen Lieder, las
man ihnen eine kleine Geldspende reicht. — 4n den Häusern versteckt man
am Sylvesterabend Geschenke in Schränken, Kommoden und Betten, und die
kleineren Kinder erhalten Leckereien und Spielzeug (0. Ernst). -
Ein bedeutender Tag ist der Neujahrstag ferner für das Chinesenkind.
Das chinesische Neujahrsfest wird nach Kreitner an dem Tag gefeiert, welcher
auf den zweiten Neumond nach unserem Winteranfang folgt.
Am Vorabend hört man. hauptsächlich in den Provinzen Kwangtung,
Hunam und Hupeh, zwischen 6 und 9 Uhr abends ö — L4 jährige Knaben
in den Straßen rufen: „Ich verkaufe meine Torheit und meine Trägheit jemand
anderem, damit ich im nächsten Jahre weiser sei." (Leopold Katscher)
Nach Kreitner nehmen sich die ungezogenen Chinesenknaben am Neujahrs-
tag zusammen und begrüßen sich wie die Alten. Einige tragen au diesem
Tag einen eisernen Ring wie eine Fessel um den Hals, zum Zeichen, daß sie
viiii ihrem Vater, oder ihrer Mutter infolge eines Gelübdes Buddha geweiht,
d. h. zum Lamastand bestimmt worden sind. Derartige Gelübde werden
gemacht, um von Krankheiten befreit zu werden, oder um einem Geschäft
einen »lücklichen Ausgang zu sichern und dergleichen mehr.
obgleich die erwachsenen Chinesen beider Geschlechter an sich selbst
einen autfallenden Putz nicht lieben, kleiden sie doch ihre Kinder zur Neu-
jahrsfeier in (iold-, Silber- und buntdurchwebte Stoffe, schminken ihnen das
Gesicht mit grellen Farben und hängen ihnen um den Kopf einen Kranz von
') Im vorchristlichen Griechenland scheint ein Neujahrsfest nicht gefeiert worden
zu sein, wohl aber im vorchristlichen Rom, und zwar in den ältesten Zeilen um 1. März, seit
Julius Caesar aber an den Kaienden des Januar. Es fand bekanntlich zu Ehren des Janus
statt und war mit ausschweifenden Gelagen und unsittlichem Mummenschanz verbunden. Auch
unter den italienischen, gallischen, afrikanischen und orientalischen Christen
nahmen diese Ausschweifungen neben verschwenderischen Neujahrsgeschenken immer mehr
und mehr überhand, so daLS Kirchenväter und Konzilien dagegen auftraten. — Innerhalb der
Christenheil wurde Neujahr je nach Zeit und Ort an verschiedenen Daten gefeiert: Am
1. September, an Weihnachten, am 1. Januar, an Maria Verkündigung und an Ostern. Eine
einheitliche Annahme des t. Januar als Neujahrstag im Abendland, also der Neujahrstag nach
dem Julianischen Kalender, geht nicht weiter als auf das 18. Jahrhundert zurück. In
England datiert sie nach K. Schrod (in Wetzer und Weites Kirchenlexikon, 9. Bd., 186)
erst vom Jahre 1773. —
§ 278. Das Fest der heiligen drei Könige. 357
schwarzen Seidenfransen, welcher ringsum in einer Länge von 10 ein herab-
fällt (Kuntee). —
Zu den Neujahrsbräuchen läßt sich auch der folgende in Korea rechnen.
In Söul, der Hauptstadt, gehen nämlich am 14. und 15. Tag des ersten Monats
im Jahre Knaben und Männer in einer Keihe über drei bestimmte Brücken,
um sich für das künftige Jahr vor Bein- und Fußleiden zu schützen {Watters). —
Auf das am 15. des gleichen Monats gefeierte Ahnenfest kommt Kap. XLVIII
zu sprechen. —
§ 278. Das Fest der heiligen drei Könige.
Bei Matthäus 2, 1 und 2 lesen wir: ..Da nun Jesus zu Bethlehem in
Judäa, zur Zeit des Königs Herodes. geboren war, siehe! Da kamen Weise aus
dem Morgenlaude nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborne König
der Juden? Denn wir haben seinen Stern im Morgenlande gesehen und sind
gekommen, ihn anzubeten." — Nach Vers 11 des gleichen Kapitels fanden die
Weisen das Jesuskind, fielen vor ihm nieder, beteten es an und schenkten ihm
Gold, Weihrauch und Myrrhen.
Wie Bellesheim1) schreibt, ist die Zahl dieser Weisen schon in den Ge-
mälden der Katakomben durchgehends mit drei'2) angegeben: wo der Künstler
nur zwei angebracht, seien die Raumverhältnisse maßgebend gewesen. Auch
Origenes und Leo der Große führen sie als drei an. Als Kaspar. Melchior
und Balthasar seien sie aber erst seit dem 7. Jahrhundert, als Könige erst
seit dem 9. Jahrhundert bekannt.
Der 6. Januar ist nach Bellesheim in der christlichen Kirche seit den
ältesten Zeiten der Gedächtnistag der Anbetung Jesu durch die Weisen. —
Wie den christlichen Festen der vorhergehenden Paragraphen dieses
Kapitels, so hängen indessen auch dem Feste der heiligen drei Könige noch
so manche vorchristliche Reste an, welche je nach der Gegend, mehr oder
weniger in den Vordergrund treten. Nikolaus, Knecht Ruprecht, Weihnachts-
mann, < 'hristkind und, wie die Geschenkspender in den vorigen Paragraphen
dieses Kapitels alle hießen, weichen in diesem Paragraphen den heiligen drei
Königen oder vielmehr, wo jene nicht waren, kommen diese. Der vorchristliche
Geschenktag hat sich einfach verschoben, die christliche Kirche hat diese
Verschiebung geduldet und sich damit begnügt, auf den wesentlich verschiedenen
Grundgedanken des Festes in der christlichen Ära hinzuweisen. Dieser Grund-
gedanke wird denn auch durch entsprechende Darstellungen selbst von deu
Kindern mancherorts zum Ausdruck gebracht. Einige Beispiele mögen liier folgen:
In Bedano im Kanton Tessin ziehen die Knaben am Vorabende vom
Dreikönigstag scharenweise im Dorf herum und läuten mit Kuhschellen, sie
erwarten die Gaben der heiligen drei Könige, die mit ihren Kamelen von
Osten herkommen sollen. Die Lasten der Tiere, denkt sich die Jugend, bestehen
aus Spielzeug und Zuckerwerk, wovon der größte Teil den bravsten, gehor-
samsten Kindern zukommen soll. Die weniger braven erhalten weniger, die
unartigen gar nichts, oder doch nur eine Rute, mit der die Eltern sie züchtigen
sollen. Nun verspricht alles Besserung und fleißige Verrichtung des Morgen-
und Abendgebetes. Ehe die Kinder sich an diesem Abend zur Ruhe legeu,
stellen sie auf das Fensterbrett ihres Schlafzimmers ein Körblein, welches die
') In Wetzer und Weites Kirchenlexikon, 2. Aufl. 3. Bd., Freiburg i. Br. 1884, Sp. 2038.
2) .t/n.)- Höfters Ansicht, die Dreizahl der heiligen drei Könige sei auf die Dreizabl der
Schicksalsfraueu (unter ihnen die schwarze Hei) zurückzuführen, ist demnach nicht unan-
fechtbar. Siehe dessen ,,<Tebäcke des Dreikönigstnges'1 in „Ztschr. d. Vereins für Volkskunde"
J. 14, Berlin 1904, S. 257 ff. Allerdings erwähnt Bellesheim selbst (2039i auch vier Weise,
und gibt als Beispiele die Darstellung in S. Doniitilla an.
358 Kap. XLII. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
Gaben der heiligen drei Könige aufnehmen soll, und vor die Haustür einen
Eimer mit Kleie zur Erfrischung der Kamele (Vittore Pellandini).
Auch in Catalonien, nordöstliches Spanien, ziehen die heiligen drei
Könige gabenspendend umher. Der Christbaum ist hier nicht bekannt, wie
Frau Julita Michael mir mitteilt. Zum Empfang der Dreikönigsgabeu stellen
die Kinder am Vorabend ihre Schuhe vor die Fenster1), und in diese legen
die drei Könige für artige Kinder Bälle, Fächer, Bilderbücher und anderes
Spielzeug; für unartige Kohlen. Die mit Kohlen Beschenkten machen dafür
den drei Königen eine lange Nase. Übrigens gibt es auch Kohlen aus
schwarzem Zncker.
Dreikönigsgeschenke mit entsprechenden Darstellungen sind ferner bei
vielen spanischen Familien im Tal von Mexiko gebräuchlich. In Morelia
werden z. B. drei Knaben als die drei Könige mit Barten versehen, bemalt,
gekleidet und mit Geschenken in eine Kirche geschickt, wo die heilige Familie
dargestellt ist, Mit dieser Zeremonie ist sogar ein besonderer Gottesdienst
mit Gebet und Gesängen verbunden (1 redend; Starr).
Von den Tschechen und Mähren in Schlesien berichtet F. Tetzner,
daß am Dreikönigstag drei vermummte Kinder singend umherziehen und, wenn
von der Polizei nicht verhindert, ein Lied singen, welches Tetzner im Globus 78,
322 veröffentlichte. Die Verse des schwarzen Königs lauten auf Deutsch:
,.Hier bin ich Schwarzer und trete zu euch,
Ein glückliches neues .Jahr wünsch ich euch.
Die Sonne ist ein teurer Stein,
Es ward geboren das Christkindlein.
Borgt die Windeln der Mutter Marie,
Wir wollen das Kleine einbinden für sie.
Wir haben es oft schon gebunden und gepflegt
Und haben es in die Krippe gelegt.
Jesulein, schlafe in Gottes Namen
Von heut? bis in alle Ewigkeit. Amen." —
Als ostpreußischen Brauch erwähnt J. ro>i Medem, daß Knaben am
Dreikönigstag weiße Hemden über ihre Kleider werfen, spitze Mützen2) aus
Goldpapier aufsetzen, einen drehbaren Stein auf einem hohen Stock anbringen,
von Haus zu Haus ziehen und dabei singen:
„Wir wünschen dem Herrn einen reichen Tisch,
An allen vier Ecken gebratenen Fisch — ,
Wir wünschen der Frau eine gold'ne Krön',
Und übers Jahr einen jungen Sohn — ,
Wir wünschen dem Sohn einen weißen Schimmel.
Daß er kann reiten bis in den Himmel.
Wir wünschen der Tochter ein gold'nes Geschnür,
Und iiber's Jahr einen blanken Offizier — .
Wir wünschen der Köchin den Besen zur Hand,
Daß sie kann kehren die Diel' und die Wand." --
Von christlicher Festesfreude ist in diesen Wünschen nicht viel zu
merken. In solche Dreikönigswünsche kann auch jeder Heide einstimmen.
Dreikönigskinder vom Niederrhein hat 0. Schell in der „Zeitschrift des
Vereins für Volkskunde" 1897, S. 90 f., veröffentlicht. Sie wurden, schrieb
Schell, noch vor wenigen Jahren von Kindern aus den ärmeren Gegenden von
Gevelsberg gesungen, wenn sie nach Neujahr auf einige Wochen in das
Wuppertal kamen, wo sie von Haus zu Haus zogen. Meist sonderten sich
die Knaben zu je drei ab und trugen einen Stern.
'i Erinnert an die Schuhe der vlämischen Kinder in fc; 21'3.
-t Dieser Brauch dürfte also älter sein als die Auffassung der Weisen als Könige,
d. h. über das 9. Jahrhundert hinausgehen. Vgl. S. 357.
§ 278. Das Fest der heiligen drei Könige. 359
Mit einem Stern ans buntem Papier ziehen am Vorabend vom Drei-
königstag auch vlämische Kinder in Belgien umher, wobei sie singen:
„Wir kommen hier mit nnserm Stern,
Wir suchen den Herrn, wir halten ihn gern;
Stern, ihr müßt so still nicht stehn,
Ihr müßt mit uns nach Bethlehem gehn,
Nach Bethlehem der schönen Stadt,
Wo Maria mit ihrem Kindchen saß." — (J. v. Düriiigsfeld.)
In der katholischen Schweiz stellen die Kinder am Dreikönigsabend
leere Körbchen hin, damit die hl. drei Könige nachts Früchte und Zucker-
werk hineinlegen (Max Höffer).
Aus Steiermark schrieb Rosegger über die Dreikönigsfeier der Kinder:
Ein sonderbarer Aufzug bewegt sich durch die Straßen des Dorfes. Voran
hüpft ein Junge und trägt auf einer langen Stange einen großen , .goldenen
Stern"; diesem folgt die Schuljugend in buntem Anzug, zuletzt gar drei große
Herren in goldenen Gewändern. Das sind die ,.Könige aus dem Morgenlande".
Sie singen vom falschen Herodes. vom holden Jesuskindlein, von Gold. Weih-
rauch und Myrrhen. — Es sind die Ärmsten der Gemeinde, die vor den Türen
der Wohlhabenden ein Stückleiu Brot erbitten.
Nach Rosegger gilt in Steiermark die Dreikönigsnacht als die
wichtigste unter den heiligen Nächten des ganzen Jahres.
Das ist von zwei Standpunkten aus erklärlich, d. h. vom christlichen
und vom vorchristlichen: Von jenem, weil das Fest der hl. drei Könige in
der Kirche als jenes gilt, weiches daran erinnert, daß die Heidenwelt Jesus
durch die drei nichtisraelitischen, also heidnischen, Weisen kennen lernte.
Heiden, nicht aaserwählte Kinder Israels, waren aber auch die Römer und
Griechen, überhaupt alle Nicht-Israeliten. Deshalb die hervorragende Feier
des Dreikönigstages in der römischen und. noch in hervorragenderem Maße,
in der griechischen Kirche. — Die steirische Auffassung der Dreikönigsnacht
als die „wichtigste" unter den heiligen Nächten hat aber auch eine vor-
christliche Grundlage. -- Sie hängt nach Max Hofier mit dem Kult der
germanischen Göttin Perchta und ihrer Seelenschar (Perchteln) zusammen,
wie die „Perchtennacht" oder „oberste Nacht" zeitlich mit der Dreikönigsnacht
zusammenfällt. Als „Oberste Nacht" und „Reichenmahlnacht" sei die Drei-
königsnacht in Steiermark noch bekannt.
Die „Perchtennacht" oder „Oberste Nacht' bildete nach Höfler den Schluß
der germanischen Wintersonnenwende. Dieser Nacht waren die schaurigen
..zwölf Rauch- oder Zwischennächte", also die Nächte vom 25. Dezember bis
5. Januar vorangegangen, in welchen Perchta mit den Seelen der verstorbenen
.Ahnen und Sippengenossen, den glückspendenden Seelengeistern, den seligen
Schicksalsgeistern, über das Land gezogen war. In der Perchtennacht nun,
der Neujahrsnacht unserer Vorfahren, wurde ihr und ihrer Seelenschar,
auch Dunkeleiben genannt, ein Festessen mit bestimmter Speise-
ordnung auf dem Glücks- oder Perchtentisch gegeben. Auf diese Ab-
fütterung der Seelen folgte „das reiche Mahl"1) für die überlebenden
Sippengenossen, von dem alles: Kinder, Gesinde, Gäste, selbst die Haustiere
ihren Teil erhielten2), und zwar mußte man recht viel essen, um sich vor
dem Tritte der stampfenden Perchta im Albtraume zu sichern. Auch durften
nur die festgesetzten Speisen vorgelegt, und diese mußten nach einer be-
stimmten Ordnung verspeist werden, wollte man sich nicht der Rache der
') Daher nach Hofier die steirische Benennung „Reichenmahlnacht'* für die Drei-
königsnacht.
2) Wie heim Neujahrs- und Weihnachtsmahl der Mordwinen in den §§ 275 uud 277.
360 Kap. XLII. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
Geister im Alptraum aussetzen, oder doch ihre Gunst verscherzen. Daher nach
Höfler, die jährlich konstant wiederkehrenden charakteristischen Gebäcke
des Dreikönigstages: Fladen, Zelten, Klöße, Brei, Brezeln usw. usw.
Mit dem Anbruch des neuen Jahres verließ Perchta das Land, dem sie
Wohlstand und Fruchtbarkeit verlieh, um sich bis aufs nächste Jahr in ihr
Heiligtum zurückzuziehen. Sie war das weibliche Gegenstück zum „Schimmel-
reiter' oder „wilden Jäger-' Wodan').
An diese Auffassung erinnert Kärnthen, wo der „Dreikönigstag"
„Perchtentag" genannt wird, und wo am Vorabend die „wilde Gjad" die
Spinnstuben besucht und nebenbei die „Sternsinger" in ihren Lodenmänteln
von Haus zu Haus ziehen, ihre Hirten- und Dreikönigslieder singend2).
Hier halten wir also ein auffallendes Gemisch heidnischer und christlicher
Vorstellungen.
Nach Höfler hieß der Dreikönigstag auch in der Schweiz noch 1501
„Pechteli-Tag"; in Tirol war er als „Brechentag", die Nacht als „Gstam-
panacht" (von der stampfend auftretenden Perchta) bekannt.
Der Perchta entspricht in Mitteldeutschland ..Frau Holle", welche als
Totengöttin gleichfalls Anführerin der Seelen war. Daher hieß der jetzige
Dreikönigsabend in Mitteldeutschland früher „Frau Holleabend".
Frau Holle führte aber auch den Namen ,.Hel", wovon der deutsche
Name „Hölle" kommt. Daher die frühere westfälische Benennung „Höllen-
tag" für den jetzigen Dreikönigstag.
Ferner lebte der altgermanische Neujahrstag, bzw. Perchtentag im
christlichen Dreikönigstag unter den Benennungen „Großneujahr", „Hohes
Neujahr" und „hoher Tag" in Bayern und Tirol fort, wo er zudem
„Göbnächttag" (von „Göb-Gabe") hieß.
Aus Tirol erwähnt Höfler das Perchtelmus, welches als „Bachlkoch'
auch jetzt noch am Dreikönigstag gekocht wird. An manchen Orten werde
aus diesem Brei (Mus) Brot gebacken, dieses in Schnitten geteilt und die
Schnitten in Milch öder süßer Klötzenbrühe genossen — eine uralte Seelen-
speise.
In Oberösterreich stellt man nach Höfler noch am Dreikönigsabend
eine Schüssel Milch (Milchbrei), mit einem Löffel darin, auf den Tisch, damit
..Frau Percht", wenn sie mit ihrer Seelenschar kommt, davon genieße. Wer
in der Früh an seinem Löffel angesetzten Rahm findet, erhofft Glück und
Segen, weil Perchta diesen Löffel benützt habe.
Zu diesen und anderen Mitteilungen bemerkt JTöfler, was am Perchten-
abend nach heidnischer Sitte den Seelen der Ahnen und Sippegenossen
hingestellt worden sei, erhalten nun an manchen Orten die Kinder,
unter den hier einschlägigen Bräuchen erwähnte er den folgenden aus
Herdersen in Flandern: In Herdersen kommen am hl. Dreikönigs- oder
am Neujahrsabend8) alle Kinder der Gemeinde, reich und arm. auf den Hüten
von 3 — 4 der angesehensten Bauern zusammen und empfangen eine Münze.
An anderen Ilandrischen Orten erbitten sie sich an diesem Abend den „Gottes-
teil", d. h. einen Teil von dem Bohnenkuchen, der ehedem für die armen
Seelen bestimmt war.4) - Der Ausdruck „Gottesteil" ist nach Ho/fer viel-
') Max Höfler: Die Gebäcke des Dreikönigstages. In Ztsehr. d. Vereins für Volks-
kunde. Jahrg. II. Berlin l'.tO-l, 257 ff.
-i Nach /'/.»/;. ->. Aufl. II. :(si.
3) Da ja der christliche Dreikönigstag mit dem altgermanischen Neujahrs- oder Perchten-
tag zusammenfällt.
*) Bohnen und andere Hülsenfrüchte brachten bekanntlich auch die Griechen ao
ihrem Toten- und Erntetest, den ..l'yanepsien" (Pyanos, die Bohne), zum Opfer dar und
verzehrten aie dann gemeinschaftlich.
§ 279. Fastnacht, Aschermittwoch und Funkensonntag. 361
leicht eine Wanderung des niedersächsischen „Vergoden-deel", d. h. Frau Goden-
oder Holle-Teil, und die in den flandrischen Bohnenkuchen gebackene Münze
das Symbol der Kauf münze des Totennachlasses. —
§ 27i). Fastnacht, Aschermittwoch und Funkensonntag. - - Lichtmeß in
Armenien.
..Fastnacht" oder ..Fastenabend", ,,Fastelabend" usw. bezeichnet bekannt-
lich im engsten Sinn des Wortes nur den letzten Tag vor Aschermittwoch,
den Vorabend vor den vierzigtägigen Fasten. Je nach Ort und Zeit hat das
Wort aber eine weitere Bedeutung. So wurde z. B. früher der vorhergehende
Sonntag mancherorts „großer Fastelahend" genannt, und im bayrischen
Schwaben hält es hauptsächlich die ländliche Jugend gewissermaßen für ihr
Becht. vom „gumpiga" Donnerstag, d. h. vom 6. Tag vor Aschermittwoch an,
jeden Tag maskiert zu gehen, sei es auf den Straßen, sei es. um Gaben zu
sammeln, in den Häusern. Am Freitag schmiert man sich gegenseitig mit
Kohlen oder Büß (Pfraum) an; der Tag- heißt der „pfraumige" Freitag; am
Samstag, dem „schmalziga", erwartet man fette Kücheln oder sonst in reich-
lichem Schmalz oder Butter gekochte, geröstete oder gebackene Mehlspeisen.
Der „Fasnachtssonntig" wird in hervorragender Weise von maskierten Kindern
und Erwachsenen ausgenützt und ebenso der ,,laufige" Montag1) und ,.d"Fasnacht"
im eigentlichen Sinne des Wortes, d. h. der Dienstag vor Aschermittwoch.
Die Ausdehnung der Faschingsfreuden durch die Erwachsenen, haupt-
sächlich der Städter, auf Wochen und Monate ist bekannt.
Einen zeitlich einheitlichen Anfang und einen zeitlich einheitlichen Ab-
schluß der Fastnacht gab es ja auch damals nicht, als die noch ungetrennten
Christen der abendländischen Kirche mit ihrer Faschingslust vor der Fasten-
zeit halt machten; denn auch damals ging man teilweise schon in der Weih-
nachtswoche maskiert, und dehnte, wo die kirchlichen Fasten erst mit dem
ersten Fastensonntag begannen, die Faschingsfreuden bis eben zu diesem Zeit-
punkte aus.
Ein Beispiel letzterer Art haben wir in Mailand. — In Süddeutsch-
land wurde der erste Fastensonntag („Funkensonntag") noch im 18. Jahr-
hundert ..die alte Fastnacht-' genannt, und in der Schweiz hieß er Ende des
19. Jahrhunderts noch so'2).
Damit sind die Volksbelustigungen, welche mancherorts, selbst unter
Katholiken, mich am Aschermittwoch und ersten Fastensonntag stattfinden,
zeitlich bereits teilweise erklärt. Der tiefere Grund liegt freilich auch für
die Faschingsfreuden in altheidnischen Festen, d. h. in den römischen
Luperkalien und Saturnalien, sowie in einer altgermanischen Vor-
feier des Frühlings. Im alten Born kleideten sich am Faunusfest. welches
am 17. Februar gefeiert wurde, die Luperci in die Felle der geopferten Böcke
und umliefen so das Weichbild der alten Stadt. Daß sie bei dieser Gelegen-
heit die ihnen begegnenden Frauen mit Biemen aus Bocksfellen schlugen, um
sie fruchtbar zu machen, ist in § 276 erwähnt worden. Erinnerungen daran
finden wir auch im vorliegenden Abschnitt. — Der wochenlangen ausgelassenen
Festesfreuden der römischen Saturnalien wurde gleichfalls schon früher ge-
dacht. — Die germanische Vorfeier des Frühlings ehrte nach Ploß3) den
Donar, hauptsächlich aber die Frigg. war also in einem gewissen Sinn aber-
mals ein Fruchtbarkeitskult.
') In früheren Zeiten mancherorts als ..Xarrenkirchweih'- bekannt.
2) Vgl. Wetzer und Weites Kirchenlexikon, 2. Aufl. 4. Bd., 1409.
3) 2. Aufl. H, 388.
362 Kap. XL1I. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und voreliristl. Erinnerungen usw.
Über die Teilnahme der Kinder an den genannten drei Festen vor-
christlicher Zeiten liegt mir kein Material vor.
Da aber Andreas Seider den mittelalterlichen und neuzeitlichen „Kinder-
bischof "') in seinen Wurzeln „zweifelsohne" auf die römischen Kaienden- und
Saturnaliengebräuche zurückbezieht'-), so ist damit indirekt ausgesprochen, daß
bei den römischen Saturnalien Kinder eine aktive Rolle spielten.
Übrigens wurde bereits in früheren Kapiteln darauf hingewiesen, daß
gewisse vorchristliche Kultakte Erwachsener in der christlichen Ära als
Kinderspiele i weiterleben, und das gilt wohl, mutatis mutandis. auch für die
Faschingsfreuden der Kinder unserer Zeit. Zu diesen Freuden gehört, haupt-
sächlich auf dem Lande, vor allem das Ausrufen oder Absingen von Fastnachts-
versen.
In Altenstadt a. d. Hier, Bayrisches Schwaben, rufen die Kinder,
wenn sie in den letzten Tagen vor Aschermittwoch Masken auf den Straßen
sehen, oder selbst maskiert gehen:
„Holla, holla insgemein,
Morgen geht die Fasnacht ein,
Fasnacht ist eine lustige Zeit.
Wo man alle G'sehpäßla3) treibt." —
In Dillingen a. d. Donau, gleichfalls Bayrisches Schwaben, singen sie:
., Hörig, hörig, hörig4) ist die Katz.
L ml wenn die Katz nit hörig ist,
So fangt sie keine Maus." —
In Ellwangen in Württemberg:
„Fastnacht, du alte Kuh,
Steck dein — mit Lumpen zu!
Fastnacht komm morgen z'Nacht,
Wenn mei Mueter Küechle bacht.
D' Küechle sind verbronna:
Wärst bälder komma!"
Im Saterland, Oldenburg, hielten früher die Schulkinder in der
Woche vor Fastnacht ihre Sammlungen mit Vorsänger, Judas. Eierkülk (Eier-
träger) und Wurstberend (Wurstträger). Damit verbanden sie "Wettgesänge
und Ringkämpfe.
Auch in manchen Gegenden Belgiens zieht die Jugend singend von
Haus zu Haus. Plo/i führte aus dem Volkslesebuch von Dautzeriberg und
Van Dyse das folgende Liedchen an, welches bei solchen Gelegenheiten ge-
sungen wird. Aus den zwei ersten Versen ersieht man die Gaben, um welche
die Kinder bitten.
„Ein Klößchen und ein Kohlkopf,
Etwas Brennholz dabei!
Hier wohnt auch noch ein reicher Mann.
Her uns noch etwas geben kann.
Gebt uns was, und laßt uus gehn,
Laßt uns nicht so lang hier stehn,
Wir müssen heut noch weiter gehn."
i) Siehe § 276.
2) In „Kirchliches Handlexikon", herausgegeben von Michael liuclibcrger, 26. Lief.
München 1907, 356.
:,i Spaße.
4) Haarig.
§ 279. Fastnacht. Aschermittwoch und Funkensonntag.
363
Die Limburger Jugend singt1):
,.Fastabeuü kommt heran,
Laßt die Mädchen früh aufstehn.
Sie gucken hier, sie gucken da,
Sie gucken um und um.
Mutter, steht mein Mützchen nett?
Mein Liebster soll heut Abend kommen.
Kommt er diesen Abend nicht,
Dann kommt die ganze Fasten nicht.
Setz die Leiter an die Wand
Und schneid' den Speck drei Ellen lang,
Laß das Messer sinken,
Trag' auf den fetten Schinken!
Vokka, Vokka, Rommelpot (Lärm topf)!"
Fig. 307. Serben-Fasching in Ungarn. In der K. Sammlung für deutsche Volkskunde in Berlin.
<Aus dem Tschechisch-Ethnographischen Museum in Prag.i Näheres unbekannt. — Vgl. indessen die Ver-
kleidung der altrömischen Luperci mit Bocksfellen, S. 361.
Unter diesem „Rommelpot" ist das musikalische Instrument gemeint,
auf welchem die Begleitung zu dem Lied gespielt wird. Es besteht aus einem
irdenen, mit einer Blase überspannten Topf, in deren Mitte ein Stroh- oder
Binsenhalm befestigt ist. Fährt man mit dem angefeuchteten Daumen und
Zeigefinger an dem Halm auf und ab, so entsteht ein schnarrender Ton, ähn-
lich dem Ton eines Waldteufels2). -- Als Lohn erhalten die Kinder von frei-
gebigen Bäuerinnen Klöße. Kohlköpfe, Speck und Eier, was sie aber nicht
selbst behalten, sondern samt Brennholz einer armen Frau schenken. Nach
diesem ziehen sie ihre Kleider umgekehrt an, springen und tanzen. -
Wir kommen nun zu einigen Aschermittwoch brauchen: Der ursprüng-
liche Sinn des ersteren, aus Anhalt berichteten, ist allem Anschein nach der
•) Xach Ploß, 2. Aufl. II, :J89f.
2) Ein ähnliches Instrument fand Weide auf dorn jlakonde-Plateau. wie in einem früheren
Kapitel bereits erwähnt wurde.
364 Kap. XLII. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
gleiche, den wir von den altrömischen Luperkalien und dem mord-
winischen Schweine- oder Neujahrsfest kennen, und welcher sich unter
verschiedenen Formen auch an das christliche Fest der unschuldigen Kinder ge-
hängt hat. Oskar Härtung schreibt nämlich: In Anhalt schlagen die Kinder am
Aschermittwoch sich gegenseitig, oder auch Erwachsene auf den Straßen und
in den Häusern, mit Ruten aus Birkenreis oder grünem Wacholder. Das
nennen sie „einäschern". Von den Geschlagenen erhalten sie Brezeln oder
andere kleine Geschenke. Speziell in der Z erbst er Gegend sangen sie noch
gegen Knde des vergangenen Jahrhunderts dazu:
„Ascher- Aschermittwoch,
Eine Brezel gieb mir doch!
Thust du mich 'ne Brezel geben,
Wünsch ich dich 'n langes Leben." —
Und in Vockerode:
„Ist der Peter schon dagewesen?
Ein paar Eier,
Ein paar Dreier,
Ein .Stückchen Speck!
Gleich bin ich wieder weg." —
Wie hier das „Einäschern", so soll in Leobschütz, Oberschlesien,
offenbar der „Judas" einen alten Heidenbrauch zudecken. In Leobschütz laufen
nämlich die Knaben am Aschermittwoch bei eingetretener Dunkelheit auf den
Feldern umher, „um Judas zu suchen". Sie schwingen dabei in Teer getauchte,
brennende Besen in den Händen. -- In der Trachenberger Gegend, Mittel-
schlesien, sammelt die Dorfjugend schon viele Wochen vor Aschermittwoch
alte Besen zum „Sauerbrennen". An diesem Tage selbst fahren sie mit
einem Wagen von Hof zu Hof und sammeln Holz, Stroh, Teertonnen und anderes
Brennmaterial, das man ihnen überläßt, und schichten es an einem bestimmten
Orte auf. Abends bringt dann jeder möglichst viel Besen oder Teerfackeln
mit, von denen er zunächst einen am Haufen anzündet, nachdem dieser vom
ältesten in Brand gesteckt worden ist. Hierauf ziehen sie im Gänsemarsch
oder in doppelter Reihe über die Felder, wobei sie die brennenden Besen in
die Luft schleudern. Der Haufen wird von zurückbleibenden Burschen
brennend erhalten, und nachdem die anderen wieder hierher zurückgekehrt
sind, beginnt ein tolles Treiben. .Man wirft einander brennende Besen nach,
springt über das Feuer, zündet schließlich die letzten Besen an und zieht mit
diesen vors Dorf, wo sie ausgelöscht werden.
Was liier am Aschermittwoch von altheidnischem Brauch geblieben ist.
finden wir mit einiger Abänderung an anderen Orten schon am Martinitag1),
dann am ersten Fastensunntag (Funkensonntag), an welchem die Jugend
bekannterweise vielerorts im Freien Feuer anfacht und sich dabei in alther-
gebrachter Weise belustigt; ferner an Ostern, Pfingsten und Johanni.
Fassen wir zunächst das „Scheibenschlagen" oder „Scheibentreiben",
d. h. das Schleudern brennender Holzscheiben ins Auge, so erfahren wir von
Friedrich Vogt, daß das älteste geschichtliche Datum für diesen Brauch einst-
weilen allerdings nur bis auf das Jahr 1090 zurückgeht.
In diesem Jahre sei am 21. März die prächtige Kirche und ein großer
Teil der übrigen Gebäude des Klosters Lorsch durch eine brennende Scheibe
in Klammen aufgegangen. Nach Vogt ist das Scheibentreiben auch nur in
germanischen Ländern nachweisbar, obwohl Fastnachts- und .Johannisfeuer
außerhalb, z. B. in Frankreich, „genugsam" vorkommen. Die Feuerscheibe
') Nach Heuser ist das Martinsfeuer wahrscheinlich auf eine Vorfeier des Julfestes
zurückzubeziehen, hängt also mit der Sonnenwende zusammen.
S 279. Fastnacht, Aschermittwoch und Futikensonntag. 365
stehe in Beziehung zum Glücksrad, was aus einer von „Gaidoz zitierten
Verhandlung der Äbtissin Jolanda von Bassompierre mit dem Rate von Epinal
(1665) hervorgehe. Gaidoz habe auf den sakralen Charakter des Glücks-
nnd Lebensrades im Mittelalter und in der Neuzeit hingewiesen. Noch jetzt
sei bei dem Rollen des Johannisrades in Niederkonz, Lothringen, dem
auch der Bürgermeister beiwohne, der Geistliche zugegen1).
Meine Vermutung, daß der 21. März als Datum des Lorsclier Scheiben-
schleuderns auf eine Beziehung dieses Brauches zum germanischen Frühlings-
fest. bzw. Fruchtbarkeits-, Sonnen- und Feuerkult hinweise, wird durch die
folgenden Verse bestärkt, welche die Oberinntaler Jugend in Tirol singt,
wenn sie die Scheibe ins Tal schleudert, nachdem sie sie im Feuer (Holepfann)
glühend gemacht hat:
,.Holepfann, Holepfann!
Korn in der Wann!
Schmalz in der Pfann!
Pflueg in der Erd !
Schau, wie die Schein aussirert." —
In Illereicheu, Bayrisches Schwaben, rufen die Burschen, wenn sie
die glühende Scheibe vom Sandberg ins Illertal schleudern:
„Scheib aus,
Scheib ein.
Scheib über da rein (Grenzstreifen?)
Dia Scheib soll N. N. sein."
Meistens ist es ein Liebespaar, welchem die Scheibe gilt. Ist das Liebes-
verhältnis anrüchig, so nennt man die darauf geschlagene Scheibe „Schand-
scheilr. - Auch „Ehrenscheiben" gibt es, z. B. auf den Herrn Pfarrer, den
Herrn Lehrer usw.
Aus dem schwäbischen Algäu stammt wohl, dem Dialekt nach zu
urteilen, das folgende Scheibenlied, welches Floß in der 2. Auflage, als aus
..einigen Orten Schwabens" stammend, einverleibt hat.
..Schib, Schib, Schib,
Schib mol über de Rhu
Weam soll denn die Schib si?
Die Schib got krumm,
Die Schib got grad.
Got reacht, got schleacht.
Sie got dem N. N. eaben reacht,
Got sie nett, so gilt sie nett!-' —
Nicht unter dem Bild feuriger Scheiben, aber unter dem Bild feuriger
Kreise und Räder erscheint uns der vorchristliche Feuerkult in den folgenden
zwei Bräuchen in der Rhön und in der Gegend von Fulda, wo der erste
Fastensonntag. ,.Huitzelsonntag'-, bzw. „Hutzeltag- genannt wird. (Vgl. die
ursprüngliche Bedeutung der Hutzelzelten, Früchtebrot, in den vorhergehenden
Paragraphen dieses Kapitels.)
In der Rhön ziehen nämlich die Schulknaben an diesem Tag mit Stangen,
welche sie vorher mit Stroh umwanden, auf den nächstgelegenen Berg und
zünden das Stroh mit einbrechender Dunkelheit an. Dann laufen sie ins Dorf
hinunter, bald in langer Reihe, bald in Windungen und kreisförmig, oder die
Fackeln um sich schwingend, so daß ein feuriger Kreis gezogen wird. Hier
!) Näheres bei Vogt: Beiträge zur deutschen Volkskunde aus älteren Quellen. In
Ztschr. d. Vereins f. Volkskunde. J. 3 (1893), S. 349.
368 Kap. XIjII. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und rorchristl. Erinnerungen usw.
gehen sie nun von Haus zu Haus und „haischen" Eier, Fleisch und Hutzel,
d. h. gedörrte Zwetschgen, Birnen und Äpfelschnitte, indem sie Bettellieder
singen.
Im Fuldaischen sammeln an diesem Tag die Knaben in den Häusern
des Dorfes Stroh, binden es in Bündel und verbrennen diese unter unbändigem
Gejauchze auf den Höhen, indem sie damit hin- und herlaufen und funken-
sprühende Räder schlagen, ähnlich den „Osterlichteln" am „fränkischen Land-
rücken". Nach diesem bewegt sich der Zug der Knaben jubelnd und lärmend
ins Dorf zurück. Von Haus zu Haus gehend, singen sie:
„Silier') kale Erwes2)
Mit Hutzelbrüh' verschmelzt.
Wenn d'r3) uns kei' Hutzel gat4).
Soll der Baum kei' Birna troa5),
Schäba11) hie, Schäba her,
(iat uns die besten Hutzeln her" usw.
Ist dieses Lied abgesungen, so werden die Knaben mit Hutzeln und
Krapfen, wohl auch mit einem Trunk Bier regaliert, und sie setzen dann
ihren Marsch fort. —
Es ist wohl kaum daran zu erinnern, daß diese Fuldaer Verse im
Grunde den gleichen Gedanken ausdrücken, wie das Tiroler Scheibenlied:
Die Hoffnung auf ein ebenso fruchtbares Jahr als das vergangene war, von
dessen reichen Gaben die vagierende Jugend ihren Anteil haben möchte.
Freudenfeuer am Funkensonntag gab es früher in Estavayer, Kanton
Freiburg. Die dortigen Knaben entwickelten bei Errichtung der Holzstöße
einen gewissen Kunstsinn; denn Volmar schrieb: Nachdem sie mit einer Hacke
oder einem Pfahl ein der Holzmenge entsprechendes Viereck auf die Erde
gezeichnet hatten, rammten sie an jeder Ecke einen ungefähr 1'/° Meter hohen
jungen grünen Baumstamm ein, dessen gestützte Äste Gabeln bildeten, und
die sie durch eingeschobene Stangen miteinander verbanden. Auf die Stangen
legten sie netzförmig Prügel kreuz und quer. Prügel wie Stangen mußten
von grünem Holze sein, damit sie so lange Staud hielten, bis das auf dem
Prügelnetz angehäufte dürre Material verbrannt war. Angezündet wurde das
Feuer unter dem Gerüste, wo mit Petroleum getränktes Stroh angehäuft war.
Ein kräftiges Hurra begleitete das erste Aufprasseln, und unter wildem Geschrei
umsprangen die Knaben das Feuer, welches sie mit langstieligen Gabeln an-
schürten. Waren die Bürger besonders freigebig gewesen, dann bildete ein
„Glas" den Schlußakt.
In Bedano, Kanton Tessin, sind Freudenfeuer am Fankensonntag noch
jetzt gebräuchlich. Nach V. Pcllandini holen sich die Knaben aus den Häusern
des Dorfes Bündel von Reisig, Stroh oder Weinreben, welche sie auf einem
Platz, um einen Pfahl, kegelförmig aufschichten und mit einbrechender Nacht
anzünden. Das ganze Dorf erscheint am Freudenfeuer. —
Endlich sei noch der Freudenfeuer gedacht, welche in Egin und Pirvan,
Armenien, am Lichtmeß-Fest auf den Dächern jener Häuser angezündet
werden, in welchen im vorhergehenden Jahr eine Ehe eingegangen worden
war7). Um diese Freudenfeuer trägt man die unter einem Jahr alten Kinder
und singt ihnen vor. — Die Eingebornen von Pirvan, welche an Lichtmeß
gleichfalls Freudenfeuer auf den Hansdächern machen, geben an. der Brauch
stamme von der Zeit her, als sie Feueranbeter waren8). —
') Silber; ■) Erbsen; 3) ihr; 4) gebt; '•) tragen; ") Schaub, Strohbündel.
') Auf den Dächern der übrigen Häuser werden nur Kerzen angezündet.
"J J. Rendel Harris. Notes fnmi Armenia, p. 4ii7.
§ 280. Sonntag Lätare. 367
§ 280. Sonntag Lätare.
In der Lausitz ist es Brauch, daß man im Frühling einer Strohpuppe
ein weißes Hemd anzieht, sie dann an die Grenze trägt und hier zerreißt,.
worauf man das Hemd an einen schönen Waldbaum hängt, diesen abhaut und
heimträgt.
Ähnlichen Bräuchen begegnen wir in dem vorliegenden Paragraphen in
verschiedenen Gegenden Europas. Sie stellen die Überwindung des Winters
durch die schönere Jahreszeit dar und sind Beste alter Frühlingsfeste und
Fruchtbarkeitskulte, wie schon Floß im Hinweis auf Grimm, Seih, Kamp,
Zacher, Lechner, Dobrynkina u. a. in der 2. Auflage des Kindes festgestellt
hat. Seitdem lieferte Ä'. Th. Preuß zu diesen europäischen Bräuchen drastische
Seitenstücke aus dem alten Mexiko, welche zugleich auf die ursprünglichen
Formen der hier einschlägigen europäischen Bräuche einen Schluß gestatten
dürften.
Im alten Mexiko wurde nämlich alljährlich 40 Tage vor dem Erntefest
eine 40—45 Jahre alte Frau gewählt und ihr die Bolle der Erdgöttin Teteoinnan
oder Toci („unsere Ahne") übertragen. Man kleidete sie in die vorschrifts-
mäßige Tracht dieser Göttin und verehrte sie, wie wenn sie diese selbst wäre.
Am Erntefest wurde sie als die nunmehr alt gewordene Göttin des Wachstums
und der Fruchtbarkeit, die zum Weitergebären nicht mehr tauglich sei, als die
alte „Maismutter-' geopfert. Ein großer und besonders kräftiger Priester nahm
sie derart auf den Bücken, daß ihr Gesicht nach oben gerichtet war; an den
Armen hielt er sie fest. Dann packte der Opferpriester die Frau bei den
Haaren und schnitt ihr den Kopf ab, wobei ihr Blut sich wie ein Bad über
den Priester ergoß, der sie trug. Den noch warmen Körper häutete man
sofort ab und bekleidete den Priester mit der Haut. Er übernahm nun die
Bolle der Göttin. Durch das Blut und die Haut wurde die Kraft der alten
Göttin auf die neue übertragen.
Ende Februar tötete man Gefangene, häutete sie, und bekleidete mit
diesen Häuten Überlebende, damit in diesen der Frühlings- oder Wachstums-
dämon verjüngt werde: deshalb hieß der Fiiihlingsdämon ..Xipe", d. h. „der
Geschundene".
Preuß bemerkt zu diesen Mitteilungen: In den deutschen Bräuchen
stirbt der Dämon des Winters meist eines friedlichen Todes und wird als
Puppe hinausgetragen, begraben, oder ins Wasser geworfen. Doch fehlt auch
die blutige Zeremonie des Enthauptens nicht. Eine Blutwurst oder Blutspritze
täuscht die einstige grausige Wahrheit vor.
Die Lausitzer Puppe ist also nach Preuß der alte Vegetationsdämon,
dessen Kräfte durch das Hemd auf seinen Nachfolger, den neuen Geist des
Wachstums, auf den schönen Waldbaum, übertragen wird1).
Vielfach bilden ähnliche Bräuche wie der Lausitzer die Festesfreude
der Kinder am Sonntag „Lätare", also am vierten Fastensonntag oder dritten
') Frazer allerdings meinte, bei den hier einschlägigen europäischen Bräuchen kämen
Zeremonien vor, welche sich mit dem Tod und dem Wiedererwachen der Vegetation nicht
vereinen lassen. Wohl verstehe man das Wehklagen, die Trauerkleider und das feierliche Be-
gräbnis, aber was solle man von der Fröhlichkeit sagen, mit welcher die Puppe oft umher-
getragen werde, was von den Mißhandlungen mit Stock und Stein, von den auf sie geschleu-
derten Flüchen und Verhöhnungen, wenn die Puppe nicht auch das Bild eines öffentlichen
Sündenbockes ist, auf den die Übel geladen werden, die das Volk im verflossenen Jahre
belasteten? (Nach W. Thomas: The Scape-Goat in European Folklore, Folk-Lore XVII,
London 1906, 258 ff.) — Floß erinnerte daran, daß die Franken, Sachsen und Thüringer
sowie die Serben und Wenden am 25. März ihr neues Jahr antraten. — Vielleicht hängt
also ihr Brauch des „Todaustragens" zunächst mit diesem zusammen. Da jedoch ür Neu-
jahrsanfang mit dem Beginn des Frühjahrs zusammenfällt, so ist der Grundgedanke wohl
wieder der gleiche: Tod des Winters, Aufleben des Frühlings, d. h. ein Fruchtbarkeitskult,
368 Kap. XLII. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
Sonntag vor Ostern. Seltener finden sie am Sonntag „Judica" statt, welcher
auf jenen folgt. Der Grundbedeutung des Brauches, d. h. dem Sterben des
Winters und dem Aufblühen des Frühlings und Sommers entsprechend, heißt
in den betreffenden Gegenden der Sonntag Lätare, bzw. der Sonntag „Judica"
im Volksmund: ..Rosen- oder Todsonntag"; auch als „Sommersonntag" kennt
man den Sonntag Lätare.
Das Schicksal der Winterpuppe ist, wie angedeutet und wie aus den
folgenden Bräuchen verschiedener Gegenden hervorgellt, mannigfach.
Nach Ploß1) kleidet die Jugend in Mähren und im österreichischen
Schlesien am Sonntag Lätare, eine Puppe, welche den Tod darstellen soll,
in weiße Weiberkleider'2). Mädchen tragen sie dann hinaus und werfen sie
ins Wasser. — Dieser Sonntag heißt hier „Todsonntag". - Auf dem Heim-
weg haben sie geschmückte Tannenzweige3) und singen:
..Den Tod haben wir ausgetragen;
Den Sommer bringen wir wieder,
Den Sommer und den Mai,
Der Blümlein allerlei."
Den Mai, welchen die Mädchen somit schon am Sonntag Lätare an-
kündigen, feiern sie auch bereits an diesem Tag und singen ihn als „Pate" an:
,/Potli Mai, Poth Mai,
Gebt mir ein Kreuzer und ein Ei !"
Als weibliches Wesen ist nicht nur deT zu Grab getragene Winter, sondern
auch die heranziehende schöne Jahreszeit, und zwar diese als Jungfrau gedacht.
Wenigstens bezog Ploß die folgende Strophe von VernoUeken darauf.
„Die goldnc Kett liegt um das Haus,
Die schönste Jungfrau geht heraus,
Sie geht in ihrem Rocke,
Als wie die schönste Docke."
In Böhmen wird die den Tod darstellende Strohpuppe, in Gestall eines
alten häßlichen Weibes, am Sonntag „Judica" unter Gesängen, Liedern und lautem
Jubel zuerst in den Straßen herumgetragen und dann, wie in Mali reu und
im österreichischen Schlesien, ins Wasser geworfen. - Wie hier der
Sonntag Lätare, so heißt in Böhmen der Sonntag „Judica" „Totensonntag".
In Kroatien und Slawonien sägt man an „Mittfasten"4) eine Puppe
entzwei (Fr. Huber).
Die Kleinrussen verbrennen die weibliche Puppe (Mara), welche sie bei
ihrer Friihlingsfeier zuerst durch Gassen und Felder tragen, auf einer Anhöhe.
Aus dem Kreise Murom, Gouvernement Wladimir, berichtete DobrynMna
im Jahre 1874 5), daß die männliche und weibliche Jugend bei ihrer Frühlings-
feier eine weibliche Strohpuppe „Kostroma" anfertigen, bekleiden, unter Gesang
und Scherz wieder ausziehen und dann in den Fluß Oka, oder in ein anderes
Wasser werfen. - An anderen Orten wird die Puppe begraben. - Ferner
komme es vor, daß man ein junges Mädchen in einen Kasten lege, als „Kostroma"
in den Wald trage und unter einer Birke") absetze. — Diese und ähnliche
') 2. Aufl. II. 378 f.
*) Der Tod ist hier weiblichen Geschlechts.
3i Vgl. den Christbaum als Lebeosbaum,
') „Mittfasten" ist im eigentlichen Sinn der Mittwoch vor Sonntag Lätare; doch wird
auch letzterer als „Mittfasten" bezeichnet.
6) In der Sitzung der Kais. Huss. (lesellsch. der Freunde der Naturkunde, Anthropologie
und Ethnologie (bei Floß. 2. Aufl. II, 380).
e) Vgl. die Hirke als heiligen Baum der mordwinischen Göttiu der Fruchtbarkeit in
§ 275 und an anderen Stellen des vorliegenden Werkes.
§ 280. Sonntag Lätare. 369
Gebräuche nenne man „die Bestattung oder Beerdigung der „Kostroma"; ihre
Bedeutung sei, „dem Frühling das Geleit zu geben": denn die Kostroma sei
der Frühling selbst und stelle eine, von den finnischen Stämmen Merja und
M uro m verehrte Gottheit dar. Vielleicht sei es die Friihlingsgöttin Simzerla
oder deren Tochter Merzana. was mir allerdings unwahrscheinlich dünkt, da
an einer Frühliugsfeier die Frühlingsgöttin kaum beerdigt wird. Es wird
wohl auch hier der Winter beerdigt, oder ertränkt usw. Das „junge" Mädchen,
welches an einzelnen Orten statt der Puppe hinausgetragen wird, erklärt sich
vielleicht damit, daß an dem Spiel eben nur die Jugend teilnimmt, und eine
alte Frau sich kaum zum Mitspielen hergeben dürfte, oder aber, es handelt
sich hier um einen anderen, noch unaufgeklärten, Brauch.
In Schlesien, Sachsen und Thüringen belustigten sich früher die
Kinder am Sonntag Lätare mit „Tod vertreiben" oder „Tod austragen"'. Eine
Puppe wurde aus Holz, Stroh und Lumpen hergestellt und unter Gesang aus
dem Dorfe getragen, wo man sie entweder ins Wasser warf, oder unter Narren-
possen und Gaukelspiel verbrannte, oder unter Flüchen und Verwünschungen
über die Flurgrenze warf1). Die Jugend der benachbarten Flur litt die Puppe
aber nicht auf ihren Ackern, was nicht selten Zank und Streit zur Folge hatte.
Streckten die Kinder bei ihren Umzügen die Puppe an das Fenster eines
Hauses, dann galt das für ein böses Omen: Im Laufe des Jahres kehrte hier
der Tod ein. Man gab ihnen deshalb Geld, um sie von einem solchen Streich
zurückzuhalten.
Bei ihrer Rückkehr ins Dorf erhielt die Jugend außerdem Brezeln und
gekochte Bohnen, was wohl abermals als Best eines vorchristlichen Frucht-
barkeitskultes anzusehen ist. Denn die Bohnen sind ein Fi uchtbarkeitss3Tmbol und
über die Brezeln bemerkte Ploß2): Sie waren anfänglich das Bild der wieder-
kehrenden Sonne; später sollten sie den gekreuzigten Heiland darstellen und
wurden zur gebräuchlichen Fastenspeise.
Bei ihrem Umzug sangen die Kinder:
„Nun treiben wir den Tod hinaus,
Den alten Weibern in das Haus.
Den reichen in den Kasten.
Morgen wollen wir fasten." —
Im Liebauer Tal verquickten sich beim Todaustragen am Sonntag Lätare
christliche und vorchristliche Gedanken, Tod und Leben in dem folgenden
Brauch: Der Lehrer wählte fünf Knaben aus, die von Haus zu Haus gingen.
Der erste trug die den Tod darstellende Strohpuppe auf einer Stange über
Haushöhe; der zweite einen Maien oder „Sommer", ein geschmücktes Bäumehen3);
der dritte eine Geldbüchse; der vierte eine Peitsche, mit der er beständig
knallte4); der fünfte einen Sack. Sie sangen bei den Häusern:
„Was Fleisch ist. muß verderben,
Der Tod läßt keinen aus,
Allein die Zeit zum Sterben
Weiß keiner im voraus.
Die Bösen gehn zur Pein,
Zur Hölleuglut hinein,
Die Frommen aber werden im Himmel selig sein."
') Mit diesem Brauch wäre allenfalls Frazers Hypothese vom „Sündenbock" zu stützen,
obgleich das Verfluchen, Verwünschen und Hinauswerfen des verhaßten Winters gar nichts
Widersinniges enthält.
2) 2. Aufl. II, 378.
3) Vgl. den Friedemoster Sonnenbaum, Fig. 368.
4) Man vergleiche das Peitschen mit Ruten usw. in den vorhergehenden Paragraphen,
sowie das „Aperschnalzen", Fig. 37, in Kap. V; dann das Peitschen und Anspritzen der
Mädchen (auch „Schmaekostern") in Leobschütz, Breslau usw. am Ostersonntag
und Ostermontag in § 282: Alles Reste eines vorchristlichen Fruchtbarkeitskultes.
Ploß-Renz, Das Kind. s. Aufl. Band II. 24
370 Kap. X.L1I. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
Wurde ihnen in einem Hause nichts geschenkt, so lehnten die Kinder
den Tod an die Mauer, was auch liier den Tod eines Bewohners zur Folge
haben sollte. Nachmittags verbrannte man die Puppe und begrub die Asche
(Patschovsky).
Jetzt scheint das Herumtragen einer Puppe im Libauer Tal nicht mehr
gebräuchlich zu sein, wohl aber das „Sommersingen", das auch in Breslau
üblich ist.
Aus dem Liebauer Tal hat PatschovsJcy in seinen „Jahreslieder" einen
solchen Sommergesang veröffentlicht. Die ersten zwei Strophen davon lauten:
„Ich komm' zu euch zum Summer,
Ich bin a kiener I'mnnier,
Lot mich ne zu lange stihn.
Ich muß a Häusla weiter gihn.
Ich bin a kiener Pummer,
Gabt mer wos zum Summer.
Ich bin a kiener Kenig.
Gabt mer nich zu wenig.
Läßt mich ne zu lange stihn.
Ich muß a Häusel weiter gihn."
Als Tageszeit werden die
Morgenstunden gewählt. — Der
Sonntag Lätare heißt im Lie-
bauer Tal sowohl „Todsonn-
tag" als auch „Sommersonn-
tag". —
Ein Breslau er „Sommer-
singen" lautet:
„Rote Rosen, rote Kosen1).
Die blühen auf dem Stengel.
Der Herr ist schön,
Der Herr ist schön,
Die Frau ist wie ein Engel." —
Fig. 368. Ein sogenannter Soinmeruaum, der in Friedemost,
Kr. ßlogau (Schlesien) am Sonntag Lätare zur Begrüßung
des Sommers von Kindern herumgetragen wird. In der K.
Sammlung für deutsche Volkskunde in Berlin.
Ein drittes:
Ein anderes:
..'S' Fräulein hat 'ne Schürze um
Mit dem laugen Bande.
Die ist die schönste im Lande." —
„Rot Gewand, rot Gewand.
Schöne grüne Linden
Suchen wir, suchen wir,
Wo wir etwas finden.
Gehen wir in den grünen Wald,
Da singen die Vögel jung und alt.
Sie singen ihre Stimme.
Frau Wirthin, sind Sie d'rinne?
Sind Sie d'rinne, kommen Sie raus.
Bringen Sie mir ein Trinkgeld raus,
Ich kann nicht länger stehen,
Ich muß noch weiter gehen.''
Diese Lieder werden in den Morgenstunden vor den Türen der Be-
sitzenden gesungen, und es versteht sich von selbst, daß die Loblieder auf
'! Es sind hier wohl zunächst die Papierrosen auf dem Stab in der Hand des Kindes
gemeint.
§ 280. Sonntag Lätare. 371
die schöllen Insassen der Häuser Gaben bezwecken. Die Kinder tragen dabei
teils Tannenbäumchen, mit bunten Blumen aus Seidenpapier geschmückt,
teils Stäbe, welche mit buntem Papier umwickelt und oben mit einer Blume
aus Papier, sowie mit papiernen oder seidenen Fähnchen verziert sind. Stäbe
und Bäumchen versinnbüden nach Aussage der Kinder den Sommer.
In der Pfalz nennt man die entsprechenden Stäbe „Sommertags-
stecken". Sie werden hier mit Brezeln, Bändern und anderen Gegenständen
verziert, wie Ludwig Frärikel schrieb. Der Tag, an welchem die Jugend sie
herumträgt, ist wiederum der Sonntag Lätare, im Pfälzer Volksmund „Sommer-
tags- oder Staubausfest" genannt, welches um die Mitte des 19. Jahrhunderts
an einzelnen Orten noch großartig begangen wurde. In dem kleinen Städtchen
Lamprecht seien Teilnehmer und Zuschauer nicht nur aus der ganzen Pfalz,
sondern auch aus Elsaß-Lothringen, Baden, Hessen und andereu Ländern zu-
sammengeströmt. Hingegen wurde das Fest in den letzten zwanziger Jahren
des 19. Jahrhunderts nur noch von der Jugend gefeiert. Die Kinder durch-
zogen die Festorte mit Fahnen, Schärpen und den erwähnten „Sommertags-
stecken". Im Jahre 1899 aber wurde die alte Volksfeier in einzelnen Orten
wiederum durch die Erwachsenen aufgefrischt. Dabei trug man in Neu-
leiningen einen 10 Meter hohen Strohmann singend und jubelnd umher
und verbrannte ihn hierauf feierlich.
Somit hat auch die Pfalz ihr „Todaustragen".
Ferner findet sich dieser Brauch in Oberfranken, und zwar in der
Kronacher Gegend, wie A. Schuster und A. Ziegelhöfer im Jahre 1908
schrieben. Die Zeremonie wird von der dortigen Jugend als „Todaustragen"
schon am Vorabend des Sonntags Lätare vorgenommen, worauf sie singt:
„Hab'u mer'n Tod nausgetragu,
Hab'n ma a Veichela gfunna
Mit seiner blauen Bluma.
So, Leut, der Tod ist draus.
Hab'n mer'n tragn bis über die Länder.
Behüt euch Gott, ihr (Ortsname N.) Manne.
So, Leut, der Tod ist draus.
Hab'n mer'n getragn bis über die Weiher,
Behüt euch Gott ihr . . . Weiber.
So, Leut, der Tod ist draus.
Hab'n mer'n tragn bis übern Forst,
B'hüt euch Gott ihr . . . Borscht.
So, Leut, der Tod ist draus.
Hab'n mer'n tragn bis über die Rum,
B'hüt euch Gott, ihr ... Buben.
So, Leut, der Tod ist draus.
Hab'n mer'n tragn bis über die Haadla,
B'hüt euch Gott, ibr . . . Maadla.
So, Leut, der Tod ist draus.
So, Leut, der Tod is draus,
Langt uns a paar frische Eiela raus." —
Auch in der rhätisch-romanischen Schweiz kamen in der 2. Hälfte
des 19. Jahrhunderts noch ähnliche Bräuche vor, zwar nicht am Sonntag
Lätare, aber immerhin am „Frühlingsfest" der Kinder, am 1. März (Calendae
Martii), welches die dortige Gegend freilich noch tief im Schnee findet.
Lechner schrieb im Jahre 1874, daß an diesem Tag die Knaben im
Bergell-Tal, Kanton Graubünden, in militärischer Ordnung durch die Dörfer
24*
372 Kap. XLII. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorchristl. Erinnerungen usw.
ziehen. Die größeren mit Soldatenmützen, Säbeln und Fahnen: die kleineren
mit Glöckchen oder mächtigen Kuhschellen. Mit ihrem Lärm wollen sie den
Frühling verkündigen. Deklamierend sammeln sie von Hans zn Haus Natu-
ralien oder Geld, was hierauf entweder untereinander verteilt, oder für ein
Nachmittagsfest aufbewahrt wird, zu welchem die Mädchen eingeladen werden.
Ähnliche Bräuche gab es vom Como-See bis zum Engadin. Nach
Caviezrt fertigte die Engadiner Schuljugend bei ihrer Frühlingsfeier einen
Strohmann an, Pop Tschütsehaiver, d. h. Fastnachtspopanz, genannt.
Diesem setzten sie einen grell bemalten Holzkopf auf und zogen ihm Militär-
uniform an. welche ihre Vollendung in einem breitkoppigen Tschako und
einem langen Säbel fand. Dieses Monstrum zogen Schulknaben auf einem
kleinen Schlitten von Haus zu Haus. Während der eine Teil der bewaffneten
Schar in das Haus stürmte, blieben die anderen als Wache auf der Straße
zurück. In der Wohnstube angelangt, verlangte der älteste Knabe Lebens-
mittel, indem er unter anderem rezitierte:
.. Kis, salziz e murtadellas
F chastagnas, scha sun beilas,
Cham, liagias e charn d'püerch.
Chor: Vin ais il pii grand confüert." —
Die Hausmutter beantwortete die Verse mit einem aus Würsten, Kastanien,
Reis usw. bestehenden Geschenk, das gemeinsam verzehrt und zu welchem
auch die Mädchen und Lehrer eingeladen wurden. Nachmittags versammelte
sich alles auf einem Eauptplatze, wo der Pop von den militärisch ausge-
statteten Knaben auf die Armesünderbank gestellt und ihm ein langes Ver-
brecherregister vorgehalten wurde. Der Entscheid lautete stets auf Tod. Das
urteil wurde durch Enthauptung des Pop vollzogen. Den Holzkopf bewahrte
man für das nächste Jahr auf.
Caviezel setzte diese Behandlung des Engadiner Strohmannes mit der
Vertreibung der einstigen Burgvögte und mit der rächenden Volksjustiz in
Verbindung. Hingegen sah Plo/s darin „lediglich" einen Überrest der alten
Frühjahrsfeier mit der bildlichen Tötung des Winters. — Vielleicht hat sich
aber in den Engadiner Bräuchen beides miteinander vereint. Auch Frazers
Hypothese kann hier eine Stütze suchen, obgleich die militärische Uniform
zum ..Sündenbock" nicht paßt.
Aus der Vorderschweiz teilt Karl Storch mit. daß die Kinder am
vierten Fastensonntag, also Lätare, nach beiden Geschlechtern abgeteilt, von
Haus zu Haus ziehen, um Eier, Mehl u. dgl. zu erbitten. Früher sei das all-
gemein gewesen; jetzt ginnen nur noch die Kinder der Armen. Auf diesem
Gang singen die Knaben:
„Stüret, stüret1) em e alte Mieschma-)
Hingerem Bütteneloch 3) e HusJ) gka.
Siebe Johr im Chönii6) ghonge,
Erst nachte6) abegfalle.
Bolle, Bolle, so ehalt7)." —
Gibt man den K nahen kein Ei, so wünschen sie:
..Wenn d'r mit weit (wollet) gbii.
Mueß eck der Iltis d'Hühner näh
Met samt em Ciggel (Hahn) ." —
'i Nach Storch: Steuert, d. h. gebet: ■) Moosmann. d. h. einer der so arm ist, daß er sich
nur mit Moos kleiden kann. — (Vgl. aber auch den in Moos gehüllten Winter in dem früheren
deutschen Krauch. S. 373.) 3) Fine wilde Kluft bei Ettingen. hinter welcher kein Haus Platz
hat: ») Haus; ') Kamin; •) letzte Nacht; 7I kalt.
Sj 281. St. Gregorius- und St. Georgstag. 373
Wie schon in meiner Anmerkung- zu dem alten „Mieschma" oder Moos-
mann angedeutet, scheint mir dieser der Winter selbst zu sein; denn nach
Ploß1) gab es früher in Deutschland am Sonntag Lätare und auch an anderen
Tagen ein ländliches Kampfspiel zwischen zwei Personen, die Winter und
Sommer darstellten. Der Sommer war in grünes Laub'2), der Winter in Stroh
oder Moos gehüllt. Immer war er es. der unterlag. Man riß ihm dann seine
Hülle ab, während die Jugend jubelte:
.,Stab aus! Stub aus!
Stecht dem Winter die Augen aus!" —
Im Viamischen heißt der Sonntag Lätare „Zonierdag". — In Brabant
setzen die Kinder am Vorabend Körbchen mit Heu und Brot für das Pferd
des sinte Greef (des (Trafen von Halbfasten) auf. der in dieser Nacht über
die Dächer reitet und für die artigen Kinder Leckereien, für die bösen eine
Rute durch den Schornstein fallen läßt. — In Antwerpen zog früher der
Graf von Halbfasten feierlich durch die Stadt; jetzt bildet er als Pfeffer-
kuchen ein beliebtes Geschenk.
In diesen Bräucheu erscheint also die Frühlingsfreude ohne Winteraus-
treibung, und der über die Dächer hinreitende Graf erinnert lebhaft an St.
Nikolaus und an St. Martin in :< 273. —
Als eine Feier „hohen Alters" an ..Mittfasten" wird der „Mothering
Sunday" in Bristol in County Folk-Lore (I, 1895, p. 19) beschrieben. Die
Benennung „Mothering Sunday soll von dem Brauch herrühren, daß an diesem
Tag jedes Kind seiner Mutter ein Geschenk macht. Doch fordert diese Er-
klärung selbstverständlich die Frage nach dem Grund heraus, warum diese
Geschenke an diesem Tag gemacht Averden. Höchstwahrscheinlich haben' wir
eben auch liier wieder einen Best vorchristlichen Frühlings- bzw. Fruchtbar-
keitskultes. Schon der Weizenbrei, welcher an diesem Tag von sämtlichen
Mitgliedern jeder Familie aus den Yolkskreisen gegessen wird, weist darauf
hin. Man nimmt ihn in einem benachbarten Dorf ein, nachdem man dem
Gottesdienst in der Kirche beigewohnt hat. Die Vornehmen feiern diesen
Tag daheim. Abends werden künstlerisch verzierte „Mothering cakes" und
Wein aufgetragen. — Der hier beschriebene Brauch scheint früher im ganzen
westlichen England geübt worden zu sein. —
Ploß erwähnte in der 2. Aufl. (II, 378) im Hinweis auf K. Zacher den
Brauch, am Sonntag Lätare eine Puppe zu binden, auch als italienisch und
spanisch. Die Puppe stelle das älteste Weib im Dorfe dar, werde von den
Kindern hinausgeführt und mitten entzwei gesägt. — Auf Seite 379 schrieb
er, in Barcelona seien die Kinder in hellen Scharen durch die Stadt gelaufen;
„die einen trugen Sägen, andere Holzklötze und noch andere sammelten Gaben;
dazu sangen sie ein Lied, daß sie das älteste Weib suchten, um es entzwei
zu sägen.
In italienischen Städten hingegen veranstaltete die Straßenjugend die
sogenannte Scampauata, d. h. sie lärmte herum, zerbrach alte Töpfe, läutete
mit alten Glocken 3), schrie und lärmte, bis sie schließlich eine Puppe, welche
sie das älteste Weib nannten, zersägte. —
§ 281. St. Gregorius- und St. Georgstag.
Ploß schrieb4): „Ein Kinder- und Schulfest. das fast überall in Deutsch-
land bis noch vor kurzem gefeiert wurde, ist das Gregoriusfest, welches
') 2. Aufl. II, 377.
2) Siehe das Thüringer Laubmännchen in Kap. XL1II.
3! Das Schellengeläute, welches wir in diesem Kapitel so oft hören, erinnert an das
Rasseln bei Pubertäts festen.
4) 2. Aufl. U. 382.
374 Kap. XLII. Feste und Festfreuden des Kindes. Christi, und vorehristl. Erinnerungen usw
ebenfalls aus frühesten Zeiten stammt, doch wohl nicht germanischen, viel-
mehr wahrscheinlich griechischen Ursprunges ist: es scheint eine Nachahmung
der griechischenPanathenäen (Volks- und Freudenspiele) und der römischen
Quinquatrien (Fest der Minerva) zu sein; beim Übergänge heidnischer Völker
zum Christentum mußte selbstverständlich dem Feste ein anderer Name ge-
geben werden und es mußten ihm auch andere Zwecke untergeschoben werden:
Papst Gregor IV. wandelte 828 das große Minervafest in das Gregoriusfest um.
Eigentümlich wurde noch bis vor kurzem unter Auswählung eines Bischofs
aus der Zahl der Knaben das Fest an mehreren Orten des Fränkisch-
Hennebergischen begangen1). In Meiningen wurde dieses alte Bischofsfest
mit seinen Umzügen erst im Beginn unseres Jahrhunderts ganz abgeschafft." —
Die Verwandlung des heidnischen Schulfestes der von Suetonius (Vita
Domit. 4) erwähnten Minervalia in das Gregoriusfest wurde nach Wetzer und
Weites Kirchenlexikon'-) auch dem Papste Gregor dem Großen, d. h. Gregor I.
zugeschrieben. Ebenso sei Gregor III. mit der Einsetzung dieses Kinder- und
Srlml festes am Gregoriustag in Verbindung gebracht worden. Doch wüßten
alte Quellen nichts davon. — Wahrscheinlich sei jenes mit diesem verbunden
worden, weil Gregor I. selbst sechs Klosterschulen gestiftet und eine Sänger-
schule gegründet habe. Wegen der im März oft ungünstigen Witterung,
welche die öffentlichen Umzüge, das Vogelschießen und ähnliche Vergnügen
der Kinder ungünstig beeinflußten, sei das Schulfest an manchen Orten erst
um Pfingsten gefeiert worden.
Die Visitationsakten der Diözese und "Erzdiözese Bamberg erwähnen
nach Max Lingg vom Jahre 1708 ein ..Umsingen" der Knaben von Neun-
kirchen a. Br., welches um das Fest S. Gregorii in der Fasten gebräuchlich
war. Auch von einer Büge ist die Rede, welche der Schulmeister erhielt.
Er hätte die Knaben „nicht gleich nach Weihnachten umherspringen lassen
sollen". - - Die beim „Umsingen" erhaltenen Gaben waren Eier, welche der
Schulmeister dann in Gegenwart des Pfarrers unter die Kinder verteilte.
Außerdem erhielt jedes Kind am Gregoriustag eine Brezel3).
Mit dem Gregoriustag waren, wie aus dem gleichen Aktenstück aus dem
Jahre 1783 hervorgehe, auch „Schulhochzeiten" verbunden. Diese werden
als böser Mißbrauch gerügt. Der Schulmeister halte die Kinder an. zu solchen
Hochzeiten bald dieses, bald jenes mitzubringen, und die unschuldigen Kinder
bekämen Anlaß zum Tanzen und andern bösen Dingen. Sie seien deshalb
völlig abzustellen. —
Ein lebhaft an das ungarische „Begenmädchen" (dodoloi erinnernder Brauch
ist der folgende, für den mir leider der Beleg abhanden gekommen ist.
Am St. Georgstag hüllt man in Carinthia einen Knaben vom Kopf
bis zu den Füßen in belaubte Birkenzweige. Der Bursche heißt „Grüner
Georg". Man trägt auch einen Baum in Prozession umher, und nach dieser
wirft man sein Bild oder auch ihn selbst ins Wasser, um Regen zu bekommen. —
'l I'hß wies hier auf Baltlt. Spieß, Volkstümliches usw. S. 110 hin.
2) 2. Auf) 4. Bd.. 1411.
3) In Wetzer und Weites Kirehenloxikon wird die Brezel mit „pretiolum", ..Preislein
für die Kinder" in Verbindung gebracht. Vber die Bedeutung der Brezel, nach Floß und
Höfler, siehe die betreffenden Stellen in den vorhergehenden Paragraphen dieses Kapitels.
Kapitel XLII1.
Festfreuden des Kindes. Christliche und vorchrist-
liche Erinnerungen. Frucktbarkeitskulte und Ver-
wandtes. Fortsetzung und Schluß.
§ 282. Karwoche und Ostern.
Zu den feierlichsten Momenten des religiösen Lebens gehört zweifellos
die in die Osterzeit fallende erste heilige Kommunion des katholischen,
und die Konfirmation des protestantischen Kindes. Auf das Wesen
dieser Festesfreuden einzugehen, ist selbstverständlich nicht die Aufgabe des
vorliegenden Werkes. Nicht einmal die äußeren Bräuche mit ihren lokalen
Färbungen bei diesen religiösen Akten können hier berücksichtigt werden.
Nur zwei Illustrationen Fig. 369 und Fig. 370 a), sowie ein Nord-Thüringer
Konfirmandenbrauch mögen darauf hinweisen, daß auch dieses Gebiet der
Volks- und Völkerkunde eine lohnende Ernte in Aussicht stellt.
In Immenrode, Grafschaft Höllenstein in Nord-Thüringen, fand
Rudolf Reiehhardt den Brauch, daß die Konfirmanden den Katechumenen am
Tage ihrer Entlassung aus dem Unterricht auf dem Wege nach Hause Saug-
läppchen in den Mund steckten, um anzudeuten, daß die Katechumenen noch
«in Jahr Pflege und Unterricht nötig haben, bis sie so weit sind, daß sie zur
Konfirmation gehen könnten. Denn der Konfirmationsunterricht ist dort ein
zweijähriger.
Am Palmsonntage schmückt man Pfarrhaus, Kirche und Schule, sowie
die Häuser, aus denen Konfirmanden hervorgehen, mit Tannengrün und buntem
Papier. Die Knaben tragen in manchen Gegenden einen bunten Strauß am
Rock, in der Hand eine Zitrone; die Mädchen einen Kranz auf dem Kopfe.
Den Strauß erhalten die Knaben von den Konfirmandinnen, ihren „Straußmäd-
chen" oder „Abendmahlsschwestern", wofür sie den Mädchen auf dem nächsten
Jahrmarkt in der Stadt ein Geschenk kaufen. —
In der Karwoche beginnen für die Kinder verschiedener Orte schon
die Osterfreuden.
In der englischen Grafschaft York ist es am Gründonnerstag wie an
Ostern selbst gebräuchlich, daß die Kinder Ball spielen. Daß dieser Brauch
nur körperliche Bewegung bezwecke, wie Mrs. Gutch bemerkte, ist wohl für
die jetzige Auffassung zutreffend; für die ursprüngliche erscheint es mir
zweifelhaft.
Ebenso dürfte dem folgenden Gründonnerstagbrauch in Leobschütz
ein tieferer Sinn zugrunde liegen. Hier erhalten nämlich, nach P. Dittrich,
die Kinder am Gründonnerstag Houigsemmeln, oder, wo Honig zu kostspielig,
Sirup- oder Leinölsemmeln. Letztere gibt man ihnen in der ganzen Fasten-
zeit. —
') Fig. 370 stellt übrigens Erstkummunikanten von Weihnachten 1910 dar.
376 Kap. XLII1. Festfreuden des Kindes. Christliche und vorchristliche Erinnerungen usw.
Im Liebauer Tal. Niederschlesien, gehen die Kinder schon am
Gründonnerstag im Dorf herum und erbitten Gaben, indem sie rufen:
„Seid gebaten, gabt mer was zum Gründornschtich." Bereits an diesem Tag
versteckt man hier früh hart gesottene und gemalte, oder Zucker- und Choko-
laden-Eier in künstlichen Nestern, welche die Kinder nach dem Aufstehen
suchen. Am Karfreitag gingen früher die größeren Schulknaben mit
„Schnarren" im Dorf herum, um Eier und andere Gaben zu erbitten (Pat-
schovsJc//). —
Einen ähnlichen Brauch berichtet Otto Heilig aus dem nördlichen
Baden, wo die „Karrbuben" im Dorf herumgehen und rufen: „Karre. Karre,
Hutzel raus, Schickt den Marder ins Hühnerhaus."
Nicht um Gaben zu erbitten, sondern um die Katholiken zum Gebet
aufzufordern, ..rutschen" bekanntlich am Karfreitag Knaben den „englischen
Gruß". Dabei sagen sie an verschiedenen
Orten Süddeutschlands: „Wh" ratschen,
wir ratschen den englischen Gruß, den
jeder katholische Christ beten muß. Fallt
nieder, fallt nieder auf eure Knie und
betet fünf Vaterunser und Avemarie
(Richard Andree)lu
Den deutschen Kutschen, Ratschen
usw. entspricht wohl das „paltik-e-paltek",
welches wir im folgenden Karfreitag-
brauch in Bedano, Kanton Ticin o,
finden. Pellandini schreibt nämlich: Hier
versammeln sich die Knaben am Kar-
freitag um einen großen alten Kastanien-
baum im oberen Dorfe und bereiten sich
da Polenta (Brei aus Kastanien- oder
Maismehl), die sie mit Stockfisch oder
Fröschen verzehren. Tagsüber durch-
streifen sie das Dorf unter dem Lärm
ihrer „re-re" oder „raganelle". Bocks-
hörner, Seemuscheln und gewisser Instru-
mente mit Holzhiimmerchen, von ihnen
paltik-e-paltek genannt, wobei sie in
ihrem Dialekte singen: L'e mort ul Signur,
l'e mort in crus, par nüm pecatür. (Es
der Herr, er ist gestorben am Kreuze für uns Sünder.)
folgenden Tages (Karsamstag) wird, wie überall vor
Pfarrkirchen, aus einem Stein neues Feuer zum Zeichen
geschlagen, nachdem am Karfreitag das „ewige
Todes Christi aus der Kirche entfernt wurden
der Küster dieses neue Feuer mit Reisig und
Fig. 369. Mädchen von Ulandorf in Kommunion-
tracht. Aus Jostes „Westfälisches Trachtenbuch".
ist gestorben
Morgen des
katholischen
Auferstehung
Zeichen des
nun in Bedano
Am
den
der
zum
Licht -
war. Wenn
Weinranken
angefacht, und der Priester es außerhalb der Kirche geweiht hat zum
Zeichen, daß der Heiland außerhalb Jerusalem gestorben und auferstanden
ist, dann zünden mehrere Knaben Zunder daran an. gehen damit von Haus
zu Haus und werfen ein Stückchen Zunder, das von dem geweihten Feuer
verzehrt wird, in das Herdfeuer. Als Geschenke für diesen frommen Dienst
erhalten sie Eier, Welsch- und Haselnüsse oder etwas Geld.
In Malschenberg bei Heidelberg legen am Karsanistag die Knaben
je einen Pfahl in das „Osterfeuer", zu welchem tags vorher alte Kreuze und
Kränze aus dem Kirchhof geholt wurden. Den Pfahl läßt der Knabe ankohlen
und bewahrt ihn dann bis zum nächsten Karsanistag im Keller, oder auf dem
§ 282. Karwoche und Ostern.
377
Speicher, oder im Stall auf; denn der Pfahl soll das Haus gegen Feuer und
sonstiges Unglück schützen. — Während des Zusammenläutens aller Kirchen-
glocken') schütteln die Kinder die Bäume, damit diese viel Obst geben. -
Ferner gehen hier am Karsamstag die Ministranten von Haus zu Haus,
holen ihre Ostergeschenke und singen dabei:
„Wir haben geklappert zum heiligen Grab.
Gebt's uns Eier. Gottes Gab,
Nicht so klein, nicht so groß,
Daß das Körblein nicht zerstoß!
Glück ins Haus. Unglück naus.
Sechzig Eier müssen raus,
Snnscht schicke mer de Marder ins Hühnerhaus. " —
Fig.
Knaben and Mädchen aus Madibira, Deutsch Ostafrika, im Sehmuck für
Komnnmiou. P. Haßiger phot.
heilige
Auch in manchen Gegenden Englands besteht der Brauch, daß Knaben
am Karsamstag in den Dörfern herumgehen und Eier, Bier und Geld erbitten.
Dabei führen sie eine Art Drama auf, welches sich in der Umgegend von
York noch vor wenigen Jahren folgenderweise abspielte: Ein Knabe betrat
als „Captain" ein Haus und sang:
,.Here's two or three jolly boys all o'one mind,
W'e've conie a pace-egging, and hope you'U be kind;
I hope you'll be kind with your eggs and your beer,
And we?ll come no more pace-egging until the next year." —
Auf dieses hin erschien der alte „Toß-pot", und der „Captain" wies auf
ihn mit den Worten:
„The first that comes in is old Toß-pot you see,
A valiant old blade for his age and degree;
He is a brave fellow on hill or in dale.
And all he delights in is a-drinkiug of ale." —
M Nach einem dortigen Spruch gehen die Glocken am Gründonnerstag nach Koni und
kehren am Karsamstag wieder heim.
378 Kap. XLIII. Festfreuden des Kindes. Christliche und vorchristliche Erinnerungen usw.
Der„Toß-pot" nahm nun einen tüchtigen Zug aus einer mächtigen Flasche1),
taumelte umher und warf dabei möglichst viele Knaben über den Haufen.
Dann trat ein altes, zerlumptes Weib mit geschwärztem Gesicht, d. h. ein
verkleideter Junge, auf. Das Weib spielte die Geizige, und der „Captain"
führte es mit den Versen ein:
..An old miser's the next that comes in with her bags,
And to save up her mouey wears nothing but rags!-; —
Hierauf fiel der Chor ein:
Whatever you give us \ve claim for our right,
Then bow with our heads, and wish you good night.
Nach zweimaliger Wiederholung dieser beiden Verse schrie die ganze
Knaben-Gruppe aus Leibeskräften:
..Now, ye ladies and geutlemen, who sit by the fire,
Put your hands in your pockets, 'tis all we desire;
Put your hands in your pockets, and lug out your purse,
We shall be the better, you'll be none the worse." (Halliwell.)
Diese ganze Aufführung verrät so wenig christliche Festesfreude, daß
mau wohl auch hier an heidnische Reste zu denken hat, wenn mau sich nicht
für eine Ausartung christlicher Festesfreude entscheidet. Ähnliches gilt von
dem folgenden Brauch in der gleichen Grafschaft York:
Am Nachmittag und Abend des Ostertages fielen früher in Whitby
die Knaben über die Mädchen her, um von'lhnen Geld zu bekommen. Wurde
ihnen das verweigert, dann zogen sie ihuen die Schuhe aus. Am Osterdienstag
revanchierten sich die Mädchen, indem sie den Knaben die Hüte entrissen,
welche gegen Geld wieder ausgelöst wurden. — Außer diesen eigentümlichen
Oster-Unterhaltungen findet sich in 'Whitby eine, welche wir gleich auch in
anderen Gegenden und bei anderen Völkern antreffen werden. Es ist dies
das Eierrollen. Am Ostermontag und Osterdienstag belustigen sich
nämlich die Kinder von Whitby, indem sie hart gesottene, gefärbte Eier auf
den Feldern rollen. Man wolle mit diesem Spiel, wie mit dem Ballspiel,
welches die Kinder von Gründonnerstag und Ostern vornehmen, nur körper-
liche Bewegung bezwecken (Qutch).
Daß mich dieser Zweck nicht der ursprüngliche dünkt, habe ich schon
früher bemerkt. Es ist nicht wahrscheinlich, daß man gerade (iründonnerstag
und Ostern nur wegen körperlicher Bewegung als konstante Ballspieltage
ausgewählt hätte. Meine Vermutung wird ferner durch einen Brauch in
Neudorf auf dem Harze bestärkt. Hier gehen nämlich die Kinder an Ostern
in die Häuser der im vergangenen Jahre Neuverheirateten und erbitten sich
als Geschenk einen Ball2) (Oskar Härtung).
In auderen Gegenden Englands, z. B. in Alnwick, Northumberland,
gehen die Kinder am Ostertag herum, um „Paste Eggs", d. h. Pascha-Eier,
zu erbitten. Wo sie solche nicht erhalten, bekommen sie wenigstens Süßig-
keiten (Balfour-Nbrthcote).
\\,is dann das Eierrollen betrifft, so schrieben Sarland und Wilkinsm,
der Brauch, gemalte und vergoldete Ostereier auf dem Rasen zu rollen, finde
sich nicht nur im ganzen nördlichen England, sondern auch in Deutsch-
land und Rußland. Honderso» bezeichnete im nördlichen England allerdings
eine Ausnahme, nämlich West Riding, wo Ostereier überhaupt unbekannt
J) Auffallend in den Umzügen der englischen Jugend bei verschiedenen, in diesem
und dem vorigen Kapitel geschilderten, Gelegenheiten ist das Trinken.
•'i Vgl. die früher üblichen Hallspiele an Ostern sogar beim Klerus in Wetzer und
Weites Kirchenlexikon. 2. Aufl. 4. Bd., Sp. 1414 f. Ks hänge nach Simrock und lieinsberg-
Diiringsfeld wahrscheinlich mit dem (vorchristlichen?) Frühiiogsfesl zusammen.
§ 282. Karwoche und Ostern. 379
seien. — In Lancashire findet das Eierrollen in der Weise statt, daß man
ein Ei nach dem andern auf dem Felde dahinrollt, bis sie brechen.
In Kurland bedeckt man den Boden mit weichen Tüchern und stellt
auf diese ein Brett in schräger Richtung. Von diesem läßt man die Eier
der Beihe nach rollen. Trifft eines die 1 — 3 schon drunten liegenden, so gehören
diese dem Besitzer des Treffers (Th. Hermann).
In Ostfriesland läßt man die Eier von natürlichen oder künstlichen
Erhöhungen im Freien rollen und sich treffen. Das Verletzte fällt dem Gegner
zu. Mädchen und Knaben treiben dieses Spiel.
In der Lausitz ist das Eierrollen als ..Wäleien" bekannt. Jung und
Alt belustigt sicli damit, Ostereier auf einer abschüssigen, 5 — 6 Fuß langen,
obeu drei Hand breiten und unten sich herzförmig erweiternden Bahn (Wälei)
herunterrollen zu lassen. Das getroffene Ei wird herausgenommen und sein
Besitzer hat an den Besitzer des Treffers einen Pfennig oder eine Stecknadel
zu zahlen. Lübben, wo dieses Spiel besonders eifrig betrieben wird, hat
dazu einen eigenen dänenartig aus reinem Sand gebildeten Spielberg (F. Weineck).
Wahrscheinlich ist das von Köhler1) erwähnte „Eierwalzen" aus einigen
Orten des bayrischen Vogtlandes bei Bayreuth mit dem Eierrollen identisch.
Auf die interessante Tatsache, daß die Länder der dem finnischen Völker-
Stamm ungehörigen Wotjäken.2) in Rußland gleichfalls zu Ostern Eier rollen,
und daß hier an Ostern Eier mit dem Korn auf das Feld gesät werden,
wo sie von den Kindern aufgesucht werden, hat schon Ploß hinge-
wiesen3). ■ Klarer als hier kann das Ei als Bild der Fruchtbarkeit
kaum erscheinen; doch siehe auch Ei und Henne auf S. 330.
Diesem Aufsuchen der Eier bei den Wotjäken entspricht einigermaßen
das „Eierlesen" in der schwäbisch-fränkischen Kolonie Riebensdorf im
russischen Gouvernement Woronesch. Hier sammeln an Ostern zwei Burschen
im Dorfe 150 Stück Eier, die sie auf die Straße, je einen Meter voneinander
entfernt, legen. Hierauf hebt der eine sie auf, während der andere barfuß
an den Fluß läuft, um jenem das dort bereitgehaltene Pferd zuzuführen. Wer
seine Aufgabe am schnellsten löst, siegt und wird mit einem Kranz gekrönt,
den er zwei Tage tragen darf (Bruno Adler).
Für Augsburg, die Hauptstadt des bayrischen Schwaben, ist das
„Eierklauben" durch ein altes Schriftchen „das Augsburgische Jahr einmal"
erwiesen4), in welchem es heißt:
„Kommt Ostern, so legt Eier der Has
Sowohl in Häusern als im Gras.
Am Osterdienstag, man darf's glauben,
Ist's eine Freude um's Bierklauben." —
Auf dem Lande macheu die jetzigen Schwabenkinder in Altenstadt
a. d. Hier am Karsamstag „Hasengärtchen", damit der Hase in der Oster-
nacht die bunten Ostereier hineinlege. Diese „Hasengärtchen"1 sind nichts
als kleine, mit Gerten von ca. 15 cm Höhe umfriedete Plätzchen, etwa 20 cm
im Durchmesser, mit Moos ausgepolstert und mit den schönsten Frühlings-
blumen, welche die Kinder ausfindig machen können, bedeckt. Sie werden
im Garten des Elternhauses gemacht. — Am Ostermorgen eilen die Kinder,
womöglich direkt vom Bett, zu den „Hasengärtchen" und finden die lebhaft
') Bei Ploß, 2 Aufl. II, 372.
*) Sie gehören religiös seit dem 18. Jahrhundert teilweise der russischen Kirche an,
teilweise sind es Heiden.
3) Xach Max Buch im Glob. XL (1881) S. 285.
l) Floß. 2. Aufl. II, 372.
380 Kap. XL11I. Festfreuden des Kindes. Christliche und vorchristliche Erinnerungen usw.
gefärbten Eier zwischen Blumen und Moos — ein Jubel für die wenig anspruchs-
vollen Kleinen. —
In Kurland ist das „Schlagen" mit Ostereiern gebräuchlich. Beim
Verteilen der Eier sieht jedes Kind darauf, daß es Eier mit einer möglichst
scharfen Spitze bekommt; denn diese gelten für besonders tanglich, um das
gegnerische Ei zu verletzen. Streitigkeiten sind dabei nicht selten. Beim
Schlagen hält das eine Kind sein Ei in der Faust, mit der Spitze nach oben.
während das andere das seine mit der Spitze darauf schlägt. Das eingeschla-
gene Ei muß dem Gewinner abgetreten werden.
Im sächsischen Vogtland heißt das entsprechende Spiel „Eierhärten".
Schon vier Wochen vor Ostern sehen sich die Knaben nach harten Eiern um
und bezahlen ein solches, das eine recht feste Schale hat. ziemlich teuer.
Erscheint nun Ostern, so versammelt sich die ganze Jugend, und das Härten
beginnt. Ehe jedoch der eine mit dem anderen härtet, nimmt er das Ei des
Gegners und pocht damit gegen die Zähne, indem er dabei mit der einen
Hand das Ohr zuhält, um die Stärke der Schale zu prüfen. Glaubt er nun.
sein Ei sei härter, so härtet er mit dem Gegner „auf Rück und Spitz", oder
bloß „auf Rück oder Spitz", d. h. sie schlagen entweder sowohl mit der Spitze
als mit der unteren Seite der Eier, oder nur mit der oberen und unteren
spitze zusammen. Der, dessen Ei zerbricht, hat verloren. Wer dabei betrügt,
z. B. sein Ei mit Pech ausgegossen hat, wird jubelnd vom Platze vertrieben,
.letzt ist dieses Vergnügen allerdings nicht mehr so häutig, da die Polizei
den Lärm nicht mehr in der Öffentlichkeit duldet [Spieß).
Im Saterland fand das „Bicken", d. h. das Aneinanderschlagen. der Eier
beim Osterfeuer statt und wurde von je zwei Personen verschiedenen Ge-
schlechtes vorgenommen. Häufig diente es dazu, Bekanntschaften anzuknüpfen
und alte zu erneuern. — Ein anderer Brauch im Saterland ist das Werfen
mit Eiern auf den Wiesen, was auch im Jeverland zu den Osterfrenden
gehört. Wer hier sein Ei am weitesten wirft, bekommt die Eier der übrigen
(Strackerjari).
„Gekickt" wird in Ostfriesland. Es ist dieses wiederum nichts anderes
als das Aneinanderschlagen der Ostereier.
Auf der Insel Borkum suchen Mädchen und Knaben eine moosreiche,
und deshalb weiche Stelle der Gemeindewiesen aus und werfen hier die Eier
mit einer Schleuder hoch in die Luft, wobei sie singen:
„Gele Dole (gelber Dotter)", gele Dole, Kiewitsei,
War is mien Ei?
War blilt mien Ei?
AVar is mien Pinkster- un Paaske- (Ostern) Ei?" (.ff. Meyer.)
Kierwerfen an Ostern meldete Birlinger auch aus Schwaben. Hier
kam es darauf an. daß das Ei beim Fallen auf der Spitze ankam und nicht
zerbrach. Spielplatz wai auch hier eine Wiese. — Das Aneinanderschlagen
der Ostereier ist in Schwaben als „Eierspicken" und ..Klopfein" bekannt.
Das unverletzte Ei gewinnt.
In der „Oberpfalz" gibt es außer dem ..Härten" ein „Ringeln" der
Ostereier. Bei diesem Spiel stellt jedes Mitspielende ein Ei in einiger Ent-
fernung von den Eiern seiner Spielgefährten auf. Dann läßt eines einen Ring
von einem flachgehaltenen (?) Brett aus gegen die Eier los. Die getroffenen
darf es behalten (Albert BirrUng).
In vielen Gegenden Deutschlands erhalten die Kinder Ostereier auch
von ihren Paten (vgl. Kap. XVII).
Gefärbte Eier wurden in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in
Gerstungen bei Eisenach an den Osterbaum gehängt, welcher, dem Mai-
baum anderer Orte entsprechend, dort und auch an einigen anderen Orten
§ 282. Karwoche und Ostern. 381
des Thüringer Waldes am Karsamstag' aufgepflanzt wurde. Man feierte an
diesem Tag- eine Art Frühlingsfest, welches Fr. Schmidt beschrieb l).
„Die Schuljugend stellt sich in drei oder vier Kolonnen, teils vor der
Wohnung des Försters, teils auch vor der des Oberholzhauers auf, von wo sie
durch abgesandte Deputationen die betreffenden Personen begrüßen, mit Jubel
in ihre Mitte aufnehmen und sodann mit diesen nach dem Walde ziehen. Hier
angekommen, benutzen sie nach altem Herkommen das Recht, sich einen
besonders hohen Fichtenstamm zu ihrem Osterbaum auszusuchen. Unentgeltlich
wird er vom Förster abgetreten, dann umgeschlagen, jubelnd in den Ort ge-
tragen, auf dem Marktplatz niedergelegt, geschält und bis zum äußersten
Gipfel mit gefärbten Eiern, bunten Bändern. Schneckenhäusern usw. behangen.
Gegen Abend wird er in der Mitte des Platzes aufgerichtet, und am Oster-
feiertag beginnt unter ihm der Frühlingstanz mit dem Liede:
Tro ri ro, der Sommer is nu do!
Wir woll'n nu raus in Garten
Un woll'n des Sommers warten;
Jo, jo, jo! der Sommer is nu do! usw.
Am nächsten Sonntag wird der Baum umgeworfen und seiner Bänder,
Eier usw. beraubt."
Ein merkwürdiger Osterbrauch ist ferner das Labyrinthlaufen. In
der 2. Auflage fand sich die hier einschlägige Stelle:
„Nach Friede! in Berlin findet sich auf dem Hausberg bei Eberswalde,
Kreis Oberbarnim, eiu sonderbarer Irrgang aus verschlungenen Basenstücken
gebildet, auf denen früher Steine gelegen haben. Um Ostern laufen, oder
besser hüpfen Kinder durch ihn; wer sich herausfindet, ohne überzutreten oder
sich zu verwirren, bekommt ein Ei zur Belohnung. Solche aus Hecken oder
Basen gebildete Irrgänge (Labyrinthe) scheinen in heidnischer Zeit
mit dem Naturgottesdienst zusammengehangen zu haben; darauf
deutet ihre Benutzung an bestimmten Festtagen, z. B. an Oster-
tagen." — Hierzu möchte ich bemerken, daß nach Bach ofen2) die Labyrinthe
der nordischen und italienischen Cimmerii, der asiatisch-pontischen
Hypogaei und der afrikanischen Troglodyten wahrscheinlich mit dem
Geschlechtsleben in Beziehung standen.
Zur Genüge bekannt ist uns aus dem vorigen Kapitel das Peitschen,
Schlagen oder Berühren usw. mit Riemen, Zweigen, Ruten und dergleichen. -
Auch als Osterbrauch finden wir dieses Symbol des sexuellen Lebens oder
der Fruchtbarkeit3).
In Schlesien ziehen die Kinder an Ostern mit „Sehmackostern" umher.
F. Vogt erwähnt ..Schmackostern" aus zusammengeflochtenen Weiden. —
Nach P. Dittrich gehen die Kinder auch am Ostersonntag herum, wobei er,
wie es scheint, Leobschütz im Auge hat. Ihm zufolge benützte man früher
statt der Schmackostern (Schmicken) Peitschen4), welche vom Sattler ge-
fertigt wurden und einer Reitpeitsche nicht unähnlich waren. Man versetzte
damit, oder mit Weidenruten, den Mädchen, oder, wenn solche nicht da waren,
der Hausfrau, einige Hiebe. Dazu sang man auf dem Lande:
„Mädla, Mädla, laß dich peitscha.
Daß dich nie die Fleelan beißa."6)
') Nach Ploß, 2. Aufl. II, 370.
2) Mutterrecht, 16.
3) Die Meinungsverschiedenheit hierüber wurde im vorigen Kapitel angedeutet.
4) Schlesien hatte also noch die ursprüngliche Art der Peitschen, wie sie von den
Luperei, den Priestern, an den altrömischen Luperkalien zum Peitschen der Frauen gebraucht
wurden (vgl. diese im vorigen Kapitel).
5) Der Grundgedanke des Peitschens war demnach damals schon aus dem Bewußtsein
geschwunden.
382 Kap. XLIII. Festfreuden des Kindes. Christliehe und vorchristliche Erinnerungen usw.
Später trat nach Dittrich dafür „allgemein" das Spritzen ein1). Nun
wurden die Kinder der besseren Kreise von Verwandten und Bekannten ein-
geladen; die anderen gingen von Haus zu Haus, oder doch in solche Häuser,
wo sie sicher auf etwas rechnen konnten. — Verwendet wurde zum Spritzen
reines Wasser, oder sehr stark verdünntes Eau de Cologne. oder andere Par-
fümerien. Als Instrumente nahm man Blechspritzen, Kannen, Zuber (?), oder
Flaschen, in deren Korke Federkiele eingelassen waren, oder eigens konstru-
ierte Flacons. Knechte nahmen auch die Feuerspritze; denn das Spritzen
erstreckte sich auf groß und klein. — Der Hauptspaß war, die Mädchen noch
im Bett zu erwischen und gründlich naß zu machen. War das vorbei, so
erhielt man gemalte Eier mit oder ohne Sprüche; auch mit Filigranfäden
umsponnene Eier gab es; später Zitronen, Apfelsinen, Geld, Spielsachen, meist
Gummibälle2); ärmere begnügten sich mit einem Stück Strietzel, Wurst usw. —
Wenn es Zeit war, in die Kirche zu gehen, dann mußte in anständigen Fami-
lien der Spaß zu Ende sein. — Am Osterdienstag gab es, obwohl in selte-
neren Fällen, ein Revanche-Spritzen seitens der Mädchen. —
Des Osterf euers im Saterland wurde bereits gedacht. Einige andere
einschlägige Bräuche mögen hier folgen:
In Oldenburg schleppen die Knaben schon wochenlang vorher das
Holz zum Osterfeuer zusammen, indem sie Zäune plündern und unter Absingen
von Osterbettelliedern verkleidet von Haus zu Haus gehen und um Holz-
scheite bitten.
Auf der Insel Marken im Zuider-See gibt es gewisse Kinderfeste,
an denen die Jugend auf allen Deichen große Feuer anfacht und diese um-
tanzt. Zu dieseu Tagen gehört der 30. April {De Coster)*).
In Radisleben im Harz stecken die Knaben an Ostern Strohwische
oder Fackeln (wohl dazu geeignetes Material?) an lange Stangen, brennen sie
am Osterfeuer an und laufen damit auf „der Höhe", wie der dortige Feuer-
platz heißt (Oskar Härtung). —
Ein Brauch in Epinal, Lothringen, möge die Osterbräuche dieses
Paragraphen abschließen. Auch er bezeichnet den Sieg der schönen Jahres-
zeit über den unbeliebten Winter. Nach Otto Kamp ließen nämlich hier die
Kinder noch in der Hälfte des 19. Jahrhunderts am Osterfest Schiffchen in
den Gossen der Hauptstraßen schwimmen und sangen dazu:
„Oster erscheint,
Winter, sein Feind.
Flieht aus dem Feld;
Freue dich, Welt!
Ostern erscheint,
Alle vereint
Grüßen den Gast ; Katze und Hund.
Menschen und Vieh l'reu'n sich rar Stund." —
§ 283. Pfingsten.
Heuser erwähnt unter den Festlichkeiten, welche sich als Reste der
vorchristlichen Frühjahrsfeier, des Sieges des Sommers über den Winter,
auch an das christliche Pfingstfest geknüpft haben, unter anderem abermals
M Das trifft für jene Gegenden Schlesiens, z. B. für Breslau, wo heutzutage noch
■ In' Kinder mil den „Schmackostern" gehen, nicht zu.
8) Vgl. die früheren Mitteilungen über Ballspiel und Geschenke von Bällen an Ostern.
;i In der 2. Aufl. II, 373. J'hiß wies hier auf eine Abbildung des Kindertanzes auf
der [nsel Marken im Globus 1880. 24, S. 373 hin.
§ 283. Pfingsten. 383
Umzüge der Kinder zum Einholen von Eiern und anderen Gaben,
sowie „das Königspiel" und die Errichtung- von Maibäumen1).
Diese drei Formen von Pfingstfreuden linden wir neben anderen auch
unter den folgenden Bräuchen. Gaben und Baum, mögen sie, je nach den
Gegenden, so oder so genanut werden, sind Symbole der schönen, fruchtbaren
Jahreszeit und auf den gleichen Grundgedanken, auf den Sieg der schönen,
fruchtbaren Jahreszeit über den Winter, ist allem Anscheine nach auch die
Pfingstkrone, der Pfingstkönig oder Pfingstkaiser und -Kaiserin zurück-
zuführen, welche wir in den zwei hier zunächstfolgenden Bräuchen finden,
obgleich sie auf den Azoren innig mit einer kirchlichen Feier verknüpft
sind und in ihrer Gesamtheit den christlichen Titel „Emperios do Espisito
Santo" tragen. Der siegende Frühling, der zu krönende König, scheint hier
durch das Bild des heiligen Geistes vertreten zu sein, wie aus der Schilderung
von M. Longworth Dames und E. Seemann hervorgeht.
Allerdings schreibt man die Einführung des Festes sowohl auf den Azoren
als in Portugal der Königin Isabella (13U0) zu, aber diese Einführung wird
sich eben von der vorchristlichen Frühjahrsfeier nicht trennen lassen. Der
christliche Gedanke suchte den vorchristlichen zu veredeln, die Apotheosierung
der materiellen Fruchtbarkeit durch den heiligen Geist zu überwinden, und
ersetzte deshalb auch einen großen Teil vorchristlicher Formen durch christliche.
Das jetzt nur noch auf den Azoren gebräuchliche Fest fällt auf einen
der zwei ersten Sonntage nach Christi Himmelfahrt, also entweder auf das
Pfingstfest oder den vorhergehenden Sonntag. Die erste Vorbereitung dazu
wird schon ein Jahr vorher getroffen, insofern der „Kaiser" oder die „Kaiserin",
d. h. der Held oder die Heldin des Festes, für das kommende Jahr bereits
am Fest des vorhergehenden Jahres durch das Los gewählt wird. Ebenso
lost man den Sonntag, an welchem das Fest gefeiert werden soll, schon ein
Jahr vorher aus. Es wird ferner ausgelost, wer die zum Feste nötige Fahne,
Krone und Zepter bis dahin in seinem Haus aufbewahren darf. Das Los trifft
mehrere, und man wechselt deshalb vom Ostersonntag bis zum Krönungstag
wochenweise ab. Fahne, Krone und Zepter bringen dem Hause Glück und
werden hochgeehrt. Jeder, der sie aufzubewahren hat, errichtet in einem
Zimmer seines Hauses eine Art Altar, auf welchen die silberne Krone und
das Zepter mit einer Taube (offenbar das bekannte Symbol des hl. Geistes)
gelegt wird. An der Seite des Altars bringt man die aus karmasinrotem
Brokat hergestellte Fahne an, welche eine in Gold gearbeitete Taube mit
einer Krone darüber trägt. Mehrere Leute werfen unter sich das Los, um
zu bestimmen, wer Fleisch, Brot, Wein und andere Lebensmittel zum Feste
liefern soll. Diese Gaben werden am Freitag vor dem Krönungssonntag
vom Priester gesegnet, worauf man mit ihnen auf blumengeschmückten Ochsen-
wagen bei den Vornehmen, welche zum Feste beigesteuert haben, vorfährt
und ihnen davon mitteilt. Manchmal fügt man auch eine Zuckerpuppe2) bei.
AYas von den Gaben überbleibt, wird in der Speisekammer auf geschmückte
Tische gelegt; die Kammer wird beleuchtet, mit Flaggen, Blumen und grünen
Zweigen geschmückt. Die rote Fahne mit der Taube nimmt einen hervor-
ragenden Platz ein. Die Leute eilen scharenweise herbei, um alles zu be-
sichtigen.
Tags darauf, also am Samstag vor der Krönungsfeier, schmückt man
die Straßen, stellt darin weißgedeckte Tische auf und legt auf diese je zwei
Pfund Fleisch und je zwei Laib Brot, beides für die Armen. Man nennt diese
!) In Wetzer und Weites Kirchenlexikon, 2. Aufl. 4. Bd., Sp. 1417. Heusers Ansicht
über den Ursprung des Ostereies wurde in der Einleitung zu Kap. XL1I angeführt. Sie
stimmt mit seiner obigen nicht überein.
8) Vgl. die Puppen bei Frühlingsfesten anderer Völker in diesem Kapitel.
'384 Kap. XLIU. Festfreuden des Kindes. Christliche und vorchristliche Erinnerungen usw.
Gaben pensoes. Am Nachmittag spielt eine Kapelle einen Hymnus auf den
hl. Geist, und nun kommt der ..Kaiser" oder die ..Kaiserin", ein 8- bis
12 jähriges Kind, von seinem Vater, nahen Verwandten und Freunden begleitet,
und teilt jenes Fleisch und Brot aus. —
Am folgenden Sonntag findet in der Kirche ein Hochamt statt, und der
Priester krönt den „Kaiser", oder die „Kaiserin", worauf eine Prozession
folgt. Mit der Krone auf dem Kopf und dem Zepter in der Hand zieht das
Kind unter Musik und Feuerwerke?) durch die Straßen. „Fulioes", vier Männer
mit einer Art Mitra auf dem Kopf und in langwallenden, hellfarbigen Ge-
wändern, schreiten der Prozession voran, tragen die Fahne, eine Trommel, ein
Tamburin und eine Geige und singen Hymnen auf den hl. Geist. — Nach der
Prozession findet ein Mahl statt, und nach diesem setzt sich der Kaiser oder
Fig. 371. Die Dorfjugend in Elten bei Haselünne (Reg. -Bez. Osnabrück) mit dem Pfingstkröuchen.
Aus J.'sffs ..Westfälisches Trachtenbuch".
die Kaiserin für den Nachmittag ins „Theater". Jedes Dorf auf den Azoren
hat nämlich, nach Dames und Seemann, einen oder mehrere Steinbauten, ge-
wöhnlich von 10 Fuß Länge bei 8 Fuß Breite, die vorn und an den Seiten
offen, auf Säulen ruhen und 3 — 4 Fuß über dem Niveau der Straßen liegen.
Diese Gebäude nennt man Theater, und hier sitzt jedes Jahr das am Fest
Imperios do Espiritu Santo gekrönte Kind hinter einem Tisch, auf welchem
Krone und Zepter liegen. Daneben ist die heilige Fahne aufgepflanzt. Auch
einige andere auserwählte Kinder dürfen sich dazu setzen. Wie schon er-
wähnt, wirft man an diesem Tage die Lose für das gleiche Fest im folgenden
Jahre. Das Resultat wird von den Fulioes durch Trommelwirbel und Schütteln
der Tamburine angekündigt. Flaggen, belaubte Zweige und Blumen überall.
wohin das Auge blickt. —
Keinen Pfingstkönig, wohl aber eine Pfingstkrone finden wir in der
schwäbisch-fränkischen Kolonie Riebensdorf im russischen Gouverne-
§ 283. Pfingsten. 385
ment Woronesh. Hier stellt man zu Pfingsten vor der Kirche eine Erle mit
einer Krone aus Kirschzweigen auf (Adler). - - Der Frühjahrs- und Sommer-
kult tritt hier also in doppelter Form auf. — Den Brauch der „Pfingstkrone"
haben die Eiebensdorfer wohl aus ihrer deutschen Heimat mit nach Rußland
genommen (vgl. Fig. 371).
Eine Art Pfingstkrone scheint es auch in Weisweil, nördliches Breis-
gau, zu geben. Denn Otto Heilig schreibt:
Am Sonntag vor Pfingsten nehmen die dortigen Knaben vier Stecken,
legen drei dichte Binsenstroh-Beife darum und schmücken das Geflecht mit
Kränzen und Blumensträußen. Dann ziehen sie damit von Haus zu Haus, um
„Pfingstkäs". d. h. Gaben zu erbitten. In einem dabei aufgesagten Spruch
wird um 1 — 2 Eier gebeten. Ein anderer Spruch älteren Datums, d. h. aus
der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, verlangt außerdem Butter und Speck.
Er lautet:
„Holeho, der Pfingschkäs ') isch do,
Der Pfingsehkäs het Hidilia,
's Müllers Mohr hat Jungi ka (gehabt),
Siebzehn in äre (einer) Nacht.
Hopp, hopp, nomol hopp.
Gämer an e Ei oder zwei
Oder e Löffel voll Anke (Butter).
Mer dien is schön bedanke.
Oder e Stückli Speck — oder i gang uimmi vorem Fenster weg."
Von christlichen Pfingstfreuden ist in diesen Versen sicher nichts zu finden.
In der Saargegend tritt der singende Frühling als „Pfingstquak" 2)
auf. In den Städten ist der Brauch seit ungefähr der Mitte des 19. Jahr-
hunderts zwar verschwunden, aber in einzelnen Dörfern lebt er, wenigstens
teilweise, noch fort.
Nach Lohmeyer ritten in Dudweiler die jungen Burschen mit Bändern
geschmückt durch den Ort und sammelten Eier, Butter, Speck und Mehl ein,
was dann zu einem Picknick verwendet wurde. Wahrscheinlich stamme von da
der folgende Gesang, welchen jetzt noch die Kinder am ersten Pfingsttag singen:
„Quak, Quak, Quak,
Eier. Butter, Mehl und Speck,
Eheder gehn ioh net vor der Dier ewegg
Oder der Bese muß met." —
In Hirzweiler bestand der noch um IS78 vom Vorreiter getragene
<^uak in einem Birkenbäumcheu ''■), das mit Bändern verziert war. - In der
Stadt Ottweiler wurde sowohl an Pfingsten als auch am 1. Mai ein mit
blühendem Ginstc geschmückter Mann zu Pferd, von einer Kinderschar um-
geben, durch die Stadt geführt; dabei rief man von Zeit zu Zeit „quakauf. —
An andern Orten wieder gab es Quaken zu Fuß und zu Pferd; erstere waren
Kinder, letztere größere Burschen. Die Hauptperson war aber der eigentliche
Quak, welcher gewöhnlich mit Blumen und Laubwerk unkenntlich gemacht
worden war. In St. Ingbert im Pfälzischen war der Quak durch eine
Birke dargestellt, welche, auf eiuem zweiräderigen, niedrigen Karren befestigt,
mit Blumen und Bändern geschmückt, unter Peitschenknallen und dem Ruf
„quak, quak': möglichst rasch von Burschen durch alle Gassen und Gäßchen
des Städtchens gezogen wurde. — In Ettingen bei Saargemünd wurde ein
in Gras gewickelter Knabe von Haus zu Haus getragen. —
') Der Pfingschkäs ist, nach dem Zusammenhang dieses Spruches zu urteilen, nicht die
Gabe, sondern der Bittende, bzw. das mit Blumen usw. verzierte „Geflecht".
.*) Lohmeyer weist darauf hin. daß Weinhold „Pfingstquack" als „Pfingstfrosch'' deutete.
3) Vgl. die Birke im Kult der Mordwinen in § 286.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 25
386 KftP- XLIIL Festfreuden der Kinder. Christliche uud vorchristliche Erinnerungen usw.
Überall war, bzw. ist noch das Einsammeln von Eiern und andern
Gaben mit diesen Umzügen verbunden {Karl Lohmeyer).
Nach Floß1) singen die elsässischen Kinder, während sie dem Pfingst-
quak von Tür zu Tür folgen:
.,En Ei heraus, en Ei heraus!
Oder i schick de Marder ins Hühnerhaus!" —
Im Tecklenburgischen heißt der Knabe, welcher mit einer duftigen
Blumenkrone auf dem Haupt und am ganzen Leib mit belaubten Zweigen
und Blumen bedeckt, mit Kindergefolg von Hof zu Hof zieht, ,,Pfingstblume" i.
An andern Orten Nord- und Süddeutschlands mit ähnlichen Bräuchen
kommen statt des Titels „Pfingstblume" die Benennungen „Pfingstküäm", „Kauder-
nest", oder „Füstge Mai" vor. —
In Molschieben, Thüringen, gibt es am Pfingstmontag ein Kinderfest,
welches zwar jetzt mit dem dreißigjährigen Krieg in Verbindung gebracht
wird, ursprünglich aber wohl auch ein Frühlingsfest gewesen sein wird, worauf
schon die geringelten Weidenruten und die Benennung des Festes als „Ptingst-
reiten" hindeuten. Im dreißigjährigen Krieg, so geht die Sage, wollte ein
feindlicher General durchaus das ihm verhaßte Dorf zerstören und verlangt
deshalb ein unerschwingliches Lösegeld, d. h. 200 Buntschecken, die von einer
einzigen Mutterstute abstammen sollten. Da ließen die klugen Molschieber
200 Kinder auf geringelten Weidenruten, welche man bei ihnen auch Bunt-
schecken nannte, zum Lager des Generals reiten, der durch diese List, und
mehr noch von der Unschuld der Kinder, zur Milde gestimmt wurde und
Molschieben verschonte. Zur Erinnerung an dieses Ereignis reiten die kleineren
Knaben beim „Pfingstreiten", d.h. bei dem am Pfingstmontag alljährlich statt-
findenden Kinderfest, heutzutage noch auf geringelten Weidenruten. Die
größeren Knaben tragen teilweise Helme, Spieße, Säbel und andere Waffen,
oder auch Fahnen. Vor dem Pfarrhofe, dem Schulhause, der Bürgermeister-
wohnung, der Wassermühle und, wie es scheint, auch noch vor andern Häusern
angesehener Einwohner, wird Halt gemacht und ein Hoch ausgebracht. Nach
dem Umzüge erhalten die Pfiugstreiter am Backhause Kuchenschnitte; sie zer-
schlagen jubelnd ihre Buntschecken und beginnen hierauf Tänze, bei denen
Lust und Freude ihren Höhepunkt erreichen.
In St. Georgenberg bei Kolbnitz. Schlesien, tanzten früher die
Kinder an Pfingsten um den Pfingsttopf. Auf dem Dorfanger grenzte man
zu diesem Zweck einen Kreis durch eine an Pfählen befestigte Blumenkette
ab. In der Mitte stand ein bekränzter Pfahl, der den Pfingst- oder Maibaum
vertrat. Auf ihm war ein mit Blumen. Pfingströschen und Buchsbaumzweigen
bedeckter Topf befestigt, der einen Blumenstrauß enthielt. Am zweiten Pfingst-
tag nachmittags versammelten sich hier die Kinder aus Georgeuberg,
Kolbnitz und Ratschütz mit ihren Eltern und Lehrern; ein Knabe stellte
sich in die Mitte des Kreises und die andern Kinder tanzten singend einen
Reigen um ihn herum :i). Das Lied lautete:
„Grünes Gras, grünes Gras unter meinen Füßen.
Ich hab' verloren mein feines Lieb, ich hab' mir's suchen müssen
Hier und dort uud anderswo
Unter diesen allen;
Die ich mir jetzt nehmen soll.
Tut mir Wohlgefallen." —
') 2. Aull. II, 375.
8) Die gleiche Benennung treuen wir später in Holland.
1. die Reigentänze in den Kap. XXXIX und XL.
§ 284. St. .Johannes in der Sonnenwende. ;}S7
Hierauf ging der Knabe auf ein Mädchen im Reigen zu und forderte
es durch eine Verneigung zum Tanze auf. Während beide tanzten, sangen
die übrigen Kinder:
„Es gibt gar schöne Leute hier.
Ei ja freilich.
Wer ich bin, der bleib' ich.
Ich bleibe wer ich bin.
Leb wohl, mein Kind.'- —
Hierauf begann das Spiel aufs neue, bis alle an die Reihe gekommen
waren. Zuletzt folgte das ..Topfschlagen", wobei ein Knabe zum Pfingst-
könig und ein Mädchen zur Pfingstkönigin ernannt wurden (Drechsler). -
Religiöse Zeremonien, nach Art der uns von Portugal und den Azoren be-
kannten, scheinen demnach mit der Wahl des St. Georgenberger Pfingstkönigs
nicht verbunden gewesen zu sein.
In Fricktal im Aargau stellt sich an Pfingsten ein Knabe zur Vesper-
zeit im Pfingstkorb am Dorfbrunnen auf. Hier wird er von seinen Gefährten
gegen die Angriffe der Knaben aus den benachbarten Dörfern verteidigt, welche
ihm den Korb zu rauben suchen. - - Auch Herbert M. Bower, der diese Mit-
teilung macht, ist der Ansicht, daß hinter diesen Bräuchen der Glaube an
einen wohltätigen Geist der Vegetation stecke.
In Holland fuhr man früher ein mit Blumen geschmücktes Mädchen
als „Pinxter blooem" (Pfingstblume) in einem Wagen durch die Straßen.
Bettelude Frauen begleiteten sie. - Im nördlichen Brabant war ein ähnlicher
Brauch; dort sang man beim Umzug:
„Pfingstblume,
Dreh dich einmal um." —
In Rußland hüllt man im Pin sk- Distrikt am Pfingstmontag ein Mädchen
in Birken- und Ahornlaub und trägt es so durch das Dorf. — In einem Distrikt
von Kleinrußland schmückt man einem Mädchen das Haar mit Blumen und
führt es als „Pappel" umher. —
§ 284. St. Johannes in der Sonnenwende.
Nach dem bisher Gesagten erweckt schon der obige Titel, welchen das
Fest Johannes des Täufers früher trug, die Vermutung, daß wir auch hier
Spuren vorchristlicher Kulte finden. Und in der Tat bezieht man das Johannis-
feuer, ferner die an diesem Tag geschlagenen Feuerscheiben und Feuerräder,
sowie die in der vorhergehenden Nacht üblichen Waschungen, das Schmücken
der Brunnen u. ?. m. auf das Sonnenwendfest unserer heidnischen Vorfahren
zurück1).
Nach Heuser sah Petrarca in Köln noch im Jahre 1330 Frauen und
Mädchen in der Johannisnacht die Arme im Rhein waschen.
Das Verbrennen eines Strohmannes, in Steiermark „Tatennann" (Toten-
mann)2) genannt, ist nach Heuser eine Erinnerung an den Erntegott Thor,
dem zu Ehren die Feuer des Sonnenwendfestes loderten, und dessen Bild man
nun den Flammen überlieferte. Daß dieses geschehen sei „um sich gleichsam
für die frühere Furcht zu rächen", wie Oberle erklärt habe, erscheint mir
nicht wahrscheinlich. Vielmehr dürfte das Verbrennen des altgewordenen
Fruchtbarkeitsgottes hier so gut wie im alten Mexiko (vgl. dieses in § 280)
ein jugendliches Wiederaufleben für das nächste Jahr bezweckt haben.
') Hemer in Wetzer und Weites Kirchenlexikon, 2. Aufl. 4. Bd., Sp. 1419.
2) Vgl. das „Todaustragen" und das Verbrennen von Strohpuppen am Sonntag Lätare
in § 280.
25*
388 Kap. XL1II. Festfreuden der Kinder. Christliche und vorchristliche Erinnerungen usw.
Einen Greis stellt die mit Hobelspänen gefüllte Puppe dar, welche die
Burschen in Jauer, Mittelschlesien, am Johannisabend auf einer Stange
zu einem großen Platz außerhalb der Stadt tragen, in der Mitte dieses Platzes
anzünden und mit brennenden Besen umtanzen, wie Anna Partuschke schreibt.
Brennende Besen werden an diesem Abend auch in der Stadt herumgetragen.
Partuschke schätzte die an dieser Feier beteiligten Kinder auf ca. 2U0.
Zahlreich sind die Feuersäulen, welche in Schlesien, z. B. im Riesen-
gebirge, heutzutage noch am Vorabend vom Johannisfest auflodern.
Auch Englaud hatte früher seine .Tohannisfeuer. J. E. EUiot Bates
teilte in den „Denham Tracts" mit, in Whalton und Umgebung habe froher
alt und jung am Vorabend zusammengeholfen, um eine große Wagenladung
von Stechginster1) und anderes Brennmaterial zusammen zu bekommen. Der
Wagen wurde von den Leuten selbst ins Dorf gezogen; oben saß ein Geiger.
Am Abend errichtete man aus dem Brennstoff einen Haufen und steckte ihn
in Brand. Die Jugend tanzte um ihn herum; die älteren Leute sahen zu,
schmauchten ihr Pfeifchen und tranken Bier.
Von ganz besonderem Interesse ist es, daß auch die Araber und Berber
in Marokko am 24. Juni, also an unserem Johannistag, oder am Vorabend,
Feuer anfachen. Ihr Name für den 24. Juni ist „l-'änsära". oder, im Schluh-
Dialekt „l-'änsart". Edward Westermarck berichtet hierüber: Männer, Weiber
und Kinder hüpfen über dieses Feuer, um von allem ihnen anhängenden Un-
glück (1-bäs) befreit zu werden. — Die Beni Mgild. ein Berberzweig der
Bräberstämme in den Bergen von Zentfäl-Marokko und dem östlichen Teil
des Großen Atlas, verbrennen bei derselben Gelegenheit drei Garben von
ungedroscheuem Weizen oder Gerste; eine davon für ihre Kinder. Ebenso
verbrennen sie das Zelt einer Witwe, die nie ein Kind geboren, um dadurch
das Dorf von Unglück zu befreien. -- In Tazerwalt. einem Distrikt in Süs,
baden die Kinder der dortigen Schluh in Quellen; in Aglu, gleichfalls im
Distrikt Süs, baden sie am gleichen Tag mit Männern und Weibern in Quellen,
im Fluß oder im Meere, um während des folgenden Jahres vor Krankheiten
bewahrt zu bleiben. Doch sind nach Westermarck viele fromme Marokkaner
und alle Schriftgelehrten gegen diese Bräuche, deren Ursprung mythisch ist,
und so müssen denn die Knaben auch an diesem Tage die Schule besuchen,
wenn sich die Lehrer nicht mit Geld bestechen lassen, was allerdings meistens
der Fall sei.
Westermarck weist ferner auf den Kirchenlehrer Augustvn hin, der in
einer seiner Predigten den Libyschen Brauch, am 24. Juni im Meer zu
baden, als heidnischen Überrest bezeichnet habe. Westermarck selbst faßt
Feuer und W asser in diesen Bräuchen sowohl als auch in den entsprechenden
europäischen als Reinigungszeremonien auf und sieht in der auffallenden
Übereinstimmung derselben einen Beweis für die Rasseneinheit der Berber
und der ineisten europäischen Völker unserer Zeitrechnung2). Daß aber das
marokkanische Feuer des 24. Juni auch Fruchtbarkeitskult ist. gehl aus
einer Mitteilung Westermarck^ hervor, welche in Kap. [, § 7 des vorliegenden
\\ erkes referiert worden ist. —
Johannisbränche anderer Arten ersehen wir aus dein folgenden:
In Spanien und im spanischen Amerika wurde der 24. Juni im
18. Jahrhundert mit Reiten und Wettrennen gefeiert. In Mexiko mußten
an diesem Tag alle Pferde und Maultiere herhalten. Kleine Knaben, Weiber
und Männer ritten. Das Fest fing lustig an, nahm aber jedesmal ein trauriges
Ende, da viele Kinder verletzt winden, viele stürzten, Schlägereien und Tot-
schlag vorkam (Christoph (rottlieb von Murr).
>) (?) Wliins.
*) Siehe die Anmerkung am Schluß des vorliegenden Kapitels.
§ 285. Maibräuche. 389
Im nördlichen England war es noch in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts an vielen Orten Brauch, daß die jungen Leute beider Ge-
schlechter in der Zeit vom Johannistag bis zum Magdalenentag sich an den
meist frequentierten Platz ihres Dorfes setzten und die Vorübergehenden mit
einer bestimmten Formel um kleine Geldgeschenke baten. Sie hielten dabei
ein Kissen, welches sie mit buntem Baumwoll- oder Seidenstoff bedeckt und
mit den schönsten Blumen aus den Gärten ihrer Eltern und Nachbarn verziert
hatten.
§ 285. Maibräuche.
Der Jubel über die Wiederkehr der schönen, fruchtbaren Jahreszeit
will kein Ende nehmen. Vom Tage der Wintersonnenwende bis zur Sommer-
sonnenwende haben wir ihn einerseits in mancherlei Formen ausgedrückt
gesehen, anderseits aber in diesen Formen wiederholt überraschende Ähnlich-
keit gefunden.
Beide Seiten zeigen sich uns wieder in den Maifesten, welche ich mit
dem hier zunächst folgenden in der schottischen Grafschaft Roß auf den
nördlichen Hebriden eröffne. Sie sind wohl ein Best keltischen Götter-
kultus.
Walter Gregor schreibt nämlich: In Achterneed bei Strathpeffer,
Rosshire bekam (früher) jedes Kind am ersten Mai ein Ei und einen Kuchen.
Dieser wurde zwischen neun und zehn Uhr morgens auf einem Stein vor dem
Torffeuer des Herdes gebacken :). Der Teig dazu durfte nicht auf einem Tisch
oder Brett, sondern mußte in der Hand geknetet werden. Der fertige Kuchen
mußte dem Kind in die Hand gegeben, und durfte weder auf einen Teller
noch auf einen Tisch gelegt werden; sonst hätte er nur noch als gewöhnlicher
Kuchen gegolten. Weil er in der Hand gemacht wurde, hieß er Handkuchen
(„tcharnican"). — Auf einem Hügel zündeten die Kinder an diesem Tag, bis-
weilen 20— 30 an der Zahl, ein Feuer an, wozu sie das Brennmaterial selbst
sammelten. Dann zeichnete jedes sein Ei, um es wieder zu erkennen, legte es
in die Asche dieses Feuers und ließ es braten. —
In der englischen Grafschaft Lincoln legen die Kinder am ersten
Mai einen Korb mit Moos und Primeln aus, schmücken ihn auch sonst so gut
sie können, spannen ein schönes Schutzdach darüber und legen die schönste
Puppe2), welche sie auftreiben können, hinein. Ihr hängen sie eine Schnur
Yogeleier um den Hals (Dorothea Townshend).
In Bampton-in-the-Bush, einem Städtchen an der Thames in der
Grafschaft Oxford, zogen noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts am 1. Mai
weiß gekleidete und mit rot-weiß-blauen Bändern geschmückte Kinder in der
Stadt umher. Ein Knabe trug als „Lord" einen mit Bändern und Blumen
verzierten Stab, „das Schwert" genannt, und eine Sammelbüchse. Zwei
Mädchen als „Lady" und „Maid" trugen an einem Stock zwei sich kreuzende (?),
mit Moos, Blumen und Bändern umwundene Reifen. Die „Lady" trug außer-
dem wohlriechende Kräuter unter einer Musselindecke s) auf einem viereckigen
Brettchen, das an einem kurzen Stab befestigt war. Auch der Stab war mit
rot-weiß-blauen Bändern geschmückt. „Lord" und „Lady" wurden von einem
„Jack-in-the-Green" (Laubmännchen?) begleitet. Von Zeit zu Zeit sang die
Lady:
x) „In front of the peat fire on the hearth supported by a stone."
2) Vielleicht als Personifikation des Mai. Vgl. die Maigöttin in Niedersachsen, ferner
einen ähnlichen Maibrauch in Frankreich.
3) Vgl. das mit Blumen und Decken geschmückte Kissen als Johannisbrauch im nörd-
lichen England, oben § 284.
390 Kap. XLIIL Festfreuden der Kinder. Christliche und vorchristliche Erinnerungen usn .
„Ladies and gentlemen,
I wish you a happy May;
Plcase smell ruy ruace (nämlich die Kräuter auf dem Brettchen)
And kiss my face.
And then we'll show our garland1)." —
Nach den Worten ,,Kiss my face" hatte der Lord die Lady zu küssen
und die Geldbüchse herumzureichen (Percy Manning).
Aus der Grafschaft Gloucester ist mir ein Maibaum bekannt. In
Randwick wird er von Kindern umtanzt, welche dabei singen:
..Round the Maypole, trit-trit-trot!
See what a Maypole we have got;
Eine and gay,
Trip avvay,
Happy is our new May-day." —
Die Goten und Schweden feierten den ersten Mai mit einer Darstellung
des Kampfes zwischen Winter und Sommer, welche Ol. Magnus'1) folgender-
weise schilderte: In den Städten läßt „die obrigkeit den ersten tag meiens
zwei geschwader reuter von starken jungen gesellen und männern versammeln,
nicht anders, als wolt man zu einer gewaltigen Schlacht ziehen. Das ein
geschwader bat einen rittmeister, welcher unter dem namen des winters mit
pelzen und gefütterten kleidern angethan und mit einem winterspiess gewapnet
ist: der reitet hoffertiglich hin und wieder, wirft schneeballen und eisschemel
von sich, als wollte er die kälte erlängern, macht sich ganz unnütz. Hergegen
hat das andere geschwader auch einen rittmerster, den heißt man den blumen-
graveu, der ist von grünem gezweig, laub und blumen bekleidet, auch mit
andern Sommerkleidern angethan und nicht fasst wehrhaft, reitet mit samt
dem Winterhauptmann in die stadt ein, doch ein jeder an seinem besondern
ort und Ordnung, halten alsdann ein öffentliches stechen und furnier, in dem
der sommer den winter überwindet und zu boden rennt. Der winter und sein
gefolge werfen um sich mit Asche und Funken, das sommerliche gesinde
wehrt sich mit birkenmeien und ausgeschlagenen lindeuruten; endlich wird
dem sommer von dem umstehenden volke der sieg zugesprochen".
Dazu bemerkte Plofi: „Gleiches war in Niederdeutschland von altere
her Sitte; so erwähnt Sastrow in seiner Lebensbeschreibung im Jahre 1628
eines Mairittes zu Greifswalde, und den Schülern zu Pasewalk wurde
im Jahre 1563 eine „Maigrafenfahrt" gestattet," - - Vielleicht haben wir hier
aber Reste der ehemals slawischen Bevölkerung; denn daß auch slawische
Völker den Kampf zwischen Winter und Sommer dramatisierten, wissen wir
aus früheren Paragraphen.
In mehreren Gegenden Deutschlands, z. B. in Niedersachseu, besteht
das Maifest, wie in der englischen Grafschaft Gloucester, im Aufrichten
eines Maibaumes, um welchen man tanzt. Im Städtchen 'Wolfhagen (Nieder-
sachsen) versammeln sich die Maijungen als Zimmerleute mit Schurzfell und
Tornister auf dem Markte. Unter Musik bewegt sich der Zug nach dem
Walde. Hier weist der Magistrat junge Birken an, die gefällt werden. Diese
„Maibäume" werden dann mit Sang und Klang durch den Ort getragen und
an den einzelnen Häusern aufgepflanzt. Dem Zuge voran fährt ein Wagen,
auf dem eine symbolische Figur, die Maigöttin, sitzt; hinter ihr marschieren
militärisch gekleidete Knaben.
Die Überwindung des Winters durch den Frühling war nach lliland'-')
ursprünglich der Sinn auch des „Walperzuges", welchen die Erfurter Bürger
') Die obigen Blumenreifen.
-) 2. Aull. II. 377. l'luß wies bei diesem Zitat auch auf Grimm. Mythol. 73.".. und
auf Sdlo. Eriihlihgsl'este (..Im neuen Reich". 1 SM S S'Jl I hin.
:1) Bei Ploß, 2. Aufl. II. 375 f.
§ 285. Maihräuche. . . 391
früher am ersten (?) Mai in den Wald machten, wo sie unter Klang und
Sang Maien abschnitten, die sie nach Hause trugen. Auf der Rückkehr ließen
sie dem Zug zwei mit Goldketten und anderem Geschmeide behängte Knaben
voranreiten. Allerdings habe mau deu Ursprung dieses Brauches mit verschie-
denen Sagen zu erklären gesucht, unter denen die folgende war: Die Edelleute
eines Schlosses der Umgegend seien Räuber gewesen, welche im Jahre 1289
von den Erfurtern unter Kaiser Rudolf erschlagen und deren Schloß zerstört
worden sei. Nur zwei Knaben seien auf die Bitten ihrer Mutter verschont
geblieben und, mit ihrem Geschmeide behängt, auf Pferden nach Erfurt gebracht
worden. Seitdem hahe man jährlich den Walperzug als Erinnerung an die
Einnahme des Schlosses veranstaltet.
Höchstwahrscheinlich verhält es sich aber mit diesem „Walperzug''
wie mit dem „Pfingstreiten" in Molschieben, d. h. der „Walperzug" wird
älter sein als die obige Sage; sonst hieße er kaum so. Der erste Mai, der
Tag der Heiligsprechung der vom christlichen Volk hochverehrten Äbtissin
Walpurga (779), welche sich in ihrem Leben hervorragende Verdienste um
die Christianisierung des mittleren Deutschland erworben hatte, war ja auch
unsem heidnischen Vorfahren ein heiliger Tag, ja nach Grimm, Mannhardt,
Orohmann und Wutke1) einer der heiligsten Tage des Jahres. Der erste
Mai war nämlich dem Donar geweiht, ein Opfer- und Gerichtstag der Mai-
versammlung. In der vorhergehenden Nacht waren alle Zaubermächte los-
gebunden, wie denn auch heutzutage noch in dieser Nacht die Hexen auf
Besenstielen und Böcken zu ihrer Zusammenkunft mit dem Teufel auf den
Blocksberg reiten.
Die zwei Knaben beim Erfurter „Walperzug"' sollen freilich keine
Hexen darstellen, sondern den einziehenden Frühling, welcher den „Raubrittern",
d. h. nach TJhland den Winterunholden, abgerungen worden ist. — ■
Vom Niederrhein erwähnte Ploß'2) den Brauch, daß Kinder am Maifest
mit belaubten Zweigen uud Blumensträußen von Haus zu Haus zogen und
sangen :
„Guten Tag-, guten Tag in's Haus!
Hier bringen wir den Mai ins Haus.
Wir haben heute Maie,
Der gibt uds unsere Weihe."
Dafür erhalten sie in der Regel Eier und Kuchen; manchmal werden
sie aber, statt beschenkt, von neckischen Leuten mit Wasser bespritzt. -
Vorchristlichen Ursprung hat allem Anschein nach auch das Brunnen-
kranzfest in Bacharach am Rhein, von welchem Ploß schrieb3): Im Mai
werden die vier großen Brunnen gereinigt. Bei der damit verbundenen
Festivität bilden die sämtlichen Kinder des Dorfes hinter dem jugendlichen
Träger des Brunnenkranzes einen Zug, sammeln Speisen und Delikatessen und
veranstalten schließlich einen Kiuderschmaus.
In Schwaben zogen früher die Kinder am 1. Mai, mit Baumzw eigen
und Bändern geschmückt, auf die Felder hinaus (Birlinger).
In Thann, Elsaß, trägt ein Mädchen als Mairöschen (Maienreesele)
das mit Bändern und Girlanden geschmückte Maibäumchen im Dorf herum.
Audere Mädchen begleiten es, sammeln Gaben uud singen:
„Mai-Röschen, wende dich drei mal.
Zeig dich uns ringsherum" usw.
') Bei Ploß, 2. Aufl. II, 374.
2) Ebenda.
») 2. Aufl. H, 375.
6
392 Kap. XLIII. Festfreuden der Kinder. Christliche und vorchristliche Erinnerungen usw.
Von den Gaben, welche man diesen Kindern spendet, hängt es ab, ob
das Jahr fruchtbar werde (Percy Manning). — Demnach waren diese, jetzt
Kindern gereichten, Gaben ehemals wohl Opfergaben.
In der deutschen Schweiz sind die Maibäumchen, welche die Kinder
singend von Haus zu Haus tragen, mit bunten Eiern und Blumen verziert ').
In Bedano, Kanton Tessin, pflanzen die Mädchen mit Hilfe eines
Mannes am Vorabende des 1. Mai eine lange Stange, mit einer Fahne an der
Spitze, auf einem öffentlichen Platze auf, gruppieren sich hierauf um diesen
Maibaum herum und singen ein vielstrophiges Frühlingslied 2). aus dessen Inhalt
PeUandini schließt, daß die Mädchen es früher nicht am Fuß des Maien,
sondern während ihres Dorfumganges sangen, wobei sie einen Lorbeerzweig
von Haus zu Haus trugen und dafür Salami, Trockenfleisch. Eier und der-
gleichen erhielten. Am Abende des 1. Mai werden die Mädchen, welche
am Vorabende um den Maienbaum gesungen hatten, zu einem großen Eier-
kuchen eingeladen; Eier dazu werden von einem als Eremit verkleideten Mann
unter dem Klange der Dorfmusik von Haus zu Haus gesammelt.
In Estavayer, Kanton Freiburg, dauerten anfangs des 19. Jahr-
hunderts die Maifeste einen ganzen Monat. Jeder Sonntag hatte seine eigenen
Freuden. Heutzutage werden nur noch der 1. Mai und der erste Sonntag
dieses Monats gefeiert, jener als „la fete des maientses''3), dieser als .Ja
fete de la poutta".
Am 1. Mai kamen noch vor zirka ,J5 Jahren ganze Truppen Knaben
(sauvages) und Mädchen (maientses) vom Land in die Stadt, um von Haus zu
Haus das Frühlingserwachen zu besingen. — Jetzt gibt man, wie Vdknar
schreibt, der Schuljugend am 1. Mai keine Ferien mehr und verbietet in
gewissen Dörfern des Kantons, daß sie an diesem Tage zum „Betteln" komme,
so daß die hübsche Sitte des Maiansingens am Aussterben ist. Schon jetzt
kennen die wenigen ,,sauvages" und „maientses" die Gesänge ihrer Vorgänger
nicht mehr, sondern stimmen „Salut glaciers sublimes" oder: „J'avais un
camarade" oder ähnliches an. — Die Mädchen tragen bei diesen Gängen
Sonntagskleider, sind mit Bändern geschmückt und mit Blumen bekränzt. Die
Knaben tragen alle an kreuzweise übereinandergehenden Riemen Glöckchen
oder Schellen, die sie gewöhnlich nach jeder Strophe schütteln, einige einen
alten Säbel, alle aber die unvermeidliche alte Dienstmütze. Dem maientso und
der maientsetta (Maienkönig und Maienkönigin) hängt zudem an einem farbigen
Gürtelband eine Lederbörse: die Dienstmütze des Königs ist mit künstlichen
Blumen, die Brust der Königin mit Broschen, Perlenschnuren und ähnlichem
Schmuck gezielt.
Zur Königin wählt man eines der kleinsten und hübschesten aus der
Mädchenschar. Sie wird von den zwei größten, deren eine einen Korb zur
Aufnahme der in Eiern, Obst oder Kuchen bestehenden Gaben trägt, an der
Hand geführt.
Am ersten Maisonntag früh hängt man große Kränze von gelben oder
weißen Blumen auf die Dachgiebel oder aus den Dachfenstern, oder auf die
höchsten Balkone. Gewöhnlich baumelt innerhalb des Kranzes eine Flasche
oder ein alter Topf. Früher befestigte man sie sogar auf der Spitze des
Kirchturmes und auf den Wetterfahnen. Nach Beendigung des vor- oder
nachmittägigen Gottesdienstes fahren dann die Knaben auf zweiräderigen, mit
ilililiilieiiileii Zweigen geschmückten Wagen in den Straßen spazieren, oder
!. Aul! II. 375.
he dieses im Schw. Arch. 8. Jahrg.. S. 249.
i Volmar übersetzt, wie oben folgt. „mafentse" mit ..Mädchen", „maientso" mit
„Maienkönig" und „maientsetta" mit „Maienkönigin".
§ 286. Frühlings- und Sommerfeste verschiedener Arten.
393
sie setzen mit einem blühenden Zweig in der Hand den Mädchen nach *), indem
sie ihnen zurufen: „Poutta! poutta la bala.-' Die Mädchen bewerfen die Knaben
mit gelben Blumensträußen, legen sich die Hände so an den Kopf, daß sie
wie Hörner aussehen, und rufen: „Bovirons! — Bovirons!" Die Bedeutung
dieser Ausdrücke kennen die Leute jetzt nicht mehr. Yolmar erhielt auf seine
Frage zur Antwort: „Die Knaben reizen die Mädchen mit der poutta. und
die Mädchen die Knaben mit den bovirons. Die weißen Kränze sind poutta-
Kräuze und die gelben sind bovirons-Kränze."
Die Knaben begnügen sich indessen mit der Verfolgung der Mädchen
nicht, sondern sie steigen auf langen Leitern oder Stangen auf die Dachgiebel,
zu den Dachfenstern und wo immer ein Kranz angebracht ist. Haben sie
einen erobert, so hängen sie ihn als Trophäe an ihren Wagen und setzen ihre
Fahrt jubelnd fort. - - In mehreren Dörfern der romanischen Schweiz hing
nach Josef Yolmar das Recht, den Lenz zu feiern, von der Zeit ab, in welcher
das Laub sproß. Geschah es im Mai, so durften die Knaben ihn besingen;
sonst die Mädchen. In Bochefort, Neuchätel, hatten die Knaben, wenn sie
..gewonnen", das Recht, die Mädchen zu küssen; hatten die Mäd-
cheu gewonnen, dann machten sie den Knaben eine lange Nase. —
In Brie, Isle de France, finden wir dann wieder den
von Mädchen umtanzten Maibaum. Während dieses Tanzes wird
ein in Blätter gehüllter Knabe als Vater Mai umhergeführt
(Percy Manning).
In Lons-le-Saunier und Chäteau-Chalon (Jura) tragen
am 1. Mai die jungen Mädchen ein mit Blumen geschmücktes Kind,
„die Neuvermählte", im Triumphe umher und singen dabei:
..Beschenkt zur Hochzeit unsre Braut,
Sie bringt den Mai und Jubel überlaut;
Beschenkt zur Hochzeit unsre Braut
Mit Gaben reich.
Es ist der Mai. deu hier ihr vor euch schaut.
Drum gebet gleich." (Aus Champfleurys Sammlung.)
Die Kinder von Salles an der Marne sammeln Mehl und
Eier am Anfang des Mai (Marienmonat), backen Waffeln davon,
kaufen aus deren Erlös eine Kerze, die sie zu Ehren der Mutter Gottes an-
zünden, und singen:
,,Frau, gebt mir ein kleines Ei
Und ein wenig Mehl dabei;
Nicht für mich allein
Soll die Gabe sein.
Eine Kerze kauf ich gern
Für die Mutter unseres Herrn." — {Otto Kamp.)
Zum Abschluß dieses Paragraphen sei noch eines japanischen Volks-
festes gedacht, welches am 5. Mai gefeiert wird. Man wünscht den Knaben
an diesem Tag zu ihrer zukünftigen Karriere Glück (AnesaH).
§ 280. Frühlings- und Soniuierieste verschiedener Arten.
Schon im vorigen Kapitel ließen wir verschiedene Festbräuche unserer
Jugend sich im Spiegel der heidnischen, bzw. heidnisch-christlichen Mordwinen-
bräuche beschauen. Das gleiche möge auch jetzt geschehen, nachdem wir die
Festesfreuden der Christenkinder hauptsächlich bei Slawen, Germanen, Romanen
und Kelten an Ostern, Pfingsten und Johannistag, sowie ihre Maifreuden be-
obachtet haben. Dann wird uns der ursprüngliche Sinn der Birken- und iiai-
bäumchen, die Gaben an Eier und Kuchen, das gemeinsame Backen der letzteren
Fig. 37ü. Wird bei
japanischen
Knabenfesten an
einem Stock ge-
tragen. Im Mu-
seum für Völker-
kunde in Leip-
zig.
') Vgl. die schlesischen Schmackostern und dessen Seitenstücke in früheren Paragraphen.
394 Kap. X.LIIT. Festfreuden der Kinder. Christliche und vorchristliche Erinnerungen usw.
aus den gesammelten Gaben und noch manches andere immer klarer werden,
d. h. wir werden in manchen Festbräuehen unserer Kinderwelt immer deutlicher
und deutlicher Überbleibsel eines alten Götter- bzw. Fruchtbarkeitskultes
erkennen.
Wie schon früher erwähnt, spielte bei den Mordwinen die Jugend im
Dienste der Göttermutter Ange Patyai1), der Göttin der Fruchtbarkeit, eine
wichtige Rolle. Das geht auch aus der folgenden Schilderung ihres Sommer-
festes durch MebiiJcof-Avercromby hervor. Zwar handelt es sich bei diesem
Fest auch um andere Gottheiten, die aber, nach dem Zusammenhau»- der
Schilderung zu schließen, in euger Beziehung zu Ange Patyai stehen.
Schon am Vorabend dieses Festes schmücken die .Mädchen Hof und
Wohnraum mit Grün, besonders mit Birkenzweigen, und pflanzen Birkenbäumchen
vor die Häuser. Auch flechten sie sich Kränze aus Blumen und Zweigen, die
sie teils vor den Wohnstuben-), teils über dem Kopfende ihrer Betten auf-
hängen, wobei sie beten: ..Cham pas (Schöpfer) erbarme dich unser; Ange
Patyai, liebe Mutter, hilf deiner Tochter (hier der Name des Mädchens) be-
scheiden leben und gib ihr einen Bräutigam." Nachdem sie die Kränze
über dem Bett aufgehängt haben, wenden sie sich auch an den Sohn der Ange
Patyai mit der Bitte: „Svyet Nishki Pas3), schicke mir einen Bräutigam."
An diesem Abend wird von bekränzten Mädchen eine Prozession von
Haus zu Haus gehalten. Männer dürfen nicht daran teilnehmen4). Wagt
sich ein Bursche doch in die Reihen, dann «wird er so lange gestoßen und
gekitzelt, bis er ein Dutzend Eier zu spenden verspricht.
Die Bedeutung des Eies bei diesem Sommerfest wird uns klar,
wenn wir bei Avercromby lesen, daß die Hühner, wegen ihrer großen
Fruchtbarkeit im Eierlegen, Lieblinge der Ange Patyai waren (vgl.
S. 330). Damit ist der Schlüssel zu den weitverbreiteten Eier-
bräuchen an unseren Frühlings- und Sommerfesten gegeben.
Nur ein Musikant, ein Pulämanspieler kann, wenn eingeladen, sich an
der Prozession beteiligen, an deren Spitze die von den übrigen Mädchen ge-
wählte Führerin (Pryavt tevtyar) mit ihr vorangehenden kleinen Mädchen
schreitet. Diese tragen ein mit Schärpen, Tüchlein und dem Gürtel der
Führerin behängtes Birkenbäumchen i Kyölu). Unmittelbar hinter der Führet in
tragen drei Mädchen (parindyaits) Körbe aus Bast und Birkenrinde und mit
Birkenzweigen verziert, Vor jedem Haus wird der folgende „Birkensang"
(kyöl-morö) angestimmt. In den Gouvernements Samara und Simbirsk, wo
die Mordwinenjugend ihre Muttersprache nicht mehr kennt, singen die Mädchen
auf russisch:
„Beil! Du weiße Birke,
Heil! Du großes Ahornblatt,
Heili Wächter der Linde (?)■),
Heil! Ihr lieblichen Mädchen,
Heil! Li userer teuren Frau,
Zu dir, o teure Frau.
Kommen liebliche Mädchen,
Wollen gelbe Bier (von dir),
Pfannkuchen und auch Pasteten."
') Die jetzt christlichen Mordwinen haben, nach Melnikof- Avercromby, ihren früheren
Kult der Ange Patyai (hoffen wir imi entsprechender Modifikation) auf Maria übertragen.
. i dieKräi e am Maifest inEstavayer, Kt. Freiburg, im vorigen Paragraphen.
3) Sem Kuli vurde, nach Melnikof, von den christianisierten Mordwinen auf Jesus
übertr.i
4i Über eine Ausnahme später.
6| „Guardian oi the lime" gibt Avercromby in seiner englischen LTbersetzung.
§ 286. Frühlings- und Sommerfeste verschiedener Arten. 395
Die Herrin des Hauses reicht nun Eier, Hirse, Mehl und Butter l) durch
das Fenster, wovon die Fahrerin des Zuges aber nur die Eier in Empfang
nimmt, während es einer Tochter, Nichte oder sonstigen Verwandten der
Geberin zukommt, das Mehl und die Butter zu nehmen. Beim Darreichen der
Gaben betet die Frau: ..Ange Patyai Pas, liebe Mutter, bewahre dein teures
Kind-'), daß kein böser Mann sich in sie verliebe und ihr den grünen Kranz
(Jnngfrauschaft ?) wegnehme."
Die Gaben werden in die Körbe der parindyaits gelegt; die Mädchen
bilden einen Kreis und singen der Tochter des Hauses zu Ehren ein Dankes-
lied, wozupulaman gespielt wird, und zwar ist in Saransk uudKrasnoslovodsk
der Text der Hauptsache nach mordwinisch, obgleich die Sängerinneu ihn
nicht mehr ganz verstehen. - - Doch kommen auch russische "Wolter und Spuren
finnischer Ällitratioii und finnischen Versmaßes vor.
Ich übersetze hier aus dem Englischen Avererombys eines dieser Lieder:
„Kleine Herrin. Kitty, Rätchen,
Stolz hat Kitty sich gekleidet.
Stolz und vornehm ist ihr Gang8).
0! Welch (schöne) Strümpfe von Sarätof!
0! Der hohe Absatz auf den Schuhen!
Auf dem Hemd hat sie sechs Streiten.
Auf dem Kaftan zehn Volants,
Das Hemd gestickt mit zartem Kot 4)." —
Der Text lautet:
„Käti Katerka materka,
Katerka yaköi shchogolsta.
Kati shchogolsta, chuvansta.
Yai Saratovskoi chyulkasi.
Seri kochkeri bäshmaksa,
Köta kvälmasa palyasa.
Kern kaftova rutsyasa.
Yai. päli sarva shtofnoisa." —
Während der Prozession wiederholen die bekränzten Mädchen singend
die Bitte an Ange Patyai und Nishki Pas um Bescheidenheit und um einen
Bräutigam, welche sie beim Aufhängen der Kränze über ihren Betten und vor
den Wohnstuben ausgesprochen hatten.
Nachdem die Mädchen genügend Gaben gesammelt haben, begeben sie
sich gegen Abend mit ihren geputzten Birkenbäumchen singend an eine Quelle
oder an irgendein fließendes "Wasser. Das auf diesem Gang gesungene Lied '
ist halb heidnischen, halb christlichen Inhalts und wird nach Avercromby auch
von der russischen Landbevölkerung gesungen, und zwar am Vorabend von
Semik, dem siebenten Donnerstag nach Ostern. Ich übersetze aus dem Eng-
lischen nur die erste Strophe:
„Segne uns. o Dreifaltigkeit'/:
Auch du, Gottes Mutter.
Da in den Wald wir gehen.
') Nach einer anderen Stelle hei Avercromby wird an diesem Abend auch Malz, Honig
und Getreide gesammelt, und die Mädchen entblößen sich beim Keichen dieser Gaben die
Schultern.
2) Nach dem Obigen scheint unter diesem teuren Kind die Tochter der Geberin gemeint
zu sein, die Gabe, von Avercromby auch „Opfer- genannt, für das Wohl dieser Tochter ge-
reicht zu werden. Daß es eine Opfergabe ist, geht auch aus dem obigen Gebet hervor.
3) Ein Hauptvorzug in den Augen der Mordwinen.
*) Rose of dawn: Nach Avercromby gehört all das zur wirkungsvollen Erscheinung
eines Mordwinen-Mädchens.
6) Avercromby meint wohl nicht mit Unrecht, daß früher statt der Dreifaltigkeit des
christlichen Glaubens der Cham Pas (Schöpfer). Nishki Pas und Ved Pas des Mordwinen-
Glaubens augerufen worden waren. (N. P. als Sohn und V. P. als Enkel der Göttermutter
Auge Patyai.)
396 Kap. XLI1I. Festfreuden der Kinder. Christliche und vorchristliche Erinnerungen usw.
Kränze zu flechten
Aus Zweigen der Birke.
Oi Did Lado!
Mein winzig Birkenbäumchen .'• —
Am Wasser angelangt, pflanzen die Mädchen ihre geschmückte Birke
auf oder berauben sie ihres Schmuckes, um diesen einer dort wurzelnden Birke
anzulegen. Hierauf bilden sie um den Baum einen Kreis, und eine der parindyait
fordert zum Schweigen auf. „Sakmede!" ruft sie, und alles schweigt. Nun
betet die Zugführerin: ..Kyolu Bas! viuiman mon (Birkengott, erbarme
dich unser). - - Ange Patyai Pas, gib uns Gesundheit!" — Nun verneigen sich
die Mädchen dreimal tief vor der Birke, nehmen sich die Kränze von den
Häuptern und werfen sie ins Wasser. Schwimmt der Kranz eines Mädchens,
so bedeutet das dessen baldige Verheiratung; sinkt er. dann stirbt das Mädchen
bald. Hierauf entkleiden sich die Mädchen, waschen im Wasser die Füße,
lösen von der Birke die Bänder und den andern Schmuck ab und werfen den
Baum in ein angefachtes Feuer, auf welchem nun die Opferpfannkuchen für
Kyol ozais, den Birkengott, bereitet werden. Sind diese fertig, so ertönt
abermals der Ruf der Führerin „Sakmede!" Dann betet sie zuerst zu Cham
Pas, dem Schöpfer, hierauf zu Ange Patyai um Gesundheit und gute Bräutigame,
und schließlich zu Kyol ozais, dem Birkengott, welchem die Pfannkuchen mit
einem dreimaligen Emporheben der Pfanne als Opfer1) dargebracht werden.
Dann folgt das Mahl, welches nach dem Gesagten eine Opfermahlzeit ist.
Wenn alles aufgezehrt ist, winden die Mädchen einen großen Kranz
aus Birkenzweigen und küssen sich, nachdem sie ein Lied2) gesungen, gegen-
seitig durch diesen Kranz. Sie nennen das „Pathinnen-Machen". Nach dieser
Zeremonie kehren sie singend in ihr Dorf zurück.
Auch an dem tags darauf stattfindenden Fest der ganzen Gemeinde
spielten früher die Mädchen eine bedeutende Eolle. Wenn jung und alt,
.Männer und Weiber sich zu der Ange Patyai geheiligten Opferstätte i Keremet)3)
begaben, führten drei Mädchen das einjährige Opferschaf, das sie in
einem Bach gereinigt hatten, und welchem sie bisweilen Birkenzweige an die
Hörner banden. -- Bei zahlreicher Teilnahme am Opfer wurden auch zwei, drei
und mehr Schafe gekauft. Immer aber mußte der Kaufpreis von den parindyaits
und yanbeds(?) gesammelt werden. - Am östlichen Tor des Keremet an-
gelangt, übergaben die Mädchen das Schaf den „posanbunaveds" zur Schlach-
tung. Sie selbst gingen mit den anderen Mädchen zur heiligen Birke, die
etwas nördlich vom Mittelpunkt der Opferstätte stand, und stellten sich vor
ihr auf, indem sie mit Tüchern geschmückte Birkenzweige in den Händen hielten4).
Hinter den Mädchen standen die Frauen, und hinter diesen die Männer. -
Die Mädchen wählten an diesem Feste drei aus ihrer Mitte, die aus
gesammelten Eiern Pfannkuchen zu backen hatten, und wiederum waren es
die Mädchen, welche an dieser Opferstätte zuerst pure (Bier), Schaffleisch,
Suppe und Pfannkuchen erhielten. Der vosatya warf ihnen vom hl. Baum
x) Der Vorabend dieses Sommerfestes scheint also in erster Linie den Birki
geehrt zu haben. Da aber die Birke der heilige Baum der Ange Patyai war, ist wohl ein
wesentlicher Unterschied zwischen beiden Gottheiten überhaupt nicht anzunehmen. Die Opfer
dieses und des folgenden Tages kommen jetzt nicht mehr, oder wohl nur im geheimen
vor. Wie schon früher erwähnt, fand ja das letzte öffentliche Opfer der Mordwinen nach
heidnischem Ritus im Jahre 1813 statt.
-i Dieses, sowie das auf dem Heimweg gesungene Lied siehe Averoromby, The Beliefs
usw. in: -Lore Journal, Vol. VII. p. 112.
s) Hier handelt es sich offenbar nicht um die Opferstätte einer Familie, sondern um
die der ganzen Gemeinde, also um ein öffentliches Opfer, wie es vor 1813 dargebracht wurde.
B n und. wie früher mitgeteilt, mit dem Gürtel der Zugführerin
geschmückten Birkenzweige sind wohl das Urbild unserer Maibäume: Bilder der Frucht-
barkeit ! lis
§ 286. Frühlings- und Sommerfeste verschiedener Arten. 397
aus. auf den er zur Leituug des Opferfestes gestiegen war, mit dem Mund
Birkenzweige zu, welche von den Mädchen gesammelt und zu Kränzen für
ihre Häupter gewunden wurden. Singend gingen sie nach dem Opfer der
Männer und Frauen zu einem fließenden Wasser, entkleideten sich, wuschen
sich die Füße, „machten Pathinnen", indem sie sich durch Kränze küßten, und
warfen schließlich ihre Kränze und Zweige ins Wasser ') (Melnihof-Avercromby). -
Zu den Sommerbräuchen lassen sich auch die folgenden in Armenien,
Mesopotamien und Trapezunt rechnen; denn sie sollen Regen zur Folge
haben. Wenn nämlich in Egin in Armenien Eegen gewünscht wird, dann
fertigen die Knaben aus zwei kreuzweise gelegten Stöcken, alten Kleidern
und einer Mütze eine Regenpuppe, die sie „Chi-Chi-Mama" (eingeweichte
Mutter) nennen und in der Stadt herumtragen, während das Volk von den
Dächern Wasser auf die Puppe heruntergießt. Unterwegs entspinnt sich das
folgende Zwiegespräch: ,,Was will Chi-Chi-Mama?" „Sie will Weizen,
Boulgour usw." — „Sie will Weizen in ihren Kasten, Brot an ihren Haken
und Regen von Gott." - - Auf diesem Umzug sammeln die Knaben in den
Häusern der Reichen Gaben ein.
In Orfa. Mesopotamien, nennen die Kinder die von ihnen bei Trocken-
heit gemachte Puppe „Chiuche-gelin", was „Schaufelbraut," bedeutet. Auf dem
Umzug mit ihr lautet die Antwort auf die Frage nach ihren Wünschen: „Sie
wünscht, von Gott Barmherzigkeit; sie wünscht Lämmer- und Widderopfer."
Das Volk erwidert auf dieses: „Gib, mein Gott, gib Regen, gib eine Flut." —
Dann wirft man die Regenbraut ins Wasser.
In Trapezunt wird die von den Kindern gemachte Regenpuppe bräutlich
verschleiert und gekleidet2) (J. Bendel Harris). —
Als ein Erlöser vom bösen Zauber erscheint der Lenz in einem alten
Kinderliedchen in cttmani scher Sprache3), welches Gejza Kuun veröffent-
lichte, Jones und Kropf ins Deutsche übersetzten, und welches in dieser Über-
setzung lautet:
,,Wolan, wolan, ich löse das Gelübde,
Der Lenz ist da!
Mit Gebeten, Zauberzeichen
Mache ich den Zauber
Unschädlich. Ich preise dich!
Es ist nur ein Gott.
Mit Gebeten preise ich dich." —
„Dem Frühling jubeln die Kinder allenthalben entgegen" schrieb P/o/;'4).
„AVie noch heute bei Beginn dieser schönen Jahreszeit die Kinder die ersten
Veilchen suchen, so geschah es auch im Mittelalter. Das erste Veilchen
wurde jubelnd ins Dorf getragen; der glückliche Finder rief:
„,,ir sult alle wesen fro,
ich han den summer fanden ""
Dann ward es auf eine Stange gesteckt und umjubelt und umtanzt5). Noch
im Mittelalter galt der Brauch: „„die Zeit empfangen"", oder den „„Sommer
empfahn"". — Ebenso wurde der erste Maikäfer eingeholt, die erste Schwalbe
und der Storch begrüßt. Die Türmer der Städte hatten die Pflicht, die An-
») Die auffallend ähnlichen Bräuche, welche wir in diesem und dem vorhergehenden
Kapitel bei den Mordwinen, Germanen und andern europäischen Völkern fanden, legen
eine gegenseitige innige Berührung dieser Völker in früheren Zeiten nahe.
2) Vgl. das Regenmädchen, Dodolo, der Rumänen in Ungarn in Kap. XL.
3) Die alte Sprache der Magyaren. Nach Gejza Kuun war das Cumanische ein
türkischer Dialekt.
4) 2. Aufl. II, 379. Anm.
8) Nach J. Grimm taten das auch erwachsene Bauern.
398 -Kap. XLIII. Festlieuden der Kinder. Christliche und vorchristliche Erinnerungen usw.
kunft dieser Vögel anzublasen, wofür sie einen Ehrentrunk aus dem Rats-
keller erhielten1).
Auch Schwalbe und Lerche waren und sind als Boten des Frühlings in
Kinderhänden. Fr. Huhn- schrieb"): Wie die Kinder von Rhodos, ziehen auch
heutzutage in Kleinrußland und Bulgarien im Anfang des März die Kinder
von Haus zu Haus, besingen den Frühling und tragen eine hölzerne Schwalbe
oder Gebäck in Form von Lerchen herum. — Die Schwalbe steht bei den
Slawen wie bei den übrigen Völkern in hohem Ansehen; sie heißt bei den
Tschechen der „Vogel der Jungfraud Maria", bei den Russen „der heilige"
oder „göttliche", in Deutschland oer Herrgottsvogel, bei den Franzosen
„La poule de Dieu". —
Andere Frühling sbräucke wieder lernen wir aus folgendem keimen:
Die oberdeutsche Dorfjugend legt Haselgeschosse auf den Weidenbogen,
um sie als „Blitzpfeile bis über das Beckenhaus hinüber" zu schießen. Sie
sollen das Märzgewölke durchbohren und der Sonne den Weg bahnen, daß sie
die Saaten wieder erwärmen und den „Beckerwecken'' reifen lasse. — Rochholz
und ühland brachten diesen Brauch mit der altnordischen Sage vom Ober-
wandil, d. h. dem mit dein Pfeil Arbeitenden, bzw. dem aufschießenden Frucht-
keim, in Verbindung3).
[m Rhöngebirge ziehen in den Dörfern zur Zeit des Frühlingsanfanges
Knaben von Haus zu Haus und bieten ein aus Buchs geschnittenes primitives
Modell eines Pfluges an, wobei sie ein 'Sträußchen tragen, das Glück ver-
heißen soll (Aug. Schmidt).
Bekannt ist das Hussiten- oder Kirschfest in Naumburg a. d. Saale,
welches die Sage damit begründet, daß bei der Belagerung der Stadt durch
die Hussiten sich deren Anführer Prokop von 559 weinenden Kindern zum
Abzug habe bewegen lassen und die Kinder mit Kirschen bewirtet habe.
Seitdem hatten die Kinder das Recht, am 28. Juli in einen Buchenwald zu
ziehen, sich daselbst Laubhütten zu machen und Obst in einem bestimmten
Umkreise abzupflücken. Abends kehren sie, grüne Zweige schwingend, unter
Musik heim. - - Nach neueren Forschungen kamen aber die Hussiten Dicht
nach Naumburg. — Vielleicht geht das Fest auf ein älteres Sommerfest zurück,
nach Art jener, die wir in diesem Kapitel zur Genüge kennen gelernt haben.
Ähnliches wie von Naumburg teilt Floß von Camenz mit, wobei er
wohl die Stadt Kamenz in der Kreishauptmannschaft Bautzen im Auge hatte.
Er schrieb: „Ähnliches wird von einer, Forstfest genannten, zu Camenz
gebräuchlichen Schulfeierlichkeit erzählt; auch hier sollen die Schulkinder
durch Bitten den Feind abgehalten haben, die Stadt4) zu plündern; deshalb
habe ein Fleischer zum Andenken an das abgewendete Unglück als Vermächtnis
den ihm gehörenden Forst dazu bestimmt, daß sich die Kinder in ihm während
der Bartholoinäuswoche vergnügen.
„Den noch an manchen anderen Orten" von Schulkindern ausgeführten
„Rutenzug", bei dem sie grüne Reiser aus dem Wald holen, nannte Plo/i6)
„entschieden" einen Rest altdeutscher Frühlingsfeier. — Im Mittelalter ver-
anstalteten nämlich die Lehrer mit ihren Schülern im Frühling Rutenzüge in
'i ./. Grimm, Deutsche Mythologie. L885, 4:«. (Nach Floß, ebenda, 315f.) — Der
Unterschied zwischen jetzt und früher ist der, daß früher die Erwachsenen vielfach die
Hollen unserer jetzigen Kinder spielten.
-) Die Erühlingsfeier der Slawen. Im Glob. 1880. Bd. 38, S. 326.
:ii Bei Floß, - \i.il II. 374.
'i Das i-hlesisehe Camenz ist ein Dorf.
i II. 382.
§ 28H. Frühlings- und Sommerfeste! verschiedener Arten. 399
den Wald, damit die Knaben ihre eigenen Straf Werkzeuge holten1). Ob auch
dieser Brauch sich auf einer vorchristlichen Frühlingsfeier aufbaute? —
Laubmännchen als Symbole des Frühlings lernten wir in diesem Kapitel
bei verschiedenen Kinderfesten verschiedener Völker kennen.
Hier möge nochmals seiner in Wort und Bild (Fig. 373) gedacht werden,
und zwar als Brauch in Thüringen.
Wenn die Bcäume zu grünen anfangen, gehen in Ruhle, Thüringen,
die Kinder an einem Sonntag in den Wald und wählen aus ihrer Mitte das'
„Laubmännlein" aus. Der Knabe wird über und über mit Zweigen bedeckt,
so daß nur noch die Schuhe herausschauen. Damit er sehen kann, macht
man Löcher in seinen Laubmantel, und nun führen ihn zwei Kinder unter
Fig. 373. Ein „Lauhniänncheu" aus Thüringen. Postkarte in der K. Sammlung für deutsche Volkskunde
in Berlin.
Gesang und Tanz von Haus zu Haus, wobei um Geschenke in Eßwaren ge-
beten wird (Herbert M. Bower). —
In der Bretagne feiert die Jugend das aus der Druidenzeit stammende
Junifest. Jünglinge und Mädchen versammeln sich an einem Samstagnach-
mittag um ein altes keltisches Steindenkmal. Die Burschen tragen grüne
Ähren an den Hüten; die Mädchen himmelblaue Leinblüten am Busen, die sie
bei ihrer Ankunft auf einen Druidenstein niederlegen. Diese Blumen sollen
so lange frisch bleiben als die Treue der Liebenden währt. Dann folgen
geheimnisvolle Zeremonien, worauf um den Druidenstein getanzt wird. Dazu
singen sie das Junifestlied:
„Da kommt der Juni wieder, bald wird es Sommer sein,
Da überall mit Knaben lustwandeln Mägdelein usw."
Nach Sonnenuntergang zieht die Jugend unter Absingung der letzten
Strophen des Liedes heim, indem sie sich bei den Fingerspitzen halten
(Heinrich Schoeri). —
]) Heuser in Wetzer und Weites K. L. 2. Aufl. 4. Bd., Sp. 1411.
400 Kap. XLIII. Festfreuden der Kinder. Christliche und vorchristliche Erinnerungen usw.
§ 287. Herbstfeste.
Verschwindend wenig Material liegt mir von Kinderfesten vor. welche
auf die durch ihren Erntesegen so willkommene Jahreszeit des Herbstes fallen.
Die Beteiligung der Knaben am altgriechischen Ernte- und Totenfest.
sowie die mit den Weihnachtsfreuden unserer Kinder vielfach eng verwandten
Bräuche au St. Nikolaus und im Advent sind im vorigen Kapitel behandelt
wurden. Hier sei nur zweier Herbstfeste gedacht, von denen das eine in
Wintert hur bereits in der 2. Auflage erwähnt war. Es trug nach Rochhole1)
einen kriegerischen Charakter. Unter Trommelwirbel und Pfeifen zogen die
Knaben der Stadt mit ihren Lehrern und dem Stadtrat auf den Lhnberg-'i.
Ähnliche Knabenfeste habe es in der Schweiz und im südlichenDeuts< li-
la n d mehrere gegeben. Die Kadettenfeste der Schweiz, das sogenannte Dätsch-
Schießen in Memmingen und andere kriegerische Übungen nach bestimmten
Regeln sollen sich daraus entwickelt haben.
In England fälltauf den 5. November ein Knabenfest, der Guy-Fawkes-
1 >av. welches zur Erinnerung an die Emtdeckung der geplanten Pulverexplosion
im Parlament am 5. November 1605 gefeiert wird. An manchen Orten, wo
diese ursprüngliche Bedeutung vergessen ist, begnügt sich die Jugend mit
Freuden teuer, künstlichen Feuerwerken und Maskeraden. Wo aber der Gedanke
daran lebendig geblieben ist, wird Guy-Fawks heutzutage noch in Gestalt
einer Strohpuppe verbrannt. In Ilfracombe sah C. S. Bv/rne am 5. Novem-
ber 1859 gar einen lebendigen Mann mit geschwärztem Gesicht herumtragen.
Andere gingen mit Bildern von Haus zu 'Haus und bettelten Geld. Wahr-
scheinlich waren das Abbildungen von Fawks und seinen Mitverschwörern,
denn nach Burne wurden die Bilder, welche Knaben an der Südostküste
von England im Jahre 1894 an diesem Tag siugend herumgetragen, danach
verbrannt. Übrigens verbrannten Schulknaben in Kirton an einem 5. Novem-
ber eine Puppe, welche einen ihnen verhaßten Lehrer darstellte. Auch Bilder
anderer unbeliebter Persönlichkeiten endeten auf diese Weise. Von Guy und
Pulverexplosion scheine man da nichts mehr zu wissen, obgleich ein Lied der
südöstlichen Küste gegen das Vergessen des Attentats mit den Versen protestiert:
..I see no reason,
\vh\ Gunpowder Treason
should ever be forgot." —
Ein Herbstfest für Kinder in der Bretagne schilderte neuestens Heinrich
Schoen. Es wird den Kindern gegeben, weil diese die meisten Herden weiden,
weshalb es auch „Hirtenfest" heißt. Es findet gegen Ende des Herbstes statt.
Man führt dann die Knaben und Mädchen von 8 — 13 Jahren auf die schönste
Weide des Kirchspiels, läßt sie liier spielen und tanzen, bewirtet sie mit
Kuchen, Obst und andern Lieblingsspeisen und mit einem reichlichen Abend-
brot. Am Ende des Mahles erhebt sich ein Greis und trägt den Kindern
eine Art Katechismus (?) in Versen vor, ein ausführliches Gedicht, an welchem
Jahrhunderte gearbeitet haben und aus welchem auch den kleinen Kindern
manche Strophen eingeprägt werden. Auf dieses Gedicht folgen wieder Tänze
bis nach Sonnenuntergang. Dann zieht alles heim. Auf diesem Gang singen
die ältesten Kinder ein beliebtes Hirtenlied, dessen erste vier Verse nach
Schoens Übersetzung lauten:
,,Sonntag morgens, als ich aufstand und hinaus die Kühe trieb,
Hört ich — gleich die Stimme kann! ich — singen schön mein trautes Lieb.
Ich vernahm den Sang der Süßen, der vom Berge klang so hell.
Und sogleich zu ihrem Preise macht ich dieses Liedchen schnell."
') Rochhol . Alemann. Einderlied, S. 180 (bei Ploß II, 382).
2) In diesem Berg wurden nach Ploß Opfergeräte und Götterbilder gefunden.
§ 288. Geburtstage und ähnliche Feste. Religiöse und profane Bräuche. 401
§ 288. Geburtstage und ähnliche Feste. Religiöse und profane Bräuehe.
Etwas mehr Material als über Herbstfeste der Kinder liegt mir über
Geburtstagsfeiern vor. Der modernen Geschenke und Bräuche in unserem
Kulturmilieu wird hier, was fast selbstverständlich ist. nicht gedacht. Leider
sind mir aber bisher auch von den altherkömmlichen nur sehr wenige zur
Kenntnis gelangt.
Was zunächst christliche Geburtstagsfeierlichkeiten betrifft, so schrieb
Adolph Franz1), im Mittelalter habe es in der lateinischen Kirche eigene
Messen für den Jahrestag der Geburt eines Kindes gegeben.
Als schlesischen Volksbrauch erwähnt Drechsler, daß das Kind am
Jahrestag seiner Geburt von seinen Paten das Jahrkleidchen erhalte; die
eiste Jungferpate müsse diesem „Jahrkledla" einen Myrtenkranz und ein
Häubchen beifügen. So geschmückt, werde das Kind in die Kirche um den
Altar getragen, wobei das Kindermädchen eine myrtenumwundene Kerze halte
und Opfergeld niederlege.
Dieser Brauch in der Kirche scheint jedoch in Schlesien nicht allge-
mein zu sein. Wenigstens sah ich ihn in Breslau nicht: wohl aber ist mir
bekannt, daß in Waidenburg das Kind an diesem Tag, auf obige Weise
beschenkt, in die Kirche getragen wird. Das Myrtenkränzchen befestigt man
ihm für diese Begebenheit an das Kleidchen'-). —
Nach Drechsler legt man dem schlesischen Kiud an diesem Tag Geld,
Brot und Gebetbuch, bei Katholiken auch einen Rosenkranz vor, und beurteilt
seine Zukunft je nach dem Gegenstand, welchen das Kind zuerst ergreift3). —
Kuchen und andere Geschenke werden dem Kind in der Grafschaft Glatz
vom 2. Lebensjahre an gegeben. Dabei ist es vielerorts Brauch, auf den
Geburtstagskuchen ein größeres, und um dieses so viel kleinere Lichter zu
stellen, als das Kind Jahre hinter sich hat. Das größere ist das „Lebenslicht".
Interessant ist der gleichfalls von Drechsler mitgeteilte Brauch, daß in
Schlaupitz, Mittelschlesien. Schulknaben an ihrem Geburtstag von ihren
Kameraden tüchtig Prügel bekommen, damit „das Fleisch im Grab besser
faule".
Am Namenstag wurde man in Schlesien früher „gebunden". In Ober-
schlesien (Leobschütz, Ratibor und Rybnik) schlingt man heutzutage noch
dem Namenstagskinde, sei es Beamter oder Gutsherr, einen Strick oder ein Stroh-
seil um die Füße. Man löst sich durch ein Geldstück von diesen Banden los. —
Das Binden am Geburtstag wurde nach Drechsler wahrscheinlich vom Namens-
tag entlehnt, —
Geburtstagsbräuche gibt es auch in Indien. Helene Niehus erwähnt
eine dortige Geburtstagsfeier, aber nur für die Knaben. Die Hindufrauen
feiern jede Begebenheit im Leben ihrer Söhne, schreibt sie, weil sie nur durch
ihre Söhne zu Ansehen gelangen. Der Tag der Geburt, der Tag der Namen-
gebung, der Tag, an welchem der Sohn zuerst feste Speisen genießt, der erste
Haarschnitt4) und der erste Schultag werden gefeiert. Große Eßgelage, reiche
Opfer an die Brahmanen und Vorführungen von Tänzerinnen sind die Haupt-
ereignisse an solchen Festen.
Aus Mungeli Tehsil im Bilaspur-Distrikt teilt E. M. Gordon
folgende Feier nichtarischer Eingeborher mit: Ungefähr ein Jahr nach der
Geburt des Erstgebornen eines Mannes, der seinerseits gleichfalls Erstgeborner
>) D. Kirchl. Bened. 2, 209.
2) Das Jahrkind, welches bereits selbst um den Altar geht, bleibt klein, heißt es in
.Ratibor (Drechsler).
3) Wir erfahren später einen ganz ähnlichen Aberglauben aus China.
4) Solche Festtage wurden in früheren Kapiteln beschrieben.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 26
402 Kap. XLIII. Festfreuden der Kinder. Christliche und vorchristliche Erinnerungen usw.
war. bereiten sich die Mitglieder der Familie, abgesehen von den außerhalb
des Hauses verheirateten Töchtern, doch einschließlich der hereingeheirateten
Schwiegertöchter, durch einen Fasttag auf ein Opfer vor. Dieses wird in
der folgenden Nacht in Gestalt einer schwarzen Ziege (bei den Gonds oder
Ghassians eines Schweines) dargebracht. Ist das Tier einmal im Hause, dann
darf es nicht wieder hinaus, es darf aber auch kein Teil von ihm hinaus
kommen. Alle Fastenden sind beim Opfer gegenwärtig. Man tötet das Tier
in der Nacht, kocht und verzehrt es. Die Reste begräbt man in einem Loch,
das man. ehe das Tier getötet wird, innerhalb des Hauses neben dem Haupt-
eingang gräbt, — Gordon weist auf die Ähnlichkeit dieses Opfers mit dem
jüdischen Osterlamm hin, bemerkt aber auch, daß die Brahmanen von diesem
der „Mutter Nacht" (Rät Mai) gebrachten Opfer verächtlich sprechen.
Fig. 37-t. Kirgis-Kaisuken. Schvan phot. Im K. Ethnograph. Museum in München.
Der Geburtsgöttin Ts' oei-cheng-gniang-gniang bringt der Chinese der
Provinz Kan-su ein Opfer dar, wenn sein Kind ein Jahr alt geworden ist.
Außerdem zündet er vor den Seelentäfelchen seiner Ahnen Weihrauch an,
stellt eine Getreideschwinge auf einen Tisch, setzt das kleine Kind darauf und
legt ringsum verschiedene Gegenstände, z. 13. ein Buch, eine Geldwage, ein
Rechenbrett, Pinsel, Schmucksachen u. dgl. Alle Anwesenden beobachten
nun das Kind genau, um zu erkennen, was aus diesen Gegenständen dessen
Aufmerksamkeil erregt. Daraus glauben sie dann einen Schluß auf seine
Zukunft ziehen zu können. Greift das Kind nach dem Buche, so wird es ein
großer Gelehrter, greift es nach dem Rechenbrett, ein reicher Mann usw. (Dols).—
W ir haben hier also den gleichen Aberglauben wie in Schlesien.
\ndere Feste feiert man in Peking am Abschluß des ersten Lebens-
monates und am hundertsten Tag. An jenem Tag bringt man dem Kinde
Geschenke and wird dafür zu einem Mahl geladen, mit welchem oft Gesangs-
vorträge und Theatervorstellungen verbunden sind. Ähnlich verläuft der
huii Pag. Festgäste sind die Eltern und Geschwister der Mutter und
die Verwandten des Vaters (Stern, nach Qrube).
Geburtstage und ähnliche Feste. .Religiöse und profane Bräuehe.
403
Die Papuas in Kaiser-Wilhelms-Land erneuern nach Zurücklegung
des 10. Jahres des Erstgebornen das Festmahl, welches die Dorfweiber den
männlichen Verwandten des Kindes bei seiner Geburt bereitet hatten. Diesesmal
schließt sich dem Mahl auch ein Tanz an (Krieger).
Bei den Mongolen sind religiöse Zeremonien und Gebete mit dem
„Mengeia dsasal", d.h. mit der alle neun Jahre wiederkehrenden Erinnerungs-
Eeier der Geburt und mit dem alle zwölf Jahre wiederkehrenden Geburtsjahr
im mongolischen Jahreszyklus verbunden (M. von Beguelin, nach Posdnäjew).
Die Kirgisen im Gebiet Semipalatinsk feiern ein Fest, wenn das Kind
drei Jahre alt ist und zum erstenmal feierlich auf ein Pferd gesetzt wird.
Zu dieser Zeremonie werden, wie bei jeder Festlichkeit, mehrere Stück Vieh
Fis
Kara-Kirgisen-Familie. Schwan phot. Im K. Ethnograph. Museum in München.
geschlachtet, die Nachbarn geladen, und eine Bewirtung findet statt, bei
welcher die Männer getrennt von den Frauen essen. Nach dem Mahle be-
lustigt man sich mit Scherzen und AVettläufen, worauf die Männer bis auf
einen einzigen gehen, der bei den Frauen zurückbleibt. Dieser Mann ist der ange-
sehenste des Auls. - - Die Frauen holen nun das Kind aus der Jurte; die Eltern
übergeben es dem Mann, und dieser reicht es einem Dschigit (Reiter) aufs
1 'ferd. welcher mit dem Kind durch den ganzen Aul reitet. Jedermann schenkt
dem Kind bei dieser Gelegenheit etwas. Gewöhnlich erhält es (von seinem
Vater?) einen Hengst, welcher von der Lieblingsstute in dem gleichen Jahr,
wie das Kind, geboren ist. Beide werden gemeinschaftlich aufgezogen. Zu
dieser Mitteilung bei Plofs'1) möge hier noch beigefügt werden, daß Brehm
i) 2. Aufl. I, 73.
L'C*
40-1 Kap. XLIII. Festfreuden der Kinder. Christliche und vorchristliche Erinnerungen usw.
als Alter des Bandes vier Jahre angab. Nach Brehm gibt es für diesen
feierlichen Akt eigene Kindersättel, die sieh in den Familien forterben. —
Im alten Amerika war der jährliche Geburtstag- eines Maya -Kindes ein
Freudenfest, wie Banerofi schreibt. Nach Torquemada wurde in Guatemala
der Geburtstag- bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres jährlich mit Gastereien
gefeiert.
Die zur X ah ua- Gruppe gehörigen Mixteken feierten nur den ersten
Jahrestag der Geburt ihrer Kinder (Bancroft). —
§ 289. Kinderrollen bei Hochzeiten.
Einen rätselhaften Hochzeitsbrauch, an dem Knaben beteiligt sind, hat
Missionar OttoMeyeryon der Insel Vuatom im Bismarck- Archipel mitgeteilt:
Fig. S76. Kling- K Inder
Dravida im südlichen Vorderindien, einen Hochzeitstanz aufführend. Im K.
Museum für Völkerkunde in Berlin.
Hier werden nämlich vor der Hochzeit eines Paares zwei Knaben an-
gefangen und versteckt, und zwar geschieht das durch die Partei des Bräutigams,
welche die Frau zu kaufen hat. Dann baut man eine Hütte, verziert sie mit
wohlriechenden Blättern und Kräutern und umzäunt sie. Von diesem um-
zäunten Platz, auf welchem die Hütte steht, dürfen die Knaben sich nicht
entfernen. Ebensowenig dürfen sie von Frauen gesehen werden: sonst würden
erkranken.- Miese [solierung der Knaben scheint mehrere Wochen zu dauern.
An der Verherrlichung einer Hochzeit beteiligt sehen wir auf Fig. 376
Kinder der Kling (Telugu oder Telinka).
Rolle des Liebesgottes scheint ein Knabe bei den Hochzeiten der
Rumänen in Siebenbürgen zu spielen. "Wenn nämlich am Hochzeitstag
der Bräutigam seine Braut mit feierlichem Geleite von ihrem Elternhaus
§ 289. Kinderrollen bei Hochzeiten. 405
zur Kirche abholt, dann tritt ein Knabe, womöglich ein Sohn des Beistandes,
als Bogenschütze auf. Er trägt einen mit Blumen und Bändern geschmückten
Bogen, zielt in der Stube der Braut zuerst nach dem Herzen des Bräutigams,
dann nach jenem der Braut, und haben sich hierauf die beiden schweigend
die Rechte gereicht, schießt der Knabe seinen Pfeil zur offenen Tür hinaus
zum Zeichen, daß die Brautleute mit der Schnelligkeit eines Pfeiles zur Kirche
aufbrechen sollen (?). ..In alten Zeiten," schreibt Robert Prexl, ..erschienen bei
der Beschenkung der Braut durch die Gäste drei Knaben mit den Gaben der
Beistände. Der eine brachte drei Stritzel an einem Stock, der andere einen
Lungenbraten in der Hand und ein Gefäß mit Wein auf dem Kopfe, der dritte
ein Lamm oder Schaf auf dem Rücken1)." —
l) Es sei hier zu den Kapiteln XLI, XLII und XL1II noch folgende Bemerkung ge-
stattet: Xeuestens (1912) beweist Aufliauser, daß das christliehe Weihnachten an Stelle des
ägyptischen Geburtstages der Sonne (25. Dezember) getreten ist. Das älteste Zeugnis
für dieses Sonnenfest in Ägypten finde sich im Kalendarium des Antiochus (herausgegeben
und erläutert von Fr. Boll) für zirka 200 nach Chr. — Der römische Staatskalender ver-
bürge das gleiche Fest für Rom als Geburtstag des „Invictus", wie hier der Sonnengott
genannt ist, und zwar für den 25. Dezember 354 nach Chr. Die Römer verbanden mit diesem
Ifest Zirkusspiele. Auch Feuer wurden von den ..Heiden" angezündet; ob nur in Rom,
oder auch in Ägypten bezeichnet Aufhausen nicht näher. Wahrscheinlich war es hier und
d<>rt. Angezündete Feuer zur Zeit der Sommersonnenwende bei Hamiten, Semiten und
Indogermanen haben wir ja in diesem Kapitel ohnehin schon kennen gelernt, uud auch in
anderen Zeitmonaten und bei anderen Völkerfamilien sind uns Feuer uud Sonne als Symbole
der Fruchtbarkeit, bzw. als deren apotheosierte Prinzipien oft entgegengetreten. Die Ägypter
verlegten zweifellos den Geburtstag des Sonnengottes auf ein der Sonnenwende so nahes
Datum aus dem gleichen Grunde, aus welchem diese selbst bei Völkern verschiedener Rassen
gefeiert wird. d. h. weil sie in der wiederkehrenden, also neugebornen Sonne, die
Quelle, bzw. das personifizierte Prinzip, des Lebens für Mensehen, Tiere und Pflanzen
sahen. Der vorchristliche Grundgedanke der in diesem und dem vorigen Kapitel behandelten
Feste, d. h. der Gedanke der Fruchtbarkeit bleibt also auch nach der Tatsache besteben,
daß bei der Fixierung des christlichen Weihnachtsfestes der ägyptisch-römische Ge-
burtstag der Sonne eine hervorragendere Rolle spielte, als der germanische,
oder irgend ein anderer Kult der Fruchtbarkeit.
Kapitel XLIV.
Pflege, Abhärtung, Charakterbildung und körper-
liche Züchtigung des heranwachsenden Kindes.
§ 290. Die Kapitel XI— XIV, XXV. XXVI. XXVIII, XXXIII. XXXIV
und XLI behandelten die erste Hautpflege und die Hülle des Säuglings.
sein Lager, sein Schaukeln, Wiegen und Tragen und seine Ernährung, di<
Pflege des kranken und die sympathetische Behandlung des gesunden Kindes,
die mit dem Zahnen verbundenen Anschauungen und Bräuche, sowie die
Bekleidung des heranwachsenden Kindes1). Viele und wichtige Momente der
Kindespflege bzw. Kindesabhärtung' haben—wir also bereits kennen gelernt.
Andere, welche in den Rahmen jener Kapitel nicht paßten, mögen hier eine
Stelle finden, zumal die körperliche Pflege des größeren Kindes kein un-
wichtiger Faktor bei dessen Charakterbildung und Erziehung ist. Wir dürfen
auch nicht vergessen, daß der ganze bisher und in der Folge noch zu behan-
delnde Stoff des vorliegenden Werkes einer Fülle von pädagogischen Faktoren
gleichkommt, insofern das Kind mit seinen äußern und innern Sinnen das
Leben seiner Umgebung mitlebt und dadurch zu einem Menschen wird, der
in seine Umgebung hineinpaßt und, wenn selbst einmal Vater oder Mutter,
sein Kind in der gleichen Weise großzieht und bildet, in welcher es selbst
großgezogen und gebildet worden war. Deshalb unterscheidet sich z. B. die
„Dämonenfurcht-' in § 296 als pädagogischer Faktor nicht wesentlich von
Dämonenglauben seiner erwachsenen Umgebung, den die Kapitel V und
VI so ausgiebig nachgewiesen haben, /war wirken die dem kleinen Kind
angehängten Amulette und andere Schutzmittel gegen Dämonen und den bösen
Blick im kleinen Kind nicht furchterweckend, wie manche der in § 296 ange-
führten Auffassungen und direkten Drohungen, aber sie verwachsen sozusagen mit
der Psyche in dem Maße, daß das zu Vater oder Mutter gewordene Kind auch
in dieser Hinsicht wieder tut. wie ihm getan worden war.
Ob die Erscheinungen, welche unter den Begriff „Abhärtung" des Kinde-.
fallen, auf zielbewußte Pädagogik oder aber auf Stumpfsinn und Vernach-
lässigung seitens der Eltern znrückführbar sind, dürfte bei manchen Völkern
schwer zu entscheiden sein. Fast scheint das letztere vorzuwiegen, was aller-
dings größtenteils mit hochgradiger Unwissenheit auf hygienischem Gebiet
entschuldigt werden kann. Somit braucht es uns nicht zu wundern, daß in
dem folveiidrii Paragraphen die Bemerkung „große Kindersterblichkeit" so oft
wiederkehrt8). Wir linden sie bei den alten Ägyptern so gu1 wie bei ihren
Nachkommen, den heutigen Fellachen, und bei den Somal in Ostafrika, den
anthropophagen Batak auf Sumatra, den Chinesen der niederen Volkskreise.
den Ostjaken, Eskimos und Pima-Indianern, also unter sehr verschiedenen kli-
rner das ..Ordnen" des kindlichen Organismus in Kap. X XXVII.
») Vgl. Kap. X\Y und XXVI
§ 890. Pflege, Abhärtung, Charakterbildung u. körperl. Züchtigung des heranw. Kindes. 407
matischen und auch kulturell verschiedenen Verhältnissen. Man liebt die
Kinder instinktiv, läßt sie aber in Schmutz und Insekten verkommen, über-
läßt sie tagelang sich selbst, nährt sie schlecht, setzt sie aller Unbill der
Witterung aus usw. Einzelne Völker, z. B. die transsylvanischen Zeltzigeuner
und die Somal. verweigern ihren größeren Söhnen direkt Obdach und Nahrung.
Hier allerdings scheint bewußter Zweck vorzuliegen: Bis zur Verliebung bzw.
Verheiratung hat der junge Mann unstet zu sein.
Andern Völkern wieder wird sorgliche, liebevolle Kinderpflege nach-
gerühmt. Es sind keineswegs nur kulturell hochstehende Völker. Die Neger
der Loango-Küste und die Papua sind darunter.
Wieder andere verweichlichen ihre Sprößlinge, schließen sie in Haus und
Hof ab, versagen ihnen dadurch die zu einer kräftigen physisch-psychischen
Entwicklung nötigen Vorbedingungen und ziehen so launische und von sich
selbst eingenommene Menschen heran. Beispiele hierfür sind die städtischen
Muselmanen in Persien, im arabischen Ägypten und in der Türkei mit ihrer
auf Harem und Hof beschränkten Kindererziehung.
Eine Reihe von Völkern hingegen, darunter unsere Vorfahren, die alten
Germanen, welche an Peinlichkeit zwar nicht hervorleuchteten, ferner die
alten Römer, Griechen und Perser halten ihre Söhne bzw. auch ihre Töchter
zur Gymnastik, zum Tanz, zum Ringen, Schwimmen, Jagen, Reiten usw. an
(vgl. S 300), wobei nicht nur ästhetische und bewegungsfrohe Gefühle auf
ihre Rechnung kommen sollen, sondern auch Tüchtigkeit im späteren Erwerb
und im Kampf für Familie uud Stamm oder Staat bezweckt wird.
Zweifelsohne beeinflußt all das auch die Charakterentwicklung des
Kindes, an welcher aber außerdem soziale und sittlich religiöse Begriffe und
Taten1) mitwirken. An die Untersuchung individueller Charaktere und
individueller pädagogischer Endziele kann das vorliegende Kapitel selbstver-
ständlich nicht herantreten; vielmehr muß es, der Anlage des ganzen Werkes
entsprechend, Völkercharaktere bzw. bewußte Endziele in der Völker-
pädagogik im Auge haben, und selbst diese Charakterisierung kann kaum
mehr als ein Versuch genannt werden, da sich die Berichte nicht selten wider-
sprechen, wo überhaupt mehr als einer vorliegt.
Trotz all diesem Mangel ist es von hohem Interesse, das Wesentliche
wenigstens dieser Berichte mit einem zusammenfassenden Blick zu streifen.
Ein solcher Überblick macht zunächst den Eindruck, daß nur ein Teil der
Menschheit (allerdings der überwiegende) Gehorsam, diese Grundlage aller
Pädagogik, in seinen Erziehungsplan aufgenommen habe. Bei manchen dieser
Völker artet die Erziehung zum vermeintlichen Gehorsam infolge einer un-
moralischen Übei treibung der Vater- und Herrschergewalt, hauptsächlich auf
den mittleren Kulturstufen, z. B. im bisherigen China, in Knechtung aus.
Das andere Extrem scheinen auf den ersten Blick jene Völker zu bilden,
welchen in den mir vorliegenden Berichten jede Kinderzucht abgesprochen
wird, was aber wohl mit Vorsicht aufzunehmen ist, da keinem Volk traditionelle
Vorstellungen und Bräuche fehlen, in welche die juuge Generation eingeführt,
also nach herkömmlicher Weise unterrichtet und herangezogen wird. Vielleicht
ist für eine solche Erziehung der Begriff „Stammerziehung" zulässig, welche
bei der verhältnismäßigen Freiheit der Stammesmitglieder freilich nicht so
straff ist wie die staatliche Erziehung in Sparta oder im alten Persien, oder
aber auch unter dem Afrikaner Umzilikazi (§ 298)-). Die Hauptrolle bei jener
Erziehung fällt dem Nachahmungstrieb des Kindes selbst zu, was auch Floß
') Vgl. die folgenden vier Kapitel.
8) Gemeinsame Erziehung der Knaben eines Stammes wird auch von den alten Kellen
berichtet (§ 300).
408 Kap. XLIV. Pflege, Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
betonte, als er schrieb, daß die auf tiefster Stufe stehenden Völker sich um
die moralische und intellektuelle Ausbildung ihrer Kinder nicht sorgen, und
daß somit der Nachahmungstrieb des Kindes frei zur Geltung komme. „Alles
Gute und alles Schlechte, das die Kinder um sich her von menschlichen Hand-
lungen sehen, wird ohne Auswahl je nach Lust und Belieben von letzteren
nachgeahmt. Das unterscheidende Urteil, ob das und jenes gut oder schlecht
ist. ob man dies oder jenes tun oder lassen darf, wird dem Kinde nie oder
nur selten beigebracht. Eine Besserung durch Strafen suchen die Eltern
nur insofern zu erzielen, als ihnen selbst die Untertänigkeit unter den elter-
lichen Willen, die häusliche Disziplin, nützlich erscheint"1).
I lieser ungezügelte oder mißbrauchte Nachahmungstrieb zeitigt bei Völkern,
welche das Weib entwürdigt haben, ein rohes Benehmen der Söhne gegen
ihre Mütter, wie das z. B. den neuzeitlichen Indern, den früheren Yiti-
Ensulanern und gewissen Indianerstämmen nachgesagt wird.
Nächst dem Verhältnis des Kindes zu seinen Eltern steht jenes zu
seinen Geschwistern, Verwandten und Bekannten. Die moslemische
Erziehung sucht dieses Verhältnis dadurch zu regeln, daß dem Kinde Unter-
würfigkeit gegen ältere Brüder, Anstand und Würde gegen die Gäste im
elterlichen Haus, aber auch fanatischer Haß gegen die Christen eingepflanzt wird.
Bescheidenheit und äußeren Anstand hatte ferner der junge Athener und
Römer im Umgang mit der Mitwelt zu beobachten; einfach, frei und doch
züchtig wollte man den Germanenknaben; wahrhaft die Söhne der alten Perser;
allgemeine Menschenliebe steht auf dem chinesischen Erziehungsprogramm,
Beobachtung der hergebrachten Umgangsformen, darunter ehrfürchtiges Be-
nehmen gegen Vornehme und gegen alte Leute hier und auf jenem der hinter-
indischen Laos; traditionelle Höflichkeit verlangen sogar die Ainos von ihren Söhnen,
und die Negervölker der Makua und Wayao in Deutsch-Ostafrika, welche ihre
Kinder so selten züchtigen, werden handgreiflich, wenn ein Bursche, der das
Pubertätsalter erreicht hat, jemanden beleidigt. Viel hielten auch die .Mexi-
kaner auf gesellige Formen. Ehrfurcht vor dem Alter verlangen die Ngyunba-
Neger und so manche Indianervölker von ihren Kindern, während wieder andere
Völker sowohl in Afrika als in Amerika alte, arbeitsunfähige Leute Dach
traditionellem Brauch aussetzen oder direkt töten. — Ehrfurcht vor dem
Gesetz war ein Grundsatz der spartanischen Erziehung und ist es noch bei
allen Völkern, die an ihren Überlieferungen festhalten; denn diese gelten ihnen
als menschliches bzw. als göttliches Gesetz.
Gottesfurcht spielt tatsächlich eine wichtige Rolle in den Erziehungs-
plänen der Völker. Wir finden sie im vorliegenden Kapitel ausdrücklich er-
wähnt nicht nur für die alttestamentlichen Juden, sondern auch für die alten
Ägypter und Mexikaner, für die Delaware- und Kanada-Indianer, für die
Ostjaken usw., und mehr noch werden wir der religiösen Erziehung in
Kapitel XL VIII nachgehen, während die Erziehung zur Keuschheit in
Kapitel NLV1I zur Sprache kommt.
Hier dürfte nur noch ein Überblick über die körperliche Züchtigung
des Kindes nötig sein. Da fällt die so oft wiederkehrende Mitteilung auf.
daß nur im Zorn gezüchtigt wird. Einer rein instinktiven Liebe zum Kind
entspricht ja auch dieses niedere Strafmotiv; es fehlt den Pädagogen da wie
dort an einer maßhaltenden Geisteskraft, oder vielmehr diese wird nicht
kultiviert. Eine zweite unangenehm hervortretende Erscheinung ist, daß die
meisten der sog. höheren Kulturvölker der §£ 292— 295 roher in der Züchtigung
der Kinder sind als viele niederstehende, und daß gerade deren Schulen2),
') 2. Aufl. II, 323.
4) Die Schulen als Bildungsstätten siehe Kapitel XI/VI.
§ 291. Abhärtung und Pflege des heranwachsenden Kindes. 409
welche Bildungsanstalten sein sollen, gewissermaßen Folterstätten der Jugend
sind. Die barbarischen Strafen deutscher Lehrer der Neuzeit (§ 292), die
Prügel auf den bloßen Hintern bei südrussischen Juden und alten Indern, die
Peitschen- und Stockschläge auf Hände und Füße im arabischen Nordafrika,
die Puten- und Geißelstreiche im alten Griechenland, die Putenstreiche auf
die Schienbeine in Japan, das Fesseln und Peitschen in China, die ausgesuchten
42 Arten von Peinigung im heutigen Indien, das Schlagen und Prügeln mit
eisernen Ketten in der Mongolei, das Durchbohren der Lippen mit Dornen,
sowie das Fesseln und Prügeln usw. im alten Mexiko sticht eigentümlich ab von
der Ansicht der grönländischen Eskimos, jene Eltern, die ihre Kinder schlagen,
verdienen nicht. Kinder zu haben, sowie von den Australiern, welchen die
körperliche Züchtigung eines Kindes als Grausamkeit gilt, von den deutsch-
et afrikanischen Makua und Wayao, die sich über die ihnen geschilderten
(früheren) Schulstrafen in Deutschland ähnlich äußerten usw. usw.
Allerdings dürfte die Schularbeit für viele Kinder die anstrengendste
Arbeit sein, welche ihnen aufgebürdet werden kann, weshalb zu ihrer An-
spornung starke Mittel nötig sind, und da Schularbeit auf den niedersten
Kulturstufen nicht vorhanden ist, erklärt sich der obige Gegensatz, wenigstens
zum Teil. Ganz kann er aber von diesem Standpunkt aus schon deshalb nicht
erklärt werden, weil nicht nur die Vereinigten Staaten Nordamerikas, sondern
auch die Baschkiren körperliche Strafen in den Schulen nicht anwenden.
Die Lösung der Frage, ob der Mittelweg nicht auch hier der beste
sei, ist nicht die Aufgabe des vorliegenden Werkes. —
§ 291. Abhärtung und Pflege des heranwachsenden Kindes.
Das Söhnchen des transsylvanischen Zeltzigeuners wird schon in
seinem achten Lebensjahr vor das Zelt gesetzt und kann dann auf eigene
Faust leben und tun oder lassen, was ihm beliebt. Abgesehen von den Bissen,
die ihm seine Mutter dann und wann heimlich zusteckt, erhält er von den
Eltern nichts mehr, auch nicht einmal nächtlichen Unterschlupf. Somit teilt
er im Freien das harte Lager der Pferde, Hunde und SchwTeine. Nur wenn
er einmal eine Geliebte hat, findet er in ihrem und ihrer Eltern Zelt Unter-
kunft; denn die Mädchen bleiben bis zu ihrer Verheiratung im elterlichen
Heim und haben das Recht, ihre Liebsten zu beherbergen (H. v. IVlislocki).
In den Dörfern der persischen Provinz Farsist an fanden Bieulafoy und
seine Frau die Kindesptlege im argen liegen. Infolge der naturwidrigen Be-
handlung und der herrschenden Unreinlichkeit stirbt ein großer Prozentsatz, was
die Mütter aber keineswegs auf ihr eigenes Konto zu nehmen scheinen. Sonst
würden sich nicht jene Mütter für „gottbegnadigt" halten, welchen von zwölf
Kindern auch nur drei bis vier am Leben bleiben. - - Nach Polali bringt das
persische Kind die ersten sieben Jahre seines Lebens bei seiner Mutter,
ihren Mägden und Sklavinnen im Harem, bzw. im Hof, unter freiem Himmel
spielend, zu. ,,Das Gemisch der sich tummelnden Kinder, verschieden an Alter,
Geschlecht und Hautfarbe, und des zahlreichen Hausgeflügels macht auf den
Besucher den Eindruck einer kleinen Menagerie. Nicht selten fällt das Kind
in das offene Bassin, welches die Mitte des Hofraumes einnimmt, und kommt
auch wohl, wenn nicht Hilfe bei der Hand ist, darin um. Kinder der ärmeren
Klasse bewegen sich ohne alle Aufsicht vor den Häusern oder auf den Mist-
haufen in den engen Straßen. Die Kinder begleiten oft die Mutter in die
öffentlichen Bäder. Im siebenten Jahre verläßt der Knabe den Harem, um
sich von nun an im Birun (Männergemach) zu bewegen." —
Daß die alten Perser ihre Kinder in den ersten Lebensjahren nicht
verzärtelten, darf wohl aus der späteren Behandlung derselben geschlossen
410 -Kap. XLIV. Pflege. Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
werden. Ploß schrieb'): „Die alten Perser lebten in einem Kriegerstaat; ihre
Erziehung war eine öffentliche, eine Nationalerziehung, denn bei ihnen ging
die Idee der Familie in der Idee des Staates auf. Ihr König war Vertreter
des Ormuzd. des guten Prinzips. Weil nun Ormuzds Keich Ausbreitung des
Guten und Bekämpfung des Widerstrebenden forderte, so mußte das Volk die
Jugend zu kräftigen, kriegsgeübten Leuten erziehen; der Staat nahm deshalb
die Erziehung seiner Söhne selbst in die Hand; sein Ziel war dabei Wehr-
haftigkeit und Wahrhaftigkeit. — Herodot berichtete: Die persischen Knaben
lernten Reiten. Bogenschießen und die Wahrheit reden. — Näheres erzählt
Xenophons Cyropädie, die älteste Erziehungsgeschichte, die allerdings Dichtung
und Wahrheit mischt2). Ein vom Geräusche der Welt entfernt liegender Platz
war der Erziehungsort für die Perser. Er war in vier Abteilungen geteilt:
die eine für die Knaben vom 6. — 16. Jahre, die andere für die Jünglinge vom
16. — 26. .Iahte, die dritte für die Männer vom 26. — 50. Jahre, die vierte für
die Alten. Hier versammelten sich die Knaben und die Männer jedesmal vor
Tagesanbruch. Die Jünglinge schliefen in ihren Waffen vor den obrigkeitlichen
Gebäuden, um diese zu bewachen. Jede Abteilung hatte zwölf Vorsteher; zu
Vorstehern der Knaben wurden diejenigen Alten gewählt, welche die wohl-
geratensten Kinder in dieser Abteilung hatten. Hier lernten nun die Knaben
Bogenschießen. Wurfspieße werfen, auch erhielten sie Unterricht in der prak-
tischen Rechtspflege."
Sprichwörtlich ist die spartanische Abhärtung. Kreta soll übrigens
Sparta in dieser Hinsicht nicht nachgestanden sein. Genau kennt mau nach
Wachsmuth allerdings nur die spartanische Erziehung. Die Diät war für alle
Knalien. den unmittelbaren Thronerben ausgenommen, vom 7. Lebensjahr an
gesetzlich geregelt, und zwar war die Kost so kärglich, daß zur Stillung des
Hungers Speiseraub geübt werden mußte. Das Nachtlager bestand aus schilt
mit erwärmendem Kraut für den Winter. Warme Bäder und Salben gab es
nicht, wohl aber täglich ein kaltes Bad im Eurotas. Alle vierzehn Tage
wurden die Knaben untersucht, wobei man Fettwerden als Untugend bestrafte.
Geißelung war ein Abhärtungsmittel gegen körperliche Schmerzen, das man
am Altar der Artemis Orthia zur Anwendung brachte. Wachsmuth meint
übrigens, daß diese Geißelung ursprünglich religiöse Bedeutung hatte, vielleicht
ehemalige Menschenopfer vertrat.
Floß schrieb'1) im Hinweis auf 0. H. Jager, Lykurg habe in der Ge-
wöhnung das Hauptmittel der sittlichen Kräftigung des Bürgers und eben
damit die sicherste Bürgschaft für den Bestand des Staates erkannt. Schon
das Kind vor Verzärtelung und Furchtsamkeit zu bewahren und ihm doch
möglichst viele Freiheit zu gestatten, war spartanischer Grundsatz. Die
Säuglinge wurden gewöhnt, allein im Dunkeln zu bleiben. Auch suchte man
bei ihnen das Weinen zu verhindern, weil es als Schande galt, Schmerz oder
unangenehme Gefühle auf diese Weise kund zu tun. Wenngleich noch in
mütterlicher Pflege, wurden die Knäblein doch schon bisweilen von ihren Vätern
zum gemeinsamen Kssen der Männer mitgenommen, wo sie neben ihrem Vater
auf ein. an Sessel ihre halbe Portion Suppe verzehrten. Leicht gekleidet
und barfaß wuchs der Knabe heran.
') 2. Aufl. H. 347.
, Rawlinson siehl sowohl in Herodots als in Xenophons Mitteilungen über die persische
Erziehung eher griechische Spekulation als historische Tatsachen. Es sei hier übrigens noch
t. daß nach Herodot di< Blinder der alten Perser vor ihrem fünften Lebensjahr
ihren Vätern nicht die A igen kommen durften, damit ihr allenfallsiger Tod das Vater-
r i tchten deshalb ihre ersten fünf. lahre bei den Frauen. Hi .
rschrift. (Rawlinsons Herodot I. 262f. n. Anm. 1, 2.)
I. II. 9.
§ 291. Abhärtung und Pflege des heranwachsenden Kindes. 41 1
Inwieweit Solans Gesetzgebung' die diätetische Körperpflege der Knaben
Athens beeinflußte, weiß man nach Wachsmuth nicht genau. Zweifellos seien
zur Entwicklung körperlicher Tüchtigkeit schon zu Sohns Zeit Gymnasien
auch hier gewesen. Aber das Maß der Diätetik und Gymnastik ') überließ man
dem Gutdünken der Familienväter. In der Blütezeit Athens kam hier jeden-
falls die körperliche Ausbildung zu vollster Geltung. — Unkenntnis des
Schwimmens galt ebenso als Schande wie die Unkenntnis der Buchstaben, und
kalte Bäder nahmen die Knaben in Athen ebenso wie in Sparta. —
Spartanische Strenge kennzeichnet, nach D. Ernesto Cozzi, die Kinder-
pflege auch der heutigen Bergbewohner von Albanien. Die Kindersterblich-
keit sei trotzdem unter ihnen geringer als unter der dortigen italienischen
Bevölkerung. Allerdings ist hier auch der Unterschied zu beachten, daß diese
ihre Kinder künstlich ernährt, während die Albanesiunen den ihren lange Zeit
ausschließlich Muttermilch zukommen lassen.
In Born riet im 2. Jahrhundert n. Chr. der Arzt Soranns, man solle die
Kinder zeitig an Wärme und Kälte gewöhnen. Immerhin war die Verweich-
lichung zur Zeit, als die Römer mit den germanischen Sitten bekannt wurden,
schon so weit vorgeschritten, daß römische Schriftsteller die germanische
Abhärtung' der Kinder ihren Landsleuten als Vorbild vorführten. Bemerkens-
wert ist, daß der ältere Cato beim Waschen und Wickeln seiner Kinder, wenn
möglich, selbst zugegen sein wollte (Mommsen). Man kann daraus schließen,
wie wichtig ihm die Kindespflege erschien.
Über die Pflege und Erziehung der altgermanischen Kinder schrieb
Floß2): ..Man erzog sie streng und mäßig. Alle lernten von Jugend auf
schwimmen, ringen. Kälte und Hitze ertragen. Alle (?J körperlichen Übungen
wurden neben der Jagd und den Waffenspielen getrieben. Die Kinder der
Freien und der Knechte wuchsen untereinander auf, halb nackt und schmutzig
mit dem Vieh." 3) - - Mit der Verfeinerung nach römischem Muster begann
auch die Verweichlichung. An Stelle der kalten Bäder traten sowohl bei den
Germanen als bei den keltischen Galliern warme Bäder, und diese Um-
wandlung ging durch die Kenntnisnahme orientalischer Bräuche während der
Kreuzzüge nur noch allgemeiner vor sich. Überall wurden nun private und
öffentliche Badestuben angelegt; warme Bäder waren ein Bedürfnis und ein
Vergnügen aller Stände geworden, wovon sich die Christen zur Zeit der Fasten
und der Trauer als Akt der Buße enthielten4).
In württembergischen Preis-Regulativen für die Stadtbäder von
Eßlingen, Sindelfingen und Stuttgart wurde anfangs des 16. Jahrhunderts
den Kindern unter zehn Jahren das Baden noch unentgeltlich erlaubt. Aber
mit dem Schwinden der Wälder stiegen die Holzpreise und die Unkosten fin-
den Unterhalt der Badestuben, was den Kindern das warme Freibad entzog.
Übrigens haben wir in Kap. XI, S. 217, schon aus dem 16. Jahrhundert die
Mahnworte W. H. Ryffs gehört, man solle die Kindlein, „die Tag und Nacht
in ihrem Harn und Kot liegen müssen", baden. — Die Erwachsenen, welche
,.die Wasserbäder mehr zur Wollust des Leibes" brauchten, dachten wohl vor
l) Auf die Gymnastik kommt § 300 zurück.
-) 2. Aufl. II, 8.
3) Auf S. 351 übersetzte Ploß aus Tarif us: „Durchweg im Hause nackt und dürftig
wächst die Jugend heran zu dem Gliederbau, zu der Leibesgesta'.t, die wir anstaunen. Jeden
nährt der eigenen Mutter Brust, nicht Ammen und Mägden werden sie ausgeliefert. Keine
feinere Erziehung scheidet den Herrn vom Knechte. Auf dem gleichen Boden wachsen beide
zwischen den Tieren des Hauses auf, bis das Alter den Freigebornen absondert, der innere
Adel ihn hervorhebt." — Daß aber nicht nur der „innere Adel", sondern tatsächlich und
wohl ganz besonders die Erziehung die Kinder der höheren und niederen Stände auch bei
unsern Vorfahren sonderte, werden wir später erfahren.
4) Pleß, 2. Aufl. II, 23 f. Enthaltung vom Bad soll uach Ploß damals auch als Kirchen-
buße auferlegt worden sein.
412 Kap. XLIV. Pflege, Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
allem an sich selbst. Doch dürften damals, so gut wie in unserer Zeit, an
verschiedenen Orten verschiedene Bräuche geherrscht haben. Während es
z. B. im heutigen bayrischen Schwaben Bauern gibt, deren Söhne und
Trichter im Sommer womöglich jeden Abend ein Bad im nächsten Bach oder
Fluß nehmen, gibt es wieder andere, die man wasserscheu nennen könnte.
Sie baden, wenn größer, niemals mehr, sondern halten das Baden für einen Luxus. —
Zur letzteren Sorte gehört nach Hoffmann-Krayers Mitteilung auch das ge-
wöhnliche Volk im Kanton St. Gallen. Hier waschen sich die kleineren
Kinder in der Früh mit den erwachsenen Mädchen und Frauen in einem
Waschbecken. Tagsüber genügt es, wenn die Mutter ihre Schürze, oder ihr
Taschentuch mit Speichel benetzt und damit dem Kind über Gesicht und Hände
f'iihit. Mädchen, die dem „Badgelteli"', d. h. der Badewanne, entwachsen sind,
klimmen in ihrem Leben nicht mehr dazu, den ganzen Körper zu waschen.
Die Knaben baden nach Feierabend, was als Zeitvertreib gilt und mit dem
17. — 18. Lebensjahr für immer aufhört. —
Was die spätmittelalterliche Kindespllege bei den Deutschen betrifft, so
möge hier noch erwähnt werden, daß zur Zeit der Minnesänger die Kinder
bis zum siebenten Jahr unter dem Schutz der Frauen in der Kemenate blieben
Nach dem Gesetze sollte das Kind bis zu diesem Zeitpunkt seines Lebens
die mütterliche Pflege haben. Vor dein siebenten Jahre durften die Kinder
auch nicht am Tisch ihres Vaters erscheinen1). —
Unter Abhärtung gegen Hitze und Ejost und unter körperlichen Ent-
behrungen wachsen die Kinder der Rumänen in Siebenbürgen auf. Ohne
Schaden zu leiden, laufen sie bis zum ersten Schneefall bloßfüßig im Dorf
und auf den Feldern umher und freuen sich der freien Natur, bis sie die
Schule besuchen müssen. — Prexl, der dieses mitteilt, berichtet gleichzeitig den
dortigen Volksglauben, daß die lange Hilfsbedürftigkeit des Kindes eine Strafe
von Gott sei. Der Schöpfer habe nämlich im Anfange der Welt als Beweis
des Gehorsams von allen lebenden Geschöpfen verlangt, sie sollen ihre Erst-
geburt über ihre Wohnstätte werfen. Alle, die menschliche Mutter ausgenommen,
haben gehorcht, diese aber habe, erzürnt über einen solchen Befehl, ihr Kind
ängstlich an die Brust gedrückt und den Gehorsam versagt. Deshalb legte
ihr der Herr die Strafe auf, daß sie ihre hilflosen Kinder jahrelang am Hals
herumtrage, während die Tiere ihrer Jungen bald los sind.
Aus dem arabischen Ägypten schrieb Laue, die Hochschätzung der
Ehefrauen seitens ihrer Männer hänge großenteils davon ab, ob die Frauen
ihren Männern Söhne schenken und erhalten, oder nicht, Deshalb liege es,
von der natürlichen Mutterliebe ganz abgesehen, im Interesse der Mutter, ihre
Kinder gut zu behandeln. Die Frauen der armen Bevölkerung' freilich sollen
ihnen wenig Sorgfalt zuwenden, kaum mehr, als absolut notwendig ist. Sie
haben wohl auch nicht die Zeit dazu. Hingegen werden die Kinder der
Wohlhabenden sehr verzärtelt. An einer gesundheitlich klugen Pflege fehlt
es freilich. Den Kindern geht eine abwechselnde körperliche Bewegung im
Freien ab; sie leben fast nur im Frauengemach, oder doch innerhalb des
Hofes. Nur wenn die Mütter auf ihren Eseln ausreiten. um frische Luft zu
schöpfen, oder um Besuch zu machen, nehmen sie gewöhnlich ihre Kinder mit,
indem diese von reitenden Sklavinnen oder sonstigen Dienerinnen vor sich auf
den Esel gesetzt werden. Solche Ausritte sind aber verhältnismäßig selten,
und somil entbehrt das Kind der nötigen Luft und Abwechslung, was auf sein
sisches und psychisches Leben ungünstig wirkt. Laune. Selbstsucht und
Stolz sind nach Lane Früchte dieser verkehrten Erziehung.
M Vgl. ähnliche A ischauungen und Bräuche im alten Griechenland und im heutigen
l 'i i icn.
§ 291. Abhärtung und Pflege des heranwachsenden Kindes. 413
Ton der Kinderpflege, wenigstens der ärmeren Bevölkerung-, von Port
Said kann man sich einen Begriff aus der Bemerkung H. Morins machen,
daß dort die kleinen Kinder vor den Häusern hocken, das Gesicht, haupt-
sächlich die Augenlider, schwarz von Fliegen. Die Kinder selbst versuchen
es gar nicht, das Ungeziefer wegzujagen.
Den Araberinnen in Yemen wiederum rühmt Manzoni Zärtlichkeit.
Nachsicht und Aufmerksamkeit gegen ihre Söhne nach. — Da ihre Töchter
ihr Ansehen bei ihren Gatten nicht erhöhen, kümmern sich diese selbstsüchtigen
Weiber auch nicht sehr um sie, wie das ja in Arabien und anderen Ländern
vielfach wahrgenommen ■wird.
Von den alten Ägyptern schreibt J. Wolf: Sie verwandten auf ihre
Kinder große Sorgfalt und hingen voll Zärtlichkeit an ihnen. — Diese „große
Sorgfalt" dürfen wir aber wohl nicht nach unserer Auffassung bemessen; denn
nach Gastoii Maspero, der die ägyptischen Verhältnisse hauptsächlich unter
Eamses IL, also im 14. Jahrhundert v. Chr.. schilderte, wurden die Kinder
schlecht genährt und blieben tagelang sich selbst überlassen, so daß die
schwächeren unterlagen und viele früh starben. Die überlebenden freilich gaben
abgehärtete Leute ab. — Nach Wilkinson-Birch kostete den alten Ägyptern
die Ernährung ihrer Kinder kaum Nennenswertes. Zu Dlodors Zeit buken sie
ihnen das Mark der Papyrusstengel in heißer Asche. Außerdem gab es rohe,
gesottene oder geröstete Wurzeln und Stengel von Sumpfgräsern. Die ganzen
KnsTen für die Ernährung und Bekleidung eines Kindes sollen 20 Drachmen
(zirka 13 Mark) nicht überstiegen haben. -- Ploß hatte mit einem Hinweis
auf Baas die Kosten etwas höher, d. h. auf 16 Mark, berechnet.
Nicht besser, vielleicht noch schlimmer, ist es mit der Kindespflege
der jetzigen Fellachen, Nachkommen der alten Ägypter, in der Provinz
Scharkiyeh (altes Gosen) bestellt. In einem mit R. T. K. gezeichneten
Artikel im ..Globus" (Bd. 791). S. 106) heißt es: Wenn man Zeuge gewesen
ist, wie da die Kinder erzogen werden, so wundert man sich nicht mehr über
die yo°/o, welche dort die Kindersterblichkeit erreicht. Die Fellah-Kinder
Gosens werden von Geburt an vernachlässigt und schlecht genährt: sie sehen
alt aus und werden schon früh mit den Sorgen des Lebens bekannt.
Wenig Pflege wird ferner dem ostafrikanischen Somali- Kind zuteil:
Sobald der Knabe entwöhnt ist, kümmert sich seine Mutter nicht mehr viel
um ihn. Sie läßt ihn sich ruhig im Sande wälzen, wo die Sonne ihre glühenden
Strahlen auf ihn herabsendet, ihn wärmt und kräftigt und sein Wachstum
beschleunigt (G. Be'voil). — Härter geht es den größeren Knaben auf. wenn
sie von ihren Vätern nicht mehr zum Viehhüten gebraucht werden. Dann
jagt man sie unter irgendeinem Vorwand aus der Hütte ihrer Mutter, und
nun treiben sich die Burschen in der Welt herum und schlafen unter freiem
Himmel; denn nur verheiratete Männer und kleine Knaben dürfen die Nächte
in Hütten zubringen. Auf den Hochebenen des Somalilandes sind manche
Nächte aber empfindlich kühl, was unter den jungen Vagabunden große Sterb-
lichkeit verursacht (P. Moses). Und doch sind die Somali, so gut wie die
alten Ägypter, auf eine zahlreiche Nachkommenschaft stolz.
Viele Erkrankungen an Durchfall usw. infolge allzu mangelhafter Kinder-
pflege meldete B. Hartmann von Sennär. einer Provinz des angloägyptischen
Sudan mit teils reiner Negerbevölkerung, teils gemischter Bevölkerung.
Aus Uganda in Britisch -Ostafrika schrieb eine Missions-
schwester im „Afrika-Boten"2): Hier leben die Kinder, wenigstens jene der
') Unter den Fellachen Gosens.
2) 8. Jahrg., S. 77.
414 Kap. XLIV. Pflege. Abhärtung. Charakterbild, u. körper). Züchtigung d. heranw. Kindes.
Heiden, nach dem Prinzip der uneingeschränktesten Freiheit. Sobald der
kleine Tropf den Ann der Mutter verlassen hat und imstande ist. allein
zu laufen, kennen weder Vater noch Mutter weitere Pflichten gegen das
Kind. Es wird schon heranwachsen, wie es Lust hat. Die Christen haben
noch nicht ganz vermocht, diese Gewohnheiten zu ändern. — Zu diesen
Ausführungen bemerkte allerdings die Eedaktion. hier liege wohl eine
Verallgemeinerung eines einzelnen Falles vor. Denn in Uganda stelle
man die Kinder nach alter Landessitte schon früh in den Dienst eines
Vornehmen.
Schlimm sieht es nach Weules Schilderung mit der Kinderpflege bei den
Völkern des Makonde-Plateaus im Südosten von Deutsch-Ostafrika aus.
Daß der Kucksack der Yao- Negerin, in welchem diese ihr kleines Kind den
ganzen Tag herumtragt, eine hygienisch keineswegs einwandfreie Behausung
ist. wurde bereits in einem früheren Kapitel erwähnt. Einzelheiten hierüber
mögen jetzt mit Weules Worten folgen: „Die Schärfe des Urins und der
Schmutz der Fäkalien, für deren Aufsaugung keine Windel sorgt, beizen tiefe
und lange Bisse in die Epidermis der Gelenkbeugen; die schrecklichen afrika-
nischen Fliegen legen wahre Brutherde an den Augenrändern der unglücklichen
Kleinen an, ohne daß Vater oder Mutter auch nur eine Hand zum Verjagen
der Quälgeister erhöbe — sie sind ja für sich selbst schon, ach! so tolerant
yegen jene kleinen Bestien. Triefend und trüb schaut denn auch das Kinder-
auge, das wir bei unsern europäischen Kleinen mit Recht als das Wunderbarste
und Schönste im organischen Leben der EFde bezeichnen dürfen, in die Welt
hinaus; Schwämme und Pilze wuchern in dichter, weißbläulich schimmernder
Masse aus Mund und Nase heraus. Dazu die ewigen Katarrhe, sie sind die Folge
des starken Temperaturwechsels zwischen Tag und Nacht. Vater und Mutter
können sich durch ihr nächtliches Feuer und ihre Matten schützen: das Kind
benäßt sich, bleibt unberührt und unbeachtet liegen, verliert eine große Menge
Wärme und erkältet sich." — Ähnliches erlebte Weide bei den Makua,
Matambwe und Makonde. Aber auch ein des Lesens und Schreibens
kundiger Suaheli aus Daressalam und dessen Weib vernachlässigten ihr
über ein Jahr altes Kind derart, daß es vom Auge bis zur Zehe wund und
angefressen war.
Hingegen rühmte PechueLLösche den Negerinnen der Loango-Kiist e
im afrikanischen Westen nach, daß sie ihre Kinder mit großer Liebe und
Sorgfalt pflegen. —
Von den Kindern der „Malayen" schrieb I'Io //'): Sie bleiben sich selbst,
überlassen, gehen nackt, brauchen gegen Kälte nicht geschützt zu werden,
entwickeln sich in der Begel bald und lernen frühzeitig gehen.
Eine .Mitteilung W. Köddings über die gleichfalls zu den Malayen ge-
hörigen Batak auf Sumatra lautet: Trotz ihrer Affenliebe zu den Kleinen lassen
sie ihnen doch wenig sorgsame Pflege angedeihen. Einmal entwöhnt, werden
die Kinder, die bis dahin gut gediehen, sich selbst überlassen und verkommen
im Schmutz, indem bei ihnen nun allerlei Haut- und andere Krankheiten
entstehen. Infolge dieser Unreinlichkeit sterben sehr viele Kinder zwischen
zwei und sieben Jahren. Ist die Zeit aber überwunden, dann geht die Ent-
wicklung lasch voran. Wir haben hier also ein ähnliches Bild wie auf dem
ifrikanischen Makondeplateau.
Aus der Kinderpflege der Andaman-Insulanerinnen fand sich in der
2. Auflage2) die Bemerkung, daß die Mütter, um ihre nackten Säuglinge zu
') 2. Aufl. II. 7.
■> 1!
§ 291. Abhärtung und Pflege des heranwachsenden Kindes. 415
erwärmen, eine Hand ans lodernde Feuer halten und dann mit der wannen
Hand die Haut des frierenden Kindes überfahren1).
Bei den Marschall-Insulanern sah Chamisso „viele aufwachsende Kinder
bei einer geringen Menschenzahl". Den Vätern rühmte er zärtliche Sorgfalt
für jene Kinder nach, welche nicht dem üblichen Schicksal, lebendig begraben
zu werden, anheimfallen. — Carl Hager gab zu, daß die dortigen Eltern ihre
Kinder lieben, bemerkte aber, daß man bei ihnen vergebens nach Erziehung
suche.
Die Kinder der Papua in Britisch -Neuguinea werden nach Krieger
liebevoll gepflegt. Wenn die Mutter anderweitig zu tun hat, nimmt der Vater
sich des Kleinsten an, wickelt es in eine Matte, trägt es vor dem Haus umher,
legt seine Wange liebkosend an die des Kindes und unterhält sich mit ihm.
Das Kind macht seinem Vater den Wartedienst durch ruhiges Verhalten
auch leicht.
Nicht weniger Aufmerksamkeit schenken die Samoauer ihren kleinen
Kindern. Kahm;/ nennt deren Liebe geradezu übermäßig. Dennoch gehen
diese nicht bis zur Verweichlichung. Vielmehl' nehmen die Mütter ihre Kleinen
mit ins Wasser, ziehen und recken ihnen die Glieder, was auf deren Behendig-
keit und Gesundheit nur die beste Wirkung haben soll.
Ähnlich den Papua in Britisch-Neuguinea, verschmähen es die Neusee-
länder nicht, in Abwesenheit ihrer Frauen die kleinen Kinder zu warten
(Polack); verzärtelt werden diese aber auch hier nicht (Brown). Als Beweis
hierfür mag wohl die Tatsache gelten, daß sie das Schwimmen vor dem Gehen
lernen2).
In China, wie in jedem Kulturstaat, hängt die Kindespflege vielfach mit
dem Stand der Eltern zusammen. Arme Kinder, von Stein; „die welken Blumen
im blumigen Reich" genannt, sterben jährlich zu Tausenden an Frost, Hunger
und Entbehrungen. Der finanzielle Verdienst der armen Chinesen ist ja auch
bei angestrengtester Arbeit so gering, daß eine zahlreiche Familie kaum er-
nährt werden kann. Vom zartesten Alter an müssen daher die Kinder der
Armen Entbehrung leiden; in den Windeln schon werden sie mit dem Ernst des
Lebens bekannt, und das gilt von den Mädchen noch mehr als von den Knaben,
die bekanntlich den Chinesen weitaus lieber sind als die Mädchen3). Aber
auch die Knaben der Armen kennen keine Verzärtelung, keine Verweichlichung.
Der harte Boden ist ihr Bett, einfache Nahrung ihre Kost; sich selbst über-
lassen, laufen sie halbwild umher solange sie noch nicht arbeiten müssen,
was sehr früh der Fall ist, Mit diesem Bericht bei Stenz stimmt jener bei
J. Dok, speziell aus der chinesischen Provinz Kansu, überein. Das Kind
aus dem Volk erhält eine rauhe Erziehung. Die Mutter wickelt es in eine
schmutzige Windel, läßt aber Kopf und Füße selbst im Winter unbedeckt.
So bindet sie sich das Kleine mit einem Gürtel auf den Rücken und trägt
es überall mit sich herum. Ob sie mahlt, oder Wasser schöpft, ob sie einen
Berg erklimmt, um Brennholz zu sammeln, oder auf dem Feld arbeitet, das
Kind ist stets in der gleichen Lage auf ihrem Rücken befestigt4). Die Mutter
l) Eine eigentümliche Abhärtung der Knaben der An dam an -Insulaner (Minkopi)
erwähnte Ploß in der 2. Aufl. (II, 7): „Da diese Mensehen nackt gehen und viel durch den
dornigen Urwald streifen, so müssen sie, um ihre Gliedmaßen einigermaßen vor den Ver-
wundungen durch Dornen zu schützen, ein Mittel anwenden: Sie schneiden in die Haut eine
Menge kleiner Wunden dicht nebeneinander ein, welche, sobald sie heilen, harte Narben
bilden, und in dieser Weise bereiten sich die Knaben, welche jahrelang diese Operation an
sich vollziehen lassen, für ihre späteren Strapazen vor." — Floß wies bei dieser Mitteilung
auf Ad. de. B,i'n,storff in Ztschr. d. Gesellsch. für Erdkunde zu Berlin 1879, XIV. I. S. 10 hiu.
2; Ploß, 2. Aufl. II, 6.
3) Vgl. Kap. 1. IX u. a.
*) Vgl. Kuntze in Bd. I, S. 273 und die Kap XIII und XIV.
416 Kap. XL1V. Pflege. Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
kümmert sich nicht darum, ob ihr Kind lacht oder weint oder schläft. Ent-
ledigt sie sich seinei-. dann übergibt sie es einem größeren Kind, Knabe oder
Mädchen, die das Kleine meistens auf den Boden legen, wo es sich im
Schmutze rollt.
Ein ganz anderes Schicksal wartet der Söhne vornehmer Eltern in China.
Sie werden als Stammhalter von Anfang' an verhätschelt und verzogen. Kein
hartes Wort bekommen sie nach Stern zn hören; mit Zuckergebäck beruhigt
man sie. wenn sie weinen, alle Wünsche erfüllt man ihnen, insofern es nur
möglich ist. Werden sie größer, dann haben allerdings auch sie bisweilen
ernste Zurechtweisungen hinzunehmen (vgl. § 294).
Wenig Pflege lassen die Ao-Nagas in Assam ihren Kindern zukommen.
Molz schreibt: Hie verlieren nicht viele Zeit mit ihren Kindern und lassen
ihnen ein freies Leben.
Abhaltung von frühester Jugend an berichtete Krebel von den Kal-
mücken. Doch scheint ihre Abhärtung wenig gegen Krankheit zu schützen.
Denn Ploß zitierte aus Krebel: „Die Abhärtung ihres Körpers von frühester
Jugend an müßte sie mehr gegen Krankheiten schützen, wären sie nicht durch
Lebensweise und Wohnung den nachteiligsten Einflüssen und der Witterung
bloßgegeben."
Bemerkenswert ist die folgende Vorsichtsmaßregel, welche die Kalmücken
nach H. Meyerson bei ihren kleinen Kindern anwenden. Fängt ein Kind zu
kriechen an, dann binden sie es mit eineiig Strick an die Kibitke, so daß es
zwar frei herumkriechen, aber nicht bis zum Feuer gelangen kann, welches
beständig in der Mitte der Kibitke brennt1).
Von den Kirgisen des Kreises Saissansk schrieb P. von Stenin: Sic
gewöhnen ihre kleinen Kinder an alle Widerwärtigkeiten der Witterung. —
Nach Tronoff und andern Beobachtern verlassen kleine Kinder, die auch bei
starker Kälte, wie die Erwachsenen, ganz nackt schlafen, öfters ihr dürftiges
Lager, um ihre erstarrten Glieder am Herdfeuer zu erwärmen.
Von den Ostjaken schrieb Castren, daß sie ihre Kinder sorgfältig und
liebevoll pflegen. Auch Brehm betonte die warme Zärtlichkeit, mit welcher
die auf ihre Kinder stolzen Ostjaken diese behandeln. Mit unverkennbarem
Glück in Blick und Gebärde legt die junge Mutter ihre Erstgeburt an ihre
Brust oder auf das weiche Wassermoos in der niedlichen, unten mit zer-
stückeltem Weidenmulm und geschabten Holzfasern ausgebet teten Wiege aus
Birkenrinde; sorglich schnürt sie die Decken zu beiden Seiten der Wiege zu-
sammen und bedachtsam umhüllt sie das Kopfende des kleinen Bettleins mit
dem an ihm angebrachten Miiekenvorhange'-).
Neben diesen Lichtseiten in der Kindespflege gibt es bei den Ostjaken
aber auch tiefe Schattenseiten: Patkanov schrieb: In ihrer häutigen Trunken-
heit lassen sie ihre Säuglinge halb verhungern, erfrieren oder sonst zugrunde
gehen. Er berichtet von einer Familie Laptyehev, die von 15 Kindern noch
ein einziges besaß, und dieses ertrank mit zehn Jahren während einer Orgie
seiner Eltern. Die Kinder der Familie Taildkov starben infolge schlechter
Behandlung bis auf das letzte, welches von seiner betrunkenen Mutter auf
') Dir gleiche Vorsichtsmaßregel erwähnte Herodot (V. c, 16) von den Päoniern,
welche Pfahlbauten bewohnten. Hut band man die Kinder an. damit sie nicht ins Wasser
fielen. Ich selbst sah in der Berliner Kolonialausstellung im Summer 1907, daß eine
Negerin, ehe sie ihr zirka Sjähriges Töchterchen allein ließ, dieses mit einem ziemlich
n Strick an einen Pfahl band, su daß das Kind sich wohl Bewegung verschaffen, aber
nicht davonlaufen konnte.
'i Die jetzige Einreihung dieser und einiger anderer Mitteilungen, welche hesser den
Kapiteln Ml. Xlll und XIV einverleibt worden waren, möpe damit entschuldigt werden.
daß sie mir erst nach Abschluß dieser drei Kapitel in die Hände fielen.
§ 291. Abhärtung und Pflege des heranwachsenden Kindes. 417
«ine Bnnk geworfen und ein Krüppel wurde, als welcher es später starb.
Auch die von Brehm und andern Forschern beobachtete Unreinlichkeit der
Ostjäkinnen dürfte zu der häufigen Sterblichkeit der Kinder beitragen.
Über die Kindespflege der Samojeden erfahren wir von De Dobbeler:
sie müssen sich sehr früh an Unannehmlichkeiten. Geduld und Ausdauer ge-
wöhnen. Wenn nicht allzu strenge Kälte herrscht, werden die Kleinen beim
Abnehmen und Umbauen eines Zeltes halb nackt in den Schnee gesetzt, und
niemand kümmert sich trotz ihres Schreiens um sie. ehe das neue Zelt fertig
ist. Wenn etwas größer, wälzen sie sich stundenlang zu ihrem Vergnügen im
Schnee.
In der 2. Auflage') nannte Plo/s die Kindespflege der Tungusen im
Kolyma-Gebiet, Sibirien, „sehr nachlässig". Ohne jede Aufsicht halten
sich die Kleinen auch im Winter fast nackt im Freien auf.
Sorgfältige Behandlung ihrer kleinen Kinder rühmte L. DahJ-) den
Lappen nach; den Kwänen oder Finnen stellt er in dieser Hinsicht ein
«eniger günstiges Zeugnis aus. —
Aus Kamtschatka im nordöstlichen Sibirien schrieb seinerzeit Georg
Steiler: ..Wenn ich im Winter in meinem Bette unter meinen Pelzdecken am
Morgen fror, sah ich. daß die „Itelmen" (Kamschadalen) sogar ihre kleinen
Kinder, in ihrer Kuklanka. die nicht einmal den Körper vollständig einhüllte,
ohne Decken und Betten da lagen und wärmer anzufühlen waren als ich."
Die Kiudespflege der Eskimo (Inuit) vom Standpunkte der Peinlichkeit
charakterisierte Plofi3) wie folgt: Das neugeborne Kind wird von der Mutter
trocken geleckt; bis zum siebenten Jahr werden die Kinder gesäugt, in der
Kapuze getrauen und von der Mutter nur durch Ablecken, nie durch Ab-
waschen, gereinigt. Auch das Putzen der Nase wird von der Mutter lediglich
mit dem .Munde besorgt. - - An Zärtlichkeit für ihre Kinder fehlt es den
Eskimo -Weibern wie so vielen andern Weibern höherer und niederer Kultur-
stufen nicht, wohl aber an Verständnis. Und so ist denn die Sterblichkeit
unter ihren Kindern, wenigstens in Cumberland-Sund, außerordentlich groß,
wie Abbes bezeugt.
Über die Abhärtung der Kinder bei den nordamerikanischen India-
nern schrieb Floß:4) ,.Da der Stolz des nordamerikanischen Indianers vor-
zugsweise darin besteht, daß er die Mühseligkeiten des Lebens, Hunger, Schmerz
usw. tapfer aushält, so sucht er die Tugend der Entsagung und einen
hohen Grad von Kräftigung des Körpers seinem Kinde bald nach der
Geburt zu verschaffen. Bei diesem Bestreben, die armen Kleinen sofort
und möglichst schnell abzuhärten, anstatt sie nur allmählich an Ertragung
gewisser Einwirkungen zu gewöhnen, gehen natürlich viele derselben zugrunde.
....Beaucoup de petits Indiens,"" sagt Abbe Domenech, „„suecombent en bas
äge. Leurs parents, pour les endurcir ä la souffrance et fortifier leur tem-
perament, ne leur donnent pas les soins necessaires. Les intemperies des
saisons repandent egalement parmi ces etres chetifs un grand nombre de
maladies mortelles.""
Diese Darstellung ist meines Erachtens nicht ganz richtig. Ich habe
bereits in meinem Buch „Des Indianers Familie, Freund und Feind" an ver-
schiedenen Stellen nachgewiesen, daß die Kindespflege und Kindererziehung
der Indianer keineswegs immer eine von Gründen und Zwecken eingegebene
und geleitete ist, sondern daß Zorn, Trunk- und Spielsucht, sowie Nachlässigkeit,
1) n, 4.
2) Bei Ploß, ebenda S. 22.
3) 2. Aufl. II, 339.
*) Ebenda S. 4.
Ploß-Renz. Das Kind. 3. Aufl. Band II. 27
418 Kap- XLIV. Pflege. Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
natürliche Eoheit und andere Schattenseiten im Charakter der Indianer zum
Teil jene Erscheinungen in der Kindespflege hervorrufen und auch schon
früher hervorgerufen haben, welche gewisse Optimisten als bezweckte Ab-
härtungen des Kindes bezeichnen. So beobachtete z. B. Boiler im Winter-
lager der Gros Ventres. einem Sioux-Stamm. daß die kleinen Kinder oft
lange im Freien auf dem Eis liegen bleiben mußten, weil ihre Mütter oder
Wärterinnen eben in ein Spiel vertieft waren, das Stunden in Anspruch nahm. —
Ein Beweis gegen die instinktive, vielfach bezeugte Liebe der Indianer zu
ihren Kindern ist das freilich nicht, will es auch gar nicht sein. Ebensowenig
soll damit die Tatsache angezweifelt werden, daß die Liebe vieler Indianer
so weit geht, daß sie bei Hungersnot lieber selbst hungern, als daß sie ihre
Kinder hungern ließen. — Von den Potowatomie schrieb Floß1), daß sie
scllisi blödsinnige und arbeitsunfähige Kinder „wohl verpflegen". Selbstver-
ständlich müssen wir auch dieses „wohl verpflegen1' von dem tiefen Stand-
punkt der hygienischen Kenntnisse der Indianer beurteilen'-').
Sehen wir uns nach den alten Kulturvölkern von Mittel- und
Südamerika um, so erfahren wir von Bancroft, daß die Mayas ihre Säuglinge
reichlich nährten, im übrigen aber ihre Kinder früh an Abhärtung gewöhnten.
Man ließ sie unbekleidet und wies ihnen den bloßen Boden als Nachtlager an.
Die Azteken (Nahua) scheinen ihre Kinder nach festgesetzten Regeln
ernährt zu haben. Nach Bancroft war jedem dreijährigen Kind pro Mahlzeit
ein halber Brotkuchen zugemessen; Kinder_mit vier oder fünf Jahren erhielten
einen ganzen. Von sechs bis dreizehn Jahren gab es eineinhalb Kuchen: dann
folgten zwei. —
Ein Bild ähnlich jenem, das Weule von der Kinderpflege auf dem ost-
afrikanischen Makondeplateau entwarf, lieferte im 18. Jahrhundert der Missionar
Josef Och von den Pima-Indianern in Mexiko, welche jetzt zu den kulti-
viertesten Indianern gehören. Halbe Tage ließen sie ihre Kinder an der Sonne
liegen und von Hunderten von Stechmücken quälen. Besonders waren es die
Mädchen, welche unter der Nachlässigkeit ihrer Eltern zu leiden hatten, wes-
halb sehr viele im zartesten Alter starben.
Der Abhärtung der Kinder durch kalte Bäder im alten Peru wurde
schon früher gedacht. Nach Picard*) bekamen die Kleinen zu dem gleichen
Zweck in den ersten drei Monaten auch keine Hülle. Damit stimmen
freilich andere Berichte nicht überein. welche uns das Kind der Inka-Peruaner
von seiner ersten kalten Waschung nach der Geburt bis zum Beginn des
zweiten Jahres in Windeln verführen (vgl. Bd. 1, S. 245).
I »ie jetzt ausgestorbenen Abiponer in Brasilien und Paraguay suchten
nach Dobrizhoffer*) von ihren Kindern alle schädlichen Einflüsse des Klimas
durch sorgfältige Vorkehrungen abzuhalten.
Von den brasilianischen Coroados hingegen berichtete Prinz .1/"
Neuwied, daß sie ihren Kindern wenig Pflege angedeihen ließen5).
Damit stimmt, was n>n Martins aus Brasilien schrieb: ..Zur Sorge tili
die Kinder scheint das der Khe analoge Bündnis unter den Wilden nicht zu
verpflichten. Nicht selten erliegen die unmündigen Kinder dem Hungertode,
oder sterben aus anderen l'rsachen unmenschlicher Vernachlässigung0)".
\ml. II. 337.
-\ Zweckmäßig erscheint die Erziehung des Sioux-Knaben Ohiyesa in § 295. Es
wird rl.cn auch unter den Indianern mil der Individualität der Väter und Mütter zu rechneu sein.
») Bei Ploß. 2. Aufl. II, 9
*) Bei Ploß, 2. Aufl. II. 6.
6) Bbem
s) I - t09
§ 292. Charakterbild, u. Züchtig, d. Kindes b. ludo- Europäern, Semiten u. Hamiten. 419
Einen Einblick in die Kindespfiege der Feuerländer gestattet Dartoins
Mitteilung, ein Weib habe sieb mit ihrem Kind, das kaum einige Wochen alt
sein konnte, unter starkem Hagel aus lauter Neugierde auf dem Schiffsverdeck
herumgetrieben, während die Schlössen ihr und ihrem Kind auf der Haut
schmolzen1).
§ 292. Charakterbildung2) und Züchtigung des Kindes bei Indo-Europäern,
Semiten und Hamiten.
Liebe und Ehrfurcht gegen die Eltern. Heldenmut, Berufstüchtigkeit,
häuslicher Sinn. Weisheit und Klugheit im öffentlichen Leben und ein auf den
Vater zurückstrahlender Ruhm: das war das Ideal, welches der alte Inder
bei der Charakterbildung seines Sohnes im Auge hatte. Ein solcher Sohn
war Gottes Geschenk und wurde dem zuteil, der Gott huldigte. „Ein Beter
verneigt sich, wie ein Knabe vor seinem herannahenden Vater, dem er seine
Ehrfurcht bezeigt", schrieb Ploß3) im Hinweis auf ein altindisches Dichterwort
und machte uns damit mit einer altindischen Form kindlicher Pietät bekannt. -
Buddhistische Legenden lassen die Söhne bei der Begrüßung ihrer Väter diesen
zu Füßen fallen. — Das Gesetz selbst schärfte den Kindern Ehrfurcht vor
ihren Eltern ein und berechtigte die Väter und Lehrer, ihre Kinder, wie ihre
Frauen und Diener, mit Schlägen zu züchtigen, wozu Bambusrohr benutzt
werden durfte. Aber nur auf den Hinteren waren die Schläge erlaubt.
Daß die Strenge gegen die Kinder nicht übermäßig war, dürfte aus einer
anderen, von Ploß zitierten4), Dichterstelle geschlossen werden, nach welcher
die lustige Kinderschar sich im Hause tummelte, „gleich den schmucken Füllen
oder spielenden Kälbern im Stalle, solange sie Milch trinken".
Ein weniger anmutiges Bild der Kindererziehung bietet das neuzeitliche
Indien, auf welches § 294 und § 301 zurückkommt. Hier sei nur eine Form
barbarischer Züchtigung in Madras erwähnt, welche wir später auch in Afrika
und Amerika antreffen werden, d. h. das Einreiben der Augen mit Pfeffer5).
Das Mittel soll übrigens nicht nur züchtigen, sondern auch die Sehkraft stärken.
Zu den Zielen der altpersischen Charakterbildung gehörte nach Herodot
Unerschrockenheit und Wahrheit. — Im neuzeitlichen Persien sieht man
vor allem darauf, daß die Knaben frühzeitig die äußeren Anstandsformen
kennen und beachten. Dazu gehört, daß sie sich in Gegenwart älterer Leute
ruhig verhalten und keine kindische Frage an sie richten. Überhaupt sollen
sie nicht widersprechen und von Jugend auf eine gewisse Würde behaupten.
Kindlicher Mutwille und kindliche Lebhaftigkeit, welche uns an den Knaben
gefällt, wird in Persien, besonders in Gegenwart von Fremden, streng getadelt.
Man verbietet den Kindern auch jede rasche Bewegung und erzieht sie zum
Phlegma. - Dank dieser Methode sieht man nach Polak bereits achtjährige
Knaben in Abwesenheit oder nach dem Ableben ihrer Väter den Ehrenplatz
in der Familie, als deren Haupt, einnehmen, die Eintretenden begrüßen, sie
nach ihrem Befinden fragen und die Diener anweisen, den Gästen Kaffee und
Pfeifen zu reichen.
Der Charakter beider Geschlechter wird zweifellos stark beeinflußt
durch deren Absonderung vom siebenten Lebensjahr an, wie. Pohl-, oder vom
') Ebenda S. 4.
2) Da selbstverständlich auch die intellektuelle Bildung sowie die praktische Arbeit,
die Erziehung zur Keuschheit, zum Ahnen- und Götterkult usw. wichtige Faktoren bei der
Entwicklung des Charakters sind, so möge der Leser die folgenden Kapitel zur Ergänzung
des vorliegenden heranziehen.
a) 2. Aufl. II, 350.
4) Ebenda S. 351.
5) Ploß, ebenda S. 332. — Wie es übrigens im alten Indien mit der Erziehung in der
Praxis aussah, weiß ich nicht. Diese weicht bekanntlich meist von der Theorie ab.
27*
420 Kap, XLIV. Pflege. Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
achten. meMla C. SyJces schreibt. Bis dahin verbringen Knaben und Mädchen
ihre Zeit im „Anderun", dem Frauenabtei] des Hauses; aber dann werden sie
mehr oder weniger streng von einander geschieden, eine Erziehungsmethode.
welche ja auch manchen anderen Völkern gemeinsam ist, bzw. war.
Hierher gehören die alten Hellenen, deren Töchter bis zu ihrer Verheiratung
der mütterlichen Obhut in häuslicher Zurückgezogenheit unterstanden, während
die Söhne vom G. Lebensjahre an eine Erziehung genossen, die sie für das
öffentliche Leben und Virken vorbereitete. Von diesem Alter an bekamen
die Knaben Haussklaven als Pädagogen an die Seite. Diese mußten ihre Zög-
linge in die Gymnasien und Didaskalien (musikalisch-literarische Schulen) be-
gleiten, was auch in anderen hellenischen Staaten üblich war. Auf der Straße
hatte der Knabe mit gesenktem Haupt zu gehen, älteren Leuten auszuweichen,
in ihrer Gegenwart zu schweigen, die Gewänder schicklich zu tragen usw.
Die Erziehung der Söhne armer im Krieg gefallener Bürger beauf-
sichtigte der athenische Staat selbst in öffentlichen Bildungsanstalten.
Bei der Gemütsbildung des jungen Atheners legte man viel Gewicht auf
die Musik; technische Fertigkeit auf den von ihnen gespielten Instrumenten:
Kythara, Lyra und Flöte war weniger bezweckt. In Sparta glaubte Lykurg,
durch die Pflege der Musik in den jungen Leuten heroische Gesinnungen
hervorrufen zu können1). -
Wie wenig der Hellene den günstigen Einfluß einer vernunftgemäßen
Geistesbildung auf den Charakter des Mädchens und der Frau kannte, gehl
daraus hervor, daß bei ihnen höhere Bildung fast nur bei Hetären zu finden
war. Das übrige weibliche Geschlecht war auf ein verborgenes Hausleben,
auf Spindel und Webstuhl angewiesen. Was solch mangelhaft gebildete Frauen
ihren Männern nicht bieten konnten, suchten diese bei geistreichen Hetären.
Auf die intellektuelle Ausbildung der Mädchen im engeren Sinne legte
zwar auch Sparta wenig Gewicht; aber hier genossen wenigstens beide Ge-
schlechter eine ähnliche Erziehung, d. h. die Mädchen nahmen an den gym-
nastischen Übungen der Knaben teil und erfreuten sich einer den Athenerinnen
unbekannten Freiheit, was ihnen allerdings eine gewisse Derbheit des Körpers
und Charakters verlieh2).
Die Erziehung trug in Sparta vorherrschend staatlichen, nicht, wie in
Athen, privaten Charakter. Die Knaben überließ der Staat nur bis zum
siebenten Lebensjahr der häuslichen Zucht. Dann ordnete er sie. nach Alters-
stufen in Scharen mit Vorgesetzten, denen sie Gehorsam schuldig waren.
Ehrfurcht gegen das Gesetz sollte ja auch die Bürger beseelen.
Eine ähnliche Organisation fand sich, nach Wachsmuth, auch auf Kreta,
wo sie aber eher den Charakter eines aristokratischen Freundschaftsbundes
trug. Hier waren es die Söhne reicher und angesehener Bürger, welche jüngere
siebzehnjährige Jünglinge um sich sammelten. Bis zu 17 Jahren blieb hier
die männliche .lugend im väterlichen Haus unter Pädonoinen.
Der männlichen .lugend fehlte es im alten Griechenland nicht an Schlägen.
Nach Wachsmuth gab es eigene Geißelträger 8). Jeder ältere Bürger hatte
das Recht und die Pflicht, sich in die Erziehung zu mischen, konnte die ihm
begegnende Jugend zur Bede stellen, tadeln und strafen, ja, war bei Unter-
lassung dieser Pflicht selbst straffällig. Floß*) wies auf Pouquevillea
mälde von Griechenland" hin, unter welchem Tafel Hü eine altgriechische
') Vgl. § 300.
-i Ploß, -' Autl. II. 349. Nach Josef Müller hatten die spartanischen .Mädchen ge-
BOnderte I bungsplätze. — Das c'ilTontliehe Leben der Mädchen hörte mit ihrer Verheiratung
3) Das gilt auch für Sparta, wo die Mastigophoren den Erziehern (-»iöov<Sjj.o;) zur
Vollziehung di r Strafen zugewiesen waren iPIoß. '2. Aufl. II, 349).
4) Ebenda. Anm
§ 292. Charakterbild, u. Züchtig, d. Kindes b. Indo-Europäern, Semiten u. Hamiteu. 421
Schule darstelle, in welcher ein Knabe mit der Rute gezüchtigt werde; ferner
auf eine kleine Terracotta-Gruppe im Berliner Archäologischen Museum,
die einen altgriechischen Pädagogen vorstelle, der eben einen Knaben züchtige.
In Rom hingegen hielt es der ältere Cato bei aller Strenge für sünd-
haft. (Frau und) Kinder körperlich zu züchtigen, wie Mommsen schrieb. Die
Lehrer allerdings sparten, nach den folgenden Versen aus Plautus zu urteilen,
die Schläge nicht. Freilich meinte Mommsen, es sei zweifelhaft, ob diese
Verse sich auf römische Verhältnisse beziehen.
„. . . Wenn nun du darauf nach Hause kamst,
In dem Jäckchen auf dem Schemel saßest du zum Lehrer hin ;
Und wenn dann das Buch ihm lesend eine Silbe du gefehlt,
Färbte er dir deinen Buckel bunt wie einen Kinderlatz." —
Ganz ideal hört sich's an, was Tacitus über die Kindererziehung zur
Zeit der römischen Republik schrieb. In Wirklichkeit mag sie wohl auch
ihre Schattenseiten gehabt haben. Es ist ja die Schwäche des Menschen,
zeitlich und örtlich Entferntes zuungunsten des Gegenwärtigen zu preisen.
Auch dürfte Tacitus einerseits den von ihm angeführten mustergültigen
Müttern der Gracchen. Cäsars und Augustus doch zu großen Anteil am
Ruhm und an der Genialität dieser Männer zugesprochen und zugleich diese
Fälle verallgemeinert haben. Genies verdanken eben ihre Genialität nicht
wesentlich ihrer Erziehung. -■ Immerhin möge hier das Lob des Tacitus1)
auf die altrömische Kindererziehung folgen:
...Man verbarg damals die von tugendhaften Müttern gebornen Kinder
nicht in der abgelegenen Wohnung einer gedungenen Amme. Sie wurden in
den Armen und an der Brust ihrer Mutter auferzogen, deren größter Ruhm
darin bestand, ihrem Hauswesen vorzustehen und sich ihren Kindern zu widmen.
Man wählte damals immer ältere, durch Sittenreinheit ausgezeichnete, Ver-
wandte, denen man die junge Familie anvertraute; vor einer solchen wägte
man weder etwas zu sagen, noch zu tun, was gegen die guten Sitten verstieß.
Eine solche bewährte Erzieherin überwachte nicht bloß die Beschäftigungen,
auch die Erholung und die Spiele, bei denen Bescheidenheit und Anstand
nie fehlte. Auf diese Weise leiteten Cornelia, die Mutter der Gracchen, Aurelia,
die Mutter Cäsars, und Atia, die Mutter des Augitstus, die Erziehung ihrer
Kinder und bildeten aus ihnen die größten Männer ihres Jahrhunderts. Durch
diese weise Erziehungsart nahm die Natur, die sich in ihrer Reinheit und
Unverdorbenheit erhielt, die keine unsittlichen Eindrücke empfing, ohne alle
und jede Zerstreuung die nützlichen Erziehungsmittel in sich auf, die man ihr
bot, und sie widmeten sich ausschließlich den gewählten Wissenschaften, sie
mochten den Krieg, das Recht oder den Rednerstuhl betreffen. Jetzt ist das
ganz anders! Sobald ein Kind geboren ist, überläßt man es der Dienerschaft,
etwa irgend einer Griechin, der man einen oder zwei Sklaven zugibt, nur zu
oft die schlechtesten der Haushaltung, die zu keinem ernsten Geschäft geschickt
sind. Die Tollheiten und Irrtümer derselben sind nun die ersten Keime, die
in den weichen Köpfen sprossen, und kein Mensch im ganzen Hause hält es
der Mühe wert, auf das zu achten, was von dem jungen Kinde gesprochen
wird und geschieht. Ja noch mehr. Die Väter selbst, anstatt ihre Kinder
von frühester Zeit an an gute Sitten und an Bescheidenheit zu gewöhnen,
sinl vielmehr die ersten, welche die Zerstreuungen derselben gut heißen, ja
wohl gar anordnen, die dann nach und nach den Rest der Scham und der
Achtung vor sich selbst und anderen entfernen." —
Ein eigenartiges Zuchtmitte], nämlich Kl3Tstierspritzen, finden wir bei
einem romanischen Volk unserer Zeit. Julita Michael teilte mir aus ihren
x) Nach der Übersetzung aus der 2. Aufl. lt. 350.
422 Kap. XL1V. Pflege, Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. herauw. Kindes.
Erfahrungen in Catalonien mit, daß dort in jeder Kinderstube eine solche
Spritze hänge, wie die Rute unter uns Deutschen. Das sei das wirksamste
Schreckmittel. —
Die alten Nord-Germanen hatten, wie die alten Kelten, den Brauch.
ihre Kinder Verwandten und Freunden zur Erziehung zu geben, und zwar
mit Vorliebe solchen, die geringeren Standes waren, woraus man vielleicht
schließen darf, daß sie ihren Kindern von klein auf Einfachheit einprägen
hissen wollten, wenn nicht anzunehmen ist. daß Vornehmere sich nicht die
Mühen der Erziehung aufbürden ließen. So übergab Eiriek von Hordaland
seine Tochter Gydha einem reichen Bauern, der damit sowohl die leihliche
Pflege als auch die sonstige Ausbildung des Kindes übernahm1).
Von den Südgermanen ist ähnliches bekannt. Die Fürstentochter
Gudrun wurde zur Zucht ihren Verwandten nach Dänemark gesandt und
ihr Bruder Ortunn dem Alten von Sturmland übergeben. - - Im Mittelalter
kamen, zunächst wohl nur in den Familien der Könige, Fürsten und übrigen
Edeln, Zuchtmeister (althd. Magaczogo. inhd. magezoge) auf. „Hoher
Herren Kinder." sagte der volkstümliche Prediger Berthold von Regensburg
im 13. Jahrhundert, „erhalten Zuchtmeister, die .Jungfrauen Zuchtmeisterinnen,
die allzeit bei ihnen sind und sie Zucht und Tugend lehren." — Die armen
Leute, welche solche Zuchtmeister und Zuchtmeisterinnen nicht halten konnten,
ermahnte Berthold, sie sollten selbst ihren Kindern Zucht und Tugend bei-
bringen; denn sie und ihre Kinder hätten das Himmelreich eben so nötig wie
die Vornehmen. Wie das geschehen solle, gibt er in folgendem au: „In der
Zeit, da das Kind zu sprechen anfängt, sollt Ihr ein kleines Rüthelein bei Euch
haben, das jederzeit in der Diele oder in der Wand steckt, so sollt Ihr ihm
ein Schnitzlein geben auf die bloße Haut. Ihr sollt es aber nicht auf das
bloße Haupt schlagen, wenn Ihr es nicht wollt zu einem Toren machen. Tut
Ihr nicht also, so werdet Ihr Kummer an dem Kinde erleben-)."
Im 17. Jahrhundert schrieb J. A. Comenius*): „Mit vernünftigem, zeit-
lichem Schelten und Loben kann man viel bei Kindern ausrichten, ebenso wie
auch bei anderen Leuten. Hilft das nicht, so folgt der andere Grad der Strafe.
nämlich mit der Kuthe schmeißen oder mit der Hand klopfen, zu dem Ende,
daß das Kind in sich schlage, sich schäme und künftig besser acht auf sich
gebe. Hier muß ich billig eifern über die Affen- und Eselsliebe etlicher Eltern,
welche ihren Kindern alles nachsehen und sie ohne alle Zuchtruthe aufwachsen
lassen etc. Es hat ein verständiger Mann weislich gesagt, daß wenn gleich
ein Kind ein Eingel wäre, so bedürfe es doch der Rute. I>r. Geiler (von Kaysers-
berg), der alte berühmte Straßburger Prediger, hat von solchen Eltern, die
ihre Kinder nicht züchtigen, nicht übel eine Figur gestellt, da sich die Kinder
raufen (in den Haaren), schlagen, mit Messern stechen, und der Vater dabei
mit zugebundenen Augen steht."
Floß, der dieses Zitat der 2. Auflage einverleibte, schrieb: Die Pute war
von jeher ein rechtes deutsches Erziehungsmittel: so erklärt denn auch der
gl. § 300. Ähnlichen Bräuchen begegnen wir in dein vorliegenden, sowie in
Kapitel LIY. noch bei verschiedenen anderen Völkern. Die modernen Pensionate bilden ein
A aalogon _
•i Über die körperliche Bewegung der Kinder im deutschen Mittelalter schrieb
Plop (II, 862): „Ohne Zweifel wurden die Kinder der Deutschen in der Zeit bis ins Mittel-
alter hinein so erzogen, daß die freieste Entfaltung ihrer jugendlichen Kraft möglich war.
Die Kinder waren nicht in dumpfe enge Stuben eingeengt, denn in den großen Städten waren
die Gemächer weit und hoch und der Marktplatz breit. Anger und Trift boten sich zu Lauf
und Spii dai ; auch i dei B en nahm der Burghof, draußen der Wallgraben, die spielende
Ju gen
3) Hin geborner Mähre, Siehe dessen ausgewählte Schriften, Ausg. Beeger und
Leutbecher, Leipzig, II. 8. is.
^ 292 Charakterbild, u. Züchtig, d. Kindes b. Indo- Europäern, Semiten u. Hamiten. 423
Volksmund: Frische Ruten, fromme Kinder; Rut macht böse Kinder gut; kein
Streich verloren, als der daneben fällt; mit den Ruten schlägt man dem Hintern
kein Bein entwei usw. Wenn es dann noch heißt: Allzu gelind, zieht böse
Kind — so begreift man, daß das Rutenküssen eine ganz übliche Erziehungs-
sitte war. welche Grimm aus Geiler von Kaysersberg (Christi. Bilder) nach-
wies: „Wenn man ein Kind houwt," sagt Geiler, „so muß es dann die ruoten
küssen und sprechen:
Liebe ruot, true ruot,
werestu (nieht?), ich thet nierner guot;
sie küssen die ruot und springen darüber, jo sie hupfen darüber." Noch in
unseren Tagen hat die Kinderwelt dieses alte Sprüchlein als Reminiszenz
aus früher Zeit aufbewahrt: A. Schleicher fand in der Umgegend von Sonne-
berg in Thüringen, daß die Kinder sangen:
,. Liiwa ruut,
Mach mich guut.
Jlach mich frum,
Daß ich nei is himela kum." —
Welche Ungeheuer es übrigens unter den Erziehern der deutschen Jugend
gab. geht aus folgendem hervor:
Erasmus Alberus, geb. um 1500 in der Wetterau. sah als Schulknabe
oft. daß man den armen Kindern die Köpfe an die Wand schlug. Er
selbst hatte noch Ärgeres zu erdulden. Wenn sein Schulmeister zu Xidd
betrunken war. dann zog er den Knaben vom Strohsack, auf dem dieser schlief.
herab, und bei den Füßen auf dem Boden herum. Auch ließ er ihn an einer
Stange hinaufklettern, die er dann umfallen ließ. „Das sollte gute ingeiiia
machen." Zum Alischluß dieses grausen Spieles wurde der Knabe in einem
Sack vor das Fenster gehängt. — Johann Jacob Haeberle soll noch in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts während seiner 51 jährigen und 7 monat-
lichen Amtsführung an seine Schüler ausgeteilt haben:
911517 Stockschläge,
24 010 Rutenhiebe,
20 989 Pfötchen und Klapse mit dem Lineal,
136 715 Handschmisse,
10 235 Maulschelle:!.
7 905 Ohrfeigen,
1115 800 Kopfnüsse (Puff, Schlag auf den Kopf),
12 763 Notabenes mit Bibel und anderen Büchern.
777 mal ließ er auf Erbsen knipen.
613 mal auf dreikantiges Holz;
5 001 Schüler hatten den Esel tragen und
1 707 die ßute hochhalten müssen.
Unter seinen 3000 Schimpfwörtern waren ein Drittel eigene Erfindung,
schreibt Rudolf Eclart.
Einen wohltuenden Gegensatz zu diesen Roheiten bilden zwei Sdiul-
reglements für das Herzogtum Cleve und die Grafschaft Mark aus dem
Jahre 1782. welche vom Lehrer Maßhaltung im Gebrauch von Stock und
Rute. Vermeidung bäurischen Scheltens und Vertiefung in die Eigenart des
Kindes verlangten. —
Die alttestamentlichen Juden suchten ihre Kinder vor allem zur
Gottesfurcht und zur Ehrfurcht vor den Eltern heranzuziehen. „Gott will,
daß die Kinder ihren Vater ehren, und will und bestätigt das Ansehen der
Mutter über die Kinder." heißt es bei Sirach 3. 3; ferner: „Wie einer, der
Schätze sammelt, so ist. wer seine Mutter ehret. Wer seinen Vater ehret.
Wird Freud an seinen Kindern haben, und an dem Tage, da er betet, erhöret
werden. Wer seinen Vater ehrt, wird lange leben, und wer seinem Vater
424 Kap. XLIV. Pflege, Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
gehorsam ist. wird Trost seiner Mutter bringen. Wer den Herrn fürchtet,
ehrt seine Eltern und dienet ihnen als seinen Gebietern, die ihn erzeugt haben.
Mit Wort und Tat, und in aller Geduld ehre deinen Vater, damit sein Segen
über dich komme und sein Segen bis ans Ende daure" (Sirach 3, 5 — 10).
Die zeitliche Wohlfahrt hing also nach der Auffassung Stretch* mit der
kindlichen Pietät innig zusammen, und der gleiche Gedanke ist schon in dem
von Moses gegebenen vierten Gebot ausgedrückt.
Züchtigung des Kindes galt im alten Testament als ein notwendiges
Erziehungsmittel: „Rute und Strafe geben Weisheit; der Knabe aber, dem
sein Wille gelassen wird, macht seiner .Mutter Schande,"' lautet der 15. Vers
des 29. Kapitels der Salomon zugeschriebenen Sprüche.
Über die Kindererziehung der jetzigen südrussischen Juden bemerkte
S. Weißeriberg: Kindlicher Übermut, lustige Streiche. Herumtreiben im Freien
und dgl. werden scharf gerügt. Früh schon wird ihnen der Ernst des Lebens
klar gemacht, wenn man im allgemeinen auch wenig Strafe anwendet, sondern
mehr durch gutes Beispiel und eindringliche Ermahnungen wirken will, wobei
man hauptsächlich die Liebe zu den Eltern und das Streben nach geistiger
Entwicklung zu fördern sucht.
Allerdings erwähnt Weißenberg als pädagogisches Schulmittel der süd-
russischen Juden „häufige Prügel". Den Knaben werden solche auf den
Hintern bei herabgelassener Hose appliziert.
Ein ..Erziehungsmotiv von großer Wirkung" ist nach Weißenberg der
unermüdliche Hinweis auf den Gegensatz zwischen „Jid" und „Goi". was in
der Gemeinheit der niederen Schichten der russischen Bevölkerung gründe. —
In Arabia Petraea sah Musil nie, daß ein Kind geschlagen wurde:
dennoch haben die Kinder ihren Eltern auf jeden Wink gehorcht. — John
F. Keane fand, daß die Kinder in Mekka, wie die von ihm beobachteten
Kinder des Orients überhaupt, durch ihr gerades freies Benehmen vor Fremden
wohltuend abstechen gegen ihre schüchternen, zimperlichen Altersgenossen in
England. Die mohammedanischen Kinder, so meint er, verdanken das einer
„primitiven Unschuld"1); in ihrer Sprache finde sich kaum ein Wort, das sie
nicht ungeniert aussprechen dürfen. Dabei zeichne die Kinder weibliche Anmut
in Wort und Benehmen aus, was schon vor ihm „viele Reisenden" bezeugt
hätten. Diese Anmut verdanken die Kinder ihrer Erziehung im Harem, wo
sie ihre ersten 7 — 8 Jahre zubringen. — Einen weniger günstigen Charakter-
zug erwähnt Keane mit dem religiösen Fanatismus, welcher den kleinen
Muselmanen in Mekka und anderswo eingepflanzt wird. Das gefalle den Kindern
übrigens ganz gut, was bei der natürlichen Disposition kräftiger Burschen
ja auch fast selbstverständlich ist. Heulend verfluchen sie den Ungläubigen,
während ihr Gesicht froh aufleuchtet, wenn sie Allah bekennen. — In einer
Straße Mekkas war Keane einmal nahe daran, von Schulknaben zu Tode
gesteinigt zu werden. Sie hatten in ihm den Christen erkannt. Dazu kam die
Rachelust, weil er einem von ihnen einen Fußtritt versetzt hatte.
Aber auch abgesehen von ihrem religiösen Fanatismus gehören die
orientalischen .hingen im sogenannten Flegelalter, d. li. in der Zeit des Über-
ganges vom Knaben zum Mann. ..zu den unangenehmsten Geschöpfen", wie
Keane sich ausdrückt. Der Umgang mit den rohen Männern benimmt ihnen
bald alle ihre frühere Anmut.
Ken günstigen Kindruck, welchen dieser Forscher von der Kindererziehung
im Harem gewann, hatte, wie wir schon erfuhren. PolaJc in Persien nicht.
Eb< i enig teiH ihn //. /•'. von Behr nach seinen Erfahrungen im arabisch-
1 Wohl „Ungeniertheit" gemeint, was schon aus dem ..ungeniert aussprechen*' folgt.
Zwischen „unscl I Qiert" ist freilich ein Unterschied.
§ 292. Charakterbild, u. Züchtig, d. Kindes b. Indo-Europäern, Semiten u. Hamiten. 425
suahelischen Ostafrika, von Behr schreibt nämlich: Von einer Frau, die
in den Haremsanschauungen groß geworden ist. kann eine Kindererziehung
über die körperliche Pflege hinaus nicht erwartet werden, und da auch der
Vater sich in den seltensten Fällen um seinen Sprößling kümmert, wachsen
die Knaben in ungezügelter Freiheit auf. wenn man nicht etwa die arabischen
Schulen, in denen Araber- und Suahali-Knaben den Koran lesen und etwas
Schreiben lernen, als ein erziehliches Mittel betrachten will. — Die Mädchen
verlassen den Harem erst bei ihrer Verheiratung.
Um Araber handelt es sich wohl auch in der folgenden Notiz über
Oberägypten, welche Plofi mit einem Hinweis auf Klunzinger der 2. Auf-
lage1) einverleibte: „Die Kinder werden in Ehrfurcht erzogen, die uns oft
despotisch erscheint. In Gegenwart des Vaters zu rauchen, zu sitzen, mehr
als notwendig ist zu sprechen, wäre frevelhaft. Sind Gäste da, so ißt der
Sohn nicht mit, sondern bedient; nur auf besonderes Verlangen des Gastes
darf er teilnehmen. Der jüngere Bruder hat sich ebenso gegen seineu älteren
zu benehmen.-' — Damit stimmt, was Lyon von den Arabern in Fessan
schrieb: Die Kinder müssen ihren Vätern tiefe Ehrfurcht erweisen. In vor-
nehmeren Familien dürfen die Söhne in Gegenwart ihres Vaters weder sitzen,
noch essen. Ärmere Leute sind in dieser Hinsicht mit ihren Kindern weniger
streng. - Cromer rühmt den arabischen Kindern des heutigen Ägyptens im
allgemeinen Hochachtung vor ihren Eltern und Gehorsam, den Eltern selbst
alier gute Behandlung ihrer Kinder nach. Nur in sehr hohen Kreisen bestehe
Mißtrauen zwischen Eltern und Kindern.
Die Schulzucht ist im arabischen Fessau und Ägypten ebenso barba-
risch, wie sie früher bei uns war, und wie sie bei vielen Halbbarbaren ist2).
Lyon schrieb: Die Fessaner schicken ihre Söhne gerne zu einem Figi (Lehrer),
der ihnen unter Butenstreichen und Stockschlägen auf Hände und Füße die
Kunst des Schreibens beibringt und sie zum Auswendiglernen des Korans
zwingt. — Nach Hartmann helfen die Figi des aiabischen Ägypten einem
langsamen Leser mit Peitschenhieben nach. -
Das altägyptische Erziehungsideal war, nach den folgenden Grund-
sätzen des Philosophen Ptah-Hotep zu urteilen, nicht weuiger hoch, als jenes
der Israeliten. Freilich wird es sich bei einer Beurteilung des endgültigen
Wertes der Erziehung bei diesen beiden Völkern um den Begriff des Gottes
handeln, zu dessen Liebe das Kind erzogen weiden, und dem zu Liebe es
seinen Eltern gehorchen sollte. Die angedeuteten Grundsätze lauten nach
.7. Wolf:
„Wenn du ein verständiger Mensch bist, so erziehe deinen Sohn in der
Liebe zu Gott. Wenn er redlich ist und sich abmüht für dich und dein
Besitztum im Hause, so gib ihm den besten Lohn. Ist aber der Sohn, den
du erzeugt hast, ein schlechter Mensch, so wende dein Herz nicht von ihm,
denn du bist sein Vater; vermahne ihn. Wenn er aber lasterhaft wird, dein
Gebot* übertritt, alle Beden in den Wind schlägt und sein Mund von bösen
Beden überläuft, so schlage ihn auf den Mund, wie er es verdient. Besser
ist Gehorsam, denn alles, was lieb und gut ist. Herrlich ist der Sohn, der
aufnimmt die Bede seines Vaters. Er wird alt werden, denn es liebt Gott
den Gehorsamen, aber den Ungehorsamen haßt Gott/'
Liebe und Ehrfurcht gegen Eltern, Vorgesetzte und alte Leute brachte
man den Kindern auch in der Schule bei. Wolf entnimmt einem Papyrus
die Vorschrift: ..Bleibe nicht sitzen, wenn ein anderer steht, der älter oder
höherer Stellung ist, als du." Ferner: ..Antworte niemals einem Hochgestellten,
') II, 358.
e) Vgl. die bisherige Krziehung in f'hinn.
426 -Kap. XLIV. -Pflege, Abhärtuug, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kiades.
wenn er erregt ist. Zeige dich ihm in Demut, und was zu sagen ist, sei
angenehm . . ."
Damit stimmt überein, was Herodot schrieb, nämlich, daß die ägyptischen
Jünglinge, wenn sie älteren Männern begegneten, ihnen Platz machten: wenn
ein älterer, als sie waren, ihr Haus betrat, standen sie vor ihm auf.
Träge Schüler durften von den Lehrern gezüchtigt werden (•/. Wolf). -
Einem eigentümlichen Erziehungsideal begegnen wir bei den Brebern
oder Beräbir in Zentral-Marokko. Dieser Berberstamm soll Opfer dar-
bringen und Gebete verrichten lassen, damit Gott aus ihren Söhnen tüchtige
Räuber und Diebe werden lasse (Quedenfeldt). Übrigens wurde auch der
junge Spartaner so erzogen, daß er sein Essen unbemerkt stehlen konnte1).
Wenig Erziehung, aber harte Strafen mit Ruten und Fußtritten bekommen
die Söhne der Somäl. Ihre Nahrung müssen sie betteln, borgen oder stehlen
{Burton und Paulitschke).
Hingegen schrieb Schüret- von deu Enkelkindern des greisen Galla-
Häuptlings Tulu: Sie waren so wohlerzogen, sauber und niedlich, daß ich mich
nicht enthalten konnte, meine Perlensäcke in bedenklicher 'Weise zu plündern.
Als Lohn erhielt Schuver von den Kindern einen sanften Händedruck, oder
einen keineswegs furchtsamen Kuß auf beide Wangen. - - Daß diese Kinder
eine andere Erziehung genossen als die bei den Somäl augedeutete, dürfte
ohne weiteres klar sein. —
§ 293. Charakterbildung und Züchtigung des Kindes hei Sudan- und
Bantuvölkern, Hottentotten und malayisch-polynesischen Völkern.
Ploß schrieb2): Vou einer eigentlichen Erziehung ist unter den Negern
nicht viel zu bemerken; doch kommen einige pädagogische Elemente zum
Vorschein. Nach Mungo Park soll bei den Mandingos die Mutter ihre
Kinder zur Wahrhaftigkeit anleiten, was freilich Wilson nicht fand.
Körperliche Züchtigung der Kinder variiert je nach Stamm und Laune.
Ploß hatte allerdings geschrieben, sie sei „selten". — Nach Isert werden die
Kinder vielfach nur zu nachsichtig behandelt; wenn aber der Zorn die Eltern,
denen es an Selbstzucht fehle, hinreiße, dann gehe es auch dem Negerkind
schlecht. — Damit hat Isert wohl das Richtige getroffen. So berichtete
Caillie'3), daß die Neger in Senegambien bisweilen sogar ihren bereits er-
wachsenen Kindern furchtbare Schlage austeilten, welche geduldig aufgenommen
wurden. In der Regel sollen übrigens die Kinder die Befehle ihres Vaters
pünktlich ausführen. —
Ein uns von Indien her bekanntes barbarisches Zuchtmittel fand Wilson
bei deu Kru-Negern, östlich und westlich von Kap Palmas. Auch diese
rieben nämlich ihren ungehorsamen Kindern Pf eff er in die Augen. Die Kinder
schrien dabei fürchterlich, doch blieb ihnen, soweit Wilson es beobachten
konnte, kein nachhaltiger Schaden davon.
Von den Negern der Goldküste schreibt //. Vortisch: die Erziehung
liegt bei ihnen „sehr im argen". Man läßt die Kinder tun, was sie wollen
und züchtigt sie höchstens im Zorn.
Das Einreiben der Augen mit Pfeffer als Zuchtmittel für die Kinder
fand Zündel auch bei den Ewe, der Eauptbevölkerung von Togo. Eine andere
strafe bestellt bei diesen Negern darin, daß sie (größere?) ungehorsame Kinder
in einen mit roten Ameisen gefüllten Korb stecken, um sie ordentlich verbeißen
zu lassen. Die Kinder sollen übrigens hier sehr eigensinnig und verwildert
*ev
'i Ploß. 2. Aufl. II. 349
\',;l II ;;ti.
:,i Bei ,:
§ 293. Charakterbild, u. Züchtigung des Kindes bei Sudan- und Baütuvölkern usw. 4^7
sein, weil man sie als klein nicht zielte. Es heiße, sie seien „ja noch nicht
gewachsen". Der Zweck der Erziehung sei. aus dem Kind und seiner Arbeit
möglichst viel Nutzen zu ziehen. Die Ewe-Sprache habe gar kein Wort für
Erziehung1).
Etwas günstiger lautet eine Mitteilung L. Conradts über die Ngumba
im südlichen Kamerun: Hier wird dem Kinde schon früh Gehorsam gegen
ältere Verwandte und Ehrfurcht vor dem Alter beigebracht. Schon nach dem
■ersten Lebensjahr, welches das Kind unter der mütterlichen Pflege zubringt.
fängt auch der Vater an. sich um seinen Sprößling zu kümmern.
Gehorsam verlangt auch der Neger am unteren Kongo. Wenn das
Kind diesem Verlangen nicht nachkommt, wenn es böse und eigensinnig ist.
dann wird es unter Umständen von seinen Eltern verflucht. Das geschieht,
indem der Vater einen Fetzen von seinem eigenen Kleid schneidet, etwas vom
eigenen Haar hineinwickelt und das mit dem Fluch verbrennt: Du sollst niemals
Kinder bekommen und nie reich werden. - Wenn dann das Kind sein Be-
nehmen ändert, zu seinem Vater zurückkehrt nnd um Aufhebung des Fluches
bittet, legt der Vater (sich selbst?) drei Häuflein Erde auf jedes Knie und
spricht zu dem vor ihm knieenden Kind: Ich vergebe dir, ich fluchte dir nicht
in meinem Herzen, sondern nur mit der Zunge, und von nun an sollst du viele
und starke Kinder haben und reich werden. Das Kind bläst oder schüttelt
den Staub von den Knieen. und der Fluch ist weg. Ist der Vater nicht mehr
am Leben, dann nimmt ein überlebender Namenskollege, der mit dem Toten
befreundet war. diese Zeremonie vor. wofür er vom Kind ein Huhn erhält
{John H. Weeks).
Die Her ero -Weiber kümmern sich um die Fehler ihrer Kinder nicht.
Sie lassen ihnen frei die Zügel schießen, und ..schnell ist der kleine Kobold
zum Quälgeist und verlogenen Teufelchen herangewachsen--, wie H. v. Franqois
schreibt.
Hingegen werden die Kinder der Wapogoro in Deutsch-Ostafrika
häufig genug mit Prügeln bedacht, wenn sie ungehorsam oder bei der Arbeit
unaufmerksam sind (Fabry).
Besser wieder halten es die Kinder in dieser Hinsicht bei den Makua
und Wayao im südlichen Deutsch-Ostafrika. Aus Lukuledi schrieb C. Wehr-
11,. ister: Mit Schlägen kann der Missionar bei den freien Negerkindern nicht
viel ausrichten; dann würden die Jungen gar nicht mehr zur Schule kommen.
An Züchtigung ist das freie Negerkind eben wenig gewöhnt, weil Vater und
Mutter die Rute nicht gebrauchen; ja nicht einmal mit der Hand wird das
Kind geschlagen. Die Eltern machen großen Lärm, wenn der schwarze Lehrer
der Missionsschule eines ihrer Kinder auch nur ein bißchen schlägt, und zu
der Erzählung des Missionars von den Strafen der weißen Kinder im Eltern-
haus und in der Schule in Europa meinten die schwarzen „Wilden--, das sei
barbarisch. Nicht einmal die Versicherung, daß Gott selbst den Eltern das
Züchtigungsrecht über ihre Kinder gegeben habe, konnte die Schwarzen ganz
beruhigen. IT' hrmeister fügt dann bei: Ganz ohne Strafmittel ist indes der
Neger nicht; er legt eben alles in seine Worte und kommt mit dem bloßen
Tadel aus2). Die Neger sind hierin sehr empfindlich, und die Kinder fühlen
auch diese Art Zurechtweisung von seilen ihrer Eltern, welche aber seihst
diese viel zu wenig- anwenden. Eigentliche Prügelstrafen bekommen die
Jungen erst, wenn sie die Unyago-Zeit durchgemacht, d. h. die Pubertäts-
feier hinter sich haben3); erst von da an sollen sie Anstand wissen. Der katholische
*) Bei Ploß, 2. Aufl. II, 343.
*) Also ganz wie die modernen Amerikaner, die ihre Pädagogik in dieser Hinsicht
ien Indianern entlehnt zu haben scheinen.
») Kgl. Kap. XXXVIII und LVIII.
-
428 Kap. XLIV. Pflege, Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
.Missionar läßt die Kinder ob kleinerer Vergehen niederknieen und ein oder
zwei Vaterunser beten. Dazu kommt unter Umständen noch Entziehung eines
Teils oder der ganzen Speise, bei einer Mahlzeit. Diese Strafen verfehlen ihre
Wirkung nicht leicht: denn mit dem Fasten machen die Kinder gar nicht
gerne Freundschaft. Indessen unterziehen sie sich der Strafe, ohne Miene zu
machen, ohne fortzulaufen, oder sich bei ihren Eltern zu beklagen. — Nach
dem I nyago besorgt der Mkubwa (Art Pate) das Durchprügeln seines Schütz-
lings, den er zu diesem Zweck in die Wildnis nimmt, wo er das Geschäft
unter vier Augen abwickelt. ..Leider werden aber fast nur Vergehen wegen
Beleidigungen so gezüchtigt, während es bei Diebstahl und Dllsittlichkeit
ohne Prügelstrafen abgeht; bei Diebstahl wird nur Schadenersatz gefordert."
schreibt Wehrmeister.
Blinde Elternliebe und Herrschsucht der ungezogenen Söhne bemerkte
llnlnh bei den Makololo und anderen Stämmen im Süden vom Sambesi,
wo bereits zwölfjährige Knaben ihren Eltern befehlen. — Nicht ohne Einfluß
auf die Charakterbildung der freigebornen Knaben dürfte es sein, daß diese
Sklavenkinder zu Genossen. Spielgefährten und zu ihrem künftigen Troß
erhalten.
Den Kindern der Kaffern und Betschuanen rühmten Alhn-Ii und
Lichtenstein Gehorsam gegen ihre Eltern nach1).
Bei den Basutos fand Chr. Stech eine Art Religionsunterricht, der mit
..eindringlichsten" Schlägen begleitet war._
Die Xama-Hottentotten freuen sich, wenn ihre Kinder einmal stark
genug sind, um ihre eigenen Eltern prügeln zu können; denn dann wissen sie,
daß sie auch im Kampf mit Feinden und wilden Tieren bestehen. So schrieb
Ploß in der 2. Auflage2). — Ganz anders lautet die folgende Mitteilung des
H. v. Francois: Die Hottentotten halten ihre Kinder zur Arbeit an und strafen
Ungezogenheiten handgreiflich, von Francois führt einen Mann an. der seinem
arbeitsscheuen Sohn die Oehsenpeitsche zu fühlen gab, ihn aber auch gleich
darauf, als der Bursche sich dienstbereit zeigte, einen ..guten .hingen" nannte.
Gehen wir nun zu einigen malayisch-polynesischen Völkern über.
Da schreibt z.B. Ködding von denBatak auf Sumatra: Hier ist von einer
eigentlichen Erziehung keine Rede. Die Kleinen behaupten ihren Willen
gegen die Alten, und ebensowenig denkt man an Unterricht und Einführung
ins Leben. Früh sich selbst überlassen, werden die Kinder bald selbständig
und in der Nachahmung der Alten ganz von selbst wie diese. - Die Bevor-
zugung der Söhne zeigt sich unter anderem darin, daß sie mit dem Vater
zuerst essen, worauf erst Mutter und Töchter darankommen.
Nach Warneck strafen die Batak ihre kleinen Kinder nur im Zorn. Sonst
fürchten sie sich, sie zu züchtigen, und zwar aus Angst vor ihrem eigenen
„tondi" (Seele) und vor dem tondi des Kindes. Ein Sprichwort der Batak
lautet: ..Sei nicht hitzig, dein Kind zu schlagen; dein tondi könnte gesinnt
sein wie deine Hand: der tondi des Kindes könnte durch dein Schlagen er-
schrecken und fortlaufen." - ■ Tadel gibt es häutig. So sagen die Kitern z. B.
/u einem Sohn: ..Ich werde es Gott sagen, daß mir nicht mehr ein Sohn wie
du geboren wird." - Die Töchter werden noch weniger als die Söhne ge-
züchtigt, und zwar höchstens von den Müttern. —
Weniger ängstlich sind die Weiber der Kubus in den Urwäldern des
südlichen Sumatra, denen die Erziehung der Kinder zukommt. Sie be-
kräftigen ihre Lehren mit Hand- oder Stockschlägen, wie Vole schreibt.
') Bei Floß. 2. Aufl. H. :«3.
') II, 344
■§ 293. Charakterbild, u. Züchtigung des Kindes bei Sudan- und Bantuvölkern usw. 429
Unter den Mikronesiem der Marianen-, Karolinen-. Marschall-
und Gilbert- Ins ein wuchsen die Kinder vor Ankunft der Missionare so
ziemlich ohne jede Zucht auf; höchstens schlugen auch hier die Eltern zornig
auf sie ein. wenn die Kinder zu gierig nach den gemeinsam einzunehmenden
Speisen verlangten, was auf Knsaie oft Anlaß zu ehelichem Zwist gegeben
habe, indem das eine der beiden Kitern sofort die Partei des wegen seiner
Unverschämtheit geschlagenen Kindes ergriff1). - - Das wird freilich auch heute
noch nicht ausgeschlossen sein. Ein Blick in den „Jahresbericht 1911 aus
den Missionen der rheinisch-westfälischen Kapuziner-Ordensprovinz auf
den Karolinen-, Marianen- und Pal au- Inseln in der deutschen Südsee"
belehrt uns zur Genüge, daß es mit der ethischen Umbildung der Mikronesier
nicht leichter geht als mit jener anderer Völker. P. Corbinian schreibt z. B.
auf Grund seiner Erfahrungen in seiner Schule auf Rota: Die Leitung einer
Schule in der Südsee ist mit großer, ja geradezu entsetzlicher Arbeit und
Mühe verbunden. Zunächst sind die Kinder überaus flatterhaft und sehr zerstreut.
Will man sie aufmerksam erhalten, so muß man beständig Spektakel machen,
sei es mit dem Stock, oder sonstwie. Die Kinder sind denkfaul; dagegen ist
selbst der Stock kein wirksames Mittel. Anfangs kam es vor, daß 14 Tage
lang fast kein einziger seine Lektion lernte, während es dann wieder drei
Wochen lang flott ging: Südsee-Charakter! — Immerhin hofft P. Corbinian
auf eine schöne Entwicklung der Schule, zumal viele Männer sich für sie
interessieren, was aus ihren Bemerkungen hervorgehe, welche sie in die Schul-
zeugnisse ihrer Söhne im Jahre 1910 gemacht hatten. Die folgenden zwei
ilavon beweisen, daß die betreffenden Eingebornen auch mit der Disziplin
einverstanden waren. Die eine lautete: „Ich danke Ihnen. Pater, für Ihre
Mühe und freue mich über die gute Aufführung meines Sohnes." Die andere:
„Ich freue mich über die gute Aufführung meines Sohnes und danke Ihnen
sehr. Strafen Sie meinen Jungen noch mehr, damit er sich noch mehr bemüht
und noch größere Fortschritte macht."
„Unbarmherzige Strafe" drohte P. Sixtus den Knaben auf Jap an im
Falle sie ohne Entschuldigung die Schule schwänzten. Das half, und die
Häuptlinge sprachen ihre Zustimmung zu diesem Vorgehen mit „kafel" (es ist
gut) aus. „Nur wer energisch auftritt, hat Ansehen bei den Japleuten", konstatiert
dieser Missionar, während P. Plaridus an der Schule von Korror, einer
Palau-Insel, im Jahre 1911 schrieb: ,,Ein besonderes Mittel, die Schüler zu
regem Eifer und Fleiß anzuspornen, sind Lob und Tadel. Der Paktier
besitzt nämlich einen sehr stark ausgeprägten Ehrgeiz. Für alles, was er tut,
will er gelobt werden und strengt sich noch mehr an, wenn man seine Leistungen
anerkennt. Übersieht man seine Leistungen, so legt er gleich die Hände
müßig in den Schoß. Wird er getadelt, so ist er niedergeschlagen und verliert
leicht den Mut. Darum bin ich im Tadeln vorsichtig und karg, im Loben
mäßig. Ist die Interesselosigkeit mal allgemein, dann erzähle ich von den
fleißigen und braven Schülern in Deutschland. Natürlich wollen dann die
Palauer alle den Deutschen gleichkommen."
Arno Senff't, Bezirksamtmann auf den Karolinen, schrieb: die Japleute
züchtigen ihre Kinder kaum je schmerzlich und lassen ihnen die größte Frei-
heit. Die Väter nehmen ihre Söhne schon im Knabenalter zu Familien- und
öffentlichen Verhandlungen mit, wenn diese auch derartigen Inhalt haben,
daß in Europa die Gegenwart selbst erwachsener Kinder ausgeschlossen wäre.
Allzuwenig Strafen für Kinder fanden Seemann, Williams, Turner,
MeinicJce, Krieger und andere bei den Papuas auf Neuguinea und in Mela-
nesien überhaupt.
') Ploß (nach Sprengel und Le Gobicn), 2. Aufl. II, 337.
430 Kap. XLIV. Pflege, Abhärtung. Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
Die Papuas in Kaiser Wilhelmsland verziehen ihre Kinder in jeder
Weise, sehrieb Maximilian Krieger. Deshalb sind die größeren in der Kegel
unfolgsam und zu sehr mu sich selbst eingenommen. Besonders nachsichtig
ist mau gegen die Erstgebornen. — Ähnlich sieht es nach Krieger in Bri-
tisch- und Holländisch-Neuguinea aus. Man gibt den Kindern in allem
nach: Vater und Mutter strafen selten, und dann höchstens in der Leidenschaft.
wobei es häufig vorkommt, daß sich die Kinder widersetzen, besonders der
Mutter gegenüber. Schlägt dann das Kind die Mutter, dann freut sich nicht
selten der Vater über seinen tapferen Sohn. Deshalb sind altkluge, frühreife
Kinder unter den Papuas nur zu oft zu finden. — Der Knaben Los. meinte
Krieger, ist ein heitereres als das der Mädchen, weil jenen viel länger Zeit
zu Spiel und Muße gelassen wird.
Von den Motu-Motu, einem hellfarbigen Stamm auf Neuguinea, schrieb
Floß1): „Betrug und Lüge scheinen einen wesentlichen Teil ihrer Existenz
auszumachen. Kinder fangen an zu stehlen, sobald sie laufen können; es gilt
für kein Verbrechen; nur fassen lassen dürfen sie sich nicht'-)."
Stärke und Mut sind zwei Hauptziele der Knabenerziehung bei einem
andern Stamm in Britisch-Neuguinea, nämlich bei den Komi. Zur Erreichung
dieser Ziele lassen sie ihren noch nicht mannbar gewordenen Söhnen einen
guten Teil von ihren kannibalischen Mahlzeiten zukommen (Egidi).
Hei J. J. Atkinson lesen wir über Neu-Caledonien, französisches
Ozeanien: Die Eingebornen sind gut gegen ihre Kinder; Züchtigung ist auch
hier selten. — Nur zweimal sah Atkirtstm während seines mehrjährigen
dortigen Aufenthaltes eine solche vornehmen. Es geschah auf eine der in
Buropa üblichen Weisen. Das Verschulden der Bestraften bestand in dem
einen Fall in der rauhen Behandlung kleiner Mädchen, im andern in Diebstahl.
Hier fügte der strafende Vater hinzu: ..Solche Knaben wachsen zu Weiber-
Stehlern heran."
Auf den Loyalty-Inseln uud den Hebriden sollen die Kinder überhaupt
nie gestraft werden, wie Plofi3) nach Cheyne und Turner schrieb.
Auf den Viti- (Fidschi-) Inseln haben wir dann wieder die wohlbekannte
Erscheinung, daß die Eltern nur im Zorn strafen, hauptsächlich wenn sich
die Kinder widersetzen. Auch hier sehen es die Väter gern, wenn die Knaben
in solchen Fällen ihre eigene Mutter schlagen. Sie sehen darin ein Vorzeichen
künftiger Tapferkeit. Ja, Williams schrieb: „So ziemlich das Erste, was ein
Kind lernt, ist. seine Mutter schlauen. Von einer moralischen Erziehung ist
keine Rede"4). Zu Williams Zeit gewöhnte man die Kinder früh daran, den
Mord eines Menschen für etwas Geringes zu halten. Wiüiams sah. wie eine
Mutter ihre Kinder anleitete, auf den Leichen der Feinde herumzutreten. —
Sehen wir uns nach polynesischen Völkern um:
Von den Maori auf Neuseeland berichtete Taylor*), sie ließen ihre
Knaben in ungebundener Freiheil autwachsen und behandelten sie wie Männer.
I >ie Folge war. daß sie im Knabenalter bereits halbe Männer waren.
Aul Tahiti dachten die Eingebornen zu Försters und Mörenhouts Zeit
an eine Kindererziehung gar nicht, was selbstverständlich wieder in unserem
Sinne zu verstehen ist. ..Von früh an sind die Kinder bei allem Unanständigen
dabei", schrieb Floß") im Hinweis auf jene beiden Forscher. Die .lugend
Aufl. II, 336.
ich hier werden wir wieder an ein ähnliches Moment in der spartanischen
Erziehung erinnert.
.. Autl. II. <\.
*) Ebenda S. 336.
5) Ebenda.
6) Ebenda. — Vgl. auch ..Gegenseitige Liebe zwischen Ehern und Kindern" in Kap. LiX.
§ 294. Charakterbildung und Züchtigung bei Japanern, Koreanern usw. 431
wurde eben auch in dieser Hinsicht zur Praxis der Erwachsenen herange-
zogen. —
„Sich selbst und der Natur überlassen" wachsen die Kinder auf den Tonga-,
Samoa- und Marquesas -Inseln ..roh" auf1).
Ähnlich verhält es sich mit den Eingebornen des australischen Kon-
tinents, von denen Freyeinet'11) mitteilte: Von Erziehung ist bei ihnen nicht die
Rede; Kinder züchtigen gilt ihnen als Grausamkeit; die Väter stehen den
Kindern gegen ihre Mütter bei, und so wachsen diese in Ungebundenheit und
Übermut, ja in Gewalttätigkeiten heran. - Nach K. E. Jung werden die
Kinder auch dann nicht gezüchtigt, wenn sie sich an fremdem Eigentum ver-
greifen. — Im „Globus" (Bd. 56, S. 123) heißt es: Die Mutter zankt ihre
Kleinen wohl bisweilen, schlägt sie aber niemals. Überhaupt geschieht zur
Erziehung der Kinder so gut wie nichts. Dennoch sollen sie viel besser
geartet sein, als man erwarten sollte. — Mit neun Jahren benehmen sich
die Kinder schon ganz wie Erwachsene. —
Der spanische Missionar Salvado schrieb aus seinem Missionsgebiet am
Moore-Fluß freilich, daß die Knaben, wenn ihnen ein Wunsch nicht erfüllt
wird, weinen, Vater und Mutter beißen und schlagen. Als nächsten Grund
dieser Roheit nennt auch er die allzu große Nachsicht der Eltern. Die Kinder,
schrieb er. dürfen anfangen was sie wollen; die Eltern entschuldigen sie stets
unter dem Vorgeben, die Kinder verständen es nicht besser. Höchstens schreit
man sie an, und auch das erst dann, nachdem man ihre Wünsche erfüllt hat:!). —
§ 294. Charakterbildung und Züchtigung bei Japanern, Koreanern, Völkern
mit isolierenden Sprachen und vorderindischen Nichtariern.
Aleoeh nannte Japan das Paradies der Kinder. Ihm zufolge wird hier
die Erziehung mit großer Ruhe und Milde geleitet. „Heftige Affektsäußerungen
und körperliche Züchtigungen sind gesellschaftlich verpönt. Wenn eine Nation
in diesem Punkte es weit gebracht hat, so ist es die japanische. Hier werden
die Eltern zu Kindern und freuen sich ebenso am Kreiselschnurren. Drachen-
steigen usw. wie. diese. Es ist ein schöner Anblick, an sonnigen Nachmittagen
Scharen des Volkes, festlich geschmückt, familienweise heranrücken zu sehen,
um sich des schönen Anblicks zu erfreuen, den ihnen etwa eine bei schön
gelegenen Teehäusern zur Blüte gekommene Lieblingspflanze gewährt. Welch
friedliche, glückliche Stimmung spiegeln nicht die Gesichter ab bei jung und
alt! Wie unablässig bemüht sind nicht die Eltern, den Kindern Freude zu
machen, an ihren Spielen teilzunehmen, sie mit Süßigkeiten zu versehen4)!" —
Nach Seite 360 der 2. Auflage des vorliegenden Werkes5) unterscheidet sich
die japanische Erziehungsmethode von der unsrigen „wesentlich". „Nie sah
man jemand ein Kind züchtigen." - Aber auf der gleichen Seite zitierte
Floß Isabella Bird: ..Strafen (in der Schule) bestehen in Rutenschlägen gegen
den Vorderteil des Beines, oder darin, daß man den Zeigefinger mit dem
') Floß, ebenda. — Vgl. damit das jetzige Mädehenpensionat auf Samoa in § 303.
2) Bei Ploß, ebenda S. 334.
3) Ich kann es mir nicht versagen, hier darauf aufmerksam zu machen, was Brix-Förater
im Hinweis auf John Foster Fräser über die Jugendfürsorge der weißen Bevölkerung in
Australien schreibt: Er nennt die dortige staatliche Jugendfürsorge eine geradezu
väterliche. Besonders bemerkenswert sei die Fürsorge für verwahrloste Kinder in Süd-
australien. Fortwährend sehen sich staatliche Inspektoren in den Familien um, die jene
Kinder, welche roh behandelt werden, oder in sittenloser Umgebung aufwachsen, ihren Eltern
wegnehmen und sie anständigen Leuten zur Erziehung geben. Besonders begabte erhalten
unter Beihilfe von Stiftungen eine höhere Bildung. In Neusüdwales haben alle Schul-
kinder freie Eisenbahnfahrt. Auch Jugendgerichte finden sich bereits in Australien (Globus,
Bd. 97. S. 348). —
*) Bei Ploß, 2. Aufl. II, 361.
") Bd. II.
432 üap. XLIV. Pflege. Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
beißendes Moxakraut berührt." Nacb Bird ist Gehorsam die Grundlage der
Erziehung in und außer der Schule, „wie überall in Japan". Ein peinlicher
Ernst herrscht auf allen Gesichtern der Schulkinder. Fast traurig und alt
sehen die langen Reihen der aufmerksam über die Bücher gebeugten Kinder-
gesichter aus. Her strikte Gehorsam, an den die Kinder in Japan von früh
an gegen ihre Eltern gewöhnt sind, und der auch das ganze spätere Leben
hindurch ihr Verhältnis zu ihnen charakterisiert, macht dem Lehrer leichte
Arbeit.
Ein größerer Kontrast als der dieser beiden Schilderungen ist kaum
möglich. Man ist versucht, die eine auf optimistische, die andere auf pessimistische
Beobachtung zurückznbeziehen, oder aber, man hat in der iJmüschen Schilde-
rung den deprimierenden Einfluß der Schularbeit auf das Gemüt des Kindes.
welches in der ÄlcocJcschen in der freien Natur, bei Spiel und Fest so sonnig
erscheint ').
Wenig Günstiges hat uns H. <•'. Arnous über die Kindererziehung in
Korea mitgeteilt:
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•— -i ) -k ** jTn
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Fig. 377. Koreanisches Fuhrwerk als Spielzeug. Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Die Kinder haben meist ihren eigenen Willen, besonders wenn es Söhne
sind. Man lacht über alles, was sie tun. freut sich sogar, wenn sie sehen
jung 1 Bister und Leidenschaften zeigen. Sie zu bessern, versucht man nicht.
Eine Erziehung zur Moral kennt der Koreaner nicht. Die Kinder wachsen
unerzogen und onbelehrt auf. bis ihre Zänkereien in laute Ausbrüche wilder
Wut und Leidenschaft ausarten, wenn sie zu Männern und Frauen geworden
sind. Die den Koreanern eigentümliche Gefräßigkeit wird schon dem Kinde
anerzogen.
In China linden wir, wenigstens auf dem Papier, ein sehr beachtenswertes
Erziehungsideal: Im ,.Lun Yu". einem chinesischen Klassiker aus dem 4. Jahr-
hundert v. Chr.. wird Ergebenheit gegen die Eltern. Ehrfurcht vor altern
Leuten, Ernst und Wahrheitsliebe, die Freundschaft mit Guten und überfließende
Liebe zu allen über die Wissenschaft gesetzt (James Legge). - Das
mutet einen fast au wie das Paulhtisvlic Wort: ..Las Höchste aber ist die
Liebe." Luch hindert die chinesische Erziehung die Entfaltung der freien
Persönlichkeit, welche der väterlichen und der behördlichen Gewalt, bzw. dem
Althergebrachten, zum Opfer fällt. Floß schrieb im Hinweis auf L. Kutscher:2)
In China ist das Verhältnis zwischen Kindern und Kltern das Erste und
Wichtigste, welches die Gesetze feststellen, und das Gesetz ist dort der un-
i| Vgl. Kap XLVI.
§ 294. Charakterbildung und Züchtigung bei Japanern, Koreanern usw.
433
mittelbare Ausfluß des kaiserlichen Willens. Als die Grundlage aller häuslichen
und bürgerlichen Tugend, als Wurzel des Staatswohls wird die kindliche Liebe
betrachtet, und die väterliche Gewalt ist unbeschränkt. — Die Pflichten
der Kinder gegen die Eltern sind durchgängige Aufmerksamkeit, völlige Hingabe
an den Vater mit Verleugnung aller Selbständigkeit und Selbstheit.
Dagegen sind die Eltern verpflichtet, ihre Kinder zu Menschen, d. h. echten
Chinesen, zu erziehen. Aber unter dieser Erziehung ist im Grunde nichts
anderes zu verstehen als mechanische Nachahmung, gesellige Höflichkeit und
pedantisches Zeremoniell. Überall ist das Bestreben zu bemerken, in der Er-
ziehung alles, bis ins Kleinste hinein, vorher zu bestimmen und die genaueste
Gliederung der Bildungsstufen herzustellen.
Man hält sich an den Spruch: „Wer die Rute schont, verdirbt sein
Kind." Ihre sonstige Liebe zu den Kindern hindert die Eltern nicht, sie
im Zorn barbarisch zu schlagen. Stirbt ein Kind an der erlittenen Strafe,
so werden die Eltern nicht zur Verantwortung gezogen. Unter der Fluß-
bevölkerung ereignet es sich oft. daß aufgebrachte
Mütter ihre Kinder ins Wasser werfen und. wenn
dieselben sich an die Boote klammern, wütend zurück-
stoßen, bis sie ertrinken. Selbst den Söhnen
vornehmer Bürger werden zu Hause zuweilen Fesseln
angelegt, wenn sie spielsüchtig sind, oder anderen
schlimmen Neigungen frönen. Eine andere Bestrafung
besteht darin, daß man dem Knaben seinen Anteil
an dem Schweinefleisch vorenthält, das alljährlich unter
die Familienmitglieder verteilt wird, wenn sie von
der Anbetung der Gräber der Vorfahren zurückkehren.
Viel strenger noch werden die Kinder bestraft, die
ihre Eltern schlagen; zuweilen werden solche ent-
hauptet ').
Als Züchtigung in der Schule bekommen Knaben,
die ihre Lektion nicht kennen, 10 — 30 Streiche mit
einem gespaltenen Bohr in die Handflächen '-'>.
Nach dem Missionar Stenz holt die Schule etwas
nach, was vornehme Eltern versäumen. Die von
Kutscher erwähnten Strafen der Söhne solcher Eltern
scheinen nämlich nach Stern sehr selten zu sein. „Kein hartes Wort'' wird
den von frühester Kindheit an verhätschelten Söhnchen der Vornehmen gesagt,
„und die Rute ist unbekannt", schrieb dieser Missionar, nachdem er das harte
Los der Kinder armer Leute geschildert hatte 3). Nach Stenz liegt die chinesische
Kindererziehung überhaupt sehr im argen. Seine Schilderung zeigt uns die
Praxis von der im „Lun Yu" aufgestellten Theorie durch einen Abgrund ge-
trennt. „Von Kindererziehung ist keine Rede," schreibt er, „und das ist kein
Wunder." Die Mutter, die natürliche Erzieherin der Kinder, weiß ja selbst
nichts davon. Oft heiratet sie schon mit 10 — 14 Jahren, und wie es ihre
Eltern mit ihr gemacht, so macht sie es meist wieder. Das Schlechte lernen die
Kinder zuerst von ihren Eltern. Stenz, der doch in seinen Urteilen im all-
gemeinen milde ist, nennt es „ein wirklich teuflisch idyllisches Bild", eine
chinesische Mutter mit ihrem Kleineu auf dem Schöße zu sehen und zu hören,
wie sie ihm Schimpfen, Fluchen und Schlechtigkeiten beibringe. Und
solche Bilder seien nicht selten. „Schimpfe den Vater!" so scherze das Ehe-
Fis- 37s. Koreanische Stroh-
schuhe für Kinder. Im Museum
für Völkerkunde in Leipzig.
') Ebenda
2) Vgl. Kap. XLVI.
s) Vgl. § 291.
Ploß-Renü, Das Kind. 8.
Aufl. Band II.
28
434 Kap. XL1V. Pflege, Abhärtung. Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heran«-. Kindes.
paar mit dem Kinde, das dann alle die zotigen, schlechten Ausdrücke, welche
es eben von der Mutter lernte, herunterleiere1).
Als eine gute Mutter wird die gepriesen, deren Tochter einen recht
kleinen Fuß und künstliche Haarfrisur hat. — Die Putzsucht der jungen
Mädchen ist groß. Auch Grausamkeit wird mit dem Chinesenkind aufge-
zogen. Das Kind quält jedes Tierchen, das ihm in die Hände fällt. Es lernt
die Grausamkeit von den Erwachsenen. Kein Huhn wird geschlachtet, ehe
es gequält wird, und die Verbrecher werden öffentlich gefoltert, was dem
Publikum zur wahren Herzensfreude gereicht,
Trotz all diesen Erfahrungen betont doch auch Stenz, daß die Pietät
der chinesischen Kinder gegen Eltern und Vorgesetzten für uns oft beschämend
sei. Sie betätigt sich allerdings mitunter in einer "Weise, die nach unserer
Auffassung barbarisch, oder lächerlich, oder geradezu unmoralisch, weil unver-
nünftig und unnatürlich ist. So schnitten sich z. B. nach einem Bericht in
der chinesischen Presse zwei Söhne Stücke Fleisch vom eigenen Leib, um
ihren kranken Eltern damit eine Suppe zu machen. Sie hatten gehört, daß
das ein wirksames Heilmittel sei. Für diese Tat wurden sie vom Kaiser
öffentlich belobt, Ferner: Um von den Göttern die Verlängerung des Lebens
seiner alten Mutter zu erlangen, beging ein Sohn Selbstmord, indem er sich
auf dem heiligen Berg Taingan von einem Felsen herunterstürzte. Diese Tat
wurde dadurch geehrt, daß man dem ..guten Sohn" an der gleichen Stelle
ein Denkmal errichtete.
In einem chinesischen Schulbuch fand Stern die folgende Erzählung:
Ein kleiner Chinesenknabe hatte von seiner Mutter Schläge erhalten
und weinte fürchterlich. Auf die Frage, ob denn die Prügel so sehr geschmerzt
hätten, erwiderte er: Nein, ich weine vielmehr, weil sie mich nicht schmerzten.
denn daraus sehe ich, daß mein Mütterchen alt und schwach geworden.
Daß eine solche Erziehungsmethode Heuchler hervorbringen muß. ist
klar. Die Ende 1911 ernstlich begonnene Umwälzung wird hoffentlich auch
der Jugend Chinas zugute kommen, von der Frh. von Biehthofen schrieb: „Es
ist in ihr ein Keim zu etwas Besserem, als sie in China erreichen kann, wo
die jungen Leute bald indolente Opiumraucher werden wie alle anderen, und
wo in ihnen alles Interesse außer jenem für Handel und Silber erstickt wird."
— Die ..vaterländische Gefahr", welche die Chinesen nach einem Artikel im
„Globus"-') fürchteten, liegt freilich zunächst darin, daß die abendländische
Kultur eine Umwälzung in China hervorgerufen, tiefer aber gründet sie in
den bisherigen, naturwidrigen Rechtsverhältnissen des „blumigen Reiches".
Ungestraft durften bisher die Eltern ihre Kinder töten; aber pietätlose
Kinder wurden von jedermann verachtet; wer Vater oder Mutter tötete, wurde
gevierteilt, und der ganze Kreis, in welchem die Tat vorgekommen war. wurde
bestraft, indem man z. B. eine Ecke der Stadtmauer schleifte"). — Solche
Rechtsverhältnisse können freilich vor der jetzt frisch eindringenden Kultur
des christlichen Westen nicht Stand halten. —
Ehrfurcht und Liebe gegen ihre Eltern sucht man den Kindern auch i»
Annam frühzeitig einzupflanzen, aber Despotismus scheint hier nicht zu
herrschen. Vielmehr wird den Annamiten eine verhältnismäßig vernünftige
i) Ahnliches kann man leider auch unter uns Deutschen sehen und hören. Ebeoso
ist die Drohung der chinesischen Mutter: ..Ich schlage dich tot!- keine Seltenheit im Munde
deutscher Mütter aus dem Volke. Hier hört man noch Schlimmeres: .,üer Teufel soll dich
holen 1", oder ..Verreck'!" — Stenz sah in China Weiber, die ans Wut, weil ein Sohn oder
Schwiegertochter nicht gehorchte, sich selbst den Kopf auf Steine, oder an eine Wand
stießen.
■' Bd. is. S. 207: Soziale Beziehungen in China.
3i Vgl. damit die Tausende und Hunderttausende von Mädchen, welche bisher in China
ungestraft aus dem Leben geschafft werden durften, in Kap. JX.
§ 294. Charakterbildung und Züchtigung bei Japanern, Koreanern usw.
4 35
Kindererziehung nachgerühmt, — Körperliche Züchtigung gibt es. Sie wird
mit einem Rohr vorgenommen ').
Von den Kindern der Thai-Völker in Siam schreibt Bourlet: Wenn
noch klein, beeilt sich schon das Kind, jedem Wink des Vaters zu folgen. Es
hat ja hierin an der sklavisch gehorchenden Mutter ein -wirksames Beispiel.
Der Einfluß der letzteren auf die Erziehung nennt Bourlet gering. Hiermit
meint er aber wohl nur einen guten Einfluß; denn er berichtet gleich darauf,
daß die Mütter ihre Kinder allzu oft verziehen, indem sie ihnen in allem
nachgeben. Im allgemeinen könne man sagen, daß die Kinder aufwachsen wie
der Bambus und die Liane im Wald. Das dauert jedoch nicht allzu lange;
denn bald beginnt für sie die Arbeit, wie wir im folgenden Kapitel erfahren!
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T,i 'Jk:-*'\\ tob»,.
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L J
Fig. 379. Birmanische Puppe aus Papiermasse. Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Im nördlichen Siam leben die Bergstämme der Laos. Sie halten viel
darauf, daß ihre Kinder recht höfliche Menschen werden und sich nicht gegen
die landesüblichen Umgangsformen verfehlen. Hierbei- gehört folgendes: Nie
ohne \erbeugung und Entschuldigung an einem andern vorbeigehen; einen
\ ornehmen begrüßen, indem man sich auf die Fersen niederläßt, die gefalteten
Hände über den Kopf hält und ausruft: „Dein Sklave grüßt dich", oder ,.das
Haar grüßt dich", oder „das Tier grüßt dich". Gleichalterige und Standes-
genossen hat man als „mein älterer Bruder" oder „meine ältere Schwester"
anzusprechen; alte Leute als mein Vater, meine Mutter, mein Onkel, meine
lante, mein Großvater, meine Großmutter. — Der Unterricht in diesen Höf-
lichkeitsformen beginnt jedoch erst um die Zeit der Pubertät. In seinen
J) Globus 58, 266.
28*
43fj Kap. XLIV. Pflege. Abhärtung, Charakterbild, u körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
ersten Lebensjahren wälzt sich das Kind des Lao im Freien unbeaufsichtigt
in Staub und Schmutz, oder ruht sich auf der Hüfte seines Vaters, seiner
Mutter, eines älteren Bruders, oder einer älteren Schwester von dieser An-
strengung aus. Bald auch muß es seinen Eltern durch Überwachung der
Herden nützlich sein.
Über die Kindererziehung bei den Birmanen bemerkt Pilate: Die
Kinder werden nie geschlagen, nie schlecht behandelt. Daß sie auch „nie"
weinen und schreien, wie Pilate angibt, ist freilich schwer zu glauben. —
Ungünstige
Nachrichten liegen
mir über die Er-
ziehung des Kindes
im südlichen, also
vorzugsweise nicht-
arischen Vorder-
indien vor: Das
Kind wird hier nach
Wilhelm Hoffmanns
Schilderung einer-
seits mit Affenliebe
geliebt, andererseits,
je nachdem bei seinen
Eltern ') die Leiden-
schaft ausbricht,
mit barbarischen
Sehlägen traktiert.
Man überläßt die Kinder gewöhnlich
Kindermädchen, oder Knechten, die sie
mit ihren unsittlichen Redeu und Ge-
bärden verderben. Haben sie einmal
«■in bestimmtes Alter erreicht, dann
beginnt für die Söhne der Vornehmen
der intellektuelle Unterricht, und auch
einzelne Töchter der höheren Kasten
weiden jetzt durch europäischen
Einfluß eines Schulunterrichtes teil-
haftig, oder beschäftigen sich mit Hand-
arbeiten. Aber im allgemeinen bringen
die Mädchen, da es ihnen an Besserem
gebricht, ihre Zeit mit eitlem Ge-
schwätz und ebenso törichten Beschäf-
tigungen zu. 1 )er unabänderliche Gegen-
stand ihrer Unterhaltungen ist die Ehe.
Die Eltern selbst geben ein schlechtes Beispiel. Gerade von den höheren
Ständen schrieb Hoffmann, daß sonst ganz vernünftige Väter nicht selten in
Gesellschaft ihre kleinen Knaben auf den Schoß nehmen und ihnen zum Zeit-
vertreib alle möglichen Schimpfwörter gegen ihre Mutter beibringen. Das
behalten die Knaben wohl im Gedächtnis und setzen es in l'iaxis um. Die
Krau des Missionars Mault schrieb im Jahre 1834 von der Coromandel-
Küste. sie habe es oft mit angehört und erlebt, wie Knaben ihren Müttern
barsche Befehle erteilten, und, wenn später erwachsen, sie aus dem Haus
Fig. 38u. Spielzeug nus Birma: Figur mit Balan-
cierstange. Ball. Im Museum für Völkerkunde in
Le ipzig.
1 1 Nach einer anderen Stelle bei Hoffmann is. f. S.) dürfen die Mütter ihre Söhne
nicht züchtigen.
§ 295. Charakterbildung und Züchtigung des Kindes bei Ural-Altaien usw. 437
vertrieben. Da die Seligkeit der Mütter nach Hinduauffassung gewissermaßen
von ihren Söhnen abhängt, dürfen die Mütter diese nicht züchtigen.
Diesem Barbarismus nach Hoffmanns Schilderung entspricht, wenn auch
in anderer Hinsicht, was im ..Globus'' (Bd. 91, S. 100) über die Züchtigung
in den ..Hindu- und Tamilenschulen"1) zu lesen war: In diesen Schulen
gibt es nämlich nach Thurston 42 Arten von Körperstrafen. Der Stock aus
Rotangrohr mit silbernen Knöpfen ist das untrennbare Zeichen des Schul-
meisters, mit dem er Hinterteil und Handflächen bearbeitet. In einigen Schulen
müssen die Schüler der schnelleren Strafmöglichkeit wegen den Hintern stets-
entblößt halten. Andere Strafen sind: Zupfen am Ohrläppchen, sowie Backen-
streiche, womit sich Knaben Auf Befehl des Lehrers auch gegenseitig selbst
strafen. Ferner: Auf den Zehen stehen, auf scharfen Gegenständen knieen,
Peitschen mit Nesseln, wobei dem Sträfling die Hände gebunden werden, damit
Fig. 381. Tamil-Kinder von Siugapore. Im K. Ethnograph. Museum in München.
er sich nicht kratzen kann; Begießen mit süßem Wasser, um dadurch Ameisen
und andere Insekten anzulocken, die den Entkleideten und Gefesselten peinigen;
Aufhängen an den Händen, Exposition an der Tropensonne usw. - - Außerdem
läßt es der Lehrer an gemeinen Schimpfwörter auf die Eltern und Verwandten
der Sträflinge nicht fehlen. — Trotzdem werde der Lehrer von seinen Zög-
lingen geachtet und geliebt.
Den Todas in den Nilgiri-Bergen des südlichen Vorderindien rühmte
Harlcneß nach, daß sie ihren Kindern von frühester Jugend an Ehrfurcht vor
den Rechten ihrer Mitmenschen einpflanzen. —
§ 295. Charakterbildung und Züchtigung des Kindes bei Ural-Altaien,
Hyperboräern und Indianern.
Wie wenig bei manchen Völkern Herzens- und Gemütsbildung mit der
Schulbildung zusammenhängt, haben wir bereits in den §§ 292—294 wiederholt
') Unter diesen „H'nclusehulea'' sind wohl Schulen der arischen luder gemeint. Die
Tamilen sind Nichtarier.
438 Kap. XLLV. Pflege, Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
erfahren. Audi der vorliegende Paragraph beweist dies durch einige Beispiele,
deren erstes uns in der Mongolei begegnet, Hier gelten die Lamaklöster
als die berufensten Bildungsanstalten, oder vielmehr als jene Stätten, an denen
am meisten zu lernen ist. Die Züchtigung geschieht hier aber mit Prügeln
und eisernen Ketten. Diese und andere barbarischen Strafen kamen, wenigstens
zu Ruc-Gabets Zeit, also um die Mitte des 19. Jahrhunderts, „häufig" vor.
Hingegen soll es in den Schulen der Baschkiren an der unteren
Wolga keine Strafen geben.
Ein Turkestaner Sprichwort lautet: „Ein Kind erziehe von jungen
Jahren an." Und ein anderes:
„Entziehe deine Gunst dem Kind,
das vor dem Vater redet" (X.
v. Seidlitz). — Während diese
beiden Sprichwörter darauf hin-
deuten, daß das Kind nach dem
Grundsatz der Turkestaner von
früh an zur Ehrfurcht vor dem
Vater angehalten werden soll, er-
laubt das folgende, gleichfalls dort
übliche Sprichwort den Schluß, daß
man mit der natürlichen, vom
Vater ererbten Xaturanlage und
mit dem Beispiel des Vaters rech-
net: „Wird der Sohn nicht vom
Vater erzeugt? Geht er nicht auf
des Vaters Wegen?" — Übrigens
wird es mit der turkestaner Er-
ziehung in der Praxis kaum besser
stehen als mit der türkischen,
welche in der 2. Auflage des vor-
liegenden Werkes folgenderweise
charakterisiert worden ist: Das
linkische Erziehungswesen ist
durch das Haremsleben bedingt,
daher wesentlich vom europäischen
verschieden. Während bei uns die
Erziehung des Kindes von dem
Augenblicke an beginnt, wo es das
Licht der AVeit erblickt, zuerst
unter Leitung der Mutter, dann
des Vaters, später der Schule, der
Lehrmeister und Professoren,
durch Reisen und durch Umgang mit dem andern Geschlechte,
in der Türkei die Mehrzahl dieser Bildungsmittel in Wegfall. Die
meist eine auf dem Markte gekaufte Sklavin, hat weiter nichts
als die Künste der Koketterie, und ist also unfähig, die Erziehung
Edelknabe aus üaudi, Ceylon. Im K. Etlmo
graphischen .Museum in München.
endlich
kommt
Mutter,
gelernt,
des Kindes zu leiten1), während der Vater durch seine Geschäfte des Tags
über von dem Wohnhause abwesend ist. Die ersten 6 bis 8 Lebens-
jahre bringt also das Kind in den Händen von Negerweibern und Eunuchen
zu. und während das Kind des Europäers in derselben Periode in den Gewohn-
heiten der Ordnung, des Gehorsams, der Nacheiferung, der Ehrliebe, der
Achtung vor dem Alter, der Pünktlichkeit erzogen wird, wächst das Kind
') Vgl. von liehn Urteil über die Erziehung in ostafrikanischen Harems, S. 424 f.
§ 295. Charakterbildung und Züchtigung des Kindes bei Ural-Altaieu usw. 439
des Türken in absoluter Zuchtl'osigkeit auf; von einer Bändigung des Eigen-
willens ist nie die Rede, im Gegenteil, der Wille des Kindes ist unter
allen Umständen Gesetz für seine Eltern und Diener, und wenn ein Europäer
als Zeuge der täglich vorkommenden Auftritte dem Vater darüber seine Bemer-
kungen macht, so heißt es: „Nejapeim? Tchodschukistior; jazykdyr", d.h., was soll
ich machen? Das Kind will es so haben; es wäre doch schade! — Diese
Grundsätze herrschen in allen türkischen Familien ohne irgendeine Ausnahme,
und so erklärt es sich für den Pädagogen auf ganz natürliche Weise, daß
selbst der beste Unterricht bei der türkischen Jugend wenig anschlägt, ohne
daß man nötig hätte, eine physische oder intellektuelle Inferiorität der Kasse
anzunehmen. Das einzige, was dem Kinde in diesen Jahren beigebracht wird,
ist eine grenzenlose Verachtung gegen alle Gjauren (Ungläubigen) und eine
glänzende Idee von der Überlegenheit der türkischen Rasse über alles andere
Menschengesindel.
Auch die sozial-politische Korruption wirkt auf die Charakterbildung
des kleinen Türken ungünstig ein. Floß1) führte in diesem Sinn das türkische
Kleinasien als Beispiel an und meinte: Wenn bei uus das Kind auf den
Bürgermeister, Pastor oder Lehrer mit heiligem Respekt schaut, sagt es sich:
„Wenn ich fleißig und ordentlich bin und etwas Tüchtiges lerne, so kann ich
es auch vielleicht noch so weit bringen." So wird das junge Geschlecht von
einem Ideal geleitet. Im Orient aber erhebt sich auf der einen Seite die
Furcht: „Der Mann kann uus schaden;" auf der andern Seite der Haß:
„Der Mann hat uus schon viel Unrecht getan." Da tritt denn in der Kinder-
seele die Vorstellung hervor: Um ein solcher Mann zu werden, brauche ich
nicht Fleiß, nicht Tüchtigkeit, nur Geld, nur Geld.
Auf die alte Türkei wird endlich auch zutreffen, was Rieche über den
Orient überhaupt schrieb:
„Dort kann der einzelne zu einem hohen Grad von Körperkraft und
Seelenstärke gelangen; er kanu zu mancherlei geschickt werden; aber immer
wird ihn die Erziehung nur als Mittel gebrauchen und daher in geistiger
Unfreiheit und Abhängigkeit zu erhalten suchen. Dies finden wir bei allen
orientalischen Nationen als das Gemeinsame ihrer Erziehung2)." Ploß ergänzte
diese Charakterisierung mit den Worten: Die Völker des Orients erziehen die
einzelnen Staatsmitglieder als Mittel zum Staatszweck. Der bei ihnen
herrschende Despotismus läßt das menschliche Selbstbewußtsein nicht wahr-
haft erwachen; der einzelne ist bei ihnen nur um des Ganzen willen da. —
Über die Erziehung bei den Ostjaken bemerkte Brehm, daß die Frauen
ihre Mutterpflichten wohl erfüllen, und ihren Kindern vor allem Ehrfurcht
vor Gott und Friedfertigkeit im Verkehr mit den Nachbarn einprägen3).
Bei den Giljaken im Amur-Gebiet nahm L. von SchrencJc nicht wahr,
daß man die Kinder zu Gehorsam und Ehrfurcht vor den Eltern anhielt.
Hingegen schreibt H. von Siehohl von den Ainos: Das „ungezogene"
Kind scheint bei ihnen ebenso unbekannt zu sein wie bei den Japanern.
Hier, wie dort, kann ein williger, von Furcht freier Gehorsam der Kinder
gegen die Eltern hervorgehoben werden. — Nach Isahella L. B'ird verlangen
die Ainos von ihren Kindern schon in den ersten Lebensjahren strengen,
unbedingten Gehorsam, von den Knaben außerdem die Beobachtung der herge-
brachten Höflichkeitsformen. Einen höchst sonderbaren Anblick soll es
gewähren, wenn auch die kleinsten dieser nackten, braunen Geschöpfe, die
') Ploß wies hier auf „Stambul und das moderne Türkentum . . •" von einem Osmanen
(Lpzg. 1877) hin; ferner auf Murad Efendis „Türkische Skizzen". Lpzg. 1877. 2 Bde. und
auf das „Ausland" 1877.
z) Bei Ploß, 2. Aufl. II, 354 f.
») Ebenda S. 404.
440 Kap. XLIV. Pflege. Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
sich noch kaum auf den Füßen zu halten vermögen, beim jedesmaligen Verlassen
oder Betreten des Hauses alle Anwesenden, nur die Mutter ausgenommen,
der Reihe nach mit den bestimmten Handbewegungen begrüßen.
Ganz anderes wieder erfahren wir von den Kamtschadalen des 18. Jahr-
hunderts, von denen Steller schrieb: Gehorsam und Ehrfurcht gegen die Eltern
gab es ebensowenig wie Zurechtweisung und Züchtigung der Kinder. Diese
baten um nichts, sondern nahmen was sie wollten. — Hingegen lernte K. von
Ditmar auf seinen Reisen gegen Ende des 19. Jahrhunderts einen vornehmen
Kamtschadalen kennen, der von seinem zehnjährigen Enkel sagte, er müsse
sich früh bemüheu, seine heldenmütigen Vorfahren nachzuahmen. Hier handelt
es sich also offenbar um Charakterbildung.
Die Kinder der Eskimo im hohen amerikanischen Norden wachsen wie
die Schoßhunde auf, schrieb Bessels '). Das einzige Strafverfahren, welches dieser
Forscher wahrnahm, bestand darin, daß die Mütter kleine Schreihälse, welche
noch kaum gehen konnten, nackt auf den Schnee setzten, bis sie zu weinen
aufhörten. Das geschah öfters bei einer Temperatur von einigen dreißig
Graden unter dem Gefrierpunkt. — Nach Sadbye hielten die grönländischen
Eskimos die Europäer, welche ihre Kinder züchtigten, für unwürdig, Kinder
zu haben (vgl. Gegenseitige Liebe in Kap. L1X). Nansen hörte niemals, daß
ein Eskimo einem Kind ein hartes Wort sagte. Er fügt dieser Mitteilung
aber auch bei, daß die Knaben, wenn noch klein, gewöhnlich das ganze Haus
tyrannisieren; wenn einmal größer und verständiger, dann genüge jedoch eine
freundliche Aufforderung, um sie zum Gehorsam zu bringen. Eivinä Astrup
schreibt von den Eskimos am Smith-Sund gar, Züchtigung der Kinder
sei bei ihnen gar nicht nötig, da man sich keine Kinder denken könne,
die von Natur artiger seien, als jene. Daher komme hier Züchtigung so
gut wie nie vor. Die Erziehung falle der Mutter zu. — Nach Garde
werden die Eskimos im östlichen Grönland von Jugend auf dazu erzogen,
ihren Gefühlen möglichst wenig Ausdruck zu geben. „Man kann manchmal
fast ärgerlich auf die Grönländer werden wegen der außerordentlichen
Kühe, mit welcher sie alles hinnehmen. Viel davon ist aber sicher Komödie,"
schrieb er.
H. Rinh suchte die Erziehungsmethode der Grönländer, oder vielmehr
den Mangel an einer solchen, von ihrem eigenen Standpunkt aus zu recht-
fertigen, indem er schrieb: Man hat die Kindererziehung als ein Beispiel des
niedrigen Standpunktes der Grönländer hervorgehoben; aber es ist eine Frage,
ob die ungebundene Freiheit, namentlich für Knaben, nicht für ihre Ausbildung
zum Jagdwerk notwendig war, wozu ein Mut erfordert wurde, der nicht
gebrochen werdeu darf; und ob nicht der Vater richtig handelte, die Mutter
zu strafen, wenn sie Härte gegen die Kinder zeigte. Der Vater hatte hin-
sichtlich seiner Söhne nur einen Gedanken, und dieser war, sie von frühester
Kindheit an in dem Gebrauche der Kajake und der Waffen zu üben; ihre
übrige Ausbildung zu nützlichen Bürgern führten die gesellschaftlichen Ver-
hältnisse mit sich, unter welchen sie aufwuchsen. Auf diese Weise wurden
die Söhne von den Vätern erzogen, die Töchter später von ihren Männern,
und in beiden Hinsichten war die Erziehung zweckmäßig, und es war also
die häusliche Zucht vorhanden, deren man bedurfte. Seit der Berührung mit
den Europäern hat sich dies geändert. —
Auch Petitot meinte: Die Kinder der Tschiglit, Eskimo am Mackenzie-
und Anderson-Fluß, wachsen zwar ohne alle Zucht auf, aber man merkt
an ihnen nicht jene Koheit und Gewalttätigkeit, welche bei anderen Rassen
Bi i Floß 11. 339f.
§ 295. Charakterbildung und Züchtigung des Kindes bei Ural-Altaien usw. 441
so oft vorzutreten pflegen. In der Kegel befleißigen sich die Jungen gegen-
über deu Alten eines sittsamen, bescheidenen Betragens1).
Einer ganz besonderen Begünstigung erfreuen sich schließlich die Kinder
jener grönländischen Eskimos, welche das einzige Überlebende von ihren
Geschwistern sind. Floß schrieb4): Gelingt es in Grönland einem Elteinpaare,
dem mehrere Kinder starben, eines aufzuziehen, so gilt dieses für ein sonder-
lich begabtes Geschöpf, dem kein böser Zauber schaden kann; es heißt
Piarkuflak, darf in allen Dingen seinen Launen folgen und wird durch eine
besondere Kleidung vor allen anderen Kindern ausgezeichnet. —
Wir kommen zur sogenannten roten Rasse: Auch hier tritt uns die
schon von der alten Welt her bekannte Tatsache entgegen, daß die Züchtigung
der Kinder bei den kulturell höher stehenden Völkern im allgemeinen auf-
fallend schärfer ist, als bei niederer stehenden.
Floß meinte in der 2. Auflage3) des vorliegenden Werkes mit einem
Hinweis auf Waitz: Die Nachsicht, welche die Indianer gegen ihre Kinder,
besonders gegen die Knaben, bei der Erziehung walten lassen, hat die natürliche
Folge, daß die Kinder nicht bloß schon früh im höchsten Grade ungehorsam
und zügellos werden, sondern daß auch der wilde Unabhängigkeitssinn und
der Abscheu gegen jeden Zwang, die dem Indianer so charakteristisch sind,
schon in der ersten Jugend in seinem Herzen festwurzelt. Die Kinder werden
von den Eltern sehr selten gezüchtigt; besonders verdienen die den Knaben auf-
erlegten Strafen kaum diesen Namen: Man begnügt sich, das Kind zur Rede
zu stellen, oder mit kaltem Wasser zu begießen. Man sieht es gern, wenn
die Kleinen frühzeitig die Neigung der Erwachsenen äußern, läßt sie mit den
Schädeln erschlagener Feinde spielen und unterrichtet sie im regelrechten
Skalpieren. Die Knaben zeichnen sich frühzeitig durch Ungehorsam gegen
ihre Eltern, durch Zügellosigkeit und Übermut gegen ihre Altersgenossen
aus und wachsen zu einem unbändigen, stolzen und gewalttätigen Geschlecht
heran, welches jeden Zivilisationsversuch der Weißen als einen Eingriff in
seine Freiheit betrachtet und sofort zu Bluttaten bereit ist. Der Indianer
fordert von jedem als Beweis der Mannhaftigkeit stilles Ertragen von
Schmerz und Krankheit mit vollständiger Selbstüberwindung. Er stellt sich
aber auch selbst die Aufgabe, in seinem ganzen Benehmen Ruhe und
Gleichmäßigkeit zu zeigen; durch Selbstbeherrschung hat er seine
Gemütsbewegungen so vollständig in seiner Gewalt, daß selbst
die stärksten Leidenschaften nur selten an ihm äußerlich sich dar-
stellen. Ohne Zweifel, so meinte Floß, ist auch dieser Charakterzug Wirkung
der eigentümlichen Indianer-Erziehung. —
Daß diese Ploßsche Charakterisierung des Indianers als ein Mensch, der
seine Leidenschaften so hochgradig bezähmt, viel zu optimistisch ist, habe ich in
„Des Indianers Familie, Freund und Feind" durch mehrfache Zitate bewiesen.
Übrigens ist eine so hochgradige Beherrschung nach der eben geschilderten
Erziehung überhaupt schwer denkbar. Dem Feinde gegenüber gebietet
dem Indianer allerdings sein Stolz und sein Haß, keinen Schmerz zu ver-
raten, auch w7enn er die schauerlichsten Qualen auszuhalten hat, und darauf
zielt in der Tat die Charakterbildung der männlichen Indianerjugend
ab. Je nach dem Stamm werden auch Ausbrüche von Zorn innerhalb der
Familie, sowie ehelicher Streit möglichst vermieden, indem man lieber die
Ehe auflöst, wie z. B. HecJcewelder seinerzeit von den Lenni Lenape
schrieb, unter denen er jahrelang als Missionar lebte und wirkte, und wie
') Bei Ploß II, 340, mit einem Hinweis auf F. Müller, Allg. Ethnogr. Wien 1873
S. 204.
2) I, 105.
3) II, 337 f.
442 Kap. XLIV. Pflege, Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
De Lahontan von den Kanada-Indianern mitteilte. Aber bei andern Stämmen
sind Zornaiisbriiche und Handgreiflichkeiten innerhalb der Familie und des
Stammes häufig genug. Ich verweise nur auf die Erlebnisse des als kleiner
Knabe geraubten und später mit einer Indianerin verheirateten Tanner in
dessen „Denkwürdigkeiten"1): „Keife nur, Alte, ich höre dich jetzt zum letzten
Male!-' waren die Abschiedsworte des Odjibwayhäuptlings Tabusch-schisch
an die ältere seiner beiden Ehegesponse, als er gegen die Sioux in den Kampf
zog, wo er tatsächlich umkam2). Von den südamerikanischen Botokuden
schrieb Prinz zu Wied: Sie behandeln brave Kinder mit großer Liebe. Schreien
diese aber, dann erfaßt man sie zornig beim Ärmchen, schlägt sie mit der
Hand oder einem Stock und schleudert sie fort. Belästigen die hungrigen
Kinder mit ihrem Weinen die Mutter, während diese das Fleisch brät, dann
schlägt der Vater zu, die Mutter aber verteidigt die Kinder gegen ihn. Die
häufige Folge ist eine Schlägerei mit Stangen, woran oft ganze Horden teil-
nehmen3).
Auch sind die Botokuden keineswegs der einzige Stamm, welcher der
weit verbreiteten Ansicht, daß die Indianer ihre Kinder nicht, schlagen, mit
Tatsachen entgegentritt. — Die nordamerikanischen Comanches schlagen
und mißhandeln ihre Töchter, wenn noch kleiu, häufig grausam. Auf die
Knaben freilich verwendet man große Sorgfalt4).
Eine ungleiche Behandlung der Kinder je nach dem Geschlecht bei ge-
wissen Stämmen hat übrigens auch Ploß erwähnt, als er schrieb:
„Bei den Irokesen wurden in ältereF Zeit die Kinder, besonders die
Töchter, sehr gut von der Mutter erzogen, hauptsächlich durch freundliches
Zureden (La Potherie); die Zucht war meist äußerst nachsichtig. Harte
Schläge galten meist für eine Barbarei und scheinen, wie Schoolcraft anführt,
fast nur von den Chippeway und den Dacota (Sioux), doch von diesen bloß
den Mädchen, nicht den Knaben erteilt worden zu sein. Man freute sich
vielmehr über die Zügellosigkeit und Wildheit der Knaben, weil man in diesen
Eigenschaften einen Beweis von Kraft sah. Nach Runter ging man sogar
so weit, daß Knaben, die sich feig gezeigt hatten, zu Hause von der Mutter
auf jede Weise gereizt wurden, und daß diese sich gern den Schlägen und
Stößen der Kinder preisgab, in der Hoffnung, sie dadurch zu Mut und Kühn-
heit zu erziehen."
Freilich darf man sich diese „Zügellosigkeit" auch bei den Sioux nicht
ohne jede Einschränkung denken. Gerade der bezweckte Leidensmut dem Feind
gegenüber legte auch dem sioux- Knaben schon früh stramme Zügel, wenigstens
in dieser Hinsicht, an. Das erfahren wir von K. Woltereck, der die Erziehung
des Sioux-Knaben Ohiyesa, späteren Schriftstellers Dr. Charles A. Eastman,
durch seine Großmutter übrigens ganz ähnlich schildert, wie Longfellow die
großmütterliche Erziehung Hiaivatha* im Lied besungen hat. Der Großmutter
half Ohiyesas Onkel in der Charakterbildung des Knaben, indem er in ihm
die stoischen Eigenschaften der Indianer früh zu entwickeln suchte,
welche nach Eastman nicht angeboren sind, sondern durch fortwäh-
rende Übung erworben werden. Hierzu gehören die häufigen und langen
Fasten, welche Ohiyesa schon als Kind durchzumachen hatte; dann Ankämpfung
gegen die Furcht durch Ausführung häufiger Aufträge im Dunkeln; über
neu Kopf hinweg mußte er Flinten abschießen lassen; stets mußte seine
Waffe neben ihm, wenn er schlief, bereit liegen, und furchtlos mußte er auf-
springen, sobald er den nachgeahmten K'riegsruf von Feinden hörte. Spott
') D Obers. Lpzg. 1840.
-i rannet' l»i Benz, Des Indianers Familie, Freund und Feind. S. 153.
:'i Prinz zu Wied, ebenda S. 41.
'i Marcy, ebenda S. 100.
§ 29") Charakterbildung und Züchtigung: des Kindes bei Ural-Altaien usw. 4.4 3
und Verachtung hätten ilin getroffen, wenn er nicht Folge geleistet hätte.
Aber mit körperlichen Strafen drohte man ihm nicht.
Von dem Sioux-Stamm der Gros Ventre (Dickbänche) berichtet Boller:
Das vierjährige Söhnchen des Noc-pitts-ee-topish, d. h. des ..Vier Bären",
erschoß seine Mutter. Diese Tat bewies den Stammgeuossen, daß der Junge
einen unbezähmbaren Geist besitze, weshalb sie große Hoffnungen auf ihn
setzten und von seinen späteren Kriegstaten viel von ihm erwarteten1).
Dieser Knabe war der Liebling seines Vaters.
Mooney schrieb nach Lederer: Die östlichen Sioux-Stämme des
17. Jahrhunderts straften ihre Kinder niemals, noch gaben sie ihnen Befehle,
sondern leiteten sie durch Überzeugung. — Daß hier die auf S. 443 erwähnte
Züchtigung der Mädchen bei den westlichen Sioux oder Dakotah nicht
zu vergessen ist, ist klar. —
Nach Floß-) pflanzten die Sioux Grausamkeit gegen ihre Feinde schon den
Herzen ihrer Kinder ein, indem sie diese an den Quälereien ihrer Gefangenen
teilnehmen ließen. — Die Takhali sollen ihren Kindern hierin förmlich Unter-
richt gegeben haben.
Ein Seitenstück hierzu bildet jenes, wahrscheinlich dem (Jhippeway-
Stamm angehörige Weib, welches einem englischen Gefangenen ihres Mannes
einen Arm abhieb und ihren Kindern das herausströmende Blut zu trinken
gab, damit ihre Kinder, „mit Männern gefüttert", Krieger würden, wie wir
bei Long lesen.
Hingegen liest sich Heckewelders Schilderung der Kindererziehung bei
den schon erwähnten Lenni Lenape oder Delaware fast zu ideal für vorchrist-
liche Indianerverhältnisse. Hier sollen religiös-caritative Momente eine wichtige
Bolle gespielt haben, d. h. nach Heekewelder prägten hier die Eltern ihren
Kindern von klein an ein. daß ein großer guter Geist ihnen das Leben geschenkt
und sie für Großes bestimmt habe; ihm, der ihnen alles gebe, was sie brauchten,
müßten sie dankbar sein, ihn müßten sie verehren durch Gebet, Rechtschaffen-
heit usw. - - Man erzog die Kinder aber auch zur 'Wohltätigkeit gegen
arme und alte Leute des Stammes, indem man sie z. B. mit einer Schüssel
voll Speisen zu ihnen schickte, oder sie ermahnte, altersschwache Leute auf
dem Weg zu führen. Solche Liebeswerke wurden von den Umstehenden
gelobt, und die Kinder dadurch zu neuen Liebestaten aufgemuntert. Man
fragte das Kind nach dem Namen seines Vaters und sagt dann: „Ei, hat der
X. (z. B. der „kleine Bär") ein so gutes Kind?" oder „seht doch dieses Kind
an. wie brav es ist!" u. dgl. m.3).
Im übrigen stellte Heekewelder den Delaware insofern ein ähnliches
Zeugnis aus. wie Lederer den östlichen sioux ausgestellt hatte, d. h. Heekewelder
schrieb: Die Delaware vermieden in der Kindererziehung jedwede Barschheit
in Wort und Tat. — Damit meinte er aber nicht, daß hier die Kinder ebenso
zügellos und wild aufwuchsen, wie von anderer Seite die der Sioux geschildert
worden sind: im Gegenteil schrieb er: Wollte ein Vater einen Auftrag voll-
zogen haben, so sagte er zu seinen Kindern: „Ich möchte, daß eines von euch
dies oder das tue, da oder dort hingehe; wollen wir doch sehen, wer so brav
ist!" - Dann wollte jedes so brav sein und jedes den Auftrag ausführen.
Ein anderes schönes Ziel der Delaware-Erziehung war nach Heekewelder:
Ehrfurcht der Kinder vor dem Alter.
Das gleiche Zeugnis stellte Baron de Lahontan den Kanada-Indianern
aus. Die Ratschläge und Anordnungen der Väter wurden in Kanada nicht
immer befolgt, wohl aber die der Großväter.
'> Boller, ebenda S. 127.
*) II. »:<8
3; Heckeicelder bei Rem, Des Indianers Familie, S. 170 und 17lil
444 Kap. XLIV. Pflege, Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
Freilich scheinen sowohl Heckewelder als auch De Lahontan mit Vorliebe
ihren Lesern die Lichtseiten der ihnen lieb gewordenen Indianerstänime gezeigt
zu haben; denn daß es z. B. bei den Delaware nur Musterkinder gegeben
habe, wie sie oben augedeutet sind, ist nicht wahrscheinlich. Tanner dürfte
die Ottawa, unter denen er siebenundzwanzig Jahre lebte, naturgetreuer
gezeichnet haben; wenigstens stellen diese Ottawa nach seiner Schilderung
psychologisch wahrer vor uns, als das Idealvolk der Delaware bei Heeheweldi r.
So schrieb z. B. Tanner, er sei als weißer Knabe1) von seiner Adoptivmutter,
einer < Ittawa-Indianerin namens Net-no-kwa, bisweilen „so gut wie ihre eigenen
Kinder geprügelt worden", aber sie sei trotzdem gut gegen ihn gewesen. Von
der gleichen Frau sagte er aber auch, sie habe einmal im Zorn ein von ihr
gekauftes Mädchen totschlagen wollen, weil durch dessen Nachlässigkeit ihre
Hütte samt ihrer ganzen Habe verbrannt sei. — Der eigene Sohn dieser
Xet-no-kwa mißbrauchte ihre Nachgiebigkeit, setzte immer seinen Willen
durch und verlachte seine Mutter, wenn sie nach Indianerart von ihren
prophetischen Träumen sprach 2).
Nach Sehoolcraft3) gab es bei den Indianerstämmen des „fernen Nord-
westen" eigene Einladungen für die männliche Jugend, bei denen der Gast-
geber, oder dessen Vertreter, seine jungen Gäste ermahnte, sie sollen Greise,
Krüppel und Blinde nicht verspotten, sollen ihren Eltern gehorchen, bescheiden,
wohltätig und gastfreundlich sein, den Großen Geist als Spender des Lebens
und alles Guten lieben und fürchten. — Solche Ermahnungen durchflocht der
Redner mit Beispielen von guten und bösen Menschen, worauf er gewöhnlich
fragte: „Wollt ihr wie diese sein?". —
Als Züchtigungsmittel bei den nordamerikanischen Cr eek -Indianern
erwähnte Floß*) im Hinweis auf Keating Nadelstiche ins Bein, „sonst
aber" (?) nur Schwarzmachen des Gesichts und damit verbundenes Fasten.
Wer nicht zeitig aufstehen wollte, wurde mit kaltem Wasser begossen.
Äußerst selten werden nach J. A. Spring die Söhne der Apachen
bestraft. Schon in frühester Jugend wird ihnen beigebracht, daß sie zur
Beherrschung des weiblichen Geschlechtes bestimmt seien. — Damit ihre
Kinder tapfer würden, gaben ihnen die Apachen am Bio Gila das Blut von
Tieren zu trinken, welchen sie vorher das Fleisch vom lebendigen Leibe
geschnitten hatten. Erst nach dieser Marter schnitt man den Tieren die
Halsader durch, worauf das zu trinkende Blut von den Weibern in großen
Kürbisflaschen aufgefangen und den Kindern gereicht wurde (S. W. Cozzeri).
Von den Inselkaraibeu schrieb Dapper, daß sie ihre zärtlich und
sorgfältig gepflegten Kinder (es sind wohl nur die Knaben gemeint) zur Strafe
hungern ließen, wenn sie beim Bogenschießen das Ziel verfehlten. -
Einen scharfen Gegensatz zur Erziehung der meisten dieser bisher
behandelten Stämme Amerikas bildet jene der Mayas und Nahuas, insofern
diese alten Kulturvölker Zentralamerikas geradezu barbarisch straften.
Nach Baneroft hatten manche Kinder der Mayas ihren Ungehorsam
und ihre Widerspenstigkeit mit dem Tod zu büßen (vgl. die Chinesen).
Die Azteken (Nahua) wurden am Tage ihrer Hochzeit vom Priester
ermahnt, sie sollen ihre künftigen Kinder in ihrer Nähe zu einem Berufe
erziehen, sie nach ihren Anlagen unterrichten und zu nützlichen Gliedern
der Gesellschaft machen. Sobald das Kind zugehen anfing, wurde mit dessen
e S ii- oben.
2) ZVi : Ren S. 1 T-t.
») Ebenda S im
♦1 11. :; :s
§ 296. Dämonenfurcht als Zuchtmittel und Verwandtes. 445
Erziehung begonnen. Eltern und Priester suchten die Kinder mit Abscheu
vor dem Schlechten und mit Liebe zum Guten 7.11 erfüllen').
Vor dem achten Lebensjahr bekam das Kind die Strafwerkzeuge nur
zu sehen, und man begnügte sich, sie ihm für den Fall der Not anzudrohen.
Aber dann folgten harte Strafen: Zehnjährige unbändige Knaben wurden an
allen Vieren gefesselt und an verschiedenen Körperteilen mit Agavedornen
gestochen. — Mädchen stach man in die Hände und Handgelenke: wirkte
das nicht, dann gab man ihnen Stockschläge. Lügnern bohrte man Dornen
in die Lippen und schlitzte diese bei häufigem Rückfall auf. Elfjährige Kinder
hielt man über brennenden spanischen Pfeffer und ließ sie den quälenden
Rauch einatmen; zwölfjährige Burschen setzte man einen Tag lang nackt, an
Händen und Füßen gefesselt, auf feuchtem Boden aus; zwölfjährige Mädchen
mußten zur Strafe nachts aufstehen und das ganze Haus auskehren2). —
Mangel an Fleiß wurde mit mehr Arbeit und weniger Nahrung bestraft
t Hancrofl)*). Als gewöhnliche Strafen für Ungehorsam erwähnte Plo/i4)
Peitschen der Kinder mit Nesseln und das eben erwähnte Beräuchern der
Nasen und Augen mit rotem amerikanischen Pfeffer5), und Stechen mit Dornen.
— Auch Zwicken war, nach Bancroft, eine mexikanische Kinderstrafe.
Die Mädchen wurden streng zu Fleiß und Reinlichkeit angehalten.
Ihren Vater durften sie nur selten sprechen und sehen, und zwar nur auf
di ssen Wunsch. Sie wurden in diesem Fall von ihrer Erzieherin") zu ihm
geführt und hörten schweigend und mit dem Ausdruck der Demut auf seine
Worte. — Höflichkeit, wie überhaupt gewisse Umgangsformen gehörten zur
mexikanischen Erziehung. —
Die auffallende Nachsicht vieler kulturell niederstehender Völker gegen
ihre Kinder finden wir dann wieder bei den von Koch-Grünberg besuchten
Stämmen im nordwestlichen Brasilien. Hier sah Koch-Grünberg niemals,
daß man an Kindern seinen Zorn ausließ. Mißhandlung der Kleinen gab es
nicht. Als das zweijährige Söhnchen des Tukanohäuptlings einmal einem
prächtigen Schmetterling, den Kochs Diener gefangen hatte, die Flügel zer-
brach, und Koch das Kind dafür erzürnt auszankte, erhielt dieser von der
Mutter des weinenden Knaben die Zurechtweisung, es sei unrecht, ein kleines
Kind wegen eines unbewußt beaangenen Fehlers zu zanken 7). —
Unbedingten Gehorsam gegen ihre verwitweten Mütter und Großmütter
rühmte Hyades den Kindern der Feuerländer nach, wo es Sitte ist. daß
ältere Witwen, im Falle sie nicht ihrer eigenen Familie vorstehen, ein paar
Kinder oder Enkel zu sich nehmen. —
§ 296. Dämoiieni'urclit als Zuchtmittel8) und Verwandtes.
Ein beliebtes Volksmittel in der Kindererziehung ist die Furcht vor
Gespenstern, schrieb Floß'). Die mannigfachsten Schreck- und Spnkgeister
hat dabei die Phantasie und der Witz des Volkes erfunden. Wir Deutschen
') Vgl. § 306.
'1 Vgl. die Schulbildung der Azteken (Mexikaner) in Kapitel XLVI.
n) Siehe Figur 396, Feld 1 und 2. von oben nach unten gezählt.
4) II, 346.
'1 Vgl. ähnliche Strafen in Afrika und Indien in früheren Paragraphen.
8) Ploß, der dieses schrieb (11, 346f.). hatte hier augenscheinlich nur die Tochter der
Vornehmen im Auge.
'1 Vgl. indessen die harten Mannbarkeitsproben auch südamerikanischer Stämme in
Kapitel LVIII, sowie die Zornausbrüche der in diesem Paragraphen schon angeführten
Botokuden gegen ihre Kinder.
8) Vgl. „Das Kind und die Däraonenwelt", Kap. V, sowie St. Nikolaus, Weilmachten
usw. in den Kapiteln XL11 und XLIII.
») 2. Aufl. II, 326.
446 Kap. XLLV. Pflege. Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
selbst sind an solchen, teilweise im germanischen Mythos wurzelnden, Gestalten
tiberreich. Da gibt es neben gutmütigen munteren Lichtelben böse, auf Wiesen
tanzende Schwarzeiben, welche die Menschen an sich ziehen und zerreißen;
Zwerge und ihnen verwandte Kobolde. Wichtelmännchen, Bergmännchen, Hoje-
männl, Grieschel, Unterirdische usw. treiben nachts ihr neckisches Spiel. Als
Kinderschrecken kennen wir sie unter den Namen Popanz, Pozelmann.
Pögel, Grau- oder Erd männle, auch Scherremändle. Butze, Heinzelmännchen.
Rumpelaeister, Hütchen, Gütel, Kolbuk usw. In den Getreidefeldern banst
ein weiblicher Korndämon, Kornweib, Korn- oder Roggenmutter, Roggenmuhme.
Rockertsweibel. Erbsenmutter oder wilde Frau genannt.
p]ine solche „Kornmuhme" lauert, nach Drechsler, neben dem Boggenwolf
und dem Nillemön in den Getreidefeldern Schlesiens. Die Kinder werden
vnr ihnen gewarnt, wenn sie in die Getreidefelder gehen wollen. — Im
Riesengebirge haust Rübezahl, den die Sage übrigens vielfach als Kinder-
freund auffaßt. — Im preußischen Schlesien, wie in vielen andern Gegenden
Deutschlands, streut ferner der „Sandmann" den Kindern Sand in die Augen.
.,Der Sandmann kommt, der Sandmann kommt,
Der Sandmann ist schon da!
Kr hat gar schonen, weißen Sand,
Ist allen Leuten wohlbekannt,
Der Saudmann ist da!-'
So neckt man die schläfrigen Kinder, wenn sie ihre Augen kaum mehr
aufzuhalten vermögen {Drechsler). — Nach Ploß1) sagt man in andern Gegenden
„der Sandmann kommt" zu jenen Kindern, die sich nicht zu Bett bringen
lassen wollen. Da es nach Drechsler in Schlesien auch heißt: ..Der Sandmann
kommt; er streut dir wohl schon Sand in die Augen!" scheint man liier mit
diesem Spruch die schläfrigen Kinder aufrütteln zu wollen, während sie dort
zu Bett gehen sollen.
Im Spreewald schreckt die slawische Bevölkerung ihre Kinder mit
dem Sserp oder Scerpel, ein menschenähnliches Gespenst mit langem Kopf,
der den Kindern den Kopf abschneidet, wenn sie an den Ort kommen, wo er ist.
In Oldenburg ist der schwarze, im Dunkel hausende Bumann eine
Kinderscheuche2); bei Röttingen. Unterfranken, „der Bereif mit ungeheurem
Bauch und Maul. — Vielleicht haben wir hier eine Erinnerung an die Berchta.
wie im folgenden an Wodan. In Baden schreckt man nämlich die Kinder
mit dem gespenstischen Schimmelreiter oder Hardtreiter. Ferner gibt es hier
einen kopflosen kleinen Schimmel, sowie eine Nachtfrau. Diese holt die Kinder.
wenn sie abends nicht heim wollen8).
In Altenstadt im bayrischen Schwaben droht man den Kindern im
gleichen Fall: ..Die Nachteule holt dich."
In der Schweiz schreckt man die Kinder mit der menschenfressenden
Riesin Strägele, nach Floß*) eine lokale Variation der Hulda oder Berchta. -
') II, 327.
•| In Meiningen droht die Mutter ihrem ungehorsamen Kind: „Do kömmst in die
Betterbeil on muhst stäneroe Hutes on Steeknoedelsbrüh eß."
:'i Die Wald- oder Hartweiblein, Lohiungfern. Holzweibel, die nach Birlinger an ver-
schiedenen Orten Badens auch Gilzen-, Gestandener-, Mauerholz-. Baure-. Sohleier- und
Falkcnhofor Weible heißen, weisen nach Wolf im allgemeinen als Waldfrauen auf Genien
der Bäume lim. 1 las Banreweible sitzt in den höchsten Gipfeln der Waldbäume, hängt dort
unter Seufzen und Klagen Windeln auf. bei deren Waschen es ein Klagliedleiu singt:
„Wässserle, Wasserle, wasche rein.
Getötet hab' ich mein Kindelein."
*) II. 326.
§ 296. Dämonen furcht als Zuchtmittel und Verwandtes. 44.7
Andere Kindergespenster der Schweiz sind der Butzenmann, der im bayrischen
Schwaben als „Butzaman" und „Butzaraule" gefürchtet ist; er frißt liier die
Kinder. Ferner droht man in der Schweiz mit dem Klaubauf, den wir schon
vom Nikolausfest her kennen, mit dem Böggel und dem Wauwau, der die
bösen Kinder holt.
Im Aargau holt der Hoggemann das Kind, welches allein auf dem Abort
sitzt; Kinder, die grünes oder gedörrtes Obst naschen, werden vom Erdmännchen
geholt; Kinder, welche Tauben stehlen, werden eine Beute des Trübelhundes,
des Trübeis, des Bölimäs (wohl Beerenmannes), oder des Rebhansels. Die
schwäbische „Nachteule" tritt hier als ,,Xachtheuel auf, hat aber die gleiche
Aufgabe wie jene, tl. h. sie holt die Kinder, welche nach dem Abendläuten
noch im Freien herumlaufen. Das tut im Aargau übrigens auch das Nacht-
tier, der Dorfpudel und das Gwiggsi').
In Tirol holt die mit einem Pferdekopf ausgestattete Stampa (Frigg,
Berchta) Kinder (und Wöchnerinnen). Auch der Teufel selbst ist als
Argsmann, Taxenhacker oder Grünäugel, eine Kinderscheuche.
Mancherorts ziehen Nixen, Wasserweiber, Seejungfern, Wassermännchen
und Nickel oder Neck Kinder, welche dem Wasser zu nahe kommen, in die
Tiefe (vgl. Kap. V). Damit warnt nicht nur die deutsche Mutter, sondern
auch die Esthin ihr Kind. Ein altesthnisches hier einschlägiges Kinder-
niärchen lautet:
Etwa zwanzig Werst von der Stadt Peru au lebte in alter Zeit ein
wackerer Fischer namens Kuusepää (Fichtenkopf). Dieser hatte einen einzigen
Sohn namens Pihlakas (Sperberbaum). Die Eltern verzärtelten das einzige
Kind gar sehr, weshalb es tun konnte, was ihm beliebte. Eines Tages ver-
langte er von seinem Vater dessen Pferd zum Spazierritt, was der Vater nicht
gestatten wollte. Der Sohn brauste auf, stampfte mit den Füßen und sagte:
„Papa! ich nehme das Pferd mit eigener Erlaubnis, denn ich will reiten!"
Der Vater: „Reite nicht, mein Sohn, du wirst den Hals brechen." Aber der
Sohn achtete des Vaters Verbot nicht, führte das Pferd aus der Koppel und
tollte auf ihm so lange herum, bis das Tier zu Boden stürzte und verendete.
Am Abend kam er nach Hause und erzählte lachend sein heutiges Ereignis.
Der Vater fluchte, bestrafte aber den Sohn nicht. Des andern Tages ging-
der Knabe am Strand spazieren und sah ein sehr schönes Pferd grasen. Er
trat näher, bestieg es und wollte es reiten. Da hörte er seines Vaters Stimme,
die ihn anflehte, herunter zu springen und zu fliehen; allein der Sohn war an
des Pferdes Rücken wie mit Nägeln befestigt. Das Pferd sprengte davon und
stürzte sich schließlich mit seinem Reiter ins Meer. Des Meeres Neck hatte
den Knaben fortgetragen. Noch heutigen Tages soll Neck oftmals mit ihm
auf dem Rücken den Strand entlang jagen und ungehorsamen Kindern Schrecken
einflößen.
Eine Schreckgestalt für Kinder sind jetzt noch die Werwölfe (Wehr-
oder Wärwölfe) 2), welche im Mittelalter die Phantasie auch der Erwachsenen
sowohl bei germanischen und slawischen als auch bei romanischen
und keltischen Völkern beherrschte. Man konnte nach germanischer Vor-
stellung durch Überwerfen eines Wolfshemdes oder Wolfsgürtels oder eines
Gürtels aus Menschenhaut auf Jahre hinaus Wolfsgestalt annehmen. Schon
in Kapitel III des ersten Bandes begegneten wir dem Glauben an Werwölfe.
Wie aus der dortigen Mitteilung hervorgeht, war es auf den Azoren der
siebente Sohn, welcher je einer Familie nach einer ununterbrochenen Reihe
') 2 Aufl. I, 115.
8) ,.Wer" d. h. „Mann".
448 Kap. XLIV. Pflege, Abhärtung, Charakterbild, u. körpevl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
von sechs Söhnen geboren wurde, der sich in einen Werwolf (lobis-homem)
verwandeln konnte. Auch die Gestalt eines Hundes konnte er annehmen. —
Nach germanischen Vorstellungen gingen die blutgierigen Werwölfe haupt-
sächlich in den zwölf Rauchnächten, also in der Zeit zwischen den christlichen
Weihnachten und Dreikönige um, raubten Knaben und Mädchen und gruben
Leichen aus1). — Nach dem französischen Arzt George Surbled verstand
man unter „Werwolf" ein wunderbares Wesen, welches die Straßen und das
freie Land unsicher macht. Bald erschien es als ein mit Ketten beladener
Wolf, der die kleinen Kinder auffraß, bald als ungeheurer weißer Hund, oder
als schwarze Ziege. Zuweilen war es unsichtbar, körperlos und machte
sicli nur durch ein dumpfes, dem Rollen eines Rades ähnliches Geräusch
bemerkbar.
Surbled bringt den Glauben an den Werwolf mit der Wolfssucht in
Verbindung, welche früher die menschliche Phantasie erhitzte. Man habe
Schlafenden suggeriert, sie seien Vögel, Katzen oder AVölfe, welche die Kinder
verfolgten. Solche Suggestionen hätten sich im Gehirn festgesetzt uud seien
durch die Manipulationen der Hexenmeister bestärkt worden. ..Die Hexen-
meister," schreibt er, „verfehlen nicht, die passende Verkleidung vorzunehmen'-').
Es steht fest, daß die Werwölfe sich auf ihren Wanderungen in eine Tier-
haut einhüllten. Sie rieben sich mit einer bestimmten Salbe ein oder ver-
schluckten ein geheimnisvolles Pulver, welches ihre Selbsttäuschung noch ver-
mehrte und bestärkte. Es unterliegt keinem Zweifel, daß sowohl der Hexen-
meister selbst, als auch seine leichtgläubigen Opfer nach vorgenommener
Verwandlung ihre Bolle durchaus ernsthaft auffaßten, zumal wenn sie geistig
minderwertig waren. Die Wolfssucht artete zuweilen in Wahnsinn aus, zu-
weilen ... in unheilbare Schwermut." Möglicherweise seien die Wolfssüchtigen
von jeher geisteskrank gewesen3). —
Daß der Glaube an Werwölfe ein Deckmantel für manches Verbrechen
war, dürfte aus der Tatsache geschlossen werden, daß es auf Haiti auch
jetzt noch den Werwolf en zugeschrieben wird, wenn alte Neger Kinder stehlen
und sie dem Götzen Vaudoux, oder direkt ihren eigenen kannibalischen Ge-
lüsten opfern (Metzger, nach Spenser St. John).
Die dortige Benennung „loups garrous" läßt vermuten, daß der Werwolfglaube
auf Haiti durch die Franzosen eingeführt wurde, wenn es auch keineswegs
ausgeschlossen ist, daß die französische Benennung auf bereits vorhandene,
verwandte Negervorstellungen übertragen wurde, zumal bei Negern auch
Vampyrvorstellungen nachgewiesen sind4), welche, wie schon angedeutet, den
Werwolfvorstellungen nahe verwandt sind. Übrigens war schon den alten
Griechen ein „Lykanthropos" und den alten Römern ein „Vertipellis"
bekannt.
Andere Schreckgestalten, speziell für die Kinder, waren im alten
Griechenland die Akku und Alphito; der kohlengeschwärzte Merkur und
der Arges Steropes holten ungezogene Kinder; sehr gefährlich war die
kinderfressende Lamia, welche im Epirus heute noch eine Kinderscheuche
ist (Bernh. Schmidt).
') Vgl. die Vampyre in früheren Kapiteln.
2) Ks gab auch geborne Werwölfe.
s) Surbled. Die Moral in ihren Beziehungen zur Medizin und Hygiene. II. Bd.: Das
geistig-sinnliche Leben. Übersetzung nach der zehnten Auflage, Hildesheim 1909, S. 155) f.
'i Siehe Bd. I, S. 11 'it. — Den Kannibalismus und Vaudoux- oder Wodukult der
Haiti-Neger hat Kapitel VIII gestreift.
§ 296. Dätnonenfurcht als Zueutniittel und Verwandtes. 449
Die Maronitin am Libanon sucht ihr Kind dadurch zum Gehorsam zu
bringen, daß sie ihm mit dem Wolf, der Hyäne, dem gehörnten Teufel, dem
„bo'bo", einer schauerlichen Bestie, uud derartigem mehr droht (Chemali).
Die Söbakijje, ein Stamm in Arabia Petraea, schrecken ihre Kinder
mit den Worten: „al-gänijje bihodak". d. h. die Gänijje (ein weiblicher Geist)
nimmt dich (ilusil).
An der nordwestlichen Küste Afrikas halten die Krn-Neger ihre
Kinder mit Gespenstergeschichten und Fetischglauben im Zaum. Sie hängen
ihnen Fetische um den Hals und schärfen ihnen ein, daß diese jedes Vergehen
mit jähem Tod bestrafen1).
Den gleicheu Brauch referierte Plo/i2) von den Ewe.
In Washington D. C. suchen alte Negerinnen ungehorsame Kinder
mit der Drohung zu bändigen, daß die „night- doctors" kommen und sie fangen.
Darunter verstehen sie Männer, die nachts umhergehen, verlorne, böse Kinder
mitnehmen, zerschneiden und kochen. Charles Oriffith Hoffmann, der das
berichtet, sucht den Ursprung dieses Aberglaubens in den Geschichten von
Grabräubern und dem Gerüchte, daß Medizinstudierende sich kleiner Kinder
bemächtigen, um sie zur Vivisektion zu gebrauchen.
In Australien fürchtet man Wesen, die, ähnlich unsern Nixen, halb
Mensch, halb Fisch, in den Gewässern leben, Schwimmer zu sich hinunter
ziehen und Kinder, die am Ufer spielen, in die Finten locken. — Im Dunkel
der Eukalypten halten sich die gefürchteten Dämonen Melapi. Karungpe und
l'epe auf (Karl Emil Jung).
Ein eigentümliches Moment aus der Koreanischen Kindererziehung
finden wir in der in Seoul erscheinenden „Korea Revue"3) verzeichnet: Die
Koreaner prägen ihren Kindern ein, beim Betreten oder Verlassen des Hauses
ja nicht auf die Schwelle zu treten, .sondern dieselbe zu überschreiten, und
sie bestrafen die Übertretung dieser Vorschrift. In dem koreanischen Elementar-
buch So-hak, d. h. „Kleines Lernen", fordert eine Anstandsregel, daß man
des Gastgebers Türschwelle nie mit den Füßen berühren solle, weil die Türe
das Mittel sei, durch welche der Eigentümer aus- und eingehe, und schon dieser
Nützlichkeit wegen eiues der ehrwürdigsten Teile des Hauses sei. Zudem ist nach
koreanischem Glauben die Türschwelle dem Schutzgütte des Hauses, dem
Sung-ju, heilig. Wer auf sie tritt, tritt diesem Dämon auf den Nacken, oder
die Kehle und entgeht seiner baldigen Bestrafung nicht.
Im alten Mexiko drohte man unartigen Kindern mit den Naguales4).
Wenn die Kinder der Aymara-Indianer (Bolivia) das Wort ..lari" hören,
fürchten sie sich, und wenn sich die Mutter Ruhe verschaffen will, sagt sie:
Der lari kommt, worauf die Kinder wie erschreckte Rehe den Atem anhalten
uud sich verstecken, schreibt Chr. Nusser. Dieser lari ist allerdings kein
Gespenst, sondern ein leibhaftiger Kirchendiener, der jedes Jahr, am Abend
des Rosenkranz-Sonntags, von Hütte zu Hütte wandert, um die nötigen Mittel
zu dem eigenartigen Chilinchilifest zusammenzubringen. „Lari"' bedeutet
„Seele", und so antworten diese kollektierenden Kirchendiener auf die Frage,
•wer sie seien: „Ich bin der Lari", d. h. sie weisen auf das bevorstehende
Allerseelenfest hin. Groß und Klein hat vor ihnen eine ehrfurchtsvolle
Scheu und hält sie als unantastbar, insofern sie die Menschen an die Ewigkeit
') Pfoß, II, 341 nach Lighton Wilson.
*) II, 'di'i mit einem Hinweis auf Ziindel.
*) Vol. I, Januar 1901, p. 20.
*) Vgl. Bd. I, S. 77 und 121.
Ploß-RenK. Das Kind. 3. Aufl. Band II. 29
450 Kap. XLIV. Pflege. Abhärtung, Charakterbild, u. körperl. Züchtigung d. heranw. Kindes.
erinnern, während der Einsammlungstage sich ihrer Weiber enthalten, alle
Ausschreitungen vermeiden müssen und kaum die nötigste Nahrung genießen
dürfen.
Die K ob eua -Indianer am Rio Cuduiary, nordwestliches Brasilien,
weisen nach Koch- Grünberg unartige Kinder mit ermahnenden Worten zurecht,
oder drohen ihnen, hauptsächlich wenn sie durch Weinen die Nachtruhe stören,
mit dem „bösen Geist", der komme. „Obähakö, aböxökö daibi." — „Sei still,
der böse Geist kommt!"
Bei den Feuerländern am Kap Hörn fand Ryades eine große Furcht
vor dem Ualapatu, und Bridge erwähnte Ähnliches vom Beagle-Kanal, wo
der Catchpick gefürchtet wird. Hyades verglich diesen Aberglauben mit dem
Werwolf glauben; denn auch diese feuerländischen Dämonen bilden den Gegenstand
des Schreckens nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Sie sind
als böse Wesen gedacht, die für gewöhnlich unsichtbar sind und sich nur
zeigen, um Unheil zu stiften. Wer sie sieht, ist verloren. Wenn man ihre,
dem Bobbenlaut ähnliche, Stimme hört, wird alles von grausiger Angst erfüllt;
man verrammelt die Hütten und wartet bewaffnet und zitternd den Morgen
ab, worauf das Lager nach einer andern Insel verlegt wird. Aber das Gespenst
verfolgt die Leute oft auch da noch nächtelang. —
Kapitel XLV.
Die Heranziehung des Kindes zu körperlicher Arbeit1),
§ 297. Mädchenarbeit.
Wilhelm Hoffmann schrieb den jetzigen intellektuellen, sittlich-religiösen
und sozialen Tiefstand des weiblichen Geschlechtes in Indien hauptsächlich
dem Einfluß des Islams zu. In der Blütezeit der tamilischen Kultur habe
es in Indien gelehrte Frauen gegeben, deren literarische Produkte teilweise
heutzutage noch in den Knabenschulen der Tamilen Gegenstand des Unter-
richtes seien. - - Damit stimmt überein, was Josef Dahlmann von den adligen
Frauen des indischen Mittelalters schrieb, deren hochgradige Geistesbildung
das folgende Kapitel streifen wird.
Auf diese Glanzperiode der Inderin, wenigstens der aristokratischen
Kreise, folgte eine Ära tiefer Erniedrigung, aus der sie jetzt, durch den
Einfluß des christlichen Abendlandes, wieder gehoben werden soll. Aber noch
sind jene Inderinnen, auf die ein solcher Einfluß bereits ausgeübt werden
konnte, Ausnahmen. Die Regel ist, daß das indische Mädchen ohne Bildung
aufwächst, und daß das Weib ihr Leben in Sklavenhalter Unterwürfigkeit
gegen ihren Mann zubringt. Dahin zielt im allgemeinen die indische Mädchen-
erziehung, wenn man überhaupt von einer solchen sprechen kann. Hoffmann
schrieb im Jahre 1873: Sechsjährig wird das Mädchen an ihren zukünftigen
Mann verkauft2), doch bleibt sie noch einige Jahre im väterlichen Hause,
beständig unter dem Sklavenjoch der häuslichen Arbeit.
Häusliche Arbeiten verrichten ist nun allerdings durchaus keine Sklaverei.
Auch schrieb Hoffmann selbst, daß die Mädchen der höhereu Kasten ihre
Zeit im allgemeinen mit eitlem Geschwätz, „manche" davon mit Nähen und
Sticken3) zubringen. Katharina Zitelmann sah während ihres Aufenthaltes
in Indien um das Jahr 1900 im Haus eines mohammedanischen Rechtsanwaltes
in Lahor e, wo allerdings europäischer Einfluß stark bemerkbar war, insofern
die Tochter z. B. vorzüglich englisch sprach, daß diese in ihren Mußestunden
Prachtgewänder für Hochzeiten anfertigte, wobei sie eine erstaunliche Phan-
tasie entfaltete. Demnach wird den Töchtern der vornehmeren Stände nicht
allzuviel körperliche Arbeit aufgetragen, und das Elend ihrer Erziehung dürfte
vielmehr im Nichtstun bestehen. Allerdings gehört Kochen, Wasserholen
und Aufwarten bei Tisch zu den Pflichten der verheirateten Frauen, selbst
der angesehenen Brahmauinnen, wie Hoffmann schrieb. Es werden also wohl
schon die Mädchen in diese Beschäftigungen eingeführt werden. -
Was das Nähen betrifft, so darf man der Schneiderzunft nicht ins
') Ein Überblick über dieses und das nächste Kapitel folgt als Abschluß dieses letzteren.
*) Siehe Kapitel LVI: Verlobung und Verheiratung im Kindesalter.
*) Das Sticken ist, nach den in Deutschland zur Schau gestellten Indern zu urteilen,
eine Beschäftigung und Einnahmequelle auch der Männer.
29*
452 Kapitel XLV. Die Heianz.el.u ig des Kindes zu körperlicher Arbeit.
Handwerk greifen; auch wirft man die Baumwolltücher ungesäumt um Lenden,
Schulter und Kopf; Bett- und Tischzeug gibt es nicht. Ahnlich verhält es
sich mit dem Waschen, welches der Wäscherkaste zukommt, infofern nicht
jeder seine Baumwolltücher beim täglichen Bad selbst reinigt. Hingegen
gehört das Spinnen zu den Pflichten des weiblichen Geschlechtes der
ärmeren Bevölkerung, der es ja nirgends, auch nicht in Indien, an Arbeit
fehlt. Die Inderinnen der niederen Stände bebauen das Feld, besorgen die
Küche reinigen das Haus, gehen auf den Markt und besuchen scharen-
weise'die Tempel, während die Frauen der Vornehmen sich schmücken,
intriguieren und über die Fehler benachbarter Familien schwatzen, bisweilen
ihre ebenso vereinsamten weiblichen Verwandten, oder die Pagode, oder das
Badehaus besuchen. —
Mit dieser Schilderung stimmt freilich nicht, daß die Frauen „auch
der Reichsten" die „gemeinsten Geschäfte" verrichten, z. B. den Dünger
in einem Korb auf dem Kopf aufs Feld tragen, wie Hoffmann an einer andern
Stelle mit einem Hinweis auf Massie schrieb. Und doch scheint das, wenigstens
in gewissen Teilen des Landes, der Wahrheit zu entsprechen; denn auch
Motte1) berichtete: „Ich habe Männern von Bang meine Aufwartung gemacht,
deren Frauen ich selbstgehauenes Holz nach Hause tragen sah, so viel sie
nur schleppen konnten, um es an mich für einen Penny zu verkaufen."
Ein Schluß auf die indische Mädchenarbeit ist nach dieser Kenntnisnahme
der Beschäftigung der verheirateten Indierin um so Leichter, als das indische
Mädchen aller Kasten bis zur neuesten Zeit herauf, wie bereits erwähnt, schon
im Kindesalter verlobt wird.
Im heutigen Persien verbringen die Mädchen ihre Zeit mit Schwätzen,
sticken und Zubereitung süßer Speisen und (ieträuke, wie Ella C. Sykes
schreibt. — Sie hat dabei wohl nur die Töchter vornehmerer Kreise im Auge.
Die Töchter der alten Germanen lernten frühzeitig Spinnen. Weben
und Nähen (Grwpp)- — Das bildete einen Teil der Beschäftigung: der Töchter
auch Karls des Großen {WemhoU). -- Ebenso schrieb Alwin Schultz über die
Zeil der .Minnesänger, daß die deutschen Mädchen vornehmer Kreise Nahen.
Spinnen und die übrigen weiblichen Handarbeiten von früher Jngend an lernten.
Die Vorbereitung auf den Hausfrauenberuf wurde neben dem Unterricht im
Lesen und Schreiben nicht vernachlässigt. — Daß die Töchter der Land-
bevölkerung damals, so gut wie jetzt, auch Stall-, Garten- und Feldarbeit
verrichteten, versteht sich wohl von selbst. —
Die Beduinen-Frau der arabischen Halbinsel lehrt ihre Tochter
Wasser holen, Holz und Dorngestrüpp schneiden, den Mist von Kamelen,
Pferden. Schafen usw. als Brennmaterial sammeln. Reis aushülsen, Korn mahlen.
Brot backen und was sonst zur materiellen Wohlfahrt der Familie dienlich
ist. Überhaupt beschränkt sich hier die Mädchenbildung fast ausschließlich auf
den Unterricht in körperlicher Arbeit (.1. M. d, St, Elie). - In Genien
Innen die Mädchen neben den gröberen Hausarbeiten auch ^ eben. Nahen
und Sticken (Eenzo Manzoni). ■- Belehrung- in den häuslichen Arbeiten er-
wähnte /,'. Fitzner als den einzigen Unterricht, welchen die arabischen Mädchen
auch an der tunesischen Ostküste erhalten.
Die ostafrikanischen Somal-Mädchen lernen Stroh flechten, Wasser- und
Milchschläuche nähen, Kochen, Hütten bauen, das Baumaterial selbst her-
stellen (?), Gerben und andere schwere Arbeiten {Haggenmacher). -
Einführung der Töchter in die häuslichen Arbeiten meldete Rohlfs von
den Berberfrauen.
'i Hei Hoffmann, S. 56.
§ 297. Mädchonarbeit.
453
Weüle schrieb: „In der Völkerkunde ist oft zu lesen, daß die Naturvölker
die Geburt von Mädchen aus rein mammonistischen Gründen freudig begrüßen;
brächten doch die erwachsenen Mädchen dem Elternpaar bei der Heirat den
Kaufpreis ein. Bis zu einem gewissen Grade mögen derartige Momente auch
hierzulande (d. h. auf dem Makondeplateau) mitspielen, im allgemeinen aber
sind Mädchen schon deswegen gern gesehen, weil sie der Mutter bei den
mannigfachen Arbeiten im Haus und Feld frühzeitig an die Hand
gehen können ')."
Fig. 383. Mädchen mit kleinen Kindein auf dem Rücken. Lukuledi. südliches D eutsch-Ostaf l'ika.
Aus Wehrmeister, „Vor dem Sturm", S. 83.
Wehrmeister stellt das Dienstbarseiu der Makua- und Wayao-Mädchen
in der Lukuledi-Mission der großen Freiheitslust der dortigen Knaben gegen-
über. Beides lasse einen regelmäßigen Schulbesuch schwer aufkommen. —
Zu den Arbeiten der Mädchen in jungen Jahren gehört, wie bei uns, die
Überwachung und das Herumtragen ihrer kleinen Geschwister (siehe Fig. 383,
384 und 385).
Fig. 386 zeigt uns Mädchen der deutsch-ostafrikanischen Mission
der Väter vom hl. Geist in Kiboscho bei der Wäsche.
') Dennoch sind nach Weule die Mädchen auch auf dem Makondeplateau nicht überall
so gerne gesehen wie die Knaben.
454
Kapitel XLV. Die Heranziehung des Kindes zu körperlicher Arbeit,
Von den Makololo und andern Stämmen südlich vom Sambesi schrieb
Emil Holub: Sie halten die Mädchen tüchtig zur Arbeit an. Die Mutter sieht
in jedem eine Erleichterung, und der Vater möchte bei dem Zuwachs der
Familie durch ein Mädchen ein größeres Stück Feld bebaut sehen. Bis zu
10 oder 12 Jahren haben sie das Wasser zu holen und häusliche Arbeiten zu
verrichten.
Wenn bei den Basutos in Britisch-Südafrika das Kind kaum den Rücken
seiner Mutter verlassen hat, muß es schon, gleichviel ob Knabe oder Mädchen,
Wasser tragen, Holz holen, die kleinen Geschwister beaufsichtigen und andere
kleine Dienste leisten. Bald müssen die Mädchen auch zum Jäten. Pflanzen
und Picken auf das Feld.
Kit:. S84. Mädchen mit einem Brüderlein auf
dem Rücken. Peramiho, südliches Deutsch-
Ostafrika. Aus Wehrmeister, „Tor demSturiu",
S. 146.
Fig. SM. Kinder mit kleinen Geschwistern auf dem
Bücken. Mission der Väter vom heiligen Geist in
Deutsch-Ostafrika.
Bei den Bantu am untern Kongo bestehen die Arbeitspflichten der
Mädchen nach Weeks im folgenden: In der Frühe Wasser holen, da übernächtiges
Wasser immer ausgeschüttet wird, das Haus auskehren, das Feuer anmachen, wenn
es ausgegangen, und das Frühstück kochen; dann begleiten sie, mit Hacke, Korb,
Kalabasse usw. ausgerüstet, ihre Mütter auf das Fehl, wo sie nach deren Anweisung
und der Saison entsprechend hacken, anpflanzen und ernten. Vor ihrer Rückkehr
haben sie je einen Büschel Holz zu sammeln, das sie heimtragen müssen. Zur
/tit der Ernte ist es ferner ihre Pflicht, für ihren Vater, der im Dorf oder in der
Stadt bleibt, Erdnüsse, Kassava oder Vams zu rösten.
Von den Töchtern der Ngumba im südlichen Kamerun berichtet
/.. Conradt: Sobald sie gehen können, müssen sie der Mutter im Hauswesen
helfen. Wasser und Brennholz holen, Fische fangen uud von der Mutter lernen,
wie man Netze und Matten macht.
§ 297. Mädchenarbeit.
455
Die Mandingo-Mädchen im westlichen Sudan lernen von ihren Müttern
neben den häuslichen Arbeiten auch Baumwolle spinnen {Mungo Park).
Bei den Howa, Malayen auf Madagaskar, beginnt die Arbeitsteilung
für die Kinder beiderlei Geschlechts ungefähr mit dem neunten Jahr. In
diesem Alter kommt auch hier den Mädchen das Sammeln des Brennmaterials
und das Wasserholen zu (Camboue).
Kaum kann das Töchterlein der Batak-Mutter auf Sumatra gehen,
so begleitet es diese schon auf das Fehl. Wenn einmal größer, haben die
Mädchen die Schweine zu besorgen, die sie morgens und abends mit hell-
klingender Stimme unter den Lockrufen „Ndrawandwana" zum Flittertroge
rufen, wo sie dann als treue Hüterinnen mit einem Stock ungebetene Mitfresser
abwehren. Auch die Hühner sind ihrer Obhut anvertraut und werden mit
Fi«. 3S^. Madcheu aus KiboscUo, Deutsdi-Üstafrika, bei der Wäsche.
schrillem „Grrrrrr . . . ne-he" zu den Beis- oder D jagung-Näpfen gelockt und
mit „si-a" verscheucht (Frhr. von Brenner).
Von früher Jugend an werden die Mädchen auch auf Neuguinea und Neu-
kaledonien von ihren Müttern mit auf die Pflanzungen genommen und hiei
zur Arbeit angehalten.
Auch auf Samoa führt man sie bald, d. h. vom 5., 6. oder 7. Lebensjahr
an, in ihre Berufspflichten ein. Die Töchter helfen nun ihren Müttern die
kleinen Kinder pflegen, flechten feiue Matten. Fächer und Taschen, suchen
eßbare Muscheln usw. (Turner und Kuhary).
Sehr beachtenswert sind die kunstgewerblichen Leistungen der
japanischen Mädchen auf verschiedenen Gebieten. Die japanischen Stickereien
sollen auf der Pariser Weltausstellung 1900 alle übrigen derartigen Leistungen
übertroffen haben (vgl. die Schulbildung der japanischen Mädchen in Kap. LVI).
Dabei wird der Hausfrauenberuf nicht vernachlässigt. —
456
Kapitel XLV. Die Heranziehung des Kindes zu körperlicher Arbeit.
„Man kann nicht umhin, den Fleiß und die Tatkraft der Koreanerin
zu bewundern." schreibt A. Hamilton. „Trotz der Geringschätzung:, mit der
man ihr begegnet, ist sie die große wirtschaftliche Triebfeder im Hauswesen
und im Leben der Nation. Die Macht der Verhältnisse hat sie zu einem
Lasttier gemacht, sie plagt sich, damit ihr Herr und Meister sich in aller
Kühe einem bequemen, ja verhältnismäßig üppigen Leben hingeben kann.'; —
Die. Arbeit der Mädchen spezifiziert Hamilton nicht, aber aus der Skizze,
welche er von der Frauenarbeit entwirft, ist ein Schluß auf die Arbeit der
Mädchen erlaubt. Die Koreanerinnen der Mittel- und Unterklassen der
Bevölkerung verrichten in Haus und Feld alle körperlichen Arbeiten, die man
bei uns gewöhnlich Männer-
arbeit nennt, oder aber
durch Tiere ausführen läßt;
so z. B. ackern sie und be-
bauen das Feld. Außerdem
kochen. waschen. plätten und
nähen sie. Brechen schwere
Zeiten herein, denen der
träge Mann unterliegt, so
sind sie es, die das Hauswesen
zusammenhalten, zumal sie
auch Geschäfte führen, z. B.
Schenken und Hotels leiten,
das Schuhmacherhandwerk
ausüben, Fischnetze stricken
können usw. —
Die hier genannten
Geschäfte dürfen jedoch nur
von den Frauen des mitt-
leren und untersten Standes
betrieben werden; die
Frauen des obersten Standes
hingegen können sich der
Bienen- und Seidenraupen-
zucht widmen. Bastschuhe
fertigen1), eine Weinhand-
lung leiten und Lehrerin
werden. Außerdem beschäf-
tigen sich die vornehmen
Koreanerinnen mit Sticken.
Kleidermachen, Nähen und
Weben. — Auf ihre in-
das folgende Kapitel zu
Fig. 887.
Koreanische Familie. Im K. Ethnographischen Kus
in M ü n chen.
tellektuelle und künstlerische Ausbildung kommt
sprechen.
Über ilii' Beschäftigung der Mädchen in China bemerkte Slmz: Während
das kleine Stadtmädchen seine Zeit mit Spielen verbringt, schleppt das Töchter-
lein des Bauern und Handwerkers seine noch kleineren Geschwister herum.
Mit K — lo .Iahten lernt es Spinnen und hilft in der Küche, mit 14 Jahren
Wehen, Sticken und Nähen. In diesem Alter müssen sich manche Mädchen,
in in ihren Familien lebend, selbst unterhalten, wobei sie sich oft
noch etwas Mitgift ersparen. — Die Töchter der Vornehmen werden
int als höherer Ueruf angesehen zu werden, als gewöhnliche Schuhe und Stiefel
zu artigen.
§ 297. Mädchenarbeit. 457
nach Plath angehalten, ..langsam Yü" (ja) zu sagen, während ihre Brüder
das schnell tun müssen; man lehrt sie sauft reden, freundliche Gesichter
machen, sich artig benehmen und gehorchen, Seidenkokons abwickeln, Nähen,
Weben, Quasten machen u. a. m.
Der Thai oder Siamese macht seinem Töchterchen, wenn dieses sechs
Jahre alt geworden, einen Tragkorb für die kleinen Schultern; denn schon in
diesem Alter beginnt für das Mädchen die Arbeit. Sie begleitet ihre Mutter
in den Wald, um Reisig zu holen, und stolz auf die Last in ihrem Korb hebt
sie bei der Rückkehr ihren Kopf hoch, um dessen Stirne ein Rindenband als
Halt für den Tragkorb geht. Die Kleine hülst auch schon Reis aus und trägt
ihr jüngeres Brüderlein auf dem Bücken spazieren. Mit den Jahren mehrt
sich dann ihre Arbeit: sie handhabt den Stößel des Reismörsers, tritt die
Mühle, sorgt für das Geflügel und die Schweine und hilft auch sonst ihrer
Mutter wo immer es geht. Später lernt sie mit großer Freude das Weben
und Färben; hingegen zeigt sie wenig Vorliebe für das Nähen (Bourlet).
Die Mongolen-Mädchen lernen den Haushalt besorgen, Stiefel, Hüte.
Männer- und Frauenkleider anfertigen. Sticken und Reiten. Huc und Gäbet
schrieben, daß die Stickereien, welche sie in der Mongolei gesehen, alles über-
trafen, was sie in dieser Branche je in Europa sahen.
Die Ainn- Mutter unterweist ihre Töchter in der Hausarbeit, im Sticken
und Weben (H. v. Siebohl).
Die Töchter der Eskimo am Mackenzie- und Aderson-Fluß helfen
von ihrem 14. Lebensjahr an ihren Müttern beim Kochen, Nähen und Gerben,
beim Bauen der Boote und Häuser, wie Plo/s nach F. Müller schrieb. — Garde
erwähnte aus dem östlichen Grönland einen Eskimo, der keinen Sohn sein
eigen nannte und deshalb seine Töchter im Seehundfang unterrichtete.
Der Nordindianer Matonabbi sagte zu Hearne: Die Weiber sind zur
Arbeit wie geschaffen. Eine einzige aus ihnen trägt und zieht so viel wie
zwei Männer. Sie schlagen unsere Zelte auf und machen unsere Kleider. —
Auch hier ist ein Schluß auf die Arbeit im Mädchenalter unschwer zu ziehen,
und ähnlich verhält es sich mit der Arbeitsleistung bei den Algonkin-Stämmen,
bei denen dem weiblichen Geschlecht gleichfalls die Pflicht zukam, die Hütten
zu bauen, ferner das Brennholz zu sammeln und heim zu tragen, sowie das
allerdings ziemlich leichte Material der abgebrochenen Hütten bei den häufigen
Umzügen der Stämme zu tragen. Außerdem hatten die Frauen das Feld zu
bestellen, die Saat im guten Stand zu erhalten, die Früchte einzuernten, die
Jagdbeute ihrer Männer heim zu schleppen und diese mit Hummern zum
Ködern der Fische zu versehen. Diese Hummern verschafften sie sich im
Tauchen. Auch das Pelzwerk von der Jagdbeute ihres Mannes hatte das
Weib zu verkaufen, was aber wohl nicht ausschließlich ihr zukam. Selbst-
verständlich hatte sie außer all diesem den Haushalt und die Kinder zu
besorgen (Long, Wood und Schooleraft). —
Im alten Mexiko zeigte die Mutter ihrem 4 — 5 Jahre alten Töchterlein
die Spindel und lehrte sie deren Gebrauch. Vom 13. Jahr an wurden die
Mädchen im Kochen, Weben und Kornmahlen unterwiesen (Bancroft). — In
den Klöstern stickten die Mädchen Tücher für die Tempel, bücken die Opfer-
speisen usw. (vgl. § 320).
Im heutigen Kolumbien fällt den Töchtern der Goajiros-Indianer die
Besorgung des Viehstandes zu (Regel).
Die Juri-Mütter im nordwestlichen Brasilien unterweisen ihre
Töchter im Anfertigen von Hängematten und Töpfergeschirr und im Spinnen;
Kuchen und Feldarbeit lernen die Mädchen von selbst. Überhaupt, schreibt
Koch- Grünberg, fangen die Mädchen bald an, ihren Müttern an die Hand zu
458
Kapitel XLV. Die Heranziehung des Kindes zu körperlicher Arbeit.
gehen. Auch die kleinste kann Kassavawurzeln schälen, den Wassertopf auf
dem Feuer überwachen und Brennholz sammeln.
Über die Töchter der Kobeua-Indianer bemerkt derselbe Forscher:
Spielend lernen sie die Hausarbeit; sie beaufsichtigen bald die jüngeren Ge-
schwister und gehen überhaupt ihren Müttern frühzeitig an die Hand.
Unterricht im Kochen und allen anderen häuslichen Arbeiten geben
ferner die brasilianischen Caraya-Indianerinnen ihren Töchtern, wie G. von
Korn igswald schrieb.
Die Art der Mädchenarbeit bei den Feuerländem folgern wir wiederum
aus der Arbeit der verheirateten Frauen, welche nach Hyades und Cool
folgendes umfaßt: Besorgung der Kinder und des Haushaltes, Sammeln der
zum Lebensunterhalt wichtigen Schnecken und Muscheltiere, Flechten von
Binsenkörben und Binsenstricken, Fisch- und Seeigelfang mit Angeln, bzw.
langen Gabeln, Rudern der leichten Piroguen, Transport der Kinder und des
allerdings spärlichen Hausrates auf den tagelangen Märschen. — Nach Hymh s
halten die Feuerländer ihre Kinder beiderlei Geschlechtes schon früh zur
Arbeit an. —
Fig. 3Ss. Missionszögliuge bei der Gartenarbeit. Apostolisches Yikariat Dar-es-Salaaw.
§ 298. Knabenarbeit.
Die Heranziehung der nordgermanischen Knaben zur Arbeit finden
•wir in der älteren Edda, im Bigsmal (Lied von Rigr) skizziert. Tliräl. als
Repräsentant des untersten Standes, lernt „in kurzem die Kräfte brauchen,
mit Bast binden und Bürden schnüren. Heim schleppt' er Reiser den heilen
Tag". Karl, der Bauernsohn, „begann zu wachsen und wohl zu gedeihn.
Da zähmt' er Stiere, zimmerte Pflüge, schlug Häuser auf, erhöhte Scheuern,
fertigte Wagen, bestellte das Feld". — Auch .Tarl. der Edelknabe, auf dessen
Unterricht im Gebrauch der Waffen usw. ein späterer Paragraph zurückkommt,
mußte einige Handfertigkeiten erlernen:
„Daheim erwuchs
Der Jarl in der Halle,
Mit Linden schälen.
Sehnen winden." —
Die Seranziehung der Litauer-Knaben zur Arbeit im 17. Jahrhundert
skizziert F. Teener (nach Brand): Ihre Zeit vom 7. — 12. Lebensjahr ver-
brachten die Knaben zum größten Teil beim Vieh, das sie auf die Weide
trieben. Auch lehrte man sie Gras und Wiesen kennen, damit sie unter-
§ 298. Knabenaibeit.
459
scheiden konnten, was dem Vieh nützlich oler schädlich war. Vom 12. bis
14. Jahr lehrte man sie Eggen; um das 16. Jahr Pflügen und Mähen1).
Zum Ackerbau und zum Viehhüten verwenden auch die Berber ihre
Söhne (Rohlfs).
>i Die Litauer-Burschen mußten sich bereits mit 17 — 18 .Jahren verheiraten. Man
hielt sie in diesem Alter schon für fähig. Weib und Kind zu ernähren (F. Tezner).
460
Kapitel XLV. Die Heranzi ;'iung des Kindes zu körperlicher Arbeit.
Für den eigenen Magen entwickeln 'manche Negerkuaben nach Wehr-
meisters Schilderung eine rege Tätigkeit. {Makua- und Wayaoknaben suchen
sich im Dezember und Januar eßbare Kräuter und kochen sie. im Februar
und März Waldfrüchte; in den Monaten April, Mai und Juni suchen sie sich
ihre Nahrung auf den Schamben, wo der Muhindie um diese Zeit reif geworden
ist, und wo eine Sorte Matama weiches süßes Mark, eine Leckerei des Negers,
§ Ü8, Knabenarbeit. 461
in seinem Stengel birgt. \ Im Juli und August, wenn das dürre Gras der Wildnis
verbrannt wird, graben die Knaben Ratten aus, oder erjagen sie zu einer
beliebten Mahlzeit. —
Umzilikazi. der Eroberer des jetzigen Matabele-Landes, führte bei
•den von ihm unterworfenen Abanyai eine Art staatliche Sh-ziehung ein:
Sobald ein Knabe gehen konnte, mußte er in der Überwachung von Ziegen
und, Schafen eine Lehrzeit durchmachen, was seinen Gesichtssinn, sein Auf-
fassungsvermögen in der Natur schärfen und in ihm die Liebe zum Schwärmen (?)
erwecken sollte. Mit zwölf Jahren mußte er zur Überwachung von Groß-Vieh
fähig sein und wurde in dieser Eigenschaft der einen oder andern aus den
zahlreichen königlichen Herden zugewiesen ') (Prestagc).
Die Söhne der Basutos werden im zarteren Alter angehalten, zur Zeit
■der Ernte die Vögel zu verscheuchen und Ähren abzubrechen, welche man
abends in Kellen oder Körben nach Hause bringt. Die größeren Knaben
haben, je nach dem Alter, die Ziegen und Schafe, oder die Kälber, oder die
Kühe und Ochsen zu hüten. — 'Wir haben hier also ein ähnliches Aufsteigen
in den Hirtenpflichten wie bei den Abanyai.
Von den Retschuanen überhaupt, zu denen ja bekanntlich die Basutos
gehören, schrieb Ploß2): Während die Mädchen bis zu ihrer Verheiratung
bei der Mutter bleiben, übernimmt der Vater die Knaben vom 6. Lebensjahr
an, um sie zu Jägern, Viehhirten oder Ackerbauern auszubilden').
Am untern Kongo lernen die Bantuknaben von ihrem Vater, wie man
den Buschratten, Vögein und wilden Tieren Fallen stellt; auch unterrichtet
dieser sie im Handel und im Lasten tragen. Die Knaben lernen ferner Häuser
bauen und Kleider für ihre zukünftigen Frauen machen, weil das weibliche
Geschlecht durch die harte Feldarbeit ungelenke Hände bekommt und
deshalb die Nähnadel nicht gut handhaben kann ( Weels).
Über die Ngumba im südlichen Kamerun lesen wir bei L. Conradt:
Der Ngumbaknabe lernt bald von älteren Jungen kleine Vögel und andere
Tiere in Schlingen fangen und Fische angeln. Später lernt er mit den vom
Vater verfertigten Waffen4), Armbrust und Rohrpfeil, kleine Vögel, Eidechsen
und sonstiges Getier schießen, größere Beute mit Netzen umkreisen und fangen.
Einmal erwachsen, muß er seinem Vater auf der Jagd und im Feld helfen
und ihm überhaupt in allem zu Diensten sein. Mit der Zeit gibt ihm sein
Vater etwas Salz, ein Stück Stoff oder dergleichen, damit der Sohn von be-
nachbarten Stämmen Gummi und Elfenbein eintausche und so den Grundstock
zu eigenem Besitz lege.
In Deutsch-Togo führt der Ho-Neger sein sechsjähriges Söhnchen in
die Pflanzungsarbeiten ein.
Einführung der Knaben in die Feldarbeit wurde auch von den Maudingos
im westlichen Sudan berichtet (Mungo Pari).
Eine eigentümliche Erwerbsquelle hauptsächlich der ärmeren Hova-
Knaben auf Madagaskar hat P. Cambouc mit folgendem erwähnt: Wenn
auf dem Markt, oder im Dorf ein Hammel, Schwein, Ochse, oder ein anderes
Tier geschlachtet wird, dann eilen jene Knaben, welche ungefähr das neunte
Jahr erreicht haben, herbei um dem Metzger zu helfen. Dafür erhalten
sie von diesem die Erlaubnis, Fleischstückchen für sich abzuschneiden. Man
nennt diese Knaben mpanombi-kenä, d. h. Fleischstücke-Hascher.
') Über die darauf folgende militärische Erziehung später.
2) It, 407
3) Hut dann der junge Mensch im Dienst seines Vaters, oder eines anderen, einiges
Vermögen erworben, dann kauft er sich Ochsen und ein Weib.
l) Vgl. § 300.
462
Kapitel XLV. Die Heranziehung des Kindes zu körperlicher Arbeit.
Auf den And am an -Inseln spionieren die kleinen Knaben im Wald Bienen-
schwärme auf und vertreiben sie, wohl damit der Honig von den Erwachsenen
genommen werden kaun; auch das Holzsammeln gehört zu ihrer Beschäftigung
(Ad. de Röpstorff).
Einen erwerbstätigen Knaben von den Philippinen-Inseln sehen wir
auf Abbildung 391.
Die Beschäftigung der Knaben im deutschen Schutzgebiet in der
Südsee charakterisierte M. HoJl-
rung mit den Worten: Die Knaben
üben sich im Fischen, .Jagen,
Klettern, Rauchen, Betrügen und
Nichtstun. Doch spricht er ihnen
auch eine überraschende Kenntnis
der Natur zu ').
Auf den Marschall-Inseln
sah < 'arl Hager nie. daß ein Kind
zur Handhabung eines Handwerks-
zeuges oder einer Waffe angeleitet
wurde, horte auch nie, daß mau
Kinder zur Arbeit aufforderte, oder
daß man sie belehrte, wie sie
essen, trinken oder baden sollten.
Unland sehrieb -) von den Mikro-
nesiern überhaupt: Wer etwas
lernen wollte, sah, wie es der
tat ige Arbeiter machte, und bildete
sich so durch Übung, Nachahmung
und Erfahrung. -- Später kamen
spanische, und jetzt sind deutsche
Einflüsse vorhanden, welche die
Jugenderziehung fördern.
In Kaiser-Wilhelmsland
auf Deutsch-Neuguinea haben
die Erstgebornen der Papuas das
Privilegium, bis zu ihrem zehnten
Jahr gar nichts zu arbeiten. —
ÜberdieBeschäftigung der Papua-
Knaben in Britisch-Neuguinea
bemerkte M. Krieger:
Sind die Knaben einmal so
weit, daß sie gehen können, dann
verbringen sie ihre ersten Jahre
mit fröhlichen Spielen und Tänzen,
welche sie schon im zarten Alter
von den Männern lernen, helfen
aber auch bald ihren Vätern,
ihnen Schnitzen und das Anfertigen
und Fischfang.
Fig 301 Ein Milchverkäufer in Manila, auf I.uzon
Philippinen-Insel. Im K. Ethnographischen Museum ii
M ü liehen.
Netze und Körbe flechten, lernen von
von Waffen und begleiten sie zu Jagd
Wenn auf Samoa ein Knabe etwa sieben Jahre alt geworden, wird auch er
in seine sputeten Berufspflichten eingeführt. Er kommt nun unter die Aufsicht
seine Vaters, begleitet ihn nach den Pflanzungen, lernt dasTarofeld bebauen,
Einführung der Papua-Knaben in ihre spätere
') Vgl. I\i i gers Mitteilung über die
Berufsarbeit; ferner ähnliches auf Samoa
2) Bei Boß, II, 337.
§ 298. Knabenarbeit.
46$
Bananen und Yams pflanzen, übt sich auf dem Wasser in der zweckmäßigen
Handhabung von Ruder, Speer und Netz, lernt im Walde die nützlichen Pflanzen
und Kräuter, die gesunden Stämme für Hauspfosten und Boote kennen und
die Axt zum Behauen und Aushöhlen führen. Daheim lernt er das Korbflechten,
Schnüre drehen, Speere schnitzen, Angeln herstellen usw. (Turner und Kubary).
In China müssen die Söhne armer Leute, nachdem sie kaum gehen ge-
lernt haben, schon Stroh und Reisig zum Herdfeuer und Futter für das Vieh
sammeln, Schafe und Ziegen hüten. — Da der Staat Volksschulen nicht unter-
hält, arme Väter Privatlehrer aber nicht bezahlen können, so werden die Söhne
der ärmeren Bevölkerung eben das, was ihre Väter sind, d. h. Bauern, Hand-
werker usw., wie Stern bemerkt. — Nach Frhr. von Bichthofen besuchen aber
auch Knaben, welche später sich dem Feldbau, einem Handwerk oder dem
III
Byt-£-««g[
Fig. 392. Chinesische Jugend in einer Missionsweberei. Im K. Ethnograph. Museum in München.
Handel widmen, vorher eine Schule, denn er schreibt: In den wenigen Schul-
jahren sitzen sie von Tagesgrauen bis Sonnenuntergang über ihren Büchern;
die andern Jahre vergelten mit Hilfe im Feld, im Kaufladen, beim Handwerk
usw., oder im Nichtstun.
Die Thai oder Siamesen lassen ihre Söhne nicht lange müßig gehen,
schreibt Bourlet Die Knaben hüten die Felder vor gefräßigen Vögeln, fischen
und fangen nach der Ernte die Frösche aus dem Schlamme der Reisfelder;
wenn einmal kräftiger, legen sie die Hand an den Pflug, die Karste und das Beil.
Bei den Laos im nördlichen Siam setzt man den kleinen Knaben auf
einen Büffel, und schickt ihn so mit einem älteren Bruder und mit der Herde
Vieh auf die Weide. Bald muß der Kleine dann diese Aufsicht allein führen.
Den ganzen Tag verbringt er mit dieser Aufgabe; denn er hat seinen Reis,
Fisch und Tabak in einem Körbchen bei sich, so daß er zur Stillung dieser
Bedürfnisse nicht heimzukehren braucht. Den Tabak braucht der kleine Knirps
zum Rauchen und Kauen. Selbstverständlich wird der Lao-Knabe mit der
4G4
Kapitel XLV. Die Heranziehung des Kindes zu körperlicher Arbeit.
Zeit auch in andere Berufspflichten eingeführt; Fig. 393 zeigt uns einen solchen
beim Bambusspalten. —
Jeder Samojede muß sich die nötige Fertigkeit aneignen, um Zelte,
Schlitten, Kähne, Jagd- und Fischereigeräte zu verfertigen. Jeder muß ferner
Hirte, Fischer und Jäger sein und sich die tausenderlei hier einschlägigen
Kunstgriffe und Kenntnisse aneignen. Die zur Existenz der Samojeden nötige
Geschicklichkeit umfaßt vieles, wie De Ddbbeler bemerkt, und so müssen denn
die Kinder ihren Eltern möglichst bald bei der Arbeit helfen. Dieser Forscher
sah, wie etwa sechsjährige Knaben schon versuchten, Renntiere mit dem Lasso
anzufangen, obgleich sie jedesmal der Länge nach in den Schnee fielen.
Der Eskimo-Knabe am Mackenzie- und Anderson-Fluß wird, wenn
er kaum gehen kann, von seinem Vater bereits unterrichtet, wie er die Waffen
handhaben und das Boot rudern soll. Mit 15 Jahren muß er selbständig auf
den Seehundsfano;, mit dem 20. Jahr eigenhändig Waffen und Boot anfertigen.
Dann darf er heiraten.
Fig. :;fo. Ein Lao-Knabe beim Bambusspalten. Ing. Josef Kienningera pbot.
Was die Berufspflichten des Indianers unter den Jägerstämmen betrifft,
sii schrieb Schooleraft, Pflicht des Mannes ist es. für Nahrungsmittel zu sorgen;
Pflicht des Weibes, diese zum Essen herzurichten. Deshalb hat jener auch
für die Herstellung der Waffen und Kähne zu sorgen. Er muß ferner die
Seinen vor dem Feinde schützen und sein Besitztum vor feindlichem Überfall
bewachen. Auch rodet er Bäume und Gesträucher ans. wenn es sich um An-
legung eines neuen Feldes handelt, dessen Bebauung aber Weiberarbeit ist.
Hausarbeit galt bei den von Long besuchten Stämmen im Norden des Oberen
Sees unter der Würde eines Kriegers. — Von den Karaiben in Guayana be-
richtete Schomburgh, daß sie die Rodung übernahmen, wenn es sich um die An-
legung eines neuen Feldes handelte, dessen Bebauung auch hierWeiberarbeit war. —
Auch der Feuerländer übernimmt nach Hyades die schwereren Arbeiten,
d. h. er fallt das Bauholz und bringt es heim, baut die Hütte und die Pirogue,
erlegt Rubben und Ottern, wobei ihm seine Hunde helfen, und tötet Vögel
mit der Schleuder. — Der Schluß auf die Arbeit der heranwachsenden männ-
lichen Jugend ist auch hier leicht; denn was der Verheiratete an praktischer
Arbeit kennen muß. dazu wird wohl der Unverheiratete vorbereitet werden.
§ 299. Gemeinsame Arbeiten beider Geschlechter.
465
Wenn im alten Mexiko der Azteken-Knabe sein 4. oder 5. Jahr
erreicht hatte, fing man an, ihn an leichte körperliche Arbeit, z. B. an das
Tragen kleiner Lasten, zu gewöhnen; mit 6 — 7 Jahren begleitete der Sohn
seinen Vater mit einer leichten Bürde auf den Markt, wo er sich nützlich
machte, indem er z. B. das auf dem Markt Verschüttete auflas. — Abbildung 396
führt uns einen dreizehnjährigen Knaben vor, der eine Last Holz zu einem
Kahn trägt, aus welchem bereits drei andere Holzbündel ragen, und der von
einem zweiten Knaben gerudert wird. Im 4. Feld, von oben uach unten
gezählt, wird ein vierzehnjähriger Knabe im Fischfang unterwiesen. — Ban-
croft schrieb: Die Arbeit bestand für Knaben im Alter von 13 — 15 Jahren im
Fischen und Holzholen. —
Bei Stämmen mit mehr oder weniger entwickeltem Handel und Industrie
werden die Knaben in diese Erwerbstätigkeit eingeführt, so z. B. bei den
Fig. 394. Knabe als Fischverkäufer
in Valparaiso. Im K. Ethnograph.
Museum in München.
Fig. 39:.. Knalien aus San Luis Potosi, Mexiko. Friedrich phot.
i Im K. Ethnographischen Museum in München.
Aurohuacos im nördlichen Columbia, wo sie ihren Vätern beim Weben von
Hängematten, Mänteln, Säcken, Taschen und Gürteln helfen. Die kleinsten
reinigen und entwirren die Baumwolle; die größeren ziehen die Fäden für die
Gewebe (Sievers, nach Xicolas de Ja Bosa).
§ 299. Gemeinsame Arbeiten beider Geschlechter.
In den vorhergehenden §§ 297 und 298 ist der Versuch gemacht worden,
die Arbeitsteilung der Kinder, je nach dem Geschlecht, bei einer Reihe von
Völkern zu skizzieren. Eine reine Scheidung wird kaum gelungen sein, da
mancher Forschungsreisende in seinem Bericht über die Arbeitsleistung der
Kinder diese im allgemeinen anführt, d. h. ohne das Geschlecht zu unter-
scheiden. Freilich kann man in solchen Fällen meistens nach dem Vater,
oder nach der Mutter, die das Kind in die Arbeit einführen, mit Wahr-
scheinlichkeit schließen, daß das Kind ein Knabe, bzw. ein Mädchen ist.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 30
466
Kapitel XLV. Die Heranziehung des Kindes zu körperlicher Arbeit.
Die Differenzierung der Arbeit je nach dem Geschlecht findet auch nicht
überall gleich von Anfang an statt, sondern man gibt bei manchen Völkern
den Knaben und Mädchen im zarteren Alter noch eine gleichartige Beschäftigung.
Andere Arbeiten wieder bleiben sich, wie bei uns, für beide Geschlechter auch im
späteren Leben gleich.
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Fig. 39C. Kindererziehung bei den Azteken, altes Mexiko. — Aus Bancroß „The Native Races of the
Pacifio States of North America", Vol. II. Nach dem Codex lltndoia. —
Die mit 1, in, 19 und 20 bezeichneten Kreise in den Feldern 1, 2, :i und 4, von oben nach unten gezählt,
geben das Alter des Kindes an, also 11, 18, 18 und 14 Jahre. Die mit 2, s, n, 10, 20, 24, 30 und 34 be-
zeichneten Gegenstände sind Kuchen, welche dem betreffenden Kind als dessen Kost pro Mahlzeit zukommt
(vgl. § 2!U); 3, 6, 12 und 16 bezeichnen Männer, bzw. Flauen, die ihre Söhne, bzw. Tochter züchtigen (vgl.
8 296); 18 und 31 Männer, welche ihre Söhne beim Holztragi'ii und Uudern beaufsichtigen; 22 und 33 Frauen,
die ihre Töchter in der Küche und im Weben unterrichten (vgl. § 297). —
In \inliia Petraea müssen die Kinder beider Geschlechter, so lange
sie noch relativ klein sind, der Mutter bei der Arbeit helfen (Musil).
Im alten Ägypten (14. Jahrb. v. Chr.) dauerte das bis zum 6. oder
8. Lebensjahr, worauf sie in die Schule geschickt wurden, oder ein Handwerk
lernten (Maspero). - Vielleicht bezieht sich das aber nur auf die Knaben.
§ 300. Gymnastik, Tanz, Vaffenübungen, Reiten, Schwimmen u. a. m. 467
Im heutigen Oberägypten beschäftigen die Araber niederer Stände
ihre fünf- und sechsjährigen Kinder mit der Überwachung der Herden; später
verwenden sie sie im Feldbau (Laue).
Bei den Somali in Mogduschu sah Revoil Kinder bereits in der
Industrie ihres Landes, in der Baumwollweberei, tätig. Ihnen und den Männern
fiel es zu. die gereinigte und geklopfte Baumwolle in Strähne zu teilen, welche
von den Frauen gesponnen wurden. Das Kind hielt dabei die Spule in der
Hand und wickelte den Faden mittels einer kleinen hölzernen Gabel in Form
einer S auf1).
Die Wapogoro in Deutsch-Ostafrika nehmen ihre Kinder schon mit
zur Feldarbeit, wenn diese erst fünf Jahre alt sind. Unterricht gibt es nicht.
Die Kleinen müssen es ihren Eltern einfach absehen, wie sie zu pflanzen
haben. Daß sie für etwaige Unaufmerksamkeit Prügel bekommen, ist bereits
im vorigen Kapitel angedeutet worden. Die Eltern wollen ihren Kindern die
lästige Feldarbeit baldmöglichst überlassen (JFabry).
Das Ho va -Kind auf Madagaskar, gleichviel ob Knabe oder Mädchen,
fängt schon mit vier Jahren an, seinen Eltern bei der Arbeit zu helfen. Seine
Hauptbeschäftigung ist in dieser Zeit, den noch ungeputzten Beis zu überwachen.
Der Hova bewahrt nämlich, nach CamJiour, den Beis in diesem Zustand in
großen Löchern in der Erde auf, denen er das Nötige immer erst vor dem
Gebrauch entnimmt, worauf der Beis auf Matten, oder auf einem Felsen an der
Sonne getrocknet und dann ausgehülst wird. Da tritt nun der Wachdienst der
Kinder ein -). — Gegen sechs Jahre vertraut man den Kindern die Überwachung
der Enten, Gänse und Truthühner, später auch des Kleinviehes, besonders der
Schweine, an; neunjährigen das Austreiben und Hüten der Ochsen auf der Weide.
Mit zehn Jahren helfen die Kinder auf den Reispflanzungen und bei den übrigen
Feldarbeiten, und beginnen Lasten zu tragen3) Von nun an ist das Hova-
Kind das Lasttier der ganzen Familie, wenn nicht ein jüngeres Geschwister
nachkommt; denn nach Hovabrauch kommt es dem Jüngsten der Familie zu,
zu tragen was zu tragen ist. Ein dortiges Sprichwort lautet: „Dem Jüngsten
die Bürde, dem Ältesten das Wort," —
Von den Kindern der Monumbo-Papua in Deutsch-Neuguinea
schreibt Franz Vormann, daß sie zur Zeit der Ebbe zusammen mit den
Frauen kleine Fische, Krabben, Muscheln usw. auf dem Riff suchen. — Somit
tragen auch sie zum Unterhalt der Familie bei.
Auf den Salomo-Iuseln nimmt man die Kinder, sobald sie gehen können,
mit zum Fischfang und auf die Jagd (M. EeJcardt).
Die Kinder der Katchin in Barma übernehmen im Notfall das Kochen,
welches sonst zu den Pflichten der Frauen gehört (GUhodes). —
§ 301». Gymnastik, Tanz, Waffenübungen, Reiten, Schwimmen u. a. m.
Die Kelten legten in der Periode ihrer politischen Selbständigkeit bei
der Erziehung ihrer Söhne das Hauptgewicht auf Kriegstüchtigkeit, Kein
Sohn durfte seinem Vater unter die Augen kommen, ehe er die Waffen zu
führen verstand, schreibt Orupp. Diese Kunst wurde den Knaben, wie es
scheint, von anderen Männern beigebracht. Denn Orupp bemerkt, daß die
Kinder je eines Stammes möglichst gemeinsam erzogen wurden: Die der
') Vgl. die Aurohuacos im nördlichen Columbia, § 298.
s) Die deutschen Bauernkinder werden bekanntlich, wenn noch klein, zu ähnlichen
Diensten herangezogen, z. B. zur Überwachung des Kleesamens, wenn dieser in den Höfen
getrocknet wird, was von den Hühnern gern ausgenützt wird. Da dieser Wachdienst lang-
weilig ist. und die lebhaften Kinder ihm deshalb abhold sind, heißt es im schwäbischen
Sprichwort: ..Liaber feura as d' Henna hüata", d. h. lieber faullenzen, als die Hühner hüten.
*) Vgl. die Azteken-Knaben in § 298.
30*
468 Kapitel XLV. Die Heranziehung des Kindes zu körperlicher Arbeit.
Häuptlinge zuerst in den Familien der Untergebenen, später mit allen zu-
sammen am Hofe des Häuptlings.
In der griechischen Erziehung bildeten Gymnastik und Musik die beiden
Hauptfaktoren derKnabenerziehung, wie Wachsmuth ausführte. Jene bezweckte
hauptsächlich physische, diese ethische Entwicklung. Von der Gymnastik
erwartete man nicht nur Gliederkraft, sondern auch körperliche Schönheit und
Anmut, weshalb sie als „Vorhalle" zur Tanzkunst galt. Diese wieder war
aufgefaßt als die Kunst, physische Zustände in körperlichen Gebärden und
Bewegungen auszudrücken. Die Gymnastik hatte nach griechischer Anschauung
ferner ethischen und politischen Wert; denn die Gymnasien waren die besten
Schulen zur Handhabung der Waffen und Cbungsstätteu zur Ertragung von
Beschwerden und Entbehrungen. Allerdings waren sie auch als Schärstätten
der Tumulte verrufen. Speziell von den Böotern hieß es, daß bei ihnen die
Vernunft von der Körperkraft überholt werde ').
Als älteste Kraftübung der Gymnastik gibt Wachsmuth den Lauf an;
dazu kam der Sprung, das Diskos- und Speerwerfen, das Schleudern und Bogen-
schießen und das Ringen. Der von den spartanischen Knaben kunstlos
geübte Faustkampf und das Pankration (Verbindung von Ringen und Faust -
kämpf) gehörten nicht zur bildenden Gymnastik. Ebenso wurde weder Reiten
noch Wagenlenken- in den Gymnasien gelehrt. - - Nach Floß2) wurde Reiten
und Handhabung der Waffen, als Vorbereitung zum Kriegsdienst, dem Knaben
im Epheben-Alter beigebracht. Als Anfangsstufe des gymnastischen Unter-
richtes nannte Ploß das Ballspiel. Dann ging es stufenweise vom Leichteren
zum Schwereren: Laufen, Springen usw. Den Unterricht in der Gymnastik
leiteten die Paidotriben; die Sophronisten sahen auf Anstand und Ordnung;
die Alcipten hatten die diätetische Aufsicht und besorgten das Einreiben mit
Öl. Die Zuclit war streng, und auf Anstand, edle Haltung und Sitte wurde
ein besonderes Augenmerk gerichtet.
Auf Kreta erstrebte man, nach Wachsmuth, mit der Gymnastik weniger
kunstgerechte Ausbildung der Glieder, als Übung in leichten Waffen und
Geschick auf der Jagd.
Daß die Spartaner ihre Töchter an den gymnastischen Übungen ihrer
Söhne teilnehmen ließen, wurde in § 292 erwähnt. —
Im alten Rom war Cato der Altere der Lehrer seines Sohnes nicht nur
auf dem intellektuellen Gebiet im engeren Sinn3), sondern auch in den Leibes-
übungen, welche, wie die geistige Bildung, in Rom immer mehr und mehr
griechischen » liarakter annahmen, indem man vom Ballspiel, Laufen und Fechten
zu den kunstgemäßer entwickelten Turnkämpfen in den privaten Palästen der
Vornehmen überging (Mommsen). —
Was den Sohn des alten Germanen seinem Vater ebenbürtig machte,
das war körperliche Kraft und Wafüentüchtigkeit, schreibt Orupp. Deshalb
winde auch hier in der Erziehung auf die körperliche Ausbildung das Haupt-
gewichl gelegt. Aber nicht nur ihre Söhne, sondern auch ihre Töchter
wollten unsere Vorfahren zu kräftigen Menschen heranziehen, und deshalb
machten sie es. wie die Spartaner, d. h. sie ließen ihre Töchter an den Leibes-
übungen der männlichen .Tugend teilnehmen, wie denn die Erziehung der beiden
Geschlechter überhaupt nicht weit auseinander ging. Von dem westger-
manischen Stamm der Tenkterer schrieb Tacitus (c. 32): Die Reitkunst
isl bei ihnen ein Kinderspiel, ein Wettstreit der Männer und noch eine Be-
>i AU Pflanzstätten der Knabenliebe begegnen uns die Gymnasien in Kap. XLVII.
-i 2. A.i'l II, 348.
»J Vgl. Kap. xLvr.
§ 300. Gymnastik, Tanz, Waffenübungen, Reiten, Schwimmen u. a. m. 469
schäftigung der Greise. — Die ältere Edda (Lied von Rigr) läßt den nord-
germanischen Edelknaben Jarl
„Bogen spannen
Und Pfeile Schäften,
Spieße werfen,
Lanzen schwingen,
Hengste reiten,
Hunde hetzen,
Schwerter ziehen.
Den Sund durchschwimmen." —
Die körperliche Elastizität jener Inder, groß und klein, welche ans in
europäischen Großstädten gelegentlich als Luftkünstler und dgl. vorgeführt
werden, ist bekannt. — Ihnen stehen die Zigeuner als Seiltänzer usw. wenig
nach. Man zieht die Kinder vom zartesten Alter dazu heran.
Gymnastische Übungen eigentümlicher Art sind die Täuze des weiblicheu
Geschlechtes in Indien und bei zahlreichen anderen Völkern, insofern es sich
bei solchen Tänzen weniger um ein lokales Fortbewegen, als um Drehungen
und Wendungen gewisser Körperteile handelt. Was den Orient und speziell
Indien betrifft, so schreibt Zitelmann : „Im Orient gehört das Tanzen nicht,
wie bei uns, zu den Vergnügungen, an denen jeder, der Lust hat, teilnehmen
kann, sondern es ist eine Kunst, die berufsmäßig gegen Bezahlung ausgeübt
wird." Die Künstlerin selbst wird zwar von den Männern, deren Festesfreuden
sie erhöhen, bewundert, aber gesellschaftlich ist sie nicht geachtet; sie gehört
einer niederen Kaste an. — Die charakteristischen Züge solcher Tänze sind
die gleichen in Indien, Birma, China, Japan1) und im Orient überhaupt.
Auch die Negerinnen haben ähnliche Tänze. —
Bedeutende Sorgfalt auf die körperliche Ausbildung ihrer Kinder ver-
wandten die Guanchen auf den Kanarieninseln, wenn auch kaum anzu-
nehmen ist, daß ihre Erziehung ausschließlich im Ringen, Laufen und
Werfen bestand, wie Plofi schrieb2). Ein Hauptzweck ihrer körperlichen
Übungen war wohl ein geschicktes Ausweichen vor feindlichen Geschossen;
denn in der 2. Auflage lesen wir: „Ganz junge Kinder mußten anfangs den
aus weicher Erde gemachten Kugeln auszuweichen suchen; dann nahm man
Nüsse zu demselben Zweck, dann folgten kleine Kugeln, dann stumpfe, und
endlich spitze Pfeile. Sie wurden durch solche Übungen so gewandt, daß sie
den kräftigsten und schnellsten Steinwürfen ausbeugen konnten.-'
Die Somali lehren ihre Söhne die Lanze werfen und mit dem Schild
parieren {Haggenmacher).
Die Bedja oder Bischarin in der nubischen Wüste lehren, insoweit sie
der nomadisierenden Bevölkerung des Landes angehören, ihren Kindern
frühzeitig das Reiten auf Pferden und Dromedaren, sowie die Handhabung
der Waffen für Jagd und Krieg (B. Hartmann).
Einführung der Kinder in die Handhabung der Waffen bei den ost-
afrikanischen Wagogo und Wanyika ist durch Fig. 397 erwiesen; Ring-
kämpfe der Jugend bei den dortigen Massai und Wadschagga durch Fig. 293,
Kap. XXXVIII.
Mit Pfeil und Bogen machen sich die Makua- und Wayao-Knaben,
hauptsächlich in den Monaten September und Oktober, auf die Vögel-Jagd
(Wehr meist er).
Weide schreibt von den Völkern des Makondeplateaus, zu denen auch
die obigen zwei gehören: Für den Knaben siud Bogen und Pfeil unerläßlich;
') Über japanische Tänze später.
2) II, 344.
470
Kapitel XLV. Die Heranziehung des Kindes zu körperlicher Arbeit.
hätte ich alle die mir angebotenen Kinderbogen aufkaufen wollen, es wäre
eine kleine Schiffslast geworden. — Allerdings seien diese Waffen bei den
dortigen Negervölkern kein Kriegsgerät mehr, sondern vorwaltend Spielzeug
und höchstens Jagdgerät, weshalb die Erwachsenen ebenso schlechte Bogen-
schützen seien wie die Knaben.
Frühzeitigen, meist gegenseitigen, Unterricht, der Knaben im Gebrauch
der Waffen und im Harpunieren der Fische meldet Holub von den Makololo
und anderen Negerstämmeu südlich vom Sambesi1).
Die Söhne der von Umsilikazi unterworfenen A b a n y a i
im jetzigen Matebele-Land wurden mit 15 Jahren
militärpflichtig. Mit Assegai und Speer bewaffnet hatten
sie nun im königlichen Kraal zu erscheinen, wo sie mehrere
Tage lang in Kriegstänzen und Kriegsliedern unterrichtet
yl wurden2) (Prestage).
Die Jagdübungen der Ngumba- Knaben im süd-
lichen Kamerun wurden in § 298 erwähnt.
Hat bei den Hoern in Togo ein Bursche das 15.
oder 16. Lebensjahr erreicht, dann kauft ihm sein Vater
eine Flinte, die der Bescheukte hocherfreut seineu Ver-
wandten zeigt und ihnen Beweise von seiner Fähigkeit,
als Schütze gibt. Fallen diese gut aus, dann bekommt er
etwas Geld für Pulver. Der Bursche beginnt mit der
Erlegung von Vögeln; später wagt er sich an Hochwild,
wozu ihm der Vater genaue Regeln und Vorschriften gibt.
Nach Erlegung des ersten großen Tieres wird der Junge
unter mysteriösen Zeremonien in den Verband der
Jäger aufgenommen3).
Auf den Andaman-Inseln sah Jagor die kleinen
Knaben der Minkopies sich üben, Pfeile wie Wurfspieße
in Bananen-Stämme zu schleudern4).
Bei den Aetas auf den Philippinen üben sich
sowohl die Knaben als auch die Mädchen von frühester
Jugend auf im Gebrauch des Pfeiles und Bogens, weshalb
Weiber und Männer vorzügliche Schützen sind (A. Br.
I'nlder).
Einführung der Kinder (beider Geschlechter?) in den
Gebrauch der Waffen erwähnte Finseh1) von den Papuas
an einigen Orten Neuguineas, und über die Fidschi-
Insulaner bemerkte Erskine"): Die Kuaben weiden im
Schwimmen, Kahnfahren und Kämpfen unterrichtet und
auf die Naturerscheinungen aufmerksam gemacht.
Bei den Polynesiern auf den Tonga-, Samoa-
und Marquesas-Inseln lernen die Kinder ..beinahe eher
schwimmen als laufen"; das Gleiche wurde in der 2. Auf-
Fig. S97. Waffen für Kin-
i.i Speer bei den ffa-
■ .. :■ I. ; Bogen bei den
wanyika, Osl afrika.
im Miistiim für Völker-
kunde in Leipzig.
läge von den Kindern der Tahiter und Neu-Seeländer
bemerkt T).
'i Ilni- erbauen sich die Knaben bald ihre eigenen Hütten und machen sich von den
Eltern unabhängig.
-i Heiraten durften Umsilikazi's Krieger in der Regel erst mit 35 — 40 Jahren, nachdem
sie sich tapfer erwiesen halten.
3) Hier, wie im Matebele-Land, wird der Bursche also wohl an der Grenze zwischen
Knabenalter und Mannbarkeit in den Waffengebrauch eingeführt.
«) Floß II. 337.
6) Bei Floß, ebenda, 335.
«) Ebenda, 336.
h Ebenda, 6 und 336.
§ 300. Gymnastik, Tanz, Waffenübungen, Reiten, Schwimmen u. a. m. 471
Auf Tahiti führt man die Knaben ferner in die Handhabung der Waffen,
in die Schiffahrt und andere praktische Fertigkeiten ein (Förster und MSren-
hont) l).
Die Schwimmstanden auch mancher australischer Kinder beginnen
schon, ehe die Kleinen geheu können. Sie werden einfach von der Mutter auf
den Schultern ins Wasser genommen. Hier taucht die Mutter plötzlich unter,
und nun arbeitet das Kind wie ein schwarzer Pudel im Wasser umher. Lassen
seine Kräfte nach, dann wird es von der aufmerksamen Mutter wieder auf
den Rücken genommen. — Die Knaben nimmt man, sobald sie gehen können,
auf die Jagd mit, unterrichtet sie in der Handhabung der Waffen und macht
sie überhaupt mit allem bekannt, was zu ihrem Fortkommen dient. Im Alter
von 8 — 9 Jahren müssen sie imstande sein, sich selbst zu helfen; denn von
diesem Zeitpunkt an werden sie sich selbst überlassen2).
In Japan sind Kriegsspiele, Jagen, Reiten, Ringen, Schwimmen und
anderer Sport seit Jahrtausenden zu Hause, wie neuestens (1911) der Japaner
Mishima schreibt. Solange das japanische Reich besteht, galt die körperliche
Ausbildung dort als ein unentbehrliches Kraftmittel gegen den Feind. Sie
sollte auch den Nationalgeist fördern, unter dem der Japaner „absolute
Treue und Gehorsam gegen die Majestät" und die Bereitschaft versteht, das
Leben für das Reich einzusetzen. Das alte Japan habe in der körperlichen
Entwicklung vor allem ein Mittel zur Charakterbildung, nicht, wie das jetzige,
Gesundheitspflege gesehen. Auch die Mädchen lernten fechten, reiten,
jagen und die übrigen japanischen „Ritterkünste", wie sich Mishima ausdrückt.
Er wie Hirai machen darauf aufmerksam, daß bis zur neuen Umgestaltung
der japanischen Verhältnisse, also bis in die 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts,
die Töchter und Frauen der Ritter mit in die Schlacht zogen und wie die
Männer fochten, „manchmal mit besserem Erfolg" als diese, wie Hirai bemerkt3).
Das jetzige Japan hat seit 1881 in seinen Schulen das Turnen einge-
führt. — An Stelle der Ritterkünste sind in der Erziehung der Mädchen der
gebildeten Kreise Tanzübungen getreten, wie Mishima schreibt. — Der
Tanz wird also im jetzigen Japan nicht, wie in Indien, als professionelle und
zugleich sozial erniedrigende Kunst aufgefaßt. - - Der in der Gegenwart
beliebteste und am meisten verbreitete japanische Tanz ist der „Odori", was
Mishima mit „Hüpfen" übersetzt. Bei diesem Tanz werden alle, auch die
feinsten, Muskeln der Tänzerin in anmutige Bewegung versetzt.
Das moderne Japan verwendet auf die körperliche Ausbildung auch
deshalb so viele Sorgfalt, weil sich in den letzten paar Jahrzehnten, wohl
infolge der gesteigerten geistigen Anstrengung, eine Verschlimmerung des
Gesundheitszustandes in den höheren Schulen bemerkbar machte. —
Auch in Kambodscha gewöhnt man die Kinder schon früh an Körper-
übungen, speziell an den Gebrauch der Lanze, des Stockes und Bogens, an
Schwimmen und Reiten, wie E. Aymonier schreibt. - Das gilt wohl von
beiden Geschlechtern; denn die Frauen sind hier, wie bei den Aetas, mutige
Jäger.
Daß die Töchter der Mongolen reiten lernen, ist in § 597 erwähnt
worden. Was die Knaben betrifft, welche zu Hause aufgezogen werden4), so
setzt man sie schon, ehe sie gehen können, aufs Pferd. Auch an Bogen und
Flinte müssen sie sich früh gewöhnen (Huc und Gäbet).
') Ebenda, 336.
*) Ebenda, 334 f.
3) Bekannt ist die frühere weibliche Leibgarde des Königs in Dahome, nordwestliches
Afrika.
*) Die meisten kommen in ein Lamakloster. Hierüber im folgenden Kapitel.
47-2
Knpitel XLV. Die Heranziehung des Kindes zu körperlicher Arbeit.
Unterricht der Knaben im Reiten in einem Alter von 4 — 5 Jahren
meldete Peter von Stettin von den Baschkiren, einem turk-tatarischen Volk
an der unteren Wolga. Siebenjährige verwegene Reiter seien hier keine Seltenheit.
Die Söhne der Ai'nos erlernen von ihren Vätern in früher Jugend die
Kunst des Bogenschießens und des Fischfanges, schrieb H. von Siebold. Sie
begleiten ihre Väter in den Wald, auf die reißenden Flüsse und das offene Meer. —
Fig. 998. Kinderpfeil der Bororö,
M.iiin Grosso, Brasilien. Arara-
llefiederung. Pfeilsohaft ohne Spitze.
Im Museum I K. H. Prinzessin Thercse
von Bayern.
Fi;?. S88. Bogen und Pfeile als Rinderspielzeup (?) im
Beni-Gebiet, Bolivia. Im Museum I. K. II. Prinzessiu
Therese WMI Xayern.
Daß die Jägerstämme der roten Rasse ihre Söhne gleichfalls in noch
zartem Alter mit den Waffen bekannt machten, bzw. machen, braucht nach
dem bisher Gesagten l) kaum erwähnt zu werden. Doch mögen immerhin
einige Belege folgen:
Als Lederer bei den Sara-Sioux weilte, schoß ein kleiner Knabe zwei
Pfeile nach ihm und seinem Pferd. —
Von den Irokesen bemerkte Floß2), daß säe ihre Kinder zeitig im
Schießen mit dem Blasrohr üben, und Spring schrieb: Hie Apachen unterrichten
ihre Söhne in frühester Jugend im Gebrauch der Waffen.
') Vgl. den kleineu Gros-Ventres-Knaben, der seine Mutter erschoß, t; 205.
*) II, 888.
§ 300. Gymnastik. Tanz, Waffenübungen, Reiten, Schwimmen u. a. m. 473.
Zu den Unterrichtsgegenständen der jungen Caraya am Schingu und
Araguay in Brasilien gehört die Anfertigung von Waffen, Schießen, Jagen
und Kämpfen, wie G. v. Koenigswald mitteilt. Außerdem lernen sie Tanzenr
Fischen, die Anfertigung von Federschmuck u. a. m. — Hier scheint der
Unterricht ziemlich spät, d. h. erst mit Eintritt der Pubertät anzufangen.
Die Burschen kommen dann in das Junggesellenhaus, wo der Unterricht statt-
findet, und wo sie auf Kosten der Gemeinde leben.
Reiten lehren 'die Krähen -Indianer ihre Kinder schon im dritten
Jahr, wie Irving schrieb, und von den „halbwilden Hirten spanischer Abkunft",.
also wohl von den Gauchos oder Pampashirten, schrieb Ploß1): Wenn ihre
Kinder acht Tage alt sind, so nimmt sie „ihr Vater oder ein älterer Bruder
auf den Arm, setzt sich mit ihnen zu Pferde und jagt so lange im Feld herum,
bis das Kind anfängt zu weinen, worauf sie es der Mutter zurückbringen,
die ihm zu trinken gibt. Diese Spazierritte werden, wie v. Azara beobachtete,
fast täglich und so lange wiederholt, bis das Kind imstande ist, auf alten
und ruhigen Pferden ganz allein zu reiten". —
Auch bei den Indianern ist die Reitkunst nicht ein Privilegium des
männlichen Geschlechtes. Ein mir bekannter nordamerikanischer Missionar
verdankte einmal sein Leben dem mutigen Pitt einer Häuptlingstochter, und
von den Töchtern der Goajiros -Indianer in Columbia wissen wir, daß sie
in Begleitung ihrer Familien ausreiten. —
') U, 8.
Kapitel XL VI.
Das Kind und das Schulwesen.
§ 301. Das Kiud und das Schulwesen bei Itido-Europiiern und vorder-
indischen Nichtariern.
„Bei den alten Indern", schrieb PJoß1), „gab es verschiedene Lebens-
stufen; die erste Stufe waren die Lehrjahre, die zweite die Hausjahre, die
dritte die Waldjahre. Die erste Lebensstufe für den Sohn eines Arja, sei er
nun ein Brahmana2), Kshatryia3) oder Vaisya4), beginnt mit dem 7. bis 11. Jahre.
Er wird dann vom Hause weggeschickt und einem Lehrer übergeben. Der
Hauptzweck der ganzen Erziehung in Indien ist das Lernen des
Veda. Da der Veda auch das Brahman" heißt, so nennt man den Lehrling
einen Brahmakärin, einen Brahma-Studenten. Die kürzeste Frist für ein
Studium des Veda ist 12, die längste 48 Jahre. Während der Schüler im
Hause seines Lehrers wohnt, muß er sich der strengsten Ordnung fügen.
Zweimal des Tages, beim Sonnen-Aufgang und -Untergang, hat er seine Gebete
zu sagen. Jeden Morgen und Abend muß er die Bunde im Dorfe machen,
und alles, was man ihm gibt, hat er seinem Meister zu übergeben. Er darf
selbst nichts essen, außer was ihm sein Meister gibt, Er muß Wasser holen,
Brennholz sammeln, den Boden rings um den Herd rein halten usw. Dafür
lehrt ihn sein Meister den Veda, so daß er ihn auswendig ohne Fehler her-
sagen kann, und was sonst noch notwendig ist, um ihn zu befähigen, in den
zweiten Stand zu treten und ein Hanshalter, ein grihastha, zu werden. Der
Schüler darf Extrastunden bei anderen Lehrern nehmen, aber seine Konfirmation
oder was man seine zweite Geburt nennt, kann er nur von seinem Meister
und Lehrer, dem Akarya, erhalten. Wenn die Lehrzeit vorüber ist, darf der
Schüler in sein väterliches Haus zurückkehren."
Massie schrieb von den vornehmen Indern der Neuzeit, daß sie ihre Söhne
sorgfältig unterrichten lassen, damit ihr Geist sich erweitere und ihr grübelnder
Verstand sich in die ansichtbare Welt versenke.
Immerhin wird man sich von dem indischen Schulwesen der Gegenwart
keine allzu hohen Vorstellungen machen dürfen; denn E. Schröder bemerkt
z. B. über den Teedistrikt von Kumaon im nördlichen Vorderindien, es
befinde sich dort in je einem Polizeidistrikt, der 8 — lü Dörfer umfasse, nur
eine Schule, und da gehe es zu, „wie in der Judenschule". Der Lehrer sei
Bralimine. Die Knaben lernen schreiben, lesen und ein wenig zählen. Aller-
dings fügt Schröder bei: „Nur wenige Knaben der höheren Schulen besuchen
diese Schulen.-' Wir werden es also hier mit einer jener Volksschulen zu
tun haben, welche Jagor5) bei den Naür, einer dravidischen Militärkaste
1 -2 Aufl. II, 363.
8) Priester.
3) Krieger.
4) Ackerbauer
6) Bei Floß II, 359.
§ 301. Das Kind u. das Schulwesen bei Indo-Europäern u. vorderindischen Nichtariern. 475
in Malabar, vorfand. In diese Schulen wird das Kind schon im 5. Lebens-
jahr geschickt und lernt „malayisch" lesen und schreiben. Rechnen gilt für
höheren Unterricht und wird, wie Sanskrit, gewöhnlich in besonderen
Schulen gelehrt. Das Schreiben lernen die Kinder, indem sie die Buchstaben
zuerst mit dem Zeigefinger in unausgehülsten Reis (Paddi) zeichnen, der auf
•den Boden gestreut wird; später schreiben sie in den Sand, und nach diesem
mit einem eisernen Griffel in Palmenblätter, oder (jetzt) auf Papier. — Manche
Söhne reicher Nair gehen bis zum 16. Jahr in die Schule. - - Der Lehrer
erhält als Honorar Reis, Bananen u. a. m.
Die intellektuelle Bildung der Mädchen weist in Indien starke Schwan-
kungen auf: Nach Josef Dahlmann machen uns die ältesten Urkunden der
Philosophie (scholastische Epoche des indischen Mittelalters) mit Königstöchtern
bekannt, welche mit den brahmanischen Philosophen wetteiferten und diese
durch die Tiefe und Erhabenheit ihrer philosophischen Spekulationen in Staunen
versetzten. Damals nahmen auch nicht nur die Töchter der Könige, sondern
des indischen Adels überhaupt, die Töchter und Frauen der Ritter, regen
Anteil an den geistigen Strömungen ihrer Zeit. Lieder der ausgezeichnetsten
Gattung werden Frauen zugeschrieben. Draupadi, dieser „dichterisch ver-
klärte" Frauentypus des alten Indien, wurde als ein Weib von hoher Bildung
und tiefer Kenntnis aller Fragen über Religion und Recht geschildert1).
Dieser Glanzperiode der vornehmen Inderin ging nach Dahhnanns Ver-
mutung eine weniger günstige voraus. „Mochte die älteste Zeit vielleicht
jenen patriarchalischen Absolutismus vertreten haben, welcher die Frau in
die Gewalt des Mannes gab und ihr jegliche Selbständigkeit entzog, die
erstickende Macht des Rittertums zerbröckelte den Absolutismus und eröffnete
dem Individuum eine freiere Sphäre des Wirkens." Einem solch kraftvollen
Aufstieg folgte eine Periode tiefer Erniedrigung, welche für die Inderin im
allgemeinen heute noch fortdauert. Wilhelm Hoffmann schrieb im Jahre 1873 :
In Indien sind Erziehung und Unterricht für die Töchter gar nicht da; es
gilt für verwerflich, sie die heiligen Bücher lesen, anrühren und hören zu lassen.
Fragt man nach dein Grunde, so ist es noch mehr das Mißtrauen in die Frauen,
denen mit der Schrift ein Mittel zu verderblichen Zwecken in die Hände
gelegt würde, als die Heiligkeit der Bücher, was zu jener Anschauung geführt
hat. — Bis in die neueste Zeit herein, welche durch europäischen Einfluß teil-
weise modifiziert ist, galten Mädchen, die lesen konnten, für unmoralisch, da
man voraussetzte, daß sie die unflätige Mythologie lasen. Die Tänzerinnen,
welche diese Kunst innehaben, sind ohnehin öffentliche Dirnen, wie Hoffmann
schreibt2). — Auch die Furcht der Männer, durch eine intellektuelle Ausbildung
des weiblichen Geschlechtes diesem gegenüber ihr Ansehen und ihre Autorität
zu verlieren, ist ein Motiv, daß man den Mädchen den gebührenden Unterricht
entzieht. Dieses Motiv wird von verschiedenen Seiten gemeldet, darunter
Hoffmann und E. Schröder. Letzterer schrieb: Ein intellektueller Fortschritt
der weiblichen Bevölkerung liegt nicht im Interesse der Brahminen. Schröder
führt auch einen Fall an, in dem tatsächlich ein gebildetes Mädchen sich im
Jahre 1888 gegen Althergebrachtes auflehnte. Dem Mißbrauch ihres Volkes
gemäß, war sie als Kind verheiratet worden. Als sie, die mit der Erlernung
des Englischen auch eine andere Auffassung der Ehe gewonnen hatte, ihrem
1) Über diese Draupadi, als polyandrisch aufgefaßt, in Kap. L, § 333.
2) Hoffmann übersetzte aus Dadoba Pandicranj, einem Inder: „Indien, das einst andern
gesitteten Nationen Lehren in allem geben konnte, was die Zivilisation betraf, besonders
aber in der rechten Behandlung der Frau, ist während der letzten zehn Jahrhunderte, seit
dem Einfall der Kanaden (Muselmanen), langsam so traurig herabgesunken, daß es jetzt nur
noch einen großen Trümmerhaufen des weiblichen Geistes darbietet, über den ein mitleidiges
Herz nur weinen kann."
476 Kapitel X.LVI. Das Kind und das Schulwesen.
aufgedrungenen Mann in dessen Haus folgen sollte, sich weigerte, erregte das
ein großes Aufsehen und die Angelegenheit kam vor Gericht.
Europäischem Einfluß ist es zu danken, daß iu neuester Zeit wenigstens
jene Inder, die im Dienste der englischen Eegierung stehen, besser unterrichtete
Frauen wünschen und deshalb ihren Töchtern eine geistige Ausbildung zukommen
lassen. — Auf die intelligenteren Mädchen und Frauen macht die abendländische
Kultur starken Eindruck, wie Katharina Zitelmann im Jahre 1905 berichtete.
Zitelmann lernte in Lahore eine indische Zeitungsredakteurin kennen,
welche ein kleines Fraueiiblatt in Urdusprache herausgibt, das erste Frauen-
blatt im nördlichen Indien. Lehrer dieser jungen Frau war ihr eigener Vater,
ein Muselmann, gewesen. Trotz dieser Emanzipation hat sich diese Frau
anderseits noch nicht über die dortige Einschränkung ihres Geschlechtes erhoben,
d. h. noch findet sie es unerlaubt, daß ein fremder Mann sie auch nur im
Bild erblicke.
Immerhin gibt es in Indien nun Mädchenschulen mit eingebornen Lehrerin-
n.ii, wohin man die muselmanischen Schülerinnen zu Wagen bringt, wenn sie
nicht, wie ihre Lehrerinnen, dicht verhüllt zu Fuß gehen. Auch Hauslehrerinnen
werden gehalten. Schon im Jahre 1S73 schrieb II*. Hoff mann, daß Eingeborne
ihre Töchter in die christlichen Töchterschulen schicken und derart ausgebildet
als Erzieherinnen in die Familien aufnehmen. — Die Inderin sei bildungsfähig
und für den Unterricht dankbar. —
Wie die alten Inder, so schickten auch die alten Kelten ihre Söhne
in die Schulen ihrer Priester und Gelehrten. Die Druiden hatten interne
und, in Britannien, auch externe Schüler. Jene waren für den Priester-
stand bestimmt. Unter den vielen Kandidaten verbrachten manche 20 Jahre
als Schüler; denn die Druiden gestatteten, teils aus Geheimtuerei, teils um das
jugendliche Gedächtnis zu üben, kein schriftliches Aufzeichnen des Unterrichts-
stoffes, welcher in fremden Sprachen, in Grammatik und Rhetorik, im Memo-
rieren zahlreicher Verse und in gewissen Verhaltungsmaßregeln bestand. Die
Druiden hielten nämlich viel auf eine geheimnisvolle Haltung und andere
Äußerlichkeiten. Geschrieben wurde wenig; dem Gedächtnis half man durch
bestimmte Formeln nach. — Externe Schüler waren jene Knaben, welche dem
Geheimbund der Druiden, also dem Priesterstand, nicht beitreten wollten und
infolgedessen auch nicht so eingehenden Unterricht erhielten. Zu dem geistigen
Gemeingut aller gehörte die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Im
übrigen, meinte Qnvpp, sei hinter der Geheimlehre der Druiden kaum viel
gesteckt: smist hätten ihnen die Römer mil ihrem 7erbot der Menschenopfer
nicht beinahe den Garaus machen können. —
Daß die alten Griechen der Gymnastik und Musik in der Bildung,
hauptsächlich der männlichen Jugend, eine hei vorragende Bedeutung zuschrieben,
hat Kap. XLIV erwähnt. Auf wissenschaftlichen Unterricht gab Lykurg
nicht allzuviel. Er habe sogar die Fragelust der spartanischen Jugend nach
Gründen unterdrücken wollen. — In Athen sah man zu Sohns Zeit wenigstens
ein, daß es not tue, die Knaben im Lesen und Schreiben zu unterrichten, wie
Wachsmuth bemerkt; doch verlangten Solons Gesetze nur, daß die Väter ihre
Söhne erwerbsfähig machen sollten. Nach den Perserkriegen wurden in den
athenischen Schulen auch Rechnen und Zeichnen als Unterrichtsfächer auf-
genommen1). Ein diesbezügliches Gesetz oder eine staatliche Fürsorge durch
Anstellung und Besoldung von Lehrern gab es aber damals in Athen noch
nicht, ünterrichtsanstalten und Lehrer waren rein privat. Um so über-
raschender wirkt es, daß auf Sizilien bereits im siebenten Jahrhundert v. Chr.
') Vgl. Ploß w. u.
§301. Das Kind u. das Schulwesen bei Indo-Europäern u. vorderindischen Nichtariern. 477
die obigen Unterrichtsfächer staatliche Verordnung waren. Diodor habe eine
solche aus den dortigen Gesetzen des Charandas erwähnt.
Ploß unterschied in der Schulbildung der altgriechischen männlichen
Jugend einen Elementar- und einen höheren Unterricht. Jener sei trotz des
privaten Charakters der Schule fast allen Kindern zugekommen. „Es mochte,"
schrieb er, „vielleicht in einzelnen, wiewohl sehr seltenen Fällen vorkommen,
daß Kinder1) ganz ohne Unterricht blieben." Jedenfalls war nach Ploß der
Schulunterricht für viele Kinder der ärmeren Bürger auf kürzere Zeit beschränkt,
als für jene der wohlhabenden, da sie früh zu einem Handwerk übergehen
mußten. Der höhere Unterricht, welcher sich für die übrigen als Fortsetzung
an den Elementarunterricht anschloß, habe im Lesen, Auswendiglernen und
Vortragen von Dichtungen bestanden. „Grundlagen dieses ganzen Unterrichts
waren neben ethischen Gedichten und Fabeln die Gesänge des Homer, dessen
Ansehen und Herrschaft in der Schule die abweichenden Ansichten einiger
Philosophen, die ihn wegen leichtfertiger Ansichten von den Göttern aus der
Schule verbannt wissen wollten, nicht zu erschüttern vermochte. Homer blieb
die Quelle und der Mittelpunkt hellenischer Bildung." In die Musik wurde
der Knabe nach Ploß erst im 13. Jahr eingeführt. Was aber die mathema-
tischen Fächer betreffe, so seien sie „von anfang" an den Jünglingen von
Philosophen und Sophisten vorgetragen worden; als Unterrichtsgegenstand
für die Knaben im allgemeinen2) erscheinen sie aber erst im 5. Jahrhundert
v. Chr., also zur Zeit der Perserkriege. - - Die höhere intellektuelle Bildung
des Hellenen schloß mit dem Unterricht in der Rhetorik, Philosophie und
Staatswissenschaft ab.
Lesen, Schreiben, Kenntnis des Homer und Musik gehörte auch in Sparta
zur geistigen Ausbildung, wie Ploß im Hinweis auf Fr. Lübker, Lor. Grasberger
und Fr. Gramer schrieb. Doch war hier alles primitiver als in Hellas, und
man verschmähte Neuerungen. —
Eingreifender und wirksamer als vielleicht in irgendeinem andern Land
der alten Welt war, nach Mommsen, die allgemeine Schulbildung in Klein-
asien unter den Attaliden, also vor der Besitznahme des Landes durch die
Römer (129 v. Chr.). In der Stadt Teos in Lydien vermachte damals schon
ein reicher Bürger eine Geldsumme zu dem Zwecke, daß neben dem Turn-
inspektor auch das Ehrenamt eines Schulinspektors eingerichtet und drei
besoldete Schreiblehrer angestellt würden, damit alle freien Knaben und
Mädchen im Schreiben unterwiesen würden. Ferner zwei Turnmeister, ein
Musiklehrer, der die Knaben der beiden letzten Schul jähre und der aus
der Schule entlassenen Jünglinge im Lautenschlag und Zitherspiel unterweise,
ein Fechtlehrer und ein Lehrer für Bogenschießen und Speerwerfen. Jähr-
lich sollten die Schüler im Rathaus im Schreiben und in der Musik öffent-
lich geprüft werden. —
Übrigens gibt Mommsen selbst für Rom die Zeit von 266 bis 146 als
jene Periode an, in welcher Lesen, Schreiben und Rechnen ein Gemeingut
aller römischen Stände war. Es möge hier seine Schilderung des römischen
Unterrichtswesens in gedrängter Kürze folgen:
Schon in der Zeit zwischen der Abschaffung des Königtums und der
Einigung Italiens (510—266) gab es lateinische und griechische Schreiblehrer.
') Daß hier für Athen nur die Knaben gemeint sind, geht aus einer anderen Stelle
bei Floß hervor, wo wir lesen: „Die Ausbildung des weiblichen Geschlechts geschah aus-
schließlich im Hause und wurde wohl nur von den Müttern und Wärterinnen besorgt, daher
höhere Bildung beim weiblichen Geschlecht fast immer mit sittlicher Leichtfertigkeit und
Zügellosigkeit verbunden ist und sich fast nur bei Hetären findet."
2) Als solchen faßte allem Anschein nach auch Wachsmuth das Rechnen in der von
ihm angeführten Stelle auf.
478 Kapitel XLVI. Das Kind und das Schulwesen.
Das Griechische war ja damals bereits ein Bedürfnis der römischen Staats-
männer und Kaufleute geworden. Elementaren Schulunterricht gab es
vielleicht noch früher; seine wesentliche Grundlage war das Zwölf tafelgesetz.
Mit der Entwicklung der Jurisprudenz und der Grammatik entwickelte auch
er sich immer mehr und mehr.
Höhere Schulen gab es in jener Periode Eoms noch ebensowenig, als eine
wesentliche soziale Abstufung zwischen dem unterrichteten und dem nicht unter-
richteten Kömer. Ebensowenig gab es staatliche Schulen. Die Lehrer waren
teils Hofmeister und unterrichteten als solche im Elternhaus ihrer Schüler, oder
es waren Privatlehrer und unterrichteten in ihrer eigenen Wohnung. Caio, der
Altere, war selbst der Lehrer seines Sohnes, und derartige Fälle habe es wohl
mehrere gegeben. C. lehrte seinen Sohn Lesen und Schreiben, machte ihn mit
dem römischen Landrecht und mit hellenischer Bildung bekannt, insofern er
diese für einen römischen Bürger gut fand. Für seinen Sohn schrieb Cato sein
ganzes Geschichtswerk eigenhändig mit großen deutlichen Buchstaben ab.
Im Jahre 272 v. Chr. kam der Grieche Andronil-os, der spätere römische
Bürger Lucius Livius Andronicus, kriegsgefangen nach Korn, wo er die Kinder
seines Herrn und anderer wohlhabender Bürger in der lateinischen und
griechischen Sprache unterrichtete, indem er die Odyssee teils im Text, teils
nach seiner eigenen lateinischen Übersetzung zugrunde legte.
Was in dieser Epoche begonnen wurde, setzte sich in der folgenden
fort: In der Zeit von der Einigung Italiens bTs auf die Unterwerfung Karthagos
und der griechischen Staaten (266 — 146) war. wie schon bemerkt, nicht nur
Lesen, Schreiben und Rechnen ein Gemeingut aller Stände, sondern der
empirische Sprachunterricht gestaltete sich unter griechischem Einfluß zu einem
höheren Literaturunterricht aus. Eine römische Literatur war aber noch nicht
vorhanden, und so war man wiederum auf die Griechen angewiesen. Wie
kein Kömer zuvor, ließ der politische Besieger der hellenischen Nation. Lucius
Aemilius Paullus. seine Kinder in den hellenischen Geist einführen, bei deren
Unterricht sich die griechische Sprache und Literatur mit der griechischen
.Mythologie, Geschichte, Rhetorik und Philosophie verbanden. Seinem Beispiel
folgten die Vornehmen Roms und Italiens, und nun strömten griechische Lehrer
scharenweise nach Rom. Von jetzt an war der höhere Unterricht in der
griechischen Sprache und den übrigen griechischen Bildungsfächern ein wesent-
licher Teil der italienischen Bildung. Daneben erblühte eine einheimische
Literatur und auf Grund dieser auch ein höherer lateinischer Unterricht.
In der Zeit der Begründung der Militärmonarchie nahm die griechi-
sche und lateinische Bildung an Umfang und an Schulstrenge zu, aber an
Reinheit und Feinheit ab.
Die Umwandlung des allgemeinen Bildungskreises der Römerwelt inner-
halb eines Jahrhunderts beweist Mommsen mit einem Vergleich der catoni-
schen Encyclopädie mit Yarros Schrift „Von den Schulwissenschaften".
Während die allgemeine Bildung bei Cato die Redekunst, Ackerbau-, Rechts-.
Kriegs- und Arzneikunde umschließe, verlange Varro Grammatik. Logik oder
Dialektik. Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, Astronomie, Musik, Medizin und
Architektur. - ■ Die Kriegs-, Rechts- und Ackerbaukunde waren nun. d. h.
im 7. Jahrhundert der Stadt (letztes Jahrh. v. Chr.), bereits Fachwissen-
schaften. Mit Cäsar beginnt die Beförderung der Jugendbildung von oben
herab, insofern er sämtlichen Lehrern der freien Wissenschaften der Haupt-
stadt das römische Bürgerrecht verlieh. Später sorgte der Staat für die
höhere zwiesprachige Bildung der Jugend in eigenen Anstalten. —
Viel bescheidener sah es damals noch mit der Schulbildung der Ger-
manen aus. Ihre Kinder lernten nach (hupp die traditionellen Sagen und
§ 301. Das Kind u. das Schulwesen bei Indo-Europäern u. vorderindischen Nichtariern. 479
Sprichwörter; dazu kam Harfenspiel, Hornblasen, Pfeifen und Gesang, womit
wohl die Allgemeinbildung ihren Abschluß fand.
Die ältere Edda, deren älteste Lieder bis auf das 9. Jahrhundert
nach Chr. zurückgehen, läßt den isländischen Edelknaben Jarl, dessen Kraft-
übungen und Geschicklichkeit in körperlicher Arbeit wir bereits kennen ge-
lernt haben, Runen lernen. Rigr ist sein Lehrer.
„Da kam zu dem Hause
Rigr daher:
Rigr lehrt' ihn
Runen kennen." —
Unterricht in den Runen genossen auch die Mädchen, welche nach Ploß1}
„überhaupt in die geheimen Künste" eingeführt wurden.
Große Verdienste um die Volksbildung der Franken erwarb sich Karl
der Große, der zunächst den Klerus reformierte und ihn hierauf mit dem
Unterricht der Jugend beauftragte. Siebengartner2) weist in dieser Hinsicht
auf die Pastoralinstruktion Theodulfs von Orleans hin, wo es in c. 20 heiße i
„Die Pfarrer haben in den Dörfern und Flecken Schule zu halten, und
wenn einer der Gläubigen ihnen seine Kinder zum Unterrichte in den Wissen-
schaften anvertrauen will, so sollen sie dieselben nicht zurückweisen, sondern
mit größter Liebe unterrichten."
Nach A. Hauch sind aus der damaligen Zeit aus Bayern Aufzeichnungen
eines Bischofs erhalten, nach welchen dieser bei der Kirchenvisitation mahnte,
daß alle Familien ihre Kinder zur Schule schicken sollen.
In diesen „Pfarrschulen" handelte es sich, wie es scheint, fast aus-
schließlich um religiösen Volksunterricht für alt und jung. Höherer Unterricht
wurde den Kindern vieler Vornehmen in den Klosterschulen, oder daheim
durch Hofkapläne3) erteilt. So leitete am Hof Karls des Großen ein "Welt-
priester, oder ein Mönch den wissenschaftlichen Teil des Unterrichtes der
Prinzen und Prinzessinnen, welche in alle Wissenszweige, die Karl selbst zu
besitzen wünschte, eingeführt wurden.
Der Unterricht begann gewöhnlich mit sieben, ausnalimsweise schon mit
vier oder fünf Jahren.. Sehr weit brachte man es damals mit dem Schul-
unterricht durchschnittlich nicht; man war froh, wenn man lesen, höchstens
auch noch schreiben konnte. Zur höheren Bildung gelangten eben nur die
allerdings zahlreichen Ausnahmen4), zu denen nicht wenige gelehrte Frauen
gehören.
Im 12. Jahrhundert wurde in Deutschland neben dem Latein bereits
Französisch als Umgangssprache gepflogen, und deshalb wurden damals schon
französische Hauslehrer und Hauslehrerinnen engagiert, Außerdem unter-
richtete man die Kinder der Vornehmeren in Musik, in gewissen Spielen und
äußeren Umgangsformen.
Mit der Entwicklung des Bauern- und Bürgerstandes, sowie des gesamten
Wirtschaftslebens schritt auch die Volksbildung voran. Im 13. Jahrhundert
entstanden Elementarschulen im eigentlichen Sinne des Wortes. Ihre Zu-
nahme muß rapid gewesen sein; denn nach Specht5) gab es schon um die
Mitte des genannten Jahrhunderts solche Schulen, Stadt- oder Ratschulen
genannt, in allen, selbst den kleinsten, Städten Deutschlands. Auch zahlreiche
Landschulen existierten nach B. Kaisser6) gegen Ende des Mittelalters
-) Volksschule. In Wetzer und Weites K.-L., 2. Aufl. 12. Bd.. 1048.
3) Zuchtmeister und Zuchtmeisterinnen für die Erziehung im weiteren Sinne sind in.
Kapitel XLIV erwähnt worden.
4) Universitäten gibt es seit dem 13. Jahrhundert.
6) Bei Siebengartner. ebenda, 1049.
') Bei Siebengartner, ebenda.
480 Kapitel XLVI. Das Kind und das Schulwesen.
Um diese Zeit entwickelte sich in den Städten zudem das Privatschulwesen,
und in Niederdeutschland breiteten sich die Schulen der Fraterherren aus. —
Bezeichnend für die damalige Zeit ist es, daß man in der griechischen
Kirche für angehende, besonders aber für schwer lernende Studenten, eigene
•Gebete einführte. A. Franz erwähnt solche aus dem 13. und 16. Jahrhundert.
In einem im 16. Jahrhundert eingeführten Offizium wurden die 24 Ältesten
■der Apokalypse angerufen, nach deren Anbetung vor dem Lamme das ver-
siegelte Buch geöffnet werden konnte '). - - Ein anderer abergläubischer Brauch
war, daß man während der Feier der Liturgie ein mit Wasser und Wein
gefülltes Glasgefäß, welches die Namen jener Ältesten an der Innen- und
Außenseite trug, auf den Altar stellte, worauf man es dem Kind zum Trinken
reichte. Dabei rief man Maria und die Ältesten an.
Auch die lateinischen Christen ersannen Gebete und andere Mittel
zum leichten Erwerb der Wissenschaft. Eine Admonter2) Gebetsformel aus
dem 14. Jahrhundert mußte am Morgen der ersten Monatstage nüchtern und
andächtig gesprochen werden und gewährte in diesem Fall leichtes Studium,
geschärften Geist und Redegabe. Sogar die gelehrte hl. Hildegard war im
Aberglauben ihrer Zeit so befangen, daß sie eine Gebrauchsanweisung zur
Erlangung eines scharfen Verstandes, reichen Wissens und gesunden Magens
gab, d. li. sie empfahl zu diesem Zweck, des Morgens beim Aufstehen einen
Saphir in den Mund zu nehmen und den Speichel, womit der Stein benetzt
wurde, zu verschlucken; ferner den Saphir über den Dunst von kochendem
Wein zu halten und dann abzulecken. — *~
Diesen Darlegungen fügt Franz bei: „Die gewöhnlichen Mittel zur
Erlangung von Wissenschaft waren und blieben (aber) Unterricht und
eigener Fleiß der Schüler. In der Schule regierte freilich der Stock in unge-
bührlicher Weise." —
Einen Einblick in die Schulbildung Philipps, des zweiten Sohnes Georgs I.
von Pommern, gewährt uns Martin Wehrmann3). Der elfjährige Knabe wird
am Hofe seines Oheims Ludwig V. von einem Hofmeister in der Grammatik,
in Latein, Literatur, Philosophie, Rhetorik und Geschichte unterrichtet.
Interessant wäre nun die Verfolgung der staatlichen Fürsorge für die
Schule innerhalb der europäischen Kulturwelt, doch geht das über den Rahmen
dieses Werkes hinaus. —
$ 302. Das Kind und das Schulwesen bei Semiten und Hamiten.
In Assyrien gehörte zur Zeit Assiirbanipah (7. Jahrh. v. Chr.) zur
höheren Mädchenbildung geläufig schreiben und lesen, singen, Harfe spielen,
tanzen und ohne Vorzeichnung sticken. Diese Mitteilung bei Maspero läßt
mit ziemlicher Sicherheit schließen, daß die Knabenbildung zum mindesten
auf der gleichen Höhe stand. - - In den Priester- und Gelehrtenschulen be-
schäftigte man sich mit dem Studium und der Übersetzung sumero-akkadischer
Texte, sowie mit dem Studium babylonisch-assyrischer Keilschriften, mit Astro-
logie, Mathematik u. a. m.
Ob bei den alttestamentlichen Juden der Unterricht ursprünglich
über die .Belehrung im Gesetz und in der hl. Geschichte hinausging, weiß man
nicht. Öffentliche Schulen für den niederen Unterricht gab es neben den
Prophetenschulen erst später, und auch dann durften sie nicht von den Mädchen
') Offenbarung Johannis 5.
) Ailmuiit, ein Marktflecken in Steiermark, mit einer im Jahre 1074 gestifteten
{Benediktinerabtei.
-1) Archiv für Kulturgeschichte, 1. Bd., Berlin 1903, S. 268 f.
§ 302. Das Kind und das Schulwesen bei Semiten und Hamiten. 481
besucht werden. Der Unterricht der Töchter lag in den Händen der Mütter,
unter deren Aufsicht sie bis zu ihrer Verheiratung abgeschlossen lebten
(König).
Interessant ist nun ein Vergleich der jetzigen Schulverhältnisse zweier,
kulturell nicht hervorragender, Zweige der jüdischen Nation, d. h. der Juden
in der Bukowina und der südrussischen Juden. Von jenen berichtet
Kaindl: Schon mit dem angehenden vierten Jahr wohnen Knaben und
Mädchen dem Unterricht eines jüdischen Lehrers (Belfer, Malämet) in einer
Privatschule (Glieder) bei. Um die Kinder zu diesem frühen Unterricht
körperlich zu kräftigen, werden sie von klein an sorgsam und kräftig ernährt.
Ein Gehilfe des Lehrers, Behelfer genannt, holt die Schulkinder täglich früh-
morgens vom Elternhaus ab und bringt sie abends wieder dahin zurück. An
manchen Orten holt er ihnen auch den Mittagstisch aus dem Elternhause. —
Dieser Schulbesuch währt für beide Geschlechter bis zum 12. Lebensjahr und
soll die Kinder vor allem befähigen, Gebete, das alte Testament und den
Talmud hebräisch lesen zu können. Für die Knaben gibt es noch ein weiteres
Schuljahr. Fängt ein solcher die fünf Bücher Mose zu studieren an, dann wird
ein Familienfest veranstaltet, zu dem man die Lehrer und Verwandten ein-
ladet. Auf einem Tisch wird ein seidenes Tuch ausgebreitet, auf das sich
der Knabe stellt, um von hier seinen wissenschaftlichen Fortschritt in einer
Unterredung mit seinem Lehrer zu beweisen.
Außer den eigenen Schulen stehen den Juden die öffentlichen Schulen
zur Verfügung; auch halten sich einzelne Eltern Privatlehrer. Vor höherer
Bildung im modernen Sinn scheuen sich aber die streng Orthodoxen; sie be-
schränken sich auf das Studium ihrer hl. Schriften.
Bei den südrussischen Juden beginnt der Unterricht im Glieder1) mit
5 — 6 Jahren. Von 8 Uhr früh bis 8 Uhr abends halten sich die Kinder in
„dem gesundheitswidrigen" Raum auf, schreibt S. Weißenberg. Das Lokal
besteht aus einem, höchstens zwei schmutzigen, niedrigen, schlecht beleuchteten
Zimmern, die zugleich dem Lehrer und seiner Familie zur Privatwohnung dienen.
In neuerer Zeit bekämpfen die intelligenteren Juden mit Beihilfe der russischen
Begier u n g den Glieder, haben aber bisher nichts Besseres geschaffen. Viel-
mehr ist der Elementarunterricht jetzt nicht mehr obligatorisch, wie denn die
russische Regierung sich nicht einmal um die Bildung der niederen Schichten
ihres eigenen Stammvolkes viel kümmere. Deshalb seien jetzt Analphabeten
unter den südrussisclien Juden nicht mehr selten. — Was den Lehrplan im
Cheder betrifft, so wird Altes und Neues, allgemeine und jüdische Fächer, je
nach dem Wissen des Lehrers und dem Wunsche der Eltern, vorgetragen.
Bezeichnend ist Weißenbergs Mitteilung, daß der „Rebe" in den ersten
Unterrichtsstunden Zuckerwerk, Nüsse oder kleine Münzen unbemerkt auf
den Tisch legt, die als Geschenke eines Engels für fleißige Schüler aus-
gegeben werden. — Gut talentierte Kinder kommen mit 8 — 10 Jahren in
die für die Juden bestimmten Regierungsschulen, deren es in den größeren
Städten gibt.
Interessant ist auch die folgende Mitteilung bei Weißenberg: Am Vor-
abend der christlichen Weihnachten haben die südrussisclien Judenkinder frei,
damit ihr Lernen nicht etwa dem Allmächtigen als ein Gebet zu Jesus gelte.
Der vorige Paragraph machte uns mit den starken Schwankungen
der indischen Frauenbildung bekannt. Der Niedergang dieser Bildung
nach ihrem historisch ersten Aufstieg wurde dort dem Islam zugeschrieben.
Im folgenden zeigen sich uns ähnliche Schwankungen bei den Arabern.
') S. Weißenberg übersetzt „Cheder'" mit „jüdische Volksschule''.
PloG-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 31
482 Kapitel XLVI. Das Kind und das Schulwesen.
Hier sah aber die Geschichte eine hochgradige Frauenbildung mitten im
Islam. Gustav Oiektel charakterisiert den Bildungsgrad einer arabischen Braut
in der Blütezeit der arabischen Wissenschaften folgenderweise:
Sie hatte Propädeutik, Philosophie, Medizin, den Kommentar des Galenits
über die Sektionen des Hippohrates studiert, hatte Tezkire gelesen und den
Burhän kommentiert, hatte die Mufarradät des Ihn el-Beitär durchgenommen
und konnte über den Kanon des Avicenna disputieren, Rätsel lösen und über
Geometrie reden. Nebenher hatte sie die Bücher der Schafiiten, eine der
vier orthodoxen mohammedanischen Schulen, gelesen, dazu die Tradition von
Mohammed und die Syntax; disputieren konnte sie mit den Ulema und ver-
traut war sie mit Logik, Rhetorik, Arithmetik und Dialektik, und zum Schluß
kannte sie die Spiritualia und heiligen Zeiten. —
Auf diese Blütezeit folgte auch hier eine Ära intellektuellen Tiefstandes,
hauptsächlich des weiblichen Geschlechtes, welche, wie in Indien, für die Allge-
meinheit bis in unsere Zeit hereindauert. Ausnahmen sind dem Einfluß der nun
eindringenden europäischen Kultur zuzuschreiben. Anfangs der 70 er Jahre des
19. Jahrhunderts begannen die ägyptischen Prinzessinnen sich zu emanzipieren,
wie Mustafa Bei berichtet, indem sie sich zunächst nach der neuesten Pariser
Mode kleideten und in der Öffentlichkeit erschienen. Ihre Vorläufer und
Eunuchen durften die Neugierigen nicht mehr zurückdrängen. In den 90 er
Jahren schrieb Mustafa Bei, daß jede ägyptische Prinzessin ..jetzt", neben
dem Unterricht im Arabischen, ,.in alle Zweige des europäischen Unterrichtes"
eingeweiht werde. Er dachte hier wohl nur an die sogenannte höhere Mädchen-
bildung in Europa. — Weitere Kreise aber waren für eine Schulbildung des
weiblichen Geschlechtes ziemlich schwer zu gewinnen. Cromer, der bekanntlich
in den öffentlichen Angelegenheiten Ägyptens eine so mächtige Rolle spielt,
und der es also wissen muß, schrieb im Jahre 1908: Die ersten Versuche der
Engländer, die Bildung des weiblichen Geschlechtes in Ägypten zu fördern,
fanden wenig Sympathie. Yaeoub Pascha Artiu war der einzige Ägypter, der
sich für die Sache etwas interessierte, während die meisten der höheren Klassen
ihr nicht nur indifferent, sondern geradezu feindlich gegenüberstanden. Sie
wollten keine gebildeten Frauen. Als Mädchenschulen eröffnet wurden, schickten
daher die Eltern ihre Töchter anfangs mit Widerstreben hin und nahmen sie
bald wieder heraus. Die Engländer erachteten es daher für nötig, zum Schul-
besuch durch Zulassung zahlreicher Schülerinnen ohne finanzielle Verpflichtung
zu ermutigen. Die meisten von jenen, die diesen Vorteil ausnutzten, waren
aus den ärmeren Klassen. Aber auch sie verließen die Schule bald, sei es
um sich zu verheiraten, sei es, weil man es für unpassend hielt, daß Mädchen
nach den Kinderjahren noch die Schule besuchten.
Seitdem hat sich aber nach Cromer abermals vieles zum Bessern geändert.
Der Widerwille der Eltern gegen den Schulbesuch ihrer Töchter ist zum
großen Teil überwunden. Immer häufiger werden die Gesuche um Eröffnung
von Schulen in verschiedenen Teilen des Landes. Die jüngere Generation,
insofern sie männlichen Geschlechtes ist, fängt an, in der Frau andere Fähig-
keiten, als die bisher im Harem erworbenen, zu suchen und zu schätzen, was
mit ihrer eigenen höheren Bildung in Mittel- und Hochschulen1) zusammen-
hangt, wie ja die Wechselwirkung der beiden Geschlechter überall unabwendbar
ist. Immerhin wird es auch in Ägypten noch einige Zeit dauern, ehe das
weibliche Geschlecht sich bewußt ist, daß es von Natur aus, so gut wie der
Mann, das Recht zur freien Bewegung in- und außerhalb des Hauses hat.
Noch leben in Ägypten die weitaus meisten Mohammedanerinnen, wie ihre
') Die sehr minderwertige Schulbildung nach der Methode der Eingebornen s. f. S.
§ 302. Das Kind und das Schulwesen bei Semiten und Hamiten. 483
Glaubeusgenossiunen in Indien, streng' abgeschlossen. Selbst unter den nach
europäischem Lehrplan Gebildeten sind es nur wenige, welche sich aus der
Abgeschlossenheit emanzipieren. Solange die wissenschaftliche Bildung der
ägyptischen Araber auf jener Stufe steht, welche sie nach der folgenden, im
Jahre 1910 in der deutscheu Presse veröffentlichten Schilderung Hamilton Fyfes
einnimmt, ist ein weiterer Gesichtskreis auch gar nicht zu erhoffen. Fyfe
schrieb nämlich aus Ägypten: „In einer kleinen, kegelförmigen Lehmhütte
in Luksor hält ein ernster Mann im Turban Schule. Es ist fast dunkel, und
man sieht kaum die Körper der Kinder, die in mechanischem Rhythmus die
Lektion nachbeten. Kleine schwarze Hände kopiereu die arabischen Zeichen
des Lehrers auf ihre Tafeln. Sie lernen das ABC, und wie man es entdeckt,
daß zweimal zwei vier sind. Sie haben auch schon angefangen, Teile des
Korans auswendig zu lernen. Sie werden das heilige Buch vollkommen aus-
wendig lernen müssen, Sure um Sure; dann aber ist ihr Bildungsgang ab-
geschlossen." Nur die Begabtesten von ihnen werden auf die berühmte
mohammedanische Universität von Kairo gesandt; sie gehen zur Gamia
El Ashar. Hier werden sie in einer Reihe von Kursen lernen, daß seit der
Zeit des Korans die Wissenschaft keine Fortschritte mehr gemacht hat, sie
werden lernen, daß die Erde flach ist und auf den Hörnern und auf dem
Rücken eines Stieres ruht: von Bergen ist die Erde umkreist, wo die Dschius
hausen, die bösen Geister, die mit den guten Engeln um die Herrschaft über
die Menschheit kämpfen. Das ist die „geistliche Wissenschaft", auf Grund
deren Gesetzeskunde studiert wird, und durch die man die Kunst erlernt, den
Koran vorzutragen. — Hamilton Fyfe schildert einen Besuch in dieser Hochburg
ägyptischen Wissens. „Beim Überschreiten der Schwelle legt man große
Pantoffeln an, ohne die man den heiligen Ort nicht betreten darf. Hinter
einem bleiben Gegenwart und Leben. Man kommt zuerst in einen großen,
offenen Hof, wo unzählige Menschen im Turban und in wallenden Gewändern
versammelt sind. Einige lesen und begleiten ihre Lektüre mit rhythmischen
Schwingungen des Körpers, andere unterhalten sich. Hier haben sich einige
um den Alim, den Professor, gruppiert und notieren sich einzelne Punkte aus
seiner Rede. Andere essen, andere schlafen. Der Hof liegt im heißen Sonnen-
schein gebadet. Man schreitet durch die Säulengänge, wo Kinder mit ge-
kreuzten Beinen am Boden sitzen und mechanisch die Tageslektion wiederholen.
Dahinter liegt ein zweiter Hof; er ist gedeckt und kühl; auch hier drängen
sich die Studenten. Über Schlafende, oder mitten durch einzelne, am Boden
hockende Klassen schreitet man hindurch. Die Lehrer sitzen auf niedrigen
breiten Stühlen. Überall ist das Summen und Rauschen von Gesprächen,
überall ist ein ewiges Gehen und Kommen. Wie schwer, meint der Europäer,
muß es sein, hier zu denken! Aber das ist auch nicht die Aufgabe der
Studenten von El Ashar. Denken Ayerden sie nicht gelehrt." Die Wissen-
schaft um ihrer selbst willen ist dem Ägypter ein fremder Begriff. Höchstens,
daß eine kleine Minderheit durch sie einen Fortschritt ihrer Nation bezweckt;
die weitaus meisten der ..Studierenden" erstreben mit ihrem Lernen nur eine
Anstellung im Staatsdienst mit regelmäßigem Gehalt.
Mit der Fyfesdien Charakterisierung der arabisch-ägyptischen Schul-
bildung der Neuzeit stimmt überein, was Hartmann im Jahre 1860 schrieb:
Man schickt in Ägypten die Kinder frühzeitig zur Kettäb (Schule), woselbst
sie von einem, oft sehr rohen und unwissenden Figi oder Schullehrer im
Lesen, Hersagen des Koran und im Rechnen, schon seltener im Schreiben,
unterrichtet werden. Ein Knabe, welcher Lesen lernt, muß, auf dem Boden
hockend, seine mit Buchstaben oder Koransprüchen beschriebene Holztafel vor
sich auf den Knieen halten und seine Lektion laut herschreien, wobei er mit
seinem Oberkörper pagodenmäßig hin und her zu wackeln pflegt; geht es zu
31*
484
Kapitel XLVI. Das Kind und das Schulwesen.
langsam, so saust die Peitsche des Figi dazwischen *). Töchter erhalten eine
nur dürftige Geistesbildung; sie lernen selten lesen und schreiben und kaum
je mehr, als das Aufsagen einiger Koranstellen. Eugene Gelliow-Danglar
hielt es sogar für erwiesen, daß der ägyptische Semite, also der Araber, nach
dem 15. oder 16. Lebensjahr einer intellektuellen Weiterentwicklung unfähig
sei, was nach den mittelalterlichen Leistungen der Araber auf den Gebieten
der Kunst, Poesie und Wissenschaft aber doch nicht haltbar ist2). Vor dem
15. oder 16. Lebensjahr, meinte Gelliow-Danglar, sei der ägyptische Semite
freilich bildsam und intelligent.
John F. Keane behauptete von den arabischen Knaben in Mekkah, sie
seien bis zu ihrem 14. Lebensjahr den europäischen gleichaltrigen Kindern in
intellektueller Hinsicht voraus. Sie lesen und schreiben mehr als eine Sprache
gut, sind in der Arithmetik zu Hause, kennen ihre religiösen Pflichten aufs
genaueste und besitzen einen gewaltigen Vorrat
religiösen Wissens (?)3). Damit sind sie an der
Grenze der muselmanischen Durchschnittsbildung
angelangt, und auf sie sind sie stolz.
Die Mädchen brauchen nach der Auffassung
der Araber auch auf der Halbinsel keine Schul-
bildung. In Yemen fand Benzo Mansoni keine
einzige Frau, die lesen oder schreiben konnte. —
Aus der Erziehung des Beduinenmädchens sind
Literatur und Wissenschaft ebenso ausgeschlossen
wie sittliche Unterweisung und Gebet, schreibt
A. M. de St. Elie. Da aber jede Arbeit von
einem entsprechenden Gesang begleitet wird,
haben die Mädchen verschiedene Lieder zu er-
lernen, z.B. zum Getreidemahlen Lieder elegischen,
erotischen oder epischen Inhaltes mit melancho-
lischer, schmachtender Melodie, während zum
Reisstampfen in kurzen Strophen aneifernden
Inhaltes der Takt gesungen wird usw.*)
In Arabia Petraea lernen die Knaben
und Mädchen viel beim Lagerfeuer5), wo die
Männer die Überlieferungen des Stammes oder
Geschlechtes immer wieder und wieder hersagen,
die Genealogien aufzählen, die Heldentaten der
Stammesgenossen preisen, oder sich über feindliche
Stämme lustig machen. Alles hört da mit größter Spannung zu, die Knaben
hinter den Männern hockend, die Mädchen sich in der Frauenabteilung zusammen-
drängend. Was sie am Lagerfeuer gehört haben, wiederholen sie auf der AVeide
oder auf dem Weg zur Tränke, lernen es so auswendig, und damit auch die „Ge-
schichte" ihres Stammes oder Geschlechtes. Auch in Versform werden die
Fig. 400. Knalie als Derwisch. Port
Said. Im K Museum für Völkerkunde
in München.
') Vgl. Züchtigung in Kapitel XLIV. — In der 2. Auflage (II. 358) verglich Ploß
di'' Lehrmethoden gewisser asiatischer und nordafrikaniseher Völker mit der im alten Rom
üblichen. Da wie dort sei das Lehren ein Einpauken gewesen Auch in Kom habe der
Ludimagister seinen Bakul über die Häupter der plärrenden und buchstabierenden Kinder-
schar geschwungen. „Das Lehren ist da noch keine Aufgabe einer gesunden Pädagogik,
lern nur ein handwerksähnlicher Berul". setzte Ploß hinzu.
-i Die Empfänglichkeit für höhere Erkenntnis hängt bekanntlich mit gewissen inneren
LuBeren Verhältnissen zusammen, welche vorerst geordnet werden müssen, ehe der Verstand
sich höher entwickeln kann, und das scheint den heutigen Arabern zu fehlen.
3) An immense stock of religious lore.
4i Damit ist also doch eine primitive Literatur im weitesten Sinne gegeben.
'J Es handelt sich also hier wieder um Beduinen.
§ 302. Das Kind und das Schulwesen bei Semiten und Hamiten. 485
Ruhmestaten des Stammes und Häuptlings gefeiert und Schlachten geschildert,
die indes meist nur von zeitgenössischem Interesse sind und nach dem Tode
der Helden wieder vergessen werden. — Fast jeder Knabe kann die Rbäba
und Makrün spielen. Erstere ist unserer Geige ähnlich; letztere besteht aus
zwei nebeneinander befestigten Pfeifen aus Schilfrohr mit C — 8 Löchern (Musil).
Von den räuberischen Uled Delim, Nomaden der westlichen Sa-
hara, schreibt Camille Douls, ihre Jugenderziehung zu beobachten sei inter-
essant. Die Kinder nehmen in den Zelten an den ernstesten Gesprächen teil.
Die Kenntnis der arabischen Schrift ist ganz allgemein verbreitet, und der
Unterricht steht in hohen Ehren, wenn es sich auch vorwiegend um das
Studium und die Interpretation des Koran handelt. Die vielfache Übung in
theologischen Gesprächen macht die Leute zu wirklichen Rednern. Dies trifft,
nach Douls, auch bei andern Nomaden-Stämmen der westlichen Sahara zu.
Gewisse Stämme, wie die Filahi, machen aus dem Jugendunterricht einen
eigenen Beruf. Erscheint einer dieser Schriftgelehrten (Tolbas) im Lager,
dann versammelt sich abends, nachdem die Zelte aufgeschlagen sind, die
Jugend beiderlei Geschlechtes mit großem Eifer, um von ihm die Kunst des
Schreibens und Koranverse zu lernen, wobei sie die Buchstaben mit Holzkohle
auf Brettchen malen. In Abwesenheit des Lehrers unterweisen die Älteren
die Jüngeren. —
Von den Sukkot- und Mahass-Nubiern schicken viele ihre Söhne zu
den Sheygya-Arabern in die Schule, wo sie unentgeltlich zehn Jahre, oder
unter Umständen noch länger, ernährt und unterrichtet werden {Burekkardt).
In El-Bedjah am Nil lassen die seßhaften Eingebornen (Bisharin)
ihre Söhne vom Faghi im Lesen, seltener im Schreiben, unterrichten. In den
Dörfern wird der Unterricht häufig erst nach Sonnenuntergang, beim Schein
einiger Feuerbrände, erteilt. Den Nomadeukindern kommt selbst dieser
geringe Unterricht nicht zu (JR. Hartmann).
Den intellektuellen Unterricht der Somäl-Kinder charakterisierte Burton
mit den Worten: Sie lernen aus der Unterhaltung, nicht aus Büchern. —
Nach Vanutelli-Citerni genießen die Knaben etwas Schulunterricht, was ja
bei ihrer Zugehörigkeit zum Islam vorauszusetzen ist. — Gabriel Ferrand
erwähnt Koranschulen in Zejla und Berbera.
In Abessinien hat Kaiser MeneliJc im früheren „Hotel zum Löwen"
in Harar ein „Gymnasium" unter dem Titel „Kaiserliche Abessinische Schule"
eröffnet. Zwei Kopten wurden als Lehrer angestellt. Der Unterricht verteilt
sich auf zwei Klassen und umfaßt Lesen und Schreiben in arabischer, franzö-
sischer und englischer Sprache, sowie Rechnen. Ferner war „für später"
Landesgeschichte und Geographie geplant. Für die Lehrmittel kam finanziell
der Kaiser auf, der auch die Lehrer monatlich mit 100 Talern honorierte.
Die Zahl der Schüler gab Friedrich J. Bieber im Globus (Bd. 97) ') auf
vierzig an. — Neben der kaiserlichen Schule existiert in Harar eine Schule
der französischen Kapuziner. —
Bei den Kabylen am afrikanischen Nordrand hat die französische
Regierung seit 1893 nicht weniger als achtzig Elementarschulen eröffnet, in
denen die französischen und die kabylischen Kinder gemeinsam unter-
richtet werden. Jede Schule hat zwei Klassen und zwei Lehrer, einen Kabylen
und einen Franzosen, die in Bouzarea bei Algier in einem Lehrerseminar
in beiden Sprachen ausgebildet werden. Die kabylischen Kinder kommen
gern zur Schule, obschon viele 3 km weit her haben, sind sehr gelehrig und
lernen daher bald französisch lesen, schreiben und rechnen, werden auch in
die Elemente der Naturwissenschaften eingeführt, um dem Aberglauben der
') S. 72f.
4gß Kapitel XL VI. Das Kind und das Schulwesen.
Kabylen entgegen zu wirken. Die Regierung zahlt zu jeder Dorfschule eine
Subvention von 80 %; das übrige wird von der Gemeinde bestritten. Die
kabylischen Schulkinder zeichnen sich vor ihren „wild" aufgewachsenen
jugendlichen Landsleuten nicht nur durch ihre Kenntnisse, sondern auch durch
ihr gesittetes Benehmen sehr vorteilhaft aus, wie A. Lissauer schreibt.
Überraschend wirkt die im alten Ägypten übliche Allgemeinbildung.
Die Volksschulen wurden nach J, Wolf von Kindern der hohen und niederen
Stande besucht. Die Schüler hatten hier vor allem das Schreiben zu lernen.
Diese Kunst war Gemeingut der Ägypter; die Zahl der Analphabeten war
äußerst gering; denn nicht schreiben können galt für schimpflich. Auf diesen
Unterricht folgte die Einführung in die verschiedenen Wissenszweige. Nach
Wolf gab es jedoch nur in den Städten Schulen, weshalb entfernt lebende
Eltern ihre Kinder in Pension gaben. Auch die Tagesschüler verließen mittags
das Schulgebäude nicht, sondern nahmen das ihnen von Eltern oder Geschwistern
gebrachte Essen im Hofe oder in den Säulengängen der Schule ein. Nach
dem Essen wurde der Unterricht wieder aufgenommen. Beim Schreiben saßen
die Kinder auf einer Matte mit untergeschlagenen Beinen; auf einem Tischchen
vor ihnen lag Papyrus, oder Leder, auf welches sie mit einer aus Ruß und
Gummi hergestellten Tinte schrieben.
Was die Unterrichtsmethode betrifft, so legte man auf das Memorieren
großes Gewicht, erkannte aber auch dem Verstand eine bedeutende Rolle zu,
was schon aus dem folgenden Grundsatz~hervorgeht: Ohne Wert ist eine
Wiedergabe der Worte, wenn diese so geschieht, daß der Sprechende nicht
weiß, ob er etwas gelernt hat oder nicht.
Wilkinson und Birch scheinen für die altägyptischen Kinder aus dem
gewöhnlichen Volk nur Privatunterricht anzunehmen, wobei sie auf Diodor
hinweisen: Der gewöhnliche Ägypter, so schreiben sie, unterwies seine Kinder
oder Verwandten nur in dem für den späteren Beruf Nötigen. Wenige Kinder
der niederen Klassen wurden auch etwas mit Literatur bekannt. Hingegen
lernten die Kinder der Priester zwei Schriftarten: Die heilige und die profane
(mehr allgemeine). Auch wandten sie der Arithmetik und Geometrie große
Aufmerksamkeit zu, letzterer schon deshalb, weil der Nil jährlich die Grenzen
benachbarter Güter modifizierte. Astronomische Studien seien von frühesten
Zeiten her bei den Ägyptern ein Gegenstand nationalen Ehrgeizes gewesen.
Ebenso wurde der Einfluß der Planeten auf die Lebewesen beachtet und die
Kunst gepflegt, das Horoskop zu stellen und die Zukunft vorauszusagen. —
Die christlichen Kopten, Nachkommen der alten Ägypter, hatten zu
I.nites Zeit zahlreiche Knabenschulen. Hier lernten die Schüler die Psalmen
Davids in arabischer Sprache, die Evangelien und apostolischen Episteln in
arabischer und in koptischer Sprache kennen. Diese, obwohl die Sprache ihrer
Vorväter, wurde nicht grammatikalisch studiert; sie wird vielmehr seit der
Einnahme Ägyptens durch die Araber immer mehr und mehr von der Sprache
der Eroberer überwuchert. Zu Laues, Zeit soll es nicht einen Kopten gegeben
haben, der seine Sprache richtig und mit Leichtigkeit las und schrieb. Sogar
für Bücher in koptischer Sprache verwendete man vielfach arabische Lettern;
hingegen verrichteten alle, welche Schulbildung genossen hatten, ihre privaten
und öffentlichen Gebete in Koptisch. — Mädchenschalen gab es nicht, und
auch zu Hause war ein Unterricht im Lesen und Schreiben nur sehr wenigen
Mädchen gegeben (Lane).
S 303. Das Kind und das Schulwesen bei Sudan- und U;int uiiegern,
Buschleuten und roalayisch-polynesischen Völkern.
In den vorhergehenden §§ 301 und 302 hatten wir es größtenteils mit
Völkern zu tun, welche auf eine alte, zum Teil hohe geistige und materielle
§ 303. Das Kind und das Schulwesen bei Sudan- und Bantunegern usw. 487
Kultur zurückblicken können. Mehr oder weniger Schulbildung' verstand sich
also bei ihnen von selbst. Anders ist es mit den im vorliegenden Paragraphen
zu behandelnden, insofern sie nicht dem Islam angehören. Allerdings hatte
die materielle Kultur, welche ja von der geistigen im weiteren Sinn un-
trennbar ist, bei manchen aus ihnen schon vor ihrer Berührung mit unserer
Kultur eine beträchtliche Höhe erreicht, aber jene geistige Bildung im engeren
Sinn, deren Grundlage vor allem mit einer systematischen Entwicklung des
abstrahierenden Denkvermögens und des Gedächtnisses gelegt wird, ist diesen
Völkern unseres Wissens im großen und ganzen fremd geblieben, bis sie von
christlichen Missionaren, oder europäisch-amerikanischen Kulturträgern über-
haupt, mit ihr bekannt gemacht wurden. Wie nie zuvor, entstehen und ge-
deihen im 19. und 20. Jahrhundert, durch die Bemühungen der Missionare
und Kolouialregierungen. Schulen zur intellektuellen und sittlich-religiösen
Fig. 401. Deutsch-Ustafrikanisehe Missionsschule der Vater vom heiligen Geist.
Sekretariats in Kneehtsteden.
Mit Erlaubnis des
Hebung von Völkern, die aus eigener Initiative sich nicht dazu befähigt er-
wiesen haben. Mitteilungen aus den Kolonien und Missionsberichte über diese
Lichtseite unserer Zeit sind jedermann zugänglich. Hier mögen einige An-
deutungen und Illustrationen genügen.
Wenn man an die langsame Entwicklung des Schulwesens und des
Geisteslebens überhaupt bei unseren eigenen Vorfahren, den Germanen, denkt,
dann erwartet man keine plötzliche Umwandlung jener Völker, welchen jetzt
europäische und amerikanische Kulturwerte zukommen. Jahrhunderte mögen
ebensogut dort vergehen, wie sie bei uns vergingen, ehe wir auf unsere jetzige
Höhe gelangten, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß manches aus den
hier folgenden Mitteilungen ein Spiegel dessen ist, was ursprünglich in den
Schulen unserer Vorfahren vor sich ging.
Humorvoll schildert Josef Roos, Missionar in Galula, apostol. Vikariat
Tanganyka, die Art und Weise, wie die Kinder der Eingebornen sich beim
täglichen Schulunterricht einfinden und ihm beiwohnen: Wird des Morgens das
488
Kapitel XLVI. Das Kind und das Schulwesen.
Tor geöffnet, so stürmen sie gleich einem erzürnten Bienenschwarm in alle Räume
des Hauses. Sie kommen in mein armseliges Zimmer, jeden Tag von neuem
die wenigen unentbehrlichen Wunderdinge, die ich noch aus der alten Zivili-
sation besitze, anzustaunen. Einer erklärt einem Neuling mit komischer Miene
die Natur eines Weckers: „Schau, in dem Ding, das so schön glänzt, sitzt ein
Geist!" — In der Schule, so fährt Roos dann fort, ringen sie mir manchen
Seufzer ab. Sie möchten alles Mögliche und Unmögliche wissen, aber selten
das, was ich zum hundertstenmale in ihre Köpfe zu bringen suche. Der eine
schaut nach den Ziegen aus, die einige Kameraden eben auf die Weide treiben;
ein anderer versucht immer wieder und wieder seinen Nachbarn mit einem
Dorn zu stechen und lacht schadenfroh auf, wenn es ihm gelungen ist, während
dieser unwillig in die Höhe schnellt usw. — Einige Kinder lobt Roos wegen
ihres Eifers, wenigstens im Religionsunterricht.
Über unregelmäßigen Schulbesuch wegen der großen Freiheitslust der
Fig. 402. Missionszoglingi' von Nonl- Uso li a m ii ;i r;i . I> »• ut seh-Ost af rika, im Sonntagsstaat.
Nünneke phot. Im Uuseuin für Völkerkunde in Leipzig.
Knaben und der Hausarbeiten der Mädchen klagte Wehrmeister unter den
Makua und Wayao im südöstlichen Deutsch-Ostafrika. Um in der heran-
wachsenden männlichen Jugend das Verständnis für die Schulbildung auch
der Mädchen zu wecken, wurden die Lehrer der Missionsschulen beauftragt,
den jungen Burschen zu sagen: „Wenn ihr einmal heiratet, dann wollt ihr
doch eine Frau, die gebildet ist wie ihr, und etwas versteht." — Bemerkens-
wert ist der Einwand eines dortigen Negerknaben gegen den gemeinsamen
Unterricht beider Geschlechter: „Wenn du eine neue Schule baust,'- sagte
dieser Knabe einem Missionar, „so baue doch ein eigenes Haus für die Mädchen,
oder wenigstens ein eigenes Zimmer: denn, wenn wir nichts können, müssen
wir uns ja schämen."
Was intellektuelle Anlagen und Lerneifer in der Missionsschule von
Kurasini bei Dar-es-Salaam betrifft, in welcher im Jahre 1900 170 Knaben
im Lesen, Schreiben, Rechnen, Deutschen und Religion, sowie in der Land-
wirtschaft, im Garten- und Hausbau unterrichtet wurden, schrieb Wehrme ister:
303. Das Kind und das Schulwesen bei Sudan- und Bantunegern usw.
489
..Anlagen und Lerneifer sind hier ebenso verschieden wie bei europäischen
Kindern1)."
In Deutsch-Südwestafrika sollen die Wirkungen der Schulbildung
auf die eingebornen Bergdamara oder Klippkaffer, Herero und Bastard
sehr günstig sein. Aug. Nachtwey schrieb: Die früher als Viehräuber ver-
schrieenen Bergdamara nehmen seit Jahren an der Post und Eisenbahn, in
Geschäfts- und Privathäusern schöne Stellen ein, die sie nur ihrer Arbeit-
samkeit uud Gelehrigkeit zu verdanken haben. Speziell von jenen in Swa-
kopmund teilt er uns mit, daß sie nach des Tages schwerer Arbeit die
Abendschule der Mission besuchen. • In Windhuk bilden die Missionäre
begabtere Herero-Knaben zu Katecheten, andere zu Handwerkern heran; der
Schulunterricht, inklusive Hand- und Hausarbeiten für Mädchen, wird von
Schwestern erteilt. — In
Klein-Windhuk ist eine
Bastard-Schule, deren Erfolg
von Nachtwey gekennzeichnet
wird, indem er bemerkt, daß
mehrere Schüler mit Erfolg
einen Wettkampf mit ihren
deutschen Altersgenossen auf-
nehmen künnteu. Zwar seien
sie im Rechnen schwächer als
diese, überflügeln sie aber da-
für durch Geschick in der
praktischen Arbeit, Die Hoff-
nung, aus den Kindern der
Bastard brauchbare Men-
schen zu machen, sei berech-
tigt. Als ein Muster von Fleiß
und Ausdauer führte Nachtwey
einen Betschuanen in Swa-
kopmund an, der jeden freien
Augenblick zu seiner Aus-
bildung verwende und stunden-
lang über seinen in Herero
und Deutsch geschriebenen
Büchern sitze.
Weniger günstig lautet
die folgende Mitteilung einer
Missionsschwester aus Rhodesia, Britisch-Südafrika, über den dortigen Schul-
besuch, wodurch sie mit Wehrmeister (S. 488) übereinstimmt: „Während der
Regenzeit," schreibt sie, „kommen die Kinder nicht fleißig, und in der Ernte-
zeit sind sie zu Hause beschäftigt." — Hingegen meldete Francis Rhodes,.
Administrator von Rhodesia, nach einem Besuch der Knabenschule in
Fort Salisbury der Kommission der Britisch -Südafrika -Gesellschaft in
London: „Diese Knaben zeigten erstaunliche Intelligenz und fröhliche Bereit-
willigkeit in der Erfüllung ihrer Pflichten." — Der Bildungsgang umschließt
hier Theorie und Praxis, d. h. Schularbeiten im engeren Sinne des Wortes
und nützliche Handwerke.
-4. Lehoeuf nennt die Kinder der Matebele, ein Zweig der Zulur
intelligent. In der Regel seien sie zwar nicht sehr auf Fortschritt bedacht,
') Wehrmeister betont den ausgeprägten Korpsgeist dieser Schüler. Lieber hält
einer eine Strafe aus, als daß er den Schuldigen verrät. Ferner lobt er die Dienstfertigkeit
der Knaben gegen kranke Kameraden.
Fig. 403. Deutsch-Ostafrikanische Schulmädchen. Hof-
mann phot. Im Museum für Völkerkunde in Leipzig. Die
beiden links: Suaheli; die dritte Wakaniba, die vierte
Massai.
490
Kapitel XLVI. Das Kind und das Schulwesen.
finden aber, wenn die ersten Schwierigkeiten überwunden, an ihren Schul-
aufgaben doch viele Freude. Vom Religionsunterricht abgesehen, bringen sie
täglich zwei Stunden in der Schule zu, wo die unterrichtenden Schwestern
freilich immer mit Geschenken nachhelfen müssen, um dem Lerneifer aufzu-
helfen. Im Gebiete Empandeni am Embakwe River, das im Jahre 1904
zwischen 1300 — 1400 Eingeborne zählte, waren im gleichen Jahre auf der
Hauptstation ungefähr 160 Kinder in der Schulliste eingetragen, von denen
täglich etwa 100 zum Unterricht kamen. Eine Schule am Embakwe zählte
50—60 Kinder. - - Während aber die Eltern in der Regel nichts gegen diesen
Schulbesuch haben, gestatten sie nur in sehr seltenen Fällen, daß die Kinder
als Pensionäre bleiben, und wo das auf einige Zeit geschieht, haben sie bald
den einen oder andern Vorwand, um sie wieder zurückzubekommen. Lieber
Fig. -104 Mädchenschule in Peramiho, südliches Deutsoh-Ostafrika. Von Jen Missionaren 0. S. H,
St. Ottilien.
lassen sie sie täglich 10—12 englische Meilen hin- und zurückgehen, was die
Kleinen übrigens nicht verdrieße. Leboeuf erwähnt einen Knaben, der trotz
einei solchen Entfernung während mehrerer Monate auch nicht einen Tag
wegblieb.
Von der Mädchenschule des gleichen Gebietes entwirft eine Missions-
schwester folgendes Bild: Gravitätisch sitzen die Mädchen da und schreiben
und lesen, während ihnen ein jüngeres Geschwister auf dem Rücken kauert.
Die Kleinen, hier festgebunden, verhalten sich gewöhnlich sehr ruhig. Bricht
eines in Weinen aus, dann steht die Trägerin auf und wiegt sich selbst hin
und her, bis das Baby beruhigt einschläft. —
Für Musik zeigen die Matebele-Kinder mehr Veranlagung als für irgend
einen anderen Lehrgegenstand1).
i| PTeufc, der für die übrige Schulung der deutsch-ostafrikanischen Kinder wenig
Anerkennung aussprach, beurteilte die „Knabenkapelle" in Tanga mit den Worten: „Gespiell
wurde von den kleinen Kerlen gut, das laut sich nicht leugnen."
§ 3Qy. Das Kind und das Schulwesen bei Sudan- und ßautunegein usw. 49 1
Die Zulu des Angoni-Landes, südlich vom Njassasee, nannte Living-
stone wilde Bestien. „Jetzt", schreibt Hiller, „sind sie zahme Haustiere ge-
worden; alle wollen nun lesen und schreiben lernen."
In der Kap-Kolonie dachte man im Jahre 1900 bereits an die Ein-
führung des Schulzwanges für die Kinder „aller Farben", wenigstens in den
Städten und Dörfern. Die übrige, weit zerstreute Bevölkerung sollte dieser
Verpflichtung nicht unterstellt werden. Die hierher gehörigen Farmer, welche
Schulen für sich und ihre Nachbarn wünschen, werden von der britischen
Regierung dadurch unterstützt, daß diese dem Lehrer den Gehalt bezahlt. Dem
Farmer kommt es zu, für dessen Logis und Kost zu sorgen. In den Städten
gibt es staatliche und private, konfessionelle und paritätische Elementar- und
höhere Schulen für beide Geschlechter. Für die Kinder der weißen und farbigen
Eisenbahnbeamten unterhält, die Regierung außerdem eigene Handels- und
Industrieschulen an den betreffenden Verkehrslinien (J. Byan).
Fig. 405. Missionszöglinge aus Uschambara. Deutseh-Ostafrika, bei einem Ausflug.
Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Nünneke phot. Im
Aus Calabar berichtet Jos. Kraft, die Prüfung von 360 Knaben und
150 Mädchen der dortigen Missionsschule sei im Juli 1908 zur hohen Be-
friedigung des Schulinspektors ausgefallen. —
Der AVettbewerb benachbarter Völker erregt wohl auch den Wunsch
nach Schulen. So verlangten die Aluru im östlichen Sudan von Fr. Xav.
Geyer schon bei dessen erstem Besuch Unterricht im Lesen und Schreiben,
und die Häuptlinge boten ihre Kinder als Schüler an, was Geyer mit der
Schulbildung im benachbarten Uganda erklären zu können glaubte. —
Ob dieser Lerneifer in Afrika anhält und bessere Früchte zeitigt, als
die Schulbildung in der Negerrepublik Haiti bisher gezeitigt hat? Hier gab
es nach Metzger im Jahre 1875 165 Elementarschulen mit 11784 Schülern,
abgesehen von den 200 ländlichen Schulen mit 5939 Kindern. Auch höhere
Unterrichtsanstalten waren damals schon in beträchtlicher Anzahl vorhanden.
Vier Lyceen mit 543, sechs höhere Mädchenschulen mit 563, fünf Sekundär-
schulen mit 530, eine medizinische Fachschule mit 25, eine Musikschule mit
46 Zöglingen. Aber ein Schulzwang bestand nicht, und so kam es, daß
nur ein Zehntel der Kinder elementare Schulbildung erhielt, und daß die meisten
Eltern nicht imstande waren, ihren eigenen Kindern auch nur den Anfangs-
unterricht zu erteilen.
492 Kapitel XL VI. Das Kind und das Schulwesen.
Ebenso ohnmächtig sind die ungebildeten Eltern gegenüber den stark
hervortretenden sittlichen Fehlern ihrer Kinder, unter denen Lug und Trug,
Eitelkeit und Prahlsucht, sowie sexuelle Neigungen besonders vorherrschen.
Wurde doch Geffrard, bis zum Jahre 1867 Präsident der Republik, selbst,
allerdings nur von seinen politischen Gegnern, verdächtigt, Mädchenschulen in
Häuser der Verführung umgewandelt zu haben, was nach Metzger aber mit
großer Vorsicht aufzunehmen ist, da der gleiche Präsident von anderer Seite
als Förderer des Unterrichtswesens gefeiert wurde und ähnliche Widersprüche
in der Beurteilung der von Ordensleuten geleiteten Schulen auf Haiti nicht
fehlen. —
Sehr spärliche Nachrichten liegen mir über Schule und Schulbildung
vor, welche sich aus der eigenen Kultur der Neger herausentwickelten.
In Borna am untern Kongo (Zaire; fand der französische Abbe Durand
eine Art Eingebornen-Seminar, in welchem Knaben von früher Kindheit an
untergebracht wurden. Sie lernten hier eine Sprache, welche in Borna sonst
nicht gesprochen wurde, trugen eine besondere Kleidung und lebten bis zum
Abschluß ihrer Ausbildung von den übrigen Kindern getrennt. Floß fügte
diesem Berichte bei: Offenbar ist dies eine Schule der Fetischpriester, wo
Kinder ihre Bildung erhalten, die sich dem Dienste des Fetisch widmen wollen1)-
Dergleichen Anstalten gibt es auch an der Küste des Golfes von Benin.
Von den Wai- Negern in Liberia berichtete Oscar Baumami, daß sie
im 19. Jahrhundert selbst eine Silbenschrift erfanden. Väter und Freunde
unterweisen die Knaben im Lesen und Schreiben dieser Schrift, welche über
50 Zeichen umfaßt. Schulen haben sie für diesen Zweck nicht. Fast alle Wai,
mit denen Baumann bekannt war, beherrschten die Schrift. Manche seiner
Leute führten ein Tagebuch und waren so schreibselig, daß sie jeden Zettel,
den Baumann liegen ließ, beschrieben. Aber das weibliche Geschlecht scheint
man in dieser Schrift nicht allgemein unterrichtet zu haben; denn nur wenig
Mädchen und Frauen konnten lesen. (Ein Faksimile der Wai-Schrift ver-
öffentlichte Baumann im Globus Bd. 52, S. 239.) —
Wo der Islam Fuß gefaßt, findet sich auch unter den Negern2) mehr
oder weniger Schulunterricht. Ein Beispiel hierfür sind die Mandingo am
oberen Senegal und Niger, von denen Wilson schrieb: Sie geben ihre Kinder
3 — 4 Jahre den Marabus in die Lehre. Hier leinen sie einige Sätze aus dem
Koran lesen und schreiben, memorieren einige Gesetze und verrichten gewisse
Dienste. Dafür erhalten die Lehrer von den Eltern ihrer Zöglinge von Zeit
zu Zeit Geschenke, und am Abschluß des Bildungstermins werden die Söhne
reicher Männer vom Lehrer durch einen Sklaven oder einen anderen Wert-
gegenstand losgekauft.
Die Auin-Buschleute geben Söhne, die sie zum „Doktor-Beruf" be-
stimmen, einem Doktor jahrelang in die Lehre (Kaufmann). —
Gehen wir zu den malayisch-polynesischen Völkern über, so sehen
wir zunächst bei den Howa auf Madagaskar abermals einen rapiden Um-
schwung durch die Christianisierung der Insel im 19. Jahrhundert. Während
vorher der Unterricht in der mündlichen Überlieferung von Sagen und Sprich-
wörtern bestand, und mau Finger und Zehen benutzte, um eine bestimmte
Anzahl von Gegenständen zu bezeichnen (Camboue), zählte man Ende des
19. Jahrhunderts bereits 1176 Schulen unter christlichen Lehrern (('. Keller).
Auf den eisten Blick überraschend ist die Tatsache, daß die Batakr
deren Anthropophagie hinlänglich bekannt ist, eine Schrift besitzen, in deren
') Korrekter wohl ..sollen"; denn da sie, wenn noch klein, in dieser Anstalt untergebracht
werden, kann von einer Selbstbestimmung nicht die Rede sein.
2) Vgl. die Schulbildung der muselmanischen llaniiten und Semiten im vorigen
Paragraphen.
§ 303. Das Kind und das Schulwesen bei Sudan- und Bantunegern usw. 4y3
Kenntnis zwar nicht alle, aber doch etwa die Hälfte des männlichen Geschlechts
eingeführt wird, wie Frhr. von Brenner schrieb. Nach Heyners d' Estray
sind es nur die Häuptlinge und die Reichen, welche ihre Söhne, sobald als
möglich, von Männern im Schreiben unterrichten, in die Kenntnis einiger
Gesetze und in die Handhabung der Waffen einführen lassen1). Die Schrift
der Batak hat nach Frhr. von Brenner ein ganz charakteristisches Gepräge 2)
und könnte ihrem Aussehen nach eine Hakenschrift genannt werden. Sie
stammte jedoch von den Hindus, worauf schon das Sanskritwort „pustaka" (Buch)
hinweise. Die Eingebornen allerdings behaupten, die Schrift, sowie alle Wissen-
schaft, von einem Bambus erhalten zu haben, der eines Tages in Timor em-
porwuchs. Die Schrift besteht aus Lautzeichen, die entweder von links nach
rechts, oder von unten nach oben geschrieben werden, jenes für den Fall,
daß mit einem Stift und schwarzer Farbe geschrieben wird; dieses, wenn
man die Lautzeichen mit einem Messer in einen Bambus ritzt. Die erwähnten
Pustaka oder Bücher gehen auf eine ältere Zeit zurück. Man schrieb sie auf
die geglättete und mit Reiswasser präparierte Rinde des Kaju-alim-Baumes
in Streifenform. Die Streifen wurden dann gefaltet und mit einem Holzdeckel
auf beiden Seiten versehen, wie das auch bei den chinesischen Büchern der
Fall ist, bemerkte Frhr. von Brenner. Zum Schreiben dieser Bücher ver-
wendete man schwarze, im Hidjuk vorkommende Stiele und eine schwarze
Farbe, welche auch als Zahnfirnis diente, oder Damaraharz. Der Inhalt ist
hauptsächlich aus dem Gebiet der Zauberei, Medizin, Religion oder Gnosis;
häutig sind auch Anweisungen zum Gebrauch der Feuerwaffen. Die einzelnen
Abschnitte sind durch Linien von einander getrennt, Zur Erläuterung des
Textes dienen Figuren von nicht selten überraschend feiner Ausführung, wie
die Tafelu V und VI bei Frhr. von Brenner beweisen.
Die Kulturarbeit der Missionäre umfaßt selbstverständlich auch bei den Batak
die Schule. Im Jahre 1880 betrug die Zahl der Kinder in elf Missionsschulen 1057.
Bedeutende Erfolge hatten die Missionäre ferner bei den Anthropophagen
auf Flores. A. Jakobsen und //. Kühn, die im Jahre 1888 die Schule der
Missionsschwestern im dortigen Larantuka besuchten, setzten die Zahl der
eingebornen Schülerinnen dieser Schule auf ca. 160 an, und bemerken: „Es war
interessant zu sehen, was die Kinder, deren Väter vor einigen Jahrzehnten
noch Menschenblut tranken, für Fortschritte in der Kultur gemacht hatten."
Gute Erfolge hatten die Missionäre ferner im portugiesischen Teil
von Timor; hingegen konnten sie im holländischen Teil sich bis in die
neueste Zeit nur wenig entfalten, so daß sich hier einstweilen auch nur einzelne
Schulen vorfinden.
Auch auf Java soll das Unterrichts wesen betreffs der Eingebornen noch
vieles zu wünschen übrig lassen. Zwar ist nach Emil Metzger von der nieder-
ländischen Kolonialregierung in dieser Hinsicht manches geschehen, leider aber
nicht immer mit der nötigen Einsicht 8). „Wenn man sieht," so schreibt er,
„wie gute, aufmerksame Schüler Eingeborne — namentlich in jüngeren Jahren
— sind, wie leicht sie dagegen in Jünglingsjahren erschlaffen, wie sie aber
auch wieder jahrelang als Diener eines europäischen oder eingebornen Beamten
sich abquälen, in der Hoffnung, durch seinen Einfluß irgend eine kleine An-
stellung zu erhalten; dann scheint es beinahe unbegreiflich, daß die Regierung
diesen Umstand nicht lange schon benutzt hat, um den Besuch einer Schule
') Weit höher war die Kultur der alten Mexikaner, die dennoch Kinder als leckere
Opferspeise verzehrten.
2) Siehe das ßataksche Alphabet und Stellen aus den Pustaka (Büchern) der Batak
bei Joachim Frhr. von Brenner, Besuch bei den Kannibalen Sumatras. Würzburg 1894, S. 294 ff.
3) Vgl. die Reform zum Bessern bei Chaüley Bert, Java et ses habstants. Paris 1900,
S. 249-322.
494
Kapitel XLYJ. Das Kind und das Schulwesen.
oder den Nachweis einer gewissen formellen Bildung als Vorbedingung für
eine Ernennung im Staatsdienst für alle Eingebome zu stellen." — Einzelne
Eingeborne schicken ihre Söhne zur Erziehung nach Europa, während andere
große Opfer bringen, um ihren Kindern im eigenen Land guten Unterricht
zu verschaffen.
Auf den östlichen Karolinen sollen die Eingebornen eines jeden
Distriktes zwei „öffentliche Erziehungshäuser" gehabt nahen, von denen das
eine für die Mädchen, das andere für die Knaben bestimmt gewesen sei. Man
habe da die Jugend in der Astronomie unterwiesen. Als Lehrmittel habe
eine Kugel1), mit meist roten Zeichen für die Sterne, gedient {Sprengel nach
< 'antova*).
M. Solbrung stellt den Knaben der deutschen Schutzgebiete in der
Südsee das Zeugnis aus, daß sie über eine erstaunliche Kenntnis der Natur
verfügen3); 12 — 14jährige Knaben seien bereits imstande, jede Pflanze ihrer
Umgebung bei ihrem Namen zu nennen.
In Kaiser Wilhelmsland und in Britisch-Neuguinea schicken die
Papuas ihre 10 — 12 jährigen Kinder
auf Jahre hinaus zu befreundeten
Nachbarstämmen, um ihren geistigen
Gesichtskreis zu erweitern und ihnen
Gelegenheit zur Erlernung der be-
treffenden Sprache zu geben. Zurück-
gekehrt, erfreuen sich solche Kinder
einer gewissen Achtung im heimat-
lichen Dorf und dienen gelegentlich
als Dolmetscher. Krieger nennt die
Papua-Kinder in Kaiser Wi 1 heims -
1 a n d und Britisch-Neuguinea klug und
gelehrig. Die Schwierigkeiten im
Unterricht in den auch hier eröffneten
Missionsschulen besteht im un-
regelmäßigen Schulbesuch 4). Lesen
geht auch hier leichter als schreiben.
Am liebsten würden die Kinder ein
nützliches Handwerk lernen, wozu
s Zeit noch nicht angehalten worden
Fig. 4oij. Missionszöglinge auf Jap. Mir Erlaubnis des
MissiHiissekri'tnriats in E h renbreitstein.
sie aber von den Missionären zu Krieger.
seien5). (?) —
Weiter oben wurde eine Art Eingebornenschule auf den vorchristlichen
Karolinen erwähnt. Mit Einführung des Christentums erhielten die Ein-
gebornen selbstverständlich auch Missionsschulen. Ebenso erging es auf den
Mari an en.
Im Jahre 1908 zählte die Missionsschule auf Palau über LOO Schüler.
Auch in Arkolong bat der Häuptling um eine Schule.
Auf Jap hatten die Spanier Schulzwang eingeführt, aber dieser war
den Eingebornen verhaßt. Die Missionäre mußten die säumigen Kinder bei
der Kegierung anzeigen, die dann den Häuptling der Kinder bestrafte, was
so hochgradige Abneigung gegen Mission und Schule erzeugte, daß von dem
'i Demnach hätten diese Mikronesier bereits Kenntnis von der Kugelform unserer Erde
gehabt (?) —
2) Bei Flofl II, 337.
») Vgl. g L«»8.
'i Dieselbe Schwierigkeit kennen wir bereits von Deutsch-Ost afrika her.
6i Vgl. die deutsch-ostafrikanischen Missionszöglinge in der Schmiede- und Schreiner-
werkstätte, sowie beim Gartenbau in Kapitel XLV, Fig. 388-
-390.
§ 303. Das Kind und das Schulwesen bei Sudan- und Bantunegern usw. 495
Tag au, an welchem die deutsche Regierung den Schulzwang aufhob, kein
einziges Kind mehr zur Schule kam. Doch gelang es den deutschen Missionären,
das Interesse für die Schule in Eltern und Kindern etwas zu wecken,
und seit der Sohn des Häuptlings von Kanif selbst Lehrer ist, geht die
Jugend schon ihm zu Ehren in dessen Schule in Ar in gel, obgleich dieses Dorf
nicht zu den sozial höchststellenden gehört, was an und für sich ein Abhaltungs-
grund für die Jap-Aristokraten wäre.
Durch das Interesse der Kanifer zum Wettstreit angeregt, eröffneten die
Inufer, unter dem Einfluß des Häuptlings von Rul, ein Jahr darauf (1908)
eine Schule. Gleich am ersten Tag meldeten sich 27 Mädchen. Knaben sind
es durchschnittlich 30, welche hier lernen.
Auch in andern Dörfern sind seitdem Schulen eröffnet, was besonders
auf die Mädchen günstig wirkte, insofern sie dadurch der Unsittlichkeit ent-
risseu werden.
Auf Ponape leisten die Knaben im Auswendiglernen geradezu Erstaunliches,
während der Kopf im selbständigen Denken leicht versagt. Lesen und Schreiben
geht leicht, Rechnen sehr schwer und schwerer noch der Religionsunterricht,
zumal die Ponapensprache keine Ausdrücke für Übersinnliches hat.
Nach einem Bericht des P. Corlnnian vom Jahre 1910 bringen fast alle
Eingebornen der Insel Rota der Schule lebhaftes Interesse entgegen. Es
werden Noteu in Religion, Deutsch. Lesen, Schreiben, Rechnen, Fleiß und Be-
tragen ausgegeben.
Auf Korror interessieren sich die Schüler am meisten für Geographie.
Im Deutschen haben es viele bereits so weit gebracht, daß sie den Regierungs-
beamten, Reisenden u. a. Dolmetscherdienste leisten können (P. Placidus).
Auf den deutschen Marianen ist Schulzwang; der Unterricht liegt
hier, vom religiösen Gebiet abgesehen, in Händen von Lehrern, die von der
Regierung angestellt sind. Nur der Religionsunterricht ist freigestellt. Er
wird außerhalb der Schule von Missionären erteilt.
Vor etwa einem Vierteljahrhundert charakterisierte Kubary Erziehung
und Unterricht der weiblichen Jugend auf Samoa noch wie folgt: Das Mädchen
lernt singen und tanzen, um zu gefallen und von einem Tapferen geliebt zu
werden; es lernt weinen, um ihn jeden Augenblick beweinen zu können1). —
Um das Jahr 1900 schrieb aber Deelcen nach seinem Besuch der Papauta-
Schule, eines Mädchenpensionats der London Mission Society unter der Leitung
einer deutschen Dame, bereits: „Die Ausbildung der jungen Mädchen ist mehr
als zufriedenstellend und ist derjenigen auf unseren Volksschulen ganz gewiß
ebenbürtig." Die zum Schluß der „Sohulinspektion" ausgeführten gymnastischen
Übungen der jungen Samoanerinnen wurden nach Deelcen mit bewunderns-
werter Eleganz ausgeführt. —
Im Tahiti-Archipel, wo zu Forsters und MÖrenhouts Zeit die Einführung
der Knaben in die Sagen der Vorfahren das Einzige war, was an eine Schul-
bildung in unserem Sinn erinnerte2), zählten im Jahre 1910 die katholischen
Missionsschulen allein 790 Schüler und Schülerinnen.
Einen kurzen Überblick über das moderne Schulwesen auf Neuseeland
ermöglicht uns Bob. von Lendenfeld: Im Jahre 1896 gab es dort 74 öffentliche
Volksschulen für Maoris, mit 136 Lehrern und 2459 Schülern. (Der Census
von 1891 ergab für die neuseeländische Bevölkerung 41 993 Köpfe.) Zudem
existierten für die Eingebornen 7 Privatschnlen mit 16 Lehrern und 275 Schülern,
und 1118 Maorikinder besuchten die Volksschulen für Europäer. Schulzwang
') Die Einführung in Hausfrauenpflichten siehe § 297.
2) Bei Ploß II, 336.
49 G
Kapitel XLVI. Das Kind und das Schulwesen.
besteht für die Kinder von 7— 13 Jahren. — Der Unterricht ist unentgeltlich.
Der Lehrplan umschließt Lesen, Schreiben, Rechnen, englische Grammatik,
•Geographie. Geschichte, Naturgeschichte, Zeichnen und Singen; ferner für Knaben
Exerzieren, für Mädchen Nähen. Die öffentlichen Volksschulen sind nicht konfes-
sionell, wohl aber die meisten Privatschulen. Als Mittelschulen gibt es auf Neusee-
land verschiedene „Grammar-schools", in denen allerdings mehr Prüfuugs-Drill,
als Unterricht und Erziehung herrschen soll, und „technical Colleges", die
teilweise für die Hochschule vorbereiten.
Schulen gibt es jetzt sogar für die Jugend des australischenKontinents.
So hatten z. B. im Jahre 1911 die Pallottiner in ihrem Missionsbezirk im
nordwestlichenAustralien, der eine einheimische Bevölkerung von 5000 Seelen
umschließt, bereits vier Elementarschulen mit 57 Knaben und 82 Mädchen,
sowie ein Knabeninternat mit 27 Zöglingen. Im Jahre 1870 schrieb
F. Christmann '): Der Kreis der intellektuellen Entwicklung der Australier
Fig. 10". Schule für die eingeborne Jueerjd von Tahaa, „Ins.-ln unter dem Winde", Tahiti-Gruppe.
Oslerroth phot. Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
ist zu klein, als daß nicht ein halberwachsenes Kind ebenso weit fortgeschritten
sein könnte, wie der Älteste im Stamme. Sie zählen z. B. nicht weiter als
bis vier, alles andere ist „viel". Die Zeitrechnung wird bei vielen Stämmen
nur „nach Schläfen" gemacht, so daß bei ihnen nicht einmal von Mondnächten
und, noch viel weniger, von Jahreszeiten die Rede ist. —
§ 304. Das Kind und das Schulwesen hei Japanern, Koreanern, Chinesen,
Khmer und Thai'.
„Wir Japaner besitzen seit vielen Jahrhunderten Schulen jeder Art
und jeden Grades, und die Masse des Volkes wird gründlich und allgemein
unterrichtet, lud wenn ja jemand einmal existiert, den man bei uns für
,i„ ohne Schulbildung"" erklären könnte (und jetzt findet man kaum solche Leute,
denn unser Unterrichtssystem ist, sehr streng), so bedeutet dies, daß er chine-
sische Schriftzeichen und Literatur nicht kennt; es bezieht sich aber nicht
auf die japanischen." So schrieb um das Jahr 1900 der japanische Buddha-
priester Kinea Riug6 M. Bxrai. Das eigentlich japanische Alphabet, „Iroha-
i) Bei Ploß II, 334.
§ 304. Das Kind u. das Schulwesen bei Japanern, Koreanern, Chinesen, Khmer u. Thai'. 497
Alphabet" genannt, sei ja so leicht, daß jedermann es lernen könne. Aber
auch die schon lange vorher, d h. im dritten Jahrhundert vor Christus, ein-
geführten chinesischen Buchstaben haben in Japan so tiefe Wurzeln geschlagen,
daß ihre Aussprache vollständig japanisiert worden sei, und daß die Japaner
sich, je nach Umständen, der einen, oder der anderen Sprache, oder aber eines
Mischstils aus beiden zusammen bedienen. — Nach J. J. Rein begann die
Schulerziehung1) des Knaben im alten Japan, d. h. vor der Restauration im
Jahre 1868, am (3. Tag des 6. Monates seines 6. Lebensjahres, an welchem
er unter den landesüblichen Förmlichkeiten seine erste Stunde im Schön-
schreiben erhielt. Er präsentierte sich seinem Lehrer mit einem Tuschkasten,
einem Stück Tusche, einem Pinsel, einer Taschschale, einem kleinen Gefäß
■IHMBBi
Fig. 408. Ein Blatt aus einem japanischen Schulbuch. Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
mit Wasser und Bastpapier. Der Lehrer zeichnete ihm nacheinander einfachere
und kompliziertere Zeichen vor uud half dem meist gutwilligen und aufmerk-
samen Schüler beim Nachschreiben. Vom 6. — 8. Jahr hatte dieser die ein-
heimischeSilbenschrift, aber auch ca. 1000 chinesische Wortzeichen zu erlernen.
Den Eindruck, welchen ein Engländer bei seinem Besuch einer japa-
nischen Knabenschule erhielt, hat Ploß'1) folgenderweise wiedergegeben:
„Die Intelligenz der Knaben spricht sich schon in ihren schwarzen, fast
übergroßen Augen recht lebhaft aus, und ihr anmutiges, niedliches Wesen
dürfte, im allgemeinen betrachtet, durch einen Vergleich mit der europäischen
Jugend mindestens keine Einbuße erleiden. Man kann sagen, daß sie eher
singen, als sprechen, und nichts ist ergötzlicher, als das Geplauder einer ganzen
') In der japanischen Kinderstube werden, wie bei uns, die Phantasie und der Verstand
des Kindes durch Märchen und Heldensagen geweckt (Ploß II, 861).
2) Ebenda, 3fi0.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 32
498 Kapitel. XLYI. Das Kind und das Schulwesen.
Schule. Einer unserer Begleiter hatte ein illustriertes japanisches Buch in
der Hand; um sich zu überzeugen, ob die Kinder lesen könnten, winkte er
das kleinste der munteren Schar herbei und forderte es auf, die Erklärung
eines Bildes zu lesen. Das Kind tat unverzüglich mit der größten Artigkeit,
was man von ihm verlangte, und keines von den Übrigen zögerte einen Augen-
blick, sich dieser Prüfung zu unterwerfen, die sie ohne Ausnahme glücklich
bestanden." —
Isabella Bird erklärte nach ihrem Besuch der japanischen Dorfschule
Irimichi, Nikko, daß jener Knabe, welcher die vom Lehrer gestellten Fragen
am besten beanwortete, der Erste wurde. Gehorsam sei die Grundlage in der
Schule wie überall im Land. — Die japanischen Schulhäuser stehen nach Bird
den englischen keineswegs nach.
Auch schon im alten Japan genoß das weibliche Geschlecht Schulbildung.
„Von Beginn unserer Geschichte an war ihnen Gelegenheit geboten, ihre Aus-
bildung in jeder Art Schulen. Instituten oder Universitäten (?) des
Landes zu vollenden, ebenso wie in besonderen Mädchenschulen," schreibt
Kinza Riuge 21. Hirai. „Die Tatsache, daß wir viele Schriftstellerinnen und
Dichterinnen von höchstem Ruf . . . besitzen, bezeugt, daß bei uns der weib-
lichen Erziehung keine Vorurteile oder Hindernisse entgegenstehen, wie dies
in den Ländern des Westens herkömmlich ist. Was besonders die japanische
Literatur betrifft, so zögere ich nicht, anzuerkennen, daß sie hauptsächlich
durch die Hände (?) unserer Frauen erhalten worden ist; denn die Männer
wandten sich allgemein der chinesischen zu und verhielten sich ihrer ein-
heimischen schönen Literatur gegenüber ziemlich gleichgültig." Hirai weist
ferner auf die vielen Ärztinnen, Künstlerinnen, Rednerinnen, Forscherinnen und
Lehrerinnen aller Grade auf allen Wissensgebieten, auf die weiblichen Kauf-
leute, auf Vorsteherinnen religiöser Sekten und Priesterinnen des alten und
heutigen Japan hin '). — Daß es auch japanische Schauspielerinnen gibt,
wissen wir Deutsche aus eigener Anschauung, da japanische Theatertruppen
ja auch schon deutsche Städte bereist haben. Die Truppe auf Figur 409
umschließt auch Kinder.
Die Durchschnittsbildung der Mädchen im alten Japan bestand wohl
in dem, was Floß in der 2. Auflage2) mit einem Hinweis auf „Das Ausland"
1881 (S. 1G7) „eine gute Erziehung" nannte, d. h. lesen, schreiben, rechnen,
etwas Musik3), Geschmack in den landesüblichen Blumenarrangements, worüber
ganze Bücher geschrieben wurden, sowie Verständnis und Geschick zur Er-
füllung der Haushaltungspflichten. Besonderes Augenmerk richtete mau auf die
Erziehung der Mädchen zur Reinlichkeit. Auch Handarbeitsunterricht wurde
und wird noch immer in den Schulen gegeben4). Im Jahre 1885 besuchte
Ph. Leheen in Kioto eine Schule für Mädchen höherer Stände bis zum Alter
von 16 Jahren. Hier wurde im Weben, in der Seidenmalerei, im Sticken,
Kochen und Zubereiten des Tees, sowie in den Umgangsformen unterrichtet. —
Befremdend wirkt nach der Aussage des Japaners Hirai, dem weiblichen
Geschlechte Japans seien, neben den besonderen Mädchenschulen, jede Art Schulen
Japans offen gestanden, wenn man damit vergleicht, was Wernich6) schrieb,
nämlich, daß die Mädchen schon lange vor der Menstruation ihren Unterricht
von den Knaben abgesondert erhielten. Die Mädchen durften dann auch nicht
mehr mit diesen zusammen spielen und traten unter die Obhut ihrer Mütter,
Tanten und sonstigen Verwandten des Hauses. Diese unterrichteten die Mädchen
') Weibliche Krieger und ihre Vorbildung sind in Kapitel XLV erwähnt worden.
8) JJ, 360.
*) Musikinstrumente waren das „Samisen" und das „Koto".
<> Vgl. § 297.
<■> Bei Floß II, 361.
§ 304. Das Kind u. das Schulwesen bei Japanern, Koreanern, Chinesen, Khraer u. Thai. 499
unter anderem über die Bedeutung der bevorstehenden Menstruation und gaben
ihnen Verhaltungsmaßregeln für deren Eintritt. —
Was den Unterricht der Knaben vom 8. Lebensjahr im alten Japan
betrifft, der sich an den schon erwähnten vorhergegangenen zweijährigen
Unterricht im Schreiben anschloß, so hatten die Knaben bereits eine Anzahl
chinesischer Werke zu lesen, was teils von je einem Knaben, teils von allen
zusammen, in singendem Ton geschah. Chinesische Sprache und Philosophie
galten damals dem Japaner noch für unentbehrlich, obgleich die chinesische
Philosophie aus einem engherzigen Feudalismus entsprungen war und diesen
zu fördern suchte, wie Rein sich ausdrückt, Sie habe wohl gehorsame Söhne
und Untertanen und Bewunderer des Altertums gebildet, aber das Individuum
Fig. 4u9. Japanische Schauspielertrappe mit Kindern. Im K. Ethnographischen Museum in München.
in die hergebrachten Bräuche gezwängt, die Intelligenz wenig geweckt und
die sittlich-religiöse Entwicklung verhindert.
Mit dem unerwartet raschen Aufschwung Japans seit 1868 änderte sich
das. Jetzt werden zirka 3 Millionen Kinder in mehr als 30 000 Schulen nach
dem Geiste des christlichen Abendlandes unterrichtet, obgleich die Religion
als Privatsache gilt. Die Schulen werden von den Kindern beider Geschlechter
aller Klassen der Bevölkerung besucht. Die Lehrkräfte sind teils männlich,
teils weiblich. — Zu den Volksschulen kommen die verschiedenen Arten
höherer Bildungsanstalten, wie wir sie in Deutschland haben, ausgenommen
die Gymnasien {Rein). Die japanische Jugend studiert nun auch abendländische
Sprachen, sei es im eigenen Vaterland, oder in Europa, oder in Amerika. Die
im Ausland Gebildeten sind nach ihrer Heimkehr wenig geneigt, sich den
alten Bräuchen der Nation wieder anzubequemen, wie Hugnes Krafft bemerkt,
32*
50U Kapitel XLVI. Das Kind und das Schulwesen.
und so ist jeder heimkehrende Japaner ein neuer Faktor bei der Umgestaltung
seiner Nation.
Seit Anfang der 70 er Jahre des 19. Jahrhunderts ist in Japan der
Schulzwang eingeführt. „Die Schulzeit," schreibt Max Jacobi, „ist nach
preußischem Muster auf das 6. bis 14. Lebensjahr festgesetzt. Verlangt wird
mindestens die Absolvierung der vier unteren Elementarklassen, an die noch
zwei, auch drei oder vier höhere angegliedert sind. In den unteren Klassen
sind Lehrfächer: Morallehre, japanische Sprache, Rechnen, Singen, Zeichnen,
und für Mädchen auch jetzt wieder Handarbeitsunterricht." Die nächsthöhere
Stufe nehmen die Mittel- oder Bürgerschulen ein, welche zum bürger-
lichen Mittelstand und für höhere Schulen vorbereiten sollen. Ihr fünfjähriger
Kursus umschließt, neben den obigen Fächern, Chinesisch, Geschichte, Geographie,
Mathematik, Physik und Chemie sowie elementare Volkswirtschaft und Rechts-
pflege. Dazu kommt eine europäische Sprache, gewöhnlich Englisch. — Nach
erfolgreichem Besuch der Elementar- und Mittelschule und nach Vollendung
des 17. Lebensjahres kann der Japaner die höhere Schule mit dreijährigem
Lehrkursus besuchen, wo er sich hauptsächlich mit europäischen Sprachen und
Literaturen beschäftigt, Altklassische Sprachen werden nur in den Abteil-
kursen für Juristen und Mediziner gelehrt, — Nach erfolgreichem Besuch der
höheren Schule steht dem Studenten die Universität offen. Der Weg zur
technischen Hochschule geht durch technische Mittelschulen, deren im
Jahre 1902 bereits 392 vorhanden waren. "Jene Mädchen und Knaben, welche
sich dem niederen Lehrberuf widmen wollen, werden in staatlichen Lehrer-
seminarien ausgebildet. Jede der 47 Provinzen verfügt mindestens über ein
Seminar dieser Art. Die Lehrgegenstände sind für beide Geschlechter gleich
mit der Ausnahme nur, daß die Mädchen statt einer fremden Sprache Haus-
haltungslehre haben. Letztere ist, wie schon früher erwähnt, auch an den
höheren Mädchenschulen ein Hauptfach. Andere Fächer der letzteren Bildunos-
anstalten sind seit ihrer Reform: Moral, japanische Sprache, eine europäische
Sprache, Geschichte, Geographie, Naturkunde, Mathematik. Musik, Zeichnen und
Turnen1). Den Absolventinnen steht die nunmehr verstaatlichte „Frauen-
Universität" in Tokio und Privatinstitute offen. An dieser „Universität"
wird jedoch nur Haushaltungslehre, japanische und englische Literatur doziert
und in die Kunst eingeführt. Die Religion wird, wie gesagt, im Unterrichts-
System des modernen Japan stiefmütterlich behandelt; man begnügt sich mit der
„indifferenten" Moral der herrschenden Shintöreligion, wie Jacobi bemerkt8). —
Einen Aufschwung nach europäisch-amerikanischem Muster nehmen
zunächst die sozialen Verhältnisse seit 187G auch in Korea, dessen Haupt-
stadt übrigens um das Jahr 1000 nach Chr. einer der geistigen Mittelpunkte
Asiens gewesen war, und dessen König CMn-heung bereits im 6. Jahrhundert
nach dir. das erste Geschichtswerk des Landes in 100 Bänden anlegen ließ.
Die Arbeit nahm, nebenbei bemerkt, mehrere Historiker auf ein halbes Jahr-
hundert in Anspruch, wie das Januarheft 1901 der „Korean Review" mitteilt.
Dem späteren Niedergang der Nation folgt jetzt ein frisches Erwachen, das
sich auch im Unterrichtswesen bemerkbar macht. Nach ,1. Hamilton haben
die öffentlichen Schulen der jetzigen Hauptstadt Söul erstaunliche Verbesse-
rungen aufzuweisen. Auch hat die Regierung Fachschulen für fremde Sprachen
unter Leitung ausländischer Lehrer eröffnet. Der Lehrplan umfaßt außer den
Sprachen: Rechnen, Geographie und Geschichte. — Außerhalb der Hauptstadt
scheint es mit der Koreaniseben Jugendbildung freilich mich nicht günstig zu
'i Vgl die Gymnastik im alten Japan, § 300.
") Vgl. die Ansichten des mehrmals zitierten ßuddhapriesters Hhn'i über Ueligii n in
Kap. XI, VIII.
§ 304. Das Kind u. das Schulwesen bei Japanern, Koreanern, Chinesen, Khmer u. Thai. 501
stehen, denn Hamilton bemerkt, daß sich im Erziehimgswesen der Koreaner1)
„eine kleine Hebung unter dem Einfluß missionarischer Tätigkeit" bemerklich
gemacht habe. — Die intellektuelle Bildung der dem Ordensstand gewidmeten
Knaben in den einheimischen buddhistischen Klöstern bezeichnet Hamilton
nur als ein Lernen der verschiedenen Gesänge und Litaneien. Doch sollen die
Knaben einen klugen Eindruck machen. Was die vom AVesten unbeeinflußte,
also einheimische, Bildung der oberen Klassen betrifft, so scheinen Hamiltons
Darlegungen einen Widerspruch zu enthalten. Denn einerseits schreibt er (S. 104),
daß „die beiden Geschlechter der Vornehmen die Literatur und Sprache
der Chinesen notdürftig beherrschen"; andererseits (S. 105), daß „nur eine
verschwindend kleine Zahl der Frauen aus den höheren Ständen chinesisch
zu lesen" vermöge. Homer B. Hulbert habe sogar „konstatiert, daß nur ein
Prozent der Frauen aus den oberen Klassen, die chinesisch lernen, praktische
Kenntnis davon haben". Den Frauen der mittleren und unteren Klassen sei
diese Sprache überhaupt fremd. Hingegen werde das Ön-mun, die gewöhn-
liche Schriftsprache der Koreaner, von den mittleren und höheren Ständen
sehr eifrig studiert2). Die Literatur in dieser Sprache nennt Hamilton sehr
reichhaltig. Sie umfasse Übersetzungen aus den chinesischen und japanischen
Klassikern, Geschichtswerke über das koreanische Mittelalter und die Keuzeit,
Beise- und Jagdbeschreibungen, Gedichte, Briefsteller und zahlreiche Bomane.
Die Kenntnis eines beträchtlichen Teils dieser Literatur gehört zur Bildung
der Frauen der höheren Stände; auch die der mittleren müssen, obgleich nur
in geringerem Maße, mit einem Teil davon vertraut sein. Unumgänglich sei
die Einführung in „die drei Hauptlehreu des Verhaltens", in die „Fünf Bände
über das Wichtigste aus der Literatur" und in „die fünf Lebensregeln", deren
Inhalt die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, Herrschern und Unter-
tanen, Mann und Frau, Alt und Jung, Freund und Feind festlegt und zur
Tugend mahnt. Einzelne vornehme Frauen erhalten ferner musikalischen
Unterricht. Die in Frage kommenden Instrumente sind das unserer Zither
ähnliche Komungo, dessen melancholische Töne für unser Ohr aber disharmonisch
klingen, und das Nageum, eine kleine Geige, mit „entsetzlich schrillem Geheul". -
Ärztinnen können nur Frauen von hoher Geburt werden; wer sich zur Tänzerin
ausbildet, gehört dem niedrigsten Stand an, für dessen Schulbildung — so
hoffen wir — wohl auch ein Teil jener vier Millionen Mark verwendet
werden mag, welche der bekannte Amerikaner Rockefeiler um das Jahr 1909
für protestantische Schulen in Korea, Japan und China spendete8).
Hier, d. h. in China, mag das Schulwesen nach den neuesten politischen
Ereignissen, der Revolution 1912, nun wohl die schon früher in Angriff ge-
nommene, aber bisher mit wenig Erfolg gekrönte, Umgestaltung erleben.
Noch um das Jahr 1900 unterhielt der chinesische Staat keine Volksschulen
(Stenz). Die Eltern hatten selbst für Schule und Lehrer zu sorgen, was nur
Bemittelte leisten konnten. Die Armen lernten deshalb weder lesen noch
schreiben. — Nicht selten, so schrieb im Jahre 1866 J. Doolittle, eröffnen
einige wohlhabende Familien eine gemeinsame Privatschule, indem eine aus
ihnen ein Zimmer zur Verfügung stellt, oder aber indem sie den Tempel ihres
Städtchens oder Dorfes beschla°:nehmen. — In Fuh-tscheu ermöglichte eine
') Gemeint sind nach Hamiltons Urteil über Söul wohl die Schulen außerhalb dieser Stadt.
2I Auch in diesem Punkte läßt uns Hamilton im Unklaren, da er auf der gleichen
Seite schreibt, daß die von einem koreanischen König des 15. Jahrhunderts erfundenen Schrift-
zeichen dieses Ön-mun allmählich der Beachtung der unteren Klassen, der Frauen und
Kinder überlassen worden seien (vgl. übrigens eine ähnliche Erscheinung in Japan), und
auf S. 10K: „Jeder Koreaner kauft gern Bücher in seiner Landessprache, oder entnimmt
sie den Leihbibliotheken."
3) Nach einer Notiz in „Uie Kath. Miss.", 38. Jahrg. 1909 10, S. 61.
502 Kapitel XL VI. Das Kind und das Schulwesen.
Bank längere Zeit die Existenz einiger Freischulen. Manche Familien geben
ihren Söhnen auch einen Hauslehrer.
Nach Dols ist diese Abhängigkeit der Schule, sowohl was den Lehrer, als
auch das Lokal betrifft, bei dem Mangel an hygieuischer Einsicht, schuld an
den traurigen ländlichen Schulverhältnissen der Provinz Kan-su. Die Knaben
müssen bei schlechter Witterung ganze Tage in kleinen, schmutzigen und un-
gesunden Räumen zubringen. — Bei guter Witterung wird der Unterricht im
Freien erteilt. -- Ferdinand Frh. von Richthof en fand in einem Pensionat der
Provinz Scliantung für Knaben aus „besseren Klassen" acht Zöglinge von
« — 14 Jahren in einem mäßig großen Zimmer mit einigen Betten. Jeder
hatte einen Stuhl und einen Tisch; ein zweites Zimmer mit einigen Betten
diente zugleich als Speisesaal; ein Hofraum von 4x5 m vollendete das Eta-
blissement. Die Knaben hatten hier den ganzen Tag zu arbeiten; man habe
ihnen weder Zeit zum Spielen1), noch zu andern körperlichen Bewegungen
gegeben. — In einer andern von Richthofen besuchten Schule schliefen die
Knaben eben und mußten vom Lehrer geweckt werden. — Die Schreibeproben
der Knaben im ersteren Pensionat nannte von Richthofen ..vorzüglich". —
Stern, schildert seine Erfahrungen in Schulen der Provinz Scliantung wie
folgt: Kleine und große Studenten sitzen in einem Zimmer paarweise an einem
Tisch und schreien sich, so laut sie können, in Sopran. Alt und Baß ihr Pensum
in die Schädel hinein. Jeder lernt sein eigenes Kapitel und jeder schreit seine
eigene Melodie. Die Hauptaufgabe besteht im Auswendiglernen der „100
Familiennamen", des ,.10(H>-Buchstabengedichtes,', des ,.3-Zeilengedichtes", der
„4 klassischen und 5 kanonischen Bücher" usw. — Da die Sprache dieser Bücher
sich durch ihre Feiuheit und ihren gelehrten Charakter von der Volkssprache
unterscheidet, versteht der sechsjährige Knirps den Inhalt noch nicht und
lernt rein mechanisch. Erst nach einigen Jahren wird ihm das Gelernte er-
klärt. — Unter den AVeisheitssprüchen, welche das Studentlein von anfang
an zu memorieren hat, sind die zwei folgenden:
.,Jan bu t'jau. tu tschi kuo."
„Tjian bu Jen, sehe tschi t'uo."
was Stern übersetzt mit:
„Ernähren, nicht erziehen, ist des Vaters Schuld."
„Erziehen ohne Anstrengung ist des Lehrers Trägheit." —
Neben dieser Gedächtnisübung hat der Knabe das Schreiben zu lernen.
Anfangs werden die Buchstaben nach Vorlagen durchgepaust, später kommen
freie Schreibübungen. Benutzt wird ein kleine)- spitzer Pinsel. Nur Aus-
nahmen, d. h. Knaben mit Anlagen znm Zeichnen, erreichen eine schöne Schrift.
Nach einigen Jahren hat der Schüler Aufsätze zu machen, d. h. Stellen aus
den auswendig gelernten Klassikern künstlich zusammenzufügen '-'). Da in
diesen, nach bisheriger chinesischer Auffassung, alle Weltweisheit enthalten ist.
braucht der Student nicht viel anderes. Rechnen lernt er mechanisch mit
einer Maschine3), die er so gut zu handhaben weiß, daß er das Resultat fast
ebenso schnell erhält, wie wir durch Zahlen und Kopfrechnen. Was die
Geographie betrifft, so fand Stern noch um das Jahr 1900 in chinesischen
Schulen ..Weltkarten", weiche China als das einzige große Reich der Erde
') Nach Stenz (S 11) spielen die chinesischen Studentlein Schach, oder Dam. oder
nlien ihr Glück m einem andern Spiel, bei dem sie Prüfungen bestehen und hohe Ämter
erlangen, — Vgl. die chinesischen Kinderspiele in Kapitel XL. sowie das im vorliegenden
Paragraphen referierte chinesische Schulliedchen.
*) Dols schreibt aus der Provinz Kan-su, der „schöne Stil", in den der Knabe nach
den ersten Schuljahren eingeführt werde, erstrecke sich auf das Schreiben von Briefen, Bitt-
schriften, Kontrakten, Aufsätzen und Gedichten.
S) Abbildung bei Sien:, In der Heimat des Konfuzius. Steyl 1902, S. 13.
§ 304. Das Kind u. das Schulwesen bei Japanern, Koreanern, Chinesen, Khmer u. Thai. 503
darstellten. Dieses große Reich, „das einzigfeste unter dem Himmel", war teils
mit Meer, teils mit einem Wasserdrachen umgeben. Nur ganz kleine Insel-
clieu, darunter Europa, gab es noch außer China, und auch sie, die im Meer
lagen, waren dem chinesischen Kaiser, dem „Drachensohn" dein „Sohn des
Himmels", tributpflichtig. — Hingegen wurde auf die Kenntnis des eigenen
Landes viel Gewicht gelegt. Selbst Männer aus dem Volk kannten die Lage
und Entfernung der Provinzen und größereu Städte ihres Vaterlandes genau.
Phantastisches leistete man zu Sternes Zeit in den Schulen auf dem Gebiet
der Naturkunde: Da gab es im Süden von China eine Insel „Herzloch-Reich",
wo die Menschen statt des Heizens ein großes Loch hatten, durch welches
man auf Reisen eine Stange schob, so daß man getragen werden konnte. -
Im Südosten von China sollte eine Insel „Kleinmensch-Reich" liegen, wo die
Menschen nur 9 Zoll groß wurden. Es gab ein neunköpfiges Tier, einen Löwen
mit Menschenkopf, schnabellose Hühner, 360 „haartragende" und 360 „feder-
tragende" Würmer. Zu diesen gehören die Vögel. Unter den haartragenden
„Würmern" befindet sich ein Tier, das den Körper eines Hirsches, den Schweif
Fig. 410. Ein chinesischer Schüler sagt seine Aufgabe her. Ans J. DuoliilUs „Social Life of the Chinese",
London 186G.
eines Ochsen, den Kopf eines Wolfes, die Hufe einer Kuh hat, auf der Nase
ein Geweih trägt, von Natur sanft ist, dessen Stimme wie Glocken klingt usw.
An wirklichen Tieren kennt der Chinese nur seine Haustiere und die in seiner
Heimat wild lebenden. Seine Pflanzenkunde beschränkt sich auf jene
Kräuter, die er ißt, auf einige Heilkräuter und einige sehr beliebte Zwerg-
blumen, darunter Rosen, Astern und Lilien. - In der praktischen Sternkunde
hingegen soll das chinesische gewöhnliche Volk besser daheim sein, als das
deutsche. Es kennt verhältnismäßig viele Sternbilder und richtet sich in
seiner Zeit und Ortsbestimmung danach. In astronomischen Werken aber
fand Stenz Behauptungen, welche sich mit jenen aus der Menschen- und Tier-
kunde messen können. — Ähnlich sehe es mit den übrigen Fachwissen-
schaften aus. Nach dem Grundsatz: „Ein Mann, der Bücher gelesen hat,
muß zu allem fähig sein", konnte noch um das Jahr 1900 jeder, der in der
Kreisstadt das Doktordiplom für allgemeines Wissen erhalten hatte, Arzt, oder
Richter, oder Offizier, oder Advokat sein.
Die Aufgabe des Lehrers besteht darin, daß er den jüngeren Schülern
Aufgaben gibt und das Gelernte dann abhört; die Lektionen der älteren Schüler
kommentiert er auch, während sie ihm aufgesagt werden. Das geschieht, in-
dem der Schüler dem Lehrer den Rücken bietet, wie Figur 410 zeigt. —
504
Kapitel XLVI. Das Kind und das Schulwesen.
Trotz überreicher Züchtigung (s. § 294) haben die Schüler ihre Lehrer wie
ihren zweiten Vater zu ehren, und diese Verpflichtung dauert lebenslänglich,
auch wenn der Schüler zu hohen Amtern und Ehren emporkommt, und sein
Lehrer noch immer in einer Dorfschule die ersten Anfangsgründe lehrt {Stern).
Nach Ploß1) ist in China Unterricht in der Musik verboten, weil
Konfuzius lehrte, sie führe zur „Unregelmäßigkeit der Sitten". Gesang ist
erlaubt. Wenigstens brachte im Jahre 1908 die „Nuova Antologia"2) das
folgende chinesische Schulliedchen. welches einer kurz vorher erschienenen
Sammlang von Schulliedern aus Schanghai entlehnt wurde. Das Liedchen
drückt die Freude der im Garten Hand in Hand wandelnden Kinder über die
dortigen Blumen aus, welche freilich nicht gepflückt werden dürfen. Sie seien,
so trösten sich die kleinen Sänger, ja auf ihren Zweigen noch schöner als in
ihren Händen, und sie könnten sie auch so betrachten. Noch gebe es Blumen-
duft im Windeshauch, noch werden Schmetter-
linge und Bienen von Blumen angelockt, und noch
wachsen und reifen schöne Früchte. Das Liedchen
lautet in italienischer Übersetzung:
..tiuoni amiei,
Buoni amici.
Noi ci teniamo per mano
E lungo il giardiuo andiamo passo passo.
Dei bei fiori iurantano i nostri cuori:
Questi fiori ehe ci incantano, non possiamo
coglierli a nost.ro piacere.
Noi li lascianiO in cima ai rami sui quali
noi li contempliamo.
Cosi vi sono piu belli che nelle nostre inani." —
Dieser Schlußreim wiederholt sich dreimal mit
je einem der folgenden drei Zeilenpaare:
..Vi e ancora il profumo de' fiori
Che si disperde al sof'fio del vento". —
..Vi sono ancora farfalle ed api
Che sono attratte ha i fiori." —
Fig. 4ii. Chinesischer Schüler.
Ans ./. DoolUtle, 0. c.
..Vi sono ancora de' bei frutti
Che :i poco a poco crescono e maturano.'' —
Für die intellektuelle Bildung seiner Töchter hat der Chinese bisher
sehr wenig getan3). Stern entdeckte während seines siebenjährigen Aufent-
haltes in Schantung keine einzige chinesische Mädchenschule. J. Dooliltl>-
schrieb im Jahre 1866. daß in Fu-theu und Umgebung einzelne Eltern ihre
Töchterchen in eine Schule schickten, oder sie daheim unterrichteten4). Ge-
taufte Chinesen schicken ihre Töchterlein schon im Alter von 5 — 6 Jahren
in die Missionsschulen, wo sie die gleichalterigen Knaben in den Prüfungen
niiis! überflügeln. - Wie das Negermädchen, so hat auch das Chinesenmädchen
in der Schule vielfach ein kleines Geschwister zu überwachen, das ihm von zu
Hause mitgegeben wird (Stenz).
Heinerkenswert erscheint mir endlich noch die Beurteilung fremden
Einflusses auf das höhere Schulwesen in China von drei Seiten aus:
') 2. Aufl. II, 363.
*) Anno 43, p. 669.
') Um so mehr überrascht der im Jahre 1912 gestellte Antrag auf Frauenstimmrecht
in der chinesischen Republik. —
') .1. Yulpert sah im Jahre 1907 im Kreise Ssüschui zwei kaum 11jährige Schau-
spielerinnen, von denen das eine eine Heldenrolle spielte. Näheres hierüber im Anthrop. V,
370f. und 378.
§ 304. Das Kiud u. das Schulwesen bei Japanern, Koreanern, Chinesen, Khmer u. Thai'. 505-
Im Jahre 1908 bis 1909 schrieb ein Missionär in den „Katholischen
Missionen": Die durch europäischen Einfluß hervorgerufenen Schulreformen
waren überstürzt und konnten deshalb nicht zu erfreulichen Ergebnissen
führen. Europäische Lehrgegenstände treten zu sehr in den Vordergrund,
und die chinesische Sprache und Literatur werden vernachlässigt, was um-
sichtige Männer einsehen. Diese treten mit aller Entschiedenheit wieder für
die nationale Literatur ein.
In „Le Tour du Monde" war im Jahre 19101) zu lesen:
In China hat der höhere Unterricht trotz der numerischen Zunahme an
höheren Schulen seit dem russisch-japanischen Krieg keine großen Fortschritte
gemacht. Die damals herbeigerufenen europäischen und japanischen Professoren
wurden sehr bald wieder durch einheimische ersetzt, die von einer Wissenschaft
in unserem Sinn keine Ahnung haben. Man will Chirurgie vor der Anatomie,
Trigonometrie vor der Arithmetik studieren, verlangt von einem Juristen auch
Fio
412. Zwei Khemer-Prinzen in einem Bonzenkloster in Kambodscha, Hinterindien. Aus An-
thropos I, 98. Nach Gueadon.
Vorlesung über Physik u. a. m. — Die Studentenschaft ist undiszipliniert
und anmaßend, wechselt Schule und Fach nach Belieben, verweigert aus-
ländischen Lehrern das Examen, beschuldigt sie bei den unwissenden Manda-
rinen der Ungerechtigkeit und weiß in ihrer Selbstüberschätzung alles selbst
am besten2).
Bezeichnend ist schließlich, daß die in King-yang nach „europäischem"3)
Muster errichtete „Universität" in Sektion I etwa vierzig Kindern Elementar-
unterricht erteilen läßt, während Sektion II für die höhere Ausbildung von
15— 20 jährigen, fast durchwegs schon verheirateten, Studenten bestimmt ist,
wie J. Dols schreibt. —
In Kambodscha, wo die Nachkommen der alten Brahmanen, die Bakou,
und die Buddhapriester, zwei der fünf Volksklassen ausmachen, sind die Bonzen-
klöster die Mittelpunkte der Schulbildung. Die Gelehrten und Schriftsteller
') Nouv. Serie, 16. annee, p. 372.
*) Vgl. die Charakterbildung der chinesischen Jugend in § 294.
3) Wohl nach dem Muster gewisser amerikanischer Colleges.
goß Kapitel XLVI. Das Kind und das Schulwesen.
sind fast ausschließlich Bonzen, deren wissenschaftliche Leistungen, der be-
deutendste Kenner der Khnier- oder Kambodscha-Literatur, Abbe Quesdon,
im Jahre 1906 mit den Worten kennzeichnete: „Man könnte sagen, daß der
Buddhismus in Kambodscha die Literatur getötet (der Brahmanismus aber
architektonische Meisterwerke geschaffen) hat." — Wer Bonze weiden soll,
kommt bereits im Knabenalter in ein Kloster, wo hauptsächlich Pali-Texte
studiert werden. — Gnesdons Bemerkung, daß diese Studien der direkteste
Weg zu einem Mandarinat seien, läßt vermuten, daß nicht alle Studenten
Bonzen werden, sondern daß das Bonzenkloster Studienanstalt auch für weitere
Kreise sei. Unter den von ihm veröffentlichten Khmer-Texten1) befinden sich
mehrere, welche der Herausgeber als „manuel d'education" bezeichnete. Die
Pädagogik scheint also in der Böhmer-Literatur eine bedeutende Rolle zu spielen.
Diese umfaßt nach Guesdon zwei Gebiete: Lehre und Unterhaltung (les ouvrages
de doctrine et les ouvrages d'agrement). Zum ersteren gehören „die drei heiligen
Bücher", d. u. der Kodex der Bonzen, Metaphysik und Gebete; dann „die drei
heiligen Orte", d. h. Erde, Himmel und Hölle; ferner die drei Bücher der
Vedas und schließlich die als „Anisang" (Gnade?)'2) betitelten Bücher, deren
Inhalt sich aus Schlüssen zusammensetzt, welche aus heiligen Lehren (satras)
gezogen werden. Auch die pädagogischen Abhandlungen ist Guesdon geneigt,
dieser Abteilung zuzuschreiben. — Die Unterhaltungsliteratur ist selbst
wieder teils religiöser, teils profaner Art. zum großen Teil für theatralische
Darstellungen, und deshalb für das Studium der Tänzerinnen bestimmt, da
diese fast ausschließlich es sind, welche auf der Bühne erscheinen. — Theatralische
Vorstellungen werden täglich gegeben. -- Fabeln und Erzählungen in Prosa
sind in der Khmer-Literatur schwach vertreten; die letzteren sollen zudem
größtenteils einen schlechten Geschmack vertreten, und unter den Abhand-
lungen über Magie, Medizin usw. befinden sich direkte Unterweisungen im
Laster. —
Guesdon hat zur Drucklegung der Khmer-Texte bewegliche Typen er-
funden. Vor ihm wurde alles geschrieben, und zwar seit Einführung unseres
Schreibmaterials mit europäischen Federn und Tinte auf Papier; vor dieser
Zeit mit einer Art Füllfeder, die aus einem mit chinesischer Tinte gefüllten
Metallröhrchen bestand, und in noch früherer Zeit gravierte man mit Sticheln
in die Blätter der Fächerpalme. Zehn- und zwölfbändige Gedichte sind auf
diese Weise hergestellt worden, von denen jeder Band allerdings nur 25 — 30
Blätter, auf beiden Seiten graviert, enthält. Im Durchschnitt brachte man
täglich 8 Seiten zustande. Der vom Stichel vorgezeichneten Schrift wurde
niii Tinte nachgeholfen. - Mitteilungen über aligemeine Bildung liegen mir
nicht vor.
Auch bei den halbzivilisierten Thai oder Siamesen sind es vor allem
die Söhne der Vornehmeren, welche Lesen und Schreiben lernen. Lehrer ist
der Nächstbeste, der selbst Lesen und Schreiben kann. Als Unterricbtslokal
dient jede Feuerstätte, um welche sich die Schüler nach dem Abendessen
versammeln. Als einzige Produkte der Thai-Literatur nennt B'ourUt fabel-
hafte Romane. Um diese und die Verordnungen der Häuptlinge lesen zu
können, leinen die Knaben und Jünglinge. Die ärmere Bevölkerung kümmert
sich wenig darum, ob ihre Söhne lesen und schreiben lernen. Das helfe ihnen
ja weder beim Roden, noch beim Reisbau, noch in der Handhabung der Armbrust.
Ebensowenig Schulunterrichl läßt man den Mädchen zukommen. Das
einzige, was man ihnen in dieser Hinsicht beibringt, sind Lieder mit haupt-
') Siehe deren Titel im „Antliropos" 1. 91 f.
-\i „gräce".
§ 305. Das Kind und das Schulwesen bei Ural-Altaien.
507
sächlich erotischem Inhalt, welche sie später bei festlichen Gelegenheiten mit
den Jünglingen um die Wette zu singen haben. —
§ 303. Das Kind und das Schulwesen bei Ural-Altaien.
Nirgends in der Welt dürften Priester- und Ordensstand einen so großer.
Teil des männlichen Geschlechts absorbieren wie in der Mongolei und in
Tibet. Hier bestimmten um die Mitte des 19. Jahrhunderts die meisten
Familien ihre Söhne, nur den Erstgebornen ausgenommen, für den Lamastand,
so daß dieser ein Drittel der
ganzen Bevölkerung aus-
machte. Ferner holten sich
auch die Weltleute männlichen
Geschlechts ihre Schulbildung
meist aus den Lamaklöstern.
Wer etwas lernen wollte, ging
in der Regel in ein Kloster:
&&*
**&*
nur ein Teil der Reichen
hielten für ihre Kinder Haus-
lehrer. Die durchschnittliche
Schulbildung stand aber
keineswegs hoch, sondern man
begnügte sich, wenn die Kna-
ben lesen und schreiben lernten.
Die Mädchen brauchten auch
das nicht zu können (Huc uud
Gäbet).
Eine Jugendschule für
beide Geschlechter in
Samarkand, Turkestan,
sehen wir auf Abb. 414. Auf
sie dürfte passen, was Forsyth ')
über die Schule in Jarkent
bemerkte, welche er auf seiner
Gesandtschaftsreise nach Tur-
kestan besuchte, und was
E. Schlag intweit im „Globus"
1 8 7 7 -) über ost-turkestanische
Schulen überhaupt schrieb. Die
von Forsyth besichtigte Schule
war ein kleines Lehmhaus.
Im Innern standen in einem 20 Fuß langen Raum zwei Reihen Bänke (wohl
treppenförmig) übereinander, den Mauern entlang. Auf diesen Bänken hockten
zirka 20 Kinder und lernten eine Stelle aus dem Koran auswendig. Alle
repetierten ihre Lektion gleichzeitig, was einen ziemlichen Lärm verursacht
habe. — Nach Schlagintweit schicken die Ost-Turkestaner ihre Kinder im
Alter von 8 — 10 Jahren in die Schule, ein niedriges, schlecht gelüftetes Erd-
geschoß in einer belebten Straße, wo die Knaben auf der einen, die Mädchen
auf der anderen Seite, auf treppenförmig sich, erhebenden Tritten, kauern.
Man lehrt den Kindern lesen und schreiben; den größten Teil der Zeit nimmt
das Einüben der Gebete in Anspruch. Der Lärm dabei ist unglaublich groß.
Die Schulen sind Privatunternehmungen, doch üben Geistliche und Beamte auf
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Fig. 413.
Ein Thai-Knabe. Nach A. Bourlets „Les Thay" im
„Anthropos" II, 369.
1) Bei Ploß IT, 359.
2) Bd. 17, S. Ü65. Bei Ploß, ebenda.
508
Kapitel XL VI. Das Kind und das SeLuhvesen.
die Eltern einen Druck aus, damit jeder lesen und schreiben lerne. Höhere
Lehranstalten, Medresen1), finden sich mehrere in jeder größeren Stadt;
auch hier wird das Hauptgewicht auf die Religion gelegt. —
Als Lehrgegenstände der Medresen in Kaschgar führte Papier im Jahre
1877 Medizin, Jurisprudenz. Theologie, Geschichte und Poesie an, was zunächst
den Anschein erweckt, als hätte man es mit einer Universität zu tun. Aber
Papier2) fügte hinzu, daß die dortigen Studenten im Lebensalter von 14 bis
16 stehen, weshalb man kaum annehmen kann, daß sie bei ihrem Abgang
„einen Fonds mannigfacher und solider Kenntnisse" nach unsern Begriffen
besitzen.
Die Vorbereitung zu dieser höheren Schule findet das Kind in der
Elementarschule (mekhtebe), wohin es mit 8 Jahren kommt. Formeller Schul-
Fig. 414. Eine „Jugendsohnle* in Samarkand, Tnrkestan.
M ü liehen.
Schwärt phot. K. Ethnograph. Museum in
zwang bestehe nicht, doch werde auch hier die Bevölkerung aller Klassen
von der öffentlichen Meinung gedrängt, ihre Kinder in die Elementarschule
zu schicken.
Außerhalb der großen Städte wird es mit dem Schulunterricht wohl
weniger gut stehen; denn JaworsM schreibt: Bei den Turkmenen ist die
Kenntnis des Lesens und Schreibens wenig verbreitet; Schulen bestehen eist
in wenigen turkmenischen Orten. Gemeinsame Schulen für die russische
und turkmenische Jugend hat die russische Regierung in der -2. Hälfte
des 19. Jahrhunderts eröffnet.
Nicht viel besser als bei den asiatischen Turkmenen stand es mit der
Schulbildung der europäischen Türken noch um das Jahr 1877. Die Er-
ziehung der Kinder im Harem, bzw. deren Charakterbildung habe ich in
'' V.ns dem Hebräischen „Midräsch".
*) Bei Ploß, ebenda.
§ 305. Das Kind und das Schulwesen bei Ural-Altaien. 509
Kapitel XLIV gestreift; die Schulbildung- skizzierte Ploß*) nach „einem Osmanen"
wie folgt:
„In den Elementarschulen lernen die türkischen Knaben etwas lesen
und schreiben, außerdem den Koran und die nötigen Gebetsformeln, jedoch nur
mechanisch, ohne den Sinn der arabischen Worte zu kennen; höchstens kommt
dazu noch etwas Rechnen, jedoch nicht weiter als bis zur Kenntnis der vier
Spezies, die sich indes bald mit den übrigen notdürftigen Kenntnissen wieder
verliert. In den Rüschdie-Schulen, d. h. höheren Bürgerschulen, die erst
unter Sultan Abdul Medschid gestiftet wurden, wird noch etwas Geographie
und Geschichte gelehrt, aber das Niveau dieser Schulen reicht noch nicht
einmal an dasjenige unserer Dorfschulen. Für die moralische Erziehung des
Kindes geschieht sehr wenig, für die physische gar nichts. Reichere Türken,
von der Unzulänglichkeit dieser Schulen überzeugt, halten ihren Kindern Haus-
lehrer, meist irgend einen Chodscha aus irgend einer Medrese, der seine
Zöglinge mit Ach und Krach nach 5 — 6 Jahren dahin bringt, daß sie leidlich
lesen und schreiben können, auch etwas arabisch und persisch verstehen, im
übrigen aber sie in ihrem Rassenhochmut nur noch weiter bestärkt; es kommt
auch zuweilen vor, daß der Chodscha sich widersetzt, wenn der Vater für den
Unterricht seiner Kinder in fremden Sprachen, Geschichte, Mathematik, Zeichnen,
Musik und ähnlichen Lehrgegenständen noch europäische Lehrer engagieren
will." -
Artikel 114 der im Jahre 1877 verkündeten Konstitution setzte Schul-
zwang fest, doch scheint dieser zunächst nur auf dem Papier bestanden zu
haben. — Die Jung-Türken dürften damit Ernst machen.
Über den Schulunterricht beiden muselmanischen Tataren und Basch-
kiren im russischen Gouvernement Perm berichtet Peter von Stenin: Im
Jahre 1898 kam auf je 1000 Seelen eine Schule, und von den schulpflichtigen
Knaben genossen 79, von den Mädchen 51 Prozent den Unterricht, während
unter den Russen eine Schule nur auf je 4398 Seelen kam, und von den
schulpflichtigen Knaben nur 36, von den Mädchen nur 9 Prozent unterrichtet
wurden. Die moslemische Geistlichkeit nimmt sich mit großem Eifer des
Unterrichtes an. Die Schulen sondern sich in Elementar- und Mittelschulen
ab. Jene (mekhtebe, auf baschkirisch „muchtobi" genannt) besuchen die Kinder
5 — H Jahre, worauf sie in die Mittelschulen (medresen, auf baschkirisch „mitrosi")
aufrücken, welche gute Kenntnisse im Lesen, Schreiben und in der Religion,
sowie einige Kenntnisse im Arabischen und Persischen bezwecken. Mädchen
werden unter acht Jahren in keiner Schule aufgenommen, während Knaben
schon mit sechs Jahren kommen können. — Die tägliche Unterrichtszeit
schwankt zwischen 3 und 8 Stunden. Ausschließung aus der Schule kommt
nicht vor, da man von einer solchen Maßregelung nur Schlimmes erwartet.
..Wenn wir einen Schüler aus der Schule entfernen, haben wir ihm nicht
genügend beigebracht, und mit ihm wird es noch schlimmer gehen," habe ein
Moliah gesagt.
In Astrachan gibt es für Tataren, Kalmücken und Armenier
eigene Schulen. Hier hat nach Alfred Christoph die russische Regierung
für das Unterrichtswesen in anerkennenswertester Weise gesorgt, indem sie
Elementarschulen mit russischer Unterrichtssprache, sowie Gymnasien, eine
Realschule, eine Seemannsschule und ein theologisches Seminar, gleichfalls mit
russischer Unterrichtssprache, unterhält.
Im südlichen Sibirien fand Finsch in der früheren russischen Grenz-
feste Ust-Kamenogorsk, Alatai, eine Schule mit 20 lerneifrigen Kirgisen-
Knaben. — In der Regel freilich beschränkt sich der Unterricht der Kirgisen-
') Ebenda, 355 f.
510 Kapitel XL VI. Das Kind und das Schulwesen.
Kinder auf die Einführung: in Körperliche Arbeiten in- und außerhalb der
Jurte {Brehm). Die genannte Schule bezog Finsch auf russischen Einfluß
zurück, dem auch die Landwirtschaftsschulen für Kirgisen in den Kreisstädten
zu verdanken sind. Mollahs, d. h. muselmanische Geistliche, die sich mit dem
Unterricht der Knaben beschäftigen, gibt es nur in wenigen Amtsbezirken.
Organisierte Schulen fehlen den Kirgisen der Steppe ganz. — Zum Besuch
der obigen Landwirtsehaftsschulen wählt man Knaben aus, deren Eltern merk-
würdigerweise von der Gemeinde entschädigt werden.
Eine vortreffliche Wirkung soll die Errichtung von Schulen seitens der
russischen Regierung bei den Tscheremissen gehabt haben. Im „Globus",
Hand ")2 (S. 47), heißt es: Seit 1878 bestehen junge Tscheremissen Prüfungen,
um bei Leistung ihrer Wehrpflicht gewisse Vorteile zu erzielen. In neuerer
Zeit bauen die Tscheremissen Schulen auch auf eigene Kosten. Im Dorfe
Xishne Potam ist jetzt kein Knabe mehr, der nicht die Schule besucht.
Schulen eröffnete die russische Regierung ferner den transbaikalischen
Burjäten, deren Kinder sich hier durch Intelligenz, Aufmerksamkeit und
Wißbegierde auszeichnen (M. A. Krols).
Das klassische Progymnasium in Irkutsk wird nicht nur von russischen
Schülern, sondern auch von Jakuten-Knaben besucht, und zwar zu dem Zwecke
weiterer Ausbildung im Irkutsker Gymnasium (Friedrich Müller).
Hingegen lernte De Dobbeler unter den Samojeden nur zwei kennen,
die russisch lesen und schreiben konnten. Leute mit Schulbildung waren
Ende des 19. Jahrhunderts noch seltene Ausnahmen.
BemerKenswert ist die Erbitterung, welche Castren bei den OstjaKen
im oberen LumpokolsK, einem Dorf am Ob, gegen den von den Russen ein-
geführten Schulunterricht fand. Die Leute begründeten ihre Erbitterung, unter
anderem, mit der Befürchtung, ein buch- und schreibKundiger Mann bleibe
nicht bei der Lebensweise seiner Väter; folglich entreiße die Schule den Eltern
die Stütze des Alters. Auch lehre die Erfahrung, daß russisch erzogene
K nahen Feinde ihres eigenen Volkes und nicht selten liederlich werden. —
Der Ostjake Jorl-n Mamrun äußerte sich Finsch gegenüber, er diene ohne
Lesen und Schreiben treu dem großen Kaiser, und er wolle seine Kinder
ebenso erziehen. —
S 306. Das Kind und das Schulwesen bei Indianern.
Bekanntlich fanden die Spanier bei den Maya- und Nahua-Völkern von
Zentralamerika ein verhältnismäßig hoch entwickeltes Unterrichtswesen vor.
Die Mexikaner (Nahua) hatten Volks- und Adelsschulen (teipochcalli und
calmecac). In jedem Stadtviertel von Mexiko war nach Bancrofl ein
teipochcalli, also eine Volksschule, wohin die Eltern ihre Kinder bereits mit
4—5 Jahren zu schicken hatten. Der „telpochtlato" (Meister der Jagend)
lehrte sie da das Heiligtum kehren, das hl. Feuer unterhalten, das Schulhaus
reinigen, je nach ihrem Alter mehr oder weniger strenge Buße tun und aus
dem Walde Holz für den Tempel holen.
Die Kimler schliefen auch im teipochcalli, nahmen aber ihre Mahlzeiten
zu Hause bei den Eltern ein. Mit anbrechender Nacht versammelten sie sich
im cuicacalco oder ..Haus des Gesanges", wo sie in Tanz und Gesang, sowie
im Gebrauch der Waffen unterrichtet wurden. Allerdings soll dieses
„Haus des Gesanges" zugleich dei Schauplatz von Ausschweifungen gewesen
-'■in. —
.Mit 15 oder lt> Jahren wurden die Knaben dem teipochcalli entnommen
und in einem Handwerk, oder überhaupt für ihren späteren Beruf, unterrichtet.
§ 306. Das Kind und das Schulwesen bei Indianern. 511
Eine intellektuelle Bildung im engeren Sinn ist aus den hier
genannten Unterrichtsfächern freilich nicht herauszufinden. Diese scheint für
die Söhne des Adels, bzw. für die Priesterkandidaten vorbehalten gewesen zu
sein; denn Bancroft schreibt:
Die Söhne des Adels und jene Knaben, welche zum Priesterstand bestimmt
waren, standen im „calmecac" unter priesterlicher Aufsicht und wurden in
all den Fächern der Volksschulen unterwiesen, wenn sie auch weniger
körperliche Arbeit zu leisten hatten. Zu jenem Unterricht gesellte sich
bei ihnen Geschichte, Philosophie, Rechtswissenschaft. Astronomie,
Astrologie und Religion. Auch mußten sie Heldengesänge und heilige
Hymnen auswendig lernen und die Hieroglyphen lesen und schreiben
lernen. — Man ermahnte sie zur Keuschheit1) und zu andern Tugenden. —
Ausgänge waren nur in Begleitung eines Vorgesetzten gestattet; die Speisen,
welche ihnen ihre Eltern brachten, mußten sie im Seminar einnehmen, das sie
endgültig erst verlassen durften, wenn sie sich mit der Erlaubnis ihrer Väter
verheirateten, oder in den Krieg zogen. Wer militärisches Talent zeigte,
wurde in der Gymnastik und im Gebrauch der Waffen unterrichtet. Mut,
Kraft und Ausdauer wurden harten Proben unterstellt, und früh schon führte
man die Knaben in die Strapazen des Lagerlebens ein. Sie hatten den
Soldaten Proviant zu bringen, wobei sie scharf beobachtet wurden, ob sie
auch Mut entfalteten. War das der Fall, so folgte entsprechende Beförderung
und Belohnung'1).
In Tezcuco war zur Zeit des Königs Nezahualcoyotl an der Westseite
des Tempels das tlacoteo. ein Seminar für die Kinder des Königs, dessen
Räume nach den Geschlechtern abgeteilt waren. Die Söhne wurden in allen
damals bekannten Wissenschaften 3) und Künsten, das Bearbeiten kostbarer
Steine nicht ausgenommen, sowie im Gebrauch der Waffen unterrichtet, und
auch die Töchter erhielten eine ihrem Stande entsprechende Erziehung.
In diesem tlacoteo versammelte der König alle achtzig Tage seine Ver-
wandten und Kinder mit deren Lehrern und Aufsehern, um unparteiisch Lob
und Tadel auszuteilen. Die bei solchen Gelegenheiten gehaltenen Reden sollen
regelmäßig Muster von Beredtsamkeit und auch inhaltlich derart gewesen sein,
daß sie die Zuhörer zu Tränen gerührt hätten.
Ähnliche Seminarien bestanden nach Bancroft für die Töchter auch des
Adels, bzw. der vornehmen Kreise. Er beschreibt sie als große, mit den
Tempeln verbundene Gebäude, in denen Matronen und Priesterinnen, welche
selbst im Tempel erzogen worden waren, sorgfältig ihres erzieherischen Amtes
walteten. Um jedem Verkehr mit dem andern Geschlechte zuvorzukommen,
wurde das Seminar außerhalb Tag und Nacht von Greisen bewacht. Innerhalb
durften die Mädchen nicht einmal ihre Gemächer ohne Begleitung verlassen,
und ein Verstoß gegen diese Vorschrift wurde damit bestraft, daß man ihnen
die Füße mit Dornen blutig stach. Gingen sie aus, so konnte das nur gemein-
sam und in Begleitung von Matronen geschehen. Auf dem Wege durften sie
ihre Augen nicht aufschlagen und niemandem eine Aufmerksamkeit schenken,
wenn sie sich nicht strenge Strafen zuziehen wollten. Sie standen bei Tages-
anbruch auf und schliefen nachts in großen Zimmern, von Matronen strenge
überwacht. Waren sie bei ihren Arbeiten lässig, oder in ihrem Benehmen
roh, so folgte abermals Strafe. Man leitete sie zu ehrfurchtsvollem und be-
scheidenem Betragen und Reden, hauptsächlich gegenüber älteren Leuten, an
und erzog sie zur Reinlichkeit, indem man ihnen häufige Bäder verordnete.
J) Vgl. das „Haus des Gesanges", S. 510, sowie „Kind und Keuschheit" in Kap. XLVII.
2) Vgl. „Charakterbildung" in § 295, sowie Gymnastik usw. in § 300.
3) Diese deckten sich wohl mit den schon aufgezählten Lehrgegenständen des übrigen Adels,
g]^ Kapitel XLVI. Das Kind und das Schulwesen.
Was ihre sonstige Beschäftigung betrifft, so mußten sie die von ihnen benutzte
Umgebung des Tempels sauber halten und nach dem hl. Feuer sehen, spinnen,
Mäntel weben und Federarbeiten machen, welche bekanntlich von hoher kunst-
gewerblicher Bedeutung waren. Endlich führte man sie theoretisch und
praktisch in ihre Religion ein. Zu letzterem gehörte das Blutentziehen '). -
Die Mädchen verließen das Seminar endgültig zum Zweck ihrer Verheiratung.
Die Jugendbildung der Maya- Völker trug einen ähnlichen Charakter
wie bei den Nahua. In Yukatan allerdings kam Schulbildung nur den Kindern
des Adels zu; die Kinder des gewöhnlichen Volkes wurden von den eigenen
Eltern zu einem Beruf herangebildet.
Als Lehrgegenstände in den Adelsschulen zählte Bancroft auf: Einführung
in die Geheimnisse und Riten der Religion, Bilderschrift, Musik, Dichtkunst,
Astrologie, Astronomie, Medizin, Geschichte, Moral, Rechts- und Kriegswissen-
schaft, sowie in die Kunst zu prophezeien und wahrzusagen, d. h. in alle, den
Maya- Völkern bekannte Wissensgebiete'2). —
In Guatemala, wie überhaupt bei den übrigen Maya-Völkern, scheinen
-die Kinder auch des gewöhnlichen Volkes von den Priestern erzogen worden
zu sein, denen sie dafür gewisse Dienste leisteten. Nach Bancroft waren in
jeder Hauptstadt Schulen, von denen die hervorragendste über ein Lehrer-
kollegium von 70 Köpfen verfügte und 5000—6000 Zöglinge hatte, welche
auf Kosten des Königs unterhalten und erzogen wurden.
Den Mädchen gab man, wie in Mexiko, eine strenge klösterliche Er-
ziehung, die mit acht Jahren begann und mit der Verheiratung abschloß
■{Bancroft).
Hochachtung vor dem Alter, Ehrfurcht vor den Eltern und den Göttern
gehörte zum Erziehungsideal bei hoch und nieder. Im Waffen- und Kriegs-
spiele übte sich die Maya-Jugend so gut wie die Jugend der Nahua. -
Nach der Einnahme Mexikos durch die Spanier verordnete Cortcz unter
Androhung strenger Strafen, daß die Vornehmen des Landes ihre Söhne in
die spanischen Ordensschulen zu schicken hätten, wozu die Vornehmen aber
keine Lust hatten; doch wagten sie keinen offenen Widerstand, sondern griffen
zu der List, statt ihrer eigenen Söhne, die Söhne ihrer Vasallen oder Diener
zu schicken. Das rächte sich; denn diese mit den erforderlichen Schnl-
kenntnissen ausgestattete Jugend rückte später in hervorragende Staatsämter ein.
wodurch das bisherige Ansehen der Vornehmen verdunkelt wurde (Torquemada).
Was die Jugendbildung bei den Inka-Peruanern betrifft, so schrieb
Floß8): Die Erziehung war dem Vater überlassen, in dessen Gewalt und
Dienstbarkeit die Kinder nach Garcilasso bis zum 25. Lebensjahr standen;
') Vgl. die Blutentziehungen in Kap. XLVIII. — Es möge hier auch angeführt
werden, was Floß über die altmexikanische Erziehung und Schulbildung in der 2. Auflage,
II, 346 schrieb: „Das Kind blieb bis zum 6. oder 7. Jahre im Hause der Mutter; dann erhielt
«s einen oder mehrere, mit Sorgfalt gewählte, Gesellschafter; im 10. Jahre übergab man es den
Priestern zur Erziehung im Tempel. Dies geschah nach Gomara schon im 5., nach Corte« im
7.-8., nach anderen im 15. Lebensjahre. Toriiuetiuutn gibt an, daß vom 6.-9. Jahre alle Kinder
zum Unterrichf in den Tempel geschickt wurden. Die Zöglinge dieser Schulen wurden äußerst
streng gehalten, durften den Tempel nicht verlassen, mußten fasten, beten, sich an harte Arbeit
ge* öhnen, überhaupt asketisch leben. Der Unterricht in diesen Tempelschulen umfaßte geistliche
und weltliche Gegenstände. Auch die Mädchen erhielten eine ähnliche klösterliche Erziehung
im Tempel und mußten dazu schon am 40. Tage nach der Geburt dem Priester angemeldet werden.
Sie mußten im Tempel ein streng religiiises Leben führen und wurden erst mit ihrer Ver-
heiratung entlassen. Außer jenen Klosterschulen gab es Militärschulen, in welchen die künf-
tigen Krieger herangebildet 'wurden, so daß der junge Mann von Stande bei den Alt-Mexi-
kanern, wie Waitz sagt, eine gelehrte oder eine militärische Krziehung erhielt." —
i Vgl. die Inka-Peruaner.
') II. 845.
§ 306. Das Kind und das Schulwesen bei Indianern. 513
doch war er für sie verantwortlich. Für ihre Abhärtung gegen Kälte und
Ermüdung wurde Sorge getragen. Im 16. Lebensjahre wurden die Jünglinge
der Adelsgeschlechter auf ihre körperliche Geschicklichkeit geprüft. Die
Kinder der Vornehmen erhielten in den vom Inka gestifteten öffentlichen
Schulen Unterricht in der Geschichte. Religion und im Rechtswesen, den
einige Mitglieder der Inka-Familie als Lehrer selbst erteilten.
Diese Andeutung bei Ploß läßt sich ergänzen durch den Überblick,
welchen Frau; Sundstral über den Stand der Wissenschaft der Inka-Peruaner
gibt:
Die Gelehrten (Amautas) und Dichter (Aravecus) bildeten die geistige
Elite des Landes. Jene beschäftigten sich mit Astronomie, Geometrie, Arith-
metik, Medizin und Schauspieldichtung; die Dichter mit der gesamten übrigen
Poesie. Eine Schrift besaßen die Inka-Peruaner nicht1)-
Welche Grade von diesen Wissenszweigen bereits in der Jugendzeit
erklommen wurden, ist wohl kaum festzustellen. Sehr hoch stiegen die
Gelehrten selbst nicht: Die astronomischen Kenntnisse beschränkten sich auf
eine mangelhafte Kenntnis der mit dem bloßen Auge wahrnehmbaren Himmels-
körper. Schon ihr Entsetzen bei jeder Sonnenfinsternis und ihre Auffassung
der letzteren überhaupt beweisen eine niedere Stufe ihrer astronomischen
Kenntnisse. Das gleiche gilt für die Kometen. Immerhin hatte die Haupt-
stadt Cuzco sechzehn Türme zu astronomischen Beobachtungen. — Die Arznei-
knnde stand nicht höher als bei den meisten der jetzt lebenden sog. Natur-
völker. — Ähnlich sah es mit der Geometrie aus. Man benutzte zum Aus-
messen und Abstecken der Bauplätze und Ländereien Stäbe und Kieselsteine.
Hingegen leisteten die Inka-Peruaner Erstaunliches in der Arithmetik, wenn
man mit diesem Wort ihr Quipu- oder Knotenschnüren -System richtig
bezeichnet, nach welchem sie alle ihre Einnahmen und Ausgaben regelten,
Volkszählungen vornahmen, Geburts- und Sterbetabellen führten, geschichtliche
Ereignisse, Gesetze, Gewohnheiten festlegten und der Nachwelt überlieferten,
so daß es ihnen eine Schrift ersetzte. AVer in diesem System ungenügend
bewandert war, galt für unwissend, wie Sundstral schreibt, woraus
geschlossen werden kann, daß in diesem Sinn allgemeine Bildung im alten
Peru ebenso gefordert wurde wie in unseren heutigen Kulturstaaten, deren
Analphabeten zu jenen „Unwissenden" ein Analogon bilden. Unterricht in
den Schulen im Anlegen und Handhaben der Knotensclmüre war also wohl
selbstverständlich, zumal jede Familie ihre eigenen Knotensclmüre, z. B. als
Geburts- und Sterbetabellen, genau anlegte und sorgfältig aufbewahrte.
Es gab aber auch zahlreiche Fachleute in dieser Kunst, welche eine
Beamtenklasse, die „Quipucamayir', ausmachten. Je nach der Seelenzahl
hatte ein Ort 4 — 3U solcher Beamten, damit strenge Kontrolle geführt werden
konnte. Heranbildung zu diesen Ämtern von .lugend auf war also auch
notwendig.
In hoher Blüte stand die Schauspielkunst, welche im alten Peru nicht,
wie bei so vielen andern Völkern, von Repräsentanten der niedersten Volks-
klassen, sondern von den Aristokraten und hohen Beamten, vielfach von den
Söhnen der Curacas, gepflegt und ausgeübt wurde.
An Impulsen zu intellektueller Jugendbildung fehlte es also unter den
Inkas nicht2).
Klösterliche Abgeschlossenheit vornehmer Töchter finden wir im
alten Peru so gut wie im alten Mexiko. Vielleicht gibt jene den Schlüssel
') Sie war durch ihre eigenartige Arithmetik vertreten. Vgl diese w u.
2) Bekannt ist auch die damalige Baukunst in Peru; hingegen stand die Musik auf
primitiver Stufe.
Ploß-Renz. Das Kind. 3. Aufl. Band II. 33
514 Kapitel XLVI. Das Kind und das Schulwesen.
zu dieser. In Peru war es eine gewisse Anzahl von Juugfrauen königlichen
Blutes, welche in dieser Abgeschlossenheit lebenslänglich und jungfräulich
bleiben mußte. Die Überlieferung der Peruaner führte diese Einrichtung auf
den ersten Inka zurück, den eine Sage einen Sohn der Sonne nennt, welchen
diese, als Mann gedacht, mit dem als Weib aufgefaßten Mond gezeugt und
mit seiner Schwester und Gattin auf die Erde gesandt habe. Der Sonne zu
Ehren sollen jene Mädchen lebenslänglich keusch bleiben (Sundstral).
Ähnliche Erscheinungen, d. h. Keuschheit zu Ehren der apotheo-
sierten Fruchtbarkeit, sind in der Religionsgeschichte der Menschen nicht
selten.
Außerhalb der bisher behandelten alten Kulturvölker finden wir unter
den Indianern keine, aus ihrer eigenen Kultur entwickelten. Schulen. Hingegen
steht ein großer Teil seit längerer oder kürzerer Zeit unter dem Einfluß des
Unterrichtswesens ihrer Besieger.
Im Jahre 179-1 schloß in Nordamerika der Kontinentalkongreß
mit den Oneida-, Tuscarora- und Stockbridge-Indianern eiuen Vertrag
ab, demzufolge die Söhne dieser Völker zu Müllern und Sägern herangebildet
werden sollten. — Ein Vertrag vom Jahre 1803 verpflichtete die Vereinigten
Staaten auf zehn Jahre hinaus zu einem Jahresbeitrag von 100 Dollars zum
Unterhalt eiues Missionars, bzw. der von ihm geleiteten Elementarschule, für
Indianerkinder. — Im Jahre 1819 gewährten die Vereinigten Staaten 10000 Dollars.
welche teils zu Schulzwecken, teils zur Einführung der Erwachsenen in die
Landwirtschaft verwendet werden sollten, aber, nach einer Andeutung George
Bin! Grinnells, nicht zweckmäßig verwendet winden. Spätere Summen scheinen
ein ähnliches Schicksal erlebt zu haben1). Immerhin konnte man sich damals
schon von der hohen Bildungsfälligkeit eingeborner Kinder überzeugen.
Mc. Kennt']) spendete den Vollblut-Kindern und den Mischlingen aus Indianern
und Weißen, welche im Jahre 1826 mit weißen Kindern zusammen die
Missionsschule auf der Insel Michillimackinac besuchten, großes Lob sowohl
wegen ihres Fleißes und ihrer Kenntnisse, als auch wegen ihrer Peinlichkeit
and ihres guten Benehmens. Ein ähnliches Resultat hatte sein Besuch der
.Missionsschule in Seneca, wo ihn die Kenntnisse der [ndianerkinder im
Schreiben und Lesen, in Grammatik. Geographie, Geschichte, Arithmetik und
Astronomie so überraschten, daß er schrieb: Wenn ein Vergleich der Auf-
fassungsgabe der Indianerkinder mit jener der weißen Kinder gemacht werden
soll, dann fällt er zugunsten jener aus. —
Es war nicht immer leicht, die Rothäute zu bewegen, daß sie ihre
Kinder in die Missions- oder Staatsschulen schickten. Bei den Sioux z. B.
stieß die Regierung auf harten Widerstand, weshalb William Welsh anfangs
der 70 er Jahre des 19. Jahrhunderts der Regierung den Vorschlag machte,
sie möge den Kindern im Alter von 8 — 12 Jahren ihre Rationeu an Lebens-
mitteln vorenthalten, wenn sie die ihnen gebotene Schillgelegenheit nicht aus-
nützten. Schulzwang für die Jugend der Sioux war schon im Jahre 1868
kontraktlich festgesetzt, was aber von den Rothäuten nicht beachtet wurde.
Freilich waren die Weißen in ihrem Vorgehen keineswegs immer um-
sichtig genug. So glaubte noch Ende des 19. Jahrhunderts ein Regierungs-
beamter (Agent), den Schulzwang ohne weiteres bei den Xavajos in Arizona
einführen zu können. Da überfielen ihn diese, denen Zwang unerträglich war.
und mißhandelten ihn. und die Polizei hatte Mühe, ihn den Händen der auf-
geregten Rothäute zu entreißen. Vorsichtiger ging Missionar A. Weber im
Jahre 1902 voran: Er versammelte vor allem die Häuptlinge und andere an-
') In Brooklyn bildete noch in den 90er Jahren des 19. .lahrh. der Betrug der Im'ianer
durch Agenten der Ver. Staaten bisweilen dns Tischgespräch.
§ 306. Das Kind und das Schulwesen bei Indianern. 515
gesehene Männer des Stammes, denen er den praktischen und sittlichen Wert
einer guten Erziehung schilderte und schließlich sagte, wenn sie das nicht
einsähen und demzufolge ihre Kinder nicht freiwillig schickten, so sollen sie
es nur bleiben lassen; dann wolle er sie gar nicht haben. — Das wirkte:
Schon im ersten Jahr zählte er in seiner eröffneten Schule 57 Schüler, deren
Zahl jährlich stieg, so daß er im Jahre 1907 bereits 127 hatte. Der Lehr-
plan umfaßt Schreiben, Lesen, englische Grammatik und Aufsatzlehre, Ge-
schichte der Vereinigten Staaten, Geographie. Landkartenzeichnen, Rechnen
und Eeligion, etwas Musik und Naturlehre. — Außerdem werden die Mädchen
im Nähen, Stricken, Weben, Kleidermachen, Sticken, Waschen, Kochen, Backen,
Tischdecken und sonstigen Hausarbeiten unterrichtet, während man die Knaben
in den Feld- und Gartenbau, in Zimmermanns- und Schreinerarbeiten ein-
führt. Die Auffassungsgabe der Indianerkinder stehe auch hier jener der
weißen Kinder nicht nach.
Große Verdienste um das Schulwesen unter den Indianern der Vereinigten
Staaten hat sich seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts die „Womens
National Indian Association" erworben. Diesen Frauen verdanken die
Kothäute nicht nur die Hebung ihrer früher trostlosen Rechtslage durch
Zuerkennung des Bürgerrechtes (1887), sondern auch die Verstaatlichung
und infolgedessen zweckmäßige Entwicklung privater Industrieschulen, sowie
die Eröffnung neuer Schulen, die Bildung eines gesonderten Erziehungskomitees
und die Einführung eines gewissen Schulzwanges1).
Erst jetzt fing eine ernste Erziehungsreform für die Indianer an, schreibt
K. WoJterecJc, und diese Reform erreichte, daß jetzt von 50 000 Indianerkindern
29 00» in 400 Bildungsanstalten, teils Tagesschulen, teils Internaten, unter-
richtet werden. Von den Internaten liegen 25 außerhalb der Reservationen,
meist im Osten. Unterricht, Pension, Kleidung, kurz alles, wird von der
Regierung bestritten. Außer diesen 400 Schulen stehen Missions- und Di-
strikt schulen den Kindern der roten Rasse so gut offen wie den Weißen.
Sie sitzen da auf gemeinsamen Schulbänken. — Das in Amerika allgemein
übliche System der Koedukation herrscht auch in den Indianerschulen.
Woltereck erwähnt, unter anderen. Tagesschulen bei den Sitka in Alaska,
Internate auf den Reservationen in Arizona, Distriktschulen in Kalifornien,
Missionsschulen in Neu-Mexiko. Das größte Internat außerhalb der Reser-
vationen sei die Regierungsschule in Carlisle. Überall bilde in diesen Schulen
die Fürsorge für die kleinen Rothäute einen angenehmen Gegensatz zu der
sonst üblichen Gleichgültigkeit oder Verachtung des Amerikaners mit seinem
noch barbarischen Siegesgefühl.
Nach Bird Grinnett wirft der Kongress in Washington (seit 1877 ?)
jährlich nicht weniger als zwei und eine halbe Million Dollars für die theore-
tische und praktische Bildung der Rothäute, jung und alt, aus.
Den früher häufigen Einwand, daß bei den Kindern der Indianer nach
ihrer Entlassung aus der Schule bald wieder ihre frühere Ungebundenheit
durchbreche, weist Grinnell zurück. Die früheren derartigen Fälle seien leicht
zu erklären. Damals seien die numerisch seltenen schulentlassenen Kinder
unter ihren ungebildeten Landsleuten noch vereinzelt dagestanden und schon
deshalb ein Gegenstand des Spottes gewesen, was die jungen Leutchen nicht
ertragen konnten. Deshalb hätten sie wieder die Sitten und Gebräuche
ihrer Umgebung angenommen. Aber jetzt sei das anders. Langsam und den
Indianern selbst unmerklich habe sich die Gesinnung geändert. Heutzutage
') Dieser dürfte liier, nach dem oben folgenden, bessere Wirkung gehabt haben, als
bei den Navajos. Übrigens bezieht sich, wie wir von ~\Yoltereck erfahren, die oben
folgende Schulreform auch auf Arizona.
33*
51rj Kapitel XLVI. Das Kind und das Schulwesen.
sehe selbst der konservativste Indianer der Vereinigten Staaten die Dinge
von einem anderen Standpunkte an als früher, und Erziehung und Unterricht
der Kinder finde nunmehr allgemeine Anerkennung1). —
Über die Schulbildung der Jndianerkinder in Südamerika liegt mir
sehr wenig Material vor. Sie ist hier wohl schon länger mit der Bildung
der weißen Kinder verschmolzen, als in Nordamerika. Nur ein Missionsbericht
aus dem noch wenig zivilisierten Bergland an der Ostgrenze von Peru möge
hier Erwähnung finden. Es handelt sich um die drei Territorien von Apu-
rimac. Chanchamayo und Ucayali mit Indianern aus den Stämmen der
Amuesha, Campos, Cunibos, Shipibos, Piros, Amahuacas, Remos,
Capanahuas und den Anthropophagen Cachibos. Unter ihnen leben deutsche
Kolonisten. Die gesamte Seelenzahl schätzt A. Alemany auf 177 000. Darunter
noch öOOoo ungetaufte Indianer. In diesem Gebiet nun bestehen 32 Schulen,
von denen 12 Missionsschulen sind. Die Schüler und Schülerinnen werden auf
ca. 20Ü0 geschätzt. —
§ 307. Das Kapitel „Die Heranziehung des Kindes zu körperlicher
Arbeit"' war abermals ein Beweis für die sprichwörtliche Macht der Gewohn-
heit. Es machte uns mit einem Negervolk bekannt, bei welchem die Männer
die Kleidung für die Weiber nähen, weil die letzteren die Feldarbeit verrichten
und deshalb ungelenke Hände haben; wir lernten Völker kennen, deren tradi-
tioneller Brauch dem weiblichen Geschlecht Haus- und Kahnbau zur Pflicht
macht; andere können sich rühmen, daß ihre Weiber ebensogute Schützen und
Jäger sind wie die Männer; wieder andere räumen weiblichen Soldaten einen
Ehrenplatz in ihrer Armee ein und heben deren Tapferkeit auf dem Schlacht-
feld hervor; den Feldbau besorgt bei zahlreichen, wohl den meisten Völkern
niederer Kulturstufen das weibliche Geschlecht, und selbst in dem verhältnis-
mäßig hochstehenden Korea sahen wir das weibliche Geschlecht alle körperliche
Arbeit verrichten, die man in europäisch-amerikanischen Kulturstaaten ge-
wöhnlich als Männerarbeit bezeichnet, wie denn das dortige Weil) der mittleren
und untersten Volksklassen überhaupt als die große wirtschaftliche Triebfeder
in Haus und Staat geschildert winde. Eine von der Natur gebotene Arbeits-
teilung im absoluten sinn zwischen den beiden Geschlechtern ist also schwer
anzunehmen.
Anders verhalt es sich im ralativen Sinn. Die verhältnismäßige Leichtig-
keit der Eheschließungen auf niederen Kulturstufen weist die Mutter vor allem
ihren Kindern zu. und es ist deshalb ein erfreuliches Zeichen gesunden Denkens.
daß die in i< 2Vi7 autgeführten Völker ihre Töchter von klein auf in deren
späteren Beruf einführen.
Ähnlich verhält es sich mit dem männlichen Geschlecht, das sich freilich
bei manchen Völkern die Last körperlicher Arbeit — geistige gibt es bei
vielen Völkern wenig — auf Kosten des andern, bei uns „schwächer" genannten,
Geschlechtes erleichtert.
Die Arbeitspflicht der Kinder beginnt bei manchen Völkern im /.arten
Alter, {'her die Grenze des Eskimo, der sein Knäblein schon im Gebranch
der Waffen und Ruder unterrichtet, wenn es kaum gehen kann, ist nicht leicht
hinauszugehen. Ein anderes Extrem lernten wir in den Erstgebornen der
Papuas in Kaiser Wilhelmsland kennen, welche bis zum 10. Lebensjahr die
Freude des Nichtstuns genießen. Im allgemeinen haben die Kinder der in
Kap. XLV aufgeführten Völker einen anerkennenswerten Beitrat;' zur Arbeits-
leistung der Menschheit zu liefern. Hiervon sind auch die Waffenübungen,
') Ähnliches tiprichtete übrigens S. .-1. Galpin schon im Jahre 1877 von den Co-
raanches und Caihuas. (Siehe Rem, des Indianers Familie, S. 100 u. Anm. 4.)
§ 307. Das Kiod und das Schulwesen. 517
das Reiten und .Schwimmen nicht auszunehmen, da selbst diese körperlichen
Übungen größtenteils Einführungen in den späteren Beruf als Krieger, Jäger,
Fischer usw. sind, oder doch Mann und Weib für ihren Kampf ums Dasein
unter den örtlichen Verhältnissen möglichst befähigen. Die Gymnastik freilich
bezweckte bei ästhetisch verfeinerten Völkern, z. B. bei den Hellenen und
alten Japanern, auch höhere, ideale Wirkungen, oder wenigstens kernige Ge-
sundheit, wie es bei unseren Vorfahren, den alten Germanen, der Fall war,
weshalb sie diese Übungen nicht nur von ihren Söhnen, sondern auch von ihren
Töchtern verlangten. —
Ebensowenig wie für die körperliche Arbeit, läßt sich für die geistige
eine absolute, feststehende Grenze zwischen den zwei Geschlechtern
ziehen. Soweit unsere kulturgeschichtlichen Kenntnisse reichen, finden wir
Frauen auf allen Gebieten der Geisteswissenschaft mit Männern in würdigem
'Wetteifer. Freilich sind es relativ wenige, was teils auf den schon für die
materielle Arbeitsteilung angegebenen Grund, teils aber auf widerrechtliche
Maßregelung seitens des männlichen Geschlechtes zurückzuführen ist. Das
vorliegende Kapitel brachte uns hierfür Beweise aus der alten und neuen Welt,
aus Europa, Asien und Afrika. Man fürchtete sich vor dem geistig aufgeklärten
und gefestigten Weib, weil geistiger Scharfblick und geistige Kraft sich er-
folgreich gegen Übergriffe stemmen könnten und es im Falle der Notwendig-
keit auch tatsächlich tun. Im alten Hellas und im neuzeitlichen Indien hatte
man es sogar so weit gebracht, daß intellektuell gebildete Frauen fast nur
unter Hetären, bzw. Tänzerinnen, zu finden waren, und daß deshalb die intellektuelle
Bildung eines Weibes ein Grund zu seiner sittlichen Verdächtigung war. Das
ist um so bemerkenswerter, als diese Tatsache mit zwei sonst ganz verschie-
denen Kulturperioden in Hellas und Indien zusammenfällt, hier mit der Periode
des kulturellen Tiefstandes, dort mit der Blütezeit des hellenischen Staats-
lebens, welches freilich mit der Blütezeit des Familienlebens nicht zu identi-
fizieren ist.
Im alten Indien, Ägypten, Assyrien und Japan, im vorchristlichen Lydien,
bei den alten Kulturvölkern Amerikas, im mittelalterlichen Arabien, bei den
mittelalterlichen Germanen, im mittelalterlichen und neuzeitlichen Korea
zeigte sich das Bedürfnis der Männer, wenigstens der höheren Gesellschafts-
kreise, nach gebildeten Frauen im Unterhalt von Schulen oder Erteilung
von Privatunterricht. Daß Mädchen besserer Stände ihre lugend bis zu ihrer
Verheiratung größtenteils in einem Pensionat zubringen, ist nicht etwa eine
der neuesten Zeit entsprungene Erscheinung; § 30t> wies sie bereits bei den
alten Mayas in Zentralamerika nach, und was von manchen Deutschen des
1H. Jahrhunderts fast als widernatürlich bekämpft worden ist, gereichte im
deutscheu und arabischen Mittelalter, im alten Japan und sogar auf Korea der
Frau zum Ruhm, nämlich ihre Ausbildung zu wissenschaftlichen Berufen und
deren praktische Betätigung.
Auch die Chinesen glaubten bisher, gebildeter Frauen nicht zu bedürfen.
Weit mehr taten sie für die Schulbildung des männlichen Geschlechtes.
Ahnlich steht es nach dem vorliegenden Kapitel ja bei vielen anderen Völkern.
Die Armen freilich können, wo der Schulunterricht bezahlte Privatsache ist,
auch ihre Söhne kaum unterrichten lassen, was einer allgemeinen Volks-
bildung im Wege steht. Deshalb wird selbst bei jenen verhältnismäßig- wenigen
Völkern, die in den §§ 301 — 306 mit „Volksbildung" angeführt winden, mit
ziemlich vielen Ausnahmen zu rechnen sein. Ich erwähnte als solche die alten
Ägypter, Assyrer. Griechen, Römer, Japaner, Koreaner, Mexikaner und Inka-
peruaner, ferner verschiedene buddhistische und muselmanische Völker u.a. in. —
Einzelne darunter haben staatliche Fürsorge, weshalb für sie die Armut des
Einzelnen kein Hindernis ist.
518 Kapitel XL VI. Das Kind und das Schulwesen.
Der Lehr plan für den niederen Unterricht umfaßt bei verhältnis-
mäßig vielen Völkern nur Lesen, Schreiben und Religion. Rechnen gilt sogar
in Indien als höheres Lehrfach; bei anderen Völkern wiederum gehört es zum
Elementarunterricht, wozu je nach dem Volksbedürfsnis das Memorieren und
Vortragen von Sprüchen und Gedichten, elementare Gesetzeskunde, Gesang,
Musik, Tanz, weibliche Handarbeiten u. a. m. kommt.
Das Erlernen fremder Sprachen geht bei einzelnen Völkern schon mit
dem Elementarunterricht Hand in Hand, und vielleicht einer besonderen Er-
innerung wert ist es, daß fremdsprachliche Bildung selbst von Negern und
Papuas schon angestrebt wurde, ehe sie mit unserer Kultur in Berührung
kamen. Die Notwendigkeit des Verkehrs benachbarter Stämme verschiedener
Sprachen gab ihnen wohl den ersten Anstoß dazu.
Bei andern Völkern wieder gehört das Erlernen, bzw. das Studium, fremder
Sprachen in den Lehrplan für höhe-ren Unterricht, auf welchem auch
M3'thologie, Theologie, Philosophie, Literatur, Geschichte, Rechts- und Staats-
wissenschaft, Ackerbaukunde, Kriegswissenschaft, Astrologie, Astronomie,
Geometrie, Arithmetik usw. zu finden ist, und zwar, je nach dem Volk, seit
Jahrtausenden, oder erst seit neuester Zeit.
Bemerkenswert sind zweifellos ferner die vielen Jahre, welche manche
Völker der Ausbildung ihrer Söhne widmen. Es sei hier beispielsweise nur
nochmals an die 20 Studienjahre mancher jungen Kelten, an die als kürzeste
Frist angegebenen 12 Jahre und die als längste geltende von 48 Jahren Veda-
Studium im alten Indien, an die 1 1 Schuljahre bei den Nai'r und die etwa
ebensovielen Unterrichtsjahre bei den alten Mexikanern erinnert. —
Schulbildung trotz Kannibalismus ist bei den Batak und — alten
Mexikanern nachgewiesen.
Der Unterricht liegt vielfach in den Händen von Priestern und wird in
Klöstern erteilt. Letzteres war bei den amerikanischen Kulturvölkern nicht
weniger der Fall, als in Ländern der alten Welt mit christlicher, oder mit
buddhistischer Bevölkerung. Ebenso liegt bei den Muselmanen der Unterricht
größtenteils in Händen ihrer Geistlichen, und ähnlich war es bei deu alten
Kelten. Was die Lehrkräfte aus dem Laienstand betrifft, so sind es nicht
immer professionell gebildete Leute, sondern, je nach dem allgemeinen Kultur-
zustand des betreffenden Volkes, irgend einer, der den Lehrgegenstand beherrscht,
der eigene Vater, ein Verwandter, Freund usw. Die hochstehenden Römer
und Griechen beauftragten bekanntlich auch Sklaven mit dem Unterricht ihrer
Kinder. — Wo die Frauenbildung weitere Kreise umfaßt, gibt es auch weib-
liche Lehrkräfte.
Kapitel XL VII.
Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen1),
§ 308. Seneca hielt es für ruchlos, vom Weibe Keuschheit zu verlangen,
wenn man selbst ein Verderber des schwächeren Geschlechts sei2). Dieser
Grundsatz gilt mutatis mutandis auch für das Verhältnis des Kindes zu seinen
Eltern und seiner erwachsenen Umgebung überhaupt. Wie soll ein Kind
keusch bleiben und zur Keuschheit im gereifteren Alter gestählt werden,
wenn es die gegenteiligen Beispiele der Erwachsenen sieht, ja von diesen
direkt zum vorzeitigen, bzw. zügellosen, Geschlechtsgenuß angeleitet wird?
Daß dieses bei vielen Völkern verschiedener Kulturstufen der Fall ist, beweist
das vorliegende Kapitel, welches zwar zum Teil über den Rahmen dieses
Werkes hinauszugehen scheint, indem es sich mit der Keuschheit auch der
Erwachsenen, d. h. mit Knaben- und Männerliebe, Jungfrauschaft, Vielweiberei,
Konkubinat, Ehebruch, Weibertausch usw. beschäftigt, tatsächlich aber Ver-
hältnisse berücksichtigt, die mit der Charakterbildung des Kindes ebenso eng
verknüpft sind wie die in früheren Kapiteln geschilderten. Die so vielfach
vertretene Ansicht, daß die sogenannten Naturvölker erst durch
den Kontakt mit unseren Lastern lasterhaft geworden seien, wird
durch die §§ 309 — 316 genügend widerlegt, wenn diese auch andererseits
beweisen, daß manche Völker tatsächlich gewisse Formen des Lasters von
unberufenen Vertretern unserer Kultur übernahmen.
Sehr beachtenswert ist, daß der christliche Keuschheitsbegriff sich
keineswegs mit dem der Polytheisten, aber auch nicht mit dem der alt-
testamentlichen Juden, deckt. Auf den letzteren kommt dieses Kapitel
nicht näher zu sprechen, da die Erlaubnis nach dem Gesetz Moses zu Viel-
weiberei und Konkubinat ja bekannt ist. Hingegen sei schon jetzt auf den
scheinbaren Widerspruch in der altmexikanischen Pädagogik hingewiesen,
welche einerseits zur „Keuschheit" mahnte, andererseits die Knaben zur
Homosexualität in- und außerhalb des religiösen Kultus direkt anleitete und
die Verführung eines geliebten Knaben durch einen Dritten als „Ehebruch"
bestrafte. Ähnliche scheinbare Widersprüche finden sich häufig auch bei
anderen Völkern, was wohl schon zu manchen irrigen Darstellungen ihrer
Keuschheit geführt hat.
Jungfrauschaft und eheliche Treue sind für die überwiegende
Mehrheit der nichtchristlichen Völker, welche jene überhaupt beachten,
keine Tugend im christlichen Sinn, sondern einfach der Zustand, welchen
der Werber von seiner Braut, der Ehemann von seinem Weib ver-
') Vgl. die Kapitel Sexuelle Operationen, Vater- und sog. Mutterrecht, Abschluß der
Kinderjahre, Hypothesen über die Urgeschichte der Familie (XXXVIII, L, LVII, LV1II
und LX) u. a. m.
2) Ep. 94. Bei Josef Müller: Das sexuelle Leben der alten Kulturvölker. In Re-
naissance II, 309.
520 Kapitel XLYII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
langt, weil er ein ausschließliches Anrecht auf dieses und dessen Frucht-
barkeit haben will. Gedanken und Wünsche sind nicht kontrollierbar, weshalb
der Sittenkodex solcher Völker nichts damit zu tun hat. Noch weniger An-
spruch macht ihr Sittenkodex an die Keuschheit des Mannes, der, neben seinem
einen oder mehreren legitimen "Weibern, Nebenweiber und Konkubinen haben,
mit Prostituierten verkehren, die legitime Gattin verstoßen und eine andere
heiraten, bei manchen Völkern zeitweise vertauschen kann usw. usw.. so daß
es eine keusche Gebundenheit und lebenslängliche eheliche Treue beim Mann
außerhalb des Christentums und den jetzigen unter christlichem Einfluß
stehenden Juden im allgemeinen kaum gibt, und es frei zugestanden werden muß,
daß die nichtchristlichen Völker wohl samt und sonders, mehr oder weniger,
einer Doppelmoral zugunsten des Mannes huldigen, wodurch freilich das
weniger geachtete weibliche Geschlecht, wenn auch nur gezwungen, bei vielen
Völkern in der Dämmung seiner unteren Triebe über das männliche zu stehen
kommt. — Individuelle Fälle wollen selbstverständlich nicht mit diesen
allgemeinen Sätzen beurteilt werden.
Die wenigen Völker mit polyandrischen Eheformen bieten ein gegen-
teiliges Bild dar, insofern hier das Weib es ist. welches mehr im Geschlechts-
genuß aufgeht, als der Mann. Überrascheud wirkt jedoch gerade bei solchen
Völkern die zarte, sittliche Empfindung in gewissen Punkten und die strenge
Festhaltung an diesbezüglichen Auffassungen und Bräuchen, die unsern Begriffen
von Keuschheit völlig gleichgültig gegenüberstellen, sowie die Enthaltung vom
geschlechtlichen Verkehr mit Fremden, wie es bei den Toda nachgewiesen
ist (§ 310).
Ebenso tief wie die Sittlichkeit des Mannes steht die des Weibes bei
Völkern, die auf Jungfrauschaft und die eheliche Treue des Weibes nichts
oder nicht viel geben und also keine, oder doch nur eine relativ geringe
Strafe auf deren Verletzung setzen, oder aber nur strafen, wenn die Folgen
offenkundig werden, wozu, unter anderen, die §§311 und 312 Beispiele bieten.
Daraus läßt sich wohl schließen, daß das Weib auch bei anderen Völkern
seine Keuschheit ebensowenig, wie der Mann, bewahren würde, wenn dieser
ihm nicht Zügel anlegte, wozu er freilich kein Recht hat, solange er sich
selbst nicht beherrscht.
Die Ausschweifungen der Prinzessinnen in Dahome, Bornu und Wadäi,
sowie die Prostituierten sind weitere Beweise dafür, daß das Weib keusch-
heitlich sehr tief sinken kann.
Das keuschheitliche Gewissen eines Volkes offenbart sich in den Strafen,
welche es auf die Verletzung der Keuschheit setzt. Das vorliegende Kapitel
macht uns mit Völkern bekannt, welche in dieser Hinsicht auffallende Wider-
sprüche zwischen Theorie und Praxis, zwischen ihrem sittlichen Bewußtsein
und ihrer tatsächlichen Sittlichkeit, aufweisen. Die Singhalesen des 17. Jahr-
hunderts, welche das einsahen, ohne die Kraft zur Eebuug dieses Widerspruches
in sich zu fühlen, sind unter ihnen (§ 310). Dieser Widerspruch in Theorie
und Praxis ist übrigens in unserer eigenen Mitte wohl bekannt, obschon in
geringerem Umfange, als dort. Bei manchen Völkern, auch auf verhältnismäßig
tiefen Stufen materieller und geistiger Kultur, führt dieser Zwiespalt zwischen
Gesetz und Befolgung, zwischen Theorie und Praxis zu regelmäßiger Heuchelei
oder zur Ungerechtigkeit gegen das weibliche Geschlecht, dem das männ-
liche ungestraft nachstellt. Man sucht wenigstens den Schein zu wahren, scheut
aber vor innerer Fäulnis nicht zurück, wenn diese nur verborgen bleibt; man
straft das gefallene Mädchen hart, Läßt ihm aber die schlechten Beispiele der
Alten, und der Sundgenosse oder Verführer kann frei, oder kaum nennenswert
betroffen, seine Wege gehen (vgl. Neumecklenburg in § 312).
§ 309. Sogenannte widernatürliche Laster (Päderastie, Onanie usw.)- 521
Die Apotheosierung der Unzucht, bzw. ihre Zurückfährung auf
göttlichen Ursprung, ist im folgenden Paragraphen in beiden Hemisphären,
auf tiefen und hohen Kulturstufen, nachgewiesen. Drastisch wirkt darunter
das lebenslängliche Gelübde der Chippeway-Indianer in § 3n9.
Über das unglückliche Los des Sklavenkindes und des Mädchens als
Kriegsbeute, dem nicht nur seine Freiheit, sondern auch seine Keuschheit ge-
raubt wird, liegt mir einstweilen so wenig Material vor, daß es nicht nötig
ist, hier einen Überblick über § 31(3 zu geben. —
§ 309. Sogenannte widernatürliche Laster (Päderastie, Onanie usw.).
„Waren die Kelten Päderasten?" fragt H. D'Arbois de Jubainville im
Anhang seines Buches „La famille celtique-' und zitiert dann Aristoteles,
Diodor von Sizilien, Strabo, Athenäus und Claudius Ptolomüus, Avonach die
Frage eine bejahende Antwort erhält; denn sie alle erwähnen keltische Päderastie.
Claudius Ptolomäus habe diesen unmoralischen Brauch der Kelten mit dem
Einfluß der Gestirne zu erklären versucht, Athaenäus von der Vorliebe der
Kelten für Verbindungen mit kleinen Knaben geschrieben; nach Strabo galten
homosexuelle Verbindungen der jungen Kelten nicht für schändlich; Diodor
nannte den Hang der Gallier zu homosexuellen Verbindungen, trotzdem sie
so hübsche Frauen hätten, anverständlich; Aristoteles aber habe, als Lehrer
Alexanders des Großen, des Verbündeten der Kelten, diese gelobt, daß sie sich
durch ihre Knabenliebe vor der Weiberherrschaft, dieser Geißel der Staaten,
bewahrten ').
Trotz alledem hält D'Arbois es für unbewiesen, daß Päderastie unter den
Kelten gebräuchlich war. Aristoteles habe allem Anschein nach einen einzelnen,
von einem griechischen Reisenden beobachteten Fall in Gallien verallgemeinert,
und so sei eine Massenanschuldigung' entstanden, welche den späteren griechischen
Schriftstellern ein willkommenes Mittel war, um den Schandfleck ihrer eigenen
Nation möglichst zu beschönigen, nachdem die anfänglich ideal aufgefaßte
Knabenliebe unter den Griechen zum Laster geworden sei. Caesar habe von
einer keltischen Päderastie nichts erwähnt, was D'Arbois aber selbst nicht
als Gegenbeweis anerkeunt, weil Caesar in diesem Punkte selbst nicht rein
gewesen sei.
Ob D'Arbois mit dieser Apologie auf die alten Insassen Frankreichs
Glück hatte, kann ich nicht beurteilen. An einer anderen Stelle 2) begnügt er
sich mit der Bemerkung, man habe (wenigstens) keinen Grund, die gallischen
Kelten in dieser Hinsicht für unmoralischer zu halten als die Griechen und
Römer. Denn die 23. Idylle des Theokrit und die 2. Ekloge Virgils seien
Hymnen auf die Päderastie, und wenn Pluto in seinem „Gastmahl" sie auch
nicht lobe, stelle er sie doch für seine Landsleute in ihrer glänzendsten Kultur-
periode fest. Nicht einmal die strengen, von Aschines erwähnten Gesetze
hätten etwas gegen dieses Laster vermocht.
Was die Kelten in Irland betrifft, so kennt deren Literatur wohl Ehe-
bruch und Blutschande, aber nicht die Päderastie. Keine Spur davon ist nach
D'Arbois in ihr zu finden. Bei den europäischen Völkern bilde dieses Laster
überhaupt eine Ausnahme, während es bei den Orientalen, z. B. bei den
Semiten, zu den sozialen Einrichtungen gehöre, ja einen Teil des religiösen
Kultes ausmache. —
Aus dem Orient kamen nun bekanntlich auch die Kelten, worauf D'Arbois
selbst, bzw. Johannes Schmidt, aufmerksam macht. Sie sollen vor den Er-
oberungen der Perser mit jenen Völkern in Berührung gestanden haben, welche
') Vgl. w. u. Burckhardt über die griechische Knabenliebe in der alexandrinischen Zeit.
2) La famille celtique, 190 f.
522 Kapitel XLVII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
•das asiatisch-europäische Grenzgebiet beherrschten. Ihre Kriegsrüstung weise
auf das westliche Asien hin; ihre Kriegswagen glichen den homerischen; der
Name der irländischen (keltischen) Göttermutter Anu oder Ana scheine dem
assyrischen Pantheon zu entstammen. Es wäre also nicht zu verwundern,
wenn sie auch orientalische Laster mitgebracht hätten.
Erwähnt möge indessen werden, daß die Druiden bei ihrem Gottesdienst
gewisse Funktionen (Ehrenrollen, wie sich Josef Müller*) ausdrückt) den
Keuschesten übertrugen, was aber eo ipso die Unzucht nicht ausschließt, da z. B.
die Aufnahme in den Geheimbund der Bacchanten in Rom nach zehntägigen
Keuschheitsübungen stattfand2). Ob in der Knabenliebe der Hellenen das
Edle dem Verderben vorausging und auch die hellenische Natur etwa nur
•durch zugebrachte „asiatische Schändlichkeit" auf Irrwege geführt wurde,
läßt Wilhelm Wachsmuth unentschieden. In den homerischen Gedichten
finde sich keine Spur weder vom Eros, noch von der Hetäresis. wenn auch
■die späteren Hellenen letztere mehr noch, als ersteren, schon in die heroische
Zeit versetzen wollten. — Daß die homerischen Gedichte eine Knabenliebe
nicht erwähnen, ist freilich noch kein Beweis, daß sie nicht vorhanden war.
Ebensowenig wäre ihre Herkunft aus Kreta, von der Athenäos schrieb, ein
Beweis für ihre ursprüngliche „Unschuld"3); denn das Edle und das Laster
grenzten in der Knabenliebe „wohl immer nahe zusammen", schrieb Wachsmuth
und führte als Beispiele die Neigung des Tkemistokles und des Aristides zu
einem schönen Knaben an. Sdkrates stellt« zuerst die Herrschaft des
Geistigen über den sinnlich-ästhetischen Trieb dar, von dem übrigens
auch er nicht frei gewesen sei. Von den nachfolgenden Philosophen habe
hauptsächlich Plato auf die Entwicklung der Lehre von einem geistigen Eros
im Unterschiede von der gemeinen Sinnenlust hingearbeitet. Aber im Volks-
leben sei die Verderbnis arg gewesen. Die Bezichtigungen notorischer Wüst-
linge bei Aristophanes seien nicht für licentia poetica zu halten.
Zirka 200 Jahre vor Sokrates wiesen aber schon in Athen Sohns Ge-
setze über die Bestrafung der Schänder und Kuppler auf die schlimmen Seiteu
der dort herrschenden Knabenliebe hin. Ein erst später eingetretener Zerfall,
bzw. ein ursprünglich idealer Charakter jener Neigung, ist demnach nicht
zu beweisen. Die näheren Bestimmungen Solans über Knabenliebe waren nach
Dimcker*) die folgenden: „Wer einen freigeboruen Knaben verkuppelt, der
soll den Tod erleiden. Wer einem freien Knaben Gewalt angetan, den soll
dessen Vater oder Vormund bei den Thesmotheten anklagen. Erkennt der
Gerichtshof auf Tod, so soll die Strafe an demselben Tage vollzogen werden;
erkennt er auf Geldstrafe, soll die Buße binnen elf Tagen gezahlt sein; ist
dies nicht geschehen, soll der Verurteilte bis zur Zahlung im Gefängnis sitzen.'- —
Schon der Zutritt von Männern in die Paläste und Schulen der Knaben galt
als strafbar. - Demnach wucherte das Laster schon zu Sohns Zeit stark.
Nach Jakob Burckhardt erscheint die Päderastie im agonalen Zeitalter8)
fast wesentlich mit dem griechischen Geist verbunden, gebärdet sich aber als
ein „hochideales" Element, obgleich sie ihre dunklen Seiten neben der agonalen
Bewunderung nicht verbergen konnte. Burckhardt machte ferner darauf auf-
merksam, daß Athen bei der Knabenliebe nur die Notzucht und den ge-
werblichen Verkauf bestrafte, daß die Knabenliebe somit erst als schänd-
liche Tat galt, wenn Geld oder Gewalt angewendet wurde; in das freiwillige
Verhältnis scheint sich der Staat also ebensowenig gemischt zu haben, wie
i I las sexuelle Leben der alten Kulturvölker. In „Renaissance" II, 309.
«) Ebenda, :i26.
n) Vgl. Josef Maller, ebenda, 272, und Wachsmuth über Kreta f. S.
l) Hi>i Josef Müller ebenda, 244.
5) Die gezählten Olympiaden beginnen bekanntlich mit 776 v. Chr.
§ 309. Sogenannte widernatürliche Laster (Päderastie, Onanie usw.). 523
die heutigen Kulturstaaten in ein Liebesverhältnis zwischen Personen ver-
schiedenen Geschlechtes, wenn nicht angenommen werden darf, daß ein Knabe
aus eigenem Antrieb nicht so schändlich gehandelt hätte. Leider sind
verschiedene Mitteilungen über Knabenunzucht bei andern Völkern nicht ge-
eignet, einen solchen Optimismus zu bekräftigen (vgl. den Rest dieses Para-
graphen).
In der alexandrinischen Zeit wurde die Knabenliebe überhaupt nicht
mehr mit höherer Ethik, Politik und erziehender Kraft motiviert, weil es keine
Polis und keinen gemeinsamen Kriegsheroismus mehr gab. Der Geliebte war
nur noch ein Werkzeug des Vergnügens. Nach Waehsmuth war es auf Kreta
jedem Knaben ein Schimpf, keinen Liebhaber zu besitzen, und wenn auch das Band
der Treue für Gefahren und Kämpfe, wenn das Recht des Knaben, sich über eine
vom Liebhaber erlittene Schmach und Unbill zu beklagen, eine Art Tünche
bildeten, so lag doch auf den Kretern der Vorwurf, sie hätten durch Päderastie
der allzu großen Volksvermehrung vorgebeugt '). Hier, wie in Sparta, wurde
vor Beginn eines Treffens dem Eros geopfert. Auch in Sparta war das Liebes-
verhältnis zwischen Älteren und Jüngeren (in jedem der beiden Geschlechter)
■ein Erziehungsmittel. Auch hier galt es für schimpflich, wenn ein Knabe
keinen Liebhaber, wenn ein Bürger keinen Geliebten hatte. Knaben durften
sich um Männer bewerben und waren straffällig, wenn sie finanziell besser
Gestellte ärmeren vorzogen. Doch scheint in Sparta das Verhältnis zwischen
Männern und Knaben stets keusch geblieben zu sein.
Durchaus ungünstig lauten nach Waehsmuth die Zeugnisse der Alten
über Elis und Böotien, abgesehen von der heiligen Schar Thebens2); in
Megara war bei dem Heroenfeste Diokleia ein Preis auf den schönsten Knß
des KaXo; gesetzt. — Die einzigen Regierungen, welche die Männerliebe ver-
folgten, waren die Tyrannen, welche von ihr Verschwörung befürchteten.
Josef MiUler9) freilich warnt vor einer unvorsichtigen Interpretation der
uus von den Alten überkommenen Mitteilungen über die Knabenliebe. Die
Verdächtigung des Sokrates als Päderast weist er mit Entrüstung zurück.
Damit streite die erhabene Auffassung des Liebhaberbündnisses im Symposion
und Sokrates' Äußerung bei Xenoyhon (Memorab. 1, 3), wo er den Mann, der
es wage, einen Jüngling zu küssen, den Verwegensten und Tollkühnsten der
Menschen, und die Schönheit ein giftiges Tier, gefährlicher als eine Giftspinne,
nenne. Plato singe im Symposion der idealisierten Knabenliebe ein hohes
Lied, nenne aber in den „Gesetzen'' den homosexuellen Verkehr eine „voll-
kommene Unnatur" und eine „Ausgeburt schrankenloser Wollust". Wohl sei
die Gesetzgebung später laxer geworden, aber noch im 4. Jahrh. v. Chr. frage
Aesclünes in seinen Reden gegen Timarchos mit Entrüstung: „Was wird dem
nicht feil sein, der die Schändung seines Körpers feilgeboten hat?" und wenn
Xenophon (Symposion 8, 34) berichte, daß die Eleer und Boot ier die Päderastie
erlaubten, so bestätige diese Ausnahme nur die Regel.
Einen ähnlichen Standpunkt nahm Bachofen ein, als er schrieb: Der
Gedanke der Männerliebe in seiner ursprünglichen Reinheit war nicht jene
Sinnlichkeit der Liebe, an welche Ovid (M. 10, 83), der Genosse einer ent-
arteten Zeit, allein dachte, sondern Erhebung über dieselbe, Ersetzung des
') Nach einer andern Stelle bei Waehsmuth (2, 11) war dies nur Sage. Josef Müller
tritt, wie schon angedeutet, gerade für die Keinheit der kretensischen Knabenliebe
ein (Das sexuelle Leben, 272). Wahrscheinlich kam er zu dieser Überzeugung durch die
folgende Stelle bei Strabo (10, 4), die er auf Seite 271 zitierte: „Für liebenswürdig halten sie
(die Kretenser) nicht den, der sich durch Schönheit, sondern wer sich durch Männlichkeit
und Sittsamkeit auszeichnet."
2) Vgl. Bancroft f. S.
3) I. c, 271 f.
524 Kapitel XLVII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
gemeinen durch den höheren Eros, Erzeugung der sittlichen Scham. Die
appsve? eptote? erscheinen als Gegensatz der auf das Weib gerichteten rein
sinnlich-geschlechtlichen Begierde. Sie nehmen in derGeschichte derEeligion
eine wichtige Stelle ein1). Die Knabenliebe der Kreter, Eleer, Megarer,
Thebaner, Chalcidier und Phrygier hatte ursprünglich wahrscheinlich
auch jene Bedeutung. Sokrates sah in ihr die erste Erhebung des Menschen,
die Befreiung aus der Herrschaft des Stoffes, den Übergang vom Leib zur
Seele, in welchem die Liebe sich über den geschlechtlichen Trieb erhebe, das
beste Mittel, sich der Vollkommenheit zu nähern. Diese Auffassung finde sich
auch bei Xenophon. —
Backofen machte uns aber auch mit der Auffassung des Storches als
Knabenschänder in der Alten Welt bekannt. In dieser Eigenschaft finde
sich der Storch auf einem Grabgemälde aus dem Columbarium der Villa Pamfili.
sowie auf verschiedenen Münzen aus Menda in der thrakischen Pallene.
Der derbsinnliche Ausdruck dürfe uns nicht abhalten, hierin einen Anschluß
au die Mysterienbedeutung der Knabenliebe zu erkennen. Gerade diese
Auffassung erkläre die Aufnahme einer solchen Szene in die Gräberwelt und
die Darstellung auf Münzen. —
Somit wäre die Päderastie auch in Rom und Griechenland als Kultakt
bezeugt, als welcher sie bereits weiter oben von D'Arbois für den Orient eingeführt
worden ist. Wie schon angedeutet, ist das aber kein Beweis für eine ideale Auf-
fassung, hauptsächlich wenn man die Berichte über die alten Kulturvölker
Amerikas vergleicht, bei deren Schilderung Baneroft bemerkte: Päderastie be-
herrschte die Griechen derart, daß der Widerstand als Heldenmut galt. Plutarch
konnte sich nicht genug tun, in der Biographie des Ages'ilaus dessen Selbst-
beherrschung in seiner Liebe für den Knaben Megabates zu rühmen, was nach
Maximus Tyrius größeres Lob verdient, als der Heldenmut des Leonidas.
Ferner weist Baneroft auf Diogenes Laertius hin, der Zeno, den Begründer
der Stoischen Schule, rühmt, weil er der Päderastie nur wenig ergeben war.
Sophokles habe diesem Laster stark gefrönt. „Das freundschaftliche Band"
und „die Quelle kriegerischer Tapferkeit", welche die griechischen Moralisten
in der Knabenliebe rühmten, verhinderten nicht das Laster in ihr. und so
scheint Baneroft auch die Begeisterung der heldenmütigen Schar des
Epaminondas, welche man auf die Knabenliebe zurückführte, keineswegs
so aufzulassen, als ob sie mit dem Laster nicht hätte verbunden sein können2). —
Wenn feiner die zentralamerikanischen Nahuavölker die Berechtigung dieses
Lasters in dessen Einführung durch die Götter selbst fanden, so weist
Baneroft auf zwei Seitenstücke bei den Griechen und Römern hin. Diese
erklärten ihre Niederlage durch Hannibal bei Cannae mit der Eifersucht der
• Inno, weil ein schöner Knabe in den Tempel des Jupiter eingeführt worden
war. und jene ersetzten die Hebe durch den olympischen Mundschenk Ganymedes
und begründeten dadurch die widernatürliche Liebe mit Zeus' eigener Leidenschaft.
umgekehrt apotheosierte Kaiser Hadrian seinen Geliebten Antonius
nach dessen Tod. ließ ihm zu Einen einen Tempel erbauen und Opfer dar-
bringen. - Der Grundgedanke bleibt sich hier wie dort gleich: Es ist die
Apotheosierung der Lust, in Amerika so gut wie in Europa und Asien.
Einen gemeinsamen Ausgangspunkt des Lasters, etwa den Orient, anzunehmen,
wie das gewöhnlich geschieht, wird nur dann den Tatsachen entsprechen.
wenn man zugleich an den Orient als gemeinsamen Ursitz der Menschheit
denkt. Für Rom dürfte orientalischer Einfluß wenigstens auf die Förderung
' i Dadurch ist die Knabenliebe aber nicht keusch geworden. Es handelt sich hier
vielmehr gerade um die Apotheosierung des Lasters, was kaum eher stattfinden konnte, als
die Gemüter davon schon stark eingenommen waren.
-) Vgl. Wachsmuths Ansicht über diese „heilige" Schar v. S.
§ 309. Sogenannte widernatürliche Laster (Päderaslie, Onanie usw.). 525
der Unzucht nachgewiesen sein. Nach Josef Müller erhielt in Eom die Ery-
cinische Venus, „eigentlich die phönizische Astarte", nach dem zweiten
punischen Krieg einen Tempel auf dem Kapital (215), und der Venusdienst
begann ein Dienst der Unzucht zu werden. Schon Cato habe gesehen, daß
man Lustknaben teurer als Landgüter verkaufte. Aber noch in der lex Julia
(9. n. Chr.) stand der Tod auf unnatürlichen Lastern, wie Müller schreibt,
der ferner auf Plutarchs ..Denkwürdigkeiten der Römer" mit den Worten
hinweist: „Nicht Rang, nicht Verdienst schützten vor Strafe. Der Volkstribun
Scanünius Capitolinw, der seinem Sohn unzüchtige Zumutungen gemacht
hatte, berief sich vergebens auf seine unverletzliche Würde; er wurde ver-
urteilt, und zwar nur auf das Sclrweigen des Sohnes hin"1). -- Aber Caligula
gab im 1. Jahrhundert n. Chr. in seinem Palast die vornehmsten Knaben und
Frauen seinen Besuchern preis, wofür er Bezahlung annahm. Die Menge habe
auch keineswegs Anstoß daran genommen. Nero, der sich mit einem Frei-
gelassenen verheiratete, durchstreifte nachts Rom und schändete Knaben und
Weiber. Sogar Seneca „hatte Geschmack an Lustknaben". Auch Träjan
liebte sie. und Avitus, der, wie Nero, mit einem Mann vermählt war, trieb
sein Unwesen mit Lustknaben in berüchtigten Häusern, nachdem er die Dirnen
hinausgejagt hatte2). —
Die Perser lernten die Päderastie erst von den Griechen, wenn Herodot
recht hat. Vordem soll sie in den religiös-sittlichen Anschauungen der Perser
ein Greuel gewesen sein, und das gleiche gelte von der Selbstbefleckung,
schreibt Josef Midier*) und zitiert Arumazda: „Ein Mann, der über fünfzehn
Jahre alt ist und Unzucht treibt ohne Gürtel und Band, der tötet die mit
Körpern begabte Welt der Reinen ; über den erhält die Daevi Drudsch Gewalt,
und die Daeva werden ihn abmagern an Zunge und Fett"4). —
In den Tempeln von Sodom übte man Päderastie offiziell, wie D'Arbois
schreibt, wobei er bemerkt: „Jerusalem etait si pres de Sodome" und auf
verschiedene Stellen in den Büchern der Könige hinweist, nach welchen auch
in Juda. ja sogar inuerhalb des Tempelgebietes in Jerusalem, prostituierte
Knaben lebten. 1 Könige, 14 erzählt nämlich, daß unter der Regierung
Behdbeams, des Sohnes Salomons und der Ammonitin Naama, Götzendienst
auf Höhen und in Hainen getrieben wurde. „Auch waren feile Knaben im
Lande; sie taten nach allen Gräueln der Völker, welche Jehova vertrieben
hatte vor den Söhnen Israels." Der Sohn und Nachfolger Behabeams, Abiam,
„wandelte in allen Sünden seines Vaters", doch Asa, Abiams Sohn, schaffte
einen Teil der feilen Knaben5) aus dem Lande und entfernte alle Götzen,
welche seine Väter gemacht hatten. Auch Mäacha, seine Mutter, entfernte
er, daß sie nicht Herrscherin sein durfte, weil sie ein Götzenbild in den Hain
gemacht hatte. Doch das Opfern und Räuchern, der Götzendienst auf den
Höhen, hörte noch nicht auf. Den Rest der feilen Knaben tilgte Josaphat,
Asas Sohn und Nachfolger, aus dem Lande.
.Mit dem AViederaufleben des Götzendienstes unter Manasse und Amon
scheint die Knabenprostitution in Juda abermals eingerissen zu sein; denn
2 Könige 23, 7 berichtet von der Zerstörung der „Häuser der feilen Knaben,
') J. Müller, 323 und 325. — Auf Seite 332 sehreibt Müller, der in Rom betriebene
Phalluskult sei in all seinen Formen von Babylon über Kleinasien, Griechenland
und den italischen Kolonien nach Rom gekommen, „wo der Boden bereits geebnet
war".
2) Derselbe, S. 335, 337, 338 und 341, nach Dio Cassius.
3) Derselbe, 193.
4) Über die neuzeitlichen Perser siehe § 310.
5) Zwar heißt es 1 Könige 15, 12, „die" feilen Knaben. Daß es aber nur ein Teil
war, geht aus 1 Könige 22, 47 herror.
526 Kupitel XLYII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
die im Hause Jehovas waren, wo die Weiber Zelte webten für den Hain",
d. h. für den heidnischen Kult, mit dem König Josia gründlich aufräumte. —
Die Päderastie stand und fiel in Juda mit dem von außen kommenden
Götzendienst. Wie sehr dieses Laster in Sodom wucherte, geht aus 1 Moses
19 hervor. Kaum haben die Leute von den Gästen Lots gehört, wollen sie
auch schon ihre Leidenschaft an ihnen befriedigen. Hingegen heißt es in
3 Moses 18. 22: „Ein Abscheu ist dies", und in Vers 26ff.: „Tuet nichts von
all diesen Gräueln, der Einheimische und der Fremde, der bei euch sich auf-
hält; denn alle diese Gräuel haben die Einwohner des Landes verübt, die vor
euch sind, nämlich die Kanaaniten, wodurch das Land ist verunreinigt worden,
damit das Land euch nicht ausspeie, wie es das Volk ausspeie, welches vor
euch ist. Denn jeder, der eins von diesen Gräueln tut, der soll, wenn er es
tut, ausgerottet werden aus seinem Volke."
Lev. 18, 22 verlangt die Steinigung für homosexuelle Vermischung.
„Du sollst dich nicht mit einem Manne vermischen wie mit einem Weibe;
denn verflucht ist ein solcher Mann, und ihr sollt sie steinigen; denn sie haben
eine Schandtat begangen."
Nach Torquemada gab es damals schon als Weiber verkleidete Männer
und als Männer verkleidete Weiber zu homosexuellem Verkehr. Auf diesen
Mißbrauch sei Deuter. 22, 5 zu beziehen: „Mannes Kleider soll ein Weib
nicht anziehen; und eiu Mann soll keines Weibes Kleider anziehen; denn ein
Gräuel Jehovas, deines Gottes, ist jeder, der d~ies tut." Die Verkleidung habe
zur Bemäntelung des Lasters gedient. —
Der gleiche Abscheu vor Homosexualität beider Geschlechter äußerte
sich in der jungen christlichen Kirche. Paulus sah es als eine Strafe
Gottes, als eine Folge der vernachlässigten Gottesverehrung an, daß die Mensch-
heit in dieses unnatürliche Laster verfallen war, und der erste Korinther-
brief droht: „Kein Knabenschänder wird Erbe des göttlichen Eeiches werden.-'
Der Iüiabenschäiider lebt nicht in der Freiheit der Gerechten, welche des
Gesetzes nicht bedürfen. — Die sogenannten „Apostolischen Konsti-
tutionen", welche im 4. Jahrhundert n. Chr. in der kirchlichen Literatur
erschienen, bezeichnen die Päderastie als eine verabscheuiingswürdij>e wider-
natürliche Vermischung und stellen sie auf die Stufe der Sünde mit unver-
nünftigen Tieren '). —
Stark wucherte die Päderastie im 16. Jahrhundert im nördlichen Afrika.
Leo Africanus berichtete damals von den Einwohnern der Stadt Azaamur
an der Mündung des Flusses Ommirabih, sie seien diesem Laster so ergeben,
daß ihnen kein Knabe entgehe, was ihre Besieger. die Portugiesen, strenge
bestraften, noch ehe sie nach Sala und Fes entfliehen konnten.
Im 19. Jahrhundert galt dem Volk in Tunis widernatürliche Unzucht
als eine Schande; aber bei entarteten Vornehmen, hauptsächlich türkischer
Abstammung, z. B. in der Herrscherfamilie, soll sie vorgekommen sein (B..
Fr/ir. von Maltzan).
„Orientalische Laster" sagte Oskar Baumann den Maskat- Arabern
auf Sansibar nach, worunter wohl das von l>urto>i angedeutete „Liwat" zu
verstehen ist, das dort nur als peccadillo gelte, obschon der letzte Sayyid
einem seiner Neffen wegen seiner Ausschweifungen das muselmanische Begräbnis
versagt habe. Die Leiche wurde nackt ins Meer geworfen.
Eduard Sahir fand Päderastie in den höheren Kreisen der Türken;
fernei- bei den Albanesen und Lasen. Die Araber der Halbinsel und die
») A|, Constit. VI, c. 28, und VII, c. 3. Ül.ers. Boxler, Kempten 1874. — In cap. 28
heißt es ferner: ,.I>m' mil der Bodomitischen Sünde sich bellecken, bewerkstelligen Zerstörung
der Weltordnung, indem sie die Natur zur Widernatur zu verkehren suchen."
§ 309. Sogenannte widernatürliche Laster (Päderastie, Onanie usw.).
527
andern von Nolde besuchten Völker in Armenien und Kurdistan sprachen
mit Abscheu davon.
Bei den Massai in Deutsch-Ostafrika treiben besonders ältere Knaben,
die noch nicht mit Mädchen geschlechtlich verkehren dürfen, Sodomie mit
Eseln, wobei das Tier von vier Knaben gehalten wird (Max Weiss).
Den Wasuaheli gelten unnatürliche Laster als der Gesundheit zuträglich
(Burton).
Bei den Hottentotten der Kapkolouie ist Selbstbefleckung unter dem
weiblichen Geschlecht so häufig, daß sie als Landessitte gilt und die Leute
davon wie von einem offenen Geheimnis sprechen (Fritsch).
Fig. 415. Männer, Weiber und Kinder auf Jaluit, Marse hal 1 -Insel. Stolpe phot. Im K. Ethnographischen
Museuni in München.
Auf den Marschall-Inseln stehen unnatürliche Laster in voller Blüte;
die Jugend kennt auch schon vor der Reife kein Sittengesetz (Carl Hager).
Über die Onanie der Neumecklenburger siehe § 312.
Einer Art Homosexualität dient die Subinzision oder Mika-Operation in
Australien, welche in Kapitel XXXVIII als jene Operation beschrieben
worden ist, bei welcher die Harnröhre an der Unterseite aufgeschlitzt wird,
so daß beim Koitus die Ejakulation außerhalb der Vagina eintritt, wodurch
nur selten Befruchtung eintritt. Diese Art Verhinderung einer regelmäßigen
Befruchtung, welche bis in die neueste Zeit gewöhnlich als der einzige Zweck
der Operation aufgefaßt worden war1), ist also nicht der alleinige Zweck,
') Vgl. S. 235 des vorliegenden Bandes, bei deren Drucklegung ich von der obigen
Erklärung noch keine Kenntnis hatte.
528
Kapitel XLVII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
sondern die Suhinzision dient auch der Knaben- und Männerliebe1). Klaatseh
erfuhr dieses von Missionären bei den Niol-Niol an der australischen Nord-
Fig. 4ii>. Carpentaria-Golf. N.-O -Australien, Wellesley-Islandj
wildlebenden Horde. KUiatsck i.hot .
Weiber uinl Kinder einer
Fip: ii7. Carpentaria-Golf. X- O.-Auatralien. Weiber nnd Kinder auf einer Miasionastation (Map oon).
Klaatseh jiliut.
we-tkiiste. Der subinzisierte Erwachsene dient dem noch nicht operierten
Knaben als Weib, der den Koitus in die künstliche Öffnung verrichtete. — Bei
den Boulia in Queensland, also im nordöstlichen Australien, herrscht dieser
'i Möglicherweise haben wir hier aber auch einen religiösen Kultakt.
§ 809. Sogenannte widernatürliche Laster (Päderastie, Onanie usw.). 529
Mißbrauch auch; bei ihnen heißen die Operierten „Besitzer der Vulva", wie
Roth Klaatsch mitgeteilt habe (Ferdinand Frhr. von Reitzenstein).
Aus China, diesem Land der Förmlichkeiten, wird neuestens vom Missionar
J. Dols berichtet, daß sich Chinesen nicht schämen, in Gegenwart anderer kleine
Knaben und Mädchen zu schänden. „Sinenses habent maniam quandam faciendi
masturbationem vel paederastiam cum puerulis et puellulis et uon embescunt
patrare hoc facinus etiam coram aliis." — Dieser Bericht bezieht sich auf
die Provinz Kan-su. — Widernatürliche Laster wurden früher auch den Mon-
golen zugeschrieben. Hue und Gäbet fanden solche zu ihrer Zeit nicht vor.
Aus Kamtschatka berichtete Steiler im 18. Jahrhundert, es habe nicht
besser ausgesehen, als in Sodom. Die Knaben schändeten sich gegenseitig vor
deu Augen ihrer Eltern, die zwar das Abnorme dieser Erscheinung einsahen,
aber es nicht verwehrten. Nur kleideten sie solche Knaben als Mädchen und
gaben ihnen Weiberarbeit. Vor Steller habe es so viele derart aufgewachsene
Männer gegeben, daß fast jeder Verheiratete einen neben seiner Frau gehalten
habe, ohne daß diese etwas dagegen hatte. Auch Steller traf noch den einen
und andern an. — Mit der Einführung des Christentums habe das aufgehört.
Auch auf den Aleuten wurden früher viele Knaben als Mädchen er-
zogen. Man zupfte ihnen den sprossenden Bart aus und tätowierte ihnen
das Kinu nach Weiberart. Diese als Konkubinen benutzten Burschen hießen
Schopans. Der Brauch soll auf die ältesten Zeiten zurückgehen. Th. L. Mc.
Kenney weist auf einen sehr ähnlichen Brauch unter den Chippeway-Indianern
hin. In Amerika gaben sich sogar Häuptlingssöhne zu solchen Zwecken her,
wie aus der folgenden Mitteilung Tanners hervorgeht, aus welcher wir zu-
gleich erfahren, daß derartige Mannweiber von einem Stamm zum andern
übersiedelten. Tanner, ein Mitglied des Ottawa-Stammes, erzählt nämlich:
„Im Laufe dieses Winters kam zu unserem Lagerplatz der Sohn des
berühmten Oschibbewayhäuptlings, Wesch-ko-bug, der am Leechsee wohnte.
Dieser Mensch gehörte zu denen, welche sich ganz so betragen wie Weiber
und von den Indianern auch Weiber genannt werden. Es gibt dergleichen
unter den meisten und vielleicht unter allen indianischen Völkern1),
und insgemein nennt man sie A-go-kwas. Dieses Geschöpf, genannt Ozaw-
wen-dib (der Gelbkopf), war damals wohl bald fünfzig Jahre alt und hatte
mehrere Männer gehabt. Ich weiß nicht, ob sie'-) mich gesehen hatte, oder ob
nur von mir gehört; genug, sie sagte mir alsbald, daß sie weither gekommen
sei, um mich zu sehen, und darauf rechnete, mit mir leben zu können. Diese
Anträge wurden oft von ihr wiederholt; sie ließ sich durch keine abschlägigen
Antworten irremachen oder zurückweisen und wiederholte ihre ekelhaften
Zumutungen so häufig, daß sie mich gewissermaßen aus der Hütte vertrieb.
Die alte Net-no-kwa3), mit welcher sie recht gut bekannt war, lachte über
meine Verlegenheit und schamhafte Zurückhaltung, wenn die Gelbköpfln mich
mit ihren Zumutungen belästigte. Ja, es hatte sogar den Anschein, als würde
diese von ihr aufgemuntert, noch länger in unsere]- Hütte zu verweilen. Der
A-go-kwa zeigte große Geschicklichkeit in allen Weiberarbeiten, womit er
sich auch sein ganzes Leben lang beschäftigt hatte. Endlich aber, als er
wohl sah, daß alle seine Bemühungen, mich anzulocken, vergebens waren, und
vielleicht auch, um nicht länger Hunger zu leiden, denn wir hatten nur wenig
*) Über die von Bancroft mitgeteilten Individuen dieser Art in Kalifornien und
Mexiko vgl. Renz, „Streiflichter auf Gemüt und Keuschheit bei nord- und zentralamerika-
tiischen Völkern" in „Die Wahrheit", 11. Bd., S. 325f.
2) Der Übersetzer Tanners, Karl Andree, benützt für diesen Zwitter das weibliche
Pronomen.
3) Der weibliche Häuptling der Ottawas, ein sonst tüchtiges und religiöses Weib,
dessen Pasten und Gebete zu Ehren des Großen Geistes Tanner mehrfach erwähnte.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 34
530 Kapitel XLVII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
zu essen '), verließ uns Ozaw-wen-dib, und ich hoffte schon, von nun an seinen
Nachstellungen entgangen zu sein. Nach drei oder vier Tagen aber kam er
wieder." — Tanner erzählt dann, wie dieser Mensch sich bald darauf mit dem
Häuptling Wa-ge-to-te verheiratete. Wa-ge-to-te nahm ihn neben seinen zwei
Frauen als Dritte an, was zu manchen Scherzen und ergötzlichen Vorfällen
Veranlassung gegeben habe, aber es sei aus dieser Heirat weit weniger Un-
ruhe und Zank entstanden, als wenn Wa-ge-to-te eine dritte Frau weiblichen
Geschlechtes genommen hätte.
"Wie so viele Formen der Unzucht, wurde auch diese auf göttlichen
Ursprung zurückgeführt. Bei den Chi ppeway- Indianern versicherte mancher,
er sei im Traum oder durch irgendeinen anderen Sinneseindruck ermahnt
woi'den, seinen Manito dadurch zu besänftigen, daß er nach bestem Wissen
und Können ein Weib nachahme. Dazu gehörte, außer der Verbindung mit
einem Mann, die Nachahmung der weiblichen Stimme, die einwärts gerichteten
Füße beim Gehen, Weiberkleidung und Weiberarbeit. Wer diese Lebensart,
einmal begonnen hatte, beobachtete sie bis zum Tod, als ein lebenslängliches
Gelübde, wenn nicht von vornherein eine Beschränkung geplant war, z. B.
daß das Gelübde durch die Gefangennahme eines Feindes gelöst sei (Th. L.
Me. Kenney-).
Die Illinois3) und andere Stämme am Mississippi waren zu De Lahontans-
Zeit der Sodomiterei sehr ergeben. Viele Individuen männlichen Geschlechts gingen
auch hier als Weiber verkleidet und ließen sich doppeltgeschlechtlich gebrauchen.
Bei den Mayas, diesem alten Kulturvolk in Zentralamerika, gaben
manche Väter ihren Söhnen einen Knaben zum Weib. Verging sich ein anderer
mit diesem Knaben, so wurde er als Ehebrecher gestraft! Die Not-
züchtigung eines Knaben war mit den gleichen Strafen belegt, wie die eines
Weibes (vgl. Athen!). — Nach Las Casus schickte man die größeren Jungen
zum Schlafen iu die Tempel, wo sie kleine Knaben (nifios) verführten. Später
konuten sie dieses Laster, dem hier aus religiösen Motiven gefrönt wurde,
nur schwer überwinden, weshalb sie von ihren Vätern mögliehst bald ver-
heiratet wurden 4).
Die obigen Strafen für die Notzüchtigung und Verführung des Knaben
eines andern sind, wenn nicht im Zusammenhang mit der nach Mayabegi iffen
erlaubten Knabenliebe berichtet, zweifellos sehr geeignet, viel zu optimistische
Begriffe von der Sittlichkeit der Mayas (aber auch der Athener) zu bilden,,
und der gleiche Fall scheint bei den Xahua-Völkern vorzuliegen, von denen
Bancroß schreibt: Der Versuch Clavigeros, sie von dem Laster der Päderastie
rein zu waschen, ist nicht gelungen. Bei den Azteken (Nahua) hatte dieses
Laster vielmehr zur Zeit der spanischen Eroberung eine schreckliche Verbreitung
gefunden. Nach Pierre de Gand hatte eine gewisse Zahl von Priestern keine
Weiber, sondern mißbrauchten statt dessen Knaben. Aber auch sonst war
Knabenliebe so allgemein im Land, daß alles, alt und jung, von ihr angesteckt
war. Schon sechsjährige Kinder ergaben sich ihr.
Torquemada schrieb freilich, man habe in Nueva Espana den gehängt,
der einen „pecado nefando" begangen, und die Richter hätten solchen Ver-
brechen im Staat eifrig nachgespürt, weil sie sie für vernunftwidrig und bestialisch
') Hungersnot im Winter ist bekanntlich unter den Jägerstämmen nicht selten.
*) Sketches of a Tour to the Lakes, Baltimore 1827, pp. 316 f.
3) Zur Algonkin-Gruppe gehörig.
*) Andererseits ließen die Mayas in Guatemala die Knaben unter der Säulenhalle des
Hauses, weil man es für unpassend hielt, daß sie die Verheirateten beobachteten und ihre
I'ntcrhaltung mitanhörten. Auch in Yucatan trennte man die Jugend von den Erwachsenen.
Es gab da in jedem Dorf ein sehr großes übertiinehtes Wetterdach, unter dem die Jugend
nachts schlief und sich am Tage unterhielt.
§ 310. Verkehr der beiden Geschlechter. Theorie und Praxis bei Indoeuropäern usw. 531
hielten. An einer andern Stelle geht Torquemada auf diesen „pecado nefando"
näher ein und konstatiert ihn für Vera Paz: Auch hier sei diese Sünde früher
gesetzlich verboten gewesen. Aber später sei ein Dämon in Gestalt eines
jungen Mannes namens Chin (in anderen Sprachen auch anders genannt) er-
schienen und habe sie durch sein Beispiel verleitet, indem er sich vor ihnen
mit einem andern Dämon verging. Von da an hätten es viele nicht mehr
für sündhaft gehalten. Vielmehr, so berichtet Torquemada weiter, wurde es
nun gebräuchlich, daß die Väter ihren erwachsenen Söhnen einen Knaben zum
geschlechtlichen Verkehr gaben. Ja, es wurde sogar gesetzlich festgelegt, daß
der Gebrauch solcher Knaben durch andere Männer den gleichen Strafen
unterlag wie Ehebruch (vgl. die Mayas, v. S.). Doch gab es auch in Vera Paz
Leute, welche die Päderastie als Laster verurteilten und die Knaben ermahnten,
sie sollten davon lassen, damit sie nicht daran stürben (Torquemada).
Banci-ofts, Ansicht über Eunuchen am Hofe Montezumas IL, welche in
ihrer Kindheit operiert worden waren, ist in Kap. XXXVII, Abschnitt „Varia",
wiedergegeben worden.
Auch auf Florida wucherte Homosexualität zur Zeit der Entdeckung stark.
Viele männliche Individuen gingen auch hier in Weiberkleidung und ließen sich,
je nachdem, als Mann, oder als Weib gebrauchen. Sie verrichteten, wie ihre
Standesgenossen auf den Aleuten und in den nördlichen Gebieten Amerikas,
Weiberarbeit. Auf Kriegszügen hatten sie das Gepäck zu tragen (Torquemada
und Dapper).
Aus Südamerika sind „Mannweiber" von Martius erwähnt worden,
der zugleich auf solche Erscheinungen in Mittel- und Nordamerika hinwies.
Bei den brasilianischen Tupin-Imbas hörte Lery die gegenseitige Be-
schimpfung als „Tyuire", d. h. Knabenschänder.
Widernatürliche Laster sollen schließlich auch im Männerhaus derBororö-
Kolonie Therese Christina, Matto Grosso, nicht fremd sein (Karl von den
Steinen). —
§ 310. Verkehr der beiden Geschlechter. Theorie und Praxis bei
Indoeuropäern und nichtarischen Indern.
Die Jugenderziehung der alten Inder war, nach Josef Müller, von
keuschem Geist durchweht. Über die Unschuld der Mädchen wachte Visch-
wasu, der erst am Hochzeitstage, weichen sollte. „Durch keusches Wesen
findet eine Jungfrau einen Gatten", heiße es im Atharvaveda (11, 5, 18). —
Daß aber der Keuschheitsbegriff im alten Indien vom christlichen sehr weit
abwich, geht schon aus der üblichen öffentlichen Entblößung heiratsfähiger
armer Mädchen hervor. Wer sie bedeckte, heiratete sie, schrieb Torquemada*).
Was das neuzeitliche Indien betrifft, so wurde auf den Mangel an
sittlicher Erziehung schon in § 294 hingewiesen: Die Kinder hören von den
Dienstboten, denen sie zur Obhut anvertraut sind, unsittliche Beden und sehen
unsittliche Gebärden. -- Nach Hoffmann werden ferner Hunderttausende von
Mädchen als Devadasis (Göttermädchen) in die Pagoden zu AVeikzeugen der
Schlechtigkeit der Brahmanen hingegeben. - Ebensowenig ist das durch-
schnittliche Eheleben geeignet, auf eine keusche Erziehung der Jugend hin-
zuwirken. Die sogenannten Kulinbrahmanen, die einen erblichen Adelsstand
in Bengalen bilden, werden von Hoffmann geradezu „Ehehändler" genannt.
Aus Geldgier vermehren sie die Zahl ihrer Frauen ins Grenzenlose, so daß
viele Kinder ihre Halbgeschwister und Stiefmütter nicht einmal der Zahl nach
alle kennen. — Bei den Nair, Nichtariern im Südwesten der vorderindischen
Halbinsel, ist von einer geordneten Ehe nicht die Rede, und ähnlich
») Mon. Ind. II, 406 ff. (nach Strabo, Geogr. 1. 15).
34*
532 Kapitel XLVII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
sieht es in mehreren anderen Gebieten aus. — Die Mythologie ist derart, daß
schon der Verdacht, daß Mädchen oder Frauen sie kennen, genügt, diese der
Unsittlichkeit zu verdächtigen.
Die Kindererziehung der polyandrischen Toda im südlichen Vorderindien
zur Keuschheit kann aus folgendem erschlossen werden. Man erschauert vor
einer gegenseitigen, auch nur rein äußerlichen Berührung zwischen gewissen
Verwandten beider Geschlechter. Das Weib des von HarJcness erwähnten
Purpura zitterte bei der bloßen Erinnerung, daß ihr Pflegevater ihr gedroht
hatte, er würde sie auf seinen eigenen Armen wegtragen, wenn sie nicht gut-
willig ginge. Schon der Kontakt der Gewänder bedeutet Verunreinigung.
Marshall rühmt vielen Toda- Weibern ein bescheidenes Benehmen außer dem
Hause und Zurückgezogenheit nach, betont auch die Trennung der Geschlechter
im Bad und bei privaten Zusammenkünften sowie die fast beispiellose Eein-
erhaltung des Todabiutes trotz langjährigem Verkehr mit den Engländern und
eingebornen Nachbarvölkern. Andererseits meinen Marshall und Mete, es müsse
bei den Wohnungsverhältnissen, der naturlichen Veranlagung, dem numerischen
Überschuß der Männer usw. ein ekelhaftes Geschlechtsleben zu den Gewohn-
heiten der Todas gehören, ohne daß diese sich der Unsittlichkeit bewußt seien
(vgl. Kap. L).
Als Robert Knox in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts auf Ceylon war.
galt unter den Singhalesen des Wort „Sesou" (Hure) als ein so hochgradiger
Schimpf, daß man ihn nur auf Weiber airwandte, welche mit Männern aus
einer niederen Kaste Umgang pflegten. In Wirklichkeit aber erlaubten die
Eltern ihren Söhnen, von frühester Jugend auf, die Nächte außerhalb des
Hauses zuzubringen, und ihren Töchtern, solche Schlafgänger aufzunehmen,
damit diese untertags zu Dienstleistungen herangezogen werden konnten. „Un-
sittlichkeit ist eine Schande vor Gott und der Welt," sagten sie, „aber wir
sind zu schwach, zu entsagen," weshalb Knox schrieb: ,.They are guilty of
the. thing, but love not the name." Umsonst ließ damals der König von
Kandi, Radja-Singä, zahlreiche Edelleute wegen Verkuppelung ihrer eigenen
Kinder hinrichten, Prostituierte peitschen und ihnen Haare und Ohren ab-
schneiden. Die Erziehung verbesserte sich nicht, und was Robert Perceval
von der Vielweiberei, dem Konkubinat, dem Ehebruch, auch seitens der Weiber,
und den häufigen Ehescheidungen schrieb, trug auch nicht zur Förderung der
Erziehung der Kinder zur Keuschheit bei.
In Persien hörte Polali die Erwachsenen ohne Scheu vor den Kindern
über Geschlechtliches reden. Man mache aus erlaubten geschlechtlichen Ge-
nüssen kein Hehl. — Diesem pädagogischen Grundsatz und der frühen Verhei-
ratung, oder doch sicheren Aussicht auf baldige Ehe schrieb Polak es allerdings
zu, daß Onanie, Dismenorrhöe und Amenorrhoe sich bei Unverheirateten fast nie
einnisteten und sich nur bisweilen bei Witwen und Frauen fanden, die von
ihren Männern vernachlässigt wurden.
In Attika suchte das Solotische Gesetz die Keuschheit zu pflegen, indem
es den Jungfrauen und Frauen nächtliche Ausgänge nur im Vagen unter
Vorautragung einer Fackel gestattete. Untertags durften die Jungfrauen
sich nur verschleiert auf der Straße zeigen. Wer seine Tochter der Unzucht
preisgab, war des Todes schuldig. Mädchen, die bei einem Mann ertappt
wurden, konnten von ihren Vätern oder Brüdern in die Sklaverei verkauft
werden. Ehebrecherinnen galten als ehrlos, mußten von ihren Männern ver-
stoßen werden, durften weder mehr im Tempel, noch geschmückt in der
Öffentlichkeil sich zeigen. — All das mußte die Erziehung der Mädchen zur
Keuschheit stark beeinflussen. — Wie aber bei allen nichtchristlichen Völkern, so
wurde dem männlichen Geschlecht auch bei den Griechen in Attika das Sitten-
gesetz leichter gemacht: Verfehlungen der Ehemänner mit unverheirateten
§ 310. Verkehr der beiden Geschlechter. Theorie und Praxis bei Indoeuropäern usw. 533
Nichtbürgerinnen1) wurden nicht bestraft. Nur durften sie innerhalb ihrer
Häuser keine Hetäre und kein Kebsweib haben, wenn sie nicht wollten, daß
ihre rechtmäßigen Frauen auf Ehescheidung klagten. Während des pelo-
ponnesischen Krieges (411 — 403) wurde im Interesse der Volksvermehrung auch
die Doppelehe legitim (Josef Midier).
Sparta glaubte der Einsperrung nicht zu bedürfen, um seine Töchter
bis zur Ehe unverletzt zu erhalten. Die Mädchen brauchten sich auf der
Straße nicht zu verschleiern; ihre wollenen Röckchen waren geschlitzt, wes-
halb sie die „Schenkelzeigenden" genannt wurden, und bei gewissen Tänzen
erschienen die Mädchen ganz nackt. Dennoch waren sie nicht unsittlicher
als ihre Altersgenossinnen in Attika. — Ehebruch soll in Sparta wenig oder
gar nicht vorgekommen sein. Er sei im Lykurgischen Gesetz gar nicht
erwähnt (Josef Müller). .Hingegen dürfte das polyandrische Verhältnis,
welches bei mehreren Brüdern eintrat, von denen die jüngeren keinen eigenen
Herd gründen konnten, auf die Kinder nicht eben keuschheitlich gut gewirkt
haben. —
In Lokri verlangte das Gesetz, daß dem ertappten Ehebrecher die Augen
ausgestochen würden-), und in Gortyn auf Kreta gehörte zu den Strafen des
Ehebrechers, unter anderem, der Verlust des Bürgerrechts3).
Merkwürdig ist es freilich, daß die Tugend der Griechen nur so kurz-
lebig war. Wenn man bedenkt, daß das Konkubinat in der Heroenzeit all-
gemein üblich war, daß Sohn (7. und 6. Jahrh.) selbst einen Aphroditentempel
erbauen ließ, und daß im 4. Jahrh. v. Chr. Demosthenes*) sagen konnte: „Wir
haben Dirnen zu unserem Vergnügen. Konkubinen zum täglichen Gebrauch,
Eheweiber aber für das Hauswesen und um legitime Kinder zu erhalten";
wenn die „Wendung" zum Schlechteren schon vor dem peloponnesischen Krieg,
also vor 431 v. Chr. eintrat, wie Josef Müller schreibt, dann bleibt für die
sittliche Höhe, wenn eine solche überhaupt nicht auf dem Papier allein stand,
etwa ein Säkulum. Übrigens sucht man Laster, die nicht bestehen, nicht
durch Gesetze zu beschränken, was auch für die sogenannte Glanzperiode
griechischer Keuschheit zu bedenken ist8). Die Hetärenschule der Aspasia,
aus welcher zwei Mädchen von megarensischen Jünglingen entführt worden
sein sollen, hatte wohl schon Vorgängerinnen gehabt, da der Umgang mit
Hetären dem historischen Griechen ja nie zur Schande gereicht war. Korinth,
Athen, Milet, überhaupt alle größeren griechischen Städte hatten übergenug
von solchen Weibern. Die wenigstens beweisbare und erzwungene Keusch-
heit war also durchschnittlich nicht bei den griechischen Bürgern, sondern
bei deren Frauen zu suchen, und danach wird wohl auch die Erziehung vor
sich gegangen sein, zumal Solirates, Pluto, Aristoteles, wie überhaupt eine An-
zahl leitender Geister Griechenlands, selbst Bewunderer und Anhänger der
Hetären waren. Die Söhne folgten doch dem Beispiel ihrer Väter! Daß die
Hetären sich (sämtlich ?) aus fremden Weibern rekrutierten6), ist kein Beweis
für die Hochhaltung der weiblichen Keuschheit unter den Griechen in unserem
Sinn, sondern kann recht wohl mit dem griechischen Eigentums- und Staats-
gedanken erklärt werden, zu denen es Analoga bei zahlreichen andern Völkern
gibt. Übrigens hielt man es in Athen im 5. Jahrhundert für erlaubt, frei-
1) Darunter waren alle Ausländerinnen. Auch Hetären gab es schon zu Soloiis
Zeit. Sie wohnten außerhalb der Stadt, durften aber nach Sonnenuntergang hinein. So'on
selbst erbaute der Aphrodite Pandemos einen Tempel (Jos. Müller, 266, nach Athenäos 13, 25).
2) Aelian, Tar. hist. 13, 23; Taler. Max. 6, 5 ext. 3 bei Josef Müller, ebenda, 26J.
») Ebenda.
«) Bei Jos. Müller, 267.
*) Vgl. die Gesetze gegen die Knabenliebe in § 309.
8) Müller, S. 267.
534 Kapitel XLVII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
geborne Mädchen in die Hetärensclmle zu Aspasia zu schicken, damit sie
lernten, Männer zu fesseln1).
Im 6. Jahrhundert hatte Pythagoras allerdings den Ausspruch getan, in
Liebessachen sei Spätlernen besser als Frühwissen. Man solle deshalb den
Knaben nicht Zeit lassen, nach Geschlechtsliebe zu verlangen, und sie womög-
lich bis zum 20. Jahr in dieser Hinsicht unaufgeklärt lassen. Besser sei
sterben, als durch Ausschweifung seine Seele schwächen2). Aber danach
die sittliche Höhe seiner Zeitgenossen im allgemeinen, und infolgedessen auch
die Knabenerziehung zu beurteilen, ist nach dem bisher Gesagten kaum an-
gängig, zumal diese Erziehung zum großen Teil den Sklaven anvertraut war,
von den entsittlichenden Wirkungen der Knabenliebe gar nicht zu sprechen.
Ähnlich verhält es sich mit Piatos Mahnung im 4. Jahrhundert, die Knaben
und Jünglinge zur Keuschheit zu erziehen3). Das Beispiel der Erwachsenen,
darunter Plato selbst, war kein glänzendes, abgesehen von seiner Theorie
betreffs Weibergemeinschaft und Geschwisterehe in seinem Staat.
Glänzend ist das Zeugnis, welches Josef Müller der Keuschheit im alten
Rom ausstellt: Die Mädchen wurden von ihren keuschen Müttern in strenger
Abgeschlossenheit herangezogen; um die Ohren der Jungfrauen und Ehegattinnen
vor ungeziemenden Worten zu bewahren, versagte man ihnen die Gegenwart
bei Gelagen und Schauspielen4). Schamhaftigkeit, Selbstbeherrschung, Gottes-
furcht, kindliche Pietät usw. galten als die beste Ausstattung der Bräute. —
Die Knaben durften nicht mit den Erwachsenen baden; bei den Kampfspielen
war Nacktheit nicht gestattet, weil die Entblößung des Körpers als Schande
galt, eine Ansicht, welche auch zur Zeit des Dionysius von HnUkamass, also
um das Jahr 30 v. Chr., noch fortlebte5). — Achtung vor der weiblichen
Keuschheit zeichnete die römischen Soldaten aus. - - Ein wirksames Beispiel
soll die Jugend an ihren Eltern gehabthaben, wobei mitunter extreme Formalitäten
beobachtet wurden. So galt schon das Küssen der Gatten in Gegenwart ihrer
Kinder für unstatthaft6). Cato stieß den Konsul Lucius wegen einer solchen
Tat aus dem Senat, und von Cato selbst schrieb Momms&n: Die Unschuld seiner
Kinder war ihm heilig; wie vestalische Jungfrauen hütete er sie vor jedem
schändlichen Wort: nie auch umfaßte er vor seiner Tochter die Mutter, außer
wenn diese sich bei einem Gewitter fürchtete. — Andererseits machte sich
Cato, wie es scheint, keine Skrupeln, tief in die Familienbande einzuschneiden,
indem er sein Weib seinem Freund Hortensius abtrat und es nach dessen Tod
wiedernahm, während im alten Rom nur schwere Vergehen, z. B. Ehebruch,
die Ehe lösten, wenn nicht gar Pio)i;/sos von Halikarnass recht hatte, der die
altrömische Ehe überhaupt unauflöslich genannt haben soll, wie Müller
meint. Auf den Ehebruch des Weibes stand im alten Rom der Tod; das
Konkubinat war bis zur Kaiserzeit unerlaubt; Bigamisten soll es yor Antonius
nicht gegeben haben. — Der Wendepunkt zum Schlimmen trat nach dem
zweiten punischen Krieg mit dem Zuwachs der Macht und des Luxus ein.
') Müller, 268. üb die in neuerer Zeit versuchte Ehrenrettung der Aspasia gelungen ist,
kann ich nicht beurteilen. Außer ihr bleiben noch genug berühmte Hetären für Griechenland.
8) J. Müller, 278 f.
») Gesetze 8, 5, bei Müller, 280.
4) Daß das männliche Geschlecht sich nicht davor zu schützen brauchte, beweist indessen
auch für die sittliche Glanzperiode Koms, daß eine Doppelmoral herrschte.
b) Nach Josef Müller erwähnte noch Augustin die Schamgürtel der römischen Jünglinge
bei ihren Übungen. Es ist das besonders bemerkenswert, weil Rom damals die tiefsten Lastcr-
sümpfe bereits hinter sich hatte. — Eine gewisse äußere Form erhielt sich also trotz der
inneren Fäulnis, wiederum ein Beweis, daß Kleidung und Keuschheit nicht immer und über-
ull im geraden Verhältnis stehen.
6) C. Sulpicius Gallus schied sich von seiner Frau, weil diese mit unbedecktem Haupt aus-
gegangen war. Die Worte des Apostels Paulus im ersten Korintherbrief, Kap. 11, 6 ff., über
die Verschleierung der Frauen basierten also wohl auf einer altrömischen Anschauung.
§ 311. HamiteD, Semiten, Xeger, Buschleute und Hottentotten. 535
Schon gegen Ausgang der republikanischen Zeit galt in Rorn Unkeuschheit
nicht mehr als Schande, und der Antrag der Senatoren, dem Caesar freien
Gebrauch aller Weiber zuzugestehen, eröffnet die Periode jener maßlosen Aus-
schweifungen der Römer, welche Josef Müller in seinem mehrfach zitierten
Sexuellen Leben der alten Kulturvölker geschildert hat1). —
§ 311. Hamiten, Semiten, Neger, Buschleute und Hottentotten.
Die alten Ägypter duldeten mit Rücksicht auf ihre Kinder bei ihren
Festen und Opfern keine unpassenden Tänze und Gesänge. Schon früh suchte
man die Jugend an Anstand in Blicken und Bewegungen zu gewöhnen, schreibt
Wilkinson. — Aber an den Erwachsenen hatte die Jugend das häufige Beispiel
von Geschwisterehen, Vielweiberei und Prostitution s) (Maspero und Bachofen).
An die Schamlosigkeit im ägyptischen Canopus und in Carthago zur
Römerzeit erinnert Freiherr von Maltza>i und stellt sie Seite an Seite mit
der Unsittlichkeit in Sicca Veneria, einer römischen Kolonie in Numidien.
und mit den verrufensten Quartieren des kaiserlichen Rom. Die Nachkommen
der alten Numidier, die Berber, fand von Maltean nicht besser. „Im ber-
berischen Volkscharakter.'' schreibt er, „ist und war von jeher das Gefühl
der Schamhaftigkeit nur sehr schwach vertreten. Gegen ihren guten Leumund
in bezug auf sinnliche Untugenden zeigen sie sich von einer auffallenden Gleich-
gültigkeit." Quedenfeldt freilich warnt vor der Zusammenfassung der weit-
verzweigten Berber unter allgemeinen Gesichtspunkten, und schon Leo Africanus
unterschied den Charakter der Städter von jenem der „Hirten auf Bergen und
Gefilden", und zwar speziell auch bezüglich der Erziehung der Jugend zur
Keuschheit. Die städtischen Berber des 18. Jahrhunderts nannte er so
ehrbar und schamhaft, daß sie niemals öffentlich unanständige Reden führten.
Nie habe sich ein Junge erdreistet, in Gegenwart seines Vaters oder Onkels
von Liebe zu sprechen, und wenn Kinder zufälligerweise von Liebesliändeln
reden hörten, gingen sie gleich davon. Bei den Hirten aber herrschte vor
der Ehe freie Liebe, die von den eigenen Vätern und Brüdern der Mädchen
begünstigt wurde, weshalb es auch keine jungfräulichen Bräute gab.
Wenn man übrigens den Spuren Leos durch die von ihm besuchten Städte
folgt, dann bemerkt man, daß seine eigenen Erfahrungen mit seinem obigen,
allgemein gehaltenen Urteil über die Städter keineswegs immer übereinstimmen.
Denn, nach seinen Erfahrungen führten auch bei den Städtern Liebeshändel oft
zu Familienzwisten, Ehebruch, Mord, bürgerlichen Unruhen. Krieg usw. Die von
Leo bezeugte Knabenliebe in Azaamur ist in § 309 erwähnt worden, und der zu
gewissen Zeiten stattfindenden Promiscuität in einem Tempel der Stadt Harn
Lisnan sei hier gedacht: Verheiratete Männer und AVeiber kamen da zu
nächtlichen Orgien zusammen. Die daran beteiligten Weiber mußten sich
dann im Laufe des betreffenden Jahres vom Verkehr mit ihren rechtmäßigen
Männern enthalten, und die aus den Orgien hervorgegangenen Kinder wurden
von den Priestern des Tempels erzogen. Schon damals, also im 18. Jahrhundert,
war nicht einmal ein Zehntel der Bevölkerung Marokkos frei von Syphilis,
und in neuerer Zeit erfuhren wir von Eohlfs, daß nördlich vom Atlas fast
jede Familie infiziert sei. Das glänzende Sittenzeugnis, welches er zugleich den
dortigen Mädchen und Verheirateten ausstellt, wirkt dadurch etwas auffallend.
Äußerst selten gebe sich ein Mädchen vor der Ehe einem Mann hin, und Ehebruch
komme fast nie vor3). Übrigens nennt auch Ch. de Foucauld die Berberinnen
in Tizgi Ida und Balul am Wad Aqqa so bescheiden, daß sie bei Begegnungen
1) Vgl. auch die Ausschweifungen in den römischen Kolonien, § 311.
2) Vgl. Kap. XL. Abschnitt: „Völker mit Promiscuitiit'-.
3) Die Syphilis müßte demnach durch die Verbindung der ilänner mit syphilitischen
fremden Weibern in die Familien hineingetragen worden sein.
536 Kapitel XLV1I. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen
mit fremden Männern mehrere Schritte vorher an den Band des Weges gehen,
hier sich umdrehen und dem Fremdling den Rücken kehren. l>is er vorüber ist *). —
Ganz anders wieder bei den Schluh in Tazerwalt (Taserualt) und weiter
im Osten des Maghreb, wo jeder lüsterne Geselle ein Anrecht auf die Ehre
jenes Mädchens hat, welches die Pointe seiner dichterischen Anrede nicht
erwidern kann.
Auch bei den Kabylen2) sehen wir einerseits die Syphilis an allen
Ecken und Enden, andererseits eine öffentliche Meinung und ein Sittengesetz,
daß man die Kabylen für das keuscheste Volk unter der Sonne halten möchte:
Keine außereheliche Verbindung, kein Konkubinat ist geduldet, schreiben
Hunoteau und Letoumeux; niemals würde die öffentliche Meinung in Djur-
djura einem Manne verzeihen, der ein Weib mit übler Vergangenheit heiratete.
Mehrere Kabylenstämme belegen den Mann, der sich mit seiner Zukünftigen
verfehlt, mit einer Geldstrafe; eine solche trifft auch den Vater des Mädchens,
weil er die Befleckung seines Hauses nicht verhinderte. Bei den Alt Aissa
u Mimun ist der Verführer eines Mädchens gezwungen, es zu heiraten und
hat zudem eine Strafe von 25 Talern zu leisten. Nach dem Aguni-n-Te-
sellent-Kanon ist jeder berechtigt, den Verführer seiner Tochter, Schwester,
Frau, Tante usw. zu töten. Der Kanon der Ait Mahmud bestimmt: Das
Weib, welches unverheiratet schwanger wird, sei des Todes. Widersetzen
sich die Eltern dieser Strafe, so sollen sie fünfzehn Realen Geldbuße ent-
richten. — Die Ehebrecherin muß verstoßen werden, was mancher beleidigte
Gatte erst tut, nachdem er ihr das Kopfhaar abrasiert hat. Kein Kabyle
vergesse sich so weit, eine Ehebrecherin, wie schön sie auch sei. zum Weib
zu nehmen. Nach den Bestimmungen des Kanons Ait Flik soll die Ehebrecherin
von ihrer eigenen Familie getötet werden, wie es schon die Sitte der Väter
verlangt habe. Gebiert die Ehebrecherin, dann kann der Gemeinderat (die
Djemäa) Mutter und Kind zur öffentlichen Steinigung ausliefern. Dieser
Schmach entgeht man durch vorherige Tötung im Haus des beleidigten Gatten
oder der Eltern der Ehebrecherin. — Entledigt sich das Weib seines Kindes
vorher durch Abortus, dann begnügt sich der Gemeinderat mit einer Geld-
strafe und überläßt das Weitere ihren Angehörigen. Den Buhlen der Ehe-
brecherin trifft eine Kugel, oder er wird erdolcht, und mancher Rächer seiner
Hausehre geht so weit, der Leiche den Penis abzuschneiden und ihr zwischen die
Zähne zu stecken. Rächt sich der Gatte nicht, dann verfällt er selbst bei
gewissen Stämmen einer Geldstrafe, und rächt er sich, dann zieht er sich
eine Blutrache zu. —
Daß diese äußere Sittenstrenge auf die Erziehung der Jugend im positiv
keuschheitlichen Sinn wirken muß, ist klar. Andererseits aber geben die Väter
ihren Kindern ein schlechtes Beispiel durch die häufige Verstoßung ihrer
Weiber und durch ihre ebenso häufige Wiederverheiratung (Schönhärl). Auch
bildet ein gewisser Aberglaube und die damit verbundene Heuchelei einen
Deckmautel der Unkeuschheit. Die Kinder gefallener Mädchen werden, ehe
ihre Geburt bekannt wird, aus dem Wege geräumt, worauf die Mädchen von
ihren Eltern als „Freitagskinder-' ausgegeben und an den Mann gebracht
werden. Freitap,skinder gelten nämlich für jungfräulich, auch wenn sie das
Zeichen der Jungfrauschaft verloren haben (Sanoteau und Letoumeux). —
Die Tochter des Somali soll keusch in die Ehe kommen; der enttäuschte
Gatte tut die Schande öffentlich kund, woraus der Familie des gefallenen
') Vgl. die Haltung der Njam-N jamfrauen f. S.
2) Nach Rohlfs bedeutet in Algerien und Marokko ., Kbail", ..Kabyl" nichts anderes,
als Bergbewohner; die Einwohner von Uesan nennen die umwohnenden Leute der Gebirge
„Kbail", ob sie Berber oder Araber sind.
§ 311. Hamiten, Semiten, Neger, Buschleute und Hottentotten. 537
Mädchens eine Reihe von Verdrießlichkeiten entsteht, Nach Paulitschke zeichnen
sich die Somäl-Weiber durch Keuschheit aus; Prostitution kommt gar nicht,
Syphilis selten vor; auch die Männer leben in der Ehe ziemlich enthaltsam und
hüten ihre Töchter sorgfältig, um einst einen guten Brautpreis herauszuschlagen. —
Aber Ehescheidungen sind eine gewöhnliche Erscheinung, und Vielweiberei ist
durch den Islam eo ipso gebräuchlich, wo immer das Vermögen reicht, um
den hohen Brautpreis zu erschwingen. Überhaupt stellt Burton, im Gegensatz
zu Paulitschke, den Somäl kein gutes Sittenzeugnis aus. Das weibliche Ge-
schlecht halte sich an das arabische Sprichwort: „Der neue Kommer füllt
das Auge", und knüpfe besonders gern mit Fremden au. — Ähnliches be-
richteten Vannutelli und Citerni. —
Eine beachtenswerte Vorsichtsmaßregel zur Erhaltung der Keuschheit
fand Schweinfurth bei den Njam-Njam oder Asande, einem äthiopischen
Zweig der hamitischen Völkerfamilie. Um nicht vorzeitig in das Geschlechts-
leben eingeführt zu werden, mußten die heranwachsenden Knaben dieser
Kannibalen nachts abgesondert von den Erwachsenen, in wohlgeschützten
Hütten, den Bamogh-i, schlafen. Die Frauen sind gegen fremde Männer sehr
zurückhaltend. Schweinfurth schrieb: So oft mir W eiber auf schmalem Pfad
im Walde oder in der Steppe entgegenkamen, sah ich sie stets einen weiten
Umweg machen, um in einem Bogen meinen Standort zu umgehen und weiter
hinten wieder in den Weg einzulenken. Manchmal sah ich sie sogar abge-
wandten Gesichts in einiger Entfernung vom Wege aufgestellt, um abzu-
warten, bis wir vorübergezogen wären ]). Der Fremde begrüßt die schüchternen
Frauen nicht. — Ausgiebige Vielweiberei scheint nur bei den Vornehmen
gebräuchlich zu sein. Schweinfurth erwähnt einen reich bevölkerten Harem
des Unterhäuptlings Ssurrur. — Die Untertanen erhalten in der Regel ein
Weib von ihrem König oder einem Unterhäuptling zugewiesen, an den sie
sich wenden. Das Eheleben wird günstig geschildert. Diese Kannibalen
hängen mit großer Liebe an ihren Ehefrauen, deren Treue sie eifersüchtig
bewachen. Unfruchtbare Weiber werden aber verstoßen und fristen dann ihr
Leben als Prostituierte.
Abgesonderte Schlafräume für die heranwachsende Jugend haben auch
die Bongo. — Den Njam-Njam und Bongo sind sprachlich und anthropologisch
die Mangbattu oder Monbuttu nahe, die an Sittlichkeit jedoch unter den
Njam-Njam stehen. Schweinfurth schildert die Monbuttu- Weiber als höchst
zudringlich. Die älteste Schwester des Königs verfolgte mit ihren schamlosen
Anträgen die Soldaten und die Gäste ihres Bruders. Vielweiberei scheine
unbegrenzt. Der König allein besaß Hunderte, die in der Nähe seiner Residenz-
eigene Dörfer bewohnten und, ihrem Alter und ihren Ehejahren entsprechend,
in zwei Klassen eingeteilt waren. Jeder nächtliche Besuch des Königs bei
seinen Weibern wurde von Trabanten begleitet, die dabei die Nationalhymne
anstimmten und ihre Pauken und Hörner bearbeiteten.
Betreffs der vielfach berüchtigten Sittenlosigkeit der Nubier meinte
Waitz, diese sei wohl nur auf die Städter zu beziehen. Aber auch die in
Esne lebenden Nubierinnen lobte J. L. Burckhardt, nannte sie sogar die
tugendhaftesten Frauen des Ostens, was in der Nachbarschaft des zügellosen
Oberägypten um so mehr zu beachten sei. Jeden Morgen kamen ägypti-
sche und nubische Milchveikäuferinnen zu ihm. Die ersteren betraten kühn
den Hof und euthüllten zum Zeichen, daß sie ihre Keuschheit feilboten, ihr
Gesicht. Die Nubierinnen hingegen blieben bescheiden an der Türe stehen
und waren nicht zum Eintreten zu bringen, lüfteten auch nicht ihre
') Vgl. die Berberinnen in Tizgi Ida und Balal S. 535 f.
538 Kapitel XL VII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
Schleier1). Prostituierte, deren es in Ägypten zu Tausenden gibt, wurden zu
Burckhardts Zeit außer dem Hauptort Derr in Nubien nicht geduldet. Ferner
waren es nicht eingeborne Mädchen und Weiber, die sich dieser Profession
hingaben, sondern freigelassene Sklavinnen von andern Völkern, die aus mate-
rieller Not zum Laster griffen2). Eifersüchtig bewacht der Barabra-Nubier
aus dem A'olk die Treue seines Weibes. Ein Schatten von Verdacht genügt,
daß er seine Gattin nachts an das Nilufer schleppt, ihr die Brust aufschneidet
und sie, den Krokodilen zum Fraß, ins Wasser wirft. . Ein solcher Fall kam
während Burckhardts Anwesenheit in Assuan vor. — Eine Frau kann von
ihrem Manne ihre Scheidung verlangen, aber dann ist dieser berechtigt, sie
ihrer Kleidung und ihres Schmuckes zu berauben und ihr das Haupthaar zu
scheren. Bis ihr dieses wieder gewachsen, will sie kein anderer zum Weibe.
Nur die Distriktshäuptlinge entwürdigen die Ehe. indem sie sie zu einer
Quelle reicher Einnahmen machen, da sie um die Töchter ihrer reichsten
Untertauen werben und diese dann materiell aussaugen. In jedem größeren
Dorf haben sie je eine Gattin. Ein Burckhardt bekannter Häuptling zog
seine Söhne zum gleichen Vorgehen heran.
Bei der aus Fulbe8) und Haussa gemischten Bevölkerung von Adamaua
ist es nicht Regel, daß die Kinder eines Weibes, oder eines Mannes rechte
Geschwister sind. Ausnahmen betont man nachdrücklich. Die Ehen werden
ebenso schnell gelöst als geschlossen. Wer es vermag, nimmt sich mehrere
Weiber. Sultan Mamadu ben Issa verfügte "über mehr als 1200. Sein Harem
unterstand der Aufsicht eines Direktors, des „Baba ssariki" (Passarge). — In
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand aber in den westlichen Fulbe-
staaten der Tod auf dem Ehebruch des Weibes und des Mannes. Die Todes-
strafe wurde allerdings gelegentlich dahin abgeschwäscht, daß man dem Ehe-
brecher oder der Ehebrecherin eine Hand abschlug oder die Missetat mit
Schlägen rächte (Waitz nach Hecquard). — Ehescheidung durfte auch das
Weib beantragen. —
Die Sittenstrenge der Araber nennt Frhr. von Maltean eine nur schein-
bare; sie seien kein Haar besser als die Berber, wenn auch ihr tief eingeprägtes
Schamgefühl öffentliche Schandtaten nicht gestatte4). — Seit Aufhebung der
Sklaverei und des damit verbundenen Konkubinats breite sich indessen die
Prostitution in Tunis immer weiter aus. — Schlimmer noch charakterisiert
J. L. Burckhardt die Sittlichkeit der Städtearaber:
IhrEinspernmgssystem, welches die heranwachsenden Knaben und Mädchen,
bzw. Jünglinge und Jungfrauen, keusch erhalten soll, bewirke, wenigstens beim
') Bei dieser Mitteilung ist jedoch zu beachten, daß Burckhardt als eigentliche Nubier
nur die Barabra anerkennt. Die Unsittlichkeit der X'ubier in Berber, ein Mischvolk,
schildert er selbst mit diistern Farben. Hier gibt es wenig Privathäuser, besonders der so-
genannten angeseheneu Kreise, welche nicht im Hof, oder doch vor dem Tor, ein Zimmer
für Prostituierte haben. Den Kindern des Hauses dürfte das kaum entgehen. Als die
Araber- Fei 1 ah-Karawane von Daraui, Oberägypten, in der sich Burckhardt befand, in
Herber ankam, und die Begrüßung seitens der Eingebornen stattgefunden hatte, erschienen
rl Prostituierte, welche die Ankömmlinge, als alte Bekannte, mit lautem Kreudengeschrei
begrüßten und sie mit wohlriechender Salbe einrieben. Fast jeden Abend kamen sie in die
Quartiere, und ihre eigenen Zimmer waren selten frei von Besuchern, zumal das berauschende
Buza fast nur in den Wohnungen der öffentlichen Dirnen getrunken wird, weil der Trinker
dort vor Mitsäufern am ehesten Buhe hat. (Vgl. § 316.) Als die Karawane in Schendi,
südliches Xubien, ankam, erkundigte sich ein dortiger Prinz sofort, ob in der Karawane nicht
ein munterer Bursche sei, der mit ihm die Xacht in einem Bordell verbringen wolle. Ein
Ägypter meldete sich.
*) Vgl, die Mädchenbeschneidung der Xubier in § 253.
3) Somatisch ein Mischvolk; sprachlich nähert es sich der hamitischen Völkergruppe
(Scobrh.
') Ein tief eingeprägtes Schamgefühl würde aber doch für eine höhere Sittlichkeit
sprechen als die Schamlosigkeit. Vgl. indessen Burckhardts Schilderung der Araber w. u.
§ 311. Härmten, Semiten, Neger, ßuschleute und Hottentotten. 539
männlichen Geschlecht, gerade das Gegenteil. Die Liebesleidenschaft der
Städter sei kaum etwas anderes als tierische Begierde. Hingegen gebe es
bei den Beduinen, welche den jungen Leuten mehr Freiheit gestatten, keusche
Jugendliebe. — Die häufigen Ehescheidungen der Eltern werden auch hier
auf die sittliche Erziehung der Beduinenkinder keine sonderlich gute
Wirkung haben. — Das zügellose Leben der Araber in den Bordellen Nubiens
ist schon erwähnt worden, und in Tripolis machen sie's nicht besser. Hier
bewohnten die Prostituierten schon zu Lyons Zeit, als die Sklaverei noch
nicht abgeschafft war1), ein eigenes Stadtviertel, Zanga tfel Ghaab, wo sie
unter einem Aufseher standen. Ihre Pflicht, täglich die Hunde zu füttern,
welche das Arsenal des Pascha bewachten, dürfte eine historisch und sittlich
tiefere Bedeutung haben; denn der Hund war nach Bachofen schon in der
alten Welt das Zeichen des Hetärentums, und eine ähnliche Bolle scheint er
im alten Mexiko gespielt zu haben. (Vgl. Seiers Tierbilder2).
Erziehung der Kinder zur Keuschheit ist bei solchen Verhältnissen schon
-durch die angeborne Veranlagung erschwert, von den Beispielen der Umgebung
gar nicht zu reden. —
Weit auseinandergehende Mitteilungen liegen mir über die Keuschheit
der Tibbu (Teda oder Tebu) vor: Nach Nachtigal führt die Jugend dieses
Volkes ein sittenreines Leben. Selten wird ein Mädchen verführt, und tritt
ein solcher Ausnahmefall ein, dann verfällt der Verführer der Bache des
beleidigten Vaters. Keusch sei auch ihr Eheleben, und dieser Sittlichkeit
schrieb Nachtigal es zu, daß zu seiner Zeit dieses Volk noch in seltenem
Grade vor der Syphilis bewahrt worden war. Selten mache ein Mann von
•der muselmanischen Erlaubnis der Vielweiberei Gebrauch, und die Verstoßung
der einen Frau komme hier seltener vor, als in anderen mohammedanischen
Ländern. Rohlfs bezieht selbst diese seltenen Fälle auf die Einführung des
Islam, welcher einen Zerfall der Sitten herbeigeführt habe.
Nach Aussage der Araber aber steht die Keuschheit der Tibbu auf tiefer
Stufe, ist kaum vorhanden. Brüder und Schwestern leben ehelich zusammen; eine
Dauerehe ist ihnen überhaupt unbekannt. Behm, der dieses mitteilt, meint
jedoch, man habe es hier mit einer Verleumdung zu tun. Die Araber hätten
solche Aussagen zu einer Zeit gemacht, als der Islam bei den Tibbu noch
nicht eingezogen war; damals wollten die Araber die „ungläubigen" Tibbu
möglichst schlecht machen. — In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
berichtete James Richardson auf die Versicherung eines Quatruners hin, man
wisse ja, daß die Tibbu -Männer bei der Ankunft der Salzkarawanen von
Aheer, mit Lebensmitteln auf einen Monat versehen, in die benachbarten
Berge fliehen und ihre Weiber für diese ganze Zeitdauer mit den Fremden allein
lassen. Wer zurückbleibe, werde von dem Buhlen mit Zustimmung der Ehe-
brecherin niedergestochen. — Daß die von Nachtigal bezeugte eheliche Keusch-
heit der Tibbu das Konkubinat mit Sklavinnen nicht ausschließt, wird
von ihm selbst bestätigt, und im übrigen meinte auch Rohlfs, die Tibbu-Frauen
verständen es wohl, ihre Männer hinters Licht zu führen. So habe eine von
ihm Medizin verlangt, um ein Kind zu gebären, das seit vier Jahren in ihrem
Leibe ruhe8).
Ein ungünstiges Sittenzeugnis stellte Nachtigal der aus Negern, Arabern
und Fulben gemischten Bevölkerung in Wadäi, zentraler Sudan, aus. Mit
Wissen der Mütter nehmen die Töchter die nächtlichen Besuche ihrer Geliebten
an. Mütter und Töchter sind wegen ihrer Liebesintrigen gleich verrufen;
') Vgl. von Maltzan v. S.
2) In „Ztschr. f. Ethnol.", Jahrg. 42, S. 49.
s) Über einen anderen Erklärungsversuch solcher Ansuchen siehe Bd. I, S. 10.
540 Kapitel XL VII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
Totschlag und Mord sind die Folgen des Umgangs mit mehreren Männern,
welchen viele Mädchen pflegen. Nach Mohammed el Tunsy verkuppeln die
Väter ihre Töchter, die Ehemänner ihre Weiber, die Brüder ihre Schwestern
und schelten sie, wenn sie bei ihnen Widerstand gegen ihre Verkuppelung
finden. Zur Verschlechterung der Sitten tragen die Sultane mit ihren
Scharen von Mädchen und Weibern im Harem viel bei, deren eingesperrtes
Leben zu elementaren Ausbrüchen des heißen Sudanblutes führe. Unter der
weiblichen Jugend nennt Nachtigal die Prinzessinnen als das leichtsinnigste
Element. Sie, wie ihre Standesgenossinnen, in Bornu, treiben ihre Liebes-
händel mit arabischen und nubischen Kaufleuten. Nicht einmal der sonst so
strenge König 'Ali in Wadäi' machte diesem Treiben ein Ende, und der Koran
vermochte bisher nichts über die Wadäwa, schrieb Nachtigal. 'Ali bestrafte
allerdings Verhältnisse, die ihn persönlich berührten, z. B. das seiner Lieb-
lingssklavin, die er hinrichten ließ. Im allgemeinen hielt man in Wadäi nur
die Verführung unbescholtener Mädchen und Eheweiber für tadelnswert. Von
Kuka in Bornu schrieb Josef Müller allerdings: Nur unbescholtene Mädchen
haben Aussicht auf vorteilhafte Partien, während sittlich bemakelte, auch
Fig. 418. D ah ome- Weiber mit Kindern vor einem Eingebornenbaus in Abome. Im Museum für Völker-
kunde in Leipzig.
wenn sie reich und vornehm sind, armen Teufeln mit geringen sittlichen
Ansprüchen zufallen.
Nach dem gleichen Verfasser gilt bei den Mandingo in Bambuk jeder
vorzeitige geschlechtliche Verkehr als abscheuliches Verbrechen und wird
bestraft. —
Eine Reihe von Negervölkern legt tatsächlich ein großes Gewicht auf jung-
fräuliche Bräute, was wohl eine entsprechende Erziehung voraussetzt: Bei den
Dahomeern verursachte die bestandene Jungfernprobe einer Braut bei allen
ihr Nahestehenden Jubel, während das gegenteilige Resultat die sofortige
Zurückgabe der Virgo disrupta zur Folge hatte. Die beschämten Angehörigen
boten dann alles auf, um den Verführer ausfindig zu machen, der die Ent-
ehrte heiraten und außerdem eine schwere Strafe zahlen mußte. Nach
Skertchley wurde jedes gefallene Mädchen, wenn ihr Fehltritt bekannt wurde,
öffentlich verspottet. Liederlichkeit sei auch hier früher nur bei den Großen
des Landes, hauptsächlich bei den königlichen Prinzessinnen, zu Hause gewesen,
die, durch kein eheliches Band gehalten, sich maßlosen Ausschweifungen hin-
gaben (Burton). — Den Umgang des Königs mit seinen Amazonen und das
Vorrecht der Priester auf alle Mädchen und Eheweiber nannte man nicht
liederlich. Auch die Vererbung der Weiber eines Königs auf dessen Nach-
folger, die leibliche Mutter des letztern ausgenommen, widersprach dem Keusch-
heitsbegriff der Dahomeer nicht. Wohl aber wirkte der König durch harte
Strafen und religiöse Furcht auf die keuschheitliche Festigung seiner Amazonen
§ 311. Hamiteu, Semiten, Neger, Buschleute uud Hottentotten. 541
und aller Männer, welche auf diese ein begehrliches Auge warfen. In jedem
Palast hing über dem „Tor, das dein Verbrechen entdeckt", dem Abodewe,
ein Zauberbiischel, welcher durch die Kraft der Göttin Demen jeden Fehltritt
offenbaren sollte, und so eingewurzelt war dieser Glaube, daß manche ge-
fallene Amazone in der Überzeugung, ihr Fehltritt werde doch offenbar, sich
selbst und ihren Verführer anklagte. Sorgfältig wurde jede Zusammenkunft
mit dem andern Geschlecht zu verhindern gesucht, es sei denn auf dem Schlacht-
feld, wo manche Amazone lieber ihr Leben, als die von ihrem König verlangte
keuschheitliche und nationale Treue, hingab. Ähnlich verhielt es sich mit der
Schar der königlichen Sklavinnen, und schon vierzehnjährige Mädchen wurden
in diese Auffassungen eingeweiht, indem sie z. B. den wasserholenden Sklavinnen
vorausgingen und durch Klingeln oder Rufen ankündigten, daß jeder des Wegs
kommende Mann in einiger Entfernung mit abgewandtem Gesicht zu warten
habe, bis die Wasserträgerinnen vorüber waren. — Treulose Amazonen wurden
durch weibliche Henker enthauptet; es waren einmal unter Gelele (18. Jahrb.)
gleichzeitig 150. — Die königliche Pädagogik feierte also keine ausnahmslosen
Triumphe. Die Verführer wurden mit Knütteln totgeschlagen, oder, wie ihre
Verführten, enthauptet; oder aber ins Gefängnis geworfen, oder verbannt
{Burton und Forbes).
Unter das Volk scheinen sich die Ausschweifungen erst gegen Ende des
19. Jahrhunderts verbreitet zu haben, was allerdings überraschend schnell
gegangen wäre, wenn die Keuschheit zu Skertchleya Zeit wirklich noch so
viel galt, wie dieser schrieb; denn 11 Jahre später, d. h. im Jahre 1885,
berichtete Hugo Zöller von der Sklavenküste überhaupt und vom Popo-
Gebiet in Dahome im besonderen: „Nur einem kleinen Teile von alle dem,
was sich hier Brüder nennt, sind beide Eltern gemeinschaftlich1)-'. —
Bemerkenswert für die Erziehung des Kindes zur Keuschheit dürfte auch
der folgende Fall sein: Gelegentlich der Berliner Kolonialausstellung 1907
konnte man unter den vorgeführten Negerfamilien ein ungefähr vierjähriges
Mädchen beobachten, das, auf dem Boden liegend, in Gegenwart aller Zuschauer
mit seinen Fingern in seiner Vulva herumarbeitete. Offenbar war ihm das
in Gegenwart auch seiner Eltern und größeren Geschwister gestattet; sonst
hätte es sich vor den Zuschauern geniert.
Die Herero bringen ihren Söhnen und Töchtern gewisse äußere An-
standsregeln für den Umgang mit dem andern Geschlecht bei, aber H. von
Franqols nennt das „geradezu komisch"; denn es gibt kaum ein Volk, bei
dem die Keuschheit weniger geachtet ist, als gerade bei den Herero. Die
Männer drängen ihre Töchter und Weiber den Fremden direkt auf. Ihre Un-
sittlichkeit rührt auch nicht etwa von den Europäern her. Schon L. v. Bohden
schrieb in seiner Geschichte der Rheinischen Missionsgesellschaft: „Schamlos
und unzüchtig sind sie in solchem Grade, daß man es gar nicht sagen
mag." - - Der Verkehr der Geschlechter von der Reifefeier an wird durch
das Institut der „epanga" sanktioniert. Diese epanga bedeutet aber nichts
anderes, als Weiber- und Gütergemeinschaft. Sehr oft findet diese Gemein-
schaft sogar zwischen Brüder- und Schwesterpaaren statt. — Die Besitzer von
Werften begnügen sich nicht mit ihren Haupt- und Nebenweibern und Kon-
kubinen, sondern beehren auch die Töchter uud Weiber ihrer Diener und Unter-
gebenen. — Dem Maherero, Oberhäuptling, mußten die Töchter und Weiber
aller von ihm besuchten Werften zu Willen sein. Beim Besuch einer Werft
bezeichnete er sofort das von ihm gewünschte Mädchen oder Eheweib. — Weiber,
die sich gegen ihren Austausch im epanga weigern, werden von ihren eigenen
l) Vgl. die Anpfählung der Mütter von Zwillingen, als des Ehebruchs verdächtig, in
Kap. VII.
542 Kapitel XLVII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
Ehemännern mit Schlägen dazu gezwungen. — Sogar stillende Mütter bieten
sich fremden Männern an. Ein solcher Fall passierte Seiner. Das Weib hatte
einen Säugling an der Brust und außerdem zwei Knaben im Alter von etwa
7 und 8 Jahren bei sich, die „mit verständnisvoller Miene" dem Angebot
ihrer Mutter zuhörten. — Mit Recht vergleichen die Herero selbst ihr Geschlechts-
leben mit dem ihres Rindviehes. — Aber andererseits will man doch in gewisser
Hinsicht den Schein wahren. Der Herero bekommt z. B. dem Scheine nach
seine Braut vom Tag der Verlobung bis zur Hochzeit nicht zu Gesicht, während
tatsächlich die Mutter der Braut selbst dem Paar eine Hütte für seine nächt-
lichen Zusammenkünfte anweist (Schinz). — Illegitime Mutterschaft ist keine
Schande.
Über die Sittlichkeit der Kaffern schrieb Josef Müller, der Verfühl er
eines Mädchens dürfe dieses nicht heiraten und müsse überdies eine Geldbuße
leisten, speziell bei dem Sulustamm bleibe eine Gefallene regelmäßig sitzen.
So streng nehmen es jedoch auch die Kaffern nicht; sie sind dazu zu hab-
gierig. Missionar Skooter berichtete, daß nächtliche Besuche trotz der damit
verbundenen Lebensgefahr gemacht werden. Diese Lebensgefahr geht aber nicht
auf die Hütung der Keuschheit, sondern auf die Furcht vor feindlichen Über-
fällen zurück. Hört man ein Geräusch, so greift man gleich zu den Waffen,
ohne zunächst an einen Liebenden zu denken. Auch lassen sich Mädchen
überreden, zu ihrem Liebsten in den Kral zu kommen, was allerdings gegen
die Sitte verstößt. Aber wenn der Vater lies Mädchens vom Verführer den
gewünschten Brautpreis bekommt, dann gießt er zwar eine Flut von Schmähungen
über den jungen Mann aus, verlobt aber das Paar gleich an Ort und Stelle
und läßt es später heiraten. ■ — Bei den Vornehmeren oder doch Reicheren
wirkt die ausgiebige Polygamie und das Konkubinat entsittlichend auf das-
Familienleben ein. Es gibt Kaffern, die es bis zu hundert Weibern bringen
(Fritsch), und noch schlimmer vielleicht, als diese Einrichtung, wirkten die
Köuige Tschaka und Dingaan, indem sie den jüngeren Männern aus militärischen
Gründen nur wilde Ehen gestatteten, die nach Belieben aufgelöst werden konnten.
In neuerer Zeit entwürdigen die Ober- und Unterhäuptlinge der Maquamba-
Kaffern das Familienleben, indem sie ihre eigenen Weiber, insofern sie noch
jung sind, zwingen, daß sie junge, von den Gold- und Diamantfeldern heim-
gekehrte Kaffern zum Umgang mit ihnen verleiten, worauf diese von den gleichen
Ehemännern auf Ehebruch angeklagt und entsprechend bestraft werden. Die
Strafsumme fällt zum Teil diesen selbst zu (Schiel).
Von der Erziehung der Kinder kann man sich einen Begriff machen,,
wenn mau die von Skooter geschilderten Eifersuchtsszenen in der polygamen
Kaiiernehe uud von den häufigen Verstoßuugen der Weiber liest. Skooter kannte
kaum einen Kaffer, der nicht eines oder mehrere seiner Weiber weggeschickt
hatte, und kaum habe es einen Kral gegeben, in welchem nicht ein Weib
seiue Nebenbuhlerinnen, oder ihren gemeinsamen Mann, vergiftet, oder doch
den Versuch dazu gemacht habe. Ehebruch begehen nach Barrow die Kaffern*
weiber selten. In flagranti ertappt, durfte damals die Ehebrecherin samt
ihreni Buhlen vom beleidigten Gatten getötet werden. Zur Zeit des Missionars-
Isaac, oder wenigstens bei dem von ihm beobachteten Stamm, wurde der Ehe-
bruch auch des Mannes mit dem Tod bestraft. Der beleidigte Gatte konnte
der Ehebrecherin das Leben schenken, sie als Sklavin behalten, oder sie
verstoßen.
Wie weit der südlichste Kaffeinstamm, die Ama-Kosa, und die Sulu von
unseren Keuschheitsbegriffen entfernt waren, bzw. noch sind, geht daraus hervor,,
daß die Ama-Kosa-Könige früher von Zeit zu Zeit Truppen aussandten, welche
junge .Mädchen an ihren Hof treiben mußten, wo sie den Gästen des Königs
zur Verfügung gestellt uud dann wieder entlassen wurden. — Bei ihren Be-
§ 311. Hamiten, Semiten, Neger, Buschleute und Hottentotten. 543
schneidungsfesten hatte jeder Beschnittene die Wahl unter den anwesenden
Mädchen, ohne au eine Ehe zu denken, und das gleiche Recht hatten bei den
Sulu die Mädchen auf die Burschen (Fritsch). — Von einer jungfräulichen
Braut war hier also nicht die Rede.
Über die Wasuaheli an der ostafrikanischen Küste gab Burton folgendes
Urteil ab: Sinnlich heruntergekommen, suchen sie die Befriedigung des un-
vernünftigen Tieres. Keuschheit ist in diesem Land der Heißblütigkeit nicht
bekannt; der Mann sucht sein Paradies in der Befriedigung des sechsten Sinnes,
und das Weib verkauft sich beim ersten Antrag. Die Charakteristik ihrer
Tänze ist jene Pantomime sinnlicher Liebe, die schon Juvenal geißelte. —
Nach Veiten sagen die Wasuaheli selbst, daß der frühe geschlechtliche Verkehr
der Jugend die Ursache ihres jetzigen geringen Kindersegens sei. Früher sei
es besser gewesen '). Aber noch immer bewahren sie trotz ihrer Verkommen-
heit einigen Schein der Schamhaftigkeit, indem sie außereheliche Geburten
unerlaubt nennen. Doch, den Verführer der Tochter ausfindig zu machen, hält
man nicht immer der Mühe wert. Eine Schande ist eine uneheliche
Geburt nur, wenn der Verführer ein Sklave war. Dann wird sie durch Abortus
verhindert, damit die Sache nicht offenbar werde. - - Die Zahl der Neben-
weiber eines freien Mannes neben vier legitimen Frauen hängt nur davon ab,,
wie viel er ernähren kann; ist doch schon der Sklave zu zwei rechtmäßigen
und zu zehn Nebenweibern berechtigt, und wer die Pflichten gegen legitime
Gattinnen nicht auf sich nehmen will, geht eine wilde Ehe ein, d. h. nimmt
eine „suria" (Kebsweib). Die meisten der häufigen Ehescheidungen sind die
Folge gegenseitiger Vernachlässigung zugunsten eines Rivalen oder einer Rivalin.
Zu den Ihrigen zurückgekehrt, läßt sich das geschiedene Weib für eine neue
Heirat präparieren, die jedoch erst nach drei Monaten und zehn Tagen ein-
gegangen werden darf.
Mit der Sittlichkeit der Negersklaven auf den Antillen sah es im
18. Jahrhundert derart aus, daß Labat meinte, es gebe keine Nation der Welt,,
die zu Fleischessünden so sehr hinneige, wie die Neger. In seiner Pfarrei
auf den Antillen übten sich Sklavenkinder spielend auf das Eheleben ein,
und als Labat sie dafür durchprügeln ließ, warf sich ein alter Neger als
Verteidiger auf. Die Kinder seien nicht strafbar, meinte er, man müsse doch
in der Kindheit lernen, was man in der Ehe als Pflicht zu vollziehen habe.
Das Beispiel der Nachkommen dieser Sklaven ist heutzutage noch kein
günstiges für die heranwachsende Generation. In Paramaribo, Britisch-
Guayana, machten im Jahre 1885 die unehelichen Geburten 78 Prozent aus
{Kappler). Aus Georgetown erwähnte Joest eine Negerbraut im weißen
Atlaskleid mit Schleier und Myrtenkranz, welche von ihren fünf illegitimen
Töchtern zur Trauung begleitet wurde. Uneheliche Geburten galten nicht
als Schande. Auf Martinique rechnet man auf 400 Geburten eine einzige
legitime, und auf Haiti soll gar ein legitimes Kind auf 1000 illegitime kommen (?)..
Besser wieder sieht es mit der Keuschheit der sonst auf ziemlich tiefer
Kulturstufe stehenden Buschleute in Südafrika aus. Burchell schrieb, daß
sich die von ihm beobachteten Mädchen in KaabisKral trotz ihrer völligen
Blöße so eingezogen verhielten, als ob sie die beste Erziehung in unserem
Siune genossen hätten, und H. v. Francis meinte, die Sittenstrenge der Busch-
leute steche wohltuend von dem Libertinismus der Hottentotten ab. An-
griffe auf die Keuschheit seines Weibes räche der Buschmann blutig.
Den Kap-Hottentotten des 18. Jahrhunderts hatte Kolb nachgerühmt, sie
hätten vor Unzucht und Ehebruch einen solchen Abscheu, daß sie nur höchst
') Die schamlose Einführung der Mädchen ins Geschlechtsleben bei der ßeifefeier siehe-
Kap. LVII.
54-4 Kapitel XL VII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
selten davon reden. Auf dem Ehebruch stand die Todesstrafe. Prostituierte
und uneheliche Kinder habe es nicht gegeben l). Hingegen charakterisiert
H. v. Frangois die Keuschheit der jetzigen Narna-Hottentotten folgender-
weise: Der Verkehr der Geschlechter ist vom Eintritt der Reife an völlig
ungehindert; niemand achtet auf die Vergangenheit eines Brautpaares; auf die
Jungfräulichkeit legt man keinen Wert. Diesen Verhältnissen entspricht die
fürchterliche Ausbreitung der Syphilis, ein Geschenk der englischen Händler
vom Kap her. Kinder, kaum entwickelte Mädchen, ganze Familien sind von
ihr befallen. — Die von Kolb als keusch geschilderten Kap-Hottentotten
führen nach Fritsch tagelang die unzüchtigen Topftänze aus, wobei beiden
•Geschlechtern zügellose Ausschweifungen erlaubt sind2). — Die Koranna-
Hottentotten fand Holub über alle Begriffe demoralisiert. —
§ 312. Malayisch-polynesische Völker.
Wie wenig bei den Javanen die Keuschheit geschätzt wird, geht schon
-daraus hervor, daß die Familien in den herzlichsten Beziehungen zu ihren
prostituierten Töchtern verbleiben, und daß diese nach Aufgabe ihres Gewerbes
sich verheiraten können und dann als ehrenhafte Frauen gelten. — Was von
zahlreichen andern Völkern gesagt werden muß. gilt auch hier. d. h. die Kinder
haben au den häufigen Ehescheidungen der Eltern, an der Vielweiberei und
dem Konkubinat ihrer Väter und dem keineswegs seltenen Ehebruch der
Mütter kein gutes Beispiel {Pfyffer und jPhailly-Bert). In Gegenwart der
andern Ehehälfte hält man sich freilich sehr zurück; da gilt jede Vertraulichkeit
als anstößig; aber hinter dem Bücken geht es um so freier her.
Sehr verschiedene Anschauungen betreffs Keuschheit finden sich unter
den verschiedenen Stämmen der Dajaken auf Borneo:
Die Sibuyaus im nordwestlichen Borneo wachen sorgfältig über die
Keuschheit ihrer Töchter; voreheliche Mutterschaft gilt hier als eine Be-
leidigung der höheren Mächte, welche für ein solches Vergehen den ganzen
Stamm strafen. — Für gefallene Mädchen bringt man Sühnopfer dar. und das
schuldige Paar selbst, bzw. dessen Eltern, werden bestraft. Doch brauchen
solche Sühn- und Strafakte nicht oft einzutreten, da sich die Jugend von dieser
theoretisch-praktischen Pädagogik günstig beeinflussen läßt. — Häutiger muß
das Sühnopfer bei den Dajaken am Batang Lupar gebracht werden, und
noch viel leichter nimmt es die Jugend bei den Kayan-Dajaken, die ihren
Söhnen und Töchtern uneingeschränkten vorehelichen Verkehr gestatten {ßpens&r
St. John).
Was die Keuschheit auf der Karolineninsel Jap betrifft, so schreibt
Kilian Müller: Herkommen und Sitte befördern unter der Jugend die Un-
sittlichkeit. Es fehlen hier selbst die elementarsten Grundlagen eines geord-
neten Familienlebens. Vom 6. Lebensjahre an schlafen die Mädchen zumeist
außerhalb der elterlichen Wohnung zusammen, wie überhaupt das gemeinsame
Zusammenliegen auch der Knaben und Männer in großen Gemeindehäusern
gang und gäbe ist. Bis die weibliche Jugend im 14. Lebensjahre in den Stand
der Frauen versetzt wird, hat sie bereits eine zweifelhafte Vergangenheit
hinter sich. Trotzdem sehen die Kinder harmlos, fast unschuldig aus.
Nach gewisssen Anstandsformen zu urteilen, könnte man freilich auch die
Karolinen-Insulaner auf eine ziemlich hohe Sittlichkeitsstufe stellen. Gilt es
doch auf Mortlock als arger Verstoß, in Gegenwart von Frauen das Wort
') An einer andern Stelle widerlegte er freilich Boeving. der die Hottentotten des
Mordes illegitimer Kinder eingehorner Mütter uud europäischer Väter beschuldigte mit der
Behauptung, er habe solche Kinder selbst gesehen.
a) Die daraus folgenden Kinder werden aus dem Wege geräumt (Fritsch, D. Eingeb.
Sädafr., 328).
§ 312. Malayisch-polynesische Völker. 547
"Schurz zu gehen, das Leben kosten könnte. Auf den Viti-Inseln dürfe keiner
fvor dem 18.— 20 Jahr einem Weibe beiwohnen; frühzeitige Begattung führe
nach dem dortigen Glauben den Tod herbei. Auch J. de Marzan stellt in
^neuester Zeit (1910) auf Grund seiner Erfahrungen den Viti-Insulanern ein
günstiges Zeugnis aus, indem er schreibt: Auf Viti verabscheut man Hurerei
und Päderastie.
Ganz anders wieder lauten die Mitteilungen Pfeils über die Melanesier
im Bismarck-Archipel und auf den Salomo-Inseln: Vor Fremden
führen sie freilich auffallend anständige Gespräche; aber unter sich tun sie
sich keinen Zwang an. In Gegenwart ihrer Kinder unterhalten sie sich über
die intimsten Vorgänge des sexuellen Lebens, und alle Hausgenossen sind
Augenzeugen der praktischen Durchführung. Besonders krasse Unzucht herrscht
auf Neumecklenburg, Bismarckarchipel, wo das weibliche Geschlecht,
ledig und verheiratet, frei über sich verfügen kann, und die Männer in fast
unglaublicher Weise Onanie betreiben. Junge Mädchen werden von Weibern
ins Eheleben eingeführt (Pfeil). Dennoch erleiden gefallene Mädchen, wenn
ihr Fehltritt offenkundig wird, die Todesstrafe1). — Ihr Verführer wird
nur mit Geldstrafe (Dewara) belegt. — Auf Unzucht zwischen Geschwistern
steht die Todesstrafe für beide Teile. — Ein Mädchen, das sich auf Neu-
pommern der Prostitution ergeben will, darf es mit Zustimmung ihrer Eltern
tun. Die Prostitution alleinstehender Mädchen gilt nicht als Schande (Powell).
Betreffs Samoa schrieb Turner, daß schon die Ohren der Kinder an die
obszönsten Unterhaltungen gewöhnt wurden. Dennoch hielt man, teilweise
freilich nur scheinbar, viel auf die Keuschheit beider Geschlechter. Die Taupou
oder Dorfjungfrauen, welche das heilige Feuer zu hüten hatten, sowie die
Töchter der Vornehmen mußten auch in der Tat keusch leben. Vornehme Bräute,
welche früher öffentlich die Keuschheitsprobe nicht bestanden, wurden von
ihren eigenen Angehörigen getötet, gefallene „Dorfjungfrauen" schimpflich ab-
gesetzt. Um einem solchen Unglück vorzubeugen, gaben ihnen die Eltern
Jugendgespielinnen oder ältere Frauen zur Überwachung an die Seite, was
nach Deeken noch der Fall ist. Aber Indra schrieb: 90°/0 Dorf Jungfrauen
sind seit der Berührung mit unserer Kultur keine reinen Hüterinnen des heiligen
Feuers mehr, und schlimmer noch sieht es mit der übrigen Jugend aus.
Mädchen mit 13 — 14 Jahren sind schon nicht mehr wählerisch in der Art,
wie sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen, und Eltern verkuppeln ihre
eigenen Kinder; der geschlechtliche Verkehr ist uneingeschränkt, und von der
samoanischen Prostitution kann sogar Europa lernen. — Die „Zeitehe", welche
nach Müller2) gleichfalls ein Geschenk der Weißen sein soll, war schon vor
Einführung unserer Kultur samoanischer Brauch. Man lese nur die Turnersche
Schilderung der vorchristlichen Ehe auf Samoa nach!
Auf Neuseeland verkauften zu Georg Forsters Zeit Männer ihre Töchter
und Schwestern an europäische Seeleute. Europäische Fahrzeuge, z. B. Cooles
Endeavour, von Krusensterns Nadeschda u. a., seien Schauplätze gemeinster
Szenen gewesen3). —
!) Nach Müller besteht auf den Salomonen so gut wie auf Neuguinea und Neu-
kaledonien, ferner auf den Loyalty- und Viti-Inseln, also bei Papuas und Melanesiern,
die Sitte, daß die Töchter hauptsächlich der vornehmeren Familien sehr jung verlobt werden,
was den Augehörigen die strenge Pflicht auferlege, das heranwachsende Mädchen sorgfältig
zu bewachen. Auf Viti gelte der Fall einer Braut so viel wie Ehebruch uDd werde tödlich
gerächt. Auch halte man hier und auf Neukaledonien die Jugend durch die Furcht vor den
physischen Folgen eines frühen Geschlechtsverkehrs in Schranken. (D. s. L. d. N., in
„Renaissance" 1, S. 77 f.)
«) 1. c. 78.
3) Ebenda.
35*
548 Kapitel XLVII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
Auf Hawaii und anderen Südseeinseln bewahren die sog. Tugend- und
Jugendwäeliter die Töchter der Eiugebornen vor weißen Verführern, wie
Müller im Hinweis auf Schneider schreibt1). —
§ 313. Koreaner, Chinesen, Japaner. Katchin, Thai' und Bevölkerung
von Kambodscha.
In den höheren Gesellschaftskreisen Koreas verlangt die Etikette, daß
Knaben und Mädchen vom 8. oder höchstens 10. Lebensjahre an getrennt
wohnen. Jene werden nun in den äußeren Wohnräumen untergebracht, wo
die Männer leben, diese in den innern. Spielen, essen, lernen, alles geschieht
dann separat für die beiden Ge-
schlechter. Den Knaben sagt man,
es wäre eine Schande, mit den
Frauen den gleichen Wohnraum
zu teilen, und den Mädchen prägt
man ein, es sei unanständig, sich
den Blicken der Männer aus-
zusetzen. Nach kurzem suchen die
Mädchen auch ganz von selbst.
sich vor den Männern zu ver-
bergen. — Andererseits verstößt
es nicht gegen die koreanischen
Sittlichkeitsbegriffe, daß arme
Eltern ihre Töchter zu Tänzerinnen
heranbilden und ihre Söhne ka-
strieren lassen, damit sie durch
deren Verdienst ein sorgenfreies
Alter haben. Die koreanischen
Tänzerinnen (Gisaing) entsprechen
aber den japanischen Geisha und
den griechischen Hetären. Um
diese „Blätter des Sonnenlichts"
zu munteren Gefährtinnen der
Männer zu machen, werden ihre
intellektuellen Fähigkeiten mehr
ausgebildet, als die der ehrsamen
Mädchen und Frauen. Sie sind
als Klasse einem Departement der
Regierung angeschlossen, stehen
unter besonderer Kontrolle, werden aus der Staatskasse unterstützt und
erscheinen bei allen offiziellen Gastmählern und Hoffestlichkeiten. Sie lesen und
deklamieren, tanzen und singen, malen und musizieren, bewegen sich anmutig,
kleiden sich sehr gut, sind phantasievoll und zärtlich. Man wählt nur Mädchen mit
vollkommen regelmäßigen Gesichtszügen, schlankem und zierlichem Wachs, die bei
der Wahl noch ganz unberührt sind. Es gibt sehr viele ..Blätter des Sonnenlichts";
sie kommen aus allen Teilen des Landes, und da sie so künstlerisch und anmutig
erzogen sind, nehmen sie im Haushalt ihres Beschützers (zu deutsch, ihres Buhlen
und Herrn) oft eine viel höhere Stellung ein, als die legitime (4attin. Daher die
zahllosen Schmähungen und Klagen der rechtmäßigen Frauen in den koreanischen
Volksliedern. Heiraten kann aber ein gebildeter Koreaner eine Tänzerin nicht.
Hamilton, der dieses mitteilt, bemerkt, daß die „Berufsklassen" der Dirnen
and Tänzerinnen die ältesten Berufsklassen in der Geschichte Koreas seien!?!.
Fi
422. Vornehmes eingeborenes Mädchen auf Hawaii.
Im K. Ethnographischen Museum in München.
') Ebenda.
§ 313. Koreaner, Chinesen, Japaner, Katchin, Tha't und Bevölkerung von Kambodscha. 549
Die Tänzerinnen vertauschen später diesen Beruf mit dem einer Nebenfrau;
die Dirnen bleiben bei dem ihrigen. Beide Berufe stehen nur den Mädchen
des dritten, niedersten, Standes offen. — Außer diesen Tänzerinnen müssen
die legitimen Frauen Nebenweiber dulden, eine in allen Klassen der Bevölkerung
anerkannte Familienform. In den unteren Volksschichten finden ungesetz-
mäßige Verbindungen den weitesten Spielraum. — Der Koreaner kann sich
aus verschiedenen Gründen von seinem rechtmäßigen Weib scheiden lassen;
doch bleibt ihm die Pflicht, die Kinder zu erziehen, bzw. erziehen zu lassen. -
Ähnlich sieht es in China aus. Wie das koreanische, so wird auch das
chinesische Mädchen, hauptsächlich der höheren Kreise, bald von den Knaben
getrennt. Bis zum 12. oder 13. Jahr, d. h. solange es als Kind gilt, darf es
sich auf der Straße zeigen und seiner Freiheit freuen. Dann aber beginnt
für dasselbe eine freudlose- Zeit, denn es wird völlig aus der Gesellschaft
verbannt. Daher die chinesischen Bezeichnungen „Mädchen im Kämmerlein"
und „das im Hause sitzende Mägdelein". Es darf von nun an mit keinem
Fig. 423. Drei Mischlinge aus Hawaii. Vater: Amerikaner. Im K. Ethnograph. Museum in München.
männlichen Wesen, auch nicht mehr mit den eigenen älteren Brüdern, ver-
kehren, nur mehr in dicht verschlossener Sänfte das Haus verlassen und muß
sich verbergen, wenn ein Mann dem Hause naht1). — Bei der ackerbau-
treibenden Bevölkerung auf dem Lande, sowie bei den niederen Ständen der
Städter, wo die Mädchen arbeiten müssen, läßt man ihnen notgedrungen mehr
Freiheit.
Andererseits erfuhren wir bereits in § 309 den schamlosen Mißbrauch
chinesischer Kinder, und Stern schreibt, daß die Kinder an ihren Eltern die
„schlechtesten Beispiele" haben, was sich nicht nur auf ihr Fluchen und
Schimpfen allein, sondern auch auf Unsittlichkeit im engeren Sinne bezieht;
denn Stern fährt fort: „Ihr Herz ist einem Sumpfe gleich, und zu Zeiteu der
Hitze dringen die schlechten Dünste in Form schmutzigster Schimpfreden ans
Tageslicht. Wenn sie öffentlich schimpfen und fluchen, dann geschieht das
immer mit schlechten Worten und Anspielungen." Feiner erwähnt Stenz den
x) Nach Stenz (o. c, 31 f.) dürfen die Töchter der Vornehmen sich bei gewissen (ie-
legenheiten, die im Jahre einigemal wiederkehren, iu der Öffentlichkeit erscheinen.
550 Kapitel XL VII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
schwunghaften Mädchen- und Frauenhandel ') mancher Gegenden des chinesischen
Eeiches, das die auf den Schein so viel gebenden Chinesen freilich nicht
Handel nennen, sondern das Geschäft mit dem Ausdruck vertauschen „man
mache der Familie des Mädchens ein Geschenk". Gefällt ein gekauftes
Mädchen nicht, dann wird sie häufig wieder verkauft. Die wenigsten dieser
Mädchen oder AVeiber erkennen die Schmach ihrer Verhandlung, weil sie
bereits so verdorben sind, daß sie nur wünschen, recht bald versorgt zu
werden; das „wie" ist ihnen einerlei. Edler gesinnte Chinesen sehen jedoch
das Unehrenhafte dieses Brauches ein. — Besonders schlimm kennzeichnet
Stern die Sittlichkeit der Bonzinnen, deren Anstalten öffentlichen Schand-
häusern gleichen sollen und als solche auch im Volksmund seien. Er selbst
habe die polizeiliehe Schließung mehrerer solcher Anstalten auf Anordnung
von Mandarinen erlebt. Die Schließung wurde begründet mit dem Ausdruck:
„Weil sie die ganze Gegend verpesteten". — ■ Zu all diesem kommt die in
wohlhabenden Kreisen, hauptsächlich des südlichen China, stark eiugenistete
Vielweiberei und das Konkubinat. Josef Hoogers nennt das eine Quelle
grenzenlosen Elends für die Familien. Viele Militärmandarine, die schon über
die 60er Jahre hinaus sind und Frau und Kinder haben, kaufen sich noch
junge Konkubinen; reiche Männer kaufen sie gleich zu dreien und fünfen,
obgleich chinesische Moralisten ihnen vorhalten, daß sie dadurch die Mädchen
im Diesseits und Jenseits unglücklich machen, weil diese von ihnen keine
Kinder bekommen, somit ohne Nachkommen sterben und deshalb niemand
haben, der für sie nach dem Tode opfern kann. — Auf dem Land und über-
haupt in den ärmeren Kreisen ist Vielweiberei jedoch selten und nicht sehr
geachtet {Stenz).
Ob es in China früher besser aussah, muß ich dahingestellt lassen.
Wuttke2) nimmt eine Blütezeit chinesischer Keuschheit an und weist auf die
zarte und keusche Gesinnung in den Liedein des Schiking und auf das V erbot
des . außerehelichen Zusammenlebens bei Kong-tse hin. Allein ein Vergleich
mit der Theorie einzelner hervorragender Geister und der Praxis der großen
Mehrheit bei andern Kulturvölkern erweckt doch den Verdacht, daß es in
China auch nicht anders war. Die schweren Strafen für Unzucht, welche
Müller nach Wuttkes) anführt, sind bemerkenswert, aber im AT ergleich mit dem
barbarischen Strafverfahren überhaupt in China nicht auffallend. Sie sind
schon deshalb kein Beweis für eine hohe Sittlichkeit in China, weil schwere
Strafen für Vergehen gegen die Keuschheit auch bei anderen Völkern mit
notorischer Unsittlichkeit gebräuchlich sind. Als diesbezügliche Strafen in
China erwähnt Josef Midier: Erdrosselung für die Vergewaltigung eines
Mädchens unter zwölf Jahren (vgl. die Kinderschändung in § 309); 90 Hiebe
dem Mann, der seinem Weib Ehebruch gestattet, und dem Mandarin, der
liederliche Häuser besucht; 70 Hiebe für „verbrecherischen" Briefwechsel mit
einem Mädchen; 80 für einen solchen mit einer Ehefrau; 100 für einen „Liebes-
handel" und den Versuch der Entführung einer Jungfrau; Todesstrafe für
eine wirkliche Entführung. — Nach Klemm*) schildern die chinesischen
Romane die Allgewalt der Liebe, aber die jungen Leute denken niemals
daran, die Freuden der Liebe vor der Ehe zu genießen (vgl. die Aus-
setzung der Kinder gefallener Mädchen und Witwen in Kap. VIII, Bd.
I, S. 166, wo allerdings die Furcht vor der Schande als Beweggrund an-
gegeben ist). —
') Ob Stenz hier den Brautkauf, oder einen gewöhnlichen Mädchenhandel meint, ist
nicht klar.
ä) Bei Josef Müller, Das sexuelle Leben der Kulturvölker, Benaissance II, 197.
») Ebenda, 198.
4) Vgl. die Chinesen unter den Orotschen, § 314.
§ 313. Koreaner, Chinesen, Japaner, Katehin, Thai und Bevölkerung von Kambodscha. 551
Trennung der Kinder beider Geschlechter war auch ein pädagogischer
Grundsatz im alten Japan, und A. R. Mitford, ein guter Kenner Japans, nahm
im Jahre 1871 die Japaner gegen den ihnen mehrfach gemachten Vorwurf,
sie hielten nichts auf die Keuschheit ihrer Töchter, sehr in Schutz. Noch zu
seiner Zeit waren es nur die Töchter armer Leute, die um der Arbeit willen
sich außer dem Hause frei bewegten. Wer sich's leisten konnte, hielt sie
in der Familie, und zwar in strenger Abgeschlossenheit, zurück. Vornehme
Mädchen trugen ein Messer an ihrem Gürtel, um Angriffe auf ihre Keuschheit
zurückzuweisen. Eine Zofe der Frau Mitfords stieß einem zudringlichen Edel-
mann ihren Dolch ins Auge, woran er starb. Sie wurde für diese Wahrung
ihrer Keuschheit gerichtlich nicht nur nicht belangt, sondern öffentlich belobt.
Das gemeinsame Baden beider Geschlechter ist unter der ärmeren Be-
völkerung gebräuchlich. Als Mitford diesen Punkt mit einem japanischen
Edelmann besprach, zuckte dieser mit den Achseln und meinte: „Aber die im
Westen müssen kitzlig sein!" - - In Japan denkt dabei niemand Schlimmes.
Freilich denkt der Japaner auch nichts Schlimmes bei der Prostituierung
unverdorbener Mädchen, wenn dies unter gewissen Umständen geschieht. Mitford
schrieb: Es gilt nicht als Schande, daß ein Mädchen sich für ihre armen Eltern
an ein Hurenhaus verkauft, wo das Elend so groß ist, daß mau den Prostituierten
keine Waffen läßt, damit sie in ihrem Ekel am Leben sich nicht töten. Ein
Teil der Prostituierten, deren es massenhaft gibt (Mitford vergleicht das
Leben in den japanischen Teehäusern und schlechten Stadtvierteln mit dem
diesbezüglichen Pariser Leben)1), wird schon in den Kinderjahren kontrakt-
lich festgenommen, damit die Mädchen für ihren „Beruf" herangebildet werden
können. Impresarios erhalten solche Kinder im Alter von 5 — 6 Jahren von
meist armen Eltern um den Preis von 35—50 Schillingen. Waisenkinder werden
von ihren Verwandten verhandelt. Das war zu Mitfords Zeit noch nicht
strafbar. Die kleinen Mädchen müssen in ihrer neuen Stellung zunächst den
Vornehmen unter den Prostituierten (Oiron) dienen. Größere Mädchen geben
sich der Prostitution teils aus persönlicher Armut hin, teils, wie schon bemerkt,
um ihre armen Eltern zu unterstützen; manche kommen, weil sie gefallen sind,
und wieder andere werden von ihren Liebhabern verkauft; verheiratete Frauen
verkaufen sich, um ihre Männer zu unterstützen. Die Prostituierten sitzen
in einer Art Käfig zur Schau, haben vergoldete Lippen, schwarz gefärbte
Augenbrauen, Kehle und Busen weiß. Nach 27 Jahren sind sie wieder frei,
denn die Japanerinnen altern früh.
In vielen Hotels sind die Mädchen nominell Kellnerinnen, tatsächlich
aber Prostituierte. Wieder andere leben in ihren eigenen Häusern — tout
comme chez nous!
Das Konkubinat des Japaners ist bekannt. Die Jugend kann es nicht
als unkeusch auffassen, da es den Erwachsenen als erlaubt gilt. Mitford
erwähnte einen Anführer der Etas, der niedersten Volksklasse, dessen Tochter
die Konkubine eines Adeligen (Hatamoto) werden sollte, was den Vater ein
großes Glück dünkte. Das Mädchen selbst, obschon jungfräulich eingezogen,
teilte ganz die Gesinnung ihres Vaters. —
Früher war auch Vielweiberei häufig (Rein). — Ehescheidungen kommen
nach Mitford nicht oft vor. Nach Rein kann der Mann sein Weib aus sieben
Gründen, darunter Schwatzhaftigkeit, verstoßen. — Auf den Ehebruch setzten
das 50. und 51. Kapitel des „Vermächtnisses des Iyeyasu" die Todesstrafe.
„Wenn", so übersetzte Mitford, „ein verheiratetes Weib aus den Ständen der
J) Im Jahre 1869 gab es in dem berühmten Yoshiwara in Yedo 3289 Prostituierte
aus allen Klassen der Gesellschaft, abgesehen von anderen Plätzen der Stadt. — Diese Art
Kasernierung geht nach Mitford bis auf das 16. Jahrhundert zurück. Vorher lebten sie
zerstreut.
552 Kapitel XLV1I. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
Bauern, oder Handwerker, oder Kaufleute einen geheimen Umgang mit einem
andern Mann hat, dann kann der rechtmäßige Gatte dieses Weibes beide töten,
ohne vorher Klage zu stellen. Doch kann er die Angelegenheit vor Vollzug
der Strafe mit anderen noch beraten. Von den Männern und Weibern der
Militärklasse aber erwartet man, daß sie das Gesetz besser kennen und nicht
die Ordnung stören. Tun sie es dennoch, so sollen sie sofort gestraft werden.
Diese Strafe bestand unter der ältesten Kriminaljustiz in Kreuzigung, welche
später durch Enthauptung ersetzt wurde." Zu Mitfords Zeit war der Vollzug
der Strafe aber bereits den Händen des Gatten entwunden, und der Staal
hatte ihn übernommen. Der Verkehr eines Mannes mit Prostituierten und
Konkubinen scheint bis auf den heutigen Tag nicht als Ehebruch zu gelten1)-
Auch in Kambodscha glaubt man die Keuschheit der Mädchen durch
Isolierung bewahren zu können. Die Landessitte gestattet ihnen nur, bei ge-
wissen Festen in der Pagode sichtbar zu werden. Der Reisende sieht sie
allenfalls zur Quelle gehen, ein Tuch über den Kopf geworfen, aus dem kaum
ein dunkles Augenpaar hervorleuchtet, "Wird er wahrgenommen, so flieht das
Mädchen unter das schützende Dach ihres Hauses zurück, und nichts vermag
sie hervorzulocken, solange der Fremde in der Nähe weilt. — Dazu bemerkte
der Anonymus im „Globus" 48, 109: Der Orientale muß eben erst lernen, im
Weib etwas anderes als das Geschlecht zu sehen; dann erst wird dieses, und
auch schon das zarte Mädchen, sich frei b&wegen können. Dann braucht es
beim Anblick von Männern nicht mehr die Flucht zu ergreifen.
Absonderung des Schlafraumes der größeren Kinder von den Eltern be-
richtet GUhodes von den Katchin in Barma.
Den Thai oder Siamesen wird nachgesagt, daß sie ihren Töchtern
erotische Lieder lehren, damit die Mädchen an den Festen Wettgesänge mit
den Jünglingen eingehen können (siehe § 304).
§ 314. Ural-Altaien und Hyperboräer.
Die Kirghisen lehren ihren Kindern, sobald diese zu sprechen beginnen,
unschickliche Worte, deren Wiederholung durch den ahnungslosen Kindermund
allgemeine Heiterkeit hervorruft (Brehm).
Der Sittlichkeit der Tungusen-Kinder konnte Middendorff kein Lob
spenden. Es sei auch gar nicht anders zu erwarten. Wo so viele Menschen
beider Geschlechter in einem verhältnismäßig kleinen Kaum zusammengepfercht
seien, und wo man, schon wegen des Ungeziefers, die Leibpelze ablege, so oft
das Zeltfeuer höher aufflamme, da könne von Schamhaftigkeit in unserm Sinn
keine Rede sein. Ein Tunguse entblößte in Gegenwart zahlreicher Männer
seine Tochter, um Middendorff zu überzeugen, daß es ein Mädchen, kein
Knabe sei. Knaben besänftigen vor aller Augen weinende Wiegenkinder
„nach Art infamer Ammen und Wärterinnen Europas", und gegen die Über-
setzung gewisser Lieder aus Weibermund sträubte sich Middendorffk Scham-
gefühl.
Bei den Orotschen oderTa-dse2) an den obersten Ussuri-Zuflüssen
und der anstoßenden Meeresküste haben sich durch den entsittlichenden Ein-
fluß der Chinesen alle Familienbande gelöst, und überall herrscht die größte
moralische Verkommenheit (L. v. SchrencJc).
Bei den Jakuten sind die nächtlichen Besuche unter den Unverheirateten
eine allgemeine Unsitte, was auf die Erziehung um so mehr Schatten wirft,
als das Freien schon bei achtjährigen Kindern beginnt (Middendorff).
') I ber den unsittlichen Einfluß der Japaner auf das weibliche Geschlecht der Alna
siehe § 314.
2) Tungusen-Stamm ?.
§ 315. Indianer. 553
Die Giljaken nannte L. v. Sehrenek ein sittenstrenges Volk, bei dem
sicli beide Geschlechter, trotz dem der ganzen Familie gemeinsamen Schlaf-
raum ohne Schirme und Vorhänge, durchaus anständig benehmen. Besonders
verdiene die Schamhaftigkeit des weiblichen Geschlechtes Erwähnung. Nie
kämen jene unanständigen Entblößungen vor, welche bei den Ainu häufig
seien. Freilich stellte gerade dem weiblichen Geschlecht der Ainu, wenigstens
auf Sachalin, Frhr. von Siebold das Zeugnis aus, daß es zu seiner Zeit
„äußerst züchtig" gewesen sei, was den jetzigen weiter unten nicht nachgerühmt
wird. — Erwähnenswert ist, was PilsudsM über das von den Giljaken ver-
langte Verhalten ihrer Töchter mitteilt: Sie verbieten den Mädchen streng das
Lachen, wenn von Entbindung oder Wochenbett die Rede ist; ebenso müssen
sie bei einem Geburtsakt ernst bleiben. Lachen wird, so droht man ihnen,
dadurch gestraft, daß die Lachende später selbst qualvolle Entbindungen
durchzumachen hat.
Auch die Ainu auf Sachalin verheimlichen ihren Kindern nichts; diese
wissen ganz genau, wie eine Entbindung vor sich geht, so daß man ihnen
nichts über die Ankunft eines Brüderleins oder Schwesterchens vorzulügen
braucht, wie PilsudsM bemerkt. Diese sexuelle Aufklärung scheint aber
nicht immer gute Früchte zu bringen; denn Pilsudshi erwähnt häufige
geheime Verhältnisse des weiblichen Geschlechts mit Japanern, deren Ein-
fluß auf Sachalin schon fast zwei Jahrhunderte währe und nicht eben kultur-
fördernd sei, indem sie auf Befriedigung ihres Geschlechtstriebes sehen. Durch
ihre Schuld bilde sich unter den Ainu-Frauen häufig der Typus einer schwach
verhüllten Prostitution. Verhinderung der Schwangerschaft und Abortus seien
deshalb häufig.
Schlimmer noch als hier, waren die keuschheitlichen Verhältnisse zu Stellers
Zeit in Kamtschatka. Die Eltern vollzogen den ehelichen Akt ohne jede
Scham vor ihren Kindern, und diese ahmten sie in frühester Jugend nach.
Das galt den Eltern als ein Zeichen frühreifen Verstandes. Fand ein Bräuti-
gam seine Braut noch jungfräulich, dann machte er der Mutter der Braut
Vorwürfe, daß sie das Mädchen nicht zum Ehestand erzogen habe. Die Sprache
kannte keinen Unterschied zwischen „Jungfrau" und „Prostituierte".
Ein glänzendes Sittenzeugnis stellte Cranz hingegen den grönländischen
Eskimos im 18. Jahrhundert aus: Kein unzüchtiger Scherz komme aus ihrem
Mund; herausfordernde Gebärden und Gespräche seien unerhört; die jungen
Leute seien einander züchtig begegnet, um nicht ihren guten Namen und ihr
zeitliches Glück zu verlieren. Mit Cranz stimmt Sans Egede Saabye überein,
der in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts unter den grönländischen Eskimos
nur eine einzige illegitime Geburt erlebte, insofern es sich um einen Eskimo
als Vater handelte. Illegitime Verhältnisse mit Dänen waren aber schon
damals häufig genug. - - Das fast ganz nackte Zusammenleben von zwei und
mehreren Familien in einem Hause ohne Scheidewände sah Saabye nicht als
sittlich gefährlich an. Man habe nur selten von Ausschweifungen gehört. —
Ganz anders lautet Nansens Schilderung aus unserer Zeit: An der grön-
ländischen Westküste gelten illegitime Geburten weder bei Heiden, noch bei
Christen als Schande, und häufig tauschen hauptsächlich die Heiden der Ost-
küste ihre Weiber gegenseitig aus; bei dem häufigen Spiel des „Lampeu-
auslöschens" oder des „Frauenaustausches" ist allen Anwesenden völlige
Freiheit gestattet. — Daß die letzteren Bräuche von Europäern oder Amerikanern
herrühren, ist kaum anzunehmen. —
§ 315. Indianer.
Die Indianer in Kanada gestatteten ihren Töchtern, die unter Tags sich
so keusch gebärdeten, daß man ihnen nichts von Liebe vorsagen durfte, nach
554 Kapitel XLVII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
Belieben nächtliche Besuche, und da illegitime Mütter keine Aussicht mehr
auf Ehe hatten, nahmen sie gewisse Wurzel-Dekokten, um die Folgen solcher
Besuche abzutreiben. Es war ein offenes Geheimnis. Die Mütter prostituierter
Töchter erwiderten auf die Drohungen der christlichen Missionare mit dem
ewigen Feuer, lachend: „Da muß es aber im Jenseits ganze Berge von Asche
geben", und die Väter gaben die gewöhnliche Antwort: „Es läßt sich hören." —
Solange ein Ehepaar beisammenlebte, gab es seinen Kindern ein gutes Bei-
spiel von ehelicher Treue. War aber ein Teil des andern müde, dann ging
man auseinander (De Lahontan).
In Kanada lebten auch Ojibwä (Chippewa), von denen Josef Müller
schreibt, daß bei ihnen, sowie bei den Irokesen, Omaha, Kansas und
Abenakis die Mädchen im allgemeinen tugendhafter lebten, als die ver-
heirateten Weiber, schon um die Aussicht auf eine gute Partie nicht zu ver-
lieren. Ferner schreibt Müller mit einem Hinweis auf Hunter, bei vielen
Indianerhorden habe es keine jugendlichen Ausschweifungen gegeben, selbst
wo keine gesonderten Schlafstätten vorhanden waren. — Nach Hearne sonderten
die Chippewa ihre Töchter, wenn diese 8—9 Jahre alt geworden, sorgfältig
vom männlichen Geschlechte ab. Nicht nur, daß sie ihnen von da an ge-
meinsame Spiele mit den Knaben untersagten; sie überwachten sie auch soust
strenge, indem sie ihnen alte Weiber zur Seite gaben, mit denen die Mädchen
Häute schabten, Schuhe ausbesserten und ..sonstige Arbeiten verrichteten. —
Aber das Leben der Männer läßt uns ahnen, welche Erziehung den Knaben
zuteil wurde. Hearne sagt von den Männern, daß sie trotz ihrem kalten
Klima so wollüstig und ausschweifend waren, wie es nur südliche Asiaten sein
können. Daß zwei Nordindianer ihre Weiber vorübergehend austauschen, ist
etwas sehr Gewöhnliches. Man betrachtet das als Freundschaftsdienst und
das stärkste Band zwischen den beiden Familien. Stirbt einer der beiden
Männer, dann nimmt sich der andere um dessen Kinder an. Auch Kämpfe um
Weiber, selbst zu Lebzeiten der Gatten, waren zu Hearnes Zeit häufig.
Andererseits stieß der Mann sein Weib wegen eines sittlichen oder sonstigen
Vergehens unter Schlägen zum Zelt hinaus mit dem Bemerken, sie könne zu
ihrem Liebhaber, oder zu ihren Verwandten zurückkehren.
Bei den Athabasken und Neheawayen waren Heiraten zwischen
Vätern und Töchtern, Brüdern und Schwestern häufig. Hearne kannte Männer,
die ihre zu Weibern genommenen Töchter später ihren eigenen Söhnen ab-
traten, und niemand nahm Anstoß.
Die Mandan, ein Sioux-Stamm, schützten die weibliche Scham-
haftigkeit mit großer Sorgfalt (Josef Müller); aber bei den Nadowessiern,
einem anderen Sioux-Stamm, gab es „Reisfeste", welche von Mädchen ver-
anstaltet wurden und bei denen diese sich einer möglichst großen Anzahl von
Männern1) preisgaben, was dem betreffenden Mädchen zu lebenslänglicher
Ehre gereichte. Carver lernte ein Weib kennen, das noch im Alter in außer-
ordentlicher Hochachtung stand, weil es in seiner Jugend sich bei einem
„Reisfest" vierzig Kriegern hingegeben hatte.
Von den Indianern im nordwestlichen Oregon und westlichen Wa-
shington berichtet Gibbs: Die Jugend beginnt ihr ausschweifendes Leben schon
mit zirka 10 — 12 Jahren. Uneheliches Geschlechtsleben gilt nur dann als
Schande, wenn Kinder kommen, was man aber gut zu verhindern weiß. Kohe
Spaße und die intimsten Vorgänge des sexuellen Lebens bilden häufig den
Gegenstand der Unterhaltung. (Vor Einführung der amerikanischen Kleidung
fingen die Männer völlig nackt.) Ein Ehebruch des Weibes, aus welchem
ihr eigentlicher Mann materiellen Nutzen zieht, wird gar nicht beachtet. Der
') Diese werden von dem Mädchen vorher mit Reis gespeist.
§ 315. Indianer. 555
dortige Indianer darf seine Schwestern, Töchter, Sklavinnen und alle ihm
unterstehenden weiblichen Verwandten zu sexuellem Verkehr verleihen. —
Prostitution ist fast allgemein. — Bricht ein Weib aber die Ehe, ohne daß
ihr Mann materiellen Vorteil davon hat, dann wird es verhandelt, oder ver-
kauft, oder sonst verstoßen. — Der Mann lebt polygam, wenn die Verhältnisse
es ihm gestatten.
Die Pueblos des 16. Jahrhunderts gestatteten ihren Töchtern vor deren
Verheiratung fast keine, oder gar keine Bekleidung, damit ein allenfallsiger Fehl-
tritt sofort offenbar werde, was an und für sich wohl auf eine relativ hohe Sitt-
lichkeit schließen läßt. Nach Bancroft wacht bei den Pueblos sogar eine
Geheimpolizei über die freundschaftlichen Verhältnisse der Jugend beiderlei
Geschlechter und bringt jede Ungebührlichkeit zur Anzeige. Ein angeschuldigtes
Paar muß vor dem Gemeinderat erscheinen, wird zur Eheschließung ermahnt
und bekommt, wenn es der Mahnung ungeachtet sein Verhältnis fortsetzt, die
Peitsche zu fühlen. Andererseits sollen die Pueblos alljährlich einige Nächte
in krasser Unzucht zubringen, und die Jugend sei hiervon nicht ausgeschlossen.
Sorgsam hüteten die Pirnas in Mexiko zur Zeit des Missionars Och
die Keuschheit ihrer Töchter, warfen aber diese Sorge baldmöglichst ab, d. h.
sie verheirateten sie baldmöglichst nach Eintritt der Keife. „Pater," so
redeten sie den Missionar an, welcher um Schwiegersöhne sehen sollte, „ich
habe dieses Mädchen lange genug gehütet, ich will nicht mehr sorgen; jetzt
kannst Du ihr einen Mann geben." — 13jährige Mädchen wurden bisweilen
an 50— 60jährige Männer verheiratet, wenn Och es nicht hinderte. Manche
Mädchen, von den Drohungen oder Schmeicheleien ihrer Eltern eingeschüchtert,
gaben vor, einen solchen Mann freiwillig zu nehmen (von Murr, nach Och).
Was die Erziehung der Kinder zur Keuschheit bei den alten Kultur-
völker Amerikas betrifft, so wurden schon in § 306 Vorsichtsmaßregeln
angegeben, welche man in den adeligen Töchterseminarien beobachtete; es
wurde dort aber auch erwähnt, daß die männliche Jugend Mexikos sich zu
nächtlichen Ausschweifungen im „Haus des Gesanges" versammelte1), und daß
man andererseits in den Schulen auch sie zur „Keuschheit" mahnte (vgl. § 308).
Den Indianerinnen unter den Tropen sprach A-ppun") nur eine geringe
Neigung zur physischen Liebe zu. Ein hoher Schicklichkeitssinn paare sich
damit, obgleich sie fast nackt gehen. Nur in stark betrunkenem Zustande
verlasse sie der Anstand. Nie höre man von den Männern eine Zote.
Ähnlich lautete das Zeugnis des Missionars Nielutsch über die sog.
„wilden" Indianerstämme in Peru, am Maranon, welche zum großen Teil
viel auf die Keuschheit ihrer Töchter hielten und es gerne sahen, daß die
Missionare des 18. Jahrhunderts Schutzhäuser errichteten, in welchen junge
Mädchen unter der Obhut von Witwen erzogen und unterrichtet wurden und auch
alleinstehende erwachsene, ledige und verheiratete, Frauen nachts Schutz
fanden, während die Männer der letzteren abwesend waren; denn da wußten
die Indianer, daß ihre Töchter und Frauen vor den Nachstellungen der
„Fleischteufel" sicher waren. Sie versicherten Niclutsch, eine der Haupt-
ursachen, daß sie früher im Wald nicht beisammen, sondern zerstreut gelebt
hatten, und daß sie manchmal mit Weib und Kind von einer Pflanzung zur
andern gezogen wären, sei die Sorge um die Keuschheit ihrer Töchter und
Weiber gewesen. Niclutsch bemerkte, daß gerade bei diesen Stämmen die
AVeiber nur ein l1/» Spanne breites Schürzchen aus „Baumfaden" als einzige
Bekleidung trugen, wiederum ein Beweis, daß Bekleidung und Sittlichkeit
«inander nicht bedingen.
») Vgl. § 309.
2) Bei Josef Müller, D. s. L. d. N., Keuaissauce I, 79.
556 Kapitel XI. VIT. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
Als ein außergewöhnlich keusches Volk führte Josef MüUer, mit einem
Hinweis auf Klemm, die jetzt ausgestorbenen Abiponer, einen Zweig der
Guaikuru') in Brasilien und Paraguay, an. Obwohl die Mädchen nicht
vor dem 19. und die Jünglinge nicht vor dem 25. Jahre heirateten, waren
nach Klemm Unzucht und Ausschweifungen „unerhörte" Laster. Doch er-
wähnte dieser andernorts, daß die Strafe für Ehebruch öffentliche Auspeitschung,
Abschneidung der Haare und Verbannung war. Ehebruch kam also vor;
soust wäre keine Strafe darauf gesetzt worden. Auch verstießen die Männer
vielfach ihre Frauen, weshalb diese wünschten, ihre Männer möchten sich vom
Missionar Dobrizhofer taufen lassen, damit ihr eheliches Band unauflöslich
würde. Ferner gab es Vielweiberei, wenn auch nicht häufig. — Auf den
Mann ist also der Ausdruck „außergewöhnliche" Keuschheit auch hier nicht
anzuwenden, und nach dieser Doppelmoral der Erwachsenen wuchs selbst-
verständlich die Jugend auf. Immerhin ist es sehr beachtenswert, daß An-
griffe auf die Frauenehre gerächt wurden, daß die Mädchen ihre Ehre energisch
verteidigten, wenn es not tat, und daß die Krieger ihre weiblichen Gefangenen
unangetastet ließen, was keineswegs bei allen Indianerstämmen der Fall war.
So schrieb Martins von den Chavantes in Brasilien: Sie sind eines
der wenigen Völker Amerikas, welche die Jungfräulichkeit der Bräute
hochschätzen. Sie bewachen die Keuschheit ihrer Töchter, indem sie auf ihre
Söhne ein scharfes Auge haben. Martins^ teilt feiner mit, daß in Brasilien
bei kleinen, isoliert lebenden, Horden Geschwisterehen sehr häutig sind. Am
Amazonas und am Rio Negro kommt Blutschande in allen Graden vor. —
Besonders zu beachten sind im Hinblick auf die Abiponer, als einem Zweig
der Guaikuru, die folgenden Mitteilungen des Martins:
Bei den Guaykurus. Mundrukus und anderen Stämmen verfügen die
Väter und Ehemänner über ihre Töchter und Weiber, indem sie sie ihren
Gästen aus Freundschaft zur Verfügung stellen. Am Amazonas und Yupura
prostituieren Männer ihre Weiber, oder überlassen sie andern Männern auf
eine gewisse Zeit. Den von ihm nicht gewollten Ehebruch seines Weibes
straft der Mann durch Verstoßung oder, indem er es zugleich der Zauberei
beschuldigt, mit dem Tod.
Mit Mißhandlungen straft auch der Botokude im östlichen Brasilien
den Ehebruch seines Weibes, wenn er seinen Rivalen bei ihm trifft; aber in
Abwesenheit der Männer ist es den Weibern gestattet, zu andern zu gehen
{Prinz zu Wieä).
Die Tupin-Imbas, ebenda, setzten auf die Keuschheit der Ledigen
wenig Wert, aber den Ehebruch der Weiber durften die Männer rächen, indem
sie diese unter Schimpf und Schande fortjagten, oder abschlachteten (Lery).
Die Stämme im Quellengebiet des Schingu haben betreff Sexualia gar
kein Schamgefühl. Mit Vorliebe unterhalten sie sich über Geschlechtliches,
und eines der häufigsten Ornamente ihrer Malerei ist das Uluri oder Scham-
tüchlein der Weiber (Karl von den Steinen).
I>ie jungen Männer der Bororö fangen nach dem gleichen Forscher
Prostituierte ein und leben mit ihnen im „Männerhaus". Geregelte Ehe-
verhältnisse scheint es nur in den Familienhütten der älteren Männer zu geben.
Im „Männerhaus" gehören die Kinder allen Männern zusammen, da hier ja
auch 30 — 40 Männer bisweilen ein gemeinsames Weib haben. (Hierüber in
einem späteren Kapitel.)
Die Kavapn nehmen ihre Töchter und Frauen nach Tonceieäo. um
sie dort den Brasilianern zur Verfügung zu stellen. So wenigstens wurde
x) Vgl. die Verleihung der Töchter und Weiber bei den Guaikuru nach Martins w.u.
§ 315. Indianer. 557
Fritz Krause erzählt. Hingegen erwähnt dieser die Dezenz der Karaja.
Als Beispiel führt er ein Mädchen von etwa acht Jahren an, das ihm ihren
Schnurgürtel verkaufen sollte. Da lief sie hinter die nächste Mattenwand,
legte dort einen neuen an und brachte Krause darauf den alten. — Die
Mädchen suchen vor der Ehe ihre Reinheit möglichst zu bewahren. - - Aus
Furcht vor den jungen Männern, denen volle Freiheit gestattet ist, gehen sie
deshalb nicht allein in den Wald. — Über harte Strafen für vorehelichen
Verkehr, über welche Ehrenreich und Königswald schrieben, erfuhr Krause
nichts. —
Günstige Erfahrungen machte auch Theodor Koch-Grünberg, der in
„Womeu of All Nations" (South America, 369) versichert: „Never, during my
two years' stay amorig the Indians, din I see a shadow of indecency in the
relations of married couples."
Um die Mädchen bis zur Verheiratung keusch zu erhalten, ließen die
Antillen-Karaiben zur Zeit der Entdeckung ihre Töchter, wenn diese
zirka 12 Jahre alt geworden waren, mit den Knaben nicht mehr vertraulich
umgehen. Die Mädchen mußten von da an zurückgezogen bei ihren Müttern
leben (Labat). In der Ehe war es auch hier, wie so ziemlich überall außer-
halb des Christentums, d. h. das Weib allein war zur Treue für den einen
Gatten verpflichtet. Zwar schrieb de Rochefort, Ehebruch sei bei den Antillen-
Karaiben vor ihrer Berührung mit den Weißen nicht vorgekommen. Daß dieses
jedoch nicht so zu verstehen ist, als ob die Männer lebenslänglich nur mit
ihrer einen Ehefrau geschlechtlich verkehrt hätten, geht schon aus de Rocheforh
eigener Mitteilung hervor, die eheliche Liebe dieser Karaiben sei wie ein
Strohfeuer gewesen, und sie hätten ihre Nebenfrauen ebenso leicht wieder
verstoßen, wie sie sie genommen hatten. Von ihren Hauptfrauen hätten sie
sich aber sehr selten getrennt, besonders wenn sie von ihnen Kinder hatten.
Wohl aber töteten sie sie für eheliche Untreue, indem sie ihnen z. B. den
Leib aufschlitzten. Nach Du Tertre gewährte indessen der eine und andere
seinem gefallenen Weib Verzeihung1). Kriegsgefangene Weiber durften
nach dem Beilager getötet werden. — Der gleiche Verfasser berichtete von
einzelnen Heiraten zwischen Vätern und deren Töchtern, zwischen Müttern und
deren Söhnen; einzelne Bigamisten hatten eine Tochter neben deren Mutter zum
Weib. - - De Bochefort aber schreibt, daß solche Heiraten als Blutschande
galten, und das solche Männer das Weite suchen mußten, um nicht von ihren
Stammesgenossen in Stücke zerrissen oder verbrannt zu werden. — Vorehelicher
Verkehr fand nicht statt.
Bei den jetzigen Karaiben und anderen Indianern in Surinam wirkt
der übermäßige Alkoholgenuß entsittlichend. ..Was die Moral der Indianer-
Mädchen betrifft." schrieb Joest, „so ist mir darüber nicht gerade Günstiges
berichtet worden; wie wäre das auch möglich bei diesem verkommenen Ge-
sindel? Die Mädchen sind sogar stolz darauf, ein Kind von einem Weißen
zu besitzen." Ein Gruppe berauschter Kinder, größerer Mädchen und Frauen
sah Joest teils nackt, teils spärlich gekleidet im Zickzack über die Straße
schießen, betrunkene Männer lagen in den unglaublichsten Lagen herum. —
Kappler berichtete: Eheliche Treue ist bei den Indianern Surinams selten zu
finden; oft geschieht es, daß ein Weib sich Monate lang bei andern aufhält
und dann wieder zu ihrem Manne zurückkehrt, ohne von ihm für ihren Fehl-
tritt mißhandelt zu werden. Ebenso häufig kommt es vor, daß der Mann
seine Frau und Kinder verläßt und sich in einem andern Dorfe ansiedelt.
l) Du Tertre meldete ferner, daß die Männer ihre Ehefrauen auch ohne vorgefallenen
Ehebruch nach Willkür verließen. — Dem Verführer eines Eheweibes habe der rechtmäßige
tiatte nie Verzeihung gewährt.
558 Kapitel XL VII. Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen.
Was sich also der Karaibe zur Zeit der Entdeckung selbst gestattete,
tut jetzt auch sein Weib, vielleicht, weil der Mann unter der holländischen
Regierung die Ehebrecherin nicht mehr töten darf.
Von den Patagonen schrieb Musters: In ihrer Wildnis beobachtete ich
wenig Unsittlichkeit an ihnen; aber in den Ansiedlungen werden sie durch
Trunksucht zügellos. Übrigens berichtet der gleiche Verfasser von den
gebräuchlichen Nachtbesuchen der Patagonen. Der Besuch, welcher gewöhnlich
unter der Decke des Hinter-Zeltes hineinschlüpft, wird freilich nicht selten
durch die kläffenden Hunde verraten. Solche Nachtbesuche sind nicht immer
nur Männer. Als Musters im Zelt des Häuptlings Orkele übernachtete, wurde
er von einem berauschten Weib aus einem Nachbarzelt überrascht. — Moreno
bemerkte über die von ihm miterlebten Orgien unter den Patagonen, was er
gesehen und gehört, sei zur Wiedergabe zu unpassend. Die Väter und Brüder
der anwesenden Mädchen lachten über die zudringlichsten Männer, statt ihre
Töchter und Schwestern zu schützen, die wenigstens die rohesten Angriffe
selbst zurückwiesen. Die Vielweiberei der vermöglichen Männer zwingt die
ärmeren zum Zölibat, was diese den Prostituierten zuführt. Wie bei manchen
andern Völkern, so können die prostituierten Weiber auch hier heiraten und
gelten dann als ehrbare Frauen. Guinnard rühmt ihnen sogar nach, daß sie
dann tatsächlich treu bleiben; wie denn eheliche Treue die Patagonierinuen
im allgemeinen auszeichnen soll. Allerdings ging der 103 jährige Häuptling-
Calficurah, welcher 32 Weiber sein eigen- nannte, nachts häufig, mit einem
Messer oder einer Wurfkugel, bewaffnet, auf die Suche nach seinen Neben-
buhlern und treulosen Weibern, manchen wohlgezielten Stoß und Wurf führte
er aus (Guinnard). — Nach Moreno werden Ehen gelegentlich aus Liebe zum
Branntwein gelöst. So wollte aus diesem Grund am Lago Argentiui ein
Weib die Ehe ihrer Tochter mit einem Eingebornen lösen, um sie Moreno
zum Weibe zu geben, und die Feuerländerin Ast' eiche ihren eingebornen Gatten
verlassen und mit Moreno ziehen. — Ein Schluß auf die Kindererziehung
unter solchen Verhältnissen ist nicht schwer.
§ 316. Die Keuschheit des Kindes in der Gefangenschaft.
E. W. Lane schreibt von den sog. abessinischen jugendlichen Sklaven
Oberägyptens seiner Zeit, die in Wirklichkeit jedoch nicht aus Abessinien,
sondern aus den Galla-Gebieten, stammten. Die meisten sowohl von diesen,
als von den schwarzen Sklavenmädchen werden von den Gella'bs oder Sklaven-
händlern aus Oberägypten und Nubien, die sie aus ihrer Heimat wegnehmen,
schändlich verdorben. Es gibt nur sehr wenige acht- oder neunjährige Mädchen,
die nicht schon in brutaler Weise vergewaltigt worden sind. Vergewaltigung
scheint auch bei Knaben vorzukommen. Denn Lane fügt bei: ,.So tief fühlen
diese Kinder, hauptsächlich die abessinischen, und zwar sowohl die Knaben
als auch die Mädchen, die von den Gella'bs zu erleidende Behandlung, daß viele
sich auf dem Transport im Nil ertränken."
Nach Burckhardt versicherten zu seiner Zeit die afrikanischen Sklaven-
händler, daß sie die Keuschheit der von ihnen gefangenen Mädchen achten;
in Wirklichkeit aber beobachteten sie diesen gegenüber nicht den geringsten
sittlichen Anstand, sondern benutzten die schönsten für sich und erlaubten
andererseits den gefangenen Mädchen Freiheiten, welche von diesen mißbraucht
wurden. Auf seiner Reise nach Suakin in Nubien erlebte Burckhardt in
dieser Hinsicht die schamlosesten Vorkommnisse, welche die lachenden Sklaven-
händler in Szene gesetzt hatten. Wie Lane, so war auch Burckhardt der
Überzeugung, daß sehr wenig Sklavenmädchen, welche das 10. Lebensjahr
überschritten hatten, im jungfräulichen Zustand nach Ägypten oder Arabien
§ 316. Die Keuschheit des Kindes in der Gefangenschaft. 559>
kamen. Das wußten die dortigen Männer, welche Konkubinen haben wollten,
auch recht gut, weshalb sie zu diesem Zwecke kleine Mädchen ankauften
oder irgendwie erwarben und sie ihren Frauen zur Bewachung übergaben;
oder aber sie kauften Mädchen auf Probe, die sie im Fall der Enttäuschung
nach 1 — 3 Tagen wieder zurückgaben. Solche Mädchen waren selbstverständ-
lich in kurzer Zeit aller Scham bar.
In Berber rekrutierten sich die zahlreichen Prostituierten1) zum größten
Teil aus den in der Sklaverei gebornen Mädchen, die ihren Gewinn nicht
selten mit ihren Gebietern zu teilen hatten. Ihr Leben in den Buza-Hütten
oder Bordellen nannte Burckhardt ein leidenvolles. Kein Mann kam ohne
Schwert oder Messer zu ihnen, was bei ihrer hochgradigen Trunksucht und
der sexuellen Leidenschaft zu häufigen blutigen Auftritten führte, die nicht
selten mit einem Mord endigten.
Mehrfache Schändung eines kleinen kriegsgefangenen Mädchens ist mir
aus Nordamerika bekannt: General Custer fand auf seinem Feldzug gegen die
Sioux und Cheyenne-Indianer auf den Plains2) in einem Dorf, welches bis
dahin von Leuten dieser beiden Stämme bewohnt gewesen, jetzt aber vor
Custer geräumt worden war, ein kleines Mädchen, das von mehreren Kriegern
mißbraucht worden war. —
') Vgl. § 311.
2) Custer verwahrte sich, diese Plains mit den „Frärien" zu identifizieren. Auf diesen
wachse Gras, daß es Roß und Reiter überrage, auf jenen nur etwa 3 Zoll langes (vgl. Renz^
des Indianers Familie, 100, Anm. 1.
Kapitel XLVIII.
Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes.
§ 317. Religion im weitesten Sinne dieses Wortes blickt durch das
ganze Bild, welches bisher von dem ,.Kind in Brauch und Sitte der Völker"
gezeichnet worden ist, uud auch der später noch zu behandelnde Stoff für das
vorliegende Werk ist des religiösen Elementes nicht bar. Doch spielte das
Kind bisher im religiösen Leben seiner Umgebung, von mehr oder weniger
Ausnahmen abgesehen, eine hauptsächlich passive Bolle, während es uns in
den §§ 318—320 als hauptsächlich aktiv vorgeführt werden soll. Allzuviel
Material liegt mir in dieser Hinsicht noch nicht vor, und selbst dieses zeigt
uns. insofern es vom Ahnenkult handelt, weniger die dem Kindesalter, als
die'dem Kindesverhältnis zukommenden religiösen Pflichten.
Der Ahnenkult beeinflußt das religiöse Denken und Handeln vieler
Völker in hohem Grad. Er schneidet tief ein in das gegenseitige soziale
Verhältnis der Geschlechter in Familie und Stamm. Die durch den
Glauben festgehaltene Fähigkeit eines Sohnes, seinen Eltern nach deren Tod
mit Opfern zu Hilfe kommen zu können, während das von einer Tochter
nicht zu erhoffen sei. macht jenen zum Gegenstand des sehnlichsten V onsches
seiner Eltern, schon ehe er empfangen und geboren ist, und zeit seines Lebens
verdankt der Mann im Ahnenkult seine Bevorzugung vor dem Weib größten-
teils jenem Glauben, dessen Ursprung wissenschaftlich noch nicht aufgeklärt
ist, weshalb man auch noch nicht feststellen kann, ob er nicht vom Mann als
eines der wirkungsvollsten Mittel zur Selbstüberhebung über das Weib er-
funden worden ist. Ebensowenig ist es wissenschaftlich erwiesen, daß der
Ahnenkult dem Götterkult, bzw. dem monotheistischen Gottesglauben,
vorausgegangen sei. noch auch, in welchem Sinn die jetzt im Ahnenkult
als „Opfer" bezeichneten Akte ursprünglich aufgefaßt wurden. Ihre in
§ 318 erwähnte Auffassung im alten China als Ansporn für die Hinter-
bliebenen, ihrer Toten zu gedenken, führt zu der Vermutung, daß Ähnliches
auch bei anderen Völkern der Fall gewesen sein könnte. Doch darf auch
nicht vergessen werden, daß der Stammbaum mancher Völker nach deren
(Hauben bis zur Gottheit selbst hinaufreicht, was ihrem Ahnenkult einen
höheren Stempel aufprägt, d. h. ihn zu einer gottesdienstlichen Handlung
erhebt. Ob die Aufstellung dieses Stammbaumes ihren Ahnenkult hervorge-
rufen hat, oder erst eine Folge des letzteren ist. muß hier gleichfalls unbe-
wiesen bleiben. Sicher ist, daß viele jetzt lebende Völker glauben, daß die
Geister ihrer Toten, sei es als Götter, sei es als sonst mächtige Wesen, das
Schicksal der Überlebenden beeinflussen können, daß sie durch die von den
Überlebenden dargebrachten Opfer, durch würdige Beisetzungen, durch Gebete.
Tänze, Leichenschmäuse, Prozessionen und andere Akte, bisweilen bis zur
Erschöpfung des ganzen Vermögens, günstig gestimmt werden.
Die Jenseits-Auffassung mancher Völker führt im Ahnenkult auch
zu Menschenopfern fsiehe Ibos und Chinesen in § 318). Der Verstorbene
§ 317. Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes. 561
soll seine liebgewordene Umgebung, seine Bequemlichkeit nicht missen, sondern
die Geister seiner Lieben, oder seiner Sklaven, sollen ihm ins Jenseits folgen
und auch dort ihm zu Diensten sein.
Bemerkenswert ist hier ferner, daß der Fruchtbarkeitskult auch im
Ahnenkult eine wichtige Rolle spielt. Man beachte z. B. die Wasserzeremonie
bei der Beisetzung der Bambara (§ 318), und deren Auffassung des Wassers
als Ursache jeglicher Fruchtbarkeit. Aber nicht nur eine wichtige Rolle
spielt der Fruchtbarkeitskult im Ahnenkult, sondern dieser selbst ist, im
Grunde genommen, nur eine Form von jenem, da die menschliche Fortpflanzung
im Fruchtbarkeitskult der Menschheit den ersten und wichtigsten Platz ein-
nimmt, was im „Götterkult" (§ 319) abermals bewiesen wird.
Hier finden sich die Gegensätze strenger geschlechtlicher Enthaltung und
Apotheosierung des Geschlechtslebens, bzw. der Fruchtbarkeit, mehrfach in
enger Verbindung, z. B. in' Griechenland, Rom und Mexiko. Das auf den
ersten Anschein Widersprechende dieser Tatsache findet seine Lösung, wenn
mau das vorteilhafte Tauschgeschäft ins Auge faßt, welches der Mensch ge-
wöhnlich mit seiner Gottheit abschließt: Er gibt wenig, hofft aber dafür viel
zu erhalten. Zudem gibt er sich in der Regel nicht selbst, sondern ein anderes,
das sich nicht freiwillig, sondern gezwungen der Gottheit zu Diensten stellt.
Um der Keuschheit gezwungener unreifer und reifer Priester und Priesterinnen
willen soll die Gottheit Land und Volk segnen. Denn von einer freiwilligen
Jungfräulichkeit einer freien ausgereiften Persönlichkeit kann bei den in ihrer
Kindheit zum Priestertum bestimmten römisch-griechischen und zentralameri-
kanischen Priesterinnen nicht die Rede sein '), und eine freiwillige Jungfräu-
lichkeit der Priester dieser Kulte scheint es noch viel weniger gegeben zu
Italien (vgl. die Ehen der mexikanischen Priester mit Knaben im vorigen
Kapitel). Allerdings sind die verschiedenen Formen von Selbstpeinigung
im Götterkult verschiedener Völker ein sehr beachtenswertes Zeugnis für den
Ernst ihres religiösen Lebens. Man beachte nur die in § 319 erwähnte Geiße-
lung und Brennung der in den Kore-Bund eingeweihten Bambara, die alt-
mexikanischen Blutentziehuugen, Geißelungen, Nachtwachen usw. Aber gerade
diese Akte im Kult ihrer Götter (Baumgeuius, Sonne usw.) dürften, insofern
sie freiwillig vollzogen werden, beweisen, daß der Fruchtbarkeitskult bei
solchen Völkern sehr tiefe Wurzeln gefaßt hat. Man erkauft sich von der
Gottheit um diesen Preis den Geschlechtsgenuß, die Fruchtbarkeit. Priester
und Priesterinnen müssen das für den ganzen Stamm, das ganze Volk, besorgen.
In den weitaus meisten Fällen jedoch bietet man der Gottheit nicht das eigene
Blut, Zeichen des Lebens, überhaupt kein Menschenblut, sondern das Blut
eines Opfertieres; man opfert nicht das eigene Leben, sondern Nahrungsmittel,
welche, weil der Mensch ohne sie nicht leben kann, gleichfalls ein Symbol
der Selbsthingabe an die Gottheit, und in vielen Fällen zugleich Symbole der
Fruchtbarkeit sind2).
Am deutlichsten zeigt sich die Apotheose des Geschlechtslebens in der
„heiligen" Prostitution und in der im vorigen Kapitel erwähnten Päderastie
in den Tempeln, Formen, die vom Standpunkt der Vernunft betrachtet, unter
dem Fruchtbarkeitskult stehen, da in diesem Freude am Leben neuer Wesen
ausgedrückt ist, während dem Geschlechtskult im ersteren Sinn auch diese
Lichtseite fehlt. Beide existieren indessen bei manchen Völkern nebeneinander. —
') Der Buddhismus allerdings kennt eine der christlichen Keuschheit uahverwaudte
Entsagung.
2) Der Fruchtbarkeitskult schließt selbstverständlich andere Kulte nicht aus. Deshalb
können Selbstpeinigungen, wie die obigen der Bambara, sehr wohl zugleich als Mutproben
aufgefaßt werden. Aber selbst als solche erscheinen sie eben doch in enger Verbindung
mit dem Köre-, d. h. Baum- oder Fruchtbarkeitskult.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 36
562
Kapitel XLVIII. Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes.
§ 318. Ahnenkult.
Schon Kapitel I hat auf die Pflicht der Söhne der Inder, Osseten,
Japaner und Chinesen hingewiesen, ihren Ahnen Opfer darzubringen. Die
gleiche Pflicht hatten auch die Söhne der alten Germanen. Starb ein Mann
kinderlos, dann kam es aus diesem Grunde vor, daß, wie bei den Juden, ein
Bruder die "Witwe heiratete, um jenem Nachkommen zu erwecken (Grupp).
Wenn bei den Jäger- und Hirtenvölkern der europäischen Steinzeit
ein Familienvater auch schon lange Jahre im Grabe ruhte, durfte er von
seinen Hinterbliebenen noch nicht vergessen werden. Die Pflicht, ihn von
Zeit zu Zeit mit Speise und Trank zu erquicken, mit Gesang und Tanz zu
unterhalten, erstreckte sich auf Kind und Kindeskinder (Grwpp).
Eine Form des Ahnenkultes scheint mir auch der folgende Brauch der
Tscherkessen zu sein, den von Klaproth mitteilte: Bei Leichenbegängnissen
vornehmer Herren deflorieren die männlichen Leidtragenden ein junges Mädchen. —
Bei manchen Völkern bilden die Totentänze einen wichtigen Bestandteil
der dem Verstorbenen dargebrachten Huldigungen, oder doch der, in irgend
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Fig. 424. Vor dem Totentanz. Nordwestliches Kamerun. Ba wenda-Bezirk. Mette phot.
einer Weise, aufgefaßten Beisetzungsfeier. Ein solches Volk sind die Wai,
Neger in Liberia, nordwestliches Afrika. Wer hier an den Totentänzen
eines Familienvaters teilnimmt, hat das Recht, sich vom Sohne des Verstorbenen
reichlich bewirten zu lassen. Das gleiche Recht hat jeder, der zur Totenfeier
überhaupt kommt. Fehleu dem Sohn die Mittel hierzu, so stehen dessen
Freunde zusammen, um das Nötige aufzubringen. - In Ermangelung eines
Sohnes fällt die Pflicht dem nächsten Verwandten des Verstorbenen zu (Oskar
Baummni).
Die Ibos, Neger südöstlich von der Vereinigung des Niger undBenue,
also in Süd-Nigeria, geben oft ihr ganzes Vermögen für ihre Verstorbenen
hin, um sie nach hergebrachtem Brauch beisetzen zu können, bzw. damit sie
von ihnen keine Nachstellungen zu fürchten haben. Diese Furcht ist bei den
I Dos mit der Hoffnung gepaart, daß die verstorbenen Väter. Mütter, Onkel,
Tanten, Kinder usw. ihnen in Krankheit, Armut und anderen Nöten des Lebens
zu Hilfe kommen. Die Verstorbenen werden ja Götter. Man schnitzt ihre
»roben Bilder in Holz, bringt ihnen Speise- und Trankopfer und betet zu
ihnen. Die ganze Verwandtschaft steuert zusammen, wenn es gilt, einen Ver-
storbenen würdig zu beerdigen. M. Friedrich, der dieses mitteilt, beschreibt
§ 318. Ahnenkult. 563
die Beisetzung eines dortigen Häuptlings, wobei er die Solle der Kinder des
Verstorbenen bei dieser Feier folgenderweise schildert: Der Erstgeborne honoriert
die Imanokwa oder Tänzer, welche die erste Nacht nach der Ankündigung
des Todes durchgetanzt haben, mit zwei Töpfen Palmwein und Kaurimuscheln.
Auch die übrigen Söhne spenden je etwas Palmwein und Muscheln dieser Art.
Während die Dörflinge in derselben Nacht Sarg und Grab herstellen, schmückt
sich der Erstgeborne mit seinem Festschurz, seinen elfenbeinernen Arm- und
Fußringen und seinen Perlenhalsbändern, worauf er sich zum ersten Opfer
für seinen Vater vorbereitet. Ein hervorragender Fetischpriester eröffnet den
Ritus. Ihm übergibt der Erstgeborne eine Ziege, welche man auf dem Ikengua,
einem Stück Holz mit zwei Hörnern, dem Bilde des Gottes des Reichtums,
schlachtet. Der Priester fängt das Blut in einer Tasse auf, besprengt damit
das rechte Hörn des Ikengua, löst hierauf ein Stück von dem Götzenbild ab
und reicht es dem ältesten Sohne des Toten, daß er es mit den anderen Götzen-
bildern in seinem Hause aufbewahre. Der Ikengua seines Vaters soll ihm
Reichtum und Frauen verschaffen. Hinterläßt der Häuptling keinen Sohn,
dann schneidet man das Götzenbild entzwei und wirft es in den Busch zur
Strafe, weil es seinem Verehrer keinen Nachkommen verschafft hat. —
Auf das erste Opfer folgt ein zweites: Die älteste Tochter des Ver-
storbenen bringt einen Bock, einen Hahn und eine Matte herbei. Letztere
hängt der Priester so vor der Leiche auf, daß die Tochter, obgleich sie das
eine Ende der Matte halten muß, den Toten doch nicht sieht. Diese Matte
nennt man agini nkutchi, d. h. die bedeckende Matte. Hierauf ergreift der
Priester den Hahn, bindet ihm die Beine zusammen und schlägt ihn, ohne ihn
zu töten, gegen die Matte, indem er die Götter anfleht, dem Toten gnädig zu
sein und ihn an einen günstigen Ort zu versetzen, wo er Häuptling bleiben
und seine Familie beschützen könne. Dann breitet er die Matte auf die Erde,
legt den Hahn und einen Lendenschurz darauf, betet abermals und bringt
dann deu Bock dem nun bereits apotheosierten Verstorbenen zum Schlacht-
opfer dar, um dessen Gunst zu erlangen. Alle Kinder des Verstorbenen
bringen hierauf Kleiderstoffe, die zusammen mit dem oben erwähnten Lenden-
schurz als Leichentuch dienen, während der Priester die Matte, den Hahn,
einen Schenkel und ein Vorderbein des Opfertieres als Lohn erhält.
Auf diese Tieropfer folgt die Tötung von mehr oder weniger Sklaven
am Grab. Nach der Beisetzung des Toten eilt der Erstgeborne, jetzt Haupt
der Familie, reich geschmückt durch die Straßen des Dorfes und kündet sich
als würdigen Nachfolger seines Vaters an. Seine Brüder und Schwestern, sowie
die Frauen des Verstorbenen und alle Dörflinge, eilen ihm, gleichfalls möglichst
geschmückt, teils voraus, teils nach. Es werden Kaurimuscheln, Zeichen des
Reichtums, auf den Weg geworfen; groß und klein tanzt und singt zum tam-
tam, und alles stimmt in die Lobeserhebungen der hinterbliebenen Familie ein,
welche die Tugenden des Verstorbenen und sich selbst rühmt, weil sie ihm
ein würdiges Begräbnis verschaffte. Dieser Umzug. ,,i feillo" genannt, schließt
damit ab, daß man in der Hütte des ältesten Sohnes einige Züge aus der
gemeinsamen Pfeife raucht1) und einige Töpfe Palmwein trinkt.
In den folgenden elf Tagen bewirten die Söhne des Verstorbenen dessen
hinterbliebene Frauen, welche während dieser Zeit zu Ehren des Toten tanzen
und singen, mit Speise und Trank. Nach Ablauf dieser Tage stellen die jungen
Männer des Dorfes eine Art Kriegszug gegen die Geister an, die den Ver-
storbenen auf seinem Weg ins Jenseits behelligen, wofür die Hinterbliebenen
dem ganzen Dorf ein großes Mahl bereiten, ihre höchste Huldigung dem Toten
gegenüber; denn damit geht der Rest ihrer Habe auf. Es ist also dem Familien-
') Erinnert an die Friedenspfeife der Indianer.
36*
564
Kapitel XLVIII. Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes.
vater alles geopfert winden, um von ihm die Gnade zu erlangen, daß er im
Jenseits ihrer gedenke und sie vor Krankheit und Armut1) bewahre. —
In Süd-Nigeria auch war es. wo B. E. Dennet im Jahre 19G3 dem
Jahresgedächtnis beiwohnte, welches Ogugn, König von Benin, seinem ver-
storbenen Vater hielt: Bald nach Einbruch der Dunkelheit versammelte sich
eine Volksmenge mit Lampen und Fackeln vor Ogugus Residenz. Die Um-
schließungsmauer dieses Gebäudes enthielt mehrere Altäre, und vor einem stand
Ogugu in rotem Gewand und Hut. von
Fackeln umleuchtet. Man hielt ihm
eine Ziege hin, damit er ihr den Kopf
vom Rumpfe trenne und mit dem Blut
den Altar bespritze. Dann wurden fünf
andere Ziegen getötet und damit die
Altäre in und außer dem Hause be-
sprengt. Nach dem Opfer wurden zuerst
vom Könige und hierauf von Männern
seiner Umgebung Tänze aufgeführt2).
Dann fand eine Prozession in- und
außerhalb der Residenz statt, welche die
ganze Nacht fortdauerte. Die Teil-
nehmer trugen Lampen und Fackeln
umi sangen teils in weichen, teils in
ernsten Melodien. Die letzteren sollen
Ähnlichkeit mit den Gregorianischen
Gesängender christlichen Kirche gehabt
haben. Am folgenden Morgen erschien
Ogugu, von vielen Hunderten seines
Volkes gefolgt, wieder vor seinem 1 1 ause.
Seine Kapelle zog vor ihm her. und
direkt vor ihm trug ein Mann einePlatte
„Igo" (Kaurimuscheln); hinter ihm kam
sein Schirmträger und seine Höflinge.
Im Schatten seines Schirmes zermahlte
Ogugn Kreide (Orhue) und bestaubte
damit die Kaurimuscheln, welche er
später Knalien und Mädchen vorwarf.
die gierig danach haschten. —
Im französischen Sudan betet der
Bambara. dem so viel an einer reichen
Ernte gelegen ist. hauptsächlich zu den
Seelen der Verstorbenen, damit diese
die Geister, welche den Elementen
befehlen, günstig beeinflussen und auch
ihre eigene Macht für die Überlebenden
entfalten. Wenn eine Leiche ins Grab
gelebt wird, gießt man iln Wasser auf
n Kopf und betet: „Mögen die Winde uns günstig sein, ob sie aus dem Norden
er Süden, vom Westen oder Osten wehen! Gib uns Regen! Verleihe, daß wir
Fig. 425. Ahnenfigur derWavua im Kongostaat.
Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
den
od
eine überreiche Ernte haben!" -- Bei den Opfern, welche der Bambara den Nanu n
der Faniilietihäupter, der Väter, Mütter und Oberpriester darbringt, ist stets eine
') Ann sind sie nach dein Gesagten schon. Es wird sich hier also um die Gnade handeln,
ler zu Vermögen zu kommen.
s) Die Beschreibung dreier Tänze siehe F-L. XVI. 486, Früher soll auf jedem Fehler
bei solchen Tänzen die Todesstrafe gestanden haben.
§ 318. Ahnenkult.
565
der ersten Bitten diese: „Gib uns Regen1), gib uns Kraft und Gesundheit,
verleihe uns eine überreiche Ernte" (./. M. Henry).
Der erste Unterricht, welchen der junge Fan im Kongostaat mit 7
oder 8 Jahren erhält, ist das „mebara", d. li. die Namen seiner Vorfahren.
Jeder Knabe, nach seiner Abstammung befragt, sagt sein Stammregister her,
das er mit der Bemerkung über den ältesten Vorfahren schließt: „Und dieser
war der Sohn des Nzame, d. h. Gottes, und vorher war weder ich,
noch sonst jemand" (H. Trittes).
In der Landschaft Mkulwe,
Deutsch - Ostafrika, schreibt
man den Seelen der Verstorbenen
großen Einfluß bei Gott (Nguluwi)2),
ihnen selbst aber keine göttliche
Macht zu. Am einflußreichsten
unter ihnen sind die Seelen der
Häuptlinge. Manche Eingeborne
richten täglich das folgende Gebet
an ihre verstorbenen Eltern. Groß-
eltern und an Nguluwi selbst:
„Dn, Vater N., schütze mich, und
du, Mutter, schütze mich, du, Groß-
vater N., ihr Großmütter alle,
schützet mich; fallt, für mich
bittend, vor Gott nieder, damit
ich wohl sei; deine Geschöpfe
(Kinder) mögen wohl sein; geleite
sie heil, Gott!" (Hornberger).
Wie das Kind der Fan im
Kongostaat, so wird auch das
Kind der Kaffern schon von
frühester Jugend auf in die Ahnen -
verehrung eingeführt. Unknlnnknlu
ist auch hier als der erste Er-
zeuger und als gütiger Vater der
Menschen gedacht, der speziell den
Kindern der Sulu gegenüber als
der Spender von Leckerbissen
erscheint. Wenigstens schrieb
Dohne3) in diesem Sinn, daß die
Sulumütter, wenn sie ein leckeres
Mahl bereitet haben und es allein
zu essen wünschen, ihre Kinder
wegschicken, indem sie sagen: Geht
und ruft Unkulunkulu, daß er euch Gutes gebe. Die Kinder gehen und werden
von ihren Müttern ausgelacht. — Doch ist dieser Unkulunkulu, wie schon
bemerkt, keineswegs der Gegenstand nur solcher Scherze, sondern gilt als
Fig. 426. Ahnenfigur der Warua im Kongostaat.
Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Im
') Das Wasser ist dem Bambara ein Geschenk der höchsten Gottheit, ist die Ursache
jeder Fruchtbarkeit. Deshalb betet er immer und immer wieder um liegen, um Wasser.
Bei den Opfern wird stets Wasser zuerst gereicht, und__ ist einer so arm, daß er weder Blut,
noch Mehl opfern kann, dann opfert er Wasser in der Überzeugung, daß das Opfer angenehm
ist. Der Bambara opfert aber auch dem Regen selbst (.7. M. Henry).
J) Dieser Nguluwi ist der Schöpfer, der eine, gute, gerechte und deshalb auch strafende
ÖOtt der Mkulwe, welcher mit den Seelen der Verstorbenen an einem glänzenden Orte weilt
(Alois Hamherger).
3) Döhnes Wörterbuch der Zulusprache. Bei Phß, 2. Aufl. II, 330.
566
Kapitel XLVI1I. Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes.
Urvater der Kaffern. — (Gebete und Opfer im Ahnenkult der Kaffern siehe
Kap. LIX.) —
Ahnenkult finden wir ferner bei den Malayen: Die Batak auf Sumatra
sind ihren verstorbenen Eltern Verehrung schuldig und glauben, daß deren
Geister ihnen Segen oder Fluch bringen können. Der Häuptling von Pordopur,
einer kleinen Insel im Toba-See, bewahrte den Schädel seines Vaters auf,
tanzte mit ihm bei Opferfesten, die dem Vater galten, und rief ihn um Ehre
und Reichtum an (Ködding).
Auf Formosa feiern die sogenannten „wilden" Stämme der dortigen
Malayen alljährlich ein Ahnen- und Hirsefest1), ihr größtes Fest im ganzen
Jahr. Am ersten Festtag findet ein Wettlaufen der Kinder statt. Der Sieger
erhält eine rote Flagge (TU. Müller).
Fig. 427. Jap er auf dem Begräbnisplatz ihrer Familie. Vom Missionssekretariat der rheinisch-westfälischen
Kapuzinerprovinz Ehrenbreit stein a. Rh. — Hechts die Vorderfront des Wohnhauses dieser Familie;
im Hintergrund das Haus des bösen Kalid (Geistes), dem früher bei Erkrankung eines Familienangehörigen
geopfert wurde. Auf diesem Platz dürfen nur die in dem dazugehörigen Wohnhaus Geborenen beerdigt werden.
Die Steinerhöhungen bezeichnen Gräber; daß weiße deckt einen Häuptling und ist, nach angeblicher Jap-
Sitte, mit Backsteinen aufgemauert. Ein weiteres Zeichen eines Häuptlingsgrabes sind zwei Tarostöcke am
Kopf- und Fußende. Der Mann mit dem weißen Bart ist der Thronfolger Arikoko (P. Eilian).
Dem Koreaner gilt die Verehrung seiner Ahnen als ein erhabener Kult,
der das Verhalten der Eltern gegen ihre Kinder, und umgekehrt, stark be-
einflußt und die Adoption eines Sohnes veranlaßt, wo kein eigener aus legitimer
Ehe vorhanden ist.
Daß schon kleine Kinder in diesen Kult eingeführt werden, geht aus der
Beschreibung hervor, welche -4. Hamilton von der um das Jahr 1900 statt-
gefundenen feierlichen Übertragung der vergoldeten zwölf „Gedenktafeln"
der kaiserlichen Ahnen in den neuen Ahuentempel in Söul gemacht hat. Die
erste Huldigung geschah während des Umzuges im Freien. Der Kaiser brachte
sie mit zwei seiner Söhne dar, wovon der eine der Kronprinz, der andere,
noch ein Baby, der Sohn der ersten Nebenfrau des Kaisers war. Dieser und
der Kronprinz vertauschten unmittelbar vor diesem Kultakt ihre Pracht-
gewänder mit gelben Opferkleidern. Unter Triumphgesang wurden die zwölf
') Diese doppelte Feier an einem Tag läßt vielleicht an jene Bedeutung denken, welche
die Hirse bei manchen andern Völkern hat, bei denen sie ein Bild der Fruchtbarkeit ist,
woran verschiedene Stellen des vorliegenden Werkes erinnern.
§ 318. Ahnenkult. 567
Tafeln in je einer gelben Sänfte von je acht Mann herbeigetragen. Als die
erste Tafel erschien, verneigten sich der Kaiser und der Kronprinz bis zur
Erde und verharrten so einen Augenblick mit gekreuzten Händen und ge-
beugten Knieen. Das wiederholte sich bei jeder der zwölf Tafeln. Auch das
Baby hatte diese Ehrenbezeigungen mitzumachen, was mit Hilfe des obersten
Eunuchen geschah. Dieser drückte nämlich den Kleinen, der noch nicht ein-
mal recht gehen konnte, jedesmal auf die Kniee nieder und legte ihm seine
beschwerende Hand auf den Kopf, damit dieser, wie der Kopf des Kronprinzen
und des Kaisers, sich neige. Nach der Verbeugung zog der Eunuche das Kind
an einer Schulter wieder in die Höhe. „Anfangs," so schreibt Hamilton,
„verfolgte das Kind alles mit weitgeöffneten Augen; dann aber wurde es müde
und ungeduldig; der Kaiser hingegen und der Kronprinz waren ganz Andacht und
Ehrerbietung; ihre hingebende Demut habe Hamilton mit Bewunderung er-
füllt; besonders der Kaiser sei bleich gewesen vor Erregung und habe seine
ganze Aufmerksamkeit auf den Gegenstand seiner Verehrung konzentriert. —
Nach dieser Zeremonie wurden die zwölf Tafeln in ihren Sänften unter
Trommelschlag und Pfeifen in feierlicher Prozession nach dem neuen Ahnen-
tempel gebracht, wohin auch der Kaiser mit den beiden Prinzen folgte. Hier
opferte man zunächst den Ahnen Schafe, welche lebendig verbrannt wurden,
und Körbe voll Früchte und Blumen: dann folgte abermals eine Huldigung
der Tafeln durch den Kaiser, worauf sie, in gelbe Seide gehüllt und in einem
gelbseidenen Kästchen verschlossen, aus den Sänften in ein Behältnis gebracht
wurden, wo sie verbleiben sollten. Keine Hand durfte sie berühren; kein
Auge sie sehen. — Diesem Kultakt im Tempel folgten Tänze in der Residenz,
zu welchen die Palastdamen1) mit ihrem Gefolge erschienen.
Auch an dem Ahnenfest, welches in Söul jährlich am 15. Tag des ersten
Monates eines neuen Jahres gefeiert wird, nehmen die Kinder teil. Die ganze
Familie versammelt sich zu diesem Fest frühmorgens zur Zeremonie des
Weintrinkens. Dabei kommt der erste Trunk dem jüngsten Sohn oder der
jüngsten Tochter zu. Dieser Truuk soll das Kind im kommenden Jahr vor
Ohrenleiden bewahren {Watters). —
„Ein guter Sohn beweist seine Liebe zu seinen Eltern, indem er sie im
Leben nährt, seinen Schmerz, indem er sie nach ihrem Tode beerdigt, und
seine Ehrfurcht, indem er ihnen (nach dem Tode) opfert." So Confudus, der
die Vollkommenheit der kindlichen Liebe mit den Sätzen kennzeichnete:
„Den Eltern nach dem Tode dienen, wie man ihnen im Leben diente; ihnen
nach ihrem Verschwinden dienen, als ob sie noch sichtbar zugegen wären,"
darin besteht die Vollkommenheit der kindlichen Liebe. — Josef Hoogers, der
diese Grundsätze mitteilt, führt dann aus: Die durch Opfergaben bekundete
Gedächtnisfeier für die Toten bezieht sich in China auf die Seelen der
Verstorbenen und findet nicht auf dem Friedhof statt, wo das Grab nur die
Leiche birgt, sondern im Ahnentempel. Die chinesische Geschichte tadelt
einen bestimmten Kaiser, weil er die Grabesriten mit den Tempelriten ver-
wechselt und die Leiche behandelt habe, als ob diese mit Verstand begabt
sei. Durch sein Opfer am Grabe habe er den Schein erweckt, als ob er
glaubte, daß dieser Körper noch lebte, während er das Täfelchen, den Sitz
der Seele'2) im Ahnentempel, vernachlässigte. Durch die Unterlassung des
Opfers vor diesem Täfelchen habe er den Anschein gegeben, daß er die Seele
für tot hielt.
') Die legitime Gattin des Kaisers war damals schon ermordet.
'*) Zu diesem Seelentäfelchen bemerkt Hoogers übrigens, daß man an die Gegenwart
der Seele des Verstorbenen in diesem Täfelelien (p'ai wei) nie fest geglaubt habe; es diene
als Medium zwischen dem Toten und den Lebenden (Anthropos V, t>89, Anm. 1).
568
Kapitel XLVIII. Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes.
Jeder wohlhabende Chinese hat eine kleine Pagode, in welcher er die
Seelentäfelchen seiner Vorfahren mit deren Namen aufbewahrt. Wo das fehlt,
findet sich wenigstens eine Tafel mit den Namen der Verstorbenen. Vor
dieser, bzw. vor der Pagode, beobachtet der Chinese an den vom Ritus be-
stimmten Tagen die vorgeschriebenen Zeremonien.
Das älteste Datum des chinesischen Ahnenkultus geht nach Hoogers auf
das Jahr 2597 v. Chr. zurück. Damals habe der Minister Tsuo tsch"e die
Erinnerung an seinen toten Kaiser Huang lebendig erhalten wollen,
indem er dessen Kleider, Kopfputz1), Sitz und Stock in einen Tempel ge-
bracht und ihnen geopfert habe.
Im Laufe der Jahrhunderte hat der chinesische Ahnenkult manche
Modifikationen erlitten, wie derselbe Hoogers schreibt: Lange Zeit glaubte
man in China allgemein an die Fortexistenz der Seelen nach dem Tode und
""* .Vi***
Fig. 428. Trauernde Chinesen in Shanghai. — K. Ethnograph. Museum in München.
deren Einfluß auf das Schicksal der Hinterbliebenen, weshalb man sich betließ,
sie durch ein gutes Betragen, Mäßigkeit und hauptsächlich durch Opfer günstig
zu stimmen.
Diese Opfer bestanden in Menschen, Tieren, Pflanzen und geistigen Ge-
tränken. Was der Vater und Großvater, die Mutter und Großmutter im
Leben am liebsten gegessen hatten, das reichte man ihnen noch nach dem
Tdde. Doch gelten die den Toten gebrachten Speise- und Trankopfer bei
Confucius nicht als deren Speise und Trank, sondern nur als Mittel, daß die
Toten bei den Lebenden nicht in Vergessenheit geraten *). — Später fingen
einzelne Chinesen an, an dem Fortleben der Seelen nach dem Tode zu zweifeln
und daraus die Konsequenz zu ziehen, daß die ihnen dargebrachten Opfer
widersinnig seien. Als einen derartigen Skeptiker gibt Hoogers einen Philo-
sophen des 1. Jahrhunderts n. Chr. an. Der spätere Tschou anerkannte zwar
Hure.
«) Hoogers 688.
§ 318. Ahnenkult.
56&
die Opfer, aber nur in dem Sinne, daß sie der in den Hinterbliebenen fort-
lebenden Substanz der Verstorbenen dargebracht würden. Eine eigene Sub-
stanzform sprach er der Seele nach dem Tode ab. - - Dem heutigen Ahnen-
kult unterliegt ein Gemisch confucianistischer, taoistischer und buddhistischer
Lehren, doch beherrscht er immer noch die Masse des chinesischen Volkes,
das sich nach hunderten von Millionen furchtsam vor unzähligen Millionen
Toter beugt. —
Den Söhnen kommt es zu, die Opfer für die verstorbenen Eltern und
Voreltern darzubringen, wie schon im Kapitel I angedeutet wurde. Einigen
Fig. 429. Altar als chinesisches Kinderspielzeug. Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
aktiven Anteil an diesem religiösen Akt haben indes auch die Töchter, wie
aus einer Stelle in der 2. Auflage dieses Werkes hervorgeht: „Außer der
Anfertigung von Kleidern," so schrieb Ploß, „lernen die Mädchen die Opfer
zu besorgen (?) ') und den Wein, die Keisbrühe und die Bambusgefäße mit Opfer-
gaben zu präsentieren, ebenso Gefäße mit eingemachten Früchten, und die
Gebräuche, um bei den Libationen mit auszuhelfen.1' —
Täfelchen (aus Holz) mit dem Namen und Todestag des Verstorbenen
finden wir im Ahnenkult auch der Japaner. Man bringt hier solche Täfelchen
am Hausaltar (butsu-dan) au {Rein). Jeder Japaner hat ja, nach Ph. Frhr.
von Siebold, eine kleine Kapelle (mija) aus weißem Holz auf einem erhöhten
Platz seines Hauses, in welcher sich das „Gohei", ein aus Papierstreifen be-
J) Soll wohl heißen, die Vorbereitung dazu zu treffen und dabei mitzuhelfen.
.570 Kapitel XLVIII. Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes.
.stehendes Sinnbild der Gottheit befindet, und die mit Laternen, Sträuchern,
Zypressen usw. geschmückt ist, und hier bringt er seinen Ahnen zu bestimmten
Zeiten Tee, Wein, kleine runde Kuchen, gereinigten Eeis u. a. m. in Gefäßen
zum Opfer dar. Außer dieser Hauskapelle hat der Japaner eine Kapelle in
seinem Gärtchen als Ehrensitz eines besonders geschätzten Vorfahren, und
auch hier zündet er zu gewissen Zeiten Lichter an und betet, meistens still,
mit seiner Familie. - - Die Menschenseele ist dem Japaner ein Ausnuß der
Gottheit. Sie lebt fort, nachdem der aus nichts entstandene Leib durch den
Tod zum Nichts zurückkehrt. Nach Bein muß die Seele aber ewig in der
Unterwelt hungern, wenn der Verstorbene keinen Sohn hinterläßt, der ihm
opfert. Mit diesem Glauben sei wenigstens ein Teil der häufigen Adoptionen
zu erklären. Der andere Teil geht auf das Feudalsystem zurück (vgl. Kap. LIV).
Auch bei den Thai oder Siamesen hat der älteste Sohn als Erbe und
Stammhalter die Pflicht, den Seelen der Verstorbenen zu gewissen Zeiten
Opfer darzubringen.
Von den Annamiten schreibt in neuester Zeit (1911) Odbrielle .1/.
Vassal: Die Liebe der Kinder zu ihren Eltern erstreckt sich über das Grab
hinaus. An den Todestagen der Eltern müssen alle Mitglieder der Familie
beim Hauptritus des Ahnenkultes zugegen sein. Abwesenheit war vor der
französischen Okkupation gesetzlich strafbar. Das Haupt der Familie, mit
seinen schönsten Gewändern bedeckt, zündet die Kerzen auf dem Ahnenaltar
an und vollzieht die vorgeschriebenen Ze'remonien in Gegenwart aller An-
gehörigen. Diese Zeremonien beginnen damit, daß der Opfernde drei auf dem
Altar stehende Gläser mit Reiswein füllt, wobei er die heilige Formel spricht:
„Ehrfurchtsvoll lade ich Ururgroßeltern, Urgroßeltern, Großeltern, (Eltern ?),
Onkel und Tanten zu diesem Fest ein, welches wir, ihre Nachkommen, ihnen
in aller Demut aus dem Grund unseres Herzens darbringen" ')• — Hierauf
wirft sich der Opfernde für einige Minuten auf die Erde nieder; denn die
Ahnen sind nun auf den Altar herabgekommen2), um an dem Festmahl (festin)
teilzunehmen. Dann gießt man abermals Wein in die (geleerten ?) Tassen,
und abermals wirft man sich zur Erde nieder. —
Die Pflichten gegen die verstorbenen Ahnen werden schon den Kindern
sorgfältig beigebracht. Wenn der Vater an den Festtagen den Ritus vor-
nimmt, müssen sie aufmerksam folgen. —
§ 319. Götterkult.
Das Kapitel über die Schulbildung hat uns mit Völkern verschiedener
Kulturstufen bekannt gemacht, welche einen Teil ihrer heranwachsenden Söhne
zu Priestern bestimmen und ihnen deshalb von früher Jugend auf eine über
den Durchschnitt hinausgehende Bildung zukommen lassen. Die Inder mit
ihren langjährigen Studien der einheimischen heiligen Bücher waren darunter.
- Einen Priesterzögling neben seinen Lehrern zeigt uns Fig. 43« >.
') „ä cette fete que nous . . . leur offrons". — Allerdings bringt man „Opfer", nicht
„Feste" dar. Das „fete" ist also wohl mit „Festmahl" zu übersetzen.
2) Dieses „Herabkommen" auf den Altar ist unklar, da Gabrklle M. Vassal auf der
gleichen Seite schreibt, daß die Seele nach dem Glauben der Annamiten beim Tod zunächst
in ein Stück Seidenstoff übergehe, welches man dem Sterbenden zu diesem Zweck auf die
Brust legt... Von dieser Seide wandere sie dann in ein Täfelchen, auf welchem die Namen,
Tit<-1 und Amler (fonetions) gesehrieben stehen, und dieses Täfelchen, gewöhnlich in einer
roten Lackschachte] aufbewahrt, sei der Gegenstand der größten Verehrung auf dem Ahnen-
ullnr. In vornehmen (grandes) Familien bewahre man die Täfelchen von 5 — ti verstorbenen
rationen auf; gewöhnliche Familien begnügen sich mit Täfelchen bis zu den Großeltern
hinauf. • Man sollte also meinen, die Ahnen seien immer auf dem Altar und brauchten
nicht erst zum Fest hernieder steigen, wenn nicht auch in Annam das Täfelchen nur als
Medium zwischen dem Toten und den Lobenden gedacht ist (vgl. China S. 567, Anm. 2).
319. Götterkult,
571
Den Gottesbegriffen eines Volkes entspricht sein religiöser Kult. Der
von W. Hoffmann angedeutete sexuelle Kultakt in den indischen Pagoden,
wozu Hunderttausende von Mädchen als Devadasis von deren Vätern verkauft
werden, hängt wohl mit der Auffassung des Gottes Civa (Schiwa) und dessen
Gattin Durga zusammen. Jener, der mit Vishnu und Brahma die Dreieinigkeit
der späteren Religionsform Indiens bildet, hat ja als Symbol den Phallus
(Lingam), welchem in allen Tempeln Oivas und auf öffentlichen Plätzen gött-
liche Verehrung gezollt wird, und neben welchem stets brennende Lampen
erhalten werden. Das zehntägige, im September und Oktober gefeierte Fest
Durga's, der Gattin Civas. ist das Hauptfest der Hindus, ein Zeichen, daß
die Apotheosierung 'des Geschlechtslebensund der Fruchtbarkeit
den Kulminationspunkt im religiösen Denken des neuzeitlichen Hindu bildet1).
Fig. :30. Hiudupriester mit Zögling. Ceylon. Im K. Ethnographischen Museum in München.
An^ihrem Feste werden, nach Hoffmann, junge Mädchen angebetet. Es ist
die Anbetung der Fruchtbarkeit bei einem Volk, dessen Priester den Be-
mühungen der christlichen Missionare, das Weib sittlich, intellektuell und
sozial zu heben, einen so erbitterten Widerstand leisteten.
In Griechenland, wo mau Jungfrauen zu Priesterinnen der Athene
machte, wurden Mädchen auch schon im Kindesalter diesem Berufe zugeführt.
Josef Mittler erwähnt im Hinweis auf Pansanias ein noch unentwickeltes
Mädchen als Priesterin im Heiligtum der Athene in Tegea. Mit Eintritt der
Reife war ihre Amtszeit abgeschlossen. Im Tempel der Athene Kronoia in
Elateia verlangte der Brauch einen Knaben als Priester, der schon vor
Eintritt der Mannbarkeit seiner Würde entkleidet Avurde. Er wurde in einem
') Beim Abschluß des Durga-Festes wird das Bild der Göttin in den Strom geworfen,
eine Parallele zu den entsprechenden Formen des Fruchtbarkeitskultes im alten Mexiko und
bei einer Reihe anderer Völker in den Kapiteln XLII und XLIII.
572 Kapitel XLVIII. Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes.
Alter aufgenommen, daß er voraussichtlich fünf Jahre bleiben konnte. Während
dieser Zeit mußte er sich in einer Wanne baden und durfte die öffentlichen
Bäder nicht besuchen. Midier setzt hinzu: „Damit man ihn nicht nackt sehe",
und führt dann folgendes über die Verwendung- von Kindern im Kult der
Artemis aus: „In Attika bestand der Brauch, die gesamte weibliche Jugend
der Artemis zu weihen. Alljährlich zogen die Mädchen von 5 — 10 Jahren in
krokusfarbenen Gewändern am Jungfrauenfest nach Brauron zum Tempel
der Göttin und wurden ihrem Schutz empfohlen. Kein Mädchen durfte heiraten,
das nicht der Artemis geweiht war. Bei den Joniern wurde ihr am Fest
der Apaturien das Haar der Knaben dargebracht, und fast überall verehrten
die Mädchen die jungfräuliche1) Göttin als Schützerin ihrer Keuschheit und
brachten ihr vor der Vermählung eine Locke, den Gürtel, ihr Mädchenkleid
usw. dar."
Im Tempel der Demeter zu Phigalia in Arkadien hatte die Priesterin
drei Knaben als Xierothyten (Gottgeweihte) bei sich.
In Born, wo die Ehe religiöse Pflicht war, wurden nur G — 10jährige
Mädchen als Novizinnen für den Vestakult aufgenommen. Diese Mädchen
wurden zehn Jahre lang auf ihren heiligen Beruf vorbereitet. Im zweiten
Dezennium waren sie diensttuende Priesterinnen: im dritten unterrichteten sie
die Novizinnen, worauf sie ihrer priesterlichen Würde und Bürde entledigt
wurden und heiraten konnten. Nach JosefL Müller, der das im Hinweis auf
Aulus '■''Hins schrieb, redete der Oberpriester die aufzunehmende Novizin
folgenderweise an: „Zur heiligen Priesterin, deren Aufgabe es ist, den der
Vesta geweihten Dienst zu versehen, der als heiliger Jungfrau das Becht zu-
steht, die vestalischen Priesterinnen einzurichten für das AVohl des römischen
Volkes und des ganzen Staates, wie es nach bestem Fug und Recht gehalten
wird, gerade so, Du Reine (?), ergreife ich dich."'-) —
Vor der Kaiserzeit soll das Angebot von Novizinnen stärker gewesen
sein; als das Bedürfnis; dann aber mußte das Gesetz für Ergänzung sorgen,
(I. Ii. die Mädchenwahl wurde durch das Los entschieden, und während vorher
mir die Töchter Adeliger aufgenommen worden waren, bestimmte Augustus,
daß nun auch Töchter Freigelassener zugelassen wurden; doch hielt man an
der alten Satzung fest, daß nur die Töchter einer univira wählbar seien
{Müller).
Wie im neuzeitlichen Indien, so übergaben schon im alten Babylonien
Väter ihre Töchter zur Prostitution in den Tempeln hin. In den Gesetzen
Hammurdbis finden sich Bestimmungen über das Erb- und Geschenkrecht
solcher Mädchen, die als Weiber Marduks bezeichnet sind.
Bekannt ist die Prostitution zu Ehren der babylonischen Göttin Istar
(Bebt. Mylitta), welche der Ausbreitung des Istarkultes zu den Syrern.
Phöniziern, Lydern. Medern, Kanaaniten und andern Völkern folgte. —
') Es scheint, daß Müller in seinem gewohnten Idealismus auch hier den griechischen
Eeuschheitsbegriff zu hoch einschätzt. Eine hervorragende Seite der Artemis war geschlecht-
lich. Sic' wiir als „Fernwirkende" Mondgöttin, also Gegenstand des Geschlechtskultus; sie
war die „Geburtsmächtige" u. a. m. Wenn man die Keuschheilsbegriffe der nichtchristlichen
Völker, die der Griechen nicht ausgenommen, mit der obigen Mädchenweihe und den Braut-
gaben an Artemis vergleicht, so kann man in diesen Zeremonien doch nur das Streben
nach einer glücklichen Ehe sehen.
8l Ober die Bedeutung des „Amata". welches Müller mit „Reine" gab, scheint man
nichl im Klaren zu sein. Siehe <1fiiller in ..Renaissance" II. 293, Aum. — Daß uueh der
Vestakult cm Frucht liarkeitskult war. geht schon daraus hervor, daß ihr Feuer, aut
welches so vielfach der christliche Keinheitsbegriff übertragen wird, nach dem Erloschen
wieder dadurch entzündet werden mußte, daß man nach Clutntcpie (2,423) im Holz eines
Km c h t b a ii in es bohrte, ein doppeltes Symbol menschlicher Zeugung, worauf ich
wiederholt hingewiesen habe.
§ 319. Götterkult.
573
Die Aufnahme der Bambara-Kuaben im heutigen französischen Sudan
in den Geheimbund des „Köre-' ist, wenigstens größtenteils, eine Einführung
in den Fruchtbarkeitskult.
Der Köre ist ein Genius der Fruchtbarkeit, welcher speziell die Feld-
früchte schützt, wie J. M. Henry schreibt. Daß er aber auch mit der mensch-
lichen Fruchtbarkeit, bzw. dem menschlichen Geschlechtsleben, in Verbindung
gebracht wird, ja, daß dieses dem Geheimbund der Jünger Kores wohl
wichtiger ist, als der Schutz der Feldfrüchte, dürfte aus dem Sitz des Genius,
einem Baum1), den obszönen Gesängen bei der Aufnahme und aus dem Um-
stand hervorgehen, daß im Bani-Gebiet, wo der Korekult in höchster Blüte
steht, jeder Beschnittene sich auch in diesen aufnehmen läßt, Beschneidung
und Korekult also in gegenseitiger Beziehung stehen.
4
Fig. 431. Batubaraknaben, die sich vor ihrer Aufnahme in den Geheimbuud des Köre geißeln. Nach
Otto Hayer im „Authropos'- III, 710.
Öffentlich und feierlich geopfert wird dem Köre jedes Jahr vor der
Saat; aber nur alle sieben Jahre wird in den Bund dieses Fetisches auf-
genommen, dessen Mitglieder „Köre de", d.h. Söhne des Köre, genannt werden und
sieben Gruppen unter einem gemeinsamen priesterlichen Oberhaupt bilden. Zwei
dieser Gruppen sind die Geißler8) und die Feueranzünder. Die Aufnahme
kann am Tage geschehen, im oben erwähnten Bani-Gebiet aber wohnte Henry
ihr bei sinkender Nacht bei. In Prozession und unter Musik zogen die „Söhne
des Genius" zum heiligen Hain außerhalb des Dorfes, in dessen Mitte ein Baobab
(Affenbrotbaum), der Sitz des Geistes Köre, stand. Ihnen schritt der Priester
mit dem „Kärä" voran, einem durchbrochenen schmalen Brett, dem Symbol
') Vgl. die Rolle des Baumes bei der Beschneidungsfeier verschiedener Völker in
Kap. XXXVIII.
8) Vgl. die Geißelung bei den Mexikanern und Griechen, sowie das Peitschen an den
altrömischen Luperkalien, am christlichen Aschermittwoch. Ostern usw. als Fruchtbarkeitskult
in früheren Kapiteln u. a m.
574 Kapitel XLVJII. Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes.
und Altar zugleich des Geistes. Der schon auf diesem Marsch herrschende
Höllenlärm von Instrumenten. Rasseln, obszönem Geschrei. Zischen geschwungener
Euten usw. dauerte im Hain fort, bis das Emblem des Geistes vor dessen
heiligem Baum aufgepflanzt wurde. Dann trat lautlose Stille ein, und die
Kandidaten warfen sich vor beiden auf die Erde nieder. Mit der Stinte im
Staub, verharrten sie in dieser Lage, während die heilige Hymne djante Köre
deou gesungen wurde'). Dann sprangen sie mit dem Schrei djante ma2) auf.
und jeder tanzte den seiner Gruppe charakteristischen Tanz, welcher mit
einer obszönen Geste vor dem Fetisch und der großen Trommel endigte. —
Von jetzt an waren sie „Söhne des Köre-' und konnten, wo immer (in der
Provinz Segu) diesem Fetisch geopfert wurde, die heiligen Haine betreten
und an den Mysterien teilnehmen.
Auf die Einweihung folgten Libationen, welche in Hirsen-Bier und in
Hirsenmehl3), mit Wasser verdünnt, bestanden, worauf Schafe, Ziegen und
Hühner auf dem Emblem und Altar des Geistes als Opfer geschlachtet wurden,
mit deren Blut man den Stamm des heiligen Baumes und eine Hyänenmaske»
„Haupt des Köre" genannt, bestrich4). Diese Opfer sollen sowohl den Köre
als auch die Seelen der verstorbenen Bundesmitglieder ehren und deren Gunst
für die Überlebenden erwirken. Das Fleisch der Opfertiere wird teils sofort
an Ort und Stelle, teils später im Dorf verzehrt.
Die Initiierten haben nun 14 Tage ununterbrochen in diesem heiligen
Hain zu verweilen. Täglich kommen die Alten des Dorfes gegen Mittag, um
sie zu quälen. Für jede der sieben Gruppen des Bundes gibt es charakteristische
Qualen. Die Neueingeweihten der „Feueranzünder" müssen sich mit Fackeln
Bücken und Brust brennen lassen; die „Hirsche- (?)5) werden in Dornen ge-
hüllt: die „Geißler", ..Hyänen" u. a. mit Ruten gepeitscht, worauf man ihre
geschwollenen und zerrisseneu Leiber oft noch mit gemahlenem Pfeffer bestreut.
Aber all diese Qualen sind nur ein Vorspiel zum „heiligen Tanz des
Köre", welcher nach Ablauf der 14 Tage auf dem Dorfplatz getanzt wird.
Er beginnt in der Früh, nachdem die Initiierten den heiligen Hain verlassen
haben. Auch die Weiber sind bei diesem Tanz zugegen, an welchem anfangs,
solange es sich nur um Tanzbewegungen handelt, alle Bundesmitglieder teil-
nehmen; die älteren, bald müde und durstig, lassen sich dann bei ihren Bier-
kalabassen nieder, und nun erst beginnt für die Neueingeweihten das öffent-
liche grausige Spiel: 2 — 3 ..Feueranzünder'1 eröffnen es mit brennenden Stroh-
fackeln, welche sie so unter ihren Armen und über ihren Köpfen hin- und
herschwenken, daß sich ein Feuerregen über ihre nackten Körper ergießt,
während eine andere Gruppe, die „Spaßmacher", um sie herum schamlose Spaße
brüllen, mit einer Hand ihre Rasseln"), mit Steinchen gefüllte durchbrochene
Kalabassen, schütteln und mit der anderen mittels belaubter Zweige sich gegen
den Funkenregen wehren. Um die beim Bier Sitzenden heult die Gruppe der
„Löwen" in ihren riesigen Masken; die „Hirsche" oder „Unerschrockenen"
zerreißen sich mit Dornen Brust, Achselhöhlen und Rücken, oder hüllen sich
zum Tanz ganz in Dornen ein; die Geißler laufen brüllend von einer Gruppe
zur andern, schwingen ihre laugen, zischenden Gerten über ihren Häuptern
' Henry übersetzt „djante Koro" mit „Kind des Köre''.
•i Nach Henry ..ho nunc du djante". — Sollte es sieh hier gar um eine Pubertäts-
feier handeln, insofern es sich hier um einen Übergang vom „Kind-' zum „Mann" zu handeln
scheint ?
s) Die Hirse als Symbol der Fruchtbarkeit ist genugsam bekannt. Vielleicht haben
wir sie auch hier als solches aufzufassen.
4i Vgl die mit Wut bestricheneu Bäume bei Beschneidungszeremonien in Kap. XXXV] II.
6) Jiei Henry „fuuvcs".
gl. die Feuerzeremonien bei Beschneidungsfesten. Auf die sexuelle Bedeu' uog
der Hasseln bei verschiedenen Völkern ist im vorliegenden Werk wiederholt hingewiesen w
§ 319. Götterkult. 575
und lassen sie dann auf ihr eigenes Fleisch herniedersausen. Jeder Streich
läßt eine Furche, und oft fließt das Blut. Bleich und zitternd geißeln sie-
sich, bis die Gerten in Stücke, gehen. Nach jedem Streich eilt einer aus der
Gruppe der „Spaßmacher" ') herbei und frottiert dem Knaben die Glieder.
Da die Eingeweihten auch vor Frauen und Kindern ihre Gruppenzeichen
tragen, und sogar Frauen in den Kore-Bund aufgenommen werden (allerdings,
ohne daß diese an den Opfern teilnehmen dürfen und sich vor dem Baum
und Emblem des Geistes Köre niederwerfen müssen), meinte Henry, dieser
Bund könne kein Geheimbund im strengen Sinn dieses Wortes genannt werden,
da die übrigen Geheimbündnisse der Bambara so etwas nicht gestatten. —
Auf die Vorbereitung der Söhne zum Stand eines Fetischpriesters
in eigenen Schulen bei einzelnen Negervölkern ist in Kapitel XLVI hin-
gewiesen worden. —
Die Ho, ein Ewe- Stamm in Deutsch-Togo, weihen viele Kinder gleich
nach der Geburt dem Himmelsgott, Spender des Kindersegens. Damit wird
auch hier das betreffende Kind schon im voraus zum Priesterstand zuge-
wiesen (Fies).
Einführung in den Geschlechtskult haben wir wohl wieder in den
folgenden Bräuchen in Dahome, dessen Schlangenkult2) schon von eng-
lischen Forschungsreisenden des 19. Jahrhunderts eingehend geschildert worden
ist. In neuerer Zeit berichtet J. Weißenborn: In Weida, Hafenstadt in
Dahome, greifen zur Zeit der Getreidereife alte Priesterinnen an bestimmten
Abenden von den Priestern überredete junge Mädchen im Alter von 10 bis
12 Jahren auf, halten sie eine Zeitlang gefangen, unterrichten sie in den
heiligen Bräuchen und Tänzen und bezeichnen sie mit Schlangenfiguren, welche
sie in die Haut einschneiden, als Eigentum des Schlangengottes, über all
diese Vorgänge legt man den Mädchen Schweigen auf und bringt sie zu ihren
Eltern zurück; doch müssen sie von Zeit zu Zeit im Tempel zu Ehren der
Gottheit tanzen und weiden, nachdem sie zur Reife gelangt, mit der Gottheit,
d. h. mit den Schlangenpriestern, vermählt (J. Weißenborn).
In Kamerun werden, nach Flad, die Knaben auf folgende Weise in
den Kult des mit riesigen Flügeln versehenen, mehr tier- als menschenähn-
lichen, Götzen Mungi eingeführt, der in den Dörfern und im Busch seine
Hütten hat. Ein mit der Gottheit vertrauter Mann bringt die versammelten
Knaben in die Nähe einer solchen Mungi-Hütte im Busch. Hier führt er
einen Knaben nach dem andern mit verbundenen Augen in die Hütte hinein,
wo vorgeblich Mungi selbst, in der Tat aber einer seiner Priester, dem Knaben
unter greulichen Lauten zwei Kreuze auf die Brust schneidet, Den fürchter-
lichen Baß verschafft sich der Priester vorher durch den Genuß einer gewissen
Pflanze. Der Knabe wird hierauf wieder ins Freie geführt; man nimmt ihm
die Binde von den Augen und sagt ihm, Mungi habe ihn mit seinen Zähnen
gezeichnet. Nach Vollendung der Zeremonie fliegt3) der Mungi davon. Sein
Flügelschlag verursacht weithin fühlbaren Wind. Hat er sich entfernt, dann
führen die Knaben Tänze und Spiele auf. — Von jetzt an können die Initi-
ierten gefahrlos die Gebiete des Mungi betreten. Vor ihrer Einweihung wären
sie für das Betreten solcher Orte allenfalls spurlos verschwunden, wären von
Mungi und seinen Leuten gefressen worden.
In den Schlangen- bzw. Wassergeisterkult werden bei den Bantu
am untern Kongo gewisse Kinder eingeführt, die, wenn Knaben, „Etoko",
*) Eine Schnur mit roten Bohnen um Hals, Kücken und Brust ist ihr charakteristisches
Zeichen.
J) Auf die enge Beziehung des Schlangenkultes zum sexuellen Leben, bzw. zur Frucht-
barkeit, habe ich verschiedenenorts hingewiesen.
3) Besser wohl: läuft flügelschlagend.
576 Kapitel XL VIII. Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes.
■wenn Mädchen, „Lombo" genannt werden und selbst als Inkarnationen, oder
doch als Lieblinge der Ximbi (Wassergeister) gelten. In enger Beziehung mit
diesen Geisterkindern stehen, nach dem dortigen Glauben, auch die Schlangen,
welche man. wie jene, als Inkarnationen oder als Schützlinge der Ximbi hält,
Würde ein Geisterkind eine Schlange töten, so gälte das als Verwandtenmord.
Andererseits darf ein Geisterkind nicht auf den Kopf geschlagen werden, weil
der Kopf der empfindlichste Teil der Schlange ist. Die Geisterkinder selbst
genießen eine Art Kult, da sie von den Ximbi mit besonderen Kräften
ausgestattet sind, die sie zum Segen oder zum Nachteil der Mitmenschen
verwenden können, weshalb sie von Verwandten und Nachbarn beschenkt
werden, damit sie ihnen ihre Gunst zuwenden. — In Häusern, wo Geister-
kinder geboren wurden, darf keine Schlange verletzt oder gar getötet werden,
noch darf man eine aus dem betreffenden Haus vertreiben. - Die Folge
dieses Glaubens ist. daß in solchen Häusern Schlangen häufig sind (ireefo). —
Bei den Basutos, einem Zweig der Betschuanen in Britisch Südafrika,
fand Chr. Stech eine Art Religionsunterricht, welchen die Eitern ihren Kindern
abends erteilten, und worüber diese vor ihrer Mündigkeitserklärung (Koma)
eine Prüfung abzulegen hatten. Ein, Stech bekannter, Basttto pflegte z. li.
seine Kinder über einen kleinen, heilig gehaltenen Vogel. Kholiocozo genannt,
auszufragen, und wehe dem, der ihu nicht nach Farbe, Größe und Flug kannte,
oder seinen Ruf nicht nachzuahmen vermochte. Er bekam die eindringlichsten
Schläge. Glücklich dagegen der Junge, der einen solchen Vogel erlegte und
sich mit seinen Federn schmückte.
Im Religionsunterricht des Kafferkindes spielt neben Gott der Mythus
vom Chamäleon und der Eidechse eine Rolle, der mit dem Glauben an ein
Wiederaufleben nach dem Tode zusammenhängt, Das Chamäleou soll nämlich
ehemals von Gott mit der Botschaft zu den Menschen geschickt worden sein,
da Li sie ewig leben, oder nach dem Tod wieder aufleben würden. Eine Ei-
dechse kam ihm zuvor und überbrachte eine entgegengesetzte Botschaft, und
dieser glaubte die Menschheit, Als endlich das Chamäleon ankam, fand
seine Botschaft keinen Glauben mehr. — Kinder, die kaum erst sprechen
gelernt haben, sind in diesem Mythus bereits eingeführt, der sich in seinen
wesentlichen Zügen auch bei mehreren anderen südafrikanischen Völkern vor-
findet. —
Auf den Andaman-Inseln weiß jedes Kind, welche Handlungen den
Zorn einer gewissen Spinne, Biluku, erregen, die teils als weibliche, teils als
männliche Gottheit aufgefaßt wird und im Zorn Regen schickt (Ä. B. Brown).
Die Teilnahme des japanischen Kindes an den Gebeten seines Vaters
zu Gott und den Ahnen hat £ :?18 gestreift, - Der Gedanke, was weiden
die Ahnen sagen, leitet den Japaner von Kindheit auf in seinem Tun und
Lassen. In der modernen Schule hat der Religionsunterricht jedoch, wie
schon in einem früheren Kapitel erwähnt, keinen Platz {Bein), und nach dein
Buddhapriester Eirai ist dem heutigen Japaner „Religion nicht Gottesver-
ehrung im orthodoxen Sinne des Wertes, sondern die Quelle der Weisheit und
Liebe, welche sich praktisch in der Sorge für die Wohlfahrt unserer
Nächsten äußern sollen", wobei Hirai freilich nicht zu wissen scheint, daß
ein abstrakter Begriff eine solche Quelle nicht sein kann.
Abbildung 129. ein Altar als chinesisches Kinderspielzeug, bewei>t.
daß die Chinesen ihre Kinder schon früh mit ihren religiösen Anschauungen
und Bräuchen bekannt machen. — John Antenorid erwähnte ein Spiel, welches
die Chinesenkinder in den Tempeln spielen, und das mit dem deutscheu „A'er-
wechselt, verwechselt das Säulchen" identisch sei. In China heiße das in der
§ 319. Götterkult,
577
Mitte stehende Kind schoe-goei, d. h. „Wassergespenst". — Das Spiel hängt
demnach in China wohl mit dem Naturknlt zusammen. (Den Ahnenkult, den
Mittelpunkt des religiösen Lebens in China, siehe S. 567 — 569.)
Die Laos im nördlichen Slam verbinden mit ihren meisten Arbeiten
auf dem Feld, mit Jagd und Fischfang, Opfer. Somit werden auch hier die
Kinder, welche schon früh mitarbeiten müssen, bald in diesen Teil des reli-
giösen Kultes eingeführt. An der Ecke eines Feldes errichtet man einen
kleinen Altar aus kreuzweis gelegten Bambusstücken, welcher mit Gras be-
deckt wird. Vor diesem Altar bittet die Familie den „Genius" mit lauter
Stimme, er möge von diesem Feld schlimme Einflüsse fernhalten. Wohl-
Fig. 432. Priester mit Schüler (rechts) aus Bangkok, Siam. Josef Eienningers phot.
habende opfern dabei ein Huhn, in der Hoffnung auf ein ganz besonderes
Wohlwollen der Gottheit; andere legen nur einige Reisähren auf den Altar.
Mehr noch kommen mit leeren Händen und begnügen sich mit Gebet (Jean Lau njt).
In Birma gehört eine religiöse Erziehung zum guten Ton. Sie ist in
der Auffassung der Eingebornen das, was die humanistische Bildung in unseren
Augen ist. Sie verpflichtet die Jugend nicht zum geistlichen Stand, der aber
allen offen steht, da es in Birma keine Kastenvorrechte gibt. In Rangoon,
dem buddhistischen Mekka, ist die Shwee-Dagon, ein Komplex von Hunderten
von Pagoden, mit einem Kranz von Klöstern umgeben, in welchen zahlreiche
Söhne der Birmanen ihre religiöse Erziehung genießen. Sie tragen bereits
geschorenen Kopf und die gelbe Kleidung ihrer geistlichen Erzieher (Pilate)
(vgl. den Schüler des siamesischen Priesters aus Bangkok auf Abb. 432). —
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 37
578 Kapitel XL VIII. Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes.
Das Mongolenkind wird angehalten, fleißig zu seinem Schutzgeist zu
beten und in allen Nöten zu ihm seine Zuflucht zu nehmen. Dieser Schutz-
geist wird ihm schon am Tage seiner Namengebung von einem Lama bezeichnet
(M. von Beguelin). Die vielen Knaben, welche auch hier von ihren Eltern
zum Priesterstand bestimmt werden, erhalten gleichfalls schon in früher Jugend
die Tonsur, d. h. man rasiert ihnen das ganze Kopfhaar ab (vgl. Abb. 432); sie
werden in rot oder in gelb gekleidet (Prschewalski), je nachdem sie der Sekte
der „Gelbmützen" oder der „Rotmützen" angehören.
Rege Anteilnahme der Jugend am Götterkult haben die Kapitel XLII
und XLIII bei den Mordwinen nachgewiesen. —
Sehr frühe Einführung in den Priesterstand linden wir dann wieder bei
den Eskimos im östlichen Grönland, wo Knaben bereits mit 7 — 8 Jahren
den Angakoks (Priestern) zu diesem Zweck übergeben werden. Die Angakoks
verkehren mit den zwei höchsten Gottheiten ihres Volkes, dem Mond und
dem alten namenlosen Meerweib, wozu aber die Hilfe von Geistern notwendig
ist. Um zunächst diese zu gewinnen, wandert der Knabe in seiner Lehrzeit
in die Berge und reibt hier stundenlang mit einem kleinen Stein die Oberfläche
eines großen, in der Erwartung, daß der „Seebär" zu ihm komme, ihn auffresse.
ihn dann wieder ausspeie1) und wieder davon gehe. Seine Lehrer haben
ihm ja gesagt, daß das so kommen müsse. Er „stirbt", d. h. verliert wohl
von dem stundenlangen Reiben das Bewußtsein, erwacht aber nach der Lehre
der Angakoks nach einer Stunde wieder als nacktes Skelett, das jedoch gleich
Avieder Fleisch annimmt; seine Kleider rauschen heran zu ihm, und er steht,
schließlich wieder da, wie vor dem geheimnisvollen Ereignis. Während des
Steinreibens muß sich der Knabe jeglichen Eingeweides von Tieren enthalten. —
Diese Vorbereitung zur Verbindung mit der Geisterwelt findet im Sommer
statt und wiederholt sich mehrere Jahre hindurch, wobei die Geister dem
Knaben wiederholt erscheinen, die übrigens nur seine eigenen seien, und
deren Namen nur ihm bekannt sein dürfen, damit auch er allein nur sie zitieren
kann, wenn immer er sie braucht, sei es, um Kranke zu heilen, sei es um durch
die Lüfte zu fahren, damit er die beiden höchsten Wesen, den Mond und das
Meerweib, besuche. Jener, ein Mann und Jäger, wohnt in den himmlischen
Jagdgründen; dieses hat sein Haus weit, weit fort, auf dem Meeresgrund. -
Der Angakok von Ammassalik besucht auch noch eine dritte Gottheit, das
alte Weib Asiak, welches Regen schenkt, indem es ein mit Urin getränktes
Fell über der Erde ausschüttelt. - - Die ganze Kultur dieser Eskimos und ihr
tägliches Leben ist von einem religiösen Geiste durchweht, schreibt Thalbiteer. —
Religiöser Geist weht auch durch das Leben der Roten Rasse. Hier
nur einige Völker als Beispiele: Der S ioux- Knabe Ohiyesa, später Dr. Charles
A. Eastman, wurde mit acht Jahren von seiner Großmutter angeleitet, dem
Großen Geist sein erstes Opfer zu bringen. Sein Liebstes, seinen Hund Ohitika,
mußte er opfern. Nachdem die Vorbereitungen getroffen waren, zog er sich
mit der Großmutter allein in die Waldeseinsamkeit zurück, wo diese betete:
„0 großer Geist, wir hören deine Stimme iu den brausenden \\ assern unter
uns. Unsere Seele ist gestärkt durch den Hauch deiner Nähe. 0 höre unser
Gebet. Sieh herab auf diesen Knaben, segne ihn und mache ihn zu einem
tüchtigen Krieger und Jäger, wozu du seinem Vater und Großvater geholfen
hast" (K. Woltereck).
Die religiöse Erziehung der Delaware-Jugend siehe § 295, S. 443.
Die (hippeway-Indianer hatten gewisse Tänze zur Besänftigung des
bösen Geistes. Jung und alt. Mann und Weib, nahmen daran teil. Die Er-
1) Vgl. die Symbole der Wiedergeburt bei der Namengebung, Haarschur, Beschul idung
usw. verschiedener Völker in früheren Kapiteln.
§ 319. Götterkult. 579
Öffnung solcher Tänze scheint kleinen Mädchen übertragen worden zu sein;
wenigstens war das bei den zwei Tänzen dieser Art, welchen Me. Kenney im
Jahre 1826 beiwohnte, der Fall.
Tanzende Kinder im Kult des Sonnengottes, bzw. seines Sohnes, des
Morgensternes, und der Erd- und Mondgöttin, führt uns K. Th, Preuß in
seiner hochinteressanten Schilderung des Festes „des Erwachens (Weinfest)
bei den Cora-Tndianern1)", mexikanische Sierra Madre Occidental, vor.
Dieses Fest, von Preuß auch Fest der Schlafheilung genannt'2), besteht nach
diesem Forscher aus einer Eeihe von Zeremonien „für das Gedeihen" der
Knaben und Mädchen im Alter von ca. 2—14 Jahren, bei welchem diese
Kinder, neben Erwachsenen, eine aktive Rolle spielen. Es findet alljährlich
im April— Mai, doch nicht in allen Dörfern, statt, Der Festplatz ist ein
Abbild der Welt, der im Osten desselben errichtete Altar stellt das Ende der
Welt im Osten dar; in dessen nächster Nähe ist der Ausgang aus der Unter-
welt; die Altarplatte ist der Himmel, die über ihm ausgespannten, blumen-
geschmückten Bögen das Himmelsgewölbe; in der Mitte des Platzes brennt
ein Feuer; die auftretenden Gottheiten sind der Sohn der Sonne, d. h. der
Morgenstern (Tonärikan) und die Erd- und Mondgöttin (Nasisa). Die Sonne
selbst, „unser Vater", ist im ersten Festgesang so gedacht, daß sie bei ihrem
Untergang die Mondgöttin beauftragt, ihr Lager zu verlassen, beim Fest zu
erscheinen und da zu tanzen und zu singen. Im 3. Festgesang bitten die
Festteilnehmer: Herab komme das Leben unseres Vaters (der Sonne).
"Wir erwarten es hier auf der Welt3). Herab komme das Leben unserer
Mutter (der Erd- und Mondgöttin) usw. — Während des 4. Festgesanges
tanzt der Morgenstern4) an der Spitze der Knaben, die Erd- und Mond-
göttin5) an der Spitze der Mädchen, und hinter den Kindern die erwachsenen
Festteilnehmer. Nach dem Tanz schneidet Tonärikan, der Morgenstern, den
Kindern die Haare an der linken Schläfe ab6), steckt jedem etwas Salz7) in
den Mund und besprengt alle, auch die Erwachsenen, mittels eines Schilfrohres
mit heiligem Wasser aus einem Krug auf dem Altar8). Dieses Wasser hat
angeblich ein göttlich verehrtes Vöglein aus dem Westen gebracht, Mit ihm
soll auch das Vieh besprengt werden. — Im 5. Festgesang werden die Kinder
von ihren Paten zum Altar geführt, auf welchem eine Bambusstange voll
Kopftücher, Kopfbinden und Perlenketten aus den weißgrauen Körnern des
Zacategrases, als Schmuck für die Kinder, liegt. Die Kopfbinden der Knaben
sollen mit dem Emblem des Morgensternes (Falkenfedern), die der Mädchen
mit dem Emblem der Erd- und Mondgöttin (Taubenfedern) geschmückt sein.
1) In: Verhandlungen des XVI. Internationalen Amerikanisten-Kongresses. Wien, 9. bis
14. September 1908. Wien 1910, 2. Hälfte, S. 489 ff.
2) Die Cora sahen nach Preuß im Schlaf eine Art Krankheit.
3) Dieses Gebet scheint mir für das „Erwachen" in dein von mir vermuteten, später
anzugebenden Sinn von hoher Bedeutung zu sein.
*) Bei diesem Fest von einem alten Mann, bei anderen Cora-Festen von einem kleinen
Knaben dargestellt.
6J Bei diesem Fest von einem alten Weib, bei anderen Festen von einem kleinen
Mädchen dargestellt.
6) Eine feierliche Haarschur mit der Bedeutung, daß das Kind, an welchem sie vor-
genommen wird, nun einen neuen Lebensabschnitt beginnt, also gewissermaßen zu einem
neuen Leben erwacht, habe ich in dem vorliegenden Werke bei verschiedenen Völkern
nachgewiesen.
7) Sämtliche Festteilnehmer haben sich die letzten fünf Tage vor dem Fest des Salzes
zu enthalten. — Auch der mystischen Bedeutung des Salzes bei einer Reihe von Völkern
ist in früheren Kapiteln gedacht worden.
8) Vgl. die mystische Bedeutung des Wassers in Kap. XV u. a. m. — Im alten Mexiko
und bei einer Reihe anderer Völker wurde es als Symbol des Lebens, als belebendes, und
somit als weckendes, Element angewendet.
37*
580 Kapitel XLVIII. Das aktive Kind im religiösen Xult. Verwandtes.
Außerdem erhalten die Knaben, als Tracht des Morgen- und Abendsternes '),
die erwähnten Samenschniire kreuzweise über Brust und Kücken, worauf
abermals ein Tanz beginnt.
Aus dem Inhalt dieses 5. Gesanges scheinen mir für die Bedeutung des
Festes des Erwachens besonders folgende Sätze bemerkenswert: „Es denken
die Alten (Paten) der Gebornen (Kinder): sie erheben sich und sprechen zu
ihren Söhnen: Stehet auf, bereits haben wir Salz gegessen, wir wollen
uns erheben und aufwachen." — Das Salz ist demnach auch hier als
anregendes, stärkendes, belebendes Element gedacht.
Während des 6. Festgesanges nimmt man die „Zeremonialpfeile" vom Altar
und tanzt mit ihnen, wobei möglichst viel Staub2) aufgewirbelt wird, der auf
die Pfeile3) fallen und diese dadurch besonders wirksam machen soll. Die
Pfeile für die Knaben sind mit Falkenfedern (Abzeichen des Morgensternes),
die Pfeile für die Mädchen mit Taubenfedern (Abzeichen der Erd- und Mond-
göttin), sowie mit Sternen aus sich kreuzenden Stäbchen, Symbole der Himmels-
richtungen, bzw. der Welt, und mit Baumwoll- oder Wollflocken, Bilder der
Wolken und des Wassers, ausgestattet. Die Federn bedeuten zugleich
die Kinder selbst4); jeder Vater hängt so viel Federn an seinen Pfeil, als
er Kinder hat, und diese Pfeile werden am Schlüsse des Festes in die Höhlen
eines Berges gestellt. Zunächst aber werden sie während des 8. Festgesanges
wieder auf den Altar gelegt, und der Sonnengott sowie die Mondgöttin sind
nun so gedacht, daß sie auf diesen Altar, oJer wohl vor allem auf die Opfer-
gaben herniederblicken, ja mitten unter ihren Gläubigen, oder doch direkt über
ihnen gegenwärtig sind: „Dort spricht unser Vater, die Sonne, mitten über
uns. Hier schaut er auf den Altar, wo die Pfeile sind, schön geschmückt
mit dem kleinen Falken daran. Auf sie schaut unser Vater. Dort blickt er
auf die Pfeile herab mit ihrer (der Mondgöttin) Taube daran. Er schmückt
sie und besprengt sie mit Wasser . . . Auch unsere Mutter (die Mondgöttin)
kommt, auch sie blickt herab auf die Pfeile" usw. —
Diese „himmlische Weihe der Opferpfeile", wie Preuß den 8. Festgesang
betitelt, scheint aber noch einen tieferen Sinn zu haben, d. h. dieser Akt
dürfte die Aufopferung der Kinder selbst symbolisieren. Gewissermaßen
identifiziert mit dem Emblem des Sonnensohnes (Morgenstern) und der Erd-
und .Mondgöttin, und dadurch auch mit diesen selbst, bilden die Kinder ein
diesen Gottheiten angenehmes Opfer, auf welches diese (gerne) blicken. -
Während des 9. Festgesanges findet die „Schlafheilung" statt. Dabei sitzen
die Kinder vor dem Sänger mit dem Gesichte nach dem Altar gewendet,
während ihnen der Curandero (Medizinmann) den Rauch5) aus seiner Pfeife
unter seiner Hand auf die Stirnen bläst, dann, mit Wasser im Mund, an derStirne
jedes einzelnen saugt, hierauf die Stirne mit neuem Wasser bespritzt, mit dem
Falkenschwanz seinen Stab bestreicht und Gebete verrichtet.
') Die Tracht einer Gottheit anlegen, bedeutet wohl, mit dieser identifiziert zu werden,
bzw. die Rolle der Gottheit so lange zu übernehmen, als man die Tracht an sich hat. Vgl.
die alte Frau, welche, nach Preuß, in die Tracht der altmexikauischen Erdgöttin und Mais-
mutter gekleidet wurde (§ 280).
s) Vielleicht ist der Staub hier als ein fruchtbares, göttliches, weil von der Erde
(Erdgöttin) kommendes. Element gedacht.
s) üb der Pfeil auch in Mexiko ein Symbol der Befruchtung ist, wie z. H. bei den
Todas?
4) „Die Gebornen hängen an den Pfeilen" übersetzt Preuß S. 500.
ö) Der Rauch als Vertieibungsmittel gegen Dämonen usw. bei Indianern und anderen
Rassen ist uns aus verschiedenen Stellen dieses Werkes bekannt. Vielleicht hat er hier die
im Bedeutung. Im 2. Festgesang bringen der Sonnensohn und die Erd- und Mondgattin
selbst den Tabak herbei, damit die „Alten" ihn rauchen. Der Rauch des Medizinmannes ist
also indirekt ein göttliches Geschenk.
§ 319. Götterkult. 581
Preuß vermutet, daß durch das Saugen an der Stirne die vermeintlichen
Erreger des Schlafes, der. wie schon erwähnt, als Krankheit aufgefaßt wird,
nämlich kleine Flußtierchen. entfernt werden sollen. — Das Saugen an kranken
Stellen, um den Errege]" irgend einer Krankheit herauszuziehen, ist ja bei
vielen Völkern niederer Kulturstufen eine wohlbekannte Erscheinung. In Ver-
bindung mit den übrigen, bisher beschriebenen, Zeremonien scheint mir dieses
Saugen bei den Cora-Indianern aber doch auch noch einen tieferen Sinn zu
haben, nämlich ein neben den übrigen herlaufendes Symbol zu sein
für die Befreiung vom mystischen Schlaf, für das Erwachen des
ganzen Kindes, des ganzen Menschen, wohl mit der ganzen ihn umgebenden
Natur, zum Leben im weitesten sinne. Das Erwachen der Vegetation
an dem entsprechenden Fest „das kleine Wachen" im' alten Mexiko, auf
welches ich später zurückkomme, war nach meiner Ansicht ausgedrückt in
dem Aufruf an die Maisstauden als Repräsentanten der Maisgöttin: „Herrin,
komme schnell!"1) Nicht die Heilung von einem Schlaf im eigentlichen Sinne
des Woites, sondern von einem Schlaf im übertragenen Sinne, die Er-
weckung zu einem kraftvollen vegetativen, animalischen und geistigen Leben
dürfte also der wesentliche Gedanke zunächst dieses Cora-Festes sein. Sämt-
liche Zeremonien scheinen mir harmonisch auf ein Erwachen in dem eben
genannten Sinne hinzuweisen. In dieser Vermutung bestärkt mich ferner der
10. Festgesang, eine Anerkennung der Machtvollkommenheit des Sonnengottes
und der eigenen Schwäche. ..Wir verdrehen die Worte unseres Vaters (der
Sonne). Doch mag es so sein. Er hat uns so gelassen (auf der Erde). Er
allein ist bleibend: für immer besteht er. Machtvoll ist sein Wort. Er hat
keine Mängel, die bei uns vorhanden sind" usw. —
In dem angedeuteten Sinne erfasse ich ferner die Bereitung und Dar-
reichung des „Weines" durch den Sonnensohn (Morgenstern), im 11. und
letzten Festgesang: „Nun erinnert sich Tonärikan i Morgenstern), daß er ihnen
(allen Festteilnehmern) Atole'-) geben wird. Das wird er ihnen geben, damit
sie darin ihr Leben haben"3).
Somit deutet nach meinem Dafürhalten das Erwachen der Sonne selbst.
die Erhebung der Eni- und Mondgöttin von ihrem Lager, das Erscheinen des
Morgensterns, die Bitten der Festteilnehmer um Leben, die an den Kindern
vorgenommene Haarschur, das Salzessen, die Bekleidung der Kinder mit den
Abzeichen und Trachten des Sonnensohnes (Morgenstern) und der Eid- und
Mondgöttin, die Identifizierung der Kinder mit den Federn der Götter-
vögel und dadurch mit den Göttern selbst, und der darauffolgenden Auf-
opferung auf dem Altar (vielleicht auch in den Berghöhlen), die Schlafheilung
und das YVeintrinken: kurz die ganze Reihe der Zeremonien auf das Erwachen
zu einem kraftvollen neuen Leben hin. welches den Kindern und Erwachsenen
und wohl der ganzen belebten Natur an diesem Feste der Cora mitgeteilt
werden soll, ein harmonisches Lebens- und Fruchtbarkeitsfest im mate-
riellen und geistigen Sinne4).
Demnach hätte also Sahagwn die altmexikanischen entsprechenden
Jahresfeste „das kleine und das große Wachen" (toc;oztont]i und ueitocoztli) in
der 2. Hälfte des März und der 1. Hälfte des April nicht ganz mit Unrecht
als „Vegetationsfeste1' geschildert5); dieser Begriff dürfte nach dem bisher
]) Preuß, nach Seiet; 511 f. u. Anra.
s) Ein Agave-Aufguß, welcher belebt, im Übermaß genossen aber auch berauscht.
') Preuß, 507.
*) Das Tanzen vor dem Feuer bei diesem Fest und die Tänze der Cora um das Feuer
bei anderen Festen (Preuß 509). also eine Form des Feuerkultes, paßt sehr wohl zu dieser
Auffassung (vgl. die Bedeutung des Feuers im Fruchtbarkeitskult in früheren Kapiteln).
5) Vgl. Preuß, 509 und 511.
582 Kapitel XLVIII. Das aktive Kind irn religiösen Kult. Verwandtes.
Gesagten und dem noch Folgenden nur zu enge sein ]). — Eine Zeremonie der
Schlafheilung ist nach Preuß von diesen zwei altmexikanischen Festen nicht
erwähnt, wohl aber die Zeremonie des Haarschneidens'2), ein Kult der Mais-
gottheiten in Gestalt junger Maisstauen3), Fasten und Blutentziehungen der
beteiligten Kinder. Darbringung der Säuglinge durch ihre Mütter usw. —
Nach Duran stachen sich, wie Preuß schreibt, am zehnten Tag des Festes
toroztontli (das kleine Wachen) die Kinder bis zum Alter von 12 Jahren in
Zunge, Ohren und Waden. Ihr Fasten dauerte bis Mittag4). Dann hingen
ihnen die Zeichendeuter verschiedenfarbige Fäden mit heilbringenden Schlangen-
knöchelchen, Steinchen oder Idolen um den Hals, wofür die Zeichendeuter
von den Eltern der Kinder Geschenke erhielten. — Am Fest des „großen
Wachens" (ueitocoztli), 7. April, „gingen die Mütter, die im letzten Jahre
geboren hatten, des Abends zu allen Tempeln, um Opfergaben niederzulegen,
und wurden schließlich im großen Tempel des Sonnengottes Uitzilopochtli
zeremoniell gereinigt, während dort ihren neugebornen Sprößlingen Ohr und
spitze der Vorhaut ein wenig geritzt wurden, worauf sie einen Namen er-
hielten'1). Aber auch alle Erwachsenen stachen sich an diesem Feste in
die Ohren und Waden und opferten ihr Blut".
Die Jugend aus den Erziehungshäusern legte überall in den Häusern
Kolbenrohr vor den Idolen nieder, das unten mit Blut aus ihren Waden und
Ohren beschmiert war. Nach Preuß war^das Blutentziehen sogar die
Hauptsache bei diesen zwei altmexikanischen Festen, und in diesen
Blutentziehungen sieht er eine Parallele zu dem Saugen an den Stirnen der
Cora-Kinder, wodurch diese von der Schlafkrankheit geheilt werden sollen.
So meint er, erkläre sich, wenigstens zum Teil, das in Mexiko so häutig geübte
zeremonielle Blutlassen, dessen Sinn man noch ohne Verständnis gegenüberstehe.
Dieser Erklärung der letzteren Zeremonie dürften sich indessen manche
Schwierigkeiten entgegenstellen. Die altmexikanischen Blutentziehungen sind
meines Wissens doch zu eng und zu vielfach mit dem religiösen Leben dieses
Volkes verknüpft, als daß man sie im obigen Sinn befriedigend erklären
könnte; auch haben sie bei anderen Völkern Parallelen mit ausgesprochenem
Opfercharakter, so daß ihre Bezeichnung als Opfer wohl auch für das alte
Mexiko zutreffend sein wird. Auf die regelmäßig sich wiederholenden Blut-
entziehungen der altmexikanischen Jugend beider Geschlechter in den Klöstern
und die der Priester komme ich später zurück. Ob diese ausdrücklich als
Opfer bezeichnet wurden, weiß ich allerdings nicht; aber wenn, wie in Bd. I,
S. 449, referiert worden ist, auf Tahiti die Eltern eines Neugebornen mit
diesem in den Tempel gingen, sich hier betend verwundeten, ihr eigenes Blut
auffingen und als ein Opfer auf den Altar legten: wenn Torquemada der
Operation am Glied der Totonaken-Knäblein im Tempel die Bedeutung eines
Blutopfers zuschrieb8); wenn bei den sich oft wiederholenden Entziehungen
l> Daran und der Florentiner Codex Magliaobecehia no beschrieben es (nach
J'mtß) „als ein zum Wohle der Kinder abgehaltenes Fest", was zwar unbestimmt
lautet, aber das ganze Wohl des Kindes umschließt, und also im Grunde richtig sein dürfte
(Vgl. Preuß, ... e„ II, S. 490.1
-') Auch in Mexiko ^alt diese zeremonielle Haarschnr als segensreich (Preuß)-
, Llso Gottheiten der Fruchtbarkeit. Nach Preuß beweist der Name Näsisa, d.h.
Mais, für die Erd- und -Mondgöttin des Cora- Festes, daß die Zeremonien bei dem letzteren
nglich in Verbindung mit einem Feste der Maisgöttin standen (op. c. II. 511).
4i Preuß weist hier auf die Enthaltung der jetzigen Cora vom Salz, als Parallele, hin.
Vgl. das von Bancroft als Fest der Mutter der Götter Teteionau oder Toei
ichnete Fesl in Bd. I. S. L05 f., sowie die Rolle der Toci (Maismutter) nach Preuß in
Bd. II. S. 167; ferner das Kitzen der Geschlechtsteile im alten Mexiko II, 214t.; sowie II. L86.
*) Vgl. Bd. II, 215. Die Totonaken waren meines Wissens von der mexikanischen Ku'tur
stark beeinflußt.
§ 319. Götterkult. 583
des Blutes aus dem Penis auch der Erwachsenen in Mexiko und Nicaragua
das Blut auf Mais gesprengt, und dieser hierauf unter großer Feierlichkeit
verteilt und gegessen wurde, wie Squier schreibt1); wenn ferner die Erwachsenen
am Fest des „großen Wachen"', das sich aus Ohren und Waden gezogene Blut
„opferten"2) usw., dann scheint eben doch das Blut, ein Bild des Lebens, wirklich
als Opfer im engereu oder weiteren3) Sinn der Gottheit dargebracht worden zu
sein, abgesehen davon, daß die Operation des zeremoniellen Blutentziehens
mit scharfen Instrumenten von der des Aussaugens eines Krankheitserregers
wie dies von Preuß bei den Cora geschildert worden ist und bei so vielen
Völkern vor sich geht, stark abweicht.
Die Frage nach dem Grunde, warum gerade von den beiden altmexika-
nischen Festen des kleinen und großen Wachens (die doch von Sahagun als
Vegetationsfeste, geschildert wurden) die Bluteutziehungen so allgemein
vorgenommen wurden, kann vielleicht dahin beantwortet werden, daß die
Gottheit der Fruchtbarkeit, oder vielmehr die apotheosierte Fruchtbarkeit
selbst, heiße sie nun Maisgöttin, oder Uitzilipochtli, oder wie immer sie wolle,
durch das Blut, das Zeichen des Lebens, aller ihrer Gläubigen bewogen werden
sollte. Land und Volk zu segnen, d. h. ihnen Wachstum, Gedeihen und Frucht-
barkeit zu verleihen. —
Die Zeremonien des Festes des Erwachens, der heutigen Cora werden
nach Preuß einzeln auch von den Kindern der heutigen Mexicano und
Huichol, Nachbarn der Cora, größtenteils im Anschluß an Feste, ausgeführt.
Ausgenommen sei bei den Mexicano das Haarschneiden, und bei den Huichol
die Schlafheilung.
Bei denCoras nehmen die Kinder auch an den anderen religiösen Festen
aktiven Anteil. Sowohl an gewissen Kirchenfesten der getauften, innerlich
jedoch noch heidnischen, als auch an gewissen Festen der noch ungetauften
Coras tanzt ein 3 — 10 jähriges Mädchen als Erdmutter mit Tänzern, die mit
einer vierzinkigen Palma, einer Rassel und einer hohen Federkrone ausgestattet
sind. Sie stellen Wolkengottheiten dar, welche Regen bringen sollen, weshalb
sie besonders an den Festen im Juni, vor der Regen- und Saatzeit, tanzen.
Am Saatfest selbst blasen die „Alten und Denker-' dem kleinen Mädchen,
welchem die Rolle der Erd- und Mondgöttin übertragen ist, den Tabaksqualm
ihrer Pfeifen ins Gesicht, damit reichliche Feuchtigkeit aus der Nase und dem
Mund des Kindes fließe, die sich in Nebel und Wolken verwandeln soll*)
{Preuß). — Es handelt sich also auch hier wieder um einen Fruchtbar-
keitskult.
Um die österliche Zeit herum tritt bei den Cora Christus, den sie mit
dem Morgenstern, also dem Sohn der Sonne, identifizieren, in den Vordergrund
ihrer Festspiele. Wie gewöhnlich, so stellen sie den Morgenstern auch bei
i) Vgl. Bd. II, S. 215.
') Preuß, 510. — Vgl. die Blutentziehung der Insel-Karaiben als Vorbereitung zum
Priestertum w. u.
3) Als Opfer im weiteren Sinn verstehe ich jede religiöse Handlung, welche mit
Selbstüberwindung verbunden ist. — In dem historischen Roman „Hadassa" von E. L. Collins
(D. Übers, von J. Nemo) zieht die nubische Sklavin Tais, welche als kleines Kind nach
Ägypten gebracht worden war, dort die Gottheiten dieses Landes. Sarapis und Seth. anbetet
und deren Namen und Symbole auf ihren Körper eingebrannt trägt, einen scharfen Pfriem
aus einem Säckeken, das sie bei sich trägt, stößt ihn in ihre linke Brust, benetzt mit dem
hervorspritzenden Blut zwei Finger ihrer rechten Hand und zeichnet sich damit das ge-
heimnisvolle Symbol ihres Gottes auf die Stirne (Feuilleton der „Schles. Volksztg."
27. März 1912). — Es wäre interessant zu wissen, ob Collins sich hier auf geschichtliche
Tatsachen stützte, und wenn ja. welche Quelle er benutzte. Nicht nur die Entziehung des
Blutes, sondern auch dessen teilweise Verwendung, erinnert an Mexiko.
*) Über den Mythus der Cora von der Verwandlung kleiuer Kinder in Wolken und
Wolkengötter siehe Bd. I. 597.
584
Kapitel XLVIII. Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes.
dieser Gelegenheit als kleinen Knaben dar. Christus muß als solcher seiner
Mutter entlaufen sein, wird von Soldaten, auch „judios" (Juden) genannt, durch
das ganze Dorf verfolgt und an jedem Dorfkreuz gekreuzigt, während ihn
seine Mutter als „Mondgöttin" sucht. —
Endlich sei hier noch zweier religiöser Feste der Huichol, wiederum
nach Preufi, gedacht, an welchen die Kinder teilnahmen. Es sind dies das
„Fest der jungen Kürbisse" und das „Fest der Felderreinigung-'. Am ersteren
stellen die festlich gekleideten Kinder junge Kürbisse dar, die eine Reise in
den Himmel unternehmen, um sich den Göttern vorzustellen (Fig. 433).
Die religiöse Erziehung der Jugend bei den alten Kulturvölkern Amerikas
wurde schon in einem früheren Kapitel gestreift. Hier möge weiteres folgen:
Viele Mädchen wurden im alten Mexiko von ihren Eltern schon von Geburt
an für das Priestertuin bestimmt. Hatte das Kind den 40. Tag seines Lebens
erreicht, dann trug der Vater es
in den Tempel und stellte es. mit
einem Weihrauchfaiä und einem
Besen in den Händchen, einem
Priester niederer Ordnung (Teo
pixpui) vor. Dieser nahm die Sym-
bole des späteren Berufes desKindes
an und weihte sie. Das wieder-
holte sich jeden Monat. Sobald die
Kleine gehen konnte, brachte sie
selbst dem Priester Weihrauehfaß,
Besen und einige Geschenke. Mit
fünf Jahren kam sie in das mit
dem Tempel verbundene Seminar
(Kloster).
Nach Bcoicroft schieden sich
die mexikanischen Kloster Jung-
frauen in zwei Klassen aus. Die
einen legten das Gelübde lebens-
länglicher Jungfrauschal't ab und
blieben lebenslänglich im Kloster;
die andern nur auf 1—4 Jahre.
Gelübde der letztern Art wurden
gemacht, um von einer Krankheit
zu genesen, oder um einen braven
Mann zu bekommen.
Dapper erwähnte für die Stadt Mexiko zwei übereinanderstehende
Häuser (?) auf einem großen viereckigen Platz, von denen das eine voll Mönche,
das andere voll Nonnen gewesen sei. Die letzteren, von Dapper „Jungfrauen"
genannt, waren jedoch erst 12 — 13 Jahre alt, gehörten demnach nicht zur
ersten der erwähnten zwei Klassen. Man nannte sie „Töchter der Buße".
Sie standen unter einer Oberin (nach Baiicroft unter ernsten Matronen, also
unter mehreren älteren Frauen). Man hieß sie Cihuatlainacasque ( Diakonissinnen?)
oder Cihuaquaquilli (Pflanzenesserinnen). Beim Eintritt in das Kloster wurden
ihnen die Haare abgeschnitten. — Sie reinigten und schmückten den Tempel
und bereiteten aus den eingesammelten Armensteuern (?) die Priester- und
Götterspeisen: Kleine Kuchen in Hand- und Fußform, gedrehte Bretzeln1)
oder Krengeln und eigentümliche Zuspeisen. Zur Ausschmückung des Tempels
Fig
Hui chol- Kinder am Feste der jungen Kürbisse.
Sa. Barbara. Preu/J phot.
Kapitel
') Die Auffassung der Bretzel als Bild der Sonne (nach Ploß) siehe in einem Irin ich
§ 319. Götterkult.
585
stickten sie Tücher {Dapper). — Nachts stand ein Teil dieser Jungfrauen zwei
Stunden vor Mitternacht auf, andere um Mitternacht und wieder andere beim
Morgendämmern, spielten auf Flöten und Muschel-Hörnern, sangen traurige
Weisen, geißelten sich bis aufs Blut, zerstachen und ritzten sich den obersten
Teil der Ohren und bestrichen sich mit diesem Blut das Gesicht '). Ferner
schürten sie das ewige Feuer, legten Weirauch in den Gefäßen nach und
beräucherten die Götterbilder. — Zu diesen Kulthandlungen zogen sie, von
einer Matrone angeführt, mit gesenktem Blick prozessionsweise auf einer
Seite des Tempels dahin, während die Prozession der Priester die andere
Seite abschritt. Beide Eeihen trafen am Altar zusammen. Nach der Hand-
lung kehrten die Jungfrauen in der gleichen Ordnung, wie sie gekommen
waren, in ihren gemeinsamen Schlafraum zurück. - - Das Backen der Opfer-
Fig. 434. Huichol-Familien vom Rancho los Bancos reinigen am Morgen des Festes der Felder-
reinigung, beim Kerzenschein, die KUrbisschalen der Götter. rreu/J phot.
brote fand in der Frühe statt, worauf diese, noch wann, in den Tempel gelegt,,
von den Priestern geopfert und hierauf, zum Teil, von diesen verzehrt wurden.
Bei ihren Arbeiten im Tempel benahmen sich die Jungfrauen möglichst
ehrerbietig. So vermieden sie es z. B. sorgfältig, beim Kehren den Götter-
bildern den Rücken zuzuwenden (Bancroft).
Geschlechtliche Enthaltung war während ihres Aufenthaltes im Kloster
strenge Pflicht. Schon das geringste Vergehen wurde mit einem „abscheulichen"
Tod bestraft, schreibt Dapper. Man glaubte, solche Vergehen dadurch zu
erkenuen, daß eine Ratte durch das Zimmer (?) der betreffenden Mädchen
lief, oder eine Fledermaus durchflog, oder ein (von einer Ratte oder Maus)
zernagtes Tuch dort gefunden wurde; denn man hielt dafür, daß diese Tiere
unrein seien und einen heiligen Ort nur besuchten, wenn er durch Unkeusch-
heit entweiht sei (Dapper),
') Hier haben wir es also offenbar mit einem religiösen Akt der „Töchter der Buße"
zu tun. der häutig, vielleicht jede Nacht, vorkam.
586 Kapitel XLVIII. Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes.
War eine Jungfrau so unglücklich, ihrem Keuschheitsgelübde tatsäch-
lich untreu zu werden, dann verdoppelte sie ihr Fasten und andere Buß-
übungen, in der Hoffnung, dadurch die Götter zu besänftigen, daß sie ihre
Schande nicht aufkommen und ihr Fleisch nicht faulen lassen möchten.
Die Kost war sehr mager. Festtage ausgenommen, bekamen die Jung-
frauen nie Fleisch, und nie gab es mehr als zwei Mahlzeiten: Eine mittags,
die andere abends.
War die gelobte Frist abgelaufen, bzw. die Mädchen heiratsfähig geworden,
dann suchten die Eltern für ihre Töchter passende Ehemänner, bereiteten zur Hoch-
zeit vor und begaben sich mit Wachteln, Kopalharz, Blumen, mitParfümerien ge-
füllten Bohren und einem Weihrauchgefäß zum Kloster. Hier wusch sich ihre
Tochter das blutbestrichene Gesicht mit Wasser in einem bereitstehenden großen
Becken ab, hüllte sich in ein neues Gewand und begleitete ihre Eltern in den
Tempel. Da lagen bereits die mitgebrachten Geschenke, sowie verschiedene
Fleischgerichte und Backwerk auf dem Altar; die Eltern hielten an den Ober-
priester (Tequaquilli) eine Ansprache und nahmen hierauf ihre Tochter heim
(Bancroft).
In dem Haus über den Jungfrauen lebten auf je ein Jahr 18 — 20 Jüng-
linge mit „Mönchsplatten" und einem geflochtenen Zopf über den Bücken
herab in strenger Armut und Keuschheit. Ihrer Obhut waren die Priester-
kleider, die Bauchfässer und der Topf für das ewige Feuer vor der „Götzen-
höhe" des Huitzilipochtli, anvertraut. Ihnen unterstanden unmündige Knaben1),
welche im Tempel Blumen und Kräuter streuten, den Priestern Handwasser
reichten und ihnen die Instrumente schärften, mit welchen die Priester sich
um Mitternacht Blut aus den Beinen zapften. Die Knaben (und ? Jünglinge)
zogen sich Blut aus den Lippen, mit dem sie sich, wie die Jungfrauen, die
beiden Gesichtsseiten von den Schläfen bis unter die Ohren bestrichen"2),
bewachten abwechselnd das ewige Feuer, und gingen zu je vier oder sechs
zum Sammeln der Armensteuer aus. Vor Frauen mußten sie die Augen nieder-
schlagen. — Ihre Kleider seien netzartig gewesen.
Diese Knaben hatten ferner die Pflicht, Spinnen, Baupen, Salamander,
Nattern, Skorpionen und Kröten zu sammeln. Diese wurden dann im Topf
■des ewigen Feuers vor der Götzenhöhe des Uitzilipochtli gebraten und in
Mörsern mit Tabak, lebendigen Skorpionen, Raupen, „schwarzhaarigen Würmern",
schwarzer Farbe und Ololuchqui-Samen zerstoßen, hierauf geknetet und zur
Heiligung vor Uitzilipochtli gesetzt. Diese Salbe teilten dann die Priester
den Kranken aus, damit diese genasen; auch beschmierten sich die Priester
damit selbst zur Steigerung des Mutes {Dajyper).
Aber nicht nur in den Klöstern, bzw. Erziehungsanstalten, sondern auch
daheim wurde die Jugend zum religiösen Leben angeleitet. Oft führten die
Kitern ihre Kinder in die Tempel und ließen sie dem Gottesdienste
beiwohnen. —
Bemerkenswert für den raschen Umschwung und gleichzeitigen religiösen
Fanatismus der altmexikanischen Jugend dünkt mir die Mitteilung Torquemadas,
daß schon im ersten Jahre der Einführung des Christentums Söhne vornehmer
Mexikaner in Tlaxcalla einen Priester zu Tode steinigten, weil dieser, als
(inti Ometochtli (Gott des Weines), das Volk öffentlich aufgefordert hatte.
am alten Glauben festzuhalten. —
1 1 Ks sind hier wohl jene gemeint, deren sexueller Mißbrauch in § 309 erwähnt worden ist.
-') Die blutigen Gesichter scheinen die jungen Leute beider Geschlechter unter Tugs
herumgetragen, erst immer abends in der Dunkelheit in einem heiligen Wasser abgewüs. ien
zu haben.
§ 320. Islam. 587
Die Mayas widmeten die erste Handarbeit ihrer Kinder den Göttern.
Mit sieben Jahren wurden die Kleinen von ihrem Vater zum Priester geführt,
der ihnen ihre Zukunft voraussagte und ihnen zeigte, wie man dem Körper
Blut entzog1). Auch in andere religiöse Übungen führte der Priester sie ein. -
Priestersöhne und Prinzen, bei denen man eine Neigung zum Priestertum
wahrzunehmen meinte, wurden schon als Kinder auf dieses vorbereitet (Le
Plongeon, nach Lancia).
In den „Häusern der Auserlesenen" in Peru mußten zahlreiche Mädchen
schon vor ihrem 8. Lebensjahr ihr klösterliches Leben beginnen. Niemand
durfte den Aufsehern dieser Häuser eine Tochter versagen, wenn sie sie ver-
langten. Wie in den mexikanischen Klöstern, so schieden sich auch in den
peruanischen die Mädchen, bzw. Jungfrauen, in zwei Klassen aus, hier aber,
wie Dapper schreibt, in „Hausfrauen der Sonne" und in „Dienstmägde der
Sonne". Einige mußten mit 14 Jahren lebenslängliche Jungfrauschaft geloben.
Auf dem Bruch dieses Gelöbnisses stand die gleiche Strafe wie im alten Rom,
d. h. die Gefallene wurde lebendig begraben. Von den übrigen Klosterjung-
frauen kamen viele als Dienerinnen an den Hof der Inkas, und viele wurden
den Höflingen zur Ehe gegeben. — Die „Hausfrauen der Sonne" trugen hell-
glänzende gestickte Röcke. Ihnen kam die Ausschmückung der Tempel zu,
während die ..Dienstmägde der Sonne" die Mauern und den Fußboden des
Tempels rein zu halten hatten.
Blutentziehungen waren auch bei den Inselkaraiben üblich. Ehe diese
ihre Söhne, welche sie für das Priestertum bestimmt hatten, dem Zauberer
übergaben, zapften sie ihnen Blut aus allen Gliedern. Solche Knaben mußten
sich von frühester Jugend an gewisser Speisen enthalten (Dapper). —
§ 3>0. Islam.
Der Muselmann hat nach der Vorschrift des Propheten dafür zu sorgen,
daß seine Kinder, wenn sie sieben Jahre alt geworden sind, beten; zehnjährige
sollen, wenn sie das Beten unterlassen, gestraft werden. Nach Lame, der an diese
Vorschrift erinnert, gibt es jedoch in Ägypten wenig Araber, welche vor
Eintritt ins Mannesalter beten. — Weniger noch kümmert man sich um das
religiöse Leben des weiblichen Geschlechtes. Nur einige reiche Männer lassen
täglich eine Lehrerin (Shey'khah) in den Harem kommen, damit diese ihre
Töchter und Sklavenmädchen beten lehre und einige Kapitel aus dem Koran
hersagen lasse. Zum Selbstlesen des Koran kommt es bei den Mädchen sehr
selten. Von solchen Ausnahmen abgesehen, waren zu Lanes Zeit die musel-
manischen Araberinnen aller Stände Ägyptens in einer so hochgradigen reli-
giösen Unwissenheit, daß sie nicht einmal beten konnten. Die Söhne lernten
die rituellen Waschungen und andere religiöse Übungen gewöhnlich von ihrem
Vater.
Bessere Erfahrungen will in dieser Hinsicht Renzo Manzoni in El
Temen gemacht haben, wo das Araberkind schon im Harem zur Ehrfurcht
vor Gott erzogen werde.
Was dem muselmanischen Religionsunterricht an Tiefe abgeht, sucht er
duich Fanatismus zu ergänzen. Der Haß gegen Andersgläubige tritt ja be-
kanntlich bei den Muselmanen besonders stark hervor. Er wurde früher, wohl
noch mehr als in der Gegenwart, besonders durch gewisse Feste geschürt.
Ein solches Fest war, bzw. ist, bei der Sekte der Schiiten die Ge-
dächtnisfeier auf die Ermordung Alis mit Familie. In Astrachan durchzogen
') Demnach war Blutentziehung auch bei den Mayas üblich und eine religiöse Hand-
lung. Der Beleg für diese Mitteilung ist mir jedoch abhanden gekommen.
588 Kapitel XL VIII. Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes.
früher1) an diesem Tag die Priester unter Anrufung Alis, schreiend, und mit
gezückten Dolchen, die Straßen. Alis jüngste Enkelin wurde bei diesen Um-
zügen durch einen als Mädchen gekleideten Knaben dargestellt. In Weiß
gehüllt und mit Blut besprengt, saß das Kind auf einem mit Blut besprengten
weißen Boß. — Bei der Schlußszene dieses Festes, der Selbstgeißelung in der
Moschee, kauert ein weißgekleideter Knabe unter den an Stangen aufgesteckten
blutigen Händen Alis und liest mit herzzerreißender Stimme die Beschreibung
der Marter Alis vor. um den Fanatismus der älteren Stammesbrüder anzufeuern.
während diese sitzend, oder, mit der linken Hand am Gürtel, sich langsam im
Kreise drehend, unter Anrufung Alis sich mit der Rechten auf die entblößte
linke Brust schlagen, daß es oft weit über die Moschee hinaus, in den Straßen
hörbar ist {Alfred Christoph).
Ein Gemisch von muselmanischen und heidnischen Bräuchen haben wir
wohl in dem großen, alljährlich wiederkehrenden Opferfest der Araber und
Berber in Marokko, an welchem die Kinder regen Anteil nehmen, wie aus
Edward Westermareks Schilderung zu entnehmen ist:
Um sich für das Fest zu reinigen, lassen sich die Knaben und Männer
das Kopfhaar schneiden. Knaben und Mädchen werden ferner mit Henna.
einem sowohl kosmetischen als auch Übel abwendenden Mittel, bestrichen. Am
Tage vor dem Fest gehen die Kinder verschiedener Stämme in ihren eigenen
oder benachbarten Dörfern von Haus zu Haus, von Zelt zu Zelt, um singend
Almosen zu sammeln. Almosengehen gilt*~ja neben mehrfachen Reinigungs-
zeremonien gleichfalls als Vorbereitung auf das Opferfest. Die Bitte um
Gaben lautet bei diesen Umzügen im Stamm der Uläd Bu-Äziz: ..' Arfa. Arfa,
gütige Frau! 0 Herrin des Zeltes, gib mir ein Ei, ein Ei, daß ich mein
Schreibtäfelchen bemalen kann; mein Schreibtäfelchen ist beim Schreiber; der
Schreiber und seine Freunde werden sich im Paradies treffen. O'Aisa und
Hlima, die ihr die Schuld wegnehmet, welche den Schreibern geschickt worden
war- (?)-). — An manchen Orten findet diese Spendensammlung der Kinder
bereits am vorletzten Tag vor dem Opferfeste, in Fez gar schon vom ersten
Tag des Monates bis zum Vorabend des Festes, also neun Tage lang statt.
Hier sind es kleine Mädchen.^ welche gruppenweis die Gaben sammeln und
singen: „Gesegnete, gütige 'Ärifa, gesegnete, gütige 'Ärifa! Hallo Hännnu,
hallo Hammu, sage deiner Schwester oder deiner Mutter, sie soll aufstehen
und mir etwas geben; sonst geh ich fort. Ich gebe dir am Fest ein Söhncuen ')
mit einem Dolch und einer spitzen roten Kappe und einem neuen Steigbügel."
1 >ie Mädchen sind auf diesem Gang hübsch gekleidet und haben rot
geschminkte Wangen.
Nach Abschluß der Sammlung finden die Gaben an verschiedenen Orten
verschiedene Verwendung. An manchen Orten werden sie von den Kindern
selbst gemeinsam verzehrt. Die Ait Säddcn sind der Ansicht, jeder Erwachsene,
welcher an diesem Kinderessen teilnehme, erwerbe sich ein Verdienst4!. —
An anderen Orten wiederum verteilen die Kinder die Gaben unter sich, WO-
i) Jetzt sind solche Umzüge von der russischen Regierung verboten.
"-) .,' Arfa, 'Arfa, propitious ladv! 0 mistross of thc tent, give nie an egg, an egg
I mav paint ray writing-tablet; ray writing-tablet is with the scribe, the scribe and his t'riends
will find (ach other in Paradise. 'O Aisa and Hlima. who take away the guilt which was
sent to the scribes." {Edward Westermarck in „The Folk-Lore, XXII. 135.)
■) Ans diesem Versprechen sowohl, als aus der Eiersammlung und der Westemtarckachm
Schilderung gewisser; auf das Opferfesl Folgenden Maskenbräuche, sowie aus der Tatsache, daß
die Opfer für die Eheweiber und Mütter gebracht werden, ist vielleicht der Schluß gestattet,
daß es sich bei diesem Opferfest wiederum hauptsächlich um ein Fruchtbarkeitsfest handelt.
' Westermarck bemerkt dazu, daß die Kinder nach Maurischer Auffassung halbe
Heilige seien, und daß deshalb Segen (barakal auf den ihnen gereichten Gaben beruhe. —
Vielleicht haben wir in diesem geraeinsamen lassen den Kest eines Opfermahls (vgl. Kap. WAl
und XU II,.
§ 320. Islam. 589
rauf jedes seinen Anteil mit nach Hause nimmt, um ihn seinen Eltern zu
geben, oder für sich selbst zu benutzen. — In DukkäJa und Garbiya legt
man von dem von den Kindern gesammelten Korn oder Mehl und Salz etwas
in den Mund des Opfertieres, bevor dieses geschlachtet wird.
Auch an der Opfermahlzeit der Erwachsenen nehmen die Kinder teil.
Dabei sind gewisse Vorsichtsmaßregeln zu beobachten: Bei den Ait Wäryägäl
dürfen die Kinder nichts vom Rachen essen; auch sollen zwei Knaben sich nicht
in ein Auge des Opfertieres teilen, damit sie nicht Streit bekommen; in Andjra
wird der Schweif des Opfertieres1) getrocknet und am 10. Tag von Moharram
den Schulknaben gegeben, welche ihn neben andern Eßwaren in der Moschee
verzehren. Diese Gabe bringt dem Geber2) Überfluß an Nahrungsmitteln; Tor-
en thaltung des Schwanzes würde die Schulknaben zu Klagen veranlassen und
die geizige Familie würde mit Not heimgesucht werden. — Bei denAitYüsi
gibt man neugebornen Kindern etwas von dem Fett der Augen des Opfertieres,
um es gegen böse Geister zu schützen. — Ferner nehmen die Kinder Anteil
an der auf das Opfer folgenden Maskerade, bei welcher ein Knabe oder ein
Mann sich in das Fell eines Opfertieres hüllt, und bei welcher obszöne Ge-
spräche und Handlungen eine hervorragende Rolle spielen. —
l) Tadellose Widder gelten bei diesem marokkanischen Upferfest als die geeignetsten
Opfertiere.
!) Jedes Familienhaupt schlachtet zum mindesten ein Opfertier.
Kapitel XL1X.
Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes.
§ 321. Ähnlich den Kapiteln über Mord und Aussetzung des Kindes1)
bringt uns das vorliegende zum Bewußtsein, daß die Menschheit, soweit ihre
Kultur zurück verfolgt werden kann, dem Stärkeren unverhältnismäßige
Konzessionen gegenüber dem Schwächeren gemacht hat, und es ist
gewiß beachtenswert, daß einzelne Zweige unserer eigenen, iudo-europäischen
Völkerfamilie in dieser Hinsicht bis zum Äußersten gegangen sind: ij 322 zeigt
uns im alten arischen Inder, im Kelten und im alten Römer Männer, die von
Rechts wegen nicht nur ihre Kinder töten, aussetzen, verstoßen, verkaufen und
verschenken können, sondern deren Söhne zeitlebens von ihnen abhängen, und
die ebensolange auf den Ervverb ihrer Söhne Anspruch haben; Männer, die
(in Rom) von Rechts wegen in das Eheleben ihrer Töchter so tief einschneiden,
daß diese aller Rechte auf die Frucht ihres eigenen Leibes bar sind.
Die Persönlichkeit des Erzeugers absorbiert hier zeitlebens die Persön-
lichkeit des Erzeugten. Jener war vor diesem, der ihm zudem sein Leben
verdankt, ein doppelter Rechtsgrund in einem Staatssystem, welchem Macht
das Höchste ist.
In einer derberen Form, fast als Faustrecht im eigentlichen Sinn des
Wortes, drückt sich das Recht des Stärkeren bei unsern eigenen Vorfahren,
den alten Germanen, aus: Wenn noch klein und schwach, kann der Sohn von
seinem Vater getötet, verkauft, ausgesetzt, gezüchtigt werden: wenn einmal
stärker als sein Vater, darf er ihn aussetzen und töten (§ 322). Ganz Ähn-
liches finden wir bei Völkern der Neuzeit in Afrika und Amerika (§§ 324 und 329).
Daß die väterliche Gewalt des Vaters die Menschenrechte der Kinder
weiblichen Geschlechtes noch mehr als jene männlichen Geschlechtes
überwucherte, brauchte nach den bisherigen Ausführungen in dem vorliegenden
Werk eigentlich kaum mehr angedeutet zu werden. Es sei hier nur an die alten
Preußen erinnert (§ 322), deren Brauch, nur eine Tochter zu Fortptlanzungs-
zwecken am Leben zu lassen, eine Parallele zu dem schon früher erwähnten
Brauch der vorderindischen Toda ist.
Anerkennenswert ist die spartanische Gerechtigkeit in dein Gesetze,
daß nur jene Kinder zur Unterstützung ihrer Eltern verpflichtel sind, welche
von diesen durch eine zweckdienliche Erziehung zum Kampf ums Dasein be-
fähigt wurden. Aber durch die gesetzmäßige Tötung aller jener Kinder, die
zur Hoftinino; auf materielle Kraft und dem für den Staat aus dieser Kraft
resultierenden Nutzen nicht berechtigten, haben sich die Spartaner, wie über-
haupt die Griechen, auf die gleiche niedere Stufe derMenschenliebe gesetzt,
auf welcher wir in den Kapiteln über Mord und Aussetzung Völker fanden,
die auch in materieller Hinsicht Barbaren genannt werden können. Der hoch-
') Vgl. ferner Kapitel IV. Abschnitt , Anerkennung durch deu Vater-', sowie die K
über Erziehung, Verlobung und Verheiratung.
§ 321. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes. 59 \
gradige ästhetische Sinn der Hellenen ging nicht tief genug, um eine Schön-
heit, auch der Seele, in dem Sinne zu verstehen und anzustreben, welchen
unsere Begriffe von Selbstaufopferung für den hilfsbedürftigen
Schwachen einschließen.
In dieser Hinsicht standen die alt testamentlichen Juden höher als die
Hellenen, während die tiefeinschneidende Gewalt des Juden in die Persönlichkeit
seiner erwachsenen Töchter, selbst in deren religiöses Leben (§ 333), ihn auf
eine Stufe mit dem Hellenen stellt. Andererseits gleicht das Verkaufsrecht
des alttestamentlichen Juden dem des alten Babyloniers (§ 323). Dieser durfte,
wenn in Geldnot, seine Kinder auf vier1), jener auf sechs Jahre verkaufen,
mit dem Unterschied allerdings, daß in Israel und Juda die Gekauften nicht
zu schweren Sklavendiensten herangezogen werden durften, was in Babylonien
der Fall war. Das Extrem der Strafe ungeratener Söhne war aber
hier milder als dort, wenn lebenslängliche Verstümmelung weniger hart ist,
als der Verlust des Lebens durch Steinigung.
Deutlich tritt der Grundsatz von der Bevorzugung des Stärkeren in der
Mosaischen Bestimmung über das Erstgeburtsrecht hervor (§ 323). Als
Erstling der väterlichen Kraft wird der Erstgeborne in Israel bezeichnet; auf
dem gleichen Grundsatz beruht das Erstgeburtsrecht auch der Kamtschadalen
im nordöstlichen Sibirien.
Die Ausdehnung der väterlichen, zum Teil auch mütterlichen^
Gewalt auf die verheirateten Söhne finden wir außerhalb der indo-euro-
päischen Völkerfamilie im alten China und Korea, aber auch auf niedereren.
Kulturstufen, z. B. bei den afrikanischen Soninke und den sibirischen Burjäten,
Diese Autorität kam, bzw. kommt, gelegentlich in scharfer körperlicher
Züchtigung verheirateter Söhne zum Ausdruck (§§ 324, 326 und 328).
Diesen Extremen stehen andere gegenüber, Völker, deren heranwachsende
männliche Jugend sich fast schon im Kindesalter emanzipieren kann und
es auch tut. Derartige Beispiele sind die Bubis auf Fernando Pöo und die
deutsch-ostafrikanischen Wanyamwesi; ihnen stehen in dieser Hinsicht die
Auin-Buschleute und die früheren Kap-Hottentotten (§ 324) nahe.
Das V er kauf sr echt des Indo-Europäers und des Semiten über seine
Kinder hat bei vielen Völkern Parallelen. Das vorliegende Kapitel zeigt es
uns in der Praxis bei Negern, Melanesiern, Japanern, Chinesen, Thai, Annamiten,
Tanguten, Mongolen und Indianern; unter den letztern verstanden die alten
Mexikaner dieses Geschäft so gut, daß manche ihre Sprößlinge gleich auf
mehrere Generationen hinaus verkauften. Aber auch unter uns Christen hat
gerade dieser Mißbrauch des Kindes sich bis in die neueste Zeit herein erhalten.
Einen Ehezwang auf die Kinder, hauptsächlich die Töchter, sehen wir
von den Eltern gleichfalls bei vielen Völkern der verschiedensten Kulturstufen
ausüben. Die Eskimos stehen hier Seite an Seite mit den Chinesen (vgl,
Kap. LVI). Die Erkenntnis, daß der gereiften Persönlichkeit, Mann oder
Weib, in dieser Angelegenheit das Becht auf Selbstentscheidung zukomme,
hat sich selbst unter den Christenvölkern nur langsam durchgerungen.
Eine Verkennung der Persönlichkeit liegt ferner in jenen Gesetzen,
bzw. Bräuchen verschiedener Völker, welche die Schuld der Väter nicht nur
an diesen, sondern auch an deren Kindern und Weibern strafen. Hellas, das
alte Mexiko und Guatemala, das heutige Korea und alle Völker mit dem
System der Blutrache gehören hierher. Die Blutrache ist zugleich eine
Pflicht des Kindes gegen seine Eltern. —
x) Pietätslose Söhne auf Lebensdauer.
592 Kapitel XL1X. Hechtsverhältnisse des legitimen Kindes.
Die Pflicht des Kindes, seine Eltern im Alter zu ernähren, finden
■wir im vorliegenden Kapitel bei verhältnismäßig wenigen Völkern gesetzlich
festgelegt, aber auch bei verhältnismäßig wenigen ausdrücklich verneint.
DasEecht des jungen Kabylen, seine eigene Mutter zu verkaufen,
ist ebenso brutal wie das Recht gewisser Indianerstämme in Oregon und
Washington, ihre Eltern zu ihren Sklaven machen zu dürfen, und das
Recht des Inders, seine verwitwete Mutter aus seinem Hause zu jagen. Ihren
Höhepunkt aber erreicht, wenn vielleicht auch unbewußt, die Brutalität in
der Erhebung der Aussetzung und Ermordung des hilflosen Vaters zu
einem religiösen Akt. wie es bei einzelnen nordamerikanischen Stämmen
der Fall ist (§ 329).
Im allgemeinen bietet uns das Kinderrecht im vorliegenden Kapitel
mehr Negatives als Positives '), was das Kind selbst betrifft, da die väterliche
Gewalt die Persönlichkeit des Kindes gewissermaßen absorbiert. Allerdings
entspricht dieser Gewalt bei manchen Völkern auch die väterliche Verantwort-
lichkeit, wie es z. B. im alten Japan der Fall war. Aber diese Verantwort-
lichkeit bedeutet doch wenig gegenüber dem Recht des Vaters, seine Töchter
zur Prostitution zu verkaufen, oder seine Söhne zu kastrieren (Korea).
Nicht überall kommen jedoch dem Vater so weitgehende Befugnisse über
sein und seines Weibes Kinder zu, wie sie in dieser Einleitung angedeutet
sind. Manche Völker huldigen dem sogenannten Mutterrecht, welches
freilich bei verhältnismäßig vielen Völkern~eher Sippenrecht, weniger, wie
Frazer2) wollte, „avunculi potestas" (Gewalt des Oheims) genannt werden sollte.
Wo dieses Familiensystem in seiner ausgeprägtesten Form herrscht, da hat der
Vater wenig Recht auf seine und seines Weibes Kinder; sie gehören ihm gar
nicht. Die Kapitel L und LI geben hierfür Beispiele, und auch das vorliegende
streift dieses Rechtsverhältnis. — Ferner lernen wir in diesem Kapitel Völker
kennen, welche über die Zugehörigkeit des Kindes überhaupt keine rechtlichen
Bestimmungen zu haben scheinen, da sie den Kindern die Wahl überlassen, ob
diese bei den Ehescheidungen ihrer Eltern zum Vater, oder zur Mutter wollen.
Entsprechend verhält es sich bei Todesfällen. Die Kinder können zu den
Verwandten des Vaters, oder zu denen der Mutter. Beispiele hierfür sind die
Eingebornen des deutsch -ostafrikanischen Kilwa-Bezirkes, gewisse Papua-
Stämme, die Kanada-Indianer, Sioux und Chippeway, während die Nordindianer
und die brasilianischen Botokuden ihren verstoßenen Weibern alle Kinder, die
Araber, Kabylen, Auin- und Namibuschleute keines überlassen. Eine Unter-
suchung, inwieweit solche Bestimmungen und Bräuche mit der Auffassung des
Kindes als Last, oder als Reichtum, bzw. mit den ökonomischen Verhältnissen
der betreffenden Völker zusammenhängen, wäre lohnenswert.
Die Zugehörigkeit des Kindes bei Völkern mit Promiskuität, Gruppen-
ehen und Polyandrie, sowie bei Völkern mit dein sog. Mutterrecht kommt in
den folgenden zwei Kapiteln zur Sprache. —
Bemerkenswert sind die Anläufe zu einer staatlichen Fürsorge für
das Kind, welche das vorliegende Kapitel beispielsweise schon im alten
Babylonien, ferner im mohammedanischen Gesetz, hier speziell für das Sklaven-
kind, nachweist, insofern diesem, wenigstens indirekt, die mütterliche Pflege
bis zum siebenten Lebensjahr zugesichert ist, was freilich nicht überall ein-
gehalten wird, wie aus anderweitigen Mitteilungen hervorgeht. — § 324 macht
uns mit dem im deutsch-ostafrikanischen Kilwa-Bezirk herrschenden Brauch
bekannt, daß die Sklavenbesitzer beim Verkauf ihrer Sklaven Eltern und
Kinder überhaupt nicht trennen. —
') Die Kap, LI und LH bringen, mit dem Erbrecht des Kindes, Positives,
*) Bei H. J. Rose, Folk-Lore XXII (1911), 277f.
§ 322. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Indo-Europäern. 593
§ 322. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Indo-Europäern.
Die älteste Geschichte zeigt uns die väterliche Gewalt in der indo-
germanischen Familie als eine sehr ausgedehnte. Der arische Inder konnte
über seine Kinder unbedingt verfügen, sie verkaufen, verschenken oder ver-
stoßen. Auch nach eingetretener Volljährigkeit mit 16 Jahren blieben die
Söhne von ihrem Vater abhängig so lang er lebte, und ihr Erwerb fiel im
allgemeinen ihm zu {Jolly bei Sehrader). - - Zur Zeit einer Hungersnot, oder
zur hl. Prostitution verkauft der Inder heute noch seine Töchter.
Knaben hingegen dürfen von ihren Müttern nicht einmal gezüchtigt
werden. — Ehe die britische Regierung die Witwenverbrennung abschaffte,
kam dem (erstgeborneu?) Sohn die Pflicht zu, seiner verwitweten Mutter den
Scheiterhaufen anzuzünden (Hoffmann). —
Die heilige Stellung des Erstgebornen wurde in Kap. 3, Abschnitt
„Horoskop" angedeutet. —
Beiden Brahminen in Kumaon, nördliches Vorderindien, gehören
die Kinder der höheren Kasten nicht von Geburt aus der Kaste des Vaters
an, sondern müssen erst durch eine besondere Zeremonie in dieselbe aufgenommen
werden. Diese Zeremonie besteht, wie E. Schröder schreibt, darin, daß man
dem Kinde im Alter von etwa neun Jahren ein Stück Bindfaden, über welches
ein alter Brahmine betet, um den Hals hängt. Der Vater des Kindes macht
bei dieser Gelegenheit jenen Nachbarn, die seiner Kaste angehören, Geschenke.
Vor der Aufnahme in die Kaste des Vaters ist das Kind an keine Vorschriften
derselben gebunden. —
Wie der Inder, so hatte auch der alte Römer als Familienvater Frauen,
Kinder, Knechte und Mägde in seiner Hand. Die manus begründete den
Familienzusammenhang (G. Grupp). Zwar galten die Kinder der sittlichen
Anschauung nach als personae liberae, konnten aber nach Bartseh trotzdem aus-
gesetzt, verkauft oder getötet werden '). Der Verkauf konnte sich wiederholen.
Das XII-Tafelgesetz bestimmte, ein dreimal von seinem Vater verkaufter
Sohn solle von seinem Vater frei sein. Diesem fiel der Erwerb seiner Söhne
zu. Ferner übte er das Ehezwangsrecht über seine Kinder aus. Auf seine
Töchter hatte er, wenn diese eine Ehe ohne manus eingegangen hatten, An-
spruch auch noch als verheiratet, d. h. er konnte eine solche Ehe jeden Augen-
blick trennen und die Tochter zurückverlangen. Eine solche Frau hatte auf
ihre eigenen Kinder gar keine Rechte. In der Zeit vom prätorischen Edikt
bis auf Justinian läßt sich aber nach Bartsch eine stetig fortschreitende Rechts-
entwicklung zugunsten der Frauen und Kinder wahrnehmen, so daß die väter-
liche Gewalt im Justinianischen Recht nur mehr als „gefallene Größe" erscheint.
Das Ehezwangsrecht wird zum Ehekonsens; durch das Institut der Emanzi-
pation wird die Unterwürfigkeit des Kindes aufgehoben; die Erziehung wird
regelmäßig ein Recht des väterlichen Großvaters mit Ausschluß beider Eltern,
obgleich diese tatsächlich die Erziehung stark beeinflussen. — Für Eheschei-
dungen stellte Diocletian die Teilung der Kinder nach Geschlechtern suppletorisch
als Regel auf; Justinian wollte, wenn die Schuld auf seifen des Mannes war,
der Frau alle Kinder zusprechen. —
In der ersten Kaiserzeit kam das Wort Infant icidium auf, d. h. Ermordung
der Kinder durch die Eltern. Wenn eine Mutter ihr Kind tötete, so wurde
dieses wohl für Mord angesehen, aber sie wurde vom Manne als häuslichem
Richter bestraft, bis durch Lex Pompeja de parricidiis eine solche Tat zum
Infanticidium erhoben wurde. Des Vaters selbständiges Walten in der Familie
]) Zur Zeit der Könige scheint sich aber die Tötung auf mißgestaltete, und die Aus-
setzung auf Mädchen und uneheliche Kinder beschränkt zu haben. (Vgl. die Kap. Aussetzung
und Kindermord.)
PI oß -Ren z. Das Kind. 3. Aufl. Band II. 38
594 Kapitel XLIX. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes.
wurde hiermit beschränkt, doch behielt der Vater immerhin das Recht, das
Neugeborne durch die in Kapitel IV erwähnte Aufhebung vom Boden an-
zuerkennen, oder zu verstoßen. — Ausgesetzte, von Privatleuten aufgenommene
Kinder galten als Sklaven.
Wie die Germanen, so unterschieden auch die Romer innerhalb der
Kindheit einzelne Altersperioden. Bei noch unentwickelter Sprachfähigkeit
hieß das Kind „infaus" (qui fari non potest); dann wurde es zum redenden
Kind (infantia major) und hieß bis zum siebenten Jahr ..infantiae proximus
qui fari potest, quamvis actum rei non intelligat"; vom 7. bis zum hinter-
legten 14. war es „pubertati proximus". Ein Mündiger hieß puber. auch
adolescens. —
Für das alte Hellas schließt Sehrader von dem Begriff osaTOtr,; (Herr)
auf eine „Fülle der Macht, über welche der Hausherr einst auch in Hellas
gebot". Später trete, wenigstens in Athen, die familienrechtliche Mündigkeit
der Sohne zwei Jahre nach erfolgter Mannbarkeit ein. Die Tötung ver-
stümmelter und mißgestalteter Neugeborner war in Sparta Gesetz, in Athen
zur Zeit des Aristoteles gestattet; Aussetzung war ein vielgeübter Brauch
und, wie schon früher erwähnt (vgl. Kap. IX und X), uur in Theben ver-
boten. Hier hatten völlig besitzlose Väter dafür das Recht, ihre Kinder den
Behörden zu bringen, welche sie um geringen Preis an irgend jemand als
Sklaven verkauften. Der Käufer mußte sich zum Aufziehen verpflichten und
durfte sich durch die Sklavendienste der Kindes schadlos halten (J. Bureh
hardt). Ausgesetzt wurden namentlich Mädchen, um sie später nicht aus-
statten zu müssen. Doch galt die Aussetzung dann für strafbar, wenn man
angefangen hatte, sie aufzuziehen. - Gesetzlich unterschied man vier Klassen
von Kindern: 1. rechtmäßige, ron der Gattin geborne '); 2. unrechtmäßige, von
einer Beischläferin geborne; 3. Kinder, deren Vater unbekannt war. und
4. Adoptivkinder.
Pflicht des Kindes war es. seine Eltern zu ehren, ihnen dankbar zu sein
und sie im Alter zu unterstützen, letzteres aber nach den Gesetzen Sohns
nur dann, wenn die Eltern dafür gesorgt hatten, daß ihre Kinder etwas
lernten, wodurch sie sich fortbringen konnten. Mißhandlung der Eltern wurde
nach Sohns Gesetzen mit dem Verlust der bürgerlichen Rechte (Atimie) be-
straft (PnuqumUe). In Athen schützte übrigens das Stäatsgesetz auch die
Kinder gegen Übergriffe der väterlichen Gewalt. Andererseits dehnte gerade
Athen zur Zeit der Demokratie die auf den Vater gelegte Strafe der Atimie auch
auf dessen Kinder aus. damit diesen dadurch das Recht zur Hache benommen
würde. Diese Verfügung hatte zur Folge, daß die Beklagten ihre Kinder dem
Gericht zur Rührung vorführten. Burekhardt weist bei Erwähnung dieser
Strafe auf Lvsias or. "XX pro Polystrato (34) hin: „Wenn Einer, ihr Richter,
seine Kinder' vorführt und weint und jammert, so sehen wir, daß ihr mit den
Kindern, wenn sie um seinetwillen der Atimie verfallen sollen, Mitleid habt
und um der Kinder willen das Vergehen des Vaters vergebt, von denen ihr
doch noch nicht wißt, ob >ie beim Heranwachsen gut oder böse ausfallen
w erden."
Um ein richtiges Verhältnis zwischen Eltern and Kindern herzustellen,
wünschte Aristoteles, der Staat solle dafür sorgen, daß die Bürger weder zu
früh, noch zu spät heiraten. Wären die Kinder an Jahren zu sehr hinter den
Vätern zurück, dann genössen die Eltern weder den Dank von ihren Kindern,
no b diese die rechte Unterstützung von den Vätern. Ist aber der Alters*
>, \! ,!,;,„ galten „in den Zeiten vorgeschrittener Zivilisation", wie Floß
\„tl. 11 II I ieb, nur jene Kinder, deren Vater und .Mutter Bürger des gleichen
Staates waren.
§ 322. .Rechtsverhältnisse des legitimen Kitides bei Indo-Europäern. 595
unterschied zu gering, dann fehle den Kindern die schuldige Ehrfurcht, und
auch in der Vermögensverwaltung treten leicht Mißhelligkeiten ein. -
Ein viel schwächeres Recht als die römische patria potestas war, nach
G. Grupp, die germanische Muntschaft. Die Germanen, schreibt er,
dachten nicht so starr und schroff wie die Römer, sondern stellten dem Recht
die Pflicht entgegen, verbanden mit der Vaterschaft mehr den Begriff des
Schutzes, der Vogtei, als den der Gewalt. Der Germane übte die Muntschaft
als Muntwalt auch nur, solange er die genügende Kraft zur Ausführung der
Schutzpflicht besaß, während die römische Manus nicht von Kraft und Alter
abhing. Altersschwache Greise fielen sogar unter die Gewalt des kräftigen
Sohnes, der sie aussetzen und töten konnte. Doch fügt Grupp einen Inhalt
des Begriffes „Muntschaft-' bei, welcher diese der römischen patria potestas
würdig zur Seite stellt, d. h. auch die germanische Muutschaft schloß ursprünglich
ein Züchtigungs-, Verkaufs- und Tötungsrecht ein. Bartsch steht nicht an, zu
behaupten, die „frühere" Annahme, als ob die Hausgewalt der Germanen
eine viel idealere gewesen wäre, als die römische, sei nichtig. Der Mann
konnte Weib und Kinder züchtigen, töten, verkaufen, verstoßen oder, wie in
Norwegen, verschenken. Allerdings seien auch hier die Sitten besser ge-
wesen, als die Gesetze. — Schröder steht im wesentlichen auf dem gleichen
Standpunkte wie Bartsch.
Reste der alten hausherrlichen Gewalt erhielten sich teilweise bis in das
christliche, Mittelalter hinein. Noch in der fränkischen Zeit unterstanden die
Töchter dem Heiratszwang ihres Vaters. In Schweden hatte der Vater noch
im Mittelalter das Recht, seinen Söhnen einen Beruf aufzuzwingen. Andererseits
galt es bei den schwedischen Bauern damals als eine Schande, Söhne zu ..ver-
leihen-' und fremdes Brot essen zu lassen. Deshalb behielten sie ihre er-
wachsenen Söhne meist zu Hause.
Die Umgestaltung des germanischen -Familienrecht.es zum Besseren be-
zeichnete Bartsch ein „unstreitiges Verdienst" der christlichen Kirche, bemerkt
aber hierzu, auch Paulus, Tertullian und Basilius hätten die Zwangsehen der
Töchter gebilligt, und Kinderverkauf habe auch christlichen Moralisten erlaubt
geschienen1). — Nach deutschem Recht waren Kinder bei Hungersnot noch
nach dem 13. Jahrhundert verkäuflich. Übrigens wies Ploß auf die häufigen
Kinderangebote gegen Bezahlung noch im 19. Jahrhundert hin. Der „Anzeiger
zur Gartenlaube" habe z. B. im April 1876 ein hübsches Kind gegen einmalige
Zahlung von 2000 Talern angeboten, und ähnliche Inserate seien um diese
Zeit in gewissen Blättern fast täglich zu lesen gewesen.
Die christliche Kirche, welche der überwuchernden Gewaltherrschaft
des Vaters in seiner Familie entgegentrat, machte selbstverständlich auch dem
Aussetzungs- und Tötungsrecht der Söhne über ihre altersschwachen Väter
eiu Ende. Sie belegte aber auch jede andere pietätlose Behandlung der Eltern
durch ihre Kinder mit Kirchenstrafen. Die Visitationsakten der Diözese
Bamberg verlangen im Jahre 1708, „der Pfarrer von Lichtenfels soll die
seit sechs Jahren unterbliebene, sonst aber dort gebräuchliche Pfarrsynode
wieder aufnehmen und fleißig auf Kinder sehen, die ihre Eltern nicht in Ehren
halten, und solle sie zur gebührenden Strafe ziehen. In Arnstein sollten der
Pfarrsynode getreulich angezeigt werden „diejenigen ehr- und gottvergessenen
Kinder, Söhne und Töchter, die ihren Eltern abscheulich übers Maul fahren,
schlecht und ärgerlich von denselben reden, ihren Eltern den Tod wünschen
oder wohl gar, daß Gott, vor sei, ihre Eltern thäten stoßen, raufen und
schlagen" (lÄngg).
') Bartsch weist hier auf Laymann 1, lib. 111. Iract. 4, pors 3, e. 8, p. 2 hin.
38*
596 Kapitel XLIX. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes.
Auch bei den Germanen beeinflußte die Stellung der Mutter zum
Vater das Kinderrecht. Auf das Recht der als illegitim geltenden Kinder
der Kebsen kommt Kapitel LV zu sprechen. Die Kinder polygamer Ehen,
welche besonders bei den Nordgermanen und deren Fürsten, sowie bei den
fränkischen Merowingern nicht ungewöhnlich waren, gelten als vollberechtigt,
weil man diese Ehen als rechte Ehen ansah.
Ein für das Fortleben bestimmtes Kind schritt in bestimmten Zeit-
abschnitten zu höheren Rechten und Pflichten empor. Tom dritten bis zum
neunten Jahr erhöhte sich nach westgotischem Rechte alle drei Jahre das
für dasselbe zu zahlende Wergeid um 10 Solidi; vom neunten Jahre an mit
jedem Jahre um ebensoviel höher. Das Delbrücker Landrecht macht gewisse
Rechtsvorteile für das Kind davon abhängig, ob es eine Lampe auszublasen
vermag. - - Vom siebenten Jahr an werden die Knaben den Frauen genommen,
von den Männern erzogen und zum Lernen angehalten. Bis zum achten Jahre
hat der Vater alle Handlungen des Kindes zu verantworten; vom achten Jahre
an nimmt und büßt der Knabe halbes Recht. Kinder unter sieben Jahren
läßt die Volkssage auf folgende Art prüfen: Es wird ihnen ein Apfel und ein
Geldstück vorgehalten; greifen sie nach dem Apfel, so kann ihnen ihre Tal
nicht vorgeworfen werden (Grimm).
Die deutschen Stämme hatten verschiedene Zeiten für die Mündigkeit;
mit zehn Jahren wurde bei den Angelsachsen das Kind mündig; ebenso bei
den Westgoten; mit zwölf Jahren bei 4en Longobarden, mit dreizehn
Jahren nach schwäbischem Landrecht, mit fünfzehn Jahren in Burgund.
Doch war das nur die erste Stufe. Der Knabe gelangte hiermit „zu seinen
Jahren" oder „zu seinen Tagen". Die volle Majorennität trat erst ca. sechs
Jahre später ein. Im schwäbischen Landrecht heißt es:
„Wann ein Mann komt zu aehtzehen jaren, so hat er seine volle Tage."
Dagegen in Lamhrechts Alexander:
„Nun bin ich funfzehen jar alt
Unde bin körnen zo minen tagen,
Das ich wol wafen mag tragen."
Wieder bei andern Stämmen wurde der Jüngling mit 16, bzw. 21, Jahren
majorenn (Grimm).
Die Ablegung der Kindertracht bestand bei den Germanen im Scheren
der bis dahin freigewachsenen Haare1). —
Die rechtliche Stellung der Kinder in der altgermanischen Familie fand
nach Gützinger ihren Ausdruck merkwürdigerweise sogar in der Eeihenfolge,
in welcher eine Familie ausging. Zuerst kamen die Mädchen, dann die Mutter;
hinter ihr der Vater. Die Söhne, das stehende Heer des Hauses, bildeten
den Schluß. Als ihr Waffenmeister und Feldherr schritt der Vater ihnen voran. —
Bei den Lettoslawen finden wir eine ähnliche Wucherung der väter-
lichen Gewalt wie bei den Juden, Römern, Griechen und Germanen. Im alten
Preußen hatte der Vater unumschränkte Gewalt über seine Kinder, die er
töten, aussetzen oder verstoßen konnte. Meistens traf dieses Schicksal auch hier
die Mädchen. Nach Siegfried Waldheim schrieb Papst Honorius III. in einer
Bulle vom .lahre 1218, er habe von der entsetzlichen Sitte der Preußen gehört,
immer nur eine Tochter zur Fortpflanzung am Leben zu lassen.
'i l!"Mr alter Rechtsbräuche finden sich vielleicht in jenen Sitten, welche noch immer
hier und da, ■/.. B. in der bayerischen Oberpfalz, von den Gevattern, bei der Beschaffung
Kleidung für das heranwachsende Patenkind, beobachtet werden. Das kleine und das
große „Dodegewand" werden zu bestimmten Zeiten und in gewissen Altersperioden übergeben.
Den Zeitpunkt, wo der Knabe aus der mütterlichen Pflege in die höhere Stufe der väterlichen
Erziehung eintritt, bezeichnet die Vertauschung des bisher getragenen Kittels mit den I! igen
i vgl, Patengeschenke).
§ 323. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Semiten und Hamiten 597
Das serbische Recht war nach G. Milovanovitseh weniger rigoros. Es
habe nicht, wie das römische, germanische und russische, in den familien-
rechtlichen Beziehungen etwas gesehen, was durch Zwang entstanden und
durch Gewalt aufrecht erhalten werden sollte. Allein Milovanovitseh bemerkt
auch, daß die Serben bis zur Annahme des Christentums gar kein geschriebenes
Recht hatten, und daß die serbische Rechtswissenschaft bis auf den heutigen
Tag noch sehr lückenhaft sei. Sicheres über das älteste Recht dürfte deshalb
kaum festzustellen sein. Soweit Milovanovitschs Quellen zurückreichen, darf
der Serbe seine Kinder weder als Sklaven behandeln, noch grundlos verstoßen,
verkaufen oder töten. Er hat das Recht der Züchtigung und Erziehung, die
Pflicht des Unterhaltes, der Vertretung und des Schutzes. Der Serbe hat
ferner das Recht, seinen unmündigen Sohn (infra aetatem legitimam) nach
eigenem Gutdünken zu verheiraten und seine unreife Tochter (filiam impuberem)
ins Kloster zu geben, ohne sie um ihre Einwilligung zu befragen. Mündigen
Söhnen kann er die Ehe verbieten, solange er noch unverheiratete Töchter
hat, und wie im römischen Recht die. Vatergewalt bis zu dessen Tode dauert,
so auch im serbischen. Nach dem Ableben des Vaters werden die verheirateten
und „geschäftsfähigen" Söhne gewaltfrei, die minderjährigen Söhne und un-
verheirateten Töchter bleiben in der Gewalt der Mutter.
Klosterzwang seinen Töchtern gegenüber und Heiratszwang über seine
Kiuder beider Geschlechter hatte, nach Milovanovitseh, auch der Russe, der
sie zudem in die Sklaverei verkaufen durfte. Erst im Jahre 1500 wurde ihm
dieses letztere Recht benommen (nach Sergjewitseh).
Von den gallischen Kelten schrieb Caesar: Viri in uxores sicuti in
liberos vitae necisque habent potestatem. — Nach D'Arbois standen hier, sogut
wie im alten Rom. die Kinder unter der Macht des Vaters, Groß-, Ur- oder
Ururgroßvaters, solange einer von diesen lebte, wenn er nicht durch Alter oder
Krankheit unfähig war. In Irland überdauerte diese Gewalt das christliche
Mittelalter, während sie bei den Galliern des Mittelalters stark beschränkt,
d. h. der Sohn bereits vom 14. Lebensjahr an für mündig erklärt wurde.
Kinderverkauf auf den Märkten erwähnte Torquemada von den zur
westlichen Abteilung der indoeuropäischen Völkerfamilie gehörigen Thrakiern.
Wie im alten Athen das Kind mit seinem Vater der Strafe der Atemie
verfiel, so fällt es im heutigen Hoch-Albanien als ein Opfer der Blutschuld,
welche seine Familie oder weitere Verwandtschaft auf sich geladen hat. Im
allgemeinen, schreibt E. Cozzi, gilt es ja für eine Niedertiächtigkeit, ein Kind
zu töten, aber trotzdem kommt es nicht selten vor. Fälle dieser Art erlebte
er selbst, Die Kinder werden deshalb von ihren Eltern ermahnt, niemals ihren
Namen zu verraten, wenn sie von irgend jemanden darum befragt werden,
ohne daß ein Angehöriges bei ihnen ist, — ■
§ 323. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Semiten und Hamiten.
Der Bab.ylonier hatte, nach Hammurabi's Gesetzbuch, das Recht, seine
Kinder samt deren Mutter für Geld zu verkaufen oder zur Zwangsarbeit hin-
zugeben, um einer Schuldforderung nachkommen zu können; doch mußte der
Käufer oder Fronherr Mutter und Kinder im vierten Jahr wieder freigeben. —
Bei unverschuldeter Verstoßung der Gattin oder Nebenfrau gingen die Kinder
mit ihrer Mutter; dem Vater blieb aber die Unterhaltungspflicht, bis die Kinder
aufgezogen waren. Der Vater hatte das Recht, seinen Söhnen Frauen und
seinen Töchtern Männer zu wählen. Die Verstoßung der Söhne durfte nicht
willkürlich geschehen. Vielmehr mußte ein Vater, der so etwas im Sinne
hatte, seine Absicht dem Richter mitteilen, und dieser die Gründe prüfen.
Berechtigte die Schuld des Sohnes nicht zur Verstoßung, dann erlaubte es
598 Kapitel XLIX. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes.
auch das Gesetz nicht. Selbst wenn die Schuld eine genügend schwere war,
verlangte das Gesetz für das erste Mal Verzeihung und gestattete erst bei
einer Wiederholung die Yerstoßung.
Einem Sohn, der seinen Vater schlug, wurden die Hände abgehauen. —
Die Kinder einer freien Mutter und eines Sklaven sind frei. — Eine
Witwe, Mutter unerwachsener Kinder, darf nicht ohne Wissen des Richters
heiraten. Der Richter prüft vielmehr die Hinterlassenschaft des Verstorbenen,
übergibt ihr und ihrem zweiten Manne das Haus des ersten zur Verwaltung
und läßt sich hierüber eine Urkunde ausstellen. Beide müssen dieses Haus
in Ordnung erhalten, die Kinder erziehen und dürfen das Hausgerät nicht
verkaufen.
Nach den sogenannten sumerischen Familiengesetzen, welche Windeier
als Anhang zu den Gesetzen Hamnmrabi's gibt, und welche „zweifellos" einer
noch älteren Kulturstufe als diese angehören, kann der Vater seinen Sohn
zum Sklaven machen, als solchen markieren und für Geld verkaufen, wenn
dieser zu ihm sagt: „Du bist nicht mein Vater.4' Und sagt ein Sohn zu seiner
Mutter: „Du bist nicht meine Mutter", dann soll man ihm seine Marke schneiden.
ihn in der Stadt so herumführen und aus dem Hause vertreiben. — Wenn
ein Vater zu seiuem Sohne sagt: „Du bist nicht mein Sohn", so muß er Haus
und Hof verlassen. Sagt eine Mutter zu ihrem Sohne so, dann hat dieser
Haus und Hausgerät, d. h. den mütterlichen^Wirkungskreis, zu verlassen.
Der alttestamentliche Hebräer hatte kein Recht, seine Kinder aus-
zusetzen oder zu töten, wohl aber zu verkaufen. Doch war auch dieses Recht
beschränkt, d. h. er durfte sie nur an Glaubensgenossen, nicht an fremde Völker
verkaufen. Auch mußten die Gekauften beider Geschlechter nach sechs Jahren
wieder freigegeben werden, wenn sie nicht selbst zu bleiben vorzogen. 1 »ie
Gekauften weiblichen Geschlechtes sollten entweder mit dem Käufer, oder
mit dessen Sohn verheiratet werden. Geschah weder das eine, noch das andere,
so sollte der Käufer der Gekauften „Unterhalt, ihre Bedeckung und ihre Bei-
wohnung nicht verweigern. Und wenn er diese drei Dinge ihr nicht tut, so
soll sie frei ausgehen ohne Geld." Die gekaufte Tochter Israels genoß also
ungefähr das Recht einer Konkubine, die nicht mehr verkauft werden darf1).
ähnlich der Konkubine im Islam.
Der Hebräer konnte ferner die von seiner Tochter ohne sein Wissen
gemachten Gelübde auflösen.
Das Ansehen der Eltern den Kindern gegenüber war unverletzlich. Un-
verbesserliche Widersetzlichkeit galt als todeswürdiges Verbrechen. ..Wenn
jemand einen widerspenstigen und ungehorsamen Sohn hat. der nicht hört auf
die Stimme seines Vaters, noch auf die Stimme seiner Mutter; und haben sie
ihn gezüchtigt; und er dennoch ihnen nicht gehorcht; so sollen ihn sein Vater
und seine .Mutter greifen und ihn führen zu den Ältesten seiner Stadt und
zu dem Thore seines Ortes . . . Dann sollen alle Leute seiner Stadt ihn
steinigen, daß er sterbe."
In Schuldsachen der Kitern hatte der Gläubiger ein Recht auf die Kinder,
in drin alle sieben Jahre wiederkehrenden Jubeljahr mußten Eltern und
Kinder wieder freigegeben werden. Auch war es gesetzwidrig, die Schuldner
mit ihren Kindern sklavisch zu behandeln. Moses befahl: „Und wenn dein
1 '.linier Indien dir verarmt und sieh dir verkauft; so laß ihn nicht srhweren
Sklavendienst tun: wie ein Taglöhner, wie ein Beisaß sei er bei dir." — Der
Erstgeborne nimmt bei Moses eine hervorragende Stellung unter seinen öe-
') Man ersieht hieraus die verhältnismäßig tiefe Stufe, auf welcher die Keuschheit, b«w.
Ehe, sogar des auserwählten Volkes stand.
§ 32a. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Semiten und Hamiten. 599
schwistern ein. Ihm kommt das Doppelte von dem zu, was sein Bruder
erhält, weil er der Erstling der väterlichen Kraft ist. —
Vor Mohammed gehörte in Arabien der Sohn dem Manne der Mutter,
ohne Rücksicht auf physische Vaterschaft. Heiratete also eine Schwangere,
so gehörte das Kind nicht dem Manne, von dem sie es empfangen hatte,
sondern dem. der sie unterdessen geehelicht hatte. Das Gesetz Mohammeds
aber verbietet die Wiederverheiratung einer Schwangeren vor ihrer Entbindung
und hält an dem Grundsatze fest: Das Kind gehört zum Bett, Ferner wurden
im vormohammedanischen Arabien kleine Kinder, welche ein Weib ihrem
neuen Manne mitbrachte, oft dem stamme des letzteren einverleibt. Das war
die Regel, wenn diese Kinder nicht einer vorhergehenden ba äl-Ehe, d.h. einer
Ehe entsprungen waren, welche das ^"eib dem Mann (ba äl-Herr, Eigen-
tümer) zum Eigentum machte. In dieser Eheform hatte der Mann auch das
Recht, sein Weib zeitweilig einem andern Manne zu geben und die aus solchen
Verbindungen entsprossenen Kinder entweder für sich in Anspruch zu nehmen,
oder diesem Manne zu überlassen. Die Zugehörigkeit der Kinder wurde
übrigens mitunter auch durch das Recht des Stärkeren bestimmt. Einen
derartigen Fall führt Robertson-Smith an: Jil, Sohn des Lojaim, hatte eine
Schwangere mit Zustimmung ihres vorigen Mannes geheiratet und diesem das
Versprechen gegeben, er werde das Kind aufziehen und es dann seinem wirk-
lichen Vater zurückgeben. Es wird ein Knabe geboren und Jil hält sein
Versprechen, erzürnt aber dadurch die Verwandten seiner Frau, die sich auf-
machen, um den Knaben mit Gewalt an sich zu reißen. Der wirkliche
Vater findet bei seinen Verwandten wenig Hilfe, wird von der andern Partei
tüchtig durchgehauen und gibt schließlich mit den Worten nach: „Wer deinen
Morgentrank getrunken, ist zweifellos dein Sohn."
Im heutigen Arabia Patraea bleibt einer von ihrem Mann verstoßenen
Frau ihr Kleinstes, bis es entwöhnt ist, worauf es in das Zelt seines Vaters
zurückkommt. - Hier machen die Beni Sahr. als Stamm. Anspruch auf die
Kinder, weshalb es den Vätern versagt ist. sie zu verpfänden oder zu ver-
kaufen (Musil).
Hingegen schrieb Laue in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, im
arabischen Ägypten sei es nicht sehr selten gewesen, daß Kinder von ihren-
Müttern oder von andern Weibern öffentlich zum Verkauf herumgetragen wurden.
Allerdings war in den meisten Fällen große Armut der Grund. Starb z. B.
eine Mutter von einem oder zwei noch nicht entwöhnten Kindern weg, und
hatten Vater und Verwandten nicht die nötigen Mitte!, um eine Amme ein-
zustellen, dann schritt man zum Verkauf. Lunr erwähnt eine Frau in Kairo,
die von einer andern ein kleines Kind kaufte, welches diese vor einer Moschee
gefunden haben wollte. Die Käuferin entschloß sich, das Kind um Gottes
willen und in der Hoffnung aufzuziehen, daß. durch dieses Werk der Barm-
herzigkeit, ihr eigenes einziges Kind am Leben erhalten bleibe. Manche
Araber kauften damals übrigens Kinder auf, um sie als Sklaven zu benutzen,
verkauften sie auch wieder, so daß die Kinder geradezu Handelsobjekte waren.
Manche ägyptische Mädchen wurden beim Verkauf von ihren Eltern oder
Verwandten als Ausländerinnen angegeben, wozu die Mädchen, denen man
schöne Kleider und anderen Luxus versprach, ihre Zustimmung gaben, und
selbst behaupteten, sie seien als drei- oder vierjährige Kinder aus ihrer fernen
Heimat weggeführt worden, und hätten nun ihre Muttersprache verlernt.
Der arabische Nomade Algeriens wird als unumschränkter Herrscher
in seiner Familie geschildert, dem gegenüber Weib, Söhne und Töchter willen-
lose Untertanen sind. Zwar werden die erstgebornen Söhne vom Vater ge-
hätschelt, aber die weiblichen Familienmitglieder bekommen seine Herrschaft
um so mehr zu fühlen.
6ü() Kapitel XLIX. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes.
Nach mohammedanischem Recht teilt das Kind die soziale Stellung
seiner Mutter. Ist diese Sklavin, dann auch das Kind. Sklavinnen dürfen
ohne ihre Kinder nicht verkauft werden, solange diese der mütterlichen Pflege
bedürfen, was nach der vorwiegenden Anschauung bis zum 7. Lebensjahr der
Fall ist. Unterricht und Erziehung sind (beim legitimen Kind) Pflicht des
Vaters; doch bleiben die Mädchen meist bis zu ihrer Verheiratung, die Knaben
bis zur Beschneidung bei der Mutter im Harem. Die Mutter ist verpflichtet,
ihr Kind zu säugen, kann aber dafür von ihrem Manne Ammenlohn be-
anspruchen ( Van den Berg). Die Stellung des orientalischen Knaben zu seinem
Vater ist mehr die eines Untergebenen, als eines Sohnes in unserem Sinne;
andererseits vertritt der Sohn, auch schon im Knabenalter, seinen abwesenden
Vater im Hause mit viel Ernst, Würde und Anstand1).
Über Recht und Stellung des Kindes im alten Ägypten siehe die Kapitel
über Mutterrecht, Erziehung und gegenseitige Liebe.
Der Kabyle hat die Pflicht, seine Kinder staudesmäßig zu ernähren
und zu kleiden. Das Züchtigungsrecht, welches ihm seinem Weib gegenüber die
Anwendung von Stein und Dolch gestattet, darf seinen Kindern gegenüber
nicht weiter als bis zur „correction manuelle" gehen, wie Hanoteau und
Letourneux schrieben. Die Kinder jeden Alters sind ihren Eltern Achtung
und Gehorsam schuldig, was jedoch den Verkauf verwitweter Mütter an neue
Werber durch ihre eigenen Söhne nicht ausschließt. Alte, dürftige Väter
müssen von ihren erwachsenen Söhnen ernährt werden. Der Gemeinderat
selbst überwacht die Durchführung dieses Gesetzes und pfändet im Notfalle
die pflichtvergessenen Söhne aus, oder verbannt sie, wenn Pfändbares nichl
vorhanden ist. — Da der Unterhalt der Mutter durch ihren Mann, oder, wenn
dieser unfähig ist, von ihrer Familie oder ihrer weiteren Verwandtschaft, be-
stritten werden muß, fällt sie betreffs der Unterhaltungspflicht ihren Kindern
nicht zur Last.
Der Ungehorsam erwachsener Söhne wird in manchen Kabylen-Stännnen
mit Geld bestraft; bei den Ait Khalifa verlieren Söhne, die es an der schuldigen
Achtung ihrer Väter fehlen lassen, jeden Anspruch auf Unterhalt, ohne jedoch
auch ihres Erbrechtes nach dem Tode des Vaters verlustig zu gehen. — Alle
Kinder, die eine Kabylin ihrem Manne gebiert, gehören ihm, so daß sie bei
Verstoßung kinderlos ausgehen muß. Nur ihren Säugling darf sie bei einigen
Stämmen bis zur Entwöhnung mitnehmen (Hanoteau-Letourneux und Schön-
härl). —
$ 324. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Negern, Hottentotten
und Buschleuten.
Unter den westlichen Sudannegern hatte der Soninke (Sarakole)
in vorislamischer Zeit das Recht über Leben und Tod seiner Kinder. Der
[slam trat hierin mildernd ein. Es blieb dem Soninke aber das Züchtigungs-
recht in beliebiger Form, und zwar auch über seine verheirateten Söhne. Seine
Ratschläge sind meist Befehle. Bei Ehescheidungen fallen ihm alle Kinder
zu. auch wenn es erwiesen ist, daß die Schuld auf seiner Seite ist (Fernand
Daniel). -- Die Soninke sind ein Zweig der Mandingo, bei denen Mangel
an Ehrfurcht vor den Eltern mit einer Geldstrafe gerügt wird.
Die Bolo-Bolo oder Bautschi, gleichfalls in Nordwestafrika, ver-
kaufen ihre Kinder an wildfremde Menschen, ohne sich weiter um sie zu
kümmern. Eine Perlenschnur genügte um die Mitte des L9. Jahrhunderts einer
Mutter, .lall sie dafür ihre einzige Tochter von sich stieß, als diese sich
'i Es handelt sich hier also nicht nur um Semiten und Hamiten.
§ 324. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Negern, Hottentotten u. Buschleuten. (J01
jammernd und liebkosend an ihre Kniee klammerte. Ob solche Fälle häufig-
waren, weiß ich freilich nicht.
Bei den Bubis auf der Fernando- P6o -Insel haben die Söhne das
Recht, sobald sie zum Gebrauch der Vernunft gelangt sind, das elterliche
Haus zu verlassen und sich von ihren Eltern loszusagen. Die Töchter genießen
dieses Recht nicht, soudern müssen sich gefallen lassen, daß sie, wie ihre
Geschlechts- und Altersgenossinnen bei so vielen andern Völkern niederer
Kultur, an den meistbietenden Werber verkauft werden (Coli).
In Deutsch-Ostafrika machen sich die Söhne der Wanyamwesi
bereits nach ihrem zehnten Lebensjahr von ihren Vätern unabhängig. Schon
von früh an mit dem Hüten der Herden betraut, sind sie dann selbständige
Hirten, bepflanzen ein Stück Land mit Tabak und bauen sich eine eigene
Hütte. — In Zeiten der Not .werden Kinder von ihren Eltern, oder diese von
ihren Kindern, verkauft. — Andrer führt im Hinweis auf Burton Speke
Wanyamwesi-Neger an, die ihre Mutter gegen eine Kuh oder zwei Ziegen
beim Spiel einsetzten.
Fig. 435. Schulmadchen in Dar-es- Saläm. Mit Erlaubnis des dortigen Apostolischen Yicariates.
Zur Zeit großer Hungersnot kommt Kinder verkauf auch in Dar-es-
Salaam noch vor. Die Leute wollen dadurch sich und ihre Kinder vor dem
Hunge/tod bewahren (Wehrmeister).
Aus den Rechtsverhältnissen des Kindes bei den Vvasiba am Viktoria-
See liegt mir nur die Mitteilung H. Behses vor, daß die Kinder stets zur
Familie des Vaters gerechnet werden. —
Im Kilwa-Bezirk an der Deutsch-ostafrikanischen Küste be-
sitzt das Kind, so gut wie der Vater und die Mutter, sein Sondereigentum, sei
es ihm durch Selbsterwerb, oder Schenkung, oder Erbschaft zugefallen. Doch
genießt meist die ganze Familie den Gewinn gemeinsam. — Bei Ehescheidungen
bleiben die größeren Kinder da, wo es ihnen am besten gefällt. Bis zum
siebenten Jahr werden sie von ihrer Mutter oder Tante mütterlicherseits auf
Kosten des Vaters erzogen. - - Die Kinder einer Sklavin1) sind Sklaven des
Herrn der Mutter, ob der Vater Sklave oder Freier sei. Die Kinder einer
Suria sind freie Kinder des Herrn und werden den Kindern der freien Frau
') Wird diesem Kapitel eingereiht, weil es sich auch um die Kinder eines Ehepaares in,
der Sklaverei handeln kann.
€02
Kapitel XLIX. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes.
gleichgestellt. Die Kinder von Sklaven werden beim Verkauf nicht von ihren
Eltern getrennt I von Ebi rsteiri).
Auch die Kinder der Negersklavinnen in Brasilien1) folgten bis zum
Verbot des Negerhandels (1831) ausnahmslos dem Stande der Mutter. Somit
blieb die heranwachsende Generation auch nach diesem Verbot noch in der
Sklaverei. Erst das Abolitionsgesetz
vom Jahre 1871 erklärte alle von
Sklavinnen geborenen Kinder frei, ver-
langte aber, daß die damals heran-
wachsenden bis zu ihrer Großjährig-
keit bei den Herren ihrer Mütter
blieben (Breitenbach). —
Der Kaffer ist berechtigt,
seine Kinder zu verpfänden. Er er-
öffnet sich ilie^e Einnahmequelle, wenn
er z. B. Geld zum Ankauf eines neuen
Weibes braucht (FritscJi und Moffdf).
Über die Kap-Hottentotten
berichtete Peter Kolb: Solange die
Kinder ihren Unterhalt von ihren
Eltern genossen, durfte sich keines
erlauben, sie mit Schlägen zu be-
drohen. ..wenn sie nicht die Straffe
ilcs Todtes innerhalb zwo stunden
erdulden" wollten. Aber nach ihrer
Mannbarkeitserklärung durften die
Sühne ihre Mütter mißhandeln. -
Aus der von Kolb mitgeteilten An-
sprache bei der Trauung der Ehepaare
könnte man schließen, daß die Sühne
zum Unterhalt ihrer arbeitsunfähigen
Eltern verpflichtet waren. Doch war
es zu Moffate Zeit (19. Jahrhundert)
Brauch, solche Eltern auszusetzen.
Wenn sie nicht mehr Wurzeln und
Hol/, sammeln und heimtragen konnten,
dann gab der Kraal ihren Angehörigen
gerne die Erlaubnis zur Aussetzung.
Mittellose Leute sollten niemandem
zur Last fallen.
.Mittellos konnte aber nach dem
Landesbrauch selbst der Reichste
werden, weil Väter, die durch Gebrech-
lichkeit zur Selbstverwaltung ihres
HeMt/.es unfähig geworden waren.
diesen ihren erstgebornen Söhnen übergeben mußten. Mii etwas Nahrungs-
mitteln and Wasser an der Seite, überließ man also die alten Leute in der
Wüste dem Hungertod und den wilden Tieren. Das flüchtige Gehege um die
Ausgesetzten bol keinen Schutz. Ein altes Weib, welches Moffat einmal in
diesei Lage fand, weigerte sieh, mit ihm heimzukehren, weil die Aussetzung
nin wiederholt winde. Das sei bei ihrem Volk nun einmal so Brauch. — Lei
Akt wurde vom ganzen Kraal feierlich, unter Opfern und Gastmählern vollzogen.
'i In Surinam scheinen die Ehen von Sklaven nur als wilde Ehen, als jederzeit
lösl are Verbindungen, gegolten zu haben.
Big i G
Losgekauftes SklavenUind der Benediktiner-
Mission in Dar-es-Saläm.
§ 325. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei malavisch-polynesischen Völkern. 603
In neuerer Zeit schrieb Schinz jedoch, dem ältesten Sohn liege die Sorge
um die Mutter ob, wenn der Vater mit Tod abgegangen ist. —
Erwähnenswert ist die Stellung, welche die Kinder der Hottentotten
zur Zeit der Leibeigenschaft unter den Buren einnahmen. Das Gesetz sprach
jenen Buren, welche zur Ernährung von Kindern Leibeigener beigesteuert
hatten, diese Kinder bis zum 25. Lebensjahre zu. "Weil nun aber die leib-
eigenen Hottentotten ihren Dienstpflichten obliegen mußten, erfüllte sich jene
Bedingung von selbst.
Ähnlich wie bei den Kap-Hottentotten, hört auch bei den Auin-Busch-
1 euten die elterliche Autorität über die Kinder so ziemlich auf, wenn diese
einmal so weit sind, daß sie sich selbst ernähren können. — Bei Ehescheidungen
und nach dem Tod der Mutter bleiben dem Vater die Kinder und werden
von der neuen Frau desselben aufgezogen. - - Die Söhne eines ermordeten
Mannes sind zur Blutrache verpflichtet, sobald sie erwachsen sind. Diese
Pflicht wird ihnen von der Mutter eingeprägt. Die Verpflichtung beginnt,
sobald der Jüngling das erste Stück Wild erlegt hat. Seine Sippe steht ihm
zur Erfüllung bei (Kaufmcmn). —
Auch der Namib-Buschmann beansprucht bei seiner Ehescheidung die
Kinder. Die Säuglinge bleiben zwar solange bei der Mutter, bis sie heran-
gewachsen sind, müssen aber dann dem Vater übergeben werden. — Im
Fall eines vorhergehenden Ehebruchs muß der Ehebrecher, wenn er nicht
getötet wurde, sondern das Weib heiraten mußte, das Kind aufziehen und
dann dem ersten Mann überlassen (Tenk). —
§ 325. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei malayisch-polynesischen
Völkern.
Der Battak auf Sumatra hat kein Recht auf Leben und Tod seiner
Kinder. Dem Rechtszustand seiner Ehe zufolge haben sowohl seine als seiner
Frau Verwandten ein Interesse daran. Doch bleiben die Kinder beim Tod
der Mutter in der Gewalt des Vaters. - - Hinterläßt ein Batak eine Witwe
mit Söhnen, so haben diese die Pflicht, ihre Mutter zu ernähren, aber auch
das Recht, ihr zu befehlen1).
Wenn bei den Iban oder Dayaken in Sarawak, Bomeo,. Ehescheidung
durch Schuld des Mannes vorkommt, nachdem dieser von seiner Gattin bereits
ein Kind hat. dann hat er 33 Taler Alimentation zu zahlen. Stirbt das Kind,
dann wird er um 30 Taler gestraft. — Liegt bei der Scheidung eines Ehe-
paars, welches schon ein Kind hat, die Schuld an der Frau, dann muß sie
15 Taler Strafe zahlen (Leo Nyuak). — Diese Bestimmungen dürften mit dem
Kinderrecht zusammenhängen und scheinen von der Überzeugung auszugehen.
daß beide Eltern zum Gedeihen des Kindes zusammenwirken sollen.
Bei den Papuas in Kaiser Wilhelmsland rechnet man es dem Vater
zur Schuld an. wenn der Erstgeborne im Kindesalter stirbt, weshalb der Vater
in einem solchen Fall die Brüder der Mutter beschenken muß. Die Kinder
sind hier im Geburtsort der Mutter heimatberechtigt, und die Y erwandten
mütterlicherseits ergreifen bei Todesfällen und Erbangelegenheiten die Initiative.
Trennen sich Ehegatten, dann bleiben die größeren Kinder in der Regel beim
Vater; die kleineren werden von der Mutter mitgenommen. Stirbt der Mann,
so bleiben die Kinder, abgesehen von den kleinsten, meist nicht bei der Mutter,
*) Die Sakai, ein kulturell niederstehendes Volk im östlichen Sumatra, welches
wiederholt als Negritos bezeichnet winden ist, nach den neuesten Forschungen Felix Speisers
aber wahrscheinlich zum Malayischen Stamm gehört, anerkannten früher keine Kinder als
die ihrigen, die nicht die sog. „kurab", eine eigentümliche Hautkrankheit, durchgemacht
hatten (Moszkoiuski), wohl eine seltene Erscheinung im Kinderrecht.
604
Kapitel XLLX. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes.
sondern gehen zu nahen Verwandten. Eine feststehende Bestimmung gibt es
darüber nicht. In Kaiser Wilhelmsland nennt und betrachtet das Kind auch
die Brüder des Vaters und deren Frauen, sowie die Schwestern der Mutter
und deren Männer, als seine Väter und Mütter. Die Kinder geschlechtsgleicher
Geschwister gelten als richtige Geschwister: jene geschlechtsungleicher nur
als Vettern und Basen. Der Altersunterschied der betreffenden Eltern be-
stimmt die Bezeichnung eines Geschwisterkindes als älteren oder jüngeren
Bruders, oder als älterer oder jüngerer Schwester. Es gibt weder ein aus-
schließliches Vaterrechts- noch Mutterrechtssystem, sondern eine Mittelstufe.
insofern die Sippe sowohl des Vaters als die der Mutter auf die Kinder An-
sprüche erheben. — Daß der Papua und sein "Weib über Leben und Tod ihrer
Kinder entscheiden dürfen, geht aus den früheren Kapiteln über Kindsmord
hervor. Die Kinder können verkauft werden. Als Käuferinnen melden sich
(wohl unter andern?) kinderlose Verwandte, welche das gekaufte Kind als
ihr eigenes aufziehen, ohne es über seine eigentlichen Eltern aufzuklären, so
daß Fälle nicht selten sind, in denen solche Kinder
im gleichen Dorf mit ihren Geschwistern und unter
den Augen ihrer eigentlichen Eltern aufwachsen, ohne
sie zu kennen {Krieger).
In Britisch Xeu-Guinea gehen die Kinder
beim Tode des Vaters gewöhnlich zu dessen Bruder,
der mit dem Bruder der Mutter Aufsicht und Vor-
mundschaft über sie teilt. Wie in Kaiser Wilhelms-
land, so gehören auch hier die Kinder bald zum Stamme
des Vaters, bald zu dem der Mutter. Bei Eheschei-
dungen fallen sie meist dem Vater zu. sogar die
kleinsten, nachdem sie von der Mutter bis zu einem
gewissen Alter gepflegt worden sind. Nur bei den
Motu-Motu behält die Mutter alle Kinder und
weist etwaige Ansprüche des Vaters mit der Krage
zurück, ob etwa er die Schmerzen der Geburt aus-
gestanden habe. —
Auf Adie, Holländisch Xeu-Guinea. behält
bei Ehescheidungen der Mann die Kinder: an der
die Mädchen mit der Mutter, die Knaben mit dem
Fig. 437. Ein K a ia- Kaia-Weib
mit Kind. Niederlän disch-
Neuguinea. Nach H. NnUen
im ..Anthropos" IV, 668. Ti-
tel 1Y.
Kainani- Bucht gehen
Vater l Krieger).
Zum Verkauf und zur Tötung der Kinder hält sich auch der Melanesier
im Bismarck-Archipel und auf den Salomo-Inseln berechtigt (vgl.
Kapitel IX). Aussetzung ist nach Joachim Graf Pfeil nicht bekannt. Auf der
Salomo-Insel Bougainville gibt es einen regelrechten Kindermarkt, wo die
Eingebornen ihre entbehrlichen Sprößlinge an Leute von der Nachbarinsel
Choiseul verkaufen, ohne sich je wieder um sie zu kümmern. Nie lösen für
Mädchen etwa 7u Mark, für Knaben die Hälfte. Diese gelten ihren Kantern
zwar nicht als regelrechte Sklaven, müssen aber für ihre Herren arbeiten.
dürfen später auch nicht nach eigener Wahl freien, erhalten jedoch bei guter
Führung von ihren Herren eine Gattin. Die Mädchen verbringen ihr Leben
bis /.um 12. Jahr in den Häuptlingsfamilien, worauf sie an Untergebene ver-
heiratet, eder dem Harem eines Häuptlings einverleibt werden.
Auf den Kidschi- Inseln hat das Kind ein Recht auf Fortexistenz,
wenn es einen Tag gelebt hat: auf Hawaii hingegen konnte es noch nach
einem Jahr, oder noch später getötel werden ( J'loß II, 408, 2. Aufl.). — Auf
den Fidschi scheinen die Kinder bald dem Stamm des Vaters, bald dem der
Mutter anzugehören; denn Morgan schreibt, daß die Kimler die Totem des
Stammes des Vaters verehren, wenn sie nicht beim stamm der Mutter leb< n
legitimen Kindes bei Japanern, Koreanern usw. 605
(Diese selbst verehrt die Totem sowohl ihres eigenen Stammes, als auch die
des Stammes, welchem ihr Mann angehört.)
Auf Samoa werden bei Ehescheidungen Kinder und Vermögen geteilt;
die jüngeren Kinder fallen der Frau, die älteren dem Manne zu. Beim Tod
des Vaters hat dessen Bruder ein gewisses Anrecht auf Witwe und Kinder,
ohne daß jedoch die Witwe zur Ehe mit ihm gezwungen werden kann.
Aus Australien berichtete Jung, daß die Kinder für ihre Vergehen
unter keiner Bedingung gezüchtigt werden durften, sondern daß die Verant-
wortung auf den Eltern lag. Hatte ein Kind etwas gestohlen, so mußte der
Vater oder die Mutter dafür einstehen und
sich mit dem Bestohlenen im Zweikampf
messen; doch liefen solche Begegnungen
gewöhnlich nur mit einigen Beulen ab. —
Ist ein älterer Bruder in- der Familie,
dann ist dieser für seinen jüngeren
Bruder den Eltern gegenüber verantwortlich.
Diese Art Haftpflicht heißt munmananie. —
§ 32(>. Rechtsverhältnisse des legitimen
Kindes bei Japanern, Koreanern und Völ-
kern mit isolierenden Sprachen.
Das jeweilige Haupt der Familie genoß
in der japanischen Familie ebenso viele
Rechte, wie der Pater familias im alten Rom,
die unbeschränkte Macht über Person und
Eigentum seiner Kinder. Den Mißbrauch
dieser Gewalt verhinderten in der Regel
die natürliche Liebe und die sehr einfluß-
reiche Sitte, wie Ploß schrieb. — Familien-
glieder konnten vom Japaner ausgestoßen
und durch Fremde ersetzt werden, so daß
die Familie einer Korporation ähnlich wurde.
Nach Mitford war aber die Enterbung der
Söhne ohne Zustimmung der Regierung
nicht erlaubt. — Den Verkauf mancher
Töchter in die Freudenhäuser hat Kapitel
XLVII erwähnt. Ploß1) meinte, nur Eltern
von niederer Denkungsart hätten von ihrem
Verkaufsrecht Gebrauch gemacht; vgl. in-
dessen die Mitteilungen Mitfords in § 313,
nach denen dem Verkauf und Selbstverkauf
zur Prostitution nicht selten sogar edle
kommt es vor, daß Väter ihre Töchter zu
Begräbniskosten für den eigenen Vater
gehenden Recht des japanischen Familienoberhauptes geht dessen Verantwort
lichkeit für die Familienmitglieder Hand in Hand (Ploß).
Des Kindes erste Pflicht ist in Japan Ehrerbietung gegen seine Eltern.
Ein altes Gesetz verlangt eine Strafe von 1 00 Tagen Gefängnis für jenes
Kind, das sich während der gesetzlichen Trauer um Eltern oder Großeltern
verheiratet, und eiu Jahr Gefängnis für gänzliche Nichtbeachtung dieser Trauer. —
Eine Illustration zu dem Züchtigungsrecht, welches in Korea noch Ende
des 18. Jahrhunderts einer Stiefmutter zukam, liefert W. G. Arnous in der
Fig. 438. Knabe von Mioko, hei Neu-
lauenburg, Bism arekarch ipel. Gode/-
froy phot. Im Museum für Völkerkunde in
Leipzig.
Motive unterliegen. Nach Rein
diesem Zweck verkaufen, um die
aufzubringen. - Mit dem weit-
') 2. Aufl. II, 403.
Chi;
Kapitel XLIW Rechtsverhältnisse des legitimen Kimles.
folgenden Mitteilung: Ein vornehmer Koreaner hatte als Witwer nochmals
geheiratet, diese Frau ohne formelle Scheidung wieder entlassen, war später
zweiter Minister des Königs geworden, und stand nun vor seinem 60. Geburts-
tag, welcher in der Hauptstadt gefeiert werden sollte. Seine Söhne waren
bereits verheiratet und samt ihren Frauen zum Fest erschienen. Da ließ sich
die entlassene, von allen ignorierte Frau aus ihrem Elternhaus in das ihres
Mannes tragen, setzte sich als legitime Gattin auf den Ehrenplatz, fing an,
ihren Schwiegertöchtern und den Sklaven des Hauses Befehle zu erteilen, ließ
ihre Stiefsöhne, die sich nicht freiwillig vorstellten, herbeiholen, warf ihnen
ihre Pflicht Vergessenheit vor und ließ sie durch einen Sklaven peitschen mit
den Worten: ..Was euren Vater betrifft, so bin ich seine Sklavin. Ihr aber
seid meine Söhne, und ich rate euch, mir gegenüber die gute Sitte nicht mehr
Fig. 439. Familie am Carpent aria-Golf , X.-O. Australien. Bei Kolonisten in Dienst. Kla «I seh' \>hot.
außer acht zu lassen." Für dieses ..bewundernswerte" Vorgehen erhielt die
energische Stiefmutter eine der höchsten Ehrenstellen am Hof der Königin. —
Seitdem scheint sich aber das koreanische Familienrecht zugunsten verheirateter
Söhne geändert zu haben. Denn Arnous, welcher diesen Fall erzählt, schreibt
auch, und hier meint er wohl den Rechtsznstand des 19. Jahrhunderts: Die
Verheiratung macht den Sohn zum Mann, gleichviel, in welchem Alter sie
stattfinde. .Mit ihr erlischt die väterliche (und also wohl auch die mütterliche)
Gewalt über den Sohn. - - Wer nicht heiratet, bleibt immer auf der Rang-
stufe eines Kindes, was durch das Tragen des über den Rücken hängenden
Zopfes ausgedrückt ist. wenn man von emanzipierten Ausnahmen der Gegen-
wart absieht. Solche id. h. unverheiratete) können ungestraft allerlei Tor-
heiten begehen, da die Kinder nach koreanischer Ansicht zu ernstem Denken
und Handeln unfähig sind. Sie dürfen aber auch nicht an ernsten Verhand-
lungen teilnehmen, und waren sie dreißi"jährii:e .Männer. —
§ 326. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Japanern, Koreanern usw. ri(>7
Die Eltern haben in Korea das Recht, ihre Söhne kastrieren zu lassen,
was beim armen Volke vorkommt. Solche Leute wollen durch den verhältnis-
mäßig guten Verdienst ihrer Söhne als Eunuchen sich selbst ein sorgenfreies
Alter sichern. — Aus dem gleichen Grund widmen sie ihre Töchter dem
Beruf der Tänzerinnen (Gisaing), deren Stellung sich mit jener der japanischen
Geisha deckt1).
Bis zum Jahre 1895 erstreckte sich die auf einen schweren Verbrecher
verhängte Strafe auch auf dessen Familie und Verwandtschaft. Hatte z. B.
ein Familienhaupt Verrat begangen, dann wurde er samt allen männlichen
Verwandten bis zum fünften Grad enthauptet, seine Frau, Tochter und Mutter
vergiftet, oder zu Sklavinnen gemacht. Die gleiche Strafe stand auf Grab-
schändung.— Bei Ehescheidungen scheinen die Kinder dem Vater zu bleiben;
jedenfalls hat dieser nach Hamilton die Erziehungs-
pflicht. —
Die Tochter einer Sklavin tritt nach koreani-
schem Gesetz an die Stelle der Mutter, sobald diese
gestorben ist. Aus diesem Grund sieht ein Sklaven-
besitzer darauf, daß seine Sklavinnen sich verheiraten. —
Mehrere, teils von einander stark abweichende,
Berichte über Kindsmord und Aussetzung in China
sind in Bd. I, S. 190 mitgeteilt worden. Daß der
Chinese bis auf die neueste Zeit herauf gesetzlich
nicht abgehalten wurde, wenigstens seine Töchter
zu töten, steht nach jenen Mitteilungen fest. Nun
liegt mir ein Bericht von Josef Grwnzel vor, nach
welchem der Chinese „früher" das Recht hatte, seine
Kinder in den ersten drei Lebensjahren auszu-
setzen. Jetzt sei das anders geworden. Wer jetzt
sein Kind aussetzen würde, ohne durch die größte
Armut gezwungen zu sein, oder nachdem es ein ge-
wisses Alter überschritten habe, der würde die „öffent-
liche Meinung" gegen sich kehren2). Das Züchtigungs-
recht gegen Söhne wird durch deren Stellung be-
schränkt. Ein Beamter kann von seinem Vater, ohne
eingeholte kaiserliche Erlaubnis, nicht mehr gezüchtigt
werden (vgl. Erziehung). Hingegen verkauft der
Chinese heutzutage noch seine Töchter samt ihrer
Mutter, wenn er von Hungersnot getrieben wird, wie
„Die Katholischen Missionen" berichten. Oft gehe ein solcher Handel
in aller Kälte vor sich; doch gebe es auch Männer, die nach der Trennung
vor Leid fast vergehen.
Plath erklärte, wohl mit Recht, die mangelhafte Entwicklung chinesischer
Freiheit und Selbständigkeit im öffentlichen Leben mit dem Erziehungssystem
in der altchinesischen Familie, unbedingter Gehorsam und gänzliche Un-
selbständigkeit kennzeichnen das Verhältnis des Kindes zum Vater und größten-
teils auch zur Mutter. Die Pietätsvorschriften gehen oft in das Kleinlichste
und Abgeschmackte. Das bezieht sich hauptsächlich auf Knaben und Mädchen,
welche noch nicht den männlichen Hut und die Haarnadel tragen dürfen, die
die zweite Kindheit von der ersten unterscheiden. Täglich haben sie
pünktlich eine Reihe von Höflichkeitszeremonien zu beobachten, und auch
Fig. 440. Eingeborene mit Kind
von der Mor e ton- Bai, 0.-
Australieil- Oadeffroy phot.
Im Museum für Völkerkunde in
Leipzig.
!) Vgl. § 313.
-) Gesetzliehe Bestimmungen seheinen also doch nicht zu bestehen, und wahrscheinlich
handelt es sich auch bei dieser „öffentlichen Meinung'- nur um die eine oder andere Provinz.
(508 Kapitel XLIX. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes.
von den älteren Söhnen und Töchtern fordern die Bücher Li-ki, I-li u. a.
fortgesetzte Ausdrücke der Ehrfurcht, welche uns lächerlich vorkommen.
Kinder dürfen gegen Eltern und Großeltern keine gerichtliche Klage
erheben und keine Zeugenschaft leisten. Sie haben die Pflicht, ihre Eltern
im Notfalle zu ernähren und sich aller Festlichkeiten und Gesellschaften zu
enthalten, wenn jene im Gefängnis sind (GrunzeJ).
l'm ihre Eltern aus einer Geldverlegenheit zu helfen, haben sich schon
manche Kinder freiwillig in die Sklaverei verkauft (vgl. Kap. LIX).
Gelübde, welche Eltern im Namen ihrer Kinder machen, müssen diese
selbst lösen. Wenigstens schreibt Stern: Im südlichen Schantung gehen
viele Kinder der Mandarine und Reichen an den ersten Tagen des neuen
Jahres betteln, um dadurch die Gelübde zu erfüllen, welche ihre Eltern für
sie gemacht haben. Mit schönen Kleidern angetan, ziehen sie von Haus zu
Haus und fordern singend, oder mit einem Glöckchen, milde Gaben.
Wie in Japan, so müssen die Kinder auch in China nach dem Tode ihrer
Eltern die gesetzlich festgestellte Trauerzeit einhalten. Die Leichen sollen
womöglich in der heimatlichen Erde beigesetzt werden. . Verstöße gegen diese
Pflichten werden von Staats wegen streng bestraft. Diese gelten sowohl für
die Kinder der Konkubinen als für jene der Frau, wie andererseits selbst solche
Kinder als legitim gelten, die ein Mann außerehelich von einem Mädchen
bekommt, das er nicht mehr heiraten konnte, weil der Tod dazwischen trat
(Grunzel).
Im Falle des Ablebens des Vaters unterstehen die Kinder der Mutter,
deren Machtvollkommenheit aber durch die öffentliche Meinung weit mehr
eingeschränkt ist als jene des Vaters, besonders wenn die Kinder erwachsen
sind. - - Bei Ehescheidungen verbleiben die Kinder dem Manne. —
Gegen den Willen der Eltern kann kein Chinese und keine Chinesin
ledig bleiben. Es gilt als ein Mangel an kindlicher Pietät, wenn man keine
Nachkommenschaft hinterläßt. Doch dürfen verlobte Mädchen nach dem Tod
des. Bräutigams in das Haus des Verstorbenen übersiedeln, um dadurch ihre
Treue zu beweisen (Masip).
Bemerkenswert ist endlich noch, was Friedrich Hirth über die vor-
ehinesische Rangordnung in der Familie auf der Halbinsel Lei-tschou schreibt.
Hier war der Sohn des Herrn, ohne Rücksicht auf das Alter, Herr. Schon
dem Kinde mußte sein Oheim Ehrerbietung erweisen. Die Ehrfurcht vor dem
Alter wurde erst durch den chinesischen Einfluß herrschend. —
Auch die Thai iu Hinterindien haben das Recht, ihre Kinder zu ver-
kaufen, oder überhaupt über sie nach Willkür zu verfügen. Dennoch ist es
äußerst selten, daß ein Kind, hauptsächlich wenn es ein Knabe ist, verkauft
wird. Die Not müßte einen Vater schon sehr drücken, wenn er sich dazu
entschlösse. - - Bei Ehescheidungen gehen die Töchter mit der Mutter, die
Söhne mit dem Vater. Verheiratet sich aber eine Witwe nochmals, so ver-
liert sie dadurch jedes Recht auf ihre Kinder erster Ehe, indem diese der
Familie des Vaters verbleiben (Bourlet).
Dir Annamiten verkaufen bisweilen ihre Kinder. Die Armut vieler
Eltern, die große Kinderzahl und die Tatsache, daß die verkauften Kinder
nicht als Sklaven, sondern vielmehr als Familienmitglieder der Käufer ange-
sehen werden, sind von der mir verloren gegangenen Quelle als Kntsehuldi-
gungsgründe angegeben worden.
Ihr Verkaufsrecht über ihre Kinder üben Inner die Tanguten, und
zwar nicht selten aus. welche Sven rem Hedin Verwandte der Tibetaner
nennt, während sie nach Seobel oft zu den Mongolen1) gerechnet werden,
an welche die Tanguten ihre Kinder verkaufen. —
l) In diesem Kall {reliürten sie zu S, 328.
§ 328. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Ural-Altaien und Hyperboräern. 609
§ 327. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei den Dravida inklus.
Toda1).
Ploß'2) kennzeichnete die väterliche Gewalt der Dravidas, den sog.
Urbewohuern Vorderindiens, als unbedingt und schrankenlos. — Ein Sohn
kann zu Lebzeiten seines Vaters kein Eigentum besitzen. — Grund und Boden
samt Vieh vererbt sich nach dem Tode des Vaters auf die Söhne; die Töchter
können kein Land eignen. — In manchen Bezirken erhält der Erstgeborne
einen Extraanteil. — Schmucksachen, Hausgerät, Geld, überhaupt die Immobilien,
Vieh ausgenommen, fallen den Töchtern zu, die bis zu ihrer Verheiratung von
ihren Brüdern erhalten werden und dann ausgestattet werden müssen. — Ein
Grundbesitzer, der ohne Erben stirbt, wird von der Dorfgemeinde beerbt,
welche den Nachlaß verteilt.
Nach Harlneß war bei den Toda (welche bald der „reinste Typus"
der Dravida genannt, bald gar nicht zu diesen gerechnet werden) die väter-
liche Gewalt nicht uneingeschränkt, sondern das Gewohnheitsrecht wachte
über das Wohl des Kindes. Doch durften die Töchter vor Harkneßens Ankunft
ungestraft getötet werden3). Das Gewohnheitsrecht legte dem Toda die Pflicht
auf. dem Großvater der zu erwartenden Kinder mütterlicherseits zu versprechen,
daß er sie schützen, nähren, kleiden und mit der Zeit verehelichen wolle. —
Auch die Erbverhältnisse wurden durch das Gewohnheitsrecht geregelt.
Übertretungen dieses Bechtes kamen vor. v ie aus einer Klage ersichtlich
ist, welche der junge Toda Phairm Phonkorr in seinem und seiner Schwester
Interesse vor Harkneß brachte.
Die dem Vater schuldige Ehrfurcht der Todakinder ist aus dem folgenden
Erlebnis dieses Forschers zu ersehen: Ein Toda kehrte nach Hause zurück.
Ihm eilten sein Sohn und seine Tochter entgegen, nahmen ihm seine Bürde
ab und neigten sich zur üblichen Begrüßnngsfonu so tief vor ihm, daß sein
leicht gehobener Fuß ihre Stirne berührte. Dann richteten sich die Kinder
wieder auf. und der Vater legte ihnen segnend die Hände aufs Haupt. —
§ 328. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Ural-Altaien und
Hyperboräern.
So gut wie der Tangute Kinder an die Mongolen verkauft, verkauft
der Mongole Kinder an die Tanguten. Ein solcher Handel ist nichts Un-
gewöhnliches, wie ein Lama Hedln mitteilte. Der stehende Preis ist 20 Liang.
Ein Führer Hedins, Tadschinur-Mongole. war z. B. einige Tagereisen
südlich vom Kukku-nor geboren, mit fünf Jahren aber von seinen Eltern
auf einer Wallfahrt nach Lhasa an ein kinderloses tangutisches Ehepaar
verkauft worden.
Die väterliche Gewalt des Burjäten erstreckt sich auch dann noch auf
seine Söhne, wenn diese bereits ihr eigenes Heim in der Nähe der väterlichen
Jurte und eine eigene Familie gegründet haben (J. SchendriJcowsky).
Das erste und vornehmste Gebot der Ostjaken ist Gehorsam und Ehr-
furcht gegen die Eltern (Brchm).
Von den Kamtschadalen erwähnte Steiler ein Becht der Erstgeburt,
welches auf der regelmäßig physischen Überlegenheit des Erstgebornen fußte. —
Von den Zentral-Eskimos machte Boas die interessante Mitteilung,
daß es oft vorkomme, daß die Eltern eines Verlobten diesem nicht gestatten,
') Vgl; die Zugehörigkeit des Todakindes in Kap. L, S. t>22 f.
2) II. 404 f.
3) Siehe Kapitel IX. Knaben scheinen von den Toda weder ausgesetzt, noch direkt
getötet worden zu sein.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 39
g]0 Kapitel XLIX. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes.
seine Schwiegereltern zu ernähren, wodurch diese berechtigt sind, dem jungen
Mann den Laufpaß zu geben. — Die elterliche Gewalt erstreckt sich hier
also auch auf die Gattinwahl des Sohnes. —
§ 329. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Indianern.
Die Nordindianer (nördliche Chippeway) des 18. Jahrhunderts über-
ließen bei ihren häufigen Ehescheidungen ihre Kinder den verstoßenen Weibern.
Die Kinder hatten, wenn erwachsen, das Recht, ihre arbeitsunfähigen Eltern
auszusetzen, bzw. sie auf ihren Jagdzügen liegen zu lassen. Wenigstens die
Hälfte aller alten Leute kam damals bei diesem Volk auf eine solche
Weise ums Leben (Searne).
Der von Long 1 »suchte Chippeway-Stamm verband mit der Aussetzung
alter Männer Feierlichkeiten, welche den Adoptionsfesten glichen. Dank-
gebete an den Herrn des Lebens, Absingen eines Arzneigesanges, Rauchen
der Friedenspfeife und Schmausen von Hundefleisch begleiteten den Akt.
Das Gleiche war der Fall, wenn ein alter Mann es vorzog, von seinem Sohn
totgeschlagen zu werden.
Bei den Tinneh-Stämmen im nordwestlichen Oregon und westlichen
Washington, wo die Sklaverei noch vor ca. 30 Jahren üppig blühte, konnten
Eltern die Sklaven ihrer eigenen Kinder werden und mußten es dann auch
bleiben. Die Kinder eines freien Vaters und einer Sklavin gelten als halbfrei.
Die Tochter freier Eltern konnten wohl verkauft, aber nicht die Sklavinnen
ihrer Käufer werden, sondern mußten von diesen geehelicht, nach deren Tod
wieder freigegeben und ihren Angehörigen zurückerstattet werden {G'q)i>*>).
(Vgl. das ganz ähnliche Verhältnis der Tochter Israels im alten Testament.)
Von den Ottawa liegt mir eine Mitteilung Tanners vor, daß ihre Blut-
rache auch der unmündigen Kinder nicht schonte. Als Tanners Adoptivvater
Taw-ga-weninne von Mörderhand eine tödliche Wunde erhalten hatte, über-
legte er, ob er sich rächen, dadurch aber seine schutzlose Witwe mit ihren
Kindern der Blutrache preisgeben sollte. Er überwand sich bis zu den letzten
Augenblicken seines Lebens. Da sah er seinen Mörder vor der Hütte stehen.
und aufs neue kam ihm die Versuchung, ihm mich eine Kugel durch den
Leib zu jagen. Doch sein Sohn Ke-wa-tin stellte ihm vor, daß die jüngeren
Kinder dann sicher der Blutrache zum Opfer fallen würden, worauf der
Sterbende mit den Worten verschied: ..Mein Sohn, ich liebe dich so sehr, daß
ich dir nichts abschlagen kann." — Alterssehwache Eltern wurden bei den
Ottawa von ihren Kindern ernährt, und die Sage verherrlicht den Helden
Masswäweinini, der seine verbannten Eltern von weit her holt und sanft auf
seinen Armen in sein Lager trägt.
Bei den Delaware-Indianern (Lenni Lenape) versuchte James Buekanan
vergebens, eines ihrer Kinder durch Kauf zu erwerben. Kein Vater, keine
Mutter konnte bewogen werden, sich auch nur von einem einzigen zu trennen.
Umgekehrt pflegten und ehrten die erwachsenen Kinder ihre erwerbsunfähigen
Eltern mit aller ihnen möglichen Sorgfalt. Heilig war den Eltern die Pflicht,
für ihre Kinder, Geschenke des Großen Geistes, zu sorgen, bis diese sich selbst
helfen konnten, und heilig waren den Kindern die Ratschläge der Alten.
Ganz ähnlich wie bei den Delaware war das Verhältnis zwischen
Bitern und Kindern bei den Kanada- Indianern und den Ojibway am
südlichen Ufer des Oberen Sees. - In Kanada wurden bei Ehescheidungen
die Kinder gleichmäßig zwischen Vater und Mutter geteilt; bei ungerader
Zahl erhielt die .Mutter eines mehr. I >ie unehelichen und in derSklaverei gebornen
Kinder genossen so ziemlich die gleichen Rechte wie die legitimen (De Lahontan).
§ 329. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Indianern.
611
Bei Ehescheidungen, welche durch Kriege zwischen vorher befreundeten
Stämmen bisweilen massenhaft herbeigeführt wurden, weil sich der dem fremden
Stamm angehörige Teil nicht mehr sicher fühlte, oder ohnehin nicht mehr
bleiben wollte, gingen die Kinder je nach Übereinkommen mit dem abziehenden
Teil oder blieben bei dem zurückbleibenden. Einen solchen Fall berichtet
Schoolcraft von der Familie eines Sioux-Häuptlings, dem seine Chippeway-
Gattin schmerzerfüllt ihre zwei Söhne mitgab, weil diese bei ihrem Stamm
des Lebens nicht mehr sicher seien.
Fig. 441. Assin iboin-Ki nder. Copyright .F. A. Rinehart, Omaha.
Daß die Indianer vieler Stämme, wie wohl die weitaus meisten Völker
außerhalb des Christen- und Judentums, das Recht über Leben und Tod
ihrer Kiuder, wenigstens bis zu einem gewissen Alter haben, ist in den
Kapiteln über Aussetzung und Kindermord erwiesen worden. Hier nm\ noch
ein Beispiel: Während Bo!k>rs Aufenthalt unter den Gros-Yentres, einem
Zweig der Sioux, machten jene einen gemeinsamen Besuch bei den Assiniboin
(s. Fig. 441) am River of Lakes. Ein Weib mit drei kleinen Kindern hatte
sich angeschlossen, wurde aber unterwegs zurückgelassen, weil sie nicht
schnell genug mitkommen konnte. Um dieses Hindernis zu beseitigen, tötete
sie ihr Kleinstes auf dem Arm. Niemand hielt sich darüber auf.
39*
G12
Kapitel XLIX. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes.
Bei den Moki aber, deren Familienleben uns in den von Cushing über-
setzten Sagen frei von jedem Despotismus entgegentritt, scheinen Aussetzung und
Kindsmord unbekannt zu sein. — Die Töchter sind schon vom 10. Lebensjahr an
berechtigt, ihren Zukünftigen nach eigener Neigung zu wählen (NordensMöld). —
Die Söhne übersiedeln in das Heim ihrer Frauen, bzw. ,.in das Haus ihrer
Schwiegermutter".
Im alten Mexiko verkauften Eltern zur Zeit großer Hungersnot ihre
Kinder und Nachkommen auf ungezählte Generationen hinaus in die Sklaverei.
Sonst galten in der Regel die Kinder der Sklaven als freigeboren. Arme
verkauften an Vornehme ihre Söhne auch mit der Verpflichtung, „diesen
Sklaven lebendig zu erhalten", d. h. ihn im Falle seines Ablebens oder seiner
späteren Unfähigkeit durch einen andern zu ersetzen. Die von ihren Eltern
in die Sklaverei verkauften Kinder bildeten eine der drei Sklavenklassen. —
Fig. H-- Mexikaner aus San Luis Potosi. Friedrich phot. Im K. Ethuogiapb. Museum 'iu München.
Von Staats wegen wurden die Kinder der Hochverräter in die Sklaverei
verkauft ( Baneroft).
Bei den Mayas in Guatemala verfielen die Kinder aller zum Tod ver-
urteilter Verbrecher samt ihrer Mutter der Sklaverei; die Güter wurden ein-
gezogen (Torquemadd).
Die Karaiben von Guayana verkauften im 17. Jahrhundert alle
gefangenen Kinder in die Sklaverei (Dapper).
Die Goajiros in Columbia verkaufen ihre Kinder für 2 — 3 Ziegen,
oder um einen Sack Mais. Früher brachten sie sie häufig zum „Verkauf"
nach Sinamaica. Der Käufer gilt jedoch als Vormund, verpflichtet sich, das
Kind in die katholische Kirche aufnehmen und in der katholischen Religion
unterrichten zu lassen, wofür das Kind bis zum 17. Lebensjahr in seinem
Dienste bleibt, wie Fritz Regel schreibt. Allerdings haben wir es hier,
wie bei den alttestamentlii heu .luden, eher mit einer langdauernden Verdingung,
als mit einem Verkauf im eigentlichen Sinn des Wortes zu tun.
Das Recht, ihre alten Mütter aus dem Wege zu räumen, hatten die
Caveres und Tapakosos am Orinoko. Es hieß, die alten unbrauchbaren
§ 3L'9. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Indianern. 613
Weiber sollten froh sein, wenn sie ihr unnützes Leben verdienstvoll schließen
könnten. Deshalb zwang man sie zu der lebensgefährlichen Herstellung des
Pfeilgiftes Curare. Der letzte Sud kostete dem alten Mütterchen, welches
damit beauftragt war. gewöhnlich das Leben. Fiel sie um, so wurde sie sofort
durch ein anderes Weiblein ersetzt, diese durch eine dritte u. s. f. (Nielutsch).
In Brasilien scheint es bei den von Mar/ins besuchten Stämmen Ver-
pflichtungen der Eltern gegen ihre Kinder nicht zu geben. Wie sein Weib,
so behandelt der dortige Indianer auch seine Kinder willkürlich. Manches
unmündige Kind verhungere, oder komme infolge Vernachlässigung ums Leben,
oder werde von seinem Vater verkauft. Doch höre die väterliche Gewalt
über die Söhne auf, wenn diese mannbar geworden. Die Töchter hingegen
wechseln mit ihrer Verheiratung nur ihren Gewalthaber. — Umgekehrt kennen
die Kinder weder Ehrfurcht noch Gehorsam gegen ihre Eltern.
Der brasilianische Bötokude vertauscht sein Kind gegen Messer und
Kessel an weiße Händler, haßt aber diese, wenn sie es hart behandeln (Ehren-
reich). — Bei Ehescheidungen nimmt die Frau die Kinder mit sich (Prinz
zu Wied).
Vnii den Tupi berichtete de Lud die gleiche Eechtsform, wie sie die alten
Germanen und andere in diesem und in Kapitel IV erwähnten Völker hatten,
nämlich die formelle Anerkennuno' des Xeugebornen durch den Vater oder
einen seiner Freunde, indem er oder der betreffende Freund es vom Boden
aufhob. —
Das Kecht des Kiuderverkaufs und des Kindermordes ist schließlich bei
den Patagonen nachgewiesen; deren blinde Liebe zu ihren Kindern im all-
gemeinen nur ein Beweis für die Tatsache ist, daß jene Rechte keines-
wegs die Liebe zu den Kindern ausschließen, wohl aber der Willkür freien
Spielraum lassen. —
Kapitel L.
Vater- und sogenanntes Mutterrecht, bzw. Zugehörig-
keit des Kindes bei Völkern mit Promiskuität, Gruppen-
ehe und Polyandrie.
§ 330. Das vorige Kapitel handelte von Rechtsverhältnissen des Kindes
ans polygamen und monogamen Ehen, also aus Eheformen, welche, soweit die
Kulturgeschichte reicht, bei den weitaus meisten Völkern üblich, bzw. gesetz-
lich sind und der Polyandrie1), Gruppenelle oder Großfamilie und Promiskuität3)
gegenüberstehen, wie Regeln zu seltenen Ausnahmen.
Das Befremdende der beiden letztern Hat sogar zu der wiederholten Be-
hauptung geführt, daß es Stämme und Völker mit Promiskuität oder Gruppen-
ehen gar nicht gebe, ja daß es Völker mit der ersteren Form nicht geben
könne, weil der Mensch doch über dem unvernünftigen Tiere stehe, die höheren
Tiere aber bereits über so tiefe Stufen des sexuellen Lebens erhaben seien,
womit man freilich weder dem weiteren Spielraum des Menschen, noch der
Tatsache genügend Rechnung getragen hat, daß die Mitteilungen über Stämme
und Völker mit Promiskuität und Gruppenehen, objektiv genommen, nicht
weniger und nicht mehr Glauben verdienen, als irgend eine andere uns
befremdende Mitteilung, die wir über zeitlich oder örtlich Fernes erhalten.
Kapitel LX wird auf mehrere solche Völker zurückkommen. Das vorliegende
zieht nur jene heran, von denen mir Mitteilungen auch über die Zugehörigkeit
des Kindes zu Vater oder Mutter vorliegen, was leider von den wenigsten
der Fall ist.
§ 331. Zugehörigkeil des Kindes bei Völkern mit Promiskuität.
Nicolaus Damascmus schrieb von den Liburnern, einem ausgestorbenen
Zweig der Ludo-europäischen Völkerfamilie3), welcher das westliche Kroatien,
das nördliche Dalmatien und einige anliegende Inseln bewohnte: Die
Liburner haben ihre Frauen gemeinschaftlich und ziehen alle Kinder bis
zum fünften Lebensjahr gemeinschaftlich auf. Im sechsten versammeln sie
dieselben, suchen die Ähnlichkeiten mit den Männern aus und teilen danach
jedem seinen Vater zu. Wer so von der Mutter einen Knaben erhalt, der
betrachtet ihn als seinen Sohn4).
Bekannl isl der Vorschlag der Gemeinsamkeil der Weibei und Kinder
in Piatos Staat. Bei dessen Zurückweisung erinnert Aristoteles an völker-
kundliche Berichte, nach welchen bei einigen Stämmen des oberen Libyiens
') Vielmännerei.
[freie Vermischung, Weibergemeinschaft.
, Nach S
' Nach Bachofen, Mutterrecht, S. 1 u. 20. Auf diese Stelle des Nie. Dam. wies schon
Juan ''■ Torquemada, Blonarchia Indiana 11. l-J'.W. hin.
§ 331. Zugehörigkeit des Kindes bei Völkern mit Promiskuität. Gib
die Weiber gemeinschaftlich seien. Die erzeugten Kinder jedoch würden nach
den Ähnlichkeiten ausgesucht ').
Torquemada war geneigt, diese von Aristoteles erwähnten Stämme mit
den Gar am a ntes zu identifizieren, welche von der neueren Forschung auch
schon als Vorgänger der heutigen Berber in Fessan bezeichnet worden sind.
Nach Mela2) wäre die Zuerteüung der Kinder auch bei den Garamanten auf
die gleiche Weise vor sich gegangen, welche uns bereits von den Liburnern und
den eben erwähnten Stämmen bei Aristoteles bekannt ist. Ob dieser auf-
fallend gleiche Brauch zur Anzweiflung des Ganzen berechtigt, muß ich un-
entschieden lassen. Die Stelle bei Mela über die Garamanten lautet:
„Xulli certa uxor est. Ex bis. qui tarn confuso parentum coitu passim
incertique nascuntur, quos pro suis colant, formae similitudine agnoscunt3)."
Da Melas geographisches Kompendium (De Chorographia libri III) dem
Plinius als Quelle für seine Naturalis Historia diente4), haben wir vielleicht
im folgenden Passus aus Plinius, der den Garamanten die Ehe abspricht und
ihre vorübergehenden Verbindungen erwähnt, nichts Neues: „Garamantes
matrimoniorum exsortes passim cum feminis degunt5)." Solmus6), der die
Garamanten zugleich als Äthiopier7) einführt, was bei der Unbestimmtheit
dieses ethnischen Begriffes in der alten Welt freilich die oben angedeutete
Frage nicht löst, spricht, wie seine Vorgänger, den Garamanten die Einzelehe
ab und läßt sie die Kopula öffentlich (vulgo Omnibus) ausüben. Die Kinder
kennen nur ihre Mütter, nicht die Väter. Die Vaterschaft steht nicht im
Ansehen usw. Solinus bemerkt dazu, daß dieses Volk mit Recht als das ver-
kommenste aller Völker gelte8). „Garamantici Aethiopes matrimonia privatim
nesciunt, sed vulgo omnibus in venerem licet. Inde est, quod filios matres
tantum recognoscunt, paterni nominis nulla reverentia est. Quis enim verum
patrem noverit in hac luxuria incesti lascivientis? Eapropter Garamantici
Aethiopes inter omnes populos degeneres habentur: nee immerito, qui afflieta
diseiplina castitatis successionis notitiam ritu improbo perdiderunt9)."
Solinus, der ungefähr zwei Jahrhunderte nach Plinius lebte, schöpfte
seine „Collectanea rerum memorabilium" zum großen Teil aus Plinius10). Somit
ist es sehr wahrscheinlich, daß er auch über die Garamanten so viel aus
Plinius herübernahm, als bei diesem eben zu finden war. Immerhin erfahren
wir durch ihn Neues. Melas Mitteilung über die Verteilung der Kinder
scheint Solinus nicht gekannt zu haben.
Im fünften Jahrhundert n. Chr. ist es der Afrikaner Capella, der noch
einmal auf die Garamanten zurückkommt und ihnen öffentliche Begattung ohne
Ehe zuschreibt. „Garamantes vulgo feminis sine matrimonio sociantur11)."
„Äthiopier" waren den Alten auch die Auser, von denen Herodot12)
schrieb: Sie bedienen sich der Weiber insgemein und begatteten sich mit ihnen
nach Art des Viehes, ohne mit ihnen häuslich zusammen zu wohnen. Nach
') Politik, Ausg. u. Übers, von Stahr, 1. IL cap. I, 2 u. 27. Vgl. Backofen, S. 16.
2) 1. Jahrh. n. Chr. Vgl. w. u.
3) Bei Bachofen. 11.
4) So Occioni, Storia della Letteratura latina. Koma 1891, p. 282.
6) Bei Bachofen, 11.
6) Ebenda.
') Die Alten kannten Äthiopier in Asien und Afrika. Hier ist aber wohl nur an letztere
gedacht.
8) An eine Entwicklung der Ehe aus Promiskuität, welche in der Neuzeit vielfach
angenommen wird, dachten demnach Solinus und seine Zeitgenossen nicht.
") Bei Bachofen, ebenda.
10) Occioni, 309.
»') Bei Bachofen, 11.
,s) i, 180. Bei Bachofen ebenda.
ßjß Kapitel L. Vater- und sogenanntes Mutterrecht usw.
Torquemada x) durften hier und bei den Agathyrsen (Skythen?), welche
gleichfalls in Weiber- und Kindergemeinschaft lebten, die Kinder nach Gut-
dünken einen Mann zum Vater wählen, wenn sie einmal so weit waren, daß
sie sich selbst ernähren konnten. — Bei Herodot2) findet sich auch eine Be-
gründung der Weiber- und Kindergemeinschaft der Agathyrsen: „Sie wohnen
den Weibern gemeinschaftlich bei, damit sie alle untereinander blutsverwandt
und durch ihren häuslichen Zusammenhang dahin gebracht würden, weder Neid
noch Feindschaft gegeneinander zu üben."
Weiber- und Kindergemeinschaft hatten nach den Berichten der Allen
ferner die „skythischen Galactophagen" 3). von denen Nicolaw Damascenus
schrieb4): sie zeichnen sich aus durch Gerechtigkeit und haben Güter und
Weiber gemeinschaftlich. Daher nennen sie alle Bejahrten Väter, die Jüngeren
Söhne, die Altersgenossen Brüder. — Auch Strabo schrieb ihnen (7, 300) 5)
gemeinsamen Besitz von Gütern, Weibern und Kindern zu: ri: yovaTxai; nXaTomxcü;
i'/ovrs: xoivä? xal -rsxva. Nur Schwert und Trinkschale seien Privatbesitz
gewesen. In der Gemeinsamkeit der Güter, Frauen und Kinder suchte Strabo
die Grundlage jener Gerechtigkeitsliebe, welche allgemein als die Auszeichnung
der Scythen und Gethen6) gegolten, und um deretwülen Aeschyhs sie eovo|M>i
genannt habe.
Man sieht hieraus, daß Piatos Vorschlag zur Weiber- und Kindergemein-
schaft wohl auf eine Entlehnung aus realen Zuständen zurückzuführen ist.
und daß er auch bei Strabo ein Echo fand. -Ebenso hallte er im kaiserlichen
Rom wider, da Jusünus (2, 2) schrieb: „Psorsus ut admirabile videatur, hoc
Ulis naturam dare, quod Graeci longa sapientium doctrina, praeeeptisque
philosophorum consequi nequeunt; eultosque mores inculta barbariae collatione
superari. Tanto plus in illis proficit vitioruin ignoratio, quam in bis cognitio
virtutis." Justinus sah also in der Weiber-, Kinder- und Gütergemeinschaft
einen Zustand der LInschuld, einen Zustand, der ethisch über dem der Ein-
heitsfamilie und des Privatbesitzes stehe.
sinilio und Biodor wußten ferner von afrikanischen Troglodyten :)
mit Promiskuität und Kindergemeinschaft zu berichten. Strabo führt sie als
Nomaden ein. Jeder Stamm habe seinen Beherrscher; Frauen und Kinder,
mit Ausnahme der der Tyrannen, seien gemeinschaftlich. Wer das Weib eines
Tyrannen mißbrauche, habe zur Strafe ein Schaf zu zahlen. Dio<l<>r schrieb:
„Sie haben ihre Gemahlinnen mit ihren Kindern gemeinschaftlich. Ausgenommen
ist allein die des Gebieters8)". —
Bei einem Rückblick auf diese alten Völker fragt man sieh, ob die über
sie ausgesagten Zustände eine Parallele in unserer Zeit haben. Der bejahende
Fall würde zweifellos die Angaben der Alten stützen.
Nun gibt es meines Wissens kein Volk der Jetztzeit, bei dem ein Mann
mit einem oder mehreren Weibern nicht auf kürzere oder längere Zeit ztt-
i) Mon. Indiana II, 420 f.
-I 1. 104 bei Bachofen, 20f.
a) Es sei liier daran erinnert, daß Herodot die Skythen Verwandte der Ägypter
nannte, und daß die Versuche RawlinSOns und Sayces, ihn zu widerlegen, mich den Darle-
gungen in der Civiltä Cattolica (Jahrgang 1893) nicht gelungen sein dürften.
') Bei Bachofen, S. 21.
Bei Bachofen, ebenda.
'i Fälschlich auch mit den (loten identifiziert. Immerhin gehörten die Gethen, als
ein Zweig der Thracier, zur indoeuropäischen Völkerfamilie. Zu Hcrodots Zeit lebten du'
Geten (Gethen, Getae) zwischen dem Balkan und der unteren Donau, spater zwischen
Donau und Dnje*str. Auch sie scheinen in Promiskuität gelebt zu haben.
') Troglodyten waren den Alten in Ägypten und an der abessi nischen Küste
nnl l ber Promiskuität in Ägypten siehe Kap. 60.
8) Bei Bachofen. 15.
§ 331. Zugehörigkeit des Kindes bei Völkern mit Promiscuität. Hl 7
sanimenlehte. Wenn also dieses Zusammenleben mit dem Begriffe „Promis-
kuität" unvereinbar wäre, dann könnte man behaupten, daß unter den Völkern
der Neuzeit keines bekannt sei, das in Promiskuität lebe. Allein das (äußere)
Zusammenleben macht eben die Ehe nicht aus. Ein Zusammenleben
(häuslicher Zusammenhang) ist ja auch den Agathyrsen, ungeachtet ihrer
Promiskuität, zugeschrieben, ja Herodot sieht gerade in dieser die beste Grundlage
für ein friedliches Zusammenleben. Die Wahl eines Vaters durch die heran-
gewachsenen Kinder eines Weibes läßt sogar vermuten, daß sich innerhalb
dieses Stammes Gruppen bildeten, welche in ihrer äußeren Form, d. h. dem
Zusammenleben nach, einer Familie glichen. Es ist auch sehr wahrschein-
lich, daß bei einem solchen äußeren Zusammenleben der Beischlaf zwischen dem
Mann und Weib einer solchen Gruppe häutiger war, als zwischen ihnen und
außer ihrer Gruppe lebenden Männern und Weibern. Allein ein solches
Geschlechtsleben kann doch nicht Ehe, auch nicht einmal Gruppenehe im
engeren Sinne, sondern am zutreffendsten Promiskuität genannt werden. Und
solche Verhältnisse gibt es, nach glaubwürdigen Forschern, tatsächlich auch
heute noch. Daß bei den jetzigen Völkern oder Stämmen immerhin bestimmte
Grenzen beobachtet werden, ändert an der Tatsache nichts, daß solche
Zustände nicht Ehen im eigentlichen Sinn des Wortes genannt werden können,
daß hier die Kinder ihre Väter, und die Väter ihre Kinder, wie bei den an-
geführten Völkern der alten Welt, eben nur der Ähnlichkeit nach kennen
können, und daß somit hier nur Mutterrecht herrschen könnte, wenn
dieses, wie vielfach behauptet, die ursprüngliche Promiskuität zur
notwendigen Voraussetzung hätte.
Im Stamm der Urabunna in Australien hat wohl jeder Mann ein oder
zwei Weiber in seinem Lager, aber er verkehrt auch mit den Weibern anderer
Männer ehelich, und zwar mit ihnen als Gatte zweiter Ordnung. Umgekehrt
hat jedes Weib des Urabunna-Stammes einen Mann als Hauptgatten und gilt
anderen Ehemännern als Nebenweib. Die Regelung dieses Geschlechtsverkehrs
eines Weibes untersteht direkt dessen älteren Brüdern, indirekt den Ältesten
der Stammesgruppe, welche einflußreichen Männern auch in dieser Hinsicht
mehr Gunst erweisen, als den gesellschaftlich unbedeutenden Gliedern ihres
Gemeinwesens.
Dem Gesagten zufolge könnte man diesen Geschlechtsverkehr „Gruppen-
ehe" nennen. Allein dieser Verkehr erstreckt sich auch über die einzelnen
Stammesgruppen hinaus: Stattet ein Urabunna einer bestimmten Stammesgruppe,,
einem Verwandten oder Bekannten einer andern Gruppe Besuch ab, so be-
kommt er auch hier Haupt- und Nebenweiber seines Gastgebers geliehen. —
Innerhalb seiner eigenen Stammesgruppe kann ein Urabunna sein Hauptweib
irgend einem Manne leihen, muß es aber nicht tun: verweigert er dieses
Hauptweib aber einem aus jenen Männern, welche zu diesem Weib im Bang
eines Gatten zweiter Ordnung (Piraungaru) stehen, dann entsteht Streit und
er wird als Geizhals verschrieen1).
Wir haben also bei den Urabunna eine gesetzlich geregelte Weiber-
gemeinschaft, d. h. Promiskuität, die sich nicht auf je eine Stammesgruppe
beschränkt, sondern über diese hinausgeht und in das Geschlechtsleben auch
anderer Stammesgruppen eingreift.
Ähnliches ist bei den Dieri und andern australischen Stämmen der Fall,
welche bei jeder Beschneidung die in Gruppenehen (Pirauru) lebenden Männer
und Weiber aufs neue verteilen (vgl. Kapitel Beschneiduug, § 244, S. 139). Ob
es sich hier aber um eine Verteilung nur innerhalb einer Gruppe, oder um
Austausch verschiedener Gruppen handelt, ist mir nicht klar. Ferner ist mir
') Spencer-Grillen, The Xative Tribes of Central Australia. 62f.
618
Kapitel L. Vater- und sogenanntes Mutterrecht usw.
eine Äußerung Spencers und Gillens über die Zugehörigkeit der Kinder im
Dieri-Stamm nicht bekannt, wohl aber über jene bei den Urabuuna. Die
Abstammung wird hier tatsächlich nach der weiblichen Linie bezeichnet1).
Die Kinder der Weiber leben bei jenem Mann, der diesen als Gatte erster
Ordnung beigegeben ist.
Es möge hier ferner beigefügt werden, was
Spencer- Gitten über das Gemütsleben zwischen diesem Mann und seinen, bzw.
den ihm unterstellten, Kindern berichteten: Die Männer halten mehr zu den
Kindern ihrer Hauptweiber2), als zu jenen, welche von Weibern geboren wurden,
■die ihnen Neben-, andern Männern aber Hauptweiber sind. — Das Verwandt-
schaftsverhältnis zwischen einem Mann und den bei ihm lebenden, bzw.
seinen eigenen. Kindern wird gleich ausgedrückt. Er nennt sie alle „Biaka"
und wird von ihnen allen „Xia" genannt. —
Promiskuität, wenn auch, wie in Australien, neben formaler Ehe, dünkt
mich das vom Missionar Dahmen beschriebene Verhältnis der Geschlechter
bei den heutigen Mannadis oder Kunnuvans zu sein. Dahmen stellt die
Sittlichkeit dieses Volkes in den Palni-Bergen des südlichen Indien8) auf
Fig. 443. Maunadi-Kindnr aus den Palni-Bergen. Südliches Vorderindien, Nach Dahmen,
„Anthropos" V, 322.
■die tiefste Stufe. — ..Primitiv" kann dieser Zustand auch hier nicht genannt
werden, weil er sich erst aus der Anschauung der Mannadis heraus entwickelt
hat, daß jeder Mann ein Anrecht auf die Tochter seiner Tante väterlicherseits
habe. Diese Ansicht und deren Umsetzung in die Tat sei mehreren dortigen
Kasten gemeinsam.
Nach W.Francis stützt sich diese Ansicht allein Anschein nach auf den
Grundsatz, daß der Verlust, welchen eine Familie durch das Hinansheiraten
einer Tochter erlitten, dadurch ersetzt werden müsse, daß dieser Familie eine
Tochter dieser Tochter zurückgegeben werde4).
1 S and Gillen, The Northern Tribes, H2ft\ — Als „primitive" Zustände dürfen
die obigen freilich nicht bezeichnet werden. Hierzu hat die exakte Wissenschaft noch kein
Recht, weder vom anthropologischen, noch vom linguistischen, noch vom ethischen Standpunkt
aus. Vgl, auch die Auseinandersetzungen BowittB, Hartlands, Längs und Thomas' im Polk-
Vol. XVI u. WJI.
Daß sie aher auch hier nicht wissen, ob (las Kind von ihnen oder einem I. n
zweiter Ordnung dieses Hauptweibes gezeugt ist, ist klar. Immerhin haben sie hier eher
igenes, als ein fremdes Kind.
M adras Presidency.
'1 Dahmen, The Kunnuvans »r Mannadis, a EBll-Tribe of the Palnis. South India.
Im „Anthropos" V, 320 IT.
§ 332. Zugehörigkeit des Kindes in Gruppeneken. Öl 9
Bei dem oft sehr ungleichen Alter der betreffenden jungen Leute werden
kleine Knaben mit erwachsenen Mädchen verheiratet, was die angedeutete
Unsittlichkeit zur Folge hat. Ehe der Knabe mannbar wird, verkehrt sein
Weib nach Belieben mit andern, und ist er einmal so weit, dann ist ihm sein
Weib zu alt. weshalb viele junge Männer ihren Weibern auf die gleiche Weise
vergelten, wie diese ihnen getan, d. h. sich mit jüngeren Weibern verbinden.
Die Kinder, welche das Weib eines Knaben von andern Männern hat. und
die manchmal fast so alt sind wie der Knabe selbst, gelten als seine Kinder
(Jhilimcn)1). — Die Hypothese von einem Zusammenhang des Mutterrechts
mit Promiskuität findet also auch hier keine Stütze. —
In § 311 wurde die zu gewissen Zeiten stattfindende Promiskuität in
der afrikanischen Stadt Hain Lisnan erwähnt. Dem religiösen Charakter
derselben entspricht die Zuerteilung der Kinder an die Priester bzw. an den
Tempel. Vater- und Mutterrecht werden hier also ausgeschaltet.
§ 332. Zugehörigkeit des Kindes in Gruppenelien.
Ein indogermanisches Volk mit Gruppenelien waren die britischen
Kelten. Je 10 — 12 Männer, meist Väter und Söhne, hatten gemeinschaftliche
Frauen, darunter Mütter und Schwestern, und bildeten mit diesen eine Gruß-
familie. Die Kinder zählte mau jenen Männern zu, denen die Weiber zuerst
als Jungfrauen gefolgt waren. „Uxores habent deui duodeniqtte inter se
communes et maxime fratres cum fratribus parentesque cum liberis; sed qui
sunt ex iis nati, eorum habentur liberi quo primum virgo quaeque deducta est-)."
Nach Strabo (4, 201)3) soll bei deu Hibernischen Kelten sogar öffentliche
Promiskuität geherrscht haben: cpavepSs [itoYeo&ai toi? te aMais Yovaii-i xai [WjTpaai
xai aSsXcpai;. Allerdings war Strabo über die Tatsächlichkeit dieser Ver-
hältnisse nicht sicher, denn er fügte bei: xal taöxa o^outiu /.e-^uev ä>? oöx
svovtss iz'.'j-'.i-rjt fiaptupac. —
Gruppenehen wurden ferner den Cyrenäischen Nomaden4), also den
früheren Nomaden des jetzigen Barka im nordöstlichen Afrika, zugeschrieben,
und zwar im ersten Jahrhundert nach Christus. Pomponius Mela schrieb
von ihnen5): „Quanquam in familias passim ac sine lege dispersi, nihil in
■commune consultttm: tarnen, qttia singulis aliquot simul conjuges. et plures
ob id liberi agnati sunt, nnsquam pauci." Diese stelle kommentiert Bachofen:
..Wir sehen hier die Gemeinsamkeit der Weiber auf ein einzelnes bestimmtes
Geschlecht beschränkt. Nur die Verwandten bleiben beisammen: diese sind
aber durch die Mehrzahl der Frauen stets zahlreich. Hier erscheint die Frei-
heit der Geschlechtsmischung als das erste Band einer größeren menschlichen
Gemeinschaft. — Dieser letzte Satz Bachofens i>t freilich mehr spekulativ.
als historisch. —
Bei den Todas gibt es Gruppenehen ueben Polyandrie. Die Zugehörigkeit
•des Kindes siehe in § 333.
Als eine Art Gruppenehe könnte das Verhältnis der Bororö im „Männer-
haus" der Kolonie Theresa Christina. Brasilien, aufgefaßt werden. Hier
]) Andere südindische Stämme mit Promiskuität, von «leren Kindern mir aber keine
Mitteilung vorliegt, folgen in Knp LX. —Sollten die Harkneßschev Piney Hills etwa mit den
Palni Hills bei Dahmen identisch sein?
*) Caesars Comm. de Bello Gallico V. 14.
*) Bei Bachofen, 198.
4) Vgl. die Anmerkung über die Erbauung der Stadt Cyrene durch Minyer und die
Polyandrie der Minver in § 333. S. 624.
5) Bei Bachöfen, 12 f.
$•}() Kapitel L. Vater- und sogenanntes Mutterrecht usw.
findet unterschiedslose Vermischung der Männer mit den weiblichen Prostituierten
statt. Die Kinder sind Gemeingut der Männer1).
Über die Gruppenehe der Giljaken und Kodagu siehe Kapitel LX.
Vgl. ferner das „Epanga", d. h. die Weiber- und Gütergemeinschaft der Hereros
in § 311, sowie den Weiberaustausch und die Kinderübernahme bei den Nord-
indianern in Kapitel XLVII. —
§ 833. Zugehörigkeit des Kindes in polyandrischen Ehen').
Nach Bachofen3) und E. Jung*) tritt uns im indischen National-
Epos Mahabharata Draupadi, die Tochter des Draupada, Königs der Pankala,
als die gemeinsame Gattin von fünf Pandava, den Söhnen des Pandu und
dessen Gemahlin Kundi, entgegen. Dem mit der polyandrischen Ehe seiner
Tochter unzufriedenen Draupada erwidert Yudischthra. der älteste der fünf
Männer, daß Dschatila aus der Familie Gautamas, eine vortreffliche Frau, sogar
mit sieben Heiligen zusammengelebt habe, und Warkschi, die Tochter eines
heiligen Gelehrten (Muni), sei mit zehn Männern, alle Pradscheta, d. h. Männer
mit bußgeläuterten Seelen, verheiratet gewesen. —
Joseph Dahlmann, ein hervorragender Kenner der indischen Verhältnisse,
meint allerdings, diese Ehe symbolisch auffassen zu können. Draupadi ist
nach ihm kein Weib, sondern die Verkörperung der fünf Vorzüge der Lakshml,
das Ideal alles Wünschens und Wollen«, die eine himmlische Qri, welche sich
gleichzeitig den fünf Indra mitteilt. Der Dichter gebe den fünf Pandava in
der Indra-Natur eine gemeinsame göttliche Natur und schaffe in den fünf
Eigenschaften der einen Cri gleichsam das Gegenstück der fünf Indra. In
dem gemeinsamen Besitz der Cri sei der gemeinsame Besitz des einen unge-
teilten Vermögens symbolisiert. Zwar möge diese Deutung gesucht erscheinen.
aber die ältesten Rechtsbücher, die wichtigste Quelle der arischen Sitten-
geschichte, verrate keine Spur polyandrischer Sitten. Man dürfe von solchen
Bräuchen bei südlichen, bzw. dravidischen, Stämmen nicht etwas für die
älteste Kulturgeschichte des arischen Indien folgern.
Auch Ludwig bemerkte: „Wenn neuere Nachrichten von (einer indischen)
Polyandrie berichten, so ist dies unzweifelhaft als eine Verwilderung durch den
Einfluß nördlicher, nach Süden vordringender Barbaren zu betrachten, nach-
dem die brahmanische Disziplin durch Jahrhunderte von allen Seiten bedrängl
und erschüttert worden ist*).-' —
Nun dürfte es aber doch zweifelhaft erscheinen, daß eine Station die
polyandrische Eheform als Bild einer idealen Verbindung in ihr Epos einfühlte,
wenn ihr diese Eheform eines fremden Volkes zum Greuel wäre.
Sicherlich ist die im Kapitel LX zu erwähnende Berufung der neu-
zeitlichen (dravidischen) Kodagu im Dekan auf die Polyandrie der
Draupadi sehr beachtenswert. Dieses in Groppenehen (Großfamilien)
lebende Volk faßt doch wohl die Verbindung der Draupadi mit den fünf Pandava
nicht symbolisch, sondern als Tatsache auf. sonst hätte es sich nicht darauf berufen.
Aul einen „Urzustand", wie Bachofen und andere meinten, läßt freilich
auch die Polyandrie, weder bei den Ariern, noch bei den Dravida. noch bei irgend-
einem andern Volke schließen.
i) Karl von den Steinen, Unter den Naturvölkern Zentralbrasiliens. Volksansgabe.
68f. 11 187.
-> Die Aufeinanderfolge der Völker weicht in diesem Abschnitt von der sonst üblichen
i Indien und Tibel in der Polyandrie eine Hauptrolle spielen.
Uutterrecht, S. 195.
■i Polyandrie and Polygamie, Glob. 52, S. 91.
i Joseph Dahlmann: l>;is Alahabharata als Epos und Rechtsbuch. Ein Problem ;ius
Altindiens Kultur- und Literaturgeschichte. Berlin lsi'ö. S. 93ff.
§ 333. Zugehörigkeit des Kindes in polyandrischen Ehen.
«21
Was Ludwigs Gedanken betrifft, so mag- hier daran erinnert werden, daß,
nach Bachofen, gerade nach dem Norden, und zwar in die Hochtäler des
Himalaya. die Urheimat der Pandava verlegt worden ist. Mit welchem Recht,
kann ich freilich nicht entscheiden. Karl Bitter1) nannte die Polyandrie
eine der merkwürdigsten S.puren der ältesten Verbindung Hoch-
dekans mit Hochtibet.
Die Beweisführung Bachofens bezüglich des Mutterrechts in der Ehe
Draupadis scheint mir nicht geglückt zu sein. Bachofen schrieb nämlich: „Die
von Draupadi stammenden Pandava sind Muttersöhne, was die Polyandrie mit
fünf Brüdern notwendig mit sich bringt. Heißen die Kinder Pandava, so muß die
Mutter entsprechend Pandaia
genannt werden." — Aber
Draupadis Männer, also die
Väter von Draupadis Söhnen,
sind ja auch Pandava. und
so scheint mir vielmehr die
Übermacht des Mannes
durch die Bezeichnung ihres
gemeinsamen Weibes als
„Pandaia-', und zugleich die
Abstammung in männ-
licher Linie erwiesen zu
sein. —
InTibet istPolyandrie
von älteren und neueren
Forschern bezeugt worden.
Zu jenen gehört Turner2),
zu diesen W. Woodville Rock-
hill Als dieser die Tsaidam-
Mongolen in Tibet über
Polyandrie befragte, er-
widerten sie. sie komme bei
ihnen nicht vor, sei aber sonst
überall in Tibet gebräuchlich,
weshalb man nicht von
Kindern dieses oder jenes
Vaters, sondern dieser oder
jener Familie spreche3). —
Nach Michaelis*) gibt es
übrigens auch mongolische
Stämme mit Polyandrie.
Bei den sprachlich zur
isolierenden Völkerfamilie gehörigen Bhuteas (Bhot-Tibeter) in Ladak am
obern Indus in Kaschmir ist nach Ritter*) Polyandrie unter Brüdern all-
gemein; die Kinder fallen dem ältesten zu.
Nach Cunninghamü) leben nur die Ärmeren in Polyandrie; die Reicheren
in Polygamie.
Fig. 414. Eine polyandrisde Ladak-Familie. Drei Männer mit
ihrem gemeinsamen Weib und zwei Kindern. Im K. Museum für
Völkerkunde in Berlin.
!) Erdkunde 1, 763, 779 und 781. Bei Bachofen, S. 198.
2) Keise nach Tibet. S. 393, bei Bachofen S. 197.
3) Woodville Rockhill: Diary of a Journey through Mongolin and Tibet. Washington
1894, p. 193 u. Anm.
<) Bei Bachofen, 198.
6j Ebenda, S. 197.
*) Bei Emil .Jianj. Polyandrie und Polygamie (ilnli. .VJ. S. 93.
622
Kapitel L. Vater- und sogenanntes JIutte.Techt usw.
In Sirimore (Sirmur), einem Tributärstaat des Pandschab im Hima-
laja, kaufen mehrere Brüder zusammen eine Frau. Hier gehört das erst-
geborne Kind dem Ältesten, das zweite dem Nächstalten usw. '). —
Gehen wir vom Norden nach dem Süden mit seiner teils rein dravidischeu,
teils arisch-dravidischen Mischbevölkerung, so finden wir nach Emil Jung
Polyandrie (mit Neffenerbrecht) in Kanara, Malabar und Travancore bei
den Na'ir, Tiyer und Kallady2).
Nach den Quellen Bohlens3) gibt es aber bei den Na'ir Polygamie und
eine Art Promiskuität; denn Bohlen schrieb: Die Trauung wird hier im
frühesten Jugendalter vorgenommen, damit man der Reinheit der Mädchen
gewiß sein möge; alsdann aber werden die Weiber wieder entlassen, oder mit
Fig. 445. Toda. N i Igiri-Gebirge, südlicliPS Vorderindien. Baefiler phot.
künde in Berl in.
K. Museum für Volker
andern vertauscht, und sie dürfen leben mit wem sie wollen, wenn nur die
Buhlen aus höherem Stande sind4), woher es kommt, daß die Xair sich sämtlich
als Blutsfrainde. betrachten, daß keiner seinen Vater kennt, und jeder die
Schwesterkinder als seine sichersten Erben ansieht. - Ein Nair kann
aber auch die sämtlichen Schwestern eines ihm nicht verwandten Hauses
ehelichen.
Bei den Todas gibt es je nach Umständen Gruppenehen, oder Polyandrie
im engeren sinn. Nach Shorlt5) macht hier ein Weib auf alle Brüder ihres
') Jung, ebenda 92.
'-') ./«»(/, ebenda.
:l) Bei Bachofen, 1!>8.
'i Höheren Standes müssen auch die legitimen Gatten der Hindufrauen sein. Vgl. d. b<
Kapitel über Kindermord.
■) Ethnological Society, Transaction, X. S. VIT, 240. Bei Herbert Spencer: The Prini pl<
..l Sociology, Vol 1. New York 1893, p. 642.
§ 333. Zugehörigkeit des Kindes in polyaudrischen Ehen. 623
zuerst angetrauten Mannes Anspruch. Hat sie Schwestern, so werden diese,,
neben ihr, die Weiber ihres, bzw. ihrer Männer. Somit kann ein oder mehrere
Weiber mit einem oder mehreren Männern unter einem Dache in unterschiedsloser
geschlechtlicher Vermischung zusammenleben.
Nach den Mitteilungen des Toda-„Königs" Pinpurz Kutan bei H.
Harhieß') sind es zwar zunächst Brüder, welche ein Weib gemeinsam haben;
fehlt es aber an Brüdern, so werden diese durch andere Männer ersetzt, Neben
den formell angetrauten Gatten kann das Weib mit Erlaubnis dieser noch
verschiedene Zuhälter haben.
Die Polyandrie hängt hier keineswegs von der freien Wahl des einzelnen
Mannes oder Weibes ab, sondern der Zwang des Herkommens bürdet, selbst
wo Monogamie gewünscht wird, Polyandrie auf. Pinpurz Kutan und seine
Gattin Pilluvani, die monogam leben wollten, sind selbst ein Beispiel dieser Art2).
Die Verlobung des Mädchens kann schon in den ersten Monaten nach
der Geburt stattfinden. Pinpurz Kutan war sieben Jahre alt, als ihn sein
Vater mit dem ein bis zwei Monate alten Töchterlein Kinoris verlobte. Die
Verlobung zieht relativ bedeutende Verpflichtungen bis zur Hochzeit nach sich,
und kann seitens der Braut nur mit schweren Opfern gelöst werden. Der
Verlobte tut sich leichter. Kutan löste nach dem Tod seines Vaters seine
Verlobung durch drei Kühe auf, da er jetzt zur Selbstwahl berechtigt war.
Aber zwei Nebenmänner mußte er auch seiner selbstgewählten Frau Pilluvani
antrauen lassen. Sein Verhältnis zu dieser, zu den Nebenmännern, zur Nach-
kommenschaft und zum Schwiegervater schildert Pinpurz selbst folgenderweise:
Pilluvani hätte den ersten Monat mit mir, den zweiten mit Khakhood (dem
2. Gatten) und den dritten mit Tumbut (3. Gatte) leben sollen. Ich hätte
unser Weib das erste Jahr gekleidet, Khakhood das zweite, Tumbut das dritte.
Mir hätten die drei ersten Kinder gehört, Khakhood die nächsteji
drei, Tumbut die folgenden drei; dann wäre die Beihe wieder an mich
gekommen. Zwei oder drei Monate vor der Geburt eines jeden meiner Kinder
hätte ich vor meinem Schwiegervater unter Darreichung eines „Billu" 3)
meinen Anspruch auf das kommende Kind gemacht und versprochen, dieses zu
schützen und zu nähren (vgl. S. 609). Dabei hätte ich ihm 5 — 10 Bupien gegeben
und dafür aus seiner Herde die schönsten 3 — 6 Kühe wählen dürfen. Bei der
Geburt eines Knaben hätte er mir außerdem eine Färse schenken müssen,
was bei einem Mädchen wegfällt, weil die Mädchen bald verlobt werden und
dadurch zu Vermögen kommen. Nach der dritten Geburt wären meine Rechte
und Pflichten zuerst auf Khakhood und dann auf Tumbut übergegangen. Auch
sonst hätte ich ihnen etwas von meinen Rechten abtreten können. Verpflichtet
wären wir alle drei zum Schutz und zur Verheiratung aller Kinder gewesen;
im übrigen hätte ich immer die höchste Autorität gehabt, —
Wir haben hier also ein streng geregeltes polyandrisches Familiensystem,
welches aber, nach Metz, im allgemeinen wenig Sympathie zwischen den Vätern
und Kindern zeitigte.
Im Innern Ceylons herrschte, nach Tennant, besonders bei (Jen Avohl-
habenderen Klassen Polyandrie, bis Henry Ward als Gouverneur dieser Familien-
form ein Ende machte. Häufig hatte eine Frau 3—4, bisweilen 7 Männer.
Ein alter Häuptling ließ die Polyandrie der Feudalzeit entstammen. Damals
') A Uescription of a Singular Aborigiual Race Inhabiting the Summit of the
Neilgherry Hills . . . London 1832. pp. 121 ff.
") Pilluvani und Pinpurz Kutan lehnten sich gegen den alten Brauch der Polyandrie
auf, was ihnen den Haß und die Verfolgung der Verwandten Pilluvanis und der Nebenmänner,
sowie den Verlust des Vermögens zuzog. Pilluvani selbst wurde ihrem Gatten während dessen
Abwesenheit geraubt und das Kind beider seinem Schicksal überlassen.
3) Ein Stück Holz, jedenfalls mit symbolischer Bedeutung.
£24 Kapitel L. Vater- und sogenanntes Mutterrecht usw.
seien die Ehemänner häufig zu langer Abwesenheit von zu Hause gezwungen
gewesen, um dem König und den Großen des Landes persönliche Dienste zu
Leisten. Dadurch seien die Felder unbebaut geblieben1). — In neuerer Zeit
entschuldige man die Unsitte damit, daß die Polyandrie die Zersplitterung des
Grundbesitzes verhindere. Doch komme sie jetzt nur noch bei den singhale-
sischen Kandyern, einer kräftigen Rasse im gebirgigen Innern der Insel,
vor. Wie früher, so sind es auch jetzt noch Brüder, welche gemeinschaftlich
eine Frau haben. Der erste Mann kann auch einen Nichtverwandten an seinen
ehelichen Rechten teilnehmen lassen und seiner Frau so viele Männer zuführen,
als sie wünscht. - - Nach Jung wird nur der älteste Gatte von den Kindern
Vater genannt2). — Nach BertoJacci gehören sie nur ihm, erben aber dennoch
>das Vermögen auch der übrigen Männer ihrer Mutter. —
Polyandrie unter den Lakedämoniern als althergebrachten Brauch
bezeugte Polybius3). Die Kinder gehörten den drei, vier oder mehreren Männern
zusammen: „tlotpä uiv ydlp toi; Aaxsoaiu.ovioi; xaj r.axpiov t;v xat ouvtj&ss tpei? avSpa?
eyeiv ■yuva"w( xai reTrapac, ttgtj os xai TtXefouc, aSsXcpoüc ovrac, xol rexva toutwv
etvat xoiva, xal ■yevv»jaavTa rcalSa; ixavou: exSöaftai -jUVCHy.di tivi töjv <ptXa>v xaXov
X0tl OUV/j&SC."
Auch bei den Minyern4) in Arabia felix war Polyandrie üblich.
Sträbo5) erwähnte von dort eine Königstochter als die gemeinsame (iattiu
ihrer eigenen fünfzehn Brüder. Auch meldete Strabo Polyandrie nicht nur
in königlichen Familien des alten Arabien, sondern schrieb: ,. Alle Bluts-
verwandten haben gemeinsamen Besitz. Herrscher aber ist der Alteste. Eine
Frau haben alle. Wer zuerst kommt, geht hinein und wohnt ihr bei. Er
läßt seinen Stab vor der Türe stehen; denn alle pflegen Stöcke zu tragen8).
Des Nachts weilt sie bei dem Ältesten. So sind alle untereinander Brüder.
Sie wohnen auch ihren Müttern bei. Auf dem Ehebruch steht der Tod. Ehe-
brecher ist der eines andern Geschlechts."
Die Stellung der Kinder bei diesen polyandrischen Minyern ist nur an-
gedeutet: „Die Brüder werden höher geschätzt als die Kinder. Nach
der Erstgeburt richten sich Herrschaft im Geschlechte und andere Würden." —
Von den andern mir bekannten polyandrischen Völkern7) liegt mir
betreffs Nachkommen nur eine Notiz über die Neuen Hebriden vor: Hier ist
es „eine Art Übereinkommen", daß zwei Witwer mit einer Witwe leben. Sie
und die Kinder gehören beiden8). —
§ 334. Ein Überblick über die §§ 331—333 ergibt, was die Zugehörig-
keit des Kindes, bzw. das Vaterrecht und das sogenannte Mutterrecht betrifft,
folgendes:
Von den Völkern, denen unterschiedsloser Geschlechts verkehr nach-
gesagt wird, teilten die Liburner, einige Stämme des obern Libyens und die
') Bei Jung, Glob. 52, S. 92.
») Ebenda, 91 f.
3) Nach Bachofen (198) in den von Mai entdeckten, im 2. Band der Script, vctt. nova
colleetio herausg., von Lucht durchgesehenen Vaticana fr. 12,6 p. 16. — Lakonien, dessen
politischer Mittelpunkt Sparta war. war eine dorische Kolonie. Die Dorier waren, nach
Wilamowitz-Möllendorf (Einleitung in die attische Tragödie, Berlin 1889). Illyrier, welche
dio Sprache der unterworfenen Hellenen annahmen.
'l Minvi'r, ein alt- oder vorgriechischer Stamm, waren auch in Thessalien und Böotien.
l'in 680 v Chr. gründeten Minyer um der Insel Thera die Stadt Kyrene, nach welcher die
Landschaft Cyrenaika ihren Namen erhielt (vgl. S. 619, Anm. h
i L6, 783. Bei Bachofen, 13. Vgl. Jos. Müller, D. s. L. d. X.. Renaissance I, 24.
Der stah in der Erde war nicht nur bei den alten Arabern, sondern auch hei
den Massagoten u. Nas am onen das Symbol des Beischlafes. Siehe Bachofen^.S. 10» l.'iu. 19.
Vgl Kap LX.
Hob. 52, s 91.
§ 334. Vater- und sogenanntes Mutterrecht usw. 625
Garamanten die Kinder den Vätern ihrer Ähnlichkeit nach zu; bei den
Troglodyten und Galactophagen waren die Kinder Gemeingut; bei den
Ausern und Agathyrsen durften die Kinder selbst ihre Väter wählen.
Mutterrecht ist also bei diesen alten Völkern, denen Promiskuität zugeschrieben
wird, nicht nachgewiesen. Ebensowenig finden wir es bei den heutigen
Mannadis, während die Urabunna wenigstens einen charakteristischen Zug
des Mutterrechtes, d. h. Abstammung nach der weiblichen Linie, aufweisen.
Diese Tatsachen sprechen also in ihrer überwiegenden Mehrzahl nicht
zugunsten der Theorie Bachofens und späterer Gelehrten, welche sich auf
die Grundsätze stützt: Wo der Vater unbekannt ist, herrscht Mutter-
abstammung, weshalb das Mutterrecht ein Rest einer ursprünglich
allgemeinen Promiskuität ist.
Ebensowenig wird diese Theorie durch das allerdings sehr spärliche
Material über die Zugehörigkeit des Kindes in der Gruppenehe oder
Großfamilie gestützt (§ 332).
Die polyandrische Völkergruppe des vorliegenden Kapitels ergibt,
abgesehen von dem umstrittenen Fall im Mahabharata. folgendes:
Die angegebene Bezeichnung der tibetanischen Kinder nach Familien,
nicht nach den Vätern oder Müttern, ist betreff Vater- oder Mutterrecht un-
klar; die Bhuteas in Ladak eignen die Kinder dem ältesten Mann der Familie
zu; in Sirmur im Pandschab gehören die Kinder den Männern der Reihe,
bzw. der Altersfolge nach; eine sog. mutterrechtliche Erscheinung aber haben
wir im Erbgang der Nai'r; bei den Todas hingegen finden wir eine ähnliche
Zuerteilung der Kinder an die Männer wie in Sirmur. mit dem Unterschiede
nur, daß die Toda-Kinder je drei an je einen Mann, vom ersten angefangen
abwärts, verteilt werden; auf Ceylon gehören die Kinder dem ältesten, beerben
aber auch die übrigen Männer der polyandrischen Familie; bei den alten
Lacedämoniern waren die Kinder Gemeingut der Männer; die Mitteilung
über die Zugehörigkeit des Kindes in den arabischen Tyrannenfamilien zu
Strabos Zeit ist unklar. Die Vorzugsstellung der Brüder (der Mutter?) vor
den Kindern deutet auf Mutterrecht, die Bezeichnung des Ältesten als
Herrscher und das Recht der Erstgeburt auf patriarchalische Verhältnisse
hin; auf den Neuen Hebriden sind die Kinder Gemeingut der Männer.
Das Resultat ist demnach auch in der polyandrischen Gruppe ungünstig
für die fpypothese, daß das Mutterrecht mit der Unkenntnis des Vaters, bzw.
mit der Promiskuität als Urzustand der Menschheit zusammenhänge. —
Plo ß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 40
Kapitel LI.
Fortsetzung über das sogenannte Mutterrecht.
Tatsachen und Erklärungsversuche.
§ 335. Wer die Abhandlungen über das „Mutterrecht" seit Backofen,
wenigstens teilweise, verfolgt hat1), wird es begreiflich finden, daß dieses Wort
im vorliegenden und vorhergehenden Kapitel zwischen Anführungszeichen,
oder mit dem vorsichtigen Epitheton „sogenannt" erscheint. Noch hat man
allzuwenig Klarheit darüber, ob es bei jenen Erscheinungen, welche man
seit Bachofen als „mutterrechtiiche" zu bezeichnen gewöhnt ist. Rechte des
männlichen oder weiblichen Geschlechtes überhaupt, ob es im besonderen Rechte
der Mutter, oder Rechte ihres Bruders oder ihrer Sippe sind, wie ich sie zum
Teil auffasse.
Zu diesen Erscheinungen gehören vor allem: Vererbung des Namens,
Eigentums, Titels und Totems, bzw. der Mitgliedschaft der Familie
oder des Stammes (clan) durch die Mutter, nicht durch den Vater.
Bachofen und manche spätere Gelehrte, die in seine Fußtapfen traten,
verbanden mit dem Begriffe Mutterrecht im weiteren Sinn auch .Mutter-
herrschaft (Matriarchat) und. noch weiter gehend, die Herrschaft des Weibes
außerhalb der Familie, d. h. im Stamme (G ynäkokratie).
Wieder andere wandten diese drei Begriffe unterschiedslos an,
was zur Klärung der Frage nach dem Wesen, Grund und Zweck des ..Mutter-
rechtes- direkt freilich nichts beitrug, aber immerhin zu neuen Anstrengungen
angespornt haben mag. um in dieses Problem Klarheit zu bringen, was auch
teilweise gelungen ist.
In neuester Zeit meinte H. J. Böse sogar, das Problem sei nun
endgültig gelöst, indem er, mit einem Hinweis auf Fruzer, von einem Recht
der Mutter in den obigen Erscheinungen absah, das Recht ganz in die Hände
des Bruders der Mutter legte und demgemäß den Ausdruck „Mutterrecht"
durch den Ausdruck „avunculi potestas" (Gewalt, Reiht des Oheims)
ersetzte -).
ha- weibliche Geschlecht im allgemeinen hat. nach Rose, bei Völkern
mit „Mutterrecht" kein Vorrecht vor dem männlichen Geschlecht im allgemeinen,
obgleich die Ehefrau oft mehr Ansehen genießt, als ihr Ehemann. Nicht die
Mutter sei gewöhnlich das Haupt der Familie oder der Sippe (clan). sondern
der älteste Mann auf weiblicher Seite. Das Mutterrecht sei also nicht
ti ynäkokratie, sondern avunculi potestas (Oheimrecht). —
'i Kapitel 1A •_■ < - 1 1 1 auf Bachofens „Mutterrecht" und andere einschlägige Arbeiten
ein, als es hier möglich ist.
i //. .'. Böse, Hu the alleged Kvidenee for Mother-Right in Early (ireec«. In Folk-
Lore. Wll. London, September lull. p. 277 f. — liier weist übrigens Rose selbst darauf
hin, daß die Sippe (clan) des Weibes es ist. welche ihr Etechl auf ihre Töchter und deren
Nachkommen nicht aufgeben will. (Folk-Lore XXII. L'77 I )
§ 336. Das sogenannte Mutterreeht bei Indo-Europäern usw. 627
Nun begegnen uns aber im vorliegenden Kapitel Völker, welche dem
Weib, neben Abstammung und Erbgang durch dieses, tatsächlich eine hervor-
ragende, oder doch eine dem Mann ebenbürtige Stellung in- und außerhalb
der Familie einräumen, so daß man bei einer Zusammenfassung dieser Rechts-
verhältnisse eher an ein Übergewicht des weiblichen Geschlechtes, als
umgekehrt, denkt. Beispiele hierfür sind unter anderen die Palau-Insulaner,
die Khasis und Navajos (§§ 340—342).
Ferner ist der älteste Mann auf weiblicher Seite, der auf das Kind eines
"Weibes Anspruch macht, nicht immer der Oheim des Kindes (avunculus),
sondern, wie aus den folgenden Paragraphen hervorgeht, bei verschiedenen
Völkern mit „Mutterrecht" der Vater des "Weibes, also der Großvater des
Kindes; bei anderen Völkern sind es beide Eltern des "Weibes; bei anderen
„die Verwandten" des Weibes; wieder bei anderen hat das Weib allein ein
Recht über seine Kinder usw.
Demnach wird die „avunculi potestas" eine allgemein gültige Lösung
des Problems kaum sein. Vielleicht ist eine einheitliche Lösung überhaupt
nicht zu erwarten, da ja die Gründe solcher Rechtsverhältnisse bei verschiedenen
Völkern verschieden sein können. Immerhin möchte auch dieses Kapitel einen
Lösungsversuch machen. Ob er gelingt, möge hauptsächlich nach dem Schluß -
Paragraphen (§ 343), der einen Überblick über das Tatsachenmaterial er-
möglicht, beurteilt werden. —
§ 336. Das sogenannte Mutterreeht bei Indo-Europäern mit Einschluß
einiger ethnisch umstrittener Völker.
Von mehr als einer Seite ist es schon in Abrede gestellt worden, daß
das sogenannte Mutterreeht in historischer Zeit innerhalb der indo- europäisch rn
Völkerfamilie je geherrscht habe. Diese Negierung ist aber in neuerer Zeit
durch H. von Wlislockis Schilderung der Stamm- und Familienverhältnisse bei
den transsylvanischen Zeltzigeunern1) aufgehoben. Hier tritt nämlich
regelmäßig die weibliche Linie in den Vordergrund, während die männliche
Linie nur ausnahmsweise zur Geltung kommt, z. B. wenn ein Vorfahre des
Vaters mit Vojvoden- Familien, d. h. mit Familien der Stammesvorstände und
-Bevollmächtigten, verwandt war. Der Zeltzigeuner muß sich stets der Truppe,
bzw. Sippe seiner Gattin anschließen, wenn er auch von seiner eigenen Sippe
noch als Einheit mitgezählt wird. Seine Kinder gehören der Sippe seiner
Frau an, gelten mit seiner Sippe nicht einmal als nahe verwandt und können
deshalb in diese zurückheiraten; nur dürfen die Söhne nicht ihres eigenen
Vaters Schwestern ehelichen. Der junge Ehemann erhält das ganze Mobiliar
des neuen Hausstandes, d. h. Wagen, Zelte. Pferde, "Werkzeuge usw. von seiner
Frau, deren Anverwandte sorgsam über die Erhaltung dieses Vermögens wachen
und den Mann nötigen, mit der Sippschaft seiner Frau zu wandeln. Der
Zigeuner kümmert sich nach WlislocM um das leibliche und geistige Wohl
seiner Kinder nicht im geringsten; die ganze Last liegt auf der Mutter.
Stirbt diese, so fällt die Sorge für die Kinder nicht ihm, sondern
der Sippe der Verstorbenen zu. Der Vater heiratet wieder in einen anderen
Stamm und gilt der Sippe seines verstorbenen Weibes wieder als Fremder.
wenn er nicht beim ersten Haarschneiden'2) seines ersten Kindes aus der neuen
Ehe einen Mann aus jener zum „Beistand" wählt. Ein Zeltzigeuner darf auch
gar nicht zweimal aus der gleichen Sippe heiraten. „Neues Weib, neue Sippe -
lautet das Sprichwort. —
') Über die Zugehörigkeit der Zigeuner zur indo-europäischen Völkerfamilie herrscht
meines Wissens kein Zweifel mehr. Ob an eine Entlehnung der obigen Rechtsverhältnisse
zu denken ist. muß ich allerdings anderen zur Entscheidung überlassen. Siehe auch Assam, S. 040.
2j Über die Wichtigkeit dieses Aktes bei vielen Völkern s. Kap. XXXV u. a. m.
40*
(J28 Kapitel LI. Fortsetzung über das sog. Mutterrecht. Tatsachen u. Erklärungsversuche.
Andererseits nimmt die Zigeunerin eine wenig geachtete Stellung in ihrer
Sippe ein, ehe sie eine bejahrte Matrone geworden ist.
Was die indo-europäischen Völker der alten Welt betrifft, so glaubten
verschiedene Gelehrte, die bei jenen gefundenen Einzelerscheinungen des
sogenannten Mutterrechtes auf fremden Einfluß zurückführen zu müssen.
Als ein solcher Einfluß galt der der Pikten, die z. B. bei 0. Schröder, bzw.
//. Zimmer und bei Grupp als ein vorkeltisches, vorarisches (vorindo-
germanisches) Volk eingeführt sind1).
Die Gründe dieser Abtrennung der Pikten von den Indo-Europäern sind
mir nicht bekannt. Den Alten hat dieses Volk wohl als ein keltischer
Stamm gegolten. Als solcher ist er wenigstens von den Philologen K. E. Georges2)
und Franz Fügner3) aufgeführt.
Über einen Zweig dieser Pikten, d. h. die Pikten in Britannien,
schrieb H. Zimmer*): Das Mutterrecht stand bei ihnen in voller Geltung.
Es regelte die Erbfolge noch Jahrhunderte, als die Pikten längst christianisiert
und sprachlich keltisiert waren, bis zum Untergang ihres Staates im 9. Jahr-
hundert. Die Frauen nahmen nicht etwa eine besonders hohe Stellung ein;
im Gegenteil: Nirgend herrscht, soviel wir sehen, eine Frau. Die Mutter,
also die Geburt, bestimmt aber die Stammzagehörigkeit, das Erb-
recht. — Auf einen Piktenherrscher und seine Brüder folgt nicht etwa der
Sohn des ältesten, sondern der Sühn der Schwester; auf diesen und seine
eventuellen Brüder von Mutterseite folgt wieder ein Schwestersohn und so fort.
//. d'Arbois erwähnt für das nördliche Gallien und für Irland (also
für Gebiete mit keltischer Grundlage) ganz besondere Begünstigung der
Schwester-, Tochter- und Nichtensöhne; das gleiche sei in Indien und bei
den Osseten5) der Fall.
Grupp fand bei den Kelten mehr Spuren des Mutterrechts als bei den
Griechen und Römern, womit er in einen Gegensatz zu Bachofen trat, der
das Mutterrecht „vorzugsweise" bei den ältesten Stämmen der Griechen
gefunden haben wollte. Hierbei hatte Bachofen allerdings vor allem die Lykier
im Auge, deren Zugehörigkeit zur indo-europäischen Völkerfamilie Kreisch mir
in Abrede stellt, während S. Bugge an ihr festhält.
Bei diesen Lykiern nun erscheint, nach Bachofen, Mutterrecht sowohl im
Mythus, als in der Geschichte; Herodoi und Nicolaus Damascenus bezeugten es.
Aus Serodot übersetzt Bachofen die bekannte Stelle: Eine sonderbare Gewohn-
heil haben sie (die Lykier), die sonst kein anderes Volk hat. Sie benennen
sich nach der Mutter, nicht nach dem Vater. Denn wenn man einen
Lykier fragt, wer er sei, so wird er sein Geschlecht von Mutterseite angeben,
und seiner .Mutter .Mütter herzählen. Wenn eine Bürgerin mit einem Sklaven
sich verbindet, so gelten die Kinder für edelgeboren; wenn aber ein Bürger,
und wäre es der vornehmste, eine Ausländerin oder ein Kebsweib nimmt, so
genießen die Kinder keinerlei bürgerliche Rechte (<mu.ot za rexva).
Aus Nicolaus Damascenus6) übersetzt Bachofen7): Die Lykier erweisen
den Weibern mehr Eine als den Männern; sie nennen sich nach der Mutter
und vererben ihre Hinterlassenschaft auf die Töchter, nicht auf die Söhne.
Keiner glaubte Bachofen, Mutterrecht bei dem griechischen stamm der
Lnkrer annehmen zu können, welche nach Polybius (XII, 16) Muttergenealogie
'i Schrader, Reallexikon, .".elf: Grupp, Kultur. 117. 224 u. a <».
■' i Kleines Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch. :s. Auf! Lpzg. 1875.
■■i In dessen „Namensverzeichnis" zu (\its<n-* Gallischem Krieg. Lpzg. 1904.
' i Bi i.e.
'•) Iranen, gehören also zui indo-europäischen Völkerfamilie.
i Bei Mittler, fr. Inst, graec 5, 461.
») Mutterrecht, S, 1.
§ 337. ..Mutterrecht" bei Kaukasus-Völkern und Semiten? — Spuren in Spanien. Q29
in ihren hundert Adelshäusern hatten. In neuester Zeit (1911) meint hin-
gegen H. J. Böse, diese Stelle verlange keinen Schluß auf Mutterrecht, sondern
drücke aus, daß die Männer dieser Adelshäuser ihren Adel insofern ihren
Schwestern verdankten, als diese der Athene geweiht wurden. Aus diesen
hundert Häusern seien die Töchter entsprossen, welche der Athene von Ilion,
als jährlicher Tribut, geweiht wurden. Pose weist dabei auf Lykophron, 1141 ff.
hin') und übersetzt das ,,ä-ö t&v fuvaixcov" bei Polybios mit ..kam von den
Weibern", womit meines Erachtens immerhin ein bemerkenswerter sozialer
Einfluß seitens des Weibes, wenn auch nicht im Sinn der weiblichen Ab-
stammung, sondern imSinu der-BacAo/mscben Gynäkokratie ausgesprochen ist.
Umstritten ist ferner die Frage, ob das Mutterrecht bei den prähistorischen
Germanen bestand. Grupp läßt die Frage unentschieden, erinnert aber daran,
daß die Haupthelden der Nibelungensagen nach ihrer Mutter genannt sind,
wie Stuart Uterntie auf die Erzählungen vom Schwanenmädchen hinweist, in
denen der Vater eine untergeordnete Stelle einnimmt, oder ganz fehlt, und
deren Helden vaterlose Kinder sind.
Wichtiger als diese Punkte ist die Mitteilung des Taciius über die be-
vorzugte Stellung des Mutterbruders (avunculus) und der mütterlichen Ver-
wandtschaft überhaupt bei den alten Germanen. Die mütterliche Verwandtschaft
war bei der Geiselstellung ein sichereres Pfand, als die väterliche. — Ein
Soudererbrecht gewisser Verwandter von der Mutterseite weist noch das unter
König Chlodwig abgefaßte Volksrecht auf (G. Cohii). —
§ 3o7. ..Mutterrecht" bei Kaukasus-Tölkern und Semiten? — Spuren in
Spanien.
Sowohl Backofen als Grupp wiesen auf eine mutterrechtliche Erscheinung-
bei den alten Cantabrern hin. von denen Strabo*) Klokation und Dotierung
der Brüder durch die Schwestern erwähnt hatte, was wohl weibliche Erb-
folge voraussetzt.
Auch bei den Basken sollen gewisse Eigentümlichkeiten des Erbrechtes
vorhanden sein, die auf ein früheres Mutterrecht bezogen werden können
(Grupp).
Im nördlichen Spanien, dem ehemaligen Wohnsitz der Cantabrer3),
herrscht heutzutage noch in Andorra der folgende Brauch: Ist eine Tochter
die Erbin, so heiratet sie einen jüngeren Sohn aus einer anderen Familie,
nimmt ihren Gatten in ihr Haus auf und überträgt ihren Namen auf
diesen. — Wo Söhne vorhanden sind, vererbt sich der Grundbesitz allerdings
auf den erstgeborenen Sohn, dem die meist ledig bleibenden jüngeren Brüder
unterstehen und welche er zu ernähren hat (G. Diercks).
Daß in Spanien die Frauen in der Ehe ihren eigenen Namen weiter
führen, ist nach L. de Pahidini bis ins 4. Jahrh. n. Chr. nachweisbar, und
„lange Zeiten hindurch konnte ein Mann den Namen seiner Mutter statt
den seines Vaters annehmeu". Der größte spanische Maler ist uns nur unter
dem Namen seiner Mutter, „Velasquez", bekannt. — Paladini schreibt diese
Erscheinungen dem starken unabhängigen Charakter der Spanierinnen zu.
Vielleicht ist es aber iberischer Brauch. In diesem Falle ginge er auf jene
große Völkerfamilie zurück, zu denen nach Heinrich Winkler4*) die Cantabrer
') Rose, On the alleged Eridence für Mother-Right in early Greece. Folk-Lore XXII.
288 ff.
2) Bei Bachofen, Mutterrecht VI.
3) Den Alten war die ganze pyrenäische Halbinsel als ..lberia" bekannt, und
„Iberin" hieß auch die von Bergen umschlossene Ebene des kaukasischen Isthmus, welche
s< il dem 11. Jahrhundert Georgien oder Grusien heißt.
4) Das Baskische, 4.
630 Kapitel LI. Fortsetzung über des sog. Mutterreeht. Tatsachen u. Erklärungsversuche-
und Basken, aber auch die nördlichen und südlichen Kaukasus-Völker
gehören, und welche sich den Nordküsten des Mittelmeeres entlang' bis zum
untern Tigris (Elamiten) erstreckte (vgl. die im Kaukasus lebenden, jedoch
zu den Ivanen gehörenden Osseten in § 33G). —
Eine mutterrechtliche Erscheinung auf religiösem Gebiet findet sich bei
den Mandäern in Kleinasien, insofern hier der Name der Mutter, nicht
des Vaters, zusammen mit dem Namen des Kindes bei „allen geistlichen
Handlungen" gebraucht wird, denen das Kind untersteht (Ploß)1).
Da die heiligen Schriften der Mandäer nach Petermann in aramäischer
Sprache verlaßt sind, gehören sie wohl zur semitischen Völkerfamilie (?). —
§ 338. „Mutterreclitu hei Hamiten.
Im Ägypten des 14. Jahrhunderts vor Christus bezeichneten, nach
Maspero, die Kinder aus dem Volk ihre Abstammung öfter durch den Namen
der Mutter, als durch den des Vaters. Der Erbgaug der Güter jedoch war nicht
rein mutterrechtlich, sondern die Kinder beider Geschlechter erbten gleich-
mäßig, und zwar von den Eltern. Anders mag wohl der Erbgang zu Herodots
und Diodors Zeit gewesen sein, wenn deren Mitteilung richtig ist, daß den
Töchtern, nicht den Söhnen, die Alimentationspflicht gegenüber bejahrten
Eltern oblag. Wilhinson bezweifelt übrigens die Richtigkeit dieser Angabe,
weil die Skulpturen von Theben auf strenge Pflichten der Söhne gegen ihre Väter
hinweisen. Die Söhne der Könige seien beispielsweise verpflichtet gewesen, bei
feierlichen Umzügen hinter dem Siegeswagen ihres Vaters einherzugehen und
die königlichen Iusignien über ihm zu halten; saß er auf dem Thron, so standen
sie zu seiner Linken als Fächerträger; auch kam ihnen die Pflicht zu, ihn
auf seinem Palankin zu tragen, und in der Hitze des Gefechtes folgten sie
ihm mit den Amtsinsignieu zu Fuß oder zu Wagen. Achtung vor älteren
Leuten sei überhaupt Pflicht gewesen2).
■ Ob auf Grund dieser Ehrfurchtsbezeigungen im alten Theben, welches
seit 100i > v. Chr. zu dekadieren begann, die Mitteilungen der späteren Geschichts-
schreiber Herodot und Diodor anzuzweifeln sind, und ob ein Schluß von könig-
lichen auf volkstümliche Zustände gestattet ist. muß ich Berufenere ent-
scheiden lassen. Samuel Birch bezweifelt i^bei Wilhinson) auch, daß die
Ägypter der Ansicht waren, die Mutter habe wenig mehr Verdienst um das
Leben ihres Kindes als eine Amme, daß dieses vielmehr seine Existenz seinem
Vater verdanke, und daß deshalb illegitimen Kindern die gleichen Erb-
rechte zukommen, wie den Kindern der rechtmäßigen Gattin.
Nicht weniger widersprechend erscheinen ja auch die Mitteilungen über
die sittlichen Zustände in Ägypten. Einerseits schilderte Maspero den Ägypter
aus dem Volk des 14. .lahrh. v. Chr. in einem geordneten Familienleben, ja
regelmäßig- monogam, obgleich Vielweiberei gestattet war: andererseits schreibt
Sextus Empiricus im 2. Jahrhundert n. Chr. von einer iippig wuchernden
Promiskuität*). Kiese anscheinenden Widersprüche werden sich aber nur
lösen lassen, wenn man bei den Ägyptern, wie bei anderen Völkern, mit einer
Geschichte von mehreren Jahrtausenden, mit Blütezeit und Zerfall und einer
beträchtlichen Verschiedenheit ethnischer, politischer und religiöser Elemente
rechnet.
Im lt',. Jahrhundert berichtete Leo Afrieanus von den Rif-Berbern
auf Meriza, daß die Frauen ihre Männer wegen der geringsten Beleidigung
') 2. Aull. I. 177.
-i Vgl. die Charakterbildung in Ägypten, § 292, S. 425, sowie die Ehrfurcht, welche
nach Maspero der Ägypter seinen [Lindern gegen ihre Mutter einflößte, in Kap LIX.
\ gl. Kapitel IA
§ 339. „Mutterrecht" bei Sudan- und Bantu- Völkern. 631
verließen, ihre Kinder mitnahmen und andere Männer heirateten. Die Kinder
gehörten ihren Müttern.
Die von RoMfs besuchten Berber stamme des 19. Jahrhunderts hingegen
sprachen bei ihrer häufigen Verstoßung ihrer Eheweiber die Kinder den
Männern zu. Ob es sich liier um einen Übergang vom Mutterrecht zum
Vaterrecht durch den Einfluß des Islam handelt, welcher den Rechten des
Weibes im allgemeinen stark zusetzte, wage ich nicht zu entscheiden. Vielleicht
handelt es sich um Tatsachen bei verschiedenen Stämmen. Eine selbständige
Entwicklung nach dem Grundsatze, daß Vaterrecht dann einsetze, wenn die
Geschlechtsverhältnisse geordnet sind, wie Bachofen und spätere an-
nahmen, bzw. noch annehmen, ist bei diesen Berberstämmen kaum anzunehmen;
denn nach Roklfs sind ihre Kinder wegen der häufigen Ehescheidungen
und Wieder verehelichungen nicht selten in zwei oder drei Familien zer-
streut. —
Mutterrecht herrscht dann wieder bei den nördlichen Stämmen Abes-
siniens. —
§ 339. „Mutterrecht" bei Sudan- und Bautu-Völkern.
An der Goldküste treten die Negerkinder in den Stand der Mutter,
d. h. sie sind Freie oder Sklaven, je nachdem die Mutter frei oder Sklavin
ist, Als Erben gelten die Brüder und Schwesterkinder. —
Bei den Küsten-Ewe in Deutsch-Togo erben die Söhne eines ver-
storbenen Mannes dessen Haus und Grundstück, die Neffen und Nichten dessen
bewegliches Vermögen in gleichen Teilen. Die Grundstücke einer verstorbenen
Frau gehen gleichfalls auf die Kinder, die bewegliche Habe auf die älteren
Brüder und Schwestern der Verstorbenen über. Sind solche nicht vorhanden,
dann wird auch die bewegliche Habe von den Kindern geerbt.
Ebenso fällt bei den Ewe in Agonie Geld und Gut beim Tod einer Frau
an ihre Brüder und Schwestern zurück, wenn sie keine Kinder hat. Beim
Tod eines Vaters erben die Söhne den Grundbesitz und die Frauen, während
den ältesten Söhnen der wirklichen Schwestern des Verstorbenen die Sklaven
und alle andern Immobilien zufallen.
Stammbaum nach der weiblichen Linie meldet Tremearue von den
Haussa, jenem mächtigen Negervolk des inneren Westsudan, dessen verhältnis-
mäßig hohe Kultur schon Leo Africanus überraschte.
Sogenannte niutterrechtliche Erscheinungen fand auch Barth in Mittel-
afrika.
Vom untern Kongo schrieb Weeks: Nicht der Mann, sondern das Weib
isi Stammhalter. Die Kinder gehören der Familie der Mutter und beerben
den Onkel mütterlicherseits. Heim Tod der Mutter gehen sie in deren Familie,
wo sie auferzogen werden; doch hat der Vater (nicht aber seine Familie) einige
Autorität über sie. Nur wenn die Mutter der Kinder Sklavin war, bleiben
diese, gleichfalls als Sklaven, beim Vater und gehören seinem Stamm an und
werden bei seinem Ableben mit dem übrigen Nachlaß vererbt.
Wie an der Goldküste, so treten also auch am untern Kongo die Kinder
in den Stand der Mutter, sind Sklaven oder Freie, je nachdem sie es ist,
Die Würde eines Häuptlings geht bei dessen Tod nicht auf seine Kinder,
sondern auf einen seiner Brüder von der gleichen Mutter oder in Er-
manglung eines solchen, auf den ältesten Sohn der ältesten Schwester des
Verstorbenen über. Dieser Neffe erbt auch das Vermögen; das Erbe der
eigenen Kinder besteht nur in einem Stück vom Leichentuch des Vaters. Hat
die älteste Schwester des Verstorbenen keinen Sohn, dann geht das väterliche
Vermögen auf einen Bruder oder eine Schwester des Verstorbenen von der
632 Kapitel LI. Fortsetzung über das sog. Mutterreeht. Tatsachen u. Erklärungsversuche.
gleichen Mutter über, und erst wenn auch solche Erben fehlen, wird das
Vermögen unter die Eltern oder Geschwister des Verstorbenen von andern
Müttern verteilt. - Der Vater hat am untern Kongo kein Anrecht
auf das Vermögen seiner Kinder, noch darf er ihr mütterliches Erbe
angreifen. Er kann sie aber gerichtlich verfolgen, nicht umgekehrt. Die
öffentliche Meinung verlangt von ihm eine pflichttreue Behandlung "seiner
Kinder. Seinem Schutz unterstehen die Söhne bis zu 1-4 oder 15 Jahren.
Mit Eintritt dieser Zeitgrenze kommt der Onkel mütterlicherseits mit
einer Kalabasse Palmwein und fordert seinen Neffen vom Vater, der ihn
nicht zurückhalten darf. Hingegen kann sich der Junge weigern, mitzugehen
und unter der Aufsicht seines Vaters bleiben, so lang es ihm beliebt. Kommt
er der Aufforderung seines Onkels nach, dann hört mit seinem Weggehen die
Verantwortlichkeit des Vaters für ihn auf. — Die Töchter bleiben bis zu ihrer
Verheiratung bei der Mutter, wenn die Familie nicht zu zahlreich ist. Sonst
zieht die Tante oder Großmutter mütterlicherseits einige Töchter auf.
Die Zweige eines Stammes (ekaudu) werden „vumu" genannt, was
WeeJcs mit dem englischen womb (Mutterleib) in Verbindung bringt. Jeder
dieser Zweige geht von einem Weib aus und kann, wie es scheint, selbst
zu einem Stamm erstarken1). W'eeks erwähnt die drei Töchter einer Krau,
deren jede im Laufe der Zeit, d. h. durch ihre Kinder, Enkel und Urenkel,
das Haupt eines Stammes wurde. So hieß beispielsweise eine der drei Töchter
Nkenge; heutzutage nennen sich alle ihre Nachkommen ,.esi Kinkenge", d. h.
die der Nkenge Gehörigen.
Daß diese Rechtsverhältnisse hier auf lockeren Geschlechts-Ver-
hältnissen2) basieren, ist nicht wahrscheinlich. Denn WeeJcs schreibt, Ehe-
bruch werde trotz Vielweiberei3) mit schweren Strafen belegt. Allerdings
glaube man den Bräuten nicht, wenn sie geschlechtlichen Umgang vor ihrer
Verlobung in Abrede stellen. Nun fällt aber bei Vielweiberei der bei Polyandrie,
Gruppenehe und Promiskuität vorgebliche Grund des unbekannten Vaters
weg, und vorehelicher Häterismus beeinflußt selbst, wo er nachgewiesen ist,
weder Mutterabstammung noch Erbgang innerhalb der Ehe. Otto H. Schutt
freilich schildert in seinen „Reisen im südwestlichen Becken des Kongo"
das Eheverhältnis derart, daß man hier an eine Bekräftigung der IJachofenschew
Theorie denken kann :
Bei den Bondo kann der „Gatte so oft gewechselt werden, daß es manch-
mal schwer zu unterscheiden sein wird, wer der Vater eines Kindes ist, und
die Neger betrachten auch bei den meisten Stämmen den Verkehr ihrer Frauen
mit anderen Männern nicht für schändend, sehen darüber hinweg oder gestatten
ihn sogar, wenn er nur lukrativ ist. Hie Kinder erben Bang, Vermögen
und Namen auch nicht vom Vater, sondern vom Onkel, worauf bei den
Familien großer Häuptlinge besonderes Gewicht gelegt wird. Von den Kindern
eines Häuptlings sind die vor allen erbberechtigt, die aus der Ehe mit
einer Nichte hervorgegangen sind, ein Bündnis, das von ihnen, wenn irgend
tunlich, jedem anderen vorgezogen wird."
Kieser letzte Satz dürfte allerdings eher gegen als für die Annahme
sprechen, daß das Mutter- bzw. Neffenerbrecht bei diesen Stämmen auf dem
geschilderten Tiefstand ehelicher Keuschheit beruht. Denn die Ehe zwischen
Onkel und Nichte bietet ebensowenig Garantie für die Kenntnis des Vaters
wie irgendeine andere. Vielmehr scheint auch diese bevorzugte Onkel-Nichte-
Ehe auf das Bestreben der Verwandtschaft nach Erhaltung des Vermögens und
der Würde innerhalb ihrer eigenen Grenzen zurückzuführen zu sein. Der
1 öanz ähnlich dir „Suku" der Orang Mamma im Urwald auf Sumatra (§ 340)
\ ergl. die Theorie Bachofens und Späterer in den Kapiteln L und LX.
') Vergl, Rose über Vielweiberei und Mutterreeht in § 343.
§ 339. ,,Mutterrecht" bei Sudan- uud Bantu-Völkern.
633
Selbsterhaltungstrieb der Sippe würde sonach auch im südwestlichen Becken
des Congo das sogenannte Mutterrecht hervorgebracht haben.
Schutt fügte seiner obigen Mitteilung bei: Söhne, denen die Behandlung
des Vaters nicht zusagt, gehen einfach zum Onkel; ihn nennen sie tatu, das
„Vater und Herr" zugleich bedeutet. Je mehr Söhne, auch solche freiwillige
Söhne, ein Mann im Hause hat, desto reicher, desto mächtiger ist er; denn
die Kinder verursachen ihm weder Erziehungskosten, noch gibt er ihnen viel
Nahrung; im Gegenteil, sie sind seine Diener, sie gehen für ihn auf die Jagd,
sie führen Krieg für ihn, sie sind sein Hofstaat.
Gewissermaßen als Fremdkörper in der Verwandtschaft seines Weibes
gilt ferner der Bayaga (Bajaka? im westlichen Kongostaat), welcher, wenn
er heiraten will, in die Familie seiner Frau eintreten muß. Bekommt er einen
Sohn, so gehört dieser der Familie der Mutter und bleibt bei der Mutter
bis zu seiner Heirat. Er selbst aber darf wieder in seine ursprüngliche Familie
Fig. 446. Knabe aus Tschissambo.
Loango-Küst.e. Pechitel-Lösclie phot. Im
Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Fig. 447. Knabe aus Loango. Pechuel- Lösche
phot. Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
zurückkehren, sobald der Sohn so weit ist, daß er einen Elefanten töten kann-
(Crampels). (Vgl. die transsylvanischen Zeltzigeuner.)
Die Aufgabe des Bayaga scheint somit in der Zeugung und
Heranziehung von Kindern für die Sippe seines Weibes zu bestehen.
Hat er diese Aufgabe gelöst, dann ist er für diese überflüssig geworden; er
kann dahin zurückkehren, wo er geboren ist.
Das Übergewicht der Mutterschaft gegenüber der Vaterschaft, bzw. das
Übergewicht der Muttersippe über die Vatersippe findet sich ferner in der
Auffassung der Bafiote an der Loaugo-Küste. Hier folgt nach Pechuel-
Lösehe die Frau zwar ihrem Mann, behalt aber trotzdem viel festere Beziehungen
zur Familie, welcher sie entstammt, als zu ihrem Gatten. Sie gebiert ihre
Kinder nicht ihrem Gatten, sondern ihrer Familie. Nicht der Vater, sondern
die Mutter und deren Verwandte, namentlich der Erbonkel, haben
die wichtigste Verfügung über die Kinder. Wie schon erwähnt, be-
richtete Tacitus von den alten Germanen, daß bei Geiselstellung die mütter-
liche Verwandtschaft als stärkere Sicherheit galt; ähnliches erfahren wir durch
Pechuel-Lösche von den Bafiote: Die wertvollsten Geiseln und Bürgen
634 Kapitel LI. Fortsetzung über das sog. Mutterreeht. Tatsachen u. Erklärungsversuche.
des dortigen Negers sind nicht die eigenen Kinder eines Mannes, sondern die
seiner Schwester. Ferner seien liier verschiedene Klauseln des Erbrechts für
Mutter und Kinder so günstig, und die außerordentliche Liebe und Verehrung der
Kinder gegen ihre Mütter geben dieser ein solches Gewicht in der Familie,
daß. wie Pechuel-Lösche meint, „naturgemäß" auch ihre öffentliche Stellung
wesentlich beeinflußt werde. Furt und fort werde die Mutter durch ihre
Kinder vor dem Vater bevorzugt. Selbst ältere Leute rufen mich in Erinne-
rung der sorgsamen Schützerin ihrer Kindheit, in Schmerz. Not und Kummer:
„Mutter, Mama". Den Vater höre man in dieser Weise nicht erwähnen. Die
Mutter rede auch ihre längst erwachsenen Sühne und Töchter noch immer
als „Kind" an.
Hier finden wir also das Mutterreeht in Verbindung mit einer
angesehenen Stellung der Mutter in und außerhalb der Familie,
eine Art Bachofensche Gynäkokratie. Allerdings läßt sich die Unter-
ordnung des Weibes unter die Gewalt der Familie, aus welcher sie stammt,
auch hier nicht verkennen. Ihr Bruder, nicht ihre Schwester, hat ,.nament-
liclr das Verfügungsrecht über ihre Kinder. Er ist es ja, der im regelmäßigen
Lauf der Dinge seinen und der Schwester Vater überlebt; die Söhne, nicht
ilic Töchter, gelten dem Gesagten gemäß als Träger der Familienmacht, und
deshalb konzentrieren sich die Rechte und Pflichten der Sippe im „Erhonkel",
Das Weib erscheint also trotz dem sogenannten Mutterrecht und trotz allem
Ansehen in der Öffentlichkeit auch bei deiuBafiote einem Mann untergeordnet.
Dem ältesten Bruder, oder den Brüdern der Mutter gehören
die Kinder ferner in Angola. Stirbt ein Kind, so ist der Vater, oder dessen
Familie verpflichtet, dem gesetzlichen Eigentümer den Schaden mit Sklaven
oder Vieh zu ersetzen. Auch in diesem (iebiet gewahrte Pogge, der ilieses
berichtet, „oft eine attische, übergroße Sorgfalt-' der Mütter für ihre Kinder,
was Pogge teils auf den natürlichen engen Zusammenhang zwischen Mutter
und Kind, teils auf das erwähnte Rechtsverhältnis zurückbezieht.
In Kimbundu, Angola, haben die Erbonkel als Eigentümer der Söhne
ihrer Schwestern unbeschränktes (?) Recht über sie. dürfen sie im Notfall auch
verkaufen. Erben und Eigentum des Vaters sind nur die ihm von Sklavinnen
gehornen Kinder {Magyar).
Wie der Bantu-Neger in Angola, so ist auch der Herero der Familie
seiner Frau für seine Kinder verantwortlich. Stirbt eines, oder kommt eine
Mißgeburt vor, so muß er seinem Schwiegervater dafür eine Anzahl Rinder
liefern ( //. von FVangois).
In den Gebieten zwischen den Oberläufen von Nil und Congo konnte
■ hm CzeJcanowsM zwar keinen Clan beobachten, wo die Verwandtschaft nach
der mütterlichen Linie bezeichnet würde, doch beerbte der Häuptling
Gumbary den Bruder seine] Mutter, trotzdem dieser selbst einen Sohn hatte.
Ferner begegnete Czehanowskx beim Az and e- Häuptling1) Kissasi einem Mann,
dessen Kitern ein Sogo-Mann und eine Zande-Fran waren. Dieser Mann
wurde zum Clan seiner Mutter gerechnet. CzekanowsJci ist geneigt, diese
Erscheinungen, als Überreste des „Matriarchats", mit dem dortigen sittlichen
Tiefstand in Verbindung zu bringen. Geschlechtliche Verhältnisse zwischen
Vater und Tochter sollen bei den Avungura der Azandedynasten nicht selten sein.
In Deutsch-Ostafrika selten bei den nördlichen Wanjamwesi in
Usukuma die Kinder als Eigentum des Vaters; trotzdem beerben die Söhne
nicht ihre Väter, sondern ihre Onkel mütterlicherseits. Erben der Väter sind
bei den Wanjamwesi nur jene ihrer Kinder, welche ihnen von Sklavinnen
geboren wurden. Die Eingebornen begründen diesen Brauch mit der Angabe,
') Azanda = Asande = Njam-Njam im nordöstlichen Kongo-Staat und französischen S
§ 339. „Mutfcerrecht" bei SudaD- und Bautu-Völkern.
635
die Kinder der rechtmäßigen Frauen seien weniger hilfsbedürftig, da sie sich
an Freunde und Verwandte halten können. Allerdings lesen wir bei Andrer,
der dieses mitteilt, auch: „Unter den Wanjamwesi herrscht der Brauch, daß
die unehelichen Kinder mit den ehelichen bei der Erbschaft in gleiche Teile
gehen."
Eine merkwürdige Verquickung von Mutter-, Vater- und Sippen-
recht neben der Herunterwürdigung der Mutter und ihrer Kinder
zum Erbgegenstand finden wir bei den
Wadigo im nördlichsten Küstengebiet von
Deutsch-Ostafrika.
Erbe ist hier gewöhnlich der nächste
männliche oder weibliche Blutsverwandte durch
Mutterabstammung. Es kommt aber nach
St. Paul Hihi nr auch vor," daß ein Sklave,
der durch besondere Tüchtigkeit sich Achtung
und Einfluß in der Familie erworben hat, beim
Tode seines Herrn dessen ganze Eibschaft
antritt, also auch berechtigt ist, die Frauen
seines Herrn zu übernehmen und dessen Töchter
zu verheiraten. Diese „Erbschafts- Vormund-
schaft" tritt besonders dort ein, wo der be-
rechtigte Erbe noch sehr jung ist. Sämtliche,
etwa später erbberechtigte. Verwandte müssen
aber mit dieser Vormundschaft einverstanden
sein. Sie erkennen dann den betreffenden
Sklaven bis zu dessen Tod als das Haupt
ihrer Familie an. Erst nach dessen Tod tritt
der eigentliche Erbe, wenn unterdessen er-
wachsen, das Erbe an. Da dieser für die
Schulden des Erblassers haftbar ist, kann er
die Kinder des Verstorbenen von einer Neben-
frau (shuri) und, wenn nötig, auch die einer
rechtmäßigen Frau zur Schuldendeckung in
die Sklaverei verkaufen.
Die Witwe (wohl die Hauptfrau gemeint)
kann übrigens, wenn sie es wünscht, mit ihren
Kindern zu ihrer Familie zurückkehren, oder
die Kinder allein dem berechtigten Erben
ihres Mannes überlassen.
Bei Ehescheidungen folgen die
Kinder, wenn der Mann das Heiratsgut
zurückverlangt, der Mutter. Verzichtet
er auf dieses, so behält er die Kinder,
kann etwaige Töchter verheiraten und den für sie gelösten Brautpreis behalten.
Willigt ein Mann nicht in die Scheidung ein, gestattet aber seiner Frau, mit
einem andern zu leben, so gehören ihm auch die aus dieser Verbindung her-
vorgegangenen Kinder. -- Auch bei den Wakhutu gehören die Kinder eines
Mannes dem Bruder seiner Frau (Andree).
Weule schrieb aus dem südlichen Deutsch-Ostafrika: Wir leben
hier in Ostafrika ganz im Gebiete- des Mutterrechts; da gilt der Vater
nichts; er ist sozusagen nur angeheiratet. Er ist zwar der Vater seiner
Kinder, doch kaum ihr Verwandter; er gehört eben einer anderen
Sippe an. Die junge Frau siedelt nicht mit in das Heim des Ehemanns
über, sie tritt auch nicht in seine Verwandtschaft hinein, sondern der Mann
Fig. 148. Mädchen aus Ilonga, Deutsch-
Ostafrika. Von den Missionären r Sp. S.
in Knechtsteden.
G36 Kapitel LI. Fortsetzung über das sog. Mutterrecht. Tatsachen u. Erklärungsversuche.
verläßt Vater und Mutter und zieht entweder direkt ins schwiegermütterliche
Haus, oder baut sich doch unmittelbar daneben an. Erben des Vaters
sind nicht seine Kinder, sondern ein Schwestersohn.
Bei den Makonde, ebendort, leben die Söhne von ihrer Beschneidung
an nicht mehr im Elternhans, sondern beim Onkel mütterlicherseits, wo sie
warten, bis die Töchter des Onkels heiratsfähig sind. Noch als Ehemann
dient der Makonde seinem Onkel und Schwiegervater gleichsam als Höriger.
Bei den Basutos gehört das Erstgeborene den Eltern der Frau.
Bereits nach der Entwöhnung wird es ihnen gebracht, und die wirklichen
Eltern haben keinen Anspruch mehr auf das Kind. Ist es ein Mädchen, so
fällt den Großeltern mütterlicherseits auch der Brautpreis zu. Hingegen' gilt
für die folgenden Kinder die Autorität des Vaters allein. Ohne seine* Zu-
stimmung darf nichts geschehen.
Fig. 44!i. Drei Gassenjungen aus Peramiho, Deutsch-Ost a f ri k a. Härder |>1i • >i .
S 340. „Mutterrechl" bei raalayisch-polynesischen Völkern inkl. Negritos,
Papuas und Australier.
Zu den malayisch-polynesischen Völkern übergehend, finden wir bei den
Orang-Laut. Küstenstämme von Malakka, Zugehörigkeit der Kinder
zum Geschlecht der Mutter. Von dieser Erscheinung abgesehen, herrscht
nach Josef Kohler bei den „Urstämmen" von .Malakka Vaterrecht
„Die ersten Anfänge (?) des Mutterreehts" fand M. Moszkowski bei den
Akiks und Sakeis1), welche dieser Forscher „die primitivsten" Völker nennt.
d. h. Völker, die auf der uns bekannten tiefsten Kulturstufe stehen. - Ein
Znsammenhang des Mutterrechts mit Promiskuität ist auch hier kaum anzu-
nehmen, weil Moszkowski schreibt, daß immer nur eine Familie mit ihren
Kindern in einem Hause zusammen lebt, und daß die einzelnen Familien
weit zerstreut wohnen.
Bei den Orang Mamma'-') (Mamaq), einem Völklein im Urwald auf
Sumatra, welches von Felix Speiser mit den eben erwähnten Sakeis (Sakais),
'i Die Sakeis sind Verwandte der Senois auf Malakka.
■i Bio Fischer- und Jäger volk, das Bach etwas Reisbau betreibt. Es wird, wie die
obigen Völker, somatisch vielfach zu den Negritos oder Pygmäen gerechnet. Nach
I die (»rang Mamma eine Mischung von Malaycn und Weddahs.
§ 340. „Mutterrecht" bei malayisch-polynesischen Völkern usw. (537
den Kubu und Weddahs auf die gleiche Kulturstufe gestellt wird, finden
wir mit dem sogenannten Mutterrecht eine soziale Organisation verbunden, die,
wie schon früher angedeutet, auffallend an die „vumu" am untern Kongo er-
innert (§ 339). Graafland schreibt nämlich über die Ürang Mamma, die
sogar ihren Namen dem sogenannten Mutterrecht verdanken sollen, insofern
„Mamma" „Onkel von der Mutterseite", also Bruder der Mutter bedeute:
Diese Mamma sind die Familien und Sippenhäupter; aus ihnen werden
die Häuptlinge gewählt. Das Volk ist in Sukus eingeteilt. Eine Suku
umfaßt alle Abkömmlinge einer Stammutter auf der Frauenlinie1).
Die Familie besteht nur aus der Frau und ihren Kindern; der Mann gehört
nicht dazu und hat keine Beeilte auf seine Kinder. Die Gatten wohnen
selten beisammen, da nach der Kegel Mann und Weib nach der Heirat jedes
in seiner Suku bleibt, In den Ausnahmsfällen ist es immer der Mann, welcher
in die Suku der Frau eintritt, Seine Stelle als Haupt der Familie, bzw.
Sippe, vertritt der älteste Bruder der Frau, der „Mamaq". Aus diesen Mamaqs
wird das Haupt der Suku gewählt, der „Panghulu". Würden gehen aus-
schließlich durch die Frauenlinie; ebenso die Erbschaft2).
Felix Speiser nennt diese Darstellung Grraaflands allerdings ein „Schul-
beispiel".
Ein gewisses Kecht der Verwandten mütterlicherseits auf die Kinder
haben auch die Battak (vgl. das Erbrecht des Kindes mit Ausschluß des
Mutterrechts in Kap. LH). - In Semendo, wo Brautkauf verboten ist, gilt
die älteste Tochter als Stammhalterin.
Die muselmanischen Strandbewohner von Seram bezahlen der Familie
ihrer Frauen das mas Kawin, d. h. ein Ehepfand, dessen Wert fast der Höhe
des Brautpreises entspricht, Ohne die Leistung des mas Kawin könnte der
Mann weder Frau noch Kind sein eigen nennen; vielmehr würden beide dem
Stamm der Mutter angehören. Nach der Entrichtung desselben hört jedes
Becht seitens der Familie der Frau auf diese und auch auf ihre Kinder auf.
Mutterrecht hat Ploß (II, 394) von den Alfuren auf Mina Hassa,
der nördlichsten Halbinsel von Celebes, erwähnt.
Auf den Karolinen, Yap ausgenommen, bildet die Frau und Mutter,
mehr als der Mann und Vater, den Mittelpunkt der Familie. Gewöhnlich zieht
der Mann zum Stamm seiner Frau und kehrt nach ihrem Tod mit Hinter-
lassung der Kinder wieder zu seinem eigenen Stamm zurück. Bang und
Stammeshoheit sind durch die Mutter erblich. — Die folgende Schilderung der
diesbezüglichen Verhältnisse auf den Palau-Inseln, westliche Karolinen,
zeigt uns die Frau auch außerhalb ihrer Familie in angesehener
Stellung. Missionar Salvator schreibt nämlich: Das weibliche Geschlecht
steht hier dem männlichen unabhängig und selbständig gegenüber. Die Frauen
bilden gleichsam einen Staat für sich, haben, wie die Männer, ihre eigenen
Klubs und regeln ihre Angelegenheiten selbständig unter sich. Sie brauchen
die Männer nicht, wohl aber brauchen die Männer sie zur Besorgung des
Haushalts und der Tarofelder. Ein bezeichnender Ausdruck dieser hohen
sozialen Stellung der Frau ist die weibliche Erbfolge. Die Familien- und
stammesgüter vererben sich, wie die Häuptlingstitel, nicht vom Vater auf den
Sohn, sondern gehen auf die Nachkommenschaft seiner Schwestern über3).
Der Ehemann als solcher spielt eine ganz untergeordnete Bolle. Nur in der
') V'ergl. die obigen „Vumu".
2) Diese Orang Mamma leben in strenger Monogamie. Brautkauf gibt es nicht.
3) Von einer „avuneuli potestas" bemerkt P. Salvator nichts. Der Bruder der Haus-
mutter seheint weder über sie noch über ihre Kinder Autorität auszuüben.
i;:;,s
Kapitel LI. Fortsetzung über das sog. Mutterrecht. Tatsachen u. Erklärungsversuche
weiblichen Linie besteht die Stärke des Stammes; nur im weiblichen
Geschlecht erhält sich die Familie in ihrer Eigenart: die Frauen sind die
Zukunft und Hoffnung- des Landes; sie sind die „ardalal Bälau", die
Mütter von Palau.
Was Yap betrifft, so gehören, wie es scheint, nur jene Kinder der
Familie der Frau, welche nach einer Ehescheidung das Licht der Welt er-
blicken (Senfft).
Die Chamorros auf den Marianen sprachen bei ihren häufigen Ehe-
scheidungen den Frauen sowohl Kinder als Vermögen zu.
Auf den Marschall-Inseln wird der Kang der Häuptlingskinder an
erster Stelle nicht durch den Rang des Vaters, sondern durch den der Mutter
bestimmt. Durch diese vererbt sich das adelige Geschlecht.
Über Nauru liegen mir zwei sich teils widersprechende Mitteilungen
vor. Nach Brandeis folgen bei dem herrschenden Mutterrecht die Kinder der
Familie der Mutter; den Häuptlingen aber ihr ältester Sohn: nur in Er-
mangelung eines eigenen Sohnes folgt der (älteste?) Sohn der ältesten Schwester. —•
Jung schreibt: Auf Nauru gehören die Kinder dem Stamme der Mutter an.
Da somit die Söhne eines Häuptlings nicht dessen Würde erben können,
wählen sie sich eine Frau aus dem Stamme des Vaters und pflanzen die Häupt-
lingswürde in ihrer Familie durch den ersten Sohn aus dieser Ehe fort. Somit
folgt nicht der Sohn, sondern der Enkel des Häuptlings diesem in seiner
Würde. Bei Ehescheidungen bleiben nach Jung die Söhne gewöhnlich beim
Vater; die Töchter folgen der Mutter.
Nach Brandeis gehen die Kinder geschiedener Paare willkürlich hin und
her, bald zum Vater, bald zur Mutter. - 1 »er Erbgang der Güter trägt teils
vater-, teils mutterrechtlichen Charakter. Viele Väter verteilen, wie Brandeis
schreibt, ihr Land oft noch bei Lebzeiten an ihre Söhne, falls diese gu1 Für
sie sorgen. Den Schmuck der Mutter erbt die älteste Tochter; die jüngeren
können ihn aber auch benutzen. — Jung stellt als Regel gleiche Erbteile für
alle Kinder auf. Nur wenn in einer Familie mehrere Töchter und nur ein
Sohn vorhanden sei, falle diesem ein größeres Erbteil zu. Bei Vernachlässigung
der Kitern an deren Lebensende, oder als Folge schlechter Behandlung der
Eltern durch ihre Kinder, trete auch Enterbung ein. — In Ermangelung einer
Tochter vergräbt man den Schmuck und die Kostbarkeiten der verstorbenen
Mutter, oder man versenkt beides ins Meer.
Als Polynesier mit Mutterrecht erwähnte Floß (II, 393) die Tonga-
[nsulaner. — Hei den Melanesien! auf den Banks- Inseln vererbt sich das
Landstück stets auf die Kinder der Schwester, welche als Verwandte „der-
selben Seite des Hauses" bezeichnet werden.
Auf den Viti-Inseln und Neuguinea gibl es Vater- und Mutterrecht;
bei den Motu-, Motu letzteres ausschließlich (siehe § 325, Kap. XL1X).
Auf Alu (Salomo-Inseln), wo ein reich ausgebildetes System von Totem-
Klassen besteht, richtet sich Totem und Erbfolge nach der Mutler. Auch in
Huin au der Südspitze der Salomo-InselBougainville gehört der Sohn /.um
Totem der Mutter, achtet alier auch das Totem seines Vaters.
Im Bismarck-Archipel nennen die Laur auf Neu-Mecklenburg ihre
Kinder nach dem Vogel '1er Mutter. Die Laur lassen nämlich das ganze
Menschengeschlecht von zwei Vögeln, dem mälaba oder pakiläba und dem
rragon oder tarrago, /«ei Adlerarten, abstammen. Auch der Familienname
wird nicht vom Vater, sondern von der Mutter geerbt.
In ,1er Blanchebucht, Neupommern, kommt die väterliche Linie bei
Feststellung der Verwandtschaft weder auf- noch seitwärts in Betracht.
§ 340. „Mutterrecht" bei malayisch-polynesisclieu Völkern usw. 639
Der Oststamm der Gazellen-Halbinsel kennt nach Jos. Meier keine
Familien-, sondern nur Stammesangehörigkeit, „weshalb auch das Mutterrecht
Geltung hat". Der Bruder der Mutter steht über den Eltern der Kinder; der
Vater hat über diese kein Bestimmungsrecht. Weib und Kind verbleiben
dem Stamm der Mutter; die Söhne beerben den Onkel mütterlicherseits. Das
Weib kann ihren Mann beim geringsten unliebsamen Vorkommnis verlassen.
In Australien ist nach F. Graebner die Existenz des väterlichen
Lokaltotemismus bis in den äußersten Südosten nachgewiesen; zwar herrscht
in Victoria Mutterrecht, aber ein starker Einschlag eines ursprünglichen
vaterrechtlichen Lokaltotemismus sei nicht zu bestreiten. Hingegen tritt uns
in der Darstellung des Erbrechtes durch Spencer und Gittert Erbgang durch
das Weib bei einer Reihe von Stämmen entgegen. Nach dem Erbrecht
der Warramunga, Walpari, Wulmala, Tjingilli, Umbaia und Bin-
binga geht, nach diesen beiden Forschern, der materielle Besitz eines Ver-
storbenen nicht auf seine Kinder, sondern auf die Brüder seiner Mutter,
oder auf die Ehemänner seiner Töchter über. Im ersten Fall haben wir
also den ..Erbonkel"' afrikanischer und anderer mutterrechtlicher Völker mit
umgekehrter Bolle, d. h. er tritt in Australien als Erbe seiner Neffen schwester-
seits auf, was freilich des Alterunterschiedes wegen kaum oft praktisch ein-
treten wird. Vaterrechtlichen Erbgang haben nach Spencer und Gillen
die Arunta, Kaitish und Unmatjera. Bei diesen Stämmen hat jedes
Individuum profanes und heiliges Eigentum. Jenes besteht in Tieren, Waffen,
Handwerkszeug u. a. m.. und kann zu Lebzeiten des Besitzers nach Gutdünken
weggegeben werden. Das heilige „Chüringa" ]) aber wird nach ganz be-
stimmten Gesetzen vererbt: Der Vater hinterläßt es seinem ältesten oder
einzigen Sohn. Ist der Sohn noch klein, dann geht es bis zu dessen Mann-
barkeit an einen jüngeren rechten Bruder, oder an einen Stammesbruder des
Verstorbenen über. In Ermangelung eines Sohnes tritt ein Bruder als Erbe
des „Chüringa" ein, von welchem es auf dessen Sohn übergeht. Dieser heilige
Gegenstand besteht in einem Holz oder Stein in Form eines Bumerang, oder
einer großen Messerscheide, oder eines Pfahles mit stumpfer Spitze, oder eines
Brettchens. Er gilt als Erbstück aus der mythischen Vorzeit, als Sitz eines
Geistes und berechtigt den Besitzer zur Ausführung bestimmter Zeremonien -).
Im wirklichen Sinn des Wortes ist das Chüringa freilich nicht ausschließlicher
Privatbesitz, sondern steht im heiligen Vorratshaus der lokalen Stammesgruppe
unter Aufsicht des Häuptlings. Es scheint, daß Töchter auf dieses heilige
Erbe im allgemeinen keinen Anspruch haben, obgleich auch Weiber Bein-
karuationen berühmter Ahnen sein und Chüringas als Sitze von Ahnengeistern
besitzen können. Bei ihrem Tod gehen diese Heiligtümer auf ihre jüngeren
eigentlichen Brüder oder auf jüngere Stammesbrüder über, welche von den
Verwandten der Verstorbenen bestimmt werden. Bei den Warramunga
scheint sich übrigens das Chüringa auch durch das Weib zu vererben; denn
Spencer und Gillen schreiben, daß es dort mit dem materiellen Besitz gehe,
welcher, wie oben erwähnt, dem Onkel mütterlicherseits, oder den Ehemännern
der Töchter zufällt. Aber das Chüringa der Warramunga verleiht dem
privaten Besitzer keine zeremoniellen Vorrechte, da diese nach dem Glauben
dieses Stammes nur den Stammesgruppen als Einheiten zukommen.
Die Abstammung nach weiblicher Linie bei dem australischen Stamm
der Urabunna wurde in Kapitel L erwähnt. —
') Dieses Chüringa erinnert als „Sitz der Ahnengeister" stark an die „Seelentäfelchen"
der Chinesen, Japaner, Koreaner usw. in Kap. XLVIII.
-) Die Bedeutung, welche solche Gegenstände im Fruch tbarkeits- bzw. Ge-
schlechtskult haben, läßt deren Bedeutung auch im Erbrecht erraten, was mit dem „Sitz
der Ahnengeister' selbstverständlich nicht in Widerspruch steht.
■640 Kapitel LI. Fortsetzung über das sog. llutterrecht. Tatsachen u. Erklärungsversuche.
§ 341. ,,M litterrecht" in Hinterindien. Spuren von Gynäkokratie und
Neffenerbrecht im japanischen Mythus.
Der japanische Mythus weist Erscheinungen auf, welche den Charakter
der Gynäkokratie und des Neffenerbrechtes tragen. Ph. Frhr. von Siebold
schrieb: „Unter den vielen Kindern, die Izanagi mit seinem göttlichen Weibe
gezeugt hatte, war die älteste Tochter. Ama terasu ökami, der Himmel
erleuchtende große Geist, die tugendhafteste. Sie wurde von ihren himm-
lischen Eltern als Thronerbin des irdischen Reiches erwählt und herrschte
neben ihrem Bruder Tsuki jo mi no mikotü, dem durch die Nacht schauenden
göttlichen Monde, über die Schöpfungen ihrer Eltern. Nachdem zweihundert-
fünfzigtausend Jahre verflossen, übergab sie das Reich ihrem Neffen, den
sie an Sohnes Statt angenommen hatte." —
In Assam') finden wir ein eigentliches Matriarchat in Verbindung mit
Gynäkokratie, die Herrschaft des Weibes in und außerhalb der Familie
im Sinne Backofen^. P. R. T. Gurdon berichtet nämlich von den dortigen
Khasis und Syntengs: Hier können die Söhne nicht erben, überhaupt nur
Selbsterworbenes als Eigentum besitzen. Die Mutter ist zeitlebens das
Haupt der Familie, Eigentümerin und Hüterin des Familien-Ver-
mögens. Nach ihrem Tod geht letzteres auf ihre jüngste Tochter
über, oder wird gleichmäßig unter sämtliche Töchter verteilt. In Er-
mangelung von Töchtern erbt die jüngste Nichte, und fehlt auch eine Nichte,
so ist die jüngste Base Erbin. Die Häuptlingswürde vererbt sich durch
die weibliche Linie.
Besonders wichtig sind die Mitteilungen C. Beckers über Matriarchat und
Gynäkokratie in Nongkrem oder Khyrim, dem größten der 25 Khasi -Klein-
staaten2), welcher zur britischen Regierung in einem gewissen Abhängigkeits-
verhältnis steht und, hauptsächlich wegen seiner jährlichen großen Opferfeste, der
bekannteste ist. Abgesehen vom Matriarchat im Privatleben, welches den Khasis
gemeinsam zu sein scheint, finden wir es hier in der königlichen Familie
verbunden mit Gynäkokratie in der höchsten Potenz. Denn wohl
regiert der König S'iem in weltlichen Dingen, aber nur, nachdem die
ka S'iem sad, die Hohepriesterin. ihm diese Regierung übertragen
hat. Sad bedeutet nach Becker „die Gottheit, welche über die königlichen
Geschlechter wacht". Der König handelt gleichsam als Bevollmächtigter der
Hohenpriesterin. Diese ist die Mutter, oder Tante, oder doch entfernte Ver-
wandte des jeweiligen S'iem. Ihre eigene Würde aber vererbt sich nach ihrem
Tod auf keinen Mann, sondern auf ihre älteste lebende Tochter; ist diese
schon gestorben, dann geht die Würde auf die älteste Tochter der ältesten
Tochter; in Ermangelung dieser Enkelin auf die älteste Tochter der zweiten
Tochter usf. Fehlt jede Tochter und Enkelin, dann tritt die älteste lebende
Schwester in das Amt ein; fehlt es auch an Schwestern, so ist die älteste
Tochter der ältesten Schwester der Mutter der verstorbenen S'iem sad Nach-
folgerin usf. In Sachen der Religion ist diese Hohepriesterin alleinige Herrin;
aber auch die Finanzen des kleinen Reiches hat sie in Verwahr. Alles, was an
Steuern, Marktabgaben, durch Rechtspflege u. dgl. eingeht, muß an sie ab-
geliefert weiden. Sie kann darüber nach Gutdünken verfügen, während der
S'iem die Geldmittel zur Bestreitung der Regierungsauslagen von ihr erhält.
Von besonderer Wichtigkeil für die Ansicht Backofens, daß die Frucht-
barkeit des Weibes die tiefste Grundlage des Mutterrechtes sei,
dürfte die folgende Mitteilung Beckers sein: Im Hause der S'iem sad. also der
Bohenpriesterin und Spenderin der Herrscherwürde, befindet sich in der
'i Das Lssami isl ein arischer Dialekt
*) I * i ■ - Khasis sind ein Hauptstamm der Lohita-Völker; sie gehören also zu den
in mi: isolierenden Sprachen.
§ 342. „Mutterrecht" bei Indianern.
641
Mitte ein Pfosten, der vom Boden bis zum Dachfirst hinaufreicht. Er wird
u rishot Blei (Pfosten, Säule Gottes) genannt und dient gleichsam als der
Altar, vor dem vielfach Opfer stattfinden. Die Säule ist zwar nach Becker
nichts anderes, als der Stamm der Khasi-Eiche, die dem Khasi heilig ist,
aber der Baumkult der Völker weist deutlich darauf hin, daß dieser Stamm
der Khasi-Eiche das Bild des Volksstammes ist, der sich fortpflanzt von
Geschlecht zu Geschlecht. Der Fruchtbarkeitskult kommt nach der
obigen Schilderung der hervorragenden Stellung des weiblichen Geschlechtes
in Nongkrem, wie bei den Khasi überhaupt, dem Weibe mehr als dem Manne
zugute, und daher Matriarchat und Gynäkokratie.
Der Avunculus tritt hier im Ahnenkult hervor. Dem Geiste des ersten
Großonkels mütterlicherseits, „der der erste König war", und der (weiblichen?)
Gottheit, „welche die Könige zu Königen macht", werden Opfer gebracht. —
Bei den Kaupuis, einem Bergstanini in Manipur, Burma, hat der
Ehemann, dem ein Kind stirbt,
seinem Schwiegervater Ent-
schädigung zu zahlen. Das gleiche
gilt, wenn ihm sein Weib stirbt
(vgl. d. muselman. Strandbew.
von Seram, S. 637). George Watt
bemerkt zur obigen Mitteilung, das
Recht eines Kaupni erstrecke
sich auch noch über seine ver-
heiratete Tochter. — Eiue
gleiche Erscheinung kennen wir
aus dem alten Rom.
§ U'l. „Mutterrecht" bei
Indianern.
Abstammung und Erbgang
durch die Mutter, statt durch den
Vater, gibt es auch bei ameri-
kanischen Völkern; PJoß1) schrieb
sogar: „Bei fast allen Völker-
stämmen Nord-Amerikas",
nannte aber nur die Irokesen,
die Völker von Nordkarolina,
die Tscherokesen und die Kolju sehen. Nun sind aber die Tscherokesen
nur ein Zweig des Irokesen-Stammes (Scobel) in Nordkarolina. Von den
Irokesen schrieb Herbert Spencer im Hinweis auf L.H.Morgan, daß Mann
und Weib je sein besonderes Eigentum hatte ( . . . the proprietary rights
of husband and wife remained distinet), und daß die Kinder bei Ehetrennungen
mit der Mutter gingen. Der Erbgang war nach dieser Mitteilung also nicht
rein mutterrechtlich.
Bei den Koluschen oder Thlinkit geht das Erbe auf den Schwester-
sohn, und ist ein solcher nicht vorhanden, auf den jüngeren Bruder des Ver-
storbenen. Die Kinder gehören zum Geschlechte der Mutter.
Bei den Indianern des Queen -Charlotte- Sund geht, nach Hesse- Wartegg,
Rang und Titel des Familienoberhauptes nicht vom Vater auf den Sohn,
sondern vom Onkel auf den Neffen (Sohn der Schwester oder des Bruders?) über,
was aber mit großen Opfern verbunden ist. Denn ehe man dem neuen
Fig. 450. Halbzivilisierte Irokesinnen mit Kindern. Am
i iliereu See in Michigan. Im K. Ethnograph. Museum in
Müh ehen.
i) 2. Aufl. H, 409.
Ploß-Renz. Das Kind. 3. Aufl. Band II.
41
(342 Kapitel LI. Fortsetzung über das sog. Mutterrecht. Tatsachen u. Erklärungsversuche.
Familien- und Stammhaupte die Totem-Säule übergibt, muß er der Familie
des verstorbenen Hauptes reiche Geschenke machen, für welche bisweilen sein
ganzes Vermögen nicht ausreicht, Ist er nicht reich genug, um jedes Mitglied
mit Decken, Perlen u. dgl. beschenken zu können, dann geht die Würde auf
einen andern, reicheren oder ehrgeizigeren. Verwandten über.
Bei den Ohama in Nebraska gehören nur die Kinder von fremden
Männern zum Geschlechte der Mutter.
Als „Matriarchat" und mit einem gewissen Grad Gynäkokratie außer-
halb der Familie verbunden tritt uns das sog. Mutterrecht bei den Navajo
in Neumexiko und Arizona entgegen, von denen F. Leopold Ostermann
Fi;;. 151. [ndianei aus Caughnawaga bei Montreal, einem Irokesendorf mit vielen Mischlingen. Im
K. Ethnograph. Museum in München.
berichtet: Die gesellschaftliche Stellung der Navajo-Indianerin ist sehr unab-
hängig. Sie selbst verwaltet ihr Vermögen, und ihr gehören die Kinder, die
ihrem Stamm zugerechnet werden. Der Mann darf die Kinder nur mit der
Zustimmung der Mutter strafen, und hat überhaupt wenig darüber zu sa-eii.
Auf Uispaniola (Haiti) erbten zur Zeit der Entdeckung die eigenen
Kinder eines Häuptlings nur in Ermanglang anderer Erben. Das erste An-
recht hatte der älteste Sohn der ältesten Schwester. Waren seitens der
Schwestern keine männlichen Erben da, dann kamen die Söhne der Brüder
in Betracht
Die Eingebornen von Haiti waren meines Wissens Karaiben. Bei den
Karaiben der Nordküste Südamerikas erbten abei nach Floß (II, 409) die
Söhne meist von ihren Vätern1); bei Ehetrennungen fielen die Kinder der Mutter ZU.
i Vielleicht handelt es sich hier um das Volk; oben ist von Häuptlingen die I ide
§ 343. Überblick und Lösungsversucb. 643
Karaiben finden sich neben Tnpi und Arrawak im heutigen Guayana,
wo die Kinder zum Stamm der Mutter gehören. Koch-Grünberg, der das
mitteilt, schreibt es der hervorragenden Stellung der dortigen Indi-
anerinnen überhaupt zu.
Im alten Peru beerbten, von den Inkas abgesehen, die Neffen ihre
Onkel, nicht die Söhne ihre Väter, und Abstammung in weiblicher Linie
komme heute noch mehr oder weniger sowohl in Peru als in Mexiko vor,
wie H. Spencer schrieb.
Im nordwestlichen Brasilien rechnen die Macusi ihre Kinder der
Mutter zu.
Beiden Caraja im nordöstlichen Brasilien nehmen sich die nächsten
Verwandten mütterlicherseits der verwaisten Kinder an. Ist der Vater auf
einem Kriegszug gefallen, dann übernimmt direkt der Häuptling, indirekt die
Gemeinde die Unterhaltungspflicht, wie von Königswald mitteilt. — Es scheint
sich also hier vor allem um eine Pflicht zu handeln, von welcher die Ver-
wandten väterlicherseits frei sind, was allerdings die Auffassung ausdrücken
dürfte, daß das Kind den Verwandten mütterlicherseits näher steht.
Der gleiche Schluß ist wohl aus dem folgenden Brauch bei den Pehuenche,
einem Zweig der Araukaner in Chile, gestattet. Hier rächen sich nämlich
die Verwandten der Mutter an deren Mann, wenn dieser Kindesmord begeht,
und zwar mit der gleichen Strenge, wie jeden andern Mord. —
§ 343. Überblick und Lösungsversuch.
Geht man bei den Völkern, welche in den §§ 336 — 342 eingeführt
worden sind, dem Avunculus, dem Bruder der Mutter nach, so findet man
ihn tatsächlich bei manchen Völkern mit mehr Autorität über die Kinder
seiner Schwester ausgestattet, als dort der Vater über seine Kinder besitzt.
Ausdrücklich ist das erwähnt von den Bantu am untern Kongo (bei Weeks),
von den Bondo, Bäfiote1) und Angola-Negern, von den Orang Mamma auf
Sumatra und vou den Eingebornen der Gazellen-Halbinsel.
Als Erbonkel tritt er noch öfter auf. Daß diese Bolle aber nicht
immer ein Eigentumsrecht über seine Erben in sich schließt, dürfte das
Rechtsverhältnis der nördlichen Wanjamwesi (§ 339) beweisen, wo die Kinder
ihrem. Vater gehören und doch ihren Onkel beerben.
Öfter, als das Rechtsverhältnis des Avunculus allein zum Kind,
ist in den vorhergehenden Paragraphen jenes der Familie der Sippe
(des Stammes, der Verwandtschaft) mütterlicherseits erwähnt. Dem
Ausdruck „Das Kind gehört-' zur Familie, zur Sippe, zur Verwandtschaft, zum
Stamm der Mutter begegnen wir immer wieder und wieder. Beispiele sind
die kanssylvanischen Zeltzigeuner, die Pikten und Lykier, die Neger der
Goldküste, die Bantu am untern Kongo (bei Weeks), die Bayaga (Kongostaat)2)
und die Herero; ferner die Orang Laut und teilweise die Battak auf Sumatra,
die muselmanischen Strandbewohner auf Seram, die Koluschen (Thlinkit) in
Nordamerika, die Macusi in Brasilien und die Indianer iu Guayana.
Ob auch bei diesen Völkern gerade immer ein Bruder der Mutter,
also ein Oheim (Avunculus) des Kindes es ist, der diesem gegenüber Rechte
und Pflichten ausübt und erfüllt, wage ich nach dem mir vorliegenden Material
nicht zu entscheiden. Bejaht ist diese Frage in der Mitteilung über die
Gazellen-Halbinsel; sie ohne weiteres auch von den andern Völkern dieser
Kategorie zu bejahen, dürfte kaum angängig sein, zumal eine indirekte Ver-
') Hier haben aber auch die Mutter. Großeltern und übrigen Verwandten ein Mit-
anrecht auf die Kinder.
2i Den ältesten, oder alle Brüder der Mutter zusammen, sahen wir als Eigen-
tümer der Kinder in Angola
41*
644 Kapitel LI. Fortsetzung über das sog. Mutterrecht. Tatsachen u. Erklärungsversuche.
n einung von den afrikanischen Basutos und den hinterindischen Kaupuis
vorliegt, da bei jenen die Großeltern mütterlicherseits es sind, welche das
erstgeborne Kind für sich beanspruchen, und bei den Kaupuis der Groß-
vater mütterlicherseits Entschädigung erhält, wenn sein Enkel stirbt. — Die
Zugehörigkeit zu einem Stamm beweist an und für sich nicht, daß dieser
eine potestas über seine Mitglieder hat. welche mit der väterlichen oder
mütterlichen Gewalt zu identifizieren wäre, sonst würden sich z. B. Vaterreclit
und Stamniesmitgliedschaft gegenseitig ausschließen.
Dem Gesagten zufolge dürfte das sog. Mutterrecht bei einer Keihe von
Völkern zunächst eher eiu Sippenrecht (oder Stammrecht) sein. Die
Sippe oder der Stamm macht Anspruch auf das in ihr (ihm) geborne
Weib und dessen Leibesfrucht1) und verhindert, wo Erbgang durch das
Weib, den Übergang des innerhalb der Sippe oder des Stammes vorhandenen
Vermögens auf den von einer fremden Sippe hereingeheirateten Mann, was
besonders dort deutlich hervortritt, wo der Mann, auch noch nach seiner
Heirat in den Stamm des Weibes hinein. Mitglied seiner eigenen Sippe bleibt
und hierher zurückkehrt, sobald sein Weib gestorben, oder die von ihm & -
zeugten Kinder seines Schutzes und seines Unterhaltes nicht mein bedürfe]
wie es z. B. bei den transsvlvanischen Zeltzioeunern und den westafrikanischen
Bayaga der Fall ist (§§ 336 und 339).
Daß es sich bei manchen Völkern um ein Sippenrecht handelt, dürfte
ferner aus der Bevorzugung der Onkel-Xickten-Ehen der Bongo und dein
dortigen Erbrecht zugleich hervorgehen: Wenn der Onkel seine Nichte
heiratet, wird er von seinen eigenen Kindern beerbt; die Kinder
anderer Ehen erben Namen. Würde und Vermögen von ihrem Onkel mü tter-
licherseits. Die Tendenz, Namen. Würde und Vermögen der Mutteisippe zu
erhalten, scheint mir hier klar zu sein. Da die Ehe zwischen Onkel und Nichte
Kiemente aus einem fremden Stamm ausschließt, können die Kinder ihre Eltern
beerben. - ■ Eine ähnliche Tendenz, aber zugunsten der Vatersippe, blickt
durch das Erbrecht der Koluschen, nach welchem der Schwestersnhn des \ er-
storbenen, in Ermanglung eines solchen aber der jüngere Bruder des Ver-
storbenen erbt. Hier hat also der Sohn der Schwester zwar das Vorrecht,
ist aber ein solcher nicht vorhanden, dann läßt mau das Vermögen nicht etwa
den Kindern, welche mit ihrer Mutter allenfalls zum fremden Stamm zurückkehren.
sondern das Vermögen muß in der Sippe des Mannes bleiben. Das Recht
1 ähnlich scheint es sich im indo-europäischcn Institut der Erbtöchter zu verhalten.
Nach 0. Sehrader konnten, bzw. können, die alten Inder und Griechen, sowie die heutigen
Siidslawen, bei Ermanglung von Söhnen eine ihrer Töchter (Erbtochter) unter der Be-
dingung verheiraten, daß der von ihr zu gebärende Knabe als Sohn des mütterlichen '■
Vaters gelte. Bei den Südslawen ist mit diesem Rechtsverhältnis Exogamie verbunden.
Schröder schreibt nämlich mit einem Hinweis auf Krauß: Bei den Südslawen muß der Erb-
tochtermann durchaus einem andern bratstvo (Geschlecht, gens?) angehören und vom Vater
der Erbtochter erst in denn bratstvo eingekauft werden. — Dabei geht der Zuname der
Familie des Weibes allmählich au f den Erb t och t ermann und seine Blinde r über.
I rner erinnert S hrader an den schon von Bachofen erwähnten Fall im alten Ron
Numerius Octavilius seine Tochter dem Patrizier Fabius nur unter der Bedingung zur Ehe
gab. daß dem erstgebornen Sohn der Vorname des mütterlichen Großvaters gegeben werde. —
Bei den Griechen mußte der Mann ihr Brbtochter ein naher Verwandter sein. — Die
Inder kannten diese Beschränkung nicht. — Der Sohn der Erbtochter galt in der iu<lo-
ipäischen Völkerfamilie als Nachfolger und Erbe des mütterlichen Großvaters
rader, Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde, S. 197f.). — Diese Rechts-
verh'ältnisse unterscheiden sich ti"tz aller äußern Ähnlichkeit mit dem >"Lr. Mutterrecht, von
diesem aber doch wesentlich durch den Verwandtschaftsbegriff, der im indo-europäischen
(indo-germanischen) Altertum agnatisch, bei den „mutterrechtlichen" Völkern cognatisch
I. h. hier gelten die Kinder als verwandt nur mit der Sippe (Verwandtschaft) der Mu1
als verwandt nur mii der Sippe des Vaters, und das gleiche Verhältnis gilt zwiac
dem Ehemann und den Verwandten seines Weibes (vgl. Schröder, ebenda 186 und 188).
§ 343. Überblick und Lösungsversuch. 645
der Sippe des Weibes, welches uns in diesem Kapitel so oft begegnet ist, hat
hier eine Parallele im Recht der Sippe des Mannes.
Eine ähnliche Erscheinung sahen wir (§ 342) im Erbrecht der Häuptlinge
auf dem früheren Haiti: Der älteste Sohn der ältesten Schwester hatte das
Vorrecht; war ein Schwestersohn überhaupt nicht vorhauden, dann erbten die
Söhne der Brüder. —
Nun haben wir in dem vorliegenden Kapitel aber auch Völker kenneu
gelernt, bei welchen das Weib nicht nur als Medium erscheint, durch das
dem Mann Name, Vermögen, Titel, Totem und Mitgliedschaft des Stammes ')
zukommt, sondern dem Weibe zugleich eine autoritative Stellung in
Familie und Stamm, oder doch in jener, einräumen, so daß die Begriffe
Matriarchat und Gynäkokratie bei ihnen also tatsächlichen Verhält-
nissen entsprechen2).
Das durchschlagendste Beispiel dieser Art sind die hinterindischen Khasis
in Nongkrem, bei denen das Weib die höchste Macht inner- und außerhalb der
Familie im religiösen and profanen Leben repräsentiert, wie denn die in § 341
geschilderten .Rechtsverhältnisse der Khasis überhaupt und der Syntengs
dem J. Bachofenschen Begriff zunächst vom Matriarchat vollauf Genüge tun.
Faßt man dann die Rechtsbefugnisse des dortigen Weibes inner- und außer-
halb der Familie zusammen, dann resultiert für beide Völker eine Übermacht
des Weibes, d. h. eine Gynäkokratie, welche bei den Khasis in Nongkrem
in ihrer höchsten Potenz zum Ausdrucke kommt, — Eine Übermacht des Weibes
scheint mir in § 340 ferner auf den Palau-Inseln erwiesen zu sein, wo die
beiden Geschlechter außerhalb der Familie zwar nur „gleichberechtigt" sind,
in der Familie der Mann aber eine weit geringere Rolle spielt als sein Weib;
wo der Mann zwar Häuptlingstitel, und Vermögen besitzt, beides aber dem
Weibe verdankt, wie es bei den Völkern mit „Mutterrecht" überhaupt der
Fall ist, so daß man ungeachtet der „Tyrannis", welche sich bei manchen
Völkern neben dem Erbgang und der Abstammung durch das Weib findet, ge-
stehen muß, daß derartige Rechtsverhältnisse im allgemeinen dem Weibe
doch einen tief einschneidenden Wert in Familie, Stamm und Volk beimessen,
was wahrscheinlich noch mehr hervortreten würde, wenn wir von allen „mutter-
rechtlichen" oder vielmehr sippenrechtlichen Völkern ebenso genaue Kenntnisse
hätten, wie von einzelnen Völkern Afrikas, Hinterindiens und Amerikas
(§§ 339, 341 und 342). Man beachte nur die höhere Ehrung des Weibes bei
den Lykiern, die Bevorzugung der Mutterverwandtschaft bei unseren eigenen
Vorfahren und den Bäfiote im heutigen Westafrika, die Benennung des Mannes
nach seinem Weib in Andorra (Spanien), die Bevorzugung des Mutternamens
im religiösen Leben der Mandäer, das Eigentumsrecht der Mutter über ihre
und ihres Gatten Kinder bei den Ehescheidungen verschiedener Völker der
vorhergehenden Paragraphen3), das Erbrecht der Töchter mit Ausschluß der
Söhne bei den Cantabrern und alten Ägyptern (?), die Übermacht der Navajo-
Indianerin in der Familie und ihr Ansehen im Stamm usw.
Eine Wertschätzung des Weibes ist also im sogenannten Mutter-
recht wenigstens als Regel nachgewiesen. Dennoch scheint nach den bis-
herigen Auseinandersetzungen dieses Kapitels der Ausdruck „Mutterrecht"
nur auf die wenigsten der in diesem Kapitel eingeführten Völker zu passen,
weil eben nur bei den wenigsten die Mutter Rechtsbefugnisse hat.
>) Vgl. § 335.
2) H. J. Rose anerkennt eine Gynäkokratie nicht, On the alleged Evidence. Folk-
Lore XXII, 277 f.
*) Z. B. bei den Riff-Berbern des 16. Jahrhunderts, den Chamorro auf den Marianen-
Inseln. den Karaiben des Festlandes usw. — Ob diese letztere Reehtsform unter allen Kultur-
verhä'ltnissen eine Begünstigung des Weibes ist, scheint mir allerdings zweifelhaft.
646 Kapitel LI. Fortsetzung über das sog. Mutterrecht. Tatsachen u. Erklärungsversuche.
Die meisten der sogenannten nratterrechtlichen Völker erkennen diese Befug-
nisse der Sippe (Verwandtschaft) der Mutter zu, so daß der Ausdruck Sippen-
recht den Ausdruck Mutterrecht überall da ersetzen sollte, wo Abstammung
und Erbgang (sei es Name, oder Totem, oder Titel, oder Vermögen) durch die
Mutter als die einzigen sog. mutterrechtlichen Erscheinungen nachweisbar sind.
Trotz dieser scheinbaren Spaltung der ..mutterrechtlichen'- Völker dürfte
ein einheitlicher Grundgedanke für Sippenrecht (Mutterrecht), Ma-
triarchat und Gynäkokratie zu finden sein.
Bachofen nannte das Mutterrecht das „Recht des Uterus"1), begründete
jenes also mit der Mutterschaft. Diesen Gedanken hat man meines Wissens
in neuerer Zeit zu wenig beachtet. Er drängt sich aber beim Überblick über
das vorliegende Kapitel in den Vordergrund, allerdings nicht überall als persönliches
Recht der Mutter, wohl aber als Wertschätzung derMutterschaft, derNach-
kommen, und zwar der Nachkommen aus Müttern, die ihrerseits einer ge-
meinsamen Urmutter entstammen, aus einem einzigen Mutterleib her-
vorgegangen sind. Man beachte nur die Einteilung der Bantu am untern
Kongo in „vumu" (Mutterleib), die eben erwähnten „Urmutter" der.exogamen Ge-
schlechtsverbände auf dem Makonde-Plateau ( £ 339) und die Gliederung der« »rang
Mamma in Suku, von denen jede die Abkömmlinge einer Stammutter umschließt.
Bedeutungsvoll in dieser Hinsicht ist auch, daß das Motu-Motu-YVeib in
Britisch-Neuguinea bei Ehescheidungen ihren Anspruch auf sämtliche Kinder
mit ihren Geburtsschmerzen begründet (§-3^5, Kapitel XLIX), und wichtiger
noch als das erscheint mir die Stammeseiche im Hause der Hohenpriesterin
und Spenderin der Königswürde in Nongkrem. Hier ist Fruchtbarkeits-
kult, Mutterrecht, Matriarchat und Gynäkokratie in engster Verbin-
d u n g.
Durch das Weib erhält der Mann die Macht. Dieser Gedanke geht,
nach meinem Dafürhalten, durch alle sogenannten „mutterrechtlichen" Völker.
Die Khasis freilich und einige andere Völker beschränken den Einfluß des Weibes
nicht auf die bloße Vermittlung der Macht, sondern belassen ihm auch per-
sönliche Autorität.
Uiese Anerkennung des großen Anteils des Weibes an der Fort-
pflanzung des Menschengeschlechtes ist in gewisser Hinsicht, und insofern
sie nicht zu Extremen übergeht und dadurch das Naturrecht des Vaters und
das natürliche Band der Familie2) verletzt, ein Ehrenzeugnis für die Er-
kenntnis und den Gerechtigkeitssinn der betreffenden Völker, während das
ausschließliche Vaterrecht einen Übergriff des Mannes in die natürlichen Rechte
seiner Zeugungshelferin und der Pflegerin des Nachwuchses bedeutet.
Allerdings sahen Qrupp und andere im „Mutterrecht" ein Zeichen
kulturell zurückgebliebener Völker, ein Rechtsverhältnis, das sich „unter rohen
Verhältnissen" ausdehnen konnte und am ehesten dem Jägerleben entsprach,
weil dieses die Männer mit Jagden und Abenteuern beschäftigte, während die
Frauen die Herdwächterinnen und den Mittelpunkt der Familien bildeten. Abe:
das vorliegende Kapitel wies das „Mutterrecht" auch nach bei Völkern, die
im Rufe nicht als Jäger, sondern als Ackerbauern stehen, und überhaupt
bei Völkern auf relativ hohen Kulturstufen8). Ein Beispiel jener sind die
Makonde, von denen Weide schrieb: Die junge Frau siedelt nicht in das Heim
des Ehemannes über, sie tritt auch nicht in seine Verwandtschaft hinein,
'i Weide vermutet, daß die zahlreichen weiblichen Holziiguren. welche die Makonde,
Mavia und Wamatambwe schnitzen, die „Urmutter" dieser Volker darstellen. Eine Ab-
bilduog davon siehe in dessen Negerleben, S. 317.
I »er Vater ist unter dem Mutterrecht weniger wichtig als die Mutter, hat aber dafür
die Oberherrschaft über seine Schwester und deren Mann und Kinder, schreibt Rose im Hin-
weis auf Frazer (Kolk-Lore XXII. 27m
s) 7. B. im allen Ägypten und Peru (§§ 338 und 342).
§ 343. Überblick und Lösungsversuch.
647
sondern der Mann verläßt Vater und Mutter und zieht entweder direkt bis
schwiegermütterliche Haus oder baut sich doch unmittelbar daneben an (5} 339).
Unwillkürlich erinnert dieses Rechtsverhältnis exoganrischer Völker an
1. Mose 2. 4: ..Darum verläßt ein Mann seinen Vater und seine Mutter, und
hängt an seinem Weibe", obgleich das Mosaische Gesetz, meines "Wissens, ein
..Mutterrecht-' im heutigen Sinn nicht kennt.
Auf ursprüngliche Promiskuität, wie Backofen und spätere wollten.
brauchen, schon nach Kapitel L zu urteilen. Sippenrecht, Matriarchat
und Gynäkokratie nicht zurückgeführt zu werden1). Das vorliegende
Kapitel weist diese Rechtsformen auf höheren und niederen Stufen der Sittlich-
keit nach. Auch das Vorrecht des Mutterbruders (Avunculus) vor dem
Vater der Kinder fordert die obige Voraussetzung nicht, sondern erklärt sich
wohl gleichfalls aus der Wertschätzung der gemeinsamen Abstammung
Fig. 452.
Wangoni-Knaben aus Peramiho, südliches Deutsch-Ostafrika.
0. S. B. in St. Ottilien.
Von den Missionären
aus einem Mutterschoß. Diese Wertschätzung ist meines Erachtens zu-
gleich der Ausdruck eines starken Einheitsgedankens der Sippe, und
zwar wiederum auf der Grundlage der einen Urmutterschaft2).
J) Auch nach H. J. Rose sind Promiskuität, Gruppenehen und Polyandrie unnötige
Voraussetzungen des „Mutterrechts".
2) Nach Rose (Folk-Lore XXII, p. 277f.) ist „Mutterrecht" mit Vielweiberei und
Endogamie fast unverträglich. — Allein Sj 339 zeigt uns Vielweiberei und „Mutterrecht"
zusammen am untern Kongo. — Nach Weule geht bei den „mutterrechtlichen-1 i'ao das
Verbot, eine Frau aus der eigenen Sippe zu nehmen, so weit, daß der Sohn sogar die Nähe
sei'uer nächsten Sippengenossinnen, d. h. Mutter urd Schwestern, möglichst zu meiden hat,
weshalb er sich bei der Annäherung an das mütterliche Haus zum mindesten vorher melden
muß. Hingegen dürfen die Söhne der nicht-mutterrechtlichen Wangoni ohne Anstoß im
Haus ihrer Eltern wohnen.
Dem .BaWsc/jschen Versuch, das Mutterrecht mit der Einverleibung des hereinge-
heirateten Mannes iu die Sippe seines Weibes zu erklären (vgl. Kap. LX), stellen sich die
Tatsachen entgegen, daß bei den t ra nssyl vanischen Zeltzigeunern, den Bayaga
(Kongostaat) und den Karolinen-Insulanern der Gatte nach dem Tod spiuer Gattin
wieder zu seinem Stamm zurückkehrt (§§ 33fi. 339 und 340). Dem Versuch, das ..Mutterrecht"
allgemein von der Ehe ohne Brautkauf abhängig machen zu wollen, weil im südlichen
Sumatra die Kaufehe jenes ausschließe (Wißceri), steht die Koexistenz von Brautkauf und
..Mutterrecht'' bei den Makonde entgegen (vgl. Weule, Negerleben 377 und 383). —
Kapitel LH.
Das Erbrecht des Kindes mit Ausschluß
des sog. „Miitterrechtes"1).
§ 344. Das vorige Kapitel machte uns mit einer Eeihe von Völkern
bekannt, bei denen die Verwandtschaft der Mutter die Erbverhältnisse
der Kinder wesentlich beeinflußt; das vorliegende zeigt uns, unter anderen.
Völker, bei denen die Verwandtschaft des Vaters die gleiche Rolle spielt.
Diese Völker scheinen zwar weniger zahlreich zu sein, genügen aber zu einem
neuen Beweis, daß der Erbgang durch die weibliche Linie eine andere
Erklärung fordert, als jene, welche man 4n einer ursprünglichen Unkenntnis
des Vaters auf Grund loser Geschlechtsverhältnisse suchte. Denn, wenn der
Erbgang durch die Mutter-Verwandtschaft nur unter dieser Voraussetzung
möglich wäre, dann könnte der Erbgang durch die Vater-Verwandtschaft nur
durch die Unkenntnis der Mutter erklärt werden, was niemand wohl be-
haupten wird. Die §§ 345 und 348 — 351 weisen die Vererbung von Amt
und Würde bzw. des Vermögens eines verstorbenen Vaters auf dessen
Brüder oder weitere männliche Verwandte, mit Umgehung der eigenen
Söhne, nach: Teilweise bei den alten Kulturvölkern in Amerika2), bei den
afrikanischen Wapare, Wakilindi"), Waschamba und Auin-Buschleuten, ferner
bei den hinterindischen Ao-Nagas und Thai. — Die Wakilindi und Waschamba
vererben sogar ihre eigenen Weiber und Kinder auf ihre Brüder, her Aus-
druck „Sippenrecht" dünkt mir auch hier in den numerisch überwiegenden
Fällen zutreffender zu sein, als der Ausdruck „Vaterrecht".
Bedeutend zahlreicher sind indessen jene Völker der §§ 345 — 351, deren
Erbrecht Amt. Würde und Vermögen von Vater auf Sohn übergehen
läßt, sei es, daß der Vater ein Wahlrecht hat, sei es, daß von Rechts wegen
der Erstgeborene als Erbe und Nachfolger, oder alle Söhne zusammen als Erben
bestimmt sind. — Das ist Vaterrecht.
Ein Wahlrecht des Vaters begegnet uns im vorliegenden Kapitel
beispielsweise am königlichen Hof im alten Persien (?), bei den Bali in Kamerun,
am königlichen Hof des Lunda-Reichs im Kongostaat (16. Jahrh.) und bei den
Sultanen von Kisiba in Deutsch-Ostafrika.
Dieses Wahlrecht des Vaters beweist eo ipso, daß das Erstgeburtsrecht,
wenigstens in bezug auf Amt und Würde, nicht bei allen Völkern besteht,
obgleich letzteres schon vom persischen Thronprätendenteu Artabazanes bejaht
worden ist (§ 345) und es tatsächlich bei vielen Völkern zur Geltung kommt.
') Vgl. die Kap. LIII, LIV und LV.
2) Die Thronfolge vorwiegend von Bruder zu Bruder; Lehen und Vermögen im
\ !i 1 von Vater auf Sohn; doch war die Thronfolge, wenigstens bei den Quiche, mit der
größeren Einsicht des Alters, nicht mit Stammrecht, begründet.
3) Hier geht die Häuptlingswürde auf den Sohn der obersten Frau, aber Vermögen,
Weiber und Kinder auf die Brüder des Verstorbenen.
§ 344. Das Erbrecht des Kindes mit Ausschluß des sog. „Mutterrechtes--. (549
Bevorzugung des tüchtigsten Sohnes oder Bruders ist im vorliegenden Kapitel
bei verhältnismäßig wenigen Völkern bzw. Ständen nachgewiesen. Zu diesen
wenigen gehören die alten Mayas in Mavapan, der niedere Adel im alten
Mexiko und die deutsch-ostafrikanischen Wasiba, also bei Tölkern auf ver-
schiedenen Kulturstufen.
Bevorzugung des jüngsten Sohnes vor den Erstgebornen, und des
letztern vor allen übrigen, entspricht dem Erbrecht der Abchasen im Kaukasus.
Töchter als Erbinnen von Amt und Würde, von Vermögen, oder beidem
zusammen, verhalten sich im vorliegenden Kapitel, wie Ausnahmen zur Kegel,
insofern es sich nicht um Familien handelt, welche Söhne nicht besitzen.
Aber auch in Ermanglung von Söhnen wird den Töchtern durch das Erbrecht
verschiedener Völker der Nachlaß der Eltern entzogen. Wohl aber haben die
Töchter regelmäßig Anspruch auf Lebensunterhalt bis zu ihrer Verheiratung
und auf Ausstattung. Auffallend wirkt die Aberkennung auch dieser Rechte
bei einzelnen Völkern, zu denen sogar die alten Mayas gehörten, wenn der
Ausdruck, daß die Töchter nichts erhielten, im Fall ihre Brüder ihnen nicht
freiwillig etwas gaben, im weitesten Sinne zu verstehen ist. was mir allerdings
zweifelhaft erscheint ').
Von den Zweigen der indo-europäischen Völkerfamilie waren, meines
Wissens, die Römer die einzigen, die trotz ihrer ausgedehnten patria potestas,
also der starken Betonung der männlichen Gewalt, den unverheirateten Töchtern
den gleichen Erbanteil wie deu Söhnen zusprechen.
Ein Grundsatz des indo-europäischen Erbrechtes der ältesten Zeit, ferner
der dravidisehen und altmexikanischen Erbrechte war, dem Weib keinen
Grundbesitz zuzuerkennen. Ob die im indischen Erbrecht ausgesprochene
Geringschätzung des Weibes, oder ob der ebendort ausgedrückte Gedanke,
es sollen durch Verheiratung nicht zwei Erbgüter in eine Hand kommen,
der ältere ist (§ 346), vermag ich nicht zu entscheiden. Das Christen-
tum hat in der indo-europäischen Völkerfamilie zugunsten des Weibes manches
gebessert, aber noch stehen einzelne Zweige betreffs des Erbrechtes der
Töchter auf dem Staudpunkt ihrer vorchristlichen Ahnen, während manche
Völker, außerhalb des Christentums, und auf einer Kulturstufe, die im all-
gemeinen unter jener der Russen, Polen und Südslawen steht, das Weib als
Erbin höher einschätzen, als es hier der Fall ist. Beispiele hierfür, sind die
arabischen Muselmanen in Ägypten (§ 347), die (muselmanischen?) Malayen in
Semendo (Sumatra) (§ 345), die heidnischen Monumbo-Papua in Deutsch-
Neuguinea (§ 349) und die confuciauisch-buddhistischen Annamiten in Hinter-
indien (§ 350) ").
Daß die finanzielle Seite der Eheschließungen im Zusammen-
hang mit dem Erbrecht der beiden Geschlechter steht, darf wohl ohne
weiteres zugegeben werden, da es selbstverständlich erscheint. Wo die Braut
gekauft werden muß. braucht der Bräutigam die nötigen Mittel, um das tun
zu können, und wo die Braut nur eine Ausstattung in die Ehe zu bringen
') Vielleicht findet dieser völlige Ausschluß der Töchter aus dem Erbe bei den Mayas
ihre Erklärung in einer Parzellierung des Grund und Bodens, wie Sundsfral (Aus dem Reiche
der Inkas, S. 30) sie von den Inka-Peruanern mitteilt. Hier war nämlich das Land, wie
im heutigen Togo, Eigentum des Gemeinwesens. Jeder verheiratete Mann bekam davon so
viel, als zur Deckung seiner Bedürfnisse nötig war. Bekam er Kinder, dann erhielt jeder
Sohn und jede Tochter auch einen besonderen Anteil, und zwar letzlere die Hälfte von jenem.
In die Ehe bekam ein Mädchen diesen Anteil aber nicht mit, weil der Ehegatte den
Familienunterhalt aus seinem eigenen Vermögen bestreiten mußte. Vielmehr
fiel der Anteil nun dem Vater des Mädchens zu, und dieser selbst mußte, wenn er über seine
Bedürfnisse hatte, den Überschuß der Gemeinde zurückgeben. Unter solchen Verhältnissen
war also das weibliche Geschlecht immerhin versorgt.
2) Vgl. auch Kap. LI.
650 Kapitel LH. Das Erbrecht des Kindes mit Ausschluß des sog-. ,. Mutterrechtes".
hat, braucht sie kein Vermögen, vorausgesetzt, daß jedes Mädchen an den
Mann gebracht wird. Für den negativen Fall sehen wir im vorliegenden
Kapitel bei verschiedenen Völkern lebenslängliche Dotationen, oder doch
lebenslänglichen Anspruch auf Unterhalt durch die männlichen Erben, was
allerdings das Weib wiederum in lebenslängliche Abhängigkeit vom Manne
versetzt..
Am tiefsten steht das Weib, vom Standpunkt unserer Kultur beurteilt,
im Erbrecht jener Völker, welche es selbst zum Erbgut machen, und wiederum
die sittlich tiefste Stufe unter diesen nehmen gewisse Völker, z. B. die Golden
am Amur ein, deren Erbrecht dem Erstgebornen seine leibliche Mutter als
Erbe und Eheweib zuerkennt,
Endlich sei im voraus auf das Erbrecht der Sklaven bei einzelnen
Negervölkern in § 348 hingewiesen. —
§ 345. Nachfolge in Amt und Würde.
Als Darius vor seinem Feldzug gegen Ägypten und Athen, dem persischen
Gesetz zufolge, einen Thronerben zu bestimmen hatte, entstand unter seineu
Söhnen Streit. Artabazaues, der älteste Sohn aus Darius" Ehe mit der Tochter
des Gobryas, welche Darius schon vor seiner Thronbesteigung geheiratet
hatte, beanspruchte die Krone als Erstgeborner. Aber auch Xerxes, der
älteste Sohn aus Darius' Ehe mit Atossa, einer Tochter des Cyrns, der keine
männlichen Nachkommen hinterließ, machte"~darauf Anspruch, und zwar, wie
bekannt, mit Erfolg. — Zu diesen Mitteilungen des Herodot (1. VII, c. 2— 4)
bemerkte Rawlinson, daß die Forderung des Xerxes wahrscheinlich in seiner
Abstammung rechtlich begründet war. Das königliche Wahlrecht gegen-
über einem Nachfolger sei wohl sehr eng begrenzt gewesen, wenn es überhaupt
bestanden habe.
Herodot läßt den Artabazanes seinen Anspruch damit begründen, daß er
sagt, der Vorzug des Erstgebornen sei ein über die ganze Erde ver-
breiteter Brauch. Andererseits unterstützt der Spartaner Demaratus bei
Herodot den Anspruch des Xerxes mit einem Hinweis auf das spartanische
Gesetz, daß nicht der vor der Thronbesteigung, sondern der nachher geborne
Sohn der Thronfolger sein soll. - Darius hatte Atossa erst nach seiner
Thronbesteigung geheiratet. Diese war also die eigentliche Königin.
Im Erbrecht der Lacedänmnier fand Herodot ähnliche Bestimmungen
wie im Erbrecht der Ägypter, d. h. da wie dort gingen die Gewerbe der
Köche, Flötenbläser und Herolde vom Vater auf den Sohn über. Andere
durften diese Gewerbe nicht ausüben.
Erblich waren iu mehreren griechischen Staaten ferner die Priester-
würde und in vielen Familien wissenschaftliche und künstlerische Berufe
{JBawlinson).
Von einer Vererbung der Priesterwürde im alten Ägypten kennt
Walter Otto zahlreiche Beispiele. — Eine Priesterkaste hingegen sei nicht
nachzuweisen; die typischen Kastenzeichen fehlen. — Die Vererbung des
priesterlichen Berufes in den Familien der Priester höherer Ordnung (Phylen-
priester) war staatlich anerkanntes Recht. Die Töchter erhielten sogar gleich
vom Tag ihrer Geburt au einen bestimmten Anteil an deu Tempeleinkünften,
worin Otto den deutlichsten Beweis für ihre sofortige Aufnahme in den Priester-
staml sieht1). Hingegen brachten die Söhne nur die Anwartschaft auf eine
Priesterstelle mit zur Welt und mußten mit dem Antritt eines priesterlichen
.Amtes wahrscheinlich bis zum Eintritt der Mannbarkeit warten. Zudem
1 1 Vgl. die Benennung der Kinder nach der Mutter im alten Ägypten, sowie lie
Dotierung und Klokation der Söhne durch deren Schwestern im vorigen Kapitel.
Sj 345. Nachfolge in Amt und Würde.
651
hatten bei ihnen noch andere Faktoren, z. B. die Zustimmung des Königs,
mitzuwirken. — Im hellenistischen Ägypten hatten die Töchter der Priester
in früher Jugend auch schon priesterliche Funktionen auszuüben. — Aus dem
3. uud 2. Jahrhundert vor Chr. kennt Otto einige Priesterfamilien niederer
Ordnung, Choachüten. in denen sich die Priesterwürde durch mehrere
Generationen vererbte. Ferner werde Vererbung des niederen Priesterstandes
der Totenbestatter und der Tierpfleger durch eine Reihe von Belegen bestätigt.
Fig. 453. Jagend von Yaunde. südliches Kamerun, um den Stationsoclisen versammelt. Diehe phot.
Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Fig. 454. Gruppe vom Markt in Banyo, Kamerun. Diel:e phot. Im Museum für Volkerkunde in Leipzig.
Solche fehlen aber für eine Vererbung in den Priesterfamilien der Pastophoren,
gleichfalls Priester niederer Ordnung. Ein Zwang, den Beruf der Eltern zu
ergreifen, bestand weder bei den Priestern niederer noch höherer Ordnung,
wie denn andererseits auch Söhne von Nichtpriestern den priesterlichen Stand
erwählen konnten. —
Vererbung der Häuptlingswürde hat L. Conradt von den Xgumba im
südlichen Kamerun mitgeteilt. Nach dem herkömmlichen Recht erhält der
älteste Sohn eines Häuptlings dessen Würde. In Ermanglung eines Sohnes
kommt der (älteste?) Bruder des Verstorbenen daran, und fehlt auch ein
Bruder, dann tritt Neuwahl ein.
652 Kapitel L1J. Das Erbrecht des Kindes mit Ausschluß des sog. „Mutterrechtes".
Niclit erblich ist die Häuptlingswürde bei den Bali im Grasland von
Kamerun. Hier bestimmt der Häuptling selbst einen seiner Söhne zu seinem
Nachfolger (Bernhard Ankermann).
Ein Beispiel von königlichem Wahlrecht liegt in der folgenden Mit-
teilung bei Curt von Frangois aus dem Kongostaat des 16. Jahrh. vor: Ein
König des großen Lunda- Reichs übergab damals die Reichsinsignien. ein
Armband aus den Zähnen seiner Ahnen, nicht einem seiner Söhne, sondern
seiner Tochter Lukokescha. Der jeweilige Besitzer dieses Armbandes ist in
den Augen der Lunda-Xeger gottähnlich und absoluter Herrscher des Reiches,
weshalb Lukokescha vom Volk ohne Widerrede als Königin angenommen wurde.
Von den beiden Söhnen des Verstorbenen huldigte ihr aber nur einer; der
andere lehnte sich auf und entfloh.
*icm
l iL' 165. Knaben aus Hrogoro, Dentsch-Ostafrika, mit Schlange und Huhn. Die Schlange hatte
das Huhn geraubt und mußte deshalb gleichfalls das Leben lassen. — Hission der Väter vom hl. Seist.
Bei den Wambugu in üsambara, Deutsch-Ostafrika, geht die Jumben-
d. h. Häuptlingswürde regelmäßig auf den ältesten Sohn und in zweiter Lini>a
auf den Bruder des Verstorbenen über (Storcli).
Desgleichen geht bei den deutsch-ostafrikanischen Wakilindi1) die
I uinbenwürde vom Vater auf den Sohn der obersten Frau über. Ist dieser
unmündig, so tritt ein Bruder des Vaters für ihn ein. —
Bei den Wapare im Süden des Kiliniandjaro ist der Bruder des Ver-
storbenen der regelmäßige Erbe der Häuptlingswürde.
Bei den Washambaa nimmt der älteste Bruder des Verstorbenen über-
haupt die Vaterstelle ein (Storch). Vgl. § 348.
Beim Tode drs Sultans der Wapogoro folgt der älteste Sohn der Groß-
frau auf dem Thron. Hat sie keine männlichen Nachkommen, so wird ein Sohn
der 2. oder 3. Frau gewählt (Fabry).
In Kisiba-Land am Viktoria-Nyanza kommen bei der Thronfolge
vor allem die Kinder der Sultane in Betracht. Diese bestimmen einen
') Sollen vi, ii den Arabern abstammen (Storch).
§ 345. Nachfolge in Amt und Würde. 653
Lieblingssohn, meistens einen Sohn der vornehmsten Frau, als Nachfolger.
Unbotmäßige Brüder des Thronfolgers werden aus dem Land vertrieben, bot-
mäßige erhalten große Schamben (von Kalben).
Bei den Auin-Busclileuten in der Kalahari ist die Häuptlingswürde
im männlichen Stamm erblich; diese Würde aber wird erst übertragen, wenn
der Erbe zu den Männern gehört, d. h. die Reifezeremonien durchgemacht und
ein Stück Hochwild erlegt hat (Kaufmann). —
Die Lampong im südlichen Sumatra anerkennen als Stammhalter regel-
mäßig den ältesten Sohn der ältesten Frau. In Bengkoelen wird ausnahms-
weise der tüchtigste Sohn zum Nachfolger und als Geschlechtshaupt erklärt.
In Ermanglung von Söhnen wird eine Tochter Erbfolgerin. — In Semendo
ist überhaupt die älteste Tochter Stammhalterin (vgl. Kap. LI). Stirbt ein
Mann kinderlos, dann ist sein (ältester?) Bruder erbberechtigt, hat aber auch
die Pflicht, dem Verstorbenen einen Nachfolger in Leviratsehe zu erzeugen,
oder einen eigenen Sohn zu stellen. Bei Männern, denen die Vermögensver-
Fig. 45G. Wauyat uru. Deutsch-Ostafrika. — Mit Erlaubnis des Kunstverlags 0. Vincmti,
Dar-es-Salaam.
hältnisse zwei Frauen gestatten, gilt in einem solchen Fall ein Sohn der ersten
Frau als Nachfolger des Großvaters, ein Sohn der zweiten Frau als Nachfolge;
des Vaters (Schultheiß nach G. A. Wilken).
Auf Jap folgt der älteste Sohn dem Vater in der Häuptlingswürde. Ist
er noch jung, so nimmt er einen älteren Mann von hohem Rang als Ratgeber;
schließt seine Jugend die Geschäftsführung' überhaupt aus, dann tritt seines
Vaters Bruder als Regent in Wirksamkeit, dem der Neffe diese Würde aus
pietätvoller Rücksicht oft lebenslänglich beläßt (Senfft).
Bei den Chalcha- Mongolen erbt in den Familien der regierenden
Fürsten der älteste legitime Sohn den Fürstentitel, und zwar nach zurück-
gelegtem 19. Lebensjahr. In Ermanglung eines Sohnes der legitimen Gattin
kann der Fürst seinen Titel, mit Bewilligung des chinesischen Kaisers, einem
Sehn einer Nebenfrau oder eines nahen Verwandten übertragen (PrschewalsH).
Bei den sibirischen Samojeden wird nach dem Tod eines Familien-
vaters dessen ältester Bruder Familienoberhaupt, wenn er genügende Fähig-
keiten zeigt. Im negativen Fall tritt ein jüngerer, fähiger Bruder an dessen
Stelle. Sind nur minderjährige Kinder vorhanden, dann vertritt die Mutter
die Stelle des pater familias, verwaltet das Vermögen, läßt durch Arbeiter
Jagd- und Fischfang besorgen usw. (P. von Stenin).
654 Kapitel LH. Das Erbrecht des Kindes mit Ausschluß des sog. „Mutterrechtes".
Tu der königlichen Familie der Mayas zu Mayapan (Yucatan) scheint
der jeweilig älteste Sohn der Thronfolger gewesen zu sein. Jedenfalls be-
schränkte sich, nach Bancroft, die Thronfolge auf die männliche Linie, und
zwar auf die Söhne der adeligen Frauen des Königs. War aber der Nach-
folger beim Tod seines Vorgängers noch ein Kind, dann übernahm der älteste,
oder der fähigste Bruder des Verstorbenen die Regierung, nicht nur für die
Dauer der Minderjährigkeit des eigentlichen Erben, sondern auf Lebenszeit.
Über die Thronfolge der Quiche und Cakchiquel, Zweige der Maya,
weiß man. nach Bancroft, wenig. Nur so viel scheine gewiß zu sein, daß bei
den Quiche nicht der Sohn, sondern der Bruder des verstorbenen Königs
dessen Nachfolger wurde, um zu verhindern, daß junge, unerfahrene Leute zur
Herrschaft gelangten.
In den hohepriesterlichen Familien der Mayas in Yucatan erbten die
Söhne, oder die nächsten Verwandten, die Würde (Le Plongeon, nach Landa).
Wie bei den Quiche, so ging auch im alten Mexiko die Herrschaft
nicht auf den Sohn des verstorbenen Herrschers über, sondern auf den ältesten
überlebenden Bruder des letztem. Waren die Brüder schon tot, dann kamen
die Neffen daran, und zwar an erster Stelle der älteste Sohn des ersten ver-
storbenen Bruders.
Hingegen folgten in Tezcuco und Tlacopan die Söhne ihren Vätern in
der Regierung. Entscheidend war bei ihnen nicht das Alter, sondern der
Rang. Immer hatten die Söhne der Königin^ d. h. der Hauptfrau, den Vorzug.
Diese war gewöhnlich eine Tochter aus dem königlichen Hause von Mexiko.
Abermals finden wir zunächst nicht den Sohn, sondern den Bruder1) als
Thronfolger im peruanischen Inkareich. War ein leiblicher Bruder nicht
mehr am Leben, wohl aber dessen Sohn, dann kam dieser an die Reihe, und
erst, wenn auch dieser fehlte, wurde ein Sohn des verstorbenen Königs von
dessen Hauptgemahlin, der Koja2), König (Uapper).
Bei den Indianerstämmen am Orinoco geht die Häuptlingswürde vom
Vater auf den Sohn über3). —
§ 346. Erbe an Immobilien und Mobilien bei Indo-Europäern
und Abchasen.
Nach dem ältesten indo-europäischen Recht wurde das Gut eines ver-
storbenen Familienvaters unter dessen Söhne verteilt. Waren solche nicht
vorhanden, dann kamen dessen Enkel daran, und fehlte es auch an diesen, die
Urenkel. Nächst diesen waren erbberechtigt die Brüder des Verstorbenen,
deren Söhne und Enkel; dann die Vatersbrüder mit ihren Söhnen und Enkeln
usw. (0. Sehrader). ■ Unverheiratete Töchter konnten nur eine Aussteuer
beanspruchen, welche gewöhnlich in beweglicher Habe bestand. Mit ihrer
Heirat in die Familie ihres Mannes hinein verlor die Tochter jedes Recht auf
einen sonstigen Nachlaß des Vaters4). Ks sollten nicht zwei Erbgüter, d. h.
das des Vaters der Tochter und jenes des Vaters ihres Mannes, in eine Hand
kommen. Durch die Hereinheirat eines fremden Mannes ohne Erbgui bestand
eine solche Gefahr nicht, weshalb das älteste indische Recht den Sohn einer
Tochter, die mit Zustimmung ihres Vaters und ihrer Brüder einen solchen
l) Nach I hipper war es hier der „leibliche" Bruder, also wohl der Bruder von der
gleichen Mutier. Vgl. die ..mutterrechtlichen" Spuren in Peru und Mexiko im vorigen
Kapitel, Und doch wurde der Sohn der Gattin und Schwester erst an letzter Stelle
als Thronfolger zugelassen, wie aus dem Obigen ersichtlich ist.
*) Gewöhnlich des Inkas eigene Schwester.
•) Floß II. 409.
•) Vgl. indessen das römische Hecht in seiner „ältest erreichbaren" Gestalt, S. ti.'ii.
§ 34ti. Erbe au Immobilien und Jlobilien bei Indo-Europäern und Abchasen. 655
Fremden heiratete, zur Beerbung des Großvaters berechtigte '). — Das Gleiche
findet sich im alten Recht des nördlichen Gallien.
Der erwähnten Begründung steht in Indien eine andere gegenüber, welche
auch der jetzigen niederen Auffassung des weiblichen Geschlechts in Indien
entspricht: Bandhayana Dharmasutra*) äußert sich folgenderweise: Das Weib
besitzt keine Selbständigkeit. Es wird in der Kindheit vom Vater, in der Jugend
vom Ehemann, im Alter von den Söhnen beschützt; es ist nie der Selbständig-
keit fähig. Deshalb erkläre der Veda das schwache Weib für erbunfähig3).
— So ganz einig war man im alten Indien über die Erbunfähigkeit des Weibes
aber doch nicht. Vielmehr bildete dieselbe einen viel umstrittenen Punkt der
Erbordnung.
Den Schmuck und die Mitgift der Mutter sprach man den Töchtern
nicht ab. Auch konnte der Großvater mütterlicherseits den Töchtern nach
Belieben Geschenke machen. Man nannte das stri-dhana (Frauengut)4). Aller-
dings mißt Sehrader dem Schmuck der Mutter in der ältesten Zeit keinen
großen finanziellen "Wert bei; man habe ihn zudem wahrscheinlich größtenteils
mit ins Grab gegeben5). —
Im indisch-persischen Grenzgebiet Wasiri sind die Töchter und
deren Ehemänner vom väterlichen Erbe ausgeschlossen. — Die legitimen
Söhne, ob von einer oder mehreren Müttern stammend, erben in der Regel
gleichmäßig. Doch kann ein Vater seinen ältesten Sohn reichlicher bedenken,
als die jüngeren. - In Ermanglung von Söhnen erben die Brüder des Ver-
storbenen, und sind auch solche nicht vorhanden, der nächste, oder die nächsten
männlichen Verwandten.
Bei den Hügel-Wasiris und Dauris könnte zwar ein Mann seiner Witwe,
oder seiner Tochter, einen Teil seines Vermögens hinterlassen; doch würde
dieser Teil ihnen nur auf Lebensdauer zukommen, nach deren Tod aber dem
gewöhnlichen Erbgang unterliegen. In AVirklichkeit komme so etwas nicht
vor, weil das weibliche Geschlecht ohnehin auf Unterhalt berechtigt sei.
Findet die Teilung der Mobilien und Immobilien schon bei Lebzeiten des
Vaters statt, dann fällt diesem der gleiche Teil, wie jedem seiner Söhne, zu
(H. A. Böse).
Nach dem attischen Privatrecht erbten nur die aus vollbürtiger Ehe
erzeugten Kinder. Söhne, die ohne zureichenden Grund enterbt worden waren.
hatten jederzeit das Recht, dagegen Klage zu erheben. Sie durften aber
auch eine verschuldete Erbschaft nicht ausschlagen und mußten die Atimie
eines Atimos übernehmen. Die Töchter erbten, nach Wachsmut, weniger als
die Söhne: auf Aussteuer hatten sie ein Anrecht. Nach 0. Schvader konnten
die weiblichen Familienmitglieder in Attika nur auf Unterhalt und Ausstattung,
nie auf eigenen Besitz, Anspruch machen, hingegen bekamen in Gortyna,
einer dorischen Kolonie auf Kreta, die Töchter einen Teil von jenem Nach-
laß des Vaters, der. außer den Häusern samt Inhalt und Vieh, übrig blieb.
Die andern zwei Teile fielen, samt Häusern. Inhalt und Vieh, den Söhnen zu.
— In Ermanglung von Söhnen erbten in Attika die Töchter das ganze väter-
liche Vermögen, wie Wachsmut meint, während D'Arbois schreibt: Die Tochter
eines ohne Testament gestorbenen Atheners beerbte ihren Vater, wenn sie
keine Brüder hatte, unter der Bedingung, daß sie einen Verwandten ihres
i) Siehe die Erbtöehter in § 343, S. 644 Anm.
') II. 2, 3, 44 ff., bei 0. Schröder, der auf Jolly hinweist.
3) Demzufolge läge die Herabwürdigung des Weibes in Indien weiter zurück, als
die Herrschaft des Islam. Vgl. S. 475, Anm. 2.
*) Jolly, bei Schröder, 183.
6) Im heutigen Indien repräsentiert der Schmuck aber oft ein großes Vermögen.
Vgl. Kap. XLI, S. 321 f.
656 Kapitel LH. Das Erbrecht des Kindes mit Ausschluß des sog. „Mutterrechtes".
Vaters heiratete, und selbst in diesem Punkte hatte sie nicht freie
Wahl1).
Das gleiche Gesetz gilt noch heute bei den Osseten im Kaukasus.
Im südlichen Gallien beließ man einer solchen Erbin Freiheit in der
Gattenwahl (H. D'Ärbois).
Das römische Recht hat schon in seiner ältest erreichbaren (iestalt die
unverheiratete Tochter dem Sohn im Erbgang gleichgestellt (Sehrader).
Hingegen erhielt sich die Enterbung der aus dem Vaterhaus hinaus
heiratenden Tochter, welche wir bereits aus den ältesten indo-europäiscben
Zeiten her kennen, bei den Polen, Südslawen, Russen und Skandinaviern
(H. D'Ärbois). — Nach 0. Schrader ist es für das Begriffsvermögen der
Slawen undenkbar, daß ein aus der Hausgemeinschaft heraus heiratendes
Mädchen nach dem Tode des Vaters an ihre Brüder Erbschaftsansprüche auf
das väterliche Vermögen stellen könnte. Nur auf das Mitgebrachte der Mutter
steht der Tochter ein Erbanspruch zu. — Im altserbischen Familienrecht
teilen die Brüder den Nachlaß des Vaters unter sich zu gleichen Teilen. Die
Schwestern sind von der Erbschaft ausgeschlossen, weil sie durch ihre Mitgift
als abgefunden erscheinen. Aussteuern muß der Vater seine Töchter, selbst
wenn das zum Nachteil seiner Söhne wäre. Ebenso haben unverheiratet«
Töchter Anspruch auf Lebensunterhalt. — Ist kein Sohn vorhanden, oder
haben die Söhne wider Willen des Vaters das Haus verlassen, dann wird der
Nachlaß unter die Töchter geteilt, — Der Bruder, welcher vom Vater bei
Lebzeiten völlig abgefunden worden ist, hat keinen Anspruch auf den väter-
lichen Nachlaß, bei dessen Teilung der überlebenden Mutter jener Teil zufällt,
den der Vater gehabt hätte, wenn die Teilung noch zu seinen Lebzeiten .statt-
gefunden hätte. — Auch nach dem Tode der Mutter sind die Töchter nur in
Ermanglung von Söhnen erbberechtigt. — Die Waffen des Vaters fielen
nach dessen Tod dem ältesten Sohne zu; war ein solcher nicht vorhanden, dem
nächsten ältesten Verwandten des Verstorbenen, wenn dieser sie nicht schon
bei. Lebzeiten seiner Tochter, oder einem Dritten, gegeben hatte i Milovanovitseh ).
Nach deutschem Volksrecht erbte der nächste waffenfähige Schwert-
mage das Heergerät oder doch das Schwert des Verstorbenen (Walter)9), Der
Landbesitz kam auch hier, wie bei den Germanen überhaupt, den Männern
zu. An den Mobilien hatten im deutschen Recht Söhne und Töchter gleichen
Anteil; das skandinavische Recht sprach in der älteren Zeit den Töchtern
ein Anrecht auf die bewegliche Habe ab, erkannte ihnen jedoch später einen
Teil der Söhne zu (0. Schrader). —
Was den Landbesitz anbetrifft, so fühlten sich bei den alten Germanen
die Söhne schon bei Lebzeiten ihres Vaters als Mitbesitzer des Stammgutes,
da alle waffenfähigen Männer sich gleichstanden. Ohne Testierung- ruckten
die Söhne allmählich in die Stelle des Vaters ein nach dem Grundsatz: „Der
Lebendige erbt den Toten." Haus und Hof besaßen sie möglichst Imme ge-
meinsam, doch teilten sie, hauptsächlich wenn Töchter fortgingen, die beweg-
liche Habe. - Ein viel verbreiteter Brauch war die Verteilung der Habe
durch die noch lebenden, aber altersschwachen Eltern. - In den Sippen
standen bei Verteilungen oder Erben die Enkel gegen die Söhne zurück (Orupp).
Im mittelalterlichen Schweden mußte nach dem Tode eines Bauern,
der zu seinen Lebzeiten einen Teil seines Besitzes mi seine Söhne verteilt
hatte, alles wieder von neuem geteilt werden. -- Bis zum 13. Jahrhundert
galt in Schweden jenes alte indogermanische Recht, welches die Töchter
vom väterlichen Erbe ausschloß; in Dänemark hatte es bis zum 11. Jahr-
!i Bin Erstgeburtsrecht gab es in Attika nur insofern, als der Erstgeborne l"i
Erbteiliingrn eine gewisse Auswahl treffen konnte (Wachsmut).
») Bei Floß IIT 392.
§ 347. Erbe au Immobilien und Mobilien bei Semiteu und Hamiten. ß57
hundert Geltung, und von ihm leitete sich die Bestimmung im Recht der
Salischen Franken ab, daß kein Teil salischer Erde auf ein "Weib vererbt
werden dürfe. Bei den Ripuarischen Franken1) durfte ein Weib nur
dann Grund und Boden erben, wenn sich in der Verwandtschaft des Ver-
storbenen kein Mann mehr fand. — Einen Schritt vorwärts machte im west-
lichen Frankreich das weibliche Erbrecht mit dem Edikt des Merovingers
Chilperich L, König von Soisson (561 — 584), welches bestimmte, daß die
Töchter in Ermanglung von Söhnen erbberechtigt seien.
In Irland bewirkte der Einfluß des Christentums um das Jahr 700, daß
die Töchter neben den Söhnen erbberechtigt wurden. Doch sprach das irische
Recht den Töchtern ihr Erbe nicht für alle Zeiten, sondern nur auf Lebens-
dauer zu. Nach deren Tod fiel es den Agnaten ihrer Väter zu. Waren Söhne
nicht vorhanden, dann wurden die Töchter Alleinerben unter der Bedingung,
daß sie auch die Kriegspflichten auf sich nahmen. Weigerten sie sich, hierauf
einzugehen, dann erhielten sie nur die Hälfte des Nachlasses (H. D'Arbois).
Hausgemeinschaft läßt sich im südwestlichsten Departement Frankreichs,
Basses-Pyrenees, und im nördlichen Spanien bis zum Jahre 1709 zurück
verfolgen. 2 — 4 Generationen lebten im Tal der Aspe beisammen, wie Alfred
Cadier schreibt. Erbe war nur einer, gewöhnlich der älteste. Die jüngeren
Brüder blieben im Hause und erhielten für ihre Arbeit den Unterhalt. —
Nach Basch de Lagreze waren die jüngeren Brüder fast Sklaven der älteren;
sie durften ohne Erlaubnis weder heiraten, noch das elterliche Haus verlassen.
Ereignete sich aber doch einmal der seltene Fall, daß ein solcher heiratete,
dann bekam er eine Ausstattung und durfte an das Familienhaus ein Gelaß
oder einen Schuppen anbauen, wo er wohnte. — In einigen Teilen des
Baskenlandes und in Navarra wurde bei der Hochzeit des Erben oder der
Erbin zwischen diesen und ihrem Vater, dem Haupte der Hausgemeinschaft,
ein Abkommen getroffen, daß der Erbe bzw. die Erbin die Hälfte des Ein-
kommens selbständig für sich verwenden könne.
Bei den Abchasen (Asega). einem Zweig der westkaukasischen Völker,
ist Teilung des Vermögens zu Lebzeiten der Eltern selten. Tritt Teilung ein,
dann behalten die Eltern die Hälfte des Ganzen. Bei einer Teilung zwischen
Mutter und Söhnen erhält jene außer ihrer Mitgift einen Sohnesanteil. Dem
ältesten und jüngsten Sohne kommt ein besonderer Anteil als Altersvorrecht
zu; jenem je ein Haupt von jeder Viehgattung, diesem Haus und Hof des
Vaters, wenn nicht noch mehr. Die Töchter erhalten weniger als die Söhne
(K v. Seidlitz). —
§ 317. Erbe an Immobilien und Mobilien bei Semiten und Hamiten.
Wie das indo-europäische Erbrecht der ältesten Zeit, so schloß auch
Hammurabis Gesetz im alten Babylonien die verheiratete, also mit einer
Mitgift bedachte, Tochter grundsätzlich vom väterlichen Erbe aus. Die un-
verheiratete und nicht dem Tempeldienst geweihte Tochter erhielt eine lebens-
längliche Dotation, welche den ihren Brüdern zufallenden Anteilen gleichkam,
diesen aber nach dem Ableben der Schwester zufiel. Die dem Tempeldienst,
bzw. dem Gott Marduk als Jungfrauen oder Prostituierte geweihten Töchter
erhielten nur ein Drittel von dem den Brüdern zukommenden Teil, durften
ihren Nachlaß aber nach Belieben vermachen (H. D'Arbois). — Die Mitgift
der Mutter fiel nach deren Tod ihren Söhnen, oder, in Ermanglung von Söhnen,
wieder ihrer eigenen Familie zu. — Schenkte ein Vater einem bevorzugten
Sohn zu seinen Lebzeiten Feld, Garten und Haus, und beurkundete er dieses
Geschenk, dann mußte es diesem Sohn nach dem Ableben des Vaters überlassen
') Kipuarien = Niederlothringeu.
rioß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 42
658 Kapitel LH. Das Erbrecht des Kindes mit Ausschluß des sog. ..Mutterrechtes".
werden, ohne daß er bei der Verteilung am übrigen Nachlaß des Vaters ver-
kürzt werden durfte. — Hatte jemand seinen erwachsenen Söhnen Frauen
gegeben und starb er, ehe er auch seinem unerwachsenen eine gegeben hatte,
dann mußten bei der Teilung des Erbes die erwachsenen Söhne ihrem Jüngern
Bruder nicht nur gleichen Anteil, sondern auch das Geld für den Brautpreis
(Mahlschatz) gewähren. — Hatte jemand nacheinander zwei Frauen und von
jeder Kinder gehabt, dann mußte nach seinem Tod das väterliche Eigentum
unter die Söhne verteilt werden, die Mitgift der Mütter aber an die betreffenden
Söhne übergehen. — Der Sohn eines Kriegsgefangenen war zur Übernahme
des Lehens seines Vaters berechtigt. War er noch zu klein, um die Über-
nahme anzutreten, dann wurde seiner Mutter ein Drittel des Lehens (Feld
und Garten) gegeben, und diese hatte den Knaben groß zu ziehen. Den
Töchtern konnte von dem Lehen nichts verschrieben werden (Hammurabis
Gesetzbuch, Übersetzung WinckW).
Bei den vormosaischen Hebräern scheinen die Töchter ein Anrecht
auf den Nachlaß ihrer Väter nicht gehabt zu haben. Denn 4. Mose 27 stellt
uns die Töchter Zelaphads vor, die vor Moses, Eleasar, den Priester, vor die
Fürsten und die ganze Gemeinde treten und hier vorstellig werden, daß ihr
Vater ohne Söhne gestorben sei, und daß sie nicht einsehen, warum ihres Vaters
Name1) deshalb ausgehen soll. „Gib uns ein Eigentum unter den Brüdern
unseres Vaters" fordern sie. Da brachte Mose ihre Sache vor Jehova. Und
Jehova redete zu Mose und sprach: „Die Töchter Zelaphads haben recht ge-
sprochen, wohl darfst du ihnen ein eigentümliches Erbgut geben unter den
Brüdern ihres Vaters und das Erbeigentum ihres Vaters an sie übergehen
lassen. Und zu den Söhnen Israels rede und sprich: AYenn jemand stirbt und
keinen Sohn hat, so sollet ihr sein Erbeigentum an seine Tochter übergehen
lassen. Und wenn er keine Tochter hat, so sollet ihr sein Erbeigentum
seinen Brüdern geben ..."
Der Erstgeborne genoß im mosaischen Gesetze besondere Vorteile, zu
welchen der doppelte Anteil vom väterlichen Nachlaß gehörte.
Ein Vorrecht des Erstgebornen erkennt das Erbrecht des Islam
nicht an. Diese Bestimmung und die Zuerkennung der Hälfte eines männ-
lichen Anteils für weibliche Nachkommen nannte E. W. Laue die bemerkens-
wertesten Grundsätze des moslemischen Erbrechts2). - - Diesem zufolge kann
im arabischen Ägypten ein Familienvater ein Drittel seines Vermögens
irgend jemandem, oder zu irgend einem Zwecke, vermachen, aber nicht mehr.
Das übrige fällt, wenn er weder Eltern noch Frauen hinterläßt, nach Abzug
-einer Schulden, seinen Kindern zu, und zwar so, daß jeder Sohn das Doppelte
eines Tochter- Anteiles erhält. Verfügt er über sein Drittel nicht, und hinter-
laßt er weder Eltern noch Frauen, so fällt seinen Kindern das Ganze zu. doch
erleidet auch dieser Satz eine Beschränkung. Sind nämlich die Kimler aus-
schließlich weiblichen Geschlechts, so erhalten sie nach dem Koran nur zwei
I Mittel, oder ist das einzige überlebende Kind eine Tochter, so fällt dieser nur
die Hälfte zu. Hingegen spricht die Snnna der Tochter, bzw. den Töchtern
die andere Hälfte, bzw. das dritte Drittel nur dann ab. wenn andere Ver-
wandte vorhanden sind, denen dieses, bzw. jene, zugewendet werden kann.
In Arabia Petraea kommen, nach Musil, letztwillige Verfügungen des
Vaters nie vor. Bei den Shür darf der Vater seinen Sohn unter keiner
Bedingung von der Erbschaft ausschließen. Dieser kommt nach dem Tode des
>) Mit dem materiellen Erbe scheint also auch die Fortsetzung des Namens verbunden
zu sein.
2) Daß dieses Gesetz von den Muselmanen niohl allgemein anerkannt, oder doch nicht
allgemein durchgeführt wird, beweist das Erbrecht in Arabia Petraea und bei den
Somal w. u.
§ 348. Erbe au Immobilien u. Mobilieu inkl. Eheweiber u. Sklaven bei Negern u. Buschleuten. 659
Vaters, auch wenn er von ihm bei Lebzeiten fortgejagt worden wäre1), zurück
und nimmt, was ihm gehört. Die Töchter erben nicht. Sind also Söhne
nicht vorhanden, so geht der Besitz auf die nächsten männlichen Verwandten
des Verstorbenen über. Nur Geschenke in Gestalt zweier Kamelstuten erhalten
die Töchter, das aber auch dann, wenn der rechtmäßige Erbe leer ausgeht.
Der Stamm der 'Amärin sieht sogar von diesen Bestimmungen ab, indem er
die Form des Geschenkes von der „Herzensgüte" der Erben bestimmen läßt.
Bei den Galla an der afrikanischen Ostküste fällt der ganze Nachlaß
des Vaters dem ältesten Sohne zu. Lebt der Vater noch, wenn der Sohn
anfängt, sein Haupt zu scheren, was so viel heißt, als daß er mannbar
geworden sei, dann gibt er ihm, je nach seinem Vermögen, 2 — 3 Melkkühe2).
Bei den Somal sind alle männlichen Nachkommen erbberechtigt; die
weiblichen haben keinen Anspruch auf Nachlaß; auch der mütterliche Erb-
teil geht auf die Söhne über. Dafür haben die weiblichen Überlebenden ein
Anrecht auf Lebensunterhalt durch die männlichen Erben (Haggenmacher)3).
§ 348. Erbe au Immobilien und Mobilien inkl. Eheweiber und Sklaven
bei Negern und Buschleuten.
Nach dem Erbrecht der Bassari in Deutsch-Togo erben die Kinder
den beweglichen Nachlaß, z. B. Vieh und Ackergeräte; ferner die Hütten und
die Ernte auf dem angebauten Felde. Das Land selbst gehört der Gemeinde.
Sind keine direkten Nachkommen vorhanden, so erben die Sklaven. Die Erben
haben die Verpflichtung, auch die Schulden des Verstorbenen zu übernehmen
und für dessen würdiges Begräbnis zu sorgen (Klose).
Das Erbrecht der Kinder, Neffen, Nichten und Geschwister bei den
Ewe-Negern der Küste in Deutsch-Togo ist bereits in Kapitel LI gestreift
worden. Hierzu sei noch folgendes über die Weiber als Nachlaß bemerkt:
Die Weiber eines verstorbenen Mannes fallen den Söhnen des Verstorbenen
als Erbe zu, doch wird keines dem eigenen Sohn, sondern einem Stiefsohn
zugewiesen. Weigert sich eine Frau, mit ihrem Stiefsohn zu leben, dann kann
sie sich mit einem andern Mann innerhalb der Kollektiv-Familie4) verheiraten.
Der verschmähte Stiefsohn erhält in einem solchen Fall eine andere Frau,
oder ein Mädchen zur Entschädigung. — Beim Tod eines Sklaven gehen
dessen Kinder und Eigentum auf den Besitzer des Sklaven über. —
Der Wai-Neger in Liberia soll von Rechts wegen von seinem (ältesten?)
Sohn oder, in Ermanglung eines Sohnes, von seinem nächsten Verwandten be-
erbt werden. In der Tat aber kommt es häufig vor, daß der Dorfhäuptling
und andere Häuptlinge den rechtmäßigen Erben, wenn dieser noch jung oder
abwesend ist, seines Erbteils unter allerlei Vorwänden berauben (Oskar Baumann).
Weiber des Verstorbenen als Erbteil finden wir wieder im Grasland
von Kamerun: Wie die Ewe, so berücksichtigen aber auch die Bali des
Kameruner Graslandes wenigstens das Verhältnis der leiblichen Mutter zu
ihren Söhnen. Universalerbe ist hier der älteste Sohn seines Vaters. Seine
leibliche Mutter gehört nicht zum Nachlaß. Was das übrige Erbe betrifft, so
verlangt der Anstand, daß der älteste Sohn seinen Geschwistern davon einen
') Die Vertreibungsformel für ungehorsame Sühne lautet bei den Hwetät: „O N., ich
scheide dich ab, und Gott scheidet dich ab vom Besitz und Verkehr." — Aber auch bei
diesem Stamm gilt die Vertreibung und Enterbung eines eigenen Sohnes nicht bis über den
Tod hinaus (Mnsil).
«) Ploß, 2. Aufl. II, 407.
3) Bei Ploß. ebenda.
4) Vgl. die Hausgemeinschaft in der indo-europäischen Völkerfamilie.
42*
660 Kapitel LH. Das Erbrecht des Kindes mit Ausschluß des sog. ..Mutterrechtes".
kleinen Anteil gibt. Die unverheirateten Kinder gelten nach dem Tod des
Vaters als die Kinder des ältesten Sohnes {Bernhard Ankermanri).
Bei den Wambugu in Usambara, Deutsch-Ostafrika, erbt ein Bruder
des Verstorbenen dessen Weiber, Hütte und Felder und übernimmt Vaterstelle
an den Kindern, die Vieh und Weideland unter sich teilen. — Prozesse ver-
erben sich oft auf Kinder und Kindeskinder (Storch).
Auch bei den Wakilindi1), ebenda, werden die Weiber eines Ver-
storbenen von dessen Brüdern geheiratet; wer das oberste Weib erhält, vertritt
bei den Hinterbliebenen Vaterstelle. Sklaven. Vieh und Felder bleiben dem
Nachfolger des Verstorbenen; sonstiges Vermögen wird unter sämtliche Kinder
verteilt. Zum Zeichen, daß der Gatte der obersten Frau nun au den Kindern
des Verstorbenen Vaterstelle veitritt, reicht er ihnen von dem Opfertier, das
einige Tage nach der Beerdigung geschlachtet wird, etwas Fleisch, geht dann
mit ihnen auf das Feld hinaus, und hier fingieren die Kinder, zum Zeichen,
daß sie den Mann als Vater anerkennen, die dem Feldbau charakteristischen
Arbeiten.
Ähnlich ist es bei den Washambaa in Usambara, wo aber der älteste
Bruder des Verstorbenen meistens Universalerbe ist. Doch haben die Kinder
das Recht, von ihm. der. wie bei den Wakilindi, Vaterstelle vertritt, einen
Teil des Erbes abzufordern, wenn er sich als geizig erweist oder sonsl miß-
liebig wird.
Die Sklaven der Wakilindi und Washambaa vererben ihre Felder,
Hab und Gut ganz oder doch teilweise auf ihre Kinder, obwohl auch diese
Sklaven bleiben (Storch).
Hingegen haben im Kilwa-Bezirk an der deutsch-ostafrikanischen
Küste die Söhne der Sklaven keinen Anteil an dem Nachlaß ihrer ver-
storbenen Väter; dieser fällt vielmehr dem Herrn des Sklaven zu. Sind aber die
Söhne beim Herrn beliebt, so überläßt ihnen dieser den Nachlaß ihres Vaters
zur Verwaltung und Nutznießung. - ■ Die Söhne eines Freigelassenen
beerben ihren Vater. Der frühere Herr bekommt nur einen Sklaven als
Geschenk. Überleben einen Freigelassenen nur Töchter oder Verwandte, so
fällt dem früheren Herrn die Hälfte des Nachlasses zu: das übrige den Erben
(Frhr. von Eberstein).
Das Erbrecht der Wasiba, westlich vom Viktoriasee. Deutsch-Ostafrika,
spricht den Nachlaß dem begabtesten Sohn des Verstorbenen zu. Die
übrigen Söhne und die Trichter gehen leer aus (Serrmann).
Bei den Namib-Buschleuten geht der Nachlaß eines Mannes auf dessen
Frau, und erst nach ihrem Tod auf den ältesten Sohn über. Dieser gilt jedoch
gleich nach dem Ableben des Vaters als Familienhaupt und muß für die
Witwe sorgen ( Trenk).
Den Nachlaß eines Auin-Buschmannes erbt dessen ältester Sohn direkt
vom Vater. Die Witwe, Töchter und übrigen Söhne erhalten nichts. Der
Nachlaß ist übrigens sehr gering, d. h. er besteht gewöhnlich in einigen Ge-
brauchsgegenständen und Fellen (Kaufmann).
ij 319. Erbe an Töchtern und Weibern bzw. Immobilien und Mobilien
bei den Battak, Moniimbo-Papiias und Yapern.
I>en Battak auf Sumatra beerben seine Söhne oder, wenn solche nicht
vorhanden sind, seine Brüder und männlichen Verwandten. Die Töchter
bilden selbst ein Erbgut, weil für sie ein Brautpreis bezahlt wird. Die
Witwe unterstellt der Autorität ihrer Söhne, die für ihren Unterhalt zu
'i Wie schon früher erwähnt, sind die Wakilindi. nach Storch, arabischer Ab-
stimmung.
§ 350. Erbe an Immobilieu und Mobilien bei Koreanern, Chinesen, Ao-Nagas, Thai usw. 661
sorgen haben. Vorhandene Nebenfrauen werden von den Söhnen des Ver-
storbenen geerbt und geheiratet (IC. Ködding).
Der Monumbo-Papua in Deutsch-Neuguinea verteilt seine Immo-
bilien unter seine Söhne und Töchter, wenn diese noch in den Kinderjahren
siud. Diese Immobilien, welche in Feldern, Palmen, Kokosnußbäumen. Brot-
fruchtbäumen u. a. m. bestehen, sind die Summe der Immobilien, welche er
und sein AVeib bei ihrer Verheiratung zur Gütergemeinschaft zusammengebracht
haben, die aber im Falle der Trennung zum Nutzen der Kinder (mit diesen)
dem Mann verbleiben. An diesem Vermögen nehmen alle leiblichen und
adoptierten Kinder des Mannes teil. Ist von einem Gegenstand nicht genügend
vorhanden, dann sorgt der Vater für Ergänzung, indem er z. B. mehr Bäume
pflanzt. Franz Vormann, der dieses mitteilt, bemerkt auch, daß jedes Kind
der dortigen Missionsschule bereits ein Stück Land sein eigen nenne, welches
von den Eltern bebaut werde. Das Kind bekommt seine eigenen Kokospalmen,
Betelpalmen. Brotfruchtbäume usw. -- Die Mobilien, z. B. Lanzen, Taschen,
Schmuckgegenstände. Kleider und Töpfe sind am Anfang der Ehe nicht Güter-
gemeinschaft der beiden Gatten, so daß, wenn es zur Scheidung kommt, das
Weib seine Mobilien einfach zusammenpacken und mitnehmen kann. Verden aber
diese in die Ehe gebrachten Gegenstände im Laufe der Jahre durch neue
ersetzt, dann tritt auch für die Mobilien in gewissem Sinne Gütergemeinschaft
ein. Doch werden diese vom Vater nicht an die Kinder verteilt, sondern
diese selbst teilen sie unter sich oder benutzen sie gemeinsam. Der Vater
sorgt ferner dafür, daß jedes Kind einen oder mehrere wertvollere Schmuck-
gegenstände aus Muscheln oder Hundezähnen erhalte, indem er solche kauft
oder selbst anfertigt. Sein eigener Schmuck bildet ein Gemeingut der Kinder. -
Stirbt der Vater, während die Kinder noch klein sind, dann kommt der Mutter
die Verwaltung und Nutznießung seines Nachlasses, d. h. des Erbes der Kinder,
zu. Nach ihrer Wiederverheiratung teilt ihr zweiter Gatte jenes Verwaltungs-
und Nutznießungsrecht. Das Vermögen selbst verbleibt den Kindern, darf
nicht angetastet werden, nicht den Kindern zweiter Ehe zukommen.
Auf Vap, wo im Gegensatz zu den meisten Inseln Mikronesiens aus-
geprägtes Vaterrecht herrscht, werden die Männer ausschließlich von ihren
Söhnen beerbt; die Töchter haben nur den Nießbrauch an dem Nachlaß. Von
den Söhnen übernimmt in der Regel der ältere das Wohnhaus des Vaters;
der jüngere baut sich auf dem väterlichen Grund ein neues Haus (Arno Senfft).
Das Erbrecht auf den Banks- Inseln wurde in Kapitel LI gestreift. —
§ 350. Erbe an Immobilien und Mobilien bei Koreanern, Chinesen,
Ao-Nagas, Thai", Annamiten, Golden1) und Jakuten.
In Korea vererben sich die Familiengüter nur auf die Söhne, nicht auf
die Töchter, weshalb in Ermanglung eines (legitimen) Sohnes zur Adoption
geschritten wird (Hamilton).
In China darf das erbliche Stammgut der Familie nicht geteilt und nicht
veräußert werden; es fällt auch nicht immer dem ältesten Sohn, sondern dem
ältesten männlichen Verwandten in der Familie zu. Das übrige väterliche
Erbgut wird gleichmäßig unter die. Söhne verteilt, ob diese nun von der ersten
Frau, oder von einer Konkubine geholfen, oder ob sie adoptiert sind. Töchter
erben nur, wenn unverheiratet und wenn keine männlichen Agnaten mehr am
Leben sind. — 0 nutze! fügt diesen Mitteilungen übrigens bei: „In manchen
Provinzen bekommen die unverheirateten Töchter die Hälfte des Anteils,
welcher einem Sohne zufällt, in manchen dagegen nichts, und es fällt dann
') Hier mit Einschluß der leiblichen Mutter, s. S. 663.
6rj2 Kapitel LH. Das ErbrecLt des Kiudes mit Ausschluß des sog. ,.Mutterrechtes".
den Brüdern die Pflicht zu. für deren Lebensunterhalt und eventuell auch für
deren Verheiratung Sorge zu tragen.
Der Ao-Naga in Assam wird nicht von seinen Kindern, sondern von
seinen Verwandten in männlicher Linie beerbt, obgleich die Kinder zu seinem
Stamme gehören (Mols)1).
Bei den Thai erbt nur der älteste Sohn, der auch Stammhalter ist
(vgl. Ahnenkult). Ob er seinen jüngeren Brüdern von seinem Erbe etwas
abtreten will, hängt von ihm ab. Das weibliche Geschlecht ist überhaupt
nicht erbfähig. Wo weder ein eigener, noch ein adoptierter Sohn vorhanden
ist, geht der Nachlaß auf einen Vetter oder Neffen des Verstorbenen über.
In Ann am tritt nach dem Ableben eines Ehemanns und Vaters dessen
erste Frau die Verwaltung und den lebenslänglichen Nießbrauch der gesamten
Hinterlassenschaft an, insofern sie sich nicht durch Onwürdigkeit dieses Rechtes
verlustig gemacht hat. Die Witwe kann freiwillig ihren Anspruch zugunsten
der Kinder aufgeben und eine Teilung herbeiführen, die jedoch erst nach Ab-
lauf der dreijährigen Trauer stattrinden darf. — Bei Lebzeiteu der Eltern ist
die Teilung des Besitzes verboten.
Fig. i.=>7. Ao-Nagas in Assam, Hinteriüdi en. Nach iloU im ■.Aiithropos" tV, B8.
Erbberechtigt sind alle ehelichen Kinder, also auch die Kinder der
Nebenfrauen. Die Töchter sind bezüglich der Erbansprüche den Söhnen im
allgemeinen ebenbürtig, doch nicht fähig. Nutznießer und Verwalter des
„Huong-Hoa" (brennende Räucherkerze), d. h. jenes Feldes zu sein, dessen
Erträgnis zum Unterhalt der Grabstätten und Denkmäler der Vorfahren und
zur Bestreitung der Ausgaben für Gedächtnisfeierlichkeiten und sonstige
Kultusbräuche verwendet wird. Vielmehr muß der älteste legitime Sohn, oder,
wenn dieser schon tot, dessen legitimer Erstgeborner dieses Erbe antreten.
Fehlt ein männlicher Sproß, dann tritt ein Verwandter der nächsten Seiten-
linie den Huong-Hoa an. Ebensowenig darf ein weiblicher Nachkomme das
gleichfalls unveräußerliche „Tnyet-Tu" (endgültige Verehrung) verwalten, das
eine Familie ihren kinderlos gestorbenen Kindern errichtet. Hier tritt ein
Bruder oder Neffe in die Verwaltung und den Nießbrauch ein.
Der Annamite kann seine eigenen Kinder zugunsten anderer enterben;
nur den ..Huong-Hoa" darf er seinem Ältesten nicht entziehen, wenn sich
dieser nicht als ganz unwürdig erwiesen hat, dieses Erbe anzutreten (H.Seidel,
nach Denjoy). — Das Erbrecht der adoptierten Kinder s. K. LIV. —
s 68)
') „Die Kinder folgen dem Stamme oder der Sektion des Vaters-' (Moh im Anthrop. IV,
§ 351. Erbe an Mobilien und Immobilien bei amerikanischen Völkern. (j(j3
Über das Erbrecht der Dravida im südlichen Vorderindien schrieb Ploß1):
Grund und Boden vererbt, samt dem Vieh, nur auf die Söhne; die Töchter
können keiu Land besitzen. — In manchen Bezirken bekommt der älteste
Sohn einen Extraanteil. — Schmucksachen, Hausgerät, Geld, überhaupt be-
wegliche Sachen2) fallen den Töchtern zu, welche von den Brüdern erhalten
werden, bis sie heiraten; dann bekommen sie eine Aussteuer.
Das Erbrecht der Golden, einem Tungusen-Stamm am untern Amur,
spricht den Gesamtnachlaß eines Familienvaters dessen erstgebornem Sohne zu.
Sogar die leibliche Mutter des Erstgebornen ist in dieses Erbgut ein-
geschlossen. Sie wird von ihrem eigenen Sohn geeheUcht(Jakobsen-Genest).
Der Jakute kann zu seinen Lebzeiten sein Vermögen nach Belieben
unter seine Söhne verteilen. Der reiche, von Friedrich Müller erwähnte
Uwotschan vermachte z. B. seinem Liebliugssohn den größten Teil seines
Vermögens. Was bei seinem Tod übrig bleibt, fällt seinen Söhnen in gleich-
mäßigen Quoten zu, seien es Aktiva oder Passiva. Der "Witwe fällt ihr
Brautpreis zu. Die Töchter scheinen nicht erbberechtigt zu sein, wohl aber
auf Aussteuer Anspruch zu haben. Middendorf teilte die Sage mit, ein Jakute
habe aus Zorn darüber, daß um eine seiner Töchter, die er nicht leiden
konnte, gefreit wurde, ihr nur eine Stute und eine rote Kuh mitgegeben. —
§ 351. Erbe an Mobilien und Immobilien bei amerikanischen Völkern.
Bei den Mayas in Yukatan beerbten die Söhne ihren Vater nach dessen
Tod in der Regel gleichmäßig. Als Ausnahme galt, daß ein Sohn, der sich
bei Erwerbung des väterlichen Vermögens besonders verdient gemacht hatte, mehr
als die übrigen erhielt. — Die Töchter erbten nichts, erhielten überhaupt nichts,
wenn ihnen ihre Brüder nicht aus freien Stücken etwas überließen (Bancroft)*).
Im alteu Mexiko ging in den Kreisen des Hochadels, dem ein Teil
des Kronlandes als Lehen überwiesen war, das Lehen mit seinen Rechten und
Pflichten auf den ältesten Sohn des Verstorbenen über. — Bei dem niederen
Adel erbte der Erstgeborne gewöhnlich den väterlichen Besitz. Nur bei
dessen Unfähigkeit setzte der Vater einen andern Sohn als Erbe ein mit der
Bestimmung, für den Unterhalt des Erstgebornen zu sorgen.
Töchter konnten in der Republik Tlascala und wahrscheinlich auch in
den Königreichen Mexiko, Tezcuco und Tlacopan keinen Grundbesitz
erben. Der Grund dieses Gesetzes lag in dem Wunsche, daß kein Grund-
besitz, also auch nicht durch Heirat, in fremde Hände übergehe. Ebenso ging
in Zapotecapan und Miztecapan der Grundbesitz nur vom Vater auf die
Söhne, und zwar, wie es scheint, auf den Erstgebornen, nicht auf die Töchter über.
Merkwürdig war die Vorbereitung des Erstgebornen zur Über-
nahme des Erbes in Miztecapan. Der junge Mann mußte sich in ein
heilig gehaltenes (religious) Haus zurückziehen, wo man ihn in Lumpen hüllte,
mit Federharz und stinkenden Kräutern einrieb. Hier mußte er ein Jahr
lang unter harter Arbeit und Entbehrung zubringen und seinem Körper und
seinen Extremitäten wiederholt Blut entziehen*). Nach Ablauf des Jahres
wurde er von vier Mädchen mit wohlriechendem "Wasser gewaschen und
hierauf von Freunden festlich in sein Haus geführt. — In der Provinz Pänuco
M 2. Aufl. II, 404 f.
2) Nach dem Obigen ist das Vieh in diesen „beweglichen Sachen" nicht eingeschlossen.
— Mit der ausdrückliehen Verfügung, daß die Töchter kein Land besitzen können, reihte
sich das Erbrecht der Dravida an jenes der Indo-Europäer, die Römer ausgeschlossen, an.
Ebenso war es im alten Mexiko, wenn hier auch anders begründet.
3) In Nicaragua fiel der Nachlaß kinderloser Gatten den Verwandten vater- und
mutterseits zu (Oviedo, bei Bancroft II. 653); nach Squier (bei Bancroft, ebenda) nahmen
solche Leute ihr Vermögen (?) mit ins Grab.
4) Vgl. die Blutentziehungen in Kap. XLVTII.
G64 Kapitel LII. Das Erbrecht des Kindes mit Ausschluß des sog. ..Mutterrechtes".
erbte nur der älteste Sohn Land; seine Brüder mußten sich von ihm solches
pachten (Bancroff).
Söhne, die das väterliche Erbe verschwendeten, wurden im alten Mexiko
aufgehängt, oder, wenn nicht mit dem Tode, doch mit andern schweren
Strafen belegt. Wer den fremden Schweiß nicht achte, von dem er lebe, der sei des
Lebens unwürdig, oder verdiene wenigstens schwere Strafe, hieß es I Torquemada I.
Im Inkareich, Peru, konnte der Thronfolger kein Vermögen erben.
Der Nachlaß des verstorbenen Königs wurde teils zu religiösen Zwecken ver-
wendet, wozu der Bau eines ,.Guaka" (Bethauses V) gehörte, in welchem der Tute
göttlich verehrt wurde; teils kam das Vermögen dem Hofgesinde zugute (Dapper).
Eine strenge Beobachtung der Majorats-Einrichtung war während der
langen Kolonialperiode und bis in die 70 er Jahre des 19. Jahrhunderts unter
den Vollbürgern der Kronindianer (d. h. der Indianer, die auf staatlichem
1
Fig. 40s. ßuarayas in Bolivia. Mädchen beim Wasserholen. Nach Francaco Pierini, Anthropos III, 876.
Grundbesitz angesiedelt waren) in Bolivia Pflicht. Nur auf den Erstgebornen
vererbten sich die Vorrechte des Vollbürgers und der Genuß des Grundbesitzes.
Kin Bruder oder naher Verwandter des Erstgebornen trat nur dann an die
Stelle des letztern, wenn der Erstgeborne nicht alle Prärogative seines Ranges,
d. h. gewisse Ehrenposten ausfüllte, die der Vollbürger oder Originario der
Reihe nach zu übernehmen hatte. Starb eine Familie aus. dann trat irgend-
ein Glied der Gemeinde, das noch keinen Grundbesitz hatte, den freigewordenen
Grundbesitz (Sayafia) an (Chr. Nusser).
Über das Erbrecht brasilianischer [ndianer bemerkte Floß1), daii Waffen
und Schmuck entweder auf das Grab gelegt, oder von deu Söhnen geerbt werden.
Besonders bemerkenswert dünkt mich endlich die Begründun»- für die
Enterbung der Kinder bei den Caraja in Brasilien, über die von Koenigswald
schrieb: .sie vererben bei ihrem Tode nichts auf ihre Kinder und sonstigen
Hinterbliebenen, damit diese nicht beim Anblick "der Gebrauch des Erbes an
den erlittenen Verlust erinnert werden. —
i Nach Bastian, Rechi vcrlililt nissc t.ri wi-srhiril, ■neu Völkern der Erde. Berlin 1870. !S. XI V.
Kapitel LIII.
Fragmentarische . Berichte über das Schicksal des
Waisen- und Stiefkindes.
§ 352. Schon die vorhergehenden zwei Kapitel machten uns teilweise
mit dem Schicksale der Halb- oder Vollwaisen mancher Völker bekannt, in-
sofern dort hauptsächlich der rechtliche Anspruch der Verwandten vater-
oder mutterseits auf das Kind zur Sprache kam. Das vorliegende Kapitel
berücksichtigt das Waisen-, bzw. das Stiefkind vor allem vom Standpunkt der
Fürsorge aus. welche ihm zuteil wird.
Das Material, welches mir in dieser Hinsicht vorliegt, ist allerdings noch
spärlich, genügt aber zu dem Beweise, daß es selbst auf den niedersten
Kulturstufen eine Waisenfürsorge, und zwar in der verhältnismäßig
höchsten Potenz gibt, d. h. in der Form der Adoption, der Annahme eines
Waisenkindes an Kindesstatt. Nicht nur im jungen Christentum, sondern auch
im Buddhismus, ja bei den sogenannten Wilden auf Formosa, in Australien,
bei den sibirischen Samöjeden, in den Tauschehen der Nordindianer, bei den
brasilianischen Karaja und bei den Indianerinnen in Paraguay finden wir sie *).
Inwieweit bei dieser Art Waisenfürsorge die Nächsten- oder Selbstliebe, das Wohl
des Kindes, oder der eigene Vorteil des Individuums, oder des Stammes oder
Staates berücksichtigt wird, muß freilich unentschieden bleiben. Im Juden-.
und Christentum zunächst gilt als höchster Standpunkt auch in dieser Hinsicht:
Das göttliche Gesetz.
Überraschend wirkt die staatliche Waisenfürsorge aber auch im Inkareich,
das durch die Ausnützung des Anteils der Sonne, der obersten Gottheit2),
zum Unterhalt der Waisen diese zugleich als Lieblinge der Gottheit kenn-
zeichnete und seiner Waisenfürsorge einen religiösen Stempel ebenso tief ein-
drückte, wie es im Christen- und Judentum geschah, mit dem wesentlichen
Unterschiede freilich, welcher den Polytheismus vom Monotheismus scheidet.
Wie ernst die alten Mexikaner es mit der Waisenfürsorge nahmen, be-
weist die Todesstrafe, welche sie auf den Mißbrauch der Vormundschaft
setzten. Solchen Mißbrauch weist dieses Kapitel auch bei anderen Völkern
nach: Bei den afrikanischen Wadschagga stellen gewissenlose Vormünder dem
Leben ihrer Mündel nicht weniger nach, als es bei jenen Griechen der Fall
war, gegen die Solon die Mündel zu schützen suchte.
Die Wahl eines Vormundes hängt, je nach dem Volke, vom Willen
des Vaters der zu bevormundenden Kinder ab und geht also in diesem Falle
immer bei dessen Lebzeiten vor .sich, oder sie hat. wenigstens zum Teil,
Richtlinien zu beobachten, welche, der Stamm oder der Staat zu ziehen für
gut fand. Ein Beispiel der ersteren Art haben wir in Arabia Petraea, wo die
i) Vgl. ferner Kap. LIV.
s) Oder wenigstens deren Symbol.
666 Kapitel L1II. Fragmentarische Berichte über das Schicksal des "Waisen- und Stiefkindes.
Wahl erst auf dem Sterbebett stattfindet. Beispiele der letzteren bei den
Arabern in Temen, den ostafrikanischen Wadschagga, in Daur (Wasirstan),
im altserbischen Familienrecht, im alten Griechenland, in China usw.
Als Vormünder erscheinen im vorliegenden Kapitel unter anderen die
Witwe ' i. ein mündiger Sohn, ein Bruder oder sonst ein Verwandter, ein
Freund, der Häuptling des Stammes und die lokale Behörde.
Der leicht übersichtliche. § 3Ö4 bedarf einer übersichtlichen Einleitung
nicht. —
§ 353. Das Waisenkind. Vormundschaft.
Aus den nordwestlichen Grenzgebieten von Britisch-Indien berichtet
H. A. Böse: Nach dem Tod eines Familienvaters in Daur. Wasiristan,
kommen dessen unmündige Kinder unter die Vormundschaft des Erben, d. h.
des nächsten Verwandten. Dieser kann vom Vater nur umgangen werden,
wenn Feindschaft zwischen beiden besteht. Das männliche Geschlecht
wird mit ungefähr 15, das weibliche mit etwa 14 Jahren mündig. -- Im
Kurram -Tal kann ein Vater für den Fall seiues Todes irgend einen zum
Vormund seiner Kinder bestimmen. Hier wie dort scheint aber ein männ-
licher Vormund für die Söhne nur dann aufgestellt zu werden, wenn der Vater
nach der Mutter stirbt; denn bei Böse heißt es auch: Die Vormundschaft
über einen minderjährigen Sohn hat dessen Mutter so lange, bis sie
Sich wieder verheiratet. Nach ihrem Tod "geht die Vormundschaft auf die
Onkel väterlicherseits, oder, wenn keine vorhanden sind, auf die nächste
männliche Verwandtschaft väterlicherseits über. — Die Vormundschaft über
minderjährige Töchter steht dem Erben des Vaters zu. Heiraten sie, dann
kommen sie unter die Vormundschaft ihrer Männer.
Im neuzeitlichen Persien ist es gebräuchlich, daß die Waisen eines ver-
storbenen Familienvaters samt ihrer Mutter in das Haus des Bruders des
\ erstorbenen zielten, wo sie Pflege und Unterhalt finden2).
In Griechenland nahmen sich schon Solons Gesetze um die Waisen
an. indem sie sie gegen habgierige Verwandte zu schützen suchten. Niemand.
der beim Tod eines Minderjährigen das nächste Erbrecht hatte, durfte
dessen Vormund werden. Auch staud der Vormund unter der Aufsicht des
Archon Eponymos, der bei der Anlage des Vermögens auf Zinsen und bei
Verpachtung der (Grundstücke durch den Vormund mitwirkte. Annen weib-
lichen Mündeln mußte der Vormund eine Mitgift geben (Wacftsmuf). Im
4. Jahrhundert v. Chr. stand es aber mit den griechischen Vormundschafts-
verhältnissen ..sehr schlimm", wie J. Burchhardt sich ausdrückte, der als
diesbezügliches Beispiel den Diogeiton bei Lysias anführte. Diogeiton habe
als Vormund seine Enkel und Neffen schmählich um ihr Vermögen gebracht.
Auch das altserbische Familienrecht, wel ihes freilich erst unter dem
Einfluß des Christentums schriftlich fixiert worden ist. nimmt sich schon
sorgfältig der Waisen an:
stirbt in der serbischen Hausgemeinschaft ein Familienvater, dann
haben der Stareschina3) und der Etat für die minderjährigen Kinder des Ver-
storbenen zu sorgen, ohne daß hierzu ein besonderer Auftrag nötig ist. —
Stirbt das Haupt einer Einzelfamilie, in welcher bereits ein über 18 Jahre
alter Sohn4) vorhanden ist. dann kommen die jüngeren Söhne und die un-
verheirateten Töchter unter die Vormundschaft dieses ihres älteren Bruders und
') Oh' Witwe kommt übrigens bei gewissen Völkern selbst unter Vormundschaft, z. B.
in Arabia l'etraea.
*) 77,//; II. 402
s) Das Eaupt der Hausgemeinschaft.
'i Mit 18 Jahren wird der Serbe mündig.
§ 353. Das Waisenkind. Vormundschaft. 667
ihrer Mutter. In Ermanglung eines großjährigen Sohnes erhält die Witwe,
welche bei der Vormundschaft in erster- Linie herangezogen wird, zwei gut
beleumundete reite Männer als Vormünder an die Seite, sei es, daß diese vom
Verstorbenen zu dessen Lebzeiten gewählt, oder daß sie nach dessen Tod vom
Gericht bestimmt werden. Beim Antritt der Vormundschaft haben sie eidlich
zu versprechen, daß sie ihre Pflicht gewissenhaft erfüllen wollen. Ihre Be-
fugnisse dauern, bis die Söhne das 18. Lebensjahr erreicht haben, bis die
Töchter verheiratet sind1).
Nach Ablauf der Vormundschaft haben die Vormünder Rechnung über
das Vermögen ihrer Mündel zu stellen. Für etwaige Schäden haften sie mit
ihrem Vermögen; diese Haftpflicht erstreckt sich auch auf die Erben {Georg
Milovanovitsch).
Im Urchristentum galt nur der als wahrer Christ, der sich auch um
Waisen und Witwen annahm. Bei Jacobus 1, 27 heißt es: „Eine reine, un-
befleckte Religion vor Gott dem Vater ist diese, sich der Waisen und Witwen
in ihrer Bedrängnis annehmen und sich selber unbefleckt vor der Welt erhalten."
Und in den sogenannten Apostolischen Constitutionen und Canonen
(IV, 1) lesen wir: „Ist ein Christ, gleichviel ob Knabe oder Mädchen. Waise
geworden, dann ist es schön, wenn ein Bruder'-), der kein Kind hat, sich des
Waisen annimmt und ihn an Kindesstatt hält. Hat er einen heiratsfähigen,
altersgleichen Sohn, so möge er das (adoptierte) Waisenmädchen ihm zur Ehe
geben. Die solches tun, vollbringen ein großes Werk, indem sie Waisenväter
werden, und von Gott dem Herrn werden sie für solchen Liebesdienst den
Lohn erhalten." — Die Waisenfürsorge wurde besonders den Bischöfen ans
Herz gelegt. Die Bischöfe sollten den Waisen die Eltern ersetzen, damit es
ihnen an nichts gebreche. Für die Mädchen sollte gesorgt werden, bis sie
heiratsfähig wären und einem „Bruder'', d. h. einem Christen, zur Ehe gegeben
werden könnten. Die Knaben soll man nicht nur aufziehen, sondern sie auch
ein Handwerk lehren und dann die nötigen Mittel zum Ankauf des Handwerks-
zeuges geben, damit sie niemand mehr in Anspruch nehmen brauchten, sondern
sich selbst fortbringen konnten3).
Schon im alten Testament tritt die Fürsorge für die Waisen wohltuend
in den Vordergrund. Das 2. Buch Mose 22, 22 mahnt: „Witwen und Waisen
sollt ihr nicht beleidigen." — Am Fest der Laubhütten sollte der alttesta-
mentliche Hebräer auch Waisen und Witwen zu Tisch laden (V. Mos. 16, 14),
und von dem Zehuten, der alle drei lahre von allen Früchten gegeben wurde,
sollten wiederum die Waisen und Witwen einen Teil erhalten (V. Mos. 26, 12).
„Hätte ich allein gegessen meinen Bissen, und nicht die Waise davon mit-
gegessen, hätte ich wider die Waise meine Hand erhoben, weil ich im Thore
meinen Beistand sali, so falle mir die Schulter vom Nacken und gebrochen
werde mein Arm in der Röhre," heißt es bei Hiob 31. 17, 21 und 22.
In Y einen erhalten unmündige Kinder nach dem Tod ihres Vaters dessen
nächsten Verwandten zum Vormund, und ist ein Verwandter nicht da, die
örtliche Behörde. - - Der Vormund hat über sein Mündel Vaterrechte, die sich
aber nicht auch auf dessen Vermögen erstrecken (Mamoni).
In Arabia Petraea wird der sterbende Vater unmündiger- Kinder auf-
gefordert, diesen einen Vormund zu bestellen. Die üblichen Formeln bei Auf-
stellung des Vormundes sind bei verschiedenen Stämmen verschieden. Die
der cAmärin übersetzte Musil folgenderweise: „0 N., ich vertraue dir meine
Familie an. Ihre Sünden auf deinen Nacken.'' Bei den Shür lautet sie: „0
') Das unverheiratete Weib gilt demnach im altserbiseben Familienreeht als lebens-
länglich unmündig.
2) Ein Bruder in Christo, also irgend ein (guter) Christ, gemeint.
3) Die sog. apost. Constit, d. Üb. Boxler, Kempten 1H74. IV, 1 u. 2.
(368 Kapitel Lill. Fragmeatarische Berichte über das Schicksal des Waisen- und Stiefkindes.
X.. meine Familie (lege ich) von meinem Nacken auf deinen Nacken." — Bei
den Salajta fordert einer der Söhne oder Verwandten den Sterbenden auf:
,,Sieh' uns an! Lege unsere Vergehen auf den Nacken eines Mannes, bevor du
stirbst," worauf der Sterbende einen mit den Worten bestimmt: ..Einen Tauben-
kranz lege ich von meinem Nacken auf deinen Nacken.-' — Ist der zum Vor-
mund Au->Tsehene nicht anwesend, so ruft der Sterbende bei denShür zwei
Umstehende zu Zeugen an, daß N. nun der Vormund seiner Familie sei. —
Bei den Saläjta bevollmächtigt der Sterbende einen Mann, den gewählten
Vormund von seiner Wahl in Kenntnis zu setzen (Musil).
Der sterbende Wadschagga unterstellt seine kleineren Kinder dem Schatz
seiner erwachsenen Söhne, denen er zugleich die Sorge um ihre Mutter1) zur
Pflicht macht. „Bereitet er (der Sohn) Dir Trübsal," sagt er zu seinem Weib,
..dann werde ich es sehen (und rächen)." — In Ermanglung erwachsener Söhne
bittet der Sterbende einen Freund, sich der Kinder väterlich anzunehmen,
was freilich oft nicht geschieht, wie B. Outmann mitteilt. Schon_ mancher
Vormund habe seine Mündel ermordet, um das Erbe in seinen Besitz zu bringen.
Die Waisen reicher Männer führt man nach Abschluß der Trauerzeit zum
Häuptling, den man folgenderweise anspricht: ..Da sind Deine Waisenkinder,
die Dir jener zurückließ. Schirme den Stab'2), den er dagelassen hat." —
Dabei übergibt man dein Häuptling ein Bind zum Geschenk, das man sofort
schlachtet, und von welchem der Häuptling den Kindern Brust und Bauch
verteilt. Dann entläßt er sie wieder, aber die Kinder stehen von nun an
unter seinem besonderen Schutz {Gutmann).
Bei den eingebornen, sogenannten wilden Stämmen auf Formosa nehmen
sich nach dem Tod eines Familienvaters die Verwandten um die Waisen und
deren Mutter in aufopfernder Weise an (IT. Müller).
Auf Yap gilt der Bruder des Erblassers als gesetzlicher Vormund von
dessen Kindern. — Über blödsinnige Kinder können auch deren ältere Brüder
nach dem Tod des Vaters Vormundschaft ausüben {Senjf't).
Über Australien bemerkte Plofi*), daß die nächsten Verwandten eine
Art Vormundschaft und die Sorge für die Familie eines Verstorbenen zu über-
nehmen haben.
Im jetzigen Japan werden Vollwaisen gewöhnlich von „irgend einer"
Familie adoptiert. Früher scheinen sie in milden Stiftungen untergebracht worden
zusein, deren es in Japan schon bald nach Einführung des Buddhismus viele a;ab.
Diese Stiftungen waren durch ein kaiserliches Edikt ins Leben gerufen worden,
erwiesen sich aber im Laufe der Zeit nicht als zweckdienlich, insofern sie
von gewissenlosen Leuten mißbraucht wurden (K. Ringe M. Hirai)*). —
Kali im alten Japan Waisenmädchen von ihren Verwandten zu Prostitutions-
zwecken verkauft werden durften, ist in i; 313 erwähnt worden.
In China wird nach dem Tod eines Familienvaters dessen Gattin das
Haupt der Familie. Zu ihren Lebzeiten erhalten die Kinder nur dann innen
Vormund, wenn die Mutter die Verantwortung nicht allein übernehmen will.
Nach ihrem Ableben gehl die patria potestas auf den ältesten Sohn über.
sterben beide Eltern mit Hinterlassung von Kindern unter sieben Jahren,
dann muß der nächste männliche Verwandte des gleichen Familiennamens die
Vormundschaft übernehmen. Ein Verwandter mit einem andern Familiennamen
'i Bzw. Mütter, wenn polygam verheiratet,
2) Der Stab als Zeichen der Begattung, z. B. im alten Arabien, ist in diesem Werk
früher erwähnt worden. Hier ist er wohl ein uuserni Stammbaum ähnliches Bild.
3I L'. Aull. II. 334 (nach /•'. ' 'liris/imiiiii). ohne Angabe des Stammes.
M Der Baddhapriester Hirai will schon im 7. .lahrh. v. Chr. von mildtätigen Stiftungen
durch buddhistischen Einfloß wissen, obschon Buddha erst um die Jlitte des 6. .lahrh. lm'-
boren wurde,
§ 353. Das Waisenkind. Vormundschaft.
669
kommt nur dann in Betracht, wenn kein Verwandter des gleichen Familien-
namens mehr vorhanden ist. Der Vormund verwaltet das Vermögen der
Kinder, zieht die Nutznießung- davon und übt zeitlebens die vollen Rechte
eines Vaters aus. Doch bleibt den Kindern ihr Vermögen als Eigentum
(Jos. Grunzet).
Das Schicksal mancher Waisen ist auch in China kein beneidenswertes,
das geht aus der folgenden Äußerung Lord William Ceeils nach seinem Besuch
dortiger Waisen- und Findelhäuser hervor, welche von katholischen Missions-
schwestern geleitet werden:
„Es war ergreifend zu sehen,"
schrieb er, „wie diese armen
Kleinen, von den eigenen Müt-
tern verlassen, zu den Frauen
einer andern B asse auf seh auten,
die an ihnen Mutterstelle ver-
treten. Viele dieser Kleinen
tragen noch deutlich die Spuren
der grausamen Mißhandlungen,
die sie, vor ihrer Aufnahme
durch die Schwestern, erlitten
hatten." (Die kath. Miss.)
Zwei T u r k e s t a n e r
Sprichwörter über Waisen
lauten: „Eine Waise ohne
Mutter ist nichts wert, eine
Waise mit einer Mutter —
ein Blümchen." — „Wenn du
ein verwaistes Lämmchen auf-
fütterst, wird Mund und Nase
bei dir im Fette sein (wenn
du es schlachtest); wenn du
aber einen Waisenknaben er-
ziehst, wird er dir Nase und
Mund mit Blut beschmieren
(undankbar, frech sein)" (N.
von Seidlitz).
Bei den Kirgisen ent-
ledigen sich manche Vorm ünder
vonKnaben ihrer Mühewaltung,
indem sie ihre Mündel mit
viel älteren Mädchen, oder mit
Weibern verheiraten, damit
diese für die Knaben Sorge
tragen. Mrs. Atkinson kannte einen neuvermählten Knaben, ein pures Kind,
dessen Gattin etwa dreißig Jahre zählte. Der Knabe ließ sich von ihr zurecht-
weisen, wie ein Kind von seiner Mutter.
Bei den Jakuten vertritt beim Ableben des Familienhauptes ein er-
wachsener Sohn Vaterstelle an seinen unmündigen Geschwistern. Er muß
dafür sorgen, daß sie selbständig werden und sich verheiraten. Bis dahin
dienen sie ihm ohne andern Lohn. Ist ein erwachsener Sohn nicht vorhanden,
so scheint die Witwe Familienoberhaupt zu werden; denn Middendorff bemerkt,
man stelle verschwenderischen Witwen zugunsten der unmündigen Kinder
Kuratoren zur Seite.
Fig. 4j
Japanerin mit Kind. Im K. Ethnographisoheu Museam
in M iinchen.
t}70 Kapitel LI1L Fragmentarische Berichte über das Schicksal des Waisen- und Stiefkindes.
Bei den Samojeden übernehmen gewöhnlich die Verwandten die Sorge
für die Waisen, kleiden und ernähren sie, auch wenn diese ganz arm sind.
Haben die Kinder Vermögen, so wird dieses von den Vormündern gewissenhaft
verwaltet und den Kindern nach erreichter Mündigkeit mit dem Zuwachs an
Vieh und Geld herausgegeben. Können die Verwandten die "Waisen nicht
selbst zu sich nehmen, dann übergeben sie sie einem Bekannten, der für den
Unterhalt jährlich eine bestimmte Anzahl Renntiere erhält (P. von Steniri).
Auch unter den Eskimos gibt es mitleidige Herzen für Waisen : Astrup
erwähnt einen kleinen Waisenknaben namens Kadluktu, der in seinem Stamm
am Smith-Sund zwar kein ständiges Heim hatte, bald in dieser, bald in
jener Familie lebte, aber überall liebevoll behandelt wurde.
Das Los der Waisen bei den nördlichen Dene-Indianern (Tinneh)
schildert A. G. Moriee: In den Augen der Dene hatte das Waisenkind, wie
die Witwe, der Greis und die Greisin kaum Menschenrechte. Es wurde nicht
bloß das factotum, sondern der regelmäßige Sklave seiner neuen Herren, d. h.
derer, die es zu sich genommen, und waren das auch die eigenen Verwandten.
Fig. 4C0. Chinesische Yamen-Dieiier. Miyün, nördlich von Peking. — Mit Erlaubnis S. K. n. Prinz
RuppreeM von Bayern. Im K. Ethnogr. .Mus. um in München.
Mißhandelt, schlecht genährt, halb nackt und zu immer größeren Anstrengungen
gedrängt, obgleich es sich selbst zu Tode arbeitete - das war sein unver-
meidliches Los. Der Begriff Waise hat bis auf den heutigen Tag einen be-
leidigenden Beigeschmack.
Anders verhielt es sich mit jenen Halbwaisen der Nordindianer, deren
Mütter von ihren Ehemännern zu deren Lebzeiten zeitweilig ausgetauscht
worden warm. Starb ein solcher Mann, dann hielt sich der Hinterbliebene
für verpflichtet, die Waisen zu ernähren (Hearne)1).
Eine beachtenswerte Waisenfürsorge ist von den alten Kulturvölkern
Amerikas bekannt: Im Inkareich kamen die Produkte jenes Drittels aller
ertragsfähigen Ländereien, welches der Sonne2) gehörte, den Waisen, Witwen.
Utersschwachen und Annen zugute. In jedem Ort gab es Beamte, welche
die Nutzbarmachung dieses Drittels und die rechtmäßige Verteilung Beiner
Erzeugnisse zu beaufsichtigen hatten. Diese Beamten. I,;ictacainavu genannt,
kündigten den jeweiligen Beginn der Feldarbeiten für die Hilfsbedürftigen in
') Die Blutrache, welche bei den Nordindianeru und bekanntlich bei einer Reihe
anderer Völker sich \ li chlecht i Geschlecht Fortpflanzt, erlosch bei den Nordindianero,
wenn es sich um einen Waisen handelte, mit dessen Tod.
') Die Sonne, als Vater des ersten Inka, kennen wir bereits ans einem früheren Kapil 1.
§ 353. Das Waisenkind. Vormundschaft.
671
den Straßen ihres Reviers jedesmal einen Tag vorher an und forderten die
Einwohner zu möglichst zahlreicher Beteiligung auf. Jede Familie stellte
dann ihr Kontingent an Utensilien und Arbeitskräften zur Verfügung. -- Die
Waisen der im Krieg Gefallenen wurden auf Staatskosten erzogen und dann
verheiratet (Siotdstral). —
Bezeichnend für die Waisenfürsorge im alten Mexiko ist die Mitteilung
Torquemadas, daß Vormünder, die sich in der Verwaltung des Vermögens ihrer
Mündel gewissenlos erwiesen, aufgehängt wurden.
Auch die Maya-Völker stellten für minderjährige Erben Vormünder
auf. Diese erhielten für ihre Mühen Entgelt aus dem Vermögen ihrer Mündel
(Bancroft).
Bei den brasilianischen Karaja-Indianern werden die Waisenkinder
vom Bruder der Mutter1) aufgezogen und
unterhalten (Frifz Krause),
Von Martius dagegen fand bei den
„Wilden" Brasiliens „keine Spur von
Vormundschaft" für verwaiste Kinder. Der
Häuptling hatte keine Aufsicht über sie;
gewöhnlich wurden sie zwar von Ver-
wandten oder Nachbarn aufgenommen, aber
viele blieben sich selbst überlassen und
starben infolge äußerster Vernachlässi-
gung2).
Die Fürsorge für mutterlose Säug-
linge in Paraguay ist bereits früher er-
wähnt worden. Die AVeiber des Stammes,
welche Milch haben, wetteifern, um das
Kind zu bekommen, es nicht nur zu stillen,
sondern auch um es wie ein eigenes auf-
zuziehen (Juan de Escandoii) :!).
Eine für die Weißen nicht eben ehren-
volle Mitteilung liegt mir über das Schicksal
mancher Waisenkinder von Bolivia vor.
Chr. Nusser schreibt nämlich, daß dortige
'Weiße sich bisweilen für die Schulden
verstorbener Indianer dadurch entschädigen,
daß sie sich der hinterlassenen Waisen Fig. «1
bemächtigen, wenn diese die Schuld ihrer
Eltern nicht tilgen können; oder „die
zarten Geschöpfe sind die Kriegsbeute roher Soldaten, wenn bei einem Auf-
stand das Schwert ihre Ernährer weggefressen hat". —
Dem Abschluß dieses engbegrenzten Kapitels möge je ein lettisches und
ein estnisches Waisenlied in der Übersetzuno: von .4. C. Winter folgen:
Eskim o - Familie. Westliches
Grönland. Nansen phot. Im Museum für
Völkerkunde in Leipzig.
I. Lettisches "Waisenlied:
„War noch klein, als ich die Mutter
Sah zur Pfort? hinausgetragen.
Lief ihr nach — nicht holt ich ein sie,
Rief nach ihr — sie hört' mich nicht!
Jetzt hab' ich, die Herde hütend,
Ihre Ruhstatt aufgefunden.
Auf dem Berg im gelben Sande,
') Also auch hier Zugehörigkeit des Kindes zum Stamm der Mutter (vgl. Kap. LI)
2) Floß H, 409.
s) Derselbe II. 147.
672 Kapitel LI II. Fragmentarische Berichte über das Schicksal des Waisen- und Stiefkindes.
Unter dichtem, grünem Käsen 1).
"Weinend setzte ich mich nieder
An der Mutter Grabesrand.
Bist zu früh zur Kuh gegangen,
Eh dein Kind du ausgestattet:
Ohne Brot geh' ich zur Hütung,
OhDe Mitgift in die Fremde.
Stehe auf. mein Mütterlein!
Werd' die Rasendecke lüften,
Du hast lange schon geschlafen,
Viel hab' Tränen ich geweint." —
„Kann nicht aufstehn, Töchterlein,
Liege unter drei Verschlüssen:
Gelber Sand bedeckt die Augen,
Meine Brust beschwert der Käsen,
Meine Glieder ruhn gefesselt
Von des Birkeubaumes2) Wurzeln!
Weine nicht, mein Töchterleiu,
Gott3) ist armer Waisen Vater,
Laima*) ihre liebe Mutter,
Ihre Brüder — Gottes Söhne6)." —
II. Estnisches Waisenlied.
,.Wck', ihr armen Waisenkinder.
Mütterchen, vom Baum gebrochen,
Unbeschützte, irre Schaf lein!
Hart die Hand der Fremden lastet,
Kalt und strenge straft der Brotherr,
Mitleidlos der Mitknecht höhnet.
Schlecht euch schützenBettlerlumpen,
Euer täglich Brot sind Tränen.
Keines Vaters Hand euch hütet,
Keiner Matter Lächeln lohnet;
Blauer Himmel nur euch hütet,
Lind euch lächelt Gottes Sonne." —
§ 354. Das Stiefkind
(Fragmente).
In Daur, nordwest-
liches Grenzgebiet von Bri-
tisch-] ndien, haben Stief-
kinder kein Anrecht auf den
Nachlaß ihresStiefvaters,wobJ
aber auf ihren Lebensunterhalt
ImKurram-Tal kann derStief-
vater ihnen sogar auch den
Lebensunterhalt versagen, wenn
er sich bei seiner Eheschließung
nicht eigens dazu verpflichtel hat. was aber in der Regel geschieht (H, A. Rose).
Aul Nauru im stillen Ozean erben die Stiefkinder das Vermögen der
Mutter (.hnig).
Fig (82. Kinderspielzeug bei den I.engu:i -Indianern im
nordUchen Chaoo von Paraguay hu Museum I. K. H.
Prinzessin Thert •> n '; yern.
si Hierzu bemerkt Winter: „Noch im vorigen (18.) Jahrhundert klagten die Prediger
über die ,. Huschbegräbnisse der Unteutschen" ; denn Letten und Esten umgingen gern
das Bestatten ihrer Leichen auf christlichen Friedhöfen und begruben sie heimlich an ihren
alten heidnischen Grabstätten tief im Walde oder auf dem Felde."
-i VgL die Birke als heiliger Baum der .Mordwinen in S; 27").
3) Nach einer Anmerkung Winters steht im lettischen Texte: „Deews" i Wurzel ..div" =
leuchten, wie bei Zeus und Dyaus pitar),
') Laiina ist die Schicksalsgöttin.
<>i „Gottes Söhne" [Deewu dehli). obwohl in den lettischen Liedern häufig vorkommend,
sind noch nicht befriedigend gedeutete, mythische Gestalten (Winter).
§ 354. Das Stiefkind (Fragmente).
673
Ähnlich ist es im altserbischen Familienreeht. Geht hier der über-
lebende Mann eine neue Ehe ein, so hat er den Kindern aus erster Ehe auf
deren Wunsch den ganzen Nachlaß ihrer Mutter auszuhändigen. Zudem ist
er aber auch verpflichtet, die
Kinder bei sich in der neuen Ehe
zu behalten und zu unterhalten,
so lange er die Teilung der Dedo-
vina1) nicht vornimmt, oder die
Kinder nicht verheiratet und aus-
gesteuert aus dem Hause ge-
schieden sind. Zuwendungen aus
dem mütterlichen Nachlaß zu-
gunsten der Stiefmutter können
die Kinder ihrem Vater verbieten.
— Die Kinder erster Ehe gelten
durch den Abschluß einer rechts-
gültigen zweiten Ehe dem neuen
Ehemann, bzw. Eheweib, als adop-
tiert (Milovanovitsch).
Bei den mohammedani-
schen Serben gelten Stief-
geschwister rechtlich nicht als
Verwandte, sondern als Freunde
(Milovanovitsch).
Von den Huzulen. Slawen
an den nordöstlichen Abhängen der
Karpatheu, teilt Kaindl mit, daß
durch die rechtliche Zurücksetzung
der Stiefkinder hinter den leib-
lichen Kindern viel Streit ent-
stehe. —
In China beerben Stiefsöhne
ihren Stiefvater nicht, haben aber
ein Anrecht auf das Vermögen,
welches ihre Mutter in die Ehe
brachte (Jos, Grwnzel).
Die Ostjaken scheinen ein
Recht über Leben und Tod ihrer
Stiefkinder zu haben: Castren er-
wähnte nämlich in seinen Reise-
briefen einen Ostjaken von Surgut, der sein Stiefkind, einen Knaben, töten
wollte, dann auf Bitten seines Weibes, der Mutter des Knaben, das zwar
unterließ, ihn aber dafür am Ufer des Jugan aussetzte. —
Fig. 403. Kinderpuppe bei den Kaingang-Indiauern im
Grau Chaco. Im Museum I. K. H. Prinzessin Therese
von Bayern.
') Das vom Großvater und der Großmutter väterlicherseits Geerbte, auf welches die
Enkel ein Anrecht haben (Milovanovitsch. S. 63).
Ploß-Renz, Das Kind, s Aufl. Bandit.
43
Kapitel L1V.
Das Adoptiv-, Pflege- und Ziehkind.
§ 355. Der Wunsch nach Kindern, dem Kapitel I gewidmet war.
kommt auch in der Adoption vielfach zum Ausdruck. Wo eigene Kinder,
oder doch Söhne, fehlen, sucht man einen bestmöglichen Ersatz dafür, indem
man ein fremdes Kind, meist einen Knaben, in sein Haus aufnimmt und ihm
die Rechte und Pflichten zuspricht, welche ein leibliches Kind, ein eigener
Sohn, im Recht und Brauch des betreffenden Volkes genießt und zu erfüllen
hat1). Die Adoption eines Sohnes, trotz vorhandener Töchter, hängt vielfach
mit dem Ahnenkult und dem Erbrecht zusammen. Wo Opfer für die Toten
zu deren jenseitigem Glück nötig sind, wo solche Opfer aber nur von leiblichen
oder adoptierten Söhnen, oder doch nur von männlichen Verwandten gebracht
werden dürfen2); wo die Töchter gar nicht, oder doch keine Immobilien,
wenigstens keinen Grundbesitz erben, wo sie den Stammbaum nicht fortsetzen
können, da schreitet man gewissermaßen schon aus Not zur Adoption. Die
Osseten, Iranier im Kaukasus. Koreaner, Japaner. Chinesen und Siameseu sind
solche Beispiele.
Adoption ist aber, selbst von diesen Verhältnissen abgesehen, vielfach
gebräuchlich. Man will seine Eamilie vermehren, sei es um mehr Arbeits-
oder Wehrkräfte zu bekommen, sei es ans andern Gründen, von denen mir
leider nur vereinzelte vorliegen.
;j :>.j7 macht uns ferner mit Adoptionen bekannt, bei denen weniger der
Wunsch nach Kindern, als die barmherzige Liebe, die Caritas, in den Vorder-
grund tritt. Man erbarmt sich mutter-, vater-, elternloser Waisen oder über
Kinder erwerbsunfähiger Eltern: man rettet Kinder aus den Mörderhänden
der eigenen Eltern und nimmt sie an Kindes Statt in das eigene Haus auf.
Auch in diesem Sinne finden wir die Adoption auf sehr niederen Kulturstufen,
z. B. bei den Neumecklenburgern in der Südsee. bei Australiern und Eskimos.
Dunkel ist, meines Wissens, noch das Motiv der Karolinen-Insulaner bei
der Adoption fremder Kinder und der Weggabe der eigenen. Zwar scheint
die Mitteilung über die Bugis auf Celebes (§ 360), welche einer Verzärtelung
der eigenen Kinder zuvorkommen wollen, einiges Licht darauf zu werfen, aber
diese Erklärung stimmt nicht mit Sempers Versicherung, daß das Verhältnis
zwischen den Adoptiveltern und Adoptivkindern auf den Palau-lnseln (östliche
Carolinen) ebenso liebevoll sei wie jenes zwischen filtern und deren leib-
lichen Kindern.
Die tief einschneidenden Folgen einer Adoption für die daran direkt
und indirekt Beteiligten hat manche Völker, selbst auf relativ niederen Kultur-
i) Bei den alten Griechen galten jedoch die Adoptivkinder nicht für legitime Kinder.
(Ploß II. 100.)
' Vgl. S. 2C0.
§ 355. Das Adoptiv-, Pflege- und Ziehkind. (575
stufen, veranlaßt, ganz bestimmte Richtlinien zu ziehen, nach welchen eine
Adoption gestattet ist. So finden wir in § 359 Adoption bei den Osseten nur
in Ermanglung von Söhnen und männlichen Verwandten (und nach Blutfehden)
erlaubt; in Attika nur in Ermanglung von Söhnen; im nördlichen Gallien
(Kelten) zwar neben eigenen Söhnen, aber nur aus der Familie einer Tochter
und unter Zustimmung der eigenen Söhne; bei den alten Iren (Kelten) nur
mit der Zustimmung aller vier Verwandtschaftsgruppen der adoptierenden
Familie: in China1) nur aus einer gleichnamigen Familie usw.
Andererseits sucht das Gemeinwesen das zu adoptierende Kind sicher zu
stellen, damit dieses nicht etwa nach Willkür behandelt und später wieder ver-
stoßen werden könne. Solchen Mißbrauchen stand schon im alten Babylonien
Bammurabis Gesetz entgegen, das aber auch auf den Undank der Adoptiv-
und Pflegekinder strenge, ja barbarische Strafen setzte.
Am deutlichsten tritt die Innigkeit des Verhältnisses, welches man
zwischen den Adoptiveltern und Adoptivkindern herbeiführen will, bei jenen
Völkern hervor, welche die Adoption unter dem Symbol der Geburt,
bzw. des Säugens, vornehmen. Das vorliegende Kapitel führt als solche
Völker die Osseten, alten Kömer (und Griechen?), die alten Äthiopier, die
Tscherkessen, bosnischen Türken und Bulgaren, sowie die Sarawak-Dayaken
auf Borneo, also Vertreter der indo-europäischen, kaukasischen, ural-altaischen
und malayi.-chen Völkerfamilien an'2).
Es gibt sogar Völker, welche die Adoptivkinder über die eigenen setzen.
In gewissem Sinn scheinen die Karolinen-Insulaner, trotz ihrer großen Kindes-
liebe, hierher zu gehören, insofern sie eben ihre eigenen Kinder weggeben
und durch fremde ersetzen. Ausdrücklich erwähnt aber ist jene Bevorzugung
in § 359 von den afrikanischen Fulben und den Sarawakern. Das Verheiratungs-
recht, welches der Adoptivsohn in Arabia Petraea über die Töchter seines
Adoptivvaters hat, ist wohl nur eine Form der rechtlichen Bevorzugung der
Adoptivsöhne vor den eigenen Töchtern, sowohl hier als bei allen jenen
Völkern, welche das weibliche Geschlecht lebenslänglich bevormunden, sei es
inner- oder außerhalb der Ehe.
Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren eigenen, zur Adoption in
andern Familien weggegebenen Kindern ist bei verschiedenen Völkern ver-
schieden: Während Attika eine spätere Rückkehr ins elterliche Haus nach
Erzeugung eines Eiben für das Haus seiner Adoptiveltern gestattete, darf auf
Jap das Adoptivkind nur im Falle seiner Mißhandlung zurückverlangt w7erden,
und während in China das Recht des eigenen Vaters auf das Kind mit dessen
Adoption durch einen andern Mann aufhört, räumt Japan beiden Eltern-
paaren auf die Erziehung eines Adoptivsohnes Rechte über dessen Erziehung
bis zum 15. Lebensjahr ein.
Das attische Verbot, die natürliche Mutter zu verleugnen (§ 359), beweist,
daß in Attika, trotz mancher Zurücksetzung des weiblichen Geschlechtes im
allgemeinen, die Mutterschaft doch in hohem Ansehen stand.
') Mit Ausnahme von Findlingen?
) Vgl. die Symbole der Wiedergeburt in früheren Kapiteln, z B. bei der Haarschur,
Namengebung, Beschneidung usw. Auch das Durchkriechen und Durchziehen als Heilritus
soll ein Symbol der Wiedergeburt sein. Zachariae und Liebrecht faßten es als solches auf.
Dieser erinnert zugleich an das Schreiten durch das geteilte Opferlamm mit der gleichen
Bedeutung, und an eine symbolische Wiedergeburt in Indien, wo sich derjenige, der
symbolisch wiedergeboren werden will, in eine goldene Kuh einschließen und durch die
Geburtsteile derselben herausziehen läßt. Ferner verwies Liebrecht auf einen von Plutarch
überlieferten griechischen Braueh: Ein Totgesagter, für den die Bestattungsriten in assentia
vollzogen worden waren, galt, wenn er wider Erwarten zurückkehrte, so lange für unrein,
bis er eine symbolische Wiedergeburt durchgemacht hatte, d. h. er mußte durch den Schoß
eires Weibes gehen, sich waschen, in Windeln wickeln und säugen lassen. (Th. Zachariae:
Scheingeburt. In Ztschr. der Ver. f. Völkerkunde. 20. Jahrg. (1910), S. 144 ff.)
43*
G76 Kapitel LIV. Das Ädoptiv-, Pflege- und Ziehkind.
Bemerkenswert ist zweifellos, daß die Adoption in allen Völkerfamiließ
der Erde nachweisbar ist.
Einen Überblick über § 357 zu geben, dürfte erläßlich sein. —
§ 356. Das Adoptivkind.
Adoptionen ans Indien und bei den alten Germanen sind, in Ver-
bindung mit der Zeremonie der Haarschur, in Kap. XXXV erwähnt worden.
Im neuzeitlichen Persien ist Adoption durch kinderlose Eheleute all-
gemein üblich (Rawlinsori). — Im 17. Jahrhundert berichtete Delhi Volle,
man habe in Persien die zu Adoptierenden nackt in das Hemd des Adop-
tierenden gesteckt, sie an dessen Fleisch gelegt und dann wieder heraus-
gezogen, gleichsam, als ob sie, wie ein leibliches Kind, aus dem eigenen Leib
herausgekommen wären (Zaehariae nach Della Valle).
Bei den Osseten findet Adoption zunächst bei Ermanglung von
Söhnen und männlichen Verwandten statt. Der erstere Fall allein genügt
nicht, um adoptieren zu können, da die Adoption den Osseten nur als Not-
behelf bei Mangel an beiden gilt. Denn nur dann könnte der Hauskult nicht
fortgesetzt werden. Das ist nach Post-Kovalewsky ossetischer Grundsatz, der
aber Ausnahmen zu erlauben scheint, da Post-Kovalewsky feiner mitteilen:
Gewöhnlich finden Adoptionen beim Friedensschluß nach einer Blutfehde statt,
indem aus der Familie des .Mörders ein Mitglied zu jener des Ermordeten
übergeht ').
In Attika kam Adoption, besonders im 4. Jahrb. v. Ohr., häufig vor in
Familien, wo keine Söhne vorhanden waren. Man wählte den zu Adoptierenden
mit Vorliebe aus der nahen Verwandtschaft. Nicht selten wurde bei der
Adoption die Bedingung gemacht, daß der angenommene Sohn eine der Töchter
des Hauses heiratete. - - Kinder von Bürgern, die der Atimie verfallen waren.
adoptierte man nicht gerne; Wachsmut vermutet, daß auf einer solchen
Adoption wiederum die Strafe der Atimie lag. Nach Burchhardt hielt das
Gesetz eine Adoption nur dann für gültig, wenn der Adoptierte weder geistes-
krank, noch vor Alter kindisch, noch durch ein Zaubermitte] betört, noch durch
Weiberränke verführt war. — Die zu Lebzeiten der Adoptiveltern Adoptierten
hatten den Vorzug vor den testamentarisch Adoptierten. — Die Ruchlosigkeil des
damaligen Athen soll sich bei den Adoptionen entsprechend gezeigt haben. -
Adoptierte Söhne kehrten unter Umständen wieder in ihr väterliches Haus
zurück, doch durfte das nur geschehen, wenn sie dem Hause, das sie adoptiert
hatte, einen Leibeserben hinterließen. Nach einer gesetzlich korrekten Rück-
kehr zum Vaterhaus konnten solche Söhne ihre Väter beerben. — Kein
Adoptierter durfte seine natürliche Mutter verleugnen.
In Sparta konnte eine Adoption nur vor den beiden Königen vor-
genommen werden (Hrroilot VI, 57). —
Eine wichtige Rolle spielte die Adoption auch im alten Rom, wo sie.
ähnlich wie im neuzeitlichen Persien, durch Nachahmung des Geburtsaktes
abgeschlossen wurde. Ohne diese Zeremonie war die Adoption un-
gültig-), wie denn der griechisch-römische Mythus die Hera (Juno) selbst
dieser ..Sitte der Barbaren" nachkommen läßt. Als Zeus die eifersüchtige
Hera bewog, den Herkules zu adoptieren, drückte Hera den Helden an ihren
Busen und ließ ihn durch ihre Gewänder zur Erde fallen [Frazer, im Hinweis
auf D'iodor).
' i Vgl. den Indianerbrauch am Abschluß dieses Paragraphen.
-) Floß II, 410.
§ 356. Das Adoptivkind. Ö77
Zu einem raffinierten Mißbrauch artete die Adoption im kaiserlichen
Rom aus, nachdem Privilegien für fruchtbare Ehen ausgesetzt worden waren.
Kinder, die man scheinbar adoptierte, wanderten vou Haus zu Haus {Josef
Müller).
Über Adoption unter den Christen der ersten Jahrhunderte s.
§ 353. — In der Schweiz gilt die Adoption fremder Kinder noch heute als
eine Tat, die kinderlosen Eltern Gottes Segen erwirke, indem Gott ihnen
dazu auch leibliche Kinder schenke (Hoff'mann-Kraijer).
In Serbien ist Adoption selten. Mädchen adoptiert man in früher
Kindheit, Burschen erst mit 15 — 16 Jahren, weil die Adoptivväter diese bald
verheiratet sehen wollen, wie Milovanovitsch schreibt. Die Adoption findet
folgenderweise statt: Der Adoptierende ladet den Dorfältesten, einige Freunde,
die Eltern des zu Adoptierenden und diesen selbst zu Tisch. Während der
Mahlzeit steht er auf und hält eine Rede, in welcher er seinen Entschluß
mitteilt, den N. au Sohnes Statt anzunehmen. Hierauf küssen sich Adoptivvater
und Adoptivsohn, womit der Vertrag abgeschlossen ist (Wuk Wrtschewitsch
bei Milovanovitsch). — In Ragusa gilt Adoption nur dann, wenn sie durch
eine Charta publica beurkundet worden ist. — Das Adoptivkind hat im alt-
serbischen Familienrecht alle Rechte und Pflichten des ehelichen Kindes.
Sehr häufig ist Adoption bei den ruthenischen und huzulischen Land-
leuten in den österreichischen Karpaten1), wie R. Fr. Kaindl mitteilt. Die
Adoptierenden erwerben dadurch billige Arbeitskräfte. Indessen bekommen
die Leute, besonders die Rutheuen, meist nur Waisenkinder, da die Eltern
sehr an ihren Kindern hängen und zudem deren Kräfte selbst zur Arbeit
brauchen. - ■ Das Adoptivverhältnis hebt bisweilen den Verkehr zwischen
dem Adoptivkind und dessen wirklichen Eltern ganz auf. — Ein gerichtlicher
Akt ist mit der Adoption nicht verbunden; doch treffen manche Ruthenen mit
den Adoptiveltern über Kleidung und Ausstattung der Kinder Vereinbarungen.
Die Adoptiveltern sprechen ihre Adoptivkinder als Sohn und Tochter, und
diese, jene als Vater und Mutter an. Ehen zwischen den adoptierten und den
leiblichen Kindern einer Familie kommen selten vor, sind aber nicht verboten.
Bei ihrer Verheiratung erhalten die Adoptivkinder für ihre langjährige Arbeit
ein kleines Vermögen. Kaindl nennt überhaupt die Adoption bei den Huzulen
und Ruthenen eine Gesehäftssache. —
Das alte irische Recht verlangte zu einer vollgültigen Adoption die
Zustimmung der aus vier Verwandtschafts-Gruppen bestehenden Familie
(fine) und die Anwesenheit der ersten dieser Gruppen (gelfine) bei den münd-
lichen Unterhandlungen, welche die Adoption zur Folge hatten. Ein auf diese
Weise Adoptierter hieß mac foesma, d. h. Schützling (fils de protection) und
hatte Sohnesanteil an Haus und Grundbesitz. — War bei den mündlichen
Unterhandlungen die gelfine nicht zugegen, dann galt die Adoption für
unvollständig, und der Adoptierte hatte kein Anrecht auf das Haus, und auf
Grundbesitz auch nur für den Fall, daß er für den alten Vater wie ein Sohn
sorgte. H. d'Arbois vergleicht die vollgültige Adoption der alten Iren mit
jener, welche in den ältesten Zeiten Roms Geltung hatte, wo allerdings das
ganze Volk zustimmen mußte.
Im nördlichen Gallien gestattete das Gesetz nur die Adoption eines
Sohnes von einer Tochter des gleichen Hauses, die an einen Fremden (also
aus dem Vaterhaus hinaus) verheiratet worden war, und auch diese Adoption
') Erbberechtigt scheinen die „Adoptierten" hier aber nicht zu sein, wie aus der oben
folgenden Mitteilung Kainäh hervorgeht, nämlich, daß sie für ihre langjährige Arbeit ein
kleines Vermögen erhalten, wenn sie heiraten. Demnach genießen sie nicht alle Rechte eines
leiblichen Kindes, und der Ausdruck Adoption scheint also hier nicht ganz zu entsprechen.
678 Kapitel LIV. Das Adoptiv-, Pflege- und Ziehkind.
durfte nur mit Zustimmung der Brüder dieser Tochter stattfinden, da deren
Erbe durch den Anteil des Adoptierten verringert wurde (D'Arbois).
Mit der Zeremonie des Säugens ist die Adoption bei den Tscherkessen,
einem Kaukasusvolk, verbunden. Die Adoptivmutter reicht dem zu Adoptierenden
die Brust1).
Früher war die Säuglingszeremonie auch in Äthiopien üblich. Merk-
würdigerweise soll hier aber nicht die Adoptivmutter, sondern der Adoptiv-
vater dem zu Adoptierenden die Brust oder den Daumen zum Saugen gereicht
haben2).
Sehr selten ist Adoption bei den Kabylen, und auch dann nur unter
Verwandten (Hanoteau-Letourneux).
Unter den semitischen Völkern war Adoption schon bei den alten
Babyloniern üblich. In den Gesetzen Hammurabh (um 2250 v. Chr.) beziehen
sich mehrere Paragraphen darauf. § 185 :!) verbietet zunächst, daß ein Kind
zurückverlangt werde, welches von jemandem auf seinen Namen als Sohn an-
genommen und großgezogen wurde. — Dann geht der Paragraph auf einige
Einzelheiten ein: Der Sohn eines „Buhlen" im Palastdienste, oder einer Buhl-
dirne, kann nicht zurückgefordert werden. Ebensowenig ist Zurücknahme
statthaft, wenn ein Zunftangehöriger (Handwerker) ein Kind zur „Großziehung"
übernimmt und ihm sein Handwerk lehrt. Wohl aber kann ein Großgezogener,
dem sein Adoptivvater sein Handwerk nicht lehrte, oder der nicht „mit dessen
Kindern" (wie dessen Kinder?) gehalten wird, in sein Vaterhaus zurückkehren4).
- § 191 bestimmt: „Wenn jemand, der ein Kind als seinen Solin angenommen
und großgezogen hat, einen Hausstand begründet und darauf Kinder hat und
jenen Großgezogenen zu verstoßen beabsichtigt, so soll jener Sohn nicht
(einfach) seines Weges gehen. Sein Ziehvater soll ihm von seinem Vermögen
ein Drittel seines Kindesanteils geben und dann soll er gehen. Von Feld,
Garten und Haus soll er ihm nichts geben."
Das adoptierte Kind hatte unter Hiuitmurabis Gesetz Pflichten der Ehr-
furcht und Dankbarkeit gegen seine Adoptiv- bzw. Zieheltern. Die Paragraphen
192 und 193 lauten: „Wenn ein Sohn eines „„Buhlen"" oder einer Buhldirne zu
Ziehvater oder Ziehmutter sagt: „„Du bist nicht mein Vater oder meine Mnttei
so soll man ihm die Zunge abschneiden. — Wenn ein Sohn eines „..Buhlen"'
oder einer „„Buhldirne"" nach seinem Vaterhause verlangt (?). von Ziehvater
und Ziehmutter sich abwendet und in sein Vaterhaus geht, dem soll man
das Auge ausreißen." —
Im heutigen Arabia Petraea ist der Adoptivsohn eines Mannes, der
keine leiblichen Söhne hat, nach dessen Tod nicht nur der gesetzliche Erbe
des materiellen Besitzes dieses Mannes, sondern er hat auch das Recht, dessen
Töchter zu verheiraten. Er selbst darf diese nicht ehelichen *). Er gehört
zum Geschlecht seines Adoptivvaters.
Eine Adoption geht in Arabia Petraea folgenderweise vor sich: Her
Adoptierende ladet seine Stammesangehörigen zu sich in sein Zelt und schlachtet
im Gastraum ein Schaf. Dann spricht er die Anwesenden an: „Höret zu,
o Zeugen! Sehet diesen offenen Zeltraum und dieses für jeden bereitete Fleisch.
') Floß II, 410.
s) Ebenda.
D. Übers, v. Hugo WinMer, Lpzg. 1902.
'i Es sclici.it sieh also doch nicht um eigentliche Adoptivkinder, sondern um Zieh-
kinder zu handeln.
:,i Vgl, die Ermahnung in den sog. apostolischen Constitutionen und Canonen aus den
ersten christlichen Jahrhunderten, man solle die adoptierten Waisenmädchen mit den Söhnen
der Adoptiv- Eltern vermählen (§ 353).
§ 35Ö. Das Adoptivkind.
679
Es ist dies keine Gunst von mir, sondern sehet, ich adoptiere den N. (er soll
das Recht ausüben) über meinen Besitz, meine Herden und meine Töchter (MusiTj."
Adoption von Findlingen in Kairo und Ägypten ist in § 61 erwähnt
worden.
Häutig soll Adoption bei den nordafrikanischen Fellata oder Fulben
sein, wo die Adoptivkinder die leiblichen Kinder sogar aus der Erbschaft ver-
drängen ').
Bei den \Yahehe, südliches Deutsch-Ostafrika, sind es besonders
kinderlose Eheleute, die fremde Kinder adoptieren. Der Knabe auf Abbildung
Fig. 464. Ein Walieu e-Ehepaar mit ihrem Adoptivkind. Johannes Hufliger phot.
464 wurde nach dem Tode seiner Eltern adoptiert, und wird von seinen
Adoptiveltern wie ein leibliches Kind gehalten, wie mir Missionar Johannes
Häfliger brieflich mitteilte.
Bei den Adoptionen auf Madagaskar kommen (nur?) Kinder von Ver-
wandten in Betracht. Auch hier werden die Adoptivkinder wie eigene
gehalten (Sibree)2).
Adoption mit Geburtssymbolen verbunden finden wir dann wieder bei
den Dajaken in Sarawak, Westküste von Borneo: Hier setzt sich die
i) Ploß II, 410 (nach Denham)
2) Bei Ploß, ebeuda.
— Vgl. die Adoption auf den Karolinen.
680
Kapitel L1V. Das Adoptiv-, Pflege- ur.d Ziehkind.
Adoptivmutter in Gegenwart der zahlreich geladenen Gäste auf eineir hohen,
bedeckten Sitz und läßt sich das zu Adoptierende1) von hinten her durch die
Beine kriechen. Sobald das Adoptivkind vorn durchschaut, bestreicht man
es mit den süß duftenden Blüten der Areca-Palme und bindet es an die
Adoptivmutter, worauf beide, zusammengebunden, dem ganzen Haus entlang (?)2)
und wieder zurück wackeln.
Ein Vergehen gegen ein Adoptivkind ist in der Anschauung der Sarawaker
ärger, als ein Vergehen gegen ein leibliches Kind (J. G. Frazer, nach C. Hose).
Auf den östlichen und westlichen Karolinen der deutschen Südsee ist
Adoption von Kindern, auch wenn deren Eltern noch leben, allgemein üblich.
Fig. 465. Ein Palaner mit seinen eigenen Kindern, die er aber später von andern adoptieren MeU, wahrend
er selbst fremde Kinder adoptierte. — Kapuzinermission Elirenbreit stein a. Rh. ...
Nach Senfft zahlen die Eingebornen für Kinder, die sie adoptieren wollen,
große Summen. Auch hier genießen die Adoptierten die gleiche Liebe und
die gleichen Rechte wie die leiblichen Kinder. — Speziell über die Palau-
Inseln, östliche Gruppe der Karolinen, schreibt Semper, man suche haupt-
sächlich Knaben zu adoptieren. Viele angenommene Kinder wissen gar nicht,
daß sie durch Geburt einer anderen Familie angehören.
Die Adoption ist übrigens auf den Karolinen und verschiedenen anderen
Inseln der Südsee zugleich eine Art Kindertausch. Man gibt seine eigenen
Kinder in andere Familien zur Adoption und nimmt fremde an Kindes Statt
an (siehe Fig. 465 mit Unterschrift). Semper kannte den Fürsten Krei auf
Palau, der drei Adoptivkinder hatte. Seine eigenen Kinder waren von anderen
') Es scheint sieh hier aber um bereits Erwachsene zu handeln,
l'o the end of the honse" schreibt J. G. Frazer.
§ 356. Das Adoptivkind.
681
Familien adoptiert worden. — Gescliwisterheiraten vermutet Semper unter
solchen Verhältnissen als hantige Vorkommnisse. Sonstige schlimme Beein-
flussung des Familienlebens gewählte er nicht. Die gegenseitige Liebe zwischen
Adoptiv-Eltern und Adoptiv-Kindern stellt er den Europäern als nachahmens-
wertes Beispiel vor.
Ein Adoptivkind kann auf Jap von seinen eigenen Eltern nur dann
zurückgefordert werden, wenn es von seinen Adoptiveltern schlecht behandelt
wird (Senfft).
Ankauf und Adoption von Kindern meldete Pfeil auch aus dem Bismarck-
Archipel. als ,.bisweilen" vorkommend. Speziell vom mittleren Neu-
mecklenburg schrieb aber G. PeeJcel: Adoption, selbst zu Lebzeiten der
Eltern, ist häufig. — Eine Verwandtschaft entstellt durch die Adoption nicht,
obgleich die Adoptiveltern als Vater und Mutter angesprochen werden. — -
Waisenkinder werden von Verwandten angenommen.
Fig. 466. Pal auerill mit zwei Adoptivkindern auf Korror. - Von dem Missions-Sekretariatder rheinisch-
westfälischen Kapuzinerprovinz Ehrenbrei tstein a. Rh.
Adoption fremder Kinder durch kinderlose Eheleute ist häufig auf Nauru.
Die Adoptierten genießen auch hier alle Rechte der leiblichen Kinder (Jung).
Selbst bei den Monumbo-Papuas, deren Weiber sich doch vielfach
unfruchtbar machen, und die durchschnittlich im Zweikindersystem leben, weil
sie die Last der Pflege kleiner Kinder nicht tragen wollen, ist Adoption
„ziemlich im Schwange", wie Franz Vormann berichtet. Man adoptiert eben
Kinder, die bereits entwöhnt, oder noch größer sind. — Allerdings schreibt
Vormann auch: „Wenn eine Frau schwanger ist, sagt jemand, der gerne ein
Kind adoptieren möchte: „„Du, dein Kind nehme ich""1). Wenn sie zustimmt,
so läßt sie ihm gleich nach der Gebart das Geschlecht und die Beschaffenheit
des Kindes melden. Wenn es ihm genehm ist, läßt er zurückantworten, daß
man es waschen solle. Ist es ihm nicht genehm, so wird es in die See
geworfen. Es kommt auch vor, daß jemand sich eines Geschöpfes erbarmt,,
nachdem der eigentliche Vater es zurückgewiesen hat. . . . Wenn die Eltern;
') Demnach kann die Mutter über ihr Kind, unabhängig vom Vater, entscheiden.
682
Kapitel LIV. Das Adoptiv-, Pflege- und Ziehkind.
wegsterben, so finden die Kinder schnell Adoptiveltern." — Adoption kommt
also auch schon im pflegebedürftigen Alter des Kindes vor. — Die Adoptiv-
kinder genießen bei den Monumbo-Papua, wie bei den meisten andern Völkern,
die gleichen Rechte wie die eigentlichen Kinder.
Krieger meldete nach seinen Erfahrungen unter den Papuas auf Neu-
guinea Adoption verwandter Kinder durch kinderlose Eheleute.
Als eine Art Tauschhandel bezeichnete Turner auch die auf Samoa all-
gemein übliche Adoption, welche durch die Einführung des Christentums, wie es
scheint, etwas eingedämmt worden ist. Gewöhnlich gab ein Vater ein Kind seiner
verheirateten Schwester und erhielt dafür von ihr importierte Ware. Die
Warenlieferungen mußten auf gewisse Termine erneuert werden.
Die Rechte der eigentlichen und der adoptierten Kinder sind auch auf
Samoa im allgemeinen gleich. Nur betreffs der Würde des Familienoberhauptes
geht ein eigentlicher Sohn einem adoptierten vor. W. von Bülow schreibt:
Fi;;. 4o;. Eine Fisclierfamilie auf Tahiti, Oattrrolh phot. Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Hinterläßt das Familienoberhaupt keine direkten Nachkommen so wird oft
•dessen Adoptivsohn zum Oberhaupt gewählt,
Auf Tahiti besuchte in neuester Zeit (1910) Rene La Bruyere eine
Frau aus der königlichen Familie von Reiatea, Tetua, die eine beträchtliche
Anzahl kleiner Kinder adoptiert hatte.
Adoption ist ferner in Australien gebräuchlich: Schon in Kapitel IX.
S. 18i», wurde erwähnt, daß neugeborne Mädchen, welche am Moore-Fluß,
südwestliches Australien, von den eigenen Müttern mit dem Tode bedroht
wurden, gelegentlich von einer mitleidigen Zuschauerin gerettet und an Kindes
Statt angenommen wurden. — Um Port Stephens, südöstliches Australien,
adoptieren alleinstehende Weiber, sowie Eheleute, Waisenkinder1).
In Korea muß, wie in £ 349 angedeutet, in Ermanglung legitimer Nach-
kommen ein Sohn adoptiert werden, damit auf ihn die Familiengüter erblich
') Am Bert; Muri'hison niniinl sich der ganze Stamm um mutterlose Kinder an
•{Floß, nach Gerland und Freycinet)
§ 356. Das Adoptivkind.
683
übergehen, und die Begräbnisfeier und der Ahnenkult durch ihn gebührend
vollzogen werden können {Hamilton).
Ähnlich liegen die Verhältnisse in Japan. „Ein Fehlen des Sohnes,"
schreibt der Buddhapriester Kinza Bing!' M. Hirai, „ist . . . dem Japaner
mehr, als der Mangel eines Erben. Denn nur der männliche Nachkomme darf
am Schrein der Vorfahren opfern: ohne einen solchen ist also der häusliche
Altar verwaist, entbehrt der Kultus der Verstorbenen seines Priesters1)." Da
in jeder Familie also notwendig ein Sohn sein muß, werden vielfach Knaben
adoptiert, oder der Mann nimmt eine Nebenfrau, um von ihr den erwünschten
Sohn zu bekommen. Die adoptierten Kinder genießen in jeder Beziehung
dieselben Rechte wie die leiblichen, setzen sogar den Stammbaum fort2). -
Fi^. 4-;-. Km.iIm-h aud Männer m Papiti Papeete] auf Tahiti
künde in Leipzig.
Bim Frulistii
Im Must itin für Yulker-
Der Japaner kann sich somit auf Ahnen berufen, von denen er gar nicht stammt.
Das gleiche System gilt im japanischen Geschäftsleben, so daß gewisse Ge-
schäfte oder Berufe den Schein eines höheren Alters haben, als es in Wirk-
lichkeit ist, indem z. B. ein Musiker einen anderen Musiker als Sohn an-
nimmt, während vielleicht sein leiblicher Sohn von einem Arzt adoptiert ist
nnd dessen Generation fortsetzt3).
Nach J. J. Bein ist die Adoption in Japan ein sehr alter Brauch, der
sich jedoch erst mit der Entwicklung des Feudalwesens und Shogunats ver-
allgemeinerte, dann aber auch das Volksleben stark beeinflußte. Das materielle,
nicht das religiöse, Motiv sei damals bei der Adoption meistens ausschlag-
') Ohne Opfer müssen die Verstorbenen in der Unterwelt ewig hungern und dürsten (Rein).
2I Nach .7. J. Rein nimmt der Adoptivsohn nicht immer den Namen seines Adoptiv-
vaters an.
3) Ploß IL 410.
gß j. Kapitel LIV. Das Adoptiv-, Pflege- und Ziehkind.
gebend gewesen. Man habe der Familie die am Militärdienst haftenden
erblichen Reehte zusichern wollen. Außerdem suchte man, nach Rein, im
Adoptivsohn eine Stütze für das Alter und für die Tochter des Hauses. In
vielen Fällen heiratete der Adoptivsohn eine der Töchter1). Kegelmäßig
entstammte er dem Kreise Verwandter. So lang er minderjährig, d. h. unter
15 Jahren, war, sorgten beiderlei Eltern für seine Erziehung. — Schlechte
Charaktere adoptierten o'ft Mädchen in zartem Alter, um sie zu Kurtisanen
abzurichten und sich später von ihnen ernähren zu lassen. — Mit der Auf-
lösung des Feudalwesens and der Reduktion des Familienerbes verlor die
Adoption vielfach ihre Bedeutung und ist deshalb jetzt am Aussterben.
Hingegen ist sie in China, bei kinderlosen Eheleuten, noch sehr viel
üblich. Das zu Adoptierende muß hier aus einer Familie mit dem gleichen
Familiennamen stammen. Ein bestimmtes Alter, wie es im römischen Rechte
war. ist nicht vorgeschrieben, wohl aber die Zustimmung des nächsten männ-
lichen Verwandten, in dessen patria potestas der zu Adoptierende sich befindet.
Findlinge unter drei Jahren können ohne Formalität adoptiert werden. Die
Adoption nimmt nach Grunzel indessen sehr oft die Form eines Kaufes an.
indem der Vater des Kindes eine Vergütung erhält. — Mit der Adoption oder
dem Verkauf ist die Gewalt des eigentlichen Vaters zu Ende; der Adoptierte
erwirbt in der Familie des Adoptivvaters Agnatenrechte. — In China, wie
in Annam, erben die Adoptivkinder wie die eigenen.
Wie die Schweizer, so sind auch die hinterindischen Thai (Siamesen)
der Ansicht, Adoption bringe (unter anderem Glück) Fruchtbarkeit in die
Familie. — Kinderlose Eheleute, oder solche, die keinen Sohn haben, adoptieren
gerne, wenn sie ein Kind bekommen, was bei der Liebe der Thai zu ihren
Nachkommen aber selten ist (IJourlet). Da es auch hier dem Stammhalter
zukommt, den Seelen der Verstorbenen zu opfern, so unterliegt der Adoption
auch hier, unter anderen Motiven, ein religiöses; das wichtigste materielle
Motiv ist wohl der Erbgang, da, wie schon früher erwähnt, das Vermögen in
Ermanglung von Söhnen an einen Vetter oder Neffen des Erblassers übergeht.
Mit einem Symbol der Geburt ist die Adoption dann wieder verbunden
bei den bosnischen Türken. Die Adoptivmutter stopft das Kind in ihre
weiten Hosen und läßt es durch diese auf die Erde gleiten {Zachariae).
Ähnliches erwähnt Frazer von den Bulgaren.
In der Türkei wird die Adoption mit der Redewendung ausgedrückt:
..Jemanden durch das Hemd gleiten lassen" {Zachariae)*).
Adoption ist mir ferner bekannt von den Ai'nu, Eskimos und Indianern.
Kinderlose Ai'nu adoptieren gewöhnlich ein verwandtes Kind (Pilsudski).
Bei den Zentral-Eskimos ist Adoption häutig. Kann ein Mann aus
irgend einem Grund seine Familie nicht ernähren, oder ein Weib seine Haus-
arbeit nicht verrichten, dann werden dessen Kinder von Verwandten oder
Freunden in ihre Familien aufgenommen und ebenso gut ernährt wie i
eigenen. Das gleiche gilt von den Kindern der Witwen. Diese dürfen dann
selbst mitkommen und erhalten eine eigene Feuerstätte im Haus, oder im
Zelt ihres Wohltäters i Boas).
Am Cumberland-Sund geben kinderlose Eltern, die fremde Kindei
adoptieren wollen, deren Eltern eine Entschädigung (H. Abbes).
Nach Lyon') erbt bei den Eskimos der „Pnegesohn" (wohl Adoptivsohn
gemeint) die Familiengüter.
') Vgl. Attika.
■i Zachariae weist ferner auf die hier einschlägigen Forschungen von Otto, Grimm,
Liebrecht, Bachofen, Herbelot, Ducange u. a. hin,
») Bei l'loß II, 410.
§ 357. Das Zieh- oder Pflegekind (Fragmente). 685
Als Beispiel einer Adoption unter Indianern möge hier jene des
wiederholt zitierten Tanner folgen: Dem Shawnee-Indianer Manito-o-
Gheezhik im Staate Michigan war sein jüngster Sohn gestorben, worüber
sich sein AVeib fast zu Tod grämte. Deshalb machte sich der Mann mit
.seinem ältesten Sohn und einigen andern Männern seines Stammes auf, um
aus den Niederlassungen der Weißen am Ohio einen Knaben zu rauben.
Die Tat gelang, und der geraubte Knabe, Tanner, wurde am Tag nach seiner
Ankunft bei den Shawnee auf dem Grab des Indianerknaben adoptiert, wobei
er den Namen „kleiner Falke" (Schaw-sehaw-wa-ne-ba-se) erhielt. Die grausame
Behandlung dieses Adoptivkindes seitens seines Adoptivvaters und seiner
Adoptivbrüder habe ich in einem früheren Kapitel angedeutet. Die Liebe
seiner Adoptivmutter wog sie nicht auf. Diese wandte die Schläge, welche ihr
Mann dem Kleinen zugedacht hatte, durch ihr Dazwischentreten, oft auf sich selbst
ab. — Nach dreijähriger Marter wurde Tanner ein zweites Mal adoptiert;
diesesmal von der Ottawa-Indianerin Net-nokwa. Von ihr und ihrem
Mann wurde der Knabe wie ihre eigenen Kinder behandelt.
Bekannter sind die Adoptionen Erwachsener, als Stammesmitglieder,
unter den Indianern. — Auch Krieger und Mörder werden von den Familien
der Gefallenen oder Ermordeten an Kindes Statt angenommen '). —
§ 357. Das Zieh- oder Pflegekind (Fragmente).
§ 300 machte uns mit dem Brauch der Kelten bekannt, die Söhne in
den Familien Untergebener und am Hofe der Häuptlinge erziehen zu lassen. —
Erziehung und Unterricht begründete bei den Kelten eine Art Verwandtschaft,
Die Pflegekinder ehrten ihre Pflegeeltern wie wirkliche Eltern, und diese
haßten eher ihre wirklichen Verwandten, als ihre Pfleglinge (und Milchbrüder),
wie Grupp schreibt.
In Neugriechenland werden gewöhnlich arme Kinder in reiche oder
vornehme Familien aufgenommen und mit den Kindern des Hauses erzogen.
Solche „Seelenkinder" werden gut behandelt, nehmen aber doch nur eine halb-
dienende Stellung ein. Später hilft man ihnen, als Gesamtlohn für ihre Arbeit,
einen eigenen Haushalt gründen (Gustav Hirschfehl).
In Daur, nördliches Wasiristan, werden Knaben in andere Familien
aufgenommen und hier wie die eigenen behandelt. Eine Adoption wollte
H. A. Rose das jedoch nicht nennen, weil solche Knaben nicht erben können.
Es handelt sich also wohl nur um Pflege- und Ziehkinder.
Die Osseten, Iranen im Kaukasus, geben ihre Söhne, sobald diese
einen Namen erhalten haben, in ein fremdes Haus, wo sie, ohne je ihre
Mutter zu sehen, bis zur Vollendung ihres sechsten Lebensjahres bleiben.
Dann wird der Knabe von seinem Atalyk (Erzieher) in sein Elternhaus zurück-
gebracht. — An diesem Tage findet ein Fest statt, wobei der Erzieher und
die Amme vom Vater des Knaben ein beträchtliches Geldgeschenk erhalten.
Von jetzt an hat der Knabe die Herde seines Vaters auf die Weide zu treiben,
und wird vom Vater praktisch in den Ackerbau, die Viehzucht, Handhabung
der Waffen und andere nützliche Kenntnisse und Arbeiten eingeführt2). -
Post-Koralewslij geben übrigens den Brauch, die Kinder in einer andern Familie
erziehen zu lassen, nur für fürstliche Familien an.
Bei den Tscherkessen, einem Zweig der westlichen Kaukasusvölker,
werden die Kinder der Fürsten bis zu einem gewissen Alter bei den eigenen
Eltern gelassen, dann aber Vasallen zur Erziehung übergeben, die dadurch
mit der betreffenden Familie, besonders mit dem Zögling (Knaben oder Mädchen)
') Vgl. Renz, Des Indianers Familie, 164 und 166.
2) Floß II, 344 f. (nach dem „Ausland" 1876, S. 166).
686 Kapitel LLV. Das Adoptiv-, Pflege- und Ziehkind.
selbst, gewissermaßen verwandt werden. Dieses ehrenvolle Verhältnis ist der
einzige Lohn, welchen der Vasall für seine Mühewaltung zn beanspruchen
hat. Die Erziehung im Hause des Vasallen schließt Verzärtelung aus. Anderer-
seits würde jener Vasall, der sich einer Vernachlässigung in der Erziehung
des jungen Fürsten, besonders in dessen Schulung in den ritterlichen Künsten,
schuldig machen, oder für die junge Fürstin einen nicht ebenbürtigen Mann (?)
wählen würde, zu schwerer Verantwortung gezogen werden. Als ein besondeis
glückliches Resultat einer vollendeten Erziehung gilt es, wenn der Zögling
seinen Erzieher bestehleu und dann unbemerkt entweichen kann. Denn ein
gewandt und kühn ausgeführter Diebstahl ist bei ihnen ebensowenig eiu
Verbrechen, als es bei den Spartanern war1). —
Ähnliches teilt N. von Seidlitz von den Abchasen, einem andern Zweig
der westlichen Kaukasusvölker, mit: Auch hier lassen die Aristokraten ihre
Söhne von den Bauern, ihren Vasallen, erziehen, die, als Lohn hierfür, sich
des Schutzes der Aristokraten, ihrer Feudalherren, erfreuen. Der Brauch sei
hier ein Überrest früherer Leibeigenschaft. Schon vor der Geburt findet sich
die zukünftige Erzieherin, eine Bauersfrau, mit ihren männlichen und weiblichen
Verwandten ein. Das Neugeborne geht sofort in ihre Hände über. Yt>n Seidlitz
schreibt, die Mutter freue sich darüber, weil sie dadurch der Kindespflege
enthoben werde, sich schneller erholen, ihre Schönheit und Frische leichter
erhalten könne. Am Tag der Abreise der Pflegemutter mit ihrem Zögling
veranstalten die Eltern ein Fest, schenken der Bäuerin Kleider, "Wäsche und
andere Kleinigkeiten, sowie einen kleinen Kessel zum Väschen des Kindes
und statten die Wiege aus. Der Einzug in das Dorf der bäurischen Pflege-
eltern vollzieht sich mit möglichstem Pomp. Das Kind wird mit dem Über-
gang in deren Haus als Pflegling der Familie anerkannt und lebt da im
Überfluß. Nach 2 — 3 Jahren wird es besuchsweise seinen Eltern gebracht,
wobei diese von den Pflegeeltern 1 — 2 Ochsen, einen Ziegenbock, Kapaunen.
Wein, Brot u. dgl. m. erhalten. Die Eltern veranstalten ein Fest, wozu die
Nachbarn geladen, und bei welchem den Pflegeeltern alle möglichen Ehren
erwiesen werden, die sich auch noch bei der Abreise fortsetzen, indem ihnen
die Eltern des Kindes beim Besteigen der Pferde die Steigbügel halten. Auch
reiche Geschenke an Vieh, Kleidern und Geld werden den Pflegeeltern bei
ihrer Rückkehr gemacht, auf der sie das Kind wieder begleitet. Dieses bleibt
nun bis zu seinem 8. oder i». Lebensjahr bei ihnen, worauf man es seinen
Eltern zurückbringt. Da sich der Knabe aber nur schwer von seiner alten
I mgebuug trennt, erlaubt man ihm, seine Erzieher öfters wieder zu besuchen.
Verwaiste Zöglinge bleiben bis zu ihrer Verheiratung im Hause ihrer
Erzieher. —
In Mekka geben die eingebornen Scheriffamilien, einem vormohammeda-
nischen Brauch zufolge, ihre neugebornen Söhne auf mehrere Jahre in einen
Beduinenstamm, damit die Knaben durch das Nomadenleben in der Wüste
möglichst gekräftigt werden8).
Der althergebrachte Brauch der Waganda in Britisch-Ostafrika, ihre
Kinder schon früh in den Dienst eines Vornehmen zu stellen, ist in £ 291
erwähnt worden.
Die Bugis auf Celebes lassen ihre Kinder, um sie nicht zu verzärteln3).
vom "i. Jahr an durch Freunde erziehen.
Auf Jap trennt man schon das Neugeborne von seiner Mutter und gibt
es einer andern Frau zur Pflege (ßenfft).
l) „Tscherkesse" soll ja „Räuber", „Wegabschneider" bedeuten.
Floß lt. 3-15.
') Ploß II. 6 und 344. — - Vielleicht unterlag dieser Gedanke ursprünglich doch auch
dein Kindertausch auf den Karolinen und andern Inseln des stillen Ozeans in § 35ti (vgl. S. 6'
§ 357. Das Zieh- oder Pflegekind (Fragmente). 687
Auf den Marianen, Gilbert-, Tonga-, Samoa-, Marquesas- und
Banksinseln nahmen, bzw. nehmen Frauen mutterlose Kinder in Pflege
(Lubbock und Eckardt).
Das gleiche berichtete Hager von den Marschall-Inseln.
Bei den Papuas auf Neuguinea tauschen befreundete Stämme ihre
Kinder vielfach auf Jahre zu Erziehungs- und Unterrichtszwecken aus (vgl.
§ 303)1).
In Peking verschreiben viele Eltern ein Kind mit schlimmen Vorzeichen
anderen Eltern als Pflegling in der Hoffnung, das Kind dadurch am Leben zu
erhalten. Meist werden kinderreiche Eheleute hierfür ausersehen. Die Über-
gabe geschieht unter verschiedenen Zeremonien. Man nennt die Pflegeeltern
„trockener Vater und trockene Mutter" (Stern, nach Grube).
Bei den Burjäten in Transbaikalien kommt es häufig vor, daß. wenn
einem jungen Ehepaar ein Kind geboren wird, das Neugeborne nach einigen
Tagen verschwindet. Die Eltern klagen und weinen, bitten aber die Nachbarn,
dem Kinde nicht nachzuforschen. Das reiche Burjätenpaar hatte nämlich fin-
den Fall, daß ihm ein Knabe geboren werde, mit einer armen Familie die
Verabredung getroffen, daß diese den Neugebornen bei sich aufnehme und
erziehe. Der arme Burjate stiehlt sich also nachts in das Haus des Eeichen
und empfängt von diesem das Kind. Am Morgen wird dann ein Geschrei
erhoben, daß man ihnen das Kind gestohlen. Nach mehreren Jahren er-
scheint im Haus des Eeichen ein Bursche, dem ein feierlicher Empfang be-
reitet wird, wobei es sich herausstellt, daß der junge Burjate das gestohlene
Kind ist. In der Jurte der armen Familie war er, ohne zu wissen, wessen
Kind er sei, an Arbeit, Tätigkeit und Entbehrung gewöhnt worden. —
!) In der 2. Auflage, II, S. 345, erwähnte Ploß im Hinweis auf Bastian eine frühe
Trennung der Knaben von ihren Familien von den Gebirgsstämmen in Kambodscha. Er
nannte hierbei die „Banar". die „den auch den Mishmis und den ihnen benachbarten
Stämmen bekannten Gebrauch einer spartanischen Erziehung der Knaben-' beobachten. —
„Mishmis" weist Andrees Handatlas im tibetanisch-hinterindischen Grenzgebiet auf.
Kapitel LV.
Das illegitime Kind. Seine sittliche Auffassung'
und rechtliche Stellung'1). Positives und Negatives.
§ 358. Was versteht man unter einem illegitimen Kind? Diese Frage
beantworten verschiedene Volker verschieden. Ihre Antwort richtet sich im
allgemeinen nach ihrer Auffassung von einer rechtmäßigen Ehe. Ausnahmen
gibt es auch hier, wurden z. B. im Islam geschaffen, der um des Kindes
willen heute noch den Betrug unsittlicher Witwen schützt (§ 359). l'.ei
Völkern, deren Eherecht Vielweiberei, Vielmännerei. Gruppenehen2) und Kon-
kubinat gestattet, sind die Kinder aus solche« Verbindungen eo ipso in einem
gewissen Sinne legitime, rechtmäßige Kinder, obgleich sie. je nachdem ihre
Mutter Hauptfrau, oder Nebenfrau, oder zeitweilige Konkubine ist. innerhalb
der Sphäre dieser Rechtmäßigkeit mehr oder weniger Bechtsvorteile
genießen. Diese letztere Abstufung ist es wohl, welche mehr als ein Forschungs-
reisender im Auge hat, wenn er von „legitimen" und ..illegitimen-' Kindern
bei Völkern mit obigen Eheformen, bzw. geschlechtlichen Verbindungen,
berichtet. - - Das vorliegende Kapitel behält diese Ausdrücke in den §§ 359
bis 3(i2 bei. Ob sie den Rechtsgedanken des betreffenden Volkes korrekt
ausdrücken, kann wohl da und dort aus dem Zusammenhang geschlossen, oder
doch vermutet werden.
Ausdrücklich als vollberechtigt mit den Kindern der Hauptfrau sind
in dem vorliegenden Kapitel die Kinder der Xebenfraueii erwähnt bei
den alten, und teilweise noch mittelalterlichen Germanen, bei den Japanern,
Chinesen und Annamiten.
Unter diesen Völkern sind es die Japaner und Chinesen, die sogar den
Kindern, welche ein Ehemann von seinen Konkubinen hat, Gleichberechtigung
mit den Kindern von seiner Hauptfrau einräumen.
Andere Völker machen die Rechtsstellung der Kinder der Nebenweiber
und Konkubinen, oder der Bastarde überhaupt, von bestimmten Bedingungen
abhängig, z. B. von deren Adoption durch den Vater oder die Behörde, oder
der Zustimmung, bzw. Anerkennung seitens der Hauptfrau des Vaters, oder
von der Kinderlosigkeit, oder doch Ermanglung von Söhnen der Hauptfrauen
u. a. in. Beispiele hierfür sind die Iranen (?) in Kurram und die Osseten,
lranen im Kaukasus, die alten Griechen (je nach dem Kecht der einzelnen
Staaten), die alten Babylonier, .luden. Germanen und Serben, die Samoaner
und Chalcha-Mongolen.
Wieder andere Völker sprechen den Kindern der Xebenfraueii. oder
doch der Konkubinen, die Gleichberechtigung mit den Kindern der Haupt-
') Vgl. die Notizen über die Rechtsverhältnisse der Kinder von Sklavinnen, bzw.
Kebsweibero in Kap. XLIX.
') Vgl. Kap. L.
§ 359. Indo-Europäer, Semiten und Hamiten. 689
frau kurzweg ab. So war es im ältesten russischen Recht mit den Kindern
der leibeigenen Mägde der Fall, so ist es auch im heutigen Arabia Patraea
und bei den übrigen, in § 359 erwähnten Araberstämmen; ferner bei den
Kaifiten, einem Zweig der hamitischen Völkerfamilie, sowie bei den Nauru-
Insulanern in der Südsee, bei den Koreanern, den alten Mayas in Yukatan
(Kinder von Sklavinnen) und am Hofe der peruanischen Inkas.
Hingegen machen einzelne Völker keinen, oder nur wenig einschnei-
dende rechtliche Unterschiede zwischen den Kindern, seien diese vor,
oder in, bzw. während der Ehe (auch im Ehebruch) gezeugt und geboren.
Hierher gehören die Bassari und Ewe in Togo, die sibirischen Samojeden, die
Kanada-Indianer (zu Lahontans Zeit) und die heutigen Moki iu Arizona.
Es gibt aber auch Völker, die den außerehelichen Kindern eine ideale,
oder eine rechtliche Vorzugsstellung einräumen. Ersteres wird durch die Auf-
lassung gewisser Bastarde .als Heilige bei den persischen Schiiten, und als
Göttersöhne bei den alten Kelten (ij 359) bewiesen: letzteres ist von den
ostafrikanischen Wanjamwesie (^ 3*50) mitgeteilt worden.
Diesen Völkern stehen wieder andere gegenüber, deren materielle Kultur die
materielle Kultur jener nicht überragt, die aber in der außerehelichen1) Ge-
burt etwas Unerlaubtes. Gesetzwidriges, oder gar einen lebenslänglichen, ja
durch Generationen sich hinziehenden Schandfleck sehen. Den letzten Fall
illustrieren die alttestamentlichen Juden, den vorletzten der Nord-Oststamm auf
der Gazellenhalbinsel (Melanesier); Beispiele für die milderen Formen sind die
ostafrikanischen Mkulwe und AVasuaheli und die südamerikanischen Aruak.
Heuchelei ist in diesem Punkte bei den unsittlichen YVasuabeli -) ebensowenig
ausgeschlossen wie bei den Kabylen, deren Entrüstung einerseits dem Bastard
die Existenzberechtigung abspricht, die aber anderseits den uns bereits bekannten
Betrug gefallener Witwen') und Mädchen durch Kecht und Aberglauben
schützen.
Schließlich sei im voraus noch auf den Anspruch der legitimen Ehe-
männer auf die illegitimen Kinder ihrer Weiber bei den Bassari und auf die
noch merkwürdigere Pflicht des legitimen Ehemannes bei den Namib-Busch-
leuten hingewiesen, die illegitimen Kinder seines Weibes für den illegitimen
Vater großzuziehen: Rechtsverhältnisse und Auffassungen, die den unseligen
diametral entgegengesetzt sind. —
§ 359. Indo-Europäer, Semiten und Hamiteu.
Bei den Schiiten in Persien gelten die Kinder, welche aus den vor-
übergehenden Ehen der Wallfahrer entspringen, als ein besonderes Geschenk
vom Himmel, werden in den Familien der Mütter großgezogen und als Heilige
verehrt, Die Väter sehen ihre Sprößlinge wohl nie mehr, haben auch keine
Verpflichtungen gegen sie (Fr. Eugenieri).
In Kurram, nordwestliches Grenzgebiet von Britisch-Indien, können
Bastarde durch ihren Vater öffentlich anerkannt und dadurch erbberechtigt
werden (H. A. Rose).
Der Ossete im Kaukasus darf die Kinder seiner Nebenweiber ver-
äußern4). Solche Kinder sind bisweilen reine Sklaven ihres Vaters, wie Post
(nach Kovalewshy) schreibt. Sind aber von der Hauptfrau nur Töchter, oder
') Kinder von Mebeuweibern, bzw. Konkubinen, gelten bei verschiedenen Völkern als
ehelich.
-) Vgl. S. 543 dieses Bandes.
3J Vgl. Kap. XLVII, S. 536 und § 359 des vorl. Kap.
*) Das darf er übrigens auch mit seinen legitimen Kindern tun. ja. er hat das Recht
über deren Leben und Tod (Post, nach Kovalewsky).
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 44
690 Kapitel LV. Das illegitime Kind. Seine sittliche Auffassung und rechtliche Stellung-,
gar keine Kinder vorhanden, dann geht das Erbe bisweilen auf jene der
Nebenweiber über.
In den Bergen von Hoch-Albanien. Diözese Pulati. gilt das Kind,
welches eine Witwe noch nach 2 — 3 Jahren gebiert, als das legitime Kind
ihres verstorbenen Mannes, wenn das Weib behauptet, sie habe es von ihm
mich zu seinen Lebzeiten empfangen.
Wir haben hier also die gleiche Erscheinung, welche uns schon in
früheren Kapiteln im nördlichen Afrika begegnet. Ernesto Cozzi, der die
obige Mitteilung über Albanien machte, bemerkte dazu, daß das moslemische
Recht nicht zugebe, daß illegitime Kinder von Witwen und geschiedenen
Weibern vaterlos seien, deshalb habe es solche Kinder dem letzten recht-
mäßigen Gatten der Mutter zuerkannt. - Demnach verstellt der Muselman e
den sinn der Aussage eines solchen Weibes recht wohl (vgl. die „verschlafenen"
Kinder in früheren Kapiteln, sowie die illegitime Geburt bei den Kabylen
w. u.). — Ist aber der illegitime Vater öffentlich bekannt, dann muß er
Entehrung der Witwe, bzw. des Mädchens, mit seinem Leben büßen. Das
Kirn! wird ihm sofort nach der Geburt als sein Eigentum zugeschickt. Im
Fall er die Vaterschaft ableugnet, hat er seine Unschuld zu beschwören1)
In Attika sprach Salons (besetz den illegitimen Kindern das Bürger-
und Erbrecht ab, enthob sie aber auch der Verpflichtung, ihren Vater im
Alter zu unterstützen, wie Jos. Midier und Rawlinson schrieben. - Nach
Wachsmut erlaubte das attische Privatreclit den illegitimen Kindern einen
Anteil am väterlichen Nachlaß, der 1000 Drachmen nicht übersteigen durfte. —
Floß wiederum meinte2;: „In gewissen Staaten (Griechenlands) erbten
die unehelichen Kinder das Vermögen ihres Vaters, wenn keine ehelichen
Kinder vorhanden waren." — Als illegitim galten die Kinder der Beischläferinnen,
jene, deren Vater unbekannt war, die Adoptivkinder (vgl. diese) und jene
Kinder, deren Vater und Mutter nicht Bürger ein und desselben Staates
waren '■'■).
Kbenso entbehrten im alten Rom die Kinder, welche ein Freier mit
einer Fremden zeugte, der bürgerlichen Rechte. Das gleiche galt von den
Kindern aus Ehen eines Freien mit einer Sklavin, oder mit einer Freigelassenen
(.7. Müller).
Weniger streng war das alte germanische Recht. Hier gab es eine
formlose Ehe neben der Formehe. In der Regel begnügten sich zwar die
Germanen mit je eiuer Frau, und hielten die Einehe hoch (Grupp); aber
unter den Freien und Vornehmen war es doch nicht ungewöhnlich, Neben-
frauen und Kebsen4) zu halten. Die Verbindungen mit Xebenfrauen galten
') Nt die Schande nicht offenkundig, dann kann der illegitime Vater seine Schuld mit
Geld büßen; nur in der Kleinen Mal ei ja glaubt man. den Fall auch dann nur mit Blut
sühnen zu können.
2) 2. Aufl. II. -fÜO.
3) Baß, ebenda
'i Nach dem oben Folgenden scheinen Nebenfrauen und Kebsen bei diu (iermanen
ebensowenig identisch gewesen zu sein, wie es die Nebenfrauen und Konkubinen bei vielen
heu Völkern sind. /'/>>/>' schied die Hechte der Kinder der Net cnfrauen Ton jenen
der Kinder der Kebsen. — Im alteren römischen Recht hatten die Kinder einer Konkubine
zwar imht die Krclite der legitimen Kinder, aber doch mehr Recht als die Kinder einer
pelb aren ..naturales", diese „spurii". Diese Unterschiede dürften auch im deutschen
Mittelalter bestanden haben. Übrigens verbot im römischen Reich schon Konstantin I.
i- Ehegattin eine Konkubine zu halten. Die Kirche verwarf im allgemeinen
das zeitweilige Konkubinat von jeher, und wies Personen, die in einem selchen lebten, ohne
in ein unauflösliches Khebiindnis umwandeln zu wollen, vom Katechumenat zurück.
Ausnahmen machte sie mit den Sklavinnen heidnischer Herren, insofern die Sklavin nur
mit ihrem Herrn allein in einer solchen Verbindung stand ( UY/.-fr und Weites Kirchenlexikon
2. Autl., Bd. :i. 842ff.). —
§ 359. Indo-Europäer, Semiten und Hamiten. (j'Jl
als rechte Ehen; die daraus hervorgehenden Kinder waren, nach
Ploß1), vollberechtigt. Die Merowinger hielten noch in christlicher Zeit
an diesem Brauche fest, welcher besonders unter den nordger manischen
Fürsten gang und gäbe war.
Aber nicht nur Vielweiberei, sondern auch (zeitweiliges) Konkubinat
war im germanischen Becht gestattet und von Reicheren noch durch das
ganze Mittelalter praktisch durchgefühlt, ohne daß die öffentliche Meinung
großes Ärgernis daran nahm, wie Ploß schrieb. Die Kebse (Konkubine?) war
nicht gekauft und vermählt, sondern die gegenseitige, oft auch nur die ein-
seitige Neigung schloß ohne Förmlichkeit die Verbindung, welche der Frau
nicht Rang und Recht der Ehefrau, den Kindern nicht die Ansprüche ehelicher
Nachkommen gewährte, d. h. die Kinder der Kebsen (frillusynir) hatten keine
Ansprüche auf väterlichen Stand und väterliches Erbe, sondern konnten nur
von der Mutter erben. Ebenso verhielt es sich mit der Teilnahme am Wer-
geid und Bußen, denn sie gehörten nicht zu der Sippe des Vaters. Hatte
jedoch der Vater, so bestimmten longobardische, angelsächsische und
skandinavische Rechte, in öffentlicher Versammlung die Kinder als die
seinen anerkannt, so trat ein engeres Rechtsverhältnis ein. — Durch eine
spätere rechtmäßige Heirat mit der Mutter wurden die Kinder nach der
Ansicht des Volkes nicht legitimiert, so sehr auch die Kirche, und, unter ihrem
Einflüsse, eine Reihe von Gesetzen seit dem 13. Jahrhundert dafür eintraten. —
Diese Ehelichinachung unehelich Geborner sei übrigens bis ins 19. Jahrhundert
hinein vielfach angefochten worden2).
In Spanien wurde noch im Jahre 1144 eine natürliche Tochter des
Kaisers Don Alfonso VII. mit Don Garcia unter Entfaltung des ganzen Pompes
vermählt, welcher damals am spanischen Hofe üblich war. Auch in Spanien
waren ja die Kinder aus den Verbindungen mit Nebenfrauen bei Erbschaften
und Eheschließungen gesetzlich anerkannt (Chaho)*).
Noch weiter gingen die Kelten. Sie machten zwischen ehelichen und
unehelichen Kindern nicht nur keinen Unterschied, sondern bezeichneten
uneheliche Söhne auch als Göttersöhne. — Der irische Held Lugaid hatte
drei Väter4) (Grupp). -- Die Sprößlinge der Einjahr-Ehen, welche im alten
Irland (Kelten) und vom 6. — L6. Jahrhundert n. Ohr. auch bei den schotti-
schen Hochländern vorkamen, galten als legitim (D'Arbois).
Im russischen Recht, dessen älteste Redaktion bis ins 11. Jahrh.
n. Chr. zurückgeht, war den Bauern das Konkubinat mit ihren leibeigenen
Mägden gestattet. Die Kinder von solchen Verbindungen erbten von ihrem
Vater nichts. Nach dessen Tod waren sie samt ihrer Mutter frei (Leop. Karl
Qoetz).
Im altserbisch en Familienrecht ist das uneheliche Kind erbfähig,
wenn es vom Vater angenommen ist und bei ihm lebt und arbeitet. Den
gleichen Anteil, wie die ehelichen Söhne, erhält der uneheliche Sohn vom
') II. 397.
2) Ploß II, 397, nach K. Weinhold. —
3) Chaho nennt die Verbindung mit Nebenfrauen „manage de la main gauche'-. Jetzt
steht, meines Wissens, diese Bbetorm (Ehe zur linken Hand) sittlich auf der gleichen
Stufe, wie die normale Ehe, da es sich ihr zunächst um gesellschaftliche Unterschiede
des Mannes und des Weibes handelt. Allerdings trat dieses ..matrimonium ad morganaticam"
oder „lege Salica" in den germanischen Ländern an die Stelle des Konkubinates für adelige
Männer, welche sich mit Frauen niederen Standes verbinden wollten. Frau und Kinder
kommen in dieser Eheform nicht in den Stand und die Familie des Vaters. Ausschließlichkeit
und Dauer der Ehe sind hier aber die gleichen wie in der Ehe zwischen ebenbürtigen Paaren.
(Wetzer und Weites K.-L. 2. Aufl., Bd. 3, 814, mit einem Hinweis auf Walters deutsche
B chtsgeschichte, Bonn 1853, § 473).
4) Vgl. die Gruppenehen der Kelten in Kap. L.
44*
692 Kapitel LV. Das illegitime Kind. Seine sittliche Auffassung und rechtliche Stellung.
väterlichen Nachlaß nur dann, wenn der Vater ihm nicht schon bei Leb-
zeiten seinen Erbanteil bestimmt hat. Hingegen wird die Mutter von ehe-
lichen und unehelichen Kindern gleichmäßig beerbt. — Ohne Annahme an
Kindes Statt kennt das uneheliche Kind im altserbischen Recht keinen Vater.
nur seine Mutter. Der Vater hat somit auch keine Alimentationspflichten.
Annahme an Kindes Statt scheint aber nur sehr selten vorgekommen zu sein.
Wohl finden sich, nach Milovanovitsch, Belege dafür, aber in solchen Fällen
lag Zwang vor und die Furcht vor der Blutrache seitens der Verwandten der
Verführten. War der Mann noch nicht anderweitig verheiratet, dann mußte.
er. gemäß dem Urteil der dobri ljudi (gute Leute), die Mutter heiraten, und
war jene.- bereits der Fall, dann wurde er gezwungen, sich des unehelichen
Kindes anzunehmen. Die Stellung- eines solchen Kindes im altserbischen Recht
nennt Milovanovitsch eine sehr schwere. Es durfte von seinem Vater und. nach
dessen Ableben, von den legitimen Söhnen und von seiner Stiefmutter nach
Belieben gesehlagen, oder sonstwie gezüchtigt, verstoßen und nach auswärts
verkauft werden. So wenigstens war es in Ragusa.
Milder als die Serben, waren die alten Babylonier gegen illegitime
Kinder. Hammurabis Gesetzbuch bestimmte, daß ein Mann zu seinen Leb-
zeiten die mit seiner Magd gezeugten Söhne als die seinen erklären und den
Söhnen der rechtmäßigen Gattin zurechnen könne. Dadurch winden die
Bastarde berechtigt, gleichmäßig mit den legitimen Söhnen zu erben, wobei
der (älteste?) Sohn der Gattin zu teilen und zu wählen hatte. — Die Töchter
ler Nebenfrauen (und Mägde?) erbten nicht, erhielten aber eine Mitgift, sei
es noch zu Lebzeiten des Vaters oder, nach dessen Tod, von seinen Sühnen,
ihren Halbbrüdern. — Das Schicksal der Kinder von Buhlen und Dirnen siehe
Kapitel LIV. —
Die alttestamentlichen Hebräer machten einen wesentlichen Unterst
zwischen den Kindern der ,.Mägde" (Kebsweiber) und den Kindern der ..Huren".
Nach König wurden jene von den eigentlichen Frauen sogar als die ihrigen
angesehen und formell anerkannt, indem sie sie auf den Schoß nahmen.
(Die gleiche Anerkennungsformel beobachteten, nach König, die legitimen
Vater gegenüber ihren legitimen Xeugebornen.) — Bei 1. Mose 30, :> will
übrigens Rahel, daß ihre Magd Bilha auf ihrem Schoß gebäre. Die
Vertreibung Isinaels mit seiner Mutter beweist indessen, daß Sarah diesen
Sohn ihres Mannes eben doch nicht als den ihrigen behandelte und ansah. — Vom
..Hurenkind"' heißt es bei 5. Mose 23, 2: „Es soll kein Hurenkind in die
Gemeinde Johovas kommen: auch sein zehntes Geschlecht soll nicht in die
Gemeinde Jehovas kommen."
In Arabia Petraea wird der von einer Magd gebome Sohn den Söhnen
der eigentlichen Gattin nicht gleichgestellt und kann nach dem Tode des
Vaters sogar, samt seiner Mutter, vertrieben werden (Musil). — Das ist um
so bemerkenswerter, als die Araber den mit seiner Mutter von Abraham ver-
triebenen Ismael ihren Stammvater nennen.
Bei den Arabern in Kairo und Oberägypten, wo manche Bräute
Sklavinnen als persönliches Eigentum mit in die Ehe bringen, dürfen diese
von den Ehemännern nicht ohne Zustimmung der Ehefrauen als Konkubinen
benutzt werden. Geschieht das doch, und wird die Sklavin darauf schwanger,
dann hängt es von der Herrin ab, ob diese die Sklavin vor der Entbindung
dem Gatten schenkt bzw. 'verkauft, oder nicht. In den zwei ersteren Fällen
wird das Kind als freies Kind geboren (/."//- i.
Die Meyrefab-Araber in Berber heiraten nur arabische Mädchen
oder Frauen, halten aber Abessinierinnen und Negerinnen als Sklavinneu und
Ronkubiuen. Die Kinder, welche ihnen von diesen geboten werden, dürfen
sich nur mit Sklaven oder Nachkommen von Sklaven verheiraten (BurclchaA U).
§ 360. Neger, Buschleute und inalayisck-polyuesisehe Völker. (j93
Bei den Arabern in Deutsch- Ostafrika sind die im Konkubinat
gezeugten Kinder frei, doch mit den legitimen Kindern nicht gleich berechtigt
(H. F. von Behr).
Burion meinte allerdings, es sei schade, daß die Christen sich nicht die
Muselmanen zum Beispiel nehmen, insofern diese ihre von Sklavinnen gebornen
Kinder legitimieren. Er scheint also, nach den obigen Mitteilungen, den
Betriff „legitim" in jenem weiteren Sinn, den auch ich in § 358 andeutete, ge-
nommen, oder lokale Rechtsbestimmungen, bzw. Bräuche verallgemeinert zu
haben. Seine andere Bemerkung, daß die Muselmanen ihre Kinder von
Sklavinnen nicht verkaufen, ist nicht allgemein zutreffend. J. L. Burckhardt
hat gegenteilige Falle mitgeteilt.
Die Kaffiten, ein Gallazweig im südlichen Abessinien, scheiden
ihre Kinder aus in „dee buscho", was Friedrieh J. Bieber mit „gute Kinder'
übersetzt, und in „dikalo". Jene sind die Kinder der rechtmäßigen Gattinnen,
diese sind Bastarde, Kinder von Mägden oder Beiweibern (Medsche) und von
Lustweibern (Scliadetsche). Die Bastarde sind nicht erbberechtigt.
Die Kabylen erkennen den illegitimen Kindern ein Recht auf das
Leben nicht zu (vgl. Kap. LS. 11 ). Doch helfen sich hier, wie unter den
Berbern und Albanesen, die Witwen mit Betrug und Aberglauben, bzw.
mit Hilfe des mohammedanischen Hechtes1), durch. Sie können ja zeitlebens
„eingescklafene" Kinder (it't'es) im Schöße tragen, wie Hanoteau und Lrtom neux
berichteten. Die Witwe (welche für die Zukunft nicht gut stehen will) legt
einfach nach dem Tod ihres Mannes ihren Gürtel auf dessen Leiche und
erklärt, sie sei schwanger. Mag sie dann nach 2— JO Jahren, oder noch
später, gebären: Das Kind gilt als der legitime, und, wenn ein Sohn,
als der erbberechtigte Sprößling des Verstorbenen. Die Bemühungen der
französischen Regierung, diesen Aberglauben und Unfug auszurotten, waren
bisher eifolglos.
§ 3(50. Neger, Buschleute und malayisch-polyiiesisclie Völker.
In Deutsch-Togo ziehen die Bassari die unehelichen Kinder ihrer
Töchter wie ihre eigenen auf und lassen sie die gleichen Rechte, wie diese,
genießen. Der illegitime Vater muß den Wert des üblichen Hochzeitsgeschenkes
den Eltern der Mutter geben (Klose), hat somit eine Art Alimentationspflicht.
Im Verhalten der Ewe-Xeger in Deutsch-Togo gegen die illegitimen
Kinder treuloser Eheweiber kommt der Wunsch nach dem Kind (vgl. Kapitel I)
ganz besonders deutlich zum Ausdruck. Hier gehören nämlich die Kinder
eines Weibes, das seinen Mann aus Abneigung verlassen hat und mit einem
Liebhaber lebt, dem rechtmäßigen Gatten. Ja, dieser ist sogar berechtigt,
Schadenersatz für ein aus dieser Verbindung hervorgegangenes Kind zu ver-
langen, wenn das Weib in der Schwangerschaft stirbt, und Herold, der
diese Mitteilung macht, fügt bei. daß ein Stamm, von welchem eine ver-
heiratete Frau zu einem andern Stamm entflieht. Anspruch auf alle Kinder
erhebt, welche jene Frau während ihres dortigen Aufenthaltes zur Welt
bringt, es sei denn, daß die Entflohene nachträglich von dem andern Stamm
bezahlt wird.
Die Kinder, welche der Ewe-Xeger mit seiner Sklavin zeugt, erhalten
Land zur Bewirtschaftung und Ausnutzung.
Bei den Wambugu in Usambara, Deutsch-Ostafrika, gehören un-
eheliche. Söhne ihrem Vater, uneheliche Töchter ihrer Mutter (Storch).
') Siehe Cu::i, S. 600.
(594 Kapitel LV. Das illegitime Kind. Seine sittliche Auffassung und rechtliche Stellung.
Die gleichmäßige Erbberechtigung der legitimen und illegitimen Kinder,
bzw. sogar Bevorzugung der letzteren, bei den deutsch-ostafrikanischen
Wanjamwesi ist in Kapitel LI. § 339, erwähnt worden.
Die Mkulwe in Deutsch-Ostafrika beschimpfen die Gespenster ver-
storbener Verwandten, welche ihnen Krankheiten verursachen, als Bastarde
und Handesöhne (Alois Hamberger). Illegitime Kinder scheinen also bei ihnen
verachtet zu sein.
Die Wasuaheli nennen ein uneheliches Kind ..mtoto wa haläli", d. h.
ein unerlaubtes Kind. Dieser Titel bleibt ihm. auch wenn seine Eltern sich
miteinander verheiraten. Als unehelich scheinen aber die mit einem Kebs-
weib (Suria) gezeugten Kinder nicht zu gelten. Diese sind frei, doch genießen
I Scbulknaben in Nyanga'o, Deutach-Ostafrika. Mit Erlaubnis der Missionäre 0. S. B. in
St. ottilien.
auch sie nicht das Ansehen der Kinder legitimer und freigeborner Krauen.
was sich besonders bei der späteren Verheiratung der Mädchen zeigt, da Männer
mit Familien- und Ahnenstolz keine Tochter eines Kebsweibes zur legitimen
Gattin wollen; sonst könnten sich seine Kinder ja nicht mit ihrem Stammbaum
mütterlicherseits rühmen. Lieber unterziehen sich solche Männer den größeren
Rücksichten, welche sie einer legitimen und freigebornen Frau schulden ( Veiten).
Fine mich auffallendere Erscheinung, als bei den Ewe-Negern in Togo,
finden wir bei den südafrikanischen Namib-Buschleuten. Hier muß nämlich
der Bräutigam die vorehelichen Kinder, welche seine Braut von einem andern
.Mann hat. übernehmen, aufziehen und dann ihrem eigentlichen Vater zurück-
geben ( Trenh).
Weit weniger Wettbewerb um illegitime Kinder, als bei diesen zwei
afrikanischen Völkern, ist unter den Europäern auf Java zu konstatieren,
wo wilde Ehen zwischen Europäern und eingebornen Weibern an der Tages-
Neger, Buschleute und malayiseh-polynesische Völker.
G95
Ordnung sind. Das Los der Kinder aus solchen Ehen ist nach Emil Metgger
kein günstiges. Schon die Geburt vieler von ihnen ist nicht gerne gesehen.
Durch die Mutter verzärtelt, die in ihnen das Band sieht, welches den Vater
für immer an sie binden soll,
die Zukunft, oder aber, wenn
ein Gegenstand des Kummers
schwer es ihm werden wird.
sind sie für diesen ein Stein des Anstoßes für
das Vaterherz in ihm die Oberhand gewinnt,
und der Sorge, denn er weiß nur zu gut, wie
ihnen eine Laufbahn anzubahnen und sie für
dieselbe vorzubereiten, weil die Europäer auf Java trotz aller offiziellen
Gleichstellung der Mischlinge von jeher „Hausmittel" gefunden haben, durch
deren Anwendung es dem Mischlinge beinahe nur in Ausnahmsfällen möglich
war, die gleiche Stufe wie der Europäer zu erreichen. In neuerer Zeit
haben sich ja die Unterrichtsverhältnisse für die Mischlinge vielfach ver-
bessert, was aber, nach Metzger, in gewisser Beziehung um so schlimmer
ist. als dieselben durch die Vollblut-
Europäer selbst aus bescheidenen Stel-
lungen immer mehr und mehr ver-
drängt weiden, was die nun intellektuell
auch höher entwickelten Mischlinge
um so schmerzlicher empfinden müssen.
Allerdings erhalten nur die wenigsten
Kinder aus den wilden Ehen der
Europäer mit eingebornen Weibern
eine Erziehung in diesem Sinn. Meist
kümmert sich der Mann um seine
Sprößlinge gar nicht, oder er ist nicht
imstande, ihnen eine gediegene Er-
ziehung aiigedeihen zu lassen. — Als
illegitim wird das Kind von dem Ge-
setze freilich nicht hart behandelt,
aber als Mischling steht ihm indirekt
ein schweres Los bevor.
Auf den Marschall-Inseln ver-
pflegt man die unehelichen Kindei mit
den ehelichen in der Familie der Mutter.
bis sie gehen können. Dann werden
sie von ihrem Vater zu sich ge-
nommen, wenn er ausfindig zu machen
ist. Im andern Fall bleiben sie bei
ihrer Mutter {Hager, nach Chamisso).
Auf Nauru sind uneheliche Kinder nicht erbberechtigt (Jung).
Nordost-Stamm der Gazellen-Halbinsel. Bismarck-Archipel,
seiner bilderreichen Sprache die Geburt eines unehelichen Kindes
N. N. hat geboren hinein ins Freie" (ins Leere). Das Kind selbst
zeitlebens Beschimpfungen gefallen lassen. Man nennt es „eine
kleine Winde", weil es sich schmarotzerhaft um andere ranken muß; „einen
kleinen Fußknochen, gut für einen Hund", „ein kleines Loch im Holze", eine
kleine Frucht des gilaur", der auf sandigem Seeboden wächst und das Licht
nicht sieht, wie das uneheliche, gewissermaßen in der Finsternis, geborne
Kind. Man wirft dem unehelichen Kind auch vor. ..man habe es nicht mit
einer jungen Kokosnuß ernährt", weil für ehelich geborne Kinder der Vater
junge Kokosnüsse vom Baume herunter holt (Jos. Winthuis).
Auf Samoa kann ein Mann seine illegitimen Kinder in seine Familie
aufnehmen, wodurch sie mit seiuen ehelichen gleichberechtigt werden ( II'.
von Biilow). —
Fig. 47u. ffa m w e r a -Knabe, D e u t s c li - 0 s t a f r i k a.
Mit Erlaubnis der Missionäre O.s. B. in St. Ottilieu.
Der
drückt in
aus mit: „
muß sich
Kapitel LV. Das illegitime Kind. Seine sittliche Auffassung und rechtliche Stellung.
§ 361. Koreaner, Japaner, Chinesen und Annamiten.
697
§ 361. Koreaner, Japaner, Chinesen und Annaiuiten.
Auf Korea, wo Nebenfrauen in allen Kreisen der Bevölkerung ge-
bräuchlich sind, variieren die Kechte dieser Kinder je nach dem moralischen
Standpunkt der betreffenden Gesellschaftsklasse. In den oberen Klassen
haben sie kein Erbrecht und brauchen (dürfen?) die Familienopfer nicht
darbringen, d. h. sie haben keinen Ahnenkult zu vollziehen. Ebensowenig
Fig
Chinesischer Kinderanzug. Im .Museum für Völkerkunde in Leipzig.
können die Kinder der Nebenfrauen in den vornehmen Kreisen den Stamm-
baum fortsetzen. Das Volk nimmt es jedoch nicht so genau; immerhin
richtet sich hier, wie dort, die Stellung solcher Kinder nach dem Stande
der Mutter.
In Japan und China sind die Kinder der Nebenfrauen, bzw. Konkubinen,
mit jenen der legitimen Gattin gleichberechtigt, in Japan sogar im kaiserlichen
Btammregister vertreten. Korea ist in diesem Punkte heikler. — Voreheliche
Kinder, die durch ein matrimonium subsequens legitimiert werden, sowie die
698 Kapitel LV. Das illegitime Kind. Seine sittliche Auffassung und rechtliche Stellung.
Kinder der Prostituierten, unterstellen in China der mütterlichen Gewalt und
tragen den Familiennamen der Mutter (Jos. Grunzel).
In Aniiam haben uneheliche, vom Vater anerkannte, Kinder Anrecht
auf Alimentiemng aus dessen Nachlaß, und zwar auch während der gesetz-
lichen Nutznießung durch die Witwe. — Die Söhne der Nebenfrauen gelten
Fii;. i7::. Tonpuppe (Papoose) für Kinder. Blojave-Indianer in Californien und Arizona. Im Museum
I. K. Hoheit Prinzessin Thwest von itayern.
auch hier als „eheliche"' Söhne und sind erbberechtigt (H. St idel, nach
Denjoy*). —
8 362. Ural-AItaien, Hyperboräer und Indianer.
Bei den Chalcha-Mongolen im Norden der Wüste Gobi sind an und
für sich nur die Kinder der einen legitimen Gattin erbberechtigt; doch können
die Kinder der Kebsweiber, welche als außerehelich gelten, mit Erlaubnis der
Behörden adoptiert werden i.V. von Prschewalski).
•, Vgl. S 349.
§ 362. Ural-Altaien, Hyperboräer und Indianer.
699
heutigen
Die unehelichen Kinder der Samojedeu genießen die gleichen Rechte
wie die ehelichen. Dennoch kommt es bisweilen vor. daß ein Mann sein
"Weib mit ihrem Neugebornen zu ihren Eltern mit der
Behauptung zurückschickt, das Kind sei nicht von ihm
(P. von Stenin).
Freie Giljaken, die mit Sklavinnen Kinder zeugen.
leugnen durchgängig ihre Vaterschaft, und da der dies-
bezüglichen Aussage einer Sklavin nicht geglaubt wird.
fällt das illegitime Kind dem Besitzer seiner .Mutter zu.
Dieser läßt es aufwachsen und verkauft es dann {von
Schrenck).
Bei den Kanada-Indianern waren zur Zeit De
Lahontans die illegitimen Kinder mit den legitimen gleich-
berechtigt (vgl. § 329).
Nach Nbrdenskiö'ld ist das auch bei den
Moki in Arizona der Fall.
Die Mayas in Yukatan hingegen sprachen den
Kindern, die ein freier Mann mit seinen Sklavinnen zeugte,
das Erbrecht ab (Bicncroft).
Aus der Erbfolge der peruanischen Inkas waren
die Söhne der zahlreichen Nebenfrauen des Inka aus-
geschlossen (Dapper). —
Zum Abschluß dieses Kapitels sei noch bemerkt, daß
die Aruak in der Sierra Nevada de Santa Marta
das Kind einer Unverheirateten für das Kind eines
Hirsches ..halten" (?) und es auch so nennen, wie
W. Siem rs. im Hinweis auf Nie. de la Born, schreibt.
Sievers schließt aus dieser Benennung des Kindes, daß
die Aruak den Umgang eines Indianers mit einer Un-
verheirateten für unmöglich halten.
Mir scheint aber eine andere Erklärung wahr-
scheinlicher zu sein. Der Hirsch dürfte hier ein Bild
der sinnlichen Leidenschaft, der Brunst, oder doch
der Begattung sein, wie er es bei so manchen andern
Völkern ist. Auf Hirschhaar im Sonnenkult wies S. J.
Sternberg1) hin. Hirschschwänze an Stäben halten
die Cora-lndianer bei ihrem Fest des Erwachens in
Händen'-'), und Hirsche spielen auch im Kore-Kult eine Bolle3).
Fig. 474. Zwei Kinder-
puppen aus Knochen von
SU außenzehen. P i 1 agä-
Indianer, Argenti-
nien. Die größere ist
in Fetzen europäischer
Herkunft gehüllt. Im
Museum I. K. H. Prin-
zessin Therese von Bayern.
i) Glob. 97 (1910), S. 221.
2) Preuß, Das Fest des Erwachens. In Verhdlg. d. XVI. Intern. Am.-Kongr.. 2. Hälfte. 492.
(Val. meine Ansicht über den Sinti dieses Festes in Kap. XLVIII, S. 581.)
3) Vgl. Kap. XLVIII. S. 573 f.
Kapitel LVT.
Verlobung und Verheiratung des Kindes.
§ 363. Der Wunsch nach dem Kind, d. h. das Verlangen der Mensch-
heit nach Fortpflanzung1), kommt abermals zu einem besonders deutlichen
Ausdruck in der Verlobung und Verheiratung schon im Kindesalter, oder doch
nahe an dessen Grenze. Wir finden den Brauch der Verlobung im Kindesalter
über die ganze Erde verbreitet; das vorliegende Kapitel zeigt ihn uns hei
einem oder mehreren Vertretern aller Völkerfamilien, ja, man begnügt sich
nicht, schon Kinder, Säuglinge und Neugeborne zu verloben, sondern kommt bei
einzelnen Völkern der Geburt zuvor, verloht das za erwartende Kind schon im
Mutterschoß, und noch weiter gehen einzelne Stämme in Australien, indem sie gar
schon erhoffte Töchter von Mädchen verloben, "Welche letztere selbst noch unreife
Kinder sind. Ob solche Bräute je geboren werden, weiß man natürlich nicht.
Man begnügt sich im negativen Fall bei einzelnen Völkern mit dem Knaben.
statt des erwarteten Mädchens kommt, und betrachtet diesen als eine Art Patenkind
des Bräutigams, wie es die Arunta und Llpirra in Australien machen (§ 366),
oder sieht die geplante Verlobung doch als Band der Freundschaft zwischen
dem Bräutigam und dem neugebornen Knaben an, wie es bei den Ewe-Negern
der Fall ist (§ 3G5), oder als Band der Freundschaft zwischen den beiden
Familien, wie § 3G4 von den transkaukasischen Armeniern berichtet.
Die Verheiratung der Verlobten im Kindesalter findet bei mam
Völkern gleichfalls schon vor Eintritt der Keife statt; doch beginnt nicht bei
ihnen allen auch schon der Beischlaf vor Eintritt der Reife. Hochzeiten vor
dieser Periode weist das vorliegende Kapitel nämlich nach im arischen und
nichtarischen Indien, bei den Neupersern, Afghanen. Osseten, Bojken, Serben.
Russen, Griechen und Engländern, bei Arabern und Kabylen, bei einigen
Völkern von Britisch- und Deutsch-Ostafrika, auf Java. Nauru und Neupommern,
bei Samojeden, Renntier-Tschuktschen, Eskimo, Nordindianern, Caingang-
Indianern u. a. m.
Von manchen dieser, sowie von anderen in diesem Kapitel aufgeführten
Völkern ist aber ausdrücklich mitgeteilt, daß >\<-v sexuelle Verkehr,
trotz der stattgehabten Hochzeit, erst nach Eintritt der Keife beginnt.
Bierher gehört die Bevölkerung von Kumaon. Pandschab und Radschputaua
in Vorderindien, sowie die große Mehrzahl dei Einwohner der indischen Nord-
westprovinzen und die niederen Volksklassen in Bengalen; feiner im südlichen
Vorderindien die Toda und Kasubas; dann die Armenier, Serben und Küssen.
Die christliche Kirche des Morgen- und Abendlandes überhaupt eilaubte das
eheliche Leben erst mit Kim ritt der Reife. Auf dem gleichen Standpunkt
erscheinen die A.ssyrer und Juden; ferner die Ewe-Neger, die Bantu am
untern Kongo, die Maquamba- Kaffern und Nama-Hottentotten, auch dieMikro-
uesier auf Ya,p, die Papua, die Australier am Moore-River, die Indianer in
Guyana, die Capickrans in Brasilien u.a.m.
■) Vgl. /. B. Kap. I u LtV
§ 3K4. Indo-Europäer und vorderindische Niehtarier. 701
Ausdrücklich erwähnt ist hingegen der sexuelle Verkehr vor Eintritt
der Keife tals Ausnahme) in den indischen Nordwestprovinzen, als Regel(?)
in den vornehmen Kreisen von Bengalen: eher als Ausnahme, denn als Regel,
bei den Kabylen; als allgemeiner Brauch bei den ostafrikanischen Wapororo,
den früheren (auch jetzigen?) Völkern des Makonde-Plateaus u. a. m.
Von nicht wenigen Völkern fehlen mir genaue Angaben, so daß hier
nicht festgestellt werden kann, ob bei ihnen einerseits die Verheiratung auch
schon den ehelichen Umgang in sich schließt, und andererseits ob die Alters-
angabe für die Brautpaare unreife Kinder, oder bereits gereifte Leute bezeichnet.
Denn der Umstand, daß z. B. zehn Jahre als Alter der Bräute angegeben sind.
beweist noch nicht, daß man es mit unreifen Mädchen zu tun hat. da es
sowohl im südlichsten Afrika, als im nördlichen Sibirien und tropischen Amerika
10 — 1 2 jährige Mütter gibt. Solche Tatsachen verbieten wohl auch die Annahme,
daß 12jährige Bräutigame.- denen wir auf Samoa, in Korea. Sibirien und
andernorts begegnen, als unreife Knaben bezeichnet werden.
Eheliche Verbindungen zwischen unreifen Knaben und gereiften
Weibern, zwischen Mädchen im Kindesalter, oder doch noch nahe an
dessen Grenzen, mit 20-, 30-, 40jährigen Männern oder gar abgelebten
Greisen, sind wohl eine der widrigsten Erscheinungen in der Völkerpsychologie,
hauptsächlich wenn sich dazu das Konkubinat gesellt. Auch solche Erschei-
nungen, vom Landesbrauch geduldet, weist das vorliegende Kapitel auf höheren
und niederen Kulturstufen nach. Die < >-seten im Kaukasus, die früheren
Bojken (ein ruthenischer Volksstamm), verschiedene Negervölker, aber auch
Koreaner, ferner Golden, Samojeden und Eskimos gehören hierher.
Schlimme Folgen des vorzeitigen Ehelebens. welches sich freilich kaum
mit dem Wunsch nach dem Kind, wohl aber mit einer ethisch weit tiefer
stellenden Lust erklären dürfte, sind im vorliegenden Kapitel nur bei einigen
Völkern nachgewiesen. Beispiele sind die Bengalen (vornehme Kreise), die
Kabylen und die Eingebornen auf Neupommern.
Bezeichnend für die Inder ist es. daß sie es mit der Kinderheirat an-
stellten, wie sie es mit der Witwenverbrennung getan, d. h. daß sie jene wie
diese zu einer strengen religiösen Pflicht stempelten, deren Nichterfüllung
mit furchtbaren Jenseits-Strafen bedroht wird. Das alte Indien kannte (nach
/.'. Sehröder) weder die eine, noch die andere. Immerhin ist die Ehe in einem
Alter, das wir als Kindesalter bezeichnen, eine sehr frühe Erscheinung im
Völkerleben; denn ^ 3fi5 macht uns mit Hochzeiten 13 jähriger Assyrerinnen
aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. als historische Tatsache bekannt, abgesehen
von dem wahrscheinlichen Brauch der Kinderehen auch schon zu Hammurabis
Zeit (ca. 2200 v. Chr.). —
Jedenfalls ist das vorliegende Kapitel ein weiterer Beitrag zu Kapitel
XLVII. „Kind und Keuschheit". —
§ 364. Iiulo-Europiier und vorderindisclie Niehtarier.
Im Herbst 1911 ging die Nachricht durch einen Teil der deutschen Presse,
daß die jüngste Volkszählung, welche die britische Regierung in den ihr unter-
stehenden Gebieten Indiens durchführte, unter anderem zu dem Ergebnis
gekommen sei, daß dort gegenwärtig 250 000 Mädchen unter fünf Jahren formell
verheiratet seien. Die Zahl der Ehefrauen unter zehn Jahren betrage 2 Millionen ;
die Zahl der im Alter von 10 bis 15 Jahren 6 Millionen, uud zwischen 15 und
20 Jahren seien 9 Millionen vermählt worden. Die Zahl der Witwen, die
kaum ihr fünftes Lebensjahr erreicht hätten, wurden auf 10 000 angegeben.
Nach /'//. Lenz hat man in verschiedenen Teilen Indiens zwei wesentlich
verschiedene Arten von Kinderheiraten zu unterscheiden, deren eine vom
702 Kapitel LVI. Verlobung und Verheiratung des Kindes.
pli vsiologischen Standpunkt einwandfrei sei, während die andere in jeder Hin-
sicht verurteilt werden müsse. Bei der ersteren, im Pandschab vorherrschenden,
tindet zwar die Hochzeitszeremonie sehr früh, bei den Jats gewöhnlich schon
mit fünf bis sieben Jahren statt, aber die Gatten kommen erst viel später
zusammen, meist nicht vor 15 oder 16 Jahren. In diesem Alter oder
noch später heiraten die Radschputen, die sofort nach der Hochzeit das
eheliche Leben beginnen. Weder hier noch dort seien Anzeichen von
Entartung zu erkennen. Lenz weist bei dieser Mitteilung auf Denzil
lbbetson hin. Schlimmer als im Pandschab und Eadschputana1) sieht es nach
dieser Quelle bei den Bramanen, Chattri und Kayasth, den drei höchsten
Kasten in den Nordwestprovinzen, aus. Hier darf die Braut, sei sie reif
oder unreif, dem Gatten nach der Hochzeit ins Haus gesandt werden, doch
sind hier Fälle letzterer Art noch Ausnahmen; regelmäßig wartet man mit
der Auslieferung (bis zur Reife?) ein bis sieben Jahre2).
In Bengalen aber beginnen die Töchter der sogenannten besseren Klassen
ihr Eheleben regelmäßig mit neun Jahren. Ein gebildeter Hindu des 19. Jahr-
hunderts äußerte sich nach Lenz über diese Unsitte folgenderweise: ..Es ist
allgemein Sitte, daß Mann und Frau, ohne dazu nach den heiligen Schriften
dei'Hindus berechtigt zu sein, sofort nach ihrer Verheiratung mit der geschlecht-
lichen Beiwohuung beginnen. Die Eltern leisten dem Gebrauch unbewußt
Vorschub, ja sie machen ihn zu einer Notwendigkeit .... Die üblen Folgen
der verderblichen Sitte, welche der unnatürlichen Befriedigung des Geschlechts-
triebes geradezu Vorschub leistet, bedürfen kleiner weiteren Auseinandersetzung.
sie befördert unter anderem eine vorzeitige Pubertät und bildet so die Haupt-
wurzel all des Unheils, das frühes Heiraten im Gefolge hat."
Den tiefsten Grund der Kinderheiraten sucht Lenz in den verwickelten
Kastenverhältnissen, welche es den Eltern sehr erschweren, ihren Töchtern
passende Männer zu verschaffen3). Lieber, so schreibt er nach einem „er-
fahrenen Hindu", liefern die Eltern ihre Tochter den üblen Folgen einer
Kinderheirat aus, als daß sie die Gelegenheit vorübergehen lassen, sie an einen
der paar Männer zu bringen, unter denen sie, nach ihren sozialen Anschauungen,
die Wahl haben. Die religiöse Weihe sei dem Brauche der Kinder-
heiraten wohl erst später aufgedrückt worden4). Jetzt freilich habe
der Hindu die streng bindende religiöse Pflicht, seine Töchter vor Eintritt de]
Reife zu verheiraten, wenn nicht ihre Vorfahren auf drei Generationen zurück
unermeßliche Zeiträume in der Hölle zubringen sollen. Wenn aber auch die
hl. Bücher die Hochzeitszeremonien für die Mädchen vor ihrer Reife ver-
langen, so seien sie doch gegen den ehelichen Umgang vor dem Eintritt
der Reife. Mit diesen Geboten stimme der Gebrauch im Pandschab überein.
Die Handlungsweise der höheren Kasten in Bengalen aber entspreche nicht
den Lehren der hl. Schriften und die Folge sei. daß diese vornehmen Bengalen
körperlich nicht nur hinter den Bewohnern des nördlichen Indien, sondern
auch hinter dem gewöhnlichen bengalischen Volk zurückstehen, welches seine
Töchter bis zu deren Beife daheim behalte. Obgleich es vorkomme, daß
K) jährige Mädchen6) nach der Brautnacht sterben, habe die gesetzliche Ver-
') Pandschab und Radschrjutana haben arische Bevölkerung.
2) An der Grenze der Nord westprovinzen zieht man auch die übrigen Familienmitglieder
zu Rat, wenn ea sieh um die Verlobung eines Kindes handelt. L>ie Entscheidung fällt aber
nicht ihnen, sondern <\en Eltern, oder nach deren Ableben den Erben zu i.-l. //. Rost,
ins, p. 8).
3) Vgl. Bd. I, S. 17.". IT.
') l>as Gleiche gilt hinsichtlieh der Witwenverbrennung.
. Nach Pechey-Pfipson (Bombay) ist es unrichtig, daß, wie Ploß ,.1). W." I, 133 schrieb,
die Bindumädchen schon im 10. Jahre reif sind; vielmehr trete ihre Reife sogar spiitrr
als bei Europäerinnen ein.
§ 3<i4. Indo-Europäer und vorderindische Nicht arier. 7y3
scliiebung des Heiratsalters der Mädchen von zelm auf zwölf Jahre, durch die
britische Regierung, unter den Hindus im Jahre 1891 doch eine gewaltige
Aufregung' verursacht.
E. Schröder bezeichnet die Kinderheirat als einen Brauch, der den alten
Indern noch unbekannt war. Aber schon im mittelalterlichen Indien
wurden die Mädchen in sehr zartem Alter verlobt und verheiratet und dem
Bräutigam mit dem Beginn der Geschlechtsreife, oder unmittelbar darauf,
ausgeliefert, Tat ein Vater in dieser Hinsicht seine (vorgebliche) Pflicht nicht,
d. h. verheiratete er seine Tochter nicht, ehe drei Jahre nach ihrer Geschlechts-
reife vergangen waren, dann konnte das Mädchen sich selbst einen Gatten
wählen.
Die Gesetzesbücher unterschieden verschiedene Arten guter und schlechter
Eheschließungen. Als die beste galt, daß der Vater das Mädchen, gebadet und
geschmückt, einem im Veda wohlbewanderten Mann von gutem Charakter
schenkte, den er ehrenvoll iu sein Haus geladen hatte. Das war die Brahman-
Ehe. Zu den schlechten Ehen gehörten die aus gegenseitiger Neigung, ohne
Wissen der Eltern, geschlossenen.
Die heutigen Kumaon im nördlichen Vorderindien verheiraten nicht
wenige Mädchen sogar schon mit zwei Jahren. Die Knaben zählen gewöhnlich
neun bis elf Jahre. Das ist allgemeiner Brauch; doch leben die Paare
erst dann zusammen, wenn das Mädchen Li bis 14 Jahre erreicht hat
(E. Schröder).
Nach Katharina Zitelmann gewinnen jetzt in den oberen Ständen Indiens
europäische Anschauungen allmählich an Boden, und es existieren zwei große
Reformparteien, deren Mitglieder ihre Töchter nicht mehr verheiraten, ehe
diese erwachsen sind. Das Volk allerdings hängt noch immer am alten Brauch.
So waren z. B. die acht- und zehnjährigen Töchter der armen Landleute,
unter denen Zitelmann im Distrikt Banda in Bundelkhand, Zentralindien,
lebte, bereits längst verheiratet.
Über die Kinderverlobung bei den polyandrischen Todas in den Nilgiri,
südliches Vorderindien, siehe Seite 623. Der dort eingeführte Pinpurz Kutan
mußte bei seiner ersten Verlobung mit einem zwei Monate alten Mädchen
seinen voraussichtlichen Schwiegervater bitten, er möge ihm gestatten, daß er
mit dessen Fuß seine Stirne berühren dürfe, was dann der Knabe unter Ver-
neigung tat. Pinpurzeus Vater gab dem Vater der kleinen Braut eine Büffel-
kuh und für das Bräutchen ein Kleid. Das letztere Geschenk mußte jedes
Jahr, in verdoppeltem Wert, erneueit werden1). Starb jemand aus der Ver-
wandtschaft der Braut, dann opferte der Vater des Bräutigams einen Büffel
und schenkte (der Braut?) ein Stück Baumwollstoff („Kutsch"). Das Gleiche
hatte er bei der Beisetzung der Leiche zu tun. Büffelopfer hatte auch die
Familie der Braut zu bringen, wenn in der Familie des Bräutigams ein
Todesfall vorkam. Eine Hochzeit mit diesem Mädchen fand nicht statt.
Seine zweite Braut heiratete Pinpurz. nachdem diese zur Reife gelangt
war. Die Ehe wurde vom Stiefvater2) des Mädchens durch Auflegung der
Hände eingesegnet,
Von deu Kasubas in den Nilgiris teilte C. Sayavadana Rao häufigere
Verheiratung im Kindesalter, als in späteren Jahren, mit. Die letzteren seien
sogar gewissermaßen verachtet. Doch beginnt der eheliche Verkehr auch
hier erst nach Eintritt der Reife. Bis dahin bleibt die Braut bei ihren Eltern,
zu denen das getraute Kind nach der Hochzeit zurückkehrt.
') Der Wert der Geschenke richtete sich nach den Vermögensverhältnissen der be-
treffenden Familien.
2) Der rechte Vater war gestorben.
704 Kapitel LVI. Verlobung und Verheiratung des Kindes.
Nach dem gleichen Gewährsmann verheiraten die Rai Gonds, Dravida
in den östlichen Ghats, südliches Vorderindien, mehr Töchter vor. als nach
Eintritt der Reife. Liebt ein Mädchen einen anderen, als den von den Eltern
Bestimmten, so entflieht sie mit ihm. Ihr Recht, den anderen zurückzuweisen,
wird von den Eltern schweigend zugestanden.
Diese Eheform nennt man „udiliyu polaila", d.h. „aus Liebe entfliehen".
Die Eltern des Mannes werden in der Folge von einem Kasten-Komite zu
einer Geldstrafe verurteilt, wovon eine Hälfte den Eltern des Mädchens zu-
kommt, die andere zu einem Kasten-Mahl verwendet wird, welches bei dieser
Gelegenheit stattfindet. - - Eine andere Werbeform ist Raub. Ob das Mädchen
und dessen Eltern einen Werber wollen oder nicht, das schreckt diesen nicht
ab. Er wartet nur auf einen passenden Zeitpunkt, um zum Ziel zu gelangen,
verabredet sich z. B. mit Freunden, das Mädchen forttragen zu helfen, wenn
es Wasser holt. Einmal gefangen, wird es eine Zeitlang eingesperrt, bis es
sich mit seinem Räuber versöhnt. Von da an sind sie Mann und Weih.
Die nicht seltene Verheiratung von Knaben im Kindesalter bei den
Kunnuvan oder Mannadi in den Palnibergen, Südindien, siehe Kapitel L.
Seite 618.
In Persien geben Leute aus den vornehmen Kreisen ilirenSöhuen schon
mit zehn Jahren eine „Vertragsfrau"; andere tun das mit 16- oder 17jährigen
Söhnen. Die wirkliche Verheiratung findet später statt. Weniger bemittelte
Familien suchen ihre Töchter bereits mit zehn oder elf Jahren zu verheiraten,
oder sie holen priesterlichen Dispens ein, ""um sie gar schon im 7. Lebens-
jahr verehelichen zu können. Der Prophet ging ihnen ja als Beispiel voran
(vgl. § 365).
Aus Afghanistan teilte P. von Stenin mit, daß in den wohlhabenden
Familien der Wachietschi die Söhne nicht selten mit zehn, bisweilen sogar
schon mit sieben Jahren verheiratet werden. Mädchen gibt man da und dort
mit sechs Jahren in die Ehe. Regel ist. daß die Braut 10 bis 14 Jahre, der
Bräutigam nicht über 20 Jahre alt ist.
Bei den transkaukasischen Armeniern, Christen, kommt es vor, daß
Eltern Säuglinge, ja noch ungeborne Kinder, verloben, um die beiderseitigen
Familien fest miteinander zu verbinden. Bei Wiegenverlobungen macht
der Vater des Knaben einen Einschnitt in das Obergestell der Wiege des
Mädchens, oder er umwickelt dieses Gestell dreimal mit einem Linnenfaden.
Die Eheschließung ist aber erst mit 15, bzw. 13 Jahren für Bräutigam
und Braut gestattet. Sind die Verlobten noch im Kindesalter, so hat
man also mit der Heirat noch so lange zu warten (.V. von Seidlite, nach
SelinsM \.
Bei den Osseten besteht neben den Knabenehen das Konkubinat. Der
Vater verheiratet nämlich seinen minderjährigen Sohn mit einem erwachsenen
Mädchen und lebt mit diesem im Konkubinat. Ebenso verheiraten Witwen
unmündige Söhne mit erwachsenen Mädchen, die mit einem Fremden im Hause
im Konkubinat leben. Die Kinder aus solchen Ehen gehören dem Knaben
(Post nach Kovalewshy).
Die K'ica in Siidalbanien glauben, daß der Himmel die Verlobten
besonders schütze, weshalb Väter, die einen einzigen Sohn haben und für
dessen Leben fürchten, diesen in der Regel schon verloben, ehe er drei Jahre
alt ist (Peschely.
Die liojken. ein ruthenischer Volksstamm, machten es früher wie die
Osseten, d. h. sie verheirateten ihre Söhne im Knabenalter mit reifen Mädchen.
Worauf de]' Schwiegervater die Stelle lies kleinen Gatten einnahm. Im Jahre
1623 setzte aber ein polnisches Gesetz die Todesstrafe auf diese Unzucht
</.'. Fr. Kaindl).
§ 361. Indo-Europäer und vorderindische Nichtarier. 705
Im alt serbischen Familienreclit galt das vollendete 15. Lebensjahr als
das erforderliche Alter für die Eingehung der Ehe. Dennoch geschah es oft,
daß Knaben schon mit 13, Mädchen bereits mit 10 oder 12 Jahren heirateten,
ohne daß es eines besonderen Dispens bedurfte. Im 14. Jahrhundert ehelichte
der 60jährige König Milutin (1275 — 1321) sogar ein achtjähriges Kind,
Symonida, die Tochter des griechischen Kaisers Ändronicus sen. — Während
der Türkenperiode und dem Räubertume der Janitscharen verheiratete man
die Knaben sehr früh, um sie vor Kaub zu sichern, da die Türken das Band
der Ehe berücksichtigten. Im Jahre 1731 verbot jedoch ein Ferman des Sultans
Mahmud die Verheiratung vor dem von der griechischen Kirche vor-
geschriebenen Alter.
Kinderheiraten waren früher auch in Kußland üblich. Fürsten konnten
ihre Söhne mit dem vollendeten elften, ihre Töchter mit dem vollendeten
achten Jahr verheiraten. — Hier, wie bei den Serben, wurde jedoch die Ehe
nicht vor Eintritt der Keife vollzogen (Milovanovitsch).
Die Jurdes, ein kulturell zurückgebliebenes Bergvölklein dunklen Ursprungs
in der spanischen Provinz Extremadura, verheiraten jetzt noch bisweilen
ihre Töchter schon mit 12 oder 13 Jahren, was sie mit den Worten begründen:
Die Männer sollen die Frauen, welche ihnen dienen, nun auch ernähren (Juan
Dominguez Berrueta).
Auf eine frühere Verlobung im Kindesalter bei den Iren (Kelten) scheint
folgendes hinzuweisen: Wenn heutzutage im südlichen Irland ein Knabe beim
Spiel ein Mädchen so verletzt, daß Blut fließt, dann sagt seine Wärterin:
„Nun wirst du sie heiraten müssen." — William CrooTee, der dies berichtet,
fügt bei, daß auf solche Verlobungen schon in der Sage von Perseus hin-
gewiesen sei.
Im kaiserlichen Korn gestattete Augustus reifen Männern Verlobungen
mit unreifen Mädchen, damit die Männer durch den Titel „ Bräutigam-' zur
Gründung eines Haushaltes verlockt werden sollten. Statt dessen erschlichen
die Männer durch solche Verlobungen und Scheinheiraten die von Augustus
für die Ehe (und Kindererzeugung) ausgesetzten Belohnungen. Darauf erklärte
Augustus jede Verlobung, auf welche nach zwei Jahreu nicht die Hochzeit
folgte, für ungültig und bestimmte, daß die zu Verlobende wenigstens zehn Jahre
alt sein müsse (Josef Müller, nach Dio Cassius).
Diesen gesetzlich festgelegten 12 Jahren für die Verheiratung der Mädchen
entsprach im römischen Recht die Bestimmung, daß die Knaben mit ihrem
14. Geburtstage heiraten durften (Richard Koebner).
Wie schon aus den Mitteilungen über das altserbische Familienreclit
(w. o.) hervorgeht, gestattete auch die griechische Kirche Kiuderverlöbnisse.
Das Gleiche war in der abendländischen Kirche der Fall, wenigstens im
späteren Mittelalter. Eine desponsatio impuberum (Kinderverlobung) hatte
nach dem Dekretalrecht Geltung, wenn beide Verlobte das 7. Lebensjahr
überschritten hatten. „In Fällen, wo die Heirat politische Bedeutung hatte,
durften sogar Kinder von noch geringerem Alter verlobt werden. Ein Ver-
löbnis war, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, lösbar, und eine Verbindung
Unreifer durfte immer nur als Verlöbnis gelten." — Das Recht zu heiraten
gab die Kirche, sobald Geschlechtsreife eingetreten war1), und dieses Rechtes
bediente man sich in allen Schichten der Bevölkerung. Heiraten zwischen
13- bis 15jährigen Mädchen und 13- bis 19jährigen Burschen waren häufig.
Fürstentöchter wurden bisweilen schon mit 12 Jahren vermählt (Richard Koebner).
In einem von Maximilian Sdralek veröffentlichten Brief des Erzbischofs
Reinald IL von Reims aus der Zeit zwischen 1131 — 1138 erklärt dieser dem
1) Vgl. die Heiraten mit 2 und 4 Jahren im reformierten England w. u.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 45
706
Kapitel LVJ. Verlobung und Verheiratung des Kindes.
Bischof Milo I. von Terouane. daß das Eheversprechen eines noch nicht zwölf-
jährigen Mädchens ungültig- sei, wenn sie später ihre Einwilligung- zurückzieht.
„De puella, de qua consuluit prudentia vestra, hoc caritati vestre respondeinus,
quod assensus eins infra XII annnin datus nullius momenti est habendus,
presertim cum eadem pnella facta nnbilis assentire nolit."
[n England waren im 16. Jahrhundert Kinderehen an der Tagesordnung.
Die Verhandlungen des Gerichtshofes zu ehester von 15G1 — 1566 meldeten
eine Reihe von Scheidungsklagen, welche Eheleute, die in ihrer Kindheit
verheiratet wurden, einreichten, z. B. die Klage einer Elisabeth Hülse, die im
Alter von drei oder vier Jahren von ihren Angehörigen aus Versorgungsgründen
verheiratet wurde. Ihr gleichfalls in den Kinderjahren stehender Gatte, Georg,
wurde nach der Hochzeit auf zehn Jahre zu einem Schuhmacher in die
Lehre gegeben und kam dann in das Haus .seiner Schwiegermutter. Die Ehe
wurde niemals vollzogen und Elisabeth ver-
sicherte, sie könne den Jungen nicht leiden
(J. H., nach FurnivalV).
Die gleichen Verhandlungen erwähne!) die
Verheiratung eines vierjährigen .Mädchens mit
einem etwas älteren Knaben durch den Vater
des Bräutchens, eines anglikanischen Bischofs.
Als jüngstes Brautpaar wird ein Mädchen von
zwei, und ein Knabe mit drei Jahren angegeben,
welche auf "den Armen ihrer Verwandten ver-
mählt wurden. Diese Kinderehen seien (staat-
licherseits?) rechtskräftig gewesen, bis sie
durch regelrechte Scheidungsprozesse gehist
wurden. Doch ist auch eine Strafe verzeichnet,
welche der Erzbischof von York über den
Hilfsprediger Sir Richard Blakey verhängte,
weil dieser ein ca. 10 jähriges Mädchen mit
einem 12jährigen Knaben in der Pfarrkirche
iTL \ ^"— *y ^- von Colne (Whalley, Lancashire) ver-
^W'4 heiratete. Wenn bei Ehescheidungsklagen die
Nichtvollziehung solcher Heiraten zugestanden
war. dann erfolgte die Scheidung. Doch
wurden aus den meisten Kinderehen wirkliche
Ehen. Die Paare wurden gemeinsam erzogen
und lebten auch bald ehelich' zusammen. ■ —
Fig. 476. Syrische Dame mit Kind.
Im K. Ethnographischen Museum in
M u u c Iih II.
§ 365. Semiten, Hamiten, Neger, Buschleute und Hottentotten.
Kinderehen kamen, nach Huyo Wincklers Vermutung, auch int alten
Babylonien vor. Wenigstens handelt i; 130*) des Gesetzbuches Hammurabis
von Ehefrauen, die noch im Hause ihres Vaters leben und noch keinen Ehe-
mann erkannt haben.
Zu Assurbanipals Zeit verheirateten die Assyrer ihre Töchter schon mit
13 Jahren. Die Mütter suchten für sie Männer. Die Ehe war eine Kaufehe
i Muspero).
Manche Beduinen der arabischen Halbinsel verheiraten ihre Töchter
bereits mit 10, 11 oder 1 2 Jahren (.1. M. de St. Elie).
I las moslemische Gesetz anerkennt ja ein Mädchen, welches schwört,
daß sie reif geworden, schon mit neun .Iahten als volljährig, Knaben, unter
i) im Glob. ki. asof.
'i Übersetz. WinckUr, Lpzg. 1001.
§ 365. Semiten. Hamiteu, Neger, Buschleute und Hottentotten.
7U7
der gleichen Bedingung', mit zwölf Jahren. Volljährige Kinder kann der
Araber in V einen nur mit deren Einwilligung verheiraten, minderjährige
nach Belieben, wie Manzoni mitteilt. Demnach kommen hier Heiraten auch
bereits vor dem 9., bzw. 12. Lebensjahre vor. Speziell von der dortigen Bauern-
bevölkerung, den Qabili. sagt Manzoni, daß sie ihre Kinder möglichst bald
verheiraten, um eine rasche Fortpflanzung zu erzielen.
Auch in Kairo und Oberägypten verheiraten manche Araber ihre
Töchter schon vor Eintritt der Reife und haben in diesem Fall, ebensowenig
wie die Araber in Temen, die Mädchen um ihre Einwilligung zu fragen,
während später die Wahl den Mädchen selbst zukommt {Juane).
Mohammed, der Prophet, verlobte sich mit der 6- bis 7 jährigen Aisa
und führte sie in sein Haus. Die Ehe vollzog er in ihrem 10. oder 11. Lebens-
jahr. Auf Grund dieser bezeichnenden Tat kennt das moslemische Gesetz
keine Altersgrenze für die- Verheiratung der Jugend.
Nur Brauch und Sitte strafen den Wüstling, der durch
die vorzeitige Consummation seiner Ehe mit einem un-
reifen Mädchen diesem schwere Folgen heraufbeschworen
hat (Hanotrua und Letourneux).
Kinderverlobungen sind bei den Juden der Oase
Mzab in der Sahara und bei den Juden der Buko-
wina üblich. Jene verloben ihre Kinder mit vier bis
fünf Jahren. Vierzehnjährige Mütter sind keine Selten-
heit (E. A., nach Huguet1). — Unter den orthodoxen
.luden der Bukowina kommen Verlobungen vor dem
12. Lebensjahr vor. Der „Schadehen" (Ehemäkler)
fädelt die Sache ein und wird dafür gewöhnlich von
den beiderseitigen Eltern des Paares belohnt. Ge-
heiratet wird meist mit H5 Jahren (Kalndl).
Bei den Kabylen hat jeder Vater einer Tochter
das Kecht. diese im Kindesalter dem Eheleben aus-
zuliefern, sobald sich eiu Käufer einstellt (Hanoteau und
Letourneux). Obgleich die Pubertät verhältnismäßig-
früh eintritt, wartet man nicht einmal diese ab. Die
Mädchen werden gewöhnlich mit 10 bis 12 Jahren,
alier auch schon früher an den Werber verkauft.
Ein Bekannter Schönhärls wohnte der Hochzeit einer Achtjährigen bei.
Wie der Araber, so hat auch der Kopte in Ägypten das Recht, seiner
„unmündigen" -) Tochter nach Gutdünken einen Mann zu geben, was er. wie
der bukowinische Jude, durch einen Heiratsvermittler besorgen läßt. Die
unmündige Tochter wählt sich einen solchen Vermittler selbst (Lerne).
Fulbe-Mädchen werden schon mit 11 Jahren verheiratet (Walte). —
Die Hoer in Togo verloben ihre Töchter im Alter von 8 bis 10 Jahren
(Fies).
Viele Ewe in Agonie, Togo, verloben ihre Töchter schon im Mutter-
schoß mit dem Sohn eines Nachbarn. Als Pfand dient ein Strang Kaurimuschelii.
Der Bräutigam wird um sein Einverständnis gefragt. Kommt statt des er-
warteten Mädchens ein Knabe zur Welt, dann sollen die beiden Knaben gute
Freunde werden. Kommt das erhoffte Mädchen, so ist die Freude groß; der
junge Bräutigam, oder seine Eltern, legen für die Braut eine Farm an; der
jährliche Ertrag davon wird ihr vom Bräutigam gebracht. Trotzdem weigern
sich manche Mädchen, wenn einmal die Zeit der Verheiratung herankommt.
Fig. 47e. Ein Dualla-Mäd-
chui aus Kamerun. Im K.
Ethnographischen Museum in
München.
') Im Glob. 83, 354.
2) Die Mündigkeit tritt wohl hier nach arabischem Muster ein (s. v. S.).
45*
708
Kapitel LVI. Verlobung und Verheiratung des Kindes.
beim Bräutigam zu schlafen, weil sie Abneigung empfinden. Im Gebirge (Busch)
gilt das als eine so große Beleidigung, daß sich die verschmähten Jünglinge
noch vor wenigen Jahren entleibten. Wenigstens war dies in Avathne ge-
wöhnlich der Fall. Jetzt machen solche Männer in Epando mehr von dem
Rechte Gebrauch, die Widerspenstige zu verkaufen. — Die Heirat findet statt,
wenn das Paar das nötige Alter erreicht hat, schreibt Herold. — An der
Küste sind so frühe Verlobungen, wie sie in Agonie üblich sind, Ausnahmen.
Auch die Bassari in Togo bestimmen ihre Kinder häufig schon als
klein für einander, indem sich befreundete Eltern über deren spätere Ver-
ehelichung verständigen. Der junge Bursche arbeitet, wenn einmal fähig, für
seine zukünftige Braut und gibt seine Ersparnisse den Schwiegereltern, was
für diese ein einträgliches
Geschäft bedeutet {H.Klose).
In Kamerun kaufen
reiche Dualla bisweilen
kleine Mädchen als zu-
künftige Frauen für ihre
Söhne, wenn diese noch im
Knabenalter stehen {Pauli).
— Max Buchner erwähnte
aus Kamerun Verlobungen
von Mädchen lange vor dem
Eintritt ihrer Reife als nichts
Seltenes. Doch ziehen solche
Mädchen nicht sogleich zu
ihrem zukünftigen Galten.
Wenn bei den Bantu
am untern Kongo ein
Bursche absichtlich eine ( Jlas-
perle in das Bad eines kleinen
.Mädchens wirft, so muß
dieses, wenn erwachsen, ihn
heiraten (WeeJcs).
In Britisch - Ost-
afrika verkaufen viele Ne-
ger der Provinzen l'nyoro
und Toro ihre zehnjährigen
Töchter an den Meistbieten-
den zur Ehe. Viele dieser
Käufer sind bejahrte, ab-
Die armen Mädchen suchen
Fig
477. Soldatenkind aus Bnnjio (Banyo), Kamerun.
phot. Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
gelebte Greise
ihre Flucht zu den Missionaren zu
die schon mehrere Frauen haben.
einem solchen Loose nicht selten durch
entgehen. Wenn diese die nötigen Mittel haben, um den Vater zu befriedigen.
finden sie sich in ihrer Hoffnung- auch nicht getäuscht. Die Gesetze und Maß-
regeln der Regierung haben leider beim besten Willen diese Art Sklaven-
handel noch nicht beseitigen können [Streicher).
Mehr Erfolge scheint die deutsche Regierung in Deutsch-Ostafrika
zu haben. Missionar Hurtinunn meldet vom Tanganjika-See: In Kala und
Tembe fällt eine alte Unsitte nach der anderen. Erfreulich rasch geht es
weiter im Sieg über die grauenvolle Unsitte, daß alte, vielbeweibte
Kerle Mädchen im zartesten Kindesalter zur Frau nehmen. Die kaiserliche
Station rückt dem Übel ebenso energisch zu Leibe, wie wir Patres. „Letzthin-'
wurden vier dieser alten Unholde zu vier und drei Monaten Kettenhaft
verurteilt.
365. Semiten, Haniiten, Neger, Buschleute und Hottentotten.
709
Die "Wapogoro, Deutsch-Ostafrika, verloben ihre Kinder im zartesten
Alter. Ist der Knabe dann etwa sieben Jahre alt, so daß er etwas arbeiten
kanu. dann dient er dem Schwiegervater ein Jahr. "Während dieses Jahres.
oder am Schlüsse, baut er für sich und seine Zukünftige ein Haus, welches
von den beiden Kindern bezogen wird. Hier verkehren sie geschlechtlich, bis
bei dem Mädchen die Reife eintritt, worauf das Paar wieder getrennt wird,
damit der Gatte sich seine Gattin erkaufe. Hält sich ein Weißer über diese
Unsitte auf, dann antworten ihm die Eingeborneu, sie seien eben "Wapogoro
(Fdbry).
Ähnlich war es früher bei den Völkern des Makonde-Plateaus. Man
verband hier Kinder von 5 bis 7 Jahren
miteinander und baute ihnen Hütten, in
denen sie wohnen mußten. Auch heut-
zutage soll das noch vorkommen. — Ein
anderer dortiger Brauch ist. daß ein Weib,
welches von einem Knaben entbunden wird,
diesen einer schwangeren Nachbarin zum
Schwiegersohn vorschlägt für den Fall,
daß die Nachbarin von einer Tochter
genese und umgekehrt. Ist das noch zu
erwartende Kind von dem gehofften Ge-
schlecht, dann fahrt man die Verheiratung
auch aus. — Oder der Makonde-Knabe,
der nach seiner Beschneidung bei seinem
Oheim (mütterlicherseits) lebt und eine
seiner Töchter zu heiraten hat. wenn solche
da sind, wartet, wenn noch keine geboren
ist, die Geburt ab. Die Verheiratung der
Mädchen soll vor Eintritt der ersten
Menstruation stattfinden, wie Weule von
einigen Eingeborneu hörte.
Bei denMaquamba, einem Kaffern-
volk, ziehen nicht selten Männer mit
ihren kleinen Töchtern im Land herum,
von Spelonke zu Spelonke. und bieten die
Mädchen zum Kauf an. Findet sich ein
heiratslustiger Liebhaber, der Kapital an-
zulegen hat und über den Preis einig
wird, dann bezahlt er diesen und ist nun
nach Kafferngesetz der Mann dieses Kindes.
Das Mädchen geht aber noch nicht mit ihm, sondern kehrt mit ihrem Vater
heim, wo sie bis zu ihrem 15. oder 16. Lebensjahre bleibt, worauf ihr Mann
sie zu sich nimmt, wenn sie nicht vorher mit einem Geliebten entflieht, was
gar nicht selten ist. In diesem Fall verlangt der Käufer den Brautpreis
„Lobokv' zurück, was in der Kegel zu einem Prozeß führt (Adolf Schiel).
Die südafrikanischen Buschmänner verloben ihre Töchter regelmäßig
im Kindesalter. Burehell sah in Kaabis Kraal eine siebenjährige Verlobte
und l0-(?) bis 12jährige Mütter. Die Mädchen haben bei ihren Verlobungen
nur etwas mitzureden, wenn sie bereits reif sind. Gewöhnlich vergehen zwischen
Verlobung und Hochzeit 2 bis 3 Jahre. "Während dieser Zeit leben die Bräute
bei ihren Eltern {Burehell).
Die Nama-Hottentotten verloben ihre Kinder beiderlei Geschlechts
gleichfalls schon vor Eintritt der Reife. Das eheliche Leben beginnt auch
hier erst nach diesem Zeitpunkt (Schinz). —
Fig. 478. Großvater und Enliel. Kibosoho,
Mission der Väter vom hl. Geist, Deutseli-
OstafriU.i.
7in
Kapitel LVI. Verlobung und Verheiratung des Kindes.
§ 360. Malayisch-polynesische Völker.
Auf Java verheiratet sich die Jugend in der Regel ehe sie zur Vater-
und Mutterschaft gelangen kann. Sehr begüterte junge Burschen machen von
ihrem polygamen Recht bisweilen schon mit 13 oder li Jahren Gebrauch {Pfyffer).
Auf' den Aru-Inseln. südwestlich von Neuguinea, werden die Mädchen
gewöhnlich schon bei ihrer Geburt verlobt, wobei sogleich der Brautschatz
festgesetzt wird {von Rosenberg).
Verlobung in den Kinderjahren ist ferner auf Yap gestattet. Das eheliche
Leben vor Eintritt der Reife zu beginnen, ist verboten (Senfft).
Verlobungen der Kinder im Alter von acht Jahren sind häufig unter den
Papua-Stämmen der Geelvink-Bucht, Holländisch-Neuguinea. Das
Mädchen verbringt seine Brautzeit im Hause der Schwiegereltern, wird aber
vor jeder Annäherung an ihren Verlobten und andere Männer sorgfältig be-
wahrt und vor dem 16. Lebensjahre nicht verheiratet (Krieger). — Achtjährige
Fi.
\
47u. Wakamba-Farailie, Mann mit seinen zwei Frauen und Kindern, Hof mann puot.
für Völkerkunde in Leipzig.
im Museum
Bräute und zwölfjährige Bräutigame lernte Hagen unter den Papuas in
Bogadjim, Kaiser-Wilhelms-Land, kennen. Hier dauert der Brautstand oft
6 bis 8 Jahre, kürzer als ein Jahr nie. Selten heiratet ein Mann vor seinem
20. Lebensjahr.
Verlobung der Mädchen in sehr früher .lugend in vornehmen Familien
bei Melanesien! und Papnas hat auch £ 312 erwähnt.
\ns Nauru, einer Insel von 1 leutseli-Mikronesien. meldete Jung, daß
viele Kinderheiraten vorkommen. Besonders sei das auch hier in angesehenen
Familien der Fall, weil diese auf ebenbürtige Heiraten Gewichl legen. Der
Altersunterschied der Ehepaare sei oft bedeutend.
Im Bismarck-Archipel und auf den Salomo-Inseln ist die unterste
Altersstufe der Braut neun Jahre; bis über das 15. Jahr hinaus bleiben wenig
Mädchen ledig, wie Joachim Graf Pfeil schrieb. Auf Neupommern werden
Mädchen sogar schon im Alter von 6 bis 10 Jahren von Männern heimgeführt,
welche die 20er überschritten haben (Ph. Braun). Als das durchschnittliche
Alter der Bräute auf Neupommern eribl Powell zehn Jahre an; doch werden
§ 366. Malayisck-polynesische Völker. 711
hier Heiraten oft schon geplant, ehe die Braut geboren ist. — ,.Die unseligen
Folgen solcher Heiraten liegen auf der Hand," bemerkte Braun.
In Buin an der Siidspitze von Bougainville, Salomo-Insel, versprechen
manchmal Häuptlingsfamilien ihre Kinder einander schon vor deren Geburt.
Wie andernorts, so durchkreuzen indessen auch hier die Kinder bisweilen die
Abmachungen ihrer Eltern, indem sie sich später ihr Lieb selbst suchen. Das
beschwört dann und wann Kämpfe herauf, aber eigentlich gezwungen werden
die jungen Leute zu der von ihren Eltern gewünschten Heirat nicht (Richard
Thurnwald).
Verlobungen siebenjähriger Mädchen erwähnte Ploß in der 2. Auflage
aus Neucaledonien, französische Südsee.
Auf Samoa heiraten viele 10- bis 11jährige Mädchen und ca. 12jährige
Knaben (W. v. Billoie).
Australien bietet, wie in zahlreichen anderen Fällen, auch hinsichtlich
der Kinderverlobung ganz besonders Interessantes.
Babbeln Spcm-er und F. J. Grillen fanden dort bei den Aruuta- und
Ilpirra-Stäinmen vier Wege, auf denen der Mann zu einem Eheweib gelangt:
Erstens durch Zauber, zweitens durch Raub, drittens durch Entführung mit
Zustimmung der zu Entführenden, viertens durch Vermittlung. Von diesen
vier Wegen ist der letzte, Tualcha mura genannt, der gewöhnliche. Die Mittels-
personen sind der Vater des zukünftigen Mannes und der Großvater des zu-
künftigen, mich nicht gebornen, Weibes.
Die Werbung bzw. Verlobung geht bei dieser Werbeform auf folgende
AVeise vor sich: Ein Mann, der für seinen Sohn eine Frau aus einer gewissen,
ihm nicht verbotenen. Familie wünscht, kommt mit dem Vater eines Mädchens
überein, daß die Nachkommen beider durch das Band der Verwandtschaft
umschlossen werden sollen. Hierauf bringt man die beiden Kinder, die sich
gewöhnlich noch im zarten Alter befinden, in das Erlukwirra, d. h. in das
gemeinsame AVeibei lager des Stammes. In Gegenwart aller anwesenden Frauen,
die als Zeuginnen gelten, reibt dann die Mutter des Mädchens den Knaben,
und die Mutter des Knaben das Mädchen, mit Fett und rotem Ocker ein
Auch etwas Haar wird dem Mädchen abgeschnitten und dem Knaben zum Pfand
gegeben, daß das Mädchen, wenn erwachsen, ihm ihre Kopfhaare zu einem
Lendengürtel liefern müsse, doch nicht als seine Braut, sondern als seine
Schwiegermutter. Braut und Gattin soll ihm die gehoffte Tochter des gegen-
wärtigen, ihm jetzt gleichalterigen, Mädchens werden.
Ein solches Verlöbnis gilt für das weibliche Geschlecht, bzw. den Ver-
treter desselben, als bindend; der herangewachsene junge Mann hingegen braucht
das Versprechen seines Vaters, wenn er nicht will, nicht einzulösen. Aller-
dings können auch Verhältnisse eintreten, welche die Partei der Braut zum
Wortbruche bewegen. Entsteht z. B. vor der Hochzeit Feindschaft zwischen
den beiden Familien, so sehen sich die Eltern des versprochenen Mädchens
eventuell um einen anderen Schwiegersohn um. Doch weiß dieser dann im
voraus, daß ihm sein Weib von seinem Nebenbuhler, dem ersten Bräutigam,
früher oder später streitig gemacht wird.
Mancher Australier hat auf dem Tualcha-mura-Weg mehr als ein Weib
in Aussicht, kann aber sein Recht auf die übrigen an ewien jüngeren Bruder
abtreten, sei das nun ein leiblicher Bruder, oder ein Stammesbruder. Selbst-
verständlich kommt es auch vor, daß ein zur Schwiegermutter ausersehenes
Mädchen keine Tochter gebiert. Hat sie aber einen Sohn, so kann der Verlobte
auf diesen als seinen „Unjipinna" Anspruch machen. Das Verhältnis zwischen
zwei solchen Männern, bzw. Mann und Knabe, gleicht nach Spencer- Oillen
einem Paten Verhältnis.
712 Kapitel LVJ. Verlobung und Verheiratung des Kindes*.
Eine andere Werbeform meldete der Missionar Rudesino Salvado vom
Moore-River, südwestliches Australien: Der Werber hält beim Vater eines
noch unreifen Mädchens um dieses an. Bekommt er die Zustimmung: des Vaters,
dann ist er von jetzt an der Eigentümer des Mädchens, das regelmäßig bis
zu seiner Entwicklung beim Vater bleibt. Nur mißtrauische Werber nehmen
die ihnen versprochenen Mädchen gleich mit, berühren sie aber vor Eintritt
der Reife nicht. — Ein Wortbruch des Schwiegervaters müßte blutig gerächt
werden.
Bei den Dieri und verwandten Stämmen am Eyre-See, südliches Australien.
werden Mädchen in ihrer Kindheit, sei es von ihren Vätern, oder dem Haupt
und dem großen Rate des Stammes, einem Mann zur „Noa-Ehe", d. h. jener
individuellen Ehe versprochen, welche dort neben der Pirauru oder Gruppen-
ehe besteht (Howitt).
§ 367. Koreaner, Chinesen und Ural-Altaien.
Bei den Koreanern und den Golden, einem Zweig der Tungusen,
besteht der Mißbrauch. 12 bis 13 jährige Knaben and Mädchen mit 30 jährigen
Frauen, bzw. mit Greisen, zu verheiraten (Jakobsen- Genest).
Fig. 480. Chinesisches Spielzeug.
Frosch. Ballendes Kind. Kind zieht eine große Rübe.
Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
In China verloben viele Kitern ihre Töchter schon in den Windeln (Stern).
Bei den ackerbautreibenden Landleuten weiden die Mädchen oft schon im
Alter von 7 bis 8 Jahren in das Haus der Schwiegermutter genommen, obgleich
die Hochzeit erst im 15. Lebensjahre stattfindet1). Stern schreibt übrigens.
daß Verehelichungen chinesischer Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren nichts
seltenes seien (vgl. §294), und der Anonymus im „Globus", Bd. 65, 382 fügt
seiner obigen .Mitteilung die Bemerkung bei. daß die Chinesen ihre Kinder
bereits in einem Alter verheiraten, wo das Herz noch keine gegenseitige Liebe
kennt, wenigstens nicht jene Liebe, die den Erwachsenen eigen ist. Die wieder-
holte Behauptung europäischer Beobachter, das chinesische Mädchen sei sieb
seiner traurigen Laue als zukünftige Gattin nicht bewußt, widerlegt er mit
dem Bericht, daß viele Mädchen nach ihrer Verlobung Selbstmord begehen.
In den Wer Jahren des 19. Jahrhunderts ertränkten sich aus diesem Grunde
15, und im Jahre L873 machten bei Kauton acht junge .Mädchen ihrem Leben
ein Ende, alle aus Angst vor der Ehe. - Las Mädchen muß hin. wohin seine
Eltern es versprochen oder verkauft haben, ob der Auserwählte schief oder
krumm, oder doppelt so alt ist als sie. schreibt Stenz. — Ob noch in den
Windeln, oder älter, das Mädchen wird nicht nach Wunsch und Neigung gefragt.
5, 382.
§ 368. Hyperboräer und Indianer. 713
Mancher Kirgise auf der Halbinsel Mangyschläk, Ostküste des Kas-
pischen Meeres, läßt für seinen Sohn schon in dessen erstem Lebensjahr um
eine Braut schauen. Meistens geschieht das jedoch zwischen dem 3. und 8. Jahr.
Der Vater beauftragt mit diesem Geschäft einen Vermittler. — Bei der Auswahl
des Mädchens sieht man nicht sehr auf passendes Lebensalter. Der Unter-
schied kann sechs und mehr Jahre auf der einen oder andern Seite be-
tragen. Wichtiger ist die Übereinstimmung des Standes und Vermögens
beider. Die Braut kann vor der Hochzeit, welche nach erfolgter Pubertät
stattfindet, zurücktreten, wenn sie den ihr zugedachten Mann nicht mag (P.
Ku ratz).
Im Kreise Saissa nsk. asiatisches Bußland, heiraten viele reiche Kirgisen-
Söhne mit 14 Jahren: arme warten bis 30, ja 35 Jahre (P von Stettin).
Bei den Jakuten maß Middendorff ein Bräutchen von Höhe von 4» Zoll.
Es war im 2. Lebensjahr verlobt worden. Gewöhnlich verloben die Jakuten
ihre Töchter zwischen 8 bis 10, ihre Söhne mit 12 bis 13 Jahren.
Von den Ostjaken am untern (3b, West-Sibirien, teilte 0. Finsch
mit, daß auch sie ihre Söhne und Töchter in den Kinderjahren verloben, wobei
wenig nach Liebe gefragt werde. Hingegen bemerkte Brehm, man nehme auf
den Wunsch der Knaben viele Bücksicht, insofern die Vermögensverhältnisse,
welche bei den beiden Familien übereinstimmen sollen, das gestatten. Das
Madchen werde schon ans dem Grunde nicht gefragt, weil es bei seiner Ver-
lobung noch zu jung sei, um selbst über seine Zukunft entscheiden zu können. —
Dieser Grund scheint mir freilich, im Hinblick auf das Knabenalter des Bräu-
tigams, nicht unanfechtbar zu sein. Das Brautpaar, welches Brehm am untern
Ob kennen lernte, zählte zusammen 27 Jahre, wovon 12 Jahre auf die Braut
kamen.
Bei den Samojeden sind 12jährige Mütter keine Seltenheit. Knaben
werden bisweilen mit gereift eu Mädchen, kleine Mädchen mit Männern im
besten Mannesalter verehelicht. Die meisten Bräute sind beinahe noch Kinder
(P. von Stenm).
§ 3GS. Hyperboräer und Indianer.
Die Töchter der Eenntier-Tschuktscheu im Anadyrbezirk, nordöst-
liches Sibirien, heiraten mit ca. 10, die Söhne meist mit 16 Jahren. - Die
Elien bleiben jahrelang kinderlos (Cremat).
Die Zentral-Eskimos verloben ihre Kinder in der Kegel sehr früh,
schreibt Ports, der zu den Zentral-Eskimo auch die Eingebornen des nördlichen
Grönland rechnet. Solche Verlobungen sind nicht ernstlich bindend und
können zu jeder Zeit wieder gelöst werden. — Nach Hohn gehört an der
grönländischen Ostküste eine 3- oder 4malige Verheiratung der Eskimo-
Kinder vor ihrer Entwicklung zu den gewöhnlichen Vorkommnissen. — An
der grönländischen Westküste lernte Mrs. Peary zwei Bräutchen, „reine
Kinder-', kennen, und der 12jährigen Tooky folgte auch ein Verehrer. —
Fiühe Zusammeubestininiung der Kinder meldete auch //. Abbes von den Eskimos
des Cumberland-Sundes. — Hüll erwähnte die kaum über die Kinderjahre
hinaus gekommene kleine Ookoodlear, welche es nur durch herzzerreißendes
Weinen verhinderte, mit dem ca. 25 Jahre alten Etil verbunden zu werden.
Die Nordindianer zwischen Hudson-Bucht, Churchill-Fluß, Athabasken-
und Großer Sklavensee verloben ihre Töchter im Kindesalter, aber nie mit
gleiclialterigen Knaben. Denn der Nordindianer sagt: Kinder sind in ihren
Sitten und Neigungen so unbeständig, daß mau nicht wissen kann, ob ein
Knabe ein geschickter Mann werde. Sie wählen daher Männer, die ihre Frauen
höchstwahrscheinlich ernähren können. Auf Alter, Erscheinung und Charakter
714 Kapitel LVI. Verlobung und Verheiratung des Kindes.
wird nicht gesehen. Nicht selten verehelicht man 10- bis 12jährige, oder
noch jüngere. Mädchen mit 35- bis 40jährigen Männern. Die Mädchen haben
unbedingt zu gehorchen.
Häufige Kinderverlobung erwähnte Bancroft von den Nutkas. Indianern
auf der Vancouver-lnsel, an der westlichen Küste von Nordamerika. Als
gegenseitige Pfänder hinterlegt man Decken und andere "Wertgegenstände.
Rückgängig werden solche Verlobungen selten gemacht.
Nach Everhardt, F. im Timm kommen bei den .Indianern in Guayana,
Süd-Amerika. Verlobungen im Knabenalter vor. die der zum Manne gereifte
wieder auflösen kann, wobei er alles, was er seiner Verlobten an Perlen und
sonstigem Schmuck geschenkt hat, wieder zurückfordern darf. — Koch-Grünberg
erwähnt aus Britisch-Guayana 11- bis 12jährige Ehefrauen, die bereits er-
fahrene Mütter waren. Die meisten dortigen Stämme verheiraten ihre Kindei
sehr früh.
Im Staat Maranhao, Brasilien, suchen sich die Söhne der Capiekrans-
oder Canelas-Indianer bereits mit 8 bii 10 Jahren selbständig Bräute, ob-
gleich sie nicht vor 22 Jahren heiraten. Während dieser ganzen langen Braut-
zeit überwacht sich das Paar gegenseitig (Etienne Ignace).
Wenn ein Caingang-Indianer der brasilianischen Provinz Paranä ein
Kind oder ein junges Mädchen sieht, das ihm gefällt, so fordert er es vom
Vater gegen ein kleines Geschenk. Geht der Va!er*darauf ein. dann schließt
sich der Bräutigam dessen Familie an und -leistet Dienste, bis die Braut 10
oder 12 Jahre alt i>t. worauf er sie heiratet.
Mancher Jivaro-lndianer. Ecuador, nimmt sich ein Mädchen, das noch
an der Brust seiner Mutter trinkt, zur Frau, damit er e* nach Wunsch er-
ziehen kann (Reiss). —
Kapitel LV1I.
Pubertätsfeste exklusive Beschneidung1».
§ 3<>9. Der Übergang vom Kind zum reifen Weib oder Mann wird im
Völkerleben als ein hochwichtiges, ja bei vielen Völkern allem Anscheine nach
als das wichtigste Ereignis im Leben des Einzelnen aufgefaßt. Er gih ihnen
mehr als Geburt, Heirat und Tod. Zu diesem Schluß berechtigt ein Ver-
gleich der Feier, bzw. der hier einschlagigen Äußerungen des Seelenlebens der
Völker bei jenen Ereignissen. Mit Recht schrieb Heinrich Schürte über die
Feier der „Jünglingsweihe"2), sie sei meist viel großartiger und von weit
längerer Dauer als die der Ehe"). -- Das ist bei der Auffassung der be-
treffenden Völker von Zeugung und Ehe auch gar nicht zu verwundern.
Erstere kann ja auch außerhalb der Ehe stattfinden, und letztere ist so locker,
daß sie häutig ohne Schwierigkeiten, besonders seitens des Mannes, so und
su oft gelöst werden kann, abgesehen von Vielweiberei und Konkubinat inner-
halb der Ehe. Die Zeugungsfähigkeit aber ist, etwas konstanteres, bleibt,
hauptsächlich beim Mann, für den größten Teil des Lebens und wirkt in den
Nachkommen gewissermaßen für alle Zeiten fort. Deshalb dünkt es mich den
Tatsachen entsprechend, was ich auf S. 143 d. B. schrieb, nämlich daß bei
jenen Völkern, welche mit der Keifefeier Beschneidung verbinden, diese den
wichtigsten Teil des Festes ausmache, weil bei ihnen eben die Zeugung
als das vorherrschende Recht und die vorherrschende Pflicht des Erwachsenen
gelte4). H. Schürte meint im Zusammenhang mit seinem obigen Satz freilich.
es handle sich bei der ..Knabenweihe" der Völker mehr um die Aufnahme
der Knaben in den Bund der Jünglinge, als darum, den Kandidaten ihre be-
ginnende Zeugungsfähigkeit zum Bewußtsein zu bringen. „Die bloße Tatsache
der eingetretenen Geschlechtsreife würde . . . schwerlich zu so verwickelten
Bräuchen und Förmlichkeiten führen," so schreibt er. ..wenn nicht gleichzeitig
der Eintritt in die engverbundene Gruppe der Jünglinge entsprechend betont
werden müßte; bei den Mädchen, deren zweite Altersstufe bei weitem nicht
so geschlossen und kameradschaftlich organisiert zu sein pflegt, sind auch die
Festlichkeiten und Prüfungen stets unbedeutender."
') Siebe diese in Kap. XXXVIII.
-) Sclutrt? und andere Ethnologen bezeichnen die um die Zeit der Pubertät des
männlichen Geschlechts stattfindenden Koste auch als Knaben- oder .lünglingsweihe.
3) Altersklassen und Männerbünde. Eine Darstellung der Grundformen der Gesellschaft.
Berlin 1002, S. 96 f.
*) Daß ich trotzdem die Beschneidung gesondert (Kapitel XXXVIII) behandelte, hat
sowohl einen inneren als auch einen äußeren Grund. Ich wollte die Beschneidung jener
Völker, welche sie nicht mit der Pubertätsfeier verbinden, mit jener der numerisch weit
überwiegenden anderen zusammenstellen, um einen Gesamtüberblick über diese hochwichtige
Operation, und dadurch die Erklärung ihres Ursprungs, Wesens und Zweckes zu erleichtern.
Der äußere Grund war die beträchtliche Ausdehnung des Stoffes.
7K3 Kapitel LVII. Pubertä'sfeste exklusive Boschneidung.
Letzteres scheint mir aber durch eiuen Vergleich der hier folgenden zwei
Kapitel verneint zu werden1), und auch wenn dieses nicht der Fall wäre,
ließe sich die feierlichere Begehung der männlichen Pubertät unter anderem
mit dem in der Menschheit2) vorherrschenden Gedanken erklären, der Mann habe
einen größeren Anteil an der Zeugung einer neuen Generation, als das Weib.
Übrigens blickt selbst durch den Gedankengang bei Schürte die Idee,
daß die Hochschätzung der Zeugung es ist, was die Pubertätsfeste der Völker
vor allem beseelt. Dann wohl schreibt er: ..Der neue Mensch ist ein Jüngling,
ein Krieger, ist fortan nicht mehr der Mutter untertänig, wohnt nicht mehr
in der Hütte der Weiber und hilft ihnen nicht mehr bei den häuslichen
Arbeiten. Er gehört jetzt auf Jahre hinaus einer Gruppe an, die sich meist
schon räumlich von den Familien sondert." Aber auf S. 102 seiner verdienst-
vollen Arbeit lesen wir doch auch: „Durch die Weihe tritt der Knabe in Be-
ziehungen zu den Geistern des Stammes, ja er erhält selbst einen neuen Geist,
er stirbt und wird wiedergeboren und tritt nun in die Reibe derer, die
imstande sind, neue Wesen zu zeugen und den Stamm fortzupflanzen.
Völlige Klarheit über den Ideengang, der dieser Anschauung von Tod und
Wiedergeburt3) zugrunde liegt, ist schwer zu erlangen, aber man darf wohl
annehmen, daß sie die wunderbare Gabe der Zeugungsfähigkeit er-
klären und versinnlichen soll, wenn auch nur in halbbewußter Weise."
Mit diesen Ausführungen glaube ich auf Grund des in den Kapiteln XXXVIII,
LVII, LVIII u. a. m. verarbeiteten Materials übereinstimmen zu können, sie
aber auch auf das weibliche Geschlecht ausdehnen zu sollen. Mit der
Auffassung von der Zeugungsfähigkeit als dem Hauptgegenstand der Pubertäts-
feste oder Männer- und Weiberweihe sind wir aber auch bereits über den Kreis
jener Völker hinausgetreten, welche um die Zeit der eintretenden Pubertät
Beschneidung oder Aufschneidttng vornehmen. Auch bei vielen4) außen-
stehenden Völkern scheint das Gesagte zuzutreffen, wenn wir ihre Pubertäts-
feste oder Männer- und Weiberweihen näher ins Auge fassen, was hiermit in
möglichster Kürze geschehen soll. Manches, aus früheren Kapiteln Bekanntes,
begegnet uns hier wieder, wird dadurch klarer und wirft seinen Schein auch
auf die neue Umgebung. Hierhergehören: Isolierung der Kandidaten beider
Geschlechter, Haarschur, Erteilung eines neuen Xantens, Zahn-
operationen, Tätowierung usw. Bei Völkern, welche die Beschneidung
mit dem Eintritt der Reife ausführen, ist eine reine Scheidung der Be-
schneidungsfeier im engeren Sinne von den übrigen Festlichkeiten der Mannes-
oder Weibesweihe wohl überhaupt unmöglich. Ein Vergleich des 38. Kapitels
mit dem vorliegenden und folgenden Kapitel wird deshalb zum besseren Ver-
ständnis imitier wieder und wieder ratsam sein.
Ein Überblick über die beiden letzteren ergibt zunächst eine Isolierung
der Mädchen8) beim Eintritt ihrer Reife in Hütten (Häusern), bzw.
'l Vgl. '.. B. Wehrmeistevs Mitteilung über Lukuledi in § 372. nach welcher die
Pubertätsfeier des weiblichen Geschlechts länger dauert als jene des männlichen
-I Ausnahmen dürften die Völker mit dem Hecht der Muttersippe, mit Matriarchat
uml Gynäkokratie bilden (vgl. Kap. LI). Zu den ersteren gehört z. B. die Bevölkerung
Lukuledi. Eine Untersuchung, oh ein solcher Zusammenhang auch andernorts vorhanden
ist, wäre interessant, doch muß ich hier darauf verzichten.
') Vgl. meine Darlegungen über den Gedanken der Wiedergeburt im Kapitel
.Sexuelle t iperationen", besonders § 244. — Laß sich mir bei der Bearbeitung des einschlägigen
Materials der Gedanke der Wiedergeburt aufdrängte, ehe ich von dieser Auffassung bei
//. Schltrtz wußte, ist wohl mehr von wissenschaftlichem als persönlichem Interesse.
'i Vim den kulturell höher stehenden Völkern, sowie von der indo-europäiseheu Völker-
familie Überhaupi (das alte Sparta ausgenommen) liegt mir einstweilen betrcfls Pubertätsfeier
wenig Material vor.
Oder, wo Hinderen« mit sexuellem Verkehr schon vor Eintritt der Reife gebräuch-
lich ist, der jugendlichen Eheweiber.
§ 369. Pubertätsfeste exklusive Besehneidung. 717
Gehegen im vorherrschend nichtarischen südlichen Indien, und zwar bei
den Stämmen auf den Palni-Hügelu, den Valayan, Parivaram, Kasubas. Badagas
und Vedas; im nordwestlichen und westlichen Afrika bei den Golah
und Vai in Liberia, bei den Bafiote (und andern Stämmen?) in Loango; im
südlichen und östlichen Afrika bei den Hottentotten und Kaffern; in
Deutsch-Ostafrika bei den Wambugo und der Bevölkerung von Luknledi.
feiner auf Yap, den früheren Marschall-Inseln '), auf Karesau und in Nord-
queensland (Australien); in Nordamerika bei den Sitka und andern Zweigen
der Kolaschen, bei den Nutka, Delaware und Nordkarolinischen Indianern,
bei den Maskoki und Wintun (letztere in Kalifornien); in Südamerika bei den
Arrawak in Surinam, den Goajiros in Colombia und den Coroados im südöst-
lichen Brasilien.
Von andern Völkern mit dem Brauch, ihre Pnbertäts-Kandidatinnen zu
isolieren, weist Kap. LVII -eine Bezeichnung von eigens errichteten Hütten
usw. nicht auf, aber dafür, als Ort der Zurückgezogenheit, den „Busch" (Wald),
oder einen "Winkel der elterlichen Hütte, oder deren obere Abteilung u. ä. m.
— Bei gewissen Völkern schließt die Absonderung nur den Verkehr der
Kandidaten mit Nichtmitgliedern des Hauses aus und verlangt dementsprechend
nur, daß das Mädchen in dieser Zeit das Heim nicht verlasse, oder doch sich
nicht weit, oder nicht unnötigerweise davon entferne, oder nicht bei Tag
ausgehe.
Hierher gehören, abgesehen von Eepräsentanten der Sudan- und Bantu-
völker und der Indianer, Papuastämme in Deutsch-, Britisch- und Holländisch-
Neuguinea und die Bevölkerung von Kambodscha, letztere vorwiegend Khmer,
also ein Zweig der Völkerfamilien mit isolierenden Sprachen.
Mit der Absonderung der Reifekandidatinnen verbinden manche der be-
treffenden Völker anscheinend den Gedanken der Dunkelheit, der Finsternis.
Am meisten betont ist das in der Mitteilung über Kambodscha, wo die
Kandidatin „in den Schatten eintritt" (§ 375), den Urheber der Finsternis
(ihren derzeitigen Gatten ?) anbetet, ihm opfert, nur nachts ausgeht usw.
Aber auch die schwarze Stirnkruste der Badaga-Mädchen im südlichen Vorder-
indien (§ 370), die schwarze Beschmierung des Gesichtes in der Beringstraße,
die breite Hutkrempe der Sitka, bzw. das hier und bei den Nutka vorhandene
Verbot die Sonne und Feuer2) anzublicken, das Verbot der Lappen, den der
Sonne (und dem Thor) geheiligten Platz zu betreten, die von der Reife an
gebotene Verhüllung von Oberkörper, Kopf und Armen (und Händen) bei der
Tatarin, der verhüllte Kopf der gereiften Delaware-Indianerin, die dunklen
Isolierhäuser der Nordkarolinier. der Aufenthalt im dunkelsten Winkel der
Hütte bei den südamerikanischen Macusi u. a. m. dürfte begrifflich zusammen-
hangen (vgl. die schwarze Farbe w. u.).
Diese und ähnliche Erscheinungen, vor allem aber die Absonderung
selbst, durchwegs mit der „Unreinheit" der Mädchen zu begründen, wie
das gewöhnlich der Menstruierenden überhaupt und der Wöchnerin gegenüber3)
geschieht, dürfte schon deshalb nicht angängig sein, weil ja viele Völker
ihre männlichen Pubertätskandidaten gleichfalls absondern, und
daß diese deshalb als „unrein" bezeichnet würden, ist mir nicht bekannt.
i) Hier scheint die Isolierhütte ein Vorrecht der Häuptlingstöchter gewesen zu sein.
Der Gedanke der Unreinheit war also hier kaum vorhanden. Ebensowenig dürfte das bei
den südamerikanischen Goajiros der Fall sein, wo der Brautpreis um so höher ist, je länger
das Mädchen in ihrer Isolierhütte war (§§ 374 und 376).
2) Es soll hier an eine „Verunreinigung" der Sonne gedacht sein. Mag sein; aber
Sonne und Feuer spielen auch im Fruchtbarkeitskult der Völker eine so hochgradige Rolle,
duß Zweifel an der Ursprünglichkeit der obigen Auffassung berechtigt sind. Vgl. z.B.
die Sonne auf Abb. 483.
3) Siehe Kap. XXI und XXII.
7jy Kapitel LYIL Pübertätsfeste exklusive Beschneidung.
Wohl aber gelten sie bei den Alfuren im Hinterland des Mac-Cluer-Golfes,
Neuguinea, als „tabu" (§ 380), d. h. als das, was isolierte Menstruierende,
Wöchnerinnen und stillende Weiber gleichfalls bei manchen Völkern bezeichnet
werden. Gerade auf Neuguinea führt man aber bei gewissen Stämmen die
Begründung der Häuser, in denen die männlichen Pubertätskandidateu als
„tabu" isoliert sind, auf die Gottheit zurück. Somit ist hier „tabu'' wohl
als „heilig" oder doch „ehrwürdig", „unberührbar" zu übersetzen, was
einen Wink auch für die Auffassung isolierter Mädchen und Weiber gibt.
Schon in Kap. XXXVIII lernten wir Hütten für männliche Pubertäts-
kandidaten kennen, in welchen diese Unterricht erhalten und der Beschneidung
unterworfen werden, und welche sie nach kürzerem oder längerem Aufenthalt
als ..Männer" verlassen. Solche Hütten, von gewissen Völkern ausdrücklich
als Magen oder Bauch eines Geistes bezeichnet, sind bei diesen Völkern
Stätten des mystischen Todes der Unreifen und ihrer mystischen
Wiedergeburt als Reife. Wo Hütten nicht eigens gebaut werden, oder
wo ein schon vorhandenes Versammlungshaus nicht benutzt wird, vertritt ein
Gehege, oder sonst ein geräumter Platz, deren Stelle.
Zum Teil Gleiches, zum Teil Ähnliches haben wir in den Kapiteln LVII
und LVI1I: Bei den Golah und VaT, Negervölkern in Liberia, und bei den
Mendi-Negern in Sierra Leone werden z. B. die Pubertätskandidaten beider
Geschlechter vom Teufel gefressen und von ihm als „Wissende" wieder
von sich gegeben, d. h. als Leute, welche injlie theoretischen und praktischen
Kenntnisse ihres Stammes eingeführt sind. Die Zeit zwischen dem Auffressen
und Wiedergeben ist aber jene Zeit, während welcher die Kandidaten im
Busch ihren lang dauernden Unterricht genießen (§ 372). — Nicht ganz so
deutlich, aber immerhin verständlich genug, lautet in § 380 die Mitteilung
aus dem nördlichen Australien, daß ein Geist vom Himmel kommt und die
Pubertätskandidaten (Weihekandidaten) des Larakia-Stannnes in den
Busch trägt, von wo sie als eingeweihte Männer zurückkehren.
Der Gedanke des mystischen Todes und der Wiedergeburt ist
bei den obigen Golah. Vai und Mendi also von beiden Geschlechtern be-
zeugt, und die Wiedergeburt findet für beide Geschlechter während ihrer
Zurückgezogenheit und durch den Dämon statt1). In der Einsamkeit,
oder doch auch in einer mehr oder weniger strengen Absonderung von der
übrigen Welt, verkehrt, nach verschiedenen Stellen des vorliegenden und
folgenden Kapitels, der Dämon mit den Pubertätskandidaten, ja. der iianze
Unterricht, welcher den Kandidaten von den Priestern, Zauberern. Medizin-
männern usw. beider Geschlechter an den Stätten der Zurückgezogenheit
gegeben wird, dürfte auf Dämonen zurückgeführt weiden, weil diese sich ja
nach der regelmäßigen Auffassung der Völker durch ihre Priester offenbaren.
Daß sich dieser Unterricht zum großen Teil um Sexuelles dreht,
wird von verschiedenen Missionaren und andern Forschern ausdrücklich be-
zeugt 2).
Fassen wir zunächst einige unzweifelhafte Mitteilungen dieser Art in
diesem und dem folgenden Kapitel zusammen. In Loango und bei den Völkern
des ostafrikanischen Makondeplateaus, sowie bei den südafrikanischen Makololo
ist der Unterricht im Sexuellen ausdrücklich bezeugt; bei den dortigen Bafiote
trägt die fsolierhütte, wo das Mädchen unterrichtet wird, und das Jungfern-
häutchen den gleichen Namen; bei den Ama-Kosa. Solu und BasutOS läßt die
Unzucht beider Geschlechter bei der Schlußfeier auf den Inhalt des vorher-
') Beide Geschlechter werden auch beschnitten (Caston, im Anthrop. VI,
s 742 f.).
Das schließt selbstverständlich den Unterricht in nützlichen Fächern nicht aus.
Auch ein solcher ist bezeugt.
§ 369. Pubertätsfeste exklusive Beschneidung. 71 1>
gehenden Unterrichtes schließen; desgleichen die Prüfung der Kandidatinnen
des oben erwähnten Makondeplateaus und bei den Suaheli im Bauchtanz.
Bei den Eingebornen von Madibira gibt es Anschauungsunterricht im
Sexuellen (Abb. 483); auf den Unterricht der Auin-Kandidaten gestattet die
rohsinnliche, in § 373 geschilderte Feier einen Schluß; dem Hottentotten-
mädchen hängt man das Magenfell einer Färse (diese zweifellos ein Bild des
Mädchens) mit dem Wunsch über den Kopf, au Fruchtbarkeit einer Kuh zu
gleichen; auf Yap wirkt die Isolierhütte auf jedes Mädchen entsittlichend;
auf den Marschall-Inseln wurden früher die Töchter der Häuptlinge in den
Isolierhütten von ihren eigenen Vätern oder von andern Vornehmen defloriert^,
bei den Wintun-Indianern in Kalifornien schloß die Feier mit lasziven Ge-
sängen der Männer ab, und die bis zur Ohnmacht berauschten Conibos-Mädchen
bei ihrer Schlußfeier lassen ebensowenig eine Erziehung zur Sittlichkeit
in unserem Sinn erwarten. Immerhin liegen über die Pubertätsfeier der Indianer
weniger ausgesprochene Unsittlichkeitsbeweise vor. als von den Völkern Afrikas
und der Südsee. Bei den Arrawak soll die Kandidatin sogar in Demut,
Gehorsam und andern Tugenden unterrichtet werden. Daß das alles ist,
erscheint nach den Berichten über so viele andere Völker allerdings zweifel-
haft. Eine tiefere Kenntnis der Symbolik würde wohl auch da manches zu
Tage fördern. Dies läßt die wiederholt zitierte neueste Arbeit Weygolds erraten.
Viele Zeremonien und Bräuche freilich sind uns. meines Wissens, in
ihrer Bedeutung noch mehr oder weniger dunkel. Unter einigen derselben
haben die Kandidaten beider Geschlechter so sehr zu leiden, daß man sie
bisher einfach als Leidens- oder Mutproben ') auffaßte, zumal die Kandidaten
sie in der Eegel mit Gleichmut hinnehmen müssen2). Hierher gehört der
weitverbreitete Brauch, die jungen Leute mit Stöcken, Buten, Kiemen
und dgl. zu schlagen, zu geißeln, zu peitschen. Das weibliche Ge-
schlecht wird dieser Tortur nur bei den südamerikanischen Macusi*) und
Uaupes unterworfen, und zwar ist es dort die eigene Mutter, hier sämtliche
Mitglieder der Familie und die Freunde, welche das Mädchen peitschen. Bei
allen übrigen, diesem Brauch huldigenden Völkern sind es die männlichen
Pubertätskandidaten, welche entweder von den weiblichen gepeitscht werden,
oder sich selbst, oder sich gegenseitig peitschen, oder von Jünglingen, die
schon vor ihnen die Pubertätsfeier durchgemacht haben, oder von älteren
Männern, bei gewissen Völkern vom Häuptling des Stammes selbst gepeitscht,
bzw. mit einem Stock, Bohr oder Palmenstamm geschlagen werden.
Wieder von andern Völkern liegt mir eine Bezeichnung dessen, der
peitscht, nicht vor. Stellen wir die im vorliegenden und folgenden Kapitel
erwähnten Völker zusammen, bei denen der eine oder andere dieser Peitsch-
bräuche vorkommen, dann zeigt es sich, daß schon die alten Spartaner ihre
Jünglinge peitschten, und daß ihnen in dieser Hinsicht die heutigen nordwest-
afrikanischen Senegalneger4), die Bamangwato, Basutos und andere süd-
afrikanische Völker zur Seite stehen. Bei den Basutos verdienen zudem die
') Als solche faßte auch ich sie auf S. 151 d. B. zusammen.
a) Gewöhnlich scheint man bei dieser Benennung auch nur die Kandidaten männ-
lichen Geschlechtes im Auge zu haben, während doch die Mädchen bei mauchen Völkern
ebensoviel, wenn teilweise auch in andern Formen, auszuhalten haben. Als ausschließ-
liche Vorbereitung zum Kriegerstand können solche, oder doch ein Teil dieser Bräuche
demnach kaum aufgefaßt werden, wie naheliegend das auch scheint, wenn man z. B. die
Mißhandlungen der Pimas-Jüuglinge in § 382 liest, welche als Prüfungen für die Krieger-
kandidaten mitgeteilt worden sind.
3) Daß hier die Mädchen auch noch bei der zweiten Menstruation gegeißelt werden
(§ 376), weist meines Erachtens auch auf eine andere Grundbedeutung, als die einer Mut-
probe, hin.
4) Siehe auch die Bambara in Kap. XLVIII.
720 Kapitel LVI1. Pubertätsfeste exklusive Beschneidung.
menschenlangen Euten auf den Hüttendächern der Kandidaten (§ 379) unsere
Aufmerksamkeit, Vielleicht könnte ein Sprachkundiger Aufschluß geben, ob
„Eute" nicht nur in indogermanischen, sondern auch in andern
Sprachen zugleich das männliche Glied bezeichne1). - Ferner ist bei
den Basutos zu beachten, daß, nach der Schilderung bei Floß (2. Auflage)
die Geißelung erst nach der Aufnahme in die Eeihen der Männer stattfindet,
Entspricht diese Aufeinanderfolge den Tatsachen, dann wird die Basuto-
Geißelung auch aus diesem Grund nicht so aufgefaßt werden können, als ob
der junge Mensch durch deren geduldige Ertragung sich würdig erweisen
müsse, um unter die Männer aufgenommen zu werden.
Unter Eutenstreichen führen, wie schon in Kap. XXXVIII erwähnt, die
Papua in Kaiser-Wilhelms-Land ihre Söhne zur Beschneidung; die Beifekandi-
daten der Pyuma und Amis auf Formosa erhalten je einen Schlag mit einem
Bambusstali; jene auf Karesau mehrere Schläge mit einem saftreichen Bananen-
stamm; auch die Urabuuua, Annita. Ilpirra und Unmatjera. Stämme im Innern
von Australien, prügeln die Kandidaten, und das Gleiche tun (unmittelbar
vor der Beschneidung) die Eingebornen um die Boebuck-Bay, westliches
Australien. Das Peitschen begegnet uns dann wieder in Amerika: Bis dem
Häuptling die Hände erschlafften, peitschte er früher bei den Maskoki-
Indianern den Kandidaten, und im nordwestlichen Brasilien peitschen sich
heute noch die Pubertätskandidaten und wie es scheint, auch Ehemänner an
Festen, welche den Dämonen der Fruchtbarkeit geweiht sind. Da
diese Dämouen zugleich die Urväter der betreffenden Völker sind und
Koeh-Ghrwiberg einen derselben mit stark hervortretenden Geschlechtsteilen
abgebildet sah; da ferner der Gepeitschte während dieser Tortur aus Leibes-
kräften die Flöte bläst, deren Ton die Stimme des Dämons selbst ist.
ja, welche mit dem Dämon gewissermaßen identisch ist (§ 382); da
ferner zu Humboldts Zeit die Männer am oberen Orinoco (Colombia und
Colombia-Venezuelisches Grenzgebiet) sich an einem Jahresfest zu Ehren des
Fruchtbarkeitsdämons Cachimana geißelten und hl. Trompeten unter den Palmen
bliesen, damit diese reichliche Früchte brächten, so ist es klar, daß
die Geißelung (Peitschung) in einem innigen Zusammenhang mit dem
Fruchtbarkeitskult hängt. Daß dabei keineswegs nur an eine vegetative.
sondern auch, und wohl vor allem, an die menschliche Fruchtbarkeit zu
denken ist, bedarf wohl kaum eines besonderen Hinweises, zumal .. I>as Kind"
bereits in früheren Kapiteln das Peitschen mit Riemen und Ruten,
das Schlagen mit Gerten, Zweigen u. dgl. als uralte Symbole, bzw.
Handlungen, im Fortpflanzungskult indo-europäischer und anderer
Völker nachgewiesen hat2). Symbole, die au klein und groß. Mädchen und
Knaben, Männern und Weibern zur Durchführung gelangen. Freilich ist damit
das Rätsel mich nicht gelöst, warum das Peitschen und Schlagen zu einem
solchen Kultakt erhoben wurde. Wahrscheinlich ist in diesem Akt ein doppeltes
-zu beachten: einerseits das Peitschen oder Schlagen an und für sich, und
andererseits das Instrument, mit welchem die Hiebe erteilt werden. Was
letzteres betrifft, so waren z. B. die Riemen, womit im alten Rom die Frauen
geschlagen wurden, damit sie fruchtbar würden, aus den Häuten der geopferten
Böcke ;i); die Puten, mit welchen die Mordwinenmutter ihre Kinder peitscht,
') Sehr beachtenswert sind die Peitschen beim Aperschnalzen (Abb. . -17). Denn
dieses „Aper" dürfte mit „Aprilis, omnia nperiens; und dem Beinamen des Beins ..Beel-
phegor". d. h. „apertor" (terrae, vulvae) zusammenhängen". Siehe Zehetmayr, Ana-
logisch-vergleichendes Wörterbuch, S. 32.
*) Siehe hauptsächlich die Kap. X LI 1 und XI. 111.
') Der Bock an und für sicli war und ist ein sexuelles Symbol; der Bock als Opfer-
tier soll wohl doppelte Wirkung haben.
§ 369. Pubertätsfeste exklusive Beschneidung. 721
damit diese wachsen, sind vom hl. Baum der Göttin der Fruchtbarkeit *). Anderer-
seits soll wohl auch der Schlag wirken; denn die Karesauer schlagen nicht
nur ihre Pupertätskandidaten. sondern auch die Schweine; diese, damit sie
wachsen (§ 380). Sehr beachtenswert ist die Bemerkung über das Peitschen
der Muras (§ 382). daß es ,.ein Akt der Liebe" sei. Die Vermutung, es
unterliege hier ein „irregeleitetes Geschlechtsverhältnis", gründet wohl
in dem Zusammenbinden männlicher Paare. Somit hätten wir hier keinen Frucht-
barkeitskult, sondern einen sittlich tieferstehenden, einen sogenannten wider-
natürlichen Geschlechtskult'2). — Koch- Grünberg wiederum sieht in der
Peitschung der von ihm und seinerzeit von Humboldt besuchten Völker einen
Akt der Kasteiung, welcher den Dämon der Fruchtbarkeit günstig
stimmen soll3). Jedenfalls wird das Peitschen der Pubertätskandi-
daten nach den obigen Darlegungen, wenigstens in seiner ursprünglichen
Bedeutung, nicht mehr als ausschließliche Mutprobe, sondern auch, oder
wohl vor allem, als ein Fruchtbarkeits- oder Geschlechtsritus auf-
zufassen sein.
Die §§ 380 und 382 berichten von sogenannten Ameisen- und Wespen-
proben, denen sich die männliche .Tugend unterwerfen muß, und welche bei
den südamerikanischen Mundrucus, Tamanacos, Ojana und Rucuyenne sich zu
einer hochgradigen Quälerei steigern, unter denen der Rucuyenne-Jüngling
das Bewußtsein verliert, während der Pubertätskandidat auf Karesau in der
Südsee mit dem Stich einer einzigen Ameise davonkommt. Der Sinn dieser
Bräuche ist weniger aufgeklärt, als jener des Peitschens. Früher sah man
auch sie. meines Wissens, einfach als Mutproben an, oder man faßte sie als
disziplinare Mittel auf, da die Gestochenen keinen Schmerzeuslaut von sich
geben dürfen, vielleicht auch, weil nur die männlichen Pubertäts- oder
Initiationskandidaten dieser Qual unterworfen werden. Die in § 382 referierte
Mitteilung über die Ojana, daß die Stiche den Kandidaten kräftigen,
geschickt und arbeitsam machen sollen, sowie der Umstand, daß auf
Karesau der Gestochene die Ameise, welche ihn stach, nachher ißt, lassen
aber an der Richtigkeit der obigen Auffassung abermals zweifeln und er-
wecken die Vermutung, daß bei diesen Bräuchen eine Übertragung wünschens-
werter Eigenschaften von der Ameise auf den Knaben und jungen Mann
gehofft wird4). Ob bei diesen Eigenschaften nur an Kräftigung. Geschick
und Arbeitsamkeit zu denken ist, oder ob auch hier ein sexuelles Symbol
vorliegt, muß ich noch unentschieden lassen. Mehr als ein Zeichen sprechen
für das letztere. Der Stachel der Wespen und Ameisen erinnert an die
Bedeutung Wuotans als „penetrans" (S. 723), allerdings auch an die Aufgabe
des Waffentragenden, des Kriegers.
Ein dritter schmerzhafter Brauch ist das Tätowieren5). Männliche und
weibliche Pubertätskandidaten werden dieser Operation unterworfen. Wir
finden sie zur Zeit der Pubertät bei Dravidas, Arabern, Negern, malayisch-
polynesischen Völkern. Papuasund Australiern, sowie bei Indianern. Bei einzelnen
') Auch hier wird wohl eine doppelte Wirkung erhofft, da der Baum schon an und
für sich ein Bild der Fruchtbarkeit ist.
2) Geschlechtsleben im niedersten Sinne scheint auch in den Jsolierhütten auf Yap
gepflegt zu werden (s. § 374).
J) Vgl. das Geißeln der „Töchter der Buße" im alten Mexiko (S. 585 d. B.). sowie
<3ie häufigen Blutentziehungen der alten Mexikaner überhaupt und jene anderer Völker, als
Kultakte, in Kap. XLVIII, ferner die Blutentziehungen an den Pnbert ätsf esten der
Abiponer, § 382. Dabei ist das "Wesen der Religion dieser Völker im Auge zu haben,
auf das ich wiederholt hingewiesen habe.
*l Vgl. das Männerkindbett bei südamerikanischen Völkern (Kap. Xi. sowie die sym-
pathetische Behandlung des Kindes in der Krankheit, als Täufliug usw. in früheren Kapiteln.
6) Vgl. Kap. XXXVII, § 242: ..Die im Kindesalter begonnene Tätowierung" und
S. 104 d. B.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 46
722 Kapitel LY1I. Pubertätsfeste exklusive Beschneidung.
Völkern wird sie in einer so qualvollen "Weise, auch am weiblichen Geschlecht,
ausgeführt, daß sie. vom Standpunkt des Leidens aus erfaßt, sich würdig an
das Peitschen und an die Ameisen- und Wespenproben reiht. Grund und
Zweck sind auch hier nur zum Teil bekannt. In Tunis drückt das Mädchen
damit ihren Wunsch nach einem Mann aus (§ 371); in Deutsch-Togo deuten
die Strahlen um den Nabel der Bassari-Mädchen abermals auf Sexuelles hin
(§ 372): die Mädchen der Hula-Papua wollen durch ihre Tätowierung leichter
einen Gatten finden; in Murray. südliches Australien, haben wir dasselbe
Motiv (§ 374); bei den nordamerikanischen Dene tätowieren die Pubertäts-
kandidatinnen die jungen Männer, um diese vor vorzeitiger Schwäche zu hüten;
die südamerikanischen Karaja tätowieren ihren Pubertätskandidaten beider
Geschlechter die Stammeszeichen ein (§ 376). Die der Tätowierung voraus-
gehende Blutvergießung der Paten der Kandidaten bei den südlichen und
westlichen Stämmen Australiens und die Bezeichnung der zu tätowierenden
Stelle in dem getrockneten Blut weist auf das denkbar innigste Verhältnis
hin. welches durch die Tätowierung bezweckt wird (vgl. meine Anmerkung
zu Peak River. § 380). Als Mutprobe für den Mann, zur Verschönerung
des Weibes und als Reifezeichen für beide soll die Tätowierung auf Samoa
gelten (vgl. m. Anm. ebenda). — Liebe zum andern Geschlecht. Stammes-
einheit und Hochgefühl, ein volles Mitglied des eigenen Stammes zu sein.
blicken demnach vorzugsweise durch die obigen Motive und Zwecke der
Tätowierung.
Ein vierter schmerzlicher Pubertätsbrattch sind die Zahnoperationen l),
d.h. das Zufeilen nach einem bestimmten Brauch, das Ausbrechen und
Ausschlagen von Zähnen. Auch diese Operationen werden an beiden
Geschlechtern ausgeführt. Wir finden sie in den Kap. LVII und LYIII
bei den Schilluck im östlichen Sudan, bei den Herero, Ovanibo, Barutse
und anderen südafrikanischen Negervölkern; ferner auf Sumatra sowohl bei
den anthropophagen Battak als bei den Orang Mamma und im nörd-
lichsten Teil der Insel (Atjeh), sowie im östlichen und südlichen Australien,
wo diese Operation mit so komplizierten Formen und so hervorragender
Feierlichkeit vorgenommen wird, daß man annehmen muß. das Ausschlagen
eines oder zweier Schneidezähne habe hier eine eminent wichtige Be-
deutung. Der Zahn scheint hier als Repräsentant des Menschen
seihst aufgefaßt zu werden. Zu diesem Schluß berechtigt nach meinem Da-
fürhalten der in £ 380 beschriebene Brauch des südaustralischen Goulburn-
Stammes, welcher uns zugleich wiederum den Baum als Repräsentanten
des Menschen vorführt. Der Baum, in dessen Ästen die zwei ausgeschlagenen
Zähne geborgen werden, muß sofort nach dem Tode des Menschen sein Leben
lassen, darf aber nicht verschwinden, Sendern muß. versengt, als Denkmal des
verstorbenen Menschen stehen bleiben. Diese Auffassung wird auch durch einige
auf S. 122f. beschriebene australische Bräuche gestützt. Daß bei den Warra-
munga die eigene Mutter, oder die aktuelle, oder die zukünftige Schwieger-
mutter die ausgeschlagenen Zähne essen muß, erinnert an das Aufessen der
Kinder durch die Mütter, welches in Australien so sehr gebräuchlich ist. und
damil zugleich an den Einheitsgedanken, an den Gedanken des innigsten
Zusammenlehens, welcher nirgends stärker zum Ausdruck kommt als in
Australien*). Von diesem Gesichtspunkte aus begreift man die außerordentlich
reichen Zeremonien, welche hier mit den Zahnoperationen zur Zeit der Pubertät
') Vgl. die Zahooperationeu im Kindesalter S. 102f. und 11911. d. B.
gl. die australischen Bräue] en sexuellen Operationen Kap. XXXVIII. Die
nmunio des Stammes, welch* ralien in so außerordentlich vielfältigen Fennen
auftritt, hat manche Parallele bei anderen Völkern. /.. B. in dem gemeinsamen Trunk des
owassers '• rvölkern, in den altmexikanischen Kommunionen u. a. m
§ 369. Pubertätsfeste exklusive Beschneidung. 723
verbunden sind (§ 380). Sie erscheinen da als ein so hochwichtiger Akt, daß
vorher 'Waffenstillstand geschlossen wird, und daß der Zauberer, also der
Repräsentant der Gottheit, das zur Zahnoperation nötige Instrument aus
seinem eigenen Leib, von seinem eigenen Gebein nimmt, d. h. zu nehmen vor-
gibt (vgl. meine Anmerkungen zu den Mitteilungen in § 380). Unwillkürlich
erinnert man sich bei obigem an die den Manen geopferten Zähne in
indogermanischer Vorzeit (S. 54 d. B.) und die entsprechenden, mitten unter
uns fortlebenden Bräuche '). Denn wenn der Zahn der Repräsentant des
ganzen Menschen ist, versteht man dessen Hingabe als Opfer.
Das Rätselhafte der Auffassung eines Zahnes als Symbol des Menschen
könnte vielleicht durch die Sprachforschung gelöst werden. Seb. Zehetmaijr
hat in seinem analogisch-vergleichenden Wörterbuch über das Gesamtgebiet
der indogermanischen Sprachen die Wurzel unseres „Zahn", unter anderem
im Namen des Bockes"). Thors, Tann-griostr „der Zähneknirschen und
in „Wuotan" (penetrans, der Durchdringende) gefunden. Bedeutungsvoll
ist ferner der süddeutsche Volksausdruck Baünzäh (Bauchzahn) für eine Speise,
die ihrer Form nach an ein Knabenglied erinnert, sowie die schweizerischen
„Vulvenzähne" 3). Es scheint an eine Ähnlichkeit der Zähne4) mit den Ge-
schlechtsorganen gedacht zu sein. Dann würde der Zahn direkt, wenigstens
bei gewissen Völkern, ein Abbild des Zeugungsorgans und indirekt das
Bild des Menschen sein. Ob dieser Schlüssel zur Lösung des Problems
auch bei jenen Völkern zu finden ist, welche die durch die Operation ent-
standenen Zahnlücken und zugefeilten Zähne jetzt als Stammeszeichen oder
als Schmuck, als Anziehungsmittel für das andere Geschlecht usw.
bezeichnen, kann ich wegen Mangels an Material einstweilen nicht entscheiden.
Vielleicht sind bei verschiedenen Völkern verschiedene Grundideen maßgebend8).
Eine andere, wohl völlig schmerzlose, Pubertätszeremonie ist das
Schwärzen6) der Zähne, welches jetzt gleichfalls als eine ästhetische Korrektur
der Natur, als kosmetisches Mittel, als Schmuck interpretiert wird. Kap. LVII
und LVI1I zeigen sie uns bei den Khmer, Malayen, Melanesiern und Anna-
miten (§ 375, 380 und 381). Andere, dort nicht aufgeführte Völker mit dem
gleichen Brauch wurden bereits in § 239 eingeführt. Auf Nikobar (Ein-
geborne: Malayen) geht die Abneigung gegen den Naturzustand der Vorder-
zähne beim männlichen Geschlecht so weit, daß kein Weib einen Mann ohne
geschwärzte Zähne heiraten kann, ohne sich der Verachtung auszusetzen.
Der schon auf S. 121 7) von den Malayen überhaupt mitgeteilte Vergleich
weißer Vorderzähne mit Hundezähnen findet sich auf Nikobar neben dem
weiteren Vergleich mit Schweinezähnen (§ 380). Auch diesem Färben, bzw.
Schwärzen der Zähne wie überhaupt dem Bemalen gewisser Körperteile
beim Eintritt der Pubertät, welche die folgenden Paragraphen bei verschiedenen
Völkern nachweisen, möchte ich im allgemeinen eine mystische Grund-
bedeutung nicht absprechen, obgleich diese bei einzelnen Völkern jetzt in
Abrede gestellt wird. Farben sind ja bekanntlich bei vielen Völkern Symbole
religiös-sittlicher und sozialer Auffassungen. Auf Schwarz, als Farbe der
') Sielie Kap. XXXIV.
2) Die sexuelle Bedeutung des Bockes ist uus längst bekannt.
3) Vgl. S. 56 d. B.
*) Es handelt sieh bei den Zahnoperatioucn stets um Vorderzähue.
") Wie bei den Zahnoperatiouen in der Kindheit, so sind es auch bei jenen zur Zeit
der Pubertät nur Vorderzähne, an denen die Operation stattfindet; und zwar scheinen es
bei der Pubertät nur 1 — 2 zu sein, die herausgenommen werden.
';i Vgl. S, 102f. und 120ff. Von den Melanesiern im Bismarckarchipel (Neupommern,
Xeumecklenburg und Neulauenburg) liegt mir der allgemeine Ausdruck „Färben" vor.
') Siehe dort, bzvv auf S. 122. Anm. 1 die Gold- und Perltnuttereinlagen u. a. m. bei
den Batak.
46*
724 Kapitel LVII. Fubertätsfeste exklusive Beschneidung.
wassergetränkten Fruchterde, hat schon Bachofen1) hingewiesen. In Plutarchs
Isis et Osiris (22) heiße der den Osiris-Phallus wälzende NU ,.Melo" (der
Schwarze), und die Weiber der in Promiskuität lebenden afrikanischen
Troglodyten seien schwarz bemalt gewesen; im Bacchuskult hießen die Priester
„Schwarzfüßige". und ebenso bedeutet Krischna, der Name des indischen Gottes,
dessen Liebesabenteuer im Mahabharata geschildert sind, „der Schwarze" s).
Eine schwarze Stirnkruste erhält, wie schon erwähnt, die Pubertätskandidatin
der ßadaga im heutigen südlichen Vorderindien (§ 370); schwarz ist das
Gesicht der Pubertätskandidatinnen der Kolaschen (Beriugstraße) in ihren
Isolierhütten bemalt; schwarz oder dunkelblau bemalt man den süd-
amerikanischen Indianer-Mädchen zu dieser Zeit den Rücken am I^-ana und
Caiary-Uaupes; blaue Streifen erhalten sie bei den Charuas-, Minuanes- und
Payaguas-Indianern (§ 376).
Blau und schwarz können sich also bei den obigen Indianern vertreten.
Blau aber ist, nach den neuesten Mitteilungen Weygolds s), bei den nord-
amerikanischen Dakotas die Farbe der Erde, der Fruchtbarkeit und
des Friedens*). Mit schwarzer Farbe reiben sich ferner die jungen Pannus
am Merauke-Fluß zur ..Jünglingsweihe" ein. und im australischen Seegebiet
schwärzt man den Piibei'tätskandidaten Gesicht und Vorderseite des Körpers;
geschwärztes Gesicht und Oberkörper haben auch die Kandidaten der Okande-
Neger. Schwarz ist ferner eine der Farben der umringelten Beschneidungs-
bäume in Deutsch-Ostafrika und auf Karesau (vgl. diese auf S. 177 und 199
d. B.)5). Mit einer Mischung aus Blut, Ivbhle und rotem Ton wird der
Beschneidungsbaum der Makua (S. 17 7) uniringelt.
Das Blut ist Opferblut, seine rote Farbe also eine heilige Farbe
und bei dieser Gelegenheit in engem Zusammenhang mit dem Gedanken der
menschlichen Fruchtbarkeit und der Hingabe des Lebens, dem Produkt der
letzteren. Rot ist aber auch eine „heilige" Farbe als Erdfarbe6), z. B.
bei den Dakotas7). Rot werden ferner die Pubertätskandidatinnen der
Tapuya an der brasilianischen Ost käste bemalt, wo der Eintritt der Reife
sofort dein Priester mitgeteilt wird, also ein Ereignis auch von religiöser
Bedeutung ist. Schwarz, weiß und rot8) werden die Pubertätskandidatinnen
in Loango, Westafrika, bemalt; rot jene der Ama-Kosa im südöstlichen Teil
dieses Kontinents, sowie die Kandidatinnen der Roro-Papuas auf Neuguinea; auf
Karesati besuchen sie einen Baiini mit roter Rinde9), und mit Ton sind die
Leiber der Kandidaten bei den östlichen und südöstlichen Kästenstämmen
Australiens bemalt.
i) Mutterrecht, 15.
, Siehe Abb. 230 in Bd. I d. v. W.
3) Die Hunkazeremonie. Im Arohiv f. Anthropol. X. F. XI (1912), S. 151, Anni.
4) Also eine merkwürdige Übereinstimmung mit der Auffassung der alten WeH bei
Bachofen w. o.
) Schwarz war ferner die heilige Farbe der Inka-Peruaner, nach Sundslral (37 f.),
Freilich mit der Begründung, weil schwarz unter allen Tierfarben am reinsten auftrete (?).
Bachofen erinnerte an die enge Verbindung von Leben und Tod in der Auffassung der
alten Welt und das daraus hervorgehende doppelte Symbol der schwarzen (und weißen?)
Farbe für Leben, Fruchtbarkeit und Tod.
6J Blau als Farbe der Erde s. w. o.
') WeygoM, Die Uunkazerem e, 152.
i Schwarz, rot, weiß und gelb ist der Beschneidungsbaum auf Karesau bemalt. Weiß
brachte Bachofen, wie erwähnt, gleichfalls in Beziehung zum sexuellen Leben ; weiß oder grau
erscheinen die Pubertätskandidaten der Basutos bei der Jagd, welche am Schluß des
itattfindet; weiß soll überhaupt bei vielen Völkern mit ihrem Dämonenglauben in
Verbindung stehen (der Beleg hierfür ist mir leider abhanden gekommen).
Eier also wohl ein doppeltes Symbol der Fruchtbarkeit.
§ 369. Pubertätsfeste exklusive Besehneidung. 725
Eot ist ferner eine Farbe des Feuers und kann bei den Beschneidungs-
und Pubertätszeremonien somit auch ein Symbol dieses Elementes sein, zumal
der Feuerkult bei diesen Festen manchenorts zur Geltung kommt1).
Das dreitägige Feuer und dessen Besingung durch die „Einweihungsfrau"
in Loaugo (§ 372) ist wohl ebenso ein Symbol ehelicher Liebe, wie die Feuer-
zeremonien anderer Völker bei der Beschneidung2); auch die Verordnung der
Macusi-Indianer, daß ihre Pubertätskandidatinnen die Nächte wachend an dem
von ihnen selbst angefachten Feuer zuzubringen haben, dürfte hierher gehören,
obgleich es am Schluß der Zeremonien heißt, daß die Mädchen nun „rein"
seien. Denn es heißt auch weiter, daß sie jetzt heiraten dürfen. Das
„Reinsein" scheint eben auch hier in dem von mir mehrfach angedeuteten
Sinn des Fruchtbarseins aufzufassen sein, wie denn auch im Fetischdorf
Avhegame, Deutsch-Togo (§ 372), der Pubertätskandidatin gesagt wird, daß
nun alles Unreine von ihr weiche und sie nun ein Weib werde3). -
Mit Feuer brannten früher gewisse Karaibenstämme ihren Pubertätskandi-
datiunen die Haare ab (vgl. das Feuer als ältestes Beschneidungsmittel in
Australien, S. 209 d. B., und die Beschneiduno- am Feuer an der Roebuck Bay,
§ 380); die Söhne der Basutos werden nach ihrer Beschneidung und Peit-
schung über ein Feuer gehalten u. a. m.
Wie diese und andere Feuerzeremonien im Pubertäts- bzw. Beschneidungs-
ritus mit jenen zu vereinen sind, welche wir in Kap. XXI ..Isolierung und
Unreinheit der Wöchnerin und ihres Kindes" kennen gelernt haben, wenn
„Unreinheit" und „Reinheit" bei den betreffenden Völkern in dem in der
Ethnologie gewöhnlich geltenden Sinn aufgefaßt werden, ist mir unklar.
Mögen weitere Forschungen das Rätsel lösen4).
Das Haar als Symbol des Lebens ist uns aus Kap. XXXV zur
Genüge bekannt; desgleichen die zeremonielle Haarschur als Symbol des Be-
ginnes neuer Lebensperioden: Kein Wunder, daß wir sie auch unter den
Pubertätszeremonien finden, welche doch die lebenspendende Periode des
Menschen eröffnen und einweihen. Die bei 4er ersten Menstruation ab-
geschnittenen Mädchenhaare an den Zierlanzen der Jünglinge
(und Ehemänner ?) am Rio Ticruie bei ihren Pubertäts- bzw. Fruchtbarkeits-
festen, die Lendengürtel australischer Pubertätskandidaten aus den
Haaren ihrer zukünftigen Weiber (§§ 380 und 382) u. a. m. dürften,
wenigstens hier, das Problem lösen, warum das Haar zu einem Symbol
des Lebens gewählt wurde, und daß es sich beim Opfern der Bart- und
Kopfhaare ursprünglich kaum überall nur um das Opfer eines Schmuckes
handelte, als welches wir derartige Bräuche im historischen vorchristlichen
Griechenland und Rom, in der morgen- und abendländischen Kirche und
andernorts finden. Haarwuchs und Pubertät hängen ja zusammen.
Auffallend oft wiederholt sich in den Kapiteln LVII und LVI1I die
Mitteilung, daß die Pubertäts- oder Weihekandidaten beider Geschlechter
Diät halten, oder absolut fasten, tagelang ohne Speise, teilweise auch
ohne Trunk, zubringen müssen. Die Fieberträume der ausgehungerten
') Vgl. das hier Einschlägige in Kap. XXXVI11: ferner „das zeugende Feuer" in
Kap XXX u. a. m.
2) „Das Feuer wird nie sterben" singt die Zauberin.
!i Wohl kommt hier zugleich die Wasserzeremonie vor, aber aus dem Zusammen-
hang ist zu ersehen, daß das Rein- und Weib werde n nicht durch das Wasser vor
sich geht, sondern durch die Menstruation, und daß die Wasserzeremonie auch nur ein
Symbol dieses Rein- und Weibwerdeus ist (vgl. Kap. XI. XV und XVI).
*) Bei den Golah und V a'i in Liberia bedeutet, nach Cesfons Vermutung, die
Waschung der Kandidatinnen am Schluß der Pubertätsfeier Aufhebung der sexuellen
Abstinenz. Auch hier hat demnach der Begriff „Keinheit" einen anderen Sinn, als den
in unserm Kulturmilieu geläufigen.
y26 Kapitel LVII. Pubertätsfeste exklusive Beschneidung.
Kandidaten bei gewissen Indianervölkern als göttliche Offenbariingen
werfen einiges Licht auch auf das Problem dieses Brauches. Durch die neun-
tägige Enthaltung von jeder Speise, wie es z. B. bei den Maskoki-Indianern
heute noch der Fall ist, tritt wohl eine Art Wahnsinn ein, und die Wahn-
vorstellungen werden als Offenbarungen des Großen Geistes, oder des eigenen
Schutzgeistes oder anderer Dämonen, deren Gesellschaft und Gunst gewünscht
ist, aufgefaßt1).
Doch ist nicht überall so hochgradiges Fasten verordnet. Häufiger
genügt die Enthaltung von gewissen Speisen. Zur Aufklärung dieses
Brauches wären eingehende Studien über die mystische Bedeutung der
betreffenden Nährmittel nötig. Denn, daß es sich bei diesen Diäten
abermals, wenigstens teilweise, um mystische Auffassungen handelt, ist mehr
als wahrscheinlich, wenn man solche Fasten im Rahmen der übrigen Pubertäts-
zeremonien'-) betrachtet: Der Gatte der Pubertätskandidatin bei den Vedas,
südliches Vorderindien, wird z. B. von einem Dämon umgebracht, wenn er Eeis
ißt, die Auiu-Buschleute verbieten ihren Söhnen und Töchtern vor deren
Mannbarkeit den Genuß von Wildbret, bei der Reifefeier ahmen sie aber
die Laute brünstigen Wildes nach, und von da an ist das obige Verbot
für die gereifte Jugend aufgehoben. Der Genuß von Wildbret erscheint hier
demnach als Symbol des Geschlechtsgenusses.
Beachtenswert dünken mich ferner jdie Brechmittel, welche die
fastende Pubertätskandidatin bei den Delaware-Indianern (§ 376) nehmen
muß, die hierauf gewaschen und neu gekleidet wird. Es scheint, daß all
dieses zusammen zur Erneuerung, zur mystischen Wiedergeburt bei-
tragen soll (Ausspeiung schädlicher Faktoren, Dämonen (?) und äußere An-
wendungen).
Auch Waschungen und Bäder kehren in den Kapiteln LVII und LVIII
immer und immer wieder, was sicher nicht ausschließliche diätetische Be-
deutung hat; denn bei den Nai'r ist es die Mutter des derzeitigen Lieb-
habers der Pubertätskandidatiu, welche dieser Wasser über den Kopf gießt
(§ 370); Waschung als wahrscheinliches Zeichen zur Eröffnung des
sexuellen Verkehrs bei Negervölkern in Liberia wurde bereits in £ 372 er-
wähnt; ebenso wurde die dreimalige Benetzung des Kopfes zum Zeichen.
daß aus der Pubertätskandidatin alles Unreine entweiche und sie ein
Weib werde, aus dem Fetischdorf Avhegame gestreift. -- Aus diesen und
ähnlichen Bräuchen ist wohl zu schließen, daß hier das Wasser vor allem
als Symbol der Fruchtbarkeit3) und damit als ein Element aufzufassen ist,
welches das Weib in ihr neues Leben, das Eheleben, einführt. Auf dieses
allein es zu beschränken, ist jedoch kaum gestattet. Vielmehr dürften die
Wasseranwendungen bei den Pubertätskandidaten beider Geschlechter4) anch
eine Erneuerung des Lebens im allgemeinen bedeuten').
Letzteres gilt ferner für die Erteilung eines neuen Namens, einer
Zeremonie, welche wir gleichfalls, samt Erklärungsversuchen, bereits aus früheren
Kapiteln kennen.
') Vgl. Hiawathas Fasten und die Erscheinung des Mondamin bei Longfellow. In
Wahnsinn versetzen sich auch die südamerikanischen Muras nach ihrer Geißelang (§ 382).
') Fasten kommen ja bekanntlich auch sonst im Leben polytheistischer Völker viel-
fach vor. Als Gründe sind mir sozialreligiöse und rein praktische bekannt: Zu den ersteren
gehören Fasten nach einem gemeinsamen Trunk der Flüssigkeit, in welcher der gemeinsame
Schutzzoll (Fetisch) genossen wird, die Pasten bei Todesfällen u. a. in.; eu den letzteren
die Fasten vor Jagden, Wettläufen u. dgl . um größere Behendigkeit zu erlangen.
I. Kap. XXX, Bünderbringende Sumpfvögel als Bilder der Zeugungskraft; Deutsche
Storchliedlein; l>as leuchte Element als Ursitz des Kindes u. a. m.
l) Kap I.YIII «eist sie für das männliche Geschlecht nach.
6) Vgl. IM. I. S. 294ff.
§ 369. Pubertätsfeste exklusive Beschneidung. 727
Ferner dünkt mich die hänfig erwähnte neue Bekleidung der Kandi-
daten beider Geschlechter, einerseits wenigstens, ein Symbol der Er-
neuerung des Lebens zu sein; andererseits freilich wird das neue Kleidungs-
stück, insofern es größer ist. als das vor der Pubertät getragene, mit dem
Schamgefühl des betreffenden Volkes in Verbindung stehen1). Auch als
Schmuck, und deshalb zum Teil als ein Anziehungsmittel für das andere
Geschlecht ist das neue Kleid hier wohl aufzufassen. Denn, so streng auch
bei vielen Völkern die Absonderung der Geschlechter während der Vor-
bereitung zum neuen Leben ist2), ebenso ungeniert, lebhaft und mannig-
faltig äußert sich am Schlußfest der Pubertätsfeier, bzw. der Männer- und
Weiberweihe, der Wunsch nach ehelicher Verbindung. Bei manchen
Völkern ist diese freilich schon vor Eintritt der Reife gestattet und ge-
bräuchlich'), und auf den Marschall-Inseln konnten früher die Töchter der
Häuptlinge in ihren Isolierhütten jede Nacht mit ihren eigenen Vätern oder
anderen Vornehmen ehelich verkehren, nachdem sie. wie erwähnt, in der ersten
Nacht defloriert worden waren. Hier finden wir aber auch schon in der
Isolierhütte ein fortgesetztes Parfümieren und Salben, ein Flechten von Blumen-
kränzen usw.. kurz vielfältige Ausdrücke einer hochgradigen Fest-
stimmung, welche der ganze Stamm, jung und alt, teilt (§ 374). Eine
ähnliche gehobene Stimmung geht aber durch die in den folgenden Para-
graphen geschilderten Pubertätsfeste der Völker überhaupt, und zwar für beide
Geschlechter. Man denke beispielsweise nur au den Triumphzug der nackten,
gebadeten, gesalbten und geschmückten Mädchen nach ihrer ersten Men-
struation in Avhegame, Togo, an die Ankündigung der ersten Menstruation
mit einem Flintenschuß bei den Fjort, französischer Kongo (§ 372), an den
Parademarsch der Kandidatinnen bei den Roro-Papuas auf Neuguinea (§ 374)
usw. usw. Die nun Weib- oder Manngewordenen erscheinen in möglichster
Schönheit, werden bewundert und geehelicht.
Unter dem Schmuck der Kandidatinnen dünken mich die vereinzelten
Angaben von Kränzen, bzw. kreisrunden, ringförmigen Geflechten besonders
bemerkenswert; denn sie erinnern nicht nur an die Kränze der christlichen
Jungfrauen, sondern auch an jene der Mordwinen-Mädchen im Kult der
Fruchtbarkeitsgöttin Ange Patyai*) und an die Kränze (mit einer Flasche
*) Vgl. „Die Toilette des heranwachsenden Kindes"', Kap. XLI. — Die Weibert räch t
der männlichen Kandidaten bei manchen „afrikanischen'' Stämmen ist nach Schürf- (op. cit .
S. 100) ein Symbol der Umwandlung der Knaben zu Männern. Ahnlieh glaubte Plvß. sie
interpretieren zu sollen. Aber die Basuto- Kandidatinnen tragen auch Männerkleider
und Waffen. Allerdings werden sie am Schlußfest vom Häuptling auch als nunmehrige
...Mäncinnen" begrüßt, was zu Schurtz- Ploßs Annahme stimmt. — Sollte aber bei diesen
Bräuchen nicht eher an Masken (siehe w. u.) zu denken sein? Wir sehen ja auf S. iOl bei
den Beschneidungs- bzw. Initiationszeremonien auf K aresau in der Sudsee, wo die Dämonen-
masken eine so große Rolle spielen, auch ein junges Weib in Männerkleidern. Es trägt
eine brennende Fackel, und auf dieses Weib folgt ein Mann, gleichfalls mit brennender Fackel.
— Ob sie nicht Dämonen des Feuers, und also der Fruchtbarkeit, darstellen?
2) In den Kap. LVII und LVIII finden wir wiederholt das Verbot, daß Männer den
Stätten der weiblichen, und Weiber den Stätten der männlichen Kandidaten nicht nahen
dürfen. Diese Verbote können demnach nicht in ausschließlicher Beziehung zum Geheim -
bund der Männer stehen, wie von anderer Seite schon angenommen worden ist. Ebenso-
wenig dürften sexuelle Motive diese Absonderung überall erklären, da z. B. im Hinterland des
Mac-Clu er- Golfes, Holländisch-Neuguinea, die (männlichen) Kandidaten nicht einmal
von ihren Vätern besucht werden dürfen. Vielleicht hält man die Absonderung, welche
doch mystische Umgestaltung bezweckt, zum Verkehr mit den Dämonen für notwendig
(vgl. das über die Isolierung schon früher Gesagte).
3) Die Kindergatten der Vedas (§ 370) müssen sich während der Pubertätsfeier der
Gattin ehelich enthalten.
4) S. 394 und 396 d. B. — Die Gebete der Mordwinen-Mädchen beim Aufhängen der
Kränze über ihren Betten um Gatten, die prophetische Deutung der auf dem Wasser
schwimmenden Kränze betreffs Verheiratung u. a. m. siehe S. 394 und 396 d. B.
728 Kapitel LVII. Pubertätsfeste exklusive Besekneidung.
oder einem Topf in der Mitte) am Maifest im Kanton Freiburg ')• Unter den
Pubertätskandidatinnen erscheinen die Tapuya-Mädchen bekränzt. Daß
hier der Häuptling- einen Pfeil2) nach dem Kranz der zum erstenmal Men-
struierenden abschießt und das dabei fließende Blut ein langes Leben für das
Mädchen bedeutet (§ 376). dürfte auch den Kranz der langen Reihe sexueller
Symbole einverleiben. Vielleicht haben wir hier die gleiche Grundbedeutung
wie bei der Bretze bzw. der Sonne3). Kranzartig sind ferner die Kopfringe
der Klamath-Mädchen (Abb. 489).
Nicht zu vergessen in dieser Einleitung sind die in den folgenden
Paragraphen gleichfalls wiederholt erwähnten Tänze oder sonstigen Auf-
führungen maskierter Individuen. Über die Maskentänze im allgemeinen
schrieb neuestens Theodor Koch-Qrwnberg: Sie sollen eine Zauberwirkung
ausüben. Sie sollen einem Dorf und seinen Bewohnern, den Pflanzungen, der
ganzen umgebenden Natur Segen und Fruchtbarkeit bringen. Dadurch, daß
der Tänzer in Bewegungen und Handlungen das Wesen, das er darzustellen sucht,
möglichst getreu nachahmt, identifiziert er sich mit ihm. Die geheimnisvolle
Kraft, die der Maske innewohnt4), geht auf den Tänzer über, macht ihn selbst
zu einem mächtigen Dämon und befähigt ihn, die Dämonen zu vertreiben oder
günstig zu stimmen5).
Beachtet man diese Erklärung Kochs im Kahmen der Pubertäts-
zeremonien (inklusive Beschneidung), so kommt man zu dem Ergebnis, daß
die hierbei auftretenden Masken wohl vor allem Dämonen der Fruchtbarkeit
im engeren Sinn, d. h. der menschlichen Fruchtbarkeit seien.
Mit der Interpretation der Masken als Repräsentanten der Dämonen
harmonieren die „Dämonenstimmen" bei den Pubertätsfesten voll und ganz.
Ausdrücklich als solche erwähnt ist das Geräusch des heiligen Stockes beim
Larakia-Stamm, Australien (§ 380), die Töne der Bambusflöten auf Karesau
in der Südsee und bei den von Koch-Qrwnberg besuchten Indianervölkern im nord-
westlichen Brasilien, sowie die Trompetentöne bei den von Humboldt erwähnten
Indianern am oberen Orinoko. Diese Dämonenstimmen sind nur von Pubertäts-
bzw. Initiationsfesten für das männliche Geschlecht erwähnt. Das weib-
liche Geschlecht und unreife Knaben dürfen sie, teils unter Todesstrafe, nicht
hören. Aber neue Flöten werden am Pubertätsfest auch der Conibos-
Mädchen, Peru, geblasen und es liegt nach dem oben Gesagten doch der
Schluß nahe, daß diese Flöten, zu denen hier ausnahmsweise beide Ge-
schlechter zusammen tanzen dürfen, ebenfalls die Stimme eines Frucht-
barkeitsdämons seien.
Geheimbündnisse der Männer gibt es zweifellos, aber es dürfte
einstweilen (wenn überhaupt je) kaum möglich sein, die Grenze zwischen den
Mysterien dieser Bündnisse und den Mysterien der Pubertätsfeste im engeren
Sinne zu finden, weil eben hier und dort die sexuelle Symbolik das stark
'i S. 392 d. B.
'-') Diu Pfeil als Bild des Sonnenstrahles, bezw. des männlichen Gliedes, kennen wir
bereits. Ob das Bild auch liier zutrifft?
') In Australien ist der Kreis, unter anderem, das Symbol der Schlangenkinder
( Spencer- Gülen, Tlie Northern Tribes, SM7); in China bilden das männliche und weibliche
Prinzip durch oim bestimmte Zusammenfügung einen Kreis, und ähnliche Auffassungen des
finden sich bei manchen anderen Völkern.
'i Richtiger ist wohl: ..die die Maske repräsentiert": denn nach dein oben Ge-
sagten sucht ja der Tänzer einen Dämon darzustellen. Deshalb wird der Tänzer woh]
auch nicht selbst zum Dämon, sondern von diesem besessen und wirkt so in dessen Kraft.
Die Priester, Zauberer, Medizinmänner polytheistischer Völker behaupten das ja auch bei
s) 1\ yg, Zwei Jahre, 1 1, 196.
§ 370. Pubertätsfeste des weiblichen Geschlechtes. Südliches Vorderindien. 709
vorherrschende, ja, wie es scheint, alles durchdringende Mysterium
der polytheistischen Völker ist1).
Pubertätsfeste des weiblichen Geschlechtes.
§ 370. Südliches Vorderindien.
Ein südindischer Stamm auf den Palni-Hügeln, der einen Tamil-Dialekt2)
spricht und von F. Dahmen als Paliyans bezeichnet wird, feiert den Ein-
tritt der Eeife bei den Mädchen mit einem großen Fest, Zwei Wochen vor
diesem bauen sie eine Grashütte, in welcher das Mädchen zwölf Tage ein-
geschlossen leben muß. Ein- oder zweimal bringt man ihr täglich das Essen.
Am Morgen des dreizehnten Tages wird sie von den älteren Frauen des
Dorfes zum nächsten Teich oder Fluß geschleppt, siebenmal untergetaucht und
daun wieder in die Grashütte zurückgebracht, wo sie abermals zwei Tage
lang eingeschlossen, und zwar diesesmal ohne Nahrung, zubringen muß. Am
fünfzehnten Tag erhält sie ihre Freiheit; die Grashütte wird niedergebrannt,
und alle Familien des Dorfes versammeln sich zum Fest, bei dem manchmal
der Häuptling des Stammes, oder dessen Stellvertreter, den Vorsitz führt.
Dafür (?) bekommt er ein Fell oder wertvolle Wurzeln als Geschenk. Die
Feier besteht in Essen, Trinken und Tanzen, womit der ganze Tag fröhlich
zugebracht wird.
Im Madura-Distrikt schließen die Valayan ihre Töchter beim Eintritt
der Eeife vierzehn Tage, und die Parivaram die ihrigen sechzehn Tage ein.
Die Töchter der Kasubas in den Nilgiri-Bergen bringen beim
Eintritt ihrer Eeife fünf Tage lang in einer Hütte zu, welche in der Nähe
der elterlichen Wohnung errichtet wird. In dieser Zeit haben sie eine
gewisse Diät zu beobachten (Hayavadana Uno).
Bei den B adagas, ebendort, dauert die Absonderung der Mädchen beim
Eintritt der Eeife drei Tage. Auch hier haben sie diese Zeit in einer
Isolierhütte zuzubringen. Milch dürfen sie während dieser drei Tage nicht
berühren Cr1). Freundinnen bringen ihnen Nahrungsmittel, welche für stärkend
gelten3). - Zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr werden die Mädchen
tätowiert, worauf man ihnen eine schwarze Stirnkruste aufträgt (Jagor).
Die Töchter der Nair in Malabar zeigen den Eintritt ihrer ersten
Menstruation durch ihre Mutter den Müttern ihrer derzeitigen Liebhaber
an4), die ihnen einen Krug Wasser über den Kopf gießen.
Isolierhütten für die erste Menstruation gibt es dann wieder in der
Sklavenkaste der südindischeu Vedas, deren Töchter im Alter von 7 bis 9
Jahren verheiratet werden und schon vor Eintritt der Eeife mit ihren Männern
kohabitieren. Tritt dann diese ein, so bezieht die Gattin ihre Isolierhütte
auf fünf Tage, und nach Verlauf dieser Frist eine zweite, halbwegs zwischen
jener und der Wohnstätte ihres Mannes gelegene Hütte, in der sie abermals
fünf Tage zubringt. Täglich geht das junge Weib aus, um sich zu waschen.
Am zehnten Tage aber wird es von seiner und seines Mannes Schwester an
das Wasser geführt; es badet, wäscht seine Kleidung, reibt sich mit Turmerik
ein, badet abermals, ölt den Körper ein und kehrt dann (am 10. Tage) mit
') Manches konnte in dieser, ohnehin schon sehr ausgedehnten Einleitung zu Kap. LVII
und LVIII nur angedeutet, vieles mußte ganz übergangen werden. Indessen dürften die
kurzen Randbemerkungen zu den Mitteilungen selbst noch manchen erwünschten Wink geben.
-1 Also n i cht arischen Dialekt, wie denn sämtliche, in diesem Paragraphen auf-
geführten Völker des südliehen Vorderindien Xichtarier zu sein scheinen.
*) Auch die Wöchnerinnen müssen bei denBadagas drei Tage lang in abgesonderten
Hätten verweilen. Für die Menstruierenden sei das aber nur das erstemal der Fall (Plofl II, 439
4) Bas lose Geschlechtsleben der Nair wurde andernorts erwähnt.
730 Kapitel LVII. Pubertätsfeste exklusive BeschDeidung.
seinen Begleiterinnen in seine Wohnung zurück. Dort angekommen, kochen
die drei Frauen Eeis und verzehren ihn gemeinschaftlich. — Während jener
Tage der Absonderung darf der Mann in seiner Hütte nur Wurzeln essen,
keinen Reis, damit er vom Teufel nicht umgebracht werde; am 9. Tage aber
findet ein Fest statt. Der Boden der Hütte wird mit Palmbranntwein be-
sprengt, man ladet Freunde ein und bewirtet sie mit Reis und Branntwein.
Die Frau hält sich noch abgesondert in der zweiten Hütte auf. Am 10. Tage
muß sich der Gatte aus seiner Wohnung entfernen und darf sie erst wieder
betreten, nachdem die mittlerweile angekommenen Weiber den von ihnen ge-
kochten Reis aufgezehrt haben. Während der nächsten vier Tage darf der
Mann weder Reis im eigenen Hause essen, noch Umgang mit seiner Frau
pflegen. Jedes Versehen in dem vorgeschriebenen Zeremoniell wird von den
Tschawus (den zu Dämonen gewordenen Geistern verstorbener Vorfahren)
streng geahndet (Jagor)1).
§ 371. Griechen und Araber.
Im alten Griechenland war es Brauch, daß die Mädchen beim Eintritt
ihrer Reife ihr Spielzeug der Aphrodite weihten und in deren Tempel auf-
hingen. - - Das Gebet der Sappho bei dieser Gelegenheit siehe S. 243 d. B.
Die bei so vielen Völkern übliche Absonderung der Geschlechter und
die Veränderung der Kleidung beim Eintritt der Reife ist auch bei den
arabischen Beduinen Brauch. Von diesem Zeitpunkt an darf das Beduinen-
mädchen nicht mehr mit ihren männlichen Altersgenossen spielen, noch auch
das Zelt zu Besuchen bei Nachbarn und Nachbarinnen verlassen. Ferner muß
sie zu dem langen blauen Gewand ihrer Kindheit den ximär (kinä) uud den
izär (abä') fügen. Den letztern, ein langes Tuch- oder Linnenstück, welches
ihr mantelartig vom Kopf bis zu den Füßen herunterwallt, kann sie zwar
zu Hause, wenn kein Fremder da ist, ablegen, aber beim Ausgehen ist er
unbedingt notwendig. Der ximär ist ein l1/» m langes und etwas schmäleres
Stück Musselin, das auf dem Kopfe teilweise so unter dem izär angebracht
ist. daß es von vorn zurückgeschlagen werden kann und, herabwallend, das
Gesicht umrahmt (Ä. M. de St. Elie).
In Tunis lassen sich die Mädchen beim Eintritt ihrer Reife einen Hart
auf das Kinn tätowieren. Damit sollen sie ihre Mütter von dem Ereignis
benachrichtigen und den Wunsch ausdrücken wollen, daß sie einen Mann
möchten {Karate). —
§ 372. Sudan- und Bantuvölker.
Die Schilluk, ein Mischvolk in Sennär, östlicher Sudan, nehmen
ihren Kindern beider Geschlechter zur Zeit der Pubertät einen Zahn aus
dein Oberkiefer {Pmdhoe) a).
In Senegambien wird der Eintritt der Reife festlich begangen. Die
Mädchen geißeln die gleichaltrigen Burschen (RaffeneT).
' i Vgl. die Isolierung der Wöchnerin mit ihrem Kind in Bd. I. — Das Geheimnis-
volle der ersten Menstruation in der Auffassung der Völker auf verhältnismäßig niederen
Kulturstufen blickt noch durch manche Formen des Aberglaubens inmitten unserer eigenen
Kultur: im Liebauer Tal. Niederschlesien, sollen die Mädchen nach ihrer ersten
Menstruation einen Rosenstrauch mit dem Waschwasser von ihrem Hemd begießen, damit sie
immer rosig aussehen. Sie sollen aber keinen Rosenstrauch berühren, sonst stirbt er ab,
sollen keine Früchte einmachen, weil diese sonst verderben, keinen Myrtenstrauch pflanzen,
:st nicht Bräute, oder wenigstens nicht „ Myrtenbräute" werden (Patschoosky, Bei-
träge,
-) Bei Ploß II, 437. — Zahnheilung und Zahnausbrechen bei der Pubertät beider
cht i findet bei den Herero, üvambo uud anderen Völkern des südlichen
statt (siehe Kap. LVIH).
§ 372. Pubertätsfeste des weiblichen Geschlechtes. Sudan- und Bantuvölker. 731
Bei den Golali und Vau (Wei) in Liberia und bei den Mendi in
■Sierra Leone wird die Jugend beider Geschlechter durch eine aus-
gedehnte Schulung- im Busch zu Stammesmitgliedern herangebildet. Diese
Lehrzeit wird mit öffentlichen Festen abgeschlossen. Wie die Beschneidung
an und für sich bei vielen Völkern') ein Zeichen der Wiedergeburt ist, so
auch die ganze, mit Beschneidung verbundene Initiation dieser drei Negervölker.
Der Bauch des Geistes, in welchem die Beschneidungskandidaten mancher
Völker wiedergeboren werden, ist hier durch den
„Teufel" (devil)2) vertreten, der die Kandidaten
beider Geschlechter bei Beginn des Unterrichts
aufißt und sie am Abschluß der Lehrzeit als
"Wissende wieder von sich gibt. Ohne Stammes-
zeichen treten die Golah.und Wai den gree-
gree-Unterricht im Busch an und mit dem
Stammeszeichen auf den Bücken kehren sie nach
Schluß der Lehrzeit aus dem Busch in ihr Dorf
zurück. Ohne Kenntnis ihrer nationalen Tänze,
Gesänge und praktischen Arbeiten werden Knaben
und Mädchen vom „Teufel" oder von ihren Eltern
in den Busch geführt; als geschickte und mit
allen theoretischen und praktischen Kenntnissen
eines Golali oder Wai ausgestattet, kommen sie
wieder zurück. Die „Waschung" der Mädchen
am Schluß der Feier bedeutet nach Cestons Ver-
mutung, daß für sie die sexuelle Abstinenz,
welche sie während der Initiation beobachten
mußten, nun aufgehoben ist3).
Wenn an der Goldküste die Negermädchen
in das Alter der Mannbarkeit treten, so werden
sie in ihrem schönsten Putz durch die Straße ge-
führt, und ihre Jungfrauschaft wird in Lobliedern
gepriesen, schrieb Phß im Hinweis auf Brodle
öruicksha/nk.
Den Bassari-Mädchen im Innern von
Deutsch-Togo macht mau. wenn sie das heirats-
fähige Alter erreicht haben, 3 — 4 wulstige, vom
Nabel strahlenförmig ausgehende Einschnitte (H.
Klose)*).
Aus dem Fetischdorf Avhegame in Deutsch-
Togo teilt K. Fies folgendes mit: Wenn ein
Mädchen den Eintritt ihrer ersten Menstruation
seiner Mutter mitgeteilt hat, dann benach-
richtigt diese sofort sämtliche Verwandte von
dem Ereignis, und von diesen geleiten am folgenden Morgen die weiblichen
Mitglieder samt den Freundinnen des Mädchens dieses auf den öffentlichen
Wasserplatz. Die Kandidatin trägt auf dem mit einem Tuch verhüllten Kopf
einen kleinen Topf. Am Platze angelangt, taucht ein noch nicht entwickeltes
») Vgl. Kap. XXXVIII.
2) Das englische „devil" ist wohl an die Stelle eines eingebornen Ausdrucks für den
einheimischen Dämon getreten. Auch Weide führt einen ,. Teufel" aus Afrika an (siehe
Jlakondep lateau. S. 736). Ebenso wurde ein solcher bereits bei den Vedas erwähnt.
*) Die Einzelheiten dieser Initiation, darunter die Beichte, das Verbrennen der Ini-
tUtionshütten usw., siehe bei Jean Marie Ceston „Le Gree-Gree Bush chez les Xegres-Golah,
Liberia". Im ,.Anthropos" VI. 729ff.
*) Vgl. die Tätowierung der Bassari als StammeszeJcheu usw. in § 242, S. 129.
Fig. 481. Negermädchen vom Cap
Verde. Im Museum für Völkerkunde
in Leipzig.
732 Kapitel LVII. Pubertätsfeste exklusive Besehneidung.
Mädchen dreimal die Hand ins Wasser und benetzt der Freundin den Kopf
zum Zeichen, daß jetzt alles Unreine von ihr entweiche und sie nun
ein Weib werde1). Etwa acht Tage später badet und salbt die Mutter die
neue Jungfrau und schmückt sie bis unter die Brüste mit Perlenschnüren, und
nun gellt diese, im übrigen nackt, von zahlreichen Altersgenossinnen und
Freundinnen begleitet, grüßend und dankend von Haus zu Haus. Zuletzt
bringt sie, die bereits verlobt ist, ihrem Bräutigam einen von ihrer Mutter
gekochten „Akyle" (Maismehlbrei) und hält ihm beide iibereinandergelegte
offene Hände hin. Der Bräutigam füllt ihr die Hände mit einem Stück Akyle,
das sie in einem Topf eilends nach Hause trägt und da mit ihren sie noch
immer begleitenden Freundinnen verzehrt. Der Bräutigam ißt seinen Teil
mit seinen Freunden.
Wenn bei den Fjort im französischen Kongo ein Madchen ihrer Keife
nahe ist. dann hat man ein scharfes Auge auf sie. Der Eintritt ihrer eisten
Menstruation wird mit einem Flintenschuß und einem darauf folgenden Tanz
gefeiert. Unversehens wird das Mädchen dann plötzlich ergriffen und in das
„Malhaus" gebracht, wo man sie rot2) anstreicht und gut füttert und behandelt,
bis man sie für heiratstüchtig (?) ansieht, worauf sie gewaschen und ihrem Manne
zugeführt wird. Wartet noch keiner auf sie. so hüllt man sie in ein rotes
Tuch, und nun führen "Weiber das Mädchen von Stadt zu Stadt, bis ein Mann
sie zu heiraten wünscht (B. E. Bautet).
Aus Loango teilte Wimwood Reade -seinerzeit mit. daß die gereiften
Mädchen, ehe sie zu den Erwachsenen gerechnet werden, von alten Weibern
(Ngembij in Mysterien eingeweiht werden. Die Xgembi gehen in den Wald.
reinigen eine Stelle, auf der sie eine heilige Hütte3) bauen; diese darf kein
Mann betreten. Dann kommen sie ins Dorf zurück und holen die Igondschi,
Novize, welche nie zuvor an jener Stelle gewesen sein darf und während der
Einweihungszeit. d. h. drei Tage lang, fasten muß. So lange wird auch ein
Feuer im Walde unterhalten, neben welchem stets eine Einweihungsfrau sitzt,
es Unterhält und dabei singt: „Das Feuer wird nie sterben"4). In der dritten
Nacht wird die Novize in der Hütte mit schwarzer, roter und weißer Farbe
bemalt. Sje ruft ..Okanda! yo, yo. yo!". und draußen stehen Männer, die eine
Trommel schlagen. Was in der Hütte vorgeht, wird vor den Männern geheim
gehalten. Man weiß nur. daß die Gebräuche phallischer Art sind. Was letzteres
betrifft, so nieinte Pechuel-Lösche allerdings, die Instruktion, welche die Mädchen
in den Hüttenerhalten, scheine sich auf mütterliche Aufklärungen über zukünftige
Pflichten- zu beschränken. Zu der Annahme, daß die Mädchen etwa hier so ab-
gerichtet würden wie an der Ostküste ''). liege kein Grund vor. Im übrigen
berichtete Pechuel-Lösche über die Pubertätsfeier der Bafiote-Mädchen an
der Loango-Küste: Sobald die erste Menstruation eintritt, bringt man die
Mädchen in eine für sie reservierte, etwas abgesonderte, jedoch oft mitten
im Dorfe gelegene Hütte. Von diesem Tage an bis zur Hingabe an einen
.Mann weiden sie Jungfrauen (nkumbi oder tschikumbi) genannt. Dies ist
') Demnach faßt man hier die erste Menstruation als einen Ueinigungsprozeß, nicht
als etwas Unreines auf. wie es von manchen Völkern mitgeteilt worden ist. Weib sein
(fruchtbar sein) heißt nach obigem ..rein sein". Das stimmt mit jenem Gedanken oberem,
welchen ich unter ander, n auf S. 111 entwickelte und welcher die polytheistischen
Religionen der Völker überhaupt durchzieht: Zeugung ist eine heilige Pflicht.
i Vgl rlie bohi Bedeutung der roten Farbe als Schutzmittel jii'p'n böse Mächte in
Kap. V und VI, sowie nndere dort erwähnte Schatzfarben, hauptsächlich aber das über „rot"
und „schwarz" in «j :ii>!) Erwähnte.
') Die Golah und Yai erbauen im Busch ein ganzes Hüttendoxf für die zu In
terkult bei den Bcschn cid ungszeremonien verschiedener Völker
in Kap. WW1II.
i später zu erwähnenden Tikitiza-Tanz (Digitiseha) der Wasuaheli.
§ 37Ü. Pubertätsfeste des weiblichen Geschlechtes. Sudan- und Baütuvölker. 733
auch der Name des den Baflote wohlbekannten Hymens. Die Hütte heißt
infolgedessen nso tschikumbi. Nur drei Mädchen finden in jeder Eaum. Ist
eine größere Anzahl im Dorfe gleichzeitig' herangereift, so stellt man weitere
Hütten auf. Wohlhabende und vornehme Eltern lieben es, ihren Töchtern
eine besondere, oft sehr zierlich gearbeitete und reich geschmückte nso tschi-
kumbi neben ihrer Wohnung zu errichten. Die für den allgemeinen Gebrauch
bestimmten zeigen einfachere Ausstattung. Das Innere ist mit Tukula bemalt.
Matten bedecken den Fußboden und die erhöhten Lagerstellen; gewöhnlich
sind auch einige vom weiblichen Geschlechte geschätzte Fetische vorhanden.
Eine beliebige Frau, eine Vertrauensperson, wird von den Eltern gewonnen.
um die Tochter zu unterrichten. Während ihrer Klausur scheint die Novize
Fig. 4s>. Ein Betschiiauenmädchen im Dienste Holubs. Im Museum für Völkerkunde in Leipzij
keine besondere Diät zu halten, doch darf sie die Erde nicht mit einem ent-
blößten Teil ihres Körpers berühren1); sie ist also „unrein". Will sie ein
Bedürfnis verrichten, so legt sie bei gutem Wetter irgend eine Fußbekleidung
an und sucht irgendwo ein freies Plätzchen; bei schlechtem Wetter wird sie
wohl auch auf dem Rücken hinausgetragen. Täglich zweimal erfolgt Ein-
reibung mit Tukula (roter Farbe) oder Palmöl. Ist sie aus der Klausur ent-
lassen, so geht sie zum Badeplatz.
Die Umzüge der gereiften Töchter der Bamangwato, die Ploß'1) als
„Betschuanen oder Kaffern im Innern von Port Natal" bezeichnete, sind
bereits im Kapitel über die Beschneidung (XXXVIII) erwähnt worden. Wie
in Senegambien, so geißeln die Mädchen auch hier bei dieser Gelegenheit ihre
'i Vgl. die Pubertätskandidatinnen bei den alten
(§ 376). deren Füße die Erde nicht berühren durften.
s) I,'381.
Karaiben in Brilisch-Grnayana
734 Kapitel LVII. Pubertätsfeste exklusive Beschneidung.
männlichen Altersgenossen, die diese Mißhandlung ruhig ertragen müssen, eine
Prüfung ihrer eigenen Eeife, wie Ploji schrieb1).
Das Kaffermädchen wird zur Zeit seiner Reife 7 — 10 Tage in einer
abgesonderten Hütte von einer Gefährtin gepflegt. Ihre ausschließliehe Nahrung
besteht in diesen Tagen aus Milch. Nach Ablauf (?) der Isolierzeit wird ein
Fest gefeiert, zu dem bemittelte Väter 7 — 10 Stück Vieh schlachten. Solange
das Fest damit, lassen sich sämtliche gereifte Mädcheu mit ihren Liebhabern
ein oder mit Männern, die ihnen von älteren Weibern zuerteilt werden. Am
letzten (?) Abend, wenn es dunkel geworden ist, vergräbt dann das Mädchen,
dem zu Ehren das Fest gegeben wurde, im Beisein der Gefährtinnen sorgfältig
die Gabel, mit welcher es während seiner Isolierung aß. Am Morgen darauf
erklärt man es für „intombi", d. h. als reif zum Ehestand, als Weib (Maclean) -).
Die geschlechtlichen Ausschweifungen der Ama-Kosa, südlichster Kaifern-
zweig, und der Zulu (Amazulu) bei der mit der Pubertätsfeier verbundenen
Beschneidung siehe in Kapitel XXXVIII, S. 181. Daß die Töchter der Zulu
zum Zeichen ihrer Eeife ..nur mit roter Erde bestrichen" werden8), ist demnach
nicht richtig.
Über die weibliche Pubertätsfeier der Basutos, einem andern Zwejo-
der Katfern (bezw. Betschuanen), lagen schon in der zweiten Auflage4) zwei
voneinander abweichende Berichte vor: der eine von Missionar Sfrrh, der
andere von Missionar Endemann. Nach dem ersteren ist die Feier mit (Qualen
verbunden, nach dem letzteren nicht. Steehs Schilderung wird, wegen der
dortigen Verschmelzung mit der männlichen" Pubertätsfeier, in Kapitel LV1II
folgen; Endeinanns lautete bei Floß wie folgt:
„Das Polio5) der Mädchen hat mildere Formen (als jenes der Knaben).
Sie ziehen in Begleitung ihrer Aufseherinnen nach einer Stelle am Wasser, wo
es tief genug zum Untertauchen ist. Dort müssen sie einen ins Wasser ge-
worfenen Armring tauchend herausholen. Des Tages treiben sie sich im Felde
umher, um für den weiblichen Beruf „geschult" zu werden, daneben zu tanzen
und zu singen. Aber nachts brauchen sie nicht im Felde zu bleiben; doch
leben sie abgesondert. Sie schmieren sich mit Asche ein. An einem Orte sah
Endemann, daß sie Flechten von Gras (ähnlich den Strohseilen) •) wie Shawls
um Hals und Kopf gewunden trugen, und zwar über der Brust gekreuzt und
auf dem Kücken zusammengebunden. In der Zeit ihres Polio darf ihnen keine
männliche Person zu nahe kommen; sie wird sonst, von der Aufseherin mit
Kitten durchgehauen. Das Weibervolk ist überhaupt in der Zeit wie unsinnig;
sie nehmen Vermummungen vor. ziehen Männerkleidung an, tragen Waffen;
am Mannsvolke üben sie allerhand Mutwillen, der in einzelnen Fällen bis
zum Todschlag geht, der dann nicht geahndet wird. Die Mädchen des Polio
nehmen während desselben bestimmte Waschungen am Wasser vor. Den
Schluß von allem macht eiu Fest im Januar oder Februar, der Erntezeit der
ersten grünen Feldfrüchte7), zu dem die zuletzt beschnittenen Burschen ein-
geladen werden. Da gibts Schmauserei. Tanzvergnügen und Unzucht."
') I, 381. Daß ich das wenigstens nicht ausschließlich und nicht als ursprüngliche
Prüfung erfasse, habe ich in § 369 dargelegt.
-i Bei Floß IL 443.
*) Floß II. 4f-;. im Hinweis auf Dohne.
i, II. 144— 44(5. I >;i s Divergierende erklärt sich wohl auch hier mit der Stammes-
verschiedenheit. Vielleicht sind Endemanns „Sotho" doch nicht mit den Basutos idei
5) Bezeich > für die Aufnahme der Jugend in den Kreis der Erwachsenen. Siehe
er, sowie die I lung und andere Zeremonien der männlichen Reifekandidaten,
S L82f. d. K. und Kapitel LVIII.
\ gl. den Kopfring der rHamatb.-Madc.hen bei ihrer ersten Menstruation, Abb. 489.
Die Schlußfeier zur Erntezeit dürfte sich kaum nur mit kulinarischen Genüssen er-
klären. Fruchtbarkeit erden häufig auf keimende oder fruchtbringende Jahres«
Zeiten Verl.
§ 372. Pubertätsfeste des weiblichen Geschlechtes. Sudan- und ßantuvölker. 7'A'i
Hat im Marutse-Mambunda-Reich, britisches Südafrika, bei den
Makololo und anderen Stämmen ein Mädchen die Eeife erreicht, so werden
sofort ihre Gespielinnen davon benachrichtigt, die sie dann täglich acht Tage
lang spät am Abend aufsuchen und bis tief in die Nacht in ihrem Hüfchen (?)
unter Castagnetten- und Gesaugbegleitimg einen Tanz aufführen, nachdem
zuvor eines der Mädchen bei anbrechender Dunkelheit im Orte herumgegangen
war und die Genossinnen durch lautes Jodeln zum Besuche aufgeboten hatte.
Hat die Tochter eines Königs oder eines seiner nahen Verwandten ihre Pubertät
erreicht, und ist sie eine „Verlobte"', so wird sie von ihren nächsten weiblichen
verheirateten Verwandten in ein nahes Dickicht geführt, wo sie eine Woche
lang, von einer Sklavin bedient, (untertags) ein abgeschiedenes Leben führen
muß. Gegen Abend wird sie täglich von ihren Freundinnen aufgesucht, die
ihr Nahrung hinstellen. Ihr Kopf wird mit Parfüm eingerieben; sie erhält
Ermahnungen für den ehelichen Stand und wird nach Ablauf der Frist ihrem
Gemahl übergeben (Emil Holub)1).
Wenn bei den Makalaka, Britisch Südafrika, die alteu Weiber ein
Mädchen für heiratsfähig erklären, dann beginnt für dieses eine martervolle
Tätowierung. Von der Brust abwärts wird mit Ausnahme einer zollbreiten
Mittellinie die ganze Vorderseite des Rumpfes von einer Seite zur andern in
der Weise tätowiert, daß man zirka 4000 Schnittchen, in 30 oder mehr parallelen
Linien geordnet, in die Haut macht. Auch andere Körperteile erhalten Ein-
schnitte. Die Wunden weiden mit einem ätzenden, durch Kohlenpulver ge-
schwärzten Saft eingerieben, damit erhöhte Narben entstehen. Fallen die
Linien nicht hoch genug auf. dann muß die Marter wiederholt werden (C, Maueh).
In Deutsch-Ostafrika fand Weule Reifezeremonien (Un3rago) für die
weibliche Jugend bei den Yao, Makonde, Matambwe und Makua. Die
ihnen gemeinsamen Züge sind die folgenden: Jede Kandidatin bekommt ein
älteres Mädchen oder Eheweib als Führerin durch die „Stufenleiter von
Kursen'1, welche das Unyago umschließt, und diese Führerin bleibt ihr zeit-
lebens befreundet. — Die gleiche Erscheinung lernten wir bei der Beschneidung
des männlichen Geschlechtes bei verschiedenen Völkern kennen. — Auch
der Lehrgang der Mädchen entspricht auf dem Makondeplateau inhaltlich dem
der Knaben, d. h. die Novizen werden rückhaltlos über die Geschlechts-
verhältnisse aufgeklärt und in den Sitten bzw. Umgangsformen gegenüber
Familien- und Stammesmitgliedern unterrichtet.
Neben diesen gemeinsamen Einrichtungen teilt Weule von der Pubertäts-
feier jedes einzelnen dieser Völker folgendes mit: Die Makua errichteten
zum Fest der ersten Menses (Echiputu) einen kreisrunden Bau aus Hirse-
stroh und Holzstangen von 10 Meter Durchmesser und 2 Meter Höhe, den
Festsaal. Anwesend waren hauptsächlich Eheweiber und Mädchen, doch auch
Männer, darunter die jugendlichen Gatten der Novizinnen; denn hier wird
schon vor Eintritt der Reife geheiratet2). Diese Gatten, selbst erst angehende
Männer, sitzen im Festsaal auf Ehrenschemeln. Um den Mittelpfeiler des
Saales, der das Dach trägt, stehen die Lehrerinnen (Anamungwi) der Novi-
zinnen. Nun ziehen die weiblichen Festgäste in ihrem reichsten Schmuck
feierlich ein, bewegen sich unter dem Takt der Trommelu zunächst ..in einer
Art Bachstelzenschritt" um den Mittelpfeiler und gehen dann über zum Bauch-
tanz, dessen sinnlicher Charakter uns schon von früheren Kapiteln, auch aus
dem Orient her, bekannt ist8). Nach diesem Tanz werden den Lehrerinnen
Stücke neuen Zeuges, Perlenschnüre, fertige Hals- und Armbänder u. dgl.
i) Bei Ploß II. 440.
2) Vgl. Kap. LVI.
") Vgl. Pechuel-Lösches Hinweis gelegentlich seiner Mitteilung über die Pubertätsfeier
an der Loango-Küste.
73G Kapitel LVII. Pubertätsfeste exklusive Beschneidimg.
für den jahrelangen Unterricht der Novizinnen geschenkt, welcher mit diesem
Fest, wenigstens vorderhand, seinen Abschluß findet. Auf diesen Akt folgt das
..Ausbrechen des Leoparden", d. b. die Ehemänner der Novizinnen erheben sich
blitzschnell von ihren Ehrenschemeln, durchbrechen die Strohwand des Festbaues
und laufen davon, während die weiblichen Festgäste ihnen ein oft wiederholtes
..Hawaru marre" (..der Leopard bricht aus") nachsingen. — Nun leert sich
fler Festsaal und alles begibt sich auf den sauber gekehrten Platz daneben.
wo die Lehrerinnen der Novizinnen abermals beschenkt werden, und zwar
diesesmal mit Maiskolben, Hirserispen u. a. m. Dann wird, unter Trommel-
begleitung. der Ikoma, ein Eeigentanz, aufgeführt, bei welchem die anfangs
maßvollen Bewegungen im Verlauf des Tanzes immer freier werden, bis die
Gewänder der Tänzerinnen fliegen, daß man die wuchtigen Ziernarben an den
Schenkeln und auf dem Gesäße sieht1).
Die von Weule beobachtete Schlußfeier der Pubertätskandidatinnen bei
den Makonde im Dorfe Niuchi verlief wie folgt:
Morgens um 8 Uhr fegten Weiber den Dorfplatz, in dessen Mitte ein
Baum stand2), mit Büscheln grüner Zweige rein. Schon waren auch die fünf
Reifekandidatinnen, in grellfarbene Tücher gehüllt, erschienen und hockten im
Schatten eines nahen Hauses, von den Dorfweibern wie mit einer Mauer um-
geben, Augen und Schläfen mit den Händen bedeckt. Plötzlich eilen zirka
sechs Weiber unter schrillem Trillern über den Platz; ihnen folgt bald ein
Dutzend anderer Weiber nach, die mit rhylhmischem Händeklatxhen tänzelnd
über den Platz hin und her schreiten und singend zuerst den Satz .,Es geht
weg. es geht weg. mein liebes Kind" wiederholen, worauf ein zweiter folgt:
„Die Knie schreit in der Scbamba". Dann kehren die Weiber zu den fünf
Kandidatinnen zurück, deren Köpfe nun von ihren fünf Lehrerinnen mit
Hirserispen geschmückt werden3). -- Nach diesem Akt erheben sich die fünf
Mädchen; eines tritt hinter das andere und legt dem vor ihm stehenden beide
Hände auf die Schultern; die Trommeln setzen ein, und alt und jung wiegt
den Mittelkörper rhythmisch im Bauchtanz. — Auf diesen Tanz folgt die
Heschciikung der Lehrerinnen mit Hirse, Maniok. Kleidungsstücken u. a. m.
Dann kommt der Schlußakt: Die fünf Lehrerinnen zerschlagen ein Ei. streichen
von dem Gelb den fünf Novizinnen etwas auf die Stirne. mischen den Rest
mit Rizinusöl und salben damit den Mädchen Brust und Bücken. „Das ist
das Zeichen der Reife und des beendeten Unyago", schreibt Weuk4). Doch
Eolgen auch diesem Akt noch Gesänge, das Dauerlied ..Die kleine Korbschale
...-. Bauchtänze6) sowohl als Solotäuze der Kandidatinnen, als auch von
der Gesamtheit der weiblichen Festgäste aufgeführt; ferner die Aufführungen
zweier Maskenpaare (Männer und Weiber), darunter der Teufel (Scheitani)
mit Hörnern und Bart und eine Riesenmaske auf Stelzen, deren lange Arme.
'l Weule erwähnt bei dieser Pubertätsfeier auch ein loderndes Strohfeuer. Vgl. das
I i der Beschneidung der Makua-Knaben und die Ansprache des Oberpriesters an
in Kap. XXXVIII.
■i \n einer Stelle des Platzes ragte ein einfacher Stock aus der Erde. Darunter
seien „Medizinen" begraben gewesen, die zum Unyago gehörten. An einer andern Stelle
war ein Topf mit Wasser als „Medizin" schon seit Monaten versenkt worden
3i Vielleicht hat die Hirse auch hier die uns bereits wohlbekannte Bedeutung der
Fruchtbarkeit. Nach Weules Vermutung war dieser Ährenschmuck gemeint, als die Weiber
nach dem oben folgenden Bauchtanz immer wieder und wieder sangen: „Das Chihakatu
(kleine Corbschale) ... wird früh aus dem Baus herausgetragen." — Mir scheint, daß die
„kleine Korbschale", so Lrllt wie die Hirse, das Bild des Mädchens selbst war.
'i Das Ei ist also wohl auch hur ein Symbol der Fruchtbarkeit. Vgl. die Eier-
Eierspiele usw. iu Kap. XI, II. XI, III usw.
E) Die hervorragende Bolle dieser sinnlichen Tänze bei der b'eier allein charakterisiert
Sil ler letzteren. Vgl. was 0. Kerstin von dem „Digitischa" (Tikitiza) der"
W I m a hell s:i.
§ 372. Pubertätsfeste des weiblichen Geschlechtes. Sudan- und Bantuvölker. 737
mit Stoff entsprechend besetzt, wie Windmühlenflügel in der Luft flattern
usw. Zweck dieser Masken ist, nach Weule, die Mädchen vor ihrem
endgültigen Eintritt in die Reihen der Erwachsenen noch einmal tüchtig zu
ängstigen ').
Im Dorfe Mangupa wohnte Weule einem Feste der Matambwe bei,
welches die erste Unterricht speriode der Reifekandidatinnen abschloß. Die
8— 11jährigen Mädchen hatten an diesem Tag- bereits eine Unterrichtszeit
von mehreren Monaten hinter sich, der ihnen in einer besonderen Hütte ge-
geben worden war. Die für das Fest aufgeführte Hütte (Likuku) war Mei-
ern Zwillingsbau, d. h. zwei runde, niedrige „Salons-' waren aneinander gebaut.
Das Fest begann früh 9 Uhr mit dem afrikanischen Weibertriller in vielfacher
Variante, während welchem die sämtlichen Teilnehmerinnen, festlich ge-
schmückt, hinter dem Doppelhaus standen. Hierauf trugen sieben Weiber
unter dem Dauerlied ..Mein Vater hat mich schlecht behandelt, er hat mir
einen schlechten Mann gegeben; der ist von mir gegangen, und ich sitze nun
da" eine lange, neue Zeugbahn 1 muten Kattuns, die fahnenähnlich an einer
Stange hing, zum Festplatz links vom Festbau. Unmittelbar darauf lief,
sprang, tanzte und trillerte der ganze Haufen händeklatschend und wild durch-
einander. Dann plötzlich tiefe Stille, und eng hintereinander, tief gebückt,
ganz in neue, bunte Tücher gehüllt, trippelten die fünf-) Reifekandidatinnen
zum Festplatz heran. Wiederum brach ein wüster Lärm aus, diesesmal von
einem halben Dutzend Trommeln vermehrt. Der Weiberknäuel ordnete sich
zu einem weiten Kreis, mit den fünf tiefgebeugten Novizinnen in der Mitte.
Hier zeigten diese vor dem kritischen Auge der Meisterin ihre Kunst im
Zittern der Gesäßpartie. Nach bestandener Prüfung schritten sie rückwärts
zur Doppelhütte, in welcher sie für einige Minuten versclnvanden. Dann
aber erschienen sie wieder, überschritten in mäßigem Abstand hinterein-
ander den Festplatz (jetzt in normaler Gehweise) uud verschwanden dann
im Busch.
Auch die erwachsenen Frauen waren mit den Novizinnen in den Fest-
bau gegangen, wo sie nach dem Wiederhervorkommen der Kandidatinnen
blieben. Schließlich zogen sich die Männer gleichfalls dorthin zurück und
taten sich mit Pombe in mächtigen Töpfen gütlich (Weule).
Nach Wehrmeister nimmt in Lukuledi das ..große" Unyago (Puber-
tätsfeier) der Mädchen gewöhnlich längere Zeit in Anspruch, als jenes der
Knaben. Die Kandidatinnen stehen, wie die Kandidaten, im Alter von 7 bis
10 Jahren. Ein Weib unterrichtet die Mädchen 2 — 'i Monate lang in Hütten,
welche man zu diesem Zweck in der Nähe des Dorfes aufschlägt. Die Mädchen
dürfen sich während dieser Zeit vor keinem männlichen Wesen blicken lassen,
oder müssen ihr Kopftuch, welches sie zu diesem Zwecke tragen, über ihr
Gesicht decken, sobald sie beim Verlassen der Hütte einen Mann sehen. Mit
Abschluß des Unyago gelten sie als heiratsfähig und werden bald geehelicht,
leider auch von polygamen Häuptlingen oder anderen schon verheirateten
Männern zu Nebenweibern genommen.
Mit diesem „großen" Unyago ist aber in Lukuledi noch nicht alles ab-
getan: vielmehr folgt im ersten Ehejahr ein zweites und drittes nach. Schon
nach der ersten Flitterwoche findet das zweite statt. Ein Weib vom Fach
kommt in die Hütte des Paares zur Belehrung (beider?). Beim Wieder-
x) Vgl. den mit riesigen Flügeln versehenen Götzen Mungi in Kamerun (S. 575 d. B.),
der nach den Initiationszeremonien „davonfliegt". Daß die obigen Masken nicht nur er-
schrecken wollen, sondern eine tiefere Bedeutung haben, scheint mir zweifellos zu sein (vgl.
die Einleitung zu diesem Kapitel).
2) Bei der Pubertätsfeier der Makonde sahen wir gleichfalls fünf.
FloO-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 47
738
Kapitel LY1I. Pubertätsfeste exklusive Besehneidung.
verlassen der Hütte wird diese Meisterin von einem Haufen Weiber mit
stürmischem „lulu-lulu-lulu" begrüßt; die junge Gattin sitzt auf der Erde, von
den Weibern umringt und besungen. Auch ihrem Mann gilt ein Teil der
gesungenen Weisen, bei denen das „lulu" eine Hauptrolle spielt. Die Zeremonie
dauert" gewöhnlich von 8 Uhr früh bis 3 Uhr nachmittags.
Zum dritten Unyago, welches einige Monate später stattfindet, kommen
„sehr viele" Mütter. Belehrung, Tanz und Gesang bilden die Elemente auch
dieser Feier ( Wehrmeister).
Welch wichtige Rolle das Geschlechtliche bei der Pubertätsfeier in
Madibira, gleichfalls südliches Deutsch-Ostafrika, spielt, geht aus Abb. 483
und der Mitteilung des Missionars Johannes Häfiiger hervor, welche mir brieflich
zuging: Mit der Pubertätsfeier für Mädchen ist ein Unterricht über die Ehe
verbunden, welcher durchgängig von alten Weibern erteilt wird. Diese machen
1 •>
m
Fig. WS.
Leumfigureii zum Anschauungsunterricht der Pubertätskandidatinnen in Madibira, südliches
Deutsch-OstafriUa. Johannes Häfiiger pliot. Text hierzu oben und unten.
hierzu eigene Lehmfiguren (Abb. 483). Bei all diesen Figuren ist das Ge-
schlechtliche ganz besonders hervorgehoben. Die zwei größten stellen Vater
und Mutter dar; die Figuren daneben teils Menschen, teils die bekanntesten
Tiere, ebenfalls männlich und weiblich; dann Sonne und Mond1) und ver-
schiedene Hansgeräte, besonders Töpfe. In die Lehmflgur der Mutter sind die
Nahrungsmittel eingedrückt, welche sie braucht. Die Baumwolle soll vielleicht
ihr Kleid versinnbilden. wie ///>'// />r vermutet9).
Die Töchter der Wakilindi3) und Waschambaa in Usambara müssen
vor ihrer Reife ein Tanztest mitmachen. Zwei nächtliche Tänze finden beim
Eintritt der Keife statt, wobei in der ersten Nacht nur Weiber zugegen sind
ch).
h Sonne und Mond sind bei nicht wenigen Völkern als Mann und Weib gedacht; daß
mch hier so aufgefaßt sind, dünkt nur sehr wahrscheinlich.
•) Vgl. die Baumwolle als Attribut der altniexikanischen Brdgöttin, Bd. I. S. 583; ferner
Baumwollfaden um das Handgelenk der Pubertätskandidatin in Kambodscha (§ 37.".).
i Stammen von Araber - weh).
§ 373. Pubertätsfeste des weiblichen Geschlechtes. Buschleute und Hottentotten. 739
Bei dem Hirtenvolk der Wambugu, ebenda, müssen die Mädchen beim
Eintritt der Eeife das „aigwa" durchmachen. Man sperrt mehrere zusammen
in eine Hütte, in der sie bis zu sechs Monaten auszuhaken haben. Nach
Eintritt der Reife schlachtet man für jedes Mädchen ein Rind, worauf die
Kandidatinnen von ihren Verlobten in Empfang genommen werden {Storch).
Sobald bei dem Suaheli-Mädchen in Sansibar die Zeichen der Mannbar-
keit eintreten, was gewöhnlich im 12. oder 13. Jahr geschieht, so wird es
noch an dem gleichen Tag von einem alten Weib gewaschen, mit einer für
diesen Zweck gebräuchlichen Malerei im Gesicht versehen, schön frisiert, mit
Schmuck behängen uud von
Freundinnen in der Stadt her-
umgeführt, wobei es Geschenke
erhält, aber auch viele Necke-
reien von den Gefährten dulden
muß. Nach 0. Kernten werden
die Mädchen von jenem alten
Weibe im „Digitiseha" unter-
richtet, d. h. in der Ausführung
gewisser Hüftbewegungen, wel-
che den Reiz des Koitus erhöhen
sollen '). — Nach Veiten wird
dieser Unterricht und jener aber
das Eheleben überhaupt in
Gegenwart der andern alters-
gleichen Mädchen gegeben ;
schamlose Gesänge begleiten
ihn; ungelehrige Mädchen be-
kommen von der Lehrerin
Schläge, gelehrige Lob. —
§ 373. Bnsclilente und
Hottentotten.
Bei den Auin-Busch-
leuten in der Kalahari ver-
sammeln sich, wenn bei einem
Mädchen die erste Regel ein-
tritt, benachbarte und befreun-
dete Werften zu einer Feier.
Das Mädchen, schreibt Sans
Kaufmann, liegt auf dem Boden,
während alte Weiber in ihrer Nähe singen und in die Hände klatschen
und die jüngeren Weiber mit entblößtem Gesäß stampfend einen Gänse-
marsch aufführen. Von Zeit zu Zeit treten einzelne Männer in den Reigen
ein, und alles ahmt die Bewegung und Laute brunstigen Wildes'-) nach.
Kaufmann ist der Ansicht, daß dies der Elenbnllentanz sei. Bei diesem Tanz
werden Bockshörner vor die Stirne gebunden3). -- Das Mädchen gilt nach
Eintritt der Reife für heiratsfähig. Vor Eintritt der Reife dürfen weder die
Mädchen noch die Knaben Fleisch von Wild essen, „weil sie sonst mager
Fig. 4*4. Ein Kikuj u-Mädchen, Britisch- Ostafrika. — Missions-
sekretariat der Vater vom hl. Geist in Kneclitsteden.
') Vgl. das Zittern der Hüften, in welchem die Reitekandidatinnen der Völker auf
dem Makondeplateau geprüft werden.
2) Ahnliches scheint mir der Sinn der „Hirsche" bei der Initiationsfeier derBambara
zu sein (siehe „Ahnenkult").
3J Daß der Bock in der sexuellen Symbolik mancher Völker eine Bolle spielt, ist
bekannt.
47*
740 Kapitel LVII. Pubertätsfeste exklusive Beschneidung.
blieben" 1). — Erst nach Eintritt der ersten Regel tragen die Mädchen „angeblich"
Schmuck.
Bei den von den Hottentotten beobachteten Zeremonien am Feste
der Mannbarkeit sollen nach Kolli und Thvmberg sehr schmutzige Handlungen
vorkommen. - Waite vermutet wohl mit Unrecht, daß sich diese Zeremonien
darauf beschränken, daß die Jünglinge mit „heiligem Wasser" besprengt
werden. (Der Urin diente den Kap-Hottentotten auch zu religiösen Zwecken.)
Bei den Nama wird das Mädchen bei der ersten Menstruation mit einem
reichgeschmückten Broak-Kaross, einer Art Mantel aus Schakal- oder Katzen-
pelz, bekleidet, der sie als heiratsfähig bezeichnet, Bis dahin war das junge
Mädchen völlig nackt gegangen. Nach dieser Einkleidung sitzt sie drei Tage
lang dem Eingang der Hütte gegenüber an der Seite, wo das Hausgerät sich
befindet, in einem von fußhohen Stäben eingeschlossenen Kreis, von 2 1/2 bis
3 Fuß im Durchmesser, mit untergeschlagenen Beinen, den Mund zum Zeichen
ihres Hochgefühls und Stolzes fischmaulartig vorgestreckt und zuweilen mit
ihrem Kopfe herausfordernd nickend. Am dritten Tag wird eine junge fette
Ferse geschlachtet. Der nächste Anverwandte, gewöhnlich ihr ältester unver-
heirateter Vetter, erscheint mit der Nachbarschaft zur Gratulation und zum
Schmaus. Iudem er ihr das Magenfell des Rindes über den Kopf hängt,
wünscht er ihr, so fruchtbar zu sein wie eine junge Kuh, und reiht viele
Kinder zu gebären. Dann kommen ihre Freunde und Freundinnen mit ähnlichen
Glückwünschen, worauf der Festschmaus beginnt. Dieser endet mit Tanz und
Gesang, wobei man sich, wenn möglich, mit Honigbier bezecht (Tkeophil Hahn).
§ 374. Malayisch-polynesische Völker.
Von der deutschen Karolineninsel Vap (Wuap) teilte MiTüucho-Maday
mit, daß die Mädchen beim Herannahen ihrer Reife das elterliche Haus im
Dorfe verlassen und zwei bis drei Monate in kleinen, zu diesem Zweck er-
richteten Hütten in der Nähe des Dorfes zubringen. Dieser Aufenthalt habe
während der ersten Regel und noch einige Zeit nachher gedauert-). In
neuerer Zeit schrieb Senfft, daß die Mädchen in diese Häuschen kurz vor Eintritt
der Reife ziehen und sie drei Tage nach diesem Ereignis wieder verlassen.
Doch kehren sie noch nicht in die Wohnung ihrer Eltern zurück, sondern
beziehen abermals je eine Hütte, welche der Vater in der Nähe seines Hauses
baut. Hier „schläft" das Mädchen noch 100 Tage, und zwar mit einer Frau
aus der Milingei-Kiasse 3). Dann darf sie heimkehren.
Der Aufenthalt in diesen Häuschen wirkt, nach den folgenden Mitteilungen
aus dem „Jahresbericht 1908 und 1911 der .Missionen der rhein.- westf.
Kapuziner-Ordensprovinz auf den Karolinen-. Mariannen- und Palauinseln",
entsittlichend auf die Mädchen')- Einzelheiten über das Tun und Treiben in
diesen Hütten scheinen den betreffenden Missionaren aber nicht bekannt zu
sein. Im Jahresbericht 1908 heißt es. die Mädchen seien in diesen Häuschen
ohne Arbeit und würden von je einer alten erfahrenen Frau gut gepflegl und
unterwiesen. Vor diesem Häuschen vollzieht sich die Brautschau der heirats-
fähigen jungen Leute. Ist dieses „Ehenoviziat" nach einigen Monaten oder
auch erst nach einem Jahr zu Ende, so darf die also Gefangene heiraten.
Weniger harmlos wird dieses „Ehenoviziat" im Jahresbericht lvtll von Venanüus
' i Diese Begründung dürfte kaum die ursprüngliche sein. Die Nachahmung des brünstigen
Wildes auch hier auf einen sexuellen Grund hin. Vgl. das illegitime Kind als
I eines „Hirsches" in Kapitel LTV.
■I Bei Ploß 11. 424f.
i ae lilasse von Leuten, die etwa jener unserer früheren Hörigen entspricht.
') Vgl, deren keineswegs reines Vorleben in Kapitel XLVII, S. 544.
§ 374. Pubertätsfeste des weiblichen Geschlechtes. Malayiseh-polynesisehe Völker. 741
geschildert, der sich zunächst darüber äußert, daß die Yaper und Palauer
Mädchen einer bestimmten Altersklasse oft in wenigen Wochen „äußerst frech''
werden, die Missionsschwestern verlachen, den Unterricht absichtlich stören,
oder diesen ganz meiden u. a. m. Dann fährt er fort: „Eine hier schwer ins
Gewicht fallende Ursache dürfte die Unsitte des sogenannten Tapal sein.
Sobald nämlich die Mädchen geschlechtsreif werden, was in hiesiger Gegend
früh eintritt, werden sie sozusagen zur Erlernung und Erziehung für theoretische
und praktische Unzucht kaserniert und jedem besseren Einfluß entzogen.
Noch niemals war es bis jetzt unseren Schwestern möglich, selbst nicht auf
die früher bravsten und zutraulichsten Kinder, nach dieser Zeit irgendwelchen
Einfluß zurückzugewinnen. Für gewöhnlich waren alle Beziehungen später
wie abgeschnitten. Da dieser Unsitte sich kein Mädchen entziehen
kann, so steht die Mission diesen Hindernissen jeder Gesittung und Kultur
machtlos gegenüber, solange nicht seitens der Behörde einige entschiedene
Maßnahmen ergriffen werden, welche diese unwürdige und für das
Familienleben und für die Zunahme der Bevölkerung folgenschwere
Unsitte beseitigen helfen." —
Auf den Marschall-Inseln waren früher mit dem Eintritt der Pubertät
bei einer lläup Hingst ochter viele Zeremonien verbunden: Alle Untertauen
eilten mit Speisen, Matten und Blumen herbei. Für das Mädchen wurde nahe
am Lagunenstrand eine Hütte aufgeschlagen, deren eine Hälfte sie, deren
andere eine Zauberin und verschiedene eigens gewählte Frauen und Männer
einnahmen. Die Zauberin träufelte wohlriechendes Palmöl in ausgehechelte
Kokosnußfasern und rieb damit das Mädchen ein, indem sie an der Spitze der
rechten Hand begann und den Arm hinauf bis zur Schulter rieb. Dabei
sprach sie: „Dein Nichtbeliebtsein schwinde von dir, meine Tochter: es steige
hinauf und bleibe auf deiner Schulter das Beliebtsein1); es rage hervor dein
Beiz, dein Reiz, o Maid; es mögen die Leute im Norden und Süden um die
Hütte einherziehen; sie mögen lachen, laufen. Einzig ist dein Reiz."
Nach der Salbung nahm das Mädchen am Binnen- oder Außenstrand ein Bad,
das sie während der 2 — 3 "Wochen dauernden Feier täglich dreimal wiederholte,
und ebenso oft mußten in dieser Zeit die Männer, Frauen, Knaben und
Mädchen (des Stammes ?) baden und sich mit wohlriechenden Substanzen ein-
reiben. Auch durften sie nur dreimal im Tage auf der Insel Gänge machen,
wenn ihre eigenen Bedürfnisse es verlangten, oder wenn sie Blumen holen
mußten. Den Weg der Häuptlingstochter zum Bad durfte sonst niemand be-
treten. Ihre Haltung und ihre Lage hatte sich Tag und Nacht nach bestimmten
Vorschriften zu richten. Die in der anderen Hälfte der Hütte befindlichen
Frauen und Männer wanden den ganzen Tag Blumenkränze und parfümierten,
damit die Jungfrau stets von süßen Düften umgeben war. Dreimal erneuerte
man dem Mädchen die Matten und schenkte die gebrauchten der Zauberin
und den Kranzflechtern. Zum Schluß der Feier gab man ein großes Essen,
an dem alle Untertanen teilnahmen. Von jetzt an durften die Eltern des
Mädchens, welche sich während der Feier voneinander enthalten hatten,
wieder zusammenkommen.
Das Mädchen wurde in der ersten Nacht der Feier von einem hohen
Mitglied der Familie, das auch der eigene Vater sein konnte, defloriert und
konnte in jeder der folgenden Nächte mit ihm verkehren. In Ermangelung
eines ebenbürtigen Mannes auf der Insel holte man einen von einer anderen Insel.
Die Pubertätsfeier gewöhnlicher Mädchen durfte nur im Kreise der
Familie begangen werden. Die Eltern mußten ihre Töchter am Schluß der
') Das „Weibsein" scheint hier als ..Beliel tseiir' aufgefaßt zu werden. Vgl. die Feier
im Fetischdorf Avhegame, Deutsch-Togo, § 372.
742
Kapitel LVII. Pubertätsfeste exklusive Beschneidung.
Feier dem Häuptling schicken, der eine Verweigerung strenge gestraft hätte. —
Auch die jetzigen Häuptlinge machen von diesem Jus primae noctis Gebrauch
(Erdland).
Feierlichkeiten beim Eintritt der Reife bei den Häuptlingstöchtern meldete
Brandeis auch von der Insel Nauru.
Bei den Eoro-Papua in Britisch-Neuguinea bildet das Pubertätsfest
heutzutage den Abschluß der Tätowierung, welche dort vier, fünf oder noch mehr
Jahre in Anspruch nimmt. Missionar V. M. Egidi, der mir dieses und folgendes
mitteilt, bemerkt allerdings, daß er selbst während seines Aufenthaltes bei den
Koro der obigen Feier nie beigewohnt habe, sondern, was er hierüber wisse, ver-
schiedenen Missionaren verdanke ;
auch kenne er die Einzelheiten des
Festes nicht. — Die Tätowierung
der Roro -Mädchen beginnt, nach
Egidi, wenn diese acht oder neun
Jahre alt geworden sind, und er-
streckt sich über den ganzen Körper.
Das Gesicht kommt zuletzt daran,
d. h. wird vor Abhaltung des Puber-
tätsfestes tätowiert. Der ganze Vor-
gangjbesonders aber die Tätowierung
dt»s Gesichtes, sei äußerst schmerz-
lich. Zum Fest tun sich gewöhnlich
mehrere Familien zusammen. Wenn
dazu alles vorbereitet ist, schließt
man die Kandidatinnen in Hütten
ein, wo sie, außer der Gesichts-
tätowierung, einer strengen Ent-
haltung von gewissen Speisen und
Getränken unterworfen werden.
Nach Vernarbung der "Wunden
iiibt man an einem vereinbarten
Tag ein großes Essen, wozu alle
verwandten und befreundeten Fami-
lien eingeladen werden. Vor der
Verteilung deV Speisen führt man
die Pubertätskandidatinnen zum Ge-
meindehaus und läßt sie auf dem
Dorfplatz zwei- oder dreimal auf
und ab spazieren, während ihnen
die ledigen Burschen, in Schußweite
von den älteren Männern, Ausdrücke
ihre künftigen Gattinnen begrüßen.
Öl und rotem Ocker
Muscheln, Eber- und
Auch ihre Röckchen sind heute schöner als gewöhn-
lich, und ein ähnliches Kleidungsstück tragen sie über den Schultern'),
letzteres ist mit Kokosöl getränkt.
Die große Sorgfalt, welche diese Koro auf die Tätowierung ihrer Töchter
verwenden, findel wohl eine Erklärung in der folgenden Mitteilung des James
Clialmers und des W. Wyati Gil über einen anderen Papuastamm, nämlich
Fig. 4P6. Papuamädchen aus dem Stamm Koro,
Britisch-Neuguinea, zu ihrem Pubertätaf est geschmückt.
v. li. i: i H i'li"t.
der Bewunderung zürnten und sie als
Die Reifekandidatinnen erscheinen zu diesem Fest mit
vom Kopf bis zu den Füßen gesalbt, mit Sehmuck aus
Hundezähnen überladen.
') „Le Bpalle", schreibt Egidi. Der Abbildung (Fig. 485) nach, ist wohl der Rüi i
ml. Der Behang ist von vorn an «In, Seiten, bzw. Armen der Mädchen sichtbar.
§ 374. Pubertätsfeste des weiblichen Geschlechtes. Malayisch-polynesische Völker. 743
die Hula1). Diese tätowieren ihre Töchter möglichst reichlich und geschmack-
voll, damit sich leichter ein Gatte finde.
Schon vor Egidi hatte Krieger die Vollendung der Tätowierung als ein
Reifezeichen der Papua-Mädchen in Britisch-Neuguinea erwähnt. Vorher
müssen die Mädchen ein zurückgezogenes Leben führen, d. h. sie dürfen das
Haus nicht verlassen.
Das dauert bei gewissen Stämmen zwei Jahre lang. Ist aber die Zeit
der Erlösung, d. h. das Pubertätsfest, gekommen, wozu alle jungen Männer
der Nachbarschaft geladen werden, dann zeigen sich die tätowierten Mädchen
zum erstenmal in ihrer ganzen Schönheit, genießen an diesem Tag die größte
Freiheit und dürfen sich ihre zukünftigen Männer wählen. Es findet ein
großes Essen mit darauffolgendem Tanze statt.
In Kaiser Wilhelmsland müssen die Reifekandidatinnen sechs Wochen
zu Hause bleiben, worauf sie von Frauen gebadet, geschmückt und den feier-
lich versammelten Dorfgenossen vorgestellt
werden. Man schlachtet ihnen zu Ehren einige
Schweine und bewirtet die Frauen. Die
Mädchen selbst bekommen von diesen
Schweinen aber nichts.
In Holländisch-Neuguinea scheinen
die Pubertätskandidatinnen zwar nicht völlig
abgeschlossen zu sein; doch sollen sie mög-
lichst wenig ausgehen. An der Humboldt-
Bai dürfen sie, ohne passende Begleitung,
selten sich weit vom elterlichen Haus ent-
fernen (Krieger).
Bei den Karesau-Insulanern, deren
Beschneidung, das Hauptmoment ihrer Jüng-
lingsweihe, in Kap. XXXVIII so eingehend
beschrieben wurde, gibt es auch eine Art
Mädchenweihe (nedom), Zeremonien für die
Aufnahme der gereiften Mädchen in die
Reihen der Erwachsenen. Leider ist von
dieser Feier nur folgendes bekannt: Die
Mädchen gehen tief in den Wald zu einem
Baum mit roter'-) Rinde. Kaimer genannt. —
Männer dürfen bei der Feier nicht zugegen
sein. Die Mädchen verweilen einige Tage
in zwei Häusern; am Schluß der Feier statten sie in der Umgegend Besuch ab.
Ein Verrat der Vorgänge bei der Feier wird mit Schlägen bestraft (W. Schmidt.
nach Bonifaz-Tamatäi Prital).
Ein Pubertätsfest für Mädchen, bei welchem diese beschenkt werden.
hat Turner von den Polynesiern auf den Tonga- oder Freundschafts-
inseln erwähnt.
Auf Samoa werden jene Töchter der Häuptlinge, welche zu Taupou
oder Dorf Jungfrauen ausersehen sind, beim Eintritt ihrer Reife als solche
erklärt.
War bei den Maori auf Neuseeland ein Mädchen zur Jungfrau heran-
gewachsen, so wurde ihr, oder zugleich mehreren ihrer Freundinnen, eine
Schaukel gebaut, d. h. ihr Vater befestigte an eiuem schattigen kühlen Platz
ein Bastseil an einem schrägstehenden Baum und lud alle Freunde und Ver-
Fig. 4SÜ.
nesien.
«ksi
P a u m o t u - JI ;i d c h e n , P o 1 y -
Im Museum für Völkerkunde in
Leipzig.
*) Britisch-Xeuguinea ('/).
*) Siehe Einleitung.
744 Kapitel LVII. Pubertätsfeste exklusive Beschneiduug.
wandten zur Schaukel seiner Tochter ein. Damit erklärte er sie für erwachsen.
Nur mit einem Streifen topa, einem aus Baumrinde hergestellten Kleidungs-
stoff um die Hüfte, schwang sie sich mit aufgelöstem Haar und blumen-
geschmückt auf und ab, und zog durch ihre Schönheit und Gewandtheit
Jünglinge zu ihrem Vater, die sie zur Frau begehrten. Gvor<i Lampreckt in
Papeete, der diese Mitteilung machte, hat im Globus1) den Gesang Potikitanas
in Übersetzung veröffentlicht, den dieser auf seine Tochter sang, als er ihr
eine Schaukel dieser Art gemacht hatte, nachdem sie von andern zwei Jung-
frauen verspottet worden und von deren Schaukel als noch nicht jungfräulich
zurückgewiesen worden war.
Über die Pubertätszeremonien bei den Stämmen im inneren Australien
s. Kap. XXXVIII, S. 231—233. Ferner sei hier folgendes erwähnt:
In Nordqueensland, nordöstliches Australien, werden die Mädchen
beim Eintritt der Pubertät in einer Blätterlaube2) halb begraben ( W. E. Roth).
In Murray 8) mußten sich zu Erijes Zeit die Reifekandidatinnen einer
höchst schmerzlichen Tätowierung des Rückens unterziehen. Das Mädchen
kniete dazu nieder und legte den Kopf einem alten kräftigen Weib zwischen
die Kniee. Operateur war ein Mann. Dieser schnitt dem Mädchen mit einem
Stück Feuerstein oder Muschel Furchen in bestimmten Zwischenräumen, von
der rechten zur linken Seite, quer über den Rücken, bis dicht an die Schultern.
Obgleich die Qual den Kandidatinnen lange Schmerzensschreie auspreßte, unter-
zogen sie sich ihr doch bereitwillig, weil ein gut gekerbter Rücken sehr be-
wundert wurde (Lvhhoclc).
Das Ausziehen der Zähne als Pubertätszeremonie für beide Geschlechter
im australischen Seengebiet s. Kap. LVIII.
§ 375. Chinesen, Siamesen und Kliiner, bzw. Bevölkerung von Kambodscha.
Das Ghinesenmädclien wird zum Zeichen seiner Reife mit einer Haar-
nadel, dem Kopfputz der Frauen, geschmückt.
In Siam schert man den Mädchen beim Eintritt der ersten Menstruation
die Haare. Manche feiern dieses Ereignis 5 — 6 Tage lang; besonders "hoch
geht es bei der Reifefeier der königlichen Prinzessinnen her (Robert Schom-
burgkY).
In Kambodscha5) ziehen sich die Mädchen mit eintretender Reife
zurück, sie „treten in den Schatten ein", und während sie vorher „Prohmacarey",
unantastbare Gattinnen Prah Ens (Indras) waren, gelten sie jetzt als Gattinnen
Reas (Ravanas), und auch während dieser Zeit wäre es ein Sakrilegium, sie
zu verführen. Wenn sie aber aus ihrer Zurückgezogenheit hervortreten, dann
werden sie Frauen von Männern aus dem Menschengeschlecht, und nun gilt
ihr Fall nur mehr als natürliche Sünde. Noch am Abend desselben Tages,
an welchem das erste Zeichen ihrer Entwicklung erscheint, befestigen die
Eltern dem Mädchen Baumwollfäden um das Handgelenk und bereifen den
Ahnen ein Opfer (sam nen) aus Speisen, Kerzen und Räucherwerk. ..Unsere
Tochter wird mannbar," so künden sie ihren Verstorbenen das Ereignis an,
..wir lassen sie in den Schatten eintreten; schenkt ihr eure Gunst." Ferner
pflanzen sie an diesem Tag eine Banane von der Sorte chek chvea (auch
mahatlan genannt), deren Früchte nur für das betreffende Mädchen bestimmt
sind, oder von ihm an die Bonzen geschickt werden.
') Bd. 7o. 265 f.
-i Vgl. die Laubmännchen, ßegenbräute, Pfingstquacke u. a. in. in vorhergehenden
Kapiteln, hauptsächlich in Kap. X.LIII.
3) Wolil Murray-Distrikt, im südlichen Australien gemeint.
'i Mündliche Mitteilung an Ploß (II. 435).
r') Die Sauptbevölkerung von Kambodscha sind, nach Scobel, die K lim er oder K harn« n.
§376. Pubertätsfeste d. w. Geschlechtes. Ural-Altaien, Hjperboräer (Aleuten) u. Indianer. 745
Das Mädchen erhält für die Zeit seiner Zurückgezogenheit, welche, je
nach den Vermügensverliältnissen seiner Eltern, von drei Tagen bis auf mehrere
Jahre dauert, von den Eltern gewisse Verhaltungsmaßregeln: „Laß dich vor
keinem fremden Manne sehen: schau einen solchen selbst verstohlenerweise
nicht an; nimm, wie die Bonzen, deine Nahrung nur zwischen Sonnenaufgang
und Mittag; iß nur Eeis, Salz. Kokosnuß. Erbsen, Sesam und Früchte; ent-
halte dich von Fisch und jeglichem Fleisch. Bade dich nur, wenn die Nacht
eingetreten ist, zu einer Stunde, wenn man die Menschen nicht mehr erkennt,
damit du von keinem lebenden Wesen gesehen wirst."
Im Dunkel der Nacht darf das Mädchen in Begleitung ihrer Schwestern
oder anderer Verwandten ausgehen1). Sonst arbeitet es im Hause und darf
weder in die Pagode, noch sonst irgendwohin. Wird es aber dunkel, dann
versieht es sich mit Betel und dem nötigen Zubehör, zündet Lichter und
Räucherkerzen an und geht fort, um Rahu, den Urheber der Finsternis, an-
zubeten, auf daß es glücklich werde. Dann kehrt das Mädchen wieder „in
den Schatten" zurück. Arme Leute, denen Kerzen und Räucherwerke zu
teuer kommen, begnügen sich, ihrer Tochter zu diesem ,, Opfer"'2) ihre besten
Kleider anzulegen.
Zum endgültigen Austritt aus der Zurückgezogenheit wählen wohlhabende
Leute mit Vorliebe die Monate Januar, Februar oder Mai, wozu sie Bonzen
kommen und beten lassen, vor denen sich das Mädchen niederwirft. Auch
Nachbarn und Freunde werden zu diesem Feste geladen. Bei dieser Gelegen-
heit werden dem Mädchen ferner bisweilen gleich die Zähne gefärbt, statt,
wie es regelmäßig ist, bis zur Hochzeit zu warten3).
§ 376. Ural-Altaieu, Hyperboräer (Aleuteii) und Indianer.
Die Burjatinnen waschen und baden sich vom Eintritt der ersten
Menstruation zeitlebens nicht mehr (X. J. Kaschi7i)i).
Die Tatarin im russischen Gouvernement Astrachan verfertigt ihrer
Tochter, wenn diese 12 oder 13 Jahre alt geworden ist, eine Kopfumhüllung,
welche bis über die Kniee herabhängt und lange Ärmel hat. Ohne diese Ver-
hüllung darf sich das Mädchen von nun an nie mehr in der Öffentlichkeit zeigen.
Nur innerhalb des Hauses kann sie sie ablegen (Alfred Christoph).
Bei den Lappen darf das weibliche Geschlecht vom Eintritt der ersten
Menstruation an nicht mehr den hinter dem Elternhaus gelegenen, dem Tor und
der Sonne geheiligten Platz betreten; auch jene heiligen Berge und Gebiete
überhaupt, auf denen die religiösen Denkzeichen der Storjunctare errichtet
sind, müssen die reifen Mädchen und die (verheirateten) Weiber meiden
(Scheffer).
Die Renn tier-Samo jeden räuchern die Menstruierenden mit ver-
branntem"1) Renntierhaar und mit Castoreum (Bibergeil). Ferner schließen sie
') Die Erlaubnis zu diesen nächtlichen Ausgängen steht allem Anscheine nach mit der oben
folgenden Verehrung des Urhebers der Nacht in enger Beziehung. Sollte dieser ., Rahu"
mit „Rea", dem Gatten der Pubertätskandidatin, identisch sein? — Diese Umhüllung mit
Dunkelheit erinnert auch an gewisse Menstruationsbräuche bei den oben folgenden Tataren ,
Lappen, Samojeden und einer Reihe von Indianervölkern. Vielleicht hängt ferner die
lebenslängliche Enthaltung der Burjatinnen von Bädern und Waschungen mit einem ähnlichen
Gedanken zusammen (siehe § 389).
2) Worin das obige Opfer besteht, ist mir unklar.
3) (Anonymus im) Globus, Bd. 48, S. 109 f.
4) Bei Ploß II, 435.
5) Wohl ..verbrennendem-'. Der Ranch als Mittel zur Vertreibung von Dämonen und
ähnlichen Wesen ist uns aus früheren Kapiteln bekannt. In neuester Zeit wird Rauch (und
Feuer) aber nicht nur als Mittel zur Vertreibung böser Geister, sondern auch als Opfer
in den Blitz und den Donner (die „Donnervögel") interpretiert. So bei den Dakotahs.
Siehe Weygohl im Archiv f. Anthropologie, N. F. XI (1912), S. 145 ff.
740 Kapitel LVII. Pubertätsfeste exklusive Beschneidung.
sie von einem Teil des Zeltraumes aus und halten ihre Nähe während der
Jagd auf edles Wild für nachteilig (Pallas)1).
Über die hier einschlägigen Auffassungen und Bräuche der Aleuten-
Insulaner s. w. u.
Die Koluschen oder Thlinkit-Indianer in Alaska sondern ihre
Töchter beim Eintritt der ersten Menstruation als „unrein" in abgelegenen
Hütten ab. Früher dauerte diese Isolierung ein Jahr, in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts nur noch drei Monate. Außer der Mutter und einer
Dienerin, welche die Speisen zuträgt, darf niemand ein solches Mädchen be-
suchen. Am Abschluß der Isolierung durchbohrt man ihm die untere Lippe
und steckt das Zeichen der Reifheit, einen Silberstift, hinein (Müller).
Statt dieses Stiftes wird dem gleichfalls abgesonderten Koljuschen-Mädchen
an der Küste derBering-Straße zur Zeit ihrer ersten Menstruation einHolzklotz
(Kaljuga) in die Unterlippe eingefügt. Cl. Erman berichtet hierüber Folgendes:
Außerhalb des Dorfes stand eine Reihe 6 — 8 Fuß hoher Hütten oder Käfige,
nur mit einem vergitterten Lichtloch versehen. In jedem dieser Ställe befand
sich ein Mädchen; eines davon zeigte sein Gesicht, welches mit Ruß und Kohle
beschmiert war. Man erfuhr, daß diese Mädchen eben menstruierten. Ver-
heiratete und Unverheiratete werden dieser Behandlung in ganz gleicher
Weise unterworfen2). Wenjaminow *) berichtete, daß die erste Einsperrung
dieser Art, welche ein Mädchen erlebte, nach altem Gebrauch auch hier ein
Jahr dauerte, und daß die Durckschneidung~der Unterlippe und das mit dieser
verbundene Fest unmittelbar auf die Isolierung folgten. Bei den Sitka,
einem Zweig der Kolju sehen, sei diese Zeit zwar auf 3—6 Monate herunter-
gesetzt, die sonstigen Bräuche aber beibehalten worden. So werde namentlich
der Menstruierenden eine Art Hut mit sehr langer Krempe aufgesetzt, damit
sie nicht durch ihre Blicke den Himmel verunreinige.
Jede spätere Einsperrung für die menstruierenden Koljuschen-Mädchen soll
nur drei Tage dauern und ebenso lange die gewöhnliche Einsperrung der Frauen.
vor deren unheilvoller Nähe die menschliche Gesellschaft nach jeder Menstruation
noch außerdem zehn Tage lang in der besagten Weise geschützt wird.
Die gleichen Vorsichtsmaßregeln, wie bei den Sitka, wurden auf den
Aleuten-Inseln beobachtet; nur die Dauer der Absperrung scheint ver-
schieden gewesen zu sein. Der Einfluß des Christentunis habe hier mit dieser
Absonderung überhaupt aufgeräumt.
Bei den Ttynai (zirka 65° Breite, 200° ö. L.) sah Sagoskin die gleiche
Sitte im Jahre 1842. Er schrieb: In dem Wohnorte Kadichljakakat be-
fanden sich nur zwei Frauen: Eine alte und eine jüngere; die Männer waren
zur Jagd gegangen. Die jüngere Frau war in der Menstruation begriffen und
deshalb mit schwarz bemaltem Gesichte unter einer ledernen Zeltdecke ein-
gesperrt.
Ebenso werden die Töchter der weiter südlich lebenden Nutka mit
Eintritt ihrer Reife mehrere Tage eingesperrt. Außerdem müssen sie sieh
jeder Nahrung enthalten; nur Wasser ist gestattet. Sie dürfen ferner weder
die Sonne, noch ein Feuer sehen. Dauernde Schande würde die Folge einer
Übertretung dieser Gebote sein (Baneroft).
Pabertätskostüm und Pubertätsschmuck der Nntka-Mädchen auf
Vancouver-Island zeigen uns die Abbildungen 487, 488 und 489.
') Bei Floß 11. 485.
B such von Männern während dieser Zeil eilt als schwere Sünde. — Nach
Mosaischem Gesetz war bekanntlich jeder, der bei einer Menstruierenden schlief, sieben
unrein (3. Mose 15. 24).
3) Bei Floß II. in
§376. Pubertätsfeste d.w. Geschlechtes. Ural- Altaien, flyperboräer (Aleuten) u. Indianer. 747
Moriee teilt von den Dene (Tinneh) mit, daß Mädchen zur Zeit ihrer
Pubertät jungen Männern ein bis zwei Querstriche auf die Vorderarme oder
auf die Beine, direkt über den Fußknöcheln, eintätowierten. Das sollte vor-
zeitige Schwäche verhindern.
Der südlichste Zweig der Dene, die Apache, feiern den Eintritt der Reife
bei ihren Töchtern als ein sehr wichtiges Familienfest, an welchem alle
Familienglieder teilnehmen (./. A. Spring).
Wenn bei den Delaware ein Mädchen zum ersten Male menstruierte, so
brachte man es in eine Hütte außerhalb
des Dorfes, verhüllte ihm zwölf Tage lang
den Kopf, damit es niemand sehen konnte,
ließ es wenig essen, nichts arbeiten, und
traktierte es mit Brechmitteln. Dann
wurde es gewaschen, neu gekleidet und
nach weiteren zwei einsam zugebrachten
Monaten für mannbar erklärt (Waitz).
Eine Pubertätszeremonie war nach
Waites Vermutung auch die 5 — «wöchent-
liche Absonderung der nord-karolinischen
Indianerjugend beider Geschlechter in
dunklen Häusern, wo sie hart fasten
mußten, „angeblich, um sie gehorsam zu
machen uud abzuhärten". Über den
„Lebenstraum" der männlichen Pubertäts-
kandidaten s. f. K.
Bei den heutigen Maskoki-Indi-
anern beginnt nach Owen die Vorbereitung
der Mädchen für die Zeit ihrer Reife
mit dem siebenten Lebensjahr. Schon
in diesem Alter legt man ihnen gewisse
Fasttage auf und sucht sie an Hitze und
Kälte zu gewöhnen. Um sie mutig zu
machen, schickt man sie nachts fort und
gibt ihnen zu ihrem Schutz nur die
..Medizin" *) ihrer Mutter und ihren
eigenen Talisman mit. Hat das Mädchen
sein 12. oder 14. Jahr erreicht2), dann
baut seine Mutter eine Hütte, in welcher
die Reifekandidatin mit einem alten Weib
eine Woche zubringen muß. Das Weib
hat dafür zu sorgen, daß das Mädchen
nicht hinausgeht und sehr wenig ißt und
trinkt. Sie hängt ihr auch täglich eiuen vom Medizinmann gekauften neuen
Fetisch um und singt ihr, solange beide wach sind, ein Gebet nach dem andern
vor. Nach Ablauf der Woche erhält die Alte eine Wolldecke oder ein Pony
als Lohn für ihre Dienste. Das Mädchen wird aus ihrer Hütte herausgeführt,
gewaschen, neu gekleidet und bewirtet. Zu diesem Esseu werden alle Ver-
wandten beider Geschlechter geladen. Das Mädchen setzt zuerst den Männern Topf
um Topf vor, ohne von ihnen etwas anderes zu hören, als ein Grunzen, zum
Zeichen, daß sie es annehmen :;). Weitere Aufmerksamkeit schenken sie ihr
') Ein zauberki'äftiges Mittel.
2J Das 8. oder 9. Jahr ist Ausnahme.
3) Owen bemerkt bei dieser Gelegenheit, daß die Männer nur bei Festlichkeiten zuerst
speisen.
F;g. -1S7. Kostüm, welches die Nutka-Mädrken
auf Yancouver-Island liei ihrer ersten Men-
struation zu tragen haben. K. Museum für Völker-
kunde in Berlin.
748
Kapitel LVII. Pubertätsfeste exklusive Besehtieidung.
nicht. Hingegen machen ilir die eingeladenen Weiber und Mädchen kleine
Geschenke. Haben die Männer gegessen, dann setzt sie sieh auf die ihr nachts
als Lager, tagsüber als Tisch dienende Plattform und nimmt mit ihren weib-
lichen Verwandten ihre Mahlzeit ein.
Bei den Söhnen oder Töchtern reicher Väter besteht das Festmahl bei
solchen Gelegenheiten in einem gerösteten Hund, einer Suppe aus Truthahn,
Hahn, Ochsen- und Schweinefleisch, Bohnen, Kartoffeln und Mais: aus Kuchen von
Talg; und gemahlenen Kirschensteinen samt dem Fleisch der Frucht: ans Ahorn-
fc'ig. 488. Schmuck aus Zederbast, Perlen und Muscheln, welchen die Nutka-Mädchen auf Vancouver-
Island bei ihrer Pubertätsfeier tragen. Er wird ihnen paarweise in das über den Nacken fallende Haar
geflochten. — Sammler Jacobsen. K. Museum für Völkerkunde in Berlin.
Zucker, Weizen- und Maisbrot, Nüssen, gedörrten Pflaumen und einem mit < »chsen-
galle vermischten Zucker wasser.
Nachdem iMahlcschleirht jedes, in seine 1 »eckegehüllt, ohne Abschied davon. —
Härtere Aufgaben haben jene Mädchen, welche von ihren Eltern zu
Medizin-Weibern (Zauberinnen) bestimmt sind. Ihnen zu Ehren werden aber
auch heilige Tänze aufgeführt, und für jeden dieser Tänze darf sich das
Mädchen einen roten Tupfen ins Gesicht machen, ein überreicher Lohn nach
ihrer Auffassung (vgl. Kapitel III, 4). Diese Tupfen sichern ihr die Hoch-
achtung- ihrer Eltern und Altersgenossinnen und der ganzen Klasse der
Medizinmänner für die jungen Jahre und für das Alter zu.
Fühlt das Hupa-.Mädchen in Kalifornien den Zeitpunkt seiner Reife
herannahen, dann muß es, wo immer es sich aufhalte, den elterlichen Wigwam
§ 376. Pubertätsfeste d. w.-Geschlechtes. Ural-Altaien, Hyperboräer (Aleuten) u. Indianer. 749
aufsuchen. Bliebe die Tochter iu dieser Zeit fern, so gelte sie fortan als
Ausgestoßene, als Fremde.
Die 2. Auflage enthielt eine hier einschlägige Sage der Hupa, welche
diese Auffassung illustriert. Sie lautet: Nisli-Fang, ein Hupa-Hädchen, hatte
die Heimat ihres Vaters verlassen und lebte bei einer weißen Familie am
Eed River. Als Nish-Fang den Zeitpunkt kommen fühlte, welcher in der
Heimat festlich begangen wird, fastete sie drei Tage, und am Morgen des
vierten wanderte sie in Begleitung von Hupa-Mädchen. die sie abholten, dem
heimatlichen Tale zu. Eine lange, mühselige Wanderung über felsige Berg-
ketten, durch tiefe, zerklüftete Talschluchten und wilde einsame Wälder hatte
sie vor sich. Während der ganzen Reise, die sechs Tage in Anspruch nahm,
durfte kein Mann ihr Antlitz sehen;
wenn daher einer in ihre Nähe kam.
bedeckte sie sich das Gesicht mit den
Händen. Der Mann, welcher gewaltsam
ihr Gesicht enthüllt hätte, wäre sofort
dem Tode verfallen. So wanderte Nish-
Fang. nur von Wasser und Wurzeln
lebend, über brennende Felsen, deren
Pfade nur das Maultier erklimmt; sie
stieg hinab in die tiefen Stromtäler; sie
schritt durch die Wälder. Alssieschw ach
und müde wurde, stützten sie ihre Ge-
fährtinnen. Schon war die Höhe der
zweiten Bergkette erreicht, von wo ein
silberheller Quell zum Heimatstal fließt.
Hier rasteten die Mädchen bei der Quelle
und erfrischten sich durch das kühle
Wasser. Als sie von hier wieder auf-
brachen und vor sich die wilden Rosen
sahen und die flüsternden Blätter des
Manzanita, da war Nish-Fangs Kraft
erschöpft, und sie sank, mit den Händen
über den Augen, ohnmächtig auf den
Moosgrund. Da hoben die Gefährtinnen
sie auf und trugen sie in das sonnige
Trinity-Tal hinab, wo sie im Schatten
dünnblättriger Eichen erwachte, und die
Hupa um sie her den Jungferntanz (Kin-
Alktha) aufführten, und die alten Chor-
gesänge in ihr Ohr tönten. Der Älteste
des Stammes nahm sie bei der Hand, und Nish-Fang, das Mädchen, wurde unter
die Weiber des Stammes aufgenommen (Elcho, nach Powers).
Dieser „Kin-Alktha" oder Jungferntanz ist ein langes Fest. An neun
Abenden kommen die Männer zu diesem Tanze zusammen. Die Frauen nehmen
nur insofern Anteil an demselben, als sie ihn mit ihrem Gesang begleiten.
Das Mädchen darf unterdes kein Fleisch essen und sich vor keinem Manne
sehen lassen. In der zehnten Nacht versteckt es sich in einem Winkel der
Hütte. Es kommen dann zwei junge Männer und zwei alte Weiber aus ihrer
Verwandtschaft, um die Jungfrau zu suchen und hervorzuholen. Die jungen
Burschen stülpen sich eine Maske1) aus Leder und Schilf auf den Kopf, der
an den Seelöwen erinnert, und nehmen das Mädchen in ihre Mitte; rechts und
Fig. 4S9. Kopfring, welchen die Mädchen der
Klamat h-Indi auer bei ihrer ersten Menstruation
tragen. — Sammler Farrer. K. Museum für Völker-
kunde iu Berlin.
]) Über die Bedeutung der Masken siehe Sj 309.
751) Kapitel LVII. Pubertätsfeste exklusive Besehneidung.
links von ihnen stellen sich die alten Weiber auf. So treten die Fünf unter
die Versammlung. Das Mädchen schreitet zehnmal vorwärts und rückwärts,
erhebt die Hände zu den Schultern und singt. Das letzte Vorwärtsschreiten
endigt mit einem Hochsprung. Darauf begrüßt die Versammlung die Jungfrau
durch laute Zurufe, und die Zeremonie ist beendigt.
Auch die Wintun-Indianer, ein anderer kalifornischer Stamm, ver-
anstalten, wenn ein Mädchen in das Alter der Mannbarkeit (12.— 14. Lebens-
jahr) eintritt, einen großen Reifetanz, zu welchem die Bewohner aller umliegen-
den Dörfer eingeladen werden. Das Mädchen hat sich für das Fest in der
Weise vorzubereiten, daß es sich drei Tage vorher jeder animalischen Nahrung
enthält und nur von Eichelbrei lebt. Während dieser Fastenzeit ist sie aus
dem Lager verbannt und hat. allein, in einer entfernten Hütte zu leben. Todes-
strafe wird über den verhängt, der sie während dieser Zeit berührt, oder
es nur wagt, sich ihr zu nähern. Nach Ablauf der drei Tage nimmt sie eine
„geweihte" Suppe zu sich, die von den Früchten der „buckeye California"1)
in folgender Weise bereitet wird: Die Früchte werden erst eine geraume Zeil
unterirdisch geröstet, um das Gift auszuziehen; dann kocht man sie mittels
heißer Steine in einem Sandloch. Durch das Verzehren dieser Masse macht
sich das Mädchen würdig, an dem bevorstehenden Tanze teilzunehmen und
die Pflichten eines Weibes zu übernehmen. — Indessen erscheinen nach
und nach die eingeladenen Stämme. Sobald eine Ortschaft, oder die Deputa-
tion einer solchen, auf dem Gipfel eines Hügels erscheint, stellt sie sich in
einer langen Reihe auf und tanzt den Hügel hinunter und um den Lager-
platz, indem sie feurige, sinnliche Lieder dazu singt. Wenn alles versammelt
ist, was 2 — 3 Tage in Anspruch nimmt, dann vereinigt man sich zu dem
großen Tanze, der eigentlich nicht ein Tanz, sondern ein Rundgang um das
Dorf ist, zu welchem ununterbrochen im Chor gesungen wird. — Zum Schluß
nimmt der Häuptling das Mädchen bei der Hand und tanzt mit ihm die ganze
Reihe entlang, während die Gäste improvisierte Gesänge anstimmen. Solche
Gesänge haben keine feste Form, sondern wechseln mit der Veranlassung, für
welche sie gedichtet sind; doch hält alles den Takt genau ein. Die Über-
setzung eines solchen Gesanges lautet in der 2. Auflage:
..Du bist kein Mädchen mehr (wiederholt sich)
Der Häuptling, der Häuptling (wiederholt sich;
Ehret dich
In dem Tanz, in dem Tänz-
ln der langen und doppelten Linie
Des Tanzes.
Tiiuz, Tanz, Tanz. Tanz." —
Nicht immer sind aber die Gesänge so unschuldig und keusch, wie der
vorstehende, sondern so obscön werden sie manchmal, daß eine Publikation
derselben unmöglich sein würde, wie Ploß mit einem Hinweis auf Stephen
Powers schrieb. Das weibliche Geschlecht jedoch drücke keine ankeuschen
Gefühle uns.
An der Landenge von Darien durften die Töchter der Indianer beim
Eintritt ihrer Reife das Haus nicht verlassen, noch sich einem Fremden zeigen
{Lionel Wafer).
Feste beim Eintritt der weiblichen Reife erwähnte Waita von den
Tschibtschas (Chibchas), „fälschlich" *) auch Muiscas oder Mozcas genannt.
•lic in Neu-Granada, besonders in liogota und Tanja, lebten.
Die Reifefeier der Mädchen bei den Arrawak in Surinam beschrieb
i '. van Coli: Sobald die Zeichen der Reife erscheinen, wird das Mädchen von
') So bei Ploß 11 13 I
•', Nach Scobel
§ 37ti. Pubertätsfeste d. w. Geschlechtes. ITral-Altaien, Hyperboräer (Aleuten) u. Indianer. 7öl
allem Verkehr abgesondert. Man baut ihr innerhalb des Hauses ihrer Mutter
eine zwei Meter lange und breite Hütte aus Palmblättern, wo sie drei Wochen
lang mit ihrer Mutter in strengster Abgeschlossenheit leben muß. Nach Ab-
lauf dieser Zeit ist ihr bisweilen eine Unterredung mit anderen gestattet.
Mit der genannten Abgeschlossenheit ist eine Art geistiger Exerzitien ver-
bunden, insofern die Mutter den Tag mit einer ernsten Mahnung beginnt, die
Tochter möge nicht hochmütigen Sinnes werden, sondern jedem Höherstellenden,
besonders ihrem zukünftigen Manne, demütig gehorchen. Und wie der Tag
begonnen, so schließt er, d. h. vor dem Schlafengehen wiederholt die Mutter
ihre Ermahnung. Der Tag selbst wird mit Arbeit ausgefüllt. Das Härteste
für das Mädchen ist in dieser Zeit eine strenge Diät, da sie nur etwas Ge-
flügel, ein Stückchen Manihotbrot und dreimal am Tage, zu bestimmten Stunden,
etwas AVasser genießen darf. Eine Übertretung dieser Vorschriften hätte zur
Folge, daß später die monatliche Eeinigimg je eine ganze Woche dauern
würde, während sie bei pünktlicher Beobachtung mit einem oder zwei Tagen
vorüber sei. Und nicht genug damit, würde die der Übertretung Beschuldigte
aus ihrer Gemeinde ausgestoßen und vom göttlichen Strafgericht ereilt werden. —
Nach dreiwöchentlicher strenger Abgeschlossenheit folgt ein Fest, zu welchem
alle Dörflinge, auch entfernt lebende Bekannte, geladen werden. In Gegen-
wart der Gäste wiederholt die Mutter ihre oben erwähnten Mahnungen in
ernstem Tone, worauf die geschmückte Tochter eine Stunde lang, von 8 bis
9 Uhr früh, im ganzen Dorfe auf einem Tragsessel herumgetragen wird. Das
Fest dauert bis nachmittags vier Uhr.
Damit schließt der erste Teil der Reifezeremonien ab. Nun beginnt
der zweite: Das Mädchen muß einen weiteren Monat lang zurückgezogen
leben, doch ist ihr jetzt erlaubt, Besuche anzunehmen und auch mit ihnen zu
sprechen. Auch die Diät ist insofern gemildert, als das Mädchen kleines
Ketfügel und Fischschwänze (?) essen darf. Nach Verlauf dieses Monats gilt
die Jugend des Mädchens als gesetzmäßig abgeschlossen. Doch muß sie das
ganze folgende Jahr in Unterwürfigkeit zubringen. Nach Ablauf desselben
stellt sich ein Freier ein.
In Britisch-Guayana kündigen die Warrau-lndianer die Reife ihrer
Töchter dadurch an, daß man diese ihrer langen Haare beraubt. Dann folgt
ein Tanz, wobei das Mädchen mit Perlen und weißen Daunen verschiedener
Vögel geschmückt erscheint. Die Daunen sind mit einer Gummilösung an
dem glattgeschorenen Kopf, au den Armen und Schenkeln befestigt1).
Die Macusi, gleichfalls in Britisch-Guayana, sondern das zum ersten
Male menstruierende Mädchen als „unrein" von allem Umgang mit den Be-
wohnern der Hütte ab. Die Hängematte des Mädchens wird „in die äußerste
Kuppelspitze" der Hütte gehängt, wo die Ärmste dem ganzen Rauche, der
jetzt womöglich noch vermehrt wird, ausgesetzt ist. In den ersten Tagen
darf sie während des Tages die Hängematte nicht verlassen. Nachts aber
muß sie herunter kommen, sich an ein selbst angezündetes Feuer setzen und
die Nacht an diesem zubringen; sonst bekommt sie eine Menge schlimmer
Geschwüre am Halse, einen Kropf usw. So lange die heftigsten und auf-
fallenden Symptome des physischen Übergangs anhalten, bleibt sie dem
strengsten Fasten unterworfen. Haben die Schmerzen nachgelassen, dann darf sie
aus der Höhe herabsteigen und einen kleinen Verschlag beziehen, der unter-
dessen in dem dunkelsten Winkel der Hütte gemacht worden ist. Am Morgen
kann sie sich in einem eigenen Topfe, an einem besonderen Feuer, ihren
') Diese Daunen sind wohl gleichbedeutend mit Flaum, der bei mehreren nordameri-
kanischen Stämmen das Bild des Lebens ist (siehe Weygoldt im Archiv f. Anthropol. JJ. F. XJ,
S. 150). Siehe auch den weißen Flaum auf den Köpfen australischer Küsten stamme in § 380.
752 Kapitel LVII. Pubertätsfeste exklusive BeschneiduDg.
Kassavebrei kochen, der während der ganzen Absonderungszeit ihre einzige
Nahrung bildet, bis etwa nach 10 Tagen der Piay (Zauberer. Arzt) erscheint
und sie und alles, womit sie in Berührung kam. entzaubert, indem er das
Mädchen und die wertvolleren Sachen anbläst. Die von ihr gebrauchten
Töpfe und Trinkschalen werden zertrümmert, die Scherben begraben. — Noch
aber wartet des Mädchens eine schmerzhafte Probe. Nach der Rückkehr aus
dem ersten Bade muß es sich während der Nacht auf einen Steiu oder Stuhl
stellen, wo es von der Mutter mit dünnen Ruten gegeißelt wird, „ohne einen
Schmerzenslaut ausstoßen zu dürfen, der die Schläfer in der Hütte aufwecken
könnte, was ihr künftiges Wohl gefährden würde". — Bei der zweiten Periode
findet diese Geißelung abermals statt, später nicht mehr. — Das Mädchen
kann jetzt wieder unter den anderen Leuten erscheinen, ist rein, und, wenn es
bereits versprochen sein sollte, erscheint am folgenden Tage der Bräutigam
in der Hütte und führt die junge Braut heim.
Noch qualvoller war, was ehemals andere Karaiben-Stämme in
Britisch-Guayana über die Pubertätskandidatinnen verhängten. Dem Mädchen
wurden zuerst die Haare abgebrannt, dann wurde es auf eine Steinplatte
geführt, wo ihm der Zauberer mit den Nagezähnen des Dasyprocta1) zwei
tiefe Einschnitte längs des Rückens und von Schulter zu Schulter2) machte,
die er mit Pfeffer einrieb, ohne daß die Gequälte sich eine Schmerzens-
äußerung gestatten durfte3). Nach dieser Operation wurde sie, mit an den
Körper gebundenen Armen, in die Hängematte gelegt, und ihr ein Amulet aus
Zähnen umgehangen. Nachdem sie da drei Tage, ohne Speise und Trank,
und ohne ein Wort sprechen zu dürfen, gelegen hatte, wurde sie auf die erwähnte
Steinplatte getragen, wobei die Füße aber die Erde nicht berühren durften4).
Dann band man ihr die Arme los und brachte das Mädchen wieder in die
Hängematte, in der sie nun einen Monat zubringen mußte, ohne etwas anderes
zu sich zu nehmen, als ungekochte Wurzeln, Kassavebrot und Wasser. Am
Ende des Monats wiederholten sich die geschilderten Operationen, und ersi
nach Ablauf des dritten Monats war die Prüfung überstanden (ßchomburglc).
Die Goajiros, ein arrawakischer Stamm auf der nördlichen Halbinsel
von Columbia, schließen ihre Pubertätskandidatinnen 2 — 5 Monate in je eine
kleine Hütte ein, vermauern (?) die Türe und lassen nur ein altes Weib mit
dem .Mädchen, durch das Fenster, verkehren. — Nach der Dauer der Klausur
(coiimii richtet sich die Höhe des Kaufpreises (Reyel).
Mit großen Festlichkeiten feiern die Conibos am Ucayale in Peru die
Pubertät ihrer Töchter. Man spielt bei diesem Fest („cuenianabiqui") auf
neuen Flöten, und es ist ausnahmsweise erlaubt, daß Weiber und Männer
miteinander tanzen. Neben der fünflöcherigen Flöte erschallt die Trommel.
Die Kandidatinnen müssen sich toll und voll trinken, sich einen Tag und eine
Nacht vnn alten Weibern im Tanz drehen lassen, bis sie wie tut nieder-
sinken [Marcoy).
Die Ticunas bei San Paulo de Olivenza am Amazonas, nordwestliches
Brasilien, hängen ihre Töchter, wenn die ersten Zeichen der Reife auftreten,
unter das Hüttendach, wo sich der Rauchfang befindet.
Den gleichen Brauch haben die Maues (Mauhe) am Amazonas und die
Collina. Bates habe von einem Fall gehört, in welchem das Mädchen infolge
dieser Mißhandlung starb5).
\ _".ti. ein Nagetier.
i Kreuz?
Siehe die gleiche Marter der Männer in der Couvade der Karaiben, Kap. VII.
*) Vgl. die Pubertätskandidatinnen der Bafiote an der Loango-Küste (Jj .-17^).
B eh , oder dii Dunkelheit, oder die Isolierung, oder ob all
tuen mystische Bedeutung hat? Vgl, frühere Anmerkungen und § 3H9.
§ 376. Pubertätsfeste d. w. (^schlechtes. Ural-Altaieu, Hyperboräer i Aleuteni u. Indianer. 753
Koch-Grimberg beobachtete am Icaua und Caiary-Uaupes, Nebenflüsse
des Eio Negro, daß die Pubertätszeremonien bei Mädcheu mit Abschneiden
der Haare und mit dunkelblauer1) Bemalung- des Rückens eingeleitet wurden,
was die Mutter oder ein altes Weib übernahm. Die Handlung wurde im
Hause der Kandidatin vorgenommen, wo sich auch ihre Freundinnen ver-
sammelt hatten, die zum Schluß je eine Haarlocke als Kopfschmuck erhielten.
Die neue Jungfrau mußte sich während der folgenden vier Wochen mit
Maniok. Pfeffer, Maniuara-Ameisen und Maniok-Wasser begnügen. Manche
Stämme erlaubten indessen auch den Genuß kleiner Fische. Aber große Fische
und warmblütige Tiere waren ausnahmslos verboten. Nach Beendigung der
Fasten zählte der Vater des .Mädchens vor Sonnenaufgang- die Namen der
Früchte und Tiere, welche das Mädchen nun wieder essen durfte, in einem
langen eintönigen Gesang auf. Dann badete sie sich und stillte ihren Hunger
mit verschiedeneu Arten von Fisch, Fleisch und Geflügel, welches man ihr in
einem Topfe vorstellte. Ein Trinkgelage schloß die Feier.
Floß schrieb von den Uaupes (Waupes) in der zweiten Auflage'-): Die
Mädchen werden bei Eintritt der Pubertät auf eine kärgliche Kost beschränkt
und im oberen Teile der Hütte zurückgehalten, wo sie eine Emanzipations-
prüfung durch schwere Streiche mit schmiegsamen Ranken zu überstehen
haben. Sie empfangen von jedem Familiengliede und Freunde3) mehrere
Hiebe über den ganzen, nackten Leib, oft bis zur Ohnmacht, ja bis zum Tode.
Diese Exekution wird in sechsstündigen Zwischenräumen viermal wiederholt,
während sich die Angehörigen dem reichlichen Genüsse von Speisen und
Getränken überlassen, die zu Prüfende aber nur an den in die Schüsseln
getauchten Züchtigungsinstrumenten lecken darf. Hat sie die Prüfung über-
standen, so darf sie alles essen und wird als mannbar erklärt.
Einwickeln, Verwundung der Haut und Bemalen der Pubertätskandida-
tinnen teilte Floß4) von den Manäos5) und ihren Stammverwandten, sowie
von den Tamayos in Südbrasilien mit.
Im östlichen Ecuador fastet die angehende Jungfrau monatelang in ihrer
Hängematte im oberen Kaum der Hütte.
Die Toba, Zweige der Guaicurustämme im Grau Chaco, feiern den
Eintritt der Reife, bei einer Häuptlingstochter mit Schmausereien, die bisweilen
zwei bis drei Wocheu dauern sollen. Der ganze Stamm nimmt an dem Fest
teil. Im Laufe des folgenden Jahres muß die Jungfrau einen der Festteilnehmer
heiraten, den ihr ihre Eltern auswählen (Koeh-Grüriberg).
Festlich begehen diese Zeit auch die Kadiuevo, ein anderer Zweig der
Guaicuru, im westlichen Brasilien. Das Mädchen muß sich während dieser
Zeit gewisser Speisen enthalten. Früher war bei diesem Stamm der Eintritt
der Reife auch der Zeitmoment, in welchem das weibliche Geschlecht unter
gewissen Feierlichkeiten mit einem Dorne tätowiert wurde.
Das Muster bestand aus kleinen Quadraten auf Wangen und Kinu, auf
der Stirn in Linien von der Haargrenze bis zu den Augenbrauen. Die
heutigen Kadiuevo haben das Tätowieren ganz aufgegeben {Koch-Grünberg).
Absonderung der Pubertätskandidatinnen von ihren Eltern, Geschwistern
und Stammgenossen erwähnte Burmeister von den Coroados (Puri) im süd-
*) Bei den Käua traf Koch-Grünberg ein Mädchen, das zum Zeichen ihrer ersten Men-
struation den Kücken mit schwarzer Farbe überstrichen hatte. Die Haare waren kurz
geschnitten (Zwei Jahre I. 111).
2) II, 427.
3) Schon der Umstand, daß jedes Familienmitglied und jeder Freund die
PubertätskaDdidatin peitscht, weist eher auf die Bedeutung der Geißelung als Fruchtbar-
keitsritus hin. als auf eine Mutprobe. Näheres siehe § 369.
*) Ebenda.
6) Zwischen Rio Negro und Solimoes.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 48
754 Kapitel LVJ.I. Pubertätsfeste exklusive BesohneiduDg.
östlichen Brasilien. Die Mädchen sollen hier die Zeit ihrer ersten Menstruation
in einem Behälter (casca) aus Baumrinde zubringen. Nachher dürfen sie
heiraten.
Bei den Earaja am Schingu und Araguaya wird beiden Geschlechtern
mit Eintritt der Pubertät auf jede Wange ein Kreis, das Stammeszeichen,
eingeschnitten. Andere Zeremonien scheinen hier nicht stattzufinden (Koch-
Grwnberg und Fritz Krause).
Bei den Tapuya. einem Zweig der Ges an der brasilianischen Ostküste,
fand Johann Rabe um die Mitte des 17. Jahrhunderts folgenden Brauch: Die
Mutter meldete die eingetretene Reife ihrer Tochter den Priestern, die das
Ereignis dem Häuptling hinterbrachten. Hierauf führte man diesem das rot
angestrichene Mädchen mit bekränztem Haupte vor. Der Häuptling b e r ä acher te
sie und sich selbst mit Tabak und schoß einen Pfeil nach dem Kranze1) ab.
Traf er so, daß Blut floß, dann leckte er dieses ab. und das Mädchen hatte
Hoffnung auf ein langes Leben (Dapper).
Von den Indianern am La Plata teilte Antonio liids mit, daß man die
zum erstenmal Menstruierende in ihre Hängematte so einnähte, daß nur am
Mund eine kleine Öffnung zum Atemholen blieb.
In Paraguay pflegen sich einige Frauenzimmer zur Zeit der Reife zu
tätowieren, schrieb Ploß2). Bei dem darauffolgenden Fest berauschen sich
die Männer mit Branntwein oder Chicha.
Die Charuas und Minuanes malen den Reifekandidatinnen drei blaue
Streifen von der Stirne zur Nasenspitze, "zwei andere senkrecht über die
Schläfen.
Ähnlich verfahreu die Payaguas (von Azara).
Tätowierung der Pubertätskandidatinnen erwähnte ferner Dobrizhoffer
von den jetzt ausgestorbenen Abiponern, einem Zweig der Guaicuru8).
Bei den Tehttelchen (Patagonen) am Rio Chico wohnte Mus/er*
der Feier der ersten Menstruation eines Mädchens bei. Es wurde ein Fest-
zelt, aufgeschlagen und mit anbrechender Dämmerung ein Feuer angefacht,
um das sich Männer, Knaben und Weiber getrennt im Kreise lagerten. Hierauf
führten die Männer und Knaben zu je vieren Tänze auf. und zwar in der Reihen-
folge, daß die Häuptlinge zuerst und die Knaben zuletzt daran kamen. Die
Häuptlinge waren in wollenen Decken erschienen, warfen diese aber beim
Beginn eines rascheren Tempos ab und zeigten sich nun mit weißbeschmiertem
Körper. Gurte voller Glöckchen liefen ihnen von den Schultern zu den Höften
hinunter. Auf dem Kopf trugen sie Federschmuck und in der Hand zeitweilig
ein Bündel Binsen. Der Tanz, an dem kein Weib teilnehmen durfte, dauerte
bis gegen neun Uhr abends, worauf man zur Ruhe ging. — Auch Pferdeopfer
erwähnte Musters von der Pubertätsfeier der Patagonen.
') Über die vermutliche Bedeutung dieser drei Zeremonien siehe frühere Annieil.
und § 3(39.
2) II, 429, uach Detnersay.
3) Zwei andere Zweige dieser Yolkergruppe, die Toba und Kadiuevo, s. S. 7.">.-i.
Kapitel LVIII.
Pubertätsfeste exklusive Beschneidung (Fortsetzung
und Schluß}.
Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
§ 377. Indo-Eiiropäer.
Wenn im alten Indien der Sohn des Arja jenes Alter erreicht hatte,
mit welchem seine „Lehrjahre" l) begannen, dann rasierte man ihm den Kopf.
Später, d.h. im 16.— 18. Lebensjahr-), fand die zeremonielle Bartschur, Goda-
navidhi, statt, bei welcher (nach Avesta 6, 68) gewisse Formeln gesprochen
wurden. Ploß'3) zitierte daraus die folgende: „Savitar, der kam herbei mit
dem Barbiermesser; mit heißem Wasser tritt heran, o Vayu; die Adita, Rudra,
Yasu sollte ihn (den Bart) scheren: einträchtig scherte König Somas Bart,
einsichtsvoll!"
Auch im alten Griechenland fand mit dem Eintritt in das Epheben-
alter die erste Bartschur statt, welche feierlich vollzogen wurde4).
Diese Zeremonie erhielt, nach A. Franz, in der orientalischen christ-
lichen Kirche eine religiöse Weihe. Der Jüngling empfing, indem er den
Bartschmuck zum Teil ablegte, den Segen der Kirche für weiteres Gedeihen
zum vollen männlichen Alter. Die dabei verrichteten Gebete waren eine
Umschreibung des Psalmes 1336).
Auch bei den Römern war, nach Franz, die depositio barbae eine Zeremonie
beim Eintritt in das Mannesalter. Das abgeschnittene Barthaar wurde der Fortuna
Barbata, oder anderen Göttern geweiht, Die Feier kam wahrscheinlich aus
Griechenland, und zwar in der Kaiserzeit. Man bezeichnete den Akt mit
dem Ausdruck „barbatoriam facere". Die Sitte wurde volkstümlich und ging
dann auch hier auf die Christen über.
Diese weihten die Bartfiocken einem Heiligen. Als Beispiel führt Franz
den hl. Paulinus von Nola an, der sich seinen ersten Bart am Grabe des hl.
Felix abschnitt und ihn diesem opferte. In der mittelalterlichen Kirche gab
es eigene Gebete, welche bei der Bartschur von dem Priester verrichtet
') Vgl. S. 474 d. B.
2) Ploß (II. 448) bezeichnet diese Zeit als Eintritt der Mannbarkeit und als die der
Verheiratung des Jünglings direkt vorangehende Zeit (vgl. die Kinderheiraten im neuzeitlichen
Indien in Kap. LVI).
3) Ebenda. Xach H. Zimmer, Altindisches Leben, 222.
*) Kpheben, „Mannbare", hießen die Athener im Alter von 18 — 20 Jahren. Die Epheben
wurden als bürgerlich mündig erklärt und leisteten im Tempel der Aglauros in Athen den Fahnen-
und Bürgereid. An den Volksversammlungen durften sie aber noch nicht teilnehmen. —
Das Abschneiden und Opfern der Kopfhaare im Ephebenalter siehe S. 66 d. B., die spar-
tanische Geißelung auf S. 756.
*) S. f. S., Anm. 1.
48*
756 Kapitel LVIII. Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
wurden, der in Spanien die Schur selbst vornahm, oder, wie andernorts, nur
assistierte und den kirchlichen Segen erteilte. Eines dieser Gebete lautet
nach Franz: „Omnipotens sempiterne deus, benedic hanc t'anmlum tuum illiun.
qui tibi primitias suae ofEert iuuentutis. Effunde, domine. benedictionem tuam.
in caput barbamque eius transeat. sicut in barbam Aaron '). ut in eadem
benedictione in uia mandatorum tuorum ambulet et cum eadem ad summam
senectutem perueniat2)." — Nach dem Liber Ordinum von Silos habe der Priester
bei der Bartschur, welche am Schluß der Messe unter Antiphonengesang statt-
fand, nach langen Gebeten die Spitzen des Schnurr- und Kinnbartes mit
Wachs von einer geweihten Kerze gefaßt, sie durch einen goldenen Ring ge-
zogen und dann abgeschnitten.
Aus dem alten Sparta erwähnt II. Schürte den Brauch des Peitschens,
und zwar soll dieses hier zuweilen so ausgiebig geschehen sein, daß der
Betroffene daran starb. — Geißelungen am Altar der Artemis sind schon
auf S. 410 d. B. erwähnt worden. Die dort ausgesprochene Vermutung
Wachsmuts, daß diese später (?) als Abhärtungsmitte] aufgefaßte Geißelung
ursprünglich religiösen Charakter trug und vielleicht ehemalige Ofenscheuopfer
vertrat, dürfte im Hinblick auf die Geißelung bei den Pubertätsfesten so
vieler Völker wohl dahin modifiziert werden, daß sie eben auch hier ein
Kultakt im Dienste der apotheosierten Fruchtbarkeit war (siehe Einleitung,
§ 369).
Eine ältere Pubertätszeremonie, als die Bartschur, war in Koni das
feierliche Anlegen der Toga virilis. Diese Feier, tirocinium, fand, nach Böttiger*),
in der ältesten Zeit wahrscheinlich im 16., später im 15. Lebensjahre statt,
wenn der Vater des Jünglings diesen üblichen Termin nicht hinausschob, was
gestattet war4). Der für die Feier bestimmte Tag waren die Liberalia, der
16. März. Da wurde im Hause den Laren geopfert, wo der Knabe seine
Bulla und die übrigen Insignia puerilia (Zeichen seiner Knabenschaft) ablegte.
Er trug dabei die Tunica recta oder regilla. Die ihm angelegte Toga virilis
hieß, auch Toga pura oder libera. Dann zog mau mit Freunden zum Forum,
opferte auf dem Käpitol, und nunmehr konnte der Jüngling in das öffentliche
Leben eintreten.
Die Fähigkeit zum Kriegsdienst erlangte der Römer mit dem 17. Jahre,
während der Germane durch die Jünglingsweihe auch schon in das Heer
aufgenommen wurde, wie in neuester Zeit (1910) Richard M. Meyer schreibt.
Ploß hatte hierüber folgendes ausgeführt6):
Unsere Vorfahren, die Germanen, übergaben den herangewachsenen, reifen
Jünglingen als Zeichen der Manneswürde die Waffen, die sie von da an auch
fort und fort zu tragen berechtigt waren; denn die Germanen verhandelten,
wie Tut Uns berichtet, keine Sache, weder eine öffentliche noch private, anders
als in Wehr und Wallen. Selche aber durfte keiner anlegen, bevor nichl die
Gemeinde ihn für wehrhaft erklärt hatte: „Dann schmückt in öffentlicher
Versammlung entweder ein Häuptling, oder der Vater, oder ein Verwandter
den Jüngling mit Schild und Frame8): das ist ihre Toga, das der Jugend
erste Ehrenstufe, bis dahin war er Glied des Hauses; nunmehr gehörl er zu
den Wehrhaften."
i Pa L33, 2: „Siehe: wie schön und wie lieblich ist's, daß Brüder beieinander wohnen!
Wie das kostbarste Salböl auf dem Haupte, das herabfließt auf den Hart, den Hart Aarons,
der berabhängl bis auf den Saum seiner Kleider."
Franz zitiert hier, unter anderem, .Manual Ambros. II. 497.
3) Bei Ploß II, 447.
4 1 Nach Ploß. ebenda, bestimmte Justitium das 14. Jahr als (gesetzlich geltenden)
rmin, nachdem dieser in der Kaiserzeit viel umstritten worden war.
8) II. 448 f.
6j Ein langschäftiger Speer, Bauptwaffe der alten Germanen.
§ 378. Semiten und Bannten. 757
Zeremonielle Schur des Kopfhaars und des Bartes berichtete Tacitus
von den Chatten, welche hier aber nicht, wie bei den Indern, Griechen,
Römern und christlichen Völkern des Morgen- und Abendlandes, mit Eintritt
der Eeife stattfand. Im Gegenteil ließ dieser germanische Stamm Bart und
Haupthaar mit dem Eintritt der Reife wachsen. Hatten sie dann einen Feind
erschlagen, so legten sie diesen der Tapferkeit geweihten Schmuck ihres
Antlitzes ab ').
Ein bestimmtes Alter für die Erkläruug der Wehrhaftigkeit gab es, nach
(nimm, bei den Germanen nicht, sondern man wählte den Zeitpunkt je nach
der Körperkraft des Kandidaten. In den „Weisthümern" heiße es, „daß
Alles, was Spieß und Stangen tragen mag2), Heerfolge thun muß". Der mündige
Bauernjunge trug einen Stab, der oben und unten mit Ring und Stachel ver-
sehen war.
Die "Wehrhaftmachung der alten Germanen lebte im 12. und 13. Jahr-
hundert mit dem Ritterschlag (Swertleite)3), allerdings bedeutend modifiziert,
wieder auf. Bekanntlich ward dieser Ritterschlag aber nur einem bevor-
zugten Teil der Bevölkerung zuteil.
Einen Überrest vermutlicher Jünglingsprüfungen unter den Germanen
glaubte PJoß in dem folgenden Brauch der Angelsachsen in Altengland
zu sehen: Man setzte die Knaben auf das abschüssige Hausdach. Hielten sie
sich ohne abzurutschen, dann galten sie als kräftig und mutig (S. Forsyth).
§ 378. Semiten und Hauiiteu.
Bei den Juden trägt die Pubertätsfeier vor allem einen religiösen
Charakter, d.h. man legt dem ] 3jährigen Knaben die Gebetriemen (Jephillin)
an. Es sind das Pergamentkapseln an Lederriemen, welche der über 13 Jahre
alte Israelite beim Gebet an der Stirn und am linken Arm trägt. In den
Kapseln sind Pergamentstreifen mit den Stellen 2. Mos. 13, 3 — 10 und 11—16;
5. Mos. ö, 5 — 9 und 11. 13 — 21, als Hauptinhalt des Gesetzes. Schon zu Jesu
Zeit trugen die Juden diese Pergamentstreifen, bei Matth. 23, 5 als tpuXax-T,pia
erwähnt, an der Stirn und am linken Arm, als symbolische Ausführung von
5. Mos. 6, 8, bzw. 2. Mos. 13. 9 und 10: „Und es sei dir ein Zeichen auf
deiner Hand, und ein Denkband zwischen deinen Augen, damit das Gesetz
Jehovas in deinem Munde sei; denn mit starker Hand hat Jehova dich aus
Ägypten geführt."
Von der ersten feierlichen Anlegung dieser Tephillin an ist der junge
Israelit ein Mitglied der Gemeinde, speziell auch, wie Kaindl über diese
Zeremonie bei den Juden der Bukowina bemerkt, ein vollgültiges Mitglied
der mindestens aus 1<> Männern bestehenden Betgemeinde, welche in der
Synagoge gegenwärtig sein muß, um die vorgeschriebenen gemeinsamen Gebete
verrichten zu können. Von jetzt an wird der Knabe auch zur Thora gerufen,
d. h. er muß bei den Gebetsübungen den entsprechenden Abschnitt aus dem
Gesetz vorlesen. — In der Bukowina, und wohl auch andernorts, fällt die
Zeit der Anlegung der Gebetriemen mit der Entlassung des Knaben aus der
Schule zusammen, und man veranstaltet für jene Zeremonie ein Fest, an
welchem der Lehrer den Kuaben über das Anlegen der Riemen (und wohl
vor allem über die Bedeutung dieser) unterweist. Vou jetzt an gilt der
') Vgl. die Bedeutung der Haaj'schur bzw. das Haar als Symbol des Lebens bei einer
Keine von Völkern in Kap. XXXV, sowie meinen Erklärungsversuch betreffs gewisser Völker
in § 369.
9) Das Mögen ist hier wohl als Können aufzufassen.
3i Schwertübernahme. Wie die Wehrhaftmachung der alten Germanen, so verlieh die
Schwertübernahme im (romantischen) Rittertum die Mündigkeit.
758
Kapitel LV1I1. Piibertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
junge Israelite für seine Handlungen als selbstverantwortlich, während bisher
sein Vater die Verantwortung trug, wie Weisseriberg schreibt, indem er die
erwähnte Zeremonie als Mannbarkeitserklärung im religiösen Sinne
von den südrussischen Juden erwähnt. Hier bereitet oft der „Rebe" den
Kandidaten zu einem Vortrag vor, welcher am Abend des Festtages gehalten
wird. Ein Schmaus und eine Beschenkung des nun zum
Mann Erklärten bilden den Abschluß der Feier ' i.
In Futä Djallon, französischer Sudan, geben
die Fulbe, der südwestlichste Zweig der hamitischen
Völkerfamilie, ihren mannbar gewordenen Söhnen das
Hüftkleid. Diese Zeremonie findet einen Monat nach
der Beschneidung statt. Von jetzt an gelten die
jungen Leute für kämpf- und heiratsfähig (H. Schwte), —
i
§ 379. Sudan- und Bantuvölker, Auin-Busclileute.
Die Donga in Kamerun tätowieren ihre jungen
Burschen im Pubertätsalter mit einer spitzen Eisen-
nadel, wobei ein Gemisch von Kohle und Farbstoff
zur Anwendung gebracht wird (Sans Ziemann).
1 »aß in Y au ndttv Kamerun, das Sexuelle eine Rolle
bei der Mannbarkeitserklärung spielt, geht aus Ab-
bildung 4!iD hervor'-').
Als symbolische Darstellung des Übergangs vom
„Jüngling zum .Mann- führte Ploßs) die folgenden
Zeremonien an, welche Oskar Lenz im Jahre 1876 bei
den westafrikanischen Ok an de -Negern beobachtete:
Junge „Künstler", in zwei feindlichen Parteien von
je Lud Köpfen, führten einen Scheinkampf auf. Zwischen
ihnen und den Zuschauern waren 30 junge Burschen
aufgestellt. Nach der Beendigung des Kampfes um-
ringte ein Teil der Krieger jene dreißig Neophyten,
packte sie an Händen und Armen und schleppte sie
in den Wald, wo sich die dreißig mit Laubwerk
schmückten4) und Gesicht und Oberkörper schwärzten.
Dann wurden sie in den Kreis der Krieger auf-
genommen. — Eingeborne sagten Lenz, diese Neuauf-
genommenen hätten nie zuvor einen derartigen „Kriegs-
tanz und die darauf bezüglichen religiösen Zeremonien"
gesehen.
Bei den Fjort im französischen Kongo lassen
reiche Leute zur Pubertätsfeier ihrer Söhne nach der
Bescbneidung einen Tanz aufführen (Dennef).
Ovambo, Mambukuschu, Barutse, Batoka und
Maschukulumbwe linden zur Pubertätszeit Zahnfeilung und Zahnansbrechen
für beide Geschlechter statt. Mit diesen Operationen ist eine religiöse P'eier
Fig. 490. Penisfutteral aus
^ ii ii n il •• , k B in i' r il n , wah-
rend der Mannbarkeitserklä-
rung getragen. Im Museum
fiir Völkerkunde in Leipzig.
Bei den Herero,
'i Die Beschneidung bei musclmanischeD Völkern semitischer und anderer Kassen
um die Zeil des Reifeeintritts siehe Kap. XXXVIII.
■'i Vgl. die Initiationszeremonien der Bambara. Kap. XLVIII; ferner die der
Schilluk, Go Iah, Vau und Uendi (für beide Geschlechter) in Kap. LYII.
3i II. 140. — I'hß meinir wohl den Übergang muh Knaben- zum llannesalter, da
er ä Sei ien in seinem Kapitel „Abschluß der Kinderjahre-' anführt.
'i Vgl. das in früheren Kapiteln über den Baumkult Gesagte, z. B. in den Kap. XXW [II,
XI. II und XI. III: auch Kap. III u. a.
§ 379. Sudan- und Bantuvölker, Auin-Buschleute. 759
verbunden. Die durch die Operation entstandenen Zahnlücken und zugefeilten
Zähne gelten als Stammeszeichen, wie Siegfried Passarge bemerkt.
Plo/s1) beschrieb eine als „Seccho" bezeichnete Zeremonie, unter welcher
bei mehreren Kaffernstämmen die Knaben um ihre Reifezeit herum unter
die Männer aufgenommen werden, wie folgt: Die zirka 14jährigen Burschen
werden in einer Reihe aufgestellt; jeder hat ein Paar Sandalen in den Händen;
die älteren Leute, mit langen Ruten oder Gerten bewaffnet, stellen sich vor
ihnen auf. bzw. schwingen die Ruten springend und tanzend. „Willst du den
Häuptling schützen?" fragen die Tänzer eiuen Knaben. „Ich will," antwortet
dieser und erhält gleich darauf Rutenhiebe, gegen die er sich mit seinen, als
Schild gebrauchten, Sandalen zu schützen sucht, die ihm aber doch blutige
Streifen auf dem Rücken zurücklassen. Er springt grinsend umher, darf sich
aber nicht zurückziehen. .Dann folgt die zweite Frage: „Willst du das Vieh
hüten?" — ...Ja." — Und abermals fallen Rutenhiebe auf seinen Rücken
nieder. — Nach Überstehung dieser Probe fühlt sich der junge Kaffer als
Mann und gilt als solcher; ohne sie würde er nie von einem KaiTernmädchen
geliebt werden.
Bei deu Betschuanen'-') fand Livingstone das ..Boguera", eine Ein-
richtung, welche die männliche Jugend beim Herannahen ihrer Reife durch
eine strenge Disziplin an die Familie des Häuptlings fesseln soll. Man
bestimmt die Knaben im Alter von 10 — 15 Jahren zu Lebensgefährten der
Häuptlingssöhne. Zunächst haben sie sich an einem bestimmten Ort im
Walde zu versammeln, wo ihnen Unterkunftshütten errichtet werden. Dann
kommt ein alter Mann, ihr Lehrer, der sie im Tanzen und in der Politik
und Verwaltung ihres Landes unterweist8). Jeder Kandidat muß eine Lob-
rede auf sich ausdenken und halten. Dazu sei ein guter Teil Schläge nötig.
Wenigstens kommen die Knaben mit zahlreichen Narben auf dem Rücken
aus ihrer Abgeschiedenheit zurück. Wer bei der Rückkehr am schnellsten
laufen kann, erhält einen Preis. — Von jetzt au befolgen diese jungen Kaffern
die Anordnungen ihres jugendlichen Oberhauptes, führen unter sich ein Leben
der Gleichheit und des teilweisen Kommunismus und nennen sich Molekane
(Kameraden).
• Unter den Basutos, einem Zweig der Betschuanen, findet das Fest
der Mannbarkeitserklärung, die Koma, bei großen Stämmen jährlich, bei
kleineren alle zwei oder drei Jahre statt, und währt vom Mai oder Juni bis
in den August. Zunächst wird ein angesehener Zauberer ersucht, die Koma
zu leiten. Dieser wählt einen verborgenen Platz im Felde oder im Gebüsch
aus und feit ihn durch Zaubermedizin gegen auswärtige und einheimische,
neidische Zauberer. Dann wird der Platz mit Dorngebüsch umzäunt. Aber
auch schon in einiger Entfernung von dem Hain wird Dorngebüsch aus-
gestreut, um jede Annäherung Unberufener fernzuhalten. Zugleich werden
andere Haine mit solchen Dornhaufen umgeben; denn der Ort der Koma muß
bis zu ihrem Beginn geheim gehalten werden. Wer den Platz unbefugter-
weise betritt, wird jämmerlich zugerichtet und eventuell getötet.
Ist der Platz eingezäunt, so schneiden sich die schon (früher) für mündig
erklärten jungen Burschen eine Anzahl langer Ruten von der Dicke eines
Fingers und der Länge eines Menschen4). Eine solche Rute wird in das
») II, 442 f.
2) Vgl. einen Zweig der Betschuanen, die Basutos, w. u.
3) Daß Tanz, Politik und Verwaltung die einzigen Lehrgegenstände bilden, ist nach
< 1 f • 1 1 1 I'ubertätsunterricht der oben folgenden Basutos und anderer Völker, sowie nach
Kap. XXXVIII, nicht wahrscheinlich.
4) Über diese menschenlangen Ruten siehe auch die Einleitung zu diesem und dem
vorigen Kapitel.
760 Kapitel LVIII. Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
Strohdach eines jeden Hauses ') gesteckt, in welchem sich die jungen Leute
befinden, die der Koma unterworfen werden sollen.
Nachdem alles vorbereitet worden, macht man den Platz bekannt, damit
die Mütter und die erwachsenen Mädchen wissen, wohin sie während dieser
Monate das für die Kandidaten, Zauberdoktoren. Häuptlinge und übrigen
Teilnehmer bestimmte Essen bringen sollen. Die Koma selbst beginnt mit
einer Beichte der Pubertätskandidaten. Die dabei zutage tretenden Ver-
gehen werden durch harte Züchtigung geahndet. Sodann macht ein großer
Topf voll Zaubermedizin die Runde, wovon jeder trinken muß. Wer die
Wahrheit gesagt hat, dem soll die Medizin nicht schaden, während der Lügner
bald furchtbare Schmerzen empfindet und schließlich tot zu Boden stürzt,
wie glaubwürdige Eingeborne dem Missionar Chr. Stech wiederholt, als Augen-
zeugen, versicherten. Ploß-) fügte hinzu: „Es hängt das natürlich so zusammen,
daß der Zauberdoktor und der Häuptling in solchen Fällen wußten, daß sie
einen Lügner vor sich hatten, und ihm so oder so Gift einflößten."
Nun folgt die Beschneidung3) und die Aufnahme unter die Erwachsenen,
und dann beginnen neue Quälereien. Die Härtesten kommen am besten weg:
denn wer schreit, wird gequält, bis er verstummt, oder zu den Schmerzen
lacht. Jeder Mündige hat das Recht, sein Mütchen an den Opfern der Koma
zu kühlen und sie nach Lust mit langen Ruten zu schlagen. Dann bekommen
die Kandidaten selbst Ruten in die Hände, mit denen sie sich gegenseitig
den Rücken zerfleischen müssen. Man peinigt sie auch sonst auf verschiedene
Weise, hält sie über Feuer usw. Viele erliegen den Qualen, aber die Mütter
und Schwestern bringen nach wie vor das Esseu für sie, und erst nach
Monaten, wenn die Koma zu Ende ist, erfahren sie, daß ihr Liebling nicht
wiederkehrt. ,.Die Koma hat ihn gefressen", heißt es dann. Versuche, diesen
Martern zu entfliehen, werden mit dem Tod bestraft.
All das geht unter Tanz, Trommelschlag und weithin schallenden Ge-
sängen, unter dem Essen und Trinken der Festgäste vor sich.
Gegen Ende des letzten Monats unterweist man die jungen Leute in
den Namen der Götter und in anderen Mysterien, wobei man ihnen das Ver-
sprechen abnimmt, daß sie nichts davon vergessen wollen.
Schließlich findet eine gemeinsame Jagd statt, an der sich der Häuptling
beteiligt. Die Mannbargewordenen erscheinen dabei weiß oder grau gefärbt.
Dann geht es. in die Hauptstadt, wo der Häuptling die jungen Leute beider
Geschlechter als seine Kinder, als „wahre Männer, bzw- Männinnen" begrüß
und ihnen neue Namen gibt4). Hiermit sind sie (öffentlich ?)5) als Erwachsene
erklärt. - Die mit der Pubertätsfeier verbundene Beschneidung der Basutos
siehe S. 18a f. d. B. —
Als das wesentlichste Moment der Pubertätsfeier bei den deutsch-ost-
afrikanischen Yao (Wayao) und Makua wurde .!ie Beschneidung gleichfalls
schon früher (S. 176 — 180) geschildert. - Hier möge noch folgendes erwähnt
winden: Beim Beginn der Feier (Unyago) rasiert man den Knaben das Kopf-
haar6), Eine zweite, teilweise, Schur findet am Schluß des Unyago statt.
Bis dahin ist das Haar wieder etwas gewachsen, und nun schneidet
man oberhalb der Stirn einen Halbkreis heraus. — Auf diese zweite Schur
') Augenscheinlich sind liier die im Wald errichteten Hütten gemeint.
■') JI, 445.
•) Siehe Kap. XXXY1II.
') Vgl. die Erneuerung der Namengebung bei der Beschneidung, Kap. XXXVIII,
andern Lebensabschnitten in früheren Kapiteln. Offenbar ba( auch die obige Erteilung
eines neuen Namens die Bedeutung, daß jetzt ein neuer Lebensabschnitt beginnt.
■ Die Aufnahme unter die Erwachsenen s. o.
"Im .■ \nmerkung über die Bedeutung der Namengebung gilt mutatis nnitumi'*
auch für die II aa rsuh a r.
§ 379. Sudan- und Bantuvölker. Auin-Buschleute.
761
folgt ein Unterricht über Anstandsregeln, Sexnalia usw., und schließlich stattet
man den neuen Mann mit schönen Kleidern aus und gießt ihm so reichlich Öl1)
über den Kopf, daß der ganze Körper davon trieft. Dann führt man ihn, bzw.
alle mündig Erklärten, in das Dorf, wo sie von ihren Müttern und Verwandten
mit Jubel begrüßt und zu Festtänzen herangezogen werden (Wehrmeister).
Unyago- oder Manyago-Tänze haben auch die Suaheli für beide Ge-
schlechter, obgleich deren Keifefeier verschiedene muselmanische Züge trägt,.
Fig. 491. Deutsch-Ostaf likanische Jünglinge. — Von deu Benediktiner-Missionaren in St. Ottilien.
wie A. Werner mitteilt. Zu diesen Tänzen wird eine Puppe aus Gras und
Laub gemacht, welche durch einen darunter verborgenen Tänzer in Bewegung
versetzt wird, „um die Knaben zu erschrecken"2), wie Werner beifügt.
') Über die mystische Bedeutung des < )ls bei verschiedenen Völkern siehe frühere Kapitel.
2) Dieser Zweck ist meines Erachtens auch hier nicht der einzige. Vgl. die Laubmännchen,
den Baum usw. als Symbole der Fruchtbarkeit, des menschlichen Lebens usw. in früheren
Kapiteln, z. B. Kap. XLII und XL1I1. Bei., den Suaheli haben wir wohl außerdem die
Maske eines Fruchtbarkeitsdänions. Über die Bedeutung der Masken siehe Ein-
leitung zu diesem und dem vorigen Kapitel.
yg2 Kapitel LVIII. Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
Bei den Auin-Buschleuten vereinigen sich zirka 14 — 16 Pubertäts-
kandidaten aus benachbarten Werften, um gemeinsam mit einem „Doktor" in
den Busch zu ziehen. Hier leben sie einige Wochen von Feldkost, werden
in ,.geheimen Dingen" unterwiesen, und tanzen. Einen dieser Tänze schilderte
man dem Leutnant Hans Kaufmann als eine Art Huckepack-Tragen. wobei
der Träger und der Getragene ein möglichst schauerliches ,.Hu, hu" aus-
stoßen. Auch treiben die Kandidaten nachts in den benachbarten Werften
allen möglichen Schabernack, entwenden Nahrungsmittel und spielen Gespeuster ').
Im übrigen sei ihre Behandlung in dieser Zeit eine üble. — Daß die obigen
Unterweisungen in „geheimen Dingen" sich nicht auf das Geschlechtsleben
beziehen, wie ein Auin Kaufmann versicherte, ist zum mindesten zweifelhaft,
wenn man die mit der weiblichen Geschlechtsreife verbundenen Zeremonien
der Auin (§ 373) und die Keifefeier der weitaus meisten Völker vergleicht.
§ 380. Malayisch-polyuesische Völker.
Bei den Batak im Innern von Sumatra fand Frhr. J. von Brenner
eine ganz ähnliche, Form der Pubertätsfeier, wie wir sie bereits von afrikanischen
Völkern her kennen, d. h. Zahnoperationen. Beide Geschlechter werden diesen
< »perationen unterworfen. Der Zweck soll ein ästhetischer sein. (Näheres
hierüber s. S. 121 d. B.)
Im nördlichsten Teil von Sumatra, in Atjeh, ist bei den dortigen
Malayen das Abfeilen der Zähne zur Zeit der Pubertät gleichfalls gebräuchlich.
Es gilt auch hier als Verschönerungsmittel (Moor).
Ferner schleifen die Orang Mamma, Jäger und Fischer auf Sumatra,
den Kindern in der Pubertätszeit die oberen Schneidezähne, und zwar bis zum
Zahnfleisch, ab. Dann lackieren sie die Zahnstummel und die übrigen Zahne
mit dem Saft einer Ficusart schwarz. Bei den Kubu in Süd-Sumatra, welche
Felix Spi iser mit den Orang Mamma auf ungefähr die gleiche Kulturstufe
stellt, hat dieser Brauch nicht Eingang gefunden'-).
Die Nikobaresen, Malayen im bengalischen Golf, schwärzen ihre Zähne
vom Pubertätsalter an. Nähme ein Weib die Huldigung eines Mannes an.
der diese „Verschönerung" nicht besitzt, so würde sie verachtet. Weiße
Zähne vergleicht man dort mit den Zähnen eines Hundes oder Schweines
i Riehard Lasch, nach E. H. Man).
Die Orang Temia auf Malakka verbinden mit der Aufnahme in die Männer-
gemeinschaft Namenwechsel, Inspektion physischer Tauglichkeit und Heirat.
Ohne auf die von Stevens-Stönner hierüber mitgeteilten Einzelheiten einzugehen,
diene hier nur zur Kenntnis, daß die den Kindes- bzw. Knabennameu
tragende Kopfbinde bei der Aufnahme in die Männergemeinschafl
sorgfältig begraben wird, wählend das Mädchen seinen Namen im geheimen
behält; doch darf dieser in der Zukunft von niemandem, auch nicht von der
Trägerin selbst, ausgesprochen werden, es müßte denn sein, daß sie ihren
Mann überlebte. Ihre Kopfbinde mit ihrem Mädchennamen wird in der
Hütte des Zauberers aufgehängt, damit sie ihr als Witwe wieder aus-
gehändigt, und sie dann wieder bei ihrem Mädchennamen genannt werde. In
Ehe trägl sie eine Binde mit einem Namen, der ihr als Traumoffenbarung
eines Zauberers am Hochzeitstag gegeben worden war. Dieser Tag ist zugleich
1 Siegfried Passarge erwähnt die Rolle der Jugend zur Pubertätszeit, die Ahnen-
geister im Husch zu repräsentieren, von verschiedenen südafrikanischen Stämmen und
bezeichnet das als „ Kaffer nschule". Dieses Geisterspiel ist aber nur ein Teil dessen, was im
Husch gelehrl wird, wie das vorliegende und das vorige Kapitel zeigen.
2) Die Beschneidung auf Sumatra siehe S. 194 f. d. B.
§ 380. Malayisch-polynesische Völker. 7(53
der Tag der Aufnahme ihres Gatten in den Männerbund. — Demnach gibt
es hier eigene Namen für die Verheirateten, und nur diese scheinen
vollgültige Männer und "Weiber zu sein.
Auf Formosa sondern die „Wildenstämme" Pyuma und Amis ihre
Reifekandidaten zur Vorbereitung von ihren Eltern ab und stellen sie in einer
Hütte unter strenge Aufsicht. Frauen dürfen sich einem solchen Hause nicht
nähern. Der Mündigkeitserklärung geht eine Art „Ritterschlag- voraus, wie
W. Müller schreibt, Der Schlag, vom Häuptling mit einem Bambusstab1)
ausgeführt, wird hier allerdings auf den Hintern gegeben und dürfte gleich-
falls mit den den Pubertäts- bzw. Initiationskandidaten anderer Völker versetzten
Schlägen mit Peitschen. Ruten u. a, m. Verwandtschaft haben, wenn es andererseits
ausgeschlossen ist, daß selbst der mittelalterliche Ritterschlag im Zusammenhang
mit den entsprechenden Pubertäts- bzw. Mannbarkeitszeremonien steht (vgl.
die Prüfungen im Inkareich, §382). Bei den Ataiyal auf Formosa findet
die Mündigkeitserklärung nach Erbeutung des ersten Kopfes statt-).
Der junge Alfur auf Seram. Niederländisch-Indien. legt beim Eintritt
der Pubertät einen weißen Gürtel aus Baumbast (djidako) an. Dann hängt
sein Vater seinem eigenen Namen den des zum Mann gereiften Sohnes an3).
Heißt z. B. der Sohn Teleamie und der Vater Sapialeh, dann lautet der Name
des letzteren von nun an Sapialeh-Teleamie-amay. Wird ein zweiter Sohn
mannbar, der etwa Karapupuleh heißt, dann lautet der Name des Vaters in
Zukunft Sapialeh-Teleamie-Karapupuleh-amay usw. Je länger daher der Name
eines Mannes, desto höher das Ansehen; denn der Name weist auf. wie viele
wehrbare Söhne dem Stamm geliefert wurden (Schulze).
Die AI füren oder Wuka4) im Hinterland des Mac-Cluer-Golfes.
Holländisch-Neuguinea, sperren ihre Knaben vor der Mannbarkeits-
erklärung mehrere Monate in das Rumsram (Versammlungshaus), wo die
Knaben nicht einmal von ihren Vätern besucht werden dürfen. Eine alte
Frau billigt ihnen Nahrung und sorgt für die Wahrung ihrer Abgeschlossen-
heit, — Die Knaben sind tabu5) (M. Krieger).
Die Noefoor-Papua schicken ihre Söhne, wenn diese ungefähr im
12. Lebensjahr stehen, auf Reistn nach einer fernen Insel, von wo sie nach
etwa einem Monat zurückkehren. Nun wird ein großes Fest veranstaltet, zu
welchem ganze Kähne voll Vorrat herbeigeschafft werden. Da gibt es Reis,
Sagobrei. Bohnen, Potatoes, gebratene Bananen. Zuckerrohr u. a. m. Auch soll,
wenn möglich, der Palmwein nicht fehlen. Getanzt wird nicht, aber ge-
sungen. — Der Held des Festes wird gebadet, erhält einen Maar und wird
dann von einer Menge Frauen auf den dazu ausgebreiteten Messingschüsseln (?)
umhergeführt. Danach bekommt er einen neuen Namen, wobei zwei- bis
dreimal über den Kopf des Knaben mit einem Gewehr geschossen wird, um
dem Feste mehr Weihe zu geben (./. B. von Hasselt6).
') Vgl. die Schläge mit einem ..sehr saftreichen" Bananenstamm auf Karesau f. S.
s) Xach Erbeutung des ersten Kopfes erhalt der junge Mann sowohl bei den
Ataiyal, als auch bei den Pyurua, Paiwan und Tsarisen (alles .„wilde Stämme" mit
malayischer Sprache auf Formosa) den ersten Strich der landesüblichen tätowierten Figur
(senkrechte Striche auf Stirne und Kinn). — Vgl. Samoa. — Söhne hervorragender Jlänner
erhalten ihn bisweilen früher ( 11'. Müller).
3) Ahnliche Erscheinungen bei andern Völkern sind bereits in den Kapiteln über
X'amengebung, Bd. I, erwähnt worden. Siehe ferner die Annamiten in §381.
4) Xach M. Krieger zur Papua-Rasse gehörig.
b) Als ..tabu" gelten auch die isolierten Wöchnerinnen bei manchen Völkern (siehe
Kap. XXI). Obiges dürfte abermals vor der Verallgemeinerung der gebräuchlichen Auf-
fassung isolierter Weiber als ..unrein"' warnen (Näheres siehe t; 369).
«) Bei Ploß II, 423 f.
7ß4 Kapitel LVI1I. Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
In Britisch-Neuguinea müssen sich die 14— 15jährigen Pubertäts-
kandidaten auf einige Zeit in den Busch zurückziehen und durch Jagd und
andere Geschicklichkeit auf eigene Faust leben, wobei sie das Eigentumsrecht
der älteren Dorfbewohner nicht immer strenge wahren sollen. Während des
Reifefestes müssen alle Weiber und Kinder das Dorf verlassen1). Im Elama-
und Xama-Bezirk bereiten sie sich, wie die Wuka (v. S.), durch Ab-
geschiedenheit in den Versammlungshäusern (Elamo, Marea, Dubu) vor. Die
Motu-Motu schneiden den Burschen vor ihrem Eintritt in diese Häuser die
Haare ganz kurz ab und lassen sie erst heraus, wenn die Haare wieder lang
gewachsen sind, worauf man sie feierlich dem Dorfe zeigt. - - Schweineopfer
dürfen bei dieser Feier nicht fehlen. — Die Elama verbinden mit diesem
Tage die Enthüllung des Götzen Semese oder Hiovaki für die Mannbar-
gewordenen. Dieser Götze gilt als Begründer der Versammlungshäuser, die
ihm alle heilig sind. Er wird besonders von den Elama-Leuten hoch vereint. -
Nach Anlegung der Schambinde gelten die Burschen für Erwachsene.
Bei den Stämmen des Merauke-Flusses reiben sich die Kandidaten für
die Jünglingsweihe mit schwarzer Farbe ein. Das Alter scheint hier weite
Grenzen zu haben, denn J. D. E. Schmeltz führt (nach W. de Jong) junge
Leute zwischen 8 — 16 Jahren an. Die Weihe findet in einem dafür bestimmten
besonderen Gebäude statt. Während dieser Zeit heißen die Kandidaten
„oklivide", dürfen keine Weiber sehen und müssen daher auch bei Bootfahrten,
wenn ein Boot mit Weibern passiert, sich niederlegen. Nach Beendigung der
Reifezeremonien dürfen sie den Penisdeckel, die Muschel, anlegen, heißen
„ewatti" und sind heiratsfähig2).
Wenn auf Karesau die beschnittenen Knaben und Jünglinge von ihrer
Besuchsreise bei Freunden und Bekannten heimgekehrt sind:i), dann harren
ihrer, unter anderem, Zeremonien, welche im wesentlichen mitten in unserer
eigenen Kultur als abergläubische Bräuche bekannt sind. Auf Karesau löst
man nämlich im Wald von einem Baume, far genannt, die Rinde so, daß sie
unten und oben noch festhaftet, im übrigen aber genügend vom Baum ab-
steht, damit die neugeweihten Jünglinge und auch die übrigen Männer durch-
gehen können4). Das geschieht unter Lachen und Stoßen. Sind alle durch,
dann bindet man das Stück lose Rinde wieder fest an den Baum. Doch fault
es ab und ersetzt sich durch ein neu wachsendes Stück.
Nach der' obigen Zeremonie begeben sich die Karesauer Neophyten und
die anderen anwesenden Männer zu einem Baum, kakär genannt, an dessen
Stamm beständig ca. 1 cm lange Ameisen auf- und ablaufen. Die Knaben
leimen sich der Reihe nach an diesen Baum, indem sie den Kopf etwas Dach
vorn neigen. Nun schlägt ein Mann auf den Baum; eine (?) Ameise fällt den
Knaben in den Nacken und beißt sich ein; einer der herbeilaufenden Männer
faßt sie. kneift ihr den Kopf ab und steckt sie in eine Betelnuß, welche
später (s. w. u.) samt der Ameise gegessen wird'').
') Die gleiche Vorschrift besteht in Kaiser- Wilhelmsland Für die Beschneidung.
2) Die Beschneidung auf Neuguinea siehe S. 195 — 197 il. B.
3) Die besonders ausführlich geschilderten Zeremonien vnr. bei und nach der Be-
schneidung auf Karesau siehe S. 197 — 201 d. lt.
*) Vgl. das ..Durchziehen des kranken Blindes durch gespaltene Bäume usw." inDeutsch-
land, England und Frankreich, Bd. I, S. 526f.
B) Der Stich einer einzigen Ameise ist. wie schon in 5} 369 angedeutet, kaum als
„Mutprobe" aufzufassen, als welche bisher die Ameisen- und Wespenstiche bei l'ubertats-
i gewöhnlich aufgefaßt werden sind. Auch weist das nachherige Verzehren der Ameise
aut eine andere Bedeutung hin, welche eher jene, sein dürfte, die allem Anschein nach in
S, 382 bei den üjana zugrunde liegt, d. h. die Übertragung der Eigenschaften der
Ameisen, l>/.w. Wespen auf den jungen Mann.
§ 380. Malavisch-polynesische Völker. 765
Eine dritte Zeremonie folgt: an der Küste stecken einige Männer ca. sechs
Lanzenpaare in gewissen Zwischenräumen mit den Spitzen so in die Erde,
daß sich die mit Kasuarfedern versehenen oberen Teile der Schäfte paarweise
kreuzen. Diese Lanzenpaare bilden eine Beihe. an deren einem Ende eine
größere und eine kleinere Ahnenfigur, jene männlich, diese weiblich, in die
Erde gesteckt werden. Durch diese gekreuzten Lanzen nun gehen die
Neophyten gebückt in einer derartigen Eeihenfolge. daß immer ein größerer und
ein kleinerer1) sich folgen. Die Männer machen ihnen Mut und fordern sie auf.
den Bauch nicht so sehr einzuziehen, damit die Lunge nicht in den Brustkasten
gedrängt werde, wodurch diese leiden und die Knaben erkranken würden. Bechts
von den Durchkriechenden stellt zwischen den reihenförmig aufgestellten Lanzen-
paaren je ein Mann mit einem ca. zwei Arm dicken, sehr saftreichen Bananen-
stamm und gibt mit diesem jedem Knaben mit aller Wucht einen Schlag, wobei
die Knaben schreien, obgleich ihnen die Männer vorhalten, sie seien doch keine
Kinder mehr, und obgleich der Bananenstamm schon nach den ersten Schlägen
an Konsistenz verliert, so daß die Letzten der Beihe den Schlag nur wenig
spüren'). Die Ersten der Beihe freilich erhalten schmerzende Schläge. -
Jeder Neophyte macht, nachdem er durch die gekreuzten Lanzenpaare ge-
gangen oder gekrochen ist, vor den beiden Ahnenbildern eine Kniebeugung,
schwenkt dann links um sie herum und geht zur See, wo sich alle tüchtig
recken und strecken, damit der geschlagene Bücken wieder in Ordnung
komme. — Beachtenswert ist, daß der Eingeborne, dem Schmidt diese Mit-
teilungen verdankt, auf die Frage nach dem Zweck dieser Zeremonie ant-
wortete: ,.Das Schlagen solle stark machen3)", aber die Männer hätten
nichts gesagt. Am Schweinefest werden auch die Schweine ähnlich
geschlagen4), und zwai. wie der obige Eingeborne meinte, zu dem gleichen
Zweck.
Auf diese Zeremonie folgt die Transfiktion des Benis der Männer und
das Bluttrinken der Knaben (s. S. 201 d. B.). Dann geht alles nach Hause,
und hier kauen die Neophyten Kalk, Bfeffer und jene Betelnuß samt Ameise,
welche wir auf S. 764 kennen gelernt haben, d. h. die Ameise, welche den
Kandidaten stach und nach abgenommenem Kopf in die Betelnuß gesteckt
wurde.
Damit schließt die Hauptfeier der Jünglingsweihe ab. Von jetzt an
•dürfen die Neophyten wieder mit anderen Mädchen und Weibern, als nur mit
ihren eigenen Müttern und Schwestern, sprechen5), doch nicht längere Zeit
mit ihnen verkehren. -- Aber auch die Nachfeier ist wichtig; denn ihre
religiösen und sexualen Charaktere weisen nochmals nachdrücklich auf die hohe
Bedeutung der Jünglingsweihe oder Mannbarmachung hin: Nach 4 — 5 Tagen
versammeln sich nämlich die Männer. Weiber und Kinder auf dem Dorfplatz;
die Weiber kochen Vams, geben diesen, in Scheiben geschnitten, mit Kokos-
nüssen und Kokosmilch in eine große Schüssel und bestecken den Inhalt mit
1) Wenn man an die Symbolik der Kreuzung bei verschiedenen Völkern denkt und
diese Reihenfolge größerer und kleinerer Knaben mit der größeren uud kleinereu (männ-
lichen und weiblichen) Ahneufigur vergleicht, dieses im Rahmen der ganzen Feier der
Karesauer und der Beschneidungs- bzw. Pubertätszeremonien der Menschheit überhaupt be-
trachtet, dann erscheint es wahrscheinlich, daß "auch diese Zeremonie auf das Eheleben
Bezug habe, abgesehen von den mehrfach besprochenen Schlägen und dem Durchkriechen. —
Vgl. das Durchkriechen usw. in der Behandlung des gesunden Kindes, Bd.' I, S. 36f., sowie
das Durchkriechen der schwangeren Araberin durch die Beine eines Kamels, Bd. I, S. 47.
2) Als ausschließliche Mutprobe ist schon aus diesem ürunde die Zeremonie nicht auf-
zufassen. Vgl. den Schlag mit einem Bambusstab auf Formosa.
3) Also ein Wachstums- oder Fruchtbarkeitsritus im weiteren Sinne, auch wenn die
obige Erklärung ., stark machen" buchstäblich zu nehmen ist.
*) Für die Schweine sind Schläge sicher keine Mutprobe.
6) Vgl. S. 199 d. B.
766 Kapitel LV1II. Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
Papagei-, Tauben- und Hahnenfedern, worauf zwei Männer die Schüssel empor-
halten und so neigen, daß die beiden Geister Mais und Matakau hineinsehen
können, deren geschnitzte Figuren auf dem Geisterhaus angebracht sind und
deren Geister selbst in diesem Hause wohnen. Dazu singen die beiden im
Verein mit einem Dritten, der mit einer Handtrommel daneben steht: „0 Mais,
o Matakau, blicket, schaut auf uns", worauf ein starker Wirbel auf der großen
Trommel geschlagen wird und alles zur See eilt. Hier werfen die beiden
Männer die Schüssel samt Inhalt in die Fluten, und auch die andern Leute,
welche auf diesem Gang beständig zwei Kokosnußschalen aneinander schlugen,
schleudern diese in die See '). Dann wirft alles mit beiden Händen einmal
etwas Seewasser in die Höhe (Libation?), wäscht sich die Finger und geht
nach Hause.
Auch die Zeremonien desfolgenden Tages tragenreligiösen Charakter, insofern
jeder Mann aus der Gruppe der Kiuau (eine Art Priester) vor dem Gitter.
auf welchem das gekochte Fleisch eines am gleichen Tage geschlachteten
Schweines liegt, zu Wonekau, dem höchsten Gott im Himmel, betet: „0
Wonekau, du schwebe, siehe, schaue auf meine Frau, Kinder, Mütter, Väter,
Schwestern, Brüder, Tanten, Onkel, Vettern, Freunde (und alle) meine Menschen".
worauf ein Kinau, also ein Mann mit priesterlichen Befugnissen, das Fleisch
zerteilt und unter die Frauen und Kinder der beiden tiefer stehenden Volks-
klassen (Winau und Kapin) verteilt. Die Frauen der höchsten Klasse (Kiuau)
„stehen, wie stets bei religiösen Feierlichkeiten, beiseite". Ihnen und ihren
Kindern wird Essen von den Männern der beiden unteren Klassen ("Winau
und Kapin) aus den Häusern dieser Männer selbst geholt und auf Tellern und
Schüsseln an die Stelle getragen, wo vorher das Schwein lag2). Verzehrt
werden diese und das Schwein aber nicht an Ort und Stelle, sondern erst
daheim 3).
Schließlich reinigen die Männer den Platz, womit auch die Nachfeier ihr
Ende erreicht hat.
Ein Zweig der Papua sind, nach Alfred C. Haddort. wahrscheinlich auch
die Eingebornen auf Mer, einer Torres-Insel. Die dort üblichen Zeremonien
bei der Aufnahme der männlichen Pubertätskandidaten in eine Art Bruder-
schaft beschreibt G. Thilmiw (nach Haddori) im wesentlichen wie folgt: Die
Aufnahme fand auf einem heilig gehaltenen Platze statt, der von Weibern und
Kindern nicht betreten werden durfte. Die Novizen saßen geschmückt in der
Nähe der Trommler in einem Halbkreise, von dem die Männer bis zu der
Hütte, wo die heiligen Embleme aufbewahrt wurden, Spalier bildeten. In einem
gegebenen Moment erschienen am Ende dieser Männerreihe drei mit Grasschürzen
bekleidete Männer, die mit eigenartigen Schritten und Bewegungen auf die Novizen
zutanzten. Der erste trug eine Maske4), deren Vorderstück ein menschliches, mit
weißen Federn und roter Farbe verziertes Gesicht darstellte, und von dessen
') Von der See her kam auch der Kasuargeist Makarpon, der während der Be-
schneidung im Geisterhaus weilte und in dessen (?) Bauch die Besehncidungskandidaien ihrer
Wiedergeburt entgegensahen. Siehe S. 197 und 199 d. B. Bas Opfer scheint also den beiden
Geistern im Geisterhaus und einem Wassergeist (dem Makarpon?) zu gelten.
') Diese Speisung der Frauen und Kinder der zwei niederen Klassen durch die Männer
der höheren Klasse und die Speisung der 'Frauen und Kinder der höheren Klasse durch die
Männer der beiden niederen Klassen ist ebenso merkwürdig wie der Ausschluß der Frauen und
Kinder der höheren Klasse von dem Schweinefleisch, das nach dem oben Gesagten doch einen
ehrwürdigeren t'harakter zu tragen scheint, als die aus den Häusern der niederen Klassen
herbeigeholten Speisen, die erst durch die Stätte, auf welcher vorher das Schwein lag.
geheiligt zu werden scheinen. — Sollte die obige Art der Speisung der Frauen viel-
leicht den Gedanken der alle Klassen umfassenden Brüderlichkeit, also eine Art Bundes-
eigen ausdrücken, wie er uns in Kap. XXXV11I wiederholt begegnet ist V
*) Als Opfermahlzeit wird also das kaum anzusehen sein.
*) Über die Bedeutung der Masken bzw. Maskentänze siehe § 369.
§ 380. Malayisch-polynesische Völker. 767
Kinn menschliche Unterkiefer herabhingen. Das Hinterstück, ein gemalter
Schildkrötenpanzer, wurde von dem zweiten Mann, der barhäuptig war, an einer
Schnur gehalten. Die Maske des dritten war ein aus Schildpatt gefertigter
Kopf eines Hammerhais '). Man sang heilige Lieder und teilte den Kandidaten
heilige Namen mit. — Das war der erste Teil der „Malu"-Zeremonie. Der
zweite Teil, der am Strande gefeiert wurde, bestand aus symbolischen Tänzen,
an denen auch die Frauen teilnahmen. Jünglinge schwangen Steinkeulen, und
Männer trugen Stöcke. Ein Festessen schloß diesen Teil. Hierauf kamen
die Novizen in die Lehre, d. h. man unterwies sie in der Anlage von Gärten,
im Hausbau und in der Behandlung der Bananenpflanzen; man verbot ihnen
den Diebstahl und für die folgende Trockenzeit Tanzen, Bauchen, Haar-
kämmen, Haarschneiden u. a. m. Hauptsächlich wurde ihnen strengstes Still-
schweigen über die Aufnahmezeremonien auferlegt. Letzteres soll aus diszi-
plinarischen Gründen geschehen sein. Verschiedene Schreckmittel sollten
für das Stillschweigen garantieren (Cr. Thilo/ins nach Alfred C. Haddori).
In Bainu auf Bougainville werden die Söhne der Häuptlinge, nachdem
sie mündig geworden, durch die Unufeier in ein Blutrachebündnis der
Häuptlinge aufgenommen. Eine Beihe von Festessen und Tänzen mit Flöten-
spiel gehen voraus. Am verabredeten Tag wird der Knabe von den Frauen
des Schlaf hauses geschmückt und bemalt; seine langen Haare bindet man mit
einer bemalten Blatt-Tüte zusammen, und er selbst wird mit Muschelgeld be-
hängt. Auch der Vater ist geschmückt, wenn er ihn abholt. Im Hause singen
die Frauen. Vorher hat man im Busch einen Baum mit seiner Wurzel aus-
gerissen und nach dem Hauptplatz gebracht, daran ein Schwein gebunden und
zu beiden Seiten Kokosnüsse mit Keimblattrieben befestigt. Nun wird der
Knabe rittlings auf den Baumstamm, über das Schwein, gesetzt, der Vater
auf einen andern Baumstamm, und so werden beide nach der Häuptlingshalle des
Vaters gebracht, wo vorher ein Gerüst aufgebaut worden war. Dieses be-
steigen die beiden, während unten die Angehörigen des Vaters und die Leute
des Häuptlings, mit dem das Treubündnis eingegangen wird, versammelt sind.
Von dem Gerüst aus hält der Vater dann eine Rede, worin er die Anwesenden
zum Genuß der an sie verteilten Kokosnüsse, Bananen und Taro auffordert,
dem Häuptling das Schwein zuerteilt und ihn um seinen Schutz und Beistand
im Kampf für sich und seinen Sohn bittet, was er mit Gleichem vergelten
wolle. Dabei hüpft er gestikulierend mit Keule und Speer umher und läßt
schließlich diesen dem Häuptling unten überreichen, was das Blutrachebündnis
besiegelt. Für das Schwein erhält der Vater des Jünglings ein Gegengeschenk
in Muschelgeld. — Oft reihen sich an diese Feier noch weitere Tauschgeschenke.
Auch kann Unu wiederholt und mit verschiedenen Häuptlingen eingegangen
werden, was ein großer Häuptling zugunsten seines Sohnes auch ausnützt
{Richard Th urnwald).
Als Fubertätsbrauch auf Neupommern, Neumecklenburg und Neu-
lauenburg (Bismarck-Archipel) erwähnte J. Graf Pfeil Färben der Zähne
(vgl. Malayen)2).
Aus Australien meldeten Si)e»cer und GMlen: Jeder Eingeborne muß,
ehe er in die Geheimnisse seines Stammes eingeweiht und als dessen volles
Mitglied angesehen wird, gewisse Einweihungsformalitäten durchmachen,
welche, je nach dem Stamme, ihrer Natur und Zahl nach voneinander ab-
weichen. Jene der östlichen und südöstlichen Küstendistrikte sind
von denen der Zentralstämme durchwegs verschieden. Die letzten dehnen
l) Vgl. den vom Meer kommenden Kasuargeist auf Karesau, die Wassertiere und das
Wasser selbst in der Fruchtbarkeitssymbolik der Völker in verschiedenen Kapiteln d. v. W.
<t) Die Beschneidung auf Kenpommern und Neumecklenburg siehe S. 202 d. B.
768 Kapitel LVI1I. Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
ihre mehr komplizierten Zeremonien auf eine lange Reihe von Jahren aus,
beginnen schon mit ungefähr dem zehnten oder zwölften Lebensjahr und schließen
sie mit der ausdrucksvollsten Zeremonie erst im 25. — 3u. Lebensjahr des
Kandidaten ab. -- Eine Aufnahmszeremonie der östlichen und südöstlichen
Küstenstämme ist, nach den genannten zwei Forschern, das Ausschlagen eines
oder mehrerer Schneidezähne. Diese Zeremonie („Kebarrah") ist schon früher
Aron Collins beschrieben und von Floß der zweiten Auflage einverleibt worden.
Bei den Stämmen des Macquarie-Distrikts im östlichen New South Wales
verläuft sie, wie folgt: Nachdem allenfallsige Feindseligkeiten unter den
Stämmen beigelegt worden sind, versammeln sich diese an einem Sommermorgen
auf den Macquarie-Hügeln. Jene Stämme, bei denen die Zeremonie ihren
Anfang nimmt, eröffnen sie mit einem schauerlichen langgezogenen Schrei,
•der im Wald wiederholt und von den andern Stämmen ringsum beantwortet
wird. Nun ziehen sich die Weiber und Kinder in die Klüfte zurück; die
alten Männer versammeln sich zu einer Beratung, und die jungen fällen
Bäume, um einen freien Platz zu schaffen. Ein anderer Schrei folgt, und der
ganze Stamm versammelt sich im Kreise; der Wakui, eine Waffe, wird ge-
schwungen; ihr Zischen ist weithin hörbar, und große Feuer werden angebrannt.
Bei solchen Gelegenheiten sind oft fünf- bis sechshundert Eingeborne gegen-
wärtig; ihre nackten Leiber haben sie mit Ton bemalt und die Köpfe reichlich
mit dem Flaum des weißen Schwans') bedeckt. Ein alter Mann stellt
sich an einen Baum, macht die wütendsten Gesten und wirbelt seinen Wakui
um sich her. Nun werden die Jünglinge durch ihre Väter oder nächsten Ver-
wandten in den Kreis gebracht, und der Kebarrah-Gesang beginnt, durch welchen
den Kandidaten die Qualen geschildert werden, denen sie sich unterwerfen
müssen. Dann schreitet man zum Ausbrechen eines Vorderzahns. Dies wird
so ausgeführt, daß man in einen Baumstamm ein Loch macht, in welches man
einen Stab von hartem Holze steckt; dann bringt man den Zahn in Berührung
anit dem Ende des Stabes, indem eine Person den Kopf des Knaben in der
richtigen Position hält, worauf ein anderer den Kopf von hinten nach vorn
stößt. Die Erschütterung bewirkt, daß der Zahn meist mit einem Teil des
anhängenden Zahnfleisches ausfällt. Einige dabeistehende Männer drohen dem
Knaben, ihn sofort zu töten, wenn er Schmerz äußere, während andere ihm
mit scharfen Steinen lange Streifen auf den Rücken und auf jede Schulter
schneiden. Sobald das Opfer Klagen laut werden läßt, verkünden die Operateure
mit Geschrei, daß der Unglückliche nicht weit sei, sich unter die Männer des
Stammes zu mischen; dazu kommen die Weiber und verspotten den Burschen
als einen der Ihrigen. Hält aber der jun»e Mensch die Qualen ohne Zucken
aus, so tritt er hiermit in den Rang eines Jägers und Streiters ein ; man
umringt ihn und übergibt ihm das Mundi, d. i. ein Stückchen kristallheller
Substanz, welches vor den Weibern stets verborgen gehalten wird. Schließlich
begrüßen Männer und Weiber den Aufgenommenen, den man mit Schild und
Kriegswaffen ausrüstet, mit Cooi-Rufen.
Auch im Süden ist das Zahnausschlagen eine Initiations-Zeremonie: Im
Goulbourn-Stamm, nördlich von Melbourne -'), führen die Stammesmitglieder
den Kandidaten in den Wald, wo er zwei Taue und eine Nacht bleibt und
sich selbst zwei obere Schneidezähne ausschlägt. Diese übergibt er nach
seiner Rückkehr seiner Mutter. Die .Mutter sucht einen jungen Gummibaum,
den nur wenige, nie der Sühn selbst, wissen dürfen, und steckt die beiden
') Vgl. die Bedeutung des Flaums (Bild des Lebens und Atems) bei nordamerikanischen
Stummen, sowie die Daunen an den I'ulieitiitsUandidatinnen der südamerikanischen AYarrau,
§ 376.
*) So Plnß II. 41". Ks ist hier wohl an einen Stamm am Goulburn-Kiver, Quellen-
gebiet des Murrav-Kiver, gedacht.
§ 380. Malayisch-polynesische Völker. 769
Zähne in die obersten Äste. Stirbt der Sohn, so schält man die Rinde unten
am Baum ab und tötet diesen durch ein Feuer, welches man unten um den
stamm anzündet, so daß er als ein Denkmal des Toten stehen bleibt (Wilhelmi,
nach 11". r. BandowsM) *).
An der südöstlichen Küste, bei Port Jackson, verlief die Zeremonie.
bei welcher Collins Augenzeuge war, wie folgt: Alle Knaben, bzw. Jünglinge
der Nachbarschaft, an denen die Kebarrah -)-Zeremonie noch nie vorgenommen
worden war, wurden gegen Ende Februar auf einen eigens hierzu hergerichteten,
offenen Platz. Yoolang, gerufen. Hier hatten sich die eingebornen Stämme
versammelt, bemalt und mit Federn und anderem Schmuck bedeckt, mit Keulen
uud Spießen bewaffnet. Vor der eigentlichen Zeremonie wurde jede Nacht getanzt ;
am zweiten Februar langte das Volk von Cammeray (Camera-gal) an, und mit ihm
der Koradjee oder Priester,, der die Operation des Zahuausbrechens ausführen
sollte. Auf der einen Seite des Platzes stellten sich die von ihren Freunden
umgebenen Kandidaten auf; auf der anderen Seite befand sich das bewaffnete Volk,
welches die Zeremonie mit Singen, Schreien, Zusammenschlagen der Schilde
und mit dem Aufstampfen der Füße eröffnete, indem der ganze Trupp gegen
die Knaben vorging. Bei diesen fast angelangt, stürzte einer der Männer
aus der Schar vor, ergriff einen Knaben und kehrte zu seiner Partei zurück,
die den Knaben mit einem Schrei empfing, ihn in die Mitte nahm und die
Speere vor ihn hielt, damit er nicht entkam. Nachdem die ungefähr 15 Knaben
nach und nach so eingefangen waren, setzte man sie an dem einen Ende des
Yoolang nieder. Jeder Knabe hielt sich den Kopf mit den Händen und saß
mit gekreuzten Beinen da.
Nun begannen die Koradjees ihre mystischen Bräuche. Einer von ihnen
warf sich auf den Boden, verfiel in eine scheinbare Bewußtlosigkeit, und
während die andern um ihn her tanzten, sangen und ihn mit Stecken schlugen3),
befreite er sich anscheinend von einem Knochen4), der dann bei der folgenden
Zeremonie eine Rolle spielte. Kaum hatte sich dieser Maun, in Schweiß ge-
badet, vom Boden erhoben, so fiel ein anderer in scheinbare Agonie und es
wurde abermals ein Knochen produziert, nach und nach so viele, als Knaben
vorhanden waren, die unter die Männer aufgenommen werden sollten. Am
nächsten Morgen, bald nach Sonnenaufgang, liefen die Koradjees, die in der
Nähe geschlafen hatten, einer nach dem andern zum Yoolang und rannten
2— 3 mal rings um den Platz. Dann wurden die Knaben herbeigebracht, auf
dem Platze niedergesetzt und von den zirka 20 Operateuren, die, wie Hunde,
auf Händen und Füßen krochen, mehrmals umkreist. Dabei schleuderten die
Operateure mit ihren nackten Füßen Sand auf die Knaben.
') Ebenda. Vgl. „Kind und Baum" in Kapitel 111; ferner das in § 869 über die
Zahnoperationen Gesagte.
2) Die Bedeutung von „Keba" s. w. u.
3) Auch dieser Zauberer, der mit Sehlägen traktiert wird, braucht kaum eine „Mut-
probe" auszuhalten. Die Schläge haben, nach meinem Dafürhalten, auch hier mystische,
leider nur allzu dunkle, Bedeutung. Der nach den Schlägen aus dem Körper der Zauberer
hervorgebrachte Knochen dient später zur Operation des Kandidaten. Besonders bemerkens-
wert dünkt es mich, daß für jeden Kandidaten ein eigener Knochen (wie es scheint, jedes-
mal mit vorausgehender „Agonie" und Durchhauen eines Zauberers) produziert werden muß.
Es ist hier wohl au ein inniges Verhältnis zwischen dem Operierenden und Operierten zu
denken. Ebenso fasse ich den oben folgenden Brauch auf, das Blut des Knaben auf dem
Kopf seines Trägers (Paten?) fließen und hier trocknen zu lassen. Diese Blutgemeinsch aft,
wenn ich mich so ausdrücken darf, stimmt sehr gut zu jener Blutgemeinschaft, auf welche
ich bei den Beschneidungszeremonien australischer Stämme in Kap. XXXVIII hingewiesen
habe. Weitere hier einschlägige Formen siehe bei südlichen und südwestlichen Stämmen S. 771.
4) Ahnliche Seheinoperationen sind uns bereits aus der ärztlichen Behandlung des
Kindes bekannt.
Ploß-Renz, Das Kind, s. Aufl. Band II. 49
rfTQ Kapitel LVIII. Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
Diese Zeremonie sollte den Hunden (?) Kraft verleihen und deren „gute"
Eigenschaften auf die Knaben übertragen. — Die nächste Szene eröffnete
ein kräftiger Eingeborner, der auf seinen Schultern eine aus Gras gemachte
Figur eines Känguruh trug; ihm folgte ein anderer mit einem Bündel Reisig,
während die übrigen sangen und den Takt nach den Schritten des letzteren
schlugen; schließlich legte dieser sein Bündel zu den Füßen der Knaben nieder.
Das Reisigbündel stellte das Nest des Känguruh, die Graspuppe ein totes
Känguruh vor, und beides sollte andeuten, daß die Kandidaten fähig würden,
solche Tiere zu erlegen. Auch eine Känguruhjagd wurde nachgeahmt, indem
einige Männer langes Gras in Schwanzform sich an den Hintern hielten und
sich von zwei bewaffneten Männern jagen ließen.
Plötzlich ergriff dann jeder dieser Männer einen Knaben, hob ihn auf
seine Schultern, trug ihn im Triumph umher, und ebenso nahmen Männer
andere Männer auf die Schultern, wobei sie wilde Grimassen machten. Wieder
andere legten sich nieder, ließen sich die Knaben auf ihre Körper legen, und
ähnliches mehr. Dann schritt man zur eigentlichen Operation. Zuerst wurde
ein Knabe auf die Schultern eines im Gras sitzenden Mannes gesetzt. Der
Knochen, welcher am vorhergehenden Tage zum Vorschein gekommen und an
einem Ende geschärft war, wurde nun dazu benutzt, um das Zahnfleisch auf-
zuschneiden, damit der Zahn leichter gezogen werden konnte. Mit einem
Stecken von 8—10 Zoll Länge, welcher vom Operateur mit dem einen Ende
am Rande des Zahnfleisches angesetzt wurde, während er auf das andere
Mnde mit einem großen Steine schlug, war die Sache bald abgetan. Nach dem
Ausziehen des Zahnes wurde der Knabe wieder in die Nähe seiner Freunde
gelegt, die ihm das Zahnfleisch (die Wunde ?) schlössen und ihm die Abzeichen
seines neuen Standes1) anlegten. Um den Unterleib bekam er einen Gürtel.
in den man ein hölzernes Schwert steckte; um den Kopf wand man ihm
ein mit den Blättern des Grasbaumes geschmücktes Band. Seine linke Hand
legte er sich auf den Mund, um ihn zu verschließen; denn er durfte nicht
sprechen, durfte auch den ganzen Tag über nichts essen. — Das Blut, welches
aus der Wunde des Zahnfleisches floß, wurde nicht abgewischt, sondern rann
auf die Brust des Patienten und auf den Kopf des Mannes herab, auf dessen
Schultern jener saß; hier mußte es trocknen und liegen bleiben. — Die Knaben
hießen von nun an „Kebarralr, von „Keba". d. i. Fels oder Stein.
Im Seengebiet Australiens vollzieht man die Operation (Tschirrintschirri)
bei Mädchen und Knaben. Hier werden zwei zirka 30 cm lange Stäbe von
Cuyamurra-Holz an den Enden geschärft, so daß sie die Gestalt eines Keils
haben, und dann zu beiden Seiten des herauszuziehenden Zahnes eingetrieben.
Auf den Zahn selbst legt man ein Stück Wallaby-Fell in drei bis vier Falten
und setzt darauf ein scharfes, etwa 60 Zentimeter langes Stück Holz. Ein bis
zwei Schläge mit einem schweren Stein auf dieses Holz genügen in der Reg< 1.
den Zahn so zu lösen, daß er mit der Hand herausgezogen werden kann. Der zweite
Zahn wird auf die gleiche Weise entfernt, worauf man feuchten Ton auf die
Wunden drückt, um die Blutung zu stillen. Obschon die Kinder „noch sehr
jung" sind2) und die Operation durchaus nicht schmerzlos sein kann, so ver-
raten sie doch kaum durch ein Zucken des Gesichts, daß sie leiden. Drei
Tage nach der Operation muß das Kind sich wohl hüten, den Rücken von
') Also wohl die Abzeichen als .Mann und als Stammesraitglied.
') Floß fügte diese Operation dem Kapitel „Abschluß der Kinderjahre" ein, was
hiermit auch in der dritten Auflage geschieht, üer obige Ausdruck „noch sehr jung" scheint
aber auf eine Operation in zarterem Alter hinzuweisen. Vgl. die Zahnoperationen in
Kapitel XXXVII. Nach Spencer und Gillen findet Zalinausschlagcn für beide Geschlechter
bei den nördlichen Stämmen wenigstens jetzt statt, ohne daß diese Operation etwas mit
der Mannbarkeitsfeier zu tun hat.
tj 380. Malayisch-polynesische Völker. 771
irgend jemand zu sehen, sonst wächst sein Mund zu und es muß Hungers
sterben. Dagegen ist es ihm gestattet, Freunden ins Gesicht zu sehen. Die
ausgezogenen Zähne hüllt man in ein Bündel Emu-Federn, welche mit dem
unvermeidlichen Fett beschmiert sind, und bewahrt sie ein Jahr oder darüber
sorgfältig auf. damit die Adler sie nicht linden. Sonst wachsen dem Kinde,
an Stelle der ausgezogenen, größere Zähne, welche sich in die Höhe krümmen
und unter großen Schmerzen den Tod verursachen 1).
Über den Ursprung der obigeu Zeremonie geht die Sage, daß der gute
Geist. Muramura, nach Erschaffung des ersten Kindes diesem die betreffenden
beiden Zähne ausgeschlagen habe (warum wird nicht gesagt) ; die Veränderung
im Aussehen des Kindes habe ihm zugesagt, und daher sei der Befehl gegeben
worden, man solle so mit jedem Kinde verfahren 2).
Von südlichen und westlichen Stämmen Australiens beschrieb Ploß3)
Initiationszeremonien (Wily al Kanye), welche im zwölften Lebensjahr der
dortigen Knaben vorgenommen werden: Jeder Novize hat einen Paten, der
ihn auf dem Kücken in eines anderen Mannes Schoß legt; die Operateure
stehen rings umher. Nun werden den jungen Leuten die Augen verbunden,
und man legt sie auf einer entfernten Stelle nieder. Die Weiber klagen und
kreischen. Die Knaben werden mit dem Gesicht auf die Erde gelegt und
mit Känguruhfellen bedeckt. Die Männer lassen alle drei bis fünf Minuten
Weherufe ertönen. Nach einiger Zeit werden die Knaben wieder aufgehoben;
während sie noch immer die Augen verbunden haben, werfen zwei Männer
grüne Zweige*) auf sie: auch machen diese mit ihren Waffen und ihrem
Geschrei einen gewaltigen Lärm, während die anderen im Halbkreise auf-
gestellt sind. Plötzlich bringt einer von diesen Leuten einen Zweig herbei
und läßt ihn fallen; andere folgen, und so bildet sich ein Haufen Zweige, auf
den die Knaben gelegt werden. Nun nehmen die Paten ihre kleinen geschärften
Quarzstückchen hervor, indem sie zugleich für jeden Knaben einen neuen
Namen wählen, der ihm fürs ganze Leben bleibt, (Diese Namen enden stets
auf alta, ilti oder ulta.) Die Paten öffnen dann sich selbst die Venen an
den Armen, lassen die Knaben den Mund aufsperren und träufeln ihnen zunächst
etwas Blut in den Schlund. Hierauf fallen die Knaben auf Hände und Knie,
und man läßt ihnen das Blut auf den Kücken rinnen, wo es zu einer Masse gerinnt
und eintrocknet. Ist diese fest genug, so bezeichnet ein Mann die Stellen,
auf welchen die Tätowierung5) stattfinden soll, indem er mit seinem Daumen-
nagel das Blut entfernt. Nun macht der Pate mit seinem Kiesel dem Knaben
einen tiefen Einschnitt in den Nacken und bringt ihm breite, zolltiefe Wunden
von der Schulter bis zu den Hüften bei. Dann wird dem Kandidaten ein
Büschel grünes Laub, um welches ein Gürtel von Menschenhaar6) gebunden
wird, rings um den Unterleib geschlungen, jeder Arm über den Ellenbogen
mit einem Band umwunden, um den Nacken ebenfalls ein Band gewunden,
welches über den Kücken herabreicht und an dem Haargürtel befestigt wird.
') Ganz ähnliche Auffassungen von vermeintlichen Beziehungen zwischen Menschen-
zähnen und Tieren, bzw. deren Zähnen. Schnäbel usw. finden sich inmitten unserer eigenen
Kultur. Siehe Kapitel XXXIV.
*) Ploß II, 418. — Vgl. die andere Sage auf S. 122, daß zwei Schi angenbrüder
sich zuerst gegenseitig die Zähne ausschlugen; ferner das Aufessen der Zähne von der
Schwiegermutter (S. 123 d. B.).
3) II. 416f.
4) Sollte das auf den mystischen Tod des Kindes, bzw. das darauffolgende Aufleben
des Mannes hinweisen? Grüne Zweige als Bilder des Lebens, des Wachstums und der
Fruchtbarkeit sind uus bekannt.
6) Diese innere Verbindung des Blutes mit der Tätowierung hat wohl wieder einen
tieferen Sinn.
6) Siehe die Gürtel aus den Haaren der zukünftigen Weiber bei den Initiationskandidaten
der Kai tisch S. 774.
49*
7 72
Kapitel LYI1I. Pubertätsi'este des männlichen Geschlechtes.
Gesicht und Vorderseite des Körpers der jungen Männer werden mit Kohle
geschwärzt. Zum Schluß umschwärmen alle Männer den Initiierten, ermahnen
ihn, einige Monate lang nur zu flüstern und erteilen ihm Unterricht im Jagen.
Fechten und Ertragen der Strapazen.
Eine ähnliche Tätowierung beim Abschluß der Kinderjahre beschrieb
Plofi1) als „Willyarn" von den Eingehornen am Peak River. Südaustralien.
Die Ausführung der Tätowierung fällt hier zwischen jene der Zirkumzision
mit Naraengebung und jene der „Kulpie" oder Aufschlitzung der Harm (ihre2)
und geht unter folgenden Begleiterscheinungen vor sich:
An einem verabredeten Abend fallen die alten Männer des Stammes über den
ahnungslosen Kandidaten (Thutschawara) her und tragen ihn aus dem Lager fort.
Die Weiher erheben ein Geschrei und brechen in Weinen aus, das bis tief in
die Nacht hinein dauert. Der junge Mann schläft mit seineu Entführern einige
hundert Schritte vom Lager. Mit Sonnenaufgang kommen auch die übrigen Männer,
Fig.
4 12. Talambe, ein junger tätowierter Bngan. Darling-Fluß, südliches Australien.
/,. Mitchells „Turee Expedition into tue Interim- of Eastein Ausiralia". Vol. I. p. S14,
(Aus
alt und jung, zur Stelle; nur der Vater und die Brüder des Kandidaten bleiben
zurück. Man gebietet ihm, die Augen zu schließen. Ein alter Manu, welcher dazu
bestellt ist. läßt nun drei oder vier alte Männer zur Ader, so daß das Blut auf den
Körper des jungen Mannes strömt. Der Aderlaß wird, nach Unterbinden des
rechten Oberarms, mit einem scharfen Stein vollzogen. Der junge Mann ist bald
von Kopf bis zu Kuß mit Blut bedeckt, das man trocknen läßt. ..Das soll dem
jungen Krieger Mut einflößen; ersollsichan den Anblick von Blutgewöhnen"8).
i) IL 421.
2) Siehe S. 209f. — Plofl schrieb in der zweiten Auflage (II. 421 1. der Kandidat habe
nach der Zirkumzision und der NamengebuDg „alle Kochte und Privilegien, welche den Männern
ukommen", fügt jedoch gleich bei: „Aber noch hat er zwei Prüfungen zu bestehen, eho
er die höchste!'.") Manneswürde erreicht-', worauf er das „ Willyanr' und die „Kulpie" als diese
zwei „Prüfungen" beschreibt.
:'i Dali nicht die Gewöhnung au den Anblick allein von Blut gemeint ist. dürfte aus
dem Einträufeln dos Blutes in den .Mund der Kandidaten hervorgehen, welches von den
erwähnten südlichen and westlichen StS ien überhaupt mitgeteilt worden ist. Wahr-
scheinlicher dünkt mir die Mitteilung dos Mutes der alten Männer durch das Blut, welches
Inen \Jrin auf die Kandidaten, oder, wie früher mitgeteilt, in deren Mund fließt.
Vgl. übrigens das Blut, welches vom Kandidaten bei Port Jackson auf den Manu i'ießt.
der ihn trägt. Blutgemeinschaft, Einheitsgedanken scheinen nur auch da unterzuliegen.
380. Malayiseh-polynesischc Völker.
773
Dann folgt der zweite Akt: Dem jungen Mann wird befohlen, sich auf
das Gesicht zu legen. Zwei junge Männer ergreifen scharfe Steine und machen
sechs bis zwölf tiefe Einschnitte auf Nacken und Schultern. Wenn die Wunden
heilen, bleiben dicke Wülste als Narben, auf welche der Eingeborne stets
mit einem gewissen Stolz hinweist. Bis sie aber heilen, muß der junge .Mann
sich vom Lager fernhalten. Man gibt ihm ein Stück Holz, Yuntha; es ist
etwa 22 Zentimeter lang, 6 Zentimeter breit und kaum 2 Millimeter im
Durchschnitt: an dem Ende ist ein
Loch, in welchem ein mehr als 2 Meter
langer Faden befestigt ist. Diese Yuntha
muß der Jüngling- auf seinen Jagden
schwingen. Man glaubt, daß dadurch
Schlangen. Eidechsen und. anderes eß-
bares Getier sich vermehrt J) ; ebenso
muß er jede Nacht, bis seine Wunden
geheilt sind, in die Nähe des Lagers
kommen, aber nicht näher als 400
Schritte, und die Yuntha schwingen,
damit ihr waldteufelartiges Summen
seinen Angehörigen anzeige, daß er
noch am Leben ist und sie ihm Speise
bringen können.
Ist die Heilung vollendet, so kehrt
er zurück und es fehlt nicht an Be-
weisen von Freundschaft unter seinen
Genossen. Aber er hält sich nur kurze
Zeit bei den Seinen auf; er muß auf
die Yinainda, auf die AVanderschaft.
bei befreundeten Stämmen gehen. Einige
seiner Freunde begleiten ihn. Er darf
kein Lager ohne irgendein Geschenk
verlassen, sei es Speer. Bumeiang. ein
gestrickter Beutel, ein paar schöne Federn
usw. Diese Geschenke verteilt er bei
seiner Rückkehr unter die Freunde,
welche tätigen Anteil an der Operation
genommen haben. Inzwischen ist ein
junges Mädchen beauftragt worden, ein
Gedicht zu machen, welches sie dem
Zurückkehrenden vorsingt, dem zu Ehren
alles tanzt, lacht, kreischt, ißt und trinkt.
Als ..Willyaru" bezeichneten
Spc/tciT und (i'illeu die Tätowierung auch
bei den Urabunna, einem der Zentral-
stämme Australiens -). Auch hier wird
der Kandidat am Schluß der Einweihungszeremonien, mit dem Gesicht zur Erde,
hingelegt. Dann schlagen alle anwesenden Männer fest auf ihn los,
worauf zwei Verwandte ihm vier bis acht Schnitte zu beiden Seiten des
Bückgrates und einen Schnitt am Genick beibringen. Diese Zeremonie wollen
Fig. 493.
Ceylon.
Ein tätowierter Hindu, Reishändler auf
Im K. Ethnographischen Museum in
München.
*) Vgl. den heiligen Stock bei den Larakia w. u. Übrigens kennen wir dieses
Schwirrholz bereits aus früheren Kapiteln. Es steht, unter anderem, gleichfalls in Beziehung
zum Geschlechtsleben.
2) Vielleicht haben wir es hier gar mit ein und demselben Stamm zu tun.
774: Kapitel LVIII. Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
Spencer und Gillen auf kannibalische Gebräuche in mythischer Vorzeit zurück-
führen (?) J).
Bemerkenswert ist zweifellos auch der Brauch der Urabunna, dem
Kandidaten den Mund mit Pelzstreifen zu verstopfen, zumal Spencer und
Grillen zwei Schlangen als Ahnen der Urabunna erwähnen, die in der grauen
Vorzeit Pelzstreifen machten. Von diesen Schlangen gehen alle
Geisterkinder aus, die seitdem in jedem empfangenen und ge-
bornen Kind ihre Reinkarnation finden2).
Im Kaitisch-Stamm umgürtet man den Kandidaten bei seiner Initiation
mit einem Gürtel aus den Haaren seines zukünftigen Weibes*) (Spencer-GHllen).
Bei den Eingebornen von Queensland, nordöstliches Australien,
ist die Tätowierung ein Vorrecht der Volljährigkeit. Der heranwachsenden
Jugend bringt man nur einige Schnitte mit einem scharfen Kiesel oder einer
scharfen Muschel bei; später werden Brust. Unterleib und Schaltern ganz mit
Schnitten bedeckt. Um eine zu rasche Vernarbung zu verhindern (?), über-
streut man die Wunde mit Kohle oder Asche. - Frauen dürfen Arme, Brust
und Bücken nur in beschränktem Maß tätowieren (Karl Jbumholtz).
Bei den Unmatjera, einem der nördlichen Zentralstämme, haben die
Knaben nach der Zirkumzision das schmerzliche Skalp-Beißen auszuhalten,
wobei sie oft laut aufheulen vor Schmerz. Die herumsitzenden Männer eifern
den Beißer an. sein möglichstes zu tun. Dach sollen nur solche beißen, die
selbst sehr starken Haarwuchs haben: denn der Biß soll bei dem Kandidaten
das Wachstum des Haares befördern4) (Spencer und Grillen).
Den letzteren Zweck wollen die Warramunga mit dem Besingen
der Haare des Zirkumzitierten erreichen (Spencer und Gfillen).
Zu den Pubertäts- und Initiationsbräuchen der Arunta und llpirra5)
gehört, außer der Zirkumzision (Lartna) und Subinzision (Ariltha) "), das Be-
malen und In-die-Luft-Werfen der Kandidaten; ferner die Feuerzeremonie
(Engwura). Auch die Unmatjera werfen ihre Kandidaten in die Luft.
Hier, wie bei den Arunta, leitet man mit dieser Handlung die Zirkum-
zision ein7). Der zukünftige Schwiegervater des Kandidaten prügelt diesen,
wenn er von ihm noch nicht die gebräuchlichen Geschenke erhielt, tüchtig
durch, solange der Bursche in der Luft schwebt. Beim Herunterholen wird
der Kandidat von anwesenden Männern mit den Armen aufgefangen (Speito
und Gtilh ii i.
Über die Reifefeier in Roebuck Bay. westliches Australien, schreibt
Ada Janet Pegg*: Wenn ein Knabe ..zum Manne gemacht" werden soll, wie
') Vgl. ähnliches bei den Pubertätsfeiern anderer Völker in diesem und dem vorigen
Kapitel. Mir scheinen deshalb diese Schnitte nicht auf Kannibalismus hinzudeuten, und noch
r die Schlüge, \wlchr der australische l'ubertätska; didat erhält.
•i Jedes Kind verdankt als" auch heute noch diesem Schlangenpaar seine Existenz.
Die obigen Pelzstreifen dürften begrifflich mit den oben erwähnten Haargürteln
australischer Stämme und den bei der ersten Menstruation abgeschnittenen Mädchen]
an den Zierlanzen der Pubertäts- oder Initiationskandidaten am Rio Tiquie, Brasilien f§ 389),
übereinstimmen. Vielleicht sind diese Haarformen Symbole der Zeugungsorgane. Vgl.
tu Penisqnaste des Vaters, welche bei den Warramunga die Pelzstreifen anderer Stämme
ersetzt (S. 207 d. B |, sowie das hier Kinsehlägige in S. 369.
*) Ich hatte, als ich auf S. 210 d. B. auf diesen Brauch hindeutete, die Quelle aus
dem Vuge verloren, welche nun oben bezeichnet ist.
1 \lso wieder sympathetische Übertragung einer Eigenschaft.
5I Gleichfalls nördliche Stämme des Innern.
■ i Siehe Kapitel XXXVITI.
Ti Vgl. deD Mythus der Kaitisch (S. 206 d. B.), der Geist Atnatu habe das Stein-
Beschneidung vom Himmel fallen lassen: ferner die Stimme des vom Himmel
Beschneidungs- bzw Initiationsgeistes des Larakia-Stammes w.u. Vielleicht
steht das obige In-die-Luft-Werfen und darauffolgende Auffangen damit in Verbindung.
§ 380. Malayiseh-polynesische Völker. 7.75
die Eingebornen sich ausdrücken, dann nimmt man ihn zum Busch, wo sich
eine Anzahl Männer mit Stöcken in den Händen versammelt haben. Der
Knabe muß nun durch den Busch laufen, bis er vor Erschöpfung niedersinkt,
worauf man ihn mit Schlägen auf- und abermals zum Laufen antreibt und so
fort; ist er vor Ermüdung dem Tode nahe, dann facht man ein Feuer an
und vollzieht die Beschneidung1). Weiter im Innern muß der Beife-
kandidat das Gesicht vierzehn Tage lang mit einer Maske bedecken. Die
Linien der Maske erklären, nach Mrs. Peggs, den Grund, warum sie getragen
wird. Niemand darf während dieser Zeit das Gesicht des angehenden Mannes
sehen2), der von einem alten Weib mittels einer Bohre unter der Maske
gespeist wird, die ihm das Weib in den Mund steckt.
Peggs erwähnt ferner die uns bereits bekannte Zeremonie, den Kandi-
daten in die Luft zu werfen. Die Männer, welche ihn auch hier beim Her-
unterfallen in ihren Armen auffangen, bezeichnet sie als Krieger, und die zur
Feier aufgeführten Tänze als Kobba-Kobba oder Corroboree. Sie dauern
14 Tage; Weiber nehmen daran teil3).
Im Larakia-Stamm, Port Darwin-Distrikt, müssen sich die mannbar
gewordenen Burschen zusammen an einen abgelegenen Ort zurückziehen, wo
sie bei spärlicher Ernährung, unter den Befehlen alter Männer stehen, denen
sie unbedingten Gehorsam schulden. Von Zeit zu Zeit erhalten sie von diesen
ohne vorhergehende Warnung, einen heftigen Schlag oder Stoß, was sie ohne
das geringste Zeichen von Schmerz ertragen müssen, wollen sie sich nichts
Schlimmeres zuziehen. Ferner haben sie schwere- körperliche Arbeit zu
leisten, z. B. wuchtige Baumstämme zu fällen und zu wälzen, oder ein Krokodil
ans Land zu bringen4). Nach den bestandenen Proben zeigen die Greise
ihren Kandidaten einen heiliggehaltenen Stock6), mit dem sie durch Schwingung
ein eigentümliches Geräusch, ..Eruba", hervorbringen, das nach dem den
Weibern beigebrachten Glauben die Stimme eines vom Himmel ge-
kommenen Geistes ist, der die Burschen in den Busch trägt, von
wo sie als eingeweihte Männer zurückkehren6).
Bei allen von Spencer und Qillen beobachteten Stämmen erhalten die
jungen Leute durch ihre Aufnahme in die Beihen der Männer die Erlaubnis, von
nun an den heiligen Riten (Performances) ihres Stammes beizuwohnen und
selbst dabei mitzuwirken. —
Der Samoaner gilt so lange als minderjährig, als er noch untätowiert
ist. Bis dahin darf er auch nicht ans Heiraten denken. Doch wird das
Alter, in welchem sich der junge Bursche dieser schmerzlichen Operation
unterwirft, verschieden angegeben: Nach Turner waren es zu seiner Zeit
16 — 17jährige Jünglinge; in neuerer Zeit gibt Thilenius (nach A. Krämer)
14 — 18 Jahre an.
:) Auch diese Verbindung des Durchhauens mit der Beschneidung am Feuer weist auf
etwas anderes, als auf eine ausschließliche Mutprobe hin.
s) Der junge Mann soll währenddessen wohl in einen neuen Menschen umgewandelt
werden. Vgl. ferner die Bedeutung der Masken iu § 369.
3) Die Beschneidungszeremonien australischer Stämme siehe Kap. XXXVIII, § 244 und
§ 250, S. 204—211 d. B.
4) Hier haben wir augenscheinlich tatsächliche Kraftproben, Aufgaben, welche
unter den dortigen Kulturverhältnissen an einen Blaun gestellt werden. Auch die Schläge
oder Stöße weisen, nach der obigen Darstellung, hier eher auf Abhärtungsmittel, als auf einen
Fruchtbarkeitsritus hin.
r,i Vgl. das ,.Yuntha" am Peak River und die entsprechenden Namen für diese
heiligen Schwirrhölzer bei früher erwähnten Stämmen Australiens.
6) Gedanke der Wiedergeburt. Was die Dämonenstimme hier und bei andern
Völkern betrifft, s. § 369.
776 Kapitel LV1II. Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
Den Vorgang selbst beschrieb Ploß (wohl nach Turner) wie folgt1):
Der junge Mann streckt sich auf eine Matte aus und legt den Kopf in jemandens
Schoß, „während einige andere ihn an den Beinen halten und aus Leibes-
kräften singen, um das Schmerzensgeschrei und das Stöhnen des Burschen
zu übertäuben. Nun erscheint der Künstler mit einem Hammer und mehreren
Kämmen, die aus Menschenknochen gemacht und an einem Griffe befestigt
sind. Den Kamm taucht der Künstler in eine Mischung von Kokosnußasche
und Wasser, setzt die Zinken auf die Haut des jungen Mannes und treibt sie
mit raschen Hammerschlägen in die Haut. Zur Seite stehen Leute, die das
aus den zerstochenen Teilen hervorquellende Blut abwischen. Auf diese Weise
überzieht der Tätowierer den ganzen Leib mit Mustern, die er einschlägt;
aber er briugt in einer Stunde kaum eine Fläche von 9 cm im Geviert fertig;
dann läßt er den Burschen aufstehen, und es legt sich ein anderer an dessen
Stelle nieder. Nach etwa einer Woche geht es von frischem los, und so
wird das Geschäft drei bis vier Monate fortgesetzt, bis der ganze Körper
tätowiert ist. — Während der Zeit, welche von der Operation in Anspruch
genommen wird, sieht der arme Teufel jämmerlich aus; die zerstochenen
Körperteile sind geschwollen und entzündet und lassen noch nichts von einem
Muster sehen. Er humpelt unter entsetzlichen Schmerzen umher und sucht
sich der Fliegen, die ihn quälen, mit einem Wedel zu erwehren. Endlich
aber kommt der Lohn: sobald die Wunden geheilt sind, treten die Muster in
ihrer ganzen Pracht zutage, und dieses Ereignis wird durch einen tüchtigen
Tanz gefeiert."
Die Muster bestehen in ihren Hauptelementen aus geraden Punktreihen,
Winkeln, Zickzacklinien zwischen Parallelen und Wellenlinien. Auch der
Tausendfuß, Seeschwalben, Seesterne und Quallen werden in den Mustern
nachgeahmt, Im wesentlichen sind die Muster für beide Geschlechter gleich:
doch nimmt man es bei der Tätowierung der Mädchen weniger genau. —
Ein Zweck der Tätowierung ist: Verschönerung, und das zwar für beide
Geschlechter; ein anderer ist für den Jüngling: Erprobung seines Mutes2).
Deshalb gilt es auch heute noch als eine Ehrensache, tätowiert zu sein
(Thilenrus. nach Krämer).
Zur Ergänzung dieser Mitteilungen möge hier noch beigefügt werden,
daß Kubary schrieb, der Samoaner dürfe, ehe er tätowiert ist. nicht nur um
kein Mädchen werben, sondern auch seine Hand nicht nach dem Haupt eines
gefallenen Kriegers ausstrecken3). Ohne Tätowierung, den Beweis seiner
Mannbarkeit, schäme sich der Samoaner, unter seinen Kameraden zu er-
scheinen. Deshalb seien auch die Versuche der Missionare, diesen Brauch
auszurotten, bisher vergebens gewesen. — Vom Nabel abwärts reiche
das dichte Muster bis zum oberen Drittel des Oberschenkels, so daß der
tätowierte Teil aussehe, wie wenn der Mann eine unserer Schwimmhosen
anhätte.
§ 381. Japaner, Chinesen, Aniiamiten, Siamesen und ATnos (Fragmente).
Im alten China bekamen die heranwachsenden jungen Burschen im
15. Lebensjahr den männlichen Hut und wurden in die (Tesellschaft ern-
ährt, wie Ploß*) mit einem Hinweis auf Plath schrieb. Im (neuzeitlichen ?)
' i I. 336 f.
i Wenn die Tätowierung; für beide ^schlechter wesentlich gleich ist, dann ist nicht
einzusehen, warum sie für den Mann allein „Mutnrobe" ist.
3) Vgl. Furmosa.
*) II, 136
§ 382. Indianer. 777
China feiere man den Eintritt in das Jünglingsalter1) zwischen 12 und 15
Jahren durch die Verleihung- einer Mütze.
Dem 15jährigen Japaner schneidet sein Pate die vordere Haarlocke
ab. (Näheres hierüber und über die Erteilung eines neuen Namens siehe
S. 74 d. B.)
Auch bei den Ainos findet zur Zeit der Pubertät ein bestimmter Haar-
schnitt statt, und es wird dem Kandidaten hier und bei den Japanern eine
Art Mütze aufgesetzt. Bei dem damit verbundenen Fest der Arno soll der
Sake (Reiswein) eine Hauptrolle spielen (H. von Sieboldt) 2).
Den feierlichen Haarschnitt bei den 12— 13jährigen Siamesen-Knaben
siehe S. 79 d. B.
Wie der Japaner, so erhält der junge Annamite mit Eintritt der
Mannbarkeit einen zweiten Namen, den Ten-goi oder Rufnamen, und ist er
der älteste Sohn seiner Eltern, so tritt zudem eine jener Erscheinungen ein,
welche wir bei verschiedenen Völkern schon in früheren Kapiteln3) kennen
gelernt haben, d. h. es wird auch der Name seiner Eltern abgeändert. Diese
nennen sieh dann von dieser Zeit an mit dem Rufnamen ihres Sohnes. Letzterer
läßt von jetzt an seine Haare wachsen und seine Zähne schwärzen4).
§ 382. Indianer.
Die Mannbarkeitsfeier der Mandan-Indianer „im Osten der Felsen-
gebirge"5) fand am „Fest der großen Flut-' statt und wurde als O-kih-pa
bezeichnet. Es war mit grauenerregenden Martern für jene jungen Männer
verbunden, welche im vorhergehenden Jahr zur Pubertät gelangt waren. Den
durch vierthalbtägiges Fasten und ebenso lange Schlaflosigkeit mattgewordenen
Jünglingen stießen zwei maskierte15) Operateure ein zugespitztes Messer mit
ausgezackter Klinge (so daß jeder Einschnitt den größtmöglichsten Schmerz
verursachen mußte) am Vorder- und Oberarm, Schenkel, Kniegegend und
Waden, dann an Brust und Schultern durch das Fleisch, worauf spitze Holz-
ptlöcke von der Dicke eines Fingers sofort durch die Wunden geschoben
wurden. Dann ließ man vom Dache der Medizinhütte einen Lederstrick herab,
den man an diese Pflöcke in der Brust oder in den Schultern befestigte und woran
man die Gemarterten, die obendrein mit Medizinbeutel, Schild und an Armen und
Füßen befestigten Büffelköpfen beschwert wurden, so weit emporhißte, daß
letztere frei hin und her baumeln konnten. Endlich drehte man die Dulder
um sich selber herum, anfangs langsam, dann immer schneller und schneller,
bis der Gewirbelte das Bewußtsein verlor und regungslos dahing, den
Kopf vornüber, die Zunge weit aus dem Munde heraus. Die Marter in der
Luft dauerte 15 — 20 Minuten. Dann nahm man den Gepeinigten und ent-
fernte die Pflöcke aus Brust oder Schultern, beließ aber die übrigen. Wer
sich endlich zu erheben vermochte, schleppte sich zu einem neuen Quälgeist,
1) Ob die obige Einführung „in die Gesellschaft" jetzt schon mit diesem Lebens-
abschnitt zusammenfällt, ist bei Ploß nicht ersichtlich.
2) Bei Ploß 11. 436.
3) Hauptsächlich Kap. XXEII und XXIV. Vgl. ferner die Alfurer. auf Seram in
§ 380.
4) Der Anonymus im „Globus" (Bd. 58, 266), welcher Obiges mitteilt, erwähnt ferner
einen dritten Xamen (Ten-hem), den „verborgenen" Namen des Aunamiten, mit welchem
dieser in den genealogischen Ahnentafeln verzeichnet sei. Ob der dritte Name schon bei
Eintritt der Mannbarkeit erteilt wird, ist mir nicht klar. Als Rufname darf er nicht ver-
wendet werden. Ebensowenig darf man einen Erwachsenen mit seinem Namen aus der Kind-
heit ansprechen.
5) So Ploß II, 429. Tanner erwähnte Mandan als einen Zweig der Sioux am
Missouri.
•) Ob auch hier an Dämonen zu denken ist? Vgl. die Masken in § 369.
778 Kapitel LVIII. Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
von welchem er sich zu Ehren des großen Geistes den kleinen Finger ab-
hacken ließ, ein Brauch, der ganz gleich bei den Buddhisten Hinter-
indiens wiederkehrt. Zuweilen wurde darauf mit dem Zeigefinger in der-
selben Weise verfahren. (Vgl. die Fiugeramputationen in Afrika und Australien
S. 135 d. B.) Endlich zur Medizinhütte hinausgeführt, hatten sie noch das
„Jekinahka Xajaik", den letzten Lauf, zu überstehen. Man packte sie nämlich
und schleppte sie wild um die Hütte herum, so daß Büffelköpfe, Schild und
alles andere an den Pflöcken Befindliche auf- und niedersprang. Die Kandi-
daten verloren das Bewußtsein, ehe sie auch nur den halben Kreis durch-
gemacht hatten. Endlich riß man ihnen, was an den Pflöcken befestigt war,
ab, bedeckte sie mit Weidenbüscheln und ließ sie liegen. Nach einiger Zeit
erhoben sie sich und gingen, so gut sie konnten, nach ihrem Wigwam, wo
man die Wunden verband. Tödliche Ausgänge sollen trotz aller Marter sehr
selten gewesen sein. — Im Zusammenhange mit diesem Feste stand der
„Bellokh Napik", der große Büffeltanz, dessen Ausführung die Mandan das
Kommen der Büffel zuschrieben, um sie während des folgenden Jahres mit
Nahrung zu versorgen1).
Nicht so hochgradige, aber immerhin bemerkenswerte Leiden sind mit
der Pubertätsfeier, bzw. Männerweihe auch anderer Indianervölker verbunden.
Ein verzärteltes Knabenalter wird da kaum vorangehen, wenn auch Ver-
zärtelung im Säuglingsalter bezeugt ist2). Von den heutigen Maskoki
wenigstens schreibt Miß Owen: Sobald deT" Knabe entwöhnt ist. d. h. mit
4- 5 Jahren, gehört er seinem Vater, oder, wenn seine Mutter geschieden oder
verwitwet ist. ihrem Vater, und wenn dieser tot. ihren nächsten männlichen
Verwandten*). Damit beginnt für das verzärtelte launische Bürschlein eine
schwere Zeit, und diese wird mit jedem Monat schwerer. Er hat Nachtwachen
zu halten, muß fasten und bei Schmausen hungrig zusehen, Gänge bei Nacht
machen, während nach dem ihm beigebrachten Glauben doch alles voll bos-
hafter Teufelchen und kannibalischer Geister ist; er muß unbändige
Füllen reiten, wird in den Fluß geworfen, aus dem er sich nach Kräften
herauszuarbeiten hat. wird der Sonnenhitze und bitteren Kälte ausgesetzt, und
liefe er zum Mütterchen um Trost, so wäre er für immer gebrandmarkt.
Später dehnen sich die Fasten, welche anfangs in der Entbehrung einer einzig« n
Mahlzeit bestehen, auf Tage und Nächte, auf Speise und Trank aus.
Früher wurde der Pubertätskandidat vom Häuptling seines Klans so
lange gepeitscht, bis dem Häuptling die Hände erlahmten. Durch eine „Offen-
barung" wurde diese Tortur abgeschafft.
Um aus seinem Sohn einen prächtigen Mann zu machen, scheut der
.Maskoki ferner keine Kosten beim Medizinmann, der vor der Tür des Schwitz-
hauses, wo er sein Schwitzbad genommen, hin und her wirbelt, wobei er das
Totem des Knaben mit Absingung von Gebeten und Komplimenten ehrt
Ferner gibt der Vater möglichst viele religiöse Tänze und lehrt seinen Sohn
während achtzig Tagen innerhalb des letzten Noviziat enjahres die Leitung
solcher Tänze. Endlich kommt das neuntägige Fasten, während welcher der
Kandidat einsam in Fieberträumen im Wald umherwandert. Diese Träume
') Ploß II. 429f. mit einem Hinweis auf Glob. Bd. 16, 1 -7 und 17—21, sowie auf
Catlin, Nordam.-Indians, 1, 178. Die Torturen der Mandan, mit denen der Pirnas (8. 780)
verglichen, scheinen tatsächliche Mutproben zu sein. Allerdings bleibt l»'i diesem Br-
klät ich doch auch manches dunkel, während andererseits das Bedeckeu der Bi ■-
wußtlosen mit Weidenbüscheln an früher erwähnt.' australische Zeremonien, bzw. an einen
mystischen Tod erinnern. Daß auch hier. wi< bei den Maskoki (s. o.), an ein Aufwachen
als „neue Männer" zu douken ist, dünkt mir wahrscheinlich.
-i Vgl. die Kapitel über Pflege und Erziehung.
3) Wir haben also auch hier Sippenrecht. Vgl. Kap. LI.
§ 382. Indianer. 779
gelten als prophetisch. Hauptsächlich einer davon offenbart ihm seinen Beruf
uud seine „Medizin" *). Es liegt ihm nun ob, letztere noch vor Ablauf dieser
Fastenzeit aufzufinden und sich eines Teils derselben, ohne die ..Medizin"
selbst zu töten oder zu vernichten, zu bemächtigen und diesen Teil in ein
Säckchen zu legen, welches er unter dem linken Arm tragen muß2). Am
letzten Tag des Noviziates erscheinen die noch immer fastenden Kandidaten
im Tanzhause. in dessen Mitte gewöhnlich der Kriegspfahl, bald mit. bald
ohne Flagge steht. In einem großen Kreis sitzen die Häuptlinge und Räte
herum, der Medizinmann macht außerhalb des hl. Kreises wiederholt die Kunde
und betet um guten Erfolg; die übrigen Stammesangehörigen schauen von
außen zu. Auf ein Zeichen des Oberhäuptlings galoppieren die bereits in den
Kreis gerittenen Kandidaten auf ihren ungesattelten, aber aufgezäumten
Kennern um den Kriegspfahl, welchen sie mit ihren Kugeln oder Pfeilen,
Beilen oder Messern zu treffen suchen. Jede Waffe trägt die Erkennungsmarke
ihres Eigentümers, so daß die auf ein gegebenes Zeichen erfolgte Untersuchung
herausstellt, wessen Waffe gefehlt hat. Der Eigentümer ist für immer aus
der Zahl der Männer ausgeschlossen, doch kommt ein Fehlen selten vor. —
Eine in unserer Zeit nur noch fingierte Bärenjagd, ein Bärentanz und aber-
mals ein Jagdspiel bilden den Schluß der ersten Abteilung dieses letzten Tagvs.
worauf die Kandidaten heim dürfen, um bis Sonnenuntergang auszuruhen.
Das Waffenspiel um den Kriegspfabl kann von den Häuptlingen und
Greisen durch andere Proben ersetzt werden. In diesem Falle reiten, schleudern,
schießen und ringen die Kandidaten stundenlang, um ihre Kraft und Ge-
schicklichkeit zu beweisen. Hierauf stellen sie sich in einer Reihe auf und
versprechen, treue Freunde und Stammesangehörige zu sein, alle ihrem
Volke angetanen Beleidigungen zu rächen, die Ahnentiere (ancestral animal)3)
und das Andenken der ins Geisterland gegangenen Männer zu ehren und
eifrig zu Meechee Manito-ah zu beten. Der religiöse Tanz der Kandidaten
dauert von Sonnenuntergang bis Mitternacht. Dann legen sie sich auf den
Boden des Tanzhauses, um bis Tagesanbruch zu schlafen und als Männer zu
erwachen4). An diesem Tag ladet jeder neugeweihte Mann, dem seine
Mittel es gestatten, die Männer seines Totems zu einem Mahle ein.
') Ploß schrieb im Hinweis auf Waitz und Catlin betreffs ..einiger' nordamerikanischer
Stämme, wobei er hauptsächlich jene in Nord -Carolina im Auge gehabt zu haben scheint :
„Vor allem aber ist für den Übergang des Knaben zum Hanne sein „„Lebenstraum"" von
Wichtigkeit, durch den er einen individuellen Schutzgeist erwirbt, welchen er von da
an als eine ..„Medizin"", gewöhnlich in Gestalt eines Tierbalgs, immer mit sich führt. Zu
•diesem Zwecke zieht sich der 14 — 15jährige Knabe in die Einsamkeit zurück, um besser
träumen zu können. Der Traum offenbart ihm sein Lebensschicksal und seine künftige Be-
stimmung; die höheren Weisungen, die er durch ihn erhält, begleiten ihn sein ganzes Leben
hindurch. Manche sonderbare Namen erklären sich aus diesen Traumbildern: „„Loch im
Himmel"" war der Name eines Mannes, dem sein Schutzgeist durch ein Loch im Himmel
•erschienen war. Es handelt sich nämlich vor allem darum, daß dieser sich sehen lasse: es
muß das Fasten und Träumen so lange fortgesetzt werden, bis ein Tier erscheint. Nachdem
Erwachen wird diesem Tiere sogleich nachgespürt und der Balg oder sonst ein Teil des er-
legten (Tieres), welchen der Traum besonders bezeichnete, sorgfältig aufbewahrt und stets
getragen, denn der Verlust desselben würde, wie Catlin angibt, die tiefste Verachtung des
„„Mannes ohne Medizin"" von Seiten anderer und beständiges Unglück im späteren Leben zur
Folge haben.
2) Owen führt uns im Anhang zu ihrem „Folk-Lore . . ." auf Tafel 3 eine Adler-
kralle als eine solche „Medizin" vor. Der Besitzer hatte während seiner Pubertätsfasten von
einem Adler geträumt. Bevor er bei seinem Stamm als Mann anerkannt wurde, mußte er
sich etwas von diesem Adler verschaffen, ohne daß er dem Vogel Schmerzen verursachte oder
durch andere verursachen ließ. Doch durfte er auch eine Kralle oder eine Feder von einem
bereits erlegten Adler, der im Besitz des Häuptlings oder eines andern war, heimlich ent-
wenden.
3) Wohl „Totem" gemeint.
*) Wiedergeburt.
780 Kapitel LVIII. Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
Als bei „Indianern Nordamerikas" um die Zeit der Mannbarkeit ge-
bräuchlich gab Floß folgende Bräuche wieder: ,.Ehe der Jüngling zum Krieger
wird, hat er sich nicht nur allerlei Zeremonien zu unterwerfen, sondern auch
während seiner ersten drei Feldzüge manche lästige Bräuche zu beob-
achten, deren die älteren Krieger überhoben sind. Er muß stets sein (iesicht
schwarz bemalen, eine Kopfbedeckung tragen und den alten Kriegern auf dem
Fuße folgen. Nie darf er vor ihnen hergehen; ihm ist verboten, sich den
Kopf oder irgendeinen anderen Teil des Körpers mit den Fingern zu kratzen,
er muß dazu ein Stückchen Holz nehmen. Seine Geräte und Waffen darf
außer ihm niemand anrühren. Am Tage darf er weder essen noch trinken,
noch sich setzen; wenn er einen Augenblick Halt macht, um auszuruhen,
wendet er sein Antlitz der Heimat zu, damit der große Geist erfahre, daß er
wieder in seine Hütte zurückzukehren wünscht."
Schwere Proben mußten ferner die 14— 15jährigen Söhne der Pirnas
in Mexiko zur Zeit des Missionars Och (1757 — 1707) bestehen, wenn sie ihre
Häuptlinge um Aufnahme als Krieger baten: Zunächst ergriff der Häuptling
den Kandidaten bei den Haaren, warf ihn auf dem Boden hin und her und
gab ihm Faustschläge. Ein einziger Seufzer hätte genügt, den Burschen als
untauglich zurückzuweisen. Die zweite Probe bestand in einer blutigen Aus-
peitschung mit Ruten und Dornen. Zur dritten Probe stach, hackte, kratzte und
riß der Häuptling den Leib des Kandidaten mit getrockneten Raubvögel-
krallen blutig, wobei dieser sich munter Steffen mußte. Fielen schließlich die
Versuche des Kandidaten auch im Pfeilschießen gut aus, dann reichte ihm
der Häuptling Bogen und Pfeile und hielt an ihn eine Ansprache: Er solle
niemals zaghaft sein, sich gern in Gefahren jeder Art wagen, auf jeden "Wink
seines Häuptlings achten, sich und sein Volk allein als Menschen, die Feinde
aber als Avilde, doch nicht zu fürchtende Tiere ansehen, und sich und seine
Landsleute stets zu schützen suchen. — Damit war der Bursche in den Stand
der Krieger aufgenommen (Och bei Chr. G. von Murr).
Wie bei den heutigen Maskoki die Jugend überhaupt, so wurden sein in
im peruanischen Inkareich die Söhne der Adeligen von Kindheit an syste-
matisch auf die Prüfungen vorbereitet, welche sie im Alter von Di — 20 Jahren
zu bestehen hatten, ehe sie den Ritterschlag erhalten konnten. Ohne diesen
konnten sie weder im Krieg noch im Frieden eine bevorzugte Stellung be-
kleiden. Der Ritterschlag wurde jedes Jahr vor(?) dem „Guaraca" oder
Ritterfest, dem zweitgrößten1) Fest des ganzen Jahres, gewöhnlich im eisten
-Mi.ij.it des Jahres in der Hauptstadt, Cuzco, erteilt. Die Präfangen wurden
größtenteils in einer Anstalt (Collcampata) unter der Leitung einer Kom-
mission aus zehn Greisen von reicher ziviler und militärischer Erfahrung ab-
gehalten. Die erste Aufgabe bestand in einem sechstägigen strengen Fasten,
welches den Kandidaten täglich nur eine Handvoll roher Maiskörner mit
einem Trunk Wasser gestattete. Dabei mußten die Jünglinge barfaß gehen
und auf nackten Felsen übernachten. - Am siebenten Tag" erhiell jeder eine
doppelte Kation, um sich für die /weite Aufgabe, einen Dauerlauf, zu starken.
I lieser fand am achten Tage statt. Man führte die Kandidaten zu diesem
Zweck frühmorgens auf den heiligen Hügel „Huanuncari" und ließ sie \uii
hier aus bis zur Mauer der Hauptstadt, eine Strecke von ca. 10 Kilometer,
lauten. Am Ziel war ein Wimpel aufgesteckt, der dem Sieger als Preis zu-
fiel. Längs der Rennbahn standen die Eltern und Angehörigen der Jünglinge
und ermunterten diese, wenn sie vorbeiliefen. Wer unterwegs blieb, galt für
untauglich. Nach diesem teilte man die Kandidaten in zwei gleiche Parteien,
von denen jede wechselseitig die Stadtmauer in Besitz nahm, um sie. zwar
M Das größte Fest war das Sonnenfest (Yntip Raynii), welches im .Juni gefeint wun'c
§ 382. Indianer. 781
ohne Waffen, doch so nachdrücklich zu verteidigen, daß mancher gelähmt
oder mit gebrochenen Gliedern liegen blieb. — Tags darauf fanden teils in
der Anstalt, teils im Freien, gewöhnlich zwischen je zwei gleichalterigen
Jünglingen, Ringkämpfe und Waffenspiele statt. AVer unterlag, wurde aus-
geschaltet. — Eine weitere Prüfung bestand in einem Wachtdienst während
zwölf aufeinander folgenden Nächten in und außerhalb der Stadtgrenze. Be-
waffnete Patrouillen, welche die Jünglinge dann und wann in der Dunkelheit
mit Scheinangriffen überraschten, erprobten dabei ihren Mut; Inspektoren
hatten nachzusehen, ob sie wach waren. Wer im Schlaf angetroffen wurde,
oder wer sich feig und erschrocken zeigte, hatte keine Aussicht auf eine
fühlende Stellung im Staat.
Dann kam die sechste Probe: Die entkleideten Jünglinge mußten sich
in den Hofräumen der Anstalt mit den Füßen stoßen, mit Knüffen und Stock-
hieben auf Arme, Beine und Rücken mißhandeln lassen und waren den tollsten
Scheinangriffen ausgesetzt. Man rannte mit gefällter Lanze und mit Speeren
auf sie ein, als wollte man ihnen den Leib durchbohren und die Augen aus-
stechen, oder man drohte ihnen, mit einer Keule den Schädel zu zerschmettern.
Das geringste Zeichen von Furcht machte den Mann unmöglich. Die letzte
Prüfung unterschied sich wesentlich von den vorhergehenden, d. h. sie be-
stand in der eigenhändigen Anfertigung von Waffenstücken aller bei den
Inkas üblichen Gattungen, sowie in der Herstellung der „Usutu" oder sandalen-
artigen Fußbekleidung.
Diese Prüfungen nahmen beinahe einen Monat in Anspruch, während
welcher Zeit die Greise täglich die Jünglinge an ihre erhabene Rasse er-
innerten und sie ermahnten, ihre Sache gut zu machen. Nach Ablauf dieser
Zeit erschien der König, von den Ältesten seiner „Rasse" begleitet, in der
Anstalt, ermahnte die Jünglinge zur praktischen Betätigung dessen, was sie
bisher gelernt, und durchstach hierauf jedem Kandidaten, indem dieser vor
seinem König niederkniete, die Ohrläppchen. Dann steckte er jedem zwei
Goldspangen, Zeichen der Ritterwürde, in die durchbohrten Lappen. Der neue
Ritter küßte seinem König die Hand und erhielt hierauf aus den Händen
beauftragter Greise die seinem Stand gebührende Bekleidung und Kopfschmuck.
Letzterer bestand in drei Kränzen, Symbole der Sanftmut, Gerechtigkeit und
Ehrfurcht1). Ferner reichte man jedem einen silbernen Wurfspeer und eine
eiserne Streitaxt mit entsprechender Ermahnung.
Härter noch waren die im wesentlichen gleichen Prüfungen des Thron-
folgers, der außerdem vier Wochen lang öffentlich in Lumpen gekleidet er-
scheinen mußte, damit er das Elend empfinden lerne und mit Recht „Wohl-
täter der Armen-' (Huacchacuyac) genannt würde (Sundstral).
Nach Riehard Karutz war die in den „Pubertätsjahren" vorgenommene
Durchlöcherung des Ohrläppchens bei den alten Inkas ein der (jüdischen?)
Beschneidung analoger religiöser Akt, Man sammelte das aus der W'unde
tropfende Blut in einen Schwamm und drückte diesen über der Opferschale
vor den Götterbildern aus. Ferner bemerkt Karutz, daß der Jüngling mit
dieser Zeremonie in die Reihe der vollberechtigten Männer seines Volkes
eintrat2).
Floß3) dachte an zwei Feste für die Einweihung der männlichen Jugend
im Inkareich. Der „Wehrhaftmachung'' im 16. Lebensjahr sei ein Fest im
') Näheres hierüber bei Frau: Sundstral: Aus dem Reiche der Inkas, Berlin 1902, S. 42.
2) Den religiösen Charakter der Ohrendurchbohrung an kleinen Kindern im alten
Jlexiko siehe S. 117 d. ß. — Beschneidung scheint im Inkareich nicht üblich gewesen
zu sein. — Über die Beschneidung im heutigen Peru s. S. 215 d. B.
3) II, 447.
782 Kapitel LVIU. Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
10. bis 12. Lebensjahr vorausgegangen, an welchem die Knaben ihren zweiten
Namen erhielten.
Geißelung und Fasten finden wir dann wieder bei der Aufnahme in den
Männerbund im nordwestlichen Brasilien. Theodor Koch- Grünberg wohnte
einer solchen am Rio Tiquie bei. Die Aufnahme fand nach andauernden
Yurupary-Tänzen ') statt. Die Kandidaten waren mit roten Mustern bemalt
und in Galaschmuck. .Teder umklammerte bei der Geißelung mit beiden
Händen den Schaft einer langen Lanze*) mit Eisenspitze, die im Boden
steckte. Oberkörper und Gesicht hatte er etwas geneigt, die Stirne preßte er
wider die Hände. Der Großonkel des Häuptlings, ein außergewöhnlich
kräftiger Mann, brachte ihm mit einer schwanken Gerte, deren Nebenzweige
man so abgeschnitten hatte, daß spitze Knoten stehengeblieben waren, drei
scharfe Hiebe über den nackten Körper bei, die hauptsächlich Waden und
Bauch trafen und klaffende "Wunden hinterließen *).
Die Uanana (gleichfalls im nordwestlichen Brasilien) peitschen die
„Jünglinge" am großen Dabukuri4), besonders über den Bauch. Nach dieser
Peitschung dürfen die Jünglinge fünf Monate lang kein Fleisch, keine Fische,
kein Kapsicum, sondern nur ganz leichte Speisen essen, z. B. Mandiokagerichte,
Ameisen und Käferlarven. Hier sollen die Jünglinge nur dieses eine Mal,
d. h. bei ihrer Aufnahme in den Männerblind, gepeitscht werden, was aber
Koch-Grünberg bezweifelt, da er auch an jungen verheirateten Männern
wiederholt frische Narben sali. —
Die Feste des Männerblindes finden im nordwestlichen Brasilien Mets
zur Zeit der Beife einzelner Waldfrüchte statt und sind den Dämonen der
Fruchtbarkeit geweiht. Koch-Grünberg faßt sie unter dem gemeinsamen
Ausdruck Yuriiparj'feste zusammen, wenn auch der Namen sowohl des Festes
als des Dämons, zu dessen Ehre es gefeiert wird, je nach der Sprache des
Stammes, verschieden ist. „Yurupary" ist nach Kochs Ausführungen in der
Lingoa geral der Name des am meisten gefürchteten (?) Dämons der alten
Tupinamba und ist identisch mit dem Jyäimi der Aruakstämme im
nordwestlichen Brasilien. Nach diesem Dämonen Jyäimi nennt sich ein
Indianerstamm, der auch als „Jurupary-tapuyo" (Dämonen-Indianer) bekannt
ist5). Hier identifiziert sich also das Volk selbst mit dem Dämon, weshalb
mir der obige Ausdruck „gefürchteter" Dämon zweifelhaft erscheint.
Dem Vurupar)1 entspricht ferner der Küai (Koai, Uamüdana, Man-
hekanalienipe) bei deuKäua6). einem Stamm am oberen Aiary. dessen Bild,
eine große menschliche Figur mit stark hervorgehobenen Geschlechts-
teilen, Koch-Grünberg bei den Käua sah7).
.. Ki'iai" heißen ferner (bei den Käua?) die großen Flöten, welche bei
den gleichnamigen Tänzen gespielt werden, die Koch- Grünberg als religiöse,
geheimnisvolle Tänze zu Ehren Küais bezeichnet, sie aber auch unter den
^ nruparutänzen subsumiert, die von den Indianervölkern am ganzen oberen
') IJber diese w. u.
2) Ober diese, mit den Haaren einer Pubertätskandidatin verzierten Lanzen s. § ;jfiy.
Hin Lanzen waren außerdem Hasseln eingefügt.
y „Pubertätsgebräuche" wurden diese Zeremonien nicht genannt, doch zweifelt
Koch-Gfriinberg nicht, daß es solche sind.
*) Yurupary-JPest.
' Koch-Grünberg, Zwei Jahre II, 5a.
e) Auch dieser Stammesname scheint nach dem Namen des Stammdämonen gebildet
zu sein, was ja so ziemlich selbstverständlich ist. wenn diese Dämonen die mächtigsten i'rucht-
barkeitsdämonen ihres Volkes sind. Sie sind dadurch gewissermaßen auch als Stammväter
gekennzeichnet, worauf die oben folgende Beschreibung des Küai-Bildes hinweist.
ri Zwar bezeichneten die Käua diesen Küai als den „Sohn" des Stammvaters (Taperi-
culi; der Aruakstämme (Koch I, 113). aber der Sohn stammt eben von seinem Vater.
§ 382. Indianer. 783
Rio Negro und seinen Nebenflüssen, auch noch von den sogenannten
christlichen Indianern, getanzt werden, und die allem Anschein nach in
vielen Variationen über einen großen Teil des tropischen Südamerika
überhaupt verbreitet seien. Die Teilnahme an der Feier ist ein Privileg der
erwachsenen Männer. Weiber dürfen die Flöten nicht einmal sehen; sonst
werden sie vom Köai getötet, d. h. mit dem Tod bestraft1).
Schon Humboldt habe von einem Fest der Völker am oberen Orinoco,
am Atabapo und Inirida (Zuflüsse des Orinoco) zu Ehren des „guten"'-)
Geistes Cachimana berichtet, der die Jahreszeiten regiert und die Früchte
reifen läßt. Statt der Flöten gab es hier heilige Trompeten, die
ßotutos, aus Ton gebrannte Röhren von 4—5 Fuß Länge, die sich an mehreren
Stellen zu Hohlkugeln erweiterten. Sie wurden von einigen alten Indianern,
die in die Mysterien eingeweiht waren, aufbewahrt und während des Festes
unter den Palmen geblasen, damit sie reichlich Früchte trugen.
Die Eingeweihten unterzogen sich der Geißelung, dem Fasten und andern
„angreifenden Andachtsübungen". Bald blies Cachimana selbst die Trompete,
bald ließ er seinen Willen durch den Mann kundtun, der das wunderbare
Instrument aufbewahrte. Auch diese Trompeten durften von keinem Weib
erblickt werden. Hatte eines das Unglück, es zu sehen, dann wurde es ge-
tötet 8).
Die heutigen Indianer kennen die Grundbedeutung dieser
Feste nicht mehr. Ein Eingeboruer antwortete auf die diesbezügliche
Frage Kochs, ihre Vorfahren hätten das von alters her so gemacht, und so
machten es auch sie. Korh selbst sieht in diesen Festen ein ursprüngliches
Dankfest, um den Geist (Koai oder wie die Namen bei den verschiedenen
Stämmen lauten) zu befriedigen, und zugleich eine Zauberhandlung, um ihn
durch Tänze, Kasteiungen und Geißelung zu beeinflussen und weitere reiche
Ernte zu erlangen.
Bei den Yahüna lernte Koch-Grimberg über die Entstehung der ge-
schilderten Feste (Yurupary) folgende Sage kennen: Vor vielen Jahren kam
aus dem großen Wasserhaus, der Heimat der Sonne, ein kleiner Knabe, namens
Milomaki ' ), auf dessen schönen Gesang die Leute von nah und fern herbei-
eilten, um ihn zu hören und zu .-.eben. Als aber die Leute heimkehrten und
Fisch aßen, fielen sie alle tot nieder. Die Hinterbliebenen verbrannten dafür
deu mittlerweile zum Jüngling herangereiften Milomaki auf einem Scheiter-
haufen. Mitten in den Flammen sang der Jüngling: ..Jetzt sterbe ich, mein
Sohn (?), jetzt verlasse ich diese Welt; jetzt zerbricht mein Leib, jetzt bin
ich tot." Bei den letzten Worten zerplatzte der von Hitze angeschwollene
Leib; dieser wurde zu Asche verbrannt, die Seele aber stieg zum Himmel
auf. Noch am gleichen Tag erwuchs aus der Asche ein langes, grünes Blatt,
das bis zum folgenden Tag sich zu einem hohen Baum, zur ersten 6) Paxiuba-
palme entwickelte. Aus ihrem Holz machten die Leute große Flöten, und
diese gaben die wunderschönen Weisen wieder, die einst Milomaki gesungen
') Zwei Jahre I, 189.
2) Diese Eigenschaft entspricht dem „Fruchtbarkeitsdämon" eher, als „gefürchtet".
(Vgl. v. S.) Cachimana ist, nach dem Zusammenhang zu urteilen, wesentlich der gleiche
Däruon, wie die früher erwähnten, und wie der noch zu erwähnende Milomaki der Yahüna.
3) Koch-Grünberq, Zwei Jahre I, 189 nach Humboldt: Reise in die Äquinoktialgegenden
des neuen Kontinents. In deutscher Bearbeitung von Hermann Hauff'. Bd. III, S. 295, 323 fl'.
Stuttgart 1860.
1 1 ..Maki" bedeutet nach Koch-Grünbery (II, 292) in der Sprache der Yahüna „Sohn".
6) Vorher gab es keine solche Palme. — Vgl. in Longfellmrs Hiawatha die Identifi-
zierung des Mais mit dem Menschen: Mondamin ist beides, hat als Mensch mit Hiawatha
gerungen, wurde besiegt und begraben und wächst als Mais aus dem Grabe hervor.
784 Kapitel LVIII. Pubertätsfeste des mäunlicheD Geschlechtes.
hatte1). Die Männer blasen sie bis auf den heutigen Tag jedesmal, wenn
die Früchte Inga, Pupünha, Castänha, Uniari und andere reif sind, und tanzen
dabei zu Ehren Milömakis, der alle Früchte geschaffen hat. — Die
Weiber und kleinen Kinder dürfen auch hier die Flöten nicht sehen. Jene
würden sonst sterben, und die Kinder würden zunächst Erde essen und er-
kranken und dann auch sterben. Die Männer dürfen nach dem Tanz erst
wieder etwas genießen, nachdem ihnen der Zauberarzt eine geröstete Pfeffer-
frucht gegeben hat, und auch dann ist ihnen 21;., Tage lang nur Beijü.
Kapsikum, Tukupi und Saüba-Ameisen gestattet. Einmal im Jahr aber, bei
dem „großen Yurupary-Fest", zu dem viele Leute zusammenkommen, geißeln
sich die Teilnehmer bis aufs Blut. Die Wunden werden mit Pfeifer einge-
rieben und „schmerzen drei Tage lang fürchterlich".
So erzählte ein Yahüna-Indianer Koch-Qrwnberg, der in diesem
Milömaki die Sonne selbst sieht, die von Osten aus dem Meere steigt,
über die Erde wandert und im Feuer gen Himmel geht2).
Am Aiary findet das entsprechende Fest statt, wenn die Früchte der
Assa'i- und Bacäba-Palme reif sind. Es beginnt hier nachmittags 3 Uhr. 31 it
den Flötenbläsern an der Spitze werden die eingeernteten Palmfrüchte in
feierlichem Zug in die Maloka (Gemeindehaus) gebracht. Bei den ersten
Flötentönen verlassen alte weibliche Personen und kleine Knaben das Haus
und ziehen sich in ein anderes zurück, dessen Ausgänge verschlossen werden,
oder sie verbergen sich im Walde. Gewöhnlich sind es zwei Flöten, die die
Musik liefern; drei sind eine Ausnahme. Sie sind in Länge und Ton ver-
schieden, aber genau aufeinander gestimmt. Der Tanz besteht in einfachen
Rundgängen der Flötenbläser, und zwar in raschem Marschtempo. Dazu blasen
die Tänzer auf ihren Flöten, die sie mit der rechten Hand halten, eine dumpfe,
jedoch nicht unangenehme Weise. Die linke Hand ruht auf der rechten
Schulter des Nebenmannes. Die Peitsche tragen sie unter dem rechten Arm
eingeklemmt. Nach jeder Kunde stellen sie sich nebeneinander auf; der eine
Tänzer nimmt seine Flöte in die linke Hand und bringt seinem Partner, der
sein Instrument in die Höhe hält und aus Leibeskräften bläst, mit der Peitsche
drei heftige Hiebe über Bauch und Seiten bei, so daß das Blut aus den
klaffenden Wunden strömt. So geht es längere Zeit fort, Der Anblick der
blutüberströmten Leiber und der reichliche Genuß des berauschenden Kaschiri
steigern die Erregung immer mehr. Ein Tänzer löst den andern ab, bis alle
teilgenommen haben und die ernste Feier den gewöhnlichen Tänzen Platz
macht, an denen auch die Weiber sich beteiligen3).
Bei Floß4) fand sich über den Abschluß der Kinderjahre bei den Muras
am Madeira, zentrales Brasilien, folgendes: ..Sie begehen jährlich einmal acht
Tage lang ein Fest, welches den Eintritt der JüDglinge in die Mannbarkeit
feiern soll. In einem geräumigen, offenen Hause5) versammeln sich die Männer,
denen die Weiber reichlich Kaschiri und andere berauschende Getränke spenden.
Sie reihen sich sodann nach gegenseitiger Wahl paarweise zusammen und
peitschen sich mit langen Kiemen von Tapirhaut6) bis auf das Blut, Diese
Geißelung ist ein Akt der Liebe und dürfte als Ausdruck eines
') Die Flöten sind also, wie die Palme, gewissermaßen mit Milömaki identifiziert;
bVuchtbarkeitsdämon und Stammvater, vegetative und menschliche Fruchtbarkeit schmelzen
ineinander.
•') Zwei Jahre II. <i92f. — Die Sonne selbst lernten wir im „Kind" wiederholt als
apotheosieite Fruchtbarkeit, bzw. als deren Symbol kennen.
3| Koch-Grünberg, Ebenda I, 187 f.
•'i II, 127.
6) Wohl das Gemeindebaus gemeint.
' i Vgl. die Riemen aus den Häuten der Opferböcke an den altrömischen Luperkalieu
usw. aul S :;;. l d |(. ,,. ,,, ni.
§ 382. Indianer. 795
irregeleiteten Geschlechts Verhältnisses zu betrachten sein1). Nachdem
die blutige Operation mehrere Tage lang fortgesetzt worden, blasen sich die
paarweise verbundenen Gefährten Parica, das ist eine narkotische Substanz
(Pulver aus den getrockneten Samen der Mimosa acacioides), mittels einer
Röhre aus Bambus (Tabacos) in die Nasenlöcher; eine plötzliche Exaltation,
unsinniges Reden, wildes Springen usw. sind die Folgen dieser Operation."
Die Mundrucüs im Stromgebiet des Tapajoz, zentrales Brasilien,
gewöhnen ihre Söhne schon im Knabenalter an den Biß der großen Ameise
(Tocangnira, Cryptocercus atratus). Man füllt einige dieser Tierchen in einen
baumwollenen Ärmel (der dem Knaben angezogen wird?) und läßt sie unter dem
wilden aufmunternden Geschrei der Nachbarn „beißen"2). Die Arme des
Knaben schwellen von den Bissen an und werden entzündet. An diese Quälerei,
welche gewöhnlich bis zum- 14. Jahr nach Zwischenpausen fortgesetzt wird,
hat sich der Reifekandidat dann insofern gewöhnt, als er die Stiche ohne ein
Anzeichen von Unmut hinnimmt. Von jetzt an gilt er als ein selbständiger
und heiratsfähiger Mann (von Martins).
Noch schmerzhafter schildert Daniel3) diese „Prüfungen", indem er
schreibt, daß der Kandidat den Vorderarm in eine mit Sauba, einer kleinen
Ameisenart, gefüllte Kürbisschale stecken und so lange darinnen halten müsse,
als die Horde um ihn herumtanze. Der Oberarm werde zu dieser Zeremonie
mit bunten Federn verziert.
Auf gleiche Art versuchen auch die Tamanacos am Orinoco die
„Standhaftigkeit" ihrer Jünglinge, schrieb Floß.
Nach C. H. de Goeje ist es nicht gewiß, ob die „Wespenproben" (wenigstens
jene in Surinam) mit der Reifefeier in Verbindung stehen. De Goeje
wohnte einer solchen bei den Ojana am Tapanahoni, Surinam, bei. Drei
Jünglinge unterzogen sich den Qualen in ihrem ganzen Umfang, indem sie
sich einen Kunanä, d. h. einen mit Wespen gefüllten Behälter (in Fischform?)
auf Rücken, Brust, Bauch, Beine und Amte drücken ließen, ohne einen Laut
von sich zu geben, obgleich ein einziger Stich dieser Wespenart bedeutenden
Schmerz verursache. Mehrere Kinder ließ man von großen schwarzen
Ameisen stechen, was ein Teil mutig aushielt, während andere schrieen.
Was den Zweck dieser Zeremonie betrifft, so weist De Goeje auf eine
Mitteilung Coudreaus hin, nach welcher die Ojana von diesen Stichen
Kräftigung, Geschick und Arbeitsamkeit erwarten.
Den „Wespenproben", welchen Jules Crevaux bei den Rucuyenne,
einem Zweig der Karaiben am Vary, beiwohnte, unterzogen sich Kinder von
8 — 12 Jahren und erwachsene Heiratskandidaten. Die Zeremonie, Marake
genannt, verlief wie folgt:
Zuerst setzte man die Tanzkostüme, besonders die mit Federn bedeckten
Hüte, instand. Diese kolossalen Gebäude von nicht weniger als 1% m Größe4)
waren mit Massen von Federn und mit glänzenden Käferflügeln verziert.
Den Unterleib bedeckten sich die Tänzer mit einer Menge Binden. Manche
trugen an dem rechten Bein eine Art Knieband mit Schellen; noch andere
hatten auf dem Rücken einen hölzernen Fisch6) mit Löchern, aus welchen
*) Dem obigen Ausdruck „irregeleiteten'' zufolge scheint Ploßs Quelle die Geißelung
der Huras als den Ausdruck eines perversen Geschlechtsverhältnisses aufgefaßt zu
haben. Ploß selbst dürfte dieser Andeutung kaum einen großen Wert beigelegt haben,
denn er bezeichnete im allgemeinen die von den Kandidaten zu ertragenden derartigen Leiden
als Proben der Standhaftigkeit (vgl. 2. Aufl. II, 412 f.).
*) So bei Ploß II, 427. Es ist aber wohl an den Stachel zu denken (vgl. § 369).
*) Ebenda
*) Als Maske gedacht?
*) Der Fisch ist bei manchen Völkern ei» Bild der Fruchtbarkeit.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 50
786 Kapitel LV1II. Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes.
große Vogelschwänze herabhängen. Bei Sonnenuntergang- begann der Tanz
beim Schein großer Feuer und unter Gesängen über Liebesgeschichten und
Kriegstaten. Die jungen Leute standen dabei rund um ein mit einem großen
Stück Rinde bedecktes Locli und stampften im Takt mit dem rechten Bein
darauf, während sie es mit dem linken festhielten. Bei jedem Tritte entlockten
sie einer kleinen Bambu-Trompete1) einen kurzen Ton. Mit Sonnenaufgang
legten die Tänzer ihre Kostüme ab, und nun begann die Makare-Marter. Der
Piay2) ließ einen der Heiratskandidaten von drei Männern ergreifen; einer
hielt diesen an den Beinen, der zweite an den Armen, während ihm der dritte
den Kopf rückwärts bog. Dann setzte er ihm die Stacheln von hundert
Ameisen an, welche in einem gitterförmigen Geflecht so steckten, daß sie
um die Mitte des Leibes festgehalten werdenkonnten. In gleicherweise wurden ihm
Wespenstiche an der Stirn beigebracht, und dann der ganze Körper ab-
wechselnd mit Ameisen und Wespen bearbeitet. Schließlich wurde der
mittlerweile ohnmächtig gewordene Kandidat in eine Hängematte gelegt und
mit Stricken festgebunden. Dann zündete man ein kleines Feuer unter ihm an.
Blutentziehung als Zeremonie bei der Pubertätsfeier der männlichen
.lugend erwähnte PloßA), im Hinweis auf Döbrizhoffer, von den Abiponem.
einem Zweig der Guaikuru in den Grenzgebieten von Paraguay und Brasilien.
') Stimme des Dämon? Vgl. die Trompeten am Orinoco, die FlöteD am .Rio Negro usw.
2) Zauberer, Priester. •>
s) U, 429.
Kapitel LIX.
Gegenseitige Lie'be zwischen Eltern und Kindern.
Positives und Negatives.
§ 383. Die Liebe der Eltern zu ihren Kindern ist unter den mannig-
faltigsten Formen der Gegenstand der weitaus meisten Kapitel dieses Werkes, und
auch die kindliche Pietät spricht aus einigen derselben, z. B. aus den Kapiteln
über Ahnenkult, Charakterbildung und Rechtsverhältnisse (Kap. XLIV, XLVIII
und XLIX). Dennoch glaubte ich, ein eigenes Kapitel mit dem obigen Titel und
dem folgenden Inhalt nicht umgehen zu dürfen, damit gewisse Äußerungen
des Seelenlebens der Menschheit, welche in den Rahmen früherer Kapitel
nicht paßten, ins Auge gefaßt oder besser beleuchtet werden können, als es
dort der Fall gewesen wäre. Freilich liegt durch die Zusammenfassung lieb-
reicher Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern und deren Heraushebung
aus dem übrigen Material jene Gefahr nahe, welche jedem System droht, d. h.
Einseitigkeit, zumal ich gerade in diesem Kapitel wiederholte Hinweise auf
frühere unterlassen zu sollen glaube, weil diese, durch den innigen Zusammen-
hang dieses Kapitels mit dem ganzen Werke, allzu häufig sein müßten. Um
so mehr möchte ich hier darauf aufmerksam machen, daß das Kapitel „Gegen-
seitige Liebe zwischen Eltern und Kindern" nur dann vor Mißverständnissen
bewahren kann, wenn man es mit den früheren Kapiteln vergleicht und
unter diesen vor allem mit den Kapiteln über Aussetzung und Kindermord,
über Erziehung und Rechtsverhältnisse, da beispielsweise ein und dasselbe
Volk vielfach innige Liebe der Eltern zu jenen Kindern aufweist, welche zuni
Fortleben bestimmt sind, aber zugleich auch direkte Tötung oder doch Aus-
setzung mißliebiger Kinder als Brauch duldet, oder für gut oder gar für
nötig erachtet. Nicht selten ist ferner im Völkerleben wahrzunehmen, daß
die zärtliche Liebe zum kleinen Kind einer Gleichgültigkeit oder
selbstsüchtigen Berechnung gegen das größere Kind mehr oder weniger
Platz macht, was bereits teilweise in den Kapiteln über Erziehung und
Rechtsverhältnisse zum Ausdrucke kam, teils im vorliegenden Kapitel
wiederholt erwähnt wird, z. B. von den Melanesiern des Bismarck-Archipels
und der Salomo-Inseln, sowie von gewissen Stämmen des australischen Konti-
nents. Als Gründe dieser Erscheinung in Australien wird einerseits die Früh-
reife des dortigen Kindes und andererseits der intellektuelle Tiefstand der
Erwachsenen angegeben, wodurch jung und alt sich bald auf der gleichen
Stufe als Gleiche gegenüberstehen. Aber diese Gründe können nicht die einzigen
sein, da sie zweifellos auch bei den Australiern am Moore-Fluß zutreffen, bei
denen doch die erwachsenen Söhne ihren altersschwachen Eltern das Beste von
ihrer Jagdbeute geben und die denselben widerfahrenen Beleidigungen rächen
i£ 388). Immerhin dürfte die frühe Möglichkeit der Selbsternährung
der Kinder, hauptsächlich männlichen Geschlechts, bei manchen Völkern dazu
beitragen, das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern früh zu
lockern. Ausschlaggebend ist es aber nicht.
60*
788 Kapitel LIX. Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und Negatives.
Gar mannigfaltig sind die Formen, in welchen uns die Liebe zum Kinde,
auch in diesem Kapitel, kundgetan wird. Die Hindu-Mutter kasteit sich, um
ihren Kindern die Götter geneigt zu machen; die Toda-Mutter empfiehlt ihren
Säugling abends betend dem Mond; Said ßargäsch. der Sultan auf Sansibar,
sucht allabendlich seine Erholuug bei seinen Kleinen; der Sklavenjäger und
Sultan Mukni in Fessan weint vor Freude über die Taten und die Rückkehr
seines Sohnes; altägyptische Philosophie appelliert selbst für schlechte Söhne
an das Vaterherz; zu den Lega-Galla im oberen Nilgebiet fand der Islam den
Weg durch Talismane, welche den Kindern Segen verhießen; bei den Raffern
machen die weißen Händler gute Geschäfte, wenn sie vorher den Kindern
eine Kleinigkeit geben, und christliche Missionare finden bei den Erwachsenen
empfängliche Herzen durch die den Kindern erwiesene Liebe. Bei den deutsch-
ostafrikanischen Wagogo gehen Eltern an Stelle ihrer Kinder in die Ge-
fangenschaft (und umgekehrt); manche Hottentottin und manches Buschweib
hungert lieber selbst, als daß sie ihr Kind hungern ließe, und der von Schurz
erwähnte Fall in § 387 beweist, daß auch ein Hottentotte sein Leben für
seinen Sohn hinzugeben vermag. Eine Samoanerin deckte ihren Sohn mit ihrem
eigenen Leib gegen den Feind; eine Indianerin aus dem Stamme der Ohaina.
Nebraska, ließ sich bei lebendigem Leib skalpieren, um ihre Kinder zu retten.
und eine Tsclnnna-Indianerin warf sich trotz sinkender Nacht und drohendem
Sturm ins Meer, um zu ihrem Kind zu gelangen. Bezeichnend ist auch die
Bitte der Ojana-Indianerin <§ 392) um ein Mitte], durch welches ihr Söhnchen
ewig leben könne, und nicht weniger bezeichnend der Mutterstolz im
Harem des Untergouverneurs von Disful (§ 385), welcher schon im zehn-
jährigen Sohn eine zukünftige Stütze des Staates sieht. Eine Parallele hierzu ist
der Vaterstolz des obigen Sultans auf Zansibar, der mit seinen Kindern am offenen
Fenster spielt (§ 385), und die Mutter des Häuptlings am Tanganyka, welche
die Weiber des Dorfes zur Begrüßung ihres Sohnes aufrüttelt (§ 386)').
Doch nicht nur Positives bringt das vorliegende Kapitel über die Liebe
zum Kind, auch Negatives. Hierher gehört die Gefühlsroheit der in § 385
erwähnten zwei Kabylen-Mütter und die Vernachlässigung der heranwachsenden
Somaliknaben durch ihre Väter; die Preisgabe der Kinder zu selbstsüchtigen
Zwecken, wie es manche Kaffern machen; die häufige Mißhandlung der Kinder
infolge ehelicher Zwistigkeiten bei Buschleuten (§ 387); die stark hervor-
tretende Selbstsucht in der übrigens sorgsamen Aufziehung der Thai oder
Siamesen u. a. m.
Noch mehr Schattenseiten, mehr Negatives finden wir in den folgenden
Paragraphen in dem Verhalten der Kinder zu ihren Eltern: Roheit gegen
verwitwete alte Mütter ist bei den Hindu eine nur zu gut bekannte Er-
scheinung; wenig Dank ernten die Eingebornen der Palni-Hügel, südliches
Vorderindien, von ihren erwachsenen Kindern; mit Roheit in Wort und Tat
vei gelten manche arabische Buduinen ihren alten Müttern die parteiische
Liebe, mit welcher sie von ihnen in der Kindheit den Schwestern vorgezogen
wurden waren; selten behalten erwachsene Somal ihre arbeitsunfähigen Väter bei
sich, von denen sie, wie erwähnt, freilich in der Jugend wenig Zärtlichkeit er-
fahren; die Aussetzung bzw. direkte Tötung alter, erwerbsunfähiger Eltern bei
Germanen, Hottentotten, Papuas. Kamtschadalen, Tschuktschen, Eskimos,
nördlichen Tinneh- Völkern2) und Karaiben ist teils in Kap. XLIX erwähnt
worden, teils kommt es im vorliegenden zur Sprache.
1) Hänge es von den Urteilen der Mütter inmitten unserer eigenen Kultur ab, dann
gebe es nur Idealmensehen.
2) Über die ethnische Zugehörigkeit der Naskopi in Labrador (§392), welche ihre
greisen, irrsinnigen Väter töten, bin ich im Zweifel.
§ 384. Indo-Europäer, Nicht-Arier in Vorderindien und Abchasen. 789
Ob die Auffassung solcher Taten als „heilige" Pflicht, als „gutes Werk"
und „Liebesdienst" (§ 391 und 392) den Brauch der Tötung hervorrief, oder
ob die Erhebung der Tat zu einem heiligen verdienstvollen Akt jene nur
rechtfertigen sollte, ist wohl unerwiesen. Wahrscheinlicher dünkt mir das
letztere, weil Erwerbsunfähigkeit als Grund der Tötung oder Aussetzung bei
den Germanen, Hottentotten und nördlichen Tinneh angegeben ist, und die
Roheit der Kamtschadalen gegen alte und hilflose Eltern zum gleichen
Schluß berechtigt. Wohl ersuchen die Eltern selbst ihre Söhne um den Tod,
aber die Stelle bei Morice (§ 392) klärt dieses Ansuchen zur Genüge auf.
Was den alten Persern, nach Herodots Darstellung (§ 384), unmöglich
schien, d. h. die Ermordung eines Mannes oder Weibes durch sein leibliches
Kind, finden wir also als tatsächlichen Brauch bei einer Reihe von Völkern,
ja wir finden diesen Brauch zu eiuem religiösen gestempelt,
ludessen macht uns das vorliegende Kapitel auch mit mannigfachen
Formen kindlicher Pietät im positiven Sinn bekannt. Neben rohen
Söhnen der Hiudu-Mütter stehen andere mit rührender Anhänglichkeit; Heim-
weh nach der Mutter spricht aus russischen Versen und aus Zigeunerliedern,
Heimweh nach dem Vater aus armenischen. Nicht nur rohe, sondern auch
ritterliche Söhne gibt es unter den arabischen Beduinen; pietätvoll kniet der
junge Sklavenjäger in § 385 vor seinem Vater und küßt ihm die Hand, und
pietätvoll legen die Marokkaner und Fessaner die heilige Myrte als Tribut
des Dankes auf den Gräbern ihrer Eltern nieder. Kindliche Pietät war schon
im alten Ägypten heilige Pflicht, der Fluch der Mutter wurde von der Gott-
heit gehört. Ein lebenslängliches inniges Verhältnis zwischen Kindern und
ihren Müttern ist bei einer Reihe westafrikauischer Völker beobachtet worden,
speziell unter den Hoern, eine Liebe, welche bei den Töchtern die Liebe zu
ihren Männern überwiegt, und die Liebe der Kaffern zu ihren Eltern reicht
über das Grab hinaus. Pietätvoll sorgen die Malayen auf Java für den
Unterhalt ihrer alten Eltern; der Held einer samoanischen Sage hungert aus
Liebe zu seinem alten blinden Vater; die Fürsorge der Australier am Moore-
River ist schon erwähnt worden; in China hält man pietätslose Kinder den
unvernünftigen Tieren gleich, und manche Kinder geben Teile aus dem eigenen
Fleisch, ja ihr Leben, um den hohen Anforderungen chinesischer Pietät voll
und ganz gerecht zu werden. Dennoch sollen nicht die Chinesen, sondern die
Annamiten jenes Volk seiu, welches unter allen Völkern des Orients den alten
Eltern die größte Liebe und Ehrfurcht erweist. In China scheint mehr äußere
Form, in Annani mehr innerliche Liebe zu walten. Besonders beachtenswert
dünkt mich die Art und Weise der Thai (Siamesen), ihre Liebe und Dank-
barkeit gegen ihre verstorbenen Mütter zum Ausdruck zu bringen. Diese
mußten als Wöchnerin „das Feuer hüten"; ihre Söhne müssen es nach dem
Ableben der Mutter tun; die Mütter mußten im Leben auf gewisse Speisen
verzichten; die Söhne müssen es nach dem Tode der Mütter; diese waren als
Wöchnerinnen „unrein"; jene sind es nach der Mutter Tod usw. (§ 389).
Tiefe Ehrerbietung gegen alte Eltern finden wir schließlich auch bei den
Karaiben und manchen anderen Völkern der roten Rasse. —
§ 384. Indo-Europäer, Nicht-Arier in Vorderindien und Abchasen.
Die gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern bei den Hindus
wird von verschiedenen Seiten verschieden gekennzeichnet, Wilh. Hoffmann
sprach von einer blinden Affenliebe der Eltern, die sich aber mitunter in
barbarischen Schlägen äußere. Die Selbstliebe der Weiber, deren Stellung
ihren Ehemännern gegenüber so sehr davon abhängt, ob sie lebende Söhne
haben, verhindert eine unparteiische Liebe für die Kinder beider Geschlechter.
790 Kapitel L1X. Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und Negatives.
Wohl schrieb Hoffmann, daß die Mütter, von inniger Liebe angetrieben, sich
schmerzliche Kasteiungen auferlegen, um den Zorn der Götter von ihren
Kindern abzuwenden, aber das scheint doch vor allem für die Söhne der
Fall zu sein. Die Sorge um diese treibt die Mutter, nach Niehus, so oft
zum Götzenaltar, zum Fasten und zum Beschenken der Priester. Selbst wenn
der Sohn längst erwachsen ist, werde sie nimmer müde, über ihr „bachha"
(Kind) zu wachen. Dafür hänge der Sohn meist mit rührender Liebe an
seiner Mutter und lasse sich von ihr stark beeinflussen. — C. Keller hin-
gegen spricht den Hindu-Kindern, also beider Geschlechter, das Gemüt ab.
Wenigstens glaubte er, jene auf Reunion so charakterisieren zu sollen, und
in geradezu düstern Farben zeichnete Ho ff mann, im Hinweis auf die Er-
fahrungen der Frau Mault, Gattin eines Missionärs an der Coromandel-
Küste, das Verhalten gerade der Söhne gegen ihre Mütter.
Von den Todas, Nichtariern int südlichen Vorderindien, erwähnt Marshall
liebende Mütter, die abends, wenn sie ihre Säuglinge zur Ruhe legten, schlichte
Gebetsworte zum Mond aufsteigen ließen, und nach Hurknef flehten die Männer
bei der Verbrennung der Leiche Kenbalis, eines angesehenen Toda, neben der
Leiche für Weib und Kind. Von den Müttern nahm dieser Forscher den Kindruck
mit. daß sie auch an ihren Töchtern mit zärtlicher Liebe hängen, obgleich
gerade dieses Volk früher Mädchenmord besonders häufig beging. - - Die kind-
liche Pietät findet eine Illustration in der früher erwähnten, von Harkneß
beobachteten Heimkehr eines Familienvaters, dem Sohn und Tochter entgegen-
eilen, ihm seine Bürde abnehmen und sich Tii der Beobachtung der gewöhn-
lichen Begrüßungsform vor ihm so tief ueigen, daß sein etwas aufgehobener
Fuß ihre Stirne berührt, worauf sie sich wieder aufrichten und der Vater
ihnen segnend die Hände aufs Haupt legt. — Auch bei Krankheit und Tod
zeigt sich nach Harhneß die gegenseitige Liebe der Kitern und Kinder.
Traurig führten ihn zwei Jünglinge zu ihrem schwerkranken Vater, damit er
ihn gesund mache. Man fragt den Sterbenden nach seinen Wünschen und
legt ihm seinen schönsten Schmuck an. Zur Verbrennung der Leiche Kenbalis,
welche an einem fern gelegenen Orte stattfand, trugen dessen Söhne ihre
Mutter und Tanten auf den Schultern. Auch die kleinen Kinder hatten der
Leiche eine letzte Ehre zu erweisen. Man lehrte sie an Ort und stelle, je
eine Hand voll Erde auf die Leiche zu weifen und dabei zu sagen: ,. Laß
ihn in den Hoden gehen!"1).
Die Eingebornen auf den Palni-Hügeln im südlichen Vorder-Indien
setzen, nach F. Dahmen, ihren Stolz darein, daß ihre Kinder recht wohl
genährt aussehen, und pflegen sie mit viel Liebe und Sorgfalt, wenn auch
nach ihrem eigenen Geständnis mit der Absicht, daß sie einmal im Alter von
ihren Kindern ernährt und gepflegt werden. Die in den Nilgiri beobachtete
l'ietiit fehlt aber gerade hier vielfach. Dahmen schreibt nämlich : Die Kitern
sehen sich in ihren Hoffnungen oft genug getäuscht; sobald die Sprößlinge
sich selbständig fortbringen können, kümmern sie sich wenig mehr um ihre
Eltern, deren Vernachlässigung sie mit der Angabe zu entschuldigen suchen.
daß sie sich selbst und ihre eigene Familie kaum fortbringen können.
Von den transsylvanischen Zelt-Zigeunern sagt von WlislocM, die
innige Liebe, welche Mutter und Kind verbinde, sei überraschend. Die größten
Entbehrungen des Kindes2) werden durch die Liebe seiner Mutter erleichtert,
die es „mein Blümchen", „süßes Würmchen", „mein Äuglein" nennt. Heiratet
der Sohn und zieht er nach Zigeunerbrauch von da an mit der Sippe seines
Weibes umher, so folgt ihm die Sehnsucht, aber auch die vorwurfsvolle Klage
'i Das gleiche tuten die Erwachsenen.
•i Siehe 8. 109 d. H.
§ 384. Indo-Europäer, Nicht-Arier in Vorderindien und Abcbasen. 791
seiner Mutter nach, welche in zahlreichen Zigeunerliedern ihren Airsdruck
findet. Als ein Beispiel hat ron WlislocM folgendes übersetzt:
..Keine Biene ohne Stachel ist;
Acb, mein Sohn schon jetzt auf mich vergißt!
Seine alte Mutter, müd" und matt,
Er im Elend hier gelassen hat."
„Bist mein Trost, den ich noch hab',
Grabe mir doch nicht das Grab!
Meine Freud' bist du allein.
Bist mein goldner Sonnenschein;
Komm zu mir samt deinem Lieb,
Alles tu' ich euch zulieb'."
Ein anderes Zigeunerlied, auf den Tod einer Mutter, lautet nach dem
gleichen Übersetzer.
..Hier auf Erden weit und breit
Eind' ich überall nur Leid, —
Schmerz und Leid muß stets ich haben.
Seit ich Mütterchen begraben."
„Schmucklos einfach war der Sarg,
Der mein Liebstes in sich barg:
Blumen könnt' ich ihr nur geben.
Ihr, die mir geschenkt das Leben."
„Schöner Sommer schwand dahin. —
Grau die Wolken seh' ich ziehn',
Kalt fühl' ich den Regenschauer,
Lud mein Herz ist. ach! voll Trauer." —
Ein Sprichwort der Muselmanen im heutigen Persien lautet: ..Der
Himmel ist zu den Füßen der Mutter."
Aus dem alten Persien erwähnte Herodot die Anschauung, es sei un-
wahrscheinlich, daß ein Vater durch sein leibliches Kind das Leben verliere:
ja die Perser behaupteten nach Herodot geradezu, daß nie jemand seinen
eigenen Vater oder seiue eigene Mutter getötet habe: eine genauere Unter-
suchung hier einschlägiger Anklagen würde sicher die Tatsache beweisen.
daß der Mörder nicht das rechte Kind des Ermordeten, sondern ein Wechsel-
balg oder die Frucht eines Ehebruchs sei. Hingegen gehörte Kindermord
zum religiösen Kult ( vgl. Kapitel VIII).
Hochgradige Zärtlichkeit gegen ihre Kinder wird von den räuberischen
Kurden bezeugt.
Das Heimweh eines jungen, fern von der Heimat lebenden Armeniers
nach seinem Vater klingt aus einem, von Volland übersetzten, Lied:
„0 Schwalbe, Schwalbe,
Du des Frühlings lieblicher Vogel!
Sage mir, wo du hin willst,
Daß du so schnell fliegst
In eine ferne Welt.
Ich habe einen trauernden Vater,
Der einsam seines Sohnes
Wartet von Tag zu Tag.
Falls du ihn sehen wirst. "
Nimm viele Grüße von uns mit;
Er soll sich setzen und weinen
Über seinen unglücklichen Sohn.
Erzähle du, wie
Ich im Elend hier sitze;
Immer mit Weinen und Klagen
Ist mein Leben verkümmert,
So daß es nur zur Hälfte geblieben."
792 Kapitel LIX. Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und Negatives.
In einem Lied aus dem russischen Gouvernement Kasan klagt eine
Tochter nach ihrer toten Mutter:
„Du meine Ernährerin, Mutterehen!
Warum hast du mich Betrübte, Unglückliche verlassen ?
Mit wem hast du dir diesen Gedanken erdacht?
Warum hast du mich bitterlich Betrübte verlassen?
Ich bin eine Betrübte, eine Unglückliche,
Ernährerin, Mütterchen,
Erheb' dich, erwache, öffne die hellen Augen,
Falt' auseinander die weißen Hände
Und nimm mich Betrübte, Unglückliche,
Mit dir unter das rechte Elügelchen ').
Laß mich nicht ein Kummerdasein führen.
Viel Kummer sehe ich voraus ohne dich.
Wenn du uns doch sagen wolltest, wann du zu uns kommst,
Wir würden dann alle Türen öffnen
Und für dich auftun die Fenster."
Über die Liebe zwischen Eltern und Kindern im Heroen-Zeitalter der
Griechen, oder vielmehr in der poetischen .Schilderung Homers2) bemerkte
Pouqueville: Die Zuneigung und die Zärtlichkeit der Gatten teilte sich den
Kindern mit. Während der Vater in der Tochter die Reize seiner Gattin
wiederfand, freute sich diese, an den Söhnen die Züge des Vaters wieder-
zuerkennen. Hieraus entsprang die Ehrfurcht der Kinder von ihren Eltern,
die einer göttlichen Verehrung nahe kam. Die Liebe bewog die Kinder,
ihren Eltern die Füße zu waschen, sie zu salben u. a. m. Sie sorgten für
ihre Bedürfnisse und opferten alles auf, um ihrer sterblichen Hülle ein an-
ständiges Begräbnis zu geben.
Zärtliche Liebe zum Kind spricht in der Uias aus Hektors3) Abschied:
„Lächelnd schaute der Vater das Kind und die zärtliche Mutter.
Schleunig nahm vom Haupte den Helm der strahlende Hektor,
Legete dann auf die Erde den schimmernden ; aber er selber
Küßte sein liebes Kind und wiegt es sanft in den Armen ;
Dann erhob er die Stimme zu Zeus und den anderen Göttern :
Zeus und ihr anderen Götter, o laßt doch dieses mein Knäblein
Werden dereinst, wie ich selbst, vorstrebend im Volk der Troer,
Auch so stark an Gewalt, und Uios mächtig beherrschen!
Und man sage hinfort: Der ragt noch weit vor dem Vater!
Wenn er vom Streit heimkehrt, mit der blutigen Beute beladen
Eines erschlagenen Feinds! Dann freue sich herzlich die Mutter!"
Arixtotrli* dachte sich das Verhältnis des Vaters zu seinen Kindern als
herrschende Liebe, analog dem des Zeus gegenüber den andern Göttern und
den Menschen: „Die Herrschaft über die Kinder ... ist königlich. Denn das
Erzeugende ist sowohl hinsichtlich der Liebe als hinsichtlich des Alters das
Herrschende, und dies ist die Form der Königsherrschaft. Daher nannte
passend Homeros den Zeus, wenn er sang: „„Vater der Götter und Menschen uu,
den König dieser aller*)."
Obwohl die alten Germanen nach der Schilderung des Tatitus ihre
Kinder nackt und schmutzig aufwachsen ließen (vgl. d. Kap. über Pflege
und Erziehung), so beschwört doch in der altem Edda die Göttin Idini
') Nach A. C. Winter, dem Übersetzer dieser Totenklage. „In deinen Schutz, in dein
Grab."
2J Die Wirklichkeit dürfte in den Kapiteln über Aussetzung und Kindsmord und
die übrigen Rechtsverhältnisse wahrheitsgetreuer geschildert sein.
3) Grieche oder Niehtgrieche? In beiden Fällen ist in der Uias griechische Auffassung
vorhanden.
4) Siehe aber auch Kindesmord, Aussetzung u. a. m. in Griechenland.
§ 385. Semiten und Härmten. 793
ihren Gatten Braga bei seiner und aller Wünschelsöhne Wohl. — Tötung
und Aussetzung mißliebiger Kinder waren aber trotz aller Liebe zu den übrigen
auch hier nicht ausgeschlossen, und wie diesen Brauch, so lernten wir das
Aussetzungs- und Tötungsrecht der Söhne über ihre altersschwachen Väter
in einem früheren Kapitel kennen1). Der deutsche Spruch: „einem Kind, das
seine Eltern schlägt, wächst die Hand aus dem Grabe", dürfte also nicht
bis auf jene Zeit zurückgehen.
Liebevolle Verpflegung bejahrter Eltern rühmt N. von Seidlite den
Abchasen, einem Kaukasusvolk, nach. —
§ 385. Semiten und Hamiten.
Die Auffassung der alten Babylonier von der kindlichen Pietät geht
aus § 195 der Gesetze Hammurabis (um 2200 v. Chr.) hervor: „Wenn ein
Sohn seinen Vater schlägt, so soll man ihm die Hände abhauen." Anderer-
seits soll der Vater selbst ungeratenen Söhnen gegenüber, wenigstens für das
erstemal, Nachsicht walten lassen.
Die Liebe der alttestam entlichen Israeliten zu ihren Kindern und
die Pietätspflichten dieser zu ihren Eltern sind bekannt. Hier sei im Zusammenhang
mit Hammurabis £195 nur an 2. Mos. 19, 3 erinnert: „Wer seinem Vater oder
seiner Mutter flucht, soll sterben." — Mutter- und Vaterliebe dient im Alten und
im Neuen Testament in zahlreichen Fällen als das Bild der Liebe Gottes zu den
Menschen.
Ebenso verschieden wie über die gegenseitige Liebe der Hindu-Eltern
und -Kinder lauten die Berichte über die Araber. Während der alte Burckhardt
das Ritterliche der jungen Araber gegenüber ihren Müttern hervorhob, schreibt
in neuester Zeit Anastase Marie de St. Elie von den Söhnen der arabischen
Beduinen, daß sie ihre Mütter beschimpfen, schlagen, schändlich mißhandeln.
All das sehen sie ihren Vätern ab, die sie nachahmen, hauptsächlich wenn
die Söhne ein gewisses Alter erreicht haben, und wenn die Mutter über die
Jugendjahre hinaus ist. — Bei den seßhaften Arabern (Fellähin oder Hadrän)
in Arabia Petraea hörte Musil oft, daß Eltern ihren Kindern fluchten, und
daß diese in gleicher Weise erwiderten. Doch seien das mehr gedankenlos
hingeworfene Worte; die gegenseitige Liebe sei groß. -- Im Stamme Hewät
verlangt die kindliche Pietät, daß nach dem Ableben eines Familienvaters,
der eine Blutrache schuldig blieb, dessen Söhne diese auf sich nehmen. Der
Sterbende selbst legt ihnen diese Pflicht auf, indem er spricht:
„Höret, meine Kinder, ich soll von N., dem Sohne des N, Blut verlangen;
wenn ihr Männer seid, nehmet an ihm Rache, und mein Gebein wird sich dann
in seinem Grabe und Grabhügel freuen, daß ihr euren Vater liebet. Es ist
eure Pflicht, Rache zu nehmen, denn es ist keine Schande." — Bei den
Ka ahne sagt der sterbende Vater: „Ehret euren Gast. Nachbar und Schutz-
befohlenen! Der N. war mein guter Freund und der N. mein Genosse; hütet
euch, ihn anzufeinden! Der N. war mein erbitterter Feind; nehmet euch in
acht vor seiner Treulosigkeit, und bekommt ihr ihn in eure Gewalt, so
schonet ihn nicht." — In el-Kerak spricht die sterbende Frau zu ihrem Manne:
„0 N., ich übergebe dir meine Kinder, daß sie die N. nicht mißhandelt. Ihre Sünden
von meinem Nacken auf deinen Nacken (du bist für sie verantwortlich)" (Musil).
Nach Renzo Manzoni wird in El Yemen dem Kind im Harem, unter
andern Tugenden, auch Liebe zur Mutter anerzogen. — Die Araberin Matab
Chanum, welche Mme Dieulafoy als eine der Frauen des Untergouverneurs
von Disful im westlichen Persien in dessen Harem kennen lernte, nannte
x) Nach einer mündlichen Mitteilung F. von Tessens in Breslau werden in Schweden
heutzutage noch Keulen gezeigt, mit denen früher Kinder ihre alten Eltern erschlugen.
794 Kapitel LLX. Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und Negatives.
ihren Zehnjährigen „die Erquickung meiner Augen-'. So oft ihr Blick den
Knaben streifte, erheiterte er sich. Hochgradiger Matterstolz sprach aus ihren
Worten: „Dieses Kind ist bestimmt, eine Stütze des Staates zu werden. Kaum
zehn Jahre alt, weiß es schon mehrere Kapitel des Korans und die schönsten
Stellen unserer klassischen Dichter auswendig."
Im arabischen Ägypten bildet, nach Cromer, die wenigstens äußere
Hochachtung der Kinder vor ihren Eltern (und vor dem Alter überhaupt)
eine Lichtseite neben den vielen Schattenseiten. Das uns schon von Persien
her bekannte Sprichwort: ..Das Paradies liegt zu den Füßen der Mutter",
wird als ein Spruch des Propheten Mohammed bezeichnet. — Die Eltern be-
handeln ihre gehorsamen Kinder gut: nur in sehr hohen Kreisen bestehe
Mißtrauen zwischen Eltern und Kindern.
Auf Sansibar begibt sich, nach G. Revoil, der Sultan Said Bargasch
trotz seiner vielseitigen Beschäftigung allabendlich bei Sonnenuntergang auf
einige Zeit zu seinen Kindern, die er gern auf seinen Knieen tanzen läßt und
mir denen er sich am offenen Fenster zeigt.
Aus dem ethnisch gemischten Fessan hat Lyon die folgende Szene am
Hof des Sultans Mukni in Mursuk geschildert: Mukni hatte seinen noch im
Knabenalter stehenden ältesten Sohn und Liebling Aleiwa zum erstenmal mit
der Anführung einer Sklavenjagd gegen die Tibbu in Borgu betraut und
harrte nun der Rückkehr der Expedition. Ich fand, so schrieb I/yon, Mukni
in der größten Aufregung, bleich und allein im Hof seines Schlosses auf einem
großen Stuhl sitzend, kaum eines WillkomnTgrußes fähig. Man bahnte von
ihm aus. durch die Menschenmenge, einen Weg bis zum Absteigplatz Aleiwas,
der an der Hand seines jüngeren Bruders zu seinem Vater lief, sich vor ihm
auf die Kniee niederließ und ihm die Hand küßte. Laut weinend fiel Mukni.
der vielfältige Mörder, seinem Sohn um den Hals, bekleidete den jungen
Sklavenjäger mit einem goldgewirkten Burnus, der Auszeichnung siegreicher
Generale, und kehrte dann, mit einem huldvollen Lächeln zum Volk und auf
seine beiden Söhne gestützt, in sein Schloß zurück. — Die Kinder der Musel-
manen in Mursuk gehen nie an den Gräbern ihrer Eltern vorüber, ohne diesen
einen Tribut ihres Dankes zu zolleu (Lyon).
Ähnliches berichtet Charlotte S. Burne aus Marokko. Hier legen die
Kinder auf das Grab ihrer Eltern (und sonst lieber Verstorbenen i Myrte,
weil diese, neben dem Lorbeer, der Gott wohlgefälligste Strauch sei und sonst
nur bei außerordentlichen (Telegenheiten benutzt werden soll.
Aus dem alten Ägypten teilte Maspero die folgende Mahnung mit.
welche der weise Chonshotpu seinem Sohn Anigab: „Gott ist es, der dir deine
Mutter gegeben hat. Sie hat eine große Last an dir getragen, ohne daß ich
ihr dabei helfen konnte, und als du endlich geboren wurdest, machte sie sich
zu deinem Sklaven drei Jahre hindurch, solange sie dich nährte . . . Habe
immer deine schmerzvolle Geburt vor Augen und alle Sorgfalt, welche dir die
Mutter gewidmet, damit sie dir nie einen Vorwurf machen möge und ihre
Hände zu dem Gott erheben; denn er würde ihren Fluch erhören." — J. Wolf
machte uns mit den pädagogischen Grundsätzen des altägyptischen Philosophen
Ptah-Hotep bekannt, auf welche schon früher hingewiesen wurde. Hier sei
nur daran erinnert, daß Ptah-Hotep die Väter ermahnte, ihre Herzen selbsl
von schlechten Söhnen nicht abzuwenden: Wir begegnen hier also einer
ähnlichen Mahnung wie im Gesetzbuche Hammurabis. Auch in der Schule
pllegte man die kindliche Liebe zu den Eltern, welche, nach dem festwurzelnden
Glauben der Ägypter an die Fortexistenz der Seele, sich auch nach dem Tod
der Eltern noch zu betätigen hatte. „Habe liebreiches Andenken gegen deinen
Vater und deine Mutter, die im Grabe sind, damit es dir dein Sohn in gleicher
Weise zuteil werden lasse.* lautete nach Wolf ein Gebot.
§ 386. Sudan- und Bantuvölker. 795
Ein weit weniger anmutendes Bild zeichnet uns Schönhärl von einem
andern Zweig der hamitischen Völkerfamilie, nämlich von den Kabylen: Die
Kabylin läßt es an Aufopferung für ihre Söhne und noch mehr für ihre Töchter
fehlen, sieht jene nur als Mittel an, um sich bei ihrem Mann halten zu können,
und zeigt gegen die Töchter eine hochgradige Gefühlsroheit, Als Beweis
hierfür führt Schönhärl folgende Beispiele an: „Eine mir bekannte Dame,"
schrieb er im Jahre 1904, „betrat einmal die Wohnung eines Kabylen. Die
Hausfrau lag auf dem Boden im tiefsten Schlafe, neben ihr ein Bündel, ihr
Töchterchen, das eben gestorben war. Durch das beim Eintreten verursachte
Geräusch wacht sie auf und stößt das Bündel von sich. „„Aber dein Kind!""
ruft die Besucherin. „„Wenn du es sehen willst, so nimm es; vielleicht lebt
es noch!"" entgegnete kalt die Kabylin, kehrte sich auf die andere Seite und
schlief weiter." — Eine andere Mutter versagte ihrem Kinde jedwede Nahrung
mit der Begründung, dasselbe habe ihr genug Leiden verursacht; es sei nun
Zeit, daß es sterbe. Die lierangewachsenen Kinder vergelten ihren Eltern
Gleiches mit Gleichem. — Die Abbildungen, mit welchen Schönhärl diese Mit-
teilungen illustrierte, sprechen allerdings von Liebe auch bei den Kabylen.
Ein Vater sitzt nämlich allem Anscheine nach vergnügt neben seinem Söhnlein,
und einige Mütter tragen freudestrahlend ihre Kleinen.
Die Liebe der marokkanischen Beiber zu ihren Kindern nennt
Quedenfeldt eine große. Eine solche Liebe spricht auch aus manchen der von
Hans Stumme übersetzten marokkanischen Märchen. z.B. aus „Aggelamusch":
Ein armes Ehepaar hat sein Töchterlein so lieb, daß es ihm keinen Wunsch
abschlagen kann. Nun naht das marokkanische Fleischtest, an welchem jede
Familie einen Hammel schlachtet. Die Kleine läuft zu ihrem Vater, küßt ihn
und fragt nach dem Festbraten. Aber der Vater kann in seiner Armut nur
einen Hasen statt des Hammels braten und will das nicht eingestehen, weil
er fürchtet, sein Töchterlein könnte zu weinen anfangen. Deshalb schickt er
es zur Mutter, daß diese mit der Wahrheit herausrücke. Doch will auch sie
ihr Kind. nicht weinen sehen und schickt dieses wieder zum Vater usw.
■ hm 11 Muii« Sehuver berichtet aus seinen Erfahrungen bei den Lega-
Galla im obern Nilgebiet, ihr alter König und Hoherpriester Tulu sei mit
seinen Schwiegertöchtern immer auf dem Kriegsfuß gestanden, weil er ihnen
seine Enkelkinder nicht lassen wollte, die er innig liebte, sie aber auch verzog. —
Als der Islam bei den Lega-Galla eingeführt werden sollte, und ein arabischer
Fakir als Missionär erschien, bahnte sich dieser in seiner Menschenkenntnis
dadurch den Weg, daß er den Frauen des Königs Talismane mit der Versicherung
schenkte, diese würden ihren Kindern zum Segen gereichen. Damit war die
Schlacht auch schon gewonnen, fügt Schmer bei.
Ziemlich auseinandergehende Mitteilungen liegen mir über die Somäl vor:
Jltnion nannte im Jahre J 856 die Somäl- Weiber schlechte Mütter, die von
ihren Kindern weder geliebt noch geachtet seien. PaulitschJce hingegen
schrieb im Jahre 1886: Die Somälinnen hängen mit aller Glut der Mutterliebe
an ihren Kindern, um die sich die Väter nicht weiter kümmern. Bei den
(jüngeren) Kindern habe er zwar öfter Züge von Anhänglichkeit und Liebe
gegen ihre Eltern gefunden, aber selten habe ein Sohn seinen alten erwerbs-
unfähigen Vater bei sich behalten, und in diesen seltenen Fällen sei der Vater
nicht gut behandelt worden. Doch findet sich auch bei Paulitschke der Satz:
Ehrfurcht vor dem Alter ist ein schöner Zug im Charakter der Somäl. —
§ 386. Sudan- und Bantuvölker.
Zu den Berbern, also Hamiten, zählt Xachiigal die Tibbu oder Teda
in den Oasen der östlichen Sahara. Eohlfs gesellte sie den Negern bei, und
796 Kapitel LIX. Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und Negatives.
Scobel reiht sie als Mischvolk mit vorherrschendem Negerblut auch linguistisch
den zentralen Sudan-Negern ein. — Von der Liebe der Tibbu des 18. Jahrhunderts
zu Weib und Kind legt die folgende von Behm gemachte Mitteilung Zeugnis
ab: In der zweiten Hälfte des genannten Jahrhunderts hatten die Tibbu (Tebu)
durch die Truppen des Sultans von Fessan eine Niederlage erlitten. Da
schickten sie in das Lager des Siegers Gesandte mit der Bitte um Schonung
für ihre Weiber und Kinder, und fügten dieser Bitte bei, sie würden sich
jeder Forderung unterwerfen, wenn die Erfüllung dieser Bitte gewährt würde.
Nach Mungo Pari- lautet ein Spruch der Mandingo-Neger: „Schlage
mich, aber fluche nicht meiner Mutter." J. IÄghton Wilson fand dieses innige
Verhältnis zwischen Mutter und Kind bei allen von ihm besuchten west-
afrikanischen Stämmen: „Ein Afrikaner," schrieb er, „wird überall alles,
was gegen seine Mutter gesagt wird, sei es auch noch so unbedeutend, schneller
ahnden, als irgend eiue ihm selbst zugefügte Beleidigung, und wenn ihn nach
seinen Begriffen von Ehre und Pflicht irgend etwas veranlassen kann, das
Blut seines Nebenmenschen zu vergießen, oder sein eigenes Leben zum Opfer
zu bringen, so ist es gewiß die Verteidigung der Ehre seiner Mutter."' Bei
den Kru-Negern seien Beleidigungen der Mütter die hauptsächlichsten Ur-
sachen zu heftigem Streit unter Knaben. Die Zuneigung zum Vater, der bei
den häufigen Zwisten des polygamen Haushaltes der Schiedsrichter ist und in
Gegenwart der Kinder von den Müttern der Parteilichkeit beschuldigt wird,
entwickle sich gewöhnlich erst im reiferen Alter, wenn die Kinder ihre Stellung
begreifen lernen und im Verkehr mit der Außenwelt des väterlichen Beistandes
häutiger bedürfen.
Zärtliche Mutterliebe beobachtete auch Fies unter den Hoern in Deutsch-
Togo. Das Band der Liebe zwischen Mutter und Tochter sei hier so stark,
daß beide bis zum letzten Atemzug der einen oder anderen aufs innigste mit-
einander verbunden bleiben. Niemals könne die Liebe zum Mann jene zur
Mutter aus dem Herzen der Tochter verdrängen.
Den Batanga-Negern in Deutsch-Kamerun schreibt Alfred Kirchoff
eine leidenschaftliche Liebe zu ihren Kindern zu.
Bei den Herero kommt es nach H. v. Frangois bisweilen vor, daß
Kinder aus Schmerz über den Tod ihrer Eltern Selbstmord begehen.
In den Familien der Bergdamara ist (trotz den lockern ehelichen Banden)
die gegenseitige Zuneigung sehr stark. Ein mit F. gezeichneter Artikel im
< . 1 . . b u s (Bd. 96, S. 173) erwähnt einen Mann, der bei der Nachricht vom Tod
seiner Mutter heftig weinte und fast untröstlich war.
Mutterliebe und Mutterstolz stehen im Hiutergrund der folgenden Mit-
teilung: Daull wohnte am Tanganyka-See einmal der Heimkehr des Häupt-
lings von Kapufi bei, der eine Herde Ochsen nach der deutschen Militärstation
Kasan ga getrieben hatte. Während nun einige seiner Leute ihm entgegen
gingen, um ihn mit Freudenschüssen zu empfangen, blieben die Weiber des
Dorfes nachlässig zu Hause. Darüber alterierte sich die Mutter des Häuptlings
gewaltig. Sie rüttelte die Weiber durch Schreien und Gebärden aus ihrer
Indolenz auf und ließ nicht nach, bis jene den Häuptling mit dem üblichen
.. Yu-Yu"-schrei bewillknmmten.
Franz Müller traf bei seiner Durchquerung von Unjamwesi, !>eutsch-
Ostafrika einen Neger, namens Maganga, dessen Mutter 2'/.2 Jahre von ihrem
Sohn getrennt gelebt hatte, da sie dem Spital der Missionsstation Mittlers
vorstand. Beim Anblick Müllers blitzten des Negers Augen freudig auf, weil
er durch ihn vom Mütterlein Nachricht hoffte, und um möglichst vieles über
sie zu erfahren, wich er während des ganzen Tages, den Müller dort zubrachte,
nicht von dessen Seite.
§ 386. Sudan- und Bantuvölker. 797
Ganz anderes haben wir von den Eingebornen Unjamwesis, den
Wanjamwesi, in den Kapiteln über das Erbrecht gehört. Den dortigen Mit-
teilungen nach Andree, bzw. Burion und SpeJce, sei hier noch beigefügt, daß, nach
den gleichen Quellen, ein Wanjamwesi selten um Eltern uud Verwandte weint,
Liebe zum Vater, Sohn und Bruder scheine überhaupt der Ostafrikaner nicht
zu kennen. Wo, wie hier, ein Vater nicht wisse, ob die Kinder seiner Weiber
seine eigenen seien, könne man auch nur wenig Liebe der Väter zu den
Kindern voraussetzen. Zärtlichkeit für die Mutter zeige sich dann und wann,
aber nur durch den Ausdruck „Mama, mama" bei Furcht oder Verwunderung.
Indessen dürften Burton-Spehes Darstellungen den tatsächlichen Ver-
hältnissen im allgemeinen kaum ganz entsprechen; denn es liegen aus Afrika,
speziell auch aus Ostafrika, verschiedene anderseitige Mitteilungen über ein
herzliches Verhältnis zwischen Eltern und Kindern vor.
So lobt Herrmann an den deutsch-ostafrikanischen Wagogo die hohe
Achtung der Jugend vor dem Alter und die oft rührende Eltern- und
Kindesliebe. In zahlreichen Fällen boten Vater und Mutter sich als Geiseln
für den Sohn an, und Söhne übernahmen, als Tausch für ihre Väter, das
Sklavenjoch.
„Bwana Mganga, mein Kind ist gestorben; warum mußtest du gerade
so weit fort sein?" fragte Chetemalulus, der Oberhäuptling der deutsch-
ostafrikanischen Wah ehe, den Missionar Alfons M. Adams, während tiefer
Schmerz in seinen Zügen lag. Er freute sich nicht mehr über die reiche
Beute seines Kriegszuges, sondern saß in stummer Trauer da, schreibt Adams,
•der ihn zu trösten versuchte.
In der deutsch-ostafrikanischen Landschaft Mkulwe betet der Familien-
vater, ehe sein Kind eine längere Beise antritt: „Schütze, Gott, dein Ge-
schöpf! Es geht fort; erfreue es. Möge es sein Ziel erreichen, nicht er-
kranken, sich der Buhe des Leibes erfreuen und, wohin immer es komme,
Freunde finden!" Dann empfiehlt der Vater das Kind auch noch den Geistern
seiner Ahnen: „Und du, Vater N., und du, Großvater N., ihr Ahnen alle, ge-
leitet es wohl, fallt für ihn bittend bei Gott nieder!" usw. (Aloys Hamhen/cr).
Die Kinder der deutsch-ostafrikanischen Wadschagga hängen mit
großer Liebe an ihren Großeltern. „Wie manches Mal," schreibt B. Gut-
mann, „ist mir schon ein Kind begegnet, das einen Topf voll Bohnen oder
Milch auf dem Kopfe trug, und auf meine Frage: „„Wo trägst du es hin?""
mit glücklichem Lächeln sagte: „„Zur Großmutter."" — Kinder und Enkel
bringen Ziegen zum Geschenke, daß sich der Großvater an deren Fleisch güt-
lich tue und ihnen noch lange erhalten bleibe. Fühlt er sich aber dem Tode
nahe, dann spricht er zu seinem Sohne: „Mein Sohn, geh' hin und schneide
mir einen Wanderstab, mit dem ich gehen kann." Damit will er sagen, daß
er nun aus dem Diesseits ins Jenseits wandern wolle. Der „Wanderstab"1)
ist eine fette Ziege, welche ihm auch auf seinen Wunsch von jedem seiner
Kinder gebracht wird, und der alte Mann zehrt sie nach und nach alle auf.
Es ist das sein „mbuka-u-Essen", d. h. sein Abschiedsmahl.
Von den Negervölkern des deutsch-ostafrikanischen Makonde-Plateaus
schreibt Weule: „Fraglos liebt der Neger sein Kind aus jenem angebornen
Triebe heraus, der allen Eltern eigen ist; er nährt es und schützt es, wo
immer es schutzbedürftig ist; er freut sich über sein Gedeihen und ist traurig
über sein Siechtum und seinen Tod." Aber in zwei darauf folgenden Bei-
spielen zeigte Weule die Bequemlichkeit und Unwissenheit von Negern bei
Erkrankungen ihrer Kinder.
x) Demnach seheint der „Stab" auf S. 668 „Stütze" zu bedeuten. Auf das dort aus-
gesprochene Schutzbedürfnis der Kinder paßt dieses Bild freilich nicht.
798 Kapitel LIX. Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und Negatives.
Die Makololo siud vou ihren Kindern meist so sehr eingenommen, daß
sie sich von ihnen beherrschen lassen, schrieb Hol üb.
Die Kaf fernweiber erinnern sich jahrelang kleiner Freuden, die man
ihren Kindern gemacht hat. Die meisten Händler wissen das wohl und machen
es ungefähr wie der muselmanische Missionär es bei den Lega-Galla gemacht
hat, d. h. sie suchen beim Betreten eines Kaffer-Kraals zunächst die Kleinen
anzuziehen, spielen mit ihnen und beschenken sie. Dann machen sie gute
Geschäfte bei den Müttern. An den Knaben spart der Kaffer zwar die Prügel
nicht, und wenn ein vielbeweibter Vater sonst keine Mittel zur Bezahlung
der Brautpreise mehr ausfindig macht, dann verpfändet er auch bisweilen seine
Kinder. Ebenso läßt mancher Weib -und Kind im Stich, wenn er sich da-
durch in einer Lebensgefahr retten kann. Doch findet sich neben diesen
selbstsüchtigen Zügen auch beim Kaffer mancher ansprechende, besonders wo es
sich nicht um große Opfer handelt. Er ist gegen seine Töchter gut. was
freilich nicht ohne Hoffnung afuf einen hohen Brautpreis geschehen soll, und
mancher Vater spricht, wie Skooter schrieb, am liebsten von seinen kleinen
Kindern und deren Schelmenstreichen. -- Die folgende Mitteilung aus dem
../Sambesi Mission Record" zeigt uns den Einfluß, welchen eine Tochter auf
ihren Vater in der Todesstunde ausübte: Kakubi, der Anführer des Maschona-
aufstandes, sollte hingerichtet werden, und Missionar Francis Bicharti hatte
vergeblich versucht, ihn noch vorher für djs Christentum zu gewinnen. Da
kam Kakubis getauftes Töchterlein Dzirbi als Missionarin, und jetzt wider-
stand der Häuptling nicht mehr. — Was Mutterliebe in der Angst um das
Seelenheil eines Kindes bei den Kaffern vermag, sei durch die Mitteilung des
Missionars Ckas. HicJc angedeutet, eine Frau habe ihre 18jährige schwerkranke
Tochter 25 Meilen weit auf dem Rücken getragen, um sie vor ihren Ende
taufen zu lassen, da sie selbst nicht genügend unterrichtet war, um die Not-
taufe zu spenden. — Die Pietät auch des ungetauften Kaffers reicht über
das .Grab hinaus. Nicht nur dem lebenden Vater gegenüber ist Ehrfurcht und
Gehorsam strenges Gesetz in der patriarchalischen Kaffernfamilie. auch der
Verstorbene muß geehrt werden und wird noch geliebt. Die Kinder erinnern
sich seiner Güte gegen sie, als er noch am Leben war, vergegenwärtigen sich
ihre Behandlung durch ihn, fühlen sich dadurch ermuntert und sagen: „Er
wird mit uns jetzt, da er tot ist, ebenso verfahren. Warum sollte er sich
jetzt um andere kümmern, statt sich allein unser anzunehmen?" Kehrt
Krankheit im Kraal ein, dann wendet sich der älteste Sohn mit den Ehren-
titeln, welche der Vater ehemals auf dem Schlachtfeld erworben, an den Ver-
storbenen. Allerdings erlaubt sich der Sohn auch Vorwürfe und Drohungen,
wenn eine (ansteckende?) Krankheit um sich greift. Wenn der Kraal aus-
stirbt, so droht er dem verstorbenen Vater, dann bekomme sein Geist kein
Opferfleisch mehr und habe fernerhin weder Obdach noch Verehrer: dann könne
er Heuschrecken essen. — Die Sorge eines verstorbenen Familienvaters um
seine überlebenden Kinder geht nach dem Glauben der Suhl so weit, daß er
seine Witwe verfolgt, wenn sie ihre Kinder verläßt und zu einem andern
Mann geht: „Wo hast du meine Kinder gelassen? Was tust du liier? Geh'
zu ihnen zurück! Folgst du mir nicht, so töte ich dich!" wann sein (..ist.
Die Verehrung der überlebenden Kinder beschränkt sich aber nicht auf den
Geisl des Vaters, sondern umschließt auch die Seelen der Hauptfrauen, welche
Kinder «reboren haben. Sie gelten als Schutzpatroninnen des Kraals, während
die Seelen der Väter als dessen Haupt angesehen werden (Callatoay).
§ 387. Hottentotten und Buschmänner.
ifoffat beobachtete bei den Hottentotten, daß Mütter, die wochenlang
gehungert hatten, dargereichte Speisen selbst kaum verkosteten, um sie ihren
§ 388. Malayisch-polyuesische Völker. 7991
hungrigen Kindern reichen zu können. Aber die erwachsenen Kinder setzten
ihre armen hilfsbedürftigen Eltern aus, was sowohl Moffat als Kolb bezeugen
(vgl. Rechtsverhältnisse).
Auch bei den Buschmännern sah Moffat wiederholt den von den
Hottentottinnen erwähnten mütterlichen Opfersinn. Moffat erwähnt aber auch
folgende Mitteilungen Kicherers: Die Buschleute kümmern sich wenig um ihre
Kinder, weisen sie nur im Zorn zurecht und mißhandeln sie in diesem Falle
so sehr, daß die Kinder dem Tode nahe kommen oder ganz unterliegen.
Letzteres sei zu Kicherers Zeit beispielsweise vorgekommen, wenn Vater und
Mutter, oder wenn die verschiedenen Weiber eines Mannes miteinander in
Streit gerieten. Wer den kürzeren zog, ließ seine "Wut an einem Kind des
Mannes oder Weibes aus, der aus dem Streite siegreich hervorgegangen war.
Die Sorge der Mütter um- ihre Kinder hörte im allgemeinen auf, sobald diese
im stände waren, sich im Freien selbständig zu bewegen. — Ungleich günstiger
schildert Schinz etwa ein halbes Jahrhundert später das Verhältnis zwischen
Eltern und Kindern. Nach Schinz geht die Liebe der Buschmänner zu ihren
Kindern so weit, daß sie im Fall der Not ihr Leben für sie aufs Spiel setzen.
Als Beispiel führt er die Erzählung eines ihm persönlich bekannten Jägers an,
der am Okovangotluß Zeuge war, wie ein junger Buschmann daran war, von
einem heranstürmeuden Elefanten zertreten zu werden, aber dadurch entkam,
daß dessen Vater den Zorn des Tieres auf sich richtete, indem er ihm eine
Keule an die Stirn schleuderte. Der Elefant zermalmte ihn dafür unter seinen
Füßen. — Ein Beispiel kindlicher Liebe führt H. von Francois an: Er wollte
einen Buschknaben mit sich nach Windhoek nehmen, gab aber diesen Plan
auf, weil der Knabe nicht freiwillig mitging, sondern meinte, er bekäme
Heimweh nach der Mutter. —
§ 388. Malayisch-polyiiesisclie Völker.
Bei den Sakalaven auf Madagaskar fand C. Keller die Anhänglichkeit
der Kinder an ihre Eltern stark ausgeprägt. In einem von Keller beobachteten
Fall war diese Liebe stärker als die Liebe zum eigenen Kind, d. h. eine Mutter
ließ ihr Kind im Stich, um ihre erkrankte Mutter pflegen zu können.
Bei den Lampangs auf Sumatra fand Zollinger eine wahre Affen-
liebe für die Kinder.
Auch auf Java und Celebes werden diese mit inniger Liebe behandelt.
Nach Morin sorgen auf Java die Kinder, sobald sie etwas verdienen, pietät-
voll für den Unterhalt der Eltern. Vorwürfe wegen der Last des Unterhaltes
alternder Eltern gebe es auf Java nicht.
Die Dajaken bestreichen in ihrer zärtlichen Liebe zu ihren Kindern
diese, nachdem sie sie gestraft haben, mit Blut, damit die Seele des Kindes
nicht traurig werde und sich selbst wegwerfe, d. h. sterbe.
Zärtliche Liebe zu den Kindern fand Le Oolnen ferner auf den Marianen.
Die Karolinen-Insulanerin pflegt ihre Kleinen gleichfalls mit großer
Liebe; den zu dieser Gruppe gehörigen Ponapesen nennt Christian einen
gütigen Vater. Ebenso rühmt Senfft den Vap -Leuten zärtliche Liebe zu
ihren Kindern nach (cfr. Erziehung). Hingegen will Beina bei Ploß (II, 335)
auf Ruck keine Liebe der Eltern zu ihren Kindern gefunden haben.
Der kindlichen Pietät auf Nauru, einer Insel der Geilbertgruppe, stellt
Jung kein gutes Zeugnis aus. Fast immer seien persönliche Interessen im
Spiel. Haben altersschwache Leute noch Vermögen, dann lassen es ihre
Kiuder an Pflege nicht fehlen; aber um mittellose Eltern kümmern sich die
Kinder nicht.
Auf Samoa und andern polynesischen Inseln führt nach Hootl die
Affenliebe der Eltern, welche den Kindern keinen Wunsch versagen kann,
800 Kapitel LIX. Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und Negatives.
oft den Tod dieser herbei. Nach Turner wird auf Samoa jedes Kind liebe-
voll verpflegt. Turner erwähnt auch ein Beispiel heldenmütiger Liebe einer
Mutter, die ihren Sohn mit ihrem eigenen Leib gegen den Feind deckte, bis
sie in Stücke zerhauen war. Opferwillige Kindesliebe wird in eine)' von W. v,
/mime übersetzten Legende verherrlicht, deren Held Atiogie, Sohn des greisen
und blinden Häuptlings Feepö ist. Atiogie entzieht sich selbst die kärgliche
Nahrung, um sein „Väterchen" speisen zu können, was er ihm verheimlicht.
bis der Blinde tastend die noch vorhandenen Yams, ihr einziges Nahrungs-
mittel, zählt und so darauf kommt, daß sein Sohn hungert. Der väterliche
Segen für diese Tat: „Möge dein Stammbaum bestehen, mögest du leben wie
der Brotfruchtbaum!" machte den Sohn zum Stammvater mächtiger Häuptlinge.
Auf Tahiti erwiderten zu Försters
Zeit (18. Jahrh.) die Kinder die Liebe
ihrer Eltern mit Vernachlässigung im Alter.
Auch auf Nukahiva. einer Marquesas-
Insel, wird den Kindern wenig Pietät
gegen ihre Eltern nachgesagt. Plo/i schrieb
(II, 337), diese hätten keine Gewalt über
sie und würden von ihnen höchst über-
mütig behandelt.
Wenn William J. Thomson sich nicht
* - i , / I P ' y£ getäuscht hat, dann haben wir in dem
™ Text einer seiner Schrifttafeln von der
^ y Osterinsel Waihu oder Teapi, der öst-
lichsten Insel Ozeaniens, einen Beweis
W - inniger Vaterliebe unter den Eingebornen
W dieser Insel. Die Tochter ist durch das
V v weite Meer vom Vater getrennt, worüber
Q^Ä^Xa dieser in jene schmerzliche Klage aus-
bricht, welche in der folgenden englischen
Übersetzung Thomsons ausgesprochen ist :
„The sail of my daughter,
Never broken by the force of foreign clans!
i
Fig. 494. Mischblut auf Tahiti. Vater:
Chinese. Otttrroth phot. Im Museum für
Völkerkunde in Leipzig.
The sail of my daughter,
Unbroken by the eonspiraey of Honiti!
Ever victorious in all her rights,
She could not be enticed to drink poison waters
In the cup of obsidian glass.
Can my sorrow ever be appeased
While we are divided by the mighty seas?
Oh my daughter, oh my daughter!
It is a vast and watery road
Over wbich 1 look toward the horizon,
51 v daughter, oh my daughter!
I" 11 swim over the deep to meet you.
My daughter, oh my daughter!" —
Hier sei zum Abschluß der mikronesisch-polynesischen Völker-
gruppe noch der Maori auf Neuseeland gedacht, bei denen Taylor wenig
Zärtlichkeit gegen die Kinder gefunden hat. —
Beim Übergang zu den Melanesiern begegnen wir auf Neukaledonien
der folgenden Mitteilung J. J. Atkinsons: Athinson hatte während seines
§ 388. Malayiseh-polynesische Völker.
801
dortigen Aufenthaltes einen sehr geweckten achtjährigen Knaben in seine
Dienste genommen. Nach fünf Jahren befiel den mittlerweile zum Jüngling
herangereiften Burschen Heimweh nach seiner Mutter. „Mutter hält mich für
tot," sagte er und ließ sich nicht mehr halten. Vor seiner Abreise kaufte
er für sie Kleider und was er sonst hoffte, daß es ihr Freude machen würde.
Nach Joachim Graf Pfeil wird keinem europäischen Fürstensohn und
keiner europäischen Millionärstochter vor und nach der Geburt mehr Fürsorge
zuteil, als dem Kind eines Kanaken des Bismarckarchipels und der
Salomo-Inseln. Schon vor der Geburt ist das Kind der Gegenstand aber-
gläubischer Sorge, und auch nachher tut die Mutter so manches, entbehrt
dies und das, um ihr Kind, wie sie meint, günstig zu beeinflussen. Auch der
Vater beschäftigt sich mit nichts lieber als mit seinen kleinen Kindern. Oft
sehe man baumlange bärtige Männer, die mit unerschütterlicher Geduld einen
kleinen Schreihals zu begütigen suchen, indem sie ihm allerlei Leckerbissen
in den Mund stecken. Powell sah auf Xeu-Britannien1) bei seinem ersten
Fig. 495. Die Königlich« Familie auf Raiatea, Insel unter dem Winde, Tahiti-Gruppe. Osterroth phot.
Im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
Besuch bei dem berüchtigten Menschenfresser Thorough-good, daß dieser
Häuptling eines seiner Kinder auf den Armen hielt, während zwei andere
um seine Kniee spielten.
Um den Unterhalt seiner Kinder soll sich der Kanake aber nicht
kümmern, wie er überhaupt seine Kinder sich selbst überlasse, sobald sie
gehen können.
Nach Pfeil ist dafür der heranwachsende Knabe seinem Vater ungehorsam
und verachtet seine Mutter. Dennoch geht der Sohn, wenn einmal verheiratet
und von seinem Weib vernachlässigt, noch lange zur Mutter — allerdings
nur zum Essen.
Frhr. von Sehleinitz gewann im Bismarckarchipel den Eindruck, daß
es in den Familien nicht an Gemüt fehle. Väter führten ihre Söhnchen an
der Hand, und diese flüchteten sich sofort zum Vater, wenn sie vor etwas
Angst bekamen. Die Töchter waren immer bei ihren Müttern zu finden.
Von den Salomo-Inseln berichtet Missionär Braun, daß sich weder
Vater noch Mutter darum kümmern, wo ihre sechsjährigen Schlingel die Nächte
auf der ..Walz' zubringen.
1) Frühere Benennung des Bismarckarchipels, besonders Neupommerns.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Bd. II. öl
802 Kapitel LIX Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und Negatives.
Über die Liebe der Papua auf Neuguinea schrieb Wyatt Gill:
Was für glückliche Kinder! glücklicher als die meisten unserer englischen
Kinder. Kein unglückliches Heini, keine betrunkenen Eltern, keine hungrigen
Tage und Nächte. Den Eltern mag manchmal die Nahrung knapp sein, aber
ihre ganze Zeit und Kraft verwenden sie. um etwas für die Kinder zu finden,
und ich glaube, jeder Vater unter den Wilden würde sagen: Wer wagt es,
mein geliebtes Kind zu berühren, meinen Augapfel, mein Leben! Es klingt
vielleicht übertrieben, aber es ist wahr, ich habe gefunden, daß in Neuguinea
das vierte Gebot mehr gehalten wird als oft in England . . . Ein Missionar,
der nur für acht oder vierzehn Tage eine Bemannung für sein Boot braucht,
findet keinen Eingebornen dazu, wenn dessen Mutter oder Vater die Ein-
willigung hierzu versagen. Männer von 40 Jahren antworten: Laß mich erst
heimgehen und hören, was meine Mutter und Frau dazu sagen : wenn sie ein-
verstanden sind, komme ich bald zurück. Kein Bursche von 18 oder 19 Jahren
würde daran denken, eine Zusage zu geben, ehe nicht Mutter einverstanden ist.
Allerdings schrieb Wyatt Gill auch, er habe von dein eingeborueu
Christen Matina erfahren, daß in Aroma die allgemeine Sitte herrsche, alte
Eltern und Großeltern lebendig zu begraben. Matina habe einmal selbst
gesehen, wie ein Mann seiner Großmutter das Grab grub und sie trotz ihrer
Tränen und ihrem Widerstand hineinhob. Um den Grund gefragt, habe der
Mann erwidert: Sie kann ja nicht mehr leben: sie ist schon so gut wie
tot. — Darauf habe er das Grab zugeworfen, die Erde festgetreten und sei,
augenscheinlich mit sich ganz zufrieden, fortgegangen.
Bei Krieger lesen wir: Von den Eltern zärtlich geliebt und verhätschelt,
von jedermann freundlich behandelt, selten ein Scheltwort hörend, niemals
darbend, verlebt der Papua die Tage der Kindheit wie im Paradiese. — Der
Vaterstolz regt sich nach Krieger auch beim Papua, der dem Europäer mit
Vorliebe seine Kinder zeigt und dabei ausdrücklich betont, daß es die seinigen
seien.
Hagen versichert uns. daß die Mutterliebe in der nackten Brust des armen
Papuaweibes ebenso gut wohne, wie im spitzen- und seidenumwogten Busen
der Europäerin. Jene küsse zwar ihr Kind nicht, da Küssen auf Neuguinea
nicht üblich sei, aber man lese ihr das Mutterglück aus den Augen. Auch
der Vater habe seine Kinder sehr lieb, und es mache einen merkwürdigen
Eindruck, so ein wildes braunes, schwarz oder rot bemaltes Menschenfresser-
gesicht mit Nasenpfeil und Eberhauern zu sehen, wenn er unter freundlichem
i. linsen seinen kleinen Liebling herze. — Opfer bringen, wie europäische Eltern
es jahrelang für ihre Kinder tun. will freilich der Papua nicht (vgl. die
Kapitel über Kindesmord und Wunsch nach Kindern).
Was die Liebe der Eingebornen des australischen Kontinents zu
ihren Kindern betrifft, so schrieb P/o/i tll. 333f.): alle Berichterstatter
{Koler, Ounningham, StoJues, Orey, Turnbull, Campbell, Freyeinet) sprachen
mit gleicher Bewunderung von der [nnigkeit derselben." Ploß wies dann
aber auch auf F. Christmann hin, welcher meinte, die Mütter kümmerten
sich zwar in den ersten Jahren um ihre Kinder etwas, aber später höre jeder
familienartige Zusammenhang so völlig auf, daß Eltern und Kinder ihr gegen-
seitiges Verhältnis vergessen. Hierbei müsse man freilich berücksichtigen,
daß die Australier mit 10 bis 12 Jahren bereits ausgewachsen seien, und daß
der Kreis ihrer intellektuellen Bildung so eng sei, daß halberwachsene Kinder
sich in dieser Hinsicht bereits mit den Stammesältesten messen können. Viele
Kleinen hätten bei guter Pflege einen liebenswürdigen Eindruck gemacht.
Feiner zitierte Ploß K. E. Jung, welcher die zärtliche Liebe der australischen
Mutter zu ihrem Kind eines der schönsten Schauspiele nannte. Und der Vater
wetteifere mit ihr in ängstlicher Fürsorge für die kleinen drolligen Wesen.
§ 388. Jlalayisch-pülynesische Völker. 803
Unter keiner Bedingung, was das Kind auch immer tue, dürfe es bestraft
werden. Für alle Vergehen und Beschädigungen an fremdem Eigentum, die
sich jugendlicher Übermut zuschulden kommen lasse, hafte der Vater; das
Kind erfahre kaum eine Zurechtweisung. Wenn es sich verletzt habe, so falle
der schwere Knüppel des Vaters mit gewaltiger Wucht auf alle in seinem
Bereiche, mögen sie auch nicht die entfernteste Schuld an dem Unfälle tragen,
weil man glaube, daß das Quantum von Schmerz, welches das Kind fühle,
durch die Mitleidenschaft anderer sich auf diese verteile, so
daß dem Kind Erleichterung verschafft werde1). Nirgends ist nach
Jung der Weg zum Herzen des Vaters und der Mutter sicherer zu finden als
in Australien. Ein freundliches Wort, ein Geschenk für die Kleinen habe
manchem Reisenden den Weg durch unerforschte Gebiete gebahnt, manchen
wohl auch aus Gefahren gerettet.
Ähnliches lesen wir bei Mitchell, Sdlvado, Spencer und Gillen, Jos.
Bischof und im Globus, Bd. 56, S. 1 23. Die letztere Mitteilung bezieht sich
speziell auf Queensland, also auf den Nordosten des australischen Kontinents
samt den anliegenden Inseln. Nach ihr kann man überall die große und
hingebende Liebe der Mütter zu ihren Kindern beobachten. Diese scheinen
ihren Müttern im allgemeinen mehr zugetan zu sein als ihren Vätern, die sie
vielfach aber auch zärtlich behandeln, mit ihnen spielen, sie auf die Kniee
nehmen, ihnen kleine Bumerangs schnitzen u. a. m. Doch wird auch bemerkt.
daß der Familienvater seinen Kindern (und seiner Frau) gewöhnlich nur einen
kärglichen Anteil von seiner Jagdbeute zukommen lasse, alles andere selbst
aufesse. ■ Aus dem südöstlichen Australien hat Mitchell ein Beispiel
inniger und opferwilliger Mutterliebe mit der jungen Witwe Turandurey auf-
gestellt (Abb. 347), die sich beim Anblick des gebrochenen Beines ihres
Töchterleins schmerzerfüllt auf die Erde warf, ihren Kopf unter das Bein
ihres Kindes legte und dieses achtzehn Tage lang unermüdlich pflegte, bis es
wieder hergestellt war. Als Mitchell nach weiteren drei Wochen den Wunsch
aussprach, Ballandella mit sich nach Sydney zu nehmen, wollte die Mutter nichts
von einer Trennung hören. Allerdings willigte sie einige Monate später ein, als
das Kind durch den Umgang mit den Engländern deren Nahrungs- und Lebens-
weise bereits jener ihrer Laudsleute vorzog, so daß die Mutter fürchtete,
Ballandella möchte sich nur sehr schwer an das Töten und Essen von
Schlangen, Eidechsen, Ratten u. ä. gewöhnen. Am Morgen der Trennung
umränderte Turandurey zum Zeichen der Trauer ihre Augen mit weißer Farbe
und bestrich auch mit Weiß das Gesicht ihrer Tochter.
Von den Eingebornen am Moore-Fluß, südwestliches Australien,
schrieb um die Mitte des 19. Jahrhunderts Missionar Rudesino Salrado, daß die
dortigen Kinder2) sich der innigsten Liebe ihrer Eltern erfreuen. Nicht um alle
Reicht ümer der Welt gebe ein Vater sein Söhnchen her, und die Kinder vergelten
die Liebe ihrer Eltern mit dankbarer Gegenliebe, indem sie ihnen bei vor-
gerücktem Alter das Beste von ihrer Jagdbeute mitteilen und die ihnen zu-
gefügten Beleidigungen rächen. — Weniger günstig lautet eine Mitteilung des
Missionars Jos. Bischof von den Niol-Niol im nordwestlichen Australien.
Hier zeige sich die Mutterliebe in den ersten Monaten nach der Geburt sehr
schwach; erst später seien die Mütter etwas zärtlicher.
Alle diese Berichte über australische Stämme beziehen sich, wie es
scheint, auf ein normales Fainiliensystem. Über das lose Familien-
1) Der Glaube vieler Völker an die Übertragbarkeit von Zuständen verschiedener
Arten ist uns aus den letzten zwei und aus früheren Kapiteln hinreichend bekannt.
2) Insofern sie nicht getötet werden.
51*
804 Kapitel LDL Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und Negatives.
Verhältnis der Urabunna in Zentral- Australien1) berichteten Spencer
und GUllen im Jahre 1899: Das Band, welches einen Vater mit den Kindern
jener Weiber verbindet, mit denen er gewöhnlich ehelich verkehrt, ist inniger
als das zwischen ihm und den Kindern anderer Weiber, die ihm nur Neben-,
andern Männern aber Hauptweiber sind. —
§ 389. Japaner und Völker mit isoliei-enden Sprachen.
Wernich, der in Japan mehrere Jahre als Arzt praktizierte, rühmte den
Japanerinnen nach, daß sie als Mütter unermüdlich um ihre Kleinen sorgen und
Fig. 49(5. Gratulierende japanische Kinder. Im K. Etlinogr. Museum in München.
sie rührend lieben. Die von AlcocJc erwähnte häufige Erscheinung in den Straßen
Japans, Kindlein auf den Armen ihrer sorgsamen Väter zu seilen, wurde bereits
in einem früheren Kapitel erwähnt. — Trotz so vieler Liebe umarmt nach
Hugues Krafft keine Mutter ihr Kind, und kein Kind wirft sich den Eltern
um den Hals.
rSJJJJNach der Anschauung der chinesischen Moralisten ist das menschliche
Herz viui Natur aus gut, und die erste Offenbarung dieser angebornen Güte
ist kindliche Pietät. Die ganze Moral des Confucius beruht nach Hoogers
auf dem Grundsatz der Liebe zu den Eltern. Kaiser Joung tscheng sage in
seinen Edikten, welche früher im ganzen Reich am 1. und 15. jeden Monats
') Vgl K:i|, L. § 331, und s. 819.
§ 389. Japaner und Völker mit isolierenden Sprachen.
805
von den lokalen Mandarinen selbst öffentlich verlesen werden mußten: Wenn
du deinen Eltern nicht ehrerbietige Liebe erweisen kannst, dann gleichst du
den unvernunftigen Tieren und sollst nicht mehr zu den Menschen gerechnet
werden, da dir die natürliche Güte abgeht. — Der Chinese genügt, nach der
Anschauung seines Volkes, mit der Erfüllung seiner kindlichen Pflicht seinen
Pflichten als Mensch überhaupt und kann sich im übrigen der himmlischen
Fügung überlassen. Allerdings umschließt der chinesische
weit mehr als der unsrige1). — Was die Liebe der Eltern
betrifft, so haben sie viel vom Recht des Stärkeren in sich
ihre Kinder ungestraft so „züchtigen-, daß diese den Mißhandlungen erliegen,
und das geschieht, wenigstens in den niederen Volksschichten, nicht sehr selten'2).
Zärtliche Liebe zu den Kindern erwähnt H. Seidel von den Tongkinesen,
die sich „im Aussehen, in Sprache, Sitte und Lebensweise wenig von ihren
Begriff „Pietät"
zu ihren Kindern
Eltern können
Fig. 497. Chinesen mit kleinen Kindern. Modelle im Museum für Völkerkunde in Leipzig.
chinesischen Nachbarn, aus denen sie hervorgegangen sind, unterscheiden"3)
[Scobel). Tin ihren Kindern ihre Zärtlichkeit zu beweisen, beschnobern sie
ihnen das Gesicht, ähnlich wie die Hunde dtn Kopf ihrer Jungen. Umarmungen
der Kinder ffibt es nicht. Gegen die Liebkosungen von Europäern protestieren
die Mütter mit einem energischen „Soolam!", d. h. unrein4).
Ein Sprichwort der Aunamiten lautet, nach Codiere: „Das Kind, welches
nicht mehr auf seine Mutter hört, ist bereits verloren." Die Väter leiten die Kinder
zur Hochachtung gegen die Mütter an; überhaupt werde, wie wir im Globus
(Bd. 58, S. 266) lesen, alten Eltern bei diesem Volk größere Liebe und Ehr-
erbietung erwiesen, wie bei irgend einem andern Volk des Orients. Man
versuche sie in jeder Weise für die Opfer zu entschädigen, welche sie den
Kindern gebracht haben.
') Näheres hierüber auf S. 433 f. d. B.
-i Näheres ebenda.
3) Tongkin und Annam fs. w. u.) ist von der gleichen Rasse bewohnt.
4) Oder tabu? (unberührbar).
806 Kapitel LIX. Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und Negatives.
Von den Siamesen schreibt A. H. Hillmann: Die Zuneigung, die der
Siamese seinen Kindern entgegenbringt, fällt dem Fremden sehr bald ange-
nehm auf. — Nach Bourlet sind Eltern und Kinder durch eine wahre und auf-
richtige Liebe miteinander verbunden, obgleich sich diese Liebe für gewöhnlich
wenig nach außen zeigt. Solange das Kind ganz klein ist, liebkost und küßt
man es; aber vor dem Kuß eines erwachsenen Kindes schrickt selbst dessen
Mutter zurück1). Dann gilt nur mehr ein gegenseitiges Ergreifen der Hände
oder der Arme als der kräftigste Ausdruck ihrer Liebe. Bei einem AYieder-
sehen nach langer Trennung weinen Mutter und Kind. Lange Trennung
wird besonders von den Müttern schmerzlich empfunden. Bourlet sah, wie
an den Abenden Eltern um lang: abwesende Kinder weinten, als ob diese tot
wären. Allerdings stimmt mit einer „wahren und aufrichtigen Liebe" nicht
recht überein, was Bourlet weiter ausführt, nämlich, daß Selbstsucht die
Triebfeder der Thai, hauptsächlich der Väter, gegenüber den Kindern sei.
Die Eltern, schreibt er, sehen in ihren
Kindern nur ihre zukünftige Milchkult.
Schon zum Baby, das die ersten Schritte
zu machen versucht, sagt der Vater
schmeichelnd: Wenn du einmal groß bist,
esse ich deine Kräfte. „Kräfteessen"
(kin heng) bedeutet „von jemandem
leben"- der Grundsatz des Thai sei ja,
möglichst wenig Arbeit in einem langen
und angenehmen Leben, und deshalb
müsse er jemandens „Kräfte essen". Über-
wacht der Thai sein Kind im zarten
Alter und pflegt er es in kranken Tagen,
so hegt er dabei den Hintergedanken,
er könne eines Tages dessen Kräfte
essen; am Grabe seines Sprößlings be-
trauert und beweint er vor allem seine
getäuschte Hoffnung. Verkauft er seine
Tochter gut an einen Werber, so ißt er
ihre Kräfte; trägt sein herangewachsener Sohn für ihn die Last der Arbeit,
so ißt der Vater seine Kräfte.
Stirbt aber eine Mutter, dann versammeln sich alle ihre Söhne und bringen
drei Tage und drei Nächte, auf Schemeln sitzend, um die Feuerstätte des elter-
lichen Hauses zu, wie ehemals die nun Verstorbene nach der Geburt eines
jeden Kindes hatte tun müssen, und wie sie damals, so gelten ihre Söhne in
dieser Trauerzeit für unrein, essen nur Khau läm, d. h. Reis, in Wasser ge-
kocht, und Salz, und müssen, um nicht andere zu verunreinigen, ihre eigenen
Teller, ihr eigenes Messer und ihr Bambusrohr mit Wasser haben. Damit
drücken sie ihrer verstorbenen Mutter ihre Dankbarkeit dafür aus, daß sie
ihnen das Leben schenkte. Die Töchter haben diese Pflichten nicht, teils
weil sie, wenn bereits verheiratet, andere Pflichten zu erfüllen haben, teils
weil sie bei der Geburt ihrer Kinder ohnehin ..das Feuer hüten", d. h. die
obigen Formalitäten beobachten müssen.
Trauer für ihre verstorbenen Kinder legen die Eltern nicht an; hingegen
trauern die Kinder für ihren Vater ein Jahr und drei Monate und für ihre
Mutter drei Jahre, weil diese mehr Mühe mit den Kindern gehabt habe,
der Vater. Zum Ausdrucke der Trauer in der Kleidung kommt
Fig. «8.
Spielzeug
Chinesisches Pferd, ein Kinder-
Im Museum für Völkerkunde in
Leipzig.
beim
als
Tode
') Vgl. die Annamiten \. S.
§ 390. Ural-Altaien.
807
der Mutter auch noch die Abstinenz von Hundefleisch1), Fröschen,
Lampreten (Neunaugen) und verschiedenen anderen Gerichten, deren sich die
Thai-Mütter enthalten müssen von der Geburt ihres ersten Kindes an bis zu
ihrem Tode. —
§ 390. Ural-Altaien.
Der Mongole ist nach Prsehewalshi ein guter Familienvater, der seine
Kinder innig liebt. Erhält er irgend etwas Teilbares, so bekommt jedes Familien-
mitglied gleichen Anteil, und wäre es nur ein Körnchen von einem Stücklein
Zucker, das zur Verteilung vorhanden ist. Andererseits erweisen die Kinder
ihren Eltern Liebe und Achtung, befolgen gewissenhaft deren Ratschläge und
leisten pünktlichen Gehorsam. — Auf der Karawanen-
straße zwischen Kiachta und Peking kam gegen Huc
und Gäbet ein Mongole zu Pferd herangestürmt, der
schon von der Ferne durch Rufe und Gesten erklären
wollte, was er gleich darauf knieend erzählte und mit
emporgehobenen Händen bat. Huc und Gäbet trugen
Lamatracht, und so flehte denn der Mongole: „Meine
Herreu Lamas, erbarmt euch meiner! Zieht nicht
vorüber, sondern helft meine Mutter retten mit euerm
Gebet!" — Freilich haben sowohl Huc-Gabet als Prsche-
walski u. a. auch den bedauernswerten und ekelerregenden
Zustand verlassener Armer und Kranker in der Mon-
golei und in Tibet, sowie das Verhalten gegen die
Leichen verstorbener Eltern in abstoßenden Farben ge-
zeichnet. Gleichgültig sehen nach PrschewalsJci in Urga,
der Hauptstadt der Mongolei, Eltern ihre Kinder und
Kinder ihre Eltern von Krähen und Hunden verzehren.
Hunderte von Leichen verschwinden täglich auf
solche Weise. Aber auch in die Steppe trägt
der Mongole und Tibetaner die Leichen seiner
Angehörigen auf einen Berg oder in eine Schlucht,
wo er sie den Raubvögeln und wilden Tieren überläßt.
Schnelles Verzehrtwerden gilt als Zeichen, daß der
Verstorbene ein gottgefälliges Leben geführt hat. —
Der tiefere Grund dieser Auffassung findet sich
in der Mitteilung Huc-Gabets, daß die Hunde in
Tibet als heilige Tiere2) gelten. Es sei eine große
Ehre, von Hunden und Krähen3) gefressen zu werden.
Aber auch pomphaft verbrennen oder mühsam an einen heiligen Ort
übertragen läßt mancher pietätvolle Sohn die Leichen seiner Eltern. Nach
Huc-Gabet begegnet man in der Wüste nicht selten Karawanen, welche die
irdischen Überreste verstorbener Eltern zu dem gesuchtesten aller mongolisch-
tibetanischen Friedhöfe in der Nähe des Lama-Klosters U Tay (fünf Türme)
in der chinesischen Provinz Schansi bringen. Denn hinter dem Kloster
ist ein steiler Berg4), in welchem Buddha gegenwärtig ist und von hier aus
') Vgl. die Heilighaltung der Hunde iu Tibet w. u. Die Thai sind mit den
Tibetanern sprachlich und somatisch verwandt.
-i Wohl noch vorbuddhistische Anschauung. Vgl. meine wiederholten Hin-
weise auf den Hund als sexuelles und deshalb als religiöses Symbol in der alten und
neuen Welt in früheren Kapiteln.
3) Vgl. die Krähe als Symbol des Neumondes und Gehilfin des Mondes beim Er-
schaffen der Mädchen in Australien, bei W. Schmidt im Glob. 97, 175. Ob verwandte
Begriffe auch bei den Tibetanern und Mongolen vorliegen?
4) Hier liegt wohl ein Rest eines vorbuddhistischen Höhenkultes vor.
Fig. 499. Chinesische Kin-
derklapper. Im Museum für
Völkerkunde iu Leipzig.
808 Kapitel LIX. Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und Negatives.
den im Friedhof Ruhenden eine glückliche Seelenwanderung verleiht. Mit
schwerem Gold erkaufen die Hinterbliebenen ihren Eltern dieses Glück.
Bezeichnend für das Verhältnis zwischen Vater und Kind in Turkestan
scheint das von X. u. Seidlite mitgeteilte Sprichwort zu sein: „Das Herz des
Vaters ist beim Kinde; das des Kindes in der Steppe (wo es spielen kann)."
Bei den Kirgisen fand Mrs. Atkinson eine hochgradige Liebe zu den
Söhnen; Mädchen seien nur unbedeutende Handelsartikel. Hingegen schrieb
^v! _^/<
Fi;;. 603. Eine Lao -Familie. Josef Kienningera phot.
Die Laos »inil eiu Bergvolk in Siam , II1111 .
Brehm: Beide Eltern lieben ihre „Kinder" ungemein, behandeln sie stets mit
größter Zärtlichkeit und schlagen sie nie.— Von den Kirgisen auf Mangy-
schlak berichtet B. Kanttz: Mit der Zahl der Kinder (10 — 12 von einei
Frau sind nicht selten) scheint die Liebe zu ihnen zu wachsen; ihnen wendet
sich alle Zärtlichkeit zu. die man der .Mutter versagt.
Ein Beispiel kindlicher l'iei.it haben wir in dem Jahresfest, welches
Ata Bek, nach der Mitteilung Wilhelm Radioffs, zu Einen seines verstorbenen
Vaters, nördlich vom Flusse Meikä gab. Zu dieser Totenfeier in der großen
K hinsenhorde kamen außer den Verwandten und Nachbarn des Ata Bek
§ 391. Hyperboräer. 8C9
gegen 5000 Menschen. Das Fest dauerte vier Tage und umschloß, neben Eß-
und Trinkgelagen, Gesangsauf führungen, Wettrennen und Wettkämpfe.
Die große Liebe der Tuugusen zu ihren Kindern ist nach Middendorfß
Beobachtung unverkennbar, und was ein Tunguse für seine alte kranke Mutter
tun kann, ersehen wir an einem schon bejahrten Tungusen, der, nach Midden-
dorff, bei der Nachricht von der Erkrankung seiner Mutter sich sofort auf
den Weg machte, und den weiten Weg vom Aemgünj zu den Toröm-
Quellen unternahm, um sie zu besuchen.
Der Ostjake am Ob und Irtysch, meint Castren, hat freilich bei der
sorglichen Pflege und Erziehung seiner Töchter ebenso seinen Vorteil vor
Augen, wie wenn er Füchse füttert; aber unbewußt übt dabei doch auch die
elterliche Liebe ihren Einfluß aus. Den Müttern rühmte Brehm1) zärtliche
Liebe zu ihren Kindern und treue Erfüllung ihrer Mutterpflichten nach. —
Nach Erman bezahlen die Söhne freiwillig die Schulden ihrer verstorbenen
Väter, weil die Haltung eines gegebenen Versprechens für eine heilige Pflicht
gilt, die bis ins Jenseits nachwirke. —
§ 391. Hyperboräer.
Die Giljaken lieben ihre Kinder sehr, zeigen das auch nicht selten,
obschon sie sonst mit ihren Gefühlsäußerungen zurückhaltend sind. Niemals
sah z. B. L. von Schrenck, daß ein Giljake seine Fi au küßte, wohl aber daß
Mütter und Väter ihre kleinen Kinder liebkosten.
Die Liebe der Kamtschadalen zu ihren Kindern nannte Steller Affen-
liebe. Sie war ebenso groß, wie die Mißachtung, welche die Eltern, haupt-
sächlich wenn einmal alt und hilflos, von ihren Kindern erfuhren. Die Kinder
beschimpften ihre Eltern in häßlichen Ausdrücken. Sahen sich Väter und
Kinder nach längerer Trennung wieder, so wurden diese wohl freudig um-
armt, zeigten sich aber ihrerseits gleichgültig. — Als ein Akt kindlicher
Pietät scheint bei den früheren Kamtschadalen, wie bei einigen anderen schon
früher erwähnten Völkern, die Beförderung alter Eltern ins Jenseits gegolten
zu haben. Lebensmüde Männer forderten ihre Söhne selbst dazu auf. Steller
erwähnte einen derartigen Fall aus dem Jahre 1737: Ein Sohn wollte seinen
Vater auf dessen Aufforderung hin erhängen. Las erstemal brach der Eiemen;
das zweitemal wurde ein doppelter genommen.
Als „heilige Pflicht" des Sohnes erwähnt Vasilij Priklonski die Er-
mordung des altersschwachen Vaters bei den Tschuktschen. Wenn, so
schreibt er, ein alter Tschuktsche wahrnimmt, daß seine Kräfte verfallen und
er seiner Umgebung lästig wird, dann richtet er an seinen ältesten Sohn
die Bitte, er möge ihn zu seinen Vorfahren entlassen. Um nun seiner „heilig"
gehaltenen Pflicht nachzukommen, stellt der Sohn seinen Vater hinter einen
Vorhang, um dessen Todesqualen nicht mit ansehen zu müssen, und sticht ihm
mit. fester Hand das Messer ins Herz. — Nordenskjöld rühmte den Tschuktschen
eine liebevolle Behandlung ihrer Kinder nach. Selten höre man, daß sie ihnen ■
böse Worte geben.
Der Aleute liebt nach Langsdorff seine Kinder und seine Eltern mit
Aufopferung, obschon man ihm wenig von einem starken Gemütsleben ansieht.
Die grönländischen Eskimo hängen regelmäßig an ihren Kindern als
ihrem größten Schatz. Unter den Eskimos, welche im Jahre lß06 von GoltzJce
IAndenau gefangen nach Dänemark brachte, war einer, der jedesmal weinte.
wenn er ein kleines Kind auf den Annen oder an der Brust der Mutter sah.
Die Eskimo des 19. Jahrhunderts im nordöstlichsten Amerika standen jenen
in der Liebe zu ihren Kindern nicht nach: Das Ehepaar Ebierbing und Tookoo-
') Bei Ploft II, 404.
810 Kapitel LIX. Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und Negatives.
lito, welches bei Hall eine so große Bolle spielt, hatte durch den strengen
Winter 1861 viel gelitten. Ebierbing war krank und elend; Hunger und Kälte
setzten seiner Frau Tookoolito stark zu; die Hunde, diese dem Eskimo un-
entbehrlichen Tiere, waren eingegangen, und die für den Winter so notwendigen
Felle mangelten. Aber Tookoolito hatte ihr erstes Kind geboren, und so
meinte Ebierbing: ,,Macht nichts! Wir leben und sind beisammen; wir haben
einen prächtigen Knaben und sind glücklich." — Nach Saäbye hielten die
grönländischen Eskimo des 18. Jahrhunderts die Europäer für unwürdig,
Kinder zu haben, weil sie sie züchtigen. — ■
Nansen teilt im 20. Jahrhundert mit, daß
die Eskimos ihren Kindern, besonders den
Knaben, alles tun, was sie ihnen an den
Augen absehen; niemals hörte er Kindern
harte Worte sagen. Den Eltern schneide
es besonders ins Herz, wenn sie ihre
Kleinen hungern sehen. — Eimnd Astrup
schrieb von den Eskimos am Smith-
Sund, es herrsche zwischen Eltern und
Kindern ein ebenso liebevolles „nioor-
schnepfenartiges" Verhältnis wie überall
auf Erden. Der kleine korpulente Ekva,
ein anerkannter Komiker des Stammes,
vergaß fite, einen Teil des ihm geschenkten
Zwiebacks in seinen schmutzigen Leder-
beutel zu stecken, um ihn seinem zwei-
jährigen Söhnchen Annedor zu bringen.
Ein Weib, Mutter zweier Söhne, er-
wähnte zwar den lialbverrückten Anin-
gana fast nie, wenn Besuch kam, sprach
dafür aber um so mehr von ihrem „un-
vergleichlichen" Kaschu. Astrup bemerkt
dazu: Wenn sie dann gar von seiner
Schönheit schwärmte und wenn man
sich dabei das Holzgesicht mit dem
großen Mund und den halbzugekniffenen
Augen vorstellte, konnte man kaum das
Lachen verbeißen. — Was die kindliche
Pietät betrifft, so hat Saabye die Hoch-
achtung und Liebe der grönländischen
Fig. 601. Wiege als Kinder-Spielzeug bei den
Kiii li cn-Iiid innern in Montana. Im Museum
I. K. H. Prinzessin Therese von Bayern.
Eskimos gegen ihre betagten Eltern be-
tont. Mit Freuden gewährten sie ihnen
Unterhalt. Aber es kam auch vor, daß
man alte Leute, je nach Wunsch,
Meer wart. Nach Boas gilt bei den Zentral-
Tötung alter Eltern für erlaubt. Krauken
lebendig begrub oder ins
Eskimos heutzutage noch
Eltern und Kind. tu suchen die Kskimos durch Herbeirufung eines Zauberers
(Angekok) zu helfen; nimmt jedoch die Krankheit eine schlimme Wendung,
dann überläßt man den Patienten seinem Schicksal, sei es in einem eigens
erbauten Schneehaus, wenn es Winter ist, oder in einer Hütte in der mildereu
Jahreszeit1). Eine Lampe als Licht- und Wärmespenderin, alte Felle zur
'i Der Tote verunreinigt nach Eskimo-Auffassung den Raum und alles darin Befindliche.
Das scheint der Grund zu sein, warum man die Sterbenden aus den Wohnungen der Lebenden
entfernt, wenn derselbe nicht erfunden wurde, um Lieblosigkeit mystisch zn begründen, wv
auch Eür andere Völker mit ähnlichen Bräuchen nicht unwahrscheinlich dünkt.
§ 392. Indianer. 811
Bekleidung und etwas Nahrungsmittel ist alles, was man dem Schwerkranken
in sein Sterbehaus mitgibt, bzw. ihm läßt. Dann und wann besucht man ihn
noch, bis man den Tod heranrücken sieht, worauf man die einzige Öffnung
des Schneehauses oder der Hütte verschließt, also den Sterbenden lebendig
begräbt. Doch sieht man in diesem alten Brauch keinen Mangel an Liebe,
wie andererseits Sterbende bisweilen noch kindliche Pietät zeigen. Boas
z. B. erzählt, ein junges Mädchen habe ihn einige Stunden vor ihrem Verscheiden
holen lassen und ihn um etwas Tabak und Brot gebeten, damit sie diese Ge-
schenke ihrer kurz vorher gestorbenen Mutter ins Jenseits bringe. —
§ 392. Indianer.
Den gleichen Brauch, wie bei den Kamtschadalen, Tschuktschen und
Eskimos des vorigen Paragraphen, finden wir bei den nördlichen Tinneh oder
Dene, einer Gruppe von lud ianer Völkern in Nordamerika. Manche Eltern bitten
auch hier ihre eigenen Kinder um den Tod, wie A. G. Morice schreibt, der
zugleich als Grund dieser Bitte angibt, weil alte und kranke Leute in der
Pegel herzlos ihrem Elend überlassen werden. — Nach J. West1) überredete
ein altes Weib ihren Sohn, ihr eine Kugel durch den Kopf zu jagen.
Bei den Nascaupees2) (Naskopi) in Labrador, einem getauften,
aber dem Geiste nach noch vielfach heidnischen Stamm reiner Rasse, besteht
die Ansicht, daß Greise mit Anzeichen von Irrsinn von ihren Kindern möglichst
bald getötet werden müsseu, weil sie sonst Menschenfresser würden s). In diesem
Glauben tötete noch im Winter 1909 ein junger Nascaupee seinen alten Vater
(Labadie Lagrave).
Die Liebe der Indianer zu ihren Kindern und dieser zu ihren Eltern
halie ich in ..Des Indianers Familie, Freund und Feind"4) eingehender behandelt,
als es in dpm vorliegenden Werk geschehen kann. Es mögen also hier nur
noch einige diesbezügliche Mitteilungen folgen:
Th. L. Me. Kenney schrieb von dem Häuptling der Chippeway in
Fond du Lac: Er hatte ein Söhnchen bei sich, das er leidenschaftlich liebte,
und das Kind wich nicht von seiner Seite. Bei unserer ersten Begegnung fand
der Häuptling kaum Zeit, seine Freude über unser Kommen auszudrücken.
Gleich hob er seinen Knaben in die Höhe und bahnte sich mit ihm einen
Weg durch die Menge, damit auch er uns die Hand reiche, wobei er betonte,
daß es sein Sohn sei.
Die Maskoki- oder Fuchs-Indianer lieben, nach Mary A. Owen, ihre
Kinder innig. Die Väter, welche unter den jetzigen Peservationsverhältnissen
ihren Kindern mehr Zeit als die Mütter widmen können, während sie früher
im Zustande der unbeschränkten Freiheit viel nach Beute liefen, folgen Tag
und Nacht jedem Wink ihrer kleinen Tyrannen (die Mütter bebauen nach
wie vor das Feld). Im zarten Alter werden die Kinder der Maskoki nach-
sichtiger und zärtlicher behandelt, als die meisten weißen Kinder, wie Owen
bemerkt.
Die Ohama-Frauen in Nebraska gruben für Kriegszeiten Löcher in
die Erde, worin sie sich und ihre Kinder bargen, indem sie Felle darüber
dickten. Nach einer Mitteilung im Globus (Bd. 50, S. 350) ereignete es
si< h dabei einmal, daß eine Frau, die ihre Kinder bereits in einer solchen
*) Bei Morice, im Anthropos II, 194.
2) Französische Schreibweise.
3I Labadie Lagrave, der Übiges mitteilt, nennt diesen Glauben einen alten Aberglauben
der Rothäute. Demnach scheint er sich auch bei andern Indianer-Völkern zu finden.
*) Münster i. W. 1907.
812 Kapitel LIX. Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und Negatives.
Vertiefung untergebracht hatte, plötzlich überfallen wurde, so daß sie die
Öffnung nicht anders als mit ihrem eigenen Leibe decken konnte. Sie stellte
sich also tot und ließ sich vom Feind den Skalp nehmen, um ihre Kinder
zu retten.
Den Kindern der Navajos, einem Zweig der südlichen Tinneh. schrieb
Ostermann eine hochgradige Anhänglichkeit an ihre Eltern zu, welche ihre
Kinder zärtlich lieben. Wenn von den Eltern getrennt, leiden die Kinder viel
an Heimweh, und in diesem Heimweh entlaufen bisweilen Knaben, die in fernen
Schulen Unterricht genießen, und legen Hunderte von Meilen zu Fuß zurück,
um wieder heimzukommen. Dieser Anhänglichkeit entspreche der Gehorsam
und die Artigkeit der Navajo-Kinder,
welche körperliche Züchtigung oder
auch nur strengen Tadel nur selten
brauchen.
Einen egoistischen Zug aus dem
Kindesleben der Pirnas im südlichen
Arizona und in Nettmexiko be-
richtete seinerzeit Missionar Och: Als
im Jahre 1763 Oc/js Missionsbezirk so
stark vom Fieberheimgesucht war, daß
in drei Dörfern keine zehn gesunden
Männer mehr zu finden waren, und als
Och "den Kranken durch deren Bänder
Speisen schickte, aßen diese das für
ihre Eltern Bestimmte jedesmal heimlich
weg, bis der Missionar hinter den
Betrug kam.
An einen Akt
Mutterliebe unter den jetzt aus-
gestorbenen Tschu'ma-Indianern
auf der Insel Santa Cruz erinnert
11'. J. Hoffmann: Als anfangs des
19. Jahrhunderts Missionäre versuchten,
die auf Santa Cruz zerstreuten Tschu'ma
dem mexikanischen Festland über-
heMenmütigei
Fig.
Im K. Ethno£
ihes Mischblut.: Neger-Indianer.
laph. Museum in München.
nac
zuführen, bemerkte ein Weib, daß ihr
Kind nicht mit auf dem Boot war.
Die Sonne war schon am Untergehen; die See ging hoch; der Himmel kündigte
Sturm an, und das Bunt war schon ziemlich weit von der Insel entfernt. Die
Insassen des Bootes wollten nicht umkehren, die Mutter aber ihr Kind nicht
zurücklassen. Sie sprang daher in das .Meer und schwamm zurück. - Nach
12 Jahren wurden Mutter und Kind zufällig aufgefunden.
Bezeichnend für die Mutterliebe einer 0 Jana -Indianerin in Surinam.
Bolländisch-Neuguinea, ist die Bitte, welche sie an ('. //. de Gheje richtete,
nämlich, er möge ihr bei seiner Wiederkehr einen teremopüilatop, d. h. ein
„Sterbe-nicht-Werkzeug", mitbringen, das ihrem Söhnchen ewiges Leben ver-
leihen könnte. — Nach einer Notiz im Globus (Bd. 46. s. 23) werden die
Indianer- Kinder in Guayana überhaupt zärtlich behandelt. — Kapph rschreibl
allerdings, es komme in Surinam häufig vor. daß Indianer ihre Weiber samt
den Kindern verlassen, um sich irgendwo anders anzusiedeln.
\uch die Karaiben der Antillen verließen nach Du Terire ihre Familien
nach Willkür, obgleich viele opferwillige Vaterliebe gefunden wurde, wie schon
aus der Couvade (vgL diese) hervorgeht Die Mütter, bemerkte Dapper, er-
zogen ihre Kinder mit viel Zärtlichkeit und großer Sorgfalt. Dapper erwähnte
§ 392. Indianer.
813
auch die tiefe Ehrerbietung der Jugend gegen das Alter. Aber De Rochefort
schrieb, es sei „früher" manchmal vorgekommen, daß Karaiben den Tod ihrer
alten Eltern beschleunigten, weil sie der Ansicht waren, ein gutes Werk zu
tun und ihnen einen Liebesdienst zu erweisen, wenn sie sie von den Beschwerden
und der Langeweile des Alters befreiten. Ein alter Häuptling habe sich
gerühmt, mehreren seiner Vorfahren diesen Dienst erwiesen zu haben. Bei den
Karaiben sei dieser Brauch jedoch nicht entstanden, und zu Bocheforts Zeit sei
er von den Einsichtsvollsten verabscheut und die Eltern bis ins höchste Alter
liebevoll und ehrerbietig gepflegt worden.
Fie
603. Araueaniscke Weiber und Kinder.
Ethnograph. Museum in München.
Im K. Fig.504. Ein Yahgan-M ädchen, Feuer-
lan d. (Hyades-Deniker, Mission scientilique
du Cap Hörn. VII, PI. 13.) Im K. Museum
für Völkerkunde in Berlin.
In neuerer Zeit erwähnte Schomburglc eine herzlose Vernachlässigung
alter und kranker Leute aus Guayana, dessen Bevölkerung größtenteils aus
Karaiben, Tupi und Arrawak besteht1).
Den nordwestlichen Brasilianern stellt Koch-Grünberg das Zeugnis
aus, daß sie gegen ihre Kinder gewöhnlich liebevoll seien, ihre Gefühle aber
vor Fremden verbergen. In manchen Dörfern, wo Koch bereits zur Familie
gerechnet wurde, bemerkte er die gleiche Zärtlichkeit, besonders gegen kleine
Kinder, wie in europäischen Familien. Mütter und Großmütter sah er stunden-
lang mit den Kleinen spielen.
Hingegen fand sich bei Ploß (II, 339) folgende Stelle über das Verhältnis
zwischen Eltern und Kindern bei den tropischen Indianern: „Im tropischen
Amerika stehen im indianischen Hauswesen und in den mit Indianismus reich
vermischten Volksschichten die Kinder dem Vater fern. Sie sind scheu
') Rem, Des Indianers Familie, 78 f. Die mit dem Töten alter Väter verbundenen
Feierlichkeiten bei den nördlichen Chippeway siehe S. 172, ebenda.
814 Kapitel LIX. Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und Negatives.
vor ihm und in der zartesten Jugend von ihm entfremdet; sie fliehen Zuflucht
suchend in die Arme der Mutter; frühzeitig- entwachsen sie dem väterlichen
Hause, und die Mutter wird, wie einst ihres Mannes, so ihres Sohnes Dienerin :
doch kindliche Ehrfurcht auch im vorgeschrittenen Lebensalter ist ein allgemein
vorteilhaft hervortretender Charakterzug." —
Die Caraya-Indianerin am Xingü und Araguay. nördliches Brasilien^
widmet sich ihren Kindern mit liebevoller Hingebung, schreibt G. v. Koenigswald.
Die hochgradige Zärtlichkeit der Caingangs-Indianer gegen ihre Kinder
in Paranä, südliches Brasilien, und der völlige Maugel an Strafen ist. nach
Telemaco Maroeines Borba, die Ursache, daß die Kinder ihren Eltern wenig
Achtung bezeigen. Borha sah, wie sich Männer von ihren Kindern mit Stücken
mißhandeln ließen.
Die große Liebe, welche Maria, die Pampa-Indianerin und Gattin des
patagonischen Häuptlings Conchingan, ihren Kindern, besonders aber ihrer
ältesten Tochter, bewies, machte auf Moreno einen wohltuenden Eindruck.
Nach Hyades behandeln die Feuerländer am Kap Hörn ihre Kinder
sehr gut, wenn sie auch nicht so zärtlich mit ihnen tun, wie es in Europa
Brauch ist. —
Kapitel LX.
Hypothesen der letzten fünf Jahrzehnte über die
Urgeschichte der Familie. Einschlägige Tatsachen
und Mythen.
§ 393. Nachdem wir das Kind von seiner Konzeption einerseits bis
ins Jenseits, andererseits bis zum Eintritt in die Reihen der Erwachsenen
begleitet haben, ja. bereits dem Wunsch nach ihm unter den Völkern nach-
gegangen sind und damit zugleich das Spiegelbild der Menschheit am Kind
beobachtet haben, dürfte ein kurzer Blick auf einige in den letzten fünf
Jahrzehnten aufgestellte Hypothesen betreffs Urgeschichte der Familie am
Platze sein, obgleich die wichtigsten Ausgangspunkte derselben, nämlich
Promiskuität. Gruppenehe und Polyandrie, besonders aber das Recht
der Muttersippe (bisher gewöhnlich „Mutterrecht" genannt), samt Matri-
archat und Gynäkokratie schon in den Kapiteln L und LI ins Auge
gefaßt worden sind, insofern sie die Zugehörigkeit des Kindes zu Vater oder
Mutter, bzw. das Rechtsverhältnis des Kindes gegenüber seinen Eltern beein-
flussen, und die Überblicke über jene beiden Kapitel ergaben, daß die
genannten Ausgangspunkte die Hypothese einer ursprünglich allgemeinen
Promiskuität nicht stützen.
Damit wurde bereits ein Beitrag zur Lösung des Problems der Urgeschichte
der Familie, wenn auch nur in negativer Form, gegeben. Penn hauptsächlich
um eine positive oder negative Antwort auf die Frage einer ursprünglichen
Promiskuität drehten sich in den letzten fünf Jahrzehnten die Forschungen
nach der Urgeschichte der Familie.
Die, meines Wissens, zeitlich erste und hervorragendste Arbeit auf diesem
Gebiet leistete Bachofen.
§ 394. Bachofens „Mutterrecht".
Bnchofen schloß von der mehr oder weniger freien Geschlechts-
mischung einiger historischer Stämme und Völker1), die eine Ehe in
unserem Sinne nicht haben, auf eine allgemeine Promiskuität der ganzen
Menschheit im Urzustand. „Auf der tiefsten Stufe zeigt der Mensch neben
völlig freier Geschlechtsmischung auch Öffentlichkeit der Begattung", schrieb
er und nannte diese Erscheinung die Betätigung des Jus naturale, welches
so alt sei wie das Menschengeschlecht und erst durch das spätere Jus civile,
dem die Ehe ihren Ursprung verdanke, eingeschränkt worden sei2). ~
Ein anderer Ausgangspunkt Bachofen?, war der Hetärismus gewisser
historischer Völker vor der Ehe. Ein solcher Hetärismus findet sich bei
') Vgl. Kap. L und den § 395 dieses Kapitels.
-) Das Mutterrecht, S. 10, 13 und 18 f.
gl(j Kapitel LX. Hypothesen der letzten fünf Jahrzehnte über die Urgeschichte der Familie.
Völkern des Altertums und der Neuzeit, und zwar teilweise bei Völkern,
welche die einmal geschlossene Ehe keusch halten. Er ist, nach Bachofen,
eine Nachwirkung der alten Auffassung und praktischen Durchführung des
Jus naturale. Die durch Eheschließung verletzte Naturmutter müsse versöhnt,
die Keuschheit des Matrimonium durch vorgängige Unkeuschheit erkauft
werden *).
Ein dritter Ausgangspunkt Bachofens war das uns bereits wohl bekannte
„Mutterrecht-' -), welches er gleichfalls nur mit einer ursprünglichen Weiber-
gemeinschaft, bzw. der aus ihr folgenden Unkenntnis des Vaters erklären
zu können glaubte3).
Die bei einzelnen Völkern nachgewiesene Gynäkokratie in Familie
und Staat4) erfaßte Bachofen als eine Durchgangserscheinung in der Ent-
wicklung vom Mutterrecht zum Vaterrecht, als eine Wirkung der Reaktion
des vom Mann zunächst geschlechtlich mißbrauchten Weibes.
Gruppenehe und Polyandrie galten ihm als Durchgangsfoimen inner-
halb des Entwicklungsprozesses von einer allgemeinen Promiskuität zur Einehe.
Auch in jenen beiden Eheformen sei übrigens wegen der Unkenntnis des
Vaters Mutterabstammung am Platze5). —
Bachofens Forschungsresultate und Hypothesen spornten zu weiteren
Forschungen und Hypothesen an. Was zunächst seine urzuständliche Promis-
kuität betrifft, so wurde von verschiedenen^ Seiten eingewendet, der Schluß
auf eine solche sei schon deshalb unerlaubt^ weil kein historisches Volk, kein
bekannter Stamm als Ganzes, eine derartige Zügellosigkeit aufweise.
Letzteres war nun allerdings eine Behauptung, welche vnr den Tatsachen
weichen muß, was sowohl aus Kap. L als aus dem hier folgenden § 395
hervorgeht. Daß es Völker mit einer mehr oder weniger weitgehenden Weiber-
gemeinschaft6) gegeben hat und noch gibt, scheint mir heutzutage eine
erwiesene Tatsache zu sein, wenn auch die Berichte der Alten nicht in jedem
Wort über alle Zweifel erhaben sind. Hingegen ist die Hypothese Backofens
und Späterer, daß solche Zustände ursprünglich und allgemein waren,
und daß die Urmenschheit eine Dauerehe überhaupt nicht kannte.
wissenschaftlich nicht bestätigt. Sittlicher Bückgang war bei alten
Völkern ebenso möglich wie bei neuzeitlichen7). —
§ 395. Völker mit Promiskuität, Gruppenehe und Polyandrie (ohne Ke-
rücksichtigung des Kindes). Vorehelicher Hetärismus.
Nach Sextus Empiricus übten gewisse indische Stämme unterschieds-
lose und öffentliche Begattung (u.qvovTou äoia'.io'pu>? 5T,u.oaia s).
') Ebenda, S. 13.
-) Vgl. Kap. LI.
3) Vgl. den Erbgang durch die Verwandtschaft des Vaters auf S. 648 d. B.
*) Vgl. Kap LI.
6) Vgl. Kap. L.
6) Der obige Ausdruck sei der Kürze wegen auch für Gruppenehen und Polyandrie
gestattet. »
7J Vgl. den in der Neuzeit, unter Christen, entstandenen Brauch der Promiskuität
bei den Bibel-Kommunisten in N ordamerika, bei Josef Miillrr indessen ..Renaissance"
1. s. 22. I »a heifit es mit einem Hinweis auf S. Schweiger-Lerchenfeld: „Eine Weibergemeinschaft
in neuerer Zeit, und noch dazu auf religiöser Grundlage, haben die Bibel-Kommunisten am
Oneido-Bacli in den Vereinigten Staaten errichtet. Die ganze Bibelfamilie ist ein
Ehekreis. Jeder Mann wird der Mann und Hruder jeder Frau, jede Frau Frau und Schwester
jedes Mannes . . . Ausschließliche Liebe gilt als Sentimentalität. Vergötterung und Anbetung.
Das Heiz müsse frei gehalten werden, um alle Würdigen zu lieben, und solle nie durch Aus-
schlieUlichkeit und selbstische Liebe sich beschränken. Jede Frau hat (aber) das Recht,
jedes Mannes Hewerbung zurückzuweisen."
8; Pyrrhoniae hypotyposes 3, 618, cd. Bekker. Bei Bachofen, Mutterrecht, S. 10.
§ 395. Völker mit Promiskuität, Gruppenehe und Polyandrie. Vorehelicher Hetärismus. 817
Promiskuität erwähnte ferner Megasthenes1) von Kaukasus-Völkern.
In Griechenland soll bis zu Kekrops Zeit Promiskuität geherrscht
haben2). Nach Zendbiw*) standen in Arkadien Weiber, die mit mehreren
Männern verkehrten, in Ehren4).
Bei den alten Goten und Medern. sowie bei den nun ausgestorbenen
Guanchen auf den Kanarien-Inseln, sollen ähnliche Eheverhältnisse, wie
bei den britischen Kelten, d. h. Gruppenehen, gebräuchlich gewesen sein 5)
(Siehe diese auf S. 619 d. B.)
Aus dem alten Ägypten6) ist eine ähnliche Erscheinung wie die aus
Arkadien erwähnte bekannt.
Nach Sextus Empiricus trugen hier jene Weiber, welche mit den
meisten Männern verkehrt hatten, einen Fußknöchelschmuck, was als Ehren-
zeichen galt (tscioi yo'jv o-i ai -Xsiarou auvioGaoti xal xoau.ov syousi irepiacpupiov,
auvi)rlu.a ttoö -ap' au-al; asu.voX077ju.orro;) '■). — Ganz ähnlich lautet8) eine Stelle
bei Herodot über die Gidanen9): Ihre Weiber tragen Bänder um die Fuß-
knöchel (irsptotpüpia), jede eine große Anzahl. Sie sind aus Fellen gefertigt
und haben folgende Bedeutung: Bei jeder Mischung mit einem Mann legt
die Frau ein solches Band um. Die nun die meisten hat, wird für die
trefflichste gehalten, da sie von den meisten geliebt worden ist.
Die öffentliche Promiskuität der alten Äthiopier mit Einschluß der alten
Ägypter glaubte Bachofen auch indirekt, und zwar durch den Hundekult,
beweisen zu können. Unter dem Bild des Hundes, der sich regellos und
öffentlich begattet, vereinten die Äthiopier ihre höchste Gottheit, die
Zeugungskraft, und in Ägypten habe der Hund von alters her die größte
Verehrung genossen. Belege hierfür seien bei Plinius, Aelian und Plutarch
zu finden.
Von den Massageten, einem wahrscheinlich turanischen Nomadenvolk
in den Steppen nördlich vom Kaspischen Meer, schrieb Herodot1"): ,. Jeder
ehelicht eine Frau, allen aber ist erlaubt, sie zu gebrauchen ... So oft einen
Mann nach einem Weibe gelüstet, hängt er seinen Köcher vorn an dein
Wagen auf und wohnt ihm unbesorgt bei." Dabei steckt er seinen Stab in
die Erde, ein Abbild seiner eigenen Tat. Ganz ähnlich lautet, nach
Bachofen, Strabos11) Bericht.
Bei den Nasamonen hatte jeder „nach Gebrauch" viele Frauen, welche
Gemeingut waren. Auch sie steckten während des Beischlafes ihren Stab in
die Erde ,2).
>) Bei Strabo 15, 710. Ebenda, 19.
*) Emil Jung, Polyandrie und Polygamie. Im Glob. 52. 93. — H. J. Rose schreibt
allerdings: Alles, was sich auf einen sagenhaften ehelosen Zustand der Hellenen vor Kekrops
bezieht, ist eben Sage nach der wohlbekannten Form, alle großen sozialen, religiösen oder
ökonomischen Einrichtungen auf einen einzigen Erfinder zurückzubeziehen. Bewiesen kann
es nicht werden. (On the Alleged Evidence for Mother-Right in Early Greece, Polk-Lor.e,
Vol. XXII, London 1911, p. 289.) Rose hat einerseits recht. Allein es ist andererseits
kein genügender Grund vorhandeu, die obige Mitteilung als bloße Erdichtung zu bezeichnen,
da Weibergemeinschaft bei Völkern der Neuzeit nachweisbar ist.
3) Bei Bachofen, S. 12.
4) Vgl. die bis ins Alter hochgeehrten Indianerinnen, die in ihrer Jugend ein
„Reisfest" gaben (S. 551 d. B).
b) Jos. Müller, Das sexuelle Leben der Naturvölker. Renaissance I, 24.
6) Hami tische Bevölkerung (?).
') Bei Bachofen, S. 12.
8) Nach Bachofen, ebenda und S. 15.
9) Vielleicht handelt es sich um ein und dasselbe Volk.
I0) 1, 12« und 4, 172, bei Bachofen, S. 10.
«) 11, 513.
12) Herodot 4, 172, bei Bachofen, 10.
Ploß-Eene, Das Kiiid. 3. Aufl. Band n. 52
818 Kapitel LX. Hypothesen der letzten fünf Jahrzehnte über die Urgeschichte der Familie.
In China herrschte nach Jiuii/ Promiskuität bis zn Buddha« Zeit1!.
Promiskuität war ferner, nach Baegert, in Kalifornien und, nach
Garcilasso dt Ja Vega, bei einigen peruanischen Stämmen vor der Zeit der
Inkas gebräuchlich-).
Weibergemeinschaft in bestimmten Grenzen bei den Herero ist auf
s 541 d. B. erwähnt worden.
Die Eruier. Stämme der Piney Hills in Madura, lebten nach den
Aussagen zweier Eingeborner zu Harkneß' Zeit, also in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts, in fast unterschiedsloser Geschlechtsvermischung s).
Ähnliches berichtete Lubbock von den indischen Teehurs, von denen
es hieß: „(they) live together almost indiscriminately in large communities,
and even when two people are regarded as married. the tie is but nominal4)."
Bei den Kodagu in Kurg. gleichfalls im südlichen Vorderindien, waren
die Frauen der Söhne einer Familie Gemeingut innerhalb der Familie. Man
berief sich dabei auf die Polyandrie der Dranpadi. (Vgl. Kap. L,
§ 333.) — Den Kodagu galt dieses Familiensystem als nationale Einrichtung6).
Einzelne Familien dieser Art gab es noch Kode des 19. Jahrhunderts.
Von den Giljaken berichtete L. J. Sternberg:
„In einer gewissen Gruppe, deren Zusammensetzung durch Geschlech
bände bestimmt wird, gelten die Frauen, auch wenn sie einen bestimmten
Mann gewählt haben, doch für gemeinsam,?).''
Die Waran -Indianer in Guayana halten es nicht für böse, wenn zwei
Männer ein Weib gemeinsam haben, wie ein alter Manu dieses Volkes dem
Missionar Brett versicherte mit der Bemerkung, er kenne ein Weib, das drei
Männer habe7). —
Zu diesen Tatsachen kommt der voreheliche Hetärismus viele]
Völker, welcher bereits in Kap. X1.V11 zur Genüge nachgewiesen worden
ist. Auch hier mögen noch einige diesbezügliche Beispiele folgen:
Die zur indogermanischen Völkerfamilie gehörigen Thraker des Alter-
tums ließen ihren Töchtern bis zur Verehelichung völlige Geschlechtsfreiheit,
bewachten aber ihre Frauen streng8).
Auf den Balearen-Inseln, deren frühere Besiedelung durch Phönizier
und Griechen bekannt ist. herrschte nach Diodor der Brauch, daß sieh die
Braut beim Hoehzeitsgelag mit allen anwesenden Freunden und Bekannten,
vom ältesten angefangen, der Reihe nach verband. Den Schluß bildete der
Bräutigam9).
Die Töchter der Lokrer, Etrusker, äthiopischen AugileT und der
Babylonier verdienten sich ihre Aussteuer durch Betärismus; in der Ehe
aber war ihnen strenge Keuschheit Pflicht.
Auf den Andaman-Inseln im Bengalisehen Meerhasen fühlt sich der
von einer Unverheirateten zurückgewiesene Mann beschimpft und räcbl sieh
manchmal an ihr bitter1").
i) Jung, Glob. 52, 93. Vgl. Rose* Ansicht \. S.. Anne 2.
2) Ebenda.
■ Vgl. die ganz ähnlichen Verhältnisse bei den heutigen Mannadis oder K im n u vans
Palni Hills". Kap. L.
li // Spencer, Principles 1. 631.
*) Hunter, l»i Jung, Polyandrie. Glob. 52, S. 92.
lob. 79. 50, nach einem Vortrag Sterilbergs am 1. Dezember 1900 in der Rusa.
Q ■ si -lisch, in St. Petersburg.
') Brett, bei Benz, Des fndis ie, S 63.
~i Herodot 5, •;. bei Bachofen S. 12.
Bei Bachofen, ebenda. Vgl. Australien f. S.
Nach 11. Spencer. Principles 1. 631f.
§ 396. Monogamie bei Völkern auf der historisch tiefsten Stufe sonstiger Kultur. 819
Vom Innern Australiens führen B. Spencer und Gillen Stämme an. bei
welchen die Braut sich mit einer Anzahl von Männern nach ganz bestimmten
Vorschriften verbinden muß, ehe sie das auch dann noch nicht ausschließ-
liche Eigentum ihres Mannes wird1).
Freie Liebe vor der Ehe herrscht nach F. L. Krauß2) heutzutage noch
bei den Bauern der Südslawen. —
Wie naheligend es jedoch nach diesen Berichten über relativ niedrig-
stehende Völker erscheint, mit Bachofen und Späteren einen Schluß auf all-
gemeine Urzustände ähnlicher Art zu wagen, so verbietet das die Tatsache,
daß die monogame Ehe sich gleichfalls auf niederer, ja den nieder-
sten Stufen sonstiger Kultur findet.
§ 396. Monogamie bei Völkern auf der historisch tiefsten Stufe sonstiger
Kultur.
Die elenden Wald-Veddahs (auf Ceylon), schrieb Herbert Spencer*),
leben so weit zerstreut, daß man von ihnen kaum sagen kann, daß sie auf
der Anfangsstufe menschlicher Geselligkeit angelangt sind. Bei ihnen ist
strenge Monogamie beobachtet worden.
Mit diesen "Wald-Veddahs sind wohl die „Natur- Weddas" des L. Rüümeyer
identisch, welche er einen Stamm nennt, dessen geistig- transzendent es Besitz-
tum wohl auf der tiefsten Stufe alles Menschentums stehe. — Wir haben
hier demnach die tiefste Stufe materieller und geistiger Kultur innerhalb
unseres kulturhistorischen Gesichtskreises. Von der Ehe dieses Volkes aber
schrieb Bütimeyer: „Ihre strenge Monogamie wird . . . allgemein anerkannt. Der
Wedda bleibt seinem eiiien Weibe lebenslang treu, die Eifersucht auf ihre
Frauen ist außerordentlich groß. Diese strenge Monogamie des kleinen Stammes
innerhalb der sie seit Jahrtausenden umgebenden, im größten Gegensatze
dazu lebenden Kulturindier ist außerordentlich markant4)."
Die Kulms in den Urwäldern des südlichen Sumatra sind nach
Wilhelm Volz ") die letzten Reste einer uralten Bevölkerungsschicht der Insel
und stehen auf einer „außerordentlich tiefen Stufe" des Kulturlebens, d. h.
sie siud halbe Nomaden, die als Jäger und Fallensteller den Wald auf der
Suche nach Nahrung durchstreifen, teilweise von Fischfang und Waldes-
produkten leben, bis vor kurzem kaum eigene Hütten besaßen, in den Gipfeln
der Bäume ihre Zuflucht suchten und kaum eine Spur von Religion aufweisen (?).
Ihre Ehe ist „in der Regel monogam"; doch ist Polygamie statthaft; auch
legt man auf die Reinheit der Braut keinen großen Wert, und die Ehe kann
beiderseitig gelöst werden.
Die (»rang Mamma, gleichfalls in den Urwäldern Sumatras und eines
der kulturell tiefststehenden Völker der Gegenwart, leben in strenger Mono-
gamie^).
Auf Celebes sehen F. und P. Sarasin1) in den T_oäla die Autochthouen
der Insel, erwähnen ihre niedrige Intelligenz, ihre Scheu vor Fremden usw.,
aber auch ihre Übereinstimmung mit den Weddas durch Monogamie.
i /.'. Spencer and (rillen, The Central Tribes, 133 ff.
2) Th. Aehelis im Archiv für Anthrop., Bd. 26, 903.
3) Principles I. 674.
4) L. Riitimeyer, Die Nilgalaweddas in Ceylon. Im Glob. Bd. 83, S. 264.
*) Beiträge zur Anthropologie und Ethnographie von Indonesien. III. Zur Kenntnis
der Kubus in Südsumatra. Im Archiv für Anthropologie, N. F., Bd. 7. S. 89, 98. 100,
101 und 107.
6l Grraafland, bei Speiser, Beiträge z. Ethnologie der ürang Jlamma auf Sumatra.
J i Arohiv für Anthropol, N. F.. IX. 76 und 85. — Vgl. Kap. LI, § 340.
7) Über die Toäla von Süd-Celebes Im ülob. 83, 280.
52
820 Kapitel LX. Hypothesen der letzten tünf Jahrzehnte über die Urgeschichte der Familie.
Die Aetas (Ajitas). Negritos in den Urwäldern des Binnenlandes von
Luzon (Philippinen) haben nach A. Hr. Piehler*) keine festen "Wohnsitze,
sondern durchstreifen die dichten AVälder, je nachdem sie "Wild antreffen.
Aher ihre Ehe ist monogam, und beide Eheleute halten viel auf Treue.
Bei den Buschmännern, deren Kultur Herbert Spencer auf die Stufe
der Kultur der "Wald-Yeddahs stellte, ist Monogamie Kegel. Polygamie
Ausnahme2).
SS 3!)7— 399. Vertreter und Gegner der Bachofensehen Proniiskiiitiits-
hypothese.
§ 397. Die verhältnismäßig vielen Völker mit Monogamie, welche § 39C>
auf der tiefsten Stufe sonstiger Kultur erwähnte, und die wohl noch vermehrt
werden konnten, entziehen der Baehofenscheii Promiskuitätshypothese so
ziemlich den Boden. Sie dürften diesem Gelehrten und seinen Nachfolgern
nicht bekannt gewesen sein, da sich sonst ein Festhalten an der genannten
Hypothese schwer erklären ließe. Auch die Gegner verfügten hauptsächlich
in den ersten paar Jahrzehnten nur über ungenügendes Tatsachenmaterial,
und ihr spekulatives Vorgehen war nicht immer glücklich.
Zunächst suchten auch John Lubbock, M'Lennan und A. H. Post einen
allgemeinen Hetärismus der menschlichen Urgesellschaft nachzuweisen. Lubbock
bezeichnete diesen hypothetischen Urzustand als „communal marriage" (Ge-
rn einschaftsehe), worauf Herbert Spencer eTwiderte. er glaube nicht, daß ein
Beweis für eine uneingeschränkte allgemeine Geschlechtsvermischung vorliege,
und selbst wenn es so wäre, würde der Ausdruck Lubboeks unzutreffend sein.
Denn im Urzustand habe es keine sozialen Gesetze (?)3) gegeben, folglich
könne man auch nicht von „Gemeinschaftsehen" sprechen. Hingegen trat
Spencer für eine Promiskuität in gewissen Grenzen ein, da ihn Abstammung
und Erbgang durch die Mutter nur auf diese Weise erklärbar dünkte.
Hingegen bezeichnete Peschel die Annahme eheloser Vorzeiten des
Menschengeschlechts als häßlich und für unglaubwürdig, letzteres, weil schon
bei Tieren, z. B. bei Affen, Raub- und Huftieren, bei Sing-, Hühner- und
Raubvögeln, starke Paarung nachweisbar sei').
Den Einwurf Peschels erneuerte Westermarck5) im Jahre L889. dein sich
.1/. Winternitz*) anschloß: Schon viele höhere Säugetiere, z. B. Gorilla und
Schimpanse, leben nach der Geburt eines Jungen zusammen, und die eheliche
Treue der Vögel habe Brehm geschildert. Winternite nennt Mc. Lenncms
Voraussetzung, man kenne den Vater nicht, wo dieser nicht als Haupt der
Familie gelte, ganz willkürlich. Der engere Zusammenhang zwischen Mutter
und Kind als zwischen Vater und Kind trete durch den Geburtsakt, durch
das jahrelange Säugen, durch das stete Zusammensein von Mutter und Kind
in den ersten Lebensjahren den Natur- und Kulturvölkern deutlich genug vor
Augen. Daß Unsicherheit der Paternität Mutterfolge bedinge, das habe
StarcJce widerlegt, indem er auf zahlreiche Völker mit patriarchalischen Zu-
ständen und unsicherer Vaterschaft hingewiesen habe7).
§ 398. Die Folgerung einer urzuständlichen Promiskuität aus dein
Mutterrecht wies ferner Lothar von Dargun8) zurück, der zugleich auf eine
') Die Ajitas (Aetas) der Philippinen. Im Glob. 96, 197 ff.
2) H. Spencer, Principlea I. <>74.
*) „Social laus."
'i Bei Emil Jung, Polyandrie im Glob. 52, S. 93.
5) The llistorv ot Human Marriage. Helaingfors 1889.
"i Zur Geschichte der Ehe. Im Glob. Bd. 00. S. 129ff., 148 ff. und 166 f.
') Vgl. Kap. L.
•i Biutterrechi und Vaterrecht. I. Hälfte. Lpzg. 1892, S. 2f.
§§ 397—399. Vertreter und Gegner der Baehofenschen Promiskuitätshypothese. B21
Distinktion zwischen Mutterrecht und Matriarchat drängte. Dieses
beziehe sich auf die Gewalt, das Herrschen der Mutter; jenes auf ausschließ-
liche Mutterverwandtschaft. Diese Distinktion hatte Bachofen mit „ein-
seitigem Mutterrecht" und „Gyuäkokratie in der Familie"1) gemacht, so daß
von Dargun nicht ganz recht hatte, als er meinte, . dieser Unterschied sei in
der Geschichte der Familie bis in die neueste Zeit übersehen worden.
Auch Darguns anderer Gedanke, daß ausschließliche Mutterverwandtschaft
sieh mit ausschließlicher Vatergewalt sehr wohl vertrage, findet sich schon
bei Bachofen, und abermals tritt die Gedankenverwandtschaft beider hervor,
wo Bachofen im Vatertum bloße Fiktion sieht und diese Fiktion über das
Naturrecht (Mutterrecht) siegen läßt, und wo von Dargun schreibt: Nicht
die physische Vaterschaft isl ursprünglich die rechtlich relevante
Grundlage der Sozial- und Familienorganisation gewesen2). Beide
sprechen dem Vaterrecht vom Standpunkte des Naturrechtes aus gewisser-
maßen die Existenzberechtigung ab. Der Versuch L. v. Barguns; das Vater-
verhältnis auf dem Grundzug der Gewalt aufzubauen3), ist kaum haltbar,
wenn man die Erscheinungen auch des Gemütslebens der Völker ins Auge
faßt, denn diese reden eine ebenso beredte Sprache, wie die Erscheinungen
der ..strengen Hausgewalt des Vaters", was durch „Das Kind" wohl erwiesen ist.
Grosst l) nannte die Promiskuitätstheorie eine Jugendsünde der Soziologie,
die bereits gerichtet sei und am besten möglichst bald vergessen weide. Aber
stützte sich dabei auf die Ansicht, es gebe ..kein einziges primitives5)
Volk, dessen Geschlechtsverhältnisse sich eini m Zustande von Promiskuität
näherten oder auch nur auf ihn hindeuteten", und diese Ansicht ist durch
Tatsachen widerlegt 6).
Gh osses Hinweis auf die damals viel umstrittene Gruppenehe australischer
Stämme war nicht glücklich, als er die hier einschlägige Arbeit Howitts
über die Familienverhältnisse der Australier7) mit den Worten streifte: „Er
hat sich so gründlich in seine Hypothese einer Gruppenehe der prähistorischen
Australier vertieft, daß er darüber ganz vergißt, seine Leser darauf aufmerksam
zu machen, daß die historischen Australier in Einzelehe leben")." Denn, wohl
schrieb auch Curr, e^ gebe unter den Australiern keine Weibergemeinschaft;
der Ehemann sei der absolute Eigentümer seines Weibes oder seiner Weiber,
und auch Greg erwähnte die wachsame Eifersucht des australischen Ehemannes.
Aber diese Verhältnisse finden sich eben nicht bei allen australischen Stämmen.
Howitt hatte im Hinweis auf Gason0) die Dieri und verwandte Stämme am
Eyre-See im Auge. Um bloße „Verwandtschaftsnamen", wie einzelne
gner der Berichte über australische Weibergemeinschaft meinten, handelt
es sich doch weder bei Gason, noch bei den späteren Forschern B. Spencer und
Gillen, deren eingehende Erörterungen über australische Gruppenehe und
Promiskuität uns aus Kapitel L usw. genügend bekannt sind. AVer Weiber-
gemeinschaft in der Urgeschichte der Familie nicht annehmen will,
darf eben von der Weibergemeinschaft einzelner historischer Völker
') Bachofen, Mutterrecht, S. 18
-i Ebenda, S. 16.
:'> Kbenda, 8 f. und 28.
*) Die Formen der Familie und die Formen der Wirtschaft. Freiburg 1896, S. 43. Anm.
6) Der Ausdruck ,.primitiv" kann, trotz seiner allgemeinen Anwendung auf die Völker
der tiefsten Kulturstufe, den Laien zu Mißverständnissen führen. Die Wissenschaft kennt
tatsächlich kein Volk, das im eigentlichen Sinne des Wortes primitiv, d. h. urzuständlich,
genannt werden kann, weil eben über den Urzustand der Menschheit einstweilen nur Hypo-
thesen vorliegen. Bei Grosse ist ..primitiv" als auf tiefster Kulturstufe stehend aufzufassen.
6l Siehe Kap. L sowie S, 39,"j des vorl. Kap
7i Im Journal of the Anthropological Institute XX (1890). Xaeh Glob. 59 345 ff.
8) Ebenda, S. 6.
") Gason, The Dieyerie Iribe, Adelaide 1871.
8W?2 Kapitel LX. Hypothesen der letzten fünf Jahrzehnte über die Urgeschichte der Familie.
nicht auf einen allgemeinen Urzustand schließen. In solchen und
ähnlichen Schlüssen, nicht in den Tatsachen, liegt die Gefahr, zu irren.
Die ausnahmslose Anwendung der den Stoff beherrschenden Gesetze auf die
menschliche Psyche, also auch auf die geschlechtlichen Verhältnisse der
JfenSEEheit, sei es in historischer oder prähistorischer Zeit, mußte wiederholt
korrigiert weiden. Man übersieht zu leicht die Möglichkeit des
Menschen, sittlich zu degradieren, und erfaßt irrtümlicherweise
den sittlich Tiefstehenden als den zeitlich ersten. Je schneller die
Entwicklungshypothese von dieser Krankheit zu genesen sucht, desto hesser.
Ein anderer Gegner derPromiskuitätshypothese war Richard Hildi brand ' >,
aber auch sein Ausgangspunkt hat vor den Tatsachen zurücktreten müssen.
Er schrieb:
Die Theorie, daß es ursprünglich noch keine Ehe im Sinne des Allein-
besitzes einer Frau gegeben, sondern die Frauen noch Gemeingut gewesen
seien, oder nur sogenannte Stammes- oder Gruppenehen bestanden haben, und
daß deshalb das Mutterrecht, nicht das Vaterrecht das ursprüngliche sei. be-
ruht nicht auf Tatsachen. Wir begegnen bei Völkern, welche sich noch auf
der untersten wirtschaftlichen Stufe (Jäger. Fischer, Pflanzen-
sammler) befinden, niemals und nirgends einem Zustande der Frauengemein-
schaft oder Promiskuität. Vielmehr besitzt hier der einzelne Mann seine Frau
immer ganz ausschließlich für sich, und niemals teilt er sie mit anderen, oder
findet auch nur die geringste Spur einesTele-iuele zwischen Mannern und
Weibern statt.
Diese Sätze suchte auch HUdvlnnvl unter anderni mit den Australiern
zu beweisen. Aber gerade in Australien, dessen Bevölkerung von Fisch-
fang, Jagd und Wurzeln lebt. ist. wie gesagt, das gefunden worden, was
von Hildebrand und andern in Abrede gestellt ist. Fischer und Jäger sind
ferner die Eskimos, bei denen, neben Polygamie, Polyandrie nachgewiesen ist;
ebenso die Aleuten-Insulaner mit der gleichen doppelten Eheform usw. -
Auf einen Urzustand mit freier Liebe rohester Art schloß dann wieder
/V//; Schultee2), indem er von dem „fast schrankenlosen geschlechtlichen
Durcheinander- der Andamanen, Apachen und anderer tiefstehender Völker
unserer Zeit ausging und Mutterrecht. Preisgabe der Braut. Geschwisterehe,
Weiberverleihung und die Hochachtung für Hetären als fünf „Überbleibsel"
erfaßte.
Bei Kurt Breysig*) finden wir einen etwas unklaren Dualismus als
hypothetischen Urzustand: Abstammung von einer gemeinsamen Stamm-
mutter in lockeren Stammesverbänden und zugleich einen „ganz unge-
zügelten Geschlechtsverkehr". - - Ob hier an ein monogames Ehepaar
als Stammhalter oder an eine polyandrische Stammutter zu denken ist?
In beiden Fällen dürfte der ..ganz ungezügelte Geschlechtsverkehr" unklar
bleiben.
Übrigens riet Breysig, bis zur definitiven Entscheidung des Streites,
wenn sie überhaupl je möglich werde, muh weitere ethnologische und urge-
schichtliche Untersuchungen abzuwarten.
Heinrich Schürte1) meinte: „Die angeblichen Reste und Spuren der
Promiskuität sind nichts weiter als Zeugnisse für die freie Liebe der geschlechts-
cii. alicr noch unverheirateten .lugend. Die Ehe aber geht in ihren
i Recht und Sitte auf den verschiedenen wirtschaftlichen Kulturstufen. 1. Teil. Jena
1896, S. loil
i Psychologie dei Naturvölker. Leipzig 1900, S. 198.
») Kulturgeschichte der .Neuzeit. Berlin 1901, Bd. II. 1. Hälfte, S. 2—5.
Litersklassen und Männerbände. Berlin 1902, V.
§§ 397 — 399. Vertreter und Gegner der Bachofenscheu Promiskuitätshypothese 8215
Anfangen so weit zurück, wie die Gesellschaft der Menschen überhaupt zu
verfolgen ist.
liefen eine hypothetische allgemeine Weiberherrschafi machte Schurtz
entschieden Front l): „Das natürliche Verhältnis der Geschlechter ist von denen
vergessen worden, die aus dem Bestehen des sogenannten Matriarchats auf eine
ehemalige allgemeine Frauenherrschaft schließen wollten." Das Weib sei
körperlich schwächer und zeitweilig außerstande, sich zu verteidigen; auch führe
das Überwiegen des geschlechtlichen Lebens zu einem Zurücktreten des ver-
staiulesmäßigen Erkennens, zur Vorherrschaft der Gefühle über die Gedanken weit.
§ 3'J9. Auch Joh. Richard Mucj$fi ist ein Gegner der Hypothese einer
ursprünglichen Promiskuität, und wie so mancher seiner Vorgänger verbindet
auch er mit seiner Spekulation einen Erklärungsversuch betreffs „Mutterrecht",
der aber bei Mucke einen ganz eigenen Charakter trägt. „Das Mutterrecht,"
so schreibt er 2), „ist nicht inmitten des ungebundenen Geschlechtsverkehrs
der Horde hervorgegangen, wie viele Phantasten behaupten, sondern ist als
ein Bestandteil der Geschwisterehe aufzufassen." Diese Ehe ist die ur-
sprüngliche. Denn solange noch nicht Personen aus fremdem Stamm da waren,
konnten nur geschwisterliche Beziehungen vorhanden sein.
„In der Geschwisterehe ist selbstverständlich Gatte: der Bruder der
Schwester: Gattin: die Schwester des Bruders. Erzeugen die Geschwister
Kinder, so ist deren Vater der Mutterbruder (avunculus) und ihre Mutter ist
zugleich ihre Tante, nämlich des Vaters Schwester." Es besteht also in der
Geschwisterehe das sogenannte Avunculat, d. h. ein Zustand, in welchem der
Mutterhruder Vater der Kinder ist. Stirbt er, so beerben die Kinder in
ihm den Bruder ihrer Mutter; stirbt die Mutter, so beerben sie in ihr die
Schwester ihres Oheims, also Erbschaft in jedem Falle mütterlicherseits.
Als Ausgangspunkt dienten Mache die Mortlock-Insulaner Kubarys.
Muckes Hypothese findet ferner eine Stütze an den häutigen Geschwisterehen
und der häufigen Mutterabstammung im alten Ägypten. Aber im peruanischen
Inkareich vererbt sich nach Dapper die Königswürde zunächst nicht auf
den Sohn des vermählten königlichen Geschwisterpaares, sondern auf
einen Bruder des Verstorbenen3). Weniger Stütze als hier, ja gerade eine
Verneinung findet die Muckesche Erklärung des Erbgangs durch die Mutter
bei den Völkern mit Exogamie (siehe Kapitel LI). Wo der Vater gewisser-
maßen als Fremdkörper in der Sippe des Weibes erscheint, kann Abstammung
und Erbgang durch die Mutter nicht aus der Geschwisterehe erklärt werden.
Zudem wäre es ein Rätsel, daß sich aus der Geschwisterehe der Vater nicht
als Vater, sondern als Onkel, und die Mutter nicht als Mutter, sondern als
Tante in andere Eheverhältnisse hinübergerettet haben sollte*).
') Urgeschichte der Kultur. Leipzig 1900, S. 9t>.
-) Das Problem der Volkerverwandtschaft. Greifswald 1905, S. 87 und 90.
') Siehe S. H5-1 d. B. — Nach Sundstral ging die Erbfolge allerdings auf den Sohn
des Geschwisterpaares über (Aus dem Reiche der Inkas, S. 25). Beim Volk herrschte
Neffenerbrecht.
4) Es sei hier noch einmal an Bachofen erinnert, der (nach Ploß) in seinen „Antiquarischen
Briefen" (Straßburg 1880) das Maternitäts-System bzw. innige Verhältnis, welches uns im
Hütten echt zwischen Oheim und Sehwestersohn entgegentritt, mit der Stärke und Heiligkeit
der B lutsge meinschaft von Bruder und Schwester zu erklären versucht habe. Diese
Erk amng widerspricht ja Bachofens Ansicht über urzuständliche Promiskuität und graduelle
Entwicklung der Familie nicht, scheint vielmehr von dieser gestützt zu werden. Denn Bruder
und Schwester haben das Blut ihrer gemeinsamen Mutter in ihren Adern, sind von der ge-
meinsamen Mutter genährt uad gepflegt worden und haben wenigstens ihre erste Jugend
zusammen gelebt, während Mann und Weib bei lockern Ehebanden (oder Promiskuität) oft
schon bald wieder auseinandergehen. — Im übrigen sei noch einmal auf die Kapitel L und
LI zurückgewiesen, welche bewiesen haben dürften, daß Abstammung und Erbgang durch
die weibliche Linie in keinem notwendigen Zusammenhang mit geschlechtlicher Zügel-
losigkeit stehen, und daß das sog. Mutterrecht größtenteils ein Recht der Sippe der Mutter ist.
824 Kapitel LX. Hypothesen der letzten fünf Jahrzehnte über die Urgeschichte der Familie.
Robert Bartsch1) schloß sich in seinem Versuch, das Mutterrecht zu er-
klären, Tylor, Winternite u. a. an. Einen Schluß auf urzuständliche Promis-
kuität erachtete auch er von diesem Gesichtspunkt aus nicht für nötig.
Das Vaterrecht sei gerade in der ältesten historischen Zeit be-
sonders scharf ausgeprägt; ein Übergang jedoch von einem vorgeschichtlichen
ausschließlichen Mutterrecht auf jenes schwer zu erklären. Das älteste arische
Familienrecht, dem das römische und deutsche entstamme, sei jedenfalls rein
patriarchalisch geordnet.
Was Bartschs „älteste historische Zeit" betrifft, so ist aber auf die
überwiegend weibliche Abstammung im Ägypten des 14. Jahrhunderts
v. Chr., auf das Neffenerbrecht beim Volk im alten Peru, sowie auf die
mutterrechtlichen Spuren bei den alten Indogermanen hinzuweisen, welche in
Kapitel LI zur Sprache kamen. —
§ 400. Die Degradations-Hypothese. Mythen und Tatsachen.
Es ist bemerkenswert, daß Robert Bartsch in seiner eben zitierten
Arbeit über „die Rechtsstellung der Frau als Gattin und Mutter" di
Degradations-Hypothese einen überwundenen Standpunkt uennt. Die Ver-
suche, in dem Kulturleben jener Völker, welche andere Formen
des Geschlechtsverhältnisses kennen, Spuren einer früheren mono-
gamen Ehe aufzufinden, seien erfolglos geblieben.
Dieser Satz bedarf einer Korrektur. Fassen wir z. B. die Erzählung
von der Erschaffung des Menschen in der Genesis ins Auge: Auch wer sie
nur als Sage anerkennt, findet in ihr ein monogames Ehepaar als die Stamm-
eltern der Menschheit. Ein Sohn dieses ersten Ehepaars, Kain. wird gleich-
falls mit nur einem Weib erwähnt, und die ausdrückliche Bemerkung, Lamech
habe zwei Weiber genommen, läßt es wenigstens wahrscheinlich erscheinen,
daß der Verfasser bzw. die Redakteure der Genesis annahmen, seine Vorgänger
Methusael, Mehujael, Irad und Henocli hätten noch an der monogamen Ehe
festgehalten. Später wird nach der biblischen Darstellung Bi- oder Poly-
gamie eine so häufige Eheform, daß bei 5. Moses 21. 11 — 17 eine allgemein
gültige Regel für Israel aufgestellt winde, die sich auf erbeutete Weiber als
Nebenfrauen und auf das Erbrecht der Kinder von Bigamisten beziehen. Mit
einer sentenziösen Einschaltung aus nachpolygamer Zeit dürfte die Monogamie
in der Genesis kaum erklärt weiden können, weil es sonst rätselhaft wäre,
da Li man die Patriarchen und andere hervorragende Männer des vorexilisehen
Israel als Bi- bzw. Polyganiisten einführte.
Wie die Israeliten, so hielten sich die alten Mexikaner und Maya-
Volker für die Nachkommen eines Mannes und eines Weibes. Seier brachte
eine hier einschlägige Darstellung in seinen Tierbildern der mexikanischen
und der Maya- Handschriften2). Diese Vorstellung erhielt sich unter den
Mayas und Mexikanern trotz üppiger Prostitution, trotz Konkubinat und
Polygamie.
Auch in Japan, wo das Gesetz bis in die neueste Zeit herauf dem
Ehemann Nebenfrauen und Konkubinen und dem Vater den Verkauf seiner
Trichter zu Prostitutionszwecken gestattete, finden wir die Monogamie im
Mythus. Der Gott Izanagi und die Göttin Izanämi, vom Vogel Isi tataki
zur Begattung angeleitet, gelten als das erste Ehepaar8).
') Die Rechtsstellung der Frau als Gattin und Mutter. Leipzig 1903, S. 7ff. — I bei
Bartschs Versuch, das Muttenecht zu erklären, s. S. <U7, Anm. 2: ein anderer erfolgt oben.
In Zts.hr. I. Ethnol. 42. Jahrg., Berlin 1910, S. 33.
') Th. Fr. von Sieboki, Nippon, Archiv zur Beschreibung von Japan. Würzburg
1MI7. B,l. a, S. 3 f.
§ 400. Die Degradations-Hypothese. Mythen und Tatsachen. 825
Nach dem Rigveda war im alten Indien durchaus Monogamie ge-
bräuchlich, wie Leopold von Schroetter1) schrieb. Polygamie habe sich erst
später eingebürgert.
Ein moifogames, „von Gott geschaffenes Ehepaar" als Urahnen finden
wir bei den Miao, vorchinesischen Barbaren, in Kiry-tscheu, bei denen zwar
Polygamie nicht häutig ist, aber doch vorkommt2).
Nach Joachim Graf Pfeil besteht das Ideal der Kanaken im Bismarck-
Archipel und auf den Salomo-Inseln in möglichst vielen Weibern. Aber
ihre zwei höchsten Wesen sind das monogame Ehepaar Tamenit und Bea3).
Derartige Beispiele könnten, uhne allzu große Mühe, von vielen anderen
Völkern angeführt werden. Ihr sagenhafter Charakter läßt sie wenigstens
als ..spur', als Vorstellung eines ursprünglich monogamen V erhältnisses 3er
Geschlechter anführen. Zudem findet sich, meines Wissens, im wirklichen
Leben bei den meisten.' wenn nicht bei allen Völkern mit polygamen oder
polyandrischen Eheformen, neben diesen, auch die monogame. Diese und jene
in § 396 erwähnten Tatsachen bilden /war keinen stringenten Beweis für
monogame Urzustände, beweisen aber wenigstens so viel, daß die Degra-
dationstheorie in bezug auf die Eheform, und dadurch auf die
Urgeschichte der Familie, noch immer lebenskräftig ist und. auch
\ oiu wissenschaftlichen Standpunkt aus, noch immer ein Anrecht
hat auf Kxist enz. —
l) Indiens Literatur und Kultur in historischer Entwicklung. Leipzig 18S.. S. 10.
-) Aloys Schotter: Notes Ethnographiques sur les Tribus du Kouy-tcheou (Chine).
Im Anthropos 111 (1908), 420 und IV (1909), 327.
:1i J Gral Pfeil, Studien und Beobachtungen aus der Südsee. Braunschweig 1899,
137—139.
Anhang I.
Zitate1).
§ 2. Hindu: L. von Schröder, Indiens Literatur 428f.; H. Oldenberg, Aus Indien und Iran
86; H. Niehus, Zenana 248; E Schröder, Land und Leute 244 u. 268; Zilelmann. Indien
50 u. 59; Wilhelm Hoffmann, Der Zustand des weiblichen Geschlechts 73 f.. 87 f. u. 22. —
Singhalesen: Bertolacci 471. — Zigeuner: von Wlishcki, Gebräuche 374 u. 250; der-
selbe bei v. Reitzenstein, Kausalzusammenhang 667f. — Perser: Rawlinsons Herodot I,
262 u. Anm. 1 ; Stapf 202: Dieulafoy 325. — Osseten: Ehrenzweig 273f. u. Anm.; Post,
Das Recht 164. — Ind'ogerm. Altertum: Schröder, Reallexikon 660f.
§ 3. Altserbien: Milovanovitsch 53f. — Alte Preußen: Folk-Lore XII, 300; Waldheim
269. — Ostpreußen: Beyer 502. — Germanen: Grupp 230; von Reitzenstein,
Kausalz. 673f. — Christliches Mi ttelalter: Frau:, Kirch!. Ucnediktioneu II, 17711'.,
185f. u. 223. — Schweden: S. v. W. 382. — Schweiz; Hoff mann- Kr ay er 144. —
Böhmerwald: Bayerl-SwejdaS'tiherberg, Briefl. Mitt.
§ 4. England: Folk-Lore II, 54, 67 u. 10911'.; Oountry Folk-Lore I, 11 und III, 151. —
Irland u. schottische Hochländer: D'Arbois 153f. — Römer (alte): Mommsen
1, 162. — Korsika: Ehrenzweig 273f. Anm. — Catalonien: Frau Michael-Breslau.
Persönl. Mitteil. •— Frankreich u. Kanada: Le Tour du monde 1910, p. 2941'.;
Sebillot 56f. u. 145; Globus 59, 62. -- Griechen (alte): J. Burckhardt, Gr. K. I,
78 u. IV, 411; Aristoteles, Politik, Ausg. u. Übers, v. Stahr VII, cap. 14, 10.
§ 5. Tschetschenzen (Kaukasusvolk): Dirr, Die alte Religion 1054, 1059 u. 1062.
§ 6. Babylonier: Hammurabis Gesetze. Übers. Windeier, §§ 144—147; D'Arbois 113 u.
Anm. Hebräer, alttestament liehe: 1. Moses 15. 1—3; 16, 1 u. 2; 30, 1—:!
u. 911'.; 16, 4l'f. — Juden, südrussische: Weißenberg. Beiträge, 315. — Syrien:
Denl;T2. —Araber: MusillU. 214: Man:..,,'/ 52; Lanel, 80 u. 257. — Trip olita nie n :
Lyon 211 u. 292; wo« Maltzan, Reisen II. 22911.
§7. Ägypter, alte: Wolf tili. — Kabylen: Schönhärl, in Völkerschan III. 148; Honot<
Letoumeux, II, 174f. — Ibäla; Schluh: E. Westermark Folk-Lore XVI, 28, 32. -
Berber (im Großen Atlas): Hooker and Ball 209. — Somal: Button. First Footst.
31. — Njam-Njam: Schweinfurth 175 u. 243.
§ 8. Bambara: Henry, Anthrop. III, 708. — llaussa, Kolk-Lore XXI. 199. — Gold-
küste: Vortisch 280. — Hoer und Bassari in Togo: Fies 75; Klose 313; Luschan,
Heiträge 48. — Dahome; SkertchlyilO; Burton, A Mission II, 162f.; Weißenborn \\*
') Zur gefälligen Orientierung: Die Paragraphen (§) entsprechen jenen des Textes.
Die Namen der Völker, bzw. Länder usw. sowie der Schriftsteller innerhalb des ent-
sprechenden Paragrapheu folgen sich regelmäßig in den Zitaten so, wie sie sich im lext
d. v. W. folgen. Lücken in den Zitaten und mangelhafte Zitate kommen »t. Sie sind ■
es darf wohl, ohne die Plofl schuldige Pietät zu verletzen, bemerkt werden — größtenteils aal
diesbezügliche Mängel in den Auflagen 1 n. 2 zurückzuführen. Einzelne Helege gingen aber
auch dei Bearbeiterin dieser 3. Auflage während der mehr als fünfjährigen Arbeit verloren.
Ergänzungen zu diesen Zitaten linden sich in Anhang II.
Anhang I. Zitate. 9 827
Adauiaua: Pussarge 203f. ßorau: Lyon 159. — (Dualla) Pauli 17. — Bantu:
ain untern Kongo: Weeks 419. — Herero: H. von Franeois 195 u. C00. — Suaheli:
Veiten 31'.. 28f. u. lOOf. — Sansibar: Burton. Zanzibar 1, 464. — Uganda: Glob.
Bd. 96. S. 33 (nach Rev. J. Roscoe). — Wapororo: Fabry219 u. 222. — Wadschagga:
Gutmann 19St. — Vau und Makonde: Weule 342. — Mkulwe: Hamberger, Anthrop.
V, 800 und IV, 310. — Amazulu: Callaicay. Keligious System 182. — Kaffern in
N a t a I : Sliootcr 82 u. 85 ff. — N e g e r s k 1 a v i n n e u auf den Antillen: Labat II, 120 f.
:§ 9. Hottentotten: Kolb 453; Fritach91; H . von Franeois 214f. — Namib-Buschleu te:
Trink 168. — Auin -Buschleute: H. Kaufmann, Die Auin 157.
!§ 10. Madagaskar: Keüer 65; Camboue 988. — Batakker: Ködding 91f.; Warneck 48.
— Dajaken: Spenser St. John I, 47 ff. — Java: Metzger, Herrscher 42. — Karolinen:
Semper 138: Senfft, Gefühlsleben, Völkerschau 111, 22. — llarschall-Inseln: Senfft,
ebendort. — Nauru: Brandeis 77 . — Samoa: Turner. Samoa 81 f. — Fidschi-Inseln:
Rangier 1003f. — Bismarck-Archipel: Graf Pfeil, Studien 30ff. — Neu-Guinea:
Krieger 165, 174, 292f., 301 u. 390; Hagen, Unter den Papuas, 241 Anm. — Warra-
munga: Spencer and Gillen 330f.
:§ 11. Korea: Hamilton, Korea 36. — Japan: Rein I, 587; Hirai 37. — China: Stenz
29, 37, 42 u. 206f.: Dols 761; Kathol. Missionen 1910,1911. S. 25; — Cambodja:
Globus 48, 109. — Annaraiten: Globus 58, 266. — Thai: Bourlet 358f.
§ 12. Todas: Marshatt 199, 208 u. 214. — Munda-Kolh: Jellinghaus in Ztschr. f. Ethnol.
1871, III, 363.
§ 13. Mordwinen: Äbercromby, The Beliefs 99 u. 106. — Türkei: v. Hammer. Ausland
1877. S. 791. — Turkestan: von Seidlitz, Sprichwörter 333. — Baschkiren: v. Stenin,
D. neue Forschung, 156. — Burjäten: Jacobsen-Genest, Gl. Bd. 51, S. 13 u. Bd. 52,
S. 16. — Ostjaken: Patkanow I, 139f. II 83ff.; Brehm, Vom Nordpol 364 f.; Finsch,
Heise 431. — Jakuten: St. Petersb. Zuschrift Bd. 9 S. 20711'.
§14 Giljaken: von Schrenek III, 638ff.; Pilsudski, Schwangerschaft 760 u. 762. — Aiuu:
Ebenda. 769 u. 772. — Kam tschadalen: Steller 349f. — Eskimo, grönländische:
Saabye 27: Helms 121 f.: Nansen, Eskimoleben I20ff.
§ 15. Tinneh: Gibbs 1 97 ff. — Nutka: Bancroft 1. 197. — Kanada-Indianer: De
Lahonion 378. — Nadowessier: Carver S67f. — Omaha: Globus 50, :!48. —
Florida: Torquemada II, 444. — Karaiben: Dapper, D. Unbekannte 207: Du Tertre
II, 379. — Maya: Bancroft II, 678 u. Anm. — Altes Mexico: Sehr. Codex Borgia
II, 19Sf. u. 211: Torquemada II, 448. — Tezcoco, Pipiles: Bancroft 11, 678 u. Anm.
u. 269. — Tepecano-lndianer: Fehlinger 292. — Altes Peru: Torquemada II, 398.
Chanchamayo-lndianer: Grube 45. — (ruaicuru: Bastian. Kulturl. 2, 658. —
Schingu-Stämme: Von den Steinen 87. — Vahgan: Globus 47, 33'.
§ 17. Mungeli Tehsil: Gordon, p. 3. — Transsyl vanische Zeltzigeuner. Von
W'lislocki. Gebr. 250. — Au, Kanton St. Gallen: Hoffmann-Krayer 144. — Spanisch-
portugies. Volksglaube; Ilocanen: Blumentritt Glob. 48, 2C0. — Fessan: Lyon
184f. — Fidschi-Inseln: Marzan 401f.; Rougier 996.
§ 18. Prabhus: Kritikar 75f. — Bilaspore- Distrikt: E. M. Gordon 5f. — Suffolk:
Country Folk-Lore I, lOf — Wakilindi u. Waschamba: Storch 312. — Batak:
II 'arnerk 47 f. — Saibai: W. Schmidt, D. St. d. A , 900 Anm. 4. Nauru: Brandeis 59
u. 77. — Alte Mexikaner: Bancroft 11, 1671'.
i: 19. Oberpfalz: Schönwerth, Aus d. Oberpf. I, 151. — Iglauer Sprachinsel: Piger 252.
— Nikobaren: H W. Vogel, Ztschr. f. Ethnol. 1875, S. 18S; Derselbe, Vom ind.
Ocean 294. — Nauru: Brandeis ."'9 u. 77. — Noefoor: Van Hasselt, Ztschr. f.
Ethnol. 1877, VIII. 183. — Oroken u. Aiuu: Pilsudski, Schwangerschaft 765. —
(üljaken: Derselbe 763.
S 20. Bombay: Kritikar 75f. — Transsylv. Zeltzig.: Von Wlislocki, Gebr. 347 f —
Europ Völker: Heilung 125. — Iglau: Piger 252. — (Alte) Römer: Festus, De
verb. signif. quae supersunt 85; Bartholinus, I8f.; v. Siebold, Vers, einer Gesch. d. Ge-
burtsh. I. 114: Ehrenzweig 276f. — Chaldäer: Lehmann, Aberglaube 41 f. — Ewe
828 Anhang I. Zitate.
Zündel in Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. z. Berlin 1877. XII. 291. — Togo: Herold 146. —
Brasilianische Negerinnen: Etienne Ignace, Le fetishisme 903. — Bavili: Dennett
380f. — Bakwiri: Seidel 390. — Bantu am unteren Kongo: Weeks 419f. —
Makonde: Weide 384. — Indonesien: Bouchal 232 ; Kbdding 109; Grabowsky 209 f.
— Celebes: Riedel, Zeitschr. f. Ethnol. 1871, S. 403. — Dajaken: 0. - Kessel in
Zeitschr. f. allg. Erdkunde, N. F., Bd. 3 (1857), S. 390. — Jap: Senfft, D. R. d. J.-E.
142. — Australien: Oberländer im Glob. 4, 280. — Japan: Petersb. med. Zeitung
1862. III. — Tibet u. Mongolei: Koppen 320. — Chinesen: Dols 765. — Mord-
winen: Äbereromby, The Beliefs 117. — Esthland: Krebel, Volksmed. 21. — A mos:
Frhrr. v. Siebold. Xippon II, 247.
§ 21. Völker Indonesiens (Menta wei): Plegie 24. — Fidschi- Insel n: Rougier 996. —
Wakua: von Behr S3. — Wapogoro: Fdbry 223. — Bantu am unteren Kongo:
Weeks 419 f. ■ — Auin-Buschleute: Hans Kaufmann 157. — Ainu: PtfetwZsW,
Schwangerseh. 769. — Indianerinnen am Hudson: Däpper, Die Unb. 150. — Alte
.Mexikaner: BancroftYL, 2r>7. — Tapuya: Dapper o.e. 566. — Tehuelhet: Moreno 445.
§ 22. Transsylv. Zelt zigeuner: von Wlislocki, Gebräuche 250. — Liebauer Tal: Pat-
owsky 55. — Ngumba: Conradt 337. — Makonde: Wetde 386. — Wasiba: Reise
. im Glob. 98, 77. — Howa: Camboue '.'s4. — Xias: J. II". Thomas im Glob. 39, U. -
Indonesien: Pleyte 24. — Jap: Se/i//'f. D. K. d. J.-E. 142. — Nauru: Brandeis 59. —
Fidschi-Iusul.: Rougier 996. — Papua: Kri<,j,r 104t.. 293 u. 390. — (Kuni):
Egidi 754. — Urabunna, Annita. Kaitisch. Warramunga, Gnanji u. Binbinga
(Zentral-Australien) : Spencer and GiZte»! 614. — «\inu: Püsudski o. c. 763. — Caraja:
ro/( Koenigswald 237. — Araua: Chandless im Ausland 1870. S. 450. — Karaiben:
Brett, The Ind. Tribes.
§ 23. Nias: .7. II". Thomas im Glob. 1S81 Bd. 39, S. 14. — Dajaken: Grabowsky 269f. —
Jap: Senfft, D. K. d. J.-E. 142.— Nauru: Brandeis 59 u. 77. — Papuas: A7<
164t. u. 293. — Urabunna u. Unmatjera: ^peweer u. CriMen 614. — Khasis:
Gwrdon 66. — Ainu: Püsudski, Schwangerschaft 763.
§ 21. Huzulen: Kaindl im Glob. 69, 73, Karlsbad u. Umgebung: Schaller 179. —
Kurisch.' Nehrung: > in 289. -- China: ». Martins, Abhandl S. 64.
5 L'5. Liebauer Tal: Patschovsky 55. — Mark Brandenburg: Praloi 183. — Karls-
bad u. Umgebung: Schaller 179 — Oldenburg usw.: Hellwig, der Eid 125.
§ 26. Khasi: i,,i,-J,,,i 66. — Prabhu: Krilikar 75t'. — Altes Indien: Susratas Ayur-
/s 11,39. — Tr a n s s y 1 v a n i s c h e Z e 1 1 z i ge u n e r : Von Wlislocki, Gebr. 250. —Araber:
Zachariae 111. — Ngumba: Conradt 337. — Basuto: Cartwrighi 248. — Makonde:
Weule 385f. — Hova (Madagaskar): Camboue 984. — Fidschi - Insulaner:
Rougier 996. — Unmatjera: Sjpencer u. ffüfe» 606. — Azteken (Mexiko): Bastian.
ü. C. d. A. A. 2. 65S, Anm. 2 u. 659. Anin. 3. — Callegari: L'Antico Messico II, 123
§ 28. Böhmen und Mähren: Grohmann, Aberglauben 114. — England: Jones-Kropf
378. — Xeugrieehen: B. Schmidt, D. Yolksleb. d. Neugriecheu 212. — Neger auf
Jamaica: Folk-Lore XV, 210. -- Assinie: Reichenbach, Glob. 59, 176. — Bantu
am untern Kongo: Weeks 420. — Ilocanen: Blumentritt, Glob. Bd. 48. v 20(1
Mongolen: .1/. o. Beguelin 209 — Magyaren: Jones-Kropf 378.
§ 29 Südslawen: Kraus, Slav. Volksforsch. 147. — Schwaben: Birlinger, Sitten und
Rechtsbr. II, 234. — Karlsbad: Schaller 179. — Seh weiz : Rochhoh, Alcm. Einder-
lied 280. — Siebenbürger Sachsen: Hiüner, Gymnasial-Programiu 15. — Nor-
wegen: F. Liebrecht, Z. Volkskunde 324. — England: II'. Henderson, Notes of the
folklore, p. 14. — Island: J. Grimm, Deutsche Mythol. 2. Ausg. II, 1844. S B28;
Fischart, Gargantua, Kap. 28 u. 39. — Gräco-Wal achen : Sajatzkis 136f. — Ja-
maica: Kolk-Lore XV, 210. — Mordwinen: Äbereromby, The Beliefs 105. —
Kurische Nehrung: ./ r. Negelein im Glob. 82, 238. — Giljaken: Pilsudski,
Schwangerschaft, im Anthrop. V. 75s
§ 30. Polnisches Oberschlesien: W. Nehring 3ff. — Kranken wald: Flügel, Volksmed.
49.— Bayr. Rheinpf.: Land- u. Volksk. d. b. Rh 346. — Schwaben: Bück, Med
Anhang I. Zitate. 829
Volksgl. 56. — Schweiz: Rochholz, Alem. Kinderl. 280. — Böhmerwald: Bayerl-
Schweyda, Schriftl. Mitt. — Karlsbad u. Urug. : Schaller 179. — Iglauer Sprach-
insel 6, 253. — Gräco - Walachen in Monastir: Sajatzkis 135f. — Amärin, Arabien:
Musil III, 215. — Somali: Maggenmacher, Peterm. Mitt., Ergh. 47, 29. — Wahuma:
Perty, Authrop. II, 272. — Noli- und Meta-Galla: Glob. Bd. 46, S. 175. — Hoer:
Fies 75. — Hova: Camboue 985. — Makassaren u. Bugi: Verh. d. Berl. Gesellsch.
f. Anthrop., Ethnol. u. Urg., Berlin 1892, S. 233 f. — Papuas in Kaiser-Wilhelms-Land
u. Holländisch-Neu-Guinea: Krieger 165 u. :.90. -- Fidschi: Rougier II, 996. —
Australien am unteren Murray: Jung in „Die Natur" 1878, S. ^02. — Zentral-
Australien (Kaitisch, Warmiunga, Binbinga): Spencer u. Gillen 607f. — China: »ti
Martins, Abhandl. üb. Geburtsh. d. Chines. Ü0. — Dsungaren u. Kalmücken: Krcbel,
Volksmed. 56. — Grönländer: H. Rink, Danish Greenl. 205. — Ameriuden (Tschero-
kesen-, Kiowas- u. Cheyenne-Indiauer): Mooney, The Ind. Navel Cord. 197. — Maya-
Völker (Guatemalteken): Bancroft II, 679 u. Anm.; Torquemada II, 448. — Mexiko:
Bastian, Die Kulturländer 2, 659, Anm. 3. — Tapuya: Dapper, D. Unbek. 418. -
Peruaner: Baumgarten, Allg. Gesch. II, 199.
§ 31. Mecklenburg: A'. Bartsch, Sagen 43. — Karlsb. u. Umg.: Schalter 180. — Schweiz
(Aargau): Rochholz, Alem. Kinderl. 2S4; Mannhardt 50; (Bern) Rothenbach, Volksthüml.
14. - M'Bengas u. Ind. Arch : Andree, Ethn. Par. 22f. — Fidschi: Rougier 996.
— Maori: Hooker, Journ. of the ethnol. Soc. of. Loud. 1869, S. 72.
$ 32. (Vormoh.) Araber: Robertson Smith 154. — Howa: Camboue 988. — Nayas:
Bancroft II, 679
§ 33. Hindu: Rose, Uulucky Children OUT. — Singhalesen: Knox 92. — Transsylva-
nische Zeltzigeuner: von Wlislocki, Festgebräuche 3C0. — Karlsbad u. Umgeb.:
Schaller 179. Katscher: Drechsler, Sagen 26. — Bern: Hoffmann-Krayer, Volksmed.
144. — Neapel: J. B. Andrews 9. — Azoren: Longworth Dames and Seemann 142. —
Rumänien: Prexl, Geburts- u. Totengebr. 27. — Chaldäer: Alfred Lehmann 50f. —
Arabia Petraea: Musil III, 215. — Ägypter (alte): Herodot 3, 12; J.Wolf, A. d.
Privat!, 6771'. — Howa: Camboue C87f. — Dajaken: Grdbowsky 270. — Ilocanen:
Blumentntt. Glob. 48, 200. — Kan-su: Dols 7651'. — Korea: Watters 83. — (Buddhi-
stische) Mongolen: .1/. v.Bcguelin 209. — Musquakie: Owen 63f. — Nahua- Völker
inkl. Mexikaner: Bau croft II, 253 f. u. 2711'.: Dellenbaugh 373; Torquemada II, 449.
5; 34. Hindus: The Folk-Lore VI, 76. — Drahwener (Wendland): Tetzner, D. Drahwener
271. — Humanen: Prexl, Glob. Bd. 57, S. 27. — Sparta: Herodot VI, Kap. 61. —
Xeugriechen: Thumb 128f. -- Lesbos: Folk-Lore VII, 145f. — Karpathos:
./. 1h. Beut, Glob. Bd. 50, S. 94f. — Burjäten: Mclnikow, Glob. 75, 132. — Mord-
winen: Abercromby, The Beliefs 65 ff. — Giljaken: Genest, Glob. 52, 522. —
Mexikaner, alte: R. Andree, Ethnogr. Parallelen, N. F., 23; Scherzer, Glob. 66, 161 f.
§ 36. Wachietschi: P. v. Stettin, Glob. Bd. 78, S. 79. — Abchasen: K. v. Seidlitzr Glob.
06. 20. — Syrien: Hoffmann, Der Zustand 151. — Arabische Beduinen der
prä-islamischen Zeit u. der Gegenwart: De St. Elie 65f. — Ägyptische
Araber: Laue II, 275. — Araber der tunesischen Ostküste: Filzner 222. —
.Maurische Nomaden der westl. Sahara: Douls 25. — Kabylen: Schönhärl
148. — Somäl: Paulitschke 30. — Ngumba: Conradt, Glob. Bd. 81, S. 337. -
Basutos: M. Cartwright 250. — Hottentotten: Kolb 447. — Südwestliches
Australien: Salvado 3101'. — China: A. R. Wright 295; W. Hoffmann, Der
Zustand 107 u. 131. — Thai: Boariet 359. — Jakuten: St. Petersb. Zeitschr. 9,
218. — Mayas: Bancroft II, 679.
§ 37. Northumberland u. Yorkshire: Gutch II, 287. — Lesbos: Folk-Lore VII, 145.
— Araber: Robertson Smith 154. — Ägypten: Lane II, 275. — Maurische No-
maden: Douls, Erlebnisse 25. — Neger der Goldküste: Tortisch 281. — Msua-
heli: Veiten 3ff. — Namib-B uschleute: Trenk 168. — Auin-B uschleute:
//. Kaufmann 158. — Madagaskar: C. Keller 65f. — Mentawei-Inseln : Plegie 24.
Indonesischer Zahlenglaube: Bouchal2'i2. — Nauru: Brandeisll. — Marschall-
830 Anhang I. Zitate.
Inseln: Erdland 110. — Samoa: Kubary, A. d. s. F. 70. — Papua: Krieger 164 u..
294. — Kaitisch: Spencer u. Grillen 606f. und 336 f. — Tunguse: St. Petersburger
Zeitschr. Bd. 9 (1823), S. 307. — Mordwinen: Abercromby 106. — Giljaken: von
SchrenckUI, 640. — A'i'nu: Pilsudski, Schwangerschaft 764f. — K am t schadalen :
Steiler 349f. — Mixteken: Baneroft II. 280. -- Alte Mexikaner: Baneroft II.
276. — Mayas: Baneroft II, 679. — Guatemala: Torquemada II, 448. Knsko:
(Cuzco) Dappcr D. Unb. 339. — Chili: Derselbe, 634. — Nordwestliches Brasilien
(Uaupe, Isana, Tuyuka, Siusi u. Kobena): Koch-Grünberg, Women 374.
§ 38. Whitby: Country Folk-Lore II. 284. — Arabische Stämme: Musü 111. 215f. —
Msuaheli: Veiten 3ff. — Madagaskar: Camboue 986. — Neupommern: H. Schürft
96.'— Marschall-Inseln: Erdland 110. — Peking: Stenz, Z. P. V. 274. — Thai:
Bourlet 361 f. — Alte Mexikaner: Baneroft II, 276. -- Tupinamba: Lery. bei
Benz, Des Indianers Familie 39.
§ 39. Wachie tschi: von Stenin, Geburts- u. Hochztsbr. 79. -- Catalonien: Frau Julita
Michael-Bres\a.u, Pers. Mitt. — Wakilindi u. Waschamba: Storch 312. — Howa:
Camboue 985 f. — Nauru: Brandeis 77. — Peking: Stenz, Z P. V. 275. —
Tschuktschen: Cremat 2Sli. — Altes Mexiko: Baneroft II, 276.
§ 40. Alte Germanen: Grupp, K. d. a. K. u. G. 258. ■- Arabische Stämme (Teräbin,
'Azäzme, Tijäha, Zulläm, Sa'idijjin u. 'Amarin): Musü III, 216. — Vormohammed.
Araber: Bobertson Smith lJif. — Bassari: Klose, Glob. 83, 313. — Uganda:
Glob. 96, 33 (nach Rev. J. Roscoe). Iban: Nyuak 166. — Nias: Suder-
mann, tilob. 59, 373. — Khämti u. Singphu- Gramatzka :,65. — Ainu: Pike:
Schwangerschaft 766. — Guatemala: Torquemada II, 448.
§ 41. Konstantinopel: Th. Zachariae, Ztschr. d. V. f. Volkskunde 20, 141f. -- Araber
(Hanägre): Musü III. Ll4; 1'. de St. Elie, Anthrop. III. 64. — Somali: Parditschke 30.
— Wapogoro: Fabry 223. Wakonde: von Behr 79. -- Kaffer: Fritsch I07f.
— Mentawei -Inseln: Plegie 24. — Samoaner: Kubary, A. d. s. F. 70. — Kaitisch:
Spencer u. Grillen 606f. — Chinese: Z)o/s 767. — Maskoki-Indianer: Owen 64. —
Tupinamba: Lery, bei M'ȣ. Des Indianers Familie 39.
§44.' Armenier: Bendel Harris 445. — Russen: P. v. Stenin im Glob. 57. 283. —
Gral,, na na. Abergl. 14. — Karlsbad u. Um«.; Schallerl8l. — Böhmerwäldler: BayerU
Schweyda, Schriftl. Mitt, — Herbersdorf (Schlesien): Steig 14, 425. — Poln. Ober-
schi.: W. Nehring 7. — Liebauer Tal: Patschovsky, Beitr. 45 u. 55. — Wenden
d. Lausitz: Haupt u. Schmaler, Volksl. II, 268. Masuren: Toppen, Abergl. 19. —
Island: Maurer, Island. Volkssag. (p. ?). — Irland inkl. Hebriden: Ausland 1S77.
S.438; l.el.1,,,1 /.. Duncan 163 f. ; J. Britien91t - Nördl England: Hardy, Denham
Tracts 137 f. - Norddeutsche B : Kuhn u. Schwartz, Nordd. Sag. 91, 120 n. 421:
Kühn in Vonderhagens Jahrb. IX, !)5. — Franken (Spessart): Bavaria IV. I, 201. —
Rumänen: Prexl im Glob. 57, 27. — Ajab. Petraea: Mtail 1 II, 323. — Suaheli:
Veiten 26. — Magyaren: Jones-Kropf, Introd. XIV.
§45. Hindus: Folk-Lore Journal VI, 77. — Waehietschi: P. 8. Stenin, D. G. u. H. d.W.
Glob. 78, S. 79. — Transsylv. Zeltzig.: ron Wlislocki, Gebr. 260f. — Persien
Polak, Persien T, 122. — Armenien: Bendel Ilanix 4451' — Rußland: V. e. Stenin,
Glob. 57. 285; Krebel, Volksmedizin 139. — Kurische Nehrung: J. ron
Abergl. 289. — Serben: Kanitz, Serbien; Petrowitsch, Ausland 1876, 26, S. 516. -- Süd-
slawen (in Österreich): ebenda. Krakau: Kopernicki, Des idees i I.
Preußisches Mittelschlesien: Aug Baumgart, Aus d. m. Dorfleben, in Z. A. V. f.\ ..
3. Jahrg. L49. — Karlsbad u. Umg.: Schauer 1801. - Böhmerwald: /■
Schweyda, Schriftl. Mitt, Glasuren: Pisansky, BLöoigsb. Frag. u. Anz. 1756, Nr. 22.
S. 5; Toppen, Abergl. 18f. — Lothringen: Br. Stehle, Glob. 59,379. Schweiz:
Rochholz, Alem. Kinderl. 289. — Tirol: „Jlorgenblatt" 1865, Nr. 32. 764. - Noi
wegen: Liebrecht, Zur Volkskunde 320. — Wales u. Ins. Uanx: Bhys 288. —
Countj Leitrim: Leland /.. Duncan 1631'. Schottland: J. Napier, Folk-Lore
1879. — Shetland-Ins.: Countn Kolk-Lore III. 22 1V. o. 31. - Bret«
Anhang I. Zitate. 831
0. Ferrin du Finistere, Gal. ßret. — Appen. Marken: Pigorini-Beri, Glob.
59, 341. — (Alte) Griechen: Qu. Sereni Samonici de medic. praec. CLIX v. 1044;
Ovid, Fast. VI, v. 131. — Neugriechen: Bybilakis, Neugr. Leb. 74.
§ 46. Chewsuren: C. v. Hahn, Glob. 76, 208. -- Imeretier: Glob. 80, 305 f. — Chal-
däer: Alfred Lehmann 36. — Juden: Ploß-Bartels, D. Weib, 8. Aufl. II. 4'24ff.;
Goodrich- Freer 186. — Maroniten: Chanali, Anlhrop. V, 744. — Assyrer u.
Akkader: Lenormant, La Magie 35. — Oberägypteu: Khmzinger im Ausland 1840,
Nr. 40. — Sokna: Lyon 313. — Bakama - Neger : Clavel 36. — Wai - Neger:
O. Baumann, Glob. 52, 239. — Togo: Klose, Glob. 81, 191. — Fjort: Dennet 8. —
Wasaramo: K. Andree, D. Bxped. 295. — Mentawei: Pleyte, Glob. 79, 24. —
Batak: Warneck 16 u. 120. — Dajaken: Grabowsky 269f. — Papuas: Krieger 391. —
Neupommern: J. Meier, A Kaia 1016. — Fidji: Rougier 996ff. — Chinesen in
Kingsai: Glob. 59, 175. -- Chinesen in Kau-su u. Lan-tchou: Dols 767. —
Tongkinesen: H. Seidel, Glob. 57, 247. — Baschkiren: P. v. Stettin, D. n. F. 156. —
Mittelamerika: Brasseur de Bourboury, Cartas 3, p. 32, Anm.; D. Brinton, Glob.
66, 162. — Mayas: Brinton. Glob. 59, 99.
§ 48. Transsylv. Zeltzig.: »091 Wlislocki, Glob. 54. 359 u. 251. — Persien: Sykes 268C —
Ukrain u. Ostgalizien: von Hocorka u. Kronfeld 1, 74ff. — Slowenen u. Kro-
aten: Huhad, Gottesgerichte im Glob. 1879, 74 ff. — Serben: Petrowitseh im Glob.
1878, 348. — Slowaken: von Hovorka u. Kronfeld 1. 76. — Böhmen: Grolintann,
Aberglauben 156. — Karlsbad u. Umg.: Sehaller 180. -- Liebau: Patschovsky,
Beiträge 65, 67 f. — Böhmerwald: Bayerl-Schweyda, Schriftl. Mitt. — Drahwener:
refc:?!e)'imGlob.81, 271. — Kur ische Nehrung: von Negelein, Abergl.289. — Sieben h.
Sachsen: Jolt. Miliner, Gymnas.-Progr. 1877, Schäßb., S. 22. — Franken, Bavaria
IV, 202. — Berlin: O. v. Hocorka 1, 74. — (Frühere) Deutsche: Gestrieg. Bocken-
Pnilos., 2. Hundert. Kap. 92. — Schottland (alte Galen): Maclagan 95f. — Neapel
u. Spanien: Hildhurgh 454ff. u. 461. — (Alte) Griechen und heutiges Lesbos:
Rouse 148. — Neugriechen: Bybilakis. Neugr. Leben, S. 74.
§ 49. Imeretien: C. v. Hahn, Sitten 305. — Assyrer: Bonavia 272. — Syrien: Ch. S. Burne
202. — Juden in Jerus. Goodrich-Frecr 187 ff. — Südruss. Jud.: S. Weissenberg,
Glob. 83, 316. — Arabia Petraea: Musil III, 417. — Tunis: Richard Karat:, Tatau-
iermuster. — Mauren: Hillburgli 59. — Arab. Ägypten: Latie II, 811'. u. 277. —
Maroniten: Chemali 742 ff. — Baut» am unt. Kongo: Weeks 422. — Mentawei-
Ins.: von Rosenberg, D. mal. Archip. 198. — Badagar: Jagor in Verh. d. Berl. Ges.
1'. Anthrop. 1876, S. 196. — Akkader: Lenormant, La Magie, Prot'. VII: pp. 1 ff.
— Mordwinen: Abercromby, The Beliefs 116 — 124. — Baschkiren: P. v. Stettin,
Glob. 80, 156. — Türkei: Oppenheim, üb. d. Zust. d. Heilk. i. d. T. 5. — Esthen:
Krebel, Volksmed. 23. — Indianer: Seligmann I, 41 f. — Magateka: Wilhelm Bauer,
Mexiko 861.
§ 50. Deutsche Volkssage: C. Haberland, Glob. 1880, Nr. 5, S. 72; Grimm, Deutsche
Sag. II, 209, 257. 321, 330; Panzer, Beitr. z. d. Myth. 78, 85; Tettau u. Temme, Die
Volkss. Ostpr. 67; Strackerjan 1. c. I, S. 111. -- Kaiserliches Rom: Plinitts,
Naturgesch. VII, 9.
§ 51. Fauti u. Aschanti: O. Finsch, Allg. Ztschr. f. Erdk. Bd. 17; Vortisch 281. —
Fetu: TT. ./. Müller. Die afrik. Landschaft Fetu. — Togo: Klose, Relig. Ansch.,
Glob. 81, 190f. — Dahome: Skerfchly, Dalmmey 470 u. 500. -- Benin: Waitz,
Anthrop. II. 124. — Ibos: Burton Nouv. Ann. 178. -- Bonny: Köler, Einige No-
tizen 101 ff. — Alt-Kahibor: Hewan, Edinb. med. Journ 18(i4, S. 224. — Bakwiri:
A. Seidel, Glob. SO, 390. — Batanga: Alfr. Kirchhoff in Pet. Mitt. 32, 146. —
Ngumba: L. (_'o,ir<i<lt. I). X. i. S. 337. — Unterer Kongo: Beets 421. — Äqua-
toriales Afrika: Ausland 1867, S. 342. — Herero: Danncrt im Glob. Bd. 38, S. 365. —
Neger am ob. Nil: Speke, Entdeck. I, 7. — Wanjamwesi: Andree, Expedit. 2, 215. —
Wasaramo: Burton, Nouv. Ann., May 1S62. S. 178. — Wakilindi u. Wasambara:
Storch 311. — Mkul we: .4. Hamberger, Nachtrag, S. 803 f. — Yao u. Makonde: Weide.
g32 Anhang I. Zitate.
Negerleb. 344. — Kiziba: Nile. Fisch, Afrika-Bote 9, 133. — Basutos: Stech, im
„Daheim" 1879, 24, S. 382. — Kaff er: Callauny. Glob. 1867, I, S. 29; Shooter
88. — Auin-Busehleute: Kaufmann 158. — Hottentotten: M. P. Kolb, Caput
b. s. h. 424 u. 444 ff.; Novara-Reise, Anthropolog. Th. III, 118; Le Yaidant. Reisen
II, 42 u. IV, 198.
§ 52. Kubus: Yolz 104. — Dajaken: Grabowsky, Glob. 72, 270. — Britisch - Neu-
Guinea: Krieger, N.-ü. 293. — Nauru: Brandeis 76; Jung 65f. — Australien:
Delessert, Voy. 142ff.; K. E. Jung in „Die Natur" 1877, Nr. 7, S. 90. — Nördl.
Stämme: Spencer u. Grillen 609. ■ — Giljaken: Pilsudski, Schwangerschaft 760f. —
Ainu: Derselbe S. 770-772; H v. Siebold in Zeitschr. f. Ethnol. 1881,
Supplem. S. 32. ■ — K amt seh adalen: Steller 327. — Renntiertschuktschen:
Cremat, Glob. 66, 286f. — Mojave: Glob. 65, 152. — Californien: Glob. 29, 311.
Mexiko: Bancroft II, 269; Preuss, D. Schicksalsbücher, Glob. 79, 262; Seier, Codex
Borgia I, 31f. u. 1 92 f. ; II, 186. — Peru (altes) u. Guayana: Bastian, D. Cultur-
länder, Bd. 2, S. 657, Anm. — Buck-Ind.: Folk-Lore XV, 343. — Salivas:
V. Humboldt, Reise in die Aquin.-Geg. IV, 27. — Tschibtschas: Acosta, Hist. nat. 20.
§ 55. Altes Rom: Mommsen, Rom. Gesch., 6. Aufl. 1, 180f. — Sparta: Waehsmuth 2.
364. — Arabische Beduinen: A. M. de St. Ehe 65f. — Arabia Petraea: Musil
3, 213. — Fetu: W. J. Müller, Die afrik. Landsch. Fetu. — Ngangas: Pechuel-
Loesche, Ztschr. f. Ethnol. 1878, S. 29. — Wauika, Waseguha, AVakiku y u: Hilde-
brandt in Ztschr. f. Ethnol. 1S78, S. 395. — Wasiba: Behse, Glob. 98, 78. — Kaffer:
Barrow, An Account 204. ■ — Betschuanen?""iw77s<7i. Archiv f. Anat. 1867, S. 769. —
Basutos: Chr. Stech im „Daheim" 1879, 24, S. 382. — Buschmänner: Moffat :~, :
Schinz 395. — Papuas: Krieger 165. — Admiralitäts - Inseln : Pfeil 303. ■ —
Australien: Gerland. Völker der Südsee III, 778; A". E. Jung in „Die Natur"
1878, 271; Oberländer im Glob. 4, 279; Salvodo 310f. — Salivas: V. Humboldt, Heise
in (I. Aquin.-Geg. IV, 27. — Menaos: von Martius, Zur Ethnogr. Am. 590.
§ 56. Araber: Musil 3, 215. — Tripolis u. Mursuk: Lyon 91. — Kabylen: Han.-
Let, II, 188f. — Wapare: Storch 322. -- Hottentotten: Kolb, 0. b. s. h. 450;
Fritsch 328. — Coopers Creek: K. Müllers „Die Natur" 1877, S. 90. — Ao-Nagas:
Molz, Ein Besuch, Anthrop. IV, 62. — Kan-su: Dols 764. -- Ostjaken: Kon-
dratowitsch, Z. f. d. O. 290. — Giljaken auf Sachalin: Pilsudski, Anthrop. V, 760;
Giljaken im Amurgebiet: von Schrenck III, 637 f. u. 647 f.
§ 57. Perser (alte): Herodot VII. — Island: Winifred Faraday, Custom in: F.-L. XVII.
419. _ Alte Deutsche: Hänselmann in Westerm. 111. Monatsh. 1877, S. 403; Wuttlte,
1). deutsche Volksab. 281; Panzer, Bayerische Sagen 254 u. 559. — Keltisches Gallion:
Calhyari. 11 Druidismo 66. — Altes Rom: J. Burckhardt II, 152. — Französ.
Volkssagen: Sebillot IV, 89f. — Chanaaniter u. Ammoniter: Dapper, I». Dnb.
348; .V. Peters, Hiels Opfer in: Theol. u. Glaube 1, 25 ff. — Ägypten: Flinders Petrie,
Hyksos in: British School of Ärch. in Egypt 12th year, p. 29. — Schoa: Harris Gesandt-
schaftsreise 2, 286. — Haiti: E. Meteger im Glob. 47. 253f. u. 265; Glob. 78, 879
(nach 11. Prichard). — Florida: Dapper, Die Unbek. 172. — Apachen: Woodworth
Cozzen, The Marv. Country 125 f. — Azteken (alte Mexikaner): Bancroft, The Native
Races II, 305; vgl. W. Lehmann, D. s. Kalender Ixtlil., Anthrop. III, 991; .1. Bastian,
Culturländer 638f., 641 f. u. 645. — Huichol: Th. Preuss, Parallelen im Glob. 80,
315. — Tuateken u. Chinanteken: Bastian, Culturländer 638. — Mayas: F. S.
Delknbough, The North-Americans 371. — Yslas de Sacrificios: Wieser, Islario
general 42f. — (Altes) Peru: Dapper. D. U. 339, 348 u. 390.
§ 58. Böhmen, Bosnien, Deutschland: 0. r. Hororka, Vergl. Volksmed. 1, 234. —
Haiti: E. Metzger, Glob. 47, 217 u. 265. — Mangbattu: Schtoeinfurth, I. Herz. v.
Afr. 2S3f. — Niam-Niam: Ebenda 368. — Australien: „Die Natur" 1877, S. 90;
Sjpencer u. Gilhn 473 ff. u. 608 f.; Mrs. Peggs 343 u. 352; Glob. 56, 121; J. Bischofs
in Anthrop. 111,35. — Mexikaner (alte): Dapper, Unbek. N. W. 278 — Guairuura
Anhang I. Zitate g33
u. Tobas: Ebenda 430 u. 644. — Tupin-Imba: Lery bei Renz, Des Indianers
Familie 39 f.
§ 60. Indien: TT". Soffmann, D. Z. d. w. G. 5 ff., 8 u. 16; Grenzboten 1865, 384; O'Brien,
Fem. Inf. in Folk-Lore XIX. 261 ff.; The Imper. and Asiat. Quart. Rev. April 1901;
Lenz, Ind. Kindern, im Glob. 59, 202; Zitelmann, Ind. 51. — (Alte) Perser: Herodoi
VII, c. 10. 27, 38 u. 39. — Germanen: Tacitus, Germ., c. 19; J. Grimm, Deutsche
Rechtsalt. 455; Weinhold, Altnord. Leben 260; derselbe. D. deutschen Frauen, 2. Aufl.,
I, 90 u. II, 92. —Skandinavier: Stricker, Archiv f. Anthr. V, 451. — Christ 1 iche
Kirche: J. Conrad, Findelhäuser, im Handwörterb. d. Staatswissensch., 2. Aufl., 3. Bd.
— Kelten: Grupp, K. d. a. K. u. G. 172f. — Lemnos: Herodot VI, c. 138.
§ 61. Araber: A. M. de St. Elie, Anthrop. III. 64 ff.; Musü 3, 213; Earan, Sure VI.
XVI u. f. — Kairo u. Oberägypten (Araber): Lane I, 269. — Sockna: Lyon 314.
§ 62. Somäl: Paulitschke 32. ^- Kabylen: Hanoteau-Letourneux II, 188f. — Guanchen:
Bibliothek, d. neuesten u. interessant. Reisebeschr., Bd. 21, S. 198.
§ 63. Assinie: Reichenbach, Glob. 59, 176. — Alt-Kalabar: Hewan, Edinb. med. Journ.
1864, S. 224. — Kongo: Weeks 42\: E. Jung, Polyandrie, Glob. 52. 91. — Angola:
C. von Francois 274. — Zentralafrika: Livingstones letzte Reise I, 332. — Basutos:
Grützner. Zeitschr. f. Ethnol. (Verh.) 1877, S. 78. — Kaffer: Livingstone, Missionsreis.
11,237; Shooter 88; Schiel, 23 Jahre Sturm 98. — Deutsch-Üstafrika: Storch 311,
322 u. 324. — Wasaranio: Burton. Nouv. Annales 1862, p. 178. — Wasuaheli:
Vettern 24.
§ 64. Buschmänner: Moffat, Miss. Lab. 57. — Hottentotten: Sparrmann, Reise n. d.
Vorgeb. 320; Le Vaillant, Reisen i. d. I. v. A. II, 43. — Aui n -B uschleu te: Hans
Kaufmann, Die Auin 136.
§ 65. Batak: v.Brenner, B. b. d. K. 225 f. — Dayaken: Spencer, St. John, Ausland 1862.
S. 723. — Marshall-Inseln: C. Hager (17 u. 76. — Hawaii: ./. Remy in Xouv. ann.
1865, S. 331. — Samoa: Turner 81. — Neuseeland: Meinicke, I). Inseln I, 50;
von Wuttersdorff-Urbair, Reise derXovara 3, S. III. — Xeukaledonien: J. J. Atkinson
in Folk-Lore XIV, 243 ff. — Xeu-Mecklenburg: Sen/f't in Völkerschau 1904, S. 21f.
— Bismarck-Archipel u. Salomon-Inseln: Graf Pfeil. Stud. 30ff.: D. Kathol.
Missionen 1899, S. 94. — Neu-Guinea: Hagen, (Jnt. den Papuas 230 u. Krieger,
Xeu-Guinea 165; van der Crab im Ausland 1880, S. 544; van Hasselt in Zeitschr. f.
Ethnol. 1876. VIII, 184: Krieger, Xeu-Guinea 292 f. — Australien: Spencer u. GiUen
608f.; Peggs 343f.; J. Bisehofs im Anthrop. III. 35; Glob. 56. 121; Salcado 310f.;
K. E. Jung in „Die Natur" 1877, S. 90 u. 1878, S. 271; Glob. 4, 279: G. Gerland,
Die Volk. d. S. III. 778: Coüins, Account 124.
§ 66. Japan: Die kath. Miss. 57, 83ff. — China: Arbeiten der Kais. russ. Gesandtsch. II,
451; Milne 40; Magazin der Lit. d. Ausl. 1860. Nr. 5, 58; Zeitschr. d. K. K. Ge-
sellsch. d. Aerzte z. W. 185S, S. 93.; K. Fr. Neumann, Ostasiat. Gesch. 362; Lechler,
Acht Vortr. 172; L. Katseher, Bilder 55; Dols 764; Stenz, In d. Heimat 29, 126 u.
130f.; Glob. 55, 382; D. kath. Miss. 37, 85f. — Annamiten: Glob. 58, 266.
§ 67. Todas: Marshall. A Phrerologist 194f. u. Anm.
§ 68. Hakka: Hubrig, Bericht der Anthrop. Ges. z. Berlin 1879, S. 104. -- Türkei:
J. r. Hammer, Staatsverfassung, T. 2, S. 77; Das Ausland 1S77, S. 791. —
§ 69. Kamtschadalen: Steller 349. — Eskimo: Hans Egede Saabye, Bruchstücke, S.XLVf.;
Hall, Lue II, 280; Nansen, Eskimoleben 126 f.; Mrs. Peary 87 f.; Boas 574 u. 580;
Bessels, Polar- Exped. 365 u. im Archiv f. Anthrop. VIII, 2. H, S. 112.
§ 70. Kutschin-Ind.: D. Ausland 1862, S. 578. — Pirnas: Annual Report of the Board
of Regents 1871. — Kalifornien: Adelung I, 62. — Florida: Torquemada II, 426 f.
— Mexiko (altes): Derselbe III, 82 ff. — Honduras: Dapper. D. D. 309f. — Guanas:
Azara II, 93; M. v. Neuwied, Reise n. Br. II, 39. — Tobas: Koch, D. G. 108. —
Abiponer: Dapper o. c. 644; Azara H, 93. — Yahgans Glob. 47, 333.
§ 72. Gujerät: Ploß-Bartels (nach Rieh. Schmidt) in: Das Weib, 8. Aufl., II, 438f. —
Irland: Leland L. Duncan, Folk-Lore X, 119. — Iberer: Strabo III, C. 17. —
Ploß-Reuz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 53
qq i Anhang I. Zitate.
Basken: Francisque- Michel 201 u. Anm.; De Laborde, Itineraire II, 150; Chabo,
Voyage 390; Aranzada, Anthrop. V. 775 ff.: Buschan, Glob. 79, 12:5; H. Winkler, Das
Baskische lff.: A". Friedrichs, Das Ausland 63. 802. — Korsen: Diodor V, c. 14. —
Sardinien: Frhr. v. Maltzan, Sizilien. — Tibarener: B. v. ^Yeiss, Weltgesch. 1,
425ff.; ApoUonvus v. Rhodos, Argon. II; C. Valerius Flaccus, Argon. V. vers. 148. —
Kongo- Neger: Zuchelli, Missions- u. R. 196. — Boeroe: A*. Friedrichs, Ausland
63, 858. — Land-Dajaken: Ausland 1862, S. 727. — Mentawei-Inseln: Pleyte,
Glob. 79, 24. — Miaotse: Marco Polos Reisen, d. Übers, v. Brück. 2. 400; Lockhardt
in Tr. Ethn. Soc. 1861, S. 181. — Dravida: K. Friedrichs, Ausland 63, 859.
Karaiben (Xingustämnie): Karl v. d. Steinen, ü. d. Naturvolk. 289 f. Vgl. K. Friedrichs
im Ausland 63, 806 u. Benz, Des Indianers Familie 40: Karaiben der Antillen:
De Bochefort 495 f.: Du Tertrc II, 373 f.; Dahat IV. 368; Tgl. Benz, D. Ind. Farn.
65ff.- Dapper 207 ; Karaiben in Guayana: Allgem. Med. Centralztg 1857, S. 34: R.
Schomburgk, R. in Brit.-Guay. II. 314, 389: KochrGrünberg, Women 377 f.; Glob. 46,
23; Brett 101 u. ::5.3; Kappler. Surinam 238 — Per len- Ins ein: Allerhand lehr-
reiche Briefe I, 56. — Passes: von Martius, Zur Kthru.gr. Am 511. — Zaparo:
Orton, The Andes, Ausland 1870, S. 267. — Piojes: Simson, Mitth. des Anthropol.
Inst. v. Großbrit., 8. Bd. — Omaguas: von Martius 441. — Indios bravos: v. Tschudi,
Peru II, 234 u. St. Cricq im Bullet, de la soc. geogr. 1853, I. 252. — Cnlinos:
v. Martins, Z. Ethn. Am. 429. — Ipurina: Koch-Grünberg, Women 378 o. c. —
Abiponer: Dobrizhoffer, Gesch. d. Abip. II. 231 u. 273. — Juris und Mundu-
rueus: V. Spix und v. Martius. Reise nach Bras. 1186 u. 1339. — Petivarcs: De
Laet, Novus orbis. XV, 2. Lettres edit. II, 132. — Caraja: G. v. Königswald, Glob.
94, 237.
§ 75. Heutige Inder: Jagor, Ber. d. Berl. Anthrop. Ges. 1878. -- Pers. Provinz Gilan:
Häntzche in Zeitschr. f. allg. Erdk. 1864. Nr. 138: Ausland 1865, Nr. 5. S. 116. —
Farsistan: Dieulafoy, Reise i. Westpers. im Glob. 46, 293f. — Alte Perser,
Meder u. Baktrer: Duncker, Gesch. d. Alt. II, 355. — Armenier: StojanOK im
Glob. 1880, Nr, 16, S. 253; Meyerson in: Medic. Ztg. Rußlands 1S60. S. 189; Oganisjanz
inKawkas 1879, No. 62 u. 54. — Rußland (Somara): Ucke, D. Klima 87; Peters-
burg: Reimer in St. Pet. med. Wochenschr. 1878, S. 411. — Zigeuner in Ungarn:
Csaplovics, Gem. v. Ung. II, 301; Grellmann, Versuch. — Böhmen u. Mähren, (iroh-
mann, Abergl. 107. — Württemberg: Wiirtt. medic. Corresp.-Blatt 1868, Beil. z. Nr. 3.
— Frankenwald: Flügel, Volksmed. 51. — Bayr. Oberpfalz: Wolfsteiner, Ba-
varia, 2. Bd., 1. Abth., S. 337; Brenner-Schaffer, Darstell. 13. - Thüringen:
Schraube im Monatsbl. f. med. Stat,. Beil. z. „Deutschen Klinik" 1864, Nr. 9, S. 65. —
Schweiz: Rochholz, Alem. Kinderl. 282. - - Schottland: Xapier, Folk-Lore or
superst. belief. — Altes Rom: Saranus edit. Pinoff 60: Galenus, De sanitate I. cap. 10;
T. Kroner, in Jahrb. f. Kinderheilk. X, 3. u. 4, 360. — Fellachen: Wiener Medi-
ciualhalle 1864, Nr. 33, S. 346. — Somäl: Hildebrandt, Zeitschr. f. Ethnol. 1878,
S. 390. — Schangallas: Bruce, Reisenil, 426. — Hoer: Fies 75. — Ewe: Herold
149. _ Xgumba: Conradt 337. — Bubis: Coli, Los Indig . im Anthrop. II, 389.
— Loango-Neger: Pechuel-Loesche, Zeitschr. f. Ethnol. 1878, S. 30. — Fjort: D>
20. — Unterer Kongo: Weeks 420. — Makonde-Plateau: Weuli I 15 - Botten-
totten: Th. Hahn. Glob. 1868. — Mentawei: Pleyte 24. — Andamanen: Aus-
land 1863, S. 869. — Celebes: Eienzi, Oceanien, D. Üb. 1. 245. — (Philippinen)
Btas: Schadenberg, Zeitschr. f. Ethnol. 1880, S. 135. — Palawan u. Calamianen:
Blumentritt, Glob. 59, 168. — Zambalea: W. Allan Eeed, Negritos II. P I. 55. -
Kusaie: Gulik. Naut. Mag. 1S62, S. 180. -- Maori: Ttike, Edinburgh med. Journ.
L864, Nr. 104. S. 726; Hooker, Journ. of Th. Ethnol. Soc. of Lond. 1869. p. 72.
Peking: Stenz, Z. P. V. im Glob. 8". 274. - Kan-su: Dols 765. — Thai: Bourkt
khuls: Glob. 52, 159 - Dravida: Shortt, im Edinb. med. Journal
1864, S. 554. — Malediven: Ftnfce, Vers. 1, 68S. — Mongolen: Yambery im Glob.
1875. Nr. II. S. 222. Burjaten: Kaschin, Mosk. med. Ztg. 1862. — Asiat.
Anhang I. Zitate. 835
Türkei: Erani, Quelques coDsid. — Kirghisen: Brehm, Vom Kordpol 418; Glob.
1881, Bd. 39, S. 110. — Tataren: Glob. 1880, Nr. 16, S. 253. — Esthen: Sitznugsb.
d. g. Ethn. Ges. in Dorpat 1879, S. 144. — Lappen: Sche/feri, Lappland 336. —
Aleuten: Bancroft, The Nat. Races I, 92 u. 130, Anm. — Ainu u. Giljakeu:
Pilsudski, Schwangerschaft 768. — Neuschottland: Dierville, bei Unzer, Diss. Lips.
1771, p. 35. — Hudson-Ind.: Dapper, D. Unbek. 150. — Virginia-lnd.: Ebenda
158. — Nozi: Powers, Tribes of Calif., 3. Bd. der „Contrib. to North Am. Ethn." —
Sumos: Sapper, R. a. d. B.C. 274. — Karaiben: II'. Sievers, Die „Floresta" im
Glob. 53, 234. -- Chili: Dapper o. c. 634. - i'ningangs: Glob. 50, 235. —
Tapuya: Dapper 418. — Caraja: von Koenigsirall 237.
§ 76. Armenier: Glob. 1880, Nr. 16, S. 253; Kawkas 1879, Nr. 54 u. 62; Med. Ztg. Rußi.
1860. S. 189. — Schweiz: Rot-ltliolz, Allem. Kinderl. 282. — Altes Rom: Soranus
60; Galenus, Vor Erh. -d. G. VI; Kroner im Jahrb. f. K. u. ph. Erz. X, 3. u. 4, 360. —
Lesbos: Folk-Lore VII, 145. — Neugriechen: Ausland 1864, Nr. 25, S. 599. —
(Heutige) Araber: Musil III, 215. — Somäl: Rüdebrandt, Zeitschr. f. Ethn. 1878.
S. 390. — Loango: Pechuel-Loesche, Zeitschr. f. Ethnol. 1878, S. 30. — Basuto:
Chr. Stech im ..Daheim" 1879. — Deutschostafrika: Weide 342. — Hottentotten:
Peter Kolb, Caput bonae Spei, Nürnberg 1719, S. 443; Hahn im Glob. 1868. — Auin-
Buschleute: Hans Kaufmann 158. -- Howa: Camboue 988. — Makassaren u.
Bngis: Rienzi, Oceanien I, 245. — Negritos: Deutsche geogr. Blätter 1877, S. 94. —
Australien (Kol. Vict.): Oberländer, Glob. 1863, S. 27S. — Malediven: Finke,
Vers. I. 688. — Isaurien: Sperling in Zeitschr. f. allg. Erdk. 1S64, Bd. 16, S. 28. —
Kirghisen: Glob. 1881. Bd. 39, S. 110. — Ostjaken: Ausland 1865, S. 520; Kon-
ratowitsclt, Z. E. d. O. 290. — Blackfeet: G. Bird Grinnel im Glob. 70, 323. —
Virginia-lnd.: Dapper, D. Unb. 158.
§ 78. Persien: Polak. Persien I, 196. — Bagdad: Glob. 1868, Bd. 14, S. 53. — Ar-
menier. Glob. 1880, Nr. 16, S. 253; Kawkas 1879, S. 62. — Samara: Ucke, D. Klima,
S. 87. — Isländer: Baumgarten, Allg. Gesch. II, 879. — Schwed. Bauern: S. v. W.,
Zur Volkskunde 382. — Angelsachsen u. heutige Engländer: Tltomas Wrigld,
The Homes of other Days. Ausland 1874, S. 627: Lederer, Mutter u. K. 199. -
Nordwestl. Deutschland: Goldschmidt, Volksmedicin 140. — Freising: C. Mayer,
ßairisch. ärztl. Intell. Blatt 1878, S. 269. — Bairische Oberpfalz: Wolfsteiner,
Bavaria II, I, 337; Brenner-Schäffer, Darstellung S. 13 u. 15. — Frankenwald:
Flügel, Volksmed. i. Frankenw. 52. — Siebenbürger Sachsen: Fronius, Bilder .31;
■loh. Ziegler, Gymnasial-Progr. Schäßburg 1877. — Römer (alte): Plautus, Trucul.
v. 23 u. Amphitr. V. I, 52; Sorani Ephes. Lib. de mu!. affect. edit. Ermerins. 123;
Moschisonis de mul. pass. lib. Cap. 66 u. 68. — (Alte) Griechen: Guhl und Koner,
D. Leb. d. Gr. 233. — Schol. in Callim. Hymn. in Jov. 77.
§ 79. Araber: D'Arvieux, Memoire. — Libanon: Chemali, Anthrop. V, 738. — Ycmen:
Manzoni 52. — (Alte) Ägypter: Hippokr. lib. de aere aquis et locis: Wilkinson 2, 334. —
Schangallo: Bruce, Reise LT, 426. — Djolof: de Bochebrune in Rev. d'Anthrop. 1881,
IV, 282. — Loango-Küste: Pechuel-Loesehe, Zeitschrift f. Ethnol. 1878, S. 17. -
Makonde -Plateau: WeuUM&.— Natal: Fr. Mayr, The Zulu, Anthr.ll, 635 f. — Ho wa:
Camboue 9SS. — Makassaren u. Bugis: de Rienzi. Oceanien I, 245. — Dajaken:
Grabowsky im Glob. 72, 270. — Japan: George Smith. Ten weeks, p. 89. — Chinesen:
Bureau d< Villeneuve, De l'accouche, 37. — Badugar: Jagor, Verh. d. Berl. (■«■-. !.
Anthr. 1876, S. 199. — Malediwa: L. L. Finke, Versuch I, 688. — Tataren: Kawkas
1879, Nr. 54 u. 55 (nach Garril Oganisjanz); Glob. 1880, Bd. 38, S. 270 u. Nr. 16,
8. 253 (nach B. Stojanow). — Kirghisen: Brehm, V. Nordpol 418f., Glob. 1881, Bd. 39.
S. 110. — Türkei: Eram, Quelques cousid. 63; Oppenheim, Zust. d. Heilk. 47. —
Tungusen: MiddendorflV, Teil 2, S. 1500. 1535 u a. o.; Fr. Midier, Unter Tungusen
47. — Samojeden: de Dobbeler, Glob. 49 (1886). S 200 - Esthen: Glob. 1880.
Nr. 16, S. 262. — Lappen: Sehefjir, Lappland 337; Dahl, Norsk. Mag. 1862, Heft 7 u. 8. -
Korjaken: Krebel, Volksmed. versch. St. in Rußl. 81. — Koluschen: Fr. Midier
53*
y;3(j Anhang I. Zitate.
(nach Dali) in Mitt. d. Anthrop. Ges. in "Wien 1871. — Hudson-Ind.: Dapper 150. —
Alte Mexikaner: Torquemada, Monarquia II, 44öf. — Karaibenund Inka-Reich:
Baumgarten, Allg. Geschichte II, 214 u. 857; Sundstral, A. d. .Reich d. Inkas 26. -
Tupin-Juba: Lcrys Heise; vgl. Benz, D. Indianers Familie 39. — Kap Hörn: Glob.,
Bd. 49, S. 33.
5; 81. Transsylv. Zeltzigeuner: H. ü. Wlislocki im' Glob. Bd. 51, S. 249. - Kurden:
Nach Garrü Oganisjanz im Kawkas 1879, Nr. £4 ff. — Armenier (in Nucha): Nach
B. Stojanow, Glob. Bd. 38, S. 253 f.; (in Eriwan): Nach Garrü Oganisjanz im Kawkas
1879: Glob. 38, 270f. — Hutheneu: Franz r. Gabnay, U. K., S. 60. — Schweden:
S. v. W. 382; Unzer, Med. Handb. 100. — London: Süßmilch, D. göttl. Ord. I. 542. -
Sagen der Deutschen: Sepj), Altbayr. Sagensehatz 48 u. 601: A. Kulm, Westfäl.
Sagen 301. — Kiesengebirge: A. Oborn, Wanderungen in Böhmen. — Franke nwald:
Flügel, Volksmed. 53. — Niederbayern: ./. G. Egger, Topographie 19. — Württem-
berg: Rüdiger, Die Sterblichk., S. 14. — Siebenb. Sachsenland: Fronius, Bilder, 31;
Hillner, Schäßb. Gymnasial-Progr. 20. — Altes Rom: Plautus, Trucul. u. Amphitr.;
Bartholinus, Antiquit. 102. — Alte Griechen: Wachsmut, Hell. Altertumsk. 2. 362:
Callimach. Uymn. I; Homer, Hymn. in Mercur; Theokrit. XXIV, 4. — Oatalonien:
Frau Micliael- Breslau (pers. Mitt.).
§ 82. Maroniten: Glob. 1880, Bd. 38, S. 164; Chemdli, Anthrop. V, 738. — Persische
Syrer: Frangian im Glob. 96, 119. — Agypt. Araber: Lane I, 79 u. Anm. —
Algerien: Abbild, n. C. Bruti in The lllustr.-Lond. News 1872, 3. Ausg. — Ägypten:
Wilhinson, The Manners, Vol. 2, p. 334. — Kaf fit sc ho: Bieber, Glob. 96, S. 93. -
Kabylen: (Abbild.) in Völkerschau III, 133.- — Njani-Njain: Schweinfurth, Im
Herzen 243. — Mangbattu: Schweinfurth, Ztschr. f. Ethnol. 1873, S. 17. — Bongo:
Derselbe im Glob. 1875, S. 78.
§ 83. Djolof: de Rochebrune, Rev. d'Anthrop. 1881, IV, 2, p. 282 u. 268. — Goldküste:
Verlisch 280 f. — Bassari: Klose, D. B. 311. — Ewe-Neger: (Hob. 68, 314. -
Ngumba: Conradt 337. — Bayaka: Die Loango-Expeditiou. — Fan: Glob. 1866,
IX, 226. — Kioko: Bogge, Beiträge S. 46. — Angola: Ebenda S. 5. — Luschase:
Serpa Pinto I, 237. — Kaffer: Kranz, Natur- und Kulturleben 72: Fritsch lo7f.;
Fr. Mayr, The Zulu Kafirs Anthrop. 11, 640. — Matebele: Zambesi Miss. Rec. 1900,
p. 266. — Vao: Weide, Negerleben 208. — Usarama: K. Andree, D. Exped, 2, 96f.
Kiziba: Nile. Fisch in ,. Afrika- Bote" 9, S. 133.
g 84. Hottentotten: Le Vaillants Neue Reise 211.
§ 85. Madagaskar: Ellis, Three visits, p. 137: Camboue, -Notes 989 (Abbild.) u. Anm. —
Tjidatop (Java): Marin, Unter der Tropensonne, Nat, u. Kult. VII, 20. — Dajaken:
Grabowsky im Glob. 72, 271. — Timor: de Rienzi, Oceanien I, 47. — Alfuren:
Schabe, Zeitschr. f. Ethnol. 1877, S. 121. - Aetas: Sehadendorf, Ztsohr. f. Kthnol.
1880, S. 235. — Karolinen: V. Eittlitz, Denkwürdigkeiten L858, S. 2 f. - Guam:
de Rienzi, Oceanien II, 87. — Samoa: Kubary, Glob. 47. 71. - Viti: /»'"
Maladies 997. — Admiralitäts-Inseln: Birgham, Glob. 1877. S. 202. — Neu-
guinea: Albertis, Die Kolonisationsfähig., iu Pet. Mitt. 1865, S 276; Krieger, Neu-
Guin. 165, 295 u. 390. — Australien: Mitchell, Three Expeditions II;' Tgl. „Völker-
schau" I. 43; Glob., Bd. 56, S. 123
g 86. Korea: Hamilton, Korea 57. — China: Kuntze, „Um d. Erde" 176. — S i n in :
Hillmann im Glob. 78, 191; Bourht, Les Thay, \nthr. II. 616. -- Tonkin: Seidel,
Land u. Leute im Glob. 07, 247. — Annain: Kuntze, Um d. Erde 192.
§ 87. Dekan: Kril ilcar, The Folk-Lore Journal VI, 70; Caius, Au I'ays, im Anthropos [II,
242 u. 640. — Port ot Spain: Kuntze, l'in die Erde 38.
§ 88. Tunguaen: Middendorff, Reise IV, T. 2, S. L580 u. 1535; Hiekisch, l>. Tungusec 80.
Orotschen: Glob. 1880, S. 218. — Kirghisen: Glob. 1881, Bd. 39, S. 110; Brehm,
Vom Nordpol 418. — Ostjaken: Kondratowitsch , Z. E. d. O. 290. — Samojeden:
de Dohbeler , Globus 49. 200. — Kinnen: Arosenins in Zlsehr. f. wissensch. Geogr.
Anhang I. Zitate. 837
1881, S. 170. — Esten: Nach KreuzwaU im Glob. 1880, S. 2.32; Holst, Beiträge 2,
93. — Magyaren: Wettermanns Illustr. Monatsh. 1867, S. 295.
§ 89. Grönland: Helms, Grönland 113; Boas, Central Eskim. 566. — Kamtschadalen:
Süßer 349. — Aiuos: Pilsudski, D. Bärenfest, im Glob. Bd. 96, S. 39: Ztschr. f.
Ethnol. 1872, Taf. III (Abbild.); Bird im Glob. 1881, Bd. 39, S. 218.
§ 90. Tinneh: .4. G. Morice, The Great Dene Kaee, Anthr. I. 722. — Apachen: Spring
im Glob. Bd. 48, S. 171. — Chippewa: Mc. Kenney, Sketches 255 u. 307. —
Yukatan: Baneroft II, 681 f. — (Alte) Mexikaner: Torquemada, Monarch. Ind.
II, 451. — Chimu- Reich: Bastian in Ztschr. f. Ethnol. 1877, Bd. 9, S. 149, Taf. V.
— Inkareich: Baumgarten, Allgem. Gesch. II, 214; Purchas (nach Acosta), Histoire
IV, Ch. II; Picard, Zeremonie 205; Gr. Klemm, Allg. Kulturgesch. V, 36; Sundstral,
A. d. Reiche 26. — Araukaner: Wood, The nat. Hist. II, 545f. — Tehuelchen:
Musters, U. d. Patag. 175. — Onas: Fr. A. Cook, D. e. Südpolarnacht 97 (Abb. S. 28).
— Paraua-Eluß: Patino im Bulletin de la Societe de geogr. 1868, p. 137. —
Caingangs: Borba im Glob., Bd. 50, S. 235. — Botokuden: Ehrenreich im Glob.,
Bd. 49, S. 237. — Guayana: Wood, Natural Hist. I, 609.
§ 95. Inder (alte): Zimmer, Altind. Leb. 320. — Germanen (alte): Grimm. Deutsche
Mythol., 2. Aufl., S. 559: E. Mühlhause, D. a. d. Sagenzeit 7. — Goten: Geiger,
Schwed. Urgeschichte 407, Anm. 5. Unterer Kongo: J. H. Weeks, 477 ff. —
Joruba: Bastian, Geogr. u. ethnol. Bilder 182. — Lamaische Kirche: Huc-Gabct,
Wanderungen 203 ff.; Koppen, Die lamaische Hierarchie 320; M. r. Beguelin, Religiöse
Volksgebräuche (nach Posdnäjew), Glob. 57, 209 — Moslem auf Ost- und Zentral-
Suiua'tra: Moszkowski 644. — Battak: Vrhv. v. Brenner, Besuch 243. — Dayaken:
Ehu. Dünn, Keligious Rites 106. -- Uvea: Annal. de la foi 1841, I, 14. — Neu-
seeland: Baseler Mission. Magazin 1836, S. 602; vgl. Hooker in: Journ. of the Ethnol.
Soc. 1869, S. 72. — Noefoerezen: van Hasselt, Ztschr. f. Ethnol. 1876, S. 185.
§ 96. Lappen: Passarge, Ausland 1881, S. 564. — (Altes) Mexiko: Torquemada, Mo-
aarchia TL 445, 449 f. u. 456 ff.; Bancroß IL 277; vgl. auch Bancroft II, 269 ff. —
Guatemala: Torquemada II. 448 u. Baneroft. The Nat. Races II, 681. — (Alte)
Mayas: Baneroft, The Nat. Races IL 682 ff.; Schott im „Ausland-' 1868, S. 608 ').
§ 123. Kanton Tessin: V. Pellandini im Suhw. Arch. f. V., J. 8, S. 254. — Italien:
Über Kindersparbüchsen, Glob. 87, 277. — Rumänen: Prexl, Glob. Bd. 57, S. 27. —
Lesbos: Folk-Lore VII. 145. — Arabia Petraea: Musil III, 214. — Arabisches
Ägypten: Klunzinger, „Ausland" 1871, Nr. 40; Laue II, 277; Ägypt. christl.
Kirche: Hijipolytus' Canones, D. IT., Can. 17. — Samoa: Kubary im Glob., Bd 47.
S. 71. — (Altes) Mexiko: Torquemada, Monarch. Ind. II, 446 ff. u. 456. — Surinam:
Waßmer-Joest im Glob., Bd. 49, S. 359. — Karaiben: TU. Sievers 234.
§ 125. Kafir: Ausland 1862, S. 2018; Elphinstone, Gesch. d. engl. Gesandtschaft., Übers.
II, 334: Marie, in. I um]), of Kafir Laws. — Meder, Baktrer, Perser: Monatschr.
f. Geburtskunde, Bd. VI, S. 172. — (Neuzeitliches Persien): Polak I, 220. -
Färsen: Vendidad V. 136—157; VII, 158—182; Duncker, Gesch. d. Altert. II, 394;
Dosabhoy Framjee, The Parsis. — Jafa: T. Tobler, Schweiz. Zeitschr. f. Natur-
u. Heilk. III, 1, 1839. — Arabisches Ägypten: Lane II, 278. — Morgen- u.
abendl. Kirche: Franz, Die kirchl. Bened. II, 215 u. 218. — Dalmatien: K. Rhamm
(nach Hacquet), Der Verkehr d. Geschl., Glob. 82. 275. — Alte Griechen: Hippo-
krates, De natura pueri, edit Kuhn I, p. 392; Euripid. Iph. Taurid. 370; Censorinus, De
Die Natali, Kap. XL — Neugriechen: C. Wachsmuth, D. alte Grieehenl. im neuen
74. — Georgier: E. Eichwald, Reise I, 2. 143.
§ 126. Wakonde: von Behr 79. — Betschuanen: Feilsch, Arch. f. Anat, 1867. S. 767.
Basutos: Minnie Cartwright 250. — Herero: Danuert, Glob. 1880, S. 363. —
Bantu am unt. Kongo: Weeks 420. — Fjort: Dornet 137. — Loango-Neger:
Pechuel-Loesche, Ztschr. f. Ethnol. 1878, S. 30. — Deutsch-Togo: Herold 150.
l) Die Zitate für §§ 98 — 123 finden sich als Randbemerkungen des Textes.
838 Anhang I. Zitate.
§ 127. Dajaken: Spencer. St. John, im „Ausland" 1862. S. 727. — Marianen-, Karolinen-,
Marshall- u. Gilbert-Inseln: Hertens. Recueil des aetes 1829, p. 129. — Sand-
wich-Inseln: Campbell, Heise 111. — Maoris: Novara-Reise. Anthropol. T. III, 55.
— Neuguinea: M. Krieger, Neu-Guiuea 389C; L. D'Albertis in Petermanns Mitteil.,
Bd. 20 (1874), p. 109.
§ 128. China (Kan-su): Dols 765. — Japan: Petersburg, med. Ztsehr. 1862. III. —
Thai' (Siam): Bonriet :Slil f. — Busta r (Zentral- Indien): Glasfurä in Peter m. Mitteil.
VII, 258. — Munda Kolh (Nagpur): Zeitschr. f. Ethnologie 1871, Heft 6.
g 129. Mongolen: Gabriel von Baliut, Glob. 1875, S. 222. — Ostjaken: Kondratoieitsch,
Zur Ethnogr. d. Ostj., Glob. 74, 290; „Das Ausland" 1865. S. 520. — Wogulen:
Marthe im Glob. 54, 332.
tj 130. Ainos: Frhr. v. Siebold, Nippou II, 247. — Giljakinnen: L. v. Schrenck, Reisen
III, 640f. — Thlinkit: F. Müller (nach Dali) in Mitt. d. anthrop. Ges. in Wien 1871,
Nr. 8. — Nordindianer: Hearnes Reise, D. Übers. 100 u 202. — Oree: Richardson
in J. Franklin, Reise I, 71. — Maskoki: Owen 63ff. — Kalifornien: Burton, „D.
Ausland'' 1862, S. 346. — Sumo: Sapper, Reise a. d, Rio Coeo, Glob. 78, 274 'i.
Sj 134. Mittelalterl. Deutschland: Franz, D.E. B. II, 239f. —Tschechen u. Mähren:
Tetzner, I». Tschechen 321. — Liebauer Tal: Patschovsky, Beiträge 56; vgl.
Drechsler. Sitte I, 207. — Jauer. Rosenberg, Ereuzburg: Drechsler, ebenda. —
Braunsdorf: Adler 429. — Lechrain: von Leoprechting 236. — Carlsbad u.
Umgeb.: Schalter 181; J. Hofmann in „U. JE." XI, 63f. — Suffolk: Countj Folk-
Lore 1, 12. — Nördliches England: Denham Tracts, Vol. II, 23: vgl. Gutch II,
287. — Northurnb'erland: Balfour-Northcote, County Folk-Lore IV, 90 ff. - Ua-
lymnos: 1'ntoti in Folk-Lore, Vol. XI. p. 221. — Transsylv. Zeltzig.: von Wlislocki,
Gebr. 251.
§ 135. Prabhu in Bombay: Kritikar in The Folk-Lore Journ. VI, 76; Sitaram Vashnu
Sukhthanker, ebendort 77. — Ho-Neger: Fies 75. — Makonde-Plateau- II
344f. — Wakilindi u. Washamba: Storch, Sitten. In M. a. d. D. Seh.. Bd. S. S. 311.
— Basutos: Grützner in Ztsehr. f. Ethnol. 1S77, Verlull. S. 78. — flowa: Camboui
989. — Battak: Warneck 48. — Papua: Krieger, Neu-Guinea 165. — Warramunga:
Spenceru. Giüen, NativeTribes607f. - Thai: Boiwfe<362f. — Altes Jlexiko: Bancrofl
II, 2791'. — Siusi, Uatipes, Isana u. Tuyuka: Koch-Griinberg, Womea 374.
§ 137. Prabhus: The Folk-Lore Journal YJ. 76. — Griech. Kirche d. M.: Franz, Die
kirchl. Bened. 2, 209. — Alte Germanen: Grnpp, Kultur d. a. K. u. G. 231. —
Philippinen: Tetzner im Glob. 76, 189. — Südruss. Juden: Weißenberg, Beiträge
316. — Arabia Petraea: Musü 111. 217t'. — Kat'fitscho: Bveber 94. — Wasiba:
Herrmann, Die Wasiba, in Mitteil. a. d. I). Schutzgeb., Bd. 7 (1894). S. 54. — Washam-
baa: Storch, Sitten 313. — Yao, Makua, Makonde, Matambwe: Weule, Neger-
leben 339ff. Soninke: Daniel, Etüde Anthrop. V, 34. ■ Liberianische
Küste: 0. Baumann, Zur Kenntnis, im Glob. 52, 238. — Ewe: Herold 150; Pater
L. im Glob. 79. 350. — San Salvador: Weeks, Notes in Folk-Lore XX, 305. —
Berero: Dannert im Glob. 3S, 364. — Basutos; Steel, im Daheim 1879, S. 383. —
Siau, Baduis, Ranoigpo: Bouehal232. — Batak: Ködding 92; v. Brenner, Besuch
bei den Kannibalen 243f. — Kubus: Volz. zur Kenntnis der Kubus. 104. — Mentawei:
Plegie im Glob. 79, 24. — Nias: v. Rosenberg, Malayische Archipel 154. — Dajak:
Transact. of Ethnol. Soc. 1863, IL 234; Spencer St. John, Life 1, 197. — Andamanesen:
Jagor in Ztsehr. f. Ethnol. 1877, Verhdl. S. 51. — Weddas: Jagor, Her. d. Berl. Anthrop.
Gesellsch. 1879, S. 199. Urstämme von Malakka: Kohler 248. —Philippinen:
Blumentritt (nach Chirino), Glob. 62, 254; derselbe, Über d. Eingeborenen der Insel Palawan,
Glob. 59, 168; A. Marche, Lucon et Palaouan in Le Tour du .Monde lssii, 2, 3S8.
Samoa: Kubary, Glob. 47, 71. — Papua, Kaiser- Wilhelmsland- Krieger, Neu-
Guinea 165. — Saibai: W. Schmidt. D. St. d. A.. in Ztsehr. I'. Ethnol., 40. Jahrg.,
') Die Zitate für dir tj^ 132 u. 133 sind als Kandbemorkungen zum Text gegeben.
Anhang I. Zitate. 839
S. 900, Anm. 4. — Doreh: Finsch. Neu-Guinea 117. — Australien: K. E. -Jung,
in „D. Natnr" 1878, S. 271. — Koreaner: Arnous, Die Frauen, im Glob. 66, 156. -
.lapan: von Kudriaffsky, Japan 48f. — Chinesen: Stenz. In d. Heimath 11 u. 30f. :
derselbe (nach Gruber) im Glob. 80, 275; Bastian, D. Völker VI, 266 u. 176;
Dols 766f. — Khamti u. Singpho: Gramatzka, Sagen 365. — Annamiten: Glob.
58, 266. — Mongolen: von Klaprot, Reise I, 253. — Samojeden: Bastian, Mensch
in d. Gesch. II, 276. — Ainos: Russ. Revue 1877, VI, 10. Heft. — Eskimos:
Astrup 205. — Thlinkit: Fr. Maller und Dali, Mitt. d. Anthrop. Ges. in Wien 1871,
S. 8. — Nutka-Sund: De Boquefeuü, Reise 325. — Itzas u. Pipiles: Bancroft II,
680f.; Peru: Sundstral 25f. — Karaiben: Dapper, Die Unbek. N. W. 207. — Tupi:
Friederici 61. — Uaupes u. Isan;i: Koch-Grimberg, Women 374. — Feuerländer:
Byades, Glob. 49, 39.
§ 138. Transsylv. Zeltzigeuner: H. v. WlislocM, Gebräuche, Glob. 51, 251. — Her-
manen: Grupp, K. d. a. K. u. G. 231; Simrock, Edda Bigsmal. — Norwegen: Lieb-
recht, Zur Volkskunde 311. — England: Vgl. Bob. Ferguson. The Teutonie Name-
in. Ausland 1871, S. 712 (nach Gornhill Magazine. Miß Yonge's History of Christian
Names I. 353). — Deutschland: Vgl. Grösse, Unsere Vor- und Taufnamen; Pott,
über die Personen- und Familiennamen: Schönwerth, Aus d. Überpfalz 1, 165. —
Oberösterreich, Kärnten, Kroatien, Tirol: Schukoivitz, Üb. Volkstum! Namen-
geb.. in ,.Z. d. V. f. V.". J. 7. S. lOOf. — Mahren: Jiriczek in „Mitt. d. Schi. lies. f.
V • 1. 30. — Alte Griechen: Guhl u. Koner, D. Leben, 4. Aufl.. S. 233. — Cata-
lonien: Mündl. Mitteil, der Frau J. Michael- Breslau. — Tscherkesseu: v. Klaproth.
Reise 1. 594. — Inguschen: Ebenda.
; 39. Hebräer: F. Hommel, Die Namen der Säugetiere b. d. semit. Volk. — Araber:
Journ. Anthrop. lnstit. (1872), I, 406: Wetzstein, Reisen; Lane I. 7s: Musil, Arab.
Petr. 111. 2\i. — Kaffitscho: Bieber 94.
§ 140. Malinke: Brun im Anthrop. II, 7-7. -- Bambara: Henry, Le C'ulte, Anthrop.
111. 708. — Wai: y. Baumann im Glob. 52, 23S. — Goldküste: Vortisch 281. —
Sklavenküste: Zündel, Ztschr d. Ges. f. Erdk. zu Kerlin (1877), XII, 292. — Togo:
r, Hornberger u. Wicke bei P. L , Naruengebuug, Glob. 79, 350; Fies 75. —
llaussu: G. A. Krause, Merkwiird. Sitten, Glob. 69, 374: Tremearne in Folk-Lore
XXI. 191n, p. 202. — San Salvador: Weeks, Notes in Folk-Lore XX. 305. - He-
rero: Dannert im Glob 38, 364. — Bergdamara: H. von Frangois, Glob. 96, 173. —
Va... Makua: HY/f/.- 339 ri\ — Wazaramo: Andres, Die Espeditionen II, 95. — Was-
hambara: Storch, Sitten 313 Wanika: Kropf, Reisen I. 415. — Wopogaro: Fabry
223. — Madagaskar: C. Keller, D. ostafr. Inseln 66f. — Batak: von Brenner.
Besuch244. — Kubus: Voh L04. — Mentawei: Pleyte, Glob. 79. 24. — Belendas:
Stevens, Namengeb., Glob. »2. 254. — Semang: Winds* Karl, The native races 154.
— Tagalen: Blumentritt mach P. Chirino) Glob. 62. 254. — Jap: Senfft, Rechtssitten
142. — Gazellen - Halbinsel: Winthuis 24. - Kai ser-W'i lhelms-Land: Krieger,
Neuguinea 165 u. 171 f. — Britisch-Neu-Guinea: Derselbe 294: „Die Natur" 1879,
S. 289. — Neuseeland: Tylor, Anfänge II, 432. — Arunta: Spencer-Gillen 580 ff. —
Murn: BuUay in „Xature" 1874, S. 521.
§ 142. Kan-su: Dols 766. — Peking: Stcnz (nach Gruber, Glob. 80, 275; Derselbe, In
der Heimat 11 n. 30f. — Miao: Schotter, Notes, Anthrop. III, 4171'.; Anonymus im
Glob. 55, 382. — Khamti u. Singpho: Gramatzka, Sagen 365. — Siamesen:
Bastian, Die Völker d. östl. Asien III, 219. — Paliyan: Dahmen im Anthrop.
III, 27. — Khond: The Anthropolog. Review II (1866). S. 362. — Kolh: Burton,
City of the Saints 141.
§ 143. Mongolen: von Beguelin, Klob. 57, 210. — Tscheremissen: Bastian, D.Mensch
II, 279. — Samojeden: P. v. Stenin, Clob. 60, 173. — K am tschadalen: Erntan,
Reise III. 472. — Eskimo: Astrup 205. — lioas bei Ehrenreich: Glob. 79, 44f.
— Sioux: Burton, City 141. — Maskoki: Owen 64f. — Alte Mexikaner: Torque-
mada, Mon. Ind. II, 456: Bancroft, Nat. reces II, 274 f. — Pipiles, Itzas: Ebenda
840 Anhang I. Zitate.
II, 680f. — Karaiben der Inseln: Dapper, D. Unbekannte 207; Karaiben der
Sierra Nevada: Sievers 334 f. — Guiana-Indianer: Glob. 46, 23 f. — Tupi:
Friederici 60 f. — Feuerländer: Glob. 49. 39.
§ 146. Prabhus: The Folk-Lore Journal VI. 76. — Transsylv. Zeltzig.: von Wlislocki
Gebr. 251. — Alte Germanen: Grimm, Deutsche Mythol., 2. Aufl., S. 559; Mühl-
hause 7; Die Edda. Übers. Simrock (Rigsmal); Rituale Augustanum, pp. 10 f. — He-
bräer: 1 Mose 4. 1: 1 Mose 29; 32—35 u. 30; 1— 8. — Araber: W. R. Smith 154;
\Iu8Ü III. 2171'.: Law, An Aeeount I, 78. — Kaffitscho: Bieber 94. — Soninke:
Daniel :'.!. — Togo: Paler, L., Glob. 79, 350. — Sakeis u. Mandelinger: Mosz-
kowski 643. — Dajaken: Grabowsky, Gebräuche. Glob. 72. 271. — Tagalen: Blumen-
tritt, (Hob. 62, 254. — Jap: Senfft, Rechtssitten 142. — Nauru: Brandeis 76. --
Saibai: W. Schmidt in Ztschr. f. Ethnol. 40. 900, Anm. 4. — Annita: Spencer und
Gillen, Xative Tribes 581. — Japan: v. Kudriaffsky, Japan 48f. — Kan-su: Dols
766. — Ao-Xagas: Motz 68. -- Jakuten: St. Petersb. Ztschr.. Bd. 9. 218. —
Tungusen: Ebenda, S. 307. — Maskoki: Owen 64 f. — Hispaniola: Dapper, Die
Unbekannte, 185. — Peru: Snndstral, Aus dem Reiche 26.
i; 147. Prabhus: The Folk-Lore Journal VI, 76. — Germanen: Weinhold, D. deutschen
Frauen 781. — B. M Meyer, Altgerm. Religionsgeschichte 421. — Griechische
Kirche: Franz, D. K. Benediktionen II. 209. — Arabia Petraea: Musil III. 217 f.
— Soninke: Etüde 34. — Herero: Dannert, Glob. : s. 364. — Wasiba: Herrmann,
Die Wasilia. Mitt. a. d. Deutschen Schutzgeb. 7, 54. — Wazaraino: Audree, 1 Me Expeditionen
II, 95. — Mentawei: Pleyte, Glob. 79, 24. — Dajaken: Grabowsky, Gebräuche, Glob 72,
271. — Orang Temia u. Belendas: Sterem-Stöinn r 254. — Strand-Negritos:
Mundt-Lauff in deutsche gegr. Blatt. (1877), II. 94. — Papua, Süd Westküste v.
X eu- Guinea: von Bosenberg, Malayisch. Archip. 4C4. — Saibai: W. Schmidt in Ztschr.
f. Ethnol. 40, 900, Anm. 4. — Mongnnui (Austrat.): Ilooker, Journ. of th. Ethnol.
Soc. 1869, S. 72. — Todas: Marshall 71 f. — Badagar: Jagor im Bericht d. Berl,
anthrop. Gesellseh. 1878, S. 123 u. 199. — Khamti u. Singpho: Gramatzka 365. —
Ostturkestan: Schlagintweit , Glob. 1877, 17, S. 265. - Baschkiren: P. v. Sir
im Glob. 80, 154 f. — Apachen: Spring, Glob. 48, 171. — Altes Mexiko: Bancroß
II, 275 f. — Pipiles: Bancroß II, 680f. — Inkareich: Sundstral 25f.; Dapper, D.
Unb. 339. — Tupi: Friederici 60.
148. Basuto: M. Carlwright, F. of the H. 258. — Madagaskar: C. Keller, D. ostafr.
Ins. 66f. — Batak: v. Brenner 2441'.; Ködding 92. - Tagalen: Blumentritt (nach
Chirino) im Glob. 62, 254. — Südaustralien: Jung in „Natur" 1878. S. 271. —
Khasi und Synteng: Gurdon, Note 69. — Ao-Naga: Moh 68. — Guatemala:
Bancroß II, 680 f.
§ 150. Altes Indien: Susrutas Ayurvedas. edit. Hessin- II. S. 43; .Tob. A. Yidlers in
Eenscheh Janus I, 225 — 256. — St. Petersburg: Reimer in St. Petersb. medic.
Wochenschrift 1878, S. 411. — Europ. Völker: Biedert, Die Kinderernährung, S. I l-">
Vgl. Ritter von Rittershain, Statist. — Kaffitscho: Bieber 93. - üld Calabar:
Hewan, Edinb. med. Journ. 1864, S. 224. — Unterei Kongo: fVeeks 420. — Basuto:
Stech im ..Daheim" 1879, 24, S. 382. — Samoa: Turner, Samoa 81 f. : Xovara- Heise,
anthrop. Teil III, 40. — Japan: Petersb. med. Ztschr. 1862. III, I. 2. — Südliches
(nicht- arisches) Indien: Jagor i. d. Her. der Berl. Anthrop. Gesellsch. 1879, S. L68.
- Esten: Glob. 1880. S. 252 (nach Krettzwald). — A mos: Bird im Glob. 1881, Bd 39,
S. 218; Pilsudski, Schwangerschaft, im Anthrop. V. 768.
§ 151. Bannu: Gerland (nach Thorbum), (ih.l>. 4<i, 294. — Farsistan: Dieulafoy, Glob.
46, 294. — Nucha: Glob. 1880, S. 254 mach Stojanow). Kriwan: Oganisjanz,
Kawkas 1879, Nr. 55. — St. Petersburg: Attenbofer, Medicin. Topogr.. 4. Abschnitt;
Reimer in St. Petersb. med. Wochenschrift 1878. S. 411. — Samara: l'cke. Das Klima
87. — Moskau: Conrad. Findelhäuser; Mischler, Sterblichkeit. — Island: Olafsen
und Povelsen, Reise, I. 178; Schleissner, Island, d. Übers, von Thomsen 88. — Skandi-
navien: Westergaard, Die Lehre 169. — Irland: Burke bei ff. Mayr, Die Sterblichkeit
Anhang I. Zitate. Q±\
Ztschr. d. kgl. bayer. stat. Bureaus 2, 245. — Deutschland; Bollinger im Glob. 76,
24"i. — Schongau: Kruger im Bayr. ärztl. Intel). -Blatt 1874, S. 45; Wolfsteiner in
Bavaria, I. Bd., 1. Abt., S. 455; Freising: Carl Mayer, Bayr. ärztl. Intell.-Blatt 1870,
26. 269. — Schwaben: Bück, Medic. Volksgl. 10; Rüdiger, Sterblichkeit 10—12,
Würltemb. medic. Corresp. -Blatt 1868, Beilage zu Nr. 3. — Bayr. Schwaben und
Oberbayern: C. Majer, Journal für Kinderkrankheiten 1871, S. 153; G. Mayr. Über
Kindersterblichkeit, Ztschr. des kgl. bayr. statist. Bureau, II. Jahrg. (1870), S. 205;
Mischler, Sterblichkeit, im Wörterb. für Volkswirtschaft, 2. Aufl., 2. Bd. — Posen:
Kapuschiski, Deutsche med. Wochenschr. 1879, Nr. 32. — Würzburg: Ringleb, Ver-
handlungen der physik. -medic. Gesellsch. in Würzburg, N. F. V (1873), S. 81. — Braun-
schweig: Hampe, Monatsblatt f. medic. Stat. 1862, Nr. 1. (Neuere Literatur findet
sich als Randbemerkungen des § 151 zitiert.)
§ 152. Südruss. Jüdinnen: Weissenberg, Beiträge 315. — Jüdinnen der OaseMzab: R. A.
im Glob. 83, 354. — Ägypten: Wiener Medizinalhalle 1864, Nr. 33. S. 346. —
Somali: Hildebrandt in'Ztschr. f. Ethnol. 1878. S. 39G. — Kaffitscho: Bieber 93. —
Djolof: De Roehebrune, Rev. d'Anthrop. 1881, IV, 2, S. 290. -- üld Calabar:
lleiraii. Edingb. med. Journ. 1864, p. 224. — Angola: Pogge, Beiträge z. Entd. Afr.
111.(1880), S. 5. — Unterer Kongo: Weeks 420. — Makalaka: Mauch in Peter-
manns Mitteil. Ergzgsh. Nr. 37, 1874, S. 38. — Makukira: Cameron, Quer durch
Afr., I, 236. — Hottentotten: Novara-Reise, anthropol. Th. III, 118. — Kubus:
\~"l: 104. — Mentawei: Pleyte 24. - Karolinen- Archipel: Mertens, Kecueil,
129. — Korea: Arnous. die Frauen 160. — Tongkin: Seidel im Glob. 57, 247. —
Assam: Molz 67. — Malediven: von Rienzi, Ozeanien, deutsch, I, 245. — Siam:
Grehan, in Annales des voyages. 1869, 278.
§ 153. Kauikar: Jagor, im Bericht d. Berl. Anthrop. Gesellsch. 1879, S. 78. — Buräten:
Kaschin in Mosk. uiedic. Zeit. 1862. — Isaurien: Sperling in Ztschr. f. allg. Erdk.
1864, XVI, S. 28. — Tataren in Eriwnn: Oganisjanz im Kawkas 1879, Nr. 55. —
Tungusen: Middendorf, Sib. Reise IV, T. 2. S. 1488. — Ostjaken: „Das Ausland",
1865, Nr. 22,520; Kondratowitseh, Z. E. d. 0., 290. -- Finnen: Procqpius, Corp.
Byzant. Tom. I; Abelin im Journal f. Kinderkrankh. 1864, Septemb. und Oktob. 195;
Scheffer, Lappland. 342. — Esten: Glob. 1880, S. 252 (nach Kreuzivald).
Eskimo: Klemm. Allg. Culturgesch.il, 208. — Tepecano: Fehlinger, D. T.-J.. 292.
— Brasilien: Lerg in Allg. Hist. d. Reisen XVI, S. 259. — Roucouyenne:
Crevaux im Glob. 1881, Bd. 40. S. 70. — Karaiben: Baumgarten, 1. c. II, 858.
§ 154. Alte Inder: Susrutas Ayurvedas. edit. Hessler II, S. 43; Juli. A. VuUers in Henschels
Janus I, 1846, S. 225 — 256. — Neuzeit! Europa: B. Rominel, D. Ammenwesen, in
Blätter f. Säuglingsfürs. I, 14S ff. — Heut. Deutschi.: 1. Beilage des „Vorwärts".
Berliner Volksblatt, 27. Jahrg., Nr. HS.
§ 155. Samoa: Turner, Samoa, 81 f. — „Indios" — Torquemada, Monarch. Ind. IL 460f.
§ 156. Indien: VuUers, Janus I, 253. -- Armenier, Tataren u. Kurden: Nach dem
Russischen von Oganisjanz im Kawkas 1879. Nr. 54. — Basuto: Grützner, Ztschr.
f. Ethnol. 1877, III. Verhaudl., S. 77. — Maoris: Tuke, Edinb. med. Journ. 1864, Nr.
104, p. 726. — Chinesen: Walbaum in Petersb. med. Ztschr. III, 862, I. 2.
§ 158. Indien: M. Duncker, Gesch. des Alterthums II, 231. — Muselmanen (Perser):
Koran, Übers. Wahl, Sure IL 36; Polak, Persien I, 195. — Alte Germanen: Tacitus,
Lib. de mor. Germ. § 20. — Angelsachsen: Beda, Hist. eccles. I, 27. —
Deutsche des 15. u. 16. Jahrb.: Weinhold, D. deutschen Frauen 1, 103. — Rom:
/'/•■ilus, Dialogus de orat. XXVIII u. XXIX. — Romanische Länder: Torquemada,
Uon. Ind. II, 461; Rommel 1461'. — Babylon: Die Gesetze Hammurabis, Deutsche
Übers. Winckler, § 194. — Akkader: Lenormant, La Magie I. lff. — Libanon:
Chemali, Naissance, Anthrop. V, 739. — Bukowina: Kaindl, Die Juden, Glob. 80,
134. — Yemen: Manzoni 52.
§ 159. Ägypten: Rommel, Das Ammenwesen, S. 145 ff. ; Pseudo-hippolyt. Oanones, D. U.
Grüne. — Ngumba: Conradt 337. — Hova: Camboue, Anthrop. 4, 384. — Viti:
842 Anhang I. Zitate.
Rougier im Anthrop. II, 99Kf. — China: Math, Üb. d. häusl. Verh. 33. — Türkei:
P. Eram, Quelques eonsiderations p. 65. — Aiuu: Filsudski, Schwangerschaft 768. —
Irokesen: Baumgarten, Allg. Gesch. I. 272. — Azteken: Klemm, Allgera. Culturgesch.
V. 36. — Inkareich: Ebenda; Sundstral 26.
§ 160. Armenier: Nach Gfarrü Oganisjanz im Kawkas 1879; Glob. 38, 270. — Raffer:
Siech im Daheim 1879; Glob. XX, 149. — Angola: Pogge, Beiträge z. Entdeckungs-
gesch. Afr., 7. H., S. 5. — Loango-Küste: Pechuel-Loesche in Ztschr. f. Ethnol.
1878, S. 31. — Hottentotten: Le Yaillant, Reise 2, 39. — Randavu: Buchner,
Reise durch d. stillen Ocean 268f. — Australien: Laie, Vier Jahre 1!I7. Chili:
Dapper, D. U. 633. — Inkareich: Baumgarten, Allgem. Gesch. II, 214; Sundstrai
26. — Chippewa: Mc Kenney, Sketches 290.
§ 161 Norwegen: Westergaartl, Die Lehre, I.Abt. — Juden: Kotehnann, Die Geburtsh.
149. — Damaskus: Robson m Dubl. quart. Journ. of med. sc. 1865. Febr. — Süd-
russ. Jüdinnen: Weissenberg, Beitrage 315. — Araber: Koran, Deutsch von Bogsen,
S. 36, 516 u. 387; Sure 46 u. 31; Lerne I, 79 f. -- Kaffitscho: Bicber 93. -
Kabylen: Ledere, Une mission medicale. — Berber: Rohlfs. Mein erster Aufenthalt
71. — Mandingo: Mungo Park, Reisen, Ubers. 237. — Goldküste: Vortisch 280
— Ho: Fies 75. — Ewe: Herold, Bericht betr. Eechtsgew. i:i Mitt. a. d. Deutschen
Schutzgeb. 5, 161. — Dualla: Pauli, Kamerun 17. — Ngumba. Conradt 337. —
Fjort: Dennet 20. — Unterer Kongo: Weeks 420. — Bergdamara: Glob. 96,
173. — Wazaramo u. Wanyarawozi: Andres, Die Expeditionen II, 96 und 215. —
Suaheli: Hildebrandt, Ztschr. f. Ethnol. 1878, S. 39;>. — Basutos: Stech im „Daheim"
1879, Ly. 24. S. 3S3: M. Cartwright, Folklore of the Basutos in F.-L. XV. 251. -
Hottentotten: Schinz 98.
§ 162. Howa, Camboue, Anthrop. IV. 3s4. Batak: von Brenner 247. — Kubus: Voh
104. — Danigala- Weddas: RUHmeyer, D. Nilgalaweddas im Glob. 83. 203 u. 221. -
Aetas: Schadenberg in Ztschr. f. Ethnolog. 1880, S. 135. — Celebes: Fii/ke, Versuch I.
688. — Jap: Senjft, Die Rechtssitten 142. — Nauru: Brandeis 77. — Britisch-Neu-
Guinea: Krieger 294. — Motu: „Die Natur" 1879, S. 289. -~ Bismarckarehipi
iye;719. — Bougainville: Thurnwald in Ztschr. f Ethnol. 42, 123. — Samoa; /'
Samoa 81 f.; Kabarg im Glob. Bd. 47. S. 71. — Neuseeland: Take im Edinb. med.
Journal 1864, p. 725. — Moore River (Australien): Salvado 311.
§ 163. Tongkin: Seiltet, Glob. 57. 247. - Kansu (China): Dols 768. — Japan: Schmid,
Notes in New- York Medie. Record 1869 (Juli 1 u. Sept. 15); „Das Ausland' 1881,
S. liiü. —Korea: Arnous, Die Frauen 160. — Mongolen: G.v.Baliut, Glob. 1875,
14, 222. — Steppen-Kirgisen: Mrs. Atkinson, Recollections 126. 152 u. 178. —
Seissansk: von Stenin, Glob. 1.9, 228. — Baschkiren: Derselbe, Glob. 80. 156. —
Türken: Eram, quelques consid. — Esten: Glob. 1880. 252— Ostjaken: Archiv f.
Anthropol. VIII, 113. — Kara gössen: Ztschr. f. allgem Erdk. VIII, 404. Tungusen:
Middendorffs Sibir. Reise IV, T. 2, 1488, L495, L500 u. 1535. — Giljaken: /..
v. Sehrenck III, 640—645. — Eamtschadalen: Steller 349ff. - Renntier-
Tschuktschen: Cremat, Glob. 66. 2sti. — Eskimos: E. Bessel im Archiv f. Anthrop.
VIII, 113. — Cumberland-Su.nl: Abbes, Glob. 46. 216: Hall, Life. - Nutka:
Bancroft I, 197. — Dakotah: Schoolcraft, Information 111, 212 u. 240. — Florida:
Torquemada, Mim. Ind. II. 460. — Sac- u. Foxind.: Oieen, Folk-Lore 65. — Azi
Bancroft II. 281. — Tepecano: Fehlinger 292. — Hayas: Bancroft II. 681. — Caraja-
1ml : von Königswald 237. — Tukano: Koch-Qrünberg, Women378. — Arawak: V
Nachricht von Surinam. — Waran: Srhoiiibnrgk, Reisen I, 166. -- Caingangs:
Borh,,. Club, 50, 235.
§164. Drusen, Kafir, Marokkaner: Floß- Bartels, D. Weib, 8. Aufl. II, 483f. - Antillen:
Du Tertre II. 5<»6— 508. — Ainu: Pilsudski 769 n. 773. Eonumbo: Vormann,
Zur Psychologie 411. —Fidschi-Inseln: Rougier in Anthropos II. 9961. — Florida:
/;„, Hon. Ind. II. 46H. Azteken: Bancroft II, 282. — Inka-Reich:
Son.lstralM: llanmgarten. Allgem. Gesch. 11, 21 1. - Tapuya: Dapper, D. U. N. W.41S.
Anhang I. Zitate. 843
§ 165. Armenier: Kawkas 1S79. Xr. 62. — Paris: Floß-Bartels II, 477. — Egba,
Xosa-Kaffer: Ploß-Bartels, II, 475f. — Hottentotten: Schinz 98. — Neger
auf den Antillen und Guayana: Du Tertre II, 506—508. — Java, .Su-
matra: Ploß-Bartels II, 477 (nach W. Reiß und Julius Jacobs). — Maori: Tuke,
Edinb. med. Journ. 1864. S. 72.3. — Dieri: Siebert, Sagen, Glob. Bd. 97, S. 49. —
Irokesen: Lafttau bei Baumgarten, Allg. Gesch. 1,272. — Britisch-Guay an a: Qiuir.lt.
Nachricht von Surinam; Appun, ,.Das Ausland'' 1871, S. 125.
§ 166. Neu-Andalusien, Chippeway usw.: Ploß-Bartels, Das Weib, 8. Aufl., II, 478
bis 480. — Buschmänner: Fritsch, Die Eingeborncu 407. — Dieri: Sichert, Sagen,
Glob. Bd. 97. S. 49.
§ 167. Perser, Siebenbürger Zeltzigeuner usw.: Ploß-Bartels, Weib II, 500—504, 429f.
und 47S. — Canarische Inseln: Mac-Gregor 91. — Basutos: Cartwright, Folk-
lore XV, 251. — Hottentotten: Schinz 98. — Gesellschaftsinseln, Hawaii,
Neuseeland, Australien: Sei Ztschr. f. Ethnol. 1880, S. 135. — Pirna:
von Murr 2(>7. — Britisch-Guayana: Si 'c, Keisen in Brit.-Guay. I, 166 u. II.
239, 289 u. 315: Appun, ..Das Ausland", 1871, S. 125.
•§ 168. Eriwan: Oganisjanz im Kawkas 1879, Nr. 58. — Libanon: Chemali 739. — Süd-
arabien: Hiltlebrandt, Ztschr. f. Ethnol. 1S7S, S. 396. — Bongo: Schweinfurth, Im
Herzen I, 331. — Unterer Kongo: Weeks 420.
•§ 169. Hebräer (alttestamentliche) : Kotelman, Die Geburtsh. der alten Hebräer. S. 46 — 49.
— Mentawei: Pleyte 24. — Inka: Sundstral 25f.
S 170. Libanon: Chemali, Naissance, Authrop. \'. 739. — Deutsche: Florilegium politicum.
Durch Chr. Lehmann, Frankfurt 1639. — II". Kurte. Die Sprichwörter.
§ 171. Liebauer Tal: Patschnvsky, Beiträge 55. — Sonneberg: Schleicher. Volkstum!.
145. — Franken: Flügel, Volksmedizin 56. — Rumänen: Prexl, Glob. 57. 27. —
Serben: Petrowitsch, Glob. 1878, S. 349. — Finnen: Krebel, Volksmedicin S. 17. —
Unterer Kongo: Weeks 421. — Mkulwe: Hamhcrycr. Nachtrag S05. - Libanon:
Bechara Chemali, Naissance. Anthrop. V. 735. 739 und 747.
§ 172. Lückendorf: .4. Yoß in Ztschr. f. Ethnol. 1881, Bd. XIII; Bericht d. Berl. Anthrop.
Gesellseh. S. 104. — ßayr. Oberpfalz: Bavaria II. Abt. 1. 254. — Thüringen:
F. Schmidt, Situ-u u. Gebr. in Thür. 7S. — Schwaben: Buch, Medic. Volksgl. 6(1. —
Tübingen, Reutlingen: Meier, Gebräuche Xr. 302. — Mittelfranken: Bavaria
III. 2. 954. — Hessen: MühVuiuse 80; Wolf, Beiträge I. 212, Nr. 114. — Baden:
Mone, Anz. 1838, Nr. 53: Journal von und für Deutschland 1787. Bd. 2. S. 344.
— Elsaß: Stilher, Elsässische Sagen Nr. 83. — Friesen: Miillenhoff . Schleswig-Holst.
Sagen 183. — Luschtenitz: Grohmann, Abergl. Nr. 870ff. — Karlsbad u. Um-
gebung: Schaller 181. — Aargau: Rochholz, Alemanu. Kinderspiel 354. — Neu-
griechen: B. Schmidt, Volksleben I, 1872. S. 242. — Bafiote: Pechuel-Loesche in
Ztschr. f. Ethnol. 1878, Bd. 26, S. 18.
§ 174. Akkader: Lenormant, La Magie 1 ff. u. 160. — Persien: Sykes in Folk-Lore XII,
271. — (Altes) Rom: Küchenmeister u. Ploß, Ztschr. f. Medicin, X. F. Bd. V (1866),
S. 116; Th. BartolinuSj Antiquitatum . . . Synopsis 164. — Deutschland, Serbien,
Ostafrika: Treichel, Ztschr. f. Ethnol. XIII; Bericht d. Berl. Anthrop. Gesellsch. S. 23,
34,8.5. — Appen. Marken: Pigorini-Beri 344. — Siebenbürger Sachsen: Miliner
49; M. Bartels in Ztschr. d. Ver. f. Volksk. 5. Jahrg., S. 8. — Kuppin: Haase,
Volksmedizin 288. — Northumberland: Balfour-Northcote in Folk-Lore IV, 56 f. —
Schweden: Kahle, Krankheitsbeschwörnngen 195. — Aargau: Hoff mann -Krayer
1451'f. — Herzegowina: Boyisic 560. — Slawonien: Kramhergcr. Glob. 39, 333. —
•tien: C. von Hahn, Sitten 330. — Kamerun: Conrau, Einige Beiträge 199.
— Unterer Kongo: Weeks 415f. — Mkulwe: Hamberger, Religiöse Überl. S04f. —
Fiji: Rougierl2, — Kan-su: Dols 766. — Tataren: Castren, Reiseberichte 313. —
Rattenindianer: Lony, See- u. Landreisen 161 f.: vgl. Rem, Des Ind. Familie 180. —
Macatecas: 11'. Bauer, Heidentum 861. — Araucos etc.: Musters bei Renz, Des
Indianers Familie 25.
844 Anhang I. Zitate.
§ 175. Schweden: Zachariae, Scheingeburt 155f. — England: Lady Gurdon in C. F.-L.
Printed Extracts Xr. 2. p. 14, 20f. u. 26ff. — Xorthumberland: Balfour-Norihcote,
Couuty Folk-Lore IV, 49. — Innishowen: Doherty 15 f. — Schlesien: Mitteil,
d. Schles. Gesellseh. f. Volkskunde I, 1. 4. — Frankreich: Zachariae, Scheingeburt
155f. — Franche-Comte, Saint-Michel la Riviere: Sebillot IV, 14öf.
§ 177. (Altes) Indien: Susruta ed. Hessler II. 43. — (Xeuzeitl.) Südindien: Shortt,
Edinb. med. Journ. 1864, 554. — Nordwestl. Deutschland: Goldschmidt, Volks-
medicin 140. — Frankenwald: Flügel, Volksmedicin 50— 50. — Oberpfalz: Bn
Schäffer 14; J. Wolfsteiner in „Bayaria" 11. Abt. 1, S. 337. — Pfalz: Pauli 101;
G. La in uteri. Volksmedizin 113 u. 119 ff. — Sachs. Vogtland: C. Michaelis, Über
die körp. Erziehung 9 u. 11. — Karlsbad: Schauer ISO. — Araber: Bertherand,
Med. ::88. — Fessan: NachHgal, Sahara I, 154. — Zulu: Fr. Mayr, The Zulu Katirs
394f. — Java: Jid. Kögel, Ausland 1863, S. 740. — Tataren: Oganisjanz im Kawkas
1879, Nr. 55.
§ 178. ßlaubeuren: Rüdiger, Die Sterblichkeit 16. — Bayern: Blätter f. Säuglingsfür-
sorge 1. Jahrg., S. 168f. — St. Gallen: Wartmann, Beitr. I07. — England: Gaz.
med. de Paris XVIII, T. IL Nr. 8: ./. Reid, Laryngismus: (Marshalh Hall, Beob-
achtungen 365. — Archangelsk: .4. H. Sehrenk, Reisen durch d. Tundren, 1 . T. —
Persien: Häntzsche, Ztschr. f. allg. Erdkunde, Dez. 1864, S. 427; Polak. Persien 196.
— Tataren u. Armenier: Oganisjanz im „Kawkas" 1879, Nr. 55.
§ 180. Northumberland: Balfour-Norihcote. County Folk-Lore IV, 49. — Suffolk:
Lady Gurdon, C. F.-L. I, Printed Extracts Xr. 2, p. 14 u. 20 f. — Kanton Kern:
Hoffmann- Krayer, Volksmedizinisches 145ff."*~— Jamaica: Folk-Lore XV. 454.
g 181. Germanen: Mitteil, d Schles. Gesellsch. f. Volksk. I, 1 — 4 u. 10. — Schlesien:
Ebenda u. Drechsler. Sitte I, S. 120. — Sachs. Vogtland: C. Michaelis, Üb. d. körp.
Erzieh. 9 u. 11. — Siebenbürger Sachsen: Fronivs, Bilder 33; Hill» er 16. —
Nordwestl. Deutschland: Goldschmidt, Volksmedizin 140. Frankenwald:
Flügel, Volksmedizin 50 — 56. — Schongau: Krüger, Bayrisch, ärztl. Intelligenz-Blatt
1874, Nr. 45. — Böhmen: Grohmann, Aberglaube I, 178; Bayerl-Swejda (sehriftl.
Mitteil.). — Schweiz: Muralt, Hippokrat. helvet.; Receptir-Hds. 144: Hoffmann-
Krayer 145 ff. — Oldenburg: Strackerjan, Aberglaube 1. 71.
§ 182. Norwegen: Grookshank, Old Time 320. — Irland: Doherty 15f. — England:
Lady Gurdon in C. F.-L. I, Printed Kxlr. 2. 25: Gomme, Folk-Lore XIII, 69ff. —
Schottland: Mitchel, Magazin f. d. Lit. d. Auslandes 1876. Nr. 40. — Buren: (ioiuhn .
Folk-Lore, ebenda. — Rutenen: Kanftl. A. d. V. d. I!. i. G. 9.;. — Georgier: EHch-
wald, Reise. — Libanon: Chemdli, Naissance 746. — Südruss. Juden: Weissen-
berg, Kinderfreud 316. — Arabia Petraea: Musü 111. il7. — Togo: Spieß, Glob.
'.Mi. 221. — Kikuyu: Bugeau 191; Cayzac, La Religion 310 f. -- Uganda: Glob.
96, 33 (nach J. Boscoe). — Dar-es-Salaam: Wehrmeister, Vor d. Sturm 219. —
Basuto: Grützner in Ztschr. f. Ethnologie 1877, Verhandl. S. 78. — Howa; Ca
985. — Fidschi: Rangier im ,.Anthropos" II, 10005. - Kan-su: Dols 765.
Badagas: Jugor in Verhdl. d. Berl. Ges. f. Anihrop. 1876, S. 199. - Kirghisen:
Glob. 39, 111. — Mordwinen: AJbercromby im Folk-Lore Journal VIT, I05f. -
Esten: Krebel, Volksmedicin 24. — Oltscha: /. V. Schrenck, Reisen 111. 766
Indianer: Heckeweicher, Mitteilungen 387—410; Schoolcraft, Oneota 195. — Chippe-
ways: Me Kenney. Sketches 362. — Maskoki: Owen 66. — Vuina: Spring im Glob.
50, 268. — Trios: De Gocje, Beiträge 15.
§ 183. Israel: 1 K'".iii-c 14, 1 ff. -- Bachtiaren: Dieulafoyt Reise 258. - Mkulwc:
Hambi rgt r, lteligir.se Überlieferungen 308. — Nyangao; Wehrmeister 35. — Makon de-
Plateau: )Vtule351ü. —London: Gomme. Folk-Lore XI11. 69ff. — Buren: Derselbe,
ebenda. Kendal Franks, ebenda 72. — China: StenZ, In d. Heimat 47, 138 0. 126.
Trichinopoly: Kath. Missionen 1909/1910, S. U. — Ainu: Pilsudski, Bärenfesl 39.
— Brasilien: Koch-Grünberg, Women 380. — Cumbe rl and-Sund : Abbes. Deutsche
Polar-Bxped. 297 u. 314. — Chippeways: Me Kenney, Sketches 302. 310 u. 323 f.
Anhang I. Zitate. 815
§ 1S5. Maroniten: Chemäli, Naissance 746. — Unterer Kongo: Weeks 415f. —
Wasarauio: K.,Andree, B. Exped. 2, 95. — Lukuledi: Wehrmeister 90. — Altes
Peru: Dapper, B. U. N. W. 349.
§ 1S6. Albaner Berge: Cozzi. Malattie 914. — Schlesien: Drechsler, Sitte I, 221. —
Hessen: Mühlhause SO. — Doresen: Rosenberg, Hat. Areh. 456. — Loyalty-
Inseln: Waitz-Gerland, Anthrop. VI, 641. — Eskimos: Hall II, 321; Helms 129f.
— Cora: Preuß. Ethnogr. Erg. 588 f. — Patagonen: Musters, D. Übers. 192.
§ 187. Albaner Berge: Cozzi, Malattie 915. — Lumda-Tal: W. Lentz, Hess. Blätter f.
Volksk. VI, 107 u. Anm. — Belgien: J. W. Wolf, Niederländ. Sagen 684. — Ober-
pfalz: Fr. Schönwerth, A. d. Überpfalz I, 255. — Kanton Tessin: Pellandini 254. —
Spezia: Martinengo-Cesaresco, American Songs in Folk-Lore Journal II, 248. —
Kaffitscho: Bieber 96. — Bassari: Klose 344. — Unterer Kongo: Weeks 422 f.
— Kavirondo: Stam, The Keligious Conceptions im Anthropos V, 3.">9ff. — Luku-
ledi: Wehrmeister 91 u. 85. — Makua: Weide 168. — Kaffer: Barrow 220f. —
Batak: Frhr. v. Brenner 235 u. 196. -- Papua: Krieger, Xeu-Guinea 391. —
Australien: Xortlicote W. Thomas, The Disposal 401 u. 403; Spencer u. Gillen 505.
— Korea: Watters, Some Corean Customs 83. — China: De Groot, The Religious
System III, 1387f.; Stenz 40. — Thai: Bourkt 361. — Pamir-Kirghisen: Sven
Hedin, I). Asiens "Wüsten I, 2. — Giljaken: Pilsudski, Schwangerschaft 761;
L. v. Schrenck, Reisen III. 761 — 776. — Tschuktschen: Priklonski im Glob. 59, 83.
— Eskimo: Ausland 1S70, Nr. 9; Abbes, Hie deutsche Nordpolar-Expedit. 314. -
(Jhippeways: Mc Kennet) 305f. — Pirnas: von Murr 197. — Altes Peru: Reiss
und Stiibel, Bas Todtenfeld von Ancon in Peru. — Biagitas: Boman, Antiquites 1,
144 u. 149. — Bolivia: Erl. Nordenskiöld, Meine Reise 215. — Tapuya: Dapper,
B. U. N. W., 566. — Camacan: Spix-Martius bei Benz, Des Iudianers Familie 55. —
Karaiben: Ebenda 82. /
§ 18S. Russen: A.C. Winter, Toteuklagen 389. — Kasckuben: Tetzner im Glob. 70, 271.
— Huzulen: Kaindl im Glob. 67, 358. — Südslawen: Glob. 29, 125. — Letten:
A. C. Winter, Lettische Totenklagen 368£f ■- Westfalen: Hartmann. Bilder 95. —
Lumda-Tal: W. Lentz Ulf. — Apulien, Calabrien. Sizilien: lila v. Dürings-
feld u. Frhr. v. Reinsberg-Düringsfeld 67 u. 81. -- Arabia Petraea: Musü III.
435, i44 u. 219. — Wapororo: Fabry 22J. — Wasaramo: Andree, B. Exped. 2,
95. — Wangoni: Wehrmeister 146 (nach P. Johannes). — Wahehe: Alfons M.
Adams in Missionsblätter St. Ottilieu II, Nr. 3. — Chokoa: Oscar Baumann, Sansibar-
Archipel 37. — Kap-Hottentotten: Kolb 442. — Haiti u. span. Südamerika:
E. Metzger im Glob. 47. 232. — Papua: Krieger, Neuguinea 177, S95 u. 398; „Bie
Natur- 1879,289; Chalmers-Wyatt Gill 149. — Palau: Semper 234ff. — Australien:
Spencer u. Gillen, The Northern Tribes 75: Salvado 298. — Fidschi: Rougier 74f.
— China: Stenz 40. — Finnland: Will. Fischer, Aus allen Weltteilen IX, 75.
— Eskimo: Helms, Grönland 130f.; Hall 11, 314. — Chippeway: Mc Kenney,
Sketches 294. — Hudson-lnd.: Dapper, B. U. N. "W. 151. — Nadowessier: Carver,
Travels 403ff. (vgl. Renz, Des Ind. Familie 135f.). — Calif ornien: Westermanns Ulustr.
Monatsh. 1881, Nr. 298, S. 512 (nach Power). — Mexik. Ind.: Sartorius in Augs-
burg. Allgem. Ztg. 1852, Nr. 72. — Argentinien: Söchting im Glob. 1877, S. 127f.
— Nordwestl. Brasilien: Koch-Grünberg, Women 380. — Karaiben: Kappler,
Surinam 231f.; Du Tertre, Hist. nat. II, 411. — Feuerländer: Hyades im Glob. 49, 39.
§ 189. Kanton Bern: Rothenbaeh, Volksthümliches 11. — Böhmen: Grohmann, Abergl.
Nr. 757 f. — Kurische Nehrung: Negelein, Aberglaube 289. — Slawen: A. Hell-
a-ig. Aberglaub, und Strairecht, in Unterhaltungsbeilage z. Tägl. Rundschau, Berlin
1905, Nr. 220. — Bleichach (Oberhessen): W. Lentz in Hessische Bl. f. Volksk. VI,
106. — Rumänen: Prexl im Glob. 57, 30. — Makua u. "Wayao: Wehrmeister 91. —
Batak: Frhr. v. Brenner 2.J5 u. 196. -- Brasilien: Etienne Ignuce, Le fetichisme
903 f.
846 Anhang I. Zilale.
§ L92. Elbogner Kreis: Jos. Hofmann, Taufbräuche 61. — Schlesien: DrecJisler, Sitte-
180. — Tonga: Torrend 58. — Basutos: Ausland 1881, S. 276 (nach Putnu). — -
Mayas u. Mexikaner: Seier, Tierbilder 31 ft'.; derselbe. Codex Borgia II, 213.
§ 193. Altes Indien: v. Reitzenstein, Kausalzusammenhang 656 f. — Germanen: Sepp,
Altbay. Sagenschatz 12.3. — Tirol: v. Reitzenstein (nach Zingerle u. Sepp) in Ztschr.
f. Ethnol. 41. 661 Ö. -- ßambara: Anthrop. III, 708f. — Abessinien: Glob. 96,
240f. (nach Duschene Fournet). — Semang u. Warramunga: Graebner, Zur austral.
Religionsgesch , Glob. 96, 344; W. Schmidt, Die soziol. Verhältnisse, Glob. 9", I86f.
— ßuin: Thurnwald, Im Bismarckarchipel 130f. — Altes Mexiko: von Beil
652 f. u. Anm. 2: Htiniy, Codex Barbouicus Kl f.
§ 194. Gristow: von Reitzenstein 661f. — Einsiedeln: Schweiz Archiv f. Volksktir.de
8, 308. — Australien: Spencer-Gillen, The Native Tribes of Uentr. Austr. .Vitiff.
§ 195. Klewe (Deutsch-Togo): C. Spiess im Glob. 98, 337. Kiene (Deutsch -Toge): C. Spiess
im Glob. 98, 337. — Bakwiri: .1 Seidel im Glob. 80, 390. — W adschagga: Gutmann,
im Glob. 96, 104. — Vorderasien: von Reitzenstein 668 f. — Cape Graf ton: Rat
ebenda. — Euahlayi: Parker bei Schmidt, Die soziol. Verhältnisse. Glob. 97. 173 ff. —
Ainu: Pilsudski, Schwangerschaft 765. — H uichol: Th. Frevss, Ethnogr. Ergebnisse
59.5. — Misquito: Lehmann in Ztschr. f. Ethnol. 1910, Heft 5.
§ 196. Sumatra: MoSzkowski, Sagen 995f. — Südöstl. Australien: W. Schmidt. I).
soziol. Verhältnisse, Glob. 97, 173 ff. — Ozvkumra: Mol:, Ein Besuch 56. — Mas-
koki: .1/. .4. Owen 66.
§ 197. Neugriechen: B. Schmidt. D. Volksleben I. 173, 241 u. 245. — Südslawen:
Albin Kohn, Glob. 1876, Xr. 8, 8. 124. — Huzulen: Glob 67, 35S. — England:
Denhain Tracts II, 58f. — Brabant: von Düringsfeld, Forziuo 134. — Wasaramo:
K. Andree. Die Expeditionen. — Amazulu: Callaway, The religioua System, in Folk-
Lore-Society XIV, 176 u. Glob. 1867, I, 29. - Basutos: Cartwright in Eolk-Lore
XIV (1903), p. 417. — Polynesien: F. Solowjew. im Archiv f. Anthrop. 1880, XII.
415. — Doreh: Rosenberg. Malaviseher Archipel 456. — Japan: G. Kreiiner, Im
fernen Osten 253. — China: /.. Kutscher, Bilder: Huc u. Gäbet. Wanderungen 331;
Glob. 59, 175 (uach J. H. S. Lockhart). — Tscherem issen : P. v. Stettin, Km
neuer Beitrag 202. — Giljakeu: L. v. Schrenck, Reisen III, 761 ff. ; Pilsudski,
Schwangerschaft 761 f. — Mexiko: Callegari, L'Autico Messico II, 23; Pr< uss, Ethnogr.
Ergebnisse 588 f. und 594.
5' 198. Hakka: Hubrig im Bericht d. Anthropol. Gesellsch. z. Berlin 1879. 104. — Unterer
Kongo: Wecks 422 f. — Australien: Spencer-Gillen. 145 ff., 505, 606, 609 u. 887,
Anm. — Maskoki: Owen, Folk-Lore 22 ff.
§ 199 Transsyl vanische Zeltzigeuner: von Wlislocki, Gebräuche 251. — Zakynthos:
B. Schmidt, Das Volksleben: Miller in Melanges de litter. grecque 442. — Rutenen u.
Huzulen: Kaindl. Die Seele 357 f. — Rußland. Sibirien: P. von Stenin, Über den
Geisterglauben 2(isi'. u. 285; A". R. Papst, Die Gespenster. — Schlesien: Vreclislcr.
Sittel. 188; Mitteil. d. Seid. Gesellsch. 1.4. Brabant: J. c. Düringsfeld 134. — Pia I f en-
dorf: Schöppners Sagenbuch II. 929. — Saaltal: Börnera Sagen aus dem Orlagau.
- Mit tel franken: Bavaria III. 2, 953. - Ka eröer- Inse 1 u : Otto Jiriezek 31. —
Lewis: ./. Abercromby (nach .1/. Mc. Plutil), In Folk-Lore VI, 170. — Schottland:
J. Napier, Kolk-Lore or Superstitious Reliefs: l'hiimlurs. I'opulur lihyines. — Irland:
W. R. Wilde 134. — Frankreich: Made. Contes populaires. — Rumänen: Prexl
im Glob. 57. 17. Magyaren: Kropf. The Kolk-Tales 94.
§ 201. Transsylv. Zel tzi'geu ner: //. c. Wlislocki, Gebräuche 251. — Schlesien:
Drechsler. Streifzüge, in Mitt. d. Schles. Ges. f. \'olksk. I. IL IL 22ff. - Liebauer
Tal: Patschovskjf, Beiträge, ebenda II. IL IV. :'. — Vogtland: Kühler. Volks-
bram-h 331. — Kran kisch-H.cn nebe rg: Spiess, Volkstümliches 71. — Mein ingen:
Schleicher. Volkstümliches a. Sonneberg 95. — Zützschdorf: Adler 430. — Sieben-
bürg. Sachsen: Hillner 46; Front««, Bilder 34. — Westfalen: Hartmann, Brider
209. — Ostfriesland: Herrn. Meier, Ostfriesland 205. — England: Deuham Tracts.
Anhang I. Zitate. g^y
vol. II, p. 27 f., 53 u. 69. — Argylshire: Maclagan, The Games 253 ff. —
Aschaffenburg: Sepp, Altbayer. Sagenschatz 488. — Spessart u. Oberpfalz:
Englert in Ztschr. d. Vor. f. Volksk. 4, 54ff. — Althochdeutsches Schlummer-
lied: J. Grimm, Über d. Göttin Taufana: Willi. Miilltr, Göttinger gelehrte Anz. 1860,
Stück 21 u. 22; r Grohmann, Über die Echtheit; C. Hof mann a. Joffe", Sitzungsber.
d. bayer. Akad. d. Wissensch. z. München 1866, H. I, S. 103. — Steirisches Ober-
land: Bosegger, Sittenbilder 24. Tirol: Zingerle, Sitten 232. — Schweiz:
■ Rochholz, Alemann. Kinderlied L99. -- Lothringen: Theuriet in Revue des deux
moudes 1877, Mai, p. 49. — Frankreich: 0. Kamp. Frankreichs Kinderwelt; Kuhff,
Les enfantines; vgl. auch: Jerome Bujeaud, Cliants. — Italien: Badke. Das ital.
Volk 150.
§ 202. Georgier: .4. Dirr, Fünfundzwanzig georg. Volksl. 483ff. — Südruss. Juden:
S Weissenberg, Beiträge 130ff. — Wasuaheli: Veiten 17. — Hottentotten:
Theoph. Hahn in (ilob. 12, 27s. Ost-Sumatra: Moszkowski, Die Völkerschaften
ii.V>. — Australien: Gerland- Waitz, Anthiop. d. Xaturv. VI, 782. Dieri u.
Nachbarstämme: Siebert, Sagen u. Sitten 49. — Maori: Dieffenbach, New-Zealand
2, '27. — Dravida: Gallenkamp, Dravidische Volkspoesie 81. — China: Glob. 80, 20. —
Finnen: Castrin, Kl. Sehr. 242. — N ordamerikanische Jägervölker: Schoolcraft,
Oneöta 212(1'. in Renz, Des Indianers Familie 168f. — Sioux: K. Woltereck, Aus dem
Leben eines Siouxiudianers, Glob. 98, 128.
§ 203. Wiener Gegend: Vernaleken, Mythen 03. — Liebauer Tal (Niederschlesien):
Patschovsky in Mitteil. d. Schles. (Jes. f. Volksk. II. IV, 27. — Schottland:
11". Gregor in Folk-Lore Journ. 1\'. 132 ff. — Frankreich: 0. Kamp, Frankreichs
Kindervveit 55.
§ 204. Plattdeutsch: Frischbier, Preuß. Volksr. 32. — Seh ottl and: W. Gregor in Folk-
Lore Journal IV (!S8ii), 132 ff. — Dravida: Gallenkamp, Dravidische Volkspoesie,
im Glob. 82 (1902), 81.
§ 207. Armenier: Nach Garril Oganisjnnz im Kawkas 1879, Glob. Bd. 38, S. 271. —
Kussische Völker: Archiv f. Anthiop. XI, 259. — Esten: Glob. 1880, S. 282. —
Queen-Gharlotte-Island: Dixon u. Portloeks Reise, D. Üb., S. 213. — Alaska:
Whymper, Alaska, D. [Jb., 225. — K o beua-Indianer: Koch-Grünberg, Woinen of
all Nations, 374.
§ 210. Rumänen; R. Prexl, Glob. 57, S. 26 f. — Polnisch Oberschlesien: Nehring,
Über Aberglauben 6. Karlsbad: Schaller 181. — Rumänen: Prexl, Glob. 57, 26 f.
— Kleinrußland: v. Stettin, Glob. 57, 284 f.
§ 211. Zeltzigeuner: von Wlislocki, Gebräuche 251. — Rutenen: Kamill, Aus d. Volks-
glauben 93. — Schlesien: August Baumgart, Aus dem mittelschles. Dorfleben,
in Ztschr. d. V f. V. 3, U9. — North Riding: Blakeborough in Oounty Folk-Lore
IL 284. — Suffolk: ü. F.-L. I. 11. — Uri. Franz, D. K. B. 2, 237. — Maroniten:
Chemali 738 und 745. -- Unterer Kongo: Weeks 420. — Jamaica: Folk-Lore
XVI, 68. — Kamtschadalen: Steuer 349 ff.
§ 212. Maroniten: Chemali, Naissance, in Anthropos V, 747.
§ 213. Kurische Nehrung: von Negelein, Abergl. 289. — Schlesien: Drechsler, Sitte I,
21D. -- Ruteuen: Kaindl, Aus d. Volksglauben, Glob. 64, 93. — Jamaica: Folk-
Lore XV. 454 f.
§ 214. Schlesien: Patschovsky, Beiträge 6">, 67 f. — Syrien; Sessions, in Folk-Lore, Vol.
IX, p. 14. - Frankreich: Sebillot IV, 59. — Südrussische Juden: Weissenberg,
li.H rage 316. — Jamaica: Folk-Lore XV. 454f. — Luzon: Blumentritt, Glob. 48, 200.
§ 215. Nördl. England: Denham Traets Vol. II, p. 25. — Northumberland: Balfour-
Northcote, County Folk-Lore IV, 90f. — North Riding: Gutch II, 287. — Karls-
bad: Schalter 81 f. — Bern: Zur icher- Reinhard in Schweiz. Arch. f. Volksk. 8, 267.
— Howa: Camboue 385f.
§216. Schlesien: Drechsler, Sitte I, 214f. — Karlsbad: Schaller 181 f. — Kanton
Uri: Franz, D. K. B. 2, 237. — Saint-Die: Sebillot IV, 145. — Südrussische
348 Anhang I. Zitate.
Juden: Weissenberg. Beiträge 316. — Serben: Petrowitsch im Ausland 1876, 26,
g 517_ — Maroniten: Chemali, Naissance 746. — Madagasear: Camboue 38öf.
§ 217. Tschechen und Mähren: Tctzner, Die Tschechen 321. — Italien, Spanien: Hildburgh,
Notes 461. — Alte Ägypter: Wükinson II, 335f. — Abchasen: Karutz, D. ü. i. V.
oig — Araber: Sandreczki, Ausland 1876, 244. — Kabylen: Lissauer 522. — Ewe:
Herold 149f. — Fjort: Dennet, Notes 20. — Kaffer: Bastian, D. C. d. a. Am. Bd. 2,
658, Anm. 3. — Zulu: Fr. Mayr, The Zulu, Anthrop. II, 635. — Kambodscha:
Glob. 48, 158. — China: Wright, Some Chinese Folklore, in F.-L. XIV, 292ff.
§ 219. Transsylv. Zeltzigeuner: von Wiislocki, Gebräuche 250. — York: Gröber, Zur
Volkskunde aus Concilbeschliissen p. 13. — Heutiges England: County Folk-Lore
I, 12; Stamfordham: Balfour-Northcote, C. F. L. IV, 58; Snffolk: C. F.-L. I, 10;
Nordengland: Denham Tracts II, 43. — Pennsylvanien: Hoffmann, Z. Volksk. d.
Deutsch., Glob. 67, 48. — Schlesien: Drechsler, Sitte I, 213; Patschovsky, Beiträge
65, 67 f; Aug. Baumgart, Aus d. mittelschl. Dorfl., in Z. d. V. f. V. 3, 149. — Karls-
bad: Sehaller 179 und 181 f. — Schweiz und Süd deutschland (Ablutionswein):
A. Franz, D. K. Benediktioneu 2, 237, Anm. — Poitou usw.: Sebillot IV. 152 und
146. — Italien: Kaden, Skizzen 89. — Serben: Petrowitsch, Ausland 1876, 28,
S. 516. — Maroniten: Chemali, Anthrop. V, 738 und 747. — Armenier: Kawkas
1879, Nr. 62. — Kongo: Weeks, Customs, in F.-L. XX, 473f. — Jamaica: Kolk-
Lore XV, 4541'. und XVI, 68. — Hots: Camboue 385f. — Dajaken: Grabowsky,
Gebräuche, Glob. 72, 271. — Luzon: Blumentritt, Glob. 48, 200. — Viti: Bmigier,
Anthrop. II, 996f. — Tataren: Oganisjanz, Kawkas 1879, Nr. 54. — Altes Mexiko:
Torquemada, Monarchia II, 456 f.: Bancroft II, 277 und Anm.
S 221. Hindus: Rose, Folk-Lore XIII, 07. Anm.; H.Zimmer, Altindisches Leben 325. —
Zeltzigeuner: H. v. Wiislocki, Gebräuche 251. — Armenier: J. v. Negelein, Der
arm. Volksglaube, Glob. 78, 292; N. v. Seidlitz, Hochzeitsgebräuche der Arm.. Clob.
78, 244. — Norwegen: F. Liebrecht, Zur Volkskunde 319. — Hiddensee: .1. licilborn.
Zur Volkskunde v. Hiddensee, in Glob. 78, 384. — Bayern und Österreich: Andree-
Eysen, Volksfeindliches 135. — Zürich, Bern: Hoffmann-Krayer, Volksmedizinisches,
in Schweiz. Arch. f. Volksk. 8. Jahrg., 242 u. 244. — England: Denham Tracts II,
4g. _ Northumberland: Balfour-Northcote, County Folk-Lore IV, 57. — Spree-
wald: W. v. Schulenburg, Wendische Volkssagen. — Serben: Petrowitsch, Ausland
1876, 26, 516.
§ 222. Südrussische Juden: Weissenberg, Beiträge 3 1 6 f. — Maroniten: Beckum chemali.
Naissance 745. — Sansibar: K. Andree, Die Expedition 2, 96. — ünjöro und
Uganda: Emin-Bey in Peterm. Mitt. 1879. Bd. 25, 186. — Mkulwe: Alois Ham-
berger, Nachtrag, im Anthrop. V, 803 und 805. — Unterer Kongo: Weeks 422. —
Jamaica: Folk-Lore XV, 454. — Carolina: Steffens 3l2. — Maori: Fr. Müller,
Heise der österr. Fregatte Novara, Anthrop. Th. HL Ethnogr., S. 55. — Nauru-
Insel: Brandeis 60. — Tungusen: Uiddendorff IV, T. 2. 1488. — Argentinien:
Mantegazza, Glob. 1880, S. 334.
§ 224. Indien: Potkänski in Glob. 70, 228; E. Sehroder, Land und Leute 267. — Ger
manen: Potkänski, I. c. — Hellenen: Theodoret (bei Franz). 1). kirchlichen Bene-
diktionen 2, 248 u. Anm. 2. — Spartaner: Wachsmuth 2. 365: Franz (nach GrOOr
u. a.) 2, 245. — Mainoten: Henri Belle bei Floß, I). Kind. 2. Aufl. I, 29."..
Maroniten: Franz 2, 247. — Malisoren: Sp. Gopceviee, Clob. 1881. Bd. 39, S. 154.
— Byzantiner, Kranken u. Longobarden: Fenn:, op. fit. 2. 248f. u. Anm. 2.
Slawen: Potkänski, Glob. 70, 228; Müovariovitsch 38. - Araber (Bob. Smith, vide
Kap. IV); Laue I, 79 u. Anm.
^ 225. Ägypten: Herodot II, 65 (Comment. Rawltnson). —Bassari: Klose im Glob. 83,
313. — Unterer Kongo: Weeks 422. — Mhonda: Vogt im Echo aus Afrika XXI,
177. — Basutos: Stech in „Daheim" 1879, Nr. 24. S. 3.X2; Cartwright, Folklore of
th. B. 250.
Anhang I. Zitate. £4.9
§ 226. Madagaskar: Vamboue 988. — Indonesien: Bouchal, J. Z., 232. — Maori:
Novara-Reise, Anthropol. Teil III, 55. — Japan: Ausland 1881, Nr. 9. S. 1(37. —
Munda-Kolh: Ztschr. f.Ethnol. 1871, Heft .6. — Mongolen: Huc-Gabet, Wanderungen.
— Mayas: Torquemada II, 448; Tgl. Schott im „Ausland" 1868, S. 608. — Mexi-
kaner: Torquemada II, 521. — Peru: Sundstral 25f.; Baumgarten, Allg. Gesch. II, 239.
§ 227. Transsylv. Zeltzigeuner: von Wlislocki 187. — Ägyten: Ratvlinson, Herodot II.
p. 111, Auin. 9; Wükinson II, 326 u. I. 50. — Marokko: Rohlfs, Glob. 1875, 286.
— Soninke: F. Daniel 34. — Lukuledi: Wehrmeister 65. — Mentawei: PLeyte,
Glob. 79, 24. — Alfuren: J. G. F. Riedel, Ztschr. f. Ethnol. 1871, S. 403. — China:
Plath, Die häusl. Verhältnisse 32: Ausland 1877, Nr. 1. S. 20. — Siam: Grehan, in
Anuales des voyages, Dez. 1869, S. 269; Hillmann, Kinderspielzeug 191. — Aymara-
lndianer: Ch. N., Gebräuche, im Glob. 51, 221.
§ 228. Goldküste, Vortisch, Die Neger 277. — Batak: Frhr. v. Brenner, Besuch 193.
— Tecunas: v. Spix u. v. Martins, Heise III, 1188. — Andaman-Inseln: Jagor
in Ztschr. f. Ethnol. 1877, III. Verhdlg., S. 59. -- Todas: Derselbe, ebenda, 187 ,
S. 700. — Pirnas: Ch. G. von Murr, Nachrichten 196f.
§ 230. Bannu: Gerland (nach Thorbtirn), Glob. 1877, S. 331. — Armenier, Kurden u.
Tartareu: Kawkas 1879, Nr. 54f. — Thraker u. Makedonier: Soranus Kap. 29. —
Niederösterreich: Fitzinger, Denkschriften d. Wiener Akad. 1851, I. — Ger-
manen : .4. Scltliz, Künstlich def. Schädel, Archiv f. Anthrop. N. F. 3, 191 ff. —
Göttingen: Blumenbach, De generis hum. variet. nat 63; Niederolm: Ecker, Archiv
f. Anthropol. 1866, I, 75. — Heilbronn: Schliz, op. cit. — Schweiz, Rütimeyer u.
Eis, Crania helretica; Muralt. Hebammenbüchlein S. 39. — Frankreich: Lagneau,
Les deform, eephaliques en France; Derselbe in Gaz. hebdom. med. et chirurg. 1879.
Nr. 5 u. 6; vgl. Bullet, de la soc. d'Anthropol. de Paris 1879, p. 417 u. 699. —
Bretagne: O. Perrin du Finistere, Gallerie Bretonne. — Kaukasus: Hijipo-
krates Werke, übers. Grimm, 1, 2n:;; Plinius I. VI, Kap. 4. — Krim: Bogdanow,
Nachrichten d. Kais. Gesellsch. d. Freunde der Naturkunde XXXV, T. II, H. 3. —
Nord- und Transkaukasien: Virchow, Ztschr. f. Ethnol.. 24. Jahrg., Supplem. S. 7.
— ■ Mongolen: Bastian, Der Mensch IV. 227. — Senegal : Hamy in Revue d'Anthropol.,
2. Serie II (1879), p. 22; Faulherbe im Bulletin de la Societe d'Anthropol. Paris VII,
1872, p. 766; Thulic, Cräne deforme in Bulletin de la Soc. d'Authrop. de Paris IsT.j.
April. — Kalunda-Neger: Pogge. Im Reich 242. — Wasiba: Rehse, Glob. 98, 77. —
Nikobaren: H. W. Vogel, Ztschr. f. Ethnol. 1875, Sitz. d. Berl. Anthropol. Gesellsch.,
S. 187. — Kanikar: Jagor, Verhdlg. der Gesellsch. f. Anthrop. Berlin 1879, S. 78.
- Borneo: H. Ling Roth, The Natives II, 80; vgl. A. B. Meyer, Über künstlich
def. Schädel; ferner Will. M. Cracker in Proceedings uf the Boy. Geogr. Soc. 1881,
p. 199. - Celebes: Riedel, Ztschr. f. Ethnol. 1871. Bericht der Berl. Anthrop.
Gesellsch. S. 110; 1874. S. 215; 1875, S. 11; 1876, S. 69. — Philippinen: Thevenot,
Belations: Virchow, Ztschr. f. Ethnol. II (1870) S. 151: Jagors Reisen 3.35. — Neu-
pommern: Von der Hamburger Südsee-Expedition, Glob. 96, 66. — Mallikollo:
Bück, Journ. of the Anthropol. Institute of Gr. Brit. and Ireland Vol. VI (1877), p. 200;
Krause, Über küustl. mißstaltete Schädel, zehnte allgem. Vers. d. D. Gesellsch. f.
Anthrop. z. Straßb. 1879, S. 121. — Samoa: Kubary im Glob. 47, 71. — Badagar:
Jagor, Verhdlg. d. Gesellsch. f. Anthrop. z. Berlin 1876, S. 196. — Ainu: Pilsudski,
Schwangerschaft, Anthrop. V, 767f. — Eskimo: Hall. Life; vgl. Ausland 1865, S. 69.
§ 231. Van cou ver-Island (nördlicher Teil): von Hesse-Wartegg, Sitten u. Gebräuche der
Ind., Glob. 53, 140. — Tschinuk: Derselbe ebenda; Catlin, Lettres; Kane, Wande-
rungen 84; „Flathead" (am Columbia) : Morton, Crania americaua 124ff., Taf. 7 — 11;
vgl. D. Wilson, The American cranial Type, Annual Report 245. — Florida: A. Ecker,
Archiv f. Anthrop. 1877, S. 109. — Nahua- Völker: Bancroft II, 281. — Maya:
Derselbe II, 681f. u. 732. — Smu: Bell im Ausland 1863, S. 676. — Karaiben: Gosse,
S. 23, Taf. VI, Fig. 4. — Südamerika: Zuckerkandl in Reise der österr. Fregatte
Novara, Anthropol. Teil. I. Abt., Wien 1875, S. 89. — Peru: Virchow, Ztschr. f. Ethnol.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 54
850 Anhang I. Zitate
1892. 24. Jahrg.. Supplem., S. 5 u. 20; A. Bastiati, Die Kulturländer d. alten Am. I,
140; Squiei; Peru 244: Bull, de la Soc. d'Anthropol. de Paris 1878, S. 230. — Konquelas:
Wien im Berieht der Anthrop. Gesellsch. z. Berlin 1881, S. 175. Patagonen:
l irchovo im Bericht der Anthrop. Gesellseh. z. Berlin 1879, S. 200 u. Ztschr. f. Ethnol.
XI, 1879, Heft IV u. V.
§ 232. Broca im Bulletin de la soc. anthr. 1879, p. 417; derselbe, Congr. d'Anthr. Conipte-
rendu de la huitieme session, Budapest 1876, Vol. I. S. 101; Dudlik. Zeitsuhr. f.
Ethnol. 1S78, X, S. 227; Wankel, Die angeblich trepanirten Crunien zu Sedlee, in
den Mitteil, der Wiener Anthropol. Gesellsch. 1879; Credncr und Virchow, Verhandl.
der Berl. Anthrop., Gesellsch. in Zeitschr. f. Ethnol. 1879, S. 60 und (iö; Schneider,
daselbst 239; v. Erckert, daselbst 436; Virchow, Über eine eigentümliche Knocheuscheibe
(Trepanseheibe) aus dem Bieler See, Verhandl. der Berliner Gesellsch f. Anth op.
1879, S. 383; J. de Baye. La trepanation prehistorique, 30 p. av. Fig St. Germain
1879; Ed. Blanc, Essai sur un crane trepane provenant du tumulus de Noves (Alpes
maritimes), 11 p. I Plaoch. Cannes 1879. — Neumecklen bürg u. N eu h ann over:
Glob. 89, 211.
§ 234. Altes Indien: Susrutas Ayurvedas. l'bers. Hessler II, 41. — Bannu: G erfand
(nach Thorbum) im Glob- 1877, S. 331. — Eriwan: Kawkas 1879, Nr 54 u. . —
Rußland: Krebel. Volksmedicin versch. Volksst. Kußlands 11. — Altes Rom: T Kro
im Jahrbuch f. Kinderheilkunde X. 3 u. 4. S. 360. — Deutschland: Bösslin, Der
schwangern frawen; C. L. Walter, Tortura infantum. — Basutos: Stech im „Daheim"
1879, S. 382. — Ye.las: Jagor, Bericht der Berliner Anthropol. Gesellsch. 1879, S. 169.
— Yap: Miklueho-Maclay, Bericht der Berliner Anthropol. Gesellschaft 187S, S. 10 .. —
Australien: Hooker, Journal of the Ethnol. Soc. of London 1869, 71 u. 73. —
Esten: Krebel, Volksrnediein usw. in Kußland 22.
§ 235. Tanganyika-See: Stanley, Durch den dunklen Weltteil II, 82. — Celebes: J. R.
Forster, Observations. D. Übers. 2. Aufl. 516. — Samoa: Turner, Sanioa 81; Ku-
bary im Glob. 47, 71. — Tupin-Inba: Lery, Keise 247. — Maragnas: Dapper, Die
Unbekannte 447.
§ 236. Böhmen und Luzon: Blumentritt im Globus 48, 200. — Bannu: Gerland (nach
Thorbum) im Glob. 1877. S. 331. — Armenier: Kawkas 1879. Nr, 54 ff', u. 55.
t; 237. Jaunde: Zenker, Yaunde 42. — Lukuledi: Wehrmeister, V. d. Sturm 47. Yao,
Suaheli u. "Wangoni: Weitle. Negerleben 68. — Jap: Senfft. Die Kechtssitten 143;
Miklueho-Maclay, Bericht d. Anthropol. Gesellsch. z. Berlin 1878, S 105. — Neu-
Guinea: Krieger, N.-G. 295 u. 391. — Südliches Australien: K. Jung in „Ans allen
Weltteilen" 1877. Nr. 12, S. 355; Spencer and Gillen 615. — Maya-Völker: Bancroft
II, 732.
^ 238. Massai: .1/. Weiss, D. Völkerstämme 335 f. — Mangandscha: .1. Richel mach Living-
stone), Lippenschmuck im Glob. 84, 32. — Nyangao u. Lukuledi: Wehrmeister 28
u. 47. - Wa ni uera u. 31 a konde: Weule 76 f. u. 438 f. — Zulu: Mayr im Anthrop. II.
645. — Neuguinea: Krieger 391; Sollen im Anthrop. IV, 568: S Beiträge
zur Ethnogr. 197. — Jap: Senfft, Kechtssitten 143. — Nauru: Brandeis 60. — Katchin:
GiUiodes, La Culture 619 f. — Ao-Nagas: Mol: 68. — Mongolen: Karute, I>. O.
i.V. 216. — Babine: Kaue n. Gordon bei Hesse-Wartegg 140 Altes Mexiko:
Bancroft II, 280; W. Lehmann, D. s. K J. p. 1003; Dapper, Die Unbekannte, 298. —
Pirnas: Ch. G. von Murr. Nachrichten 196 f. — Passe: Koch-Grünberg, Women 381. —
Carajas: von Koenigswald 233. — Tapuya: Dapper o. c. 418. - Capiekrans:
Etienne 17.'. u. Anm. — Bororo: Richel im Glob. 84. 32 (nach von den Steinen). —
Siacusi; Schomburgk, Reisen in Br.-G. 11. 314. — Karaibeu: Dapper o. c. 207.
§ 239. Massai: M. Weiß, Die Völkerstämme 334 f. — Kikuyu: Cayzac, La Religion 312
i 317. -- Wakua: von Behr 81. — Wahua: Walter- Hutley in Proceedings of the
Roy. Geogr. Soc, April 1881, p. 222. — Wakamba: Hildebrandt, Ztschr. f. Ethnol.
1878, S. 350. — Batongas: Echo aus Afrika XXI. 59 f. — Herero: Ztschr. f Ethnol.
4i). 930ff. - Bientawei-lnsul.: Plegie 24. — Batak: von Brenner, Besuch 192 —
Anhang I. Zitate. 851
Negritos: Thivenot, Relat.; Semper. Palauiuseln 364; Jagor, Reise in d. Philipp. 367;
Schadendorf, Ztschr. f. Ethnol. 1880, S. 136. — Kubus: Volz 105. — Australien:
Ausland 1866, S. 63; Spencer u. Gillen 588 ff. u. 592 ff.; Wundt, Völkerpsychologie,
2. Bd., 2. T., S. 56 ff. — Mayas: Bancroft II, 732. — Japan: Glob. 58, 190.
§ 240. Afrikanische Westküste: Pogge, Heiträge z. Entdeckungsgeschichte Afrikas 1880,
3. Heft, 8. 35. — Amazonen-Inseln: Alonso de Santa Cruz, Islario General, S. 42.
§ 241. Wakuma u. Wakuafi: Burton, Nouv. Ann. des Voyages, May 1862. p. 195. —
Australien: Hooker, Journ. of the Ethnol. Soc. of London 1869, S. 73. — Japan:
Das Ausland 1881, Nr. 8, S. 148. — China: Morache, Pekiug et ses habitants, in
Annales d'hygiene publ. et de med. legale 1869; G. Kcitner, Im fernen Osten S. 533;
Stenz, In der Heimat 29f.; „Die Kathol. Missionen", 37. Jahrgang, 1908, S. 85; Weichet
im Archiv f. Anthropol. IV, 1870, S. 221 u. V, 1871, S. 132. — Kalmücken: Archiv
f. Anthropol. 1879, XXII, S. 259. — Loucheux: Bichardson bei P. Morice im An-
throp. I, 723. — Carrier-Indianer: P. Morice ebendort.
§ 242. Bannu: Gerland (nach Thorium), Glob. 1877, S. 331. — Tunis: B. Karutz, Tatauier-
muster 55. -- Bassari: Klose, Das Bassarivolk, Glob. 83, 310. — Jaunde: Zenker
Yaunde 42. — Meutawei-Insulaner: Pleyte 24 f. ; T'ok, Zur Anthropologie u. Ethno-
graphie von Indonesien, im Archiv f. Anthropol., Bd. 32, N. F. IV, S. 107 f.
Aino: Isabella L. Bird, Glob. 1881, Bd. 39, S. 218. — Eskimo: Fr. Mütter, Allgem.
Ethnogr., Wien 1873, S. 203. — Passes: Koch-Grünberg, Women 381. — Tupin-
Imba: Lery bei Benz, Des Ind. Familie 39. — Maranas: Dapper, Die Unbekannte 447.
§ 243. Farsistan: Dieulafoys Reise, Glob. 46, 294. — Maroniten: Chemali, Naissance
p. 740. — Togo: P. L. (nach Hornberger), Namengebung, Glob. 79. 351. — Deutsch-
Ostafrika: Weide, Negerleben 342. — Basutos: Grützner, Ztschr. f. Ethnol. 1877,
Verhdlg. S. 79. — Amabomvu: Fr. Mayr im Anthrop. II, 645. — Yap: Senff't, Reehts-
sitteu 143. — Australien: de Bienzi, Üceanieu, Übers. Mebold III, 566. — Badagas
u. Todas: Jagor im Bericht d. Berl. anthropol. Gesellsch. 1876. — Eskimo: Lubbock
Die Entstehung der Civil., Übers, v. Passow, S. 48. — Carrier: Morice, The Great
Dene Race, Anthropos. I, 723. — Mexiko (Altes): Dapper, Die Unbekannte 298;
Bancroft II. 279 u. 183 u. Anm.
§ 247. Ohios: Herodot VIII. 0. 105 u. 106. — Persien: Polak 1, 255. — Kaiserliches
Rom: Mommsen, Rom. Gesch. 5, 549. — Falaschas: Glob. 96, 257. — Bejah:
Magrizi bei B. Hartmann in Ztschr. f. Ethnol. 1879, S. 124. — Hottentotten:
P.Kolben, Beschreibung, Ausg. 1745, S. 147; Ausgabe 1719, S. 424, 426f. u. 451 ff.;
Sparrmann, Reise nach dem Vorgebirge 173. — Ponape: 0. Finsch in Ztschr. f. Ethno-
logie 1880, Jahrg. XXII. S. 316.
§ 248. Kaiserliches Rom: Mommsen, Rom. Gesch. 5, 549. — Karäer: S. Weissenberg,
Die Karäer 143. — Falaschas: Glob. 96, 257. — Abessinier: Ludolph, Histor.
aethiop., lib. I; Von Autenrieth, Abhandl. üb. d. Ursprung d. Beschneid. 39. — Assyrer:
Caspar Hoffmann, De Thorace II, c. 29, p. 77. Edit. de 1625. — Phönizier: Herodot
II, 36, 104; Diodor I, 28; Strabo XVII, 824 ed. Casaub. — Arabia Petraea:
Musil III, 219ff. — Yemen: Manzoni 214f. — Südwestliches Arabien: Hilde-
brandt in Ztschr. f. Ethnol. X, 397. — Araberstamm zwischen Abu-Arisch u.
Herlschas: Niebuhr, Beschreibung von Arabien 269. — Araber u. Suaheli in
Deutsch-Ostafrika: H. F. von Bell r 73 f. — Araber in Oberägypten u. Kairo:
Lane I, 82, 85 u. Anm. u. 233; II, 278 ff. ; Klunzinger, Oberägypten 190. — Algier:
Bertherand, Med et Hygiene 307. — AVachietschi: P. von Stenin, D. G. u. H. d. \V.
79. — Perser: Polak, Persien I, 197. — Babisten: AT. von Seidlitz, Neue Mittei-
lungen. Glob. 81, 158.
§249. Kolchier, Ägypter u. Äthiopier: Herodot (von Bairlinson kommentiert) II,
c. 104. p. 46, Anm. 6; p. 61f., Anm. 9; p. 171 f. u. Anm. 5; c. 37; G. Ebers.
Ägypten u. die Bücher Mosis; H. Welcher, Archiv f. Anthrop. 1878. X. 623. —
Kopten: Lane II, 320. -- Kabylen: A. Lissauer, Archäolog. u. anthrop. Studien
519. — Kaffitscho: F. J. Bieber 93. — Kavirondo: N. Stam, The Religious Con-
54*
852 Anhang I. Zitate.
ceptions 361. — Massai: Max Weiss. Die Völkerstämme im Norden D.-Ostafr. 336ff. —
Bakulia: Derselbe 285ff. — Akka: R. Andree, Ethnogr. Parallelen 174 u. 204. -
Kikuyu: Waitz, Anthropol. VI; Cai/zac, La .Religion des Kikuyu 312 u. 317. —
Wapokomo: Clemens Denhardt in Petermanns Mitteil. 1881, Bd. 27, S. 17; vgl.
Richard Andree, Ethnogr. Parall. 180. — Quellengebiet des Nil: Bruce, Reise zur
Entdeckung der Quellen des Nil. — Wasiba: Herrmann, Die Wasiba 54. — Wakua:
von Behr 81. — Vao (W'ayao): Weide, Negerleben 213, 233—235, 269 f., 226f., 229. —
Makua: Ebenda 366 — 369. — Lukuledi: Wehr nie ister 64f. — Sulu: Fr. Mayr im
Anthrop. II, 645; Callaway, Keligious System 58; Fritsch, Eingeborene Südafrikas 140;
Maclean, Compendium of Kafir Laws 1858. — Ama-Kosa: Skooter 44f. u. 52: Fritsch
9 u. 140. — Basuto: Endemann in Ztsehr. f. Ethnol. 1874, S. 37—39. — Barolong:
R. Andree, Ethnogr. Parallelen 180. — Balemba: H. A. Junod im Eolk-Lore XIX.
(1908), 282ff. — Madagaskar (Malaien undNegerJ: Sibree, The great African Island
217. D. l'bers. 243. — Bara: Richardson bei V. Keller, D. ostalr. Inseln 67. —
Sakalaven: Derselbe; Grandidier im Bulletin Soc. deGeogr. VI. Sit. Hl (1872), p. 397.
- R. Andree, Ethnogr. Parall. 66. — Antankarana: J. M. Hildebrandt in Ztsehr. d.
Gesellsch. f. Erdkunde z. Berlin 1880, XV, 267. — Herero: Sanitätsamt in Windhuk,
Ztsehr. f. Ethnologie, 40. Jahrg. (1908), S.930. — Loanda: R. Andree, Ethnogr Parallelen
177. — Songo: P. Pogge, Im Reiche 39. — San Salvador u. Wathen: ,/<»//,/ //.
Weeks, Notes ou some Uustoms, in Eolk-Lore XX (1909), 304ff. — Kongo-Fälle:
Glob. 70, nach P. Briart. — Manjema: Livingstone, Letzte Heise, deutsch 34. —
Warega: Dclhaise im Glob. 97, 210. — Baf^ote: Falkenstein in Yerhandl. d. Heil.
Anthrop. Gesellseh. 1877, S. ISO. — Ejort: Dennet, Notes 20. — Dualla: Pauli 17.
- Bakwiri: R. Andree, Ethnogr. Parall. 177. — Batanga: AI/r. Kirchoff, Pet. Butt.
32, 146. — Dahorne: R. Burton, in Mein, read before the Anthrop. Soc. I, 318.
Deutsch-Togo: Fr. Müller, Fetischistes, Glob. 81, 281. — Hoer: K. Fies 75. -
Ewe: Zündel in Ztsclir. d. Gesellsch. f. Erdkunde, Berlin 1877, XII, 292. — Gold-
küste (Accra): Cruikshank, 18 years II, 213; vgl. R. Andree, Ethnogr. Parall. 175.
— Gä- Volk: Vortisch. 281. — Wai in Liberia: Oskar Baumann im Glob. 52, 238.
• Sierra Leone: Winterbottom, Nachrichten 145; vgl. H. Andree, Ethnogr. Parall. 175.
Balantes: Ebenda. — Mandingo: Lajaille, Reise n. Senegal h'i: Mungo Park,
Reisen im Innern v. Air. 238. — Soninke: Fern Daniel, Etüde sur les Soninkfis
34f. — Neger in Brasilien: Ignace Etie.nne, La Seote musulnianc, Anthrop. IV, 103.
ij 250. II owa: < 'ambou6, Les dix premiers ans, Anthrop. IV, 375 ff.; Sibree, The Great Africau
Island; C. Keller, Die ostafrik. Inseln 67; R. Andree, Ethnogr. Parall. INJ f.
Indischer Archipel: Ebenda 171. -- Battak: l'Yhr. v. Brenner, Besuch 193 a
247. — Mittel- Sumatra; R. Andree, op. cit. 171. - Kubus: II'. Volz 105.
Sakai: .1/. Moszkowski, The Pagan Bacea 177. — Nias: Rosenberg, Malayischer Archipel
168; R. Andree, Ethn. Par. 191 f. -- Celebes: Ztsehr f. Ethnol. 1871, 8. 101.
Amboina usw.: 7»'. Andree, 1. c. — Philippinen: Derselbe 193. — Malakka:
Derselbe, ebenda 195. — Kaiser- Wilhelms-Land: Krieger, Neu-Guinea I67ff.;< -
im Glob. 1877, S. 89. — Holländisch-Neu-Üuinea: Krieger, op. eil. 171 u. 391.
- Britisch-Neu-Guinea: Ebenda 296. -- Karesou: II'. Schmidt, Die gel
JiingliDgsweihe, Anthrop. II. 1036ff. - Rook: Reina in Ztscln-. f. allgem. Brdkunde,
X. F. IV (1858), 357. — Neil-Mecklenburg; von Schleinitz, Ztsehr. d. Gesellsch. f.
Erdkunde, Berlin 1 S77, XII. 246. Tanna: Eckardt in Verhdlg. d. Vereins f. natur-
wissensch Unterh. in Hamburg. I \' (1879), -lau. 21, ..Das Ausland" 1880, S. 789. —
Neu-Caledonien: Meinieke. Inseln des stillen Oceans I, 225. — Viti-Inseln:
Williams, Figi I. 166; Rougier, Ualadies, im Anthrop. 1 1. 997; B. Andree, Ethnogr. Parall.
198; ■/. </( Marzan im Anthrop. V. mini'. -- Samoa: Kubary im Glob. 47, 71;
Phüenius-Kramer im Glob. 85, 55; W. T. Pritchard in Mein, read before the Anthrop.
Soc. Vol. 1. 326. — Tonga-Inseln: Mariner, Account of the Tonga-Isl. II, 252. —
Tahiti: Forster, Bemerkungen :.7t u. 482. lüurchison River: Oldfield in Trans-
act. Ethnol. Soc. New Seriös 1865, 111. 252. — King-Georges-Sound u. Swan-
Anhang I. Zitate. 853
River: Eyre im Journal of the Anthropol. Soc. 1870. Xo. XXIII. — Roebuck
Bay: Peggs, Notes, in Folk-Lore XIV, 334 u. 345. — Xative Tribes of Central-
Australia: Spencer and GiUen, Seitenangaben als Randbemerkungen. — Peake-
Fluß: Rieh. Schomburgk in Verhandig. d. Berl. Anthrop. Gesellsch. 1879, S. 235. —
Lake Blanche usw.: Sturt I, 209, 274, 341. — Adelaide: Gaston, The Dieyrie tribe.
— Port Lincoln-Distrikt: Wilhelmi, Manners and Customs 24: R. Andree,
Ethnogr. Parall. 195. — Narrinyeri usw.: W. Schmidt, Die soziologischen Ver-
hältnisse, Glob. 97, 174 u. Anm.
Sj 251. Tataren: Dapper, Die Unbekannte 287. — Üst-Tu rkestan: E. Schlagintioeit, Glob.
1877, 17. S. 205. — Karak urtschinen: Glob. 1878. S. 232. — Baschkiren: P. v.
Stenin, D. n. F. ü. d B., Glob. 80, 155. — Türken (Monastir): F. IV. Oppenheim, Über
den Zustand der Heilkunde, 128. — Bosnien: Nach Klaics „Bosna", Glob. 1880, S 283.
— Sklaven-, H undsrippen -. Hasen-Indianer und Loucheux: Morice, The
Great Dene Race, Anthropos I. 723 f. — Mexikanische und Maya- Völker:
Torquemada, Libros rituales y monarquia Indiana VI, 48; Brasseur de Bourboitrg,
Hist. des nations civil. III, 526 und I, c. 2, 51; Bancroft, Xative Races, I, 278 u.
666; II, 679. — Squire, Transact. Americ. Ethnol. Soc. III. 145. — Baumgarten,
Allgem. Gesch. der Länder, II, 52; Waüz, Anthrop. IV. 307. — Islas des Saerif icios:
Alouso de Santa Cruz, Islario General (Ausg. R. v. Wieser), 42. — Ticunas: r. Spix
und v. Martins, Reisen in Brasilien III, 1188; v. Martins, Zur Ethnogr. Amerikas.
583, 445.
Sj 252. Dahomey: Adams, Remarks, 15 u. 75. — Makua: Weule 370f. — Uhiya:
Cameron. Quer durch Afrika I, 295. — Hottentotten: Le Vaillant, Reisen in d.
Innere v. Afrika II, 294 u. IV, 38: Fr. Müller, in Reise der Fregatte Novara.
Anthropol. Teil. 3. Abt. Ethnogr. (Wien 1868) S. 119. — Auin-Buschleute: II
Kaufmann. Die Auin, in Mitteil. a. d. D. Sehutzgeb. 2.'!. 142. — Niederländisch-
Ustindien: F. Epp, Schüderuugen aus Holländisch-Ostindien. — China: Hureaii de
Villeneuve, De l'accouchement, 20. — Ponape: 0. Finsch in Ztschr. f. Ethnol. XII,
1880, S. 316. — Mandan. Minetari u. Crow: Prtn: zu Wied, Reise II. 107. —
Machacuras: v. Fddner, Reisen II, 148. — Altes Mexiko: Bancroft, The Xative
Races II, 2711 Anm.
§ 253. Persien: Chardin, Vovage en Perse, X. p. 76. ed. Anist.; Polali, Persien I, 10S.
Falaschas: (ilob. 96, 257. — Arabien: Strabo, Geogr. XVII, e. 2. § 5, eds. Sieben-
kees; Rhazes' Zehn Bücher, V. c. 69; Seezen, in „Fundgrube des Orients" I, 65
(Brief an Hammer); Niebuhr, Beschreib, von Arabien. 76 ff.; Muradyca d'Ohsson,
Allg. Schilderung d. Othom. R., Übers. Leipzig 1788, S. 288. — Araber am west-
lichen Ufer des Nil: Burckharät, Travels in Xubia. 297 Anm. u. Deutsche Übers.
(Weimar 1820), S. 453 f. — Ägypten u. Abessinien: ß. Hartmann. Naturgesch.-
med. Skizze der Nilländer, 278. — Agau, Gallas usw.: J Bruce. Reisen in d. Innere
v. Afrika. Übers. 1791, II, 224. - Kaffitscho: Bieber im Glob. 96, 93. — Nubier:
Werne, Reise durch Sennaar, 25: Tanner, The Lancet, 1867, 7. Aug.. p. 165; J. Russ-
egger, Reisen in Europa, Asien u. Afrika. — Wadi Halfah, Dar Sennär, Rordofan:
R. Hartmann, Natorgesch.-medicin. Skizze, 278f.; Rappel, Reisen in Nubien, Kordo-
fahn, 42; Palhne, Beschr. v. Kordofahn; Fr. Caäliaud, Voyage ä Meroe. au Fleuve
Blanc, IL — Dar-For: Brehm, Reiseskizzen aus N.-O.-Afrika, I, 169. — Bajudah-
Steppe: A. f. Barnim a. R Hartmann, Ztschr. f. allgem. Erdkunde. X. I". XII, 3, 203.
— Kleine Oase: P. Ascheron in Ztschr. f. Ethnol. 1876, S. 357. — Altes Ägypten:
Paidus v. Agina, Lib. DIL c. 70 (bei Ploß I, 2. Auf! , 379 u. Anm.); Bachofen, Das
Mutterrecht, 351. — Somali: Hildebrandt. Ztschr. f. Ethnol. 1878, S. 398. — Kikuyu:
Cayzac, La Religion, 312 u. 317. — Kikuyn usw.: Hildebrandt in Ztschr. f. Ethnol.
1878, S. 398 f. — Massai: Max Weiss. Die Völkerstämme, 366 ff. u. im Glob. 97, 153 ff.;
Hildebrandt, Ztschr. f. Ethnol, 1878, S. 397. — Bakulia: Weiss, Völkerstämme,
299ff. — Mandingo: Mungo Park, Reisen im Innern v. Air. (Berlin 1799), S. 238.
— Soninkes: Ferd. Daniel. Etüde sur les Soninkes, 34f. — Deutsch- Togo.
$54 Anhang I. Zitate.
Yoruba-Stämnie: Fr. Müller. Fetischistisches, 280. — Alt Calabar: Arehib.
Heuaii im Etlinb. med. Journ. 1864. Xr. CXI. p. 219. — Unterer Kongo: Weeks
in Folk-Lore XX. 307. — Loanda: J. B. Douville, Voy. au Congo. Vol. I. —
Bamangwato: Chapman im Ausland 1868, S. 1083. — Malayischer Archipel-.
F. Epp, Allg. med. Centralzeituug, 1853, S. 37. — Pegu: G. H. Lindschotten. Über-
setz. Bn (1613), S. 48; Ztschr. f. Ethnol. 1876. Verh. d. ßerl. Anthrop. Ges., S. 27. —
Java: ./. Engel. Ausland 1863, S. 280. — Celebes: J. G. F. Riedel. Ztschr. f. Ethnol.
1871. S. 402. — Stämme im Innern von Australien: Spencer u. Gillen, The
Xative Tribes 269ff. — Peake-Fluß usw.: Ztschr. f. Ethnol. 1879, Bericht d. Berl.
Anthrop. Ges. 235. — Conibos: Alfred Reich u. Felix Stegelmann, Bei den Indianern
des Urabamba, Glob. 83, 134. — Campas: E. Grrandidier, Xouv. annal. des voyages,
1861, Oktob., p. 73 u. 1862, Aoüt, p. 1J6; r. Martins, Ethnol. Amerikas, 582. —
Jlaynas: Frau: X. Veigl. Gründl. Nachrichten 67 u. 71.
:; -'"4. Australien: Miklucho-Maclay in Ztschr. f. Ethnol. 1882. — (Ostindien): Roberts.
Reise von Delhi nach Bombay, in Müllers Archiv 1843; Pitreell. Rites and Customs,
Ploß- Bartels, Das Weib (8. Aufl.) I. 294 f.
; 256. Indien: Hoffmann, Der Zustand. 4 u. 24; P. Karsten, Kinder und Kinderspiele
der Inder, Glob. 76, 2l5f.; Dalton in Ztschr. f. Ethnol 1873, S. 265; Venkatamami,
The Hindu Singing Games, Folk-Lore XX (1909). p. 337 ff.; Loeett. The Ancicnt and
Modern Game of Astragais in Folk-Lore XII, 280ff. — Altes Griechenland:
Elisabeth Lemke in Ztschr. d. V. f. Volksk. 5. Jahrg, 184; Waclismuth II, 362; Pluto,
Gesetze, Buch VIII; Aristoteles ad XicomachuTB X, 6; IV. 8. 1.2. u. Politik VIII, 2;
— Italien: v. Beinsberg-Düringsfeld im Glob. 1876, S. 318; Forzino, Ethnograph.
Curiositäten, 12; 0. Badke, Das italienische Volk. 160; Dom Guis. Bernoni, Canti
popolari Veneziani; derselbe, Xuovi Canti popol.: Ida v. Düringsfeld, Volkstümliches
aus Venedig, im „Ausland- 1876, Xr. 10. — Sizilien: H. C. Coote, Cliildrens tiames
in Sicily, in The Folk-Lore Journal, II. 83. — Spanisches Mexiko: F. 8t(l
Catalogue 24 — 76. — Frankreich: Otto Kamp, Frankreichs Kinderwelt, S. 44.
i l'."„S. Schottisches Hochland: R. Craig, Maclagan, The Games TL, 13. 39 f. u. 257.
— Englisch - Schot tisehes Grenzgebiet, Balfour-Xortlicotc, l'ounty Folk-Lore
IV, lt. 9. — Suffolk: Lady E. <\ Gurdon in Countj Folk-Lore. Publications of th.
F. L. S., Printed Extracts Xr. 2. Suffolk Ol IT u. 142. — Xorfolk: 11'. B. Gerish in
Fulk-Lore VI (1895), 202. — Ureinwohner Deutschlands: Host mann, Der Urnen-
friedhof bei Darzau 118; Preusker, Vaterländische Vorzeit; Züricher Antiquar. Mitteil.
2, 12. — Xürnberg usw.: Joh. Bulle, Zeugnisse z. Gesch. unserer Kinderspiele, in
Ztschriff d. V. f. Volksk., 19. Jahrg.. S. 385. Indogermanische Vorzeit:
Samuel Singer, Deutsche Kinderspiele in Ztschr. d. V. f. V.. Bd. 13 (1903), S. 50 ff.
— Schlesien: Drechsler. Streifzüge, I. Jugendbrauch in M. d. Seh. G. f. V.. Bd. I,
H. II, 47 — 49. — Nördliches Vogtland und Ka'schuben: Tetzner im Glob. 70,
271. — Dithmarschen: Müttenhojf, Sagen. Märchen 484. — Northumberland:
Balfour-Northcote in Counly Kolk-Lore, Vol. IV, 113f. — Ensheim: Friedrii
Eine vollständige Fassung des Kinderliedes v. d. Xormen in Ztschr. tl V. f. V . 19. .luhrg.
(Berlin 1909), S. 417 f. — Friesische Inseln: Hans Leuss. '/.. Volkskunde der Insel-
frieseu im Glob. 84, 205. -- Leipzig u. I ingegcnd: Karl Mi/Her. Kinderreime in
Ztschr. tl . V .f. V ., 5. Jahrg. (Berlin 1895), S. 200. — Liebenthal. Jauer: Brecht
Streifzüge. — Bukowina n. Galizien: Kai/ull, Lieder. Neckreime in Ztschr. d. V.
f. V. 7, 296.
^ 259. Kroaten, Slawonier u. Syrmier: Rajacsieli. D. Leben, d. Sitten und Ge-
bräuche der Südslawen 103. — Mähren (Tibet u. Indien): /.. r. Schroeder, Waffen-
tänze, in Wiener Ztschr. f. d. Kunde des Morgenlandes, XXIII. Bd., 405 ff. Litauer:
F. Tetzner, Feste und Spiele der Litauer im Glob. 73. 319 ff.
1 Orient: H. Petermann, ßeisen im Orient. 2. Ausg. I, 151 u II. 307. — Syrien:
/.'. Lovett, The Ancient and Modern Game of Astragais in Folk-Lore XII. 2S(lff. —
Mekka: John F Keane, Six Months in the Hejaz 47. — Arabia Petraea: I
Anhang 1. Zitate. 855
Arabia Petraea III, 229f. — Uled üelini (westl. Sahara): Camille Douls, Erleb-
nisse 26. — Südrussische Juden: S. Weisseuberg, Kinderfreud und Kinderleid b.
d. südruss. Juden 318ff. — Altes Ägypten: J. Wolf, A. d. P. d. a. Ä. 679f.;
Champollion- Figeac. Gemälde von Ägypten 306; Wiücinson-Birch II, 65. — Berabra:
Hartmann im Berieht der Berliner Anthropol. Gesellsch. 1877, S. 457. — So mal:
Nach G. Revoil, Glob. 1880, S. 281.
§ 261. Atvuti-Land (Togo): H. Klose, Musik, Tanz u. Spiel in Togo, Glob. 89 (1906),
S. 74. — Hoer (Togo): K. Fies, Die Hoer in Deutsch-Togo 77. — Togo: C. Spiess,
Die Verwendung der Holzarten Togos, Glob. 96, 217. — Haussa: F. v. Luschan,
Beiträge z Völkerkunde 45. — Unterer Kongo: Weeks, Notes on some customs,
Folk-Lore XX (1909), 457 ff. — K assai: Glob. 75, 193. — Equateurville : Glob. 48,
79. — Nyamba: L'Afrique exploree et civilisee, Dez. 1879, p. 107. — Unjanjembe:
David Livingstones letzte Reise in Zentralafrika, deutsch 272, vgl. Glob. 29, 179. —
Makakira: Cameron, Quer durch Afrika, deutsch 1,236. — Wapogoro: Fabry 219.
— Makonde - Plateau: Weide, Negerleben 348 ff. u. 356. — Lukuledi: Wehr-
meister, Vor dem Sturm 85. — Wakamba: Hildebrandt in Ztschr. f. Ethnol. 1878,
S. 393. — Makololo: Hartmann im Bericht der Berliner Anthropolog. Gesellseh.
1877, S. 457. — Basuto: Endemann in Ztschr. f. Ethnol. 1874, S. 37; Chr. Stech im
„Daheim' 1879. Bd. 24, S. 383
§]262. Howa: Camboue, Jeux des enfants malgaches, Anthrop. VI, 665ff. — Batak:
Frhr. v. Brenner, Besuch 332. — Orang Mamma (Sumatra): Schneider bei Speiser
85. — Formosa: W. Müller, Wildenstämme 240. — Palau: Raymund, Die Faden-
und Abnehmespiele auf Palau, im Anthropos VI (1911). 40ff. — Yule Island: G.
Thilenius im Glob. 83, 20. — Kaiser- Wilhelms- Land: M. Krieger, Neu-Guinea
176. — Holländisch-Neu-Guinea: Derselbe, ebenda 391. — Motu-motu (Brit.-
Neu-Guinea): „Die Natur" 1879, S. 280. — Laur. (Neu-Mecklenburg): Abel, Knaben-
spiele auf Neu-Mecklenburg (Südsee) im „Authropos" I, 818 ff., 219 ff. -- Hawaii:
Stewart Culin bei Karutz. Die Spiele der Hawaiier, Glob. 76, 340. — Australien:
E. Jung, Aus allen Weltteilen 1877, S. 347.
§ 263. China: Gustav Kreitner, Im fernen Osten 007; Dols 768; L. Y. Fischer (nach
Walter Medhurst) in „Aus allen Weltteilen-1 18S1, XIII, S. 73; John Antenorid,
Kinderspiele und Spielzeug in Ostasien, in „Völkerschau" 11, 274 f.; A. R. Wright,
Some Chinese Folklore, iu „Folk-Lore" XIV, Lond. 1903, pp. 292f.; Stenz, In der
Heimat des Konfuzius, S. lOf. u. 32. — Japan: Isabella Bird, Unbetretene Reise-
pfade, a. d. Engl. (Jena 1882), S 97. — Siam: H. Hillmann, Kinderspiele in Siam
im Glob. 78, 191 ff.
§ 204. Dravida (Landschaft Croog): TT. Gallenkamp, Dravid Volkssp. 81. — Golden:
Jakobsen-Genest, Glob. 52, 174. — Ostjaken: Kondratowitsch, Z. E. d. O., 290, West-
sibirische Expedition, in „Deutsche geogr. Blätter" 1877, II. — Ungarn: Franz von
Gabnay, Ung Kindersp., im Glob. 85, 42ff. u. 60ft.; derselbe, Ungarische Puppen,
Glob. 81, 205 ff.
§ 265. Tschuktschen: Nordenskiöld, Die Umsegelung 139. — Eskimos (am Smith-Sund):
Eivind Astrup 205. — Chippeways: Th. L. Mc. Kenney, Sketches of a Tour to the
Lakes 180ff. — Maskoki: A. Owen 06. — Pirnas: von Murr 208. — Mexiko:
Starr, Catalogue 28. — Choctaw: Bushneil, Glob. 97, 350. — Kalifornien: Powers
bei Elcho in Westerm Monatsh. 1881, Nr. 298, S 502. — Peru (Altes): Reiss und
Stiibel, Das Todtenfeld von Ancon in Peru, Taf. 88— 90. — Kaua u. Kobeua: Koch-
Grünberg, Zwei Jahre unter den Indianern II, 1 19 ff u. 150. — Caraja: von Königs-
wald 23S. — Guayana: F. im Timm in Folk-Lore XII, (1901) 134f. -- Gran
Chaco: Erland Nordenskiöld, Spiele und Spielsachen im Gran Chaco und in Nord-
amerika, in Ztschr. f. Ethnol., 42. Jahrg. (1910), S. 42711.
§ 267. Hindu: Wilhelm Hoffmann, Der Zustand des weibl. Geschlechts 24. — Ceylon:
Malve-zi, L:isola del paradiso, in Nuova Antologia 43 (1908), p. 203. — Farsistan:
Dieulafoy im Glob. 46, 293f. — Sparta: Wachsmuth 2, 365. — Ruthenen: Franz
856 Anhang I. Zitate.
xon Gabnay, U. K., 60. — Arabisches Oberägypten: Lane I. 79. — Altes
Ägypten: Wilkinson, The Manners II, 334. — Lega-Galla u. Koma-Neger:
Sehuver, Reisen im ob. Nilg. 32. — Goldküste: H. Vortiscli 278. — ßassari:
H. Klose, Das Bassarivolk 311. — Bphe-Neger: H. Seidel u. Henrici im Glob. 68,
314. — Dualla: Pauli 17. — Yaunde (ein Fan-Stamm): ff. Zenker, Yaunde, in
Mitteilungen a. d. Deutschen Schutzgebieten, 7, 42. — Fan: O. Lenz, Deutsche geogr.
Blätter 1877, S. 72, — Afrikanische Westküste: Palavertromel, Koloniales, in
„Völkerschau'' III. 377 u. 379. — Herero: H. von Frangois, Nama und Damara
163. — Bergdamara: F., Die ßergdamara oder „Klippkaffern". im Glob. 96, 170ff.
- Deutsch-Ostafrika: Weule, Negerleben 257, 264, 359, 384, 360—362. — Lukii-
ledi: P. C. Wehrmeister, Vor dem Sturm 62. — Wagogo: Herrmann, Ugogo, in
Mitteil. a. d. Deutschen Schutzgebieten 5, 194. — Wahima: Weiss, Land und Leute
von Mpororp, im Glob 91, 166. — Bahima u. Baziba: Nik. Fisch in „Afrika-Bote",
9. Jahrg., S. 133. — Wapogoro: Hermann Fabry, Aus dem Leben der Wapogoro,
Glob. 91, £00. — Zulu: Fr. Mayr, The Zulu Kafirs, im Anthropos II, 6351'. —
Auin-ßuschleu te: Hans Kaufmann 143. — Nama-Hot ten totten : Teoph. Hahn
im Glob. XII (1868), 307.
§ 268. Batak: von Brenner, Besuch 247. - - Flores: Le Cocq d' Armand rille, Deutsche
Übers., 80. — Holländisch- u. Bri tisch-Neuguinea: Krieger 391 u. 295. -
Yule-Insel: V. M. Egidi, La tribu di Tauata 677 f. — Nauru: Brandeis 60. -
Ost-Stamm der Gazellen-Halbinsel: Jos. Meier, Primitive Völker 382. —
Tahiti: O. Wedekind, Land 246. — Korea: B. G. Arnous, Charakter u. Moral der
Koreaner, im Glob. 67, 374; vgl. Hamilton, Korea 40. — Formosa: Kisak Tatnai im
Glob. 70, 96. — China: Stenz, In der Heimat 9, 31 u. 37: Dols 768. — Miao:
A. Schotter 416. — Tongkinesen: H. Seidel im Glob. 57, 247. -- Kambodja:
Aymonier im Glob. 48, 158. — Thai: Bourlet, Les Thay, im „Anthropos" II, 356,
359f , 363, 367, 617 u. 627. — Katschin: Ch. Gilhodes. La eulture materielle den
Katchins, im Anthropos V, 615ff. — Burjäten: Kaschin, Mosk. med. Ztg. 1862. —
Kirghiseu: Brehm, Vom Nordpol 418 f. -- Samojeden: De Dobbeler, Glob. 19,
168. — Tungusen: Middendorf IV, T. 2. — Carrier-Insulaner: Morice, The
Great Dene Hace. im Anthropos II. 11. — Indianer in Neu-Niederland: Dapper,
Dio Unbekannte Neue Welt (1673). 149. — Yukatan u. Guatemala: Bancroft II,
662f. — Kuba u. die Baham a-Inseln: Dapper, D. Unbek. Neue Welt 173. —
Guarayos u. Siriones: Cortes, Bolivia (vgl. Ren:, „Völkerschau" III, 102. — Ona-
Cook, Die erste Südpolarnacht 97.
ij Iti'.V Hindus: Zitelmann, Indien 57 f. — Singhalesen: Selenka, Der Schmuck dea
Menschen 19. — Mursuk: Lyon 175 f. Togo: ff. Klose im Glob. 81. 191;
I! Tiüttner, Bilder aus dem Togohinterlande, in Mitteil a. d deutschen Schutzgebieten
6, 241. - Yaunde: Zenker 42. -- Herero: H. v. Frangois, Nama und Damara
163. - Bergdamara: F. im Glob. 96, 170ff. — Wahima: Weiss, Land und
Leute von Wpororo, t i lob. 91, 166. — China: St, :. In der Heimal 31 n. 37. —
Tongkin: H. Seidel im Glob. 57, 247. — Kambodja: Aymonier im Glob. 4s, I,
.">8. — Katschin (Burma): Gilhodes, La Culture materielle des Katchins, Anthropos
\', 620. — rLobeua-Indianer: Koch-Grünberg, Zwei Jahre unter den Indianern 11,
1 49 f. — Carajä-Ind ianer: von Koenigswald 237f.
i; 270. Herero: //, v. Frangois, Nama und Damara 163. - Wakisi und Manda: //.
Seidil, Körperverunstaltungen, Glob. 80, 291. - Wahima: Weiss, Land und Leute
von Mpororo 164. — Mombassa: Wehrmeister, Vor dem Sturm 28. - A nin- Busch-
leute: Hans Kaufmann, Die Auin, in Mitteil. a. d. Deutschen Schutzgeb. 23, 140. —
Howa: Comboui im Anthrop. IV. 384. — Samoa: von Hesse-Wartegg, Samoa, Bis-
tnarckarchipel 234. - Kambodja: Aymonier im (Hob. Is. 158. — - Tongkin: //.
Seidel im Glob 57, 247. Katschin (in Burma): Gilhodes, La Culture materielle
des Katchins, Anthrop. V, 621.
Anhang I. Zitate. 357
§ 272. Schweden u. Norwegen: Höfler, Lichttneßgebäcke in Ztsehr. d. Vereins f. Volks-
kunde 15, 310; derselbe: Das Spendebrot bei Sterbefällen im Glob. 80, 93 ff. — Athen:
Plntarch, Theseus c. 22. — England: Charlotte S. Burne in Folk-Lore Journal IV,
London 188(5, S. 357 f. — Yorkshire: Joung in County Folk-Lore II, 267.
§ 273. Eisleben: F. Kunze (nach Möbius) in Zeitschr. d. Vereins für Volkskunde, Jahrg. 6,
S. 18 f. — Liebauer Tal: Patschovsky, in Mitteil. d. Schles. Gesellsch. f. Volkskunde,
Bd. II, H. IV, 34. — Porto: M. Abeking (nach TkeophUo Braga), Der Weihnachts-
monat in Portugal, im Glob. 74, 387.
§ 274. Alnwick: Balfour-Northcbte, County Folk-Lore IV, 79. — Münchener Vorstädte:
Reichling- Meldcgg in ihrem anonym erschienenen „Weihnachts-Gruß eines Muenehner-
kindl" 7.
§ 275. Siehe verschiedene hierher gehörige Zitate als Randbemerkungen zum Text.
Shetland: Black, County Folk-Lore III, 197 f. — North umberla nd: Balfour-
NoHheote, County Folk-Lore IV, 80. — Yorkshire: Mrs. Gutch in C. F.-L. II (1901),
S. 274f. — Suffolk County: Gurdon, C. F.-L. 1893, S. HOf. — Northumber-
land: Balfour-Northcote, C F.-L. IV. 79 u. 88. — Lerwick: Black, C. F.-L. III,
20J. — Fröhden: Paul Otto, Gebräuche und Spiele usw., in Ztsehr. d. Vereins f.
Volkskunde, 9. Jahrg., Berlin 1899, S. 441 f. — Oberbayern: Reichlin- Meldegg,
Weihnachts-Gruß 7- — Lothringen: Brunn Stehle, Volksglauben usw., im Globus 59,
378. — Tirol: Oswald Menghin in Ztsehr. d. Vereins f. Volkskunde, 20. Jahrg., 387fl'.
— Liebauer Tal: Patschovsky, Beiträge 49. — Liebental: Drechsler in Mitt. d. Schles.
Gesellsch. f. Volkskunde I (1896). S. 60 IT. — Tschechen und Mähren in Schlesien:
Tetzner 322. — Serben im Banat: Richard von Strele, Weihnachtsfeier usw., in Ztsehr.
d. Ver. f. Volkskunde 15, 179 f. — Mordwinen: Jidm Abercromby, The Beliefs and
Religions Ceremonies of the Mordwius (nach Melnikof), in The Folk-Lore Journal,
London 1889, VII. 13". 11". — Hopi (Moki)-Indianer : Willy F. Fischer, Ein „Julfest"
bei den Jloki, in Völkerschau II, 257f.
£ 276. Kärnthen: Rud. Waizer, Amthor, Der Alpenfreund 1876, IX, 6, S. 374. — Geisel-
tal: Max Adler, Allerlei Brauch u. Glauben aus dem Geiseltal, in Ztsehr. d. Vereins
f. Volksk. 14, 427. — Lissabon: Abeking-Braga, Der Weihnachtsmonat in Portugal,
im Glob. 74, 388. — Vlämen: J. von Düringsfeld, Forzino 145.
§ 277. Mordwinen: Abercromby (nach Melnikof): The Beliefs and Religions Ceremonies
of the Mordvins, in Folk-Lore Journal, London 1889, VII, S. 6.">ff. — Yorkshire:
Gutch in County Folk-Lore II (1801), pp. 270f. u. 230. — Neugriechenland:
0. Ernst, Neugriechische Familien- und Kirchenfeste, in „Unsere Zeit" 1881, 10, S. 622.
— China: Ereitncr. im fernen Osten 175; Katscher, Bilder aus dem chinesischen
Leben 120; Euntze, Um die Erde (1881), S. 175. — Söul: Watters in Folk-Lore VI
(1895), p. 83 f.
i; 278. Bedano: T". Pellandini, Usi e costumi di Bedano, in „Schweizerisches Archiv für
Volkskunde", 8. Jahrg., p. 248. — Tal von Mexiko: Frederick Starr, Catalogue,
p. 76. — Tschechen a. Mähren: Tetzner, Oie Tschechen und Mähreu in Schlesien,
im Glob. 78, 322. — Ostpreußen: J. von Meiern, Ostpreußische Volksgebräuche, in
Ztsehr. d. Vereins f. Volkskunde, Jahrg. 7, 3161'. — Niederrhein: O. Schell, Drei
Königslieder vom Niederrhein, in Ztsehr. d. Vereins f. Volkskunde, Berlin 1897, S. 90 f.
— Vlämen: J. e. Düringsfeld, Forzino 145. — Schweiz: Höfler, Die Gebäcke des
Dreikönigstages, in Ztsehr. d. V. f. V. 14. 265. — Steiermark: P. E. Rosegger, Sitten-
bilder aus dem steierischen Oberlande 49.
§ 279. Ell wangen: A)iton Birlinger, Sitten und Rechtsbräuche, 2. Bd., S. 31. — Sater-
land: Strackerjan, Aberglaube und Sagen aus Oldenburg, 2. Bd., S. 37. — Anhalt:
Oskar Härtung, Zur Volkskunde aus Anhalt, in Ztsehr. d. Vereins f. Volkskunde,
7. Jahrg. (1897), S. 75. — Leobschütz usw.: P. Dittrich, Schles. Ostergebräuche,
in Mitteil. d. Schles. Gesellseh. f. Volkskunde 1 (1896), 11. II, S. 101. — Rhön:
L. Höhl, Rhönspiegel 87. — Fulda: B. Spieß, Europa 1881, Nr. 10, S. 375. — Esta-
858 Anhang I. Zitate.
vayer: Volmar, Us et coutumes d'Estavayer. — Bedano: V. Pellandini, Usi e costurni
di ßedano 248 f.
§ 280. Lausitz: Mannhardt bei K. Th. Preuß, Phallische Fruchtbarkeits- Dämonen, im
Archiv f. Anthropol., Bd. 29, N. F., S. 139 f. — Altes Mexiko: Prmß, ebenda. —
Kroatien und Slawonien: Fr. Huber, Die Frühlingsfeier der Slawen, im Glob. Bd 38
(1880), S. 32G. — Liebauer Tal: Patschovsky, Beiträge zur Schles. Volkskunde a. d.
Liebauer Tal, in Mitt. d. Schles. Gesellschaft f. Volkskunde II, H. IV, 33 u. 50f. —
Pfalz: L. Fränkel, Das Sommertags- oder Staubaus-Fest in der Pfalz, in Ztschr. d.
Vereins f. Volkskunde, 9. Jahrg., Berlin 1899, S. 207 f. — Kronacher Gegend:
A. Schuster u. A. Ziegelhöfer, Volkspoesie im Bamberger Land, in „Das Bayerland",
19. Jahrg. 1908, Nr. 31, 2. Blatt. — K hätisch-romanisehe Schweiz: Lechner,
Das Tal Bergell 94; Caviezel, Das Überengadin. — Vorderschweiz: Spruchgedichte
und Volksbräuche aus der Vorderschweiz, in Ztschr. d. Vereins f. Volkskunde, 5. Jahrg.,
Berlin 1895, S. 386. — Vlämen: Wetzer u. Weites Kirchenlexikon, 2. Aufl., 4. Bd..
1410. — Bristol: County Folk-Lore I (1895), p. 19.
4) 281. Bamberg: Max Lingg, Kultur-Geschichte 1, 159 f.
§ 282. Nordthüringen: Rud. Reichhardt, Volksbräuche aus Nordthüringen, in Ztschr.
d. Vereins f. Volkskunde 13, 3S6. — Liebauer Tal: Patscliovsky, Beiträge 52.
— Leobschütz: P. Dittrich, Schlesische Osterbräuche, in Mitt. d. Schles. Ges. f.
Volkskunde I (1896), H. IL S. lOf. — Nördliches Baden: Otto Heilig, Karfreitags-
glocken, in Ztschr. d. Vereins f. Volkskunde, 20. Jahrg. (1910), 398f. — Süddeutsch-
land: Richard Andree, Ratschen usw., in Ztschr. d. Vereins f. Volkskunde, .0. Jahrg.,
Berlin 1910, S. 254. — Bedano, Kanton Ticino: Pellandini, Usi e costumi di Be-
dano, im Schweiz. Archiv f. Volkskunde, 8. Jahrg., 4. H., S. 248. — Malschenberg
bei Heidelberg: Heilig, Karfreitagsglocken, in Ztschr. d. Vereins f. Volkskunde, 20. Jahrg.,
S. 398f. — (England) York: Halliwell in County Folk-Lore II, London 1901, 244 f.
- (York) Whitby: Ghdch, County Folk-Lore II, Londonl901, S. 245f. — Neudorf
auf d. Harze: Oskar Härtung. Zur Volkskunde 76f. — Kiebensdorf , Gouvernem.
Worönesh: Bruno Adler, Die deutsche Kolonie Riebensdorf im Gouvernement Wo-
ronesh, im Glob. 87, 39. -- Borkum: H. Meier im Glob. 1876, S. 382. — Ober-
pfnlz: Albert Bierling, Erinnerungen aus der Überpfalz. — Gerstungen b. Eisenach:
Fr. Schmidt im Glob. 1870, S. 209. — Schlesien: F. Yogi, Mitt. d. Schles. Gesellsc.h.
f. Volkskunde I. 54: P. Dittrich, Schles. Osterbräuche, ebenda I, Heft II, 12. —
Radisleben: Oskar Hartimg, Zur Volkskunde 76 f. — Epinal: Otto Kamp, Frankreichs
Kinderwelt 400.
§ 283. Azoren: M. Longtcorth Dames u. E. Seemann, Folklore of the Azores. in Folk-
Lore XIV, 137 ff. — Riebensdorf: Adler 39. - Weisweil: Otto Heilig. I'lingst-
ii. Johannisfeier im nördlichen Breisgau, in Ztschr. d. Vereins f. Volkskunde, Berlin
1897, S. 328f. — Saargegend: Karl Lohmeyer, Der I'fingstquak in der Saargegend,
in Ztschr. d. V. f. V., 20. Jahrg., 399 IT. -- Molschieben: Rudolf Reiehhardl.
Thüringer Pfingstvolksfest, ebenda 14. J., 418 IT. — St. Georgenberg: Drechsler.
Schlesische Pfingstgebräuche, ebenda 10. J., 252. — Fricktal, Aargau: Bower, The
Elevation and Procession of the Ceri at Gubbio, Kapitel: May and Summer Trce-
Festivals 71 IT.
§ 284. Javier: Amin l'urtuschke, in Mitteil. d. Schles. Gesellseh. f. Volkskunde II. II. III.
S, 24. — Whalton: J. F. Elliot Bates, in The Denham Tracts II, 342. — Araber
und Berber in Marokko: Edward Westermarck in Folk-Lore XVI, 30 ff. u. 42. -
Spanien u. Mexiko: Christoph Gottl. von Murr. Nachrichten von verschiedenen
Ländern 79. — Nördliches England: The Denham Tracts II, 1 f.
S 2S5. Achtcrneed, Ross-shire: Walter Gregor, Notes on Beltane Cakes, in Kolk-Lore VI
(1895), p. 2. — Lincolnshire: Dorothea Townsend in Folk-Lore IX (ls9S). p. 276.
— Oxford: Percy Manning, Some Oxfordshire Seasonal Festivals, in Folk-Lore VIII,
307f. — Gloucester: Counly Kolk-Lore I, 18. — Thaun. Elsaß: Percy Manning
307 1. c. — Bedano: Pellandini, I si e costumi di Bedano, im Schweiz. Archiv f. Volk.-
Anhang I. Zitate. 859
künde 8. J., p. 249f. — Eslavayer, Kanton Freiburg: Josef Yolmar, Us et cou-
tumes d'Estavayer. im Archiv Suisses des Traditions Populaires 6. annee, 2. livr.,
pp. 9 ff. — ■ Salles a. d. Marne: Otto Kamp, Frankreichs Kinderwelt 43. — Japan:
Anesaki in Kolk-Lore XII, 71.
:§ 286. Mordwinen: Abercromby, The Beliefs usw., in The Folk-Lore Journal VII, 107 ff.
(uach Mdnikof). — Fgin (Armenien). Mesopotamien u. Trapezunt: J. Rendel
Harris, Notes from Armenia, in Folk-Lore XV, 427 ff. — Cumanen: Jones-Kropf,
The Folk-Tales of the Jlagyares, Introduction XVI — Rhöngebirge: Aug. Schmidt
im ßayr. ärztl. Intelligenz-Blatt 1880, S. 362. — Ruhla. Thüringen: Herbert M.
Boicer, The Elevatiou and Procession of the (,'eri at Gubbio (Kapitel: May and Summer
Tree- Festivals) 71 ff.
§ 287. England: C. S. Burne, Fifth of November Customs, in Folk-Lore XIV, London
1903, p. 89ff. — Bretagne: Alte Sitten in der Bretagne, im Glob. 98, 327.
§ 288. Schlesien: Drechsler, Sitte 218. — Indien: Helene Niehaus, Zenana-Leben 249. —
Mungeli Tehsil (Bilaspur-Distrikt): Gordon, Some Notes. — Kan-su: Dols 7(i7.
Peking: Stenz (nach Grube) im Glob. 80, 275. — Papua: Krieger, Neu-Guinea 164. —
Mongolen: .1/. v. Beguelin: Religiöse Volksgebräuche der Mongolen (uach Posdnäjew),
im Glob. 57, 209f. — Kirgisen: Brehm 418 f. — Maya: Bancroft 11,662; Torque-
mada II, 448. — Mixteken: Bancroft II, 281.
§ 289. Vuatom: Otto Meyer, Mythen und Erzählungen von der Insel Vuatom, im An-
thropos V (1910), S. 715. — Rumänen: Bob. Prexl, Rumänische Brautwerbung, im
({lob. 55, 61.
■§ 291. Transsy Ivanische Zeltzigeuner: H. von Wlislocki, Gebräuehe d. transsylv. Zelt-
zig., im Glob. 51, 250f. — Farsistan: Dieulafoy im Glob. 46,294. — Kreta, Sparta,
Athen: Wachsmut 2, 365 u. 3671'. — Albanien: Cozzi, Malattie, Morte, Fuuerali
nelle Montagne dAlbania, im Anthrop. IV, 905. - Rom: Mommsen I, 3, 868. -
Germanen: Tacitus, c. XX. — Württemberg: G. Zappert, Über das Badewesen
mittelalterlicher u. späterer Zeit, im Archiv f. Kunde Österreich. Geschichtsqiullen,
21. Bd., Wien 1859, S. 158. -- St. Gallen: Hoft'manu-Krayer, Volksmedizinisches,
im Schw. Archiv f. Volkskunde, Jg. 8, H. 2, S. 145. — Rumänen: Prexl im Glob.
47, 28. — Arabisches Ägypten: Laue 79f. — Port Said: H. Morin, Unter der
Tropensonne, in Natur und Kultur VI (1909), S. 454. — Yemen: Manzoni 52. —
Altes Ägypten: J. XVolff in Natur und Kultur V, 678; Gaston Maspero, Ägypten
und Assyrien 1.!; Wilkinson Birch, The Manners and Customs of the Ancient Egyptiens,
N. Ed. II, 334. -■ Fellachen: B. T. K. im Glob. 79, 106. — Social: G. Becoil
im Glob. 1880, S. 2S1 : P. Moses, Somaliland und seine Mission, in „Die kathol. Mis-
sionen" 1909,1910, S. 163. Uganda: Afrika-Bote. 8. Jaürg., S. 77. — Yao: Weide,
Negerleben 197 f. (vgl. 345f, 357ff.). — Suaheli: Ebenda 461. — Loango-Küste:
Pechuel-Loesche in Ztschr. f. Ethnol. 1878, S. 17. - ■ Batak: W. Ködding 92. —
Samoaner: Kabary im Glob. 47, 71. — China: Stenz, In der Heimat 9 ff. ; Dols 7 GS.
— Ao-Nogas: Molz 68. — Kirgisen: P. v. Stenin, Die Kirgisen des Kreises Saissamk,
im Glob. 69, 228. — Üstjaken: Castren, Reisebriefe 12If. u. Anm.; Brehm, Vom Nordpol
365: Patkanoiv I, 79, 82ff. — Samojeden: De Dobbeler, Die Samojeden, im Glob. 49,
200. — Tungusen: Glob. 1881, Bd. 40, S. 123. — Eskimos (am Cumberland-Sund):
Abbes im Glob. 46, 216. — Gros Ventres: Boller bei Benz, Des Indianers Familie,
Freund u. Feind 127. — Mayas: Bancroft II, 681. — Azteken: Derselbe II, 242. —
Pirna: Josef Och bei von Murr, Nachrichten 199f. — Inka-Peruaner: Picard,
Ceremouies et coutumes relig. I, 205.
§ 292. S. Lefmann, Die Geschichte des alteu Indiens 106; M. Duncker. Geschichte der
Arier 185. — Alte Perser: Rawlinsons Herodotus I, 262f. u. Anm. 1, 2. — Neu-
zeitl. Perser: Ella C. Sykes im Glob. 98, 351. — Alte Griechen: Wachsmuth 2,
354 ff. — Rom: Mommsen, R. G. I, 3, 868f. u. I, 2, 471. — Cleve u. Mark: 11" Meiners,
Landschulwesen im Herzogtum Cleve vor hundert Jahren, im Archiv f. Kultur-Geschichte,
3. Bd., Berlin 1905, S. 345f. — Südrussische Juden: Weissenberg, Kinderfreud
860 Anhang I. Zitate.
3 1 7 f. — Arabia Petraea: Musil III, 229. — Mekka: Keane, Six nionths in the
Hejaz 53ff. u. 47 f. — Arabisches üstafiika: H. F. v. Behr, Die Völker zwischen
Rufiyi u. Rovuma, in Mitt. a. d. Deutschen^ Schutzgebieten 6, 73. — (Arabisches).
Ägypten: Cromer II, 160. — Fessan: Lyon, Travels 287 u. 186f.; Hartmann,
Xaturgeschichtl.-medicin. Skizze der Nilländer. II. Abth., S. "229. — Altes Ägypten:
J. Wolf, Aus d. Privatl. d. alten Ägypter 6781'.; Herodot bei Cromer II, 160. — Bn'ber:
Qutden fehlt in Ztschr. f. Ethnol., 20, 159. — Galla: Schuver in Petermanns Mitt..
Ergzgh. 7. 2, 31.
Sj 293. Km: Lighton Wilson, Westafrika, a. d. Engl, von Lindau (1862), 83. — Gold-
käste: Vortisch, Die Keger der Goldküste, im Glob. 89, 280. — Ewe: Zinnie} in
Ztschr. d. Gesellsch. f. Erdkunde, Berlin 1877, XII, 392. -- Ngumba: L. Conradt,
Die Xgumba in Südkamerun, Glob. 81, 336. -- Unterer Kongo: John H. Wecks,
Customs of the Lower Congo People, in Folk-Lore XX (1909), 472. - Herero:
H. V. Francois, Nama u. Damara 197. — Wapogoro: Fabry 222. — Luktiledi:
Welt nun nl er. Vor dem Sturm 63f. u. 66. — Basuto: Chr. Stech im „Daheim" 1879,
S. 383. — Nama: H. r. Frangois, Nama und Damara 232. — Batak: II". Ködding 92 ;
Wamerk -.8. — Kubus: Tob 105. — fiota. Jap u. Korror: Jahresbericht 1911
aus den Missionen der rheinisch-westfälischen Kapuziner-Ordensprovinz auf den Karo-
linen-, Mariannen- u. Palau-Inseln . . . 471'. u. 57. — Jap: Senff't, Die Rechtssitte 142.
— Kaiser- Wilhelms -Lau d . Britisch- u. II olländisch-Neu-G ui nea: Krieger,
Neu-Guinea 167, 296 u. 390f. — Kami: Egidi, Questione. im Anthropos V, 755. —
Neu-Oaledonien: J. J. Atkinson in Folk-Lore XIV, London 1903, S. 248. — Viti:
Williams, Fiji and the Fijians I. 134. — Australien: F. Christmann, Australien 350;
K.E.Jnng, „Aus allen Weltteilen" 1877, S. 347: Globus 56, 123; Salvado 311.
§ 294. Japan: Alcock, Im Ausland 1881. S. 166; Isab. Bird, Reise durch Japan, im Glob.
1881, Bd. 39. S. 157. — Korea: Arnous, Ch. u. M. d. K., im Glob. 67. 304 a. 376;
derselbe: Die Frauen . . ., im Glob. (iti, 157 ff. — China: James Legge, The Chinese
Classics I, Chapt. VI u. VII; L. Kaischer, Hilder aus dem chinesischen Leben 5 1 :
■Stenz, Aus der Heimat des Konfuzius 911'.. 18, 22, 35, 42, 186f.; Frhr. von Rieht-
hofen, Tagebuch I, 261. — Annamiten: Glob. 58, 266. — Thai: Bourlet, Les Thay,
im Anthropos II, 356f. — Burmanen: Pilate, En Birmanie, in Le Tour du Monde,
X. S. 17« Annee (1911), p. 482. — Nichtarisches Vorderindien: Willi. Hoffmann,
Der Zustand des weiblichen Geschlechts in der Heidenwelt 32, 47 f.. ~>1 u. 54; Thwston
im Glob. 91. 100. — Toda: Harkncß 17 f.
§ 295. Baschkiren: P. von Stenin, D. n. E. ü. d. B. 156. — Turkestan: 2V. v. Seidlüz
im (Mob. 56, 333. — Giljaken: L. v. Schrenck III. 640—645. — Ainos: //. v. Siebold
in Ztschr. F. Ethnol. 18S1. Supplem., S. 30; Isab. L. Bird im Glob. lssl. Bd. 39,
S. 218. — Kamtschadalen: Steller 349 ff. . K. von Ditmar, Reisen u. Aufenthalt in
Kamtschatka, in Bd. VII der Beiträge zur Kenntnis d. Russ. Reiches 428. — Eski
Bessels, Polaris-Expedition 366; Saabye 1571'.; Nansen, Eskimoleben (Epzg. 190
S. 130; Eivind Astrup 205; Garde im Glob. 48, 108; H. Hink in „Die Natur" 1879
S. 363. — Indianer: Th. Wait;, Die Indianer Nordamerikas 101; F. Midier. Allgem
Ethnologie (Wien 1873), S. 250. — Botokudcn: l'rin: zu Wird. Heise nach Brasil
391. u. 43 (vgl. Benz, Des Ind. Familie 41). — Gros Ventres: Jioller. AmODg
the Indians, 56 (vgl. Benz, ebenda). - Östliche Sioux: Mooney, The Siouan
Tribes of the East, 33. — Chippeway: Long (nach der Mitteilung eines .Missionars)
in See- u. Landreisen 115. — Lenni Lenape: Hirkncelders Nachricht 145IT. ivgl.
Benz, •>■ e. 17<l u. 1761'.). — Ottawa: Tanners Denkwürdigkeiten 1211. u. 171". —
Apachen: Sjjrni.j im Glob. 48, 171; S. W. Cozzen, The Marvelous Countrv. 121.
- Insel-Karaiben: Dapper, Die l'nl.ekannte Neue Welt 207. — Mayas: Boncrofl
II, 663f. — Azteken: Derselbe II, 256, 242. — Tükano: Koch-Grünberg, Women
all Nations 380f. u. Zwei Jahre unter den Indianern 11. 150. — Feuerländ r:
Hyades im Glob. 49, S. 35 u. 38.
Anhang I. Zitate. gßj
§ 296. Sohlesien: Drechsler. Streifzüge 49 ; derselbe, Sitte 217. — Spreewald: Tr. v. Schulen-
burg. Wendische Volkssagen u. Gebräuche aus dem Spreewald. — Esthern Magazin
f. d. Literatur d. Auslandes 1876, Xr. 10, S. 140. — Haiti: Metzger (nach Spenser
St. John) im Glob. 47, 265. — Griechen: Beruh. Schmidt. Das Volksleben der Neu-
griechen I. 133. — Maroniten: Chemali. Naissauce 745. — Arabia Petraea: Musil
III, 322 f. — Kru: Lighton Wilson, Westafrika, a. d. Engl. v. Lindau 83. — Nege-
rinnen in Washington D. C. : Ch. Griffith Hoffmann im Glob. 73, 88. — Australien:
Karl Emil Jung in „Natur" (von Müller) 1877, Nr. 38, S. 525. — Korea: Korea
Revue, Vol. I, Januar 1901, p. 20. — Aymara: Chr. Kusser. Das Chilinchili-Fest
der Aymara, im Glob. 52, 1 23 ff. — Feuerländer: Glob. 49, 39 (nach Hyades).
§ 297. Indien: Wilhelm Hoff'mann 15, 33, 43, 36 u. 56; Zitelmann, Indien 56f. — Persien
(neuzeitliches): Sykes im Glob. 9S, 351. — Germanen: Grupp, Kultur d. alten
Kelten u. Germanen 231f. — Beduinen d. arab. Halbinsel: De St. Elie im
Anthropos III, 66. — Yemen: Renzo Manzoni, El Yemen 49 u. 201. — Tunesische
Ostküste: B. Fitzner, Aus dem Eranenleben a. d. tun. Ustk,, im Glob. 57, 222. —
Berber: Bohlfs 71f. — Makonde-Plat eau: Weide 342. — Lukuledi: Wehrmeister
63. — Makololo: Holub in Mitteil. d. geograph. Gesellsch. in Wien 1879. Nr. 2.
S. 90. — Unterer Kongo: Weeks 424. — Ngumba: L. Conradt, Die Ngumba in
Südkamerun, Glob. 81, 336. — Howa: Camboue, Les dix premiers ans de Tenfance
chez les Malgackes, Anthrop. IV, 384f. — Batak: Frhr. V. Brenner, Ein Besuch
251. — Samoa: Eubary im Glob. 47, 72. — Korea: Hamilton, Korea 14 ff. u. 108.
— China: Stenz, In der Heimat des Konfuzius 31 f. ; Joh. Hcinr. Plath, Über d. häusl.
Verhältnisse d. alten Chinesen 34 ff. — Thai: Bourlet, Les Thay im Anthropos II
(1907), pp. 356f. — Alno: H. D. Siebold in Ztschr. f. Ethnol. 1881, Supplement 30.
— Eskimo am Mackenzie- u. Anderson-Fluß: F. Müller. Allgem. Ethnogr. (Wien 1873),
S. 204; Garde im Glob. 48, 108. — Nordindianer: Hearne bei Benz, Des Indianers
Familie 189. — Algonkiu-Stämme : Long, William Wood u. Schoolcraft bei Benz,
ebenda 154ff. — Altes Mexiko: Bancroft II, 242. — Goajiros: Begel, Kolumbien
168. — Juri: Koch-Grünberg, Women of all Nations p. 381. — Kobeua: derselbe,
Zwei Jahre unter d. Indianern II, 150. — Caraya-Indianer: G. v. Koenigswald 237.
— Feuerländer: Frederick Cook, Die erste Südpolarnacht 100ff.; Hyades im Glob.
49. 35— 3S.
§ 298. Nordgermanen: Altere Edda, Lied von Bigr, Übers, v. Simroek. — Litauer:
F. Tetzner (nach Brand) im Glob. 73, HOff. — Berber: Rohlfs 71 f. — Makua u.
Wayao: Wehrmeister 63. — Abanyai: Prestage, Zambesi Mission liecord, May 1808,
p. 17. — Unterer Kongo: Weeks 424. — Xgumba: L. Conradt, Die Ngumba in
Südkamerun, im Glob. 81, 336. — Ho: Fies 77. — Hova: Camboue, Le dix premiers
ans 384. — Deutsehe Südsee: Hollrung im Glob. 54, 339. — Marschall-Inseln:
Carl Hager, Die Marsehall-Inseln 76. — Neuguinea: Krieger 167 u. 296. — China:
Stenz, In der Heimat 9 ff.. 13 ff. : Frhr. von Bichthofen, Tagebuch 1, 261. — Thai: Bourlet,
Les Thay 356 f. — Samojeden: De Dobbeler im Glob. 49, 200. — (Indianer), Jäger-
stämme: Schoolcraft a.Long hei Benz, Des Ind. Familie 154 f. — Karaiben: Schomburgk,
ebenda 64. — Feuerländer: Hyades, ebenda 8. — Altes Mexiko: Bancroft VI, 242.
S 299. Arabia Petraea: Musil III, 229. — Oberägypten: Lane 1, 268. — Somali:
Bevoil im Glob. 47, 326. — Wapogoro: Fabry 222. — Hova: Camboue. Les dix
premiers ans 384f. — Monumbu-Papua: Franz Tormann, Zur Psychologie .. . der
Monumbo-Papua, im Anthropos V. 407 ff. — Katchin: Gilhodes. ebenda 621.
§ 300. Germanen: Grupp. Kultur d. a. Kelten u. Germanen 231 f. ; Ältere Edda, Übers.
Simroek, Lied von Bigr. — Indien: Zitelmann i,9 f. — Bedja: B. Hartmann,
Naturgesch.-medic. Skizze der Nilländer II, 296. — ilakua u. Wayao: Wehrmeister
63. — Makondeplateau: Weide, Negerleben 348. — Makololo: Holub in Mitteil.
d. geogr. Gesellsch. in AVien 1879, Nr. 2, S. 90. — Abanyai: Prestage in Zambesi
Mission Record, May 1898, p. 17. — Hoer: Fies 77. — Aetas: .4. Br. Piehler, Die
Ajitas (Aetas) der Philippinen, im Glob. 96, 197. — Japan: Mishima, Japanische
862 Anhang I. Zitate.
Schulhygiene 1 — 10; Kinza Ringe M. Hirai. Japan wie es wirklich ist 20. — Kam-
bodscha: E. Aymonier im Glob. 48, 158. — Baschkiren: Peter v. Stettin. D. n. F
üb. d. B. 156. — A'inos: Heinrich V Siebold in Ztschr. f. Elhnol. 1881. Supplem. 30.
— Sara-Sioux: Mooney bei Renz, Des Indianers Familie 1 16 f. — Apachen: Spring
im Glob. 4S, 171. — Caraya: G. V. Koenigsicald 237. — Goaji'ros: Regel, Ko-
lumbien 168.
§ 301. Indien: Massie bei II". Hoffmann. Der Zustand 51 u. 54: Josef Dahhnann, Das
altindische Volksthum, 107 u. 109; 11' Hoffmann o. c. 13, 43, 51; E. Schröder
2>ß: Zitelmann, 54f. u. ">8. — Kelten: Grupp, Die Kultur der alten Kelten und
Germanen 123. — Griechenland: Wachsmulh, 2, 354 ff. — Lydien: Mommsen,
Köm. Gesch. 5 Bd.. Berlin 1885, S. 334f. — Rom: Mommsen I. 3, 868 f.. 877ff-,
881; II, 4. 429ff.; 111. 557 ff. — Germanen: Weinlwld. Die deutschen Frauen, 2. AuH.,
S. 90 u. !25; Grupp, Kultur d. alten Kelten u. Germanen 231 f.; Altere Edda. Übers,
von Simrock, Lied von Rigr. — Christliches Mittelalter: Siebengar tner, Volks-
schule. In Wetzer und Weites K.-L. 2. Aufl. 12. Bd.. 1048 f ; Ploß, D. K., 2. Aufl.,
11, 351 ff.; A.Franz, D. Kirchl. Benediktionen II, 257 ff. — Pommern: MarHnWehr-
mann. Von der Erziehung u. Ausbildung pommerischer Fürsten im Refurmationszeit-
alter. im Archiv f. Kulturgeschichte, 1. Bd., Berlin 1903, S. 268 f.
!; 302. Assyrien: Maspero. Ägypten u. Assyrien. S. 238. — Alttestam. Israeliten:
König. In Wetzer u. Weites K.-L., 2. Aul!.. 7. Bd.. 460. — Juden der Bukowina:
Kaindl, (ilob. 80, 134 f. Südrussische Juden: S. Weißenberg, Kinderfreud u.
Kiuderleid b. d. südruss. Juden, 318 f. — Arabien: G. Giehtel, Kleine Bilder aus
Tunis, in Natur und Kultur VII. 4ti3. — Arabisches Ägypten: Karl of Oromer,
Ködern Egypt., Vol. 11. 539f : Mustafa Bei. Die mohammedanische Frau im (<]ob.
66, 141; Hamilton Fyfe, im Feuilleton der Sehles. Volksztg. Nr. 166. 13. April 1910;
Hartmann, Xaturgesehichtl.-medizin. Skizze der Nilländer. II. Abth. Berlin 1860,
S. 229; Gelliow-Danglar, Lettres sur l'Egypte contemporaine, Paris 1876. — Mekkah:
Keane. Six months in the Hejaz, 53 ff. — Yemen: R. Manzoni, El Ymen 49 u. 201
Arabische Beduinen: .4. .1/. de St. Elie. im „Anthropos" III. tili. — Arabia Petraea:
Musil III. 229 u. 232 f. — Lied De lim. Sahara: G. Doids. Erlebnisse. 25
Sukkot- u. ilahaß- Xubier: Burckhardt, Travels in Nubia, p. 47 Anm. — El-
Bedjah (Bischarin): R. Hartmann, Naturgesch.-medizin. Skizze der Nilländer II.
296. — So mal: Burton, First Eootsteps, 123; Vanutelli-l '*>> rni, Vlaggio d'Esplorazio
Ferrand, lies Qomalis. — Abessiuien: Friedrich J. Bieber, Durch Südäthiopien zum
Nil. im (Hob. 97. 72f. — Kabylen: .4. Lissauer. A. u. a. S. ü. d. K. 523f. —
Kopten: Laue II, 321. — Altes Ägypten: .7. Wolf. Aus dem Privatleben d. alt.
Ägypt., 679; Wükinson-Birch I. 175 i'.
§ 303. Tanganika: J. Roos. im ,.Afrika-Bote", 9. Jahrg.. S. 270f. — Makua u. Wayao:
Wehrmeister, Vor dem Sturm, 63 u. 23 f. — Kurasini, ebenda, 220 f. — Khodesia:
Zanibesi Miss. Record, Vol. 1, 1898. p. 266. — Fort Salisbury: Notes and Extracts,
ebenda, 9. — Matebele, ebenda. II (1904), S. :;77 ff. u. 392 ff. — Angoni-Land:
Hiller, aus der Jesuitenmission am Zanibesi, im „Echo aus Afrika". XXI. Jahl
S. 1241'. — Kap-Kolonie: J. Byan, in Zambesi Miss Kee. I (Apl. 1900), S. 2l
Calabar: Jos. Kraft im „Echo aus Afrika". XXI. 141. — Aluru: Fr. Xav. Geifer
in „Kathol. Missionen", 1910, S. 241. — Haiti: F.. Metzger mach Spenser St. J<
im Glob. 47. 2321'. u. 2S1 f. — Borna: Durand im Bulletin de la societe de <■
graphie. Paris 1876. p. 420. — W'ai: Oskar Baumann im (ilob. 52, 239. — Auin:
Kaufmann 159. — Madagascar: Camboui, Les dix premiers ans. Antbrop. I\'. '■'•>)■■.
C. Keller. Die ostafr. Inseln, 78. — Batak: Meyners d Estray in „Exploration" Is77:
Frhr. v. Brenner, Ein Besuch, 293 ff u. 166. — Flores: A. Jacobsen u. //. A
Reise in Niederländisch-Indien, Glob. 55, 200f. - Java: Emil Metzger, Herrscher
und Beherrschte auf Java, Glob. 56, 9. — Deutsche Südsee: M. Hoürung, Mas
deutsche Sohutzgelmt, (ilob. 54. 339. — Papuas: Krieger, Neu-Guioea, 1 « ;-t . li>7. 176
u. 296. — Karolinen u. Marianen: Kilian Midier. Bericht über d. Mi äionen d.
Anhang I. Zitate. gti3
rheiniseh-westfäl. Kapuziuer-Ordensprovinz auf den Karolinen usw. 1908, S. 7, 11 14,
19 u. 28. -- Rota u. Korror: Jahresbericht 1911 aus den Missionen der rheinisch-
westf. K.-O. usw. — Samoa: Kübary im Glob. 47, 72; Deeken, Manuia Somoa,
121 f. — Tahiti: „Die Kath. Missionen-', 39. Jahrg. (1910/1911), S. 256. —Australien:
ebenda, 258; Christmann, Australien, 350.
§ 304. Japan: Hirai, Japan, wie es wirklich ist, S. 22f. u. 19f.; J. .7. Rein, Japan, 2. Aufl.
1. 590 ff; Lehzen, Reiseerinnerungen aus Japan u. China im Glob. 56, 298; Hugues
Krafft im Glob. 48, 220; Max Jacobi, Das staatliche Schulwesen Japans, in „Alte
u Neue Welt", 42. Jahrg. 1907/08, S. 30f. — Korea: The Korean Review, Januar-
heft 1901; Hamilton, Korea, 26f., 109, 232, 104ff. u. 44. — China: J. Doolittle,
Social Life of the Chinese I, 370 f.; Stenz, In der Heimat des Konfuzius, 12—17,
31 f.; J. Dols 768f.; Ferdinand Frhr. v. Richthofen, Tagebücher I, 158f. u. 217;
Nuova Autologia, Anno 43, (190S) Fase. 880, p. 669; Die Kathol. Miss., 37. Jahrg.
(1908/09), S. 158; Le Tour du Monde, Xouv. Serie, 16, annee 1910, p. 372. — Khmer
(Kambodscha): Gutsdon, La Litteratufe khmere et le ßuddhisme in Anthrop. I,
IM f., 96, 99—101. — Thai: Bandet, Les Thay im Anthrop. II, 359f. u. 363f.
§ 305. Mongolei u. Tibet: Huc u. Gäbet, Wanderungen, D. Übers. 1855. — Ost-
Thi krstan: E. Schlagintieeit im Glob. 17 (1877). S. 365; (Kaschgar): Papier, im
Bulletin de la Soc. de Geogr. 1877, p. 598. — Turkmenen: Jaworski bei Stada im
Glob. 74. 97. — Tataren u. Baschkiren: Peter v. Stenin, Die neue Forschung über
d. Baschkiren, 156. — Astrachan (Tataren, Kalmücken, Armenier): Alfr. Christoph,
Hunte Bilder im Glob. 55, 85. — Kirghisen: Finsch, Reise nach West-Sibirien, 299;
Brehm, Vom Nordpol, 418f.; P. v. Stein. 1). K. d. K. S., Glob. 69, 228. — Tschere-
nnssen: Glob. 52, 47. — Burjäten: M. A. Krols im Glob. 77, 216. — Jakuten:
Friedr. Müller, Unter Tungusen u. Jakuten, 255. — Samojeden: De. Dobbeler im Glob.
49, uO. — Ostjaken: Gastrens Reiseberichte u. Briefe, S. 116.
§ 06. Altes Mexiko: Bancroft II, 242-245; Torquemada, Monarchia (1723) P. 3, p. 28 f.
— Mayas: Bancroft LI, 6b3f. — Inka-Peruaner: Sundstral, Aus dem Reiche der Inkas
l.'.tr, 8. — üneida usw.: G. Bird Grintieü, The Indians of To-Day 153ff. — Mi-
ch 1 1 li mackinac u. Seneca: Mc. Kenney, Sketches 387 u. 428. — Sioux; W.Welsh,
Report of a visit 33 (bei Renz, Des Indianers Familie 128). — Navajos: D. Kath.
Missionen, 37. Jahrg., S. 92f. — Sitkausw.: Woltereck, ludianer von heute, im Glob.
08, 90f. — Comanches u. Caihuas: S. A. Galpin, Report, 5.
§ 309. Kelten: H. D'Arbois, La famille celtique 187 ff. u. Introduction p. V. — Griechen:
Waehsmut, Hellenische Altertumskunde, 2. Ausg., Bd. 2 (Halle 1846), S. 381 ff. u 11;
Jacob Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte, Ausg. Oeri, Berlin 1902, Bd. 4,
S. 146, 414 u. 6118; Josef Müller, Das sexuelle Leben der alten Kulturvölker, in
„Renaissance" H, 244 u. 269f.; Bachofen, Mutterrecht 336 u. 424; Bancroft, II, 468f. —
Perser: Herodot I, 135. -- Juden: 1. Könige 15, 12 u. 22, 47; 2. Könige 23, 7;
1. Mos. 19; 3. Mos. 18, 22 u. 26ff. ; Deuter. 22, 5; Torquemada, Monarchia II, 380.-
Azaamur: Leo Africanus, Beschr. von Afrika 133 f. — Tunis: Heinrich Frhr.
v. Maltzan I, 97 f. — Maskat- Araber: Oskar Baumann, Der Sansibar- Archipel,
H. IL S. 23 u. H. III, S. 10. — Sansibar: Burton, Zanzibar I, 3S0f. — Türken,
Albanesen usw.: Ed. Nolde, Reise nach Innerarabien usw. 263. -- Massai: Max
Weiss, Die Völkerstämme 386. — Wasuaheli: Burton, Zanzibar I, 419 u. 431. -
Hottentotten: Fritsch, Die Eingeborenen Südafrikas 351. — Marshall-Inseln:
Carl Hager, Die Marschall-Inseln 96 f. — Australien: Ferd. Frhr. v. Reitzenstein
(nach Klaatsch), Der Kausalzusammenhang 651 f. — China: Dols, L'enfance chez les
Chiuois de la Province de Kan-sou, im Anthrop. III, 768. — Kamtschatka:
Stellas Beschreibung (Frankfurt 1774), 288f. Anm. u. 350f. Anm. — Aleuten: Th.
L. Mc. Kenney, Sketches 316. — Ottawa: Tanners Denkwürdigkeiten 97 ff. —
Illinois: De Laliontans Historische Nachrichten 386. — Mayas u. Nahuas:
Bancroft II, 677 u. Anm.; Torquemada. Monarchia II, 380, 391 f. 394. — Florida:
864 Anhang I. Zitate.
Ebenda 427; Dapper, Die Unbekannte Neue Welt 172. — Südamerika: Mar/ins, Zar
Ethnographie Amerikas, Bd. 1, S. 112 f.
§ 310. Alte Inder: Josef Müller, Das sexuelle Leben der alten Kulturvölker, in „Renais-
sance" II, 130. — Neuzeit!. Indien: ir. Hoffmann, Der Zustand 16 u. 60. —
Toda: Harkness, A Deseription 77; W. MarshaU, A Phrenologist 2201'. - Ceylon:
Knox, An Historical Relation 92 u. 1991T. ; Percicals Beschreibung der Insel Ceylon,
D. Ü. — Persien: Polak, Persien I, 206. — Attika: Josef Müller, 1. c. II, 242ff.
u. 261. — Sparta: Ebenda 259ff. — Lokri u. Gortyn: Ebenda II, 264. — Rom:
Ebenda II, 325, 3091'., 300, .307, 323; Mommsen I, T. 3, S. 868 f.
§ 311. Ägypter (alte): Wilkinson I, 321; Maspero. Ägypten und Assyrien 6; Bachofen,
Mutterrecht 12 (nach Sextus Empirieus). — Berber: Erhr. von Maltzan, Reise in die
Regentschaften Tunis u. Tripolis 2, 144; Johann Leo, Des Afrikaners Besehreibung,
D. Üb. 1805, Bd. 1, S. 64, 125 ff. u. 348; Bohlfs, Mein erster Aufenhalt in Marokko
68 u. 136; Stumme, Dichtkunst 33f. u. 50ff.; Ch. de Foucauld, Recounaissance au
Maroc, I, 174. — Kabylen: Hanoteau-Letourneux, La Kabylie II. 14S, 165f. u. Anm.,
172, 181 u. 187; III, 201 f. u. 75; Schönhärl, Noch einmal etwas aus dem Kabylen-
land, in „Völkerschau" III, 146. — Somal: Burton 119 u. 121: Paulitschke 26 u. 31;
Yannutelli u. Citerni, L'Omo 106. — Njam-Njam: Schweinfurth, Im Herzen von
Afrika 183f., 237 f. u. 242f. — Bongo: Jos. Müller, Das sexuelle Leben der Naturvölker, in
„Renaissance" I, 76. — Mangbattu: Ebenda 184 u. 242. — Nubier: Waitz, Anthro-
pologie d. Naturvölker. Lpzg. 1860, 2. Teil 471 u. 485; J. L Burckhardt, Travels in
Nubia 134, 197ff. u. 203—205. — Adamauar^Pnssm^e 488. — Araber: von Maltzan,
Reise in den Regentschaften I, 97 u. 207; II, 121 ff. ; J. B. Burckhardt, Bemerkungen über
d. Beduinen (D. Üb. 1831) 220. — Tibbu: Nachtigal, Sahara u. Sudan 4X1. 443f.
u. 449: Behm, D. Land u. Volk der Tebu, in Petermanns Mitteil. 1862, Ergänzungsh.
IV, S. 40; J. BÄchardson, Travels in the Great Desert II, 344; derselbe, Narrative of
a Mission II, 51; Rohlfs, Quer durch Afrika, T. 1. — Wadai: Nachtigal, Sahara,
T. 3, S. 252, 91 u. 97; Mohammed el Tunsy. Voyage au Üuaday 406 ff. u. 414 f. —
Bornu: Nachtigal, ebenda; Jos. Müller, Das sexuelle Leben der Naturvölker, in
Renaissance I, 75. — Dahome: Skertchly, Dahomey 480: Burton, A Mission to
Gelele 11, 671'., 1 60 ff. u. I, 191 f., 276 n. 366; Hugo '/.-Ihr, Das Togoland u. die
Sklavenküste 180; Forbes, Dahomey I, 1 3 4 f. — Herero: H. v. Francois, Nama u.
Damara 195, 199; Seiner, Bergtouren 1941'.; L. von Bohden. Geschichte der Rheiuischen
Missionsgesellschaft 168. — Schinz, Deutsch-Südwestafrika 171 f. — Kaff er: Jos.
Müller, D. sexuelle Leben der Naturvölker, Renaissance I, 76; Skooter, The rlafirs of
Natal 47 u. 51; Fritsch, Die Eingebornen Südafrikas 9, 95, 113f., 136 u. 140f.; Schiel,
23 Jahre Sturm 236; Isaac bei Skooter 86. — Wasualieli: Burton, Zanzibar 11.
25f.; Veiten, Sitten 28f., 100, 402. -- Neger auf den Antillen: Labat, Nouveau
Voyage I V, 167 f. — Britisch-Guayana: Iüippler, Surinam 281f. — Georgetown:
Joest. Ethnographisches und Verwandtes 30 u. 38. — Buschleute: U". J. Burcheü,
Reisen in d. Innere von Süd-Afrika, I). (Jb., Weimar 1825, II, 74; H. v. Francois,
Nama u. Damara 2:!7. — Kap-Hottentotten: Kolb, Caput bonne spei (Ausg. 1719)
550f. — Nama-Hottentotten: //. v. Francois, N. u. D., 2131'.: Fritsch, I). Ein-
gebornen Südafrikas 328; Holub, Sieben Jahre in Südafrika 115.
§ 312. Dajaken: Spencer St. John, Life in the Forest 1, 52—54, 8S, 113 u. I65ff.
Karolinen-Inseln: Kilian Müller, Bericht üb. d. Missionen der rhein -westf.
Kapuziner-Ordensprovinz auf den Karolinen-, Marianen- u. Palau-Inseln 1908. 8
Ulf.; Finsch, Marianen u. Carolinen 33ff.; Souper, Die Palau-Inseln 68; Daiber,
Eine Australien- u. Südseefahrt 29!) f. u. 296; Christian. The Caroline Islands. —
Marianen: Die Katholischen Missionen 1899, S. 244. — Marschall-Inseln:
Carl Hager, Dir Marschall-Inseln 76. — Neuguinea: Krieger, Ncu-Guinea 172;
Ilagen, Unter d. Papuas 241 u. 234; Chalmera, Neuguinea, Die Üb. 141; O. Finsch,
Neu-Guinea 101 u. 92. — Neue Hebriden u. Viti: Jos. Müller, D. sex.
Leb. d. Naturvölker, in Renaissance I, 78. — Viti: J. d. Marzan im Anthropos
Anhang I. Zitate. gg5
V, 809. — Bisinarck-Archipel u. Salomo-Inseln: Pfeil, Studien und Be-
obachtungen 74 f., 288 u. 31 f.; Powell, Unter den Kannibalen 234 (Anh.). —
Samoa: Turner, Samoa a Hundred Years ago 91,95 u. 155; Deeken, Manuia Samoa;
Indra, Südseefahrten 131 ff. u. 203—205.
§ 313. Korea: II*. G. Arnous, 156 u. 159; Hamilton, Korea 52f., 46 u. llOf. — China:
Glob. 55, 382; Stern, In der Heimat des Konfuzius 36 u. 39f.; Josef Hoogers, Theorie
et pratique 10. — Japan: Mitford, Tales of Old Japan I, 59f., 63, 67, 70 u. 220;
Pein 587. — Cambodja: Glob. 48, 109. — Katchin: Gilhodes im Anthrop. V, 621.
§ 314. Kirghisen: Brehm, Vom Nordpol 418f. — Tungusen: Middendorff, Sibirische Reise
IV, Teil 2, 1429. — Orotschen: L. v. Schrenck, Reisen und Forschungen III, 659 ff. —
Jakuten: Middendorff IV, 2, 1613 f. — Giljaken: L. v. Schrenck US, 637 f.; Pilsudski,
Schwangerschaft 757. — Ainu: von Siebold, Nippon 2. Aufl., H, 238; Pilsudski,
Schwangerschaft 765 u. 769. — Kamtschadalen: Steiler, Beschreibung 345f., 350f.
u. 288f. — Eskimos: Xansai, Auf Schneeschuhen, D. Üb. II, 316 u. 318; Hans
Egede Saabye, Bruchstücke eines Tagebuches 154f., 101 f., 149; Cranz, Historie von
Grönland I, 239 ff., bei Jos. Müller, in „Renaissance" I, 77.
§ 315. Kanada-Indianer, De Lahn,, tan, Historische Nachrichten 386. — Ojibwa usw.:
Jos. Müller, D. s. L. d. N., Renaissance I, 77: Hemme, Reisen 261, 126, 128, 108 ff. u.
86f. — Mandan: Jos. Müller, Renaissance I, 77. — Nodowessier: Carver, Travels
245 ff. — Indianer in Oregon und Washington: Gibbs, Tribes of Western Washington
197 ff. 208, 210 u. 219. — Pueblos: Xordenskiöld, The CliffDwellers 1621. u. 139 •
(nach Castanedd). — Pirnas: von Murr mach Och) 213f. — Indianer am Maranon:
Nielutsch, Amerikanische Nachrichten GS ff. — Abiponer: Klemm. Kulturgeschichte
2, 75, bei Jos. Müller, D. sex. Leb. d. Naturv., Renaissance I, 79 f. — Chavantes:
Martins, Zur Ethnographie Amerikas I, 112f. — Indianer am Amazonas usw.: Eben-
da 72 u. 115 f. — Mundrucus, Guaycurus usw.: Ebenda 118 u. 120 f. — Boto-
kuden: Prinz zu Wied 2. 38f. — Tupin Imbas: Lerys Reise 295. — Indianer-
Stämme im (^uellengebiet des Schingu; Bororö: Karl von den Steinen, Unter d.
Naturvolk. Zentralbrasiliens 6Sf., 187f., 377 u. 388 ff. — Karaja u. Kayapö: Fritz
Krause, In den Wildnissen Brasiliens 326, 329 u. 401. — Antillen-Karaiben:
Labat, Nouv?an Voyage II, 13 f.; de Pochefort, Histoire naturelle 468, 488 f. u. 492 f.:
du Tertre, Histoire generale II, 379. — Karaiben u. andere Stamme in Surinam:
W. Joest, Ethnographisches und Verwandtes 74 u. 95: Kappler, Surinam 214. —
Patagonen u. Feuerländer: Musters, At home 134, 140 u. 188: Moreno, Viaje 116,
234 u. 367; Guinnard, Trois ans d'esclavage 122, 128, 161 u. 231.
§ 316. Oberägypten usw.: Lane 1, 257. — Nubien usw.: Burckhardt, Travels in Nubia
300ff. u. 197 ff. — Sioux u. Cheyenne: Custer, My life ou the Plains 82.
$5 318. Alte Germanen: Grupp, Kultur d. alten Kelten u. Germanen 230. — Europ.
Steinzeit: Ebenda 24. — Tscherkessen- von Klaproth, Reise in d. Kaukasus u.
Georgien I, 603. — Wai: Oskar Baumann, Z. K. d. W.-N. 238. — Ibos: M.
Friedrich, Descriptions de l'enterrement, Anthrop. II, lOUff. — Benin: R. E. Dennett,
Notes from South Nigeria, Folk-Lore XVI, 434 ff. — Bambara: Henry, Le Culte des
Esprits 710 u. Anm. — Fan: H. Trittes, Les Legendes des Bena Kanioka et le Folk-
lore Bantu, Anthrop. IV, 946 f. — (Landschaft) Mkulwe: Hornberger, Religiöse Über-
lieferungen, Anthrop. IV, 305 u. 307. — Batakker: Kbdding 92. — Formosa
II". Mütter, Wildenstämme 240. — Korea: Hamilton 111 u. 77 — 79; Watters in
Folk-Lore VI (1895), 83f. — China: Hoogers, Theorie et pratique Anthrop. V, 12,
688 ff. — Japan: Mein 595 f.; Frhr. von Siebold, Nippon H, 92, 125 u. a. m., vgl.
Menz, Streiflichter auf d. religiöse Denken u. Handeln der Japaner, in „Natur und
Kultur" 5, 500. — Ann am: Gabrielle M. Yassal, Mes trois ans d'Annam, in „Le Tour
du Monde", N. S. 17. Annee, Paris 1911. p. 255 f.
§ 319. Indien: W. Hoffmann, Der Zustand d. weibl. Geschl. 22. ■ — Griechenland:
Jos. Mütter, D. s. L. d. a. K., Renaissance II, 228, 231 f. u. 234 (nach Pausanias 8.
47, 3; 10, 34, 8; 8, 32, 12). — Rom: Müller ebenda 292 f. u. 333 f. (nach Aulus
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 55
ggy Anhang. I. Zitate.
GeUius 1, 12, 1 u. 7, 7. 4; Tac. annal. 2, 86 u. 87, u. Dio Cassius 55, 22). — Bam-
bara: J. M. Henry. Le Culte des Esprits ckez les Bambara, Anthrupos III, 710ff.
— Ho: A". Fies, Der Hostamm, Glob. 87, 16. — Weida (Dahome): J. Weissen-
born. Tierkult iu Afrika, in Internationales Archiv für Ethnographie Bd. XVII.
Leiden 1905, S. 117. — Kamerun: Find im Glob. 78, 379. — Unterer Kongo:
Weeks, Customs, in Folk-Lore XX (1909). 478 f. — Kaffer: Glob. 96, 175. Anna. 14.
— Andaman-Inseln: A. R Brown, The Keligion of the Andamau Islanders,
in Kolk-Lore XX (1909), p. 261. — Japan: J. J. Rein I, 364f.; Hiräi, Jap
1. Aufl., S. 34. — China: Joint Antenorid, Kinderspiele, in „Völkerschau-' II,
274f. — Laos: Jean Laurtl. Moeurs Laotienne, in Le Tour du Monde, N S.
16. Annee. Lecembre 1910, p. 419. — Burma: Pilate. En Birmanie, ebenda X. S.
17. Annee, 14. Octobre 1911, p. 4841'. — Mongolen: M. von Beguelin im Glob. 57.
209. — Eskimos: Thalbitzer, The heathen Priests of East Greenland, in Vcrhandl.
des XVI. Internat. Amerikanisten-Kongresses 2. 447 f. — Sioux: Woltereck, Glob 98,
1-28 f. — Chippeway: Th. L. Mc. Kenney, Sketches 207 u. 322. — Cora-1 ndianer,
Altes Mexiko, Huichol usw.: Preuß, Das Fest des Erwachens, in Verhandl. des
XVI. Internat. Amerikanisten-Kongresses 2 Hälfte, 489 ff. ; derselbe, Ethnographische
Ergebnisse, in Ztschr. f. Ethnologie, 40. Jahrg. (1908). S. 582 ff. u. 594; Bancroft,
The Native Races II. 242: CaUegari, Messico II, 33 f.; Dapper, D. Unbekannte Neue
Welt 294 f. u. 29S: Clavigero bei Bancroft 11; Torquemada, Monarchia Ind. 3, 02 f. —
Mayas: Le Plongeon (nach Landa), Sacred Mysteries 68. — Peru: Dapper, I>ie
Unbek. Neue Welt 347. — Insel- K araiberj*. Derselbe 20S.
§ 32t:. Araber in Ägypten: Lane I, 89f. — El Yemen: Renzo Manzoni, El Yemen 198.
— Astrachan: A. Cristoph, Bunte Bilder 109. — Araber u. Berber in Marokko:
Ethf. Westermarfk, The Populär Kitual of the Great Eeast in Marocco. In Folk-Lore
XXI 1 (1911), 131ff.
§ 322. Inder: Jolly bei Schröder, Reallexikon 216f.; Hoffmann, D. weibl. Geschlecht 8f.
u. 12. — (Kumaon): E. Schröder, Land, im Glob. 53, 242. — Römer: (.,
Kultur d. a. K. 223; Bartsch. D. Rechtsstellung 16—37; Mommsen, R. G Bd. 1. Buch 2.
432. — Griechen: Schratler 217: J. Burckhardt, Gr. Kulturgesch. 1, 78 u. 250;
Aristoteles, Politik VII, c. 14, 2. — Germanen: Grupp, Kultur 223: Bartsch, Rechts-
stellung 56f., 60, 80 Anra. u. 124: Schröder bei Schröder 217. — Schweden: S. v.
W. 383. — Bamberg u. Lichtenfels: Lingg, K.-G. 1. 160 u. 162; Grimm, Rechts-
altert. 410; Götzinyer. Reallexikou 03. — Alte Preußen: Waldheim in Völkerschau
2, 217. — Serben: Milovanovitsch 6, 31f., 081'. u. 72. — Russen. Derselbe 32 u.
Anm. 3 (nach Sergjewitsch). — Kelten: Caesar VI, 19; D'Arboü 2t. — Thrakien
Torquemada II, 410. — Albanien: Co:zi 665.
§ 323. Babylonien: Samwabk Ges.. Edit. Winckler, §§ 117. 137, 155—161. 165. 168. 169,
175. 177. — Alttestamentliehe Hebräer: 2. Moses 21; 5. Moses 5 u. 21 ; 3. Moses
25. — Arabien (vorislamisches): Robertson Smith HOff. - Arabia Petraea;
Musil 3, 213. — Arab. Ägypten: Laue I, 268. — Algerien: Das Ausland 1881,
S. 687. — Kabylen: Hanoteau-Letourneux II, 191— J93; Schönhärl 148f.
§ 324. Soninke: Daniel, Etüde 32 u. 36. — Mandingot: Glob. 5n. 260. — Bautschi:
Missions-Magazin 1851, Heft 1. — Bubis: Coli, Los Indigenus 3'J1. — Wanyam-
wesi: Andree, Die Exp. 2, 215. — I)ar-es-Salaam: Wehrmeister 219. Wasiba:
Glob. 97. 77 (nach H. Rehse). — Kilwa: von Eberstein in Mitt. a. d. D. Schutzgeb. 9,
17'.H1". — Brasilianische Neger: Breitenbach im Glob. 54. 43. — Hottentotten:
Kolb 127. 542, 3441'. u. 462: Moffat 136; Schiw 98 u. 100; Barrow 148. — Auin-
Buschleute: Kaufmann 155 u. 157. — Js amib- Buschleute : Trenk 168.
§ 325. Bat taker: Kbdding 91 f. — Sakai: Mo8zkowski, The Pagan Races 715; Speis, r.
Beiträge 75ff.. — Iban: Nyuak 168. — Kaiser-Wilhelms-Land: Krieger, Neu-
ea 164—166 u. 174f. — Britisch- u. Holl.-N'eu-Guinea: Derselbe 300ff U
395. — Bisniarck- Archipel u. Salomo-Inseln: Pfeil 18 u. 30 ff.; Anonym in
Anhang I. Zitate. 867
„Gott will es" 1901. S. 347f. — Fidschi: Marzan, Anthrop. II. 403. — Samoa:
Turner 97f. — Australien: Jung in „Aus allen Weltteilen" 1877. 12, 354 u. 347.
§ 326. Japan: Ausland 1881, S. 165, 167; Mitford, Tales H, 160; Rein 581f. — Korea:
Arnous, Glob. 66, 157ff.; Hamilton, Korea 52 f., 50 u. 110. — China: D. kath. Mis-
sionen 38, 248: Plath, Über d. häusl. Verhältnisse 47; Stenz 126; Masip im Anthrop.
II, 715. — Leitsohou: Hirth, Chines. Studien 1, 168. — Thai: Bourlet 364 u. 373.
— Annaraiten: Glob. 58, 266. — Tanguten: Hedin, Im Herzen 2, 468.
§ 327. Toda: Harkness 44, 47t. u. 123; Marsliall 206.
}j 328. Mongolen: Hedin 1. c. — Burjaten: Schendrikowsky 202. — Ostjaken: Brehm
365. — Zentral-Eskimos: Boas, The Central Kskimo, im Sixth Annual Report of the
Bureau of Ethuology, 1884—1885, p. 578 f.
§ 329. Xordindiane r: Hearne bei Rinz, Des Indianers Familie 184 u. 204. - -, Chippe-
wayer: Long, See- und Landreisen 109 ff. — Oregon U.Washington: Gibbs bei Benz,
o. c. 202. — Ottawa: Tallinns, Denkwürdigk. 21 u. 23; Schoolcraft, Oneota
483ff. — Kanada: De Lahontan bei Benz, D. Ind. Fam. 171. — Sioux: Schoolcraft,
Uneota 309 f. — Gros-Ventres: Boiler 125 — Moki: Nordenskiöld, The Cliff
Dwellers, Übers. 139. — Altes Mexiko: Baneroft IL 217f. u.320f. — Guatemala:
Torquemada II, 387. — Karaiben: Dapper, Die Unbekannte 613. — Goajiros:
Regel, Kolumbien 167. — Caveres u. Tapakosos: Nielutsch, Am. Nachrichten 104f.
— Brasilien: Martins, Ethnogr. Am. 121 — 126; Botokuden: Ehrenreich im Glob.
49, 237; Prinz zu Wieä, Reise 2, 39f. u. 43. — Patagonen: Musters, At home 44f. u. 64.
Sj§ 330 — 334. Die Zitate zu Kap. L sind als Randbemerkungen dem Text beigefügt.
§ 336. Transsylv. Zeltzigeuner: H. v. II lislocki, Die Stamm- und Familienverhältnisse,
Glob. 53, 185. — Pikten: 0. Schröder, Reallexikon 5641'.: Grupp, Kultur 10f., 117
u. 224. — Nördliches Gallien, Irland usw.: D'Arbois 71 f. — Lykier: Bachofen,
Mutterrecht 1. — Germanen: Orupp, Kultur lof.; Stuart-Glennie bei Alfr. Nutt in
Folk-Lore II, 367 ff.; G. Cohn, Die Gesetze Hammurabis 12f.
§ 337. Cantabrer: Strabo bei Bachofen, Mutterrecht VI. — Basken: Grupp, 1. c. —
Andorra (nördl. Spanien): G. Diercks, Ein Ausflug, im Glob. 55, 122. — Spanien:
L. de Paladini, Spanische Frauen, in „Die Welt", Bd. 23 (1911), S. 318. — Mandäer:
Petermann, Reisen im Orient.
§ 338. Altes Ägypten: Maspe.ro, Ägypten u. Assyr. 12 f.; Diodor bei Backofen, Mutter-
recht VI; Bcrodot bei Wilkinson, The Manners and Customs, Vol. I, 330f. u. Anm. ;
Wilkinson-Birch, 2. Aufl., Vol. I, 49f. — Berber: Leo Africanus, Beschreibung 319;
Rohlfs, Mein erster Aufenthalt 66 — 68.
§ 339. Ewe: Herold (nach Graf Pfeil) 163 f. Anm. u. 169. — Haussa: Tremearne, Fifty llaussa
Folk-Tales, in Folk-Lore XXI, 199 f. — Unterer Kongo: Weeks 414f. u. 423—427.
— Bondo: Otto H. Schutt, Reisen 56. — Bayaga: Crampels im Glob. 59, 238. —
ßafiote (an der Loango- Küste): Pechuel-Loeschc in Ztschr. f. Ethnol. 1878, S 17f.
— Angola: Pogge, Beiträge 111, 5. — Kimbundu: Maggar, Reisen I, 284. — He-
rero: H. v. Francois, Nama und Damara 200. — Oberl. v. Nil und Congo: Czeka-
nouski in Ztschr. f. Ethnol., 41. Jahrg., 597 u. 591 ff. — Waujamwesi: Andres,
D. Kxp. 2, 215 u. 374. — Wadigo: St. Paul-Hilaire, Über die Rechtsgewohnheiten,
in Mitteil, a. d. Deutschen Schutzgeb. 8, 195—199 u. 207. — Wakhutu: Andree o. c. 2,
97 f. _ Südl. Deutsch-Ostafrika: Weule 236, 340, 342, 377 u. 426.— Basutos:
Minni Cartwright, Folklore of the B. 250f.
§ 340. Orang-Laut: ./. Kohler, Über d. Recht d. Urstämme, in Ztschr. f. vgl. Reehts-
wissensch. XXI, 243f. — Akiks u. Sakeis: M. Moszkouski in „Ztschr. f. Ethnol.",
40. Jahrg. — Orang Mamma: Graafland bei Speiser, Beiträge z. Ethnol. der Orang
Mamma auf Sumatra, im Archiv f. Anthropol., N. F., Bd. IX, 76 u. 85. — Semendo:
Schultheiss (nach G. A. Wilken) im Glob. 60, 157 f. — Seram: ^Yassmer und Joest
im Glob. 49, 361. — Karoliuen: Finsch, Marianen 32 f. — Palauinseln: Salvator,
Die Mission auf den Palauinseln. im Jahresbericht 1911 der Rheiniseh-we.-tfäl. Kapu-
ziner-Ordensprovinz auf den Karolinen usw. 54. — Vap: Senfft, Die Rechtssitten, im
55*
8(38 Anhang I. Zitate.
Glob 91, Ulf. — Chamorros: D. Katholischen Missionen 1899. S. 212. — Marshall-
Inseln: A. Erdland 106. — Nauru: Jung, Aufzeichnungen, in lütt. a. d. Deutsch.
Schutzgeb. 10, 65; Brandeis 76. — Yao u. Wangoni: Weule 236 n. 426f. —
Banks-Inseln: Erkardt im ülob. 40, 367. — Alu: TT. Schmidt (nach C. Ribbc)
im Anthrop. II, 344. — Buin: Thurnwäld, Im Bismarckarchipel, in Ztschr. f. Ethnol.
42, 124. — Laur: Abel, Knabenspiele, im Anthrop. II, 220 Anm. — Blanchebu cht :
Jos. Meier, A Kaja 1018. — Gazellen-Halbinsel: Jos. Meier, Primitive Völker,
Anthrop. II, 380f. — Australien: F. Graebner, Zur austral. Religionsgeseh. , im
Glob. 96, 34 1 ff. ; Spencer and Gillen, 615 ff. u. 258 ff.
§ 341. Japan: Ph. Fr. v. Siebold, Nippon II, 4. — Khasis u. Syntengs: Ourdon, Note
on the Khasis 60; C. Becker im Anthrop. IV, 892f. — Kaupuis: Watt im Glob. 52, 158.
K 342. Irokesen: H. Spencer, The Principles I. 691. — Queen-Charlotte-Sund: Hesse-
Wartegg im Glob. 53, 141. — Ohama: Glob. 50, 348. — Navajo: Ostermann, The
Navajo, im Anthrop. III, 862. — Hispaniola: Dapper, Die Unbekannte 185. —
Guayana: Koch-Grünberg, Women 371. — Peru: H. Spencer (nach Gomara), The
Principles I, 698. — Macusi: Friedrichs 803. — ■ Caraja: v. Koenigsicald 238.
i; 345. Persien: Herodot VII, 2 — 4; Jtairlinsons History of Herodot, Vol. IV, p. 2. Anm. 6.
— Lacedämonier u. Ägypter: Ebenda, Vol. 111, pp. 446 f.. Anm. 7; Walter Otto,
Priester u. Tempel im hellenist. Ägypten I, 201 — 203 u. Anm. 3. — Ngumba: L Con-
radt, Die Ngumba, Glob. 81, 334. — Bali: B. Ankermann, Bericht ü. e. elhnogr.
Forschungsreise, in Ztschr. f. Ethnol. -12, 304. — Lunda-Keich: C. v. Frangois,
Geschichtliches über die Bangala, Lunda u. KToko, Glob. 53, 273f. — Wambugu:
Storch 327. — Wakilindi, Wapare u. Washambaa: Storch 317 f. — Wapogoro:
Fabry 221. — Kisiba-Land: von Kalben, Über Rechtsverhältnisse der Eingeborenen,
in Mitteil. a. d. D. Schutzgeb., Bd. 9, S. 39 f. — A uin-Busehleute: Kaufmann 154 f.
u. 157. — Sumatra: Sdiultheiss (nach G. A. Wilken) im «'lob. 60. 157 f. — Jap:
Senfft, Die Rechtssitten, im Glob. 91, 172 f. — Chalcha-Mongolen: N. v. Prsche-
ivalski, Reisen, D. Übers., 2. Aufl., S. 58 u. 73. — Samojeden: P. r. Statin. Das
Gewohnheitsrecht, Glob. 60. 137. — Mayas: Bancroft II, 634 u. 639f.: Le Plongeon
(nach Landa), Sacred Mysteries 68 u. 82. — Inka-Peruaner: Dapper, Die Unbekannte
339.
§ 346. Indo-Europäer: O. Schröder, Reallexicon 186 u. 188; H. D'Arbois 631V. u. 09ff.
Waziristen: H. A. Rose, Oustoms in the Trans-Border territories, in Journal of the
Asiatic Sociaty of Bengal, Vol. LXXIII, Part. IH. Extra Number 1904. pp. 3 f. u. 24.
Attika u. Gortyna: Wachsmut 2, 172f.; Schröder 187; H. D'Arbois 63ff. —
Osseten, südl. Gallien: D'Arbois, ebenda. — Rom: 0. Schröder 188. — Serbien:
G. Milovanovitsch, Das altserb. Faniilienreckt 76 — 79. — Deutsche u. Skandinavier:
O. Schrader lS7f. — Germanen: Grupp 232ff. — Franken u. Iren: D'Arbois 66
u. 74f. — Basses-Pyrenees: Alfred Codier im Glob. 61, 253. — Abchasen:
JV. v. Seidlitz, Die Abchasen, im Glob. 66, 20.
5; 347. Babylonien: 'Rammurabis Cesetzbueh, Übers. Winckler. — Alttestaro. Hebräer:
4. Mose 27. — Arabisches Ägypten: Lane I. 143. — Arabia l'etraea: Musil III,
349 f.
§ 348. Bassari: Klose 344 f. — Wai-Neger: Oskar Baumann, Z. K. d. WaUNeger 238.
— Bali: B. Ankermann, Bericht ü. e. ethnogr. Forschungsreise, in Ztschr. f. Ethnol.
42, 304. — Wambugu: Storch 327. — Wakilindi u. Washambaa: Storch, Sitten,
Gebräuche, in Mitteil. a. d. 1). Schutzgeb. 8, 312, 317—310. 322. — Kilwa: Krhr.
von Eberstein, Über die Rechtsanschauungen, ebenda 9, 17911'. — Wasiba: Herrmann
54. - \ \i ini b-Buschleute: Trenk 169. — Auin-B usch 1.: Kaufmann 154 f. u. 157.
19. Battak: II'. Ködding 91 f. — Monumbo- l'apua: Franz Vormann, Zur Psychologie,
im Anthrop. V, 413 f.
i :i.")0. Korea: Hamilton 111. — China: Grün el, I >. Familienrecht der Chinesen, im (Jlob.
58, 269. — Ao-Nogas: Mob im Anthrop. IV, 68. — Thai: Bourlet, Les Thay 358.
— Aunam: //. Seidel nach Denjoy im Glob. 65, 343. — Golden: Jakobsen-Gem I
Anhang I. Zitate. 869
im Glob. 52. 172. — Jakuten: MMdendorf, Sibirische Reise IV. 2. 1542 f., Anm. :
Friedrich Müder, Unter Tungusen u. Jakuten 47, 57 u. 87.
§ 351. Yukatan: Bancroft II, 639f. u. 653. — Mexiko: Derselbe II, 224 ff. ; Torquemada,
Monarchie (Ausg. 1723), II, 385. — Bolivia: Chr. Nusser, Die soz. u. Wirtschaft!.
Verh., im Glob. 56, 141 f. — Caraja: von Koenigswald 238.
§ 353. Wa sirist an u. Kurram- Tal: H. A. Böse, Customs 22 ft\ — Griechenland:
Wachsmuth 2, 169f.j J. Burckhardt, G. K. 4. 412f. — Serbien: Müovanovitsch
82ff. — Yemen: Manzoni 188. - Urchristentum: Apostol. Constitutionen, D.
Übers. Boxler IV, 1 u. 2. — Arabia Petraea: MusilTLI, 421 f. — Wadschagga:
B. Gutmann, Trauer- u. Begräbnissitten, Glob. 89, 197 f. u. 200. — Formosa: W.
Müller, Über die Wildenstämme der Insel Formosa, in Ztschr. f. Ethnol. 42, 230. —
Yap: Senff't, Die Rechtssitten der Yap-Eingeborenen, im Glob. 91, 141 f. — Japan:
Hirai, Japan 32. — China: J. Qrunzel, D. Familienrecht der Chinesen, im Glob. 58,
269; Die Kath. Missionen, 38. Jahrg., S. 66. — "Tnrkestan: N. v. Seidlifz, Glob. 56,
333. — Kirgisen: Mrs. Atkinson, Recollections 204f. — Nördliche Denc: A. G.
Morice. The Great Däne Race, Anthrop. II, 163. — Nordindianer: Hearnes Reisen
126 u. 128. — Inkareich: Sundstral. Aus d. Reiche d. Inkas 29f. — Altes Mexiko:
Torquemada II. 385. — Mayas: Bancroft II, 653. — Karaja-Indianer: Fritz
Krause, In den Wildnissen Brasiliens 326. — Bolivia: Chr. Nusser, Die sozialen u.
Wirtschaft! Verhältnisse d. boliv. Ind.-Bevölk. 172. — Letten u. Esten: A. C. Winter,
Waisenlieder der Letten und Esthen, Glob. 76, 31 ff.
§ 354. Daur: H. A. Böse, Customs 22 ff. — Nauru: Jung 66f. — Serben: Müovanovitsch
37 u, 85. — Mohammedanische Serben: Derselbe 37, Anm. — Huzulen: Kaindl,
D. volkstüml. Rechtsansch.. im Glob. 66, 273f. — China: J. Grunzet, D. Familien-
recht d. Chinesen, Glob. 58, 269. — Ustjaken: Castren, Reisebriefe 121 f. u. Anm.
§ 356. Persien: Rawlinson, History of Herodot I, 262; Zachariae, Scheingeburt, in
Ztschr. d. V. f. Volksk. 20. 144ff. — Osseten: Post-Kovalewsky im Glob. 65. 164.
Attika: Wachsmuth 2. 167 u. 172f.: Burckhardt. Griech. Kultur 4. 4 1 1 f. u. 1, 78. -
Sparta: Herodot VI. 57. — Griechenland u. Rom: Frazer, The Golden Bough I.
74 f.; Jos. 21 aller, Das sexuelle Leben d. alten Kulturvölker, in Renaissance II, 330. —
Schweiz: Hoffmann-Krayer im Schweiz. Archiv f. Volksk. 8, 144. — Serbien:
Müovanovitsch 70f. — Rutenen u. Huzulen: Kaindl, Die volkstüml. Rechtsan-
schauungen. Glob. 66, 273f. — Iren u. Kelten im nördlichen Gallien: D'Arbois
83ff. — Kabylen: Hanotcan <• !., t,,,n ,<< nx II. 18 i. — Arabia Petraea: MusilHI,
349f. — Sarawak: J. G. Frazer (nach C. Hose), The Golden Bough I, 74f. —
Karolinen: Senff't in „Völkerschau" III. 22 und Die Rechtssitten der Yap-Eingeboruen,
(Hob. 91. 143: Semper, Die Palau-Iuseln 117. — Bismarck- Archipel: Pfeil.
Studien 20f. — Neu mecklenburg: G. Peckel, Die Verwandtschaftsnamen des mittleren
Neumecklenburg, im Anthrop. III. 479. — Nauru: Jung 66. — M on umbo-Papua:
Franz Vormann, Zur Psychologie, im Anthrop. V. 413. — Papuas: Krieger 165. —
Samoa: Turner. Samoa 83: W. von Biilow, Die Ehegesetze der Samoaner, im Glob.
7:!, 186. — Tahiti: Rene La Bruyere, Trois Archipels de la Polynesie Orientale, in
L* Tour de Monde, N. S. — 17e Annee (1911) p. 118. — Koren: Hamilton 111. -
Japan: Hirai. Japan. 2. Aufl., 37; Rein, I, 582f. — China: J. Grunzet, Das
Familieureeht der Chinesen, im Glob. 58, 269. — Annam: H. Seidel mach Denjoy),
Glob. 65, 343. — Thai: Bourtet, Les Thay 358 u. 364f. -- Türken u. Bulgaren:
Zachariae, Seheingeburt, in Ztschr. d. Ver. f. Volksk. 20, 153; Frazer, The Golden
Bough I, 74f. — Ai'nu: Pitswtski im Anthrop. V, 772. — Zentral- Eskimos: Boas
5S0. — Camberland-Sund: H. Abbes im Glob. 46, 216. — Indianer: Tannen
Denkwürdigkeiten 12ff.
§ 357. Kelten: Grupp, Kultur d. alten Kelten u. Germanen 123. — Neugriechenland:
G. Hirschfeld. Aus dem Orient 291. — Daur: Böse, Customs 12. — Osseten: ..Das
Ausland-' 1876, S. 166; Post-Kowalewski im Glob. 65, 164. — Tscherkessen:
Rittich, in Petermanns Mitteil.. Ergänzungsheft 54, 1878, S. 5. — Abchasen: X von
870 Anhang I. Zitate.
llitz, Die Abchasen, im Glob. 66, 20f. — Jap: Senfft, Rechtssitten 142. —
Marianen usw.: Lubbock. Entstehung der Civilisation, D. Üb. 77; Eekardt im Glob.
40, 367. — Marschall-Inseln: Hager 67. — Kambodscha: A. Bastian, Geogr.
u. ethnolog. Bilder 121. — Peking: Stent mach Grube) im Glob. 80. 275. — Bur-
jaten: ,.Das Ausland" 1878. S. 650.
§ 359. Schiiten: Fr. Eugenien, Les Chiites d'aujourd'hui, Anthrop. II. 418. — Kurram:
H. A. Rose. Customs, in Journal of the Asiat. Soc. of Bengal. LXXIIf. P. III. Extra
Number, 1904. p. 23f. — Osseten: Post (nach Kovalewsky) im Glob. 65, 164. — Hoch-
Albanien: E. Cozzi, La Vendetta del sangue, Anthrop. V. 675. — Attika: Jos.
Miiller. 1). sex. Leb. d. alt. Kultur*-., Renaissance II, 243; Rawlinson, History of
Herodot, Vol. III, p. 400; Wachsmut ?. 1721'. u. Anm. — Altes Rom: Jos. Müller,
1. e. 304. — Germanen: Grupp. Die Kultur 229. — Spanien: Chaho, Hist. prim. des
Euskariens-Basques 3, 40 ff. — Kelten: Grupp. Die Kultur 116. — Irland u. achott.
Hochland: D'Arbois 154. — Russen: Leopold Karl Goetz, Das Russische Recht, in
Ztschr. f. yergl. Rechtswissensch., 24. Bd. (1910). — Altserbien: Müovanovitsch 67f.,
77ff. u. Anm. — Babylonien: Hammurabis Gesetzb., Übers. Winkler, Lpzg. 1902.
§§ 170—176 u 178 — 184. — Hebräer: König in Wetzer u. Weites Kirchen-Lexikon,
2. Aufl., 7. 459: 1. Mose 30, 3. u. 5. Mose 23, 2. — Arabia Petraea: Musil III,
349f. — Araber in Kairo u. Oberägypten: Lane I. 254. — Meyrefab-Araber:
Burckhardt, J. L.. Travels 200. — Muselmanen: Burton, Zanzibar I, 464: J.L.
Burckhardt, Travels. — Araber in Deu tsch-Ostaf rika: H. F. von Behr 73. —
K.affiten: Fr. J. Bieber, Das Familienleben der Kaffitseho. Glob. 96, 72. — Kabylen:
Hanotcau-Letourneux, La Kabylie II, 1711
§ 360. Hassari: Klose 313 f. — Ewe: Herold 161 ff. - - Wambugu: Storcli. 327. —
Mkulwe: Alois Hornberger, Nachtrag, im Anthrop. V. 798 ff. — Wasuaheli: Veiten
I00f., 315f., vgl. auch S. 4(12. — Xamib- Buschleute: Trenk, Die Buschleute, in
Mitteil. a. d. D. Schutzgeb. 23. 168. -- Java: Emil Metzger, Herrscher uud Be-
herrschte auf Java, in Glob. 56, 42 ff. — Marschall-Inseln: Hager (nach Chamisso),
Die Marschall-Inseln 67. — Nauru: Jung 66f. — Samoa: 11'. von Bülow, Die Ehe-
gesetze der Samoaner, im Glob. 73, 186.
§ 361. Korea: Hamilton Ulf. — China: Grunzet. Fanülienrecht. Glob. 58.269; Stenz, In
der Heimat 40 — Annain: //. Seidel (nach Donjoy) im Glob. 65, 343.
§ 362. Samojeden: P. von Stenin im Glob. 60, 186. — Giljaken: von Sehrenck III, 647 f .
— tfoki: Nordenskiöld, The Cliff Dwellers 139. — Yukatan: Bancroft IL 651. —
Peru: Dopper. Die Unbekannte Neue Welt. 339. — Aruak: Sieeers (nach Nie. de la
Rosa) 235.
§ 364. Indien: l'li. Lenz. Indische Kinderheiraten, im Glob. 58, 199ft, 240: E. Schröder
244; /, von Schröder. Indiens Litteratur und Cultur 429f.; Katharina Zitehnann 51
u. 56; vgl auch Helene Melius. Zenana-Leben, im (Hob. 89, 246 u. 11". Hoffmann,
Der Zustand d. weibl. Geschl. 15 u. 35. — Toda: Harkness, A Description 121 ff —
Kasubas: C. Hayavadana Rao, The Kasubas, Anthrop. IV. 179ff. — Kai Gouds:
Derselbe, The Gonds of the Eastcrn Ghauts, Anthrop. V, 791 ff. — Wachietschi:
P. von Sie, im. D. G. u. II. d. W. im Glob. 78. 79. - Armenier: N. D 3
(nach Selinski) im Glob. 78, 2431'. — Osseten; Post mach Kovalewsky) 164. —
Riga: Pescliel. Über die Wasserweihe des germanischen Eeidenthums. — Bojken:
i; Fr. Kaindl, Ä.us d. Volksüberlief. d. Bojken, Glob. 79, 155. — Serbeu u. Bussen:
Wüovanovitch 121. — Jurdes: J. 1 >. Bemteta, Las Jurdes, Anthrop. II, 496. —
[ren: W Crooke, Folk-Lore XVII, 114. Rom: J. lHüler, Das ses L
K. i„ i;,, . ,, n. :ü9. _ Abendländische Kirche: Richard Koebner, Hie
Eheauffassung, im Archiv f. Kulturgesch. IX. 137 f u. Anm. 2. — Keims: Sdraleh:
nbüttler Fragmente, in Kirchengeschichtl. Studien 1. Bd. S. 123. — England:
./. // (nach Furnivall), Englische tinderehen, ȟob. 64, 380f.
g 365 Babylonieu: Die Gesetze Hammurabis, § 130, Übersetz. Winckkr, 1-pzg. 1904.—
Assyrien: Vaspero, igypt. o \ ryr 238. — Arab. Beduinen: .4. .1/. de St. Ehe.
Anhang I. Zitate. gyj
La femme du desert, Anthrop. III, 185. — Yemeu: Manzoni 188 u. 49. — Araber
in Kairo u. Oberägypten: Lane I, 217. — Juden d. Oase Mzab: R. A. (nach
Huguct) im Glob. 83, 354. — Juden d. Bukowina: Eaindl, D. Juden in d. Buko-
wina 135. — Kabylen: Hanoteau u. Letourneu.r. La Kabylie IL 149 u. Anm.;
Schönhärl in „Völkerschau" 111. 147. — Kopten: Lane II, 330. — Fulbe: Waitz,
Anthropol., Lpzg. 1860, 2. Teil. S. 471. — Hoer: Fies 75. — Ewe: Herold 149—151
u. 160. — Bassari: H. Klose 312. — Unterer Kongo: Wecks 420. — Britisch-
u. Deutsch - Ostafrika: Streicher u. Hartmann im „Afrika-Bote", 8. Jahrg., 101 f.
u. 137- — Wopogoro: Fdbry 221. — Mako nde - Plateau: Weule, Negerleben 371 f.
u. 383. — Maquarnba-Kaffer:' Schiel. 23 Jahre Sturm. 232f. — Buschmänner:
B". J. Bnrcltell. Heisen in das Innere, D. Übers. 1825, Bd. II, 77. — Nama-Hotten-
totten: Schinz, Deutseh-Sildwestafrika 96.
§ 366. Java: Pfyffer de Neueck, Esquisses de l'ile de Java. — Aru-Inseln: von Rosenberg,
Malayische Archipel 3:39. — Yap: Senfft in Petermanna Geogr. Mitt. 1903, Heft III.
— Holländisch-Neuguin ea: Krieger, Neu-Guinea 391 f. — Kaiser- Wi Ihelms-
Laud: Hagen, Unter den Papuas 241 f. — Nauru: Jung 66. — Bismarck- Archipel,
Salomo - Inseln: Pfeil, Studien u. Beob. a. d. Südsee 26f. — Ph. Braun (Neu-
pommeru) in „Gott will es!" 19J2, S. 50; Powell (Neupommern), Wanderings, D.
Übers., Lpzg. 1884, S. 811'.; Buin auf Bongainville (Salomo-Ins.), R. Thumwald,
Im Bismarckarckipel u. a. d. Salomoins.. iu Ztschr. f. Ethnol. 42. Jahrg. (1910), S. 122.
- Samoa: W. v. Union- im Glob. 69, 193. — (Australien) Arunta- u. Ilpirra-
Stämme: Bdldvnn Spencer and F. J Gillen, The Native Tribes of Central Australia
554 u. 55811'. — Moore-River (südw. Austrat.): Salvado, Memorie storiche 313 u.
302. — Dieri u. verwandte Stämme: Glob. 59, 347 (nach Hoicitl).
§367. Koreaner und Golden: Jakobsen- Genest, Glob. 52, 172. — China: Stenz 37;
Glob. 55. 382. — Kirgisen aut Mangyschläk: R. Karutz, Von Kirgisischer Hoch-
zeit, Glob. 97, 37 S". — Kirgisen des Kreises Saissansk: P. von Stenin im Glob.
69, 228. — Jakuten: St. Petersburger Ztschr. Bd. 9. S. 211ff. — Ostjaken:
O. Finsch, Reise nach West-Sibirien 540 ff. ; Brehm, Vom Nordpol 361 ff. — Samo-
jeden: P. von Stenin, Das Gewohnheitsrecht d. Samojedeu, Glob. 60, 170.
§ 368. Renntier-Tschuktschen: Cremat, Glob. 66. 286. — Zen tral-Eskirno: Boas,
The Central Eskimos, in Sixth Annual Rep. of the Bureau of Ethnology 1884 — 85,
■s 578f. — Grönl. Üstkiiste: Holm bei Nansen, Auf Schneeschuhen, D. Übers.
1891. Bd. 2. S. 313. — Grönl. Westküste: Mrs. Peary, My Arctic Journ. 121 u.
204. — Cumberland-Sund: H. Abbes, D. Esk. i. C.-S., Glob- 46, 216. — Nord-
indianer: Hearne bei Renz, Des Indianers Familie 1831'. — Nutka: Bancroft I,
196. — Guiana-Indianer: Globus 46, 24, nach Everhardt F. in Thurn; Koch-
Grünberg, Women of All Nations 362. — Capiekrans: Etienne Ignace im Anthrop.
V. 477. — Caingang: Glob. 50, 235. — Jivaros: Reiss. Verhdlg. d. GeselUreh. f.
Erdkunde zu Berlin 1880, S. 333.
§ 370. Palivans u. Madura-Distrikt: F. Dahmen, The Paliy&ns, Anthrop. III, 27. —
Kasubas: Hayavadana Rao 181. — Badagas: Jagorim Bericht d. Berliner Anthrop.
Gesellseh. 1S76, S. 196 u. iOO. — Nair: Derselbe, ebenda 1878. — Vedas: Derselbe,
ebenda 1879, S. 169.
§ 371. Arabische Beduinen: Anastase Mark de St. Elie im Anthrop. III, 66f. —
Tunis: Karutz, Tatuiermuster, im Archiv f. Anthropol. N. F. Bd. VII, S. 55.
§ ;!72. Senegambien: Haffenel, Nouv. voyage dans le pays des negres I, 223. — Golah,
Vai u. Mendi: Ceston, Le Gree-Gree Bush, im Anthrop. VI, 729 ff. — Bassari:
Klose, Das Bassarivolk, im Glob. 83. 310. — Avhegame: Fies. Das Fetischdorf
Avhegame. Glob. 80, 382. — Fjort: R. E. Dennet, Notes on the Folklore of the
Fjort 20 — Loango: Winwood Reade, Savage Africa 243ff.; Pechuel-Loesche in
Ztschr. f. Ethnol. 1878, S. 23. -- Kaffer: Maclean, Compendium of Kalir Laws. —
Zulu: Dohne, Das Kafferland 352. — Basutos (Sotho): Endemann in Ztschr. f.
Ethnol. 1874, S 37. — Makalaka: C. Manch in Petermanns Mitteil. Ergänzgsh. 37,
g72 Anhang I. Zitate.
1874. S. 352. — Makua usw.: "Weilte, Negerleben 272 ff. — Makonde: Derselbe,
ebenda 284£f. — Matambwe: Ebenda 292 ff . — Lukuledi: Wehrmeister 66. 68. —
Wakilindi, Washambaa u. Wambugu: Storch 311 u. 324. — Suaheli: 0. Kirsten.
in Ztschr. f. allgem. Erdkunde 1860, IX, 460; Veiten 93 ff.
§ 373. Auin-ßuschleute: Hans Kaufmann, Die Auin, in Mitteil. a. d. D. Schutzgeb.
23. Bd., 140. 150 u. 158. — Nama-Hottentotten: Theoph. Hahn. (Hob. 12 (1868),
S. 307.
t; 374. Yap: Milducho-Haclay im Glob. 1878, S. 41; Senfft, D. K. d. J.-E. 142: h'ilian
Müller, Bericht üb. die Missionen d. rliein-westf. Kap.-Ordensprov. 1908, S. 11 f.: Aus
den Missionen der rheinisch-westf. K.-O., Jahresbericht 1911. S. 39. — Palau: Ebenda.
— Marschall-Inseln: Erdland 111 f. — Nauru: Brandeis 78. — Hula: Chalmers-
ßil, Neuguinea, D. Übers. 250. — Bri tis ch-Neuguinea: Krieger, Neu-Guinea 295 f.
— Kaiser-Wilhelmsland: Derselbe, 171. — Holländisch Neuguinea: Derselbe,
391. — Karesau-Insulaner: Schmidt, nach Tamatäi Pritak im Anthrop. II, 1056. —
Tonga-Inseln: Turner, Nineteen Years 177, 181, 184. — Samoa: Hesse-Wartegg 238.
— Maori: G. Lamprecht im Glob. 70, 265 f. — Nordqueensland: E. W. Roth im Glob.
84, 243. — Murray: Lubbock, Die vorgeschichtl. Zeit. D. Übers. Jena 1874 II, S. 150.
§ 375. Kambodscha: Anonymus im Glob. 48, 109f.
§ 376. Tataren: .4. Christoph, Bunte Bilder 1C8. — Lappen: Sche/f'er. Lappland 113. —
Koluschen (Thlinkit), Alaska: Müller, Mitteil. d. Anthropol. Gesellsch. in Wien,
1871, Nr. 8. — Koluschen an der Beringst raße: Cl. Erman in Ztschr. f. Ethnol.
2. Jahrg. 1870, H. IV, S. 318. -- Nutka: Bancroft I, 197. — Dene: Morice in
Anthrop. I, 720. — Apachen: .7. A. Spring. D*er Apache-Indianer, Glob. 48, 171. —
Delaware: Waitz, Anthropologie (Leipzig 1862) IV, 125. — Nord- Carolina: Ebern i.
III, 118. — Maskoki: Owen, Folk-Lore 67 ff. — Hupa u. Wintun: Stephan Powers
in Contributions to North American Ethnol. III. „Tribes of California". Vgl. Glob. 1879,
S. 156. — Tschibtschas: Waitz, Anthropologie IV, 367. — Arrawak: C ran Coli,
Matrimonia Indigen. Surinamens, im Anthropos II, 4L — Warrau: Schomburgk, Reisen
in Britisch-Guyana I, 168. — Macusi: Ebenda II, 315. — Andere Karaiben-
Stämme: Ebenda II, 431. — Goajiros: Regel, Kolumbien, S. 168. — Conibos:
Marcoy im Glob. 9, 106. — Tucunas, Maues u. Collina: Bates in „Das Ausland''
1864, 50, 1182. — Igana u. Caiary-Uaupes: Koch-Grünberg. Women 360f. —
Toba u. Kadiueo: Koch-Grünberg, Die Guaikurustärame im Glob. 81, S. 39f.. 45 u.
106f. — Coroados: Burmeister, Reise n. Bras. 250. — Karaja: Fritz Krause, In
den Wildnissen Brasiliens. — Tapuya: Rahe bei Dapper, D. ünbek. 566. — La
Plata: A. Ruis, Conquist. espiritual de Paraguay. — Payaguas: v. Azara, Reisen
in Paraguay, Übers v. Weylandl, 207. 224 u. II, 26. — Tehuelchen (Patagonen):
Musters bei Rob. Lehmann- Nitsche, Patagonische Gesänge im Anthrop. III, 920 f.
§ 377. Indien: /"/. Zimmer, Altindisches Leben 222. — Griechenland, Rom, Christ-
liehe Kirche: A. Frau:. D. Kirchlichen Benediktionen II, 253 ff. — Sparta: //.
Schurtz, Altersklassen, 98. — Germanen: Rieh. M. Meyer, Altgermanische Religions-
geschichte 421: Tacitus, Germania, c. 13. — Chat! n: Ebenda, e. 31. — Angel-
sachsen: S. Forsyth, The A.ntiquarys Portfolio. I, p. 14.
§ 37s Juden: 2. Mos., 13. 3—10 u. 11 — 16: 5. Mos. 6, 5-9 u. 11. 13—21: Matth. 23,
5; 5. Mos. 6, 8, 2; Mos. 13. 9 u. 16; Kaulen in Wetzer a. Weites K.-L.. 2. Aufl..
9. Bd., 2094. — Juden der Bukowina: Kaindl, I». Juden d. Buk. im Glob. 80,
134f. — Süd russische Juden: Weißenberg 318.
| 379. Pulbe: //. Schurtz, Altersklassen 97. — Donga: Hirn« Ziemann, Zur Tätowierung
der Donga in Kamerun im (Hob. 82, 344. — Okande: Oscar Leu: in Verhdlg. d.
Gesellsch. f. Erdkunde zu Berlin III, 9 u. 10, 1876, S. 226. — Fjort: Dennett, Notes
20 Berero usw.: S. Passarge, Südafrika 231 u. 258. — Basutos: Cur. Stech im
„Daheim" 1879, 24. 384. — Sfao a. Makua: Welirmeister 66f. — Suaheli: A.
Werner, The Bantu Element in Swahili Folklore in E.-L. XX. 437. — Auin-ßusch-
leute: Haus Kaufmann 157.
Anhang I. Zitate. 873
§ 380. Batak: v. Brenner. Besuch 247 u. 192 f. — Atjeh: Moor, Notiees of the Ind.
Arch. 252. — Orang Mamma: Speiser, Beiträge z. Ethnographie d. Orang Mamma
im Archiv f. Anthropol. N. F. Bd. IX. 79. — Xikobaresen: R. Lasch. Die Ver-
stümmelung der Zähne, in Mitteil. d. Anthropol. Gesellseh. in Wien XXXI. Bd. (3. Folge
I. Bd.), S. 19. — Drang Temia: Stevens- Stönner im Glob. 82, 254f. — Formosa:
W. Müller, Wildenstämme 233. — Alfuren auf Seram: Schuhe, in Ztschr. f. Ethnol.
1877; Bericht der Berliner Anthropol. Gelisch., 121. — Alfuren oder Wuka,
Holl. Neuguinea: M. Krieger, Neu-Guiuea 412. — Xoefoor-Papua: J. B. v.
Hasselt iu Ztschr. f. Ethnol. 1876, VIII, 185. — Britis ch-Neuguinea: Krieger 296
u. 30Sf. — Stämme am Merauke: J. D. E. Schmeltz 197 f. — Karesau: 11". Schmidt
(nach B-Tamatäi Pritäk), Die geheime Jünglingsweihe, Anthrop. II, 1053, 1055 f. —
Mer: ff. Thilenius nach Haddons Forschungen a. d. Inseln d. Torresstraße, Glob. 81,
327ft. — Baiuu: Richard Jhurnwald, Im Bismarckarchipel, in Ztschr. f. Ethnol. 42,
125f. — Bismarck- Archipel: Lasch (nach Graf Pfeil), Die Verstümmelung, in Mit-
teil, d. Anthrop. Ges. Wien XXXI. S. 19. — Australien: Spencer u. Gülen, The
X'ative Tribes of Central Australia, 212 ff. ; Collins, Account of the Colony in N. -S.-
Wales. — Urabunna: Spencer- Gülen, 335 u. 146f. — Queensland: Glob. 56,
121 (nach Karl Lumholtz). (Unmatjera): Spencer- Gillcn 341. — (Warramunga):
Dieselben, 352. — (Annita u. Ilpirra): Dieselben, 212ff. — (Roebuck
Bay): Peggs. Xotes, in Folk-Lore XIV. 334. 345 a. 353. — (Larakia -Stamm):
Spencer u. Gülen 328 — 332. — Samoa: G. Turner, Samoa a Hundred Years ago 92;
Thilenius, A. Krämers Werk „Die Samoa-Iuseln", im Wob. 85, 55: Kubarg im Glob.
47, 72; vgl. auch Hesse- Wartegg, Samoa 234.
§ 381. Japaner u. Ainos: H. 0. Sieboldt in Ztschr. f. Ethnol. 1881, Supplement 32.
§ 382. Mandan-Indianer: Globus 16, 4 — 7 u. 17—21; Catlin, Nord- Am. -Indiana I. 172.
— Maskoki: .4. M Omen, Folk-Lore of the Musquakie Ind. 67 ü. — Pirnas: Och bei
Chr. G. von Murr, Nachrichten 200 f. -- Inkareich: Sundstral 3QS.; Rieh. Karuiz,
Ohrdurchbnhrung, im Glob. 70, 1921'. — Kio Tiquie, LI a nana usw.: Koch-Grünberg,
Zwei Jahre I, 3471, 344 u. Aum., 189f.; II, 5S (weitere Zitate über die von Koch-
Grünberg beobachteten Manubarkeitsbräuche sind der Genauigkeit wegen als An-
merkungen dem Text beigefügt). — Muudrucus: von Martins. Zur Ethnographie
Amerikas 403, 410, 589, 599 u. 644. — Ojana: C. H deGoeje, B. z. V. v. S. 17 ff. —
Rucayenne: Jules Crevaux im Glob. 11 (1881), 81.
§ 384. Hindu: TV. Hoffmann, Der Zustand 30, 60; H. Niehus, Zenana-Leben 249. — Toda:
Marshaü, A Phrenologist 233—236, 70f. 175: Harktless, A Description 162. 71. 10,
44, 154ff. — Palni-Hügel: F. Dahmen, The Paliyans, Antrop. III, 28. — Koro-
mandel-Küste: Mault bei Hoffmann. Der Zust. d. w G. öl. -■ Transsylv. Zelt-
zigeuner: von Wlislocki, Glob. 53, 1851". u. Glob. 51, 251. -- Persien: A. Seidel,
Der Perser, Glob. 58. 223; Dieulafog, Glob. 49, 325; Herodot I, c. 138.— Kurden:
Glob. 57, 362. — Armenier: Volland, Beiträge, im Archiv f. Anthrop., N. F. VIII.
— Russ. Gouv. Räsan: .4. C. Winter, Glob. 86, 389; Griechen: llias. Übers, von
Voss, 6,470, 481: Aristoteles, Politik, Ausg. n. Übers. Stahr, I. I. c. V, 2 - (Alte)
Germanen: Altere Edda, Oegirsdrecka (Oegirs Trinkgelag), Übers. Simrock. —
Abchasen: V*. von Seidiitz, Die Abchasen, im Glob. 66, 20.
§ 385. Altes Babylouien: D. Gesetze Hammurabis. Übers. Winkler, § 195. — Araber:
M de 8t. Elie im Anthrop. III, 191 ; Musil III. 229. 232 f. a. 4221'.: Manzoni, El Yemen
198: Dieulafog im Glob. 49, 325; Revoils Reise. Glob. 47, 294. — Mursuk: Lyon
175f. u. 99f. — Marokko: Charlotte S. Burne, Folklore from Tangier, in Folk-Lore
XIX. 455. — Altes Ägypten: Maspero, Aegypt,, D. Üb. 13; J. Wolf, A. d. P.
d. a. A., in „Natur und Kultur" V, 678f. — Kabylen: Schönlttlrl. in „Völkerschau"
III, 148f. — Marokk. Berber: Quedenfeldt, Einteilung, in Ztschr. f. Ethnol., Berlin,
20, 193; Stumme. Märchen der Schluh von Täzerwalt. — Lega-Galla: Sehuver. Reisen,
in Peterm. lütt-, Ergäuzungsh. Nr. 72, S. 23f. u. 31. — Somäl: Burton, First Foot-
steps 119; Paulitschke. Beiträge 30—32.
874 Anhang I. Zitate.
§ 386. Tibbu: Behm. Das Land, in Petermanns Mitt. 1862, Ergänz. IV. 40. — Hoer:
Fies, D. H. in D.-T., 76f. — Batanga: A. Kirchoff in Peterm. .Mitt. 32. 146. —
Herero: H. v. Francois, Xama 201; Seiner. Bergtouren 188 f. — Tangany ka-See:
Daull im Afrika-Kote 8. 186. — Unjamwesi: F. Müller in Afrika-Bote 8, 104:
Burton- Speeke bei Andree, D. Exp., 2. 221, 323. 254 u. 2ö6. — Wagogo: Berrmann
198. — Wahehe: Adams. Im Dienste d. Kreuzes 40. — Mkulwe: Hamburger, Relig.
Überlief., Anthrop. IV, 307. — 'Wadschagga: B. Gutmann 199. — Makonde-
Plateau: Weide, Xegerleben 357 u. 236. ■ — Makololo: E. Holub. Mitt. d. geogr.
Ges. in Wien 1879, Xr. 2, S. 90. — Kaffer: Skooter 88ff.; Fritsch 142: Zambesi
.Mission Hecord. Xov. 1898, p. 53f. u. 32: CalLnnnj. Tlie Keligious System, London 1870,
p. 145 f.; vgl. Public, of the Folk-Lore Soc, London 1884.
§ 387. Buschmänner: Moffat, Miss. Labours 57ff ; Schinz. Deutsch-Südwest-Afrika 392;
H. v. Francois, Xama und Daniara 237.
§ 388. Sakalaven: C. Keller im Glob. 51, 183. — J ava: Morin, U. d. T. 454. — Daja ken:
Grabowsky im Glob. 72, 271. — Karolineu-Ins.: Montero y Vidal, El Arohipelago
461; (Ponape) F. W.Christian, The Caroline Islands 72. — X'auru: Jung 66. —
Samoa: Turner. Samoa 195: II*. v. Bülow bei Deeken, Manuia Samoa 54ff. — Oster-
insel: II". J. Thomson bei M. Haberlandt, Die Schrifttafeln d. O., Glob. 61. l77.
Xeukaledonien: J.J. Atkinson in Kolk-Lore XIV, 249 f. — Bismarck- Archipel:
J Graf Pfeil, Studien 19ff.. 30ff. u. 4.".: Powell, Unter den Kannibalen. D. Ü., Leipzig
1884, S. 60. — Salomo-Inseln: Braun in „Gott will es'-, 1902, S. 50f. — Papua:
Chalmers und Wyatt QyU, Neuguinea 2o9l. u. 260; 31. Krieger. Xeuguinea 164 u. 193;
B. Hagen, Papuan. Kulturbild, in ,.Völkerschair' III, 15 u. Unt. d. Pap. 230. —
Australien: Christmann, Australien 350; E. Jung in ..Die Natur" 1878, S. 271 u.
in ..Aus allen Weltteilen" 1877, S. 347; vgl. ferner Mitchell, Three Expeditions II, 44 f. j
Salvado, Memorie storiche 3 1 1 f . ; Bischofs im „Anthropos" III, 35; Spencer and ffü
The Xative Tribes 63f. u. 312.
§ 389. .Japan: Krafft, Glob. 48, 220. — China: Hoogers, Theorie im Anthrop. V, 2; De
Groot bei Behrens, Der Kannibalismus. Glob. 81, 96; ff. M Stenz 9ff. — Tongkinesen :
H. Seidel im Glob. 57. 247. — Annamitcn: Cadiere, Philosophie, im Anthropos 111.
270; Glob. 58, 266. — Siamesen: A. H Hillmann, Kinderspielzeug. Glob. 78, 191.
— Thai: Boitrlet, Les Thay, im Anthrop. II, 364, 356f. u. 361 f.
§ 390. Chnlcha-Mongolen: Prschewalski, ['eisen in der Mongolei: Huc-Gabet, Wande-
rungen 59Ö'., 191 u. 295. — Turkestan: N. V. Seidlitz, Sprichw. 333. — Kirgisen:
Atkinson, liecollections 126. 152 u.a.; Brehm, Vom Nordpol 418f.: R. Karute, Von
kirgisischer Hochzeit, im Glob. 97, 43: Radioff im Glob. 48. 43ff. — Tnnguaen:
Middendorff, Sib. Heise IV, T. 2, 1500 u. 1535. — Ostjaken: Castrin, Reiseberichte
56f.; Erman, Reise um die Erde.
§ 391. Giljaken: /.. 0. Schrenck, Reisen III. t'40f. —Kamtschatka: Stellen Beschreibung
294f. u. 362f. — Tschuktschen: Vasüij Priklonski, Totengebräuche der Jakuten.
im Glob 59,82; Nordenskjöld, Die Umsegelung. — Aleuten: Langsdorff, Reise am die
Well 11, 63. — Eskimo: Ausführliche Beschreibung 70; Hall, Life I. 1021t'.. 1. 106(1
u. II. 170; Saabye 157ff.; Nansen, Eskimoleben 130; Eivind Astrup, Unt. d. Nacl
D. Übers. 205, 217 Q. 223; Boas, The Central Eskimos 612f. u. 615.
§ 392. Dene: Morice im Anthrop. II. 194. — Nascaupee: Labadie Lagrave, Le
Indiens, in Le Tour du Monde, N. S 16, Am p. 365. - Chippeway: I I. Mi
Kenney, Sketches 270. — Maskoki: Owen 65 f. — Navajos: Ostermann 866
Pirnas: von Murr 174. — Tschu'ma: W.J. Hoffmann, D ausgestorbenen Tschu'ma-
[nd., Glob 61, 3601'. — Surinam: De Goeje. B. Z. V. V. S. 22; Kappler, Surinam
214. — Karail.en der Antillen: Iht Tertre, Hist, gen. IL 376; Dapper, D. nnbek
e Wel< 207f. u 201. — Nordwest! Brasilien: Theod. Koch-Grünberg, Women of
all Nations 379. — Caraya: G t) Koenigswald 237. — üaingangs: Borba im '"lob. 50.
235. — Pampa: 0. Moreno, \ Feuerländer: Hyades im Glob. 49. 35 u. 38.
§§ 393 100 Zitate als Randbemerkungen. —
Anhang; II.
^
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Derselbe, im Archiv f. Anthropologie. 1880. Bd. XIII.
Andree, Richard, Ethnographische Parallelen u. Vergleichungen. Neue Folge. Leipzig 1889.
Derselbe, im Glob. 62.
Derselbe. Ratschen, Klappern und das Verstummen der Karfreitagsglocken. In Ztsehr. d.
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Andree-Eysn, Marie, Volkskundliches. Braunschweig 1910.
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Anhalt, Darstellung des Erziehungswesens im Zusammenhang mit der allgemeinen Cultur-
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Ankermann, Bernhard, Bericht über eine ethnographische Forschungsreise ins Grasland von
Kamerun. In Ztsehr. f. Ethnol 42.
Anienorid, John, Kinderspiele u. Spielzeug in üstasien. In „Völkerschau'', II. München 1902.
') Die benutzten Zeitschriften, Lexika u. ä. m. werden nicht alphabetisch, sondern nur
im Zusammenhang mit den Schriftstellern eingeführt. Ebensowenig kommen hier anonyme
Artikel in Betracht. Solche und andere Ergänzungen zu diesem alphabetischen Verzeichnis
finden sich bei den Zitaten, Anhang I.
gyg Anhang II. Quellenverzeiehnis in alphabetischer Ordnung.
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Appun, Das Ausland, 1871.
[ranzadi, Telesforo de. De la „Covoda" en Bspafia, Anthrop. V. 1910.
Arbois, De H., de Jubainvüle,,lia Familie Celtique. Etüde de droit compare. Paris 1905.
Aristoteles' Politik. Ausg. u. Übers, von Adolf Stahr. Leipzig 1839.
Derselbe, Ad Nicomachum.
Arndt, Augustin, Die heilige Schrift des Alten u. Neuen Testamentes. Regensburg 1907.
Arnim, A. »., und Brentano, Cl, Des Knaben Wunderhorn. 1. Aufl. 1806—1808. 2. Aufl.
1845—1846.
Dieselben. Kinderlieder, Anhang zum Wunderhorn. 1808.
Arnous, W. G., Die Frauen u. das Eheleben in Korea. Glob. 66 (1894).
Derselbe, Charakter und Moral der Koreaner. Glob. 67.
Arosenius, J. N., Ztschr. f. wissenschaftl. Geographie. 1881. Heft 5.
Arvieux, de, siehe Labat.
Ascherson, Paul, in Ztschr. f. Ethnol. 1870.
Astrup, Eivind, Unter den Nachbarn des Nordpols. D. Übers. Leipzig 1905.
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Atkinson, Recollections of Tartar Steppes and their Inhabitants. London 1863.
Atkinson, The Natives of New Caledonia in Folk-Lore. Vol. XIV. London 1903.
Attenhofer, II. Z. v., Medizin. Topogr. der Haupt- u. Residenzstadt St. Petersburg. 1817.
Aufhauser, Das Weihnachtsfest in geschichtlicher und religionsgeschichtlicher Bedeutung.
In Literarische Beilage zur Augsburger Postzeitung. Nr. 6. 1. Febr. 1912.
Augusti, Die heil. Handlungen der Christen, archäologisch dargestellt. In dessen ..Denk-
würdigkeiten".
Autenrieth, »., Abhandlung über Ursprung der Beschneidung. Tübingen 1829.
Aymonier, /-.'.. im Glob. 48.
Azara, i\. Reisen in Paraguay. Übers. Weyland.
Baader, B., Volkssagen a. d. Lande Baden u. d. angrenz. Gegenden. Karlsruhe 1851.
Bachmann, Johann, Egerländer Volkstum. In „Unser Egerland", XI. 19 >7.
Bachofen, J J., Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten
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Derselbe. Antiquarische Briefe vornehmlich zur Kenntnis der älteren Verwandtscbaftsbegriffe
Straßburg 1880.
Badke, Otto, Das italienische Volk im Spiegel seiner Volkslieder. Breslau u. Leipzig 1S7Ü.
Baer, von, Die Makrocephalen im Boden der Krim. Petersburg 1860.
Baeieman, Josef, Abyssinien u. Abyssinier. In „Echo aus Afrika'1. XXIII.
Bajon, Nachr. zur Gesch. von Cayenne. Erfurt 1781.
Bahr siehe Zachariae, Theodor.
Balfour-Northeote, M. G, County Folk-Lore, Vol. IV, Printed Extracts Nr. 6. Exemples of
Printed Folk-Lore concerning Northumberland. London 1904.
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Anhang III.
Alphabetisches Völkerverzeichiiis.
Abchasen (Asega). Ein Zweig der westliehen Kaukasusvölker.
Abessinier. Ein Mischvolk aus Negern, Arabern u. Ägypto-Libyern. Semitische Sprache i-t
vorherrschend. Ostafrika.
Abiponer. Jetzt ausgestorben; gehörten der Indianergruppe der Guaikuru in Brasilien und
Paraguay an.
All miralitäts- Insulaner. Melanesien Bismarck- Archipel. Deutsche Südsee.
Aetas (Ajitas). Auf den Philippinen. Siehe Xegritos.
Ägypter (alte). Hamitische SprachenfamUie.
Äthiopier. Ursprünglich ein Kullektivname für alle Schwarzen, bei Homer noch im entferntesten
Osten und im entferntesten Westen wohnend. Auch Herodot dachte sich noch Äthiopier
in Asien, während er die libyschen Äthiopier in das östliche Afrika, aufwärts von
Elephantine versetzte.
Afghanen. Ein Zweig der iranischen bzw. indo-etfropäischen Volker.
Agome- Keger. Bewohner der Gebirgslandschaft Agome in Deutsch-Togo.
Aguitequedichayas. Indianerstamm in Paraguay. (Ignace.)
Ajitas siehe Aetas.
Ai mores siehe Botokuden.
Ainos. Ein Zweig der Hyperboräer auf der Insel Jesso (Esso) u. im südlichen Sachalin.
Akik (Akit). Wahrscheinlich eine Mischung von Somang.- mit .l.ikuns. (M. Mozzkouvki.)
Gehören zu den kulturell tiefst stehenden Völkern der Gegenwart. Sumatra. Malayisch-
polynesische Sprachenfamilie. Siehe Sakeis.
Akikuyu siehe Wakikuyu und Kikuyu.
Akkader siehe Sumero- Ak ader.
Albanesen. Ein Zweig der Indo-Europäer in der Türkei, in Griechenland und Süditalien.
Aleuten. Ein hyperboraiscb.es Volk auf den Inseln gleichen Namens zwischen Kamtschatka
und Alaska. Powell rechnet die Aleuten zu den Eskimos.
Alfuren (Harafura). 1. Mischlinge von Malayen- und Papuablut auf Celebes. 2. Affuren
oderWuka im Hinterland desMap-Cluer-t iolfes. Holländisch -Xeuguinca. von Max Krieger
zur Papua-Kasse gerechnet.
Algonkin- Indianer. Eine Volkerfamilie, deren Zweige früher das weite i lebiel von Labrador
bis zti den Felsengebirgen und von der Hudsonsbai bis Nord-Karolina beherrschten.
Die Algonkin im engeren Sinn, die Kris (Crees), OjibwS (Chippewa), die Sacs,
Delaware (Lenni Lenape), Schani (Shawnee) u. a., teils in Kanada, teils in
den Vereinigten Staaten noch lebend, gehören hierher.
Amahuacas. Indianer im Bergland der peruanischen Ostgrenze.
A märin. Ein arabischer Stamm im nordwestlichen Arabien.
Amazulu siehe Sulu.
Amis. Ein sogenannter wilder Stamm auf Formosa. (W. Müller.)
Amuesha. Indianerstamm im Bergland der peruanischen Ostgrenze.
Andamanesen (Minkopi). Im bengalischen Meerbusen. Sprachlich von den Papuas und
Australiern sehr verschieden, aber somatisch mit ihnen verwandt. Scobel erwähnt Bii
unter den insularen Zwergstämmen.
An: i ii dies. Ein Stamm am Murchison River, westliches Australien.
Anna initen. Volk mit isolierender Sprache im Osten der hinterindischen Halbinsel, in Tongkin
und Cbchinchina. Chinesisch ist Schrift- und Gelehrlcnsprache. iSeolnl.)
Antankarana. Schwarze, kraushaarige Eingeborne von Madagaskar.
Anula. Einer der nördlichen Stamme von Central-Australien.
An Xagas. Ein seßhaftes Gebirgsvolk in Assam, jetzt unter englischer Herrschaft. (M. .1/"/;.;
id die Lo Nagas ein Zweig der Lobita-Völker, geh n also zu den
Völkern mit isolierenden Sprachen.
Apatschen. Südlicher Zweig der Athabasken oder 1) en e. Von Zentral-Tezas bis fast zun»
irado Etivei in Arizona.
Anhang III. Alphabetisches Völkerverzeichnis. 909
.Araber. Ein südlicher Zweig der Semiten. Arabische Halbinsel, Syrien, Mesopotamien, nörd-
liches und östliches Afrika.
Aranda siehe Arunta.
Araukaner. Nennen sich selbst Moluche, d. h. Krieger. Bewohnten vor der spanischen Er-
oberung Chile, wo sie jetzt nur noch den südlichen Teil einnehmen.
Arawäk (Arhuacos) siehe Arrawak.
Arier siehe Indo-Europäer.
Arktische Völker siehe H yperboräer.
Armenier. Ein westlicher Zweig der Indo- Europäer.
Arrawak. Indianer in Surinam, Niederländisch-Guayana. Zweige der weit verbreiteten
Xu- Aruak-(Aroak- oder Maipure-)Stämme, die von der Nordküste (durch das
zentrale Südamerika am Ostabhange der Andes) bis nach Bolivia reichen. Auch am
oberen Paraguay in Zentral-Brasilien wohnen einige Stämme. Zur Zeit der spanischen
Eroberung beherrschten sie die ganze Nord- und Nordostküste von Südamerika. Siehe auch
Goajiros.
Aru- Insulaner. Vorherrschend Negritos. Südöstliche Gruppe der kleinen Sunda-Inseln.
Arunta. Einer der nördlichen Stämme von Zentral-Australien.
Asande (Azande) siehe Njam-Njam.
Aschanti. Sudanneger im Hinterland der Goldküste. Nordwestafrika.
Assinneboines. Em Sioux-Stamm. Nordamerika.
Assyro- Babylonier. Nördliche Zweige der semitischen Völker in Mesopotamien.
Ataiyal. Em sogenannter wilder Volksstamm auf Formosa. (W. Müller.)
Athabasken oder Tinneh, siehe diese.
Atjinesen. Eingeborne (Malayen) von Atjeh, Atjih, Atchin, Atschin. Gouvernement
von Niederländisch-Ostindien im nördlichsten Teil der hinterindischen Insel Sumatra.
Auin. Buselileute der Kalahari-Wüste, Deutsch-Südwestafrika. Siehe Buschmänner.
Australier siehe malayisch-polynesische Völker.
Avaren. Ein den Hunnen verwandtes Volk türkischen Stammes, also der ural-altaischen
Völkerfamilie angehörig. Die Avaren saßen früher nördlich vom Kaukasus, drangen im
6. Jahrhundert bis an die Donau, im 7. bis nach Thüringen und Italien vor.
Aymara. Einer der sechs Stämme der Kitschua (Quichua, Quetschua) in Bolivia. Vgl.
Kitsch.ua und Inkaperuaner.
Azande siehe Asande.
Azteken. Hauptstamm der mexikanischen oder Nahua-Völkergruppe, deren Vasallenreich
sich beim Einfall der Spanier von Meer zu Meer erstreckte. (Scobel.J
Babylonier siehe Assyro- Babylonier.
Bachtijäri. Persisch-kurdisches Mischvolk, oder, wie andere wollen, reine Kurden in den
persischen Provinzen Luristan und Chusistan,
Backwiri. Neger an den südlichen und südöstlichen Abhängen des Kamerungebirges.
Badagar (Badagas). Ausgewanderte Kanaresen (also ein Dravida-Volk), in den Nilgiri-
Bergen des südlichen Vorderindien.
Bafiote (oder Kabinda). Neger an der Loango-Küste.
Bahima siehe Wahima.
Bajaka. Neger-Völker im französischen Kongo und im westlichen Kongostaat.
Bairu. Eingeborene in Kiziba (Kisiba), Landschaft am Westufer des Viktoria-Nyanza, Deutsch-
Ostafrika. (Hermann Rehse.)
Bakairi. Ein Zweig der Karaiben im Quellgebiet des Schingu, Brasilien.
Baktrer. Ein ackerbauendes Volk des Altertums im nördlichen Afghanistan.
Bakulia. Neger im nördlichen Deutsch-Ostafrika. (M. Weiss.)
Bakundu. Negervolk im nordwestlichen Kamerun.
Bakwiri siehe Backwiri.
Balemba. Bantuneger in Transvaal.
Bamangwato. Bantu-Neger in Südafrika.
Bambara. Sudanneger am oberen Senegal und Niger.
Bantu-Völker. Die Bantu-Völker (Neger) im mittleren und südlichen Afrika bilden den
Sudannegern gegi-nüber ein sprachlich wühl geschlossenes Ganzes; alle (16S)Bantusprachen
sind miteinander im grammatischen Bau und in den Wortwurzehi nahe verwandt. Sie
lassen sich in drei Hauptgruppen teilen, die östlichen, zentralen und westlichen.
(Scobel.)
Barmanen (Burmanen, Birmanen). Volk mit isolierender Sprache im Westen der hinter-
indischen Halbinsel.
Barutse siehe Barotse und Marutse.
Basari (Bassari). Neger im Innern von Deutsch-Togo.
Baschkiren. Ein turk-tatarisches Volk an der unteren Wolga, südöstliches Rußland.
Basiba siehe Wasiba.
910 Anhang III. Alphabetisches Völkerverzeiehnis.
Ba ken (Iberer). Ein Volk im nördlichen Spanien und südwestlichsten Frankreich, deren lin-
bisehe Verwandtschaft in neuester Zeit Heinrich Winkler gelöst zu haben seheint.
Nach Winkler gehört das Baskische den nord- und südkaukasischen .Sprachen an.
1 11 siehe Basari.
Basuto. Zweige der Betschuanen in Britisch-Südafrika. Gehören also, wie diese, den Kaffern
und mit diesen den zentralen Bantu an.
Batak( ker) (Battas). Früher a uf der Nordwest half te von Sumatra, dann nach der Umgebung
d< Toba- Sees im Innern verdrängt. Gehören anthropologisch zur braunen oder
in .l.iyischen Rasse, die mit der mongolischen nahe verwandt und aus ihr hervor-
gegangen ist, sprachlich zur westliehen Abteilung der mala yisch-pol yncsischen
Völker.
Batanga, Batonga (Matoka), Batoka. Negerin Britisch-Südafrika, zwischen dem oberen
Sambesi und dem Kafue.
Battak siehe Batak.
Bautschi siehe Bolo- Bolo.
I'.;i\ ili. Neger an der Loango-Küste, Westafrika.
Bayaga siehe Bajaka.
Bedja siehe Bischarin.
Beduinen, arabische, siehe Araber.
Beh. Neger des Ortes gleichen Namens an der Sklavenküste.
Belendas. Volk auf Malakka.
Bena Kanioka. Bantu-Neger im belgischen Kongo. (Trilles.)
Beräbir siehe Breber.
Berber. Zweige der hamitischen Völkerfamilie, nördliches Afrika.
Bergdamara. Deutsch-Südwest afrika. Werden mit Unrecht Klippkaffern genannt, da
sie keine Kaffern sind, ihre ethnographische Stellung ist noch unbekannt. Sie selbst
nennen sich „Haukoin", d. h. Menschen (Glob. 96, 170ff.).
Betschuanen siehe Kaffer.
Bicols. Ein malayisch-indonesisches Misohvolk auf den Philippinen.
Binbinga. Einer der nördlichen Stämme von Zentral-Australien.
Birmanen siehe Barmanen und Burmanen.
Bischarin (oder Bedja). Ein äthiopischer Zweig der hamitischen Völker im Land El Bedja,
von Abessinien nördlich bis zum 24° nördl. Breite und östlich vom Nil. Somalisch ein
berberisch-negrisches Mischvolk.
Boeroe siehe Buru.
Bogan. Ein Stamm am Darling-Fluß, südliches Australien.
Bojken. Ein ruthenischer Volksstamm.
Bolo'- Bolo oder Bautschi -Neger. In Nigeria.
Bombe. Ein Zweig der Njam - Njam. Siehe diese.
Bondo. Neger im südlichen Kongo-Staat.
Bongo. Zwei Negervölker, von denen das eine im Britischen Ostafrika, das andere im
KniiL'osfciat ist.
Bororö. Ein Volk im Innern von Südamerika, zwischen dem oberen Paraguay und Parana,
in Goyaz und Matto Grosso (Brasilien). Sprachenverwandtsehaft noch ungenügend
bekannt.
Botokuden (oder Aimores). Ein Zweig der Ges. Östliches Brasilien.
Brabanter. Vlämisches Belgien. Der Mundart nach hochdeutsch, und zwar oiederloth-
ringiseh.
Breber (Beräbir). Ein Berberstamm in Zentral-Marokko.
Bubis. Neger auf der Insel Fernando Pöo. Afrikanische Westküste.
Bugis. Ziemlich reinblütige Indonesier im südöstlichen Celebes.
Bulgaren. Ursprünglich ein Zweig der l 'ral-Altaien, jetzi slawisiert.
Bunjoro siehe Wahuma.
Burjaten. Ein mongolisches \'<ilk im südlichen Irkutsk, um den Baikalsei', zwischen Ix^na
und sibirischer Südgrenze, und zwischen Omni und Oka.
Buru- Insulaner. Malaven einer Molukkeiiinsel gleichen Namens.
Buru len. Chinesische Benennung der Karakirgisen.
Bu chmänner. [hre ethnographische Stellung ist noch unsicher. Sie nennen sich selbst
Sau (Sing. Sagua). Früher weiter verbreitet, sind sie jetzt in die ödesten Teile der
Kala hirsleppe. Südafrika, verdrängt. (Scobd.) Vgl. Auin und Namib.
Buschongo. Negervolk im südlichen Kongobecken. (Torday.)
< achibos. Indianer im Bergland der peruanischen Ostgrenze.
Cadiocos (Caduveos, Kadiueo). Ein Guaicuru-Stamm im südwestlichen Brasilien.
Cain ' iehe K a i nga ng.
i i in pa . Indianer in Peru, am Ucayali.
Can e la iehe ' !a piek ra as. *
Anhang Il[. Alphabetisches Völkerverzeichnis. 9JJ
Capanahuas. Indianer im Bergland der peruanischen Ostgrenze.
Capiekrans. Ein Zweig der Timbiras- oder Gesvölker im .Staat Maranhao in Brasilien,
nahe der Sierra dos Canelas. (Etienne Ignace.J
Caraya (Caraja, Karaja). Brasilianische Indianer am Xingu und Araguay.
Carrier. Ein Zweig der Dene-Indianer. Nordamerika. (P. Morice.)
Ceram - Insulaner. Bewohner der Insel gleichen Namens in Xicderländisch-Indien. Einge-
borne: Alfaren.
Chacobo. Der südhehste Zweig der Pano-Stämme. Südamerika.
Chalcha - Mongolen. Im Norden der Wüste Gobi; gehören sprachheh zur ural-altaischen
Völkerfamihe.
Chamorro. Bewohner der Marianen-Inseln. Mikronesiscke Rasse. Durch die Spanier fast
ganz vernichtet. Die überlebenden vermischten sieh mit ihren Nachbarn, den Tagalen
auf den Philippinen.
Chavantes. Ein Zweig der Ges in Brasilien.
( he yennes. Indianer in Dakota.
Chibchas siehe Tschibtschas.
Chinesen. Körperheh ein Mischvolk aus Zentralasiaten und Indonesiern, sprachlich zu der
Völkergruppe mit isolierenden Sprachen gehörig.
Chippewa(e). Ein Zweig der Algonkin -Indianer. Nordamerika.
Choctaws siehe Tsehokta.
Churrues. Indianer in Columbia.
Cimbern (Kimbrer). Ein germanisches Volk, dessen ältest bekannter Wohnsitz das heutige
Jütland (Dänemark) war.
Cirkassier siehe Tscherkessen.
Comanches (oder Ne-unre). Ein mit den Utah und Shoshonen oder Schlangenindianern,
also auch mit den mexikanischen Sonoravölkern und den Azteken verwandter Indianer-
stamm.
Conibos (Cunibos). Ein Zweig der kriegerischen und meist kannibalischen Pano, in Peru
am Ueayali-Fluß.
Cora. Indianer in der mexikanischen Sierra Madre Occidental.
Coroädos, d. h. ..Gekrönte", nach ihrem kranzförmig geschnittenen Kopfhaar so benannt.
Indianer im südöstuchen Brasilien, Rio Grande do Sul und Santa Catharina. (Auch
als Puri werden sie bezeichnet.)
Cree (Crih) siehe Kris und Algonkin.
Culinos. Indianer an der Grenze des nordöstlichen Peru, am Rio Javari, einem südliehen
Zufluß des Amazonas.
Cunibos siehe Conibos.
Dahomeer. Neger in dem früher mächtigen Reich Dahome, nordwestliche Küste von Afrika.
Dajaken. Ziemlich unvermischte Vertreter der reinen indonesischen Rasse im Innern
von Borneo. Linguistisch gehören die D. zu den malayisch-polynesischen Völkern.
Dakota siehe Sinus.
Damara siehe Herero.
Danigala - Weddas. Volk auf Ceylon.
Dauris. Ein Volk im persisch-indischen Grenzgebiet. (H. A. Böse.)
Dene siehe Tinneh.
Dieri. Ein Stamm am Eyre See in Süd-Australien.
Dinka. Ostsudanneger im oberen Nilgebiet.
Djolof (Wolof , Yolof). Sudanneger zwischen Senegal und Gambia, französisches Nordwest»
afrika.
Dongolawi. Nubier zu beiden Seiten des oberen Nil, also in Nubien.
Dravida. Nichtarische Völker der vorder-indischen Halbmsel und der Insel Ceylon.
Drawehner. Slawen im hannoverschen Wendland.
Drusen. Ein semitisches Bergvolk des Libanon.
Dsungaren. Em Zweig der Westmongolen in der Dsungarei.
Dualla. Neger in Kamerun.
Efe,. Ein den Akka sehr ähnliches mittelafrikanisches Zwergvolk. (Scobel.)
Erular siehe Irular.
Eskimos. Arktisehe (hyperboräiseke) Küstenvölker. Man unterscheidet Eskimos von Grön-
land und Labrador, mittlere Eskimos, Alaska-Eskimos, eine aleutische und eine asiatische
Gruppe, (Scobel.)
Esten (Esthen). Ein Zweig der Finnen oder Tschuden. also zur ural-altaischen Volker-
familie gehörig. In Esthland und den westlich vorliegenden Inseln, im nördlichen
Livland und Teilen von Pskow, Petersburg und Witebsk. (Scobel.)
Etas siehe Attas.
912 Anharjg III. Alphabetisches Völkerverzeichnis.
Ewe. Negerstämme zwischen den Flüssen Volta und Ogun, also in Togo, dessen Haupt-
bevölkerung aus Ewe besteht, und landeinwärts in Dahome. Der Ewe-Stamm Efik
befindet sich in Calabar.
Falaschas. Vortalmudische Juden in Abessinien. Sollen Nachkommen der Samaritaner sein.
Fan. Ein kriegerischer Stamm im französischen Kongo, der sprachlich zu den Bantu gehört.
in manchen Gebräuchen aber an die Njam-Njam erinnert.
Fanti. Sudaimeger an der Goldküste. Nordwestafrika.
Fellachen siehe Fellah.
Fellah (Fellachen). Nachkommen der alten Ägypter.
Fellata (Fellani) siehe Fulbe.
Fidschi (Vit i)-Insulaner. Eingeborne der Inseln gleichen Namens in Britisch-Ozeann n.
Mischlinge mit nielanesisch-polynesischem Blut.
Finnen (Tschuden). Zweige der Ural - Altaien. Siehe diese.
Fjort. Neger im französischen Kongo.
Flachkopf - Indianer (Flathead) siehe Tschinuk.
Fula siehe Fulbe.
Fulbin (Fellani, Fellata, Sing. Pulo). Em Mischvolk im nordwestlichen Afrika, das sich
sprachlich der hemitischen Völkergruppe nähert. (Scobel.) Sic sind die hellsehende
Rasse in den Haussa - Staaten und in Adamaua; ferner leben viele in Bornu, Bagirmi
und Wadai.
Galen. Ein Zweig der Kelten. Siehe diese.
Galla. Ostafrika. Ein Mischvolk, sprachlich zur hamitischen Völkerfamilie gehörig.
Gauchos. Argentinien. Mischlinge zwischen Weißen und Indianern.
Georgier. Ein westliches Kaukasusvolk.
Ger manische Völker. Sie teilen sieh in Nord- und Südgermanen. Zu jenen gehören die
Isländer, Norweger, Schweden und Dänen; zu den Südgermanen die Deutschen,
Friesen und Engländer. Vgl. Indo - Europäer.
Gethen (Geten, lat. Getae). Von J Grimm und andern mit den Goten identifiziert, nach
neueren Forschungen aber ein Zweig der thrazischen Völkergruppe, also immerhin
ein Zweig der Indo-Europäer. Zu Herodots Zeit lebten sie zwischen Balkan und der
unteren Donau.
Gilbert- Insulaner. Mikronesier. Südsee.
Giljakon. Ein sog. hyperboräisches oder arktisches Volk am unteren Amur und im nördlichen
Sachalin. Asiatische Nordostküste.
Goajiros. Nomadische Indianer auf der Halbinsel Goajira; nördlichstes Colombia. Zweig
der Nu - Aruak (Arrawak oder Maipure).
Golah. Neger in Liberia, afrikanische Nordwestküste. (Jean Marie Ceston.)
Golden. Ein Tungusenstamm am unteren Amur.
Goldküstcn - Neger. Am Küstengebiet zwischen der Elfenbein-(Zalm)-Küste und der Sklaven-
küste. Oberguinea. Nordwestliches Afrika.
Gonds (Gonda). Ein Dravida-Zweig in den Zentralprovinzen des südliehen Vorderindien.
Grönländer siehe Eskimos.
< rrusi siehe (Jeorgier.
Guajajaras. Indianer im nordöstlichen Brasilien.
Guaikuru. Eine Gruppe von Indianervölkern im Gran Chaco und westliehen Matto-Groaso,
als rdöstl. Argentinien, nördl. nordwestliches Paraguay und westlich-zentrales
Brasilien.
Guanas. Ein Zweig der Nu-aruak am oberen Paraguay. Südamerika.
Guanchen. Wahrscheinlich ein Berberzweig. Lebten zur Zeit der Entdeckung auf den Kana-
rischen Inseln, wurden aber von den Spaniern bald vernichtet. (Scobel.J
Guarani siehe Tupi - Guarani.
Guarayas. Indianer in Bolivia. Südamerika.
t :11a yiui ii siehe < ! uaikuru.
Hakka. Mongolen in der chinesischen Provinz Kwang-tung.
Samiten. [hre Sprachen sind mit den semitisohen Sprachen verwandt. Man unterscheidet
drei hamitische Völkerzweige: den altägyptischen, den berberischen und den
äthiopischen. Die alten Ägypter, Garamanten und L\!>ier. die heutigen Herber
bzw. Kabylen, die Guantschen, KTnbier, Bischarin, Falasoha, Galla, Somal, Massai, Njam-
Njam, Fulbe und andere gehören hierher.
1 1 .. i .. 1 1 . Bevölkerung der Landschaft Harar in Abeesinien, Das Har(r)ari ist ein Zweig dei
Hl ischen Sprachen.
Hau -i. Neger des inneren Westsudan, Bewohner des Fulbereiohs Sokoto mit den Tribu-
i ii i.i.iiin Gando und Adamaua. Ihre Sprache hat Ähnlichkeit mit hamitisc]
Sprachen. (Scobel.)
Anhang III. Alphabetisches Völkerverzeichnis. 913
Hawaiier. Ein polyncsischer Volksstannn auf Hawaii (Sandwichinseln). Vor dem 10. Jahr-
hundert auf Samoa und vielleicht noch früher auf den Marquesas und Tahiti. (Scobel.)
Herero oder Damara, ein Bantuvolk im Damaraland, Deutsch-Südwestafrika.
Hindu. Indien. Ihre Sprache, das Hindostani, wird von mehr als 100 Millionen Menschen
gesprochen. (Scobel.)
Ho. Ein zu den Ewe-Negern gehöriger Stamm in Deutsch-Togo.
Hopi siehe Moqui.
Hottentotten. Reste eines früher bedeutenden Volkes in Südafrika.
Howa. Eingeborne von Madagaskar. Sie gliedern sich sprachlich den indonesischen Völkern,
t_ besonders den Battak auf Sumatra, an; somatisch sind sie ein indonesisch-afrikanisches
Mischvolk.
Huasteken (Huaxtecas). Ein Zweig der Maya-Völker. Nordöstliches Mexiko.
Huichol. Indianer in Mexiko. Nachbarn der Cora.
Hunnen. Ein Turkstamm, also zur ural-altaischen Völkerfamihe gehörig. Die Hunnen waren
jene Uigur, welche als östlichster Zweig der Turkstämme seit den ältesten Zeiten Nach-
barn der Chinesen waren und mit diesen jahrhundertelang kämpften.
Hupa. Indianer in Kalifornien.
Hurdes siehe Jurdes.
Huzulen. Slawen an den nordöstlichen Abhängen der Karpathen. (Kaindl.)
Hyperboräer. Sie scheiden sich in eine westliche und eine östliche Gruppe. Jene bildet sich
aus den Jenissei - Ostjaken; diese aus den Jukagiren, Tschuktschen, Kor-
jaken, Kamtschadalen, Juit und Aleuten.
Jabim. Ein Papuastamm in Finsehhafen, Deutsch-Neuguinea.
Jakuten. Sibirische Nomaden, zur batavischen Völkergruppe, also ural-altaischen Völker-
familie gehörig.
Japer siehe Yaper.
Japaner. Ihre durch das Chinesische stark beeinflußte Sprache steht dem Mandschuischen,
einer ural - altaischen Sprache, am nächsten. Somatisch sind sie ein aus ver-
schiedenen Elementen hervorgegangenes Mischvolk. (Scobel.)
Jaunde. Neger im südlichen Kamerun.
Javanen. Eingeborne des östlichen Teiles der Insel Java. Sprachlich ein Zweig der malayisch-
polynesischen Völkerfamihe.
Jesiden. Eine (muselmanische?) Sekte in Mesopotamien.
Jivaros. Indianer im Waldland an der Ost-Cordillera von Ecuador. Südamerika.
Jolo - Insulaner siehe Sulu - Insulaner.
Juden siehe Hebräer bei Semiten.
Juraken. Nördliche Samojeden, also ein Zweig der Ural-Altaien.
Jurdes (Hurdes oder Urdes). Ein kulturell zurückgebliebenes Bergvölklein in der spanischen
E»| Provinz Extremadura, dessen Ursprung noch. dunkel ist. (Berruata.)
Ibäla. Ein arabisch-berberisches Mischvolk im nördlichen Marokko.
Iban siehe Dayaken.
Iberer siehe Basken.
Ibo. Sudanneger. Nordwestliches Afrika.
Ilocanen. Auf Luzon, Philippinen-Insel.
Imeretier. Im südwestlichen Kaukasus.
Indier siehe Hindu und Indo - Europäer.
Indo - Europäer. Diese Völkerfamilie umschheCt eine östliche und eine westliche Gruppe.
Zu jener gehören die hinduisicrten Arier in Indien, die Singhalesen, die arischen
Gebh-gsstämme im Süden des Hindukusch und die Iranischen Völker (Parsen, Kurden,
Osseten u. a. m.). Zur westlichen Gruppe gehören die Armenier, Albaneser.,
Lettoslawen, Slawen, Germanen, Kelten, romanische Völker und Griechen.
Indonesen siehe Malayisch - polynesische Völker.
Indo - Iranier siehe Indo - Europäer.
Inkaperuaner (Kitsehua, Quichua, Quetschua). Ein auf der höchsten einheimischen
Kultur stehendes Volk in Südamerika, das in sechs Stämme zerfiel.
Inuit siehe Eskimo.
Ipurina. Indianer in Bolivia und den angrenzenden brasilianischen Gebieten.
Irokesen. Eine Gruppe nordamerikanischer Indianervölker, deren Hauptgebiet am St. Lorenz-
strom und den großen Seen war.
Irular (Erular). Ein im südliehen Vorderindien weit verbreiteter Stamxnesname. Viele
dieser Stämme, z. B. jene in den Nilgiri, leben auf der historisch tiefsten Kulturstufe.
Isana. Indianer im nordwestlichen Brasilien.
Isolierende Sprachen siehe Völker mit isolierenden Sprachen.
Itelmen (Kamtschadalen). Bewohner von Kamtschatka, Halbinsel im nordöstlichen Sibirien.
Ploß-Renz, Das Kind. 3. Aufl. Band II. 58
914 Anhang III. Alphabetisches Völkerverzeichnis.
Kabinda siehe Bafiote.
Kabylen. Berberstämme, also zur hamitischen Völkerfamilie gehurig. Nördliches Algerien.
Kadiueo siehe Cadiocos.
Kaffern. Die energischsten und historisch bedeutungsvollsten Repräsentanten der Bantu-
rasse, welche in die Südost kaffern, die Zulu und Betschuanen zerfallen. (Oskar
Lenz bei Scobel.)
Kaffitscho (Kaffitcn). Bewohner von Kaffa oder Gömara im südlichen Abessinien. Die
Kaffiten sind ein Zweig der Galla. bezw. Hamiten.
Kafir oder Sijähposch (Siaposeh). Ein arischer Volksstamm in Kafiristan. Sie selbst
behaupten, griechischen Ursprungs zu sein.
Kaia-Kaia. Als — bezeichnet H. Nollen eine Gesellschaft (Societe.) der Eingeborenen von
Merauke in Niederländlsch-Neuguinea.
Kaingang. Indianer im Gran Chaco. Südamerika.
Kaisaken (Kassaken) siehe Kirgisen.
Kaitisch. Einer der nördlichen Stämme von Zentral-Australien.
Kalmücken. Am Altai. Ein Zweig der Mongolischen Völker. Ihr ältest bekannter Ursitz u.u
die Dsungarei.
Kamtschadalen. Ein hyperboräisehes Volk in Kamtschatka, nordöstliches Asien.
Kanikar. Ein kraushaariges Volk in den Wäldern Südindiens (Jagor).
Karagassen. Südlicher Zwei»: der Samojeden, welcher einen der historisch ältesten Wohnsitze
dieser Völkergruppe innehat, d. h. den Nordabhang des satanischen Gebirges, also an
der Grenze zwischen Sibirien und der Mongolei. Uralaltaische Völkerfamilie.
Karaja siehe Caraya.
Karakirgisen siehe Kirgisen.
Karesauer. Eingeborne der Insel Karesau, deutsche Schouten-Gruppe, zu Deutsch-Neu-
guinea gehörig.
Karolinen- Insulaner. Mikroncsier in der deutschen Südsee. Man unterscheidet eine »et-
liche und eine östliche Gruppe. Zu jener gehauen die Palauer und Yaper; zu diesen
die Ponaper, Kusaier u. a. m.
Karthager. Ein Zweig der nördlichen Semiten.
Kaschgarier, Turktataren. Die herrschende Bevölkerung von Ostturkestan. Ural-altaische
Völkerfamilie.
Kaschubcn. Slawische Reste der Pommern am Lebasee. (F. Tetzner.)
Kassuben siehe Kaschuben.
Kasubas. Ein Volk in den Nilgiris im südlichen Vorderindien. (C. Hayavadano Bao.)
Katschinzen. Ein turk-tatarischer Zweig im ostsibirischen Gouvernement Jenisseisk.
Kaukasusvölker, Dem Blut nach zur mittelländischen Rasse gehörig, sondern sie sich sprach-
lich ab. Man teilt sie in östliche, mittlere und westliche Völker. Die Osseten, obschon
jetzt im Kaukasus lebend, gehören sprachlich nicht zu den Kaukasusvölkern, sondern zu
denlranen, bezw. Indo-Europäern. In neuester Zeit rechnet Heinrich Winkler die Basken
oder Iberer zu den Kaukasusvölkern.
Käupuis. Ein Bergstamm in Manipur, Barma, Hinterindien.
Kavirondo. Ein Zweig der Nilvölker in Britisch-Ostafrika.
Kayapo siehe Cayapo.
Kelten. Zweige der Indo-Europäer. Ihre beiden volkreichsten noch lebenden Zweige sind die
Galen und die Kymrer; jene in Irland, Schottland und auf der Insel Man; diese in
Wales und in der Bretagne.
Khamti. Volk mit isolierender Sprache in Assam.
Khasi. Ein Volk in Assam, das in 2~< Kleinstaaten geteilt ist.
Khmer (Khamen). Ein hinterindisches Volk in Kambodja. Sprache isolierend.
Khyrini siehe Nongkrem.
Kikuyu siehe Wakikuyu.
Kimbrer siehe Cimbern.
Kinibundu. Bantuneger in Angola, portugiesisch Südwestafrika.
Kirghisen (Kirgisen). Tatarischer Zweig der ural-altaischen Völierfarnilie. Hie schwarzen
Kirgisen (Karakirgisen) waren früher am oberen Jenissei und hi den Sajanschen
Bergen, jetzt in Tien-Schan bis gegen Kokand. Die Kirgis- Kassaken (Chazak),
drei Horden bildend, leben in den Steppen Mittelasiens zwischen Amu Darja und dem
82 Grad östL Länge, südlich bis Chotan.
Kitechua (Quichua ,Que1 seh na). Siehe Inkaperuaner. Jetzt wird das Kitschua in mehreren
Mundarten in Peru (aber nicht auf der Hochebene), sowie in Bolivia und in einigen Teilen
ran Ecuador und Argentinien gesprochen. (Scobel.)
BLlamath- Indianer. Im Staate Oregon, westliches Nordamerika.
Kling (Telugu oder Telinka). Ein Dravida-Volk im südlichen Vorderindien zwischen Pulikat
und Orissa, westlich vom Mahrattaland und Mysore begrenzt. Die Kling-Sprache
nannte .1. Scobel das ..Italienische der Dravidasprachen".
Anhang III. Alphabetisches Völkerverzeichnis. 915
Klippkaffern siehe Bergdamara.
Kobeua, Indianer am Rio Cuduiary, nordwesti. Brasilien.
Kolchier. Volk der alten Welt, nach einer anonymen Arbeit in der „Civiltä Cattolica", Jahrg.
1893, Scythen (Hettiter), Nachkommen der Hyksos und Verwandte der Ägypter. (Die
Arbeit ist eine diesbezügliche Verteidigung Herodots gegen Rawlinson und Sayce.)
Koljuschen (Koluschenoder Thlinkit). Stämme: Sitka. Jakutat u. a. zwischen 55 und 60«
nördl. Breite. (Scobel.J Vgl. Thlinkit.
Kolstämme. Sprachlich, aber nicht somatisch von den Dravida verschiedene Stämme in
Zentralindien. Bengalen und Assam. Sprachlich sollen sie mit den Schan in Hinterindien
verwandt sein. (Scobel.)^
Koudh. Ein Dravida-Volk in Orissa.^Vorderindien.
Kongo- Völker. Sie zerfallen in zahlreiche, meist den Bantu-Negern angehörige Stämme.
Kopten. Nachkommen der alten Ägypter, am zahlreichsten in den Städten Oberägyptens
vertreten.
Koreaner. Ihre Sprache steht, wie das Japanische, in einem entfernten Zusammenhang mit
den ural-altaisclien Sprachen. Viele Wörter sind aber aus nordchinesiscben Dialekten
entlehnt. (Scobd.)
Korror- Insulaner. Westliche Karolinen. Gehören somatisch zu den Mikronesiern, sprachlich
zur malayisch-polynesischen Völkerfamilie.
Krähen- Indianer (Crow). Ein Zweig der Sioux-Indianer. Nordamerika.
Kratji- Neger (Kratyi). Sudanneger in Togo. Nordwestliches Afrika,
Kris. Indianer. Ein Zweig der nordamerikanischen Algonkin- Familie.
Kroaten. Ein Zweig der Siidslawen.
Kru. Ein als Arbeiter und Schiffsleute sehr geschätztes Negervolk östlich und westlich von
Kap Palmas, nordwestliche Küste von Afrika.
Kubus. Ein zwerghaftes Volk mit welligem Haar in den Urwäldern des südlichen Sumatra,
welches, wie die Wedda, Senoi, und Toala, von W. Schmidt als „Pygmoide" im Gegensatz
zu den kraushaarigen Pygmäen bezeichnet wird. Vgl. Pygmoide und Pygmäen.
Kumaon. Volk im nördlichen Vorderindien. (E. Schröder.)
Kumi. Stamm in Britisch-Neuguinea. (Egidi.)
Kunnuvans siehe Mannadis.
Kurden. Zweig der iranischen Volker, also zur östlichen Gruppe der Indo-Europäer gehörig.
Früher am Wan-See im armenischen Hochland, haben sie sich später in den Nachbar-
gebieten verbreitet.
Kuren. Zweig der ural-altaischen Völkerfamilie, früher auch auf der Kurischen Nehrung. Jetzt
sind die Kuren dort ausgestorben (Mankowski), und man spricht deutsch, lettisch und
litauisch
Kutschin. Nordamerikanisehe Indianer.
Kvänen (Kväiicr) siehe Finnen.
Kwakiul (Kwakiutl). Indianer in Britisch-C'olumbia und auf Vancouver-Island.
Laos. Bergstämme im nördlichen Siam. Sie unterscheiden sich von den Südsiamesen durch
schlankeren Wuchs, dunklere Hautfarbe und größere Energie. (Rein bei Scobel, 5. Aufl.)
Lappen. Ein Zweig der samojedisch-finnisehen, und durch diese, der ural-altaisshen Völker-
gruppe.
Larrekiya (Larrakiya). Stamm bei Port Darwin, Nord-Australien.
Lenguas oder Guaikurus im engeren Sinn. Ein Zweig der Guaikuru im weiteren Sinne. Para-
guay.
Leptscha oder Rong. Ein den Tibetanern verwandtes buddhistisches Volk in Sikkim.
Letten. Ein Zweig der Slawen in Livland und Kurland.
Libyer siehe Äthiopier.
Lingoas siehe Lenguas.
Litauer. Gehören zur letto-slawischen Völkergruppe, leben in Ostdeutschland und West-
rußland. Hierher gehörten auch die alten Preußen in Kurland und Livland. (Scobel,
:>. Aufl.)
Loango- Neger. An der südliehen Küstenstrecke des französischen Kongo, Westafrika.
Logo. Volk im nordöstlichsten Kongostaat.
Logon. Volk im Süden Bornus, zentraler Sudan.
Lunda. Volk und Reich im südwestlichen Kongostaat.
Lydier. Ein Volk der alten Welt. Indogermanen an der Westküste Kleinasiens.
Macedonier siehe Makedonien
Machololo siehe Makololo.
Macuchis. Wohl identisch mit Macusi?
Macusi. Ein Zweig der Karaiben in Britisch-Guayana.
Madagassen. Bevölkerung von Madagaskar. Vorherrschend Malayen und Neger.
Madi. Ost-Sudanneger im oberen Nilgebiet.
58*
9^6 Anhang III. Alphabetisches Volkervrzeiehuis.
Mafulu. Ein Papua-Bergstamm in Britisoh-Neuguinea. fP. Egidi.)
Magyaren. EinZweig der ugrischenVölkergrnppeund, durch diese, der samojedisch-finnischen,
bezw. ural-altaischen Völkerfamilie. Ihr ältester bekannter Woluisitz war am Ural.
Mainoten siehe Maniaten.
Maipure siehe Xu- Aruak.
Maka. Nordanierikanisehe Indianer im Staat Washington.
Makalaka. Negervölker am Zambesi und am Limpopo. Britisch-Südafrika. Zentrale Bantu-
völker.
Makassaren. Zweig der Malayisch-polynesischen Völkerfamilie auf Celebes.
Makedonier. Volk der alten Welt, Zweig der Albanesen, also auch der indoeuropäischen
Völkerfamilie.
Makololo. Negervolk in Britisch-Südafrika, südlich vom Njassa-See.
Makonde. Negervolk im südöstlichen Deutsch-Ostafrika.
Makusi siehe Maeusi.
Malabaren. Ein dravidischer. mit den Tamiten nah verwandter Stamm in Malabar, Kotschin
und Travancore, zwischen den Westghats und der Küste Vorderindiens.
Malayen siehe malayisch-polynesische Völker.
Malayisch-polynesische Völker. Diese Völkerfamilie umfaßt Völker, die ihren körperlichen
Eigenschaften nach ganz verschiedenen Rassen zuzurechnen und geographisch weit Ber-
streut sind. Sprachlich aber bilden sie ein Ganzes. Nach Rassen unterschied Scobel
zentral- und ostasiatische (Malayen), tropisch-kontinentale (Papuas) und tropisch-
insulare (Indonesen); sprachlich: Eine westliehe Abteilung (Völker des Malayisch'-n
Archipels und Madagaskars), eine östliche Abteilung, pazifische Gruppe (poly-
nesisch- mikronesische Völker und melanesische Völker), Papuas. Australier
und Tasmanien
Malinke. Ein Zweig der Mandingo in der Provinz Kita, französischer Sudan.
Malisoren. Ein Volksstamm in Oberalbanien, europäische Türkei.
Mamaq siehe Orang Mamma.
Mambunda. Zentrale Bantu im Nordwesten des britischen Südafrika.
Mamwera. Negervolk an der südlichen Küste von Deutsch-Ostafrika.
Manaos. Indianer zwischen Rio Negro und Solimöes, nördliches Brasilien.
Manda. Volk im Süden Deutsch-Ostafrikas. (H. Seidel.)
Mandäer. Anhänger einer morgenländischen Religionsgesellschaft am unteren Euphrat, den
semitischen Sprachenfamilien angehörig.
Mandan. Nordamerikanische Indianer. Tanner erwähnte Mandan als einen Zweig derSioux,
am Missouri. Ploß führte (im „Kind", 2. Aufl. II, 429) Mandan im Osten der Felsen-
gebirge an.
Mandingos. Neger/ am oberen Senegal und Niger, westlicher Sudan.
Mangandja (Mangandscha). Östliche Bantuneger am Njassa-See und Schire. Britisches
Südafrika.
Mangbuttu (Monbuttu). Wie die Njam-Njam ein negerähnliches Volk mit stark semitischem
Typus im Gebiet der westlichen Zuflüsse des Nil. Rohl und Jei bis an den Mittellauf
des Scharf. (Scobel.)
Mangischläk = Kirghisen. Auf der Halbinsel Mangischläk am Ostufer des Kaapischen
M «res.
Maniaten (Maionoten). Kriegerische Bewohner der Landschaft Mani (Maina) im südlichen
Peloponnes.
Manika. Bantu im östlichen Küstenvorland des britischen Südafrika.
Mannadis (Kunnuvans). Stamm auf den Palnihügeln, südliches Vorderindien. (Dahmen.)
Maori. Die historisch älteste Bevölkerung von Neuseeland. Polynesien
Mapuches. Indianer in Chile.
Maquamba. Ein Kaffernvolk in Südafrika.
Mara. Ehler der nördlichen Stämme von Zentral-Außtralien.
Marokkaner. Gemischte Bevölkerung: Biber, Araber, bzw. Mauren, Juden, Neger und
Europäer.
Maxoniten. Arabisierte, christliche Syrier mit syrischer Kirchensprache im Libanon.
Marsehall- Insulaner. Größtenteils Mikronesier. Deutsche Südsee.
Marutsc. Zentral-Bantu im Nordwesten des britischen Südafrika.
Masai siehe Massai.
Maschukulumbwe (Maschikolumbwe). Ein sogenanntes Sambesivolk in Britisch-Süd-
afrika, verwandt mit den Makalaka, Balonda. Barutse, Ovambo u. a. m. (Scobel.)
Maskoki (Foxindianer). Waren früher in Kanada, später im Mississippi-Tal und sind jetzt
in den Sae- u. Fox-Reservations. Westliches Nordamerika.
Massai. Nach Scobel ein äthiopischer Zweig der hamitisehen Völker in Britisch- und Deutsch-
(»stafrika. M. Weiß rechnet sie zu den Semiten.
Matambwe. östliche Bantuneger am Rovuma, Deutsch-Ostairika.
Matabele. Bantu -Neger auf dem Hochland des britischen Südafrika.
Anhang III. Alphabetisches Völkerverzeichuis. 917
Matoka, siehe Batanga.
Maues (Mauhes). Indianer am Amazonas, nördliches Brasilien.
Mauren werden gewöhnlich die Nachkommen der aus Spanien vertriebenen arabischen Städter
in Marokko genannt. Doch spricht man auch von maurischen Nomaden.
Mayas. Eine Gruppe alter Kulturvölker in Guatemala, Yucatan, Tabasco und Chiapas. Auch
die Huasteken im Noi dosten des heutigen Mexiko gehören hierher.
Mekeo. Ein Papua-Stamm nahe der Küste von Britisch-Neuguinea. (Egidi.)
Melanesien Siehe malayisch-polynesische Völker.
Melchiten. Eine Sekte der griechischen Kirche in Damaskus.
Mendi. Ackerbauende Neger in Sierra Leone. (Gestern.) Die Mendi sind mit Mandingo vermischt.
Mentawei- Insulaner. An der Westküste von Sumatra. Die Eingebornen sind Malayen.
Meta. Ein Zweig der Galla. Ostafrika.
Mexikaner, alte, siehe Nahua- Völker.
Meyrefab. Ein Araber-Stamm in Berber. ( ' Burckhardt. ) Ostafrika.
Mfiote. Neger an der Loango-Küste. Westliches Afrika.
Miao-tse (Miao-sse, auch Yao-sse, Yao-jen und Yao). Vorchinesische Stämme in der chine-
sischen Provinz Kwei-t chou und in Tonkin, das geographisch der genannten Provinz
nahe hegt.
Mikionesier siehe Malayisch-polynesische Völker.
Milanaus. Ein Dayaken-Stamm im nördlichen Borneo.
Minkopi siehe Andamanesen.
Misquitos siehe Mosquitos.
Mit tu. Ackerbauende Neger im obern Nilgebiet.
Mixteken. Ein Zweig der alten Nahuavölker, also der mexikanischen Völkergruppe.
Reste leben noch in Oaxaca, Puebla und Guerrero.
Mkulwe - Neger. Eingeborne der gleichnamigen Landschaft im südwestlichen Deutsch-
Ostafrika, am Unterlauf des Sasi. Siehe Wakulwe.
Mojave. Indianer in Californien und Arizona, Nordamerika.
Moki. Gehören, nach der vorherrschenden Meinung der Ethnographen, sprachlich zur mexi-
kanischen Völkerfamilie. Sie bewohnen mehrere Dörfer auf einem der Tafelberge
(mesas) im Staate Arizona. Nordamerika.
Monumbo. Papuas in Deutsch-Neuguinea. (Yormann.)
Mordwinen. Rußland. Zwischen Oka und Wolga, ein Zweig der bulgarischen, im weiteren
Sinn der finnischen Völkergruppe, bzw. ural-altaisehen Völkerfarnihe.
Mosquito, unrichtige Schreibweise für Misquito.
Motu -Motu. Ein hellfarbiger Stamm in Britisch-Neu-Guinea.
Msuaheli siehe Suaheli.
Muiseas (Mozcas). Unrichtige Benennung der Tschibtschas ((Jnibchas). (Scobel.j
Munda - Kolh. Unrichtige Benennung der Mundari - Kolh.
Mundari - Kolh. Eni Zweig der Koralier. einer der vier großen Volksstämnie Indiens.
Als Ureinwohner gedacht. Nicht -Arier.
Mundrucüs (Mundurucüs). Indianer am Tapajoz. Brasilien.
Mungeli Tehsil. Ein Volksstamm im Bilaspur-Distrikt, Indien.
Muralug. Ein Stamm am Kap York, Nord-Australien.
Muras. Indianer am Rio Madeira, nördliches Brasilien.
Mzab (Bon, Mzab). Volk in'der Sahara.' südliches Algerien.
w
Nahua -Völker. Eine Völkergruppe. 'deren Sprache das Nahuatl war.^T DerJHau ptstamm
dieser Völkergruppe waren die kulturell hochstehenden Azteken (Mexikaner).
Nair (Nhair). Eine der dravidischen Sprachenfamilie angehörige Militärkaste in Malabar,
Vorderindien.
Nama. In Lüderitzland und Walfischbai. Sind, nach Scobel, die typischsten Hotten-
totten.
Namib. Ein Buschmann- Volk. Südafrika.
Namollos. Ein Zweig der Tschuktschen an der Beringstraße.
Narrinjeri. Stämme am unteren Murray. Südliches Australien.
Nascopies (Nascaupees). Indianer in Labrador.
Natchez. Indianerstamm am untern Mississippi. Wurden 1730 von den Franzosen fast ganz
vernichtet. *
X avajos. Ein Zweig der südlichen Tinneh oder Dene in den Staaten Arizona, Colorado
und Utah.
Negritos. Ein kraushaariges Volk von relativ geringer Körperhöhe, welches gewöhnlich als
die ureingehorne Bevölkerung der Philippinen gib. W.Schmidt nennt sie echte Py-
gmäen, zu denen er ferner die Anda manesen (Minkopi) und Semang, sowie die
afrikanischen Buschmänner zählt. Vgl. Pygmäen und Pygmoiden.
Njam-Njam (Asande). Ein äthiopischer Zweig der hamitischen Völker, vom 4. bis 6. Grad
nördlicher Breite im Quellgebiet des Gazellenflusses. (Scobel.)
918 Anhang III. Alphabetisches Völkerverzeichnis.
Nikobaresen. Malayen im Bengalischen Golf.
Nilgalaweddas. Ein auf historisch tiefster Kulturstufe stehendes Volk auf Ceylon. (Riiti-
meyer.)
Noefooresen. Papuas auf der Insel Noefoor bei Neuguinea.
Noli. Ein Zweig der Galla. Ostafrika.
Nootka siehe Nutka.
Nordindianer. Jäger zwischen Hudsonbai, Churchill-Fluß. Großer Sklaven-See und
Athabacken-See. (Hearne.)
Nu-Aruak, siehe Arrawak.
Nubier. Im eigentlichen Sinne des Wortes sind nur die Barabra im Niltal Nubier, (J. L.
Burckhardt), die sich durch ihren Charakter weit über die sogenannten X u b i e r einem
Mischvolk in Berber, erheben.
Nutka. Indianer auf Vancouver-Island.
Odschibbeway (Ojibwä). Ein Stamm der Chippeway im weiteren Sinne.
Ojana. Indianer am Tapanahoni in Surinam, Südamerika.
Omaguas. Indianerstamm in San Paulo de Olivenca am Amazonenstrom, nordwestliches
Brasilien.
Orang - Laut. Sogenannte „TTrstämme" an der Küste von Malakka. (Josef Kohler.)
Orang Mamma (Mamaq). Fischer- und Jägervolk, das auch Reisbau betreibt, in den Ur-
wäldern Sumatras, welches von Felix Speiser auf ungefähr' die gleiche Kulturstufe
wie die Kubu, Sakei, Weddahs u. a. m. gestellt wird. Wahrscheinlich seien die
Orang Mamma eme Mischung von Weddah und Malaien.
Orang Temia. Ein Stamm auf Malaka.
Oroken. Volk auf Sachalin (Pilsudski).
Osseten. Sie nennen sich selbst Iron (Iran), sind ein Zweig der Indo-Europäer. Früher
weiter verbreitet, wurden sie im 13. Jahrhundert aus der Dongegend ins Hochgebirge
getrieben. (Scobel.)
Ostjaken (ugrische und Ostjak - Samojedcn). Sind Zweige der samojedisch-finniselim
Gruppe und gehören zur ural-altaischen Völkerfamilie. Ugrische Ostjaken leben in
den Gouvernements Tobolsk und Tumsk; Ostjak-Samojedcn am linken Ufer des mitt-
leren Jenissei.
Ovaherero siehe Herero.
Ozokumra. Ein Zwei," der Ac - Nagas in Assam. CP. Marcellinus Holz.)
Päonie r. Im Altertum ein über Thrazien und Macedonien verbreitetes Volk.
Palau - Insulaner. Gehören zur malayisch-polynesischen Völkerfamilie.
Paliyans. Ein nichtarisches Nomadenvolk in den Palm-Bergen, südliches Vorderindien.
(Dahmen.)
Paloczen. (Bergkumanen). Ein türkischer Stamm im Matra-Bükkgebirge in Ungarn.
Pampas - Indianer (Araukaner). Südliches Südamerika.
Pani. Nordamerikanische Indianer zwischen Nebraska und Arkansas.
Papuas, siehe malayisch - polynesische Völker.
Parsen. Iranisches Volk im nordwestlichen Indien und in den persischen Landschaften Jesd
und Kirman. (Scobel.)
Passes. Indianervolk im östlichen Ecuador.
Patagonen. Von den Pampas Tehuelche, d. h. Südmänner, genannt. Sind nomadisierende
Jäger und Fischer in Patagonien, südliches Südamerika.
Pau motu - Insulaner. Dunkelhäutige, grausame und kriegerische Polynesien
Pawnee siehe Pani.
Pehuenohen. Ein Zweig der Araukaner an der Küste von Chile, südlich bis nach Valdivia
hinab. H
Pepos. Eingeborne auf Formosa.
Perser. Iranischer Zweig der Indo-Europäer.
Peruaner, siehe Inkaperuaner.
Petivares. Indianerstamm in Brasilien.
Peul. Semitisches Volk im nordwestlichen Afrika.
Philipponen. Eme religiöse Sekte in Ostpreußen.
Pilagä. Indianer in Argentinien.
Pi mas. Indianer in Arizona und Sonora, am Gila und seinen südliehen Zuflüssen. Sprachlich
gehören sie zu dem sogenannten großen sonnrisehen Sprachstamm.
Vi p iles. Nach Bancroft ein Zweig des Maya-, nach Scobel ein Zweiu des Xahuastammes an
der pacifischen Küste des Mayalandes. Zentral-Amerika.
Piros. Indianer im Bergland der Ostgrenze von Peru.
Pokomo siehe Wapokomo.
Polynesier siehe Malayisch-polynesische Völker.
Potowatomie. Waren ein Zweig der Chippeway.
Anhang III. Alphabetisches Völkerverzeichnis. 919
Prabhu. Eine Hindugemeinde in Bombay, Vorderindien.
Preussen, alte. Ein Zweig der lettoslawischen Völkergruppe. Kurland und Lavland.
Pulayer. Eine .Sklavenkaste in Malabar. .Südliches Vorderindien. (Jagor.)
Pulo siehe Fulbe.
Puri siehe Coroädos.
Pygmäen. Den Begriff der Pygmäen beschränken W. Schmidt und G. Schuxdbe auf kraus-
haarige Stämme von geringer Körpergröße (unter 150 cm). Wellhaarige Völker von nur
wenig größerer Körperhöhe, wie die Wedda, Senoi. Toala, Kubu rechnet Schmidt
nicht zu den Pygmäen, sondern schlägt vor, sie als „Pygmoide" zu bezeichnen. Als
kraushaarige echte Pygmäen bleiben nach Schmidt in Asien die Negrito, Andama-
nesen und Semang und in Afrika die zerstreuten zentralafrikanischen Pygmäen-
stämme, sowie die Buschmänner.
Pygmoide siehe Pygmäen.
Pyuma. Ein sogenannter wilder Volksstamm auf Formosa. (W. Müller.)
Qabili. Die arabische Bauernbevölkerung in Yemen. (Manzoni.)
Quetschua (Quichua) siehe Inkaperuaner und Kitschua.
Bai Gonds. Volk in den östlichen Ghats, südliches Vorderindien.
Ranqueles. Zweig der Pampas-Indianer, Südamerika. Jetzt fast ganz verschwunden.
Remos. Indianer im Bergland der peruanischen Ostgrenze.
Romanische Völker. Die alten Römer, Volsker und Umbrer, die jetzigen Italiener, Spanier,
Portugiesen, Franzosen, Rumänen u. a. gehören zu dieser Völkerfamilie. Vgl. Indo-
Europäer.
Roucouyenne. Karaiben -Zweige in Surinam und französisch Guayana, sowie im nordöst-
lichen Brasilien.
Rumänen. Sprachlich zur romanischen Gruppe, anthropologisch und kulturell zur
griechisch - illyrischen .Gruppe gehörig. (Scobel.)
Russen (Großrussen und Kleinrussen). Zweige der Ostslawen.
Ruthenen. Zweig der slawischen Völker.
Sabari. Volksstamm auf Formosa.
Sakalaven. Bevölkerung mit Negertypus auf Madagaskar.
Sakeis (Sakai). Ein kulturell niederstehendes Volk im östlichen Sumatra, mit den Akit,
Orang Mamma und andern Völkern als Negritos bezeichnet, nach Speiser aber wahr-
scheinlich, so gut wie diese Völker, Malayen. Moszkowski erkennt in den Sakai auf
Sumatra die Senois von Malakka wieder, die Richard Andree somatisch zur Papua-
rasse rechnete.
Sakubansen. Russische Benennung der Tscherkessen oder Cireassier.
Salivas. Indianervolk in Columbia.
Salomo - Insulaner. Melanesier. Malayisch-polynesische Völkerfamihe.
Samoaner. Polynesier. Die Pflanzungsarbeiter auf Samoa sind aber größtenteils Melanesier
aus andern Inseln.
San. (Sing. Sagua.) So nennen sich die Buschmänner selbst. Siehe diese.
Sandwich - Insulaner siehe Hawaiier.
Sarawaker. Dajaken in Sarawak, Westküste von Borneo.
Sarten. Mischvolk aus Turktataren und Iranern, von den Chinesen Tarantschi (Hirse-
säer) genannt. Turkestan.
Sauromaten. Volk der alten Welt, welches den Turkstämmen, also Ural-Altaien, zugerechnet
wird.
Schan siehe Thai.
Schangalla (o). Ostafrikanisches Mischvolk, dessen Sprache dem Nubisehen ähnlich ist.
Schilluk. Ostafrikanisches Mischvolk. Araber- und Negerblut, letzteres vorherrschend.
Am westlichen Ufer des weißen Nil, Ost-Sudan. Sprachlich zu den Sudan-Negern ge-
rechnet. (Scobel.)
Schluh (Schluch, Schelluh). Ein Berberstamm in Südmarokko.
Schoschonen siehe Shoshonen. f i
Semang. Ein mit den Papuas verwandtes Volk auf der hinterindischen Halbinsel Malakka.
Semiten. Die Semiten scheiden sich in nördliche und südliche Zweige aus. Zu jenen ge-
hören die Aramäer, Chaldäer, Syrer, Assyrer-Babylonier, Hebräer, Phö-
nicier und Karthager (Punier); südliche Zweige sind: die Zentralaraber (Ismae-
liten) und die Südaraber; jene im nördlichen und mittleren Arabien, im westlichen
Asien und nördlichen Afrika; diese im südlichen Arabien u. östlichen Afrika (Abessinien
u. a. O.).
Senois. Volk auf Malakka. Siehe Sakei.
Serben. Südslawen. Indo-Europäer.
Shipibos. Indianer im Bergland der peruanischen Ostgrenze.
920 Anhang III. Alphabetisches Völkerverzeichnis.
Shoshoncn. Nordanierikanische Indianer, Verwandte der Co manches.
Siamesen siehe Thal.
Sijähposch siehe Kafir. .
Singhalesen. Ein Mischstamm von Ariern und Dravidas, sprachlich zu den lndo-lramern
' bzw. Indo -Europäern gehörig. Südliche Hälfte der Insel Ceylon.
Singpho. Volk mit isolierender Sprache in Ass am. Ein Zweig der Sc han-Völker. (Gramalzka.)
Sitka. Ein Zweig der Koljuschen oder Thlinkit.
Sioux oder Dakota. Indianer Nordamerikas. Früher im Osten der Alleghanyberge, jetzt
größtenteils westlich vom Mississippi.
Siusi. Indianer im nordwestlichen Brasilien.
Skandinavier. Xordgermanen.
Skythen. Volk der alten Welt, das zu den Turkstämmen gerechnet wird. Vgl. Kolonien
Slawische Völker siehe Indo - Europäer.
Slowenen siehe Winden.
Somali. Volk in Somaliland, südlich vom Golf von Aden, Ostafrika. Gehören spraehheh zur
hamitischen Völkerfarnilie, sind aber stark mit arabischem und teilweise auch mit Neger-
blut gemischt. (Scobel.)
Songo. Negervolk in Portugiesisch-Südwestafrika.
Soninke. Zweig der Mandingo, zwischen dem obern Senegal und obern Niger.
Sorben siehe Wenden. .
Sotho. Ein südafrikanisches Negervolk, nach Endemann identisch mit den Basutos.ku
Suaheli. Neger, stark mit ambischem Blut gemischt. Auf Sansibar und an der ostafrikanischen
Küste.
Sudanneger. Scobel unterscheidet vier Gruppen: Die Neger von Senegambien und Ober-
guinea, die Neger des innern Westsudan, die des zentralen Sudan von Bornu bis
Darfor' und die Negerstämme des Ostsudan im oberen Nilgebiet.
Suhl (Amazulu). Ein Kafferzweig im Sululand, Natal und nördlich vom Tugela. Südafrika.
S u m e r o - Ak k a d e r. Thuranier (?) der alten \\ elt ,» vm baby Ionische, Bevölkerung am unteren
Euphrat und Tigris.
Synteng. Ein Hügelstamm in Assam. Indien.
Syrier. Ein nördlicher Zweig der Semiten.
Tagalen. Volk auf den Philippinen.
Ta h i te r (Gesellschafts-Insulaner). Polynesien" |Südsee.
Tamanacos. Indianer am Orüioco. Venezuela. Südamerika.
Tamayos. Indianer im südlichen Brasilien. '■■
Tamilen. Dravidische Stämme im südlichen Vorderindien und im nördlichen und'östlichen
Ceylon.
Tanguten. Nach Sven Hedin ein den Tibetanern verwandter Stamm; nach Seobe! werden
sie oft zur mongolischen Völkergruppe gerechnet. Sie „beweiden" die Landschaft Tsaidam
im Norden Tibets, westlich des Kuku-nor.
Tanklmls. Bergstamm in Manipur. Indien.
Tapuya. Zweig der Ges-Völker. Brasilianische Ostküste.
Tarantschi siehe Sarten.
Tataren (Turkstämme). Sie bilden eine Abteilung der uralall aisehen Völkerfarnilie. Zu
ihnen gehören die sibirischen Tataren, die schwarzen Kirgisen (chinesisch Buruten);
die Kassak-Kirgiscn, IV.beken, Turkmenen, Baschkiren, Osmanli oder Türken, Skythen,
Hunnen, Avaren u. a. m. *
Tasmanier siehe Malayisch - Polynesischc Völker.
Tecunas. Ein aussterbender Indianersiammfnm oberen Solimoes, nordwestliches Brasilien.
Tehuelche (Tehuelhet) siehe Patagonen.
Telinka I ■ , t.- 1 ■ „
m . siehe Kling.
Telugu I
Tenkterer. Waren ein westgermanischer Stamm am Niederrhein.
Tepehuane. Indianer in Mexiko.
Thai. Völkergruppe im westlichen Hinterindien. Gehören der Völkerfarnilie mit isolierenden
Sprachen an.
Thlinkit (Koljuschen). Indianer in der Beringstraße, im südöstlichen Alaska und im
Alevmder \rehipcl. Vgl. Sitka.
Thracier siehe Thraker.
Thraker. Volk der alten Welt. Gehörten zur indo - europäischen Völkerfamilie, westliche
Abteilung. Homer nannte sie eines der größten Völker des südöstlichen Europa.
Tibbu (Teda). Ein Mischvolk mit vorherrschendem Negerblut in den Oasen der östlichen
Sahara.
Tibetaner. Volk mit isolierender Sprache in Tibet, Bhutan, den oberen Stufcnländern der
hinterindischen und chinesischen Flüsse bis zu denen des Hwangho; im Westen reichen
die Tibetaner bis nach Ladak und Baldistan. (Scobel.)
Anhang III. Alphabetisches Völkerverzeichnis. 921
Ticunas. Indianer am oberen Amazonas,' an der peruanisch-ecuadorianisch-brasilianischen
Grenze. j. ;
Tinneh. Eine Gruppe nordamerikanischer Indianervölker. Scheiden sich in nördliche, pazi-
fische und südliche Zweige aus. Die nördlichen grenzen an die Eskimos. Die pazifischen
sind zwischen andern Indianervölkern der Staaten Washington, Oregon und Kalifornien
eingekeilt. Die südlichsten sind die Navajos und die Apatschen
Tobas. Indianer, Zweige der Guaikurugruppe im Gran Chaco. Nordöstliches Argentinien,
nordwestliches Paraguay.
Toda. Sogenannte Ureinwohner in den Nilgiri-Bergen, südliches Vorderindien. Caldwell
nennt sie reine Dravida. Von andern Gelehrten werden sie den Dravida nicht bei-
gezählt.
Togo. Ein Volk aus der Gruppe der Ewe - Neger. Nordwestliches^ Afrika.
Tonga. Östliche Bantu in,Rhodesia und Gasa-Land. Südafrika.
Totonaken. Eüi Volk auf ziemlich hoher Kulturstufe im Küstenland des Golfes von Mexiko,
das im letzten Jahrhundert vor der spanischen Eroberung von den Azteken unterworfen
wurde. Ihre Kultur ist der der Huaxteka verwandt, die zur Völkerfamilie der Mayas
gehören.
Troglodyten. Ostafrikanisches Volk der alten Welt. Sirabos Troglodyten sind wahrschein-
lich die Vorfahren der heutigen So mal. (Eichard Andree.)
Tschautschu siehe Tschuktschen.
Tschechen. Ein Zweig der Westslawen in Böhmen, Mähren, Preußisch-Schlesien und
Österreich.
Tscher e missen. Ein Zweig der samojedisch-finnischen Völkergrnppe, also der großen Völker-
familie der Ural-Altaien. Wohnsitz am linken Wolgaufer, Gouvernement Kasan.
Tscherkessen (Cirkassier). Ein Zweig der westlichen Gruppe der Kaukasusvölker.
Tscherokesen (Tschiroki). Ein Zweig der Irokesen, östliches Nordamerika.
Tschetschenzen. Ein östlicher Zweig der Kaukasusvölker.
Tschibtschas. Nach Scobel „fälschlich" auch'Muisca genannt, sind ein hervorragender
Stamm der südpazifischen Indianer in Columbia. Ihre Sprache ist seit Mitte des 18. Jahrb..
erloschen.
Tschiglit. Eskimo am Mackenzie- und Anderson-Fluß.
Tschinuk. Indianerstamm an der Mündung des Columbia. Gehören zur nordpazifischen
Gruppe.
Tschokta (Choctaws). Ein Zweig der Maskoki-Familie.
Tschuden siehe Finnen.
Tschuktschen. Hyperboräer im Osten der nordasiatischen östlichen Küste, zwischen Tschaun
Bai und Anadyr Golf. (Scobel.)
Tschuma. Jetzt ausgestorbene Indianer auf der Insel Santa Cruz.
Tuasok. Ein Volksstamm auf Formosa.
Tucanos. Indianer im nordwestliehen Brasilien (ein Zweig der Miranha -Stämme an den
Grenzgebieten von Columbia, Ecuador und Brasilien). Die Tucanos selbst leben am
Ri Woaupes, nordwestliches Brasilien.
Türken. Ein Zweig der ural-altaischen Völkerfamilie.
Tungusen. Im weiteren Sinne eine zu den Ural-Altaien gehörige Völkergruppe, zu denen auch
die Mandschu gehören; im engeren Sinn eine Abteilung dieser Gruppe zwischen dem
Jenissci, den Jakuten, dem Ochotskischen Meer und dem Amur.
Tupi- Guarani. Eine Gruppe südamerikanischer Indianervölker, deren Stammsitze in Para-
guay und im östlichen Bolivia waren, von wo aus sie sich durch Brasilien nach dem
Nordosten und Norden Südamerikas ausbreiteten.
Tupin-Imbas. Indianer in Brasilien.
Tuyuka. Indianer im nordwestlichen Brasilien.
Uaupes (Waupes). Indianer an dem Flusse gleichen Namens infcolumbisch-brasilianischen
Grenzgebiet.
Uigur siehe Hunnen.
Unmatjera. Einer der nördlichen Stämme von Zentral-Australien.
Urabunna. Stamm in Zentral-Australien.
Ural-Altaische Völker. Sie bewohnen das mittlere, nördliche und nordwestliche Asien;
Zweige davon sind auch im südwestlichen Asien und in Europa. Man unterscheidet
sa mbjedisch-finnische. tat arische (Turkstämme), tungusische und mongolische
Gruppen. Die Ostjaken, Samojeden. Magyaren, Bulgaren, Tscheremissen,
Mordwinen, Finnen. Esthen. Lappen, Jakuten, Tataren, Kirgisen, Turk-
menen, Baschkiren, Osmanli und Tungusen mit ihren Zweigen (Golden,
Orotschen usw.); ferner die Mandschu, Mongolen, Kalmücken, Burjaten u. a.
gehören zur ural-altaischen Völkerfamilie.
Urdes siehe Jurdes.
922 Anhang III. Alphabetisches Völkerverzeichnis.
Vai siehe ]Wai.
Visayas. Volk auf den Philippinen.
Vili siehe Fidschi.
Völker mit isolierenden Sprachen. Hauptsächlich im Osten und Südosten Asiens. Die
Chinesen, Miaotse, Tibetaner, Bhuta, Khasi, Barmanen (Burmanen), Thaivölker (Sia-
mesen), Annamiten, Khmer u. a. gehören hierher.
Volsker. Ein Zweig der italischen Völkergruppe des Altertums.
Wachietschi. Volk in Afghanistan. (P. v. Stettin.)
Wadäwa. .Bevölkerung von Wadäi. Zentraler Sudan. (Neger, Araber und Fulben.)
Wadschagga (Dschagga, Djagga). Volk am Kilima-Xdjaro, also nordöstliches Deutsch-
Ostafrika.
Wagaya. Volk am Victoria Nyansa. Deutsch-Ostafrika. (Weiß.)
Wagogo. Bantuneger der Landschaft Ugogo im Innern von Deutsch-Ostafrika.
Wahehe. Bewohner von Uhehe.
Wahima (Watussi). Hamiten im Nordwesten Deutsch-Ostafrikas. (M. Weiß.)
Wahutu. Bantuneger im Norden von Deutsch-Ostafrika. (M. Weiß.)
Wal. Neger in Liberia, afrikanische Nordwestküste.
\\ 'akamba. Volk in Ukamba, enghsches Ostafrika.
Wakikuyu. Bewohner der Landschaft Kikuyu in Britisch-Ostafrika.
Wakilindi. Ein von den Arabern abstammendes Volk in Usambara, Deutsch-Ostafrika.
(Storch.)
Wakimbu (Wakimba). Volk im Innern von Deutsch-Ostafrika.
Wakisi. Volk im Süden Deutsch-Ostafrikas. (H. Seidel.)
W'akua. Volk in Deutsch-Ostafrika. (Von Behr.)
Wakuafi. Ein Mischvolk, sprachlich zum äthiopischen Zweig der hamitischen Spracken-
familie gerechnet. Früher zwischen Kilimandscharo u. Usambara, jetzt von den Massai
vertrieben, auf dem Leikipi-Plateau und am Viktoria-See. (Scobel.)
Wakuhve. Volk in der deutsch-ostafrikanischen Landschaft Mkulwe. (Alois Hamberger.)
Wakuma. Volk in Unjamwesi, Deutsch-Ostafrika. Südöstlichster Zweig der hamitischen
Völkergruppe. (Scobel.)
Wal pari. Einer der nördlichen Stämme von Zentral-Australien.
Wambugu. |Ein Hirtenvolk in Usambara, Nordöstliches Deutsch-Ostafrika. (Storch.)
Wamuera (Wamwera). Negervolk an der südlichen Küste von Deutsch-Ostafrika.
Wangoni. Deutsch-ostafrikanische Neger zwischen Victoria- und Tanganyika-See, also 'in
■ n.>rdwestlichen Teil des Landes.
Wanjambo. Bantustämme im Norden von Deutsch-Ostafrika, beherrscht von den hami-
tischen eingedrungenen Wahima.
Wanjamwesi. Volk in Deutsch-Ostafrika, südlich vom Viktoria-See.
Wanika. östliche Bantu bei Mombas, enghsches Ostafrika.
Wapare. Neger am Pare-Gebirge, südlich vom Kilimandjaro. Deutsch-Ostafrika.
Wapogoro. Volk in Deutsch-Ostafrika. {Fabry.)
Wapokomo. Neger im britischen, südöstlichen Ostafrika.
Waramunga. Einer der nördlichen Stämme von Zentral-Australien. (Spencer-Güllen.)
Waraus (W'araun, Warraws) siehe Warrau.
Warrau. Indianerin Britisch-Guayana. Südamerika.
Warna. Bevölkerung von Urua, Negerreich im Kongostaat.
Wasagara. Bewohner von Usagara, östliches Deutsch-Ostafrika.
Wasango. Bewohner von Madibira, Deutsch-Ostafrika.
Wasaramo. Bewohner von Usaramo, Deutsch-Ostafrika.
Waschambaa. Bewohner von Usambara, Deutsch-Ostafrika.
Wasegua (Waseguha). Deutsch-ostafrikanische Bewohner der Landschaft Useguha.
Wasiba (Basiba). Bewohner der Landschaft Kisiba (Kiziba) im Westen des Viktoriasces,
I >■ iitseh-Ostafrika.
Wasiri. Volk im Indisch-Persischen Grenzgebiete.
Wasu. Neger im Para-Gebirge, südlich vom Kilamandjaro. Deutseh-Ostafrika.
Wasuaheli siehe Suaheli.
Waupes siehe Uaupes.
Waziri siehe Wasiri.
Wa yao siehe Yao.
Wedda (Veda). Sogenannte Ureinwohner auf C/Cylon (und im südlichen Indien?). Siehe
auch Nilgalaweddas.
Wenden oder Sorben (Serbjo) Rest eines früher großen slawischen Volkes in Ober- und
X iederlausitz (Spreewald).
Whan-tshut. Ein Volksstamm auf Formosa.
Anhang III. Alphabetisches Völkerverzeichnis. 923
Winden oder Slowenen, Südslawen.
Wintun. Gebirgs-Indianer in Kalifornien, im Quellengebiet des Sacramento.
Wolof siehe Djolof.
VVuka siehe Alfuren. Im Hinterland des Mac-Cluer-Golfes.
Yahgan. Indianer auf dem Feuerland.
Yanäygua. Teilweise „wild", am Rio Parapiti. Südamerika. ( N ordenskiöld. )
Yao (Wayao). Bantu im Südosten von Deutsch-Ostafrika.
Yaper. Eingeborne von Yap. Mikronesier. Deutsche Südsee. Karolinen-Inseln.
Yaunde. Gehören nach G. Zenker zu den afrikanischen Fang-Völkern. Nach Scobel erinnern
die Fan im französischen Kongo in manchen ethischen Dingen an die Njam-Njani
(Hamiten), werden aber sprachlich zu den Bantuvölkern gerechnet.
Yolof siehe Djolof.
Yuracare. Indianer an den Flüssen Chimore., Mamoreeillo. Chapare, Secure und deren Neben-
flüssen. ^Südamerika. ( N ordenskiöld. )
Zambalen. Auf der Philippinen -Insel Luzon.
Zapoteken. Ein zur mexikanischen Völkergruppe gehöriges Volk am Isthmus von Tehu-
antepec. (Scobel.)
Zeltzigeuner, transsylvanische. Ein^Zweig der indo-europäisohen VölkerfamiUe in
Siebenbürgen.
Zigeuner siehe Zeltzigeuner.
Zwergvölker siehe Pygmäen und Pygmoide.
Inhalt des zweiten Bandes.
Seite
Kapitel XXXI: Das kleine Kind und das ihm gesungene Lied 1
200. Einleitung 1. — 201. Wiegen- uDd Schlummerlieder bei Indogermanen 2.
— 202. Wiegenlieder bei Nicht-Indogermanen 1H. — 203. Sogenannte Reiter- und
Knieliedehen 16. — 204. Eingerliedchen 19. — 205. Lieder oder Verse auf andere
Körperteile 20.
Kapitel XXXII: Sitz-, Steh- und Gehversuche des Kindes, Hilfsmittel .... 21
206 u. 207. Einleitung Ü2.
Kapitel XXXHI: Sympathie oder Zauber und verwandter Aberglaube in der
Behandlung des gesunden Kindes 7" 28
208. Einleitung 28. — 209. Wie bringt man ein Muttermal weg? 28 — 210. Das
Kinderbad und der Aberglaube 29. — 211. Kinderschlaf und Wiege im Aber-
glauben 30. — 212. Geheimnisvolle Beziehungen der Haare und Nägel zum Kind
33. — 213. Zauberische Wirkung der Kleidung auf das Kind 35. — 214. Das
Durchkriechen, Durchziehen, Durchreichen und Überschreiten des gesunden Kindes
36. — 215. Ei, Brot und andere Nährstoffe in ihren geheimnisvollen Wirkungen
auf das Kind 37. — 216. Das Sprechenlernen des Kindes im Volksglauben 38.
— 217. Amulette als Schutzmittel des gesunden Kindes 40. — 218. Die Zauber-
wirkung des Kusses auf das Kind 45. — 219. Varia 45.
Kapitel XXXIV: Das Zahnen 52
220. Einleitung 52. — 221. Das zahnende Kind im Brauch und Aberglauben
indogermanischer Völker 53. — 222. Die Kinderzähne im Brauch und Aberglauben
nicht-indogermanischer Völker 58.
Kapitel XXXV: Haaroperationen am Kinde. Das Haar, ein Bild des Lebens 64
223. Einleitung 64. — 224. Das Schneiden und Basieren der Kopfhaare als religiöser
Akt bei Indogermanen und Semiten 66. — 225. Das Schneiden und Basieren der
Kopfhaare als religiöser Akt bei Hamiten und Negern 69. — 226. Das Schneiden
und Basieren als religiöser Akt bei malayisch-polynesischen Völkern, .Japanern,
Dravida, Mongolen und Indianern 72. — 227. Das zeremonielle Schneiden und
Rasieren der Kopfhaare ohne nachgewiesene religiöseBedeutung 76. — 228. Varia 80.
Kapitel XXXVI: Operationen am Kindessehädel 82
229. Einleitung 82. — 230. Die künstliche Schädelverbildung bei Völkern der
alten Welt • und bei den Eskimos 85. — 231. Künstliche Schädelverbildung bei
Indianern 92. — 232. Die Sehädeltrepanation 98.
Kapitel XXXVII: Operationen mannigfacher Arten am Körper des Kindes . 100
I Einleitung 100. — 234. Das Ordnen des kindlichen Organismus 104. — 235.
Das Abplatten der Nase 108. — 236. Die Verschmälerung der Nase 109. 237.
Das Durchlöchern der Nasenscheidewand und der Nasenflügel, Einführung von
Fremdkörpern: Schmuck usw. 109. -- 238. Das Durchlöchern der (Ihren und
Lippen. Einfügung des Schmuckes 112. — 239. Das Ausschlagen, Schärfen und
Bemalen der Zähne 119. — 240. Bruchstücke über wirkliche und sagenhafte
Behandlung der Kinderbrust 124. — 241. Die Verunstaltung der Füße und Beine
124. — 242. Die im Kindesalter begonnene Tätowierung — Bemalung des Kindes
128. — 243. Varia 133.
Inhalt des zweiten Bandes.
925
Kapitel XXXVIII: Sexuelle Operationen.
244. Überblick 137.
I. Teil
Seite
137
Kapitel XXXVilJ.: II. Teil. Sexuelle Operationen am männlichen Geschlecht
245. Künstliche Verlängerung des Gliedes 154. — 246. Infibulation bei Knaben
154. — 247. Kastration des männlichen Geschlechtes 154. — 248. Knabenbeschnei-
dung bei Semiten und Iraniera 157. — 249. Knabenbeschneidung bei Hamiten
und Negern 169. — 250. Knabenbeschueidung bei malayisch-polynesischen Völkern
inkl. Papuas und Australier 189. — 251. Knabenbeschneidung bei Turkstämmen
und Indianern 211.
154
Kapitel XXXVTH: III. Teil. Sexuelle Operationen am weiblichen Geschlecht 215
252. Künstliche Verlängerung der weiblichen Genitalien. Deflorierung im Kindes-
alter 215. — 253. Exstirpation, Zirkumzisiou, Infibulation, Aufschneidung usw.
220. — 254. Operative Eingriffe in die Eierstöcke 234.
Kapitel XXXIX: Des Kindes Spiel und Spielzeug 236
255. Einleitung 236. — 256. Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Indern und
Persern 240. — 257. Griechen, Römer und romanische Völker der Neuzeit. Seiten-
stücke bei Germanen 243. — 258. Kelten und Germanen. Europäische sogenannte
Urbevölkerung. Seitenstücke bei Slawen 252. — 259. Lettoslawen. Seitenstücke bei
(iermanen, Tibetanern und alten Indern 268.
Kapitel XL: Des Kindes Spiel und Spielzeug bei Nicht-Indoeuropäern ....
260. Orientalische Misehvölker. Semiten und Hamiten 270. — 261. Sudan- und
Bantuneger. Buschleute 274. — 262. Malayiseh-polynesische Völker 281. — 263.
Völker mit isolierenden Sprachen. Japaner und Koreaner 288. — 264. Nichtarische
Inder und Ural-Altaien. Ungarisch-schwäbische Vergleiche 296. — 265. Hyperboräer
und Indianer 300.
270
Kapitel XLI: Kleidung, Schmuck und Haartracht des heranwachsenden Kindes
266. Einleitung 307. — 267. Die Kleidung des heranwachsenden Kindes bei Indo-
europäeru, Semiten, Hamiten, Sudan- und ßantuvölkern, Buschleuten und Hotten-
totten 308. — 268. Die Kleidung des heranwachsenden Kindes bei malayisch-
polynesischen Völkern, Japanern, Koreanern und Völkern mit isolierenden Sprachen,
sowie bei nichtarischen Indern, Ural-Altaien, Hyperboräern und Indianern 313.
— 269. Schmuck des heranwachsenden Kindes 321. — 270. Haarfrisuren 327.
307
Kapitel L.XIT: Feste und Festfreuden des Kindes. Christliche und vorchristliche
Erinnerungen. Fruchtbarkeitskulte und Verwandtes
271. Einleitung 329. — 272. Allerseelen 332. — 273. St. Nikolaus und St. Martin
334. - 274. Advent 338. — 275. Weihnachten 339. — 276. Fest der unschuldigen
Kinder 350. — 277. Neujahr 353. — 278 Das Fest der heiligen drei Könige 357.
— 279. Fastnacht, Aschermittwoch und Funkensountag — Lichtmeß in Armenien
361. — 280. Sonntag Lätare 367. — 281. St. Gregorius- und St. Georgstag 373.
Kapitel XT.TTT: Festfreuden des Kindes. Christliche und vorchristliche
Erinnerungen. Fruchtbarkeitskulte und Verwandtes. Fortsetzung und Schluß
282. Karwoche und Ostern 375. — 283. Pfingsten 382. — 284. St. Johannes in
der Sonnenwende 387. — 285. Maibräuche 389. — 286. Frühlings- und Sommer-
feste verschiedener Arten 393. — 287. Herbstfeste 400. — 288. Geburtstage und
ähnliche Feste. Religiöse und profane Bräuche 401. -- 289. Kinderrollen bei
Hochzeiten 404.
375
Kapitel XLIV: Pflege, Abhärtung, Charakterbildung und körperliche Züchtigung
des heranwachsenden Kindes 406
290. Einleitung 406. — 291. Abhärtung und Pflege des heranwachsenden Kindes
409. — 292. Charakterbildung und Züchtigung des Kindes bei Indoeuropäern,
Semiten und Hamiten 419. — 293. Charakterbildung und Züchtigung des Kindes
bei Sudan- und ßantuvölkern, Hottentotten und malayisch-polynesischen Völkern
426. — 294. Charakterbildung und Züchtigung bei Japanern, Koreanern. Völkern
mit isolierenden Sprachen und vorderindischen Nichtariern 431. — 295. Charakter-
bildung und Züchtigung des Kindes bei Ural-Altaien, Hyperboräern und Indiaue'n
437. — 296. Dämonenfurcht als Zuchtmittel und Verwandtes 445.
926 Inhalt des zweiten Bandes.
Seite
Kapitel XLV: Die Heranziehung des Kindes zu körperlicher Arbeit 451
297. Mädchenarbeit 451. — 298. Knabenarbeit 458. — 299. Gemeinsame Arbeiten
beider Geschlechter 465. — 300. Gymnastik, Tanz, Waftenübungen, Reiten.
Schwimmen u. a. m. 467.
Kapitel XL VI: Das Kind und das Schulwesen 474
301. Das Kind und das Schulwesen bei Indoeuropäern und vorderindischen
Nichtariern 474. — 302. Das Kind und das Schulwesen bei Semiten und Hamiten
480. — 303. Das Kind und das Schulwesen bei Sudan- und Bantunegern, Busch-
leuten und malayisch-polynesischen Völkern 486. — 304. Das Kind und das
Schulwesen bei Japanern, Koreanern, Chinesen, Khmer und Thai 496. — 305.
Das Kind und das Schulwesen bei Ural-Altaien 507. — 306. Das Kind und das
Schulwesen bei Indianern 510. — 307. Das Kind und das Schulwesen 516.
Kapitel XLVH: Kind und Keuschheit. Das Beispiel der Erwachsenen .... 519
308. Einleitung 519. — 309. Sogenannte widernatürliche Laster (Päderastie. Unanie
usw.) 521. — 310. Verkehr der beiden Geschlechter. Theorie und Praxis bei Indo-
europäern und nichtarischen Indern 531. — 311. Hamiten. Semiten, Neger, Busch-
leute und Hottentotten 535. — 312. Malayisch-polynesische Völker 544. — 313.
Koreaner, Chinesen, Japaner, Katchin, Thai und Bevölkerung von Kambodscha
548. — 314. Ural-Altaien und Hyperboräer 552. — 315. Indianer 553. — 316.
Die Keuschheit des Kindes in der Gefangenschaft 558.
Kapitel XL VIDI: Das aktive Kind im religiösen Kult. Verwandtes 560
317. Einleitung 560. -- 318. Ahnenkult 562. — 319. Götterkult 570. — 320.
Islam 587.
Kapitel XLIX: Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes 590
321. Einleitung 590. — 322. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Indo-
europäern 593. — 323. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Semiteu und
Hamiten 597. — 324. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Negern. Hotten-
totten und Buschleuteu 600. — 325. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei
malayisch-polynesischen Völkern 603. — 326. Rechtsverhältnisse des legitimen
Kindes bei Japanern, Koreanern und Völkern mit isolierenden Sprachen 605. —
327. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei den Dravida inkl. Toda 609. —
328. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Ural-Altaien und Hyperboräern
609. — 329. Rechtsverhältnisse des legitimen Kindes bei Indianern 610.
Kapitel L: Vater- und sogenanntes Mutterrecht, bzw. Zugehörigkeit des Kindes
bei Völkern mit Promiskuität, Gruppenehe und Polyandrie 614
330. Einleitung 614. — 331. Zugehörigkeit des Kindes bei Völkern mit Promis-
kuität 614. — 332. Zugehörigkeit des Kindes in Gruppenehen 619. — 333. Zu-
gehörigkeit des Kindes in polyandrischen Ehen 620. — 334. Überblick 824.
Kapitel LI: Portsetzung über das sogenannte Mutterrecht. Tatsachen und
Erklärungsversuche 626
335. Einleitung 626. — 336. Das sogenannte Mntterreeht bei Indoeuropäern mit
Einschluß einiger ethnisch umstrittener Völker 627. — 337. „Mutterrecht" bei
üaukasusvölkern und Semiten? — Spuren in Spanien 629. — 338. „Mutterrecht"
bei Hamiten 630. — 339. „Mutterrecht" bei Sudan- und Bantuvölkern 631. — 340.
...Muiterrecht" bei malayisch-polynesischen Völkern inkl. Negritos. Papuas und
Australier 636. — 341. ,, Mutterrecht" in Hinterindien. Spuren von Gynäkokratie
and Neffenerbrecht im japanischen Mythus 640. — 312. Mutterrechl bei Indianern
641. — 343. Überblick und Lösungsversueh 643.
Kapitel LH: Das Erbrecht des Kindes mit Ausschluß des sog. Mutterrechtes 648
341. Einleitung 648. — 345. Nachfolge in Amt und Würde 650. — 346. Erbe
an Immobilien und Mobilien bei liidoeumpärni und Abchasen 654. — 347. Erbe
an Immobilien und Mobilien bei Semiten und Hamiten 657. — 348. Erbe an
Immobilien und Mobilien inkl. Eheweiber und Sklaven bei Negern und Busch-
leuteu 659 319. Erbe an Töchtern und Weibern bzw. Immobilien und Mobilien
bei den Battak, Monumbo-Papuas und Vapern 660. — 350. Erbe an Immobilien
and Mobilien bei Koreanern, Chinesen. Ao-Nagas, Thai. Annamiten, Golden und
Jakuten 861. - 351. Erbe an Mobilien und Immobilien bei amerikanischen
Völkern 663.
Inhalt des zweiten Bandes. 927
Seite
Kapitel LUI: Fragmentarische Berichte über das Schicksal des Waisen- und
Stiefkindes 665
352. Einleitung 665. — 353. Das Waisenkind. Vormundschaft 666. — 354. Das
Stieikind (Fragmente) 672.
Kapitel LIV: Das Adoptiv-, Pflege- und Ziehkind 674
355. Einleitung 674. — 356. Das Adoptivkind 676. — 357. Das Zieh- oder Pflege-
kind (Fragmente) 685.
Kapitel LV: Das illegitime Kind. Seine sittliche Auffassung und rechtliche
Stellung. Positives und Negatives 688
358. Einleitung 688. — 359. Indoeuropäer, Semiten und Hamiten 689. — 360.
Neger, Buschleute und malayisch-polynesisehe Völker 693. — 361. Koreaner,
Japaner, Chinesen und Annamiten 697. — 362. Ural-Altaien, Hyperboräer und
Indianer 698.
Kapitel LVI: Verlobung und Verheiratung des Kindes 700
363. Einleitung 700. — 364. Indoeuropäer und vorderindische Nichtarier 701.
— 365. Semiten, Hamiten, Neger, Buschleute und Hottentotten 706. — 366.
Malayisch-polynesisehe Völker 710. — 367. Koreaner, Chinesen und Ural-Altaien
712. — 368. Hyperboräer und Indianer 713.
Kapitel LVU: Pubertätsfeste exklusive Beschneidung 715
369. Einleitung 715. — Pubertätsfeste des weiblichen Geschlechtes: 370.
Südliches Vorderindien 729. — 371. Griechen und Araber 730. — 372. Sudan-
und Bantuvölker 730. — 373. Buschleute und Hottentotten 739. — 374. Malayisch-
polynesisehe Völker 740. — 375. Chinesen, Siamesen und Khmer, bzw. Bevölkerung
von Kambodscha 744. — 376. Ural-Altaien, Hyperboräer (Aleuten) und Indianer 74."».
Kapitel LVIU: Pubertätsfeste exklusive Beschneidung (Fortsetzung und Schluß) 755
Pubertätsfeste des männlichen Geschlechtes: 377. Indoeuropäer 755.
— 378. Semiten und Hamiteu 757. — 379. Sudan- und Bantuvölker. Auin-
Buschleute 758. — 380. Malayisch-polynesisehe Völker 762. — 381. Japaner,
Chinesen, Annamiten, Siamesen und Ainos (Fragmente) 776. — 382. Indianer 777.
Kapitel LIX: Gegenseitige Liebe zwischen Eltern und Kindern. Positives und
Negatives 787
383. Einleitung 787. - - 384. Indoeuropäer, Nichtarier in Vorderindien und
Abchasen 789. — 385. Semiten und Hamiten 793. — 386. Sudan- und Bantu-
völker 795. — ■ 387. Hottentotten und Buschmänner 798. — 388. Malayisch-polyne-
sisehe Völker 799. — 389. Japaner und Völker mit isolierenden Sprachen 804.
— 390. Ural-Altaien 807. — 391. Hyperboräer 809. — 392. Indianer 811.
Kapitel LX: Hypothesen der letzten fünf Jahrzehnte über die Urgeschichte der
Familie. Einschlägige Tatsachen und Mythen 815
393. Einleitung 815. — 394. Bachofens „Mutterrecht" 815. — 395. Völker mit
Promiskuität, Gruppenehe und Polyandrie (ohne Berücksichtigung des Kindes).
Vorehelicher Hetärismus 816. — 396. Monogamie bei Völkern auf der historisch
tiefsten Stufe sonstiger Kultur 819. — 397 — 399. Anhänger und Gegner der Bach-
ofenschen Promiskuitätshypothese 820. - 400. Die Degradationshypothese.
Mythen und Tatsachen 824.
Anhang I: Zitate 826
Anhang II: Quellenverzeichnis in alphabetischer Ordnung 875
Anhang DU: Alphabetisches Völkerverzeichnis 908
Errata:
Bd. I, S. 266, oben. Soll heißen: Malayisch-polynesisehe (statt malayische
polyn.).
Bd. I, S. 408, § 136 (am Schluß). Soll heißen: Parallelen folgen am
Schluß dieses und am Anfang des folgenden Kapitels.
Im gleichen Verlage beginnt September 1912 in gleicher Ausstattung
zu erscheinen:
Das Weib
in der Natur- und Völkerkunde.
Anthropologische Studien
von
Dr. Heinrich Ploß und Dr. Max Bartels.
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