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Full text of "Das Kind in Brauch und Sitte der Völker. Völkerkundliche Studien von Heinrich Ploss. 3., gänzlich umgearb. und stark verm. Aufl. nach dem Tode des Verfassers hrsg. von B. Renz"

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Dr.  phil.   B.  Renz: 

DAS  KIND 


2.   Band. 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2011  with  funding  from 

University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/daskindinbrauchu02plos 


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DAS  KIND 


IN  BRAUCH  UND  SITTE  DER  VÖLKER 


Völkerkundliche  Studien 


von 


Dr.  med.  Heinrich  Ploß 

Dritte,  gänzlich  umgearbeitete  und  stark  vermehrte  Auflage 

Nach  dem  Tode  des  Verfassers  herausgegeben 
von 

Dr.  phil.  B.  Renz 


Zweiter  Band 


Mit  274  Abbildungen  im  Text 


Leipzig 

Th.  Grieben's   Verlag  (L.   Fernau") 
1912 


JAN    9  1970       !] 


ALLE  EECHTE  VORBEHALTEN 


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['nick  von  A.  Hopfer  in  Burg  b.  H. 


Kapitel  XXXI. 

Das  kleine  Kind  und  das  ihni  gesungene  Lied. 

§  200.  In  dem  Organ  des  Katholischen  Frauenbundes  l)  war  im  Jahre 
1909  in  einem  „Vom  Schlafen"  überschriebenen  Beitrag  zu  lesen:  „.  .  .  Auch 
liege  ich  ganz  und  gar  mit  dir  in  Fetide,  du  gute  Mutter,  die  du  abends  am 
Bettchen  deines  Kindes  sitzest  und  ihm  Liedchen  singst.  In  der  Kunst  und 
Poesie  haben  die  etwas  Liebliches  und  Rührendes,  aber  laß  sie  am  Kinderbett. 
Einzigste  Ausnahme,  wenn  eins  krank  ist.  Du  gewöhnst  deinen  Liebling  daran, 
daß  er  vor  dem  Schlafen  eine  kleine  Sensation  eileben  muß.  Aus  dem  Lied 
wird  späterhin  eine  Geschichte,  und  wenn  du  sie  nicht  mehr  erzählen  kannst, 
nimmt  das  große  Kind  sich  ein  Buch  mit  ins  Bett;  eine  kleine  Kerze  ist  vom 
Taschengeld  wohl  zu  erschwingen.  Und  was  ist  die  Folge?  Kurzsichtige 
Augen,  nervöse  Gereiztheit  sind  noch  die  geringsten  Übel." 

Mit  dieser  Anschauung  vom  Schlummerlied  tritt  die  moderne  Frau, 
wie  in  zahlreichen  andern  Auffassungen,  in  einen  bemerkenswerten  Gegensatz 
zur  Frau  oder  überhaupt  zum  Menschen  vergangener  Zeiten.  Die  Vernunft 
soll  auch  in  diesem  Punkte  Phantasie  und  Gemüt  beherrschen ;  ihr  soll  etwas 
geopfert  werden,  was  einer  Reihe  von  Völkern  zum  Teil  seit  undenklichen 
Zeiten  ganz  besonders  sympathisch  war.  Finden  wir  doch  das  Schlummer- 
bzw. Wiegenlied  chronologisch  schon  im  alten  Griechenland  und  ethnologisch 
bei  Indogermanen,  Semiten,  Negern,  Hottentotten,  Malayo-Polynesiern,  Dravida, 
Völkern  mit  isolierenden  Sprachen,  Ural-Altaien  und  Indianern,  d.  h.  rings  um 
die  Erde. 

„ Ammenzauber''  nannte  die  Chronik  des  Franziskaners  Salimbene  die 
Lieder,  „welche  das  Weib  hersagt  beim  Schaukeln  der  Wiege,  um  das  Kind 
einzuschläfern,  ohne  welche  dasselbe  nur  schlecht  schlafen  und  keine  Ruhe 
haben  könnte".  —  Kaiser  Friedrieh  II.  soll  den  Versuch  gemacht  haben,  Knaben 
von  Ammen  und  Wärterinnen  stillen  und  pflegen  zu  lassen,  ohne  mit  ihnen  zu 
reden,  noch  sie  zu  liebkosen  (noch  ihnen  vorzusingen);  „denn  er  wollte  ersehen, 
ob  sie  hebräisch  als  die  älteste  Sprache,  oder  griechisch,  oder  lateinisch,  oder 
arabisch,  oder  etwa  die  Sprache  ihrer  Eltern  sprechen  würden.  Aber  er 
bemühte  sich  vergeblich,  weil  sie  alle  im  Kindes-  oder  vielmehr  Säuglings- 
alter starben.  Sie  konnten  ja  nicht  leben  ohne  den  Beifall,  die  Gebärden, 
freundlichen   Mienen    und   Liebkosungen   ihrer   Wärterinnen   und  Ammen" 2). 

Im  16.  Jahrhundert  riet  der  deutsche  Arzt  Rößlin,  man  solle  dem 
Wiegenkind  „eine  süße  Weis"  singen,  und  im  gleichen  Jahrhundert  (1777) 
schrieb  Fischer  in  seinem  „Podagrammisch  Trostbüchlein" : 

„Wo  Honig  ist,  da  samlen  sieh  die  fliegen, 

Wo  kinder  sind,  da  singt  man  um  die  wiegen."  — 

i)  „Der  Katholische  Frauenbund",  Köln  a.  Eh.,  3.  Jahrg.  (1909)  Nr.  2. 
2)  Hierzu  bemerkte  jedoch  Ploß  in  der  2.  A  uflage,  der  Chronist  erkläre  den  frühen  Tod 
dieser  Kinder  grundfalsch. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.     Band  II.  1 


2  Kapitel  XXXI.     Das  kleine  Kind  und  das  ihm  gesungene  Lied. 

Im  19.  Jahrhundert  berichtete  Rüekeri  über  seine  eigene  Kindheit: 

„Ich  war  ein  böses  Kind  und  schlief  nie  ungesungen; 

Doch  schlief  ich  ein  geschwind,  sobald  ein  Lied  erklungen, 

Das  meine  Mutter  sang  gelind. 

Und  also  bin  ich  noch,  ein  Schlaflied  muß  mir  klingen; 

Nur  dieses  lernt'  ich  noch,  es  selber  mir  zu  singen, 

Seit  ich  der  Mutter  wuchs  zu  hoch. 

Und  was  mir  tief  und  hoch  nun  mancherlei  erklungen, 
Ist  nur  ein  Nachhall  doch  von  dem,  was  sie  gesungeu; 
Die  Mutter  singt  in  Schlaf  mich  noch." 

Kunstlose  Formen  und  kindlicher  Inhalt  charakterisieren  das 
dem  kleinen  Kind  gesungene  Lied,  wo  immer  sich  ein  solches  findet. 
Die  allgemeine  Kultur  eines  Volkes  beeinflußt  die.  Form  kaum  merklich,  und 
auch  der  Inhalt  läßt  im  allgemeinen  wenig  auf  jene  schließen.  Unentwickelt 
ist  der  Verstand  des  Wiegenkindes  aller  Völker  und  Zonen.  Diesem  unent- 
wickelten Wesen  wird  es  gesungen,  und  zwar  schon  in  einem  Stadium,  in 
welchem  von  einem  Verständnis  noch  nicht  oder  nur  in  einem  geringen  Maße 
die  Rede  sein  kann.  Die  Liebe  zu  den  Kleinen  war  und  ist  hier  Lehrmeister 
und  Überlieferer  zugleich.  Was  die  Urgroßmutter  erfunden  und  womit  sie 
ihr  Töchterlein  in  Schlaf  gelullt,  summt,  wenigstens  zu  einem  guten  Teile  noch, 
ihre  Urenkelin  an  der  Wiege  ihres  eigenen  Kindes.  Herzlich  und  innig  soll 
es  klingeu.  Leicht  erfundene  Reime  und  ruhig  dahinschreitender  Rhythmus 
sollen  dem  Schlummerlied  etwas  Trauliches  verleihen.  Das  Kind  soll  durch 
die  stetig  ins  Ohr  klingende  Melodie  beschwichtigt,  bei  fortschreitender  seelischer 
Entwicklung  durch  den  Inhalt  des  Liedes  auch  beruhigt,  oder  aber  angeregt 
und  erheitert  werden.  Für  das  Schlummerlied  kann  allerdings  nur  die  erste 
dieser  Wirkungen  in  Frage  kommen.  Das  gleichmäßige  Tempo,  das  Monotone 
der  wiederholten  Melodie,  welche  mehr  gesummt  als  gesungen  wird,  soll  auf 
das  Kind  wirken  wie  das  leise  und  langsame  Zählen,  oder  wie  der  innere 
Blick  auf  ein  wogendes  Kornfeld,  wodurch  der  Erwachsene  sieh  selbst  ein- 
zuschläfern versucht. 

Abgesehen  von  der  erhofften  Wirkung  auf  das  Kind  ist  manches  Wiegen- 
lied aber  auch  ein  Erguß  des  Mutterherzens,  eine  Offenbarung  des 
Gemütslebens  der  Gattin:  Ein  Strauß  von  Blumen,  ein  Blümchen,  das  nie 
vom  Elend  versengt  werden  darf,  ist  der  Zigeunerin  ihr  Liebling.  --  Bauern- 
wohlstand,  einen  reichen  Zukünftigen  mit  „herrischen"  Zimmern  and  eine  an- 
gesehene Stellung'  unter  seinen  Mitbürgern  malt  die  Siebenbürger  Sächsin  ihrem 
..guhlijr  Kaijnf  vor.  —  Die  Schlesierin  überbringt  ihrem  Liebling  Grüße  von  den 
Engelein,  begnügl  sich  mit  dem  Wunsch  nach  einem  Gängelwagen,  um  ihr 
Kind  in  die  Kirche  zu  fahren,  und  bestreut  es  mit  Rosen.  —  Die  Ostfries- 
lämlerin  umfaßt  in  Liebe  Mann  und  Kind:  den  Glanz  ihres  Eheringes  ver- 
gleicht sie  mit  dem  der  Sonne  und  des  Mondes.  —  Die  Venezianerin  stellt 
in  ihrer  Aliwesenheit  Gott  zum  Wächter  der  Wiege  auf.  —  Die  Dravida- 
Mutter  in  Indien  sagt  ihrem  Liebling  vor,  was  Vater  und  Geschwister  ihm 
heimbringen  werden.  -  Die  Sioux-Indianerin  singt  von  Krieg  und  schürt 
schon  im  Wiegenkind  den  Kampfesmut  an  usw.  — 

§  201.    Wiegen-  und  Schlummerlieder  bei  Indo-Germnuen. 

Die  transsx ivanische  Zeltzigeunerin  lullt  ihr  Kind  in  den  Schlaf, 
indem  sie  singt : 

„Schlaf  mein  Blümchen  zart  und  klein, 

Schlaf  mein  Blumenstraußchen  fein! 

Noch  in  süßer  Mutterhul 

Ja  dein  kleines  Herzchen  ruht; 

Solls!   von   Elend   nie  was  wissen, 

\        las  <Tlück  sollst  du  vermissen."     (H.  V.  Wlislocki.) 


§  201.     Wiegen-  und  Schlummerlieder  bei  Indo-Germanen.  3 

Ein   mittel-   und  süddeutsches  Wiegenlied   aus  Bauernkreisen   singt 
zugleich  den  Storch  an1,).     Es  lautet: 

„Aenchen,  Benehen.  Gänseschnabel, 
Wenn  ich  dich  im  Himmel  habe, 
Reiß  ich  dir  ein  Beinchen  aus, 
Mach  ich  mir  ein  Pfeifchen  draus; 
Pfeif  ich  alle  Morgen, 
Hören's  alle  Storchen, 
Macht  die  Wiege  knick  und  knack, 
Schlaf,  du  kleiner  ] labersack!" 

Einige  der  in  Schlesien  beliebten  Schlummerlieder  hat  Drechsler  ver- 
öffentlicht.    Wir  entnehmen  ihnen  das  Folgende: 

,.Hnllai  bäbai, 

Schlof-mr  ock,  mei  sinle  ei. 

Schlof,  Hänsle,  sause, 

der  Voatr-es  nech  zu  Hause ; 

Schlöf,  Hänsle,  siße, 

de-engelcn   lön-dich  griße, 

de-liwe  engelen  lön-dr  säen, 

de-wärn-dich  mürn  eis  Himmele  traen. 

Schlof,  flansle,  lange, 

der  Tüd  sezst  ofdr  stange, 

ar-hot-n  weiße  kettel  6n, 

ar-wel  mei  sinle  mette  hon."  — 

Im  Liebauer  Tal  in  Niederschlesien  singt  man: 

„Schlof,  Kindla,  schlof, 

Der  Väter  schlacht  a  Schof, 

A  trat  das  Fell  räch  Friedeland 

Und  keft  dam  Kind  a  Wiegaband. 

Das  Wiegaband  trat  a  uf  Brassel; 

A  bringt  dam  Kind  a  Masser; 

Das  Masser  trat  a  uf  Bulkahäyn 

Und  keft  dam  Kinde  en  Creugelwäin, 

Doß  mer  könn  eis  Kerchla  forn. 

Aus  dam  Kerchla  wieder  hem, 

Warn  mersch  Kindla  schlofa  len. 

Honmersch  Kindla  wull  schlofa  gelet, 

Honmersch  mit  lauter  Hislan  bestret, 

Mit  gelba  Rislan,  mit  gelba  Klie, 

Kän  das  Kindla  schlofa,  su  lange  es  will."  — 

Ein  Beispiel  aus  Österreich-Schlesien  ist  das  folgende: 

„Haid'l-dunjm-dänne 
Haast  maine  Hänue? 
Wann  ich  äne  Hanne  haa, 
Muß  ich  aa  an  Haan  haan. 
Kickrickii  schrait  mai  Haan 
Haid'1-dumm-dänne, 
Hast  maine  Hanne." 

„Ich  saach  amol  d'r  aala  Zickzick  aas  Aett'r, 
Ich  dochte,  's  wäärn  Muume  ood'r  a  Fätt'r; 
s  waar  käne  Muume,  's  war  kä  Fätt'r, 
's  waar  d'r  aala  Zickzick  ür  Aettr."     (A.  Peter.) 

Im  Vogtlande  singt  die  Mutter: 

„Hei  Puppeia  (Eia  popeia2)  was  raschelt  im  Stroh':' 

Die  jungen  Gänsle  laufen  barfuß  und  haben  keine  Schuh; 

Der  Schuster  hat  Leder  und  keine  Leisten  dazu, 

Drum  laufen  die  Gänsle  barfuß  und  haben  keine  Schuh." 


')  Vgl.  die  Storchliedlein  der  Kinder  in  Kap.  XXX,  Bd.  I. 
!)  Altgriechisehe  Beste. 


Kapitel  XXXI.     Das  kleine  Kind  und  das  ihm  gesungene  Lied 


In  der  Gegend  von  Reichenbach  im  Vogtland  wird  gesungen: 

,,123456  sieben, 
Muß  ich  an  dem  Schiebbock  schieben, 
Muß  ich  singen:  Husch,  husch,  husch, 
Kleiner  Würgel,  halt'  die  Gusch!"1)    — 

1. 
„Ich  ging  einmal  nach  Engelland, 
Begegnete  mir  ein  Elefant; 
Elefant  mir  Gras  gab. 
Gras  ich  der  Kuh  gab, 
Kuh  mir  Milch  gab, 
Milch  ich  der  Mutter  gab, 
Mutter  mir  'nen  Dreier  gab, 
Dreier  ich  dem  Bäcker  gab, 


„Liebe  Mutter,  's  wird  Winter, 
Mach's  Stübchen  schön   warm, 
Komm,  setz'  dich  hinter' n  Ofen 
Und  nimm  mich  in'n  Arm." 

2. 
Bäcker  mir  ein  Brötchen  gab, 
Brötchen  ich  dem  Fleischer  gab, 
Fleischer  mir  ein   Würstchen  gab, 
Würstel  ich  dem  Hunde  gab, 
Hundel  mir  Pfötchen  gab, 
Pfötcheu  ich  der  Magd  gab, 
Magd  mir  einen  Klitsch  gab." 

(J.  A.  E.  Köhler.) 


Im  Fränkisch -Hennebergischen: 

„Amen,  Amen,  Amen, 

Die  Geiß,  die  geht  in  Samen, 

In  Samen  geht  die  Geiß; 

Die  Suppe,  die  war  heiß; 

Heiß  war  die  Suppe, 

Die  Kuh  kriegt  den  Schnuppe, 

Eu  Schnuppe  kriegt  die  Kuh; 

Aus  Leder  macht  man  Schuh; 

Schuh  macht  man  aus  Leder, 

Die  Gänse  haben  viel  Feder, 

Viel  Feder  haben  die  Gänse, 

Die  Füchse  haben  lange  Schwänze, 

Lange  Schwänze  haben  die  Füchse, 

Der  Edelmann  hat  eine  Kutsche, 

Wo  er  drein  fahren  kann. 

Eine  Katze  und  eine  Maus, 

Da  war  die  Geschichte  aus." 

(  Weisungen.) 

„Annele, 

Wannele, 

Besser  dich,  Annele, 

Plonisöck." 

„Bim  Barn, 

[  (er   Pfafi  ist   krank. 
Bot   kä  Stückle  Brud  in  Schrank. 
Hut   deß   Baus  voll  kleine  Kinder 
I  nd   kä  Stöckle   Holz  im   Winter." 

{Meiningen.) 


..Eia,  bobeia. 
Schlaf  lieber  wie  du, 
Willst  du's  nicht  glauben,  sieh  mer  mal  zu. 
Sieh  mer  mal  zu  wie  schläfrig  ich  bin, 
Zum  Schlafen,  zum  Schlafen  steht  mir 
mein   Sinn." 

„Fräle,  Fräle,  reine, 
Siebe  Kennerle  dreine, 
Boß  esse  nie  gern? 
Boß  trenke  nie  gern? 
Brot  und  Wein, 
Plätzle  drein, 
Schuck,  seluick,  Schuck!" 

(Ostheim.) 


„Da  kümmt  die  Krippel-Krappelmaus, 

Hu  will  se  naus? 

In  der  Mariele  ihr  Hühnerhäusle." 

(Meiningen.) 

„Eia,  bobeia, 

Boß  rappelt  im  Struu, 

Gänsle  gän  barwes  od  honn  kä  Schuu, 

Schuster  hat  Lader,  kä  Leistle  dezu ; 
Boß   könne  die   arme   Gänsle  dezu?" 


„Ich  will  dir  was  erzählen 
Von  der  Mummerelen, 
Diese  hatt'  ein'  schönen  Garten. 
Hier  ein'  Garten,  dort  ein'  Garten, 
Und  das  war  ein   Wundergarten. 
In  dem  Garten  stand  ein  Baum, 
Hier  ein  Baum,  dort  ein  Baum, 
Und  das  war  ein  Wunderbaum. 
Auf  dem  Baum  war  ein  Nest. 
Hier  ein  Nest,  dort  ein  Nest, 
Und  das  war  ein  Wundernest. 
In  dem  Nest  lag  ein  Ei, 
Hier  ein  Ei,  dort  ein  Ei, 
Und  das  war  ein  Wunderei. 
Aus   dem   Ei   kroch  ein   Vogel. 
Hier  ein  Vogel,  dort  ein  Vogel. 
Und   das  war  ein   Wundervogel. " 

„An  dem   Baum  stand  ein  Bett, 
Hier  ein   Bett,  dort  ein   Bett, 
Und  das  war  ein  Wunderbett. 
In  dem   Bett   lag  eine  Nonne. 
Hier  eine  Nonne,  dort  eine  Nonne, 
Und  das  war  eine   Wundernonne. 
Bei  dem   Bett  stand   ein   Tisch, 
Hier  ein  Tisch,  dort  ein  Tisch, 


')   In    R.   Fr.   Kaindls    „Lieder,    Neckereien,    Spiele   aus   der   Kinderwelt"   findet    sich 
die  folgende   Variante  dieser  vier  Verse: 

„1,  2.  8,  4,  5,  6,  7, 

Muß  ich  bei  der  Wiege  knien, 

Muß   ich  singen,  husch,  husch,  husch. 

Kleine  Bänkart.  halt  dein  Husch." 


§  201.     Wiegen-  und  Schlummerlieder  bei  Indo-Germanen. 


Und  das  war  ein  Wundertiseh. 
Auf  dem  Tisch  lag  ein  Buch. 
Hier  ein  Buch,  dort  ein  Buch, 
Und  das  war  ein  Wunderbuch. 
In  dem  Buche  stand  geschrieben: 
Die  Kinder  sollen  ihre  Eltern  lieben." 
(Meiningen.) 

„Ich  rüiir  on  rüür  en  Brei 
On  tu  en  Bröckle  Butter  nei. 
Schlag'  ein!" 

„Schockele,  schockele  Weide, 
Herrle  fährt  noch  Kreide, 
Fährt  nach  Römhild  in  die  Stadt, 
Kauft  sich  e  Weckle  on  iß  sich  sott, 
Legt  e  Stöckle  henner  die  Thür. 
Kömmt  der  Wolf  on  freßt's  herfür; 
Steigt  der  Wolf  den  Baum  hinauf, 
Quarzt  der  Baum,  knärzt  der  Baum, 

Im  Meininger  Oberlande: 

„Eia  bobeia  schlouf  liiwer  wie  duu 
Un  wilstes  niiet  geleeeb,se  gukmer  nar  zu." 

„Heia  beia  wiighensehtruua 
Schlöft  mei  Kinla,  bin  ich  frua." 

„Schlouf,  mei  bezzerla,  schlouf, 
Dei  daada  hütt  die  schouf, 


Gucke  drei  Pur  Docke  raus, 

Die  eine  spinnt  Seide, 

Die  andere  dreht   Weide, 

Die  dritte  steigt  den  Himmel  nauf, 

Läßt  e  besle  Sonne  raus, 

Läßt  e  besle  nei, 

Daß  denflannjörgle  sä  Himmle  trocke  sei." 

,,Sole,  sole,  sole, 

Da   dobe  kommt  deß  Mole  (Männchen); 
Da  dobe  kommt  der  Krippelkrapp, 
Will  de  Kindle  gleich  dertapp." 

„Wickwerwick,  mein  Mann  ist  krank, 
Wickwerwick,  was  fehlt  ihm  denn? 
Wickwerwick,  ein  Gläschen  Wein, 
Wickwerwick,  das  kann  nicht  sein. 
Wickwerwick,  den  Doktor  holen, 
Wickwerwick,  das  Loch  besohlen." 

{Bali.  Spieß.) 


Dei  mamma  hütt  die  Lemmerküü, 
Schlöft  mei  bezzerla  bis  zerfrüü." 

„Schlouf,  büüwla,  schlouf, 
Dei  fatter  is  a  schouf, 
Dei  Mutter  is  a  meerkatz, 
Duu  bist  a  kleeuer  draakbatz." 


In   Zützschdorf   im   Geisel tal   tritt   das  weitverbreitete   Schlummer- 
liedehen:  „Schlaf,  Kindchen,  schlaf"  vom  4.  Vers  mit  der  Abänderung  auf: 

,,üa  kriege  mer  schiene  Röcke," 

„N.  N.  kriegt  ein'  blauen," 

„N.  N.  kriegt  ein'  roten," 

„N.  (das  angesungene  Kind)  kriegt  ein'  gelben," 

„Der  ist  hinten  und  vorn  zerrissen." 

Im  Schwäbischen  lautet  eine  Variante  des   letzten  Verses:    „Ist  hinda 
und  vorna  verschissa." 

Bei  den  Siebenbürger  Sachsen  hört  das  Kind  unter  anderem  folgende 
Weisen: 


..Schlüef.  Tren'o,  schliief! 

Der  Voter  hat'  de  Sehüei; 

De  Motter  hat  de  Lämmeher, 

Se  broin't  der  och  zwei  däck  Mämcher." 

,.Suso.  Suso,  Siegeltschen! 
Der  Vöter  seheßt  e  Viegeltschen, 
E  seheßt  et  en  dem  grane   Wold; 
Suso,  Suso,  schlüef  nor  bald." 

„Schlief,  ieneg  Maidsehen,  sehlief! 
Der  Vueter  hait  de  Schief. 
Den'  Kül  mät  viele  Pferden, 
En  hiescher  vun  geberden. 
Die  friegt  am  dech  am  Ställen 
Und  wird  dech  froien  wällen. 

Schlief,  ieneg  Maidschen.  schlief! 
Der  Vuoter  hait  de  Schief. 
Den'  Kül  huet  harresch  Stuven, 
Die  sollst  da  wunnen  üwen, 
Die  sollst  da  dech   verteiren. 
Det  gonz  Hous  die  regeiren. 


Schlief,  ieneg  Maidschen,  schlief! 

Der  Vuoter  hait  de  schief; 

Ech  wäll  dech  waeschen,  kommen, 

Dech  fluchten   und  afrömmen, 

Dat  da  de  Loiden  allen 

Am  Muort  sollst  wülgel'allen !" 

(„Schlaf,  o   Katherina,  schlafe! 

Der  Vater  hütet  die  Schafe; 

Die  Mutter  hütet  die  Lämmlein, 

Sie  bringt  dir  auch  zwei  dicke  Brüste.") 

(„0  Suschen,  Suschen,  Goldkind! 
Der  Vater  schießt  ein   Vögelchen, 
Er  schießt  es  in  dem  grünen  Wald; 
0  Suschen,  Suschen,  schlafe  nur  bald.") 

(„Schlafe,  liebliches  Slädchen,  schlafe! 
Der  Vater  hütet  die  Schafe; 
Dein  Geliebter  mit  vielen  Pferden, 
Ein  hübscher  von  Gebärden, 
Der  fragt  um  dich  im   Stillen 
Und  wird  dich  freien  wollen! 


Kapitel  XXXI.     Das  kleine  Kind  und  das  ihm  gesungene  Lied. 


Schlaf,  liebliches  Mädchen,  schlafe! 

Der  Vater  hütet  die  Schafe, 

Dein  Geliebter  hat  herrische  Zimmer, 

Da  sollst  du  wohnen  oben, 

Da  sollst  du  dann  verkehren; 

Das  ganze  Haus  dort  regieren. 

„Si,   81   sigelchen, 
Der  Truewe  flecht  e  Wigelchen, 
Har  nedde  stägen  de  Nonnen, 
Se  hatten  e  Kaenjd  gefongen, 
Se  schmiessent  en  de  Bach, 
Dat  et  alles  zebräch." 

..Hajo,  Hajo 

Kit  der  Hajo 

Nit  de  Mierzken  aen  de  Sack, 

Drid  en  aen  de  Bierebansch, 

Fraßt  en  wan  en  Haselnaeß." 


Schlafe,  liebliches  Mädchen,  schlafe. 

Der  Vater  hütet  die  Schafe, 

Ich  will  dich  waschen,  kämmen, 

Dein  Haar  flechten  und  dich  putzen. 

Daß  du  den  Leuten  allen 

Im  Markt  sollst  Wohlgefallen!") 

„Schlaf,  Hanzi,  schlöf. 

De  Vigel  sanjen  aem  Hof, 

De  Katze  spaennen  af  'em  Hiert, 

Te  banst  mer  tausend  Gaelde  wiert, 

Schlöf,  Hanzi,  schlaf." 


,,Susi,  susi,  sigeltchen. 

Der  Voter  schuß  e  Vigeltchen 

E  schuß  et  aen  dem  graene   Wald, 

Susi,  Kaendchen,  schlöf  nor  bald." 


(Im  Winter:) 
„Wol  flaegen  de  Wölken, 
Wol  saußt  der  Wajint, 
Wol  staewen  de  Flocken, 
Aemeraenk. 
Schlöf  nor,  schlöf  nor, 
Me  güldig  Kaijnt." 

(Hillner.) 

Ein  preußisches  Schlummerlied  lautet: 

„Schlafe,   Kindchen,  schlafe, 
Draußen  stehn  zwei  Schafe, 
Ein  buntes  und  ein  weißes, 
Wenn  das  Kind  nicht  schlafen  wi 
Kommt  das  bunte  und  beißt  es." 

„Schlafe,  Kindchen,  schlafe, 
Draußen  stehn  die  Schafe 
Mit  den  weißen  Füßen, 
Geben  Milch,  so  süße; 
Süße   .Milch   und   Weizenbrot 
Machet   mir  mein   Kindchen   rot." 


Kili  bunter  Bock  spielt  auch  in  einem  plattdeutschen  Liedchen  dieser 
Art  eine  Rolle. 

„Schlap,  Kindlc,  schlap, 
Hute  stahn   de  Schap, 
Bute  steil   du   bunte   Hock, 
Bringt  dem  Kind  e  nüe  Rock." 

Kili  anderes  plattdeutsches  aus  der  Gegend  von  Xeuenkirchen-Damme 
in  Westfalen  lautet: 

..Als  ick   Da   ne  Junfer  was,   was   ick   so   lin. 
So   Im,   as  man   no  gnädig  Friilen   mag  sin. 
Da   was  ick  so   wacker  un  so  fin,   als  derto. 
Nu  silt  ick  bi  de  Weigen  un  singe  ei  ei, 
I  ia  popeia,  ei  eia  popei." 

„Won  Märkten   nix  was  to  dann. 

Dann  konn  ick  up'n   Awend  mit  den  Spinnrad  utgaun, 

Dal  sang  dal  spann  sick  vor  Lust  un  Pleseer, 

egg'  Jo  igens:   Üisi  doch  en  wacker  Deerrn. 

Xu  sitt   iclt  bi  de   Weigi  a  un  singe  ei,  ei, 
Bi,  i  ia  poj  i  in   popei." 


§  201.     Wiegen-  uud  Schlummerlieder  bei  Indo-Germanen. 

„As  ick  na  ne  Junfer,  da  was  at  mi  paß. 
Da  ging  de  Viole,  nu  geht  de  Brummbaß. 
O  war  ick  doch  ewig  ne  Junfer  blewen, 
Un  hadd'  mi  nich  up  dat  Frien  begewen. 
Nu  sitt  ick  bi  de  Weigen  un  singe  ei  ei, 
Ei,  eia  popeia,  ei,  eia  popei." 


IuOstfriesland  schläfert  die  Mutter  ihr  Kindlein  mit  folgenden  Versen  ein: 


..Tot,  Tot,  soggt  d'Goos, 

Kumm,  kumm,  soggt  d'Gant,  • 

Laat  uns  na  Fock  sien  Schüiir  to  gaan 

Dar  heff  wi  noch   wat  Hafer  stan  usw." 


„Ho,  ho,  si,  so! 

Wat  nüsselt  in't  Stroh? 

Dat  sunt  te  Totgööskes, 

De  hebben  gien  Schoh  usw." 

{Sundermann.) 

,,Süse  mien  Lamm,  süse  mien  Lamm, 
Mamma  wull  kieken,  of  Papa  kam. 
Papa  was  so  wiet  weglopen, 
Wull  (wollte)  sien  Puppi'n  kooktje  kopen. 
Süse  mien  Lamm,  süse  mien  Lamm, 
.Mama  wul  kieken,  ob  Papa  kam." 

„Süse  mien  Kindje  slaap! 
Dien  Vater  haalt'n  old  Schaap. 
Dieu  Moder  melkt  d'old  swartbunt  koo. 
Kindje  do  (thu,  mache)  du  dien  Ogen  to." 

..Süse  —  nanne  —  pope! 

Dat  Kind  liggt  in  de  Grope  (Stallrinne), 

Vader  un  Moder  sunt  wiet  van   Hus, 

Wie  können  hör  neet  beropen, 

Dien   Vader  is  in   Engeland 

Haalt  dat  Kind  'n  Ledeband  (Gängelband), 

*'n  Ledeband  mit  Kuopen, 

Dar  kan  dat  Kind  mit  lopen; 

'n  Ledeband  mit  Ringen, 

Dar  kan   dat  Kind  mit  springen; 

'n  Ledeband  mit  Kränzen, 

Dar  kan   dat   Kind  mit  danzen." 


,.Düdei  Kindje  slap. 

Dien  Vader  haalt'n  Schaap 

Mit  twee  witte  Föte, 

De  girrt  de  Melk  so  söte. 

Noch  söter  as  twee  Fiegen, 

Un  noch  wil't  Kindje  neet  swiegen. 

Hör,  hör,  hör  un  su,  su,  su, 

Uu  doo  dien  Oanges  too. 

Die  Vader  plant  de  Bometjes 

Dien  Moder  melkt  de  Koo." 

,.Ho,  si,  so,  wat  is't  moj   Wehr, 

't  Süntje  scheint  under  de  Wulken  dor, 

Un  't  re-gent; 

Lüttje  Kinder  worden  groot, 

Un  groten  bliefen  Zegen." 

..Süse  mien  Kind,  ik  weege  (wiege)  di, 
Dat  du  kritst  (weinst),  dat  jammert  mi. 
Deit  di  dann  dien  Bukje  sehr? 
Dann  wil  ik  di  weegen  mehr." 

,,Sü!  Sü!  Mien  söte  Kind! 
Dien  Vader  gaf  mi  'n  golden  Ring, 
'n  golden  Ring  heb  ik  kum  dahn 
So    rund    und   blank   as   Sün    un    Maan 
(Mond)." 

„Sü!  Sü!  Noch  't  Kindje  waakt? 
Een  Engelke  het  dat  maakt. 
Dee  nam  ut  Sün  —  un  Maneschien 
Dat  Gold  so  week  un  warm  un  fien." 

„Sü!  Sü!  Slaap  in,  mien  Kind! 
Wat  Sün  un  Maan  gift,  wast  un  wint. 
Dann  kumt  dat  Grasje  ut  de  Grund 
Un  't  Bloomke  ok,  so  sot  un  bunt." 


Ein  englisches  Schlummerlied  beginnt  mit  dem  lieblich  klingenden 
,,Shoho,  lullaby,  go  to  sleep  baby".  Außergewöhnlich  hübsch  ist  auch  der 
folgende,  in  den  Denham  Tracts  veröffentlichte  Nursery  Song  „The  Babes  in 
tlie  "Wood",  in  welchem  das  Rotkehlchen  die  Leiden  zweier  entführter  Kinder 
mit  Erdbeerblätteru  bedeckt.  Xacli  Härdy,  dem  Herausgeber,  finden  sich 
Sagen,  daß  Rotkehlchen  menschliche  Leichen  mit  Blättern  bedecken,  auch 
bei  Shakespeare,  Drayton  und  Webster.  Das  angedeutete  Ammenliedchen 
lautet: 


,,My  dear  do  you  know. 
How  a  long  time  ago, 

Two  poor  little  children 
Whos  names  I  don't  know, 
Were  stolen  away, 
On  a  fine  summer's  day. 

And  left  in  a  wood, 
As  I've  heard  people  say. 


8  Kapitel  XXXI.     Das  kleine  Kind  und  das  ihm  gesungene  Lied. 

And  when  it  was  night. 
So  sad  was  their  plight; 

The  sun  it  went  down, 
And  the  moon  gave  no  light! 
And  they  sobbed  and  they  sigh'd, 
And  they  bitterly  cried; 

And,  poor  little  things, 
They  laid  down  and  died ! 
And  when  they  were  dead, 
The  robin  so  red 

Brought  strawberry  leaves 
And  over  them  spread; 
And  all  the  day  long 
He  sang  theru  his  song  — 
Poor  babies  in  the  wood, 
Foor  babies  in  the  wood! 

And  don  t  you  remember 
The  babes  in  the  wood?" 

Ein  zweites  Liedchen  lautet: 

„Black  and  white  is  my  delight, 

And  green  and  yellow's  bonny, 
I  woud'nt  part  with  mi'  sweetheart, 
For  all  my  father's  money.''  — 

Realistischer  klingt  das  von  Robert  Craig  Maclagan  veröffentlichte 
Schlummerliedchen  aus  Argyleshire  im  westlichen  Schottland,  welches  das 
Kind  vor  Wanzen  warnt  und  dieser  Warnung  eine  Erzählung  von  Wanzen- 
und  Flohabenteuern  beifügt,  von  denen  das  letzte  damit  endigt,  daß  die  Mutter 
einen  Floh  fing,  wusch,  sott  und  zum  Tee  servierte. 

„Good  night,  sleep  tight; 

Don't  let  the  bugs  bite. 
On  a  still  calm  night,  when  the  bugs  began  to  bite, 
And  the  fleas  ran  away  wi'my  pillow, 
If  I  had  a  string,  I  would  make  their  ears  ring 
And  gar  them  eome  back  wi    my  pillow." 

„0  dear  me!     my  mother  eaught  a  flea; 

The  flea  died,  and  my  mother  cried,  o  dear  me! 

()  dear  me!     my  mother  eaught  a  flea; 

She  washed  it  and  boiled  it  and  made  it  for  the  tea." 

In  Aschaffenburg  singt  man: 

..Heia  Bopeia!     Die  Nünnereher 
Bringen  dem  Kindchen  Blümercher, 
Un  die  schöne  Kosniarin 
Soll  mei  Kindchen  schlöfern  ein." 

Schon  tirji/,  erkannte  in  diesen  „Nünnereher"  die  altnordischen  drei 
Schicksalsschwestern  (Xornen).  Achtzehn  Jahre  später  (1894)  veröffentlichte 
Anton  Englert  Wiegenlieder  aus  dem  Spessart,  in  welchem  die  Nornen 
deutlicher  in  den  Vordergrund  treten. 

„Haio  bobaio  '),  die  Nunne. 
Die  bringe  meim  Kindele  Blume, 
Die   bringe  meim   Kindele   Veilchc, 
Daß  es  muß  geschweige." 


Ferner: 


„Haie  babaie,  die  Nunne 
Hömmer  das  Kindle  genumme, 
Hummers  genumme  un  nimmer  gebracht. 
Was  h&wwe  die  Nunne  Ter  Sache  gemacht!" 


'i  Siehe  Seite  ii,  Amn.  2. 


§  201.     Wiegen-  und  Schlummerlieder  bei  Indo-Germanen.  9- 

Wie  die  altnordischen  drei  Schicksalsscliwestern  an  einem  Brunnen 
wohnend  gedacht  waren,  so  auch  die  „Nunne",  „Nünnerchen"  oder  „Ninnercher" 
in  den  Sagen  des  Spessarts.  Sie  sind  Wasserweibchen,  die  in  alten  Zeiten 
oft  herauskamen,  den  Kindern  schöne  Blumen,  manchmal  einem  Sonntagskind 
auch  einen  Ring  schenkten  und  kranken  Kindern  halfen,  wie  Englert  im 
Hinweis  auf  A.  Herrlein  schreibt. 

Englert  machte  uns  ferner  mit  dem  folgenden  Oberpfälzer  Wiegen- 
liedlein bekannt. 

„Schweig  stillä  g'sehwind, 
'  Mä  loibes  Kind! 
Da  Woutzel  kummt 
Und   nimmt  de  mit. 
Schweig  stillä  g'sehwind 
Und  halt  da  Mäul, 
Er  is  schou  drass'n 
Mit  sein'  (jaul! 
Dou,  dou,  dou,  dou!" 

Dieser  „Woutzel"  mit  seinen  Gäulen  ist  nach  Englert  wahrscheinlich 
kein  anderer  als  Wotan. 

Wotan  erscheint  auch  in  den  folgenden,  seinerzeit  viel  umstrittenen 
Versen,  welche  nach  Jakob  Grimm  und  Franz  Pfeiffer  ein  althochdeutsches 
Schlummerlied,  nach  Wilhelm  Müller.  Grohmann,  C.  Hofmann  und  Jaffe  aber 
unecht  sind.  Da  in  ihnen  die  von  Tacitus  erwähnte  germanische  Göttin  Taufana 
eine  Rolle  spielt,  waren  sie  von  Pfeiffer  und  Grimm  als  höchst  wertvoller 
Fund  bezeichnet  worden.     In  neuhochdeutscher  Übersetzung  lauten  sie: 

„Docke,  schlaf,  schlummrc!     Das  Weinen  sogleich  lasse! 

Triwa  (Treua)  wehrt  kräftig  dem   Wolfe,  dem  würgenden. 

Schlaf  bis  zum  Morgen,  des  Mannes  Lieblingssöhnchen, 

Ostra  stellt  (hin)  dem  Kinde  Honigeier  süße, 

Hera  bricht  dem  Kinde  Hlumen,  blaue,  rote, 

Zanfana  sendet  morgen  fette,  kleine  Lämmer, 

Und  der  einäugige  Herr  (Wuotan)  vielleicht  bald  (dir)  harte  Speere." 

Im  heutigen  Böhmerwald  hörte  Frau  Bayerl  Schwejda-Silberberg  nirgends 
ein  eigentliches  Wiegenlied.  Am  gebräuchlichsten  sei  der  folgende  Singsang 
beim  Einschläfern  der  Kinder: 

„Hutscherlo.  hajerlo 

Stejs  dr  ka  Zejrl  o 

Hajerlo 

Mei  Bubrlo  (oder  Dienalo)." 

In  dem  folgenden  Wiegenlied  des  steirischen  Oberlandes  sowie  in 
dem  tirolesischen  und  in  der  Schweiz  w.  u.  begegnen  uns  wieder  schwarze 
und  weiße  Schafe.   (Vgl.  das  preußische  und  ein  plattdeutsches  Wiegenlied  w.  o.) 

„Schlof,  mei  Büaberl,  schlof, 
Auf'n  Üfn  obn  sein  d'Schof, 
Die  schworze  und  die  weiß'n, 
De  taten's  Büaberl  beißen." 

Andere,  von  Rosegger  mitgeteilte  Schlummerlieder  aus  dem  steirischen. 
Oberland  sind  folgende: 

„Heidi,  nutz  Heidi 
Greane  Stäudl 
Bote  Hedl  dron 
S'Büaberl  schlaft  schon." 


10 


Kapitel  XXXI.     Das  kleine  Kind  und  das  ihm  gesungene  Lied. 


„Schlof  mei   Büaborl,  schlof, 

Dei   Voder  is  a  Orof, 

Dei  Muader  is  a  Fee, 

De  führt  dich  üban  See; 

üe  setzt  dich  auf  a  hohes  Roß 

Und  führt  dich  in  a  Kinigschloß, 

Seim  host  a  guldas  Tischl  glei 

Und  a  Belli   ah  dabei. 

Schlof  mei  Büaberl,  schlof. 

Dei   Voder  is  a  Grof!" 

„Biga  boga  Hobalhurn 
Zechni  Kina  sein  geburn; 


Liegt  da  Fisch 

Auf'n  Tisch, 

Kimmt  de  Kotz, 

Frißt'n   Fisch, 

Kimmt  da  Weba  mit  da  Toschn, 

Geit  da  Kotz  a  brave  Floschn. 

Sogt  die  Kotz:  Miauu! 

Wo  muaß  i  mei  Häuserl  hinbaun; 

Baut  ihr  Häuserl  in  Kerschbaum  auffi, 

Da  Kerschbaum  hebt  on  ins  brina, 

s'Katzerl  hebt  on  in's  springa." 


Die  Tirolerin  hat  folgende  Schlaf  liedlein: 


„Heia  popeia, 

Mei  riglata   Kue, 

Wer  wird   dir  denn  futtern, 

Wenn  i  heirathen  thue? 

üeirath  nar  hin.  heirnlh  nar  her! 

Kimmt  schon  an  and'rer  Kuttrar  mehr! 

„Heia  popeia 
Mein  großkopfetes  Kind, 
Wenn  du   nicht   schläfst, 
Schlag  ich  dir  auf  n  Grind." 

„Jetzt  geh'n  wir  geh'n   schlafen, 
Sagt  der   Wolf  zu  den  Schafen. 
Ei   wohl   wir  legen   uns   nieder, 
Sagt  der  große  weiße  Widder." 

„Schlaf  nn,  schlaf  im,  schlafe, 
s'kumincn   a   Kutte  Schafe, 


A    Büseh'l  weiß,  a  Büseh'l  schwarz, 
Schlaf  du,  schlaf  im,  mei  lustiger  Schatz." 

„Schlaf  nu,  schlaf  und  schweige, 

I  kauf  dir  a  goldige  Geige, 

I  kauf  dir  an  goldenen   Kiedelbogen, 

Schlafm!,  moi  Büb'l:  s'ist  all's  erlogen." 

„Schlaf,  Büble,  schlaf, 

Die  Mutter  gibt  Acht, 

Daß  die  Trud  dich  nit  drückt. 

Und  der  Alb  nicht  erstickt, 

Schlaf,  —   Holde  kumm, 

Alb,  dreh  dich  um." 

„Schlaf  nu,  schlaf  nu  stille. 
Der  Putz  ist  auf  der  Dille, 
Willst  du  nit  stille  sein, 
Wird  er  bald  runten  sein." 


Auch  summt  man  in  Tirol  einzuschläfernden  Kindern  (im  Tone  knur- 
render Katzen?)  vor: 

„Wir  zwei,  wir  drei 
Gehen  auf's  Wiesheu, 
Moosheu,  Moosheu, 
Wiesheu." 

Ein  schweizer  Spruch  lautet:  „Jenes  Kind  wird  nicht  heiter,  nicht 
musikalisch,  kann  nicht  den  Schlaf  finden,  dem  man  nicht  an  der  Wiege  singt." 
Die  folgenden  Wiegenlieder  gehören  zu  den  in  der  Schweiz  beliebten: 


,.Schlof  n.i.  uns  Ditti,  no  bisch  du  im  Ei, 
Wachse!  dird'Flügel,  so  Battreschdu  frei." 

„Es  fahrt  e  Wind  durch  d'Lindo 
Und  de  Uuetter  sinnt  de  Chinde 
\  o  zwou  liebi  Schofe. 

Bis    (hiß    si   all]    seli! 

Es  Lämnili   und  es  Höclcli, 

Bringet  dem   Büebi  es   Itöckli, 

Rs  Böckli   und  es  Lämmeli 

Bringi  i  dem   Maidschi  Milchmämmeli, 

Zwei  schv  ai   -  und  zwei  « issc. 

Sir  «ml  da     Büebli 

wisse  und  zwei  schwarze, 
Sie  chömmet's  oho  ge  chratzc. 
Wehr,   wehr,    lliitcli.   wehr. 
Aß  sie  s'Büebli  nit  verzere! 


s'Böckeli  und  Lämmeli 
Bisset  s' Büebi  is  llömmeli. 
s'Lämmli  und  es  Widderli 
Stoßet  s'Büebi  is  Füdeli. 
Bisset's  doch  au  nit  so  hart, 
s'lil  j«i  nummen  im   Federbett, 
Bissct's  doch   au   nit  so  stark, 
s'lit  jo  nummen  am  Sprüersaek." 

„Soli-soli  will  i  der  singe 

Oepfel   und   Birli   will  der  bringe 

Oepfeli,  Birli.  Ncspeli  taig, 

Aß  mis  Maideli  z'esse  heig. 

Oepfeli,  Birli,  Ohraspeleteig  (d.  i.  mürb- 

gebackenes   Brot) 
Schlof  mis   Maideli.  wie   nie  de   leit."  — 


Auch  französische  Wiegenlieder  gibt  es  in  Menge. 


§  201.      Wiegen-  und  Schlummerlieder  bei  Indo-Gcrmanen.  11 

Wie  in  manchen  deutschen  Schlummerliedern,  so  erscheinen  in  manchen 

französischen  Tiere,  an  welchen  nach  der  Beobachtung  der  Mütter  und  Pflege- 
rinnen das  Kiudesauge  sich  erfreut.  Mau  will  Schäfchen,  Gänse,  Schmetter- 
linge und  andere  Lieblinge  der  Phantasie  des  Kindes  vor  dem  Einschlafen 
nochmals  vorführen,  damit  das  Kind  heiter  einschlafe  und  froh  träume.  Ferner 
faud  im  französischen  ^'iegenliede  der  Reiher  einen  Platz. 

Andre  Theuriet  schrieb:  ,,Ces  berceuses  ont  toutes  une  melodie  cäline 
et  attendiie;  les  paroles  n'y  brillent  pas  par  la  logique,  mais  elles  sont 
ingenieusement  appropriees  ä  Tintelligence  naissante  de  l'enfant.  Les  phrases 
sans  rime  ni  raison  sont  cbmposees  de  mots  lumineux  et  sonores,  destines  ä 
agir  sur  la  fraiche  imagination  du  bambin.1'  —  Und  wiederum:  ,.A  chaque 
appaiition  d'un  noiu'eau  personnage,  la  scene  change  et  une  nouvelle  perspective 
s'ouvre  ä  l'esprit  de  l'enfant,  jusqu'ä  ce  que,  charme  il  glisse  doucement  ä  la 
reverie,  dans  le  reve,  et  du  reve  dans  le  bon  sommeil   profond   de  l'enfance." 

Hier  nur  einige  Proben  teils  im  Text,  teils  in  Übersetzung. 

„Petite  fille  de  Paris, 
Prete-moi  tes  souliers  gris 
l'our  aller  en  Paradis, 
Nous  irons  un  ä  im 
Au  chemin   des  saints, 
Deux  ä  deux 
Dans  le  chemin  des  cieux." 

..Schlaf,  mein  Kindlein,  schlaf, 
Schläfst  du  gleich,  so  bist  du  brav!" 

,,SchIaf  jetzt,  schlaf.  Kuchen  kriegt  Papa 

Klaus,  mein  Brüderlein,  Und  auch  die  Mama 

Schlaf  jetzt,  schlaf.  Und   ein   Körbchen   voll 

Kriegst   auch   Kuchen  feiu;  Ich  bekommen  soll." 

(Poitou,  Angoumais  und  andere  Bezirke.) 

„Papa,  der  sagt's,  daß  gleich  du  schläfst, 
Jlaiua,  die  sagt's,  daß  gleich  du  schläfst, 
Papa,   Mama,  die  wollen's  so, 
Drum,  Kindlein,  schlaf!" 

„Schlaf,  mein  Herzenssohn,  du  schönster  auf  der  Welt. 
Sullst   auch  Hauptmann  sein,  ein  großer  Kriegesheld. 

Von  Gold  trägst  du  ein  Kleid, 

Ein  Schwert,  zum  Kampf  bereit, 

Bist  herrlich  anziisehau'n 

Den  Mädchen  und  den  Frau'n. 

Wenn   sie  in  ihrer  Pracht 

Zum  Schlosse  dich  gebracht. 

Und  kommt  herbei  das  Jahr, 

So  führst  du  zum  Altar 

Die  Allerschönste  gar."     (Kuhff'sche  Sammlung.) 

Dem  französischen  Säugling  singt  man  ferner,  wie  im  sächsischen  Sieben- 
bürgen, von  Hochzeiten  vor. 

„Ah!  Ah!  papillon,  marie-toi! 

—  Helas!  mon  maitre,  je  n'ai  pas  de  quoi. 

—  La.  dans  ma  bergerie,  j'ai  cent  moutons, 
<„'a  s'ra  pour  faire  la  noce  du  papillon. 

Ah!  Ah!  que  dit  le  hcron? 

—  J'ai  les  alles  et  le  cou  long, 
.l'irai  ä  la  riviero  pecher  le  poisson. 

t.'a  s'ra  pnur  faire  la  noce  du  papillon."  — 


12  Kapitel  XXXI.     Das  kleine  Kind  und  das  ihm  gesungene  Lied. 

In  italienischen  Volksliedern  wird  der  Schlaf  (souno)  bisweilen  noch 
nach  antiker  Anschauung'  personifiziert: 

„Suonno,  suonno,  ehi  vai  e  vieni  da  lo  monte 
Co'  'na  palluccia  d'oro  e  dalli  'n  fronte;" 

oder 

„Suonno,  suonno,  vieni  ea  ti  conto 
Come  a  la  messa  de  tutti  li  santi." 

„Suonno,  suonno,  vieni  ca  t'aspetto 
Come  Maria  aspettava  San  Giuseppe." 

„Suonno,  suonno,  vieni  ca  'mo  viene 

Vene  'na  varca  carrica  te  bene."     (Nach  Cicellino.) 

Oder,  wie  dem  Säugling  auf  Sizilien  gesungen  wird: 

„Suonnu,  sunnuzzu,  chi  va'  firiannu? 
Li  picciriddi  vaju  addurmintannu. 
Suonnu  veni   dl  luntanu, 
Annumiscitila,  Sammastianu."     (Noto.) 

„B  a-la-vö,  li  galeri  junceru  .- 

E  suntiu  junti  docu  a  lu  Molu."     (Palermo.) 

„E  a-la-vö  sunnuzzu  vinili 

E  a  nie  figgliiu  m'addurmisciti."     (Marsala.) 

Ein  sizilianisches  Schlummerlied,  das  sich  zugleich  auf  böse  Frauen 
bezieht, findet  sich  in  Kap.  V.  —  Ein  venezianisches  Schlummerliedchen  lautet: 

„Famo  la  nana1)  e  ni-na-na  de  longo 
Sera  i  to  oceti  e  fame  un  sono  longo. 

E  nina,  nana,  e  ni-nana,  ni-nano 
A  meza  note  sona  stu  campauo"2). 

Hin  anderes  lautet  in  deutscher  Übersetzung: 

„Schlaf,  mein  Kindchen,  und  schlafe  lange,  Die  dich  gebar,  hält  AVacht  an  der  Wiegen. 

Schließe  ilie  Äuglein  und  schlafe  lange,  An  der  Wiege  steht  sie  und  singt  und  wiegt. 

Schlafe,  ja  schlafe  die  ganze  Nacht.  His  mein  Kindchen  in  süßem  Schlummer  liegt. 

Bis  dir  zur  Freude  der  Morgen  lacht.  Und  muß  ich,    mein  Herzchen,   von  dir  gehen, 

Gott  gebe  Glück  dir  und  gebe  Vergnügen,  Wird  Gott  zur  Wacht  an  der  Wiege  stehen."  — 

Floß  vermutete,  das  italienische  „nö  u6"  (siehe  Anmerkung)  könnte  aus 
sonno  (Schlaf)  entstanden  sein,  womit  viele  italienischen  Wiegenlieder  beginnen. 
Beispiele  hierfür  sind  der  je  erste  Vers  der  fünf  ersten  Strophen  oben;  ferner: 

„Suonno,  suonno,  e  suonno  suonno  dico, 
Quanto  ti  faccio  te  lo  benedico."  — 

In  der  Schweiz  kommt  der  Ausdruck  „Nuni-nuni-soli"  vor.  Ob  damit  das 
„Susaninne"  in  der  folgenden  Strophe  aus  Martin  Luthers,  „Kinderlied  auf 
die  Weihnachten  vom  Windeiern  Jesu-'  zusammenhänge,  ließ  l'lofi  unentschieden: 

..Davon  ich  allzeit  fröhlich  sei, 
Zu  springen,  singen  immer  frei, 

I  >as  reihte  Susaninne  schon 

Mit   Herzenslust  den  süßen  Ton." 

Das  Wort  ..Susaninne"  komme  auch  in  der  spielenden  Sprache  der  Mütter 
und  Wärterinnen  und  in  den  sogenannten  „Kindelwiegenliedern"  vor,  die  seit 

M   Den  Schlaf  der   K  bezeichnet   man  auch  mit  nonua,   oder  „nonno,  nauna",  die 

Wiegenlieder niil  „ninne-naune".   Dem  weinenden  Kind  in  der  Wiege  ruft  man  zu:  „fa  nö  nö."  — 

•i   Die  obigen  Schlui erlieder  sind  unverändert  aus  Auflage  2  herübergenonunen.    Für 

die  Richtigkeit  des  Dialektes  kann  die  Herausgebern  der  vorliegenden  Auflage  nicht  einstehen. 


§  202.     "Wiegenlieder  bei  Niehtindogermanen.  13 

alter  Zeit   am  Weihnachtsfeste    in    manchen    Gegenden   Deutschlands    unter 
Umhertragen  des  Christkindleins  vom  Volke  gesungen  weiden. 

Schlummerlieder  (ßaoxaAYjjAaTa)  gab  es  im  alten  Griechenland.  Theohrit 
läßt  Alkmene,  die  ihre  Zwillinge  ins  Bett  legt  und  ihnen  die  Haare 
streichelt,  die  Verse  sagen: 

..Schlafet  nun  ein  und  erwachet  mir  wieder, 
Friedlich  schlaft  bis  zum  folgenden  Morgen, 
Herzensseelchen,  Briiderpärchen,  meine  kleinen  Kinderlein  !-i 

§  202.     Wiegenlieder  bei  Niehtindogermanen. 

Auch  im  Kaukasus,  bei  den  Georgiern,  singt  man  den  Säugling  in 
Schlaf.  Aber  die  Melodien  sind  hier  gewöhnlich  traurig,  was  A.  Dirr  damit 
erklärt,  daß  viele  Melodien  georgischer  Volkslieder  kirchlichen  Ursprungs  seien. 

Schlummerlieder  gibt  es  dann  bei  den  Semiten.  Die  folgenden  Verse 
sind  einem  66  zeiligen  Lied  dieser  Art  entnommen,  welches  S.  Weißenberg 
mit  andern  Liedern  der  südrussischen  Juden  veröffentlicht  hat, 

„Schluf  man  Veigele, 

Mach  zi  dus  Eigele, 

Schluf  sech  ois  man  Kynd. 

Die  schlufst  myt   Freid, 

Die  weißt  nyt  vyn  ken  Leid, 

Schluf  sech  ois  gesynt. 

Ich  dan  Mytter 

-Hyn  dan   Beschytzer, 

Schluf  sech  ois  gesynt. 

Der  Schluf  der  giter 

Asoi  wi  a  lliter 

Steit  ba  dir  bys  fri. 

Myt  san  Fligele 

Yber  dan  Wiegele 

Deckt  er  dech  styl  zi." 

Von  den  Wasuaheli  hat  Veiten  Schlafliedchen  mitgeteilt,  von  denen 
hier  eines  folgt: 

„Weine  nicht,  Mama1),  weine  nicht. 

Weine  nicht,  mein  Kind, 

Du  Kind,  du  ganz  kleines  Kindchen, 

Du   Esser  von  warmem  Brei. 

Dein  Bäuchlein  mache  er  warm." 

Ein  von  Tkeoph.  Sahn  mitgeteiltes  Liedchen  der  Hottentottin  lautet 
in  Übersetzung: 

„Du  Sohn  einer  helläugigen  Mutter, 

Du  weitsichtiger, 

Wie  wirst  du  einst  ,,Spur  schneiden"  (d.  h.  das   Wild  aufspüren). 

Du,  der  du  starke  Arme  und  Beine  hast, 

Du  starkgliedriger, 

Wie  wirst  du  sicher  schießen. 

Die  Herero  berauben 

Und  deiner  Mutter  ihr  fettes  Vieh  zum  Essen  bringen  — 

Du  Kind  eines  starkschenkligen   Vaters, 

Wie  wirst  du  einst  starke  Ochsen  zwischen  deinen  Schenkeln  bändigen, 

Du,  der  du  einen  kräftigen  Penis  hast, 

Wie  wirst  du  kräftige  und  viele  Kinder  zeugen!"  — 

Hierbei  pflegt  die  Mutter  die  besungenen  Teile  zu  streicheln  und  zu 
küssen,  die  Geschlechtsteile  jedoch  betastet  sie  nur  und  küßt  die  eigenen 
Finger,  welche  diese  Teile  berührt  haben. 

')  Kosenamen  für  das  Kind  {Veiten). 


1-t 


Kapitel  XXXI.     Das  kleine  Kind  und  das  ihm  gesungene  Lied. 


Aus  Ost-Sumatra  hat  M.  Moszkowski  übersetzt: 

,. Schlaf.  Kindeben,  schlaf, 
Es  zog  zur  Stadt  der  Graf  (Lacaiuana). 
Der  Tiger  heult  im  wilden  Wald. 
Und  alles  furcht'  sich,  jung  und   alt." 

Nach  Gerland-Waite  und  Die/jfenbach  suchen  ferner  die  Australierin 
und  die  Maori-Mutter  auf  Neuseeland  ihre  weinenden  Kinder  mit  Absingen 
von  Liedern  zu  beruhigen.  —  Siebert  erwähnt  speziell  von  dem  Dieri- Stamm 

und   deren  Nachbarn   in  Zentral-Australien.   daß   die  Mütter  und  Großmütter 
den  Kleinen  Liedchen  vorsingen  und  Märchen  erzählen. 

Eiu  besonders  hübsches  Wiegenlied,  ein  anmutiges  Bild  von  dem  Gemüts- 
leben einer  Dravida-Familie,  hat  11".  Gallenkamp  aus  der  Landschaft  Kurg 
(Coorg)  im  südlichen  Indien  übersetzt. 


i.    Wasuakeli-  Krauen  und  -Kinder  beim  Frisieren.  —  Kunstverlag  C.  Viucenti,  Dar-es-Salaam. 

,.Ju\va.  juwa,   Liebling   mein. 

Wenn  des  Kindchens  Mutter  kommt, 

Kriegt  das  Kind  zu  trinken. 

Juwa.  juwa.  Liebling  mein, 
Kommt  des  Kindchens   Vater  heim. 
Kriegt's    ne  Kokosnuß. 

Juwa.  juwa.  Liebling  mein. 

Kommt  des  Kindchens  Bruder  heim. 

Kriegt's  ein  Yögelein. 

Juwa.   Juwa,   Liebling  mein. 

Komm!   des  Bündchens  Schwester  heim, 

Kriegt's  ?nen  Teller  Reis."  — 


Einhundertundvierzig  chinesische  Kinder-  und  Wiegenlieder  im  Urtext 
und    mit    englischer  Übersetzung   hat   Isaac    Taylor  Headland   in   New  York 


§  202.     Wiegenlieder  bei  Nichtindogermanen. 


15 


(1900)    veröffentlicht.      Zwei    derselben    erschienen    im    Globus    (Bd.    80)    in 
der  folgenden  Übersetzung: 

„Eine  rote  Pfefferblume 
Lang,  ling,  ling, 
Die  Mutter  wird  aufpassen. 
Das  Kindchen  macht  sing,  sing. 

Alte  Mutter  Wind, 
Die  weht  auf  uns  zu 
Und  wird  das  kleine  Kind 
Wiegen  in  süße  Ruh.'"  — 

Aus  der  ural-alraischen  Völkerfamilie,  von  den  Finnen,  hat  Castren  ein 
Wiegenliedchen  mitgeteilt : 


Fig.  232.    Australierinnen  mit  Kindern.    Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


„Alä  itke  hyvä  lapsi! 
Kun  Kilia  kirkkon  tekeevi, 
Xalli  nauloja  takoovi  — 
Munkalainen  muuraa." 


., Weine  nicht,  o  gutes  Kindchen! 
Da  Kilia  die  Kirche  bauet, 
Da  die  Nägel  Nalli  schmiedet  — 
Maurer  ist  ein  Fremdling." 


Endlich  sei  hier  eines  jener  Lieder  übersetzt,  von  denen  Schoolcraft 
schrieb,  nichts  liabe  ihm  die  nordamerikanischen  Jägervölker  in  einem 
anziehenderen  Licht  erscheinen  lassen  als  ihre  Mutter-  und  Kinderlieder. 

„Schaukle,  schaukle,  Wiegelein, 
Schlafe.  Töchterlein,  schlafe; 
Es  wachet  deine  Mutter  bei  dir, 
Wieget,  wieget  dich  immerfort, 
Töchterlein,  schlafe. 


Es  liebt  deine  Mutter  vor  allen  dich. 
Schlafe,  Töchterlein,  schlafe; 
Wiegend  bin  ich  ganz  nahe  dir; 
Kindlein,  Kindlein,  weine  nicht, 
Töchterlein,  schlafe. 


16 


Kapitel  XXXI.     Das  kleine  Kind  und  das  ihm  gesungene  Lied. 


Wiegend,  wiegend,  sehläfre  ich  dich  ein, 
Schlafe,  schlafe,  mein  Kindelein, 
Deine  Mutter  wird  nahe  dir  sein. 
Schaukelst,  schaukelst  nicht  allein; 
Töchterlein,  schlafe."  — 

Ein  altes  Wiegenlied  der  Sionx  lautet  nach  K.  Wolterecks  Übersetzung: 

„Schlaf,  schlaf,  mein  Kind,  die  Chippewas 

Sind  noch  nicht  da,  sind  noch  nicht  da  — 

Schlaf,  schlaf,  mein  Kind,  und  werde  stark. 

Der  Kampf  dein  harrt,  der  Kampf  dein  harrt  ..."  — 


§  203.     Sogenannte  Reiter- 
oder Knieliedchen. 

Ein  in  Europa  wohl  be- 
kannter Brauch  ist,  daß  man 
-kleine  Kinder,  besonders  Knaben, 
auf  ein  Knie  oder  einen  Schenkel 
nimmt  und  ihnen  unter  Auf- 
und  Abwärtsschaukeln,  als  Nach- 
ahmung von  Reitbewegungen, 
kindliche  Verse  vorträllert.  Ein 
solches  „Reiterlied"  findet  sich 
z.  B.  in  Achim  von  Arnim  und 
Hanois  von  Brentano?,  Samm- 
lung „Des  Knaben  Wunderhorn". 

„Troß,  troß,  trill, 

Der  Bauer  hat  ein  Füll, 

Das  Füll  will   nicht  laufen, 

Der  Bauer  will's  verkaufen  usw." 

Ein  von  Veriiuh/.iii  aus 
der  Wiener  Gegend  mitgeteiltes 
Liedchen  dieser  Art  soll  mit 
seinem  „Schimmelmann"  an 
Wotan   erinnern.     Es  lautet: 

„Hot.  hot,  hot,  Schimmelmann! 
's  Katzerl  hat  Stieferl  an; 
Jagerl.  geh  du  voran, 
Daß's  Katzerl  nit  beißen  kann." 


Fig.  889.    Kindsrspielzeug  bei  denSioux,  Nord-Dakota. 

Milium  1    K.  H.  Prinzessin  Therese  tun  Bayern. 


Das 

gesungen: 


folgende    Keiterliedchen    wird    im    österreichischen  Schlesien 

„Ens'r   Binder  Malch'r,  dar  wold  a  Kait'r  waan, 
A  hatte,  ach.  käu  Sabl;  a  konde  kätin'r  wann. 
D'Mottr  naams  knaa  schalt  an. 
Hungs  Malchan  aan  d'Sait; 
Hait.  Malch'r,  rait,  a  Saabl  aan  d'r  Sait." 

Die  lebhafte  Phantasie  der  Niederschlesier  im  Liebauer  Tal  kommt 
in  den  von  II*.  Pai  chovsky*)  mitgeteilten  „Reiterliedchen"  zum  Ausdruck,  von 
denen  hier  die  kürzere  der  beiden  Varianten  folgt: 

„Malcher  wulH   a  Reiter  sein,  a  hatte  kene  Mütze. 
!>'>  nä  im  de  Mutter  a  Ufatop 
Und  set/.'n   Malchern  uf  a  Köp. 
Reit,  Malcher,  reit. 


l)   In   M.  d.  Seh.  ei.  f.   \'.   II.  IV.  27. 


§  203.     Sogenannte  Reiter-  oder  Knieliedchen. 


17 


Malcher  wallt  a  Reiter  sein,  a  hätte  kene  Spörner. 
Do  nahm  de  Mutter  de  Ziegahörner 
Und  macht  se  Malehern  ä  statt  Spörner. 
Reit,  Malcher.  reit. 

Malcher  wullt  a  Reiter  sein,  a  hätte  kene  Flinte. 
Do  nahm  de  Mutter  de  Ufakrücke 
Und  bundse  Malchern  uf  a  Rücke. 
Reit,  Malcher,  reit. 

Malcher  wullt  a  Heiter  sein,  a  hätte  kene  Stiefeln. 
Do  brucht'  de  .Mutter  die  Käana  raus 
Und  macht  dann  Malcher  Stiefeln  draus. 
Reit.  Malcher,  reit. 

Malcher  wullt  a  Reiter  sein,  a  hätte  kenen  Säbel. 
Do   nahm   de  Mutter  's  Kübelscheit 
Und   Lands  dem  Malcher  ä  die  Seit. 
Reit.  Malcher,  reit. 


Fig.  234.    Sionx-Indianerin  mit  Kindern  aus  Minnesota.     Im  K.  Ethnographischen  Museum  in 

M  iincheu. 


Malcher  wullt  a  Reiter  sein,  a  hätte  o  ke  Pfard. 
Do  nahm  de  Mutter  die  rate  Kuh 
Und  setzt  a  Malcher  ubadruf. 
Reit,  Malcher,  reit.'" 

In  Thüringen   singt   man   dem  Kindchen   auf   dem  schaukelnden  Knie: 

..Troß,  troß,  troß. 

Der  Reuter  kommt  vom  Schloß, 

Der  Reuter  kommt  von  Eisenach, 

Henne  (wenn  er)  kommt,  ze  womme  (wollen  wir)  lach."  — 

Reiterlieder,  welche  im  Knaben  kriegerischen  Geist,  Freude  am  Reiten 
und  Mut  wecken  sollen,  finden  sich  auch  bei  Rochholz,  Peter,  Zingerle  und  bei 
Frischbier. 

Bei  den  Insel-Friesen  fand  Hans  Leust  in  den  folgenden  Schaukel- 
versen das  Katzengespann  der  Freyja  und  Nerthus: 

„Jann,  spann  an! 

Dree  Katten  voran. 

Dree  Müs  vörut, 

So  foahrt  Jann   na  siene  Bruud.''  — 

Ploß-Renz.  Das  Kind.    3.  Aufl.     Band  II.  2 


\Q  Kapitel  XXXI.  Das  kleine  Kind  und  das  ihm  gesungene  Lied. 

Ein  anderes  Schaukellied  der  Insel-Friesen  lautet  nach  Leust: 

..Ikk  segg  'dr  van  Japik1)  staa  still! 

lkk  segg  'dr  van  Japik  staa  still! 

Worum  schall  ikk  denn   stille  stahn? 

lkk  hebb  geen  Minschgeen  quadd  gedaan; 

Ikk  wull  (uder  sclnill)  de  Ken  too  t'  Kohl  ufjagen 

Unn  joog  see  'dr  midden  herin!''  — 

Ans  dem  nordöstlichen  Schottland  veröffentlichte  Walter  Gregor  ein 
Liedchen,  welches  als  Tanzliedchen  bezeichnet  ist,  wahrscheinlich  aber  das 
gleiche  Spiel  begleitet,  welches  wir  „Reiten  auf  dem  Knie"  nennen;  denn  es 
ist  dazu  bemerkt,  daß  man  das  Kind  auf  die  Kniee  setzt  und  „dandling  it 
with  an  upward  an  downward  motion  to  the  rhythm  of  tlie  words".  Das 
Liedchen  liest  sich  folgenderweise: 

.,Danee  t'  yir  daddie, 
My  bonnie  laddie, 
An  ye    11  get  a  fishie, 
An  a  litt le  dishie. 
Dance  t'  vir  daddiet- 
My  bonnie  dol."   — 

Französische  Knieliedchen  hat  Otto  Kamp  übersetzt.  Eines  der- 
selben lautet: 

„Auf  dem  Tier,  das  da  rennt, 

Kommst  du  bald  an's  fernste  End. 

Nach  Ronen  über  See 

Auf  dem  Pferd  so  weiß  wie  Schnee. 

Nach  Paris   fahr  im   Saus 

Auf  dem  Schwanz  der  kleinen  Maus. 

Nach  Versailles  immer  zu 

Auf  dem   Schwanz  der  bunten   Kuh." 

Kin  Knieliedchen.  das  besonders  in  Keims  seit  den  Kämpfen  der  Herzöge 
von   Burguiid  gegen  diese  Stadt  volkstümlich  ist,  lautet  übersetzt: 

„Ihr  Reiter,  auf's  Pferd, 
Soldaten  zur  Eni'. 

Vorwärts,  drauf! 
Champagne  heißt's  Ziel. 
Und   Hafer  gibt's  viel, 

Pferdlein   lauf!"   — 

In  Toscana  läßt  man  das  Kind  gleichfalls  auf  dem  Knie  leiten,  indem 
man  ihm  vorsingt: 

„Staccio  buraltci 

Martino  e  cavallaccio 

Murtino  andette  a  Colle 

Turm,  tutto  molle 

Molle  asciutto. 

Aprimi  l'uscio 

L'nscio  'un  lo  voglio  aprire 

Casca  casca  giü  u  dormire."  — 

In  der  Gegend  von  Siena: 

„Trucci,  trucci,  cavallino, 

Porta  l'nsino  al  mulino. 

11  mulino  e  rovinato, 

II   mugnario  fo   impiccato, 

Fu  impiccato  alla  catena; 

Ln  su   mamma  fjli  ;i  fatto  cena. 

I'.  g!i  ä  fatto  un  bei  bimbino: 

Trucci,  trucci.  cavallino."  — 


1)  Jakob  (oder  Jaspi 


§  204.     Fingerliedchen.  19 

§  204.    Fingerliedchen. 

Ein  bei  Germanen,  Romanen  (und  Kelten?)  beliebtes  Spiel  mit 
kleinen  Kindern1)  bestellt  bekanntlich  darin,  daß  man  ein  Händchen  faßt  und, 
vom  Daumen  oder  vom  kleinen  Finger  angefangen,  alle  fünf  Finger  einzeln 
berührt  oder,  wie  es  im  Böhmerwald  heißt,  „wuzelt"  und  dabei  je  einen 
Vers  spricht  oder  singt.  Aber  auch  die  Dravidas  im  südlichen  Vorder- 
indien haben  diesen  Brauch.  Es  ist  bemerkenswert,  daß  Essen,  Stehlen  und 
Selbstsucht  die  drei  Hauptgedanken  sind,  welche  in  den  europäischen  Finger- 
liedchen zum  Ausdruck  kommen.   Pädagogischen  Wert  haben  diese  also  kaum.  — 

Wenn  das  Fingerspiel  im  bayerischen  Schwaben  mit  dem  Daumen 
beginnt,  dann  wird  es  von  dem  folgenden  Spruch  begleitet: 

„Dös  iseht  der  Daunia, 

Dear  schüttlät  Pflauma, 

Dear  glaubats  auf, 

Deal'  draids  hoiin, 

Und  der  glain   frißt  all  alloin."   — 

Im  Böhmerwald,  und  mit  entsprechendem  Dialekt  auch  im  bayerischen 
Schwaben  heißt  es,  wenn  das  Spiel  mit  dem  kleinen  Finger  begonnen  wird: 

„Der  is  in'  Brunn  g'fall'n, 
Der  hat  ihn  raus'zogen. 
Der  hat  ihn  nach  Haus  trog'n, 
Der  hat  ihn  iu's  Bett  g?legt, 
Der  hat  ihn  zudeckt." 

Fängt  das  Spiel  mit  dem  Daumen  an,  dann  sagt  man  im  Böhmerwald: 

,.Dös  is  dr  Dain-damerl 

Dös  is  dr  Birnseppl 

Dös  is  dr  longs  Johannerl 

Dös  is  dr  krumm  Steffel 

Dös  is  dr  tatsch-tatschkrl."     (Bayerl-Schn'ejtla.) 

Diesen  deutschen  Fingerversen  entsprechen  die  folgenden  italienischen: 

„Questo  gä  fato'l  vovo, 

Questo  l'ä  messo  in  fogo, 

Questo  l'ä  cusinä, 

Questo  lo  gä  magna, 

E  sto  povareto  no  ghe  n'ä  gnanca  tocä." 

Übersetzung: 

..Her  hat's   Ei  gelegt, 

Der  hat's  aufs  Feuer  gesetzt. 

Der  hat's  gekocht, 

Der  hat's  gegessen. 

Und  der  arme  Tropf  (Kleine)  rührte  es  gar  nicht  an." 

Das  venezianische  Fingerlied  lautet: 

„Questo   domanda  del  pan, 

Questo  dise.  no  ghe  a  e. 

Que.-to  dise.  come  faremo, 

Quell'   altro  dise:   rularemo, 

11  mignolo  dise:  chi  ruba  'mpicca,  'mpicca/' 

Ein  Fingerlied  ist  auch  in  Frankreich  bekannt: 

..c'Vst  lui  qui  va  ä  la  chasse, 
C'est  lui  qui  a  tue  le  liferre, 


')  Größere  Kinder  spielen  es  unter  sich. 


20  Kapitel  XXXI.     Das  kleine  Kind  und  das  ihm  gesungene  Lied. 

C'est  lui  qui  Ta  fait  cuire, 

C'est  lui  qui  l'a  mange. 

Et  le  petit  glin  glin 

CJui   etait  derriere  le  moulin, 

Disait:  Moi,  j'en  veux,  j'en  veux, 

J'en  veux,  j  en  veux,  j'en  veux." 

(Franehe-Comte;  nach  Ph.  Kuh  ff'.) 

In  Schottland  wird,  wie  es  scheint,  das  damit  verbundene  Spiel  „brack 
the  barn"  genannt,  weil  der  erste  Vers  in  seinem  zweiten  Teil  so  lautet. 
Man  beginnt  mit  dem  Daumen: 

..This  is  the  man  it  brack  the  barn. 

This  is  the  man  it  stealt  the  corn, 

This  is  the  man  it  cat  it  a'. 

This  is  the  man  it  ran  awa. 

Peer  little  cranie  paid  fart  a'."     (Walter   Gregor.) 

Ein  Dravidisches  Fünffingerliedchen  und  ein  Zehnfingerliedchen  hat 
W.   GallenJeamp  übersetzt.     Das  erste  lautet: 

..Des  kleinen  Fingers  Nagel  ist  klein. 
Der  Kingfinger  da  ist  eitel  Gold, 
Der  Mittelriuger  hat  Gold  so  lieb. 
Der  vierte,  der  heilit  Kötera. 
Der  Daumen   Marutika 
Und  beide  holen  Käs."  — 

Das  zweite: 

..Zähl'  die  beiden  kleinen  Finger,  und  wo  der  King  dran  sitzt, 

Und  Mittelfinger  und   Vorfinger  und  Daumen:  zusammen  sind  es  zehn." 

§  205.     Lieder  oder  Verse  auf  andere  Körperteile  des  Kindes. 

Im  Böhmerwald  patscht  man  im  Spiel  den  kleinen  Kindern  beide 
Händchen  zusammen  und  singt  dabei: 

..l'lesch  d'Händrla 

Plesch  d'Händrla 

Was  wird   der  Tatta  bringen'/ 

Schöi  Sehouerla,  schöi  Strumpfrla 

Da  wird  der  (Name)  —  springen!" 

Beim  Letzten  Worte  hebt  man  das  Kind  in  die  Höhe. 

Oder  man  kitzelt  das  Kind  an  der  Fußsohle  und  sagt  dabei: 

„Mou  ma  Riisserl  bschlogn 

VVejviel  Nägel  mon  i  hobn? 

Eins,  zwei,  drei 

Und  a  Fuda  Heu 

Und   a   Fuda  Zucka 

Frist   ma   Kößrl   trucka  (trocken-gänzlich) 

Und  a   F'uda  Mandelkern 

Frilit  ma  KöUrl  alles  gern."     (Baycrl-Schioejda.) 

Andere  Berührungsspiele  bestehen  darin,  daß  man  gewisse  Teile  des 
Gesichtes,  Kinn.  Stund,  Nase,  Augen  und  Stirn  des  Kindes,  bei  anderen  auch 
die  Kopfhaare  zupft,  oder  berührt  und  dabei  entsprechende  Verse  sajrr.  Die 
Reihenfolge  ist  verschieden.  Bald  fängt  man  oben,  bald  unten  an.  Ein  Bei- 
spiel dieser  An  aus  Toscana  hat  Corazzim  mit  den  Verseu  angeführt: 

,.Questo  e  l'occhio  bello, 
Questo  e  il  suo  fratello, 
C^uesta  e  la  chiesina, 
Questi   so'   i  fratini, 

•  Questo  ('■  il   canipain 
Din   din  din." 


§  205.     Lieder  oder  Verse  auf  andere  Körperteile  des  Kindes.  21 

Ihm  entspricht  das  plattdeutsche: 

„Könne  wöppke, 

Rod  Löppke, 

Nase  piepke, 

Ogebrahuke, 

Steern  bahnke, 

Schipp,  schipp,  Meirahnke." 

Feiner   die   folgenden   schottischen  Liedcheu   mit   begleitendem  Spiel: 

„Ohio  cherry, 

Moo  merry, 

Niz  nappy, 

Ee  winky, 

Broo  brinky, 

Ower  head  an  away,  Jock." 

„Knock  at  the  doorie  (the  brow). 

Peep  in  (the  eye) 

Lift  the  latch  (the  nose) 

Walk  in  (the  mouth)." 

Bei  einem  dritten  Liedchen  beginnt  das  Spiel   mit  einer  Zehe  (toe)  und 
endet  mit  den  Augenbrauen. 

„Taa  titly, 
Little  fitty, 
Silin  sharpy, 
Knee  knapy, 
Hinchie  pincliy, 
Wymie  bulgy, 
Breast  berry, 
Chin   cherry, 
Moo  merry, 
\<>se  nappy, 
Ea  winky, 
Broo  brinky, 
Ower  the  croon, 
And  awa  'wi't.  — 


Kapitel  XXXII. 

Sitz-,  Steh-  und  Gehversuche  des  Kindes.  Hilfsmittel. 

§  206.  Um  das  kleine  Kind  in  seinen  Sitz-,  Steh-  und  Gehversuchen 
zu  unterstützen,  wenden  Volker  verschiedener  Kulturgrade  besondere  Apparate 
an.     Bekannt  ist  die  Bedeutung,  welche  man  in  unserm  eigenen  Kulturmilieu 

beispielsweise  dem  Kinderstuhl  beimißt.  weH  das  Kind  auf  ihm  einen  Teil 
seiner  körperlichen  Entwicklung  durchlebt.  Er  muß  so  beschaffen  sein,  daß 
er  das  gesunde  und  gerade  Wachstum  der  Glieder,  die  Ausweitung  des  Brust- 
korbes, die  normale  Entwicklung-  der  Lunge  und  des  Rückgrates  nicht 
hindert.  „Die  Füße  müssen  ausruhen  können,"  schrieb  Ploß  (II,  IIb), 
„damit  sie  durch  Herabhängen  nicht  ermüden,  und  damit  nicht  in  den  Beinen 
der  Blutlauf  behindert  werde.  Der  Sessel  muß  hoch  genug  sein,  damit  er  an 
den  Tisch  der  erwachsenen  Personen  angeschoben,  den  Kindern  den  Ausblick 
auf  denselben  gestatte.  Die  Tischplatte  aber,  welche  man  am  Stuhl  vor 
der  Brust  des  Kindes  anbringt,  damit  letzteres  auf  demselben  bequem  spiele, 
muß  eine  gerade  Haltung  des  Körpers  gestatten,  und  darf  insbesondere  nicht 
so  niedrig  sein,  daß  das  Kind  sich  zu  bücken  und  den  Rücken  zu  krümmen 
genötigt  ist.  Ist  dagegen  diese  kleine  Tischplatte  zu  hoch,  so  wird  das  Kind 
veranlaßt,  die  Gegenstände  zu  nahe  an  die  Augen  zu  bringen,  und  es  wird 
hiermit  in  die  Gefahr  gebracht,  kurzsichtig  zu  werden." 

Als  ein  absolut  notwendiges  .Möbel  für  eine  normale  Entwicklung  des 
kindlichen  Organismus  kann  der  Kinderstuhl  vom  Ethnographen  nicht 
angesehen  werden,  da  zahlreiche  Völker  ihre  Kinder  ohne  Kinderstuhl  zu 
stattlichen  .Menschen  heranwachsen  sehen.  Zwar  dürften  die  Forschungs- 
reisenden sowohl  diesem  Möbel  als  auch  den  steh-  und  Geh-Apparaten  bisher 
verhältnismäßig  wenig  Aufmerksamkeit  geschenkt  haben,  aber  es  scheint  doch 
ziemlich  sicher  zu  sein,  daß  nicht  nur  die  meisten  sogenannten  Natur- 
volker. sondern  auch  verhältnismäßig  hochstehende  Kulturvölker 
des  Orients,  die  zeitlebens  mit  unterschlagenen  Beinen  auf  Teppichen  hocken 
oder  auf  niederen  Polstern  sitzen,  einen  Kinderstuhl  nicht  kennen. 
Übrigens  wachsen  auch  die  deutschen  Bauernkinder  ohne  diesen  Apparat  zu 
kräftigen  Menschen  heran. 

Parallelen  zu  ziehen,  ist  bei  dem  verhältnismäßig  wenigen  Material. 
welches  mir  einstweilen  für  dieses  Kapitel  vorliegt,  nicht  nötig.  — 

§  207.  Hie  Wohlhabenden  untei  den  Armeniern  des  Kreises  Xucha 
unterstützen  die  Steh-  und  (i  eh  versuche  ihrer  Kinder  mit  dem  „Tschera!'", 
einem  dreieckigen,  auf  Rädern  lautenden  Rahmen,  in  welchen  das  Kleine 
hineingestellt  wird  ( /■'.  St  janow).  Die  ärmere  Bevölkerung  überläßt,  wie  in 
Deutschland,  die   Stell-  und   Gehversuche   der   .Natur  des   Kindes    allein.  — 

Im  Gouvernement  Eriwän  benutzen  die  Armenier  und  Kurden  einen 
ähnlichen  Apparat,  „Tschrik"  oder  „Tschor"  genannt.  Der  Rahmen  ist  hier 
viereckig.     Er  steht  mit  seinem  untern  Rand  auf  zwei  Rädern.    Von  der  Mitte 


§  207.     Sitz-,  Steh-  und  Gehversuche  des  Kiudes.     Hilfsmittel.  23 

der  durch  diese  gehenden  Achse  läuft  ein  Stab  aus,  an  welchem  ein  drittes 
Rad  befestigt  ist.  Manchmal  ist  der  Stab  und  der  obere  Rand  des  Rahmens 
mit  einem  zweiten  Stab  verbunden.  Das  Kind  hält  sich  am  oberen  Rand  des 
Rahmens  fest  und  schiebt  diesen  vor  sich  hin.  —  Eine  dritte  Art  gibt  es  bei 
den  Armeniern  des  Kreises  Kasasch,  Gouvernement  Jelisawetpol.  An 
einem  etwa  35  Zentimeter  hohen  hölzernen  Pfosten,  der  in  der  Erde  steckt, 
läßt  man  einen  Stab  von  der  gleichen  Länge  horizontal  sich  drehen.  Mit  ihm 
dreht  sich  das  Kind,  welches  sich  am  Stabe  hält. 

Bei  russischen  Völkern  gibt  es  Hohlzylinder,  ausgehöhlte  Baumstämme 
oder  Klötze,  welche  als  Hilfsmittel  bei  Steh-  und  Gehversuchen  dem  Kind 
bis  an  die  Schultern  reichen. 

Bei  den  germanischen  Völkern  können  Kindersessel  nach  PJoß  bis 
in  das  Mittelalter  zurück  verfolgt  werden.  Nach  einem  Gemälde  von  Metzu 
aus   dem   17.  Jahrhundert,   das   sich   in    der   alten   Pinakothek   in   München 


Fig.  235.     Ein  Sitzkasten  aus  der  Schweiz.    In  der  K.  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde  in  Berlin. 

befinde,  seien  die  damaligen  den  jetzt  noch  in  Holland  gebräuchlichen  sehr 
ähnlich  gewesen. 

Aus  der  Schweiz  befindet  sich  ein  Sitzkasten  in  der  K.  Sammlung 
für   deutsche  A'olkskunde   in   Berlin.      Figur   235    ist   eine  Abbildung   davon. 

Ebendort  befindet  sich  ferner  ein  Kinderlaufstuhl  ans  Österreich, 
dessen  Abbildung  hier  als  Figur  23G  folgt. 

Laufstühle,  auch  Gängelwagen,  bzw.  Gängelkörbe  genannt,  gab  es  neben 
Gängelbändern  in  Deutschland  spätestens  schon  im  18.  Jahrhundert,  wie 
Floß  nachgewiesen  hat. 

Die  Gängelbänder  wurden  dem  Kind  um  die  Brust  oder  unter  den 
Achseln  festgebunden  und  von  den  Müttern  oder  Wärterinnen  gehalten,  wie 
es  ja  auch  jetzt  noch  vielfach  geschieht. 

Die  deutschen  G  e h  k  ö r b  e  waren  ähnlich  jenen  der  jetzigen  Armenier,  Kurden 
und  Tataren  im  russischen  Transkaukasien  auf  Räder  gestellt,  und  das  Kind 
stützte  sich  mit  Brust  und  Schultern  auf  den  Korbrand.  Ein  Holzschnitt  in 
„Petrarchae  Trostspiegel"  (Frankfurt  1572)  stellt  eine  Kinderstube  mit 
einem  nackten  Kind  im  Gehkorb  dar.  Dieser  läuft  auf  vier  Rollen  und  reicht 
dem  Kind  unter  die  Achseln.  Nach  Scheible  stammt  der  Holzschnitt  aus  dem 
Jahre    1520.     Veit    Conrad   Schwarz    (1(5.   Jahrhundert)    lernte    nach    seinem 


24 


Kapitel  XXXIL     Sitz-,  Steh-  und  Gehversuche  des  Kindes.     Hilfsmittel. 


„Bilderbuch",  worin  er  selbst  als  Kind  dargestellt  ist.  in  einem  Lauf-  oder 
Gängel  wagen  das  Gehen. 

Ferner  waren  in  deutschen  Gebieten  früher  die  jetzt  noch  teilweise 
üblichen  Fall  hüte,  auch  „Türkenbund"  genannt,  vielfach  in  Gebrauch.  Ein 
Exemplar  aus  der  Gegend  von  Nürnberg  befindet  sich  in  der  K.  Sammlung 
für  deutsche  Volkskunde  in  Berlin.  Eine  Abbildung  davon  wird  hiermit  als 
Figur  237  veröffentlicht. 

Der  Fallhut  sollte  den  Kopf  des  fallenden  Kindes  schützen,  doch  wird 
er  von  der  neueren  Hygiene  mißbilligt,  weil  er  den  Kopf  erhitze  und  mehr 
als  eine  Beule  schade.     (Vgl.  indessen  die  catalonischen  Fallhüte  w.  u.) 

Ebenso  haben  sieh  moderne  Hygieniker  gegen  das  Gängelband  aus- 
gesprochen: Das  Kind  gewöhne  sich  durch  dieses  scheinbare  Hilfsmittel,  beim 
Gehen  Kopf  und  Oberkörper  nach  vorn  zu  halten,  so  daß  es  beim  Loslassen  falle. 

Auch  der  in  Paris  erfundene  „sautoir  des  enfants'',  ein  von  der  Decke 
herabhängender  Apparat,  in   dem  das  Kind  schwebte,  ist  von  PJoß  mißbilligt 


Fig. 


Ein  Kunl.ilaufstiihl   aus   Oberöst erreich.     In   der  K. 
Sammlung  für  deutsche  Volkskunde  in  Berlin. 


Fig.  -237.  Ein  Fallhut  aus 
der  Gegend  um  Nürn- 
b  e  rg  In  der  K.  Samm- 
hing für  deutsche  Volks- 
kunde in  Herl in. 


worden.  Die  Vorrichtung  bestand  aus  einem  Holzreif,  der  an  einer  starken 
Gummischnur  so  an  der  Zimmerdecke  aufgehängt  wurde,  daß  man  ihn  höher  oder 
niederer  stellen  konnte.  Von  dem  Reif  gingen  vier  Bänder  zu  einem  Korsett 
herab,  welches  dem  Kind  angezogen  wurde.  Dieses  mußte  mit  den  Fußspitzen 
den  Boden  berühren  können.  Durch  das  Gewicht  des  Kindes  und  durch  die 
Elastizität  der  Schnur  entstanden  leichte  Schwingungen,  die  sich  das  Kind  gern 
gefallen  ließ.  Ks  fing  an  zu  hüpfen  und  sich  bald  links,  bald  rechts  zu  drehen. 
-  Die  K ob eua- Indianer  hatten  eine  solche  Erfindung  allem  Anschein  nach 
schon  lange  vorher  gemacht.     (Siehe  Fig.  244.) 

Mehr  Anklang  als  der  sautoir.  fand,  hauptsächlich  in  England  und  bei 
den  Nordamerikanern  weißer  Rasse,  eine  viereckige  Hürde  mit  gefütterter 
Innenseite,  oder  mit  einem  netzartigen  Geflecht  zwischen  einem  kindeshohen 
Rahmen.  Diese  Hürde  umgibt  den  Platz,  wo  das  Kind  seine  Gehversuche 
macht.  Der  Platz  selbst  ist  mit  einem  Teppich  bedeckt,  damit  das  fallende 
Kind  eine  weiche  Unterlage  habe. 

Was  die  romanischen  Völker  betrifft,  so  waren  Gehkörbe  und  Lauf- 
stühle der  älteren  Art  zu  Floßs  Zeit  in  Rom  noch  vielfach  in  Gebrauch,  und 
in  Catalonien  sah  Frau  Julita  Michael  vor  wenigen  Jahren  noch  die  kleinen 
Kinder  ihre  steh-   und  Gehversuche  mit  Fallhüten   machen.     Erhitzung  des 


§  207.     Sitz-,  Steh-  und  Gehversuche  des  Kindes.     Hilfsmittel. 


25 


Kopfes  sei  durch  die  dortigen  Fallhüte  nicht  zu  befürchten,  da  diese  aus 
Stroh  hergestellt  seien.  Der  gewölbte  Rand  besitze  trotz  dem  leichten 
Material  Widerstandskraft  genug,  um  üble  Folgen  des  Falles  zu  verhindern. 
Von  den  Semiten,  Hamiten  und  Negern  liegt  mir  einstweilen  Material 
über  hier  einschlägige  Hilfsmittel  der  Kinder  nicht  vor1),  wohl  aber  von  den 
Chinesen.      Originale,    deren    Abbildungen    hier   als    Fig.    238—240    folgen,. 


Fig.  238      Chinesischer  Kiudei 
stuhl  mit  Rolleu. 


Fig.  '.'33.    Chinesi- 
scher Apparat  zum 
Steheulernen. 

Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzij 


Fia 


240.     Chinesischer 
„Laufstulil"(f). 


befinden  sich  im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig.  —  Ploß  erwähnte  in 
der  2.  Auflage  als  Hilfsmittel  beim  Sitzenleruen  der  chinesischen  Kinder 
ein  Stühlchen,  welches  von  einem  Gestell  aus  Bambusstäben  umgeben  sei. 
Es  gestatte,  dem  Kind  Bewegungen  mit  den  Armen  und  verhindere  durch 
eine  vor  der  Brust  niedergeschlagene  Klappe  das  Kind,  aufzustehen.  —  Zu 
dieser  Beschreibung  paßt  erstens  das  Puppenstühlchen  rechts  auf  Figur  241; 
zweitens  scheint  die  Beschreibung  aber 
auch  auf  Figur  240  zu  stimmen,  so 
daß  wir  in  dem  als  „Laufstuhl"  be- 
zeichneten Möbel  vielleicht  einen  Stuhl 
zum  Sitzenleruen  haben,  wenn  anders 
das  Möbel  nicht  als  kleine  Hürde 
gedacht  ist.  innerhalb  welcher  das 
Kind  seine  Steh-  und  Gehversuche 
macht,  —  Nach  Ploß  behängen  die 
Chinesen  ihre  Kinderstiihle  mit  Spiel- 
sachen. —  Auf  Fig.  239  paßt  der 
Ausdruck  „bienenkorbähnlicher  Zylin- 
der", Womit  Ploß  in  der  2.  Aulhlge  Fig.  241.  CliinesiscliesSDielzeug:  Links  eineMutter, 
TT'iü       'i»    1  oj.     1  1  die  ihr  Kind  stillt;  rechts  eine  Puppe  im  Sitzstühlchen. 

eill     Hilfsmittel     Zlim     Steheulernen  Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


')  Ploß  wies  auf  die  eigentümlichen  Gehversuche  der  Araber-  und  Manyucma- 
Kinder  hin,  welche  Liolngstone  in  „Letzte  Heise  in  Zentralafrika''  schilderte:  „Manyuema- 
Kinder  kriechen  nicht  gleich  europäischen  Kindern  auf  ihren  Knieen,  sondern  beginnen 
ihre  Gehversuche  damit,  daß  sie  einen  Fuß  vorwärts  setzen  und  ein  Knie  gebrauchen.  Gewöhn- 
lich benutzt  ein  Manyuema-Kind  beide  Füße  und  beide  Häude  zum  Gehen,  aber  niemals 
beide  Kniee.  Ein  Araber-Kind  macht  es  ebenso,  es  kriecht  niemals,  sondern  bewegt  sich  auf 
beiden    Füßen   fort  und   hilft  mit   den  Händen  nach.'' 


26 


Kapitel  XXXH.     Sitz-,  Steh-  und  Gehversuche  des  Kindes.     Hilfsmittel 


in  den  Dörfern  um  Shanghai  bezeichnete.  Sie  umschließen  die  hineingestellten 
Kinder  von  unten  aufwärts  bis  zu  den  Achseln.     Die  Arme  bleiben  frei. 

Hilfsmittel  zum  Gehenlernen  haben  ferner  einige  Zweige  der  ural- 
altaischen  Völkerfamilie.  Jene  der  Tataren  in  den  transkaukasischen 
Gouvernements  Tiflis  und  Eriwan  sind  die  gleichen  wie  die  der  dortigen 
Armenier  und  Kurden,  welche  weiter  oben  beschrieben  worden  sind. 

Der  von  Finsch  aus  Sibirien  mitgebrachte  Apparat  bestand  nach  Floß 
aus  einem  primitiv  gearbeiteten  Holzrahmen  auf  Kadern  aus  durchbohrten 
Holzscheiben.  Das  Kind  hielt  sicli  an  dem  Rahmen  aufrecht  und  schob  ihn 
vor  sich  her.  Die  Ostjaken  und  Samojeden  scheinen  also,  so  ziemlich  die 
gleiche  Vorrichtung  zu  haben  wie  die  Armenier.  Kurden  und  Tataren. 


Fig 


Turkinenenf ran  mit  Kindern.     Schwan  phot.  —  Im  K.  Etlinograpli.  Museum  in  München. 


Das  Gleiche  gilt  von  jenem  Gängelwagen,  welchen  Forsyth  aus  Jangi- 
Hissar,  Ostturkestan,  mitbrachte. 

Von  den  Esten  war  in  der  2.  Auflage  des  vorliegenden  Werkes  ein 
..schwer  zu  beschreibender"  Apparat  erwähnt,  in  welchen  die  dortigen  Kinder 
gestellt  werden,  sobald  sie  Stehversuche  machen.  Die  gewöhnlichen  Folgen 
■dieser  .Methode  seien  krumme  Beine  und  Abnormitäten  der  Wirbelsäule. 

Bei  nordamerikanischen  [ndianerstämmen  sind  Eilfsapparate  zum 
Sitzenlernen  beobachtet  worden.  So  heißt  es  in  der  deutschen  Übersetzung 
von  Dixon  und  Pbrtlocks  „Reise  um  die  Welt"  von  den  Indianern  auf  Queen- 
Charlotte-Island  u.  a.: 

..Man  könnte  glauben,  diese  Völker  ließen  ihre  Kinder  in  der  Jugend 
Freiheit  für  die  Glieder.  Im  Gegenteil  werden  drei  Stück  Baumrinde  an- 
einander  befestigt,  so   daß  sie   eine  Art  von  Stuhl    bilden.     In   diesen   Stuhl 


§  207.     Sitz-,  Steh-  und  Gehversuche  des  Kindes.     Hilfsmittel. 


27 


nun  werden  die  Kinder,  nachdem  sie  in  Pelze  gewickelt  worden,  gesetzt  und 
so  festgebunden,  daß  sie  ihre  Positur  sogar  durch  Sträuben  nicht  ändern 
können.  Der  Stuhl  ist  so  eingerichtet,  dal?,  wenn  eine  Mutter  ihr  Kind 
füttern  oder  ihm  die  Brust  geben  will,  sie  dasselbe  aus  seinen  Fesseln  nicht 
befreien  darf." 

In  den  Dörfern  am  Fluß  Jukon  in  Alaska  sah  Wlujmper  kleine  Stühle 
von  Birkenrinde  für  kleine  Kinder.     „Der 
Stuhl,"  so  zitierte  Ploß,  „hat  (?)  ein  Stück 
Holz,  welches  den  Zweck  hat,  das  Krumm- 


Fig.  24<i.    Kindermädchen  ans  Ostturkestan.     Lopnor 

Nach  einem   Modell    im    K.    Museum    für   Völkerkunde   in 

Berlin. 


Fig.   -J4.      Koueua-Hädchen  im  Ilangestühlchen. 

liio  Cnduiary,  nordwestliches  Brasilien.    Aus  Koch- 

Griinberg:  „Zwei  Jahre  unter  den  Indianern"  Bd.  IT, 

Abb.  67.     Beilin  1910. 


werden  der  kleinen  Glieder  zu  verhüten.  Das  Kind  sitzt  bequem  auf  einer 
Lage  Moos  und  wird  häufig  von  der  Mutter  in  einem  solchen  Stuhl  auf  dem 
Rücken  getragen."  Whymper  habe  mit  Humor  beigefügt:  ..Meine  Skizze  ist 
allen  europäischen  Müttern  ehrfurchtsvoll  gewidmet :  und  vielleicht  findet  sich 
auch  ein  unternehmender  Kinderfreuud  und  Stuhlmacher,  dem  die  Idee  will- 
kommen ist." 

Die  Kobeua-Tndianerin  am  Rio  Cnduiary,  nordwestliches  Brasilien, 
stellt  ihr  Kleines,  um  es  zum  Stehen  und  Gehen  anzuspornen,  und  zugleich 
es  los  zu  sein,  in  ein  Hängestülilchen  {Koch-Grüribcrg). 


Kapitel  XXXU1. 

Sympathie  oder  Zauber  und  verwandter  Aberglaube 
in  der  Behandlung  des  gesunden  Kindes. 

§  208.  Bekanntlich  versteht  der  heutige  Physiologe  unter  Sympathie 
eine  bestimmte  gegenseitige  Beeinflussung  der  Organe,  welche  mittels  des 
Nerven-  oder  des  Gefäßsystemes,  oder  des  Zellengewebes  in  gesunden,  mehr 
aber  noch  in  kranken  Individuen  stattfindet. 

Mit  dieser  Sympathie  beschäftigt  sich  das  vorliegende  Kapitel  nicht, 
sondern  mit  jener  im  Volksmunde  aus  längst  vergangenen  Zeiten  her  noch 
immer  geläufigen  Sympathie,  welche  im  Grunde  mit  Zauberei  identisch  ist, 
und  die  von  bestimmten  Verbindungen  des  Kindes  mit  organischen  oder  un- 
organischen Wesen  oder  Zuständen  Wirkungen  erwartet,  welche  weder  vom 
rein  wissenschaftlichen,  noch  von  einem  geläuterten  religiösen  Standpunkt  aus 
erwartet  werden  können,  bzw.  dürfen. 

Verwandtes  ist  uns  schon  aus  manchen  früheren  Kapiteln,  besonders  aus 
der  Behandlung  des  kranken  Kindes  (Kap.  XXVIII)  bekannt.  Dort  trat 
die  Sympathie  mehr  therapeutisch  auf;  im  vorliegenden  Kapitel  erscheint  sie 
hauptsächlich  prophylaktisch1).  Auch  der  uns  bisher  schon  oft  begegnete 
Glaube  an  eine  Übertragung  von  Fähigkeiten  und  Zuständen  spielt  in  den 
sympathetischen   Kuren  eine  bedeutende  Rolle. 

Der  Stoff  läßt  sich  unter  den  folgenden  Überschriften  unterbringen:  Wie 
bringt  man  ein  Muttermal  weg?  -  Das  Kinderbad  und  der  Aberglaube.  — 
Geheimnisvolle  Beziehungen  der  Haare  und  Nägel  zum  physischen  und  psychischen 
Gedeihen  des  Kindes.  —  Zauberische  Wirkung  der  Kleidung  auf  das  Kind.  — 
Das  Durchkriechen,  Durchziehen,  Durchreichen  und  Überschreiten  des  gesunden 
Kindes.  -  Ei,  Brot  und  andere  Nährstoffe  in  ihren  geheimnisvollen  Wirkungen 
auf  das  Kind.  —  Das  Sprechenlernen  im  Volksglauben.  —  Amulette  als  Schutz- 
mittel.     -  Die  Zauberwirkung  des  Kusses  auf  das  Kind.  -     Varia. 

Die  verhältnismäßig  leichte  Übersicht  über  die  einzelnen  Paragraphen 
auch  dieses  Kapitels  ermöglicht  es,  daß  der  geschätzte  Leser  Parallelen  ohne 
große  Schwierigkeil  selbsl  ziehe,  zumal  der  Text  mehrfache  Hinweise  auf 
die  Ähnlichkeit  der  Bräuche  enthält.  — 

§  209.     Wie  bringt  man  ein  Kuttermal  weg? 

Um  ein  Kind  von  einem  Muttermal  zu  befreien,  soll  man  dieses  in 
Swinemünde  und  Umgebung  mit  der  Hand  einer  Leiche  des  anderen 
I  .'schlechtes   bestreichen.      Wenn   die   Leiche   zu   verwesen   beginnt,    vergeht 

')  Das  anscheinend  Unlogische  in  der  Erscheinung  dieses  Hundes  nach  den  Kap.  XX'X 
und  XXX  des  1  Bandes  verschwindet,  wenn  man  den  Inhalt  dos  2.  Bandes  in  dem  Sinne 
auffaßt,  daß  or  das  gesunde  Kind  bis  zur  Pubertät  ins  Auge  faßt,  während  der  erste  Band 
mit   dein    Tode  jener  Kinder  abschloß,  welche  dieses  Alter  nicht  erreichten. 


§  210.     Das  Kinderbad  und  der  Aberglaube.  29 

das  Mal.   —   Oder   man   gehe   bei   zunehmendem  Mond   auf   einen  Kreuzweg, 
blicke  in  den  Mond  und  spreche,  indem  man  das  Mal  mit  der  Hand  bestreicht: 

,.Alles,  was  ich  sehe,  nimmt  zu. 
Alles,   was  ich   streiche,  nimmt  ab." 

Auch  im  Fürstentum  Waldeck  wird  geraten,  ein  Muttermal  schweigend 
mit  der  Hand  einer  Leiche  dreimal  zu  bestreichen,  damit  es  verschwinde. 

In  Mecklenburg  bestreicht  man  es  dreimal  mit  dem  Menstrualblut 
eines  gesunden  Weibes.  Der  Leinwandlappen,  mit  dem  das  geschehen  soll,  ist 
danach  ins  Feuer  zu  werfen. 

In  Hessen  wird  zur  Bestreichung  des  Males  das  Blut  von  der  Nach- 
geburt eines  erstgebornen  Kindes  genommen.  — 

§  210.     Das  Kinderbad  und  der  Aberglaube. 

Bei  den  Rumänen  in  Siebenbürgen  begibt  sich,  wie  Robert  Prexel 
schreibt,  die  Hebamme  mit  einer  noch  unbenutzten  Holzkanne  zu  einem  Bache, 
der  eine  Mühle  treibt,  schöpft  AVasser,  gibt  Basilienkraut  hinein  und  trägt 
die  Kanne  zu  dem  Pfarrer,  der  das  Wasser  weiht1).  Von  diesem  geweihten 
Wasser  wird  sechs  Wochen  lang  etwas  in  das  Bad  des  Kindes  gegossen; 
die  Wöchnerin  wäscht  sich  nach  jedem  Bad  des  Kindes  die  Hände  in  dem 
geweihten  Wasser.  —  Manchmal  wirft  die  Mutter  auch  Silbermünzen  in  das 
erste  Badewasser,  damit  das  Kind  reich  werde  (vgl.  Karlsbad  w.  u.).  -  -  Das 
Badewasser  gießt  man  gewöhnlich  außerhalb  des  Dorfes  über  Gesträuch.  Es 
soll  aber  nicht  über  einen  Dornenzaun  oder  überhaupt  einen  Zaun  mit  einem 
Übergang  (Stiegel)  gegossen  werden,  wenn  man  dem  Kind  nicht  üble  Folgen 
heraufbeschwören  will.  -  -  Prexel  teilt  uns  zwei  rumänische  Volkslieder  mit, 
welche  sich  auf  die  Vorbedeutung  der  letzten  beiden  Punkte  beziehen: 

„Meine  Mutter  goß   mein  Bad 
Über  einen  Strauch  am  Pfad. 
Daß  ich  immer  glücklich  sei, 
Lang  des  Lebens  mich  erfreu". 

Mutter  sag'  mir  wahr  und  gnr  . 
Wohin  gössest  du  mein  Bad' 
Über  einen  Dornenzaun, 
Ich  soll  nie  die  Heimat  schau'n. 

Mutter  sag  mir  wahr  und   grad. 
Wohin  gössest  du  mein  Bad? 
Über'n  Zaun  mit  Stiegel  wohl, 
Daß  ich  immer  weinen  soll."  — 

Wenn  man  bei  den  Serben  das  Kind  aus  dem  Bad  herausnimmt  (oder 
es  von  der  Stelle,  wo  es  eingewickelt  lag,  aufhebt),  dann  soll  man  immer  in 
das  Bad,  bzw.  auf  jene  Stelle  über  das  Kind  spucken  (Petro witsch). 

Im  polnischen  Oberschlesien  leckt  die  Mutter  oder  Hebamme  in  den 
ersten  sechs  Wochen  dem  Kind  vor  dem  Bad  den  Rücken  ab  und  spuckt 
dreimal  auf  den  Ofen,  um  es  vor  Abzehrung  zu  bewahren. 

In  Böhmen  gibt  man  das  Badewasser  von  Knaben  den  Pferden,  jenes 
von  Mädchen  den  Kühen  zu  trinken,  damit  die  Kinder  einstens  diese  Tiere 
gut  pflegen.  —  In  Karlsbad  und  Umgebung  wirft  man  zum  ersten  Bad 
Geld  in  die  Wanne,  damit  es  dem  Kind  nie  an  Geld  mangle.  —  Um  Mädchen 


i)  Nach  Prexel  liest  der  Pfarrer  dabei  auch  eine  kurze  Messe  (?).  —  Nicht- 
katholiken  nennen  irrtümlicherweise  so  ziemlich  jede  von  einem  katholischen  Priester  vor- 
genommene kirchliche  Funktion  „Messe",  hauptsächlich  wenn  dabei  die  Gebete  lateinisch 
gesprochen  werden. 


30        Kapitel  XXXIII.    Sympathie  oder  Zauber  iu  der  Behandlung  des  gesunden  Kindes. 

vollbrüstig  zu  machen,  benutzt  man  zum  Wasserschöpfen  für  das  erste  Bad 
einen  großen  Topf.  Wenn  im  Böhmerwald  das  Kind  gerne  badet,  dann 
ersieht  man  daraus,  daß  die  Paten  gerne  zur  Taufe  gingen.  Hier  soll  die 
Badewanne  sechs  Wochen  lang  vor  der  Geburt  unter  dem  Bett  stehen  bleiben 
und  erst  zu  seinem  Zweck  liervorgenommen  werden  (Bayerl-Schwejda). 

Wenn  man  in  der  Schweiz  dem  Kind  vom  eigenen  Badewasser  etwas 
gibt,  dann  lernt  es  früh  und  gut  reden  (vgl.  §  216).  —  Das  Tüchlein,  womit 
ein  Knabe  nach  dem  eisten  Bad  abgetrocknet  wurde,  bindet  man  nach  sechs 
Wochen  auf  einen  Baum  im  Garten,  damit  das  Kind  ein  guter  Kletterer  und 
Steiger  werde. 

In  Schwaben  soll  das  erste  Bad  nicht  an  einem  Mittwoch  gegeben 
werden. 

In  Potsdam  bekommen  die  Kinder  Sommersprossen,  wenn  mau  das 
Wasser  vom  ersten   Bad  am  Sonnenschein  ausgießt. 

In  Italien  raubt  man  dem  Kinde  die  Buhe,  wenn  man  während  des 
l'.ades  in  die  Stube  tritt  und  nicht  so  lange  verweilt,  bis  das  Kind  wieder  ein- 
gebunden ist  (  Wohl.  Kaden). 

Hier  möge  beigefügt  werden,  daß  die  heranwachsenden  Schwaben- 
Kinder  vor  ihren  Bädern  in  offenen  Gewässern  eine  Art  Exorzismus  aus- 
sprechen. Ehe  sie  in  das  Wasser  steigen,  werfen  sie  nämlich  eine  Blüte  der 
sogenannten  Wollkerze  hinein,  die  an  den  Ufern  wächst.    Dabei  sprechen  sie: 

„Ueilig's  Benediktuskreuz, 
Dreimal  g  segnet,  dreimal  g'vveiht. 
Bngale  nei,   und  Deutele  raus, 
I>!il5   i    it  v'rsink   und   it  v'rsanf." 

Kine  Parallele  zu  diesem  Rest  eines  jedenfalls  weit  zurückgehenden 
Glaubens  an  die  Innewohnung  des  Bösen  im  Wasser  hat  P.  von  Stenin  aus 
Kleinrußland  berichtet,  wo  die  badenden  Kinder  nie  in  das  Wasser  gehen, 
ohne  vorher  gerufen  zu  haben: 

„Teufelchen,  Teufeleien!     Zerbrich  uns  nicht  die  Knochen. 

lieh1   du   aus  dem  Wasser  heraus, 
Und   wir  gellen   hinein." 

Hierzu  bemerkt  von  Stenin,  unter  diesem  Teufelchen  sei  Wodjanoi,  der 
\\  assergeist,  gemeint.  -  Nach  russischem  Volksglauben  ist  das  Wasser  auch 
von  ruslialki  (Nixen)  bevölkert,  welche  Mädchen  rauben  und  ihnen  schwierige 
Rätsel  /mn  Lösen  -eben.    Gelingt  die  Lösung  nicht,  so  töten  sie  die  Mädchen.  - 

§  211.    Kinderschlaf  und  Wiege  im  Aberglauben. 

Dem  Kind  .In-  transsylvanischen  Zeltzigeuner  kann  man  ..den  Schlaf 
forttragen".  Diesem  Glauben  begegnen  wir  bei  verschiedenen  Völkern.  — Als 
Gegenmittel  legen  die  Zeltzigeuner  dem  Kind  einen  Holzlöffel  unter  das  Kissen. 
Oder  sie  lasM'ii   das   Kind    von   einem    Hund   belecken. 

Die  Russinnen  im  Gouvernement  Archangel  blasen  ihren  Säuglingen 
feinen  Schnupftabak  in  die  Nase,  darnil  sie  lest  schlafen  (Schrerik). 

I!"i  den  b'ul  lieiien  in  Galizien  darf  in  einem  Hause,  worin  ein  kleines 
Kind  ist.  nach  Sonnenuntergang  nichts  mehr  verschenkt  oder  verliehen  werden, 
damil  man  dem  Kind  nichl  Pur  die  folgende  Nacht  den  Schlaf  raube. 

Die  Serben  behandeln  Kimler.  welche  viel  weinen  und  nachts  aus  dem 
Schlal  aufschrecken,  auf  folgende  Weise:  Sie  beräuchern  das  Kind  mit  Vieh- 
kot, den  man  aul  einem  Dorne  fand,  unter  den  Armen,  zwischen  den  Beinen, 
um  den  Kopf  und  den  Rumpf.  -  An  manchen  Orten  wird  zum  Anräuchern 
Haar  von  Vater  und  Muttei  gebraucht.  Viele  lösen  den  angebrannten  Docht 
der  Kerze   in  Ol  und      ;ben    'lies  dem  Kinde  zu   trinken.     Oder  man   bringt 


§  211.     Kinderschlaf  und  Wiege  im  Aberglauben.  31 

das  Kind,  wenn  der  Mond  untergeht,  vor  das  Haus  und  hebt  es  dreimal  in 
die  Höhe,  wozu  die  Mutter  jedesmal  spricht:  ..Der  Mond  geht  hinter  den 
Wald,  und  das  Geschrei  meines  (Name  des  Kindes)  in  den  Wald."  Oder  wenn 
man  an  einem  Wasser  am  andern  Ufer  Feuer  sieht,  trägt  man  das  Kind 
hinaus  und  nimmt  in  einem  grünen  Teller  etwas  Wasser  und  ein  Stück 
brennendes  Holz  mit.  Während  man  dieses  in  das  Wasser  steckt,  spricht  die 
Mutter:  „Wila  (eine  Art  Nymphe)  verheiratet  ihren  Sohn  und  ladet  meinen 
Palve  (oder  wie  das  Kind  heißt)  zur  Hochzeit  ein.  Ich  schicke  ihr  nicht  den 
Palve,  sondern  sein  Geschrei.-'  Dies  macht  man  dreimal  und  dann  gibt  man 
dem  Kinde  aus  dem  grünen  Teller  Wasser  zu  trinken,  so  viel  es  kann;  das 
übrige  wird  auf  eine  Katze  oder  auf  einen  Hund  gegossen;  der  Teller  muß 
umgekehrt  auf  der  Erde  übernachten.  —  In  der  Pozerina  wird  außerdem 
folgendes  Mittel  angewandt:  Die  Mutter  nimmt  eine  Fenerschaufel  und  einen 
Tiegel  und  trägt  dies  dreimal  um  das  Kind  herum,  wobei  sie  sagt:  ..Laufe  das 
Geschrei  fort,  es  jagt  dich  das  mütterliche  Werkzeug."  — 

Ferner:  Wenn  in  Serbien  ein  Fremder  abends  aus  dem  Hause  fortgehen 
will,  so  muß  er  dem  Kind  den  „Schlaf  geben".  Dies  geschieht,  indem  man  von 
dem  Fremden  ein  Stückchen  Zeug  oder  Papier  nimmt,  neben  das  Kind  legt 
und  dazu  spricht:  „Schlafe,  sowie  ich  schlafen  werde.-'  Wenn  ein  Kind  nicht 
schlafen  kann,  wird  es  mit  Wasser  aus  dem  Munde  gewaschen  und  mit  dem 
hinteren  Teile  des  Hemdes  abgewischt.  Audi  darf  das  erste  Jahr  abends 
nichts  aus  dem  Hause  geliehen  werden,  wenn  man  das  nächtliche  Weinen  des 
Kindes  vermeiden  will  (Petrowitsch). 

Das  Schlafmittel  der  Wenden  in  Niedersachsen  kommt  in  §  '214  zur 
Sprache. 

In  Böhmen  finden  sich  folgende  Meinungen:  Der  Schlaf  wird  dem  Kinde 
geraubt,  wenn  über  Nacht  ein  Messer  auf  dem  Tische  liegt,  oder  wenn  Messer, 
Gabel  und  Löffel  in  Töpfen  oder  am  Boden  umherliegen,  oder  wenn  man 
etwas  auf  die  Wiege  legt  und  dann  wieder  wegnimmt.  —  Wenn  sich  ein 
Nachbar  sein  Licht  in  der  Stube  des  Kindes  ansteckt,  trägt  er  diesem  die 
Ruhe  weg.  —  Einem  Kinde,  das  auf  dem  Weg  ins  Freie  einschläft,  ist  der 
Schlaf  ausgetragen.  —  Sowohl  hier  als  in  Schlesien,  Sachsen  und  Thüringen 
muß  man  sich  etwas  niedersetzen,  wenn  man  in  eine  Stube  kommt,  wo  ein 
kleines  Kind  ist,  damit  man  diesem  die  Kühe  nicht  nehme.  Die  Bö  hm  in 
trocknet  für  ein  Kind,  dem  die  Kühe  genommen  ist,  das  Schläfenbein  eines 
Fisches,  pulvert  es  und  reicht  es  dem  Kind  in  Wasser;  oder  sie  hackt  mit 
einer  Hacke  auf  den  Hackklotz  und  legt  jene  in  die  Wiege.  —  Ein  anderes 
Mittel  ist  folgendes:  Die  Mutter  kriecht  auf  allen  Vieren  in  der  Stube  herum, 
wobei  sie  die  Worte:  „Ich  suche  den  Schlaf  dir,  lieber  N."  so  lange  wiederholt. 
bis  das  Kind  einschläft.  —  Oder  man  gießt  siedendes  Wasser  in  eine  Schüssel, 
die  man  mit  einem  umgestürzten  Topfe  zudeckt.  Zieht  sich  Wasser  in  diesen, 
dann  ist  geholfen1). 

Die  Wenden  in  Hannover  legen  dem  Kind  Eulenfedern  ins  Bett,  damit 
es  gut  schlafe. 

Wenn  im  Böhmer  wähl  die  Kinder  während  der  ersten  sechs  AYochen 
im  Schlaf  lächeln,  so  spielen  sie  mit  den  Engeln. 

In  Schlesien  ist  es  der  Schutzengel,  mit  dem  ein  im  Schlaf  lächelndes 
Kind  spielt. 

Hingegen  findet  sich  in  der  gestriegelten  Rockenphilosophie  des  Praetorius 
folgendes:  „Wenn  die  Kinder  im  Schlafe  lächeln  und  die  Augen  verdrehen, 
so  heißt's:  das  Jüdel  läßt  sie  nicht  ruhen,  oder  das  Jüdel  spielt  mit  ihnen. 
Dagegen  hilft  nun   ein  besonderes  Mittel:  Es  soll  ein  neues  kleines  Töpfchen 


')  Das  geschieht  nach  einem  physikalischen  Gesetz  bekanntlich  immer. 


32        Kapitel  XXXIII.     Sympathie  oder  Zauber  in  der  Behandlung  des  gesunden  Kindes. 

und  ein  Quirlchen  gekauft  und  so  teuer  bezahlt  weiden,  als  es  geboten  wird; 
da  hinein  wird  etwas  von  des  Kindes  Badewasser  gegossen  und  auf  den  Ofen 
gestellt;  damit  soll  das  Jüdel  spielen  und  das  Wasser  hinausplätscheru,  bis 
nichts  mehr  im  Töpfchen  ist." 

Sowohl  in  Böhmen  als  auch  in  Schlesien,  im  sächsischen  Erz- 
gebirge, im  Vogtland,  in  Mecklenburg.  Oldenburg  und  auf  Rügen 
raubt  man  Kindern  die  Kühe,  wenn  man  leere  Wiegen  schaukelt. 

In  der  Mark  Brandenburg,  in  Österreich-Schlesien  und  in  Franken 
hat  das  Schaukeln  einer  leeren  Wiege  den  Tod  des  Kindes  zur  Folge. 

In  Kreuzburg  und  Schönan  (Schlesien)  darf  während  der  Sechs- 
wochenzeil kein  Streichholz  noch  irgend  etwas  anders  aus  dem  Hause  verliehen 
werden,  weil  das  dem  Kinde  Kühe  und  Wohlergehen  entziehen  würde.  Wiegen 
in  Schlesien  zwei  Personen  ein  Kind  zugleich,  dann  stirbt  es.  In  die  Wiege 
eines  Kindes  darf  kein  anderes  Kind  gelegt  werden,  noch  darf  ein  Erwachsenes 
sich  in  eine  Wiege  setzen.  —  Die  Ruhe  sucht  man  einem  unruhigen  Kind,  indem 
man  aus  den  vier  Stubenecken  staub  kehrt,  diesen  einwickelt  und  täglich  an 
einer  andern  Stelle  unter  das  Bettchen  steckt,  was  bis  zu  einem  Jahr  fort- 
gesetzt werden  kann  (Kreuzburg).  Vielweinende  Kinder  werden  in  Schlesien 
auch  dadurch  zu  beruhigen  gesucht,  indem  man  die  Mütze  des  Vaters,  oder 
„Schlafäpfel",  auch  „Rosenäpfel"  genannt1),  unter  das  Kissen  legt.  Ferner 
zieht  man.  wie  bei  den  Wenden,  weinerliche  Kinder  dreimal  durch  die  Sprossen 
einer  heiter. 

Im  Vogtland  kehrt  die  Mutter  die  Stube  ,.im  Kreuz"  aus,  so  daß  der 
Kehricht  in  der  Mitte  der  Stube  liegt.  Hierauf  wird  er  dem  Kind  unter 
den  Kopf  gelegt. 

Wenn  in  Sachsen  und  Thüringen  eine  Frau  mit  einem  Tragkorb  in 
die  Stube  kommt,  wo  ein  Sechswochenkind  liegt,  dann  soll  man  einen  Spann 
vom  Korbe  abschneiden  und  in  die  Wiege  legen,  damit  dem  Kinde  nicht  die 
Bähe  fortgetragen  werde. 

In  Oldenburg  soll  man  für  die  Wiege  nicht  eher  sorgen,  als  das  Kind 
da  ist.  denn  das  Kind,  das  in  einer  vorzeitig  angeschafften  Wiege  schläft, 
muß  sterben. 

Nimmt  man  auf  Rügen  das  Kind  aus  dem  Bett,  so  muß  man  dieses 
.sogleich  wieder  zudecken,  sonst  nehmen  böse  Geister  den  Platz  ein.  wodurch 
das   Kind  nicht  gedeiht,  sondern  abnimmt. 

In  der  Mark  Brandenburg  darf  man  das  Stroh  in  der  Wiege  im 
ersten   Lehensjahre  des  Kindes  nicht  aufrühren,  sonst  stirbt  dieses. 

Auch  in  Halle  heißt's:  Das  Kinderbett  darf  nie  aufgedeckt  werden. 
sonst  macht  man  dein  Kind  das  Grab  auf. 

In  North  Riding.  englische  Grafschaft  York,  muß  die  erste  Wiege 
bezahl!  werden,  ehe  sie  über  die  Tnrschwelle  kommt.  Auch  gilt  es  für  rat- 
sam, die  Wiege  so  lange  umgestürzt  aufzubewahren,  bis  das  Kind  hineingelegt 
wird.  Dadurch  verhindert  man  andere  (gefährliche?)  Wesen,  darin  zu 
schlafen.  In  Suffolk  ist  es  nicht  gut,  wenn  Kinder  auf  Knochen,  also 
auch   auf  dein   Schöße,  schlafen. 

In  der  Schweiz  darf  man  einem  Sechswochenkind  die  Wiege  nicht 
anders  stellen,  damit  es  nicht  schielend  werde.  -  Hinein  Kind,  das  im  Schlaf 
lächelt,  sagl  ein  Engel  ein  Freudelein  ins  Ohr. 

In  der  Schweiz  und  in  Bayern  legt  man  Kindern,  denen  die  „Ruhe 
genommen"  ist,  einen  Schweinstallriegel  unter.  Im  bayrischen  Schwaben 
kann  das  jüngste  Kind  nicht  schlafen,  wenn  am  Abend  vor  dem  Schlafengehen 
der   Erwachsenen  der  Tisch  nicht  ganz  abgeräumt  wird   (vgl.  Böhmen  S.  31). 

')  Auswüchse  des  Hagebuttenstrauches,  welche  von  der  Rosengallwespe  verursacht 
werden. 


Geheimnisvolle  Beziehungen  der  Haare  und  Nägel  zum  Kind. 


33 


Ferner  legt  man  Schweizer  Kindern  gegen  Schlaflosigkeit  einen  dort 
auch  „Rosmies"  genannt  (Spongia  cynobasti)  unter  das  Kissen  (vgl.  Schlesien 
w.  o.).  Häutiger  noch  wird  die  Baummistel  als  Schlafdorn  oder  Schlafkuntz 
gebraucht,  oder  man  bestreicht  dem  Kind  die  Schläfe  mit  einem  Absud  von 
Mandragorawurz. 

Im  Kanton  Uri  scheinen  früher  christliche  Mütter  den  bei  der  hl.  Messe 
gebrauchten  Ablntionswein  als  Schlafmittel  für  Kinder  gebraucht  zu  haben, 
denn  nach  A.  Franz  erging  im  Jahre  1650   ein   kirchliches  Verbot  dagegen. 

In  Italien  verursacht' das  Schaukeln  einer  leeren  Wiege  dem  Kinde 
Bauchschmerzen. 

Die  Maroniten  am  Libanon  fürchten  von  der  gleichen  Handlung 
Rückenschmerzen  für  das  Kind.  —  Wiegen  hier  zwei  Personen  gleichzeitig  ein 
Kind,  dann  geht  dieses  später  eine 
doppelte  Heirat  ein,  was  als  Unglück 
gilt  (vgl.  Schlesien).  —  Das  Bett 
der  kleinen  Kinder  soll  mit  Myrthen 
gefüllt  werden.  Träumt  dasMaroniten- 
kind,  es  werde  in  die  Lüfte  gehoben 
und  fliege  wie  ein  Vogel,  so  wird  es 
groß  und  glücklich.  Deshalb  heißt 
ein  solcher  Traum  „die  große  Freude". 
—  Träumt  es  von  gutem  Fleisch  und 
Brot,  dann  kommt  Unglück.  Hin- 
gegen bedeuten  seine  Träume  von 
Tod.  Krankheit  und  Unglück  Vor- 
bedeutungen von  Leben,  Gesundheit 
und  Glück  (Chemali). 

Bei  den  Bantu  am  untern 
Kongo  werden  Kinder  durch  böse 
Träume  vom  Schlaf  aufgeschreckt, 
wenn  man  sie  in  den  Spiegel  schauen 
läßt  (Weeks). 

Lächelt  bei  den  Negern  auf 
Jamaika  ein  Kind  im  Schlaf,  dann 
träumt  es  vom  Tod  seiner  Mutter; 
weint  es  im  Schlaf,  so  träumt  es 
vom  Tode  seines  Vaters. 

Die  Mordwinen  besprengten 
nach  Abercromby  vor  ihrer  Christiani- 
sierung die  Wiegen  mit  einem  Wasser, 

in  welches  Hirse,  Eier  und  Milch  geschüttet  worden  und  in  welchem  die 
der  Göttermutter  Ange  Patyai  heiligen  Birkenzweige  geweiht  worden  waren. 
Mit  dem  gleichen  AVasser  wurden  die  Schwangeren  besprengt  (vgl.  Kap.  III). 

Bei  den  Kamtschad  alen  wurden  Kinder,  die  nachts  sehr  unruhig 
waren,  von  Verstorbenen  geplagt,  weil  das  Kind  nicht  den  rechten 
Namen  bekommen  habe.  Mau  fragte  dann  eine  Schamanin  um  Rat  und  legte 
dem  Kind  den  von  ihr  vorgeschlagenen  Namen  bei  (Steiler).  — 

§  212.     Geheimnisvolle  Beziehungen  der  Haare  und  Nägel  zum  Kind. 

In  Stamfordham,  Grafschaft  Xort  humberland,  soll  man  den  kleinen 
Kindern  die  Nägel  nie  abschneiden,  sondern  immer  abbeißen;  sonst  weiden 
die  Kinder  Diebe. 

Der  gleiche  Glaube  ist  auch  über  Mecklenburg,  das  Vogtland, 
Unter  franken,   die  Rheinpfalz   und   einen   Teil   Böhmens  verbreitet. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  3 


Fig.     245.     Kin  sieben  Monate  altes  Maronitenkin  d 

am   Libanon  nach  Bechara  Chemali  im  „Anthropos" 

V,  738,  Taf.  2. 


34        Kapitel  XXXIII.    Sympathie  oder  Zauber  in  der  Behandlung  des  gesunden  Kindes. 

In  Karlsbad  heißt  es:  Nägel  und  Haare  vor  dem  ersten  Jahr  geschnitten, 
wachsen  dem  Kind  nicht  mehr  nach ;  zudem  schneidet  man  bei  Knaben  den 
Verstand  mit  den  Haaren  ab.  Auch  im  Böhm  er  wähl  wachsen  Haare  und 
Nägel  nicht  mehr  nach,  wenn  man  sie  im  ersten  Lebensjahre  des  Kindes  ab- 
schneidet statt  abzubeißen.  Später  sollen  sie  nur  beim  zunehmenden  Mond 
geschnitten  werden. 

Ferner  darf  man  weder  in  Böhmen  noch  in  Ostpreußen  einem  Kind 
unter  einem  Jahr  das  Haar  kämmen;  nur  gebürstet  soll  es  werden,  sonst 
stirbt  das  Kind. 

In  Wettin  im  preußischen  Regierungsbez'nk  Merseburg  soll  das  Haar 
des  Neugebornen  zum  erstenmal  mit  einem  neuen  Kamm  gekämmt  werden, 
damit  das  Haar  stark  werde. 


Nordamerikanische  Iml  iunr 


\  e  g  ••  r-  M  ischli 
in  München. 


Im  K.  Ethnographischen  Museum 


Im  Erzgebirge  schneidet  man  dem  Kind  das  Glück  ab,  und  im  öster- 
reichischen Schlesien  wird  das  Kind  einfältig,  wenn  man  ihm  die  Nägel  ab- 
schneidet, statt  sie  abzubeißen. 

In  Schwaben  kommen  unter  den  gleichen  Voraussetzungen  Hexen  dazu. 
und  in  der  Schweiz  wachsen  die  Fingernägel  schief.  Hier  darf  man  ferner 
Kinde]-  nicht  am  Morgen  kämmen,  sonst  haben  sie  einen  verworfenen  Tag  und 
sind  bösen  Leuten  verfallen.  Schneidet  man  ihnen  vor  dem  siebenten  Jahr 
die  Haare,  dann  kommen  sie  nie  zu  Kräften,  und  verbrennt  man  die  ein- 
geschnittenen  Ilaare.  dann  gedeiht  das  Kind  nicht. 

In  Südfrankreich,  in  der  sogenannten  Montagne  noire,  einem  Zweig 
der  Pyrenäen,  huldigt  man  der  alten  Überlieferung,  man  dürfe  Säuglingen 
deshalb  die  Nägel  nicht  schneiden,  weil  durch  diese  Operation  im  Kinderherzen 
eine  entschiedene  Neigung  zum  Diebstahl  hervorgerufen  würde  (Th.  Bodin).  — 
I  bei    lie  Wirkung  des  gleichzeitigen  Kämmens  durch  zwei  Personen  später. 


§  213.     Zauberische  Wirkung  der  Kleidung  auf  das  Kind. 


35 


Auch  bei  den  Maroni ten  in  Syrien  findet  sich  der  in  Europa  so  weit 
verbreitete  Aberglaube  an  die  Wirkung  der  Nägel  auf  die  Psyche.  B.  Chemali 
schreibt :  Man  schneidet  den  kleinen  Kindern  die  Nägel  nicht,  aus  Furcht,  sie 
würden  sonst  später  Diebe  werden.  Um  sie  abzustumpfen,  schiebt  man  sie 
in  Mehl  hiuein.  — 

§  213.     Zauberische  Wirkung  der  Kleidung  auf  das  Kind. 

In  Schlesien,  Brandenburg  und  auf  der  kurischen  Nehrung  läßt 
man  die  erste  Hülle  des  Kindes  dessen  zukünftiges  sexuelles  Leben  beeinflussen. 
In  Schlesien  hüllt  man  nämlich  einen  neugebornen  Knaben  in  ein  Mädchen- 
hemd und  umgekehrt,  damit  das  Kind  später  beim  anderen  Geschlechte 
Glück  habe.  — 

In  Brandenburg  sollen  die  Kinder  in  einem  leinenen  Laken,  nicht  in 
ein  Tuch  oder  in  eine  Schürze,  gewickelt  werden, 
weil  sie  sonst  später  dem  anderen  Geschlechte 
nachlaufen. 

Auf  der  kurischen  Nehrung  will  man 
die  geschlechtliche  Entwicklung  des  Kindes  be- 
fördern, indem  man  wie  in  Schlesien  verfährt. 
Man  hält  da  an  diesem  Brauche  noch  immer 
strenge  fest,  wie  Julius  von  Xegelein  schreibt. — 
Vielleicht  haben  wir  hier  in  diesen  Gebieten 
einen  slawischen  Brauch. 

Daß  in  Königsberg  i.  Pr.  jenes  Kind 
Glück  hat,  welches  in  den  ersten  Tagen  seines 
Lebens  in  das  Hemd  seines  Vaters  gewickelt 
wird,  ist  in  Kap.  V  erwähnt  worden.  —  Hier 
setzt  man  dem  Kind  auch  eine  grünseidene 
Mütze  auf,  damit  es  Glück  habi . 

In  Mecklenburg  soll  man  die  Wäsche 
eines  Kindes,  welches  unter  einem  Jahr  alt  ist. 
nach  Sonnenuntergang  nicht  im  Freien  hängen 
lassen,  damit  das  Kind  nicht   stirbt. 

In  der  Schweiz  dürfen  die  Windeln  des 
Kindes  vor  der  Taufe  nicht  in  der  Sonne  ge- 
trocknet werden,  sonst  wird  das  Kind  behext: 
auch   darf  man  die  Windeln  nur  in  laufendem 

Wasser  waschen,  um  das  Kind  vor  Bösem  zu  bewahren.  —  Wenn  man  die 
Windeln  eines  Sechswochenkindes  auf  dem  Haag  trocknen  läßt,  so  verdaut 
das  Kind  die  Milch  nicht.  --  Je  nachdem  man  beim  ersten  Einwickeln  die 
rechte  oder  die  linke  Hand  mit  einbindet,  wird  das  Kind  linkisch.  —  Das  als 
Patengeschenk  einem  verstorbenen  Kinde  gehörige  Kleidungsstück  (Kinds- 
trossel)  darf  man  keinem  anderen  anziehen,  denn  dann  stirbt  auch  dieses.  — 
(Heim  ersten  Einwickeln  legt  man  das  Kind  auf  eine  Hausbibel,  dann  wirds 
gelehrt  und  fromm.)  —  Die  Mutter  darf  die  Windeln  des  Kindes  nicht  vor  der 
Geburt  sehen  lassen,  sonst  stirbt  das  Kind  (vgl.  den  liier  einschlägigen  Aber- 
glauben im  Apennin.  Kap.  V). 

Im  Vogtland  soll  ein  Kind  keine  roten  Schuhe  tragen,  weil  es  sonst 
später  kein  Blut  sehen  könne. 

In  Schlesien  findet  sich  außer  dem  oben  erwähnten  Glauben  an  einen 
Zusammenhang  zwischen  Hemd  und  Geschlechtsleben  auch  der  folgende:  Von  der 
Rechnung,  welche  ein  Handwerker  für  die  ersten  Schuhe  und  Kleider  eines 
Kindes  ausstellt,  darf  nichts  abgezogen  werden,  soust  hat  das  Kind  in  diesen 
Kleidungsstücken  kein  Giück.  -  -  Bei  heftigem  Wind  soll  keine  Kinderwäsche 

3* 


Fig.   247.      Miilattenmii  riehen    aus 

Pevnambuco.      Im    K.    Ethnograph. 

Museum  in  München. 


36        Kapitel  XXXIII.    Sympathie  oder  Zauber  in  der  Behandlung  des  gesunden  Kindes. 

im  Freien  aufgehängt  werden,  weil  das  Kind  sonst  unruhig  wird.  —  Die 
Wasche  eines  Kindes  unter  einem  Jahr  soll  nicht  gestärkt  werden,  damit 
nicht  des  Kindes  Bosheit  erstarke. 

Das  blane  Tuch,  in  welches  das  Neugeborne  in  Böhmen,  und  das  rote. 
worein  das  Kind  der  alten  Deutschen  gehüllt  und  darauf  unter  den  Tisch 
gelegt  wurde,  stand  wohl  auch  in  einer  zauberkräftigen  Beziehung  zum  Kind 
(vgl.  die  verschiedenen  Farben  gegen  den  bösen  Blick  n.  s.  w.  in  Kaji.  VI). 
Kbenso  wird  eine  derartige  Beziehung  zwischen  dem  Töchterlein  und  dem 
„Pfojdstouß"  der  Böhmerwäldlerin  zu  suchen  sein.  Frau  Bayerl-Sehwejda 
teilte  mir  nämlich  mit,  daß  im  Böhmerwald  neugeborne  Mädchen  sogleich  in 
dm  Pfojdstouß,  d.  h.  in  den  unteren,  größeren  Teil  eines  Hemdes  gewickelt 
werden  sollen.  (Die  Hemden  bestehen  dort  noch,  wie  vor  circa  40  Jahren 
bei  den  schwäbischen  Bauern,  aus  zwei  verschiedenen  Arten  Leinwand,  von 
denen  die  feinere  für  den  ..Oberstock",  die  gröbere  für  den  ..Unterstock"  ge- 
nommen wurde.) 

Abermals  begegnen  wir  Hemd  und  Kind  bei  den  Serben  und  im  Berner 
Land.  Hier  wird  das  Kind  in  das  Hemd  seines  Vaters  gewickelt,  der  es  auf 
Verlangen  der  Hebamme  auszieht,  und  bei  den  Serben  in  Schumadija  darf 
dem  Kind  nicht  eher  ein  neues  Kleid  angezogen  werden,  bis  die  Mutter  eine 
brennende  Kohle  durch  das  (?)  Hemd  geworfen  hat  mit  den  Worten:  ..Daß 
du  dies  Hemd  zerreißest  und  ein  neues  bekommst"  (Petrowitsch). 

Bei  den  K'uthenen  in  Galizien  darf  man  die  AVäsche  eines  Mädchens 
unter  zehn  Jahren  nicht  mit  dem  Waschholz  klopfen,  sonst  wird  es  einmal 
viui  ihrem  Mann  geschlagen.  --  Am  Sonnabend  darf  für  ein  Kind  nichts  zu- 
geschnitten oder  genäht  werden.  -  Dieser  Brauch  dürfte  mit  der  Verehrung 
Mariens  zusammenhängen. 

Auf  Jamaika  wollen  die  Negerinnen  nicht,  daß  die  Kinderkleidchen 
beim  Waschen  gerieben  (oder  geschlagen?)  werden,  weil  das  Kind  sonst 
Schmerzen  in  den  Eingeweiden  bekomme.  — 

tj  214.    Das  Durchkriechen,  Durchziehen,  Durehreichen  und 
Überschreiten  des  gesunden  Kindes1). 

Hin  Kind  soll  nicht  durch  gespreizte  Heine  kriechen  oder,  was  auf  das 
Gleiche  herauskommt,  man  soll  über  ein  Kind  nicht  schreiten,  smist  wächst 
und  gedeiht  es  nicht  mehr.  Diese  Ansicht  findet  sich  zunächst  über  einen 
großen  Teil  des  deutschen  Reiches  verbreitet:  Oldenburg,  Mecklenburg 
Rügen,  das  Vogtland,  Schlesien  und  Dnteri'ranken  kennt  sie.  Als 
Gegenmittel  dient  in  manchen  liegenden,  daß  man  über  das  Kind  zurück- 
schreite. In  Schlesien  soll  man  wegen  der  gleichen  Folge  Kinder  auch  nicht 
unter  Wagen  oder  unter  Wagendeichseln  durchkriechen  lassen.  Gegenmittel: 
Zurückkriechen. 

Ebenso  verhängnisvoll  ist  es.  wenn  man  in  Schlesien.  Mecklenburg. 
Oldenburg,  Sachsen  und  in  der  Rheinpfalz  Kinder  durch  ein  Fenster 
reicht,  ohne  sie  wieder  zurückzureichen.  Aber  auch  das  Zurückreichen  hebt 
nicht  überall  die  schlimme  Wirkung  auf.  Diese  besteht  in  einem  Teil 
Schlesiens  sowie  in  den  andern  vier  erwähnten  Gebieten  darin,  daß  das  Kind 
nicht  mehr  wächst  und  gedeiht;  in  einem  andern  Teil  Schlesiens  aber. 
sowie  in  der  Mark  Brandenburg  und  in  der  deutschen  Schweiz,  daß  das 
Kind,  welches  /um  Fenster  hinein-  und  hinausgehoben  wird,  das  stehlen  lernt. 

Im  Böhmerwald  wiederum  hindert  das  Überschreiten  des  Kindes  dessen 
Wachst  um  (  Bayei  l-S  i 

1  Vgl.  das  Durchziehen  kranker  um  1  zu  adoptierender  Kinder  in  den  betreffenden 
Kapiteln 


O  7 


§  215.    Ei,  Brot  und  andere  Nährstoffe  in  ihren  geheimnisvollen  Wirkungen  auf  das  Kind.        37 

Hingegen  ziehen  die  Wenden  in  Niedersachsen  Kinder,  welche  viel 
weinen,  dreimal  durch  die  Sprossen  einer  Leiter,  um  ihm  Ruhe  zu  verschaffen. 

Günstige  Wirkung  verspricht  man  sich  auch  in  Frankreich  von  einem 
ähnlichen  Verfahren,  d.  h.  man  hebt  in  Saintonge  die  Neugebornen  durch  die 
Löcher  eines  Dolmen-Decksteines,  um  sie  vor  allen  Übeln,  gegenwärtigen  und 
zukünftigen,  zu  bewahren.  In  Trie  (Oise)  muß  ein  schwächliches  Neugeborne, 
mit  dem  Kopfe  voran,  gleichfalls  durch  einen  durchlöcherten  Dolmenstein,  um 
es  zu  kräftigen.  Ähnliche  Berichte  liegen  von  Aisne  und  Eure-et-Loir 
vor  (Sebillot)1). 

Nach  syrischem  Volksglauben  wiederum  wird  das  Kind  verzaubert, 
indem  es  überschritten  wird.  Um  die  schlimme  Wirkung  aufzuheben,  hängt  man 
die  Kleider  eines  solchen  Kindes  an  den  oberen  Querbalken  eines  Türgerüstes, 
und  die  Person,  welche  es  überschritten  hat,  muß  unter  ihnen  durchgehen. 
Geht  ein  Kind  selbst  unter  den  gespreizten  Beinen  eines  Menschen  hindurch 
und  wäre  es  nur  im  Spiel,  dann  muß  es,  um  unbeschädigt  davon  zu  kommen, 
nochmals  in  entgegengesetzter  Richtung  durch.  Hilft  das  nicht,  dann  soll  es 
ins  Meer  getaucht  werden.  Nach  Frederick  Sessons  hat  schon  manche  Mutter 
ihren  Liebling  zu  diesem  Zwecke  meilenweit  getragen.  Nicht  einmal  über  die 
Mütze  eines  Kindes  kann  man  schreiten,  oder  auf  sie  treten,  ohne  daß  dieses 
erkrankt. 

Verhinderung  des  Wachstums  durch  Überschreiten  oder  durch  Hinaus- 
reichen des  Kindes  durch  ein  Fenster  fürchten  ferner  die  südrussischen 
.luden.  Hier  sollen  Kinder  wegen  der  gleichen  Folgen  auch  nicht  über  die 
eigene  Höhe  gehoben  werden  (Weißenberg). 

Der  uns  schon  von  Schlesien,  Brandenburg  und  der  Schweiz  her  bekannte 
Aberglaube,  daß  jenes  Kind  ein  Dieb  werde,  welches  durch  ein  Fenster  ge- 
reicht werde,  begegnet  uns  wieder  unter  den  Negern  auf  Jamaika,  und  die 
Furcht  vor  dem  Überschreiten  kleiner  Kinder  bei  den  Ilocanen  auf  Luzön 
(Philippinen).     Hier   werden  solche  Kinder  unglücklich  (Blumentritt). 

§  215.     Ei,  Brot  und  andere  Nährstoffe  in  ihren  geheimnisvollen 
Wirkungen  auf  das  Kind. 

Bereits  in  früheren  Kapiteln  haben  wir  das  Ei  in  verschiedenen  Be- 
ziehungen zum  Kind  gefunden.  Das  vorliegende  macht  uns  mit  weiteren  be- 
kannt: Abgesehen  davon,  daß  das  Ei  zur  Erleichterung  des  Sprechens  gereicht 
wird  (§  216),  erwartet  man  von  ihm  noch  verschiedene  andere  günstige 
Wirkungen.  —  Günstige  Wirkungen  sollen  ferner  von  bestimmten  Genußmitteln 
anderer  Arten  ausgehen,  welche  in  diesem  Abschnitt  zu  erwähnen  sind. 

Im  nördlichen  England  soll  das  Ei,  welches  ein  Kind  bei  seinem 
ersten  Besuch  erhält,  aufgehoben  werden,  weil  es  für  das  Kind  zukünftiges 
Glück  bedeute,  wie  wir  aus  den  Denham  Tracts  ersehen.  -  -  James  Hardy 
hingegen  erklärt  das  bei  dieser  Gelegenheit  gegebene  Ei  samt  einer  Handvoll 
Salz  und  einem  Päckchen  Zündholz  als  Symbole  der  Auferstehung  von  den 
Toten,  der  Unsterblichkeit  der  Seele  und  des  Feuersees.  —  Ei,  Salz  und  Weiß- 
brot oder  Kuchen  wird  bei  dergleichen  Gelegenheit  in  Morpeth,  Northumber- 
land,  gespendet,  wo  der  erste  Besuch  des  Neugebornen  auf  dem  Arm  seiner 
Mutter  oder  Wärterin  als  ein  Moment  von  großer  Wichtigkeit  gilt.  —  in  der 
Grafschaft  York  (North  Riding)  bestand  das  Geschenk  in  neugebackenem 
Brot.  Salz  und  einem  Silbergroschen;  doch  gehörten  Brot  und  Salz  der  Wärterin. 
In  Yorksliire  kam  es  auch  vor,  daß  man  das  Kind  mit  einem  Ei  beschenkte. 


')  Vielleicht   erwartet    man  aber    hier  die   gute  Wirkung   vor   allem    von    dem    Stein. 
Vgl.  „Steine  als  Ursitze  der  Kinder'  in   Knp.  XXX. 


38        Kapitel  XXXIII.    Sympathie  oder  Zauber  in  der  Behandlung  des  gesunden  Kindes. 

Qutseh  erklärt  diesen  Brauch  teils  mit  Aberglauben,  den  er  aber  nicht  näher 
bezeichnet,  teils  mit  Gastfreundschaft. 

Im  Vogtland  hingegen  sollen  Kinder  Eier  nicht  essen,  weil  sie  sonst 
geschwätzig  werden.  --  Der  Genuß  von  Hirse  bringt  ihnen  Hirsekörner  ins 
(iesidit   und  (ieistenkörner  in  die  Augen. 

In  der  Rhön  scheint  das  Brot,  welches  dem  Kind  bei  seinem  ersten 
Besuch  vom  Paten  gegeben  wird,  wichtiger  zu  sein  als  das  Ei,  das  man  zum 
Mint  hinzugibt.  Denn  man  bewahrt  dieses  ein  Jahr  lang  auf  und  läßt  Leben 
und  Tod  des  Kindes  davon  abhängen.  Hält  sich  nämlich  das  Brot  in  dieser 
Zeit,  dann  gedeiht  das  Kind;  schimmelt  es  an,  so  ist  dieses  verloren. 

In  Bayern  lernen  Kinder,  denen  man  das  erste  Ei  einer  Henne  zu  essen 
gibt,  gut  singen.     (Eier  sollen  ja  bei  Vögeln  die  gleiche  Wirkung  haben.) 

In  Böhmen  steckt  man  dem  Kind  ein  Stück  Brot  in  den  Mund,  damit 
es  nicht  genäschig  werde  und  immer  zu  essen  habe;  auch  legt  man  ihm  Brot 
unter  die  Wiege,  damit  es  keine  Not  habe.  —  Stutenmilch  macht  das  Kind 
ungemein  stark.  --  Ißt  das  Kind  ein  Katzenhaar,  so  hört  es  auf  zu  wachsen; 
ißt  es  Fisch,  so  lernt  es  schwer  sprechen.  -  Mit  Kochlöffeln  füttern  macht 
blöd   und   dumm.  Zerbricht  man   in  Karlsbad  und  Umgebung   eines   der 

Kier,    welche   dem  Kind   bei   dessen   erstem   Besuch   geschenkt   werden,    dann 
erleidet  dieses  früher  oder  später  einen  Beinbruch  (Schaller). 

In  der  deutschen  Schweiz  heißt  es:  Das  Kind  darf  nicht  Käse  ohne 
Brot  essen,  sonst  kommt  es  einmal  in  den  Turm  oder  an  den  Galgen.  - 
Wenn  ein  Knabe  Sauerampfer  ißt,  so  bekommt  er  Läuse;  ein  Mädchen  wird 
davon  jähzornig.  -  -  Wenn  die  Kinder  Kletterharz  vom  Kirschbaum  essen, 
so  weiden  sie  starke  Steiger;  essen  sie  Graubrot,  so  werden  sie  gute  Sänger. 
In  den  Brei,  den  man  für  Säuglinge  bereitet,  läßt  Gott  einen  oder  drei 
Tropfen  Segen  hineinfallen.  —  Vom  Kinderbrei  muß  man  der  Hauskatze  etwas 
übrig  lassen;  denn  wenn  die  Katze  im  leeren  Pfännchen  ,,schnäugget",  so 
bekommt  das  Kind  den  Pfnüsel  (Schnupfen).  —  Brennt  man  dem  Kind  seinen 
ersten  Brei  an,  so  lernt  es  gut  singen.  -  -  Vor  einem  kleinen  Kinde  soll  man 
nichts  essen  und  trinken,  ohne  ihm  auch  davon  zu  geben;  es  drückt  ihm  sonst 
..der  (ilust  das  Herzieht  ab".  —  Wenn  überhaupt  ein  Kind  Verlangen  nach 
erlaubten  Dingen  hat,  so  muß  man  sie  ihm  geben,  sonst  geht  es  drauf.  —  Im 
Kauton  Bern  legt  man  dem  Neugebornen  ein  Stück  hartes  Brot  unter  das 
Kopfkissen,  damit,  es  nicht,  „schnäderfräsig'',  d.  h.  kein  Leckermaul  weide.  - 

Wenn  bei  den  llowa  auf  Madagaskar  ein  jüngeres  Kind  vor  einem  älteren 
zu  essen  bekommt,  wächst  das  ältere  nicht  mehr;  kleine  Mädchen,  welche 
Speisen  essen,  die  auf  den  Steinen  der  Feuerstätte  (toko)  gelegen  hatten, 
bekommen  einst  keine  Männer  (CambouS). 

Die  Serben  im  Belgrader  Kreis  fügen  zu  dem  Ei,  welches  dem  Kind 
beim  eisten  Erscheinen  in  einem  fremden  Haus  gereicht  wird,  ein  Stückchen 
Zucker.  Beides  lassen  sie  symbolisch  auf:  Das  Kind  soll  so  rein  wie 
das  Ei  und  si>  silii  wie  der  Zucker  sein.  Andererseits  hat,  Petrowitsch,  der 
dieses  mitteilt,  am  li  berichtet,  man  solle  in  Serbien  kleinen  Kindern  kein  Ei 
in  die  Hand  geben,  weil  sie  sonst  immer  auf  ihre  Händchen  schauen  und 
damit  spielen.  — 

S  '2lt>.     Das  Sprechenlernen  des  Kindes  im  Volksglauben. 

Außer  den  in  ^  y lö  erwähnten  Wirkungen,  welche  das  Ei  auf  kleine 
Kinder  ausüben  soll,  erwartet  man  bei  verschiedenen  Volksstämmeu  einen 
Einfluß  desselben  am  da  Spreclienlerneu.  Dieses  kann  auch  durch  andere 
geheimnisvoll  wirkende  Mittel  erleichtert,  oder  aber  verhindert,  oder  doch 
erschwert   werden. 


§  216.     Das  Sprechenlernen  des  Kindes  im  Volksglauben.  39 

In  Thüringen  und  im  Erzgebirge,  sowie  im  Harz  und  in  Franken, 
wo  der  Brauch  verlangt,  daß  man  dem  kleinen  Kind  bei  seinem  ersten  Er- 
scheinen in  fremden  Häusern  drei  frisch  gelegte  Eier  schenkt,  drückt  man 
diese  dem  Kind  dreimal  an  den  Mund  und  sagt  dabei:  „Wie  die  Hühner  gackern, 
so  lernt  das  Kind  plappern."     Dadurch  wird   das  Kind   beherzt  und   redselig. 

In  Königsberg  sollen  kleine  Kinder,  die  noch  nicht  sprechen  können, 
einander  nicht  küssen;  sonst  bleiben  sie  stumm,  oder  sie  lernen  doch  schwer 
sprechen.  —  Ist  das  erste  Wort,  welches  das  Erstgeborne  ausspricht,  „Papa", 
dann  folgt  das  nächste  Mal-  ein  Mädchen;  ist  es  „Mama",  so  kommt  ein  Knabe. 
—  Kitzelt  man  einem  kleinen  Kind  die  Fußsohlen,  dann  ist  Gefahr  vorhanden, 
daß  es  stottern  lerne. 

Die  letztere  Ansicht  findet  sich  auch  in  Schwaben  und  in  der  deutschen 
Schweiz. 

Im  Fränkisch-Hennebergischen  nennt  man  die  Eier,  welche  Nach- 
barn und  Freunde  dem  Kind  bei  dessen  ersten  Besuch  nebst  einem  Apfel  oder 
einem  Butterbrot  geben,  ..Schwatzgockel". 

Über  den  Einfluß  des  Spieles  auf  das  Sprechenleinen  nach  dem  Volks- 
glauben im  Vogtland  berichtet  §  219. 

Um  einem  Kind  das  Sprechenlernen  zu  erleichtern,  gibt  man  ihm  in 
Bayern  und  in  Schlesien  Bettelbrot  zu  essen.  In  Schlesien  finden  sich 
ferner  nach  Drechsler  folgende  Ratschläge  und  Mittel:  Lernen  Kinder  schwer 
sprechen,  so  soll  man  ihnen  „den  von  drei  heiligen  Messen  übriggebliebenen 
Wein"  (Ablutionswein?)  zu  trinken  geben,  oder  ihre  Namen  an  je  eine  Glocke  von 
drei  Kirchen  schreiben.  —  Geht  jemand  von  der  heiligen  Kommunion  schweigend 
heim  und  haucht  einem  kleinen  Kind  nüchtern  in  den  Mund,  dann  lernt  dieses 
früh  reden  (Kreuzburs,  Österreichisches  Schlesien).  —  Die  Wirkung 
des  Geldes  im  Patenbrief  auf  das  Sprechenlernen  in  Königsberg  ist  in  einem 
früheren  Kapitel  erwähnt  worden.  In  Schlesien  nennt  man  diesesGeld  „Plapper- 
geld". Auch  hier  bewirkt  es  frühes  Sprechenlernen,  wenn  der  Brief  über  dem  Mund 
des  Kindes  geöffnet  wird.  Ebenso  gleichen  sich  der  schlesische  und  der 
Königsberger  Aberglaube  über  das  erstgesprochene  Wort  „Papa"  und  „Mama". 
Nur  soll  es  in  Schlesien  sich  nicht  auf  die  Erstgeburt  beschränken,  sondern 
für  das  erste  Wort  jedes  Kindes  gelten.  —  Feiner  heißt  es  in  Schlesien: 
Wenn  man  zwei  zusammen  gebackene,  warme  Brote  über  dem  Kopf  oder  hinter 
dem  Rücken  eines  stotternden  oder  stummen  Kindes  auseinanderbricht  mit  den 
Worten:  „Liebes  Brot,  brich;  liebes  Kind  sprich!"  und  bald  darauf  drei  Vater- 
unser betet,  so  ist  das  Kind  in  kurzem  geheilt.  —  Ein  kleines  Kind,  das  man 
auf  den  Mund  schlägt,  lernt  nicht  sprechen. 

In  Bayern  gilt  neben  dem  oben  erwähnten  „Bettelbrot"  folgendes  Mittel 
zur  Beförderung  des  Sprechens:  Der  Pate  schlägt  dem  Kind  schweigend  einen 
silbernen  Löffel  dreimal  auf  den  Mund.  Zum  gleichen  Zweck  haucht  die 
protestantische  Mutter  ihrem  Säugling  in  den  Mund,  wenn  sie  ihn  am  Charfreitag 
nach  empfangenem  Abendmahl  zum  letztenmale  stillt  (vgl.  Schlesien). 

In  Böhmen  bleibt  jenes  Kind  stumm,  oder  lernt  wenigstens  spät  sprechen, 
das,  oder  dessen  Mutter  in  der  Stillperiode  Fisch  ißt,  weil  die  Fische  stumm 
sind.  Das  bayerische  Mittel,  dem  Kind  mit  einem  silbernen  Löffel  dreimal 
auf  den  Mund  zu  schlagen,  wird  auch  in  Böhmen  anempfohlen,  oder  man  gibt 
dem  Kind  Lerchenzungen.  Ebenso  gilt  im  Böhmerwald  das  Ei  als  Sprech- 
mittel;  doch  genügt  eines,  wenn  das  Kind  auf  dem  Arm  seiner  Mutter  zum 
erstenmal  auf  Besuch  kommt.  —  Im  Böhmer wald  lernt  das  Kind  ferner 
dann  leicht  sprechen,  wenn  ihm  die  Mutter  ein  Vaterunser  ins  Ohr  betet, 
oder  wenn  es  seine  Sprechversuche  mit  „Tad,  tad"  beginnt  (Bayerl-Schwejdd), 

Mehrere  Eier  und  ein  Geldstück  bekommt  der  Säugling  bei  seinem  ersten 
Besuch  in  Karlsbad  und  Umgebung.     Bei  Überreichung  der  Eier  erhält  er 


40        Kapitel  XXXIII.    Sympathie  oder  Zauber  in  der  Behandlung  des  gesunden  Kindes. 

die  Mahnung:  „Lern'  du  latschen  wie  die  Hühner  gatzen."  Erleichtert  wird 
hier  ferner  das  Sprechenlernen,  wenn  man  dem  Kind  am  eisten  Gründonners- 
tag seines  Lebens  eine  Schüssel  und  einen  Löffel  schenkt.  —  Küssen  sich 
zwei  kleine  Kinder,  dann  ist  Gefahr  vorhanden,  daß  eines  davon  stumm  bleibt. 

Im  Klbogener  Kreis  bekreuzte  man  mit  dem  Ei  den  Mund  des  Kindes, 
indem  ungefähr  die  gleiche  Mahnung  gegeben  wurde.  — 

Im  Kanton  Uri  in  der  Schweiz  galt  im  17.  Jahrhundert  der  bei  der  hl. 
Messe  gebrauchte  Ablutionswein  für  ein  gutes  Mittel,  um  die  Kinder  „fur- 
sichtig"  und  beredt  zu  machen,  oder  sie  vor  Stummheit  zu  bewahren.  (Den 
Ablutionswein  als  Schlafmittel  siehe  §  211.) 

Eine  in  Saint -Die  im  Jahre  1572  verbrannte  Hexe  riet,  man  solle 
recht  stark  an  Glockenseilen  ziehen,  um  einem  Kind  das  Sprechen  (und  Gehen) 
zu  ermöglichen  (Se'bülot). 

Schläge  auf  den  Rücken  macht  das  Kind  in  Böhmen  und  Schwaben 
stottern. 

Bei  den  Serben  darf  das  Kind  kein  Geflügel  essen,  welches  nicht  schon 
gekräht  hat,  sonst  wird  das  Kind  sehr  langte  stumm  bleiben.  —  Will  man. 
daß  das  Kind  bald  spricht,  so  soll  man  ihm  aus  einer  Glocke  Wasser  zu 
trinken  geben,  welche  die  Kühe  tragen.  —  Oder  man  stiehlt  ans  einem 
Zigeunersack  ein  Stückchen  Brot,  welches  man  dem  Kinde  zu  essen  gibt.  — 
Viele  backen  in  der  Mühle  einen  Kuchen  für  das  Kind  und  mischen  in  diesen 
Kuchen  ein  wenig  Holzstaub  von  dem  „Geklapper",  d.  h.  von  jenem  Holze, 
welches  an  den  Mühlstein  schlägt,  damit  das  Getreide  in  die  Mühle  fällt. 

I  lie  Glocke  der  Serben  hat  seine  Parallele  in  dem  italienischen  Glauben, 
man  müsse  dem  entwöhnten  Kinde  den  ersten  Trunk  aus  einer  Klingel  reichen, 
damit  es  nicht  stottern  lerne  (  II'-  Kaden). 

Der  böhmische  Volksglaube  an  den  Zusammenhang  des  stummen  Fisches 
mit  der  menschlichen  Sprache  taucht  bei  den  südrussischen  Juden  wieder 
auf.  Außerdem  läßt  man  hier  Kindern,  die  nicht  früh  genug  sprechen,  durch 
eine  alte  Frau  oder  einen  Arzt  die  Zunge  „piken",  d.  h.  das  Zungenbändchen 
abschneiden  ( Weißenberg).  — 

Die  Maroniten  am  Libanon  lassen  Kinder,  welche  schwer  sprechen 
lernen,  wiederholt  auf  einen  jeuer  eisernen  Hinge  beißen,  welche  als  Hand- 
haben au  den  Türen  gewisser  Kirchen  (sanctuaires)  angebracht  sind  (B.Che'mali). 

Auf  .Madagaskar  bleibt  jenes  Hova-Kind  stumm,  dessen  Eltern  einen 
undurchlöcherten  Kürbis  (une  courge  non  percee)  bei  sich  aufbewahren,  während 
das  Kind  noch  ganz  klein  ist.  -  Wenn  sich  zwei  Kinder,  die  noch  nicht 
sprechen  können,  die  Hände  reichen,  bleiben  sie  stumm  (vgl.  das  Küssen  in  Königs- 
berg w.  o.).  -  -   I  LS t  ein  Kind  Krebse,  wird  es  sich  schwer  ausdrücken  (Citnihouc). 

§  217.     Amulette  als  Schutzmittel  des  gesunden  Kindes. 

.Mit  den  in  Kap.  V  aufgezählten  Abwehrmitteln  gegen  geheimnisvolle 
Mächte,  welche  das  Kind  bedrohen,  ist  der  Reichtum  auf  diesem  Gebiete 
noch  keineswegs  erschöpft.  Es  liegt  mir  freilich  auch  der  Gedanke  fein,  ihn 
chöpfen  zu  können:  nur  verlangl  das  vorliegende  Kapitel,  daß  wenigstens 
einigermaßen  der  Einfluß  berücksichtigt  werde,  welcher  dem  Amulett  von 
verschiedenen  Völkern  auf  das  körperliche  und  geistige  Gedeihen  des 
Kindes  zugeschrieben  wird. 

Mein  Kinde  soll  man  an  sein  llälslein  und  Ärinlein  Benignenkörner  und 
rote  Korallen  hängen;  das  macht  es  fröhlich  und  trtieyhafft,  schrieb  Jacob  Uuefj 
in   seinem  Züricher  Trostbüchle  vom  Jahr   1554. 

In  Schlesien  legen  die  Tschechen  und  Mähren  Kräuter  in  die 
Ketten    ihrer  kleinen   Kinder,  um    diese    gesund    zu    erhalten.     Die  hierzu  be- 


§  217.     Amulette  als  Schutzmittel  des  gesunden  Kindes. 


41 


stimmten  Kräuter  werden  am  Vorabend  des  Joliannisfestes  gesammelt  und 
zunächst  unter  den  Tisch  gelegt.  Tags  darauf  trocknet  (wischt?)  man  sie 
ab,  und  gibt  einen  Teil  dem  Vieh,  den  anderen  legt  man  in  die  Kinderbetten. 
Auch  Rosen,  oder  andere  Pflanzen  und  Zweige,  die  am  Fronleichnamstag1)  (?) 
und  Ostern  in  der  Kirche  geweiht  werden,  verwendet  man  zu  dem  genannten 
Zweck  (  Tetzner). 

In  Italien  und  Spanien  tragen  heutzutage  noch  so  gut  wie  im  alten 
Rom  viele  Kinder  Amulette  mit  Glockchen,  die  nach  Hildburgh  Zauber  und 
Hexerei  durch  ihren  Klang  fernhalten  sollen.  — 


Fif 


248.    Männer,  Frauen  und  Kinder  ans  Mad  igaskar.    Scftuiu  phot.    Im  Museum  für  Völkerkunde 

in  Leipzig. 


Die  im  alten  Rom  getragenen  Bullen,  welche  Amulette  enthielten,  sind 
in  Kap.  V  besprochen  worden.  Die  jungen  Römer  legten  sie  im  15.  Jahr 
mit  den  übrigen  Zeichen  des  Knabenalters  ab.  Nach  Wilkinson  trugen  sowohl 
die  Kinder  der  alten  Römer  als  die  der  Etrusker  und  alten  Ägypter 
bisweilen  3— 1  Stück  solcher  Bullen,  teils  aus  Gold,  teils  aus  Leder,  und  teils 
aus  hartem  Stein2). 

Den  Ägyptern  galten  sie  als  Sinnbild  der  Wahrheit  und  Gerechtigkeit. 
Ein  solches  sei  die  Bulle  auch  in  der  Wage  der  Gerechtigkeit  bei  Richter- 
szenen;  ein  Bild  der  guten  Werke   bei  Verstorbenen.     Sie   soll   den  Träger, 


')  Der  Berichterstatter  nennt  vielleicht  die  Zweige,  welche  das  katholische  Volk  am 
Fronleichnamsfest  nach  der  Prozession  pietätvoll  mit  nach  Hause  nimmt,  „geweiht";  denn 
an  diesem  Feste  findet  meines  Wissens  keine  Weihe  von  Zweigen  oder  Pflanzen  statt. 

2)  Auch  gewisse  Halsbänder  galten  in  Korn  als  Amulette;  im  alten  Griechenland 
gab  es  ringförmige. 


42        Kapitel  XVXÜI.    Sympathie  oder  Zauber  in  der  Behandlung-  des  gesunden  Kindes. 

der  sie  an  einer  als  Schmuck  dienenden  Halsschnur  aus  Glasperlen  hängen 
hat,  zu  Weisheit  und  Tugend  anspornen,  vor  den  Wirkungen  des  bösen  Blickes1) 
und  jedem  Unglück  bewahren.  Auch  der  jugendliche  Gott  Harpokrates  habe 
eine  Balle  getragen.  Ärmere  Kinder  des  alten  und  neuen  Ägypten  müssen 
sich  mit  ledernen  Bullen  begnügen.  —  Außerdem  gab  es  im  alten  Ägypten 
Kinderamnlette  aus  beschriebenen  und  fest  aufgerollten  Papyrusstreifen,  die 
man  mit  Linnen  oder  anderem  Stoff  bedeckte.  Ferner  legte  man  den  Kindern 
Halsbänder  um,  an  denen  Götterbilder  befestigt  waren. 


Fig.  •-•i!'      Kinderamulett  ge^-eu  häufiges  Weinen,  Kindersclimucli  u.  a.  m.  ans  Ostafrika-, 
l.  u   2.  Halsschmuck  für  Mädchen  und  Frauen.  i     Lemlensihnur  für  Mädchen  aus  weißen  Schnecken- 

8,  Armschmnck  aus  kleinen  europäischen  Perlen.  häuschen. 

<    Geflochtene  Armringe  der  Wapogorokinder.  7.  Beinernes  Kinderamulett  gegen  liiiiinres  Weinen. 

isingarmreifen  der  Waugoniniüdchen.  H.  Kleine  eiserne    Fußknöchel-Schellen,  für  Kinder. 

Lufuahmo  aus  dem  Afiika-Mnseum  in  st.  Ottilien.    Vgl.  Kapitel  XI. I. 

Kinderamulette  aus  Pergamentstreifen  mit  Stellen  aus  dem  Koran,  bzw. 
der  Bibel  finden  sich  bei  Arabern  und  .luden.  Jene  haben  auch  Amulette, 
die  das  Kind  nur  für  eine  gewisse  Zeitdauer  gegen  Krankheiten  schützen  sollen 
und  dann,  ähnlich  den  römischen  Hüllen,  wieder  abgelegt  werden,  weil  das 
Kind  über  die  gefährliche  Zeit  hinausgewachsen  sei. 

Im  lullen  Kaukasus  hängen  die  Abchasen  (Asega)  ihren  Kindern 

einen  Knopf  ans  (ihr,  um  von  ihnen  Krankheiten  abzuwehren  und  ihnen  einen 
guten  Ohara  verschaffen  (Karute)  (vgl.  die  grünen  Knöpfe  der  Türken 

en  den  bi         Blick  in  Kap.  VI). 

i)  Vgl.  Kap    vr. 


§  217.     Amulette  als  Schutzmittel  des  gesunden  Kindes. 


43 


Als  Vorbeugungsmittel  gegen  Kinderkrankheiten  verkauft  man  in  vielen 
Krämerläden  Konstantinopels  blaue  Korallen  in  liandförmigen  Büchsen. 
Griechen,  Armenier  und  Juden  kaufen  sie.  Als  Mittel  gegen  den  bösen 
Blick  sind  sie  uns  in  Kap.  VI  schon  begegnet. 

„Eine  ganze  Reihe  von  Talismanen"  um  den  Hals  berichtet  Lissauer 
von  den  Kindern  der  Kabylen. 

Dem  Ewe-Kind  in  Togo  bindet  man  bald  nach  der  Geburt  um  Hals 
und  Armgelenke  einige  Perlen  oder  Korallen,  welche  vom  (?)  Fetisch  geweiht 


Fig.  250.     Ein  zwei  Tage  altes  Waheke-Kind.     (Vorderansicht.)    P.  Johannes  HSßigtr  pliot. 

wurden.  Im  Haarwirbel  befestigt  man  ein  paar  Kaurimuscheln,  um  das  Kind 
vor  Krankheit  zu  schützen  (Herold). 

Im  französischen  Kongo  versehen  die  Fjort  ihre  Neugebornen  mit 
,.charm  upon  charm"  (Dennet). 

In  Deutsch-Ostafrika  gibt  es  Amulette  aus  ausgehöhlten  Knochen, 
welche  den  Kindern  umgehängt  werden,  damit  sie  nicht  weinen.  Ein  solches 
findet  sich  im  afrikanischen  Museum  St.  Otilien  bei  München  (siehe  Fig.  249, 
Ziffer  7). 

Andere  deutsch -ostafrikanische  Schutzamulette  speziell  aus  Madibira 
mit  seiner  Wahehe-Bevölkerung  zeigte  uns  Figur  41,  Kapitel  V. 

Die  Kaffern  feiern  im  6.  Monat  nach  der  Geburt  eine  gewisse  Zeremonie. 
Isiko  Lobulunga  (Ubulunga)  genannt,  wobei  sie  dem  Kind  ein  Halsband  aus 


44        Kapitel  XXXIII.    Sympathie  oder  Zauber  in  der  Behandlung  des  gesunden  Kindes. 

dem  Schweif  eines  Kindes  nmlogen.  Dieses  Halsband  soll  gegen  Übel  schützen 
(Bastian).  Vielleicht  ist  auch  das  erste  Glied  des  kleinen  Fingers,  welches 
sich    die    Mutter   des  Kindes    bei   einer   andern  Zeremonie   (Isiko  Cengqiiiti) 

abschneidet,  in  Lehm  steckt  und  dann  an  die  Wand  des  Hauses  klebt,  ein 
Aliwdii mittel.  --  Die  Znlu-Mutter  hängt  ihrem  Xeugebornen  als  gesundheit- 
förderndes Amulett  einen  Kiemen  aus  Ziegenleder  mit  einer  Beere  des 
Umtungwiihaumes  um  Hals  und  Lenden.  Kann  das  Kind  einmal  auf  allen 
Vieren  geheu,   dann   schlachtet   der  Vati  r  eine   Ziege,  deren  Gallenblase  dem 


■    Ein  i    altes  Wauehe-Kiml       Seitenansicht.]     P.  Jahaant»  IlSfUger  «not 

Kleinen  am  Handgelenk  befestig!  wird.  Diese  Blase  wird  bisweilen  durch 
ein  anderes  Amulett  ersetzt.  Heide  sollen  schädliche  Arzneien  feindseliger 
Menschen  unwirksam  machen  (Fr.   Mayr). 

Als  Schutzmittel   gegen   schädliche    Einflüsse   gelten   zweifellos   auch    in 
Kambodscha  die  Amulette  am  Hals  der  nackt  umherlaufenden  Kinder. 

Hiina     gibt     es    „Hundert- Familien -Vorlegschlösser".    von     denen 

-I.   />'•   Wright   uns   eine-    im    Hilde    vorgeführt    und    dessen    Entstehung    und 

lat.     Km  Chinese,   der  das  Leben   seines   einzigen,  oder 

sonders   lieben   Sohnes   schützen  will,   schreibt  Wright,  erbittet 

v""  !  Menschen  je  drei  bis  vier  Kupfermünzen.     Diese  Summe  ergänzt 

i  Mitteln,  bis  es  zur   infertignng  eines  silbernen  Vorlegsculosses 

leicht,     \  n  verschließl  er  eine  silberne  Kette,  welche  er  seinem  Sohn 


Varia. 


45 


um  den  Hals  schlingt,  oder  einen  silbernen  Eing-  an  dessen  Hals  und  kettet 
ihn  dadurch  ans  Leben.  —  Außer  solchen  wirklichen  Schlössern  mit  Bolzen 
und  Schlüsselloch  (pih  kea  so),  die,  wie  es  scheint,  nur  für  das  männliche 
Geschlecht  angefertigt  weiden,  gibt  es  scheinbare  Schlösser  für  das  weibliche 
Geschlecht  (king  keuen  so  oder  Hals-Ringschloß)  mit  der  Inschrift:  „Langes 
Leben,  Reichtum  und  alles  was  du  wünschest."  -  -  Zum  Geburtstag  erhalten 
Chinesen-Knaben  Amulette  mit  der  Inschrift:  „Langes  Leben,  Glück,  Reichtum, 
Ehre  und  Beförderung."  Die  für  Mädchen  bestimmten  Geburtstagsamulette 
sind  mit  heiligem  Rot  bezeichnet  und 
tragen  die  Inschrift:  ,. Langes  Leben 
und  Glück."  — 

Wahrscheinlich  sind  auch  die 
Zeichnungen  auf  Mütze  und  Schuhe 
bei  Figur  25'J  Schutzbilder. 

§  218.     Die  Zaubenvirkung  des 
Kusses  auf  das  Kind. 

Die  trän  ssy  Ivanisch  en  Zelt- 
zigeuner  halten  es  nicht  für  gut. 
ein  Kind  vor  der  Taufe  zu  küssen, 
weil  der  Kuß  die  Seele  aus  dem 
Körper  locken  könne  (von  Wlislocki). 

Im  Erzgebirge  dürfen  Kinder 
unter  einem  Jahr  einander  nicht 
küssen,  weil  sie  sonst  nicht  wachsen 
und  sitzen  bleiben. 

Daß  in  Königsberg  i.  Pr.  das 
gegenseitige  Küssen  bei  Kindern  unter 
einem  Jahr  Stummheit  bewirkt,  oder 
mindestens  das  Sprechenlernen  er- 
schwert, ist  in  §  2lti  erwähnt  worden. 

Der  gleiche  Glaube  findet  sich 
in  Mecklenburg,  wo  es  zudem 
heißt,  daß  ein  neugebornes  Mädchen 
zuerst  von  der  Mutter,  ein  neugeborner 
Knabe  zuerst  vom  Vater  geküßt 
werden  soll,  weil  sonst  das  Mädchen 
einen  Bart  bekomme,  der  Knabe  aber 
bartlos  bleibe.   In  Königsberg  hütet 

man  sich  auch,  einem  Kinde  die  Fußsohlen  zu  küssen,  weil  es  sonst  später  keine 
Achtung  vor  seinen  Eltern  haben  würde.  — 


252.    Mütze  und  Sclmlie  für  Chinesen-Kinder. 
Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


§  21!).     Varia. 

Wenn  die  transsvl vanischen  Zeltzigeuner  nicht  die  Nachgeburt  mit 
dem  ,.Kindspech"  verbrennen,  dann  kann  beides  von  bösen  Feen  (Urmen) 
weggenommen   und  Vampyre  daraus  erzeugt  weiden,  welche  das  Kind  quälen. 

In  England  scheint  mau  im  H.  Jahrhundert  die  kleinen  Kinder  zur 
Erreichung  gewisser  Zwecke  auf  Scheidewege  gebracht  und  auf  dem  Boden 
hingeschleift  zu  haben;  denn  Exbertus.  Bischof  von  York,  erklärte  in  seinen 
Verordnungen  vom  Jahre  748  jenes  Weib  für  straffällig,  welches  bei  der  Geburt 
Zaubermittel  anwende,   oder   das  Kind   ad   compita  et  per  terram  trahit. 

Damit  die  Kinder  schön  werden,  soll  man  sie  im  heutigen  England 
(Suffolk?)  gleich  nach  der  Geburt  mit  Gin  waschen. 


46        Kapitel  XXXIII.    Sympathie  oder  Zauber  in  der  Behandlung  des  gesunden  Kindes. 

In  Stamfordham,  Northumberland,  soll  man  den  kleinen  Kindern 
die  Hände  nicht  eher  waschen,  als  sie  es  selbst  tun  können,  indem  sie  sie 
in  Wasser  stecken. 

In  Suffolk  trägt  man  das  Neugeborne  sofort  die  Treppe  hinauf,  damit 
es  reich  und  angesehen  werde.  In  Ermangelung  eines  höheren  Stockwerkes 
im  Hause  steigt  man  mit  dem  Kind  auf  einen  Stuhl.  Nach  nordenglischem 
Volksglauben  darf  ein  Kind  unter  einem  Jahr  nicht   in   den  Spiegel   schauen. 

Auch  viele  Deutsche  in  Pennsylvanien.  Nordamerika.  lassen  das 
Neugeborne  eine  Treppe  oder  eine  Leiter  hinauftragen.  Das  geschieht  hier 
einige  Tage  nach  der  Geburt  durch  eine  nahe  Verwandte,  oder  durch  die  Amme 
oder  das  Kindermädchen.  Statt  Reichtum  und  Ansehen  will  man  hier  be- 
zwecken, daß  das  Kind  später  ..hohe  Gedanken"  habe.     Walter  J.  Hoffmann 


nesischc  Kindei mutze  i/.um  Theaterspieleu?).    Im  Museum  I.  K.  H.  Prinzessin 
Thtrtn  von  Bayern. 

fügt  dieser  Mitteilung'  einen  Fall  bei.  in  welchem  das  hinaufzutragende  Kind 
in  die  'in.  ihm,]  einen  Golddollar,  in  die  andere  ein  kleines  Format  des  Neuen 
Testamentes  erhielt.  Dadurch  sollte  es  reich  und  fromm  werden.  Trüge  man 
das  Kind  abwärts,  bevor  es  aufwärts  getragen  würde,  dann  würde  es  an- 
glücklich. — 

In  einigen  Gegenden  Deutschlands  soll  man  kleine  Kinder  weder 
wägen  uoch  messen;  sonst  wachsen  sie  nicht.  Ergibt  das  Messen  des  gesunden 
Kindes  an  und  für  sich  gute  Resultate,  so  kann  die  Freude  hierüber  ebensogut 
l  uglück  bringen  wie  das  Beschreien  (vgl.  Kapitel  Y).  Dieser  Volksglaube 
findet  sieh  in  Schleswig-Holstein,  Oldenburg  und  Thüringen.  —  Auf 
Höh  inen  kommen  wir  in  diesem   Punkt   später  zu  sprechen. 

In  Oldenburg  werden  die  Kinder  sehr  klug,  wenn  man  ihnen  gleich 
nach  der  Geburt  etwas  Geschriebenes  in  die  Hand  gibt.  Legi  man  hier 
ein  Kind  am  Jbhannismoi  en  uackl  auf  den  Rasen  und  übersät  es  mit  Lein- 
samen, dann  fängt  es  zu  gehen  an.  sobald  die  Saat  aufgeht 

Diese  Wirkung  wird  in  Ostfriesland  erzielt,  wenn  man  das  Kind  im 
Frühliug  mit  Sommergerste  übersät. 


§  219.     Varia.  47 

In  Berlin,  in  Schlesien,  im  Vogtland  und  im  Spessart,  in  derRhein- 
und  Oberpfalz,  in  Schwaben  und  Böhmen  darf  man  ein  Kind  nicht  in 
den  Regen  tragen,  damit  es  keine  Sommersprossen  bekomme. 

Der  nordenglische  Aberglaube,  ein  Kind  unter  einem  Jahr  soll  in  keinen 
Spiegel  schauen,  kehrt  im  Vogtland,  im  Erzgebirge  und  in  der  Rhein- 
pfalz  wieder,  wo  das  Kind  durch  das  Hineinschauen  eitel  würde;  in  Mecklen- 
burg würde  es,  wie  in  §  a IG  erwähnt,  schwer  sprechen  leinen,  in  der  Ober- 
pfalz leichtfertig,  und  in  der  Schweiz  ein  Narr  werden. 

Wenn  man  in  Mecklenburg  ein  Kind  „Ding",  oder  „Kröte",  oder 
„Kraw'  (Krabbe)  nennt,  so  nimmt  mau  ihm  auf  neun  Tage  das  Gedeihen 
weg.  —  Setzt  man  hier  einem  Kind  unter  einem  Jahr  einen  Kranz  auf,  dann 
muß  es  sterben;  legt  man  für  ein  Kind  schon  vor  dessen  Geburt  Geld  zurück, 
so  wird  es  ein  Geizhals  oder  ein  Dieb;  Geschenke,  diu  man  Kindern  unter 
einem  Jahr  macht,  verhindern  deren  Gedeihen. 

Nach  der  Gestriegelten  Rockenphilosophie  soll  mau  einem  neu- 
gebornen  Knaben  mit  den  Füßen  auf  die  Brust  seines  Vaters  stoßen,  dann 
wird  er  „nimmer  kein  böses  Ende  nehmen";  ein  neugebornes  Mädchen  setze 
man  der  Mutter  auf  die  Brust  und  sage:  „Gott  mache  Euch  zu  einer  guten 
Frauen !';;  dann  kommt  das  Kind  niemals  zu  Falle. 

Im  Erzgebirge  läßt  man  ein  Kind  unter  einem  Jahr  nicht  an  Blumen 
riechen,  weil  ihm  das  den  Geruch  benehmen  würde,  und  im  Vogtland  bekäme 
das  kleine  Kind  einen  üblen  Atem,  wenn  man  es  auf  den  Abort  trüge;  wenn 
auf  den  Friedhof  mitgenommen,  müßte  es  bald  sterben.  Kinder,  die  nicht 
(zur  rechten  Zeit)  gehen  lernen,  setzt  man  auf  einen  Esel. 

Ferner   läßt   man   im  Vogtland  zwei    Kinder   unter   einem  Jahr   nicht 

miteiaander  spielen,  weil  sonst  eines  davon  das  Sprechen  schwer  lernen  würde. 

-  Kindern  dieses  Alters  soll  man  hier  auch  kein  Kleid  anmessen,  noch  etwas 

abschneiden,  auch  nicht  einmal  einen  Haken  vom  Kleid;  sonst  schneidet   man 

ihnen  etwas  vom  Glück  ab. 

In  Ostpreußen  darf  man  das  Neugeborne  keinem  Fremden  zeigen. 

Der  gleiche  Aberglaube   findet   sich   in    Schwaben    und    Kärnten.   — 

In  Königsberg  i.  Pr.  werden  Kinder,  die  man  unter  den  Tisch  legt, 
Vielesser:  legt  man  sie  unter  die  Ofenbank,  dann  bleiben  sie  im  Leben  un- 
beachtet. 

In  Pommern  können  Neugeborne  sterben  oder  unglücklich  weiden, 
wenn  man  sie  über  einen  Kreuzweg  trägt.  (Vgl.  das  Verbot  des  Bischofs  von 
Vork  w.  o.) 

In  Schlesien,  Thüringen  und  Franken  hütet  man  sich,  den  Kindern 
irgend  etwas  zu  flicken,  was  sie  eben  tragen,  damit  ihnen  nicht  der  Verstand 
verflickt  und  sie  vergeßlich  werden. 

Auch  der  Aberglaube  vom  Messen,  Anmessen  und  Vagen  spielt  in 
Schlesien  seine  Rolle:  Wenn  einem  Kind  „unterm  Jahr"  Schuhe  angemessen 
werden,  so  führt  ihm  das  den  Tod  herbei;  wird  es  selbst  in  dieser  Zeit  ge- 
messen oder  gewogen,  dann  gedeiht  und  wächst  es  nicht  mehr.  —  Den  Tod 
des  Kindes  hat  es  auch  zur  Folge,  wenn  dieses  anders  als  mit  den  Füßen 
voraus  in  die  Stube  getragen  wird.  -  -  Gähnt  das  Kind,  so  bekreuzt  ihm  die 
Mutter  in  Jesu  Namen  dreimal  den  Mund.  Der  gleiche  Brauch  findet  sich  in 
Norwegen  (Liebrecht  bei  Drechder).  Gegen  häufiges  Gähnen  und  Dehnen 
der  Sechswochenkinder  legt  man  Stroh  aus  dem  Hundestall  in  die  Wiege, 
wozu  man  ein  Vaterunser  betet.  — 

Im  Liebauer  Tal  magern  jene  Kinder  ab,  die  man  mit  dem  Besen  oder 
mit  einer  Rute  aus  Besenreis  schlägt. 

In  Schlesien  wie  in  Thüringen  soll  man  Kinder  unter  einem  Jahr 
überhaupt   nicht  bestrafen,   sonst   fruchten   später  Schläge   nichts;   einjährige 


48        Kapitel  XXXIII.    Sympathie  oder  Zauber  in  der  Behandlung  des  gesunden  Kindes. 

können  nicht  aufgezogen  werden,  wenn  man  sie  schlägt;  mit  dem  Zweig  einer 

Haselrute  soll  man  Kinder  nie  strafen,  weil  sie  sonst  zu  wachsen  aufboren.  — 
Kin  Vater,  der  sein  Kind  mit  Füßen  treten  will,  ziehe  zuvor  die  Schuhe  aus. 
sonst  macht  ihm  der  Teufel  die  Füße  schwarz.  -  ..Das  Maß"  verlieren  die 
Kinder,  wenn  sie  mit  nur  einem  Schuh  oder  Stiefel  umhergehen,  während  der 
andere  Fuß  nicht,  oder  nur  mit  einem  Strumpf  bekleidet  ist.  ..Das  Maß 
verlieren-'  heißt  im  Liebauer  Volksglauben,  nicht  mehr  gleichviel  messen  von 
einem  Mittelfinger  zum  andern  und  vom  Kopf  bis  zur  rechten  Ferse.  Tritt 
•da  eine  Differenz  ein.  dann  ist  das  Kind  krank.  — 

In  Kürsteiiau  darf  ein  Kind  weder  mit  Blumen  geschmückt  werden, 
noch  in  einen  Spiegel  sehen,  sonst  stirbt  es  bald,  oder  es  wird  eitel,  oder 
sieht  später  Außergewöhnliches. 

In  Franken  darf  eine  Mutter  nie  das  Alter  ihres  Kindes  vergessen. 
sonst  bleibt  dieses  dumm. 

In  Schwaben  laßt  man  Kinder  über  ..gehenden"'  Teig  schreiten,  damit 
sie  das  Gelien  lernen. 

In  der  Rheinpfalz  soll  man  dem  Neugebornen,  das  nicht  gleich  die 
Brust  nehmen  will,  das  Mündlein  mit  dem  Kirchenschlüsse]  erschließen:  dieser 
muß  alier  „unversprochen"  geholt  weiden. 

Gefallsüchtig  oder  schielend  wird  in  Karlsbad  das  Kind,  welches,  wie 
in  Fürstenau,  vor  Abschluß  des  ersten  Lebensjahres  in  den  Spiegel  geschaut 
hat.  -  Klug  wird  das  Kind,  wenn  die  Nachgeburt  unter  einem  fruchtbaren 
Baume  begraben  wird:  gesund  bleibt  es,  wenn  man  sie  verbrennt.  --  Glück 
bringt  dem  Kind  das  Geldstück,  welches  ihm  bei  seinem  ersten  Besuch  mit 
den  anderwärts  erwähnten  Eiern  geschenkt  wird.  —  „Dalketa  werden  die 
Kinder,  welche  man  mit  der  Hand  schlägt  Der  aus  Liebau  erwähnte  Aber- 
glaube, daß  Rutenschläge  die  Kinder  mager  machen,  findet  sich  auch  in 
Karlsbad,  wie  überhaupt  in  Böhmen;  ferner  in  Bayern  und  in  der  Lausitz. 

Ebenso  haben  wir  in  Karlsbad  eine  Variante  des  Glaubens  über  Regen 
und  Kind,  dem  wir  weiter  oben  in  verschiedenen  Gegenden  Deutschlands  be- 
gegnet sind.  In  Karlsbad  tritt  er  mit  einem  eigentümlichen  Zusatz  auf. 
Zwar  sind  auch  hier  Sommersprossen  die  Folgen,  aber  Schaller  fügt  bei:  Das 
-ili  besonders  bei  Regen,  durchweichen  die  Sonne  scheint,  weil  da  der  Teufe] 
seine  Großmutter  prügelt. 

In  Böhmen  werden  ferner  die  Wickelbänder  der  Kimler  vielfach  ver- 
knüpft aufbewahrt  und  dann  diesen  am  7.  Geburtstag  zum  Aufknüpfen  gegeben. 
■  le  nachdem  das  Kind  nun  diese  Aufgabe  leicht  oder  mühsam  löst,  steht  ihm 
ein  glückliches  oder  mühsames  Lehen  bevor. 

Im  Böhmerwald  soll  man  den  Kot  des  Kindes  nie  ins  Keiler  werfen, 
damit  es  nicht  wundes  Sitzfleisch  bekomme.  Die  „Räuden"  dürfen  vor  einem 
Jahr  nicht  vom  Kopfe  entfernt  werden,  sonst  könnte  das  Kind  erblinden. 
Läuse  sind  beim  Kind  ein  Zeichen  der  Gesundheit. 

Kinder,  die  im  Böhmerwald  gern  mit  Licht  spielen,  sind  gewöhnlich 
Bettnässer.  -  Im  ersten  Jahr  schallet  dem  Kind  kein  Fall,  weil  es  der  Mutter 
Gottes  in  den  Arm  fällt.  Laß  die  Kinder  gewöhnlich  erst  mit  einem  Jahr 
'•'ii  lernen,  erklärl  eine  Böhmerwälder  Sage  als  Strafe:  Eva  habe  von 
i  den  Befehl  erhalten,  ihren  Erstgebornen  vom  Ann  herab  auf  die  Erde 
zu  stellen,  habe  sich  aber  mit  den  Worten  ..vor  einem  Jahre  nicht!-  wider- 
setzt. Deshalb  können  seitdem  die  Kinder  vor  Ablauf  dieser  Zeit  nii  \ 
gehen  i  Bayt  rl-Schwejda) 

In  der  Schweiz  trägl  man  Kinder  unter  einem  halben  Jahr  nicht  über 
ein  laufendes  Wasser,  weil  sie  son>t  abzehren:  einjährige  soll  man  auf  keinen 
Markstein  setzen,  weil  sie  dadurch  im  Wachsen  gestört  würden.  Ferner  sagt 
der  Schweizer:   Wenn  klein. •   Kinder  fanhaltend?!  irgend  wohin  sehen,   so   be- 


§  219.     Varia.  4£ 

trachten  sie  ihren  Schutzengel;  solange  sie  noch  in  keinen  Spiegel  geschaut 
haben,  können  sie  sich  in  ihrem  linken  Händchen  sehen.  —  Einem  Mädchen 
muß  man  als  ersten  Marktkram  einen  Fingerhut  mitbringen,  damit  es  gut 
nähen  lerne,  —  Beim  Anziehen  der  ersten  Schuhe  wird  einem  Knaben 
folgendes  Sprüchlein  gesagt: 

..Schiiehli  uud  Fiießli,  tuend  ech  paare, 

Tuend  recht  mit  enander  fahre, 

Und  enande  nie  verloh, 

Eh's  Biiebli  mott  i's  Bettli  goh." 

Wenn  in  der  Schweiz  ein  ungewaschenes  Kind  Weihwasser  bekommt, 
verliert  es  seinen  Schutzengel.  —  P^in  um  Weihnachten  und  Fronfasten  ge- 
bornes  Kind  ist  geistersichtig;  wickelt  man  es  aber  sogleich  in  Windeln  und 
legt  es  unter  die  Stubenbank,  so  wird  alles  verhütet.  —  Im  Mittelalter  reichte 
man  in  der  Schweiz  und  in  Süddeutschland  den  Kindern  Ablutionswein 
von  der  heiligen  Messe,  damit  sie  gescheit  winden,  weshalb  man  diese  Dar- 
reichung „das  Witzen"  nannte.  Daraus  entstand  im  Kirchenlatein  der  Ausdruck 
„dare  sapientiam"  (A.  Franz).  —  Vgl.  den  Ablutionswein  als  Schlafmittel  usw. 
in  den  §§  211  und  216. 

In  der  Bretagne  dürfen  Kinder  nicht  über  den  Eßtisch  gereicht  werden; 
wenn  ein  böser  Wind  sie  währenddem  berührte,  wären  sie  zeitlebens  unglücklich. 
—  In  Poitou  legt  man  bisweilen  kleine  Kinder  auf  den  Altar,  damit  sie  brav 
seien;  schwächliche  rollt  man  auf  dem  Altarstein  der  Kapelle  Saint  Vizia;  in 
Ploemeur  bei  Lorient  setzt  man  sie  auf  den  in  der  Mitte  eingefügten 
„heiligen  Stein"  (Altarstein?);  in  Savigny  rollt  man  sie  am  Pfingstsonntag 
mehreremal  auf  dem  Altar  de  Saint  Fort  hin  und  her.  In  Saöne-et-Loire 
führen  Mütter  schwächliche  Kinder  nach  der  heiligen  Messe  neunmal  um  den 
Altar.     Der  gleiche  Brauch  existiert  im  Departement  Landes. 

In  Villedieu  (Dep.  Vienne)  läßt  man  furchtsame  Kinder  unter  einer 
Glocke  zu  Ehren  des  Apostels  Paulus  aus  den  Evangelien  vorlesen,  um  sie 
von  ihrer  Furcht  zu  befreien. 

In  Italien  soll  das  Kind  gleich  nach  der  Geburt  auf  den  Boden  gelegt 
werden,  damit  es  nicht  einst  im  Hospital  verkomme1).  Auch  muß  man  dem 
Kind  das  Gesicht  mit  dem  Blut  bestreichen,  welches  beim  Durchschneiden  der 
Nabelschnur  fließt,  damit  es  einmal  nicht  durch  das  Messer  umkomme.  —  Läßt 
man  ein  Kind  nicht  drei  Tage  lang  mit  einer  Schere  auf  dem  Bauch  schlafen, 
dann  ist  es  allen  bösen  Anfechtungen  ausgesetzt  (vgl.  das  Eisen  als  Schutz- 
mittel gegen  Dämonen  in  früheren  Kapiteln,  z.  B.  in  Kap.  V). 

In  Catalonien,  Spanien,  dürfen  Kinder,  während  ihr  Gesicht  verzerrt 
ist,  keine  Uhr  ansehen,  sonst  bleibt  ihnen  die  Verzerrung.  ■  Gegen  die 
Eifersucht  oder  andere  Leidenschaften  eines  Kindes  schneidet  man  dem  Kind 
etwas  Haar  ab,  welches  zerkleinert  und  ohne  Wissen  des  Kindes  in  dessen 
Speise  gemischt  wird.  Frau  Julita  McAaeZ-Breslau,  welche  dieses  berichtet, 
kannte  ein  catalanisches  Ehepaar,  das  sein  sechsjähriges  Töchterlein  von  dessen 
Eifersucht  auf  ein  neugebornes  Brüderchen  auf  folgende  Weise  zu  kurieren 
suchte:  Sie  legten  eine  Koralle,  einen  toten  Goldfisch  und  einen  Taler  in  ein 
Glas  Wasser   und    gaben    dem  Mädchen  von  diesem  täglich    einen  Löffel  voll. 

Die  Serbeu  bestreichen  dem  Neugebornen  die  Wangen  mit  Blut  vom 
Nabel,  damit  es  immer  rotwangig  sei;  um  ihm  schöne  Augenbrauen  zu  ver- 
schaffen, beschmieren  sie  diese  mit  seinen  ersten  Exkrementen.  —  Ein  Kind, 
das  vor  einem  Jahr  geschlagen  oder  an  den  Fußsohlen  gekitzelt  wird,  wächst 
nicht  mehr.  Um  es  vor  Magenschmerzen  zu  bewahren,  zerbeißt  die  Mutter 
am  ersten  Morgen  nach  der  Geburt   ein  wenig  Heu   aus  seinem  Bettchen.  — 

1)  Vielleicht  ein  Rest  der  früheren  formellen  Anerkennung  durch  den  Vater  (vgl. 
Kap.  IV). 

Ploß-Renz,  Pas  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  4 


50        Kapitel  XXXIII.    Sympathie  oder  Zauber  in  der  Behandlung  des  gesunden  Kindes. 

Wenn  man  über  dem  Kopf  des  Maroniten-Kindes  am  Libanon  einen 
Feuerbrand  passieren  ließe,  dann  bekäme  das  Kind  im  Gesicht  Beulen  und 
Finnen1).  -  Um  ein  Kind  vor  dem  „Froschübel"  zu  bewahren,  hängt  man 
ihm  silberne  Fröschchen2)  an  die  Mütze.  Alte  Frauen  sagen,  früher  habe 
man  einen  lebendigen  Frosch,  in  einen  blauen  Lappen  gewickelt,  an  der 
Wiege  aufgehängt.     Das  sei  billiger  gewesen  (B.  Ckemali). 

Die  Armenier  des  Kuban-Distrikts  in  Kaukasien  (Armawiren) 
legen  zu  dem  Kind,  welches  zum  erstenmal  in  seine  Wiege  gebettet  wird, 
eine  Katze,  die  man  5—20  Minuten  bei  ihm  läßt,  damit  es  so  sanft  (oder 
geschmeidig?)  werde  wie  sie. 

Am  unteren  Kongo  gilt  es  für  unglückbringend,  wenn  jemand  seine 
Kinder  zählt.  Böse  Geister  können  es  hören  und  eines  durch  den  Tod  dahin- 
raffen (WeeJcs). 

Bei  den  Jamaika- Negern  heißt  es:  Willst  du.  daß  ein  Kind  bald  gehen 
lerne,  keine  ihm  die  Füße  mit  einem  Besen.  (Hier  ziehe  ihm  die  Füße  durch 
nasses  Gras.  -  Soll  das  Kind  brav  sein,  gib  ihm  Topfschwärze  in  Milch  zu 
trinken.  --  Schlimme  Folgen  tili'  dein  kleines  Kind  hätte  es.  wenn  du  einen 
Feuerbrand  weggebest,  oder  ein  Insekt  in  deinem  Hause  tötetest;  auch  darf 
ein  Weib  mit  einem  kleinen  Kind  mit  niemandem  außerhalb  (des  Hauses?) 
Sprechen.  —  Ein  Kind,  das  man  hübsch  nennt,  wächst  sich  häßlich  aus.  und 
umgekehrt.  Ferner   sagen   die   Jamaika-Neger:    Ehe   die   Kinder   sprechen 

können,  verstehen  sie  die  Sprache  der  Tiere. 

Der  wiederholt  angeführte  Aberglauben  über  das  Messen  findet  sich 
auch  bei  den  Bowa  auf  Madagaskar:  Jene  Kinder,  deren  Taille  man  abmißt, 
wachsen  nicht,  so  heißt  es.  Auf  das  vor  der  Beschneidung  vorschrifts- 
mäßige .Messen  der  Hüften,  Schultern  usw.  kommt  Kap.  XXXVII]  zusprechen. 
Kinder  sollen  ferner  mit  dem  Reismaß  nicht  spielen,  sonst  lernen  sie  spät 
gehen.  -  Kinder  sollen  beim  Töten  eines  Tieres  nicht  zusehen,  weil  sie  sonst 
das  Leben  nicht  schätzen  F.ssen  sie  Reis  aus  dem  Teller  der  Eltern,  dann 
sl erben  sie  jung.  Läßt  mau  sie  an  einen  Toten  herantreten,  so  AVerden  sie 
sinnverwirrt  (?)  und  sterben.  Schaut  ein  Kind,  dessen  Vater  schwächlich  ist. 
in  den  Mond,  dann  wird  es  selbst  schwach.  Ehe  die  Väter  auf  Reisen  gehen, 
sollen  sie  ihren  Kindern  an  den  Händen  saugen  (sucer),  um  sie  vor  Unglück 
zu  bewahren. 

hie  Dajaken  im  südöstlichen  Bomeo  haben  eine  Reihe  von  Mitteln, 
um  von  ihren  Kindern  Krankheit  und  Zauber  abzuhalten.  Hier  sei  aus 
Grabowshy  nur  folgendes  erwähnt:  Viele  Fltern  bestreichen  ihre  Kinder  bis 
zum  zehnten  oder  zwölften  Lebensjahr  jeden  Monat  mit  Blut,  um  sie  gesund 
zu  erhallen.  Zu  diesem  Zweck  schlachten  wohlhabende  Eltern  jedesmal  ein 
Huhn;  arme  begnügen  sich  mit  eiwas  Blut  aus  einem  Hahnenkamm,  statt 
lilut  kann  auch  Eidotter  verwendet  werden  (vgl.  das  Blut  aus  einem  Hahnenkamm 
als  zahnförderndes  .Mittel   in   der  Schweiz  und  in  Schlesien   Kap.  XXXIV). 

Sistierung  des  Wachstums,  nachdem  «las  Kind  gemessen  worden,  hören 
wir  dann  von  den  Ilocanen  auf  (\l'v  Philippineninsel  Luzön  (Manila).  — 
Schläge  auf  den  Kopf  und  Ohrfeigen  machen  das  Kind  blöd  oder  wahnsinnig. 

Au'  den  Viti-Inseln  wächst  jenen  Kindern  ein  Kropf,  deren  Mütter  das 
Unglück  hallen.  Heiz  vom  Orangenbaum  ins  Feuer  zu  werfen.—  Jede  Mutter 
ist  hier  auch  darauf  bedacht,  daß  das  Viablatt,  welches  ihr  und  ihrem  Kind 
aK  Sonnenschirm  dient,  mit  keinem  heißen  Gegenstand  in  Berührung  komme 
(und  dadurch  verwelke?);  denn  sonst  würde  der  Körper  des  Kindes  sofort 
lilaffen,         Die  Berührung  eines  Walfischzahnes  ist  den  Kindern  verboten, 


imeura  et  des  boutons." 
i  Vgl.  die  Amulette  der  Maroniten  in  Kap.  V  und  VI. 


§  2J9.     Varia.  51 

weil  sie  dadurch  zeitlebens  unglücklich  wären;  ebensowenig  dürfen  sie  vom 
Zuckerrohr  die  zwischen  den  Knoten  liegenden  Teile  essen.  Wohl  aber  sollen 
sie  die  Knoten  aussaugen,  um  schnell  zu  wachsen.  —  Ein  Neugebornes  wächst 
nicht,  wenn  es  von  einem  Mädchen  auf  dem  Kücken  getragen  wird. 

Besonders  merkwürdig  ist  die  Ansicht  der  Fidschi-Insulaner,  daß  den 
kleinen  Kindern  ihre  Seelen  abhanden  kommen  können.  Missionar  P.  E.  Eougier 
schreibt  hierüber:  Früher  waren  die  Fidschi-Frauen,  welche  ihre  Säuglinge  mit 
aufs  Feld  nahmen  und  sie  während  der  Arbeit  in  einen  Korb  an  einen  Ast 
hängten,  sehr  darauf  bedacht,  daß  sie  bei  der  Rückkehr  nach  Hause  auf  die 
Matten  klopften  und  damit  die  Seele  des  Kindes  riefen,  aus  Angst,  diese 
möchte  auf  dem  Felde  geblieben  sein.  —  Ferner:  Kommt  jemand,  um  das  auf 
einer  Matte  liegende  Neugeborne  zu  sehen,  so  klopft  er  mit  der  Hand  an  den 
oberen  Querbalken  der  Türe,  um  die  Seele  des  Kindes  zu  rufen. 

Die  Tataren  des  Kreises  Schoruro-Daralagesk  im  Gouvernement 
Eriwau  färben  dem  Neugebornen  die  Augenlider  und  Wimpern  schwarz. 
Im  Verlauf  der  ersten  40  Lebenstage  bestreichen  sie  alle  zwei  bis  drei  Tage 
die  Ränder  der  Augenlider  mit  einem  in  schwarze  Farbe  getauchten  Stift. 
Die  Farbe  heißt  „Sjurma"  und  ist  nichts  weiter  als  Ruß,  welcher  in  folgender 
Weise  gewonnen  wird:  In  eine  irdene  Schale  wird  Rizinusöl  gegossen,  ein 
Docht  hineingesteckt  und  angezündet;  diese  brennende  Lampe  wird  in  eine 
Grube  gestellt  und  mit  einem  kupfernen  Teller  oder  einer  reinen  eisernen 
Schaufel  bedeckt.  Der  an  der  Schaufel  oder  dem  Teller  sich  niederschlagende 
Ruß  ist  „Sjurma".  -  Wohlhabende  Leute  nehmen  wohl  auch  Gänse-  oder 
Hühnerfett  und  einen  Porzellanteller  zum  Zudecken  der  Lampe.  —  Das  Färben 
soll  die  Augen  schwarz,  kräftig  und  weitsichtig  machen,  erzeugt  aber  oft 
Katarrh  der  Bindehaut. 

Der  weitverbreitete  Glaube  an  eine  geheimnisvolle  Übertragung  physischer 
Eigenschaften  wird  abermals  deutlich  erwiesen  durch  die  folgenden  Mitteilungen 
aus  dem  alten  Mexiko:  Nach  Torquemarfa  rieb  man  hier  bei  Wochen- 
besuchen.  ehe  man  das  Haus  betrat,  sowohl  sich  selbst  als  seinen  mitgenommenen 
Kindern  alle  Glieder,  besonders  nachdrücklich  aber  die  Kniee,  mit  Asche  ein, 
weil  dadurch  die  Knochen  und  Glieder  des  Neugebornen  gestärkt  würden.  — 
Nach  Bdiicroft  rieben  die  Erwachsenen  nicht  sich  selbst,  wohl  aber  ihre  Kinder 
und  das  Neugeborne  ein,  beides  in  der  Absicht,  dieses  zu  kräftigen. 

Im  alten  Mexiko  soll  ferner  der  gleiche  Glaube  über  das  Anmessen  von 
Schuhen  bei  Kindern  unter  einem  Jahr  geherrscht  haben,  wie  im  heutigen 
Schlesien,  d.h.  daß  es  den  Tod  des  Kindes  nach  sich  ziehe.  — 


4* 


Kapitel  XXXIV. 

Das  Zahnen. 

S  220.  Kinderzähne,  von  denen  der  Aberglauben  der  Völker  das 
Schicksal,  Leben  und  Tod  des  Neugebornen,  oder  des  Säuglings  abhängig  machen, 
sind  schon  in  Kapitel  III  gestreift  worden1),  Es  waren  Erscheinungen,  welche 
den  Völkern  als  abnorm,  gefahrdrohend,  verhängnisvoll  gelten.  Auch  das  vor- 
liegende Kapitel  bringt  einige  Beispiele  dieser  Art;  im  großen  und  ganzen 
aber  führt  es  Bräuche  und  Formen  des  Aberglaubens  auf,  welche  nach  der 
Auffassung  der  Völker  das  normale  Zahnen  befördern  und  einen  günstigen 
Za  Im  Wechsel  bewirken  sollen.  Der  Urboden,  auf  welchem  solche  Bräuche 
und  Vorstellungen  sproßten,  ist  in  den  weitaus  meisten  Fällen  unbekannt.  Ob 
sie  allein  auf  das  freie  Spiel  der  Phantasie  längst  dahingegangener  Ge- 
schlechter, oder  auf  deren  bildliche  Einkleidung  erkannter  Wahrheiten,  ob 
auf  den  Gedanken  der  Übertragbarkeit  physischer  Eigenschaften,  oder  auf 
die  Personifizierung,  bzw.  Apotheosierung  von  Naturkräften  u.  a.  m.  zurück- 
gehen, kann  in  den  weitaus  meisten  Fällen  eher  geahnt,  als  nachgewiesen 
werden.  Tatsache  ist,  daß  die  folgenden  zwei  Paragraphen  ebensogut  wie 
\ie]e  frühere,  manche  gleiche  oder  doch  sehr  ähnliche  Erscheinungen  von 
geographisch  und  linguistisch  teilweise  weit  getrennten  Milkern  aufweisen,  so 
daß  man  auch  hier  wieder  vor  die  Alternative  gestellt  zu  sein  scheint,  daß 
entweder  solche  Vorstellungen  unabhängig  voneinander  entstanden  sind,  oder 
daß  für  sie  eine  einheitliche  Entstehung  anzunehmen  ist  in  einer  Zeit,  als  die 
betreffenden  Völker  sieb  noch  örtlich  nahestanden  oder  doch  gegenseitig  Be- 
griffe austauschten. 

Die  am  öftesten  wiederkehrende  Vorstellung  in  den  folgenden  zwei 
Paragraphen  ist  ein  vermeintlicher  Zusammenhang  zwischen  Maus 
und  Kinderzahn.  Wir  linden  sie  nicht  nur  bei  hoch-,  mittel-  und  nieder- 
deutschen Völkern,  nicht  nur  bei  Nord-  und  Südgermanen,  sondern  auch  bei 
Semiten  und  alten  Mexikanern.  An  Stelle  der  gewöhnlichen  Maus  erscheint 
bei  dm  Negern  in  Carolina  und  den  Maori  auf  Neuseeland  ihre  größere 
Schwester,  die  Ratte;  die  Schermaus  (Maulwurf)  spielt  ihre  Rolle  in  der 
Schweiz,  in  Thüringen  und  bei  den  Maroniten  am  Libanon.  Her  im  folgenden 
Paragraphen  erwähnte  Volksglaube  der  Armenier  würde  dieses  Rätsel  lösen, 
wenn  dei  Schluß  von  einem  auf  viele  gestattet  wäre.  Allerdings  faßten 
schon  Mühlhause  und  Grimm  die  Gebräuche  beim  Zahnen  als  Überbleibsel 
eines  Bittopfers  auf.  welches  Wesen  gebracht  wurde,  von  deren  Gunst  das 
Zahnen  der  Kinder  vermeintlich  abhing,  und  es  ist  kaum  zu  bezweifeln,  dafl 
diese  Ansicht  bei  manchen  Völkern  zutrifft.  Andererseits  aber  muß  auch  der 
in  diesem  Buche  wiederhol!  nachgewiesene  Glaube  der  Völker  an  eine  Über- 
tragung   von    Eigenschaften    berücksichtigt    werden.  Ferner    dürfte, 

')  Vgl.  auch  die  Kapiti  I  über  Kindesmord. 


§  221.     Das  zahnende  Kind  im  Brauch  und  Aberglauben  indogermanischer  Völker.        53 

wenigstens  unmittelbar,  das  Bestreichen  des  Zahnfleisches  mit  Hahnenblut, 
das  Umhängen  von  Maus-  und  Krötenfüßchen  u.  a.  m.  weder  in  dieser  noch 
in  jener  Kategorie  untergebracht  werden  können.  Hier  unterliegt  vielleicht 
der  die  alte  Welt  beherrschende  Gedanke  der  Fruchtbarkeit  und  des 
Wachstums.  Hahn.  Maus,  Kröte1),  Schnecke  und  eine  Reihe  anderer  Tiere 
standen  oder  stehen  direkt  oder  indirekt  in  diesem  Gedankenkreis,  was  dem 
Ethnologeu  wohl  bekannt  ist.  Die  „Yulvenzähne"  der  deutschen  Schweiz  im 
folgenden  Paragraphen  scheinen  hierzu  abermals  eine  Illustration  zu  liefern.  — 
Wahrscheinlich  sollten  und  sollen  gewisse  Mittel  da  und  dort  auch  den  als 
Dämon  gedachten  Zahnschmerz  abhalten,  z.  B.  das  gegen  Dämonen  so  viel 
gebrauchte  Eisen.  Intellektuell  wenig  entwickelte  Menschen  personifizieren 
mit  Vorliebe. 

Ohne  indessen  weitere  Spekulationsversuche  zu  machen,  seien  hier  in 
Kürze  noch  einige  Parallelen  aus  den  §§  221  und  222  gezogen. 

Gefährlich  erscheint  das  Durchbrechen  der  oberen  Zähne  vor 
den  unteren  im  Glauben  der  Juden,  im  Volksglauben  der  Schlesier  und  Böhmen, 
in  der  Auffassung  der  Araber  in  Sansibar  und  der  folgenden  Negervölker: 
Suaheli,  Wasaramo,  Waganda  uud  Wanjoro,  sämtlich  in  Ostafrika.  Den  Wolf 
bringen  die  transsylvanischen  Zeltzigeuner,  die  württembergischen  Schwaben 
und  die  deutschen  Schweizer  in  Verbindung  mit  dem  Zahnen;  den  Hund:  die 
Thüringer,  Argentinier  und  Neger  in  Carolina;  das  Pferd:  die  alten  Römer 
und  heutigen  Franken;  die  Feuerstätte  (Ofen  und  Herd),  bzw.  das  Feuer: 
die  Armenier,  Ostpreußen.  Deutsch-  und  Tschechisch-Böhmen,  die  Wenden  im 
Spreewald  und  das  Volk  in  Northumberland ;  die  Sonne:  die  semitischen 
Maroniten  und  die  Neger  am  Kongo;  Eisen  bzw.  Kupfer:  die  Djolof-Neger 
und  die  Serben;  Knochen:  die  sibirischen  Tungnsen  und  die  Fahrländer  bei 
Potsdam;  Blut  vom  Hahnenkamm:  deutsche  Schweizer  und  Schlesier.  Der 
Kindeszahn  soll  von  der  Mutter  verschluckt  werden:  iu  Schlesien 
(slawisch?)  und  im  slawischen  Spreewald.  Endlich  weisen  die  folgenden  zwei 
Paragraphen  Zahngeschenke  auf  bei  den  alten  und  jetzigen  Deutschen,  bei 
Negern  und  vorderindischen  Dravida.  ■ — 

§  221.     Das  zahnende  Kind  im  Brauch  und  Aberglauben  indogermanischer 

Völker. 

Nach  dem  Glauben  der  Hindus  bringt  ein  Kind,  dessen  obere  Zähne  zuerst 
kommen,  den  Bruder  seiner  Mutter  in  schwere  Gefahr.  Diese  merkwürdige 
Vorstellung,  daß  Zähne  für  Mitglieder  der  Familie  oder  der  Verwandtschaft 
gefahrbringend  seien,  findet  sich  auch  schon  bei  den  alten  Indern,  denen  das 
Erscheinen  der  ersten  Zähne  als  ein  besonders  wichtiger  Zeitabschnitt  im 
Leben  des  Kindes  galt.  Hierauf  bezieht  sich  der  folgende  Hymnus  (nach 
Avesta  6,  140): 

„Sie,  die  groß  geworden,  tigergleich  Vater  und  Mutter  zu  fressen  wünschen, 
diese  beiden  Zähne,  Brhaspati,  mache  hold,  o  Jatavedas." 

;,Reis  eßt,  Gerste  eßt,  Bohnen  und  Sesam  eßt:  das  ist  der  euch  beiden 
bestimmte  Theil.  nicht  verletzt  Vater  und  Mutter." 

„Angerufen  sind  die  beiden  vereinten  Zähne,  daß  sie  sanft  und  glück- 
bringend seien;  anderswohin  wende  sich  eure  Schrecklichkeit,  Zähne:  nicht 
verletzt  Vater  und  Mutter.-'  — 

Um  das  Zahnen  zu  erleichtern,  hängen  die  transsylvanischen  Zigeuner 
ihren  Kindern  eine  Wolfskehle  an  den  Hals  und,  damit  sie  nie  Zahnweh  be- 
kommen, keilen  sie  den  eisten  ausgefallenen  Zahn  in  ein  kleines  Loch  in 
irgendeinen  Baum.  — 


!)  Nach  Seligmann  ist  die  Kröte  das  Bild  der  Erdgöttin.     Der  böse  Blick  II,  163. 


54  Kapitel  XXXIV.     Das  Zahnen. 

Wir  kommen  nun  zu  dem  bekannten,  weit  verbreiteten  Brauch,  ausge- 
fallene Kinderzähne  den  Mäusen  vorzuwerfen.  Julius  von  Negelein  führt  ihn 
auf  ein  Erstlingsopfer  der. Milchzähne  zurück,  das  man  schon  in  indogerma- 
nischer Zeit  den  in  Mäusegestalt  gedachten  Manen  am  Herde  gebracht  hätte. 
Nach  einer  Mitteilung  des  Armeniers  Manul:  Abeghian  glaube  das  armenische 
Volk  heilte  noch,  daß  die  Manen  vielfach  in  Mäusegestalt  am  Herde 
wohnen,  der  hoch  in  Ehren  gehalten  werde.  Heute  noch  opfere  man  dort 
Haare,  Nägel  und  Zähne  am  Herd.  Beim  Hineinwerfen  eines  ausgefallenen 
Zahnes  sage  man:  ..Nimm  dir,  Großvater,  einen  Hundezahn  und  gib  mir  einen 
goldnen  Zahn."  -  Die  Heilighaltung  des  Herdes  bei  den  transkaukasischen 
Armeniern  geht  auch  nach  SelinsM  noch  heutzutage  so  weit,  daß  man  an  ihm 
Taufen  und  Trauungen  vollziehen  läßt,  obgleich  der  Klerus  Widerstand  leistet,  — 

Sprüche,  welche  beim  Wegwerfen  ausgefallener  Kinderzähne  gesprochen 
werden,  und  die  sich  hauptsächlich  um  Maus  und  Zahn  drehen,  treten  in 
mannigfachen  Formen  auf.  Einer  dieser  Art  lautet  in  der  deutschen 
Schweiz: 

..Müsli.  Müsli,  nimm  de  Zah, 
Gim  mer  en  schöue  goldige  dra. 
Frei  en  schöue  wisse 
Aß  ech's  Brot  cha  bisse.'- 
In  Tirol: 

..Maus,  da   hast   du   einen  alten  Zahn. 
Gib  mir  bald  einen  neuen." 

In  Baden  (Pforzheim): 

..Mäusehen,  da  hast  du  einen  hölzernen  Zahn. 
Gib  mir  einen  beinernen   dran  " 

In  Württemberg  sagt  das  Kind  nur  bei  einem  Schneidezalm,  wenn  es 
ihn  über  sich  wirft: 

,,Se  Mauste,  hascht  du  dean  Za, 
Setz  mer  derfür  en  andra  na!" 

Im  bayrischen  Schwaben  steckt  das  Kind  den  ausgefallenen  Zahn 
in  ein  Mausloch  und  spricht: 

...Maus.  Maus,  dau  hascht   en   Zan. 
(üb   mir  wieder  en   aodra   dran." 

In    Hessen   lautet   der  Spruch   vor  dem   Mausloch: 

Häuschen,   Mäuschen,  hier  habe  ich  einen  hölzernen  Zahn, 
Gib   mir  dafür  einen   knöchernen."      (Vgl.   Baden   oben.) 

Beim  dritten  .Male   muß  der  Zahn  rücklings  über   den  Kopf   in   das  Loch  ge- 
worfen werden. 

Am  Rhein  singen  die  Bänder; 


In  Schlesien: 


..Maus.  Maus,  komm  heraus, 

Bring  mir  einen  neuen  Zahn  heraus  " 


„Mäusel,  u-h  gab  dir  ein   Beindel, 
(üb  nur  dafür  ein  Stei&del." 


[n  Westi  hlar)  sagt  das  Kind: 

.,&!  :  eh  !_'e|p  dir  einen  knöchernen  Zahn. 

einen    eisernen." 


§  221.     Das  zahnende  Kind  im  Brauch  und  Aberglauben  indogermanischer  Völker.        56 

Iu  Altenburg: 

„Maus,  da  hast  du  en  bennern  (beinernen), 
Gib  mir  dafür  en  stennern  (steinernen)." 
Im  Namen  Gottes  usw.  -j-  •{-  -j- 

Im  Herzogtum  Oldenburg: 

.,Mus,  Mus, 

Bring  mi  ne  Kus'." 

In  Mecklenburg  heißt's:  Wenn  man  einer  lebenden  Maus  einen  Zwirn- 
faden  durch  beide  Augen  zieht,  sie  dann  wieder  laufen  läßt  und  den  blutigen 
Faden    einem    neugebornen  Kinde    um   den   Hals    bindet,  so   zahnt   es    leicht. 

In  Norwegen  wirft  das  Kind  den  Zahn,  den  es  verliert,  in  das  Feuer, 
spuckt  dreimal  aus  und  sagt: 

„Maus,  Maus,  da  hast  du  einen  beinernen  Zahn; 
Gib  mir  dafür  einen  goldenen.-1) 

Auf  Hiddensee  (Hiddensöe)  an  der  Westküste  der  Insel  Rügen 
lautet  der  Reim: 

„Mus,  Mus,  Mus,  Vedder, 

Ick  gew  di  'n  knäkern  Tähn, 

Giw  du  mi    n  stahl-isern  wedder,2) 

Dei  nich  brekt, 

Dei   nich  stekt, 

Dei  sin  Ledach  (Lebtag)  nich  weih  dauhn  ward." 

Varianten  des  Zahn-  und  Mausspruches  fand  von  Negele'm  auch  in 
Schleswig,  in  der  Provinz  Brandenburg,  bei  den  Litauern,  Esten, 
Tschechen  u.  a.  0.  Die  ostpreußischen  Kinder  werfen  ihre  Zähne  teils 
den  Mäusen  hin,  teils  in  den  Ofen.     Im  letztem  Falle  sagen  sie: 

..Ofchen,  Ufchen,  da  hast  du   einen  knöchernen  Zahn; 
Gib  du  mir  einen  eisernen." 

Auch  in  Rußland  rezitiert  das  Kind,  indem  es  sich  rückwärts  an  den 
Ofen  stellt  und  den  Zahn  hinter  sich  wirft: 

..Mäuschen,  Mäuschen,  dir  den  Rübenzahn, 
und  gib  mir  einen  Beinzahn." 

Ebenso  erscheint  bei  den  Tschechen  in  Böhmen  das  Mäuslein  (mysko) 
bisweilen  im  Zahnspruch  der  Kinder.  Öfter  tritt  jedoch,  wie  bei  den  Slawen 
überhaupt,  der  Fuchs  an  dessen  Stelle,  welcher  bei  den  Balkanvölkern  und 
in  Japan  vergöttert  wird  {Grohmann  bei  J.  v.  Negele'm).  Das  tschechische 
Kind  wirft  seinen  ausgefallenen  Zahn  unter  freiem  Himmel  hinter  sich  über 
den  Kopf  und  spricht  dabei: 

„Da  hast  du   Fuchs  den  beinernen, 
Gib  mir  für  ihn  'nen  eisernen." 

Ferner  wirft  das  Tschechen-Kind  einen  ausgerissenen  Zahn  hinter  sich 
auf  den  Falousek  des  Backofens,  mit  den  Worten: 

„Tu  mas  babo  kosteny, 
Dej  mi  za  to  zelezny." 

Oeschieht   das   nicht,   so   sitzt   der   nachwachsende  Zahn   nicht   fest  und  fällt 
bald  aus.  — 


')  (Vgl.  den  Schweizer  Spruch  w.  o.) 

2)   (Vgl.    die    Sprüche   in   Westfalen,   Ostpreußen   und   Böhmen,   sowie    bei    den 
südrussischen  Juden  in  §  222.) 


56  Kapitel  XXXIV.     Das  Zahnen. 

In  Deutschböhmen  wird  das  Eichkätzchen  angerufen,  indem  das 
Kind  hinter  den  Ofen  geht,  den  Zahn  über  sich  wegwirft,  und  dreimal  die 
Worte  sagt: 

„Eichkätzchen,  Eichkätzchen. 
Ich  geb  dir  einen  beinernen, 
Gib  mir  einen  eisernen.4' 

Der  Wolf  wird  von  den  württembergischen  Schwaben-Kindern  zum 
lj~.it/.  eines  Milchzahnes  angerufen: 

„Wolf,   Wolf,  <la  hascht  en  Zau. 
Gib  mer  derfiir  non  koin  Biberzau." 

(d.  h.  irgendeinen,  nur  keinen  Biberzahn1). 

Außer  den  bisher  erwähnten  Bräuchen  und  abergläubischen  Formen 
finden  sich  bei  den  Indogermanen  unter  vielen  andern  folgende: 

Die  alten  Deutschen  gaben  ihren  Kindern,  wenn  bei  diesen  der  erste 
Zahn  erschien,  Geschenke  (tannfe).  Mit  diesem  Brauch  hat  Mühlhause  den 
.Mythus  zu  erklären  versucht,  Freyr  habe  im  Anfang  der  Zeiten  Alf  heim  als 
Zahngebinde  erhalten.  —  Heute  noch  ist  es  an  vielen  Orten  Deutschlands  Sitte, 
beim  Erscheinen  des  ersten  Zahnes  das  Kind,  oder  eine  arme  alte  Frau,  oder 
den,  der  den  Zahn  zuerst  sieht,  zu  beschenken.  Letzteres  ist  z.  B.  in  Hessen 
der  Fall. 

Vielfach  angewandte  Mittel  zur  Erleichterung  des  Zahnens  sind 
beim  deutschen  Volk  rote  Korallen  und  Päoniensamen  (sogenannte  Zahnperlen), 
welche  man  dem  zahnenden  Kind  um  den  Hals  hängt.  Darauf  hat  Ploß 
bereits  in  der  zweiten  Auflage  hingewiesen.  —  Nach  Marie  Ändree-Eysen 
sind  die  „Zahnperlen"  in  ganz  Bayern  und  Österreich  beliebt.  Sie 
bemerkt  dazu:  ,.Es  wäre  nicht  einzusehen,  warum  gerade  diese  Früchte  als 
Schutzmittel  gegen  Zahnschmerz  und  zur  Erleichterung  des  Zahnens  der 
Kinder  dienen  sollen,  wenn  man  nicht  im  Auge  behielte,  daß  die  Samen- 
kapseln, worin  sie  sitzen,  auffallenderweise  die  Form  eines  mit.  Wurzeln  ver- 
sehenen Zahnes  besaßen.  Sie  sind  in  Apotheken  als  Semen  paeoniae  bekannt 
und  weiden  vom   Volk  als  ..Zahnperlen"  verlangt." 

In  der  deutschen  Schweiz  läßt  man  Kinder  zur  Erleichterung  des 
Zahnens  auf  Kerzen  von  Jungfernwachs  heißen:  auch  reibt  mau  das  Zahn- 
fleisch mit  Wolfszähnen,  oder  mit  Blut  aus  dem  Kamme  des  Haushahns,  oder 
mit  dem  1  Molchen  einer  Schermaus  ein.  welche  man  dann  dem  Kind  als 
„Füllenzähne"  oder  „Vulvenzähne"  anhängt.  Audi  haut  man  einer  Kröte  die 
Vorderfüße  ab  und  reibt  damit  das  Zahnfleisch  ein.  Ferner  rührt  man  den 
Kindslirei  mit  Lindensprossen  an,  die  am  Karfreitag-  beim  Zwölfschlagen  ge- 
schnitten wurden.  •  Im  Züricher  Oberland  beißt  man  einem  lebenden 
Basen  die  Vorderzähne  aus.  um  sie  einem  Kind  zur  Erleichterung  des  Zabnens 
umzuhängen.  Aus  'lern  Kanton  Zürich  meldet  /•;.  /fiiff)mi>i»-Krai/er  auch 
folgendes:  7  oder  H  Bolzwanzen  in  einem  frischen  Säcklein  von  rauher 
Leinwand  mit  rauhem  Eulen  ohne  Knopf  zugenäht,  an  einem  neuen  rauh- 
leinenen  Band  umgehängt,  i  .u  das  Zahnen.  Um  das  Zahnen  zu 
erleichtern,  hängt  man  den  Kindern  ferner  die  Zähne  (?)  von  3  Garten- 
Bchnecken  in  einem  Säckchen  um  den  Hals.  —  In  Basel  bewahrt  man  den 
ersten  Zahn  eines  Kindes  gern  auf  und  faßt  ihn  bisweilen  in  einen  Ring.  - 
Wenn  in  Bein  einem  Kinde  die  Zahne  so  wachsen,  daß  breite  Lücken  da- 
zwischen   sind,    dann    heißt    es,    es    komme    weit    in    der    Welt    herum.      Ist 


1     „Biberzahn"    hat   Ploß    mit    „krummer"  Zahn,    nach  Art    des  Schnabels    eines  Trut- 
iim   Schwäbischen  „Biber1'),  erklärt.     Warum    hier    nicht    an    einen  Zahn   des    Bibers 
gedacht   werden  ich  nicht. 


§  221.     Das  zahnende  Kind  im  Brauch  und  Aberglauben  indogermanischer  Volker.        57 

zwischen  den   beiden   vordersten  Zähnen   der   obern  Eeihe   eiue  Lücke,   dann 
lernt  es  gut  singen. 

In  Schwaben  heißt  es,  das  Beste  fürs  Zahnen  sei  ein  Mauskopf,  der 
„unbeschrieeir',  d.  h.  abgebissen  wurde,  ohne  daß  der  Abbeißende  angesprochen 
wurde.  Diesen  Mauskopf  näht  mau  in  Leder  ein  und  hängt  ihn  dem  Kind 
um  den  Hals.  Ferner  gibt  man  Kindern  unter  einem  Jahr,  wenn  sie  zum 
erstenmal  zu  anderen  Frauen  gebracht  werden,  ein  hartgesottenes  Ei  als 
zahnbeförderndes  Mittel.  Auch  findet  sich  in  Schwaben  der  Züricher  Ratr 
dem  Kind  Schneckenzähne  (?)  umzuhängen. 

In  Böhmen  kniet  die  Mutter  beim  ersten  Kirchgang  mit  dem  rechten 
Knie  nieder,  damit  ihr  Kind  vor  Zahnschmerzen  bewahrt  werde.  Eine  andere- 
Form  des  Aberglaubens  stellt  das  zahnende  Kind  vor  eine  merkwürdige  Alter- 
native: Erscheint  der  erste  Zahn  am  Unterkiefer,  so  gräbt  es  sich  selbst  das 
Grab;  erscheint  er  oben,  so  stirbt  es  bald.  Auch  heißt  es:  Das  Kind  bleibt 
am  Leben,  wenn  die  unteren  Zähne  zuerst  kommen ;  es  überlebt  aber  die 
Milchzähne  nicht,  wenn  die  oberen  zuerst  erscheinen. 

In  Franken  reibt  die  Hebamme  heimlich  das  Zahnfleisch  des  Täuflings 
mit  Tauf wasser  ein,  um  ihm  das  Zahnen  zu  erleichtern;  auch  legt  man  dem 
Säugling  einen  Hosenknopf  und  dazu  die  getrocknete  Nabelschnur  unter  das 
Kopfkissen,  oder  man  hängt  ihm  bei  zunehmendem  Mond  den  Zahn  eines 
einjährigen  Füllens  um  den  Hals. 

In  Hessen  bestreicht  die  Mutter  zur  Beförderung  des  Zahnwuchses 
ihrem  Kind  das  Zahnfleisch  schweigend  mit  drei  weißen  Brotstücklein,  welche 
sie  von  dem  Mahle  aufbewahrte,  das  sie  an  ihrem  Hochzeitstag  beim  Einzug 
in  ihr  neues  Heim  genossen  hatte.  —  Die  beim  Erscheinen  des  ersten  Zahnes 
üblichen  Geschenke  in  Hessen  sind  früher  erwähnt  worden. 

In  Thüringen  läßt  man  zahnende  Kinder  von  einem  Hund  belecken;, 
oder  der  Vater  des  Kindes  erdrückt  einen  Maulwurf  in  der  Hand,  haut  oder 
beißt  diesem  eine  Pfote  ab,  näht  sie  in  ein  Beutelchen  und  hängt  das  dem 
Kind  um  den  Hals  (vgl.  Schwaben). 

Im  Erzgebirge  trägt  man  das  Kind  zu  einem  Fleischer,  damit  dieser 
seinen  Finger  in  frisches  Kalbsblut  tauche  und  damit  dessen  Zahnfleisch 
berühre. 

Über  einen  ansehnlichen  Reichtum  an  Sympathiemitteln  zur  Beförderung 
des  Zahnens  verfügt  das  Volk  in  Schlesien,  wie  wir  von  Drechsler  er- 
fahren :  Man  legt  dem  Kind  den  Brautkranz  der  Mutter  auf  den  Mund,  oder 
taucht  den  Saugpfropfen  ins  Weihwasser,  oder  legt  das  erste  für  den  „Lutscher" 
bestimmte  Brot  vorher  auf  eine  Axt.  —  Kinder,  die  man  am  Gründonnerstag, 
oder  Johannistag,  oder  bei  Vollmond  entwöhnt,  bekommen  die  Zähne  leicht 
und  schön  und  sind  vor  Zahnschmerzen  sicher.  Vor  Zahnschmerzen  bewahrt 
auch  jene  Mutter  ihr  Kind,  welche  es  entwöhnt,  während  sie  auf  einem  Kiesel- 
stein sitzt.  Tut  sie  das  mit  bloßem  Gesäß  und  während  zum  Gottesdienst 
geläutet  wird,  dann  werden  die  Zähne  des  Kindes  steinhart.  —  Leichtes 
Zahnen  bewirkt  man  ferner,  wenn  dem  Kind  Schlafäpfel  (moosige  Galläpfel) 
unter  das  Kopfkissen  gelegt  werden,  oder  wenn  man  ihm,  wie  in  der  Schweiz, 
das  Zahnfleisch  („Biller")  mit  Blut  aus  dem  Kamm  des  Haushahnes  ein-, 
meistens  zweimal  bestreicht.  —  Verschluckt  die  Mutter  den  zuerst  aus- 
gefallenen Milchzahn,  so  befreit  sie  dadurch  ihr  Kind  vom  Zahnweh  und 
verschafft  ihm  schöne  Zähne.  Wie  in  Böhmen,  so  sterben  auch  in  Grünberg 
in  Schlesien  jene  Kinder,  welche  die  oberen  Zähne  zuerst  bekommen.  „Hoch 
erhaben,  tief  begraben"  heißt  es  hier,  während  an  anderen  Orten  Schlesiens 
solche  Kinder  „etwas  Hohes  werden".  —  Das  Zahngeschenk  für  die  Meldung 
des  ersten  Zahnes  ist  auch  in  Schlesien  gebräuchlich. 


58 


Kapitel  XXXIV,     Das  Zahuen. 


Brot  vom  Hochzeitstiscli  eines  unbescholtenen  Brautpaares  gibt  man  zur 

Beförderung   des   Zahnens   in    .Mittenwalde   (Brandenburg);   vgl.  Hessen. 

In    Falirland    bei    Potsdam    legt    man    dem    zahnenden    Kind    einen 

gefundenen   Knochen  unter  den  Strohsack  (vgl.  den  Hosenknopf  der  Franken). 

ohne  Antrabe   des  Ortes    erwähnte  Ploß  (II,  225)   den  Brauch,    daß  das 

zahnende  Kind  beim  Eintreten  eines  Mannes,  der  es  noch  nie  gesehen,  von  der 

Mutter  diesem  Manne  bis  zur  Haustür  entgegen  getragen  wird.    Hier  reicht  die 

Mutter  dem  Ankömmling  ein  Geldstück,  womit  er  dem  Kind  schweigend  dreimal 

am  Zahnfleisch   reibt.     Dann  nimmt  er  das  Geld  mit  und  vertrinkt  es  sofort. 

In  Mecklenburg  heißt  es:  Kinder,  welche   beim  Säugen   den  Daumen 

in  die  Hand  kneifen,  zahnen  schwer.  — 

Im  nördlichen  Eugland  lautet  ein  Sprichwort  :  „Soon  teeth,  soon  toes", 
d.  b.  wenn  ein  Kind  bald  Zähne  bekommt,  folgt  schnell  ein  anderes  nach.  - 
Wenn    in    Tv nemout b.    Nort liumberland ,    einem    Kind    ein    Zahn    ausfällt. 

dann  besprengt  man  diesen  mit  Salz  und  wirft  ihn 
ins  Feuer,  wozu  das  Kind  sagen  soll:  „Feuer  brenne; 
verbrenne  Zahn  und  gib  mir  einen  anderen.  Nicht 
einen  schwarzen,  sondern  einen  weißen;  nicht  einen 
krummen,  sondern  einen  geraden."  Oder:  „Feuer, 
Feuer,  brenn',  brenn',  Gott  schickt  mir  wieder 
einen  Zahn." 

Dem  Aberglauben  der  Germanen  stellt  sieh 
jener  der  Slawen  in  den  folgenden  Formen  zur 
Seite:  Wenn  bei  der  wendischen  Bevölkerung  des 
Spreewaldes  einem  Kind  der  erste  Zahn  infolge 
Zahnschmerz  gezogen  wird,  dann  soll  bei  einem 
Jungen  die  Mutter,  bei  einem  Mädchen  der  Vater 
den  ersten  Zahn  verschlucken.  Alle  später  aus- 
gezogenen Zähne  sind  in  das  Feuer  zu  werfen  und 
zu  verbrennen;  dann  tun  die  Zähne  nicht  mehr  weh 
und  es  wachsen  wieder  neue.  Ein  anderes  Mittel 
dei  Bewohner  des  Spreewaldes  gegen  Zahnschmerz 
i-t  folgendes:  Man  beiße  dem  Biet  wurm  oder  einem 
Molch  den  Kopf  ab  und  spucke  ihn  schnell  aus. 
oder  nehme  einen  alten  Besen  und  halte  ihn  über 
Feuer,  bis  er  anfängt  zu  brennen.  Dann  schlage 
man  es  ans.  daß  die  Funken  absprühen,  und  lasse  sich  den  Bauch  in  die 
Zähne  kommen.  -  Ferner  gibt  es  im  Spreewald  Zahnamulette,  sogenannte 
Schrecksteine  i  Fig.  254  |. 

Bei  den  Selben  soll  man  dem  Kinde,  um  es  für  immer  vor  Mund- 
schmerzen zu  bewahren,  im  Munde  einige  Male  einen  Schlüssel  umdrehen  und 
dann  denselben  an  einen  Ort  legen,  von  wo  er  niemals  weggenommen  werden 
kann.  Das  Kind  bekommt  so  starke  Zähne,  wie  das  Eisen  ist.  —  Wenn  zur 
Zeit  des  Zahnens  das  Kind  sehr  viel  weint,  so  soll  es  die  Mutter  auf  die 
Wange  schlagen  und  sagen:  ..Mein  Kind  weint  nicht  wegen  der  Zähne,  sondern 
i  des  \Vangenschlagens."  -  Vor  der  Taute  darf  der  Pate  nichts  essen, 
damit  dem  Kinde  die  Zähne  gesund  und  vor  den  Würmern  bewahrt  bleiben. — 
l>ie  alten  Römer  banden  nach  Pliniua  ihren  Kindern  Pferde-  und 
Eberzähne  zur  Erleichterung  des  Zahnens  um. 


Ki^v  -i  >t.  Zwei  BOgenannte  Sehreck- 

u'kii»    im    Spref w d l d 

n  Kindern  angehängt 

werden     In  der  K    Sammlung  für 

deutsohe   Volkskunde  in   Berlin. 


§ 


9-y-l 


Die 


die 


Kinderzähne  in»   Brauch   und  Aberglauben  uicht-imlo 
germanischer  Völker, 

Mierinals  tritt  uns  hier,  zunächst  vielleicht  unter 
Maus  in  Verbindung  mit    dem  Kindeszahn   entgegen: 


slawischem  Einfluß, 
.Masele.  Masele,  na 


§  222.     Die  Kinderzätme  im  Brauch  und  Aberglauben  nicht-indogermanischer  Völker.        59 


dir  a  beinern  Zeindele  yn  gib  mir  an  asernes,"  sagen  die.  südrussischen 
Judenkinder,  wenn  sie  beim  Zahnwechsel  einen  herausgefallenen  Zahn  auf 
den  Dachboden  werfen.  —  Um  schweres  Zahnen  zu  verhüten,  zeigen  die  süd- 
russischen Juden  ihren  Säuglingen  vor  dem  Zahndurchbruch  keinen  Spiegel 
(Weißenberg). 

Maus  und  Zahn  spielen  aber  auch  unter  den  Maroniten  am  Libanon 
eine  gemeinsame  Rolle:  „Die  Maus,"  so  scherzt  man  beim  Ausfallen  der 
Milchzähne,  „ist  gekommen  und  holt  den 
Zahn."  —  Das  Zahnen  gilt  hier  nach 
Che'mali  als  eine  Gefahr,  neben  welcher 
noch  zwei  andere,  nämlich  die  Entwöhnung 
und  die  Schule,  das  Kind  bedrohen.  Ein 
Sprichwort  lautet:  Wüßte  meine  Mutter, 
wann  meine  ersten  Zähne  durchbrechen, 
dann  würde  sie  mir  mein  Leichentuch  bereit 
halten.  —  Um  das  erste  Zahnen  zu  er- 
leichtern, reibt  man  dem  Kind  das  Zahn- 
fleisch mit  dem  Hirn  eines  kleinen  Sperlings 
ein,  fügt  zu  den  bereits  umgehängten 
Amuletten  noch  eines,  d.  h.  einen  Maul- 
wurfszahn, und  veranstaltet  ein  Fest, 
wobei  Zuckersachen  und  ein  in  Wasser 
gekochtes  Mehlgericht  an  Verwandte  und 
Freunde  verteilt  wird.  Eine  Unterlassung 
dieses  Brauches  hätte  zur  Folge,  daß  die 
neuen  Zähne  quer  wachsen  würden.  Die 
Mutter  wird  unter  Wiederholung  des 
Spruches  „sein  Zahn  ist  erschienen,  möge 
seine  Mutter  sich  freuen"  beglückwünscht. 
—  Gewöhnlich  nimmt  man  am  Libanon 
an,  daß  frühes  Zahnen  frühen  Zahnverlust 
zur  Folge  habe.  —  Beim  Ausfallen  der 
Milchzähne  finden  sich,  neben  dem  er- 
wähnten Scherz  von  der  Maus,  der  Brauch, 
daß  das  Kind  den  Zahn  der  Sonne  mit 
dem  Spruch  zuwirft:  Sonne,  Sonne, 
nimm  den  Eselszahn  und  gib  mir  einen 
Hirschzahn. 

Den  Arabern  in  Sansibar  gilt,  wie 
den  Negervölkern  der  Wasaramo  und 
Suaheli,  ein  Kind,  dem  die  obern Schneide- 
zähne vor  den  untern  durchbrechen,  für 
Deshalb  lesen  sie  ihm 
vor,  beugen  ihm  den  Kopf 
nicken   scheint  und  lassen 

wollen. 

ünjöro   und   Uganda, 


Fig.  256.  Mädchen  aus  der  Landschaft  Udoe 
ander  deutsch-ostafrikanischen  Küste. 
Mit  Erlaubnis  der  Väter  vom  hl.  Geist  in 
Knech  ts  t  eden. 


es  dadurch  schwören,   der  Familie 


Britisch-Ostafrika,   das   Durch- 


unheilbringeiHl. 
aus  dem  Koran 
so,  daß  es  zu 
nie  Böses  zufügen  zu 

Ebenso  gilt  in 
brechen  der  obern  Schneidezähne  vor  den  untern  als  unheilverheißend.  Wo 
es  vorkommt,  ruft  man  sofort  den  mbändua  (Zauberei1),  damit  dieser  das  Kind 
durch  Aufführung  gewisser  Tänze  schütze. 

In  der  deutsch-ostafrikanischen  Landschaft  Mkulwe  heißt  man  Kinder, 
denen  zuerst  die  Oberzähne  durchbrechen,  „Kinkula".  Ein  Kinkula  ist  ein 
Unglückskind.  Seine  unabwendbare  Bestimmung-  wäre,  die  ganze  Familie  zu- 
grunde zu  richten,  wenn   es  groß  würde,   schreibt  Alois  Hamhergev.     Deshalb 


60 


Kapitel  XXXIV.     Das  Zahnen. 


wurde  ein  Kinkula  früher  unerbittlich  und  sofort  beseitigt,  was  in  der  Regel 
ältere  Weiber  besorgten.  Im  geheimen  geschehe  das  heute  noch.  Auf  die 
Frage,  worin  das  Gefährliche  eines  solchen  Kindes  bestehe,  erhalte  mau  keine 


V  adöi    Kinder  von  <ler  deutsch-ostafrikanisohen  Küsteniandschafc  Uiloe.     Mit  Erlaubnis  der 
Vater  vom  lil.  Geist  in  Kneohtsteden. 


Deutscli-Mikn         i      i.   Jugend  ant  Korror.     Vom  Sekretariat  der  Kapnzineimission^ 

Kll  li'  11  li  I  .'  1  I  sl  i-i  11    n.    Rh. 


bestimmte  Antwort.  Das  Kind  sei  einfach  ein  ünglückskind.  Zur  Zeit  des 
Zahndurchbruchs  legi  man  in  Mkulwe  den  Kindeni  einen  kleinen  Antilopen- 
kinnbacken um  den  Leib;  um  den  Hals  erhalten  sie  ein  aus  „allerhand  Schmutz 
zusammengestelltes  Amuletl  zum  allgemeinen  Schutz-  (Samberger). 


S"222.     Die  Kiuderzäkne  im  Brauch  und  Aberglauben  nicht-indogermanischer  Völker.        61 

In  Zentral-Afrika  wird  nach  Livingstone  jedes  Kind  getötet,  das 
einen  oberen  Vorderzahn  vor  den  unteren  bekommt.  Dieser  Brauch  findet 
sich  auch  bei  anderen  Völkern  (vgl.  Kindesmord). 


Fig.  25s.    Kuabeii  aus  Patau,  Deutsch-MiUrouesien.    Vom  Sekretariat  der  Kapuzinermission 

Ehrenbreiisteiu  a.  Rh. 


&— ;...!-* 


Fig   2ü9.    Tamil-Kinder  (Dravida)  auf  Ceylon.    K.  Ethnograph.  Museum  in  München. 

Einen   an   die   Maroniten  am  Libanon   erinnernden    Brauch    hat   Weeks 
von  den  Negern   am   untern  Kongo   berichtet.     Hier  wirft  man  den  ersten 


62 


Kapitel   XXXIV.     Das  Zahnen. 


Zahn,  welchen  ein  Kind  verliert,  der  aufgehenden  Sonne  mit  den  Worten  zu: 
Bring  mir,  wenn  du  wieder  kommst,  einen   neuen  Zahn."     Hierauf  wirft  man 
westwärts  eine  Holzkohle  und  spricht:    „Nimm   meinen   alten  Zahn,   ich   mag 
ihn  nicht  mehr." 

Die  Pjolof-Neger   im   französischen  Sudan   hängen   ihren   Kindern   zur 
Erleichterung   des   Zahnens    um    den    Hals   einen    Kupferring,    von    dem    fünf 


Fig.  2C0      i   ihm)    Mädchen  (Dravida)  auf  Ceylon.     Im  K.  Ethnograph.  Museum  in  München. 


l>is   sechs  Kupferbänder   mit   großen  (ilasperlen   an    den    freien   Enden  herab- 
hängen. 

Bei  diu  Negern  auf  Jamaika  finden  wir  das  Zahngeschenk  wieder. 
Hier  soll  es  dem  Kind  heim  ersten  Zahn  selbst  yeinaclil  werden,  damit  ihm 
die  Zähne  nicht  faulen. 

Im  nordamerikanischeii  Staat  Karolina  unterweisen  alte  Neger  die 
Kinder,  sie  sollen  ihre  ausgefallenen  Zähne  mit  dem  Ruf  über  das  Haus  schleudern 
..Hier.  Ratte,  nimm  diesen  alten  Zahn  and  gib  mir  deine  milchweißen  Zähne." 
Kin  anderer  Aberglaube  dieser  Neuer  drückt  sich  in  dem  Spruch  aus:  Tritt 
ein  Hund  auf  den  weggeworfenen  Zahn  eines  Kindes,  so  wächst  dem  Kind 
ein  Bandezahn. 


§  222.     Die  Kinderzähne  im  Brauch  und  Aberglauben  nicht-indogermanischer  Völker.        63 

Die  Zähne  der  Ratte  wünschte  auch  die  Maori-Mutter  auf  Neusee- 
land ihrem  Kind,  wenn  sie  beim  Durchbrechen  der  Zähne  ihres  Sohnes  sang: 

..Sprossender  Kern,  sproß', 
Sproß',  daß  du  mögst  kommen 
Zu  sehen  den   Mond  nun  voll! 
Komme  du  sprossender  Kern, 
Laß  die  Zähne  des  -Mannes 
Gegeben  werden  der  Katte. 
Und  der  Katte  Zähne 
Dem  Manne!-     {Fr.  Müller.) 

Vorenthaltung  warmer  Speisen  während  des  Zahnwechsels  wird,  leider 
ohne  nähere  Begründung,  von  Nauru,  Deutsch-Mikronesien,  berichtet 
{Brandeis). 

Die  Warramun'gä  im  nördlichen  Australien  führen  ihre  Zahnoperationen 

(Ausschlagen)  an  einem  Wasserloch  aus.  und  bei  den  dortigen  Gnanji  wird 
der  ausgeschlagene  Zahn  in  einem  Wasserioch  begraben,  damit  der  Regen 
aufhöre  und  mehr  Wasserlilien  im  Teiche  wachsen.  —  Hierüber  mehr  in 
Kap.  XXX Vi.  — 

Geschenke  beim  Zahndurchbruch  finden  wir  bei  einem  Teil  der  Dra- 
vida- Völker,  welche,  wie  schon  mehrfach  erwähnt,  im  südlichen  Vorderindien 
und  auf  Ceylon  leben.  Bei  den  Nair  in  Malabar  z.  B.  sendet  die  Mutter  beim 
Durchbrechen  der  Zähne  Kuchen  an  die  Hausfreunde  (Jagor). 

Die  Tungusinnen  binden  ihren  einjährigen  Kindern  zur  Erleichterung 
des  Zahnens  einen  Renntierknochen  um  die  Hand  (Middendorf). 

Zahn  und  Maus  erscheinen  uns  wieder  zusammen  im  alten  Mexiko, 
wo  der  Wechselzahn  in  ein  Siausloch  gelegt  werden  mußte,  weil  sonst  die  (?) 
Zähne  nicht  mehr  gewachsen  wären  {Plofi  II,  227  f.). 

Iltis-  oder  Hundezähne  zur  Beförderung  des  Zahnens  hängt  man  den 
Säuglingen  in  Argentinien  um  den  Hals  (Mantegazza).  — 


Kapitel  XXXV. 

Haaroperationen  am  Kinde.    Das  Haar, 
ein  Bild  des  Lebens. 

§  223.  „Im  Haupthaar  dachte  sich  das  Altertum  den  Sitz  des  Lebens. 
Mau  schnitt  darum  den  Opfert ieren  die  »Stirnhaare  als  Zeichen  ihrer  Weihe 
an  die  Gottheit  ab.  Das  Abschneiden  der  menschlichen  Haare  bedeutete  ... 
Hingabe  au  die  Gottheit."  Durch  diese  Darlegung  stimmt  A.  Franz1)  im 
wesentlichen  mit  Floß  überein,  welcher  an  die  Blutopfer  der  alten  Griechen 
erinnert,  die  dem  Opfertier  Haare  (oder  sonst  einen  Teil)  abschnitten,  sie  auf 
dem  Altar  verbrannten  und  damit  das  Tier  der  Gottheit  weihten.  --  Höfler 
weist  auf  Homers  /Hu*  (III,  L36)  hin,  wo  der  altgriechische  Brauch  erwähnt 
ist.  daß  die  Sklaven  mit  ihren  abgeschorenen  Haaren  den  Leichnam  bedeckten. 
An  Stelle  des  als  Opfer  gedachten  ganzen  Menschen  trat  sein  Haar.  - 

Im  römischen  .Mythus  ließ  sich  Jupiter  von  Numa,  statt  der  zur  Sühne 
verlangten  Menschenhäupter,  deren  Kopfhaar  unterschieben-).—  In  Deutsch- 
land erinnern  nach  Höfler  heute  noch  die  sogenannten  ..Seelenzöpfe"  und  derartige 
Gebäcke  in  Formen  von  Frauenhaar,  welche  die  Paten  ihren  Patenkindern  zu  Aller- 
seelen schenken*),  an  die  altgermanischen  Frauenopfer  am  Grabe  eines  Mannes. 

Der  neugriechische  Brauch,  die  abgeschnittenen  Haare  des  Täuflings 
in  das  Tauf  becken  zu  weifen'),  ist  nach  Floß  ein  altgriechisches  Überbleibsel, 
selbstverständlich  mit  christlicher  Modifizierung;  die  zeremonielle  Haarschur 
trag!  religiösen  Charakter. 

Das  trifft  aber  keineswegs  nur  bei  den  Griechen  zu.  sondern  die  folgenden 
<lrei  Paragraphen  zeigen  uns  Repräsentanten  fast  der  sämtlichen  Sprachen- 
bzw. Völkerfamilien,  welche  in  diesem  Punkte  mein  oder  weniger  miteinander 
übereinstimmen.  Hier  sei  einstweilen  an  die  in  Kap.  XXIX  erwähnten  Bräuche 
der  Hudson-Indianer  und  der  Sioux  erinnert.  Jene  verbrannten  ihr  Haar 
auf  dem  Grab  ihrer  verstorbenen  Söhne,  und  bei  diesen  verbrannte  es  die 
Witwe  unter  dem  Baum,  auf  welchem  die  Leichen  ihres  Mannes  und  ihres 
Kindes  beigesetzt  waren.  — 

Es    braucht    wohl    nicht    bemerkt   zu  werden,   daß    in    dem    vorliegenden 
Werke,  wie  reizvoll  auch  weitere  Kreise  wären,  wiederum  regelmäßig  nur  das 
Kindesalter    berücksichtigt,    spätere    Lebensabschnitte    nur    ausnahmsweise 
reifl  werden  können. 

ene  Völker,  welche  ihren  Haaroperationen  einen  evident  religiösen 
Charakter  aufdrücken,  in  den  folgenden  drei  Paragraphen  ohnehin  zusammen- 
gestellt sind,  s     ist   hier  wohl  nur  die  Gruppierung   einiger   anderer  Erschei- 


kirchlichen   Benediktionen,  2,  248. 
ich  /•,'  Krause)  in  seinem  „Haaropter  in  Teigform".    Im  Archiv  f.  Antln-Mp.il 
N.  V.        Bd.  [V,  S 

I  XVII. 
';  Siehe  w.  n. 


§  223.     Haaroperationen  am  Kinde.     Das  Haar,  ein  Bild  des  Lebens.  65 

minien  erwünscht1).  Aus  diesen  sei  zunächst  der  mit  der  Haarschur  ver- 
bundenen Adoption,  bzw.  Eingehung  eines  Schutzverhältnisses  gedacht. 
Wir  finden  diese  bei  den  Indern  und  Germanen,  im  byzantinischen  Reich  und 
im  päpstlichen  Rom. 

Patenverhältnisse  wurden  oder  werden  durch  die  Haarschur  ein- 
gegangen bei  den  abendländischen  Christen  des  Mittelalters,  bei  den  heutigen 
Zigeunern  in  Siebenbürgen  und  den  Südslawen,  aber  auch  in  Japan,  bei  den 
Pirnas  in  Mexiko,  im  alten  Peru,  bei  den  Karaiben  der  Antillen  und  den 
Aymara  in  Bolivia. 

Haarschur  und  Namengebung  finden  wir,  abgesehen  von  jenen  christ- 
lichen Völkern,  welche  beides  mit  der  Taufe  verbinden,  unter  den  Polen,  die 
den  vorchristlichen  Brauch  der  Namenänderung  -)  teilweise  beibehalten  haben 
und  mit  der  Haarschur  verknüpfen;  wir  finden  Namengebung  und  Haarschur 
aber  auch  vereinigt  bei  den  alten  Römern  und  Chinesen,  bei  den  afrikanischen 
Soninke  und  den  mongolischen  Miaotse  im  chinesischen  Reich,  den  Japanern, 
AI  füren,  Karaiben  und  im  altperuanischen  Inkareich. 

Als  Symbol  der  Aufnahme  in  den  Stamm  ist  die  Haarschur  im 
dritten  Kapitel  nachgewiesen  bei  den  Malayen  der  Mentawai-Inseln  und  bei  den 
Munda  Kolli  in  Nagpur.  Hierher  gehört  in  gewisser  Hinsicht  auch  die  Haar- 
schur der  Mädchen  bei  den  Guinea-Negern  in  Folgia  und  Quoja,  sowie  der 
Masai-Mädchen  vor  ihrer  Beschneidung;  ferner  die  nach  der  Beschneidung 
vorgenommene  Haarschur  der  Bakulia-Mädchen.  Denn  die  Beschneidung  bildet 
ein  Hauptmoment  der  Pubertätsfeier,  also  der  Anerkennung  als  Mitglied  des 
Stammes  (vgl.  Kap.  XNNV1II). 

Wahrscheinlich  haben  auch  die  Haarfiguren,  welche  man  beim  Rasieren 
oder  Schneiden  stehen  läßt,  bzw.  bestimmte  abgeschorne  Flächen,  ursprünglich 
eine  tiefere  Bedeutung  gehabt.  Schrieb  doch  Bachofen*),  dem  man  trotz 
mancher  Verirrung  eine  außerordentliche  Kenntnis  der  Mythen  und  Bräuche 
der  alten  Welt  zuerkennen  muß:  Die  Ätoler  und  Herniker  schoren  die 
linke  Kopfhälfte  ab  zu  Ehren  der  Muttergottheit  Erde,  wie  denn  Teile 
der  linken  Seite  überhaupt  dem  großen  weiblichen  Naturprinzip  gewidmet 
worden  sind. 

Auf  diesem  Gebie^  wäre  noch  viel  zu  forschen.  Aus  den  verhältnismäßig 
wenigen  Mitteilungen  in  unserm  vorliegenden  Kapitel  erscheint  indes  erwähnens- 
wert, daß  die  alten  Chinesen  das  Haar  bei  Knaben  links,  bei  Mädchen  rechts 
stehen  ließen,  also  bei  jenen  die  rechte,  bei  diesen  die  linke  Kopfhälfte  schoren, 
wenn  nicht  ein  Büschel  zu  einem  Hörn  oder  Knoten  vorhanden  war;  ferner, 
daß  die  Howa  auf  Madagaskar  zuerst  die  Haare  der  linken  Kopfhälfte,  dann 
die  der  rechten  abschneiden  und  jene  bös,  diese  gut  nennen.  Auf  der  rechten 
Kopfhälfte  steht  auch  die  Halbmondform  des  stehenbleibenden  Haares  bei 
den  Marokkanern,  und  eine  abgeschorene  Kopfhälfte  war,  neben  andern  Figuren, 
im  alten  Ägypten  gebräuchlich.  Stehenbleibende  Wirbelhaare,  bzw.  eine 
Scheitellocke  zeigt  uns  dieses  Kapitel  bei  altägyptischen  Prinzen,  bei  Arabern 
und  Marokkanern.  Die  Kreuzesform,  in  welcher  das  Haar  der  Täuflinge  in 
der  griechischen  Kirche  geschnitten  wurde,  bestärkt  unsere  oben  ausgesprochene 
Ansicht,  daß  die  Haarfiguren  auch  der  nichtchristlichen  Völker  eine  tiefere 
Bedeutung  haben,  welche  zu  erforschen  wert  wäre.  — 


')  Doch  möge  hier  hervorgehoben  werden,  daß  sowohl  von  den  alten  Ägyptern  als 
von  den  vorislamischen  Arabern  berichtet  wird,  daß  sie  abgeschnittenes  Haar  mit  Silber 
aufwogen  und  dieses  den  Göttern,  bzw.  dem  Heiligtum  zuwendeten.  Vgl.  Abschnitt  ,.Opfer': 
in  Kap.  IV. 

'')   Vgl.  Kap.  XXIII.  Abschnitt  „Namenänderung--. 

•,)  Mutterrecht,  159  f. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  5 


66        Kapitel  XXXV.     Haaroperationen   am  Kinde.     Das  Haar,  ein  Bild  des  Lebens. 

§  224.     Das  Schneiden  and  Rasieren   der  Kopfhaare   als  religiöser  Akt 
bei  Indogermanen  und  Semiten. 

Im  (arischen?)  Indien  ist  mit  der  Schur  sowohl  des  Haupthaares  als 
auch  des  Bartes  ein  komplizierter  Ritus  verbunden.  Die  erste  Haarschur 
findet  je  nach  der  Kaste  im  ersten,  oder  im  dritten,  spätestens  im  siebenten 
Lebensjahre  statt  (PotJcdnsU).  Die  Bartschur  nimmt  der  Jüngling  im  16.  Jahre 
selbst  an  sich  vor1).  Ploß  erwähnte  (I,  292)  das  fünfte  Jahr  als  die  Zeit 
der  ersten  Haarschur.  Vielleicht  bezieht  sich  dieser  Termin  auf  eine  der 
eben  angedeuteten  Kasten.  Das  Kind  wird  zu  dieser  Zeremonie  au  einen 
heiligen  Badeort  (Tirtha),  oder,  was  noch  gebräuchlicher,  nach  Iwalamukhi 
gebracht,  wo  eine  Flamme  aus  dem  Boden  bricht,  und  hier  vollzieht  ein 
Brahmane  die  erste  Haarschur.  Mit  8—12  Jahren  wird  dem  Knaben  der 
Kopf  rasiert,  worauf  sein  Unterricht  in  den  heiligen  Gebräuchen  durch  einen 
Oberpriester  erfolgt.  --  Nach  PotkänsM  sind  im  heutigen  Indien  Haarschur- 
zeremonien auch  bei  Adoptionen  gebräuchlich,  und  zwar  als  Symbol  der  Ein- 
verleibung des  Kindes  in  den  neuen  Familienverband.  Daß  übrigens  die  Haar- 
schur auch  in  diesem  Sinn  zugleich  religiösen  Charakter  trägt,  geht  aus  dem 
weiter  unten  folgenden  Bericht  PofkdnsJci  über  die  altgermanische  Adoption 
hervor.  Zunächst  möge  noch  erwähnt  werden,  daß  E.  Schröder  aus  dem  nörd- 
lichen (arischen)  Vorderindien  mitteilte,  junge  Mädchen  ließen  sich  aus 
religiösem   Eifer  ihr  prächtiges  Lockenhaar  vom  Kopf  rasieren. 

Bei  den  Germanen  fand  die  Zeremonie  der  Haarschur  im  12.  Lebens- 
jahre statt.  Nur  das  Familienoberhaupt  hatte  das  Recht,  diesen  Akt  zu  roll- 
ziehen. —  Die  Bartschur  fiel  in  die  Zeit  vom  L6.  bis  18.  Jahr'-),  was  mit  der 
im  alten  Indien  eingehaltenen  vollständig  übereinstimmt.  -  Auch  die  alten 
Germanen  verbanden  Baarschur  mit  Adoption,  und  zwar  bedeutete  sie  nach 
PotMnshi  in  dieser  Verbindung  „gewissermaßen"  ein  Opfer,  weil  das  adoptierte 
Kind  vor  allein  in  die  Religion  der  Familie  eingeführt  wurde,  deren  Oberhaupt 
zugleich  ihr  Priester  war3). 

Von  den  griechischen  Stämmen  sind  mir  verschiedene  Termine  be- 
kannt: die  spartanischen  Knaben  hatten  den  Kopf  bis  zum  Epheben- 
alter,  d.  li.  bis  zum  Eintritt  der  Mannbarkeit,  geschoren  (Wachsmuth).  Dem- 
nach hätte  die  erste  Haarschur  im  Kindesalter  stattgefunden.  —  Hingegen  schrieb 
der  griechische  Kirchenvater  Iheodoret,  die  „Hellenen-  hätten  den  Brauch 
gehabt,  ihren  Kindern  die  Haare  (y.opu'icu)J)  nicht  zu  schneiden,  sondern  sie  zu 
Locken  heranwachsen  zu  lassen,  welche  später  den  Göttern  geopfert  worden 
seien  .1.  Franz  scheint  diesen  Brauch  bei  den  „Griechen"  überhaupt  an- 
zunehmen und  gibt  den  Herakles  als  jenen  Gott  an,  welchem  zu  Ehren  die 
Jünglinge  bei  ihrer  Aufnahme  unter  die  Epheben  ihre  Locken  abschnitten 
und    ihm    weihten.  — 

Mit  einem  so  späten  Termin  der  ersten  feierlichen  Haarschur  lallt  sich 
allerdings  der  Brauch  der  griechischen  Kirche,  die  Haarschur  gleich  mit 
der  Taute  des  Neugebornen  zu  verbinden,   kaum   in  Einklang  bringen.     Bart- 


ch  //.  Zimmer  bei   Ploß  (11.  448)  war  im  alten  Indien   die  Bartschur   mit    dem 

Eintritt  der  Mannbarkeit  verbunden.     Als  Alter  d.es  Kandidaten    ist  das  IG — 18.   Lebensjahr 

Die  Zeremonie  hieß  „Godaoavidhi".  —  Von  all  diesen  Terminen  weicht  der  von 

ilii,   Bhuyias    und    Bendkars  in   Bengalen    stark    ab     denn    diese   scheren    ihren   Kindern 

□ach   Dali  am  siebenten  'I 'ag,  dem  Tai,'  der  Namengebung,  das  Haar. 

Uter  als  Zeit  der  Bartschur  nicht  von  allen  germanischen  Stämmen 

eingebalten   wmd'-.   g  Facitus   (Germania,   c.  ;il)   hervor,   welcher  von   den    Kalten 

(Chat!  I       heutigen  Hessen,  schrieb:  Mit  dem  Eintritte  der  Mannbarkeit 

Bart    und   Haupthaar   wachsen,    und   erst,    wenn  sie  einen  Feind  erschlagen,  legen 

ihten  Schmuck  ihres  Antlitzes  ab, 

i  Vgl  klärung  der  Haarschur  als  Akt  der  Unterwerfung  bei  .1.  Franz. 

'>  Sollten  etwa  nur  die  Haare  am  Kopfwirbel  gemeint   sein? 


§  224.     Das  Schneiden  u.  Rasieren  d.  Kopfhaare  als  religiöser  Akt  b.  Indogerruanen  usw.        67 

und  Haarschur  bei  heranwachsenden  Knaben  und  Jünglingen  hat  die  christ- 
liche Kirche  ohnehin  beibehalten;  daß  sie  dazu  noch  einen  Haarschurtermin 
beim  Neugebornen  bestimmt  hätte,  welcher  noch  nicht  vorhanden  war,  ist 
kaum  annehmbar.  Franz  schreibt  mit  einem  Hinweis  auf  Goar  (H.  Jahrh.) 
u.  a.:  „In  der  griechischen  Kirche  wurde  an  den  eben  getauften  und  gesalbten 
Kindern  die  Zeremonie  das  Abschneidens  von  Kopfhaaren  vollzogen.  Das 
geschah  in  Kreuzform  unter  den  Worten:  Es  wird  geschoren  der  Diener 
Gottes  N.  im  Namen  des  Vaters  usw.  Die  abgeschnittenen  Haare  wurden 
von  dem  Priester  am  heiligen  Orte  aufbewahrt  oder  dem  Paten  übergeben, 
welcher  sie  mit  Wachs  verband  und  an  ein  Kreuzbild  als  Symbol  der  Weihe 
des  Kindes  an  den  Gekreuzigten  heftete.  Die  Zeremonie  wurde  gewöhnlich 
und  wird  noch  heute  mit  den  zwei  bei  Goar  mitgeteilten  Gebeten  eingeleitet1).  — 

Die  sprachlich  zu  den  Semiten,  religiös  der  christlichen  Kirche  ange- 
hörigen  Maröniten  des  Mittelalters  hatten  nach  Franz  unter  ihren  Haar- 
schurgebeten  eines,  welches  den  Knaben  jenen  Segen  wünschte,  den  Isaak 
empfing,  die  „Statur  Jakobs,  die  blühende  Jugend  Josephs  und  die  Weisheit 
Salomons".  Für  die  Mädchen  wurde  um  eine  gottgefällige  Nachkommenschaft 
gebetet,  —  Das  abgeschnittene  Haar  galt  als  Opfer  des  menschlichen 
Leibes,  weil  man  die  Haare  gleichsam  als  Kauchopfer  des  ganzen  Körpers 
auffaßte.  Die  kreuzweis  erfolgte  Scherung  war  ein  Bild  der  Hingabe  an 
Christus. 

Das  oben  erwähnte,  im  Mittelalter  gebräuchliche  Zusammenkleben  der 
abgeschnittenen  Haare  mit  Wachs  kommt  noch  heutzutage  bei  den  Mainoten 
(Mauiaten)  im  Peloponnes  vor,  von  denen  Henri  Belle  schrieb,  man  reibe 
das  Kind  zuerst  mit  Pfeffer  und  Salz  ein,  dann  schneide  man  ihm  einige 
Haare  ab.  klebe  sie  mit  Wachs  von  der  Altarkerze  zusammen  und  werfe  sie 
in  das  Taufwasser.  — 

Von  den  Neugriechen  überhaupt  schrieb  Ploß,  daß  der  Priester  am 
Tauftage  dem  Kinde  dreimal  einige  Haare  abschneide,  die  er  in  das  Tauf- 
becken werfe.  Es  scheint  also,  daß  auch  die  alten  Griechen  eine  feierliche 
Haarschur  mit  religiösem  Charakter  schon  am  Neugebornen  vornahmen. 

Von  den  Malisoren  in  Oberalbanien  teilte  Spiridion  Gobcpviee  im 
Jahre  1881  mit,  daß  manche  Stämme  ihre  Kinder  bald  nach  der  Geburt, 
andere  erst  nach  einem  Jahr  taufen,  und  daß  der  Pate  dem  Kinde  bei  dieser 
Gelegenheit  den  Kopf  schere.  Die  abgeschnittenen  Haare  bewahrte  man  mit 
dem  Patenpfennig  drei  Tage  lang  in  einem  Beutel  auf,  wonach  sie  verbrannt 
wurden.     Während  dieser  drei  Tage  gehe  es  lustig  her. 

Diese  Malisoren  scheinen  demnach  der  orientalischen  Kirche  anzugehören, 
da  die  abendländische  Kirche  nach  Franz  die  Haarschur  nicht  mit  der 
Taufe  verband,  sondern  sie  am  Ende  der  Knabenjahre  vollziehen  ließ. 

Auch  die  Bulgaren  verbinden  mit  der  Taufe  ein  Haaropfer  (Ploß). 

Wann  im  Abendland  die  Haarschur  mit  religiöser  Weihe  umgeben  und 
in  die  Kirche  verlegt  wurde,  ist  nach  Franz  nicht  festzustellen.  Die  dabei  ge- 
sprochenen Gebete  des  Priesters,  von  denen  er  mehrere  anführt,  drücken, 
wie  die  der  griechischen  Kirche,  Wünsche  für  das  körperliche  und  geistige  Wohl 
des  Knaben  aus.  Der  Brauch  sei  nach  dem  15.  Jahrhundert  aus  der  abend- 
ländischen Kirche  verschwunden. 

Analoga  und  Parallelen  zur  indischen  und  altgermanischen,  mit 
Adoption  verbundenen  Haarschur  finden  sich  nach  Franz  im  byzantinischen 
Kaiserhaus  des  7.  und  bei  den  Longobarden  und  Franken  des  8.  Jahrhunderts, 
wenn  der  Begriff  des  religiösen  Opfers  hier  auch  fehlt,  und  den  Menschen 

')  Diese,  sowie  andere  bei  der  Haarschur  verrichteten  Kirchengebete  siehe  bei  Adolf 
Franz.  op.  c.  IT,  245 ff.  — 

5* 


68        Kapitel  XXXV.     Haaroperationen  am  Kinde.     Das  Haar,  ein  Bild  des  Lebens. 

gegenüber  nur  das  Verhältnis  der  relativen  Abhängigkeit  und  des  Schutzes 
ausgedrückt  werden  sollte.  Schutz  für  seine  Söhne  Justinian  und  Heraklius 
wollte  Kaiser  Konstantin  Pogonatus  vom  Papste  Benedikt  IL,  als  er  diesem 
ihre  Locken  sandte,  und  Adoption  seines  Sohnes  Pipin  wünschte  Karl  Martell, 
indem  er  diesen  dem  Longobardenkönig  Liutprand  schickte  mit  der  Bitte,  er 
möge  dessen  Haar  „der  Sitte  gemäß"  in  Empfang  nehmen.  Dieser  Mitteilung 
habe  Paulus  Diaeonus  beigefügt:  „qui  eius  caesariem  incidens,  ei  pater  effectus 
est",  d.  h.  Liutprand  habe  durch  diesen  Akt  der  Haarschur  Vaterstelle  au 
Pipin  angenommen. 

Frau:  bemerkt  ferner,  daß  im  Abendland  die  feierliche  Haarschur  ein 
patenähnliches  Verhältnis  herbeigeführt  habe.  — 

Das  ist  nach  PotMnski  heutzutage  noch  der  Fall  bei  den  Südslawen 
in  Bosnien,  Serbien,  der  Herzegowina  und  in  Montenegro.  Die  geistige 
Verwandtschaft,  welche  das  geschome  Kind,  nach  serbischer  Auffassung,  mit 
dem  verbindet,  der  die  Haarschur  vorgenommen  hat,  bildet  nach  Milovanovitsch 
ebenso  ein  Ehebindernis  wie  das  Taufpatenverhältnis,  wie  denn  der  Serbe 
auch  meint,  eine  Sünde  der  Patenschaft1)  sei  unverzeihlich,  während  eine  Sünde  der 
Verwandtschaft  verziehen  werden  könne,  d.  h.  er  stellt  die  Patenschaft  höher  als 
die  Verwandtschaft.  Das  Patenverhältnis  beeinflußt  ferner  das  Recht,  als  Richter 
oder  Zeuge  zu  fungieren.  Milovanovitsch  setzt  den  Ausdruck  ,.  Haarschneiden" 
gleichbedeutend  mit  „Haaropfer".  Demnach  sieht  auch  der  Serbe  die  Haarschur 
als  ein  Symbol  eines  religiösen  Opfers  an,  obgleich  sie,  wenigstens  jetzt  nicht  mehr, 
in  der  Kirche  stattfindet.  Gewöhnlich  bittet  der  Vater  des  Kindes  dessen  Tauf- 
paten, die  Bandlung  zu  vollziehen,  so  daß  dieser  eigentlich  in  ein  doppeltes  Paten- 
verhältnis tritt.  Wird  jemand  anders  zur  „Patenschaft  des  Haaropfers  oder 
Haarschneidens"  aufgefordert,  dann  wird  dieser  bei  einem  folgenden  Geburts- 
fall in  der  Familie  Taufpate.  Die  Feier  der  Haarschur  wird  von  Krauß  so 
beschrieben:  Die  gebetene  Persönlichkeit  kommt  an  dem  festgesetzten  Tag 
in  das  Elternhaus  des  Kindes,  dem  die  Haare  geschnitten  werden  sollen. 
Nach  einem  festlichen  Empfang  bringt  man  dem  Paten  auf  einem  Teller  eine 
kleine  Schere  und  führt  ihm  das  Kind  zu.  Dieses  zieht  er  an  sich  und 
schneidet  ihm  Haar  an  drei  stellen  ab  (vgl  die  Schnittfigur'  in  der 
griechischen  Kirche  des  Mittelalters  und  die  drei  Schnitte  der  heutigen  Neu- 
griechen, w.  o.).  Das  abgeschnittene  Haar  wird  zunächst  auf  den  Teller 
gelegt,  später  aber  von  einem  Hausgenossen  auf  den  Mist  geworfen.  - 

In  Polen  fand  früher  die  Haarschur  statt,  wenn  das  Kind  sein  siebentes 
Lebensjahr  zurückgelegt  hatte.  Dabei  erhielt  es  einen  Namen,  oder  sein  bis- 
heriger wurde  geändert  <  PotMnski)2). 

Die  mit  einem  religiösen  Opfer  verbundene  Haarschur  im  vor-  und  nach- 
mohammedanischen  Arabien  ist  in  Kapitel  IV  geschildert  worden.  Die  Be- 
streichung tles  Kopfes  des  Kindes,  welchem  das  Haar  abgeschoren  oder  ab- 
rasiert wurde,  ihm  dem  Blut  des  Opfertieres  erinnert  besonders  lebendig  an 
die  Blutopfer  im  klassischen  Altertum,  und  beweist,  daß  auch  der  vormohamme- 
danische Araber  in  der  Haarschur  das  Bild  der  Hingabe  des  Lebens  sah. 
Diese  Zeremonie  wurde  am  Neugebornen  vollzogen  Spätere  Termine  werden 
wohl  späteren  Ursprungs  sein.  Lane  gibt  aus  dem  arabischen  Ägypten 
des  19.  Jahrhunderts  den  Brauch  an.  den  Knaben  die  Haare  mit  zwei  oder 
drei  Jahren,  doch  auch  früher,  zum  erstenmal  zu  schneiden.  Man  ließ  ihnen 
nur  zwei    Büschel  stehen:    den    einen    auf  dem   Wirbel,    den    andern    über    der 


i    Milovanovitsch  i    wohl   an  geschlechtliche  Vergehen   zwischen  Paten,   bzw. 

■  andten. 

i  Nach  Potkdnski  ist  die  Zeremonie  der  Haarschur  bei  den  slawischen  Völkern  ge- 
ehtlich  mir  bis  ms   iL'.  Jahrhund  rl   nachweisbar. 


§  225.     Das  Schneiden   u.  Rasieren   d.  Kopfhaare   als  religiöser  Akt  b.  Härmten  usw.        09 

Stirne.  Die  Mädchen  unterwarf  man  der  Haarschur  nur  selten,  während  die 
der  Knaben  in  allen  arabischen  Ständen  in  Oberägypten.und  Kairos  ge- 
bräuchlich war.  Die  Zeremonie  sei  von  den  Arabern  nach  Ägypten  gebracht 
worden,  die  auf  ihrer  Halbinsel  noch  in  islamischer  Zeit  das  Opfer  eines  Tieres, 
gewöhnlich  einer  Ziege,  damit  verbanden.  Vor  Mohammed  war  das  Opfertier 
nach  Robertson  Smith  gewöhnlich  ein  Schaf1).  --  Opfer  und  Haarschur  vollzog 
man  in  islamischer  Zeit  an  einem  Heiligengrab.  — 

§  225.     Das  Schneiden   und  Rasieren   der  Kopfhaare  als   religiöser  Akt 

bei  Hamiten  und  Negern. 

Heroilot  erzählt  von  den  alten  Ägyptern,  daß  sie  gewissen  Gottheiten 
Gelübde  machten,  wobei  sie  ihren  Kindern  das  Haar  ganz,  oder  zur  Hälfte, 
bisweilen  nur  ein  Drittel  abschnitten  und  das  abgeschnittene  Haar  gegen 
Silber  aufwogen.  Dieses  Silber  übergaben  sie  den  Wärtern  jener  Tiere,  welche 
der  betreffenden  Gottheit  heilig  waren,  und  die  Wärter  reichten  hierauf  diesen 
Tieren  zerlegte  Fische2).  — 

Ein  Recht  auf  die  Haarschur  beanspruchen  die  Priester,  Zauberer  und 
Medizinmänner  verschiedener  Negervölker.  Kapitel  XXY1II  machte  uns  mit 
den  Zauberern  und  Ärzten  der  Wahehe  bekannt,  welche  das  Haar  ihrer 
Rekonvaleszenten  gewissermaßen  in  Beschlag  nehmen,  bis  das  Honorar  für  die 
Cur  bezahlt  ist.  Wenn  wir  damit  den  Inhalt  des  vorliegenden  Kapitels  ver- 
gleichen, dann  klärt  sich  jene  Beschlagnahme  auf:  Der  Zauberer  und  Me- 
dizinmann betrachtet  sich  als  Herr  des  Lebens,  welches  durch  seine 
Kunst  vor  dem  drohenden  Tod  bewahrt  worden  ist.  Allerdings  haben 
wir  es  hier  zunächst  mit  der  Macht  des  Zauberers  und  Medizinmannes  zu  tun, 
und  Richard  Anclree  hat  davor  gewarnt,  Handlungen  jener  Persönlichkeiten, 
welche  diese  beiden  Rollen  spielen,  als  religiös  zu  charakterisieren.  Allein 
wir  dürfen  nicht  vergessen,  daß  diese  Zauberer  und  Medizinmänner  ihre  Kräfte 
vielfach,  vielleicht  immer,  einem  Fetisch  oder  einer  andern  geheimnisvollen 
Kraft  zuschreiben,  von  welcher  sie  besessen  zu  sein,  oder  mit  welcher  sie  doch 
in  enger  Verbindung  zu  leben  vorgeben. 

Ein  solcher  Fall  liegt  z.  B.  bei  den  Bassari  in  Deutsch-Togo  vor. 
Hier  gehört  dem  Fetisch  das  Leben  jener  Kinder,  welche  bei  anfangs  un- 
fruchtbaren Ehen  durch  die  Sympathiemittel  des  Priesters  des  Fetisches 
geboren  werden.  Wenn  solche  Kinder  das  15.  oder  17.  Jahr  erreicht  haben, 
je  nachdem  sie  weiblichen  oder  männlichen  Geschlechtes  sind,  dann  müssen 
sie  dem  Priester  vorgeführt  werden,  wobei  man  Hühner,  Yams  und  Guinea- 
korn  opfert.  Ferner  muß  man  ihnen  die  Haare  abschneiden  und  diese  dem 
Priester  geben.  Nichtbeachtung  dieser  Pflichten  hätte  den  Tod  dieser  Kinder 
zufolge  (Klose).  —  Der  Fetisch  hat  also  hier  durch  den  Priester  Leben  ge- 
schenkt, und  dieses  wird  wieder  genommen,  wenn  man  dem  Priester  des 
Fetisches  nicht  die  Haare,  das  Bild  des  Lebens,  gibt  und  ihm  außerdem  andere 
Opfer  bringt. 

Am  unteren  Kongo  darf  nur  der  Zauberer  die  erste  Haarschur  vor- 
nehmen. Wenn  eine  Geburt  bevorsteht,  dann  verbietet  der  Zauberer  bisweilen, 
daß  die  Haarschur  an  dem  zu  erwartendem  Kind  stattfinde,  ehe  er  selbst 
wiederkomme.  In  solchen  Fällen  wartet  man  zwar  nicht  immer  so  lange,  aber 
man  schneidet  die  Haare  auch  nicht  eigenmächtig,  sondern  läßt  den  Zauberer 


i)   Vgl.  Kapitel  IV.  Opfer. 

2)  Vielleicht  versinnbildeten  auch  diese  Fische  das  Opfer  des  Menschenlebens;  denn 
der  Fisch  ist  das  Bild  der  Fruchtbarkeit,  somit  auch  des  Lebens.  —  Das  Haar  als  Symbol 
des  Alters  und  Standes  im  alten  Ägypten  siehe  im  folgenden  Paragraphen. 


70        Kapitel  XXXV.     Haaroperationen  am  Kinde.     Das  -Haar,  ein  Bild  des  Lebens. 

holen.    Dieser  drückt  dann  Elembalembablätter  aus,  läßt  den  Saft  auf  das  Haar 
träufeln  und  schneidet  dieses  (WeeJcs). 


E 

=  - 


>z 


AusMhonda,  Deuts«      Ostafrika,  hat  F.  K  Vogt  einen  Fall  berichtet, 

welcher  beweist,  daß   die  dortigen  Zauberer  auch   dann   ein  Recht   auf  das 

ler  Kinder  haben,  wnin  sie  das  Leben  der  Mütter  gerettet  haben. 

1"///  erwähnt    nämlich   aus  Mhonda   einen    vierjährigen  Knaben   mit  langen 


§  2'2."j.     Das  Sohneiden   u.  Rasieren    d.  Kopfhaare   als  religiöser  Akt   b.  Hamiten  usw.        71 


Haaren,  was  bei  den  Negern  eine  Seltenheit  sei.  Die  langen  Haare  mußten 
dem  Kind  gelassen  werden,  weil  dessen  Mutter  bei  ihrer  schweren  Entbindung 
einen  Zauberer  zu  Hilfe  rufen  ließ  und  dann  die  von  ihm  verlangte  Ziege  als 
Lohn  nicht  geben  konnte.  Hätte  man  das  Haar  vor  Entrichtung  des  Lohnes 
geschnitten,  dann  hätte  der  Knabe  sofort  sterben  müssen.  — 

Als  feierlichen  Akt  schilderte  im  Jahre  1879  Chr.  Stech  die  Haarschur 
und  die  damit  verbundene  Salbung  des  Basuto-Kindes  im  britischen  Süd- 
afrika. Sie  findet  bald  nach  der  Geburt  statt  und  wird  vom  Zauberer  voll- 
zogen. Dieser  erscheint  behängt 
mit  Krokodilzähnen,  Vogelschnäbeln. 
Tierknochen,  Fetzen  von  Antilopen- 
fellen und  mit  dem  Medizinbeutel. 
Auch  die  Zauberwiirfel  hat  er  bei 
sich,  welche  Gutes  und  Böses,  Leben 
und  Tod  vorher  verkünden.  Die 
in  seinem  Beutel  befindliche  Medizin, 
ein  schwarzes  Pulver,  hat  er  vor- 
geblich weit  herholen  müssen;  die 
Würfel  haben  ihm  den  Weg  ge- 
zeigt. Nun  setzt  er  sich  keuchend 
nieder,  schüttet  die  Medizin  (molemo) 
in  etwas  Wasser  und  quirlt  beides 
bis  es  schäumt.  Dann  schmiert  er 
damit  dem  Kind  den  Kopf  ein 
und  rasiert  ihn  bis  auf  die  Mitte 
des  Schädels,  wo  ein  runder  oder 
ovaler  Büschel  stehen  bleibt  je 
nach  dem  Stamm,  dem  das  Kind 
angehört.  Hierauf  gibt  er  zu  der 
Flüssigkeit  Fett  und  Rötel  und  reibt 
mit  dieser  Mischung  den  stehen- 
bleibenden Haarbüschel  und,  wenn 
noch     genügend     vorhanden,     den 


ganzen     Körper 
Diese     Mischung 
d.  h.  Tracht,  oder 


Fig.    262. 

Deutsch 


Knaben-Haartracht  im   Urnguru-GebiTge, 
Ostafrika.     Von  den  Vätern  vom  hl.  Geist 
in  Knech tsteden. 


des  Kindes  ein. 
heißt  ,,servalo", 
das  was  getragen 
wird.  Sie  soll  auf  dem  Kopf  haften 
bleiben.  Reicht  sie  zur  Einsalbung 
des  Körpers  nicht,  so  bereitet  man 
in  der  Familie  selbst  eine  Salbe 
von  ,.letsoku"  (gemahlenem  Rötel) 
und   Fett,   womit   die   Mutter   dem 

Kind  Rumpf  und  Glieder  gehörig  einreibt.    Also  rotglänzend  wird  das  Basuto- 
Kind   allen   gezeigt   und   vom  Vater  geherzt. 

Der  Zauberer  erhält  als  Honorar  einen  Ziegenbock.  Kafferbier  steht  ihm 
schon  vor  der  Zeremonie  zur  Verfügung.  Bei  vermöglieheu  Leuten  richten 
einige  Zeit  nachher  die  „badimo"  (Götter?)  nachts  unter  dem  Vieh  Schaden 
an,  um  „Rache  zu  üben",  weshalb  nochmals  ein  Bock  geopfert  wird,  dessen 
Blut  der  Zauberer  zur  Verhütung  weiteren  Unglücks  verwendet  und  dessen 
Fleisch  er  ißt.  — 

Plofs   führte   die   ganze   Zeremonie   zugleich   als 
(vgl.  Kap.  XV).  - 

In  neuester  Zeit  schreibt  Minni  Cartwright  von  den  Basutos,  die  Haar- 
schur des  Neugebornen   finde   gewöhnlich   am   zweiten  Tag   nach   der  Geburt 


leidnische  Taufe"    an 


72         Kapitel  XXXV.  Haaroperationen  am  Kinde.     Das  Haar,  eiü  Bild  des  Lebens. 

statt;  der  „Doktor"  habe  aber  nur  dann  ein  Recht,  die  Zeit  zu  bestimmen, 
wenn  er  auch  zur  Geburt  gerufen  worden  sei.  —  Auch  hier  scheint  sich 
demnach  der  Begriff  des  Lebens  mit  dem  des  Haares  zu  verbinden.  - 

§  226.     Das  Schneiden   und  Rasieren   als   religiöser  Akt  bei  malayisch- 
polynesisclien  Völkern,  Japanern,  Dravida,  Mongolen  und  Indianern. 

Die  Hova  auf  Madagaskar  nehmen  die  Zeremonie  des  ersten  Haar- 
schneidens (fanalam-bolon-jazä)  vor,  wenn  das  Kind  einige  Monate  alt  ist. 
Auch  entfernt  lebende  Familienmitglieder  kommen  zu  diesem  großen  Fest  herbei. 

Viel  Vorsicht  ist  bei  der  Wahl  des  Haarschneiders  nötig;  denn  fällt  sie 
auf  einen,  dessen  Vater  schon  tot  ist,  so  wird  man  seinem  eigenen  Kind  durch 


Fig.  26:i  und  264.    Knabenhaartracht  in  Kigonsera,  Deutsoh-[Ojstafrika.    Aus  Wahrmeiettr 

„Vor  dem  Sturm". 


den  Tod  entrissen  und  muß  es  als  Waise  zurücklassen.  -  -  Die  Operation  beginnt 
mit  der  linken  Hälfte  des  Kopfes,  und  zwar  mit  dem  ..bösen  Haarbüschel" 
über  dem  linken  Ohr,  welchen  man  eiligst  samt  der  hierzu  gebrauchten  ver- 
wünschten Schere  an  der  Südseite  der  Hütte  wegwirft.  Dann  geht  es  zur 
rechten  Kopfhälfte.  Hier  steht  über  dem  rechten  Ohr  der  „gute  Haarbüschel", 
welcher  nun  abgeschnitten  und  in  einer  Reisschwinge  mit  Fleischstückchen 
aus  dem  I Imker  des  einheimischen  Ochsen  (Zebu  oder  Bos  indicus)  und  mit 
Knollen  des  Arum  esculentum  (saonjö)  vermischt  wird.  Diese  Mischung  wirft 
man  als  Talisman  für  glückliche  Geburten  unter  die  begierig  danach 
haschenden  Festgäste1). 

In    Indonesien   beeinflußt   der  Glaube   an   heilige  Zahlen   vielfach   das 
Haarschneiden,  Zahnfeilen  und  Durchbohren  der  Ohrläppchen2).    So  verwendet 


')    \i  "   wieder   Haar  und  Leben  in  enger   Beziehung  cedac 
'••:   Vgl.    Kap.   XXW1I. 


bt. 


§  226.  Das  Schneiden  u.  Rasieren  a.  religiöser  Akt  b.  rnalayisch-polynesischen  Völkern  usw.        7  3 

man  z.  B.  im  südlichen  Celebes  zur  Haarschur  der  Prinzen  ersten  Ranges 
3x7  Scheren;  abwärts  folgen  2x7,  1x7  und  eine  einzige  Schere.  Bei  der 
Bestimmung  des  Datums  spielt  die  Siebenzahl  eine  Rolle  auf  Sumatra;  die 
Dreizahl  auf  Bomeo  und  Ceram. 

Bei  den  Maori  auf  Neuseeland  bereitet  sich  die  Familie,  aus  welcher 
ein  Kind  der  ersten  Haarschur  unterworfen  werden  soll,  durch  Fasten  auf 
diesen  festlichen  Akt  vor.    Der  Großvater  des  Kindes  oder  ein  Tohunga  bringt 


Fig.  265.  Ein  katholisches  Pal auki ml.  (Deutsche 
Karolinen.)      Missions-Sekretariat  der  rheinisch- 
westfäl.    Kapuzinerprovinz    F.hrenbreitstein 
a.  Rh. 


Fig.  266.    EinPalaukiml.    (Deutsche  Karolinen.) 

Missionssekretariat  der  rheinisch-westfal.    Kapu- 

zinerprovinz  Ehrenblei  tst  ein  a.  Rh. 


die  Nacht  vorher  auf  einem  heiligen  Platze  zu.  Wenn  er  dann  am  darauf- 
folgenden Morgen  das  Kind  kommen  sieht,  singt  er: 

..Komm,  mein  Kind, 
Ich  will  schneiden 
Jedes  deiner  Haare 
Zur  Ehre  Tu's." 

Zum  Abschneiden  benützt  er  ein  Obsidianmesser,  worauf  ihm  vom  Vater  des 
Kindes  ein  Stock  aus  Poporokai-wiria  gereicht  wird,  mit  welchem  er  mittels 
Reibung  Feuer  erzeugt ]).  In  diesem  Feuer  verbrennt  er  das  Haar,  indem  er 
Verse  singt,  von  denen  uns  freilich  eine  nur  unklare  Übersetzung  vorliegt: 

,,Die  Ehre,  die  du  suchest,  mein   Sohn, 

Sie  kam  und  ist  nun  vorüber! 

Du  warst  geheiligt 

Und  bist  nun  gemein  (?). 

Die  Kückkehr  steht  dir  nun  frei! 

Hier  bin  ich,  mein  Sohn. 

Ich  habe  mich  erhoben. 

Ich  habe  empfangen, 

Ich  bin  befriedigt.'' 


i)  Wenn  diese  Erzeugung  des  Feuers  hier  das  Bild  der  menschlichen  Zeugung  ist, 
wie  es  bei  verschiedenen  Völkern  aufgefaßt  wird,  dann  sehen  wir  abermals  Haar  und  Leben 
in  enger  Verbindung. 


74        Kapitel  XXXVr.     Haaroperationen  am  Kinde.     Das  Haar,  ein  Bild  des  Lebens. 


Dabei  röstet  er  ein  Stück  Farnkrautwurzel,  berührt  mit  ihr  des  Knaben 
Kopf  und  Schultern  und  ißt  sie;  damit  schließt  die  Zeremonie. 

In  Japan  rasiert  man  den  Kindern  den  Kopf,  wenn  sie  30  Tage  alt 
sind,  worauf  sie  gereinigt  und  festlich  geschmückt  von  der  Mutter  in  den 
Tempel  getragen  werden.  Hier  opfert  sie  einige  Münzen  und  bringt  dem 
Familiengott  (?)  ihren  Dank  dar.  Dann  wird  das  Kind  den  Verwandten  gezeigt 
und  von  ihnen  beschenkt.  Vom  11.  Tag  des  11.  Monats  an,  der  wieder  feierlich 
begangen  wird,  rasiert  man  dem  Kind,  (wohl  nur  den  Knaben)  das  Haar  von 
gewissen  Stellen  des  Kopfes;  an  den  übrigen  läßt  man  es  wachsen  bis  zum 
15.  Jahre.  Dann  schneidet  ihm  der  Pate  die  vordere  Haarlocke  ab;  der  junge 
Japaner  wechselt  seinen  Namen  und  gilt  nun  als  heiratsfähig.  Die  Haarlocke 
wird  bis  zum  Tod  des  jungen  Mannes  aufbewahrt  und  dann  seiner  Leiche  mit 
in   den   Sarg   gegeben.     Sie   scheint 

Bild 


das 


des 


demnach    auch    hier 
Lebens  zu  sein. 

Im  (dravidischen?)  Malabar, 
südwestliches  Vorderindien,  wird 
die  Haarschur  bei  Knaben  mit  Exor- 
zismus verbunden.  Das  abgeschnittene 


Fig.  Ji'.r.    Ein  japanisches  Kind  wird  rasiert. 
Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


Fig.  268.     Kinderhaartracht    in    Japan.     Nach  einem 
Modell  im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


Haar   wird    dem    Dämon,    von   welchem   der   Knabe    besessen   sein    soll,    zur 
Besänftigung  geweiht. 

Die  (nicht-arischen)  Munda-Kolh  in  Nagpur,  Vorderindien,  verbinden 
den  ersten  Haarschnitt  mit  der  Aufnahme  des  Kindes  in  den  Stamm  und  mit 
den  Zeremonien  der  Reinigung  seiner  Mutter.  Zu  dieser  Gelegenheit  wird 
zunächst  das  Haus  gestöbert;  dann  opfert  man  dem  Singbona  ein  weißes  Huhn 
\uu\  sprengt  das  Opferblul  im  gereinigten  Haus  umher.  Hierauf  schneidet 
i  dem  Kind  etwas  Haar  von  der  Mitte  des  Kopfes  und  reibt  die  Stelle 
Opferblut  ein?), 

.    Mongolen   in  Canton,  verbinden,  ähnlich   den  Japanern, 

Rasieren  des  Kopfes  mit  dem  Dankfest  (Tschut-gut),  und  wie  diese, 

auch    die    Miaotse   den    3»>.  Tag   nach    der   Geburt    für   die    beiden 

ü   gleichen  Tag  geben  sie  dem  Kind  seinen  Namen.     Vom 

fchr  an  wird  nicht  mehr  der  ganze  Kopf,  sondern  nur  noch  die 

Seiten?)  rasiert  (Kröszyk). 


§  226.  Das  Schneiden  u.  Rasieren  a.  religiöser  Akt  b.  malayiseh-polynesischeu  Völkern  usw.        75 

In  der  Mongolei  ist  die  Haarschur  bei  jenen  Knaben,  welche  von  ihren 
Eltern  schon  im  zartesten  Alter  zu  Lamas  bestimmt  sind,  eine  Vorbereitung 
zu  ihrem  Stand  (Huc-Gabet). 

Im  alten  Guatemala  verbanden  die  Mayas  das  erste  Haarschneiden, 
sowie  die  ersten  Geh-  und  Sprechversuche  mit  Opfern,  Gastmählern  und 
Lustbarkeiten.  Das  abgeschnittene  Haar  wurde  verbrannt.  Da  zu  den  Tauf- 
zeremonien1) der  9 — 12  jährigen  Mayakinder  auch  das  Herausschneiden  eines 
Haarschmuckes  aus  Glasperlen  durch  den  amtierenden  Priester  gehörte,  und 
da  ferner  der  Priester  bei.  der  Taufe  den  Knaben  die  weißen  Baumwollbinden 
abnahm,  mit  welchen  ihnen  die  Mütter  bis  dahin  das  Haupthaar  zusammen- 
gehalten hatten,  so  ist  wohl  anzunehmen,  daß  die  Mayas  von  der  ersten  Haar- 
schur an  das  Haar  bis  zur  Taufe  wachsen  ließen,  daß  aber  das  Heraus- 
schneiden  des  Haarschmuckes   (mit   einem  Steinmesser)   bei  der  Taufe  seiner 


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Fig.    269.    Japanische  Kinderhaartrachten.    Nach  Modellen  im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


zweiten  Haarschur  gleichkam.  Auf  jeden  Fall  trugen  beide  Akte  religiösen 
Charakter. 

Die  alten  Mexikaner  (Nahua)  hielten  die  abgeschnittenen  Haare  so  hoch, 
daß  sie  sie  in  einem  schön  gearbeiteten,  mit  Götterbildern  bemalten  Kästchen  auf- 
bewahrten. Diese  Haare  stammten  von  der  ersten  und  letzten  Haarschur  des 
Kindes.  Die  erste  fand  am  Neugebornen,  die  letzte  an  der  Leiche  statt,  der 
man  nur  wenig,  und  zwar  vom  Scheitel  abschnitt.  Das  Haar  erinnerte  sie 
an  die  Seele,  den  Geburts-  und  Todestag  des  Kindes. 

Die  indogermanische  Patenschaft  des  Haarschneidens  hat  eine 
Parallele  auch  im  alten  Peru.  Die  Peruaner  des  Inkareiches  verbanden  die  erste 
Haarschur  mit  der  Namengebung  und  Entwöhnung  ihrer  zweijährigen  Kinder  (vgl. 
Kap.  „Namengebung").  Da  zur  Haarschur  und  Namengebung  des  Thronfolgers 
der  Hohepriester  aus  dem  Sonnentempel  Gevatter  stand,  und  da  zu  den 
üblichen  Geschenken  bei  der  dreifachen  Zeremonie  der  Haarschur,  Namen- 
gebung und  Entwöhnung  auch  Opfertiere  gehörten,  so  unterlag  zweifellos  auch 
hier  ein  religiöser  Gedanke. 


])  Siehe  Kap.  XV. 


7G        Kapitel  XXXV.     Haaroperationen  am  Kinde.     Das  Haar,  ein  Bild  des  Lebens. 

Alle  Verwandten  versammelten  sich  zu  diesem  Fest,  welches  bei  Kindern 
wohlhabender  Eltern  3—4  Tage,  bei  königlichen  Prinzen  und  Erstgebornen 
reiner  Rasse  volle  drei  Wochen  währte.  Der  Pate  mit  seinem  Feuermesser 
machte  den  ersten  Schnitt;  ihm  folgten  die  übrigen  Anwesenden  nach  Alter 
und  Würde,  wobei  jeder  seine  Geschenke  an  Opfertieren,  Waffen,  Kleidern, 
Trinkgefäßen,  kostbaren  Federbüschen  u.  a.  m.  übergab.  Die  Festfreude  kam 
in  Trinkgelagen,  Tanz  und  Gesang  zum  Ausdruck,  was  bis  in  die  Nacht  hinein 
währte. 

Haarschar  mit  Hinzuziehung  von  Paten  ist  ferner  bei  Völkern,  auf 
welche  der  folgende  Paragraph  zurückkommt,  nachgewiesen. 

Hier  sei  noch  ein  Seitenstück  zu  einigen  weiter  oben  erwähnten  Neger- 
völkern erwähnt:  Wie  diese,  so  überließen  auch  die  jetzt  ausgestorbenen 
Abiponer  in  Paraguay  die  erste  Haarschur  dem  Zauberer  (paje),  den  sie  schon 
einige  Stunden  nach  der  Geburt  eines  Kindes  herbeiriefen.  Der  Zauberer  schnitt 
dem  Neugebornen,  gleichviel  ob  Knabe  oder  Mädchen,  einige  Haare  am  Vorder- 
kopf ab  und  erhielt  dafür  ein  Geschenk.  — 

§  227.     Das   zeremonielle  Schneiden   und  Basieren   der  Kopfhaare   ohne 
nachgewiesene  religiöse  Bedeutung. 

Wie  so  manche  andere  Völker  im  vorigen  Abschnitt,  so  ziehen  auch  die 
transsylvanischen  Zeltzigeuner  zum  ersten  Haarschneiden  ihrer  Kinder 
einen  Paten,  oder  wie  von  Wlislochi  schreibt,  einen  Beistand  (koma)  hinzu. 
I  »ieser  gießt  dem  Kind  nach  der  Handlung  drei  Eier  von  einer  schwarzen 
Henne')  auf  den  frischgeschorenen  Kopf,  nachdem  der  Inhalt  der  Eier2)  in 
Salzwasser  aufgelöst  worden  ist.  In  Kap.  LI  wird  die  Haarschur  dieser  Zigeuner 
in  Verbindung  mit  dem  sogenannten  Mutterrecht  erwähnt,  d.  h.  es  wird  dort 
berichtet,  daß  ein  Witwer  nur  dann  noch  als  Mitglied  der  Sippe  seines  ver- 
storbenen Weibes  gilt,  wenn  er  zur  ersten  Haarschur  seines  Kindes  aus  zweiter 
Ehe  einen  Beistand  aus  jener  Sippe  nimmt.  Die  Haarschur-Patenschaft  hat 
also  beim  Zigeuner  mehr  bindende  Kraft  als  die  Vaterschaft;  denn  nicht  die 
in  der  Sippe  seines  Weibes  lebenden  Kinder  erster  Ehe  verbinden  ihn  nach 
dem  Tod  seiner  Gattin  mit  dieser  Sippe,  sondern  der  Haarschurpate  (vgl.  damit 
die  sehr  ähnliche  Auffassung  der  Serben  im  §  224).  Es  handelt  sich  bei  den 
transsylvanischen  Zeltzigeunern  vielleicht  um  den  Gedanken  der  geistigen 
\\  Ledergehurt  durch  die  Haarschur  und  um  deren  höheren  Wert  als  den  der 
leiblichen  (leburt.  — 

Von  den  alten  Kömern  wissen  wir,  daß  sie  den  ersten  Haarschnitt  mit 
der  Namengebung  verbanden.  — 

Im  alten  Ägypten  hing  die  Haarschur,  von  religiösen  Gelübden  ab- 
gesehen, auch  mit  Alter  und  Stand  zusammen.  Die  Knaben  im  allgemeinen 
schor  man  so.  daß  ihnen  mehrere  Haarbüschel  stehen  blieben,  wie  im  heutigen 
Ägypten,  Japan  und  China,  sowie  bei  gewissen  Negervölkern  (siehe  Fig.  2G2). 
Jugendliche  Prinzen  trugen  als  Zeichen  der  Kindheit  einen  einzigen  geflochtenen 
Eaarbüschel,  der  vom  Wirbel  ausging  und  hinter  dem  ( ihr  auf  den  Nacken  nieder- 
fiel. Eaivlinson  wies  auf  eine  Stelle  bei  Lucianus  Irin,  nach  welcher  in 
Ägypten  das  geflochtene  Haar  bis  zum  Eintritt  der  Mannbarkeit  ein  Zeichen 
der  freien  Geburl  der  Knaben  war.  während  in  Griechenland  das  geflochtene, 
zurückgekämmte   Haar  die  gegenteilige  Bedeutung  hatte.  --  Nach   Bawlinsov 


l)   [m  lien  mußten  ea  schwarze  Opfertiere  sein,    welche  in  gewissen  Notlagen, 

''■■   B.  bei  Du  irhörungen  bewirken  sollten.  —  Nach  Bachofen  war  sowohl  im  alten 

1  i    als    im   alte  □     schwarz    das  Bild    der    Fruchtbarkeit      —    Vielleicht, 

■  Licht    auch   niif  die   schöne,  aber  (und?)  schwarze   Braut    im  Hohen  Lied. 
-'   !'       Eier  als  Zeichen  des  L  bens  und  der  Fruchtbarkeit  sind  bekannt. 


§  227.  Das  zeremonielle  Schneiden  u.  Rasieren  d.  Kopfhaare  ohne  religiöse  Bedeutung.        7i> 


neuzeitlichen  China  findet  das  Basieren  bereits  nach  einem  Monate  statt. 
Freunde  und  Verwandte  werden  dazu  geladen  und  es  geht  dabei  so  hoch  her 
wie  bei  einer  europäischen  Taufe. 

Die  Siamesen  treiben  einen  wahren  Kult  mit  dem  Haar  ihrer  Kinder, 
das  sie  bei  drei-  oder  vierjährigen  so  rasieren,  daß  auf  dem  Scheitel,  etwas 
nach  vorn  zu,  ein  runder  Schopf  bleibt.  Diesen  Schopf  knüpft  man  in  einen 
Knoten,  welcher  bei  Armen  durch  einen  Stachel 
vom  Stachelschwein  zusammengehalten  wird; 
Wohlhabende  ersetzen  diesen  Stachel  mit  einer 
silbernen  oder  goldenen,  juwelenbesetzten  Nadel, 
l'in  den  Schopf  legen  sie  einen  Perlenkranz,  an 
den  Festtagen  einen  Kranz  aus  den  wohl- 
riechenden Blüten  der  weißen  „Liebesblume" 
der  Malaven.  Ja,  H.  Hillmann  schreibt,  dieser 
Haarbüschel  werde,  so  lange  er  auf  dem  Kopf 
des  Kindes  steht,  mit  großer  Ehrfurcht  be- 
handelt. Man  schneidet  ihn  unter  feierlichen 
Zeremonien  ab,  nachdem  das  Kind  12 — 13  Jahre 
alt  geworden  ist. 

Haarschur,  Patenschaft  und  Namengebung 
linden  wir  dann  wieder  bei  den  Antillen- 
Karaiben  des  17.  Jahrhunderts  miteinander 
verbunden.  Wenn  der  Karaibe  seine  strenge 
Fasten  vollendet  (vgl.  „Couvade")  und  weitere 
acht  Tage  hinter  sich  hatte,  dann  erbat  er  einen 
seiner  besten  Freunde  zum  Paten  seines  Sohnes, 
oder  eine  Freundin  zur  Patin  seiner  Tochter. 
Dem  Kind  sollte  am  Vorderkopf  etwas  Haar 
abgeschnitten  und  die  Ohrläppchen,  Nasen- 
löcher und  Unterlippe  durchbohrt  werden1).  Das 
leitete  man  durch  einen  Schmaus  ein.  Die  drei 
letzteren  Operationen  wurden  bei  sehr  schwäch- 
lichen Kindern  ein  Jahr  hinausgeschoben,  der 
Name  aber,  wie  schon  angedeutet,  am  Tag  des 
ersten  Haarschneidens  gegeben.  Den  Paten 
salbten  die  Eltern  aus  Dankbarkeit  den  Hals 
mit  Palmöl  (Du  Tertrc).  —  De  Rochefort  er- 
wähnte ein  Fest  des  Haarschneidens,  wenn  das 
Kind  etwa  2  Jahre  alt  geworden  war.  Die  ganze 
Familie  feierte  es'-'). 

Die  christlichen  Aymara-Indianer  in 
Bolivia  sehen  heutzutage  in  der  Haarschurfeier 
eine  willkommene  Gelegenheit  zur  Berauschung, 
wie  Ch.  X.  im  Globus  (Bd.  51)  schrieb.  Die 
Haarschur    wird    an    den    Säuglingen,    welche 

allerdings  3 — 4  Jahre  alt  sein  können,  vorgenommen.  An  dem  hierfür  be- 
stimmten Abend  versammeln  sich  die  Taufpaten  des  Kindes  mit  sonstigen 
Freunden  und  Verwandten  in  der  Hütte  der  Eltern,  die  sie  geladen  haben. 
Manchmal  erscheint  auch  der  Ortspfarrer.  In  der  Mitte  des  Baumes  steht 
auf  einem  gedeckten  Tisch  eine  silberne  Schale  mit  einer  Schere,  und  daneben 
eine  Flasche  Branntwein  und  ein  silberner  Becher. 


Fig.  272.    Haartracht  der  Kaia-Kaia 

in     Niederländisch  -  Neiigu  inea. 

Nach  H.  Nolten  im  „Anthropos"  IV,  608, 

Tafel  IV. 


i)  Vgl.  Kap.  XXXVII. 

-)  Vgl.  Rcnz,  Des  Indianers  Familie,  Freund   and  Feind,  S.  66. 


80        Kapitel  XXXV.     Haaroperationen  am  Kinde.     Das  Haar,  ein  Bild  des  Lebens. 

Zum  Beginne  der  Feier  schüttet  man  dem  Kind  einen  tüchtigen  Schluck 
Branntwein  ein  und  zwingt  es  trotz  seinem  mörderischen  Geschrei,  einen 
Mund  voll  Kokosblätter  zu  kauen.  Dann  reichen  die  Eltern  dem  Angesehensten 
unter  den  Gästen  einen  Becher  voll  Branntwein,  damit  er  das  Haarabschneiden 
vornehme.  Der  Mann  leert  den  Becher  und  spricht:  „Im  Namen  des  Vaters, 
•des  Sohnes  und  des  hl.  Geistes.  Sei  ein  guter  Christ  und  gehorsamer  Sohn: 
sei  arbeitsam  und  reich,  besitze  viele  Schafe,  Ochsen  und  Lamas.1'  Hierauf 
schneidet  er  einen  Büschel  Haare  ab  und  legt  ihn  mit  einem  Goldgeschenk 
in  die  Schale.  Nach  ihm  wiederholen  die  übrigen  Festgäste  die  gleiche 
Zeremonie  und  bringen  je  nach  ihren  Verhältnissen  ihre  Geldspenden  dar. 
Sind  15—20  Taler  beisammen,  so  kauft  man  dafür  Spirituosen  und  veranstaltet 
ein  lärmendes  Gelage,  bei  welchem  unter  den  Klängen  von  Saiteninstrumenten 
und  Pfeifen  ein  Rundtanz  aufgeführt  wird.  Das  Ganze  endet  mit  der  Morgen- 
dämmerung und  allgemeinen  Räuschen.  — 


§  228.    Varia. 

Außer  den  im  vorliegenden  Kapitel  bisher  referierten  Mitteilungen  von 
Bräuchen  und  Anschauungen  liegen  uns  einige  andere  vor,  welche  in  den 
Rahmen  weder  des  einen  noch  des  anderen  Abschnittes  passen,  nichtsdesto- 
weniger aber  ein  wissenswerter  Beitrag  zu  diesem  Kapitel  genannt  werden 
können.  Was  darin  unklar  ist.  harrt,  wie  so  vieles  andere,  einer  zukünftigen 
Klärung;  vielleicht  ergänzt  das  eine  oder  andere  gewisse  Erscheinungen  der 
vorhergehenden  Paragraphen. 

Beim  Volk  Israel  galt  einerseits  das  ungeschorne  Haar  als  Zeichen, 
daß  der  Träger  Gott  gelobt  ist.  Im  vierten  Buch  Moses,  Kapitel  6,  ist 
Männern  und  Weibern,  welche  sich  dem  Herrn,  als  Nasiräer,  auf  eine  be- 
stimmte Zeit  weihen,  vorgeschrieben,  es  soll  während  dieser  Zeit  kein  Scher- 
messer  über  ihr  Haupt  kommen.  —  Kleine  Kinder  wurden  ausdrücklich  mit 
Einschluß  dieses  äußeren  Zeichens  Gott  gelobt.  Ein  Beispiel  hierfür  ist 
Samuel,  dessen  anfangs  unfruchtbare  Mutter  ihn  mit  dem  Gelübde  erflehte, 
wenn  Jehova  ihr  einen  Sohn  schenke,  so  wolle  sie  ihn  ihm  geben  alle  Tage  seines 
Lebens,  ..und  kein  Schermesser  soll  über  sein  Haupt  kommen"  (1.  Samuel  1.  II)1). 

Andererseits  ist  bei  4.  Mos.  8,  7  die  Enthaarung  des  ganzen  Körpers  als 
Reinigungszeremonie  bei  der  Levitenweihe  vorgeschrieben.  Ob  es  sich  hier 
auch  um  das  Haupthaar  handelt,  ist  unklar.  Übrigens  glaube  ich,  daß  4.  Mus. 
0,  18  und  19  ein  Haaropfer  zu  Ehren  Jehovas  enthält,  welches  der  Nasiräer 
am  Abschluß  seiner  Weihezeit  neben  anderen  Gaben  darbringt:  „Dann  schere 
der  Nasiräer  an  der  Tür  des  Versammlungszeltes  sein  geweihtes  Haupt;  und 
nehme  das  Haar  seines  geweihten  Hauptes,  und  werfe  es  in  das  Feuer, 
das  unter  dem  Dankopfer  ist."  (Dieses  Dankopfer  bestand  aus  einem  fehler- 
losen Widder  und  ungesäuertem  Brot  mit  Öl  Übergossen,  bzw.  bestrichen.)  — 

Rasieren  des  Kindskopfes  als  Volksbrauch  ohne  Angabe  der  dabei 
beobachteten  Zeremonien  ist  mir  von  den  Negern  der  Goldküste  bekannt, 
welche  dabei  so  vorgehen,  daß  das  stehenbleibende  Haar  geometrische  Figuren 
bildet  l  1  ortisch). 

Die  Batak  lassen  an  einer  beliebigen  Stelle  einen  Busch  oder  Kranz  von 
Haaren  stehen;  das  übrige  wird  wegrasiert,.  Die  Ansicht  Frhr.  von  Brennen, 
daß  hierbei  Reinlichkeit  und  Förderung  des  Haarwuchses  maßgebend  seien, 
dürfte  nach  einer  Vergleichung  der  tieferen  Bedeutung  der  Haaroperationen 
bei  anderen  Völkern  kaum  ausreichend  begründet  sein. 


l)  Vgl.  indessen  die  Haarschur  am  ganzen  Körper  bei  Einweihung  der  Leviten  4.  Mos.  8,  7. 


§  228.     Varia.  81 

Ausraufen  der  Kopfhaare  berichtete  Spix  von  den  Tecunas-Indianern 
am  oberen  Solimoes.  Brasilien.  Diese  Handlung  findet  am  Neugebornen 
statt  und  ist  mit  einem  wilden  Fest  verbunden,  dessen  Teilnehmer  groteske 
Masken  tragen,  welche  Tiere  des  Waldes  darstellen. 

Ausreißen  der  Augenwimpern  berichtete  Rechenow  aus  Kamerun. 
Dieser  Operation  werden  hauptsächlich  die  Mädchen  unterworfen ;  sie  sei  wahr- 
scheinlich an  der  dort  häufigen  Augenentzündung  schuld. 

Die  Pima-Indianer  in  Mexiko  unterwarfen  im  18.  Jahrhundert  ihre 
f> — 12  Monate  alten  Kinder  der  gleichen  Operation,  gingen  aber  in  der  Grausam- 
keit noch  weiter,  d.  h.  sie  erweiterten  die  Löchlein  mit  einem  spitzen  Dorn 
und  rieben  gestoßene  Kohle  hinein.  Die  dabei  gebräuchlichen  Paten  siehe 
in  Kapitel  XXXV IL 

Die  Andaman-Insulaner  im  Bengalischen  Meerbusen  scheren  ihre 
Kinder  am  Morgen  nach  dem  Tage  der  Geburt.  Fände  die  Schur  am  ersten 
Tage  statt,  dann  zöge  sie  dem  Kind  den  Tod  herbei  (Jagor). 

Die  Todas  im  Nilgiri-Gebirge,  südliches  (nichtarisches)  Vorderindien, 
scheren  ihre  Neugebornen  beiderlei  Geschlechts  nach  1  —  2  Monaten.  Bei  den 
Mädchen  wird  die  Schur  bis  zum  12.  Jahr  wiederholt  unternommen,  wobei 
nur  ein  drei  Finger  breiter  Streifen  über  der  Stirn  stehen  bleibt.  Erst  vom 
12.  Jahr  an  darf  das  Haar  lang  wachsen  (derselbe). 

Die  Nair  in  Malabar  warten  mit  der  ersten  Haarschur,  bis  ihre  Söhne 
und  Töchter  3 — 5  Jahre  alt  geworden  sind  (derselbe).  — 

Schließlich  mögen  hier  noch  zwei  Formen  des  Aberglaubens  erwähnt 
werden,  die  sich  im  bayrischen  Schwaben  und  in  der  deutschen  Schweiz 
erhalten  haben :  Hier  wird  das  Haar  grauslockig,  wenn  man  es  zum  erstenmal 
im  Zeichen  des  Widders  schneidet;  im  Zeichen  des  Löwen  wird  es  grau.  Im 
bayrischen  Schwaben  darf  das  Haar  nicht  beim  abnehmenden  Mond  ge- 
schnitten werden,  soust  wächst  es  nicht  mehr.  — 


Ploß-Renz,  Das  Kind.     S.  Aufl.    Band  H. 


Kapitel  XXXVI. 

Operationen  am  Kindesschädel. 

§  229.  Wie  die  höchststehenden  Kulturvölker  der  Jetztzeit  von  der 
Mode  des  Korsetts,  so  werden  und  wurden  niedererstehende  Völker  von  der 
Mode  der  Sehädelverbildung  beeinflußt.  Aber  auch  einzelne  Völker  der  höchsten 
Kulturstufen  huldigen  ihr.  Man  will  und  Wollte  den  Kopf  des  Kindes  nicht 
lassen  wie  er,  vou  der  Natur  gebildet,  ans  dem  Mutterschoße  kam,  sondern 
glaubt  und  glaubte,  ihm  durch  mechanische  Eingriffe  eine  schönere  Form  geben 
zu  sollen. 

Diese  merkwürdige  Auffassung  findet  sich  meines  Wissens,  mit  Aus- 
nahme der  Völkergruppe  mit  isolierenden  Sprachen,  deren  bekanntester  Zweig 
die  Chinesen  sind1),  i»  allen  übrigen  Völkerfamilien  der  Erde,  wenn  auch 
nicht  bei  allen  ihren  Zweigen. 

Der  Modegeschmack  der  Völker  in  dieser  Hinsicht  kann  im  Verhältnis 
zu  dem  geographisch  weiten  Gebiet  der  künstlichen  Deformation  nicht  sehr 
produktiv  genannt  werden,  was  sich  allerdings  einigermaßen  von  selbst  erklärt, 
wenn  man  an  die  beschränkte  Oberfläche  des  Schädels  und  an  seine  relative 
[Jnbildsamkeit  denkt. 

Als  zwei  Hauptformen  werden  im  vorliegenden  Kapitel  wohl  zunächst 
die  I. angköpfe  und  die  Rundköpfe  zu  unterscheiden  sein,  welche  als  künstliche 
Gebilde  zuweilen  aber  auch  bei  ein  und  demselben  Volke  nebeneinander  nach- 
weisbar sind.  z.  B.  in  Frankreich  und  in  der  Schweiz.  Jedenfalls  finden  sie 
sich  innerhalb  der  einen  oder  andern  Völkerfamilien  beisammen,  z.  B.  in  der 
indo-europäischen.  — 

Diese  beiden  Hauptformen  treten  dann  wiederum  unter  verschiedenen 
Modifikationen  auf:  keil-,  kegel-,  zuckerhut-,  walzen-  oder  zylinderförmig,  auf 
einer  oder  beiden  Seiten  abgeplattet,  breite  oder  abgeplattete  Stirne,  monströs 
zurückgeschobenes   Hinterhaupt,  künstlicher  Prognathismus  usw. 

Als  Mittel  zur  Schadeldeformation  finden  wir  Streichen  und  Drücken 
mit  den  Bänden,  straff  angezogene  Haarbänder2),  enganschließende  Hauben  mit 
und  ohne  besondere  Preßapparate  aus  Metall  oder  einem  andern  widerstands- 
fähigen Material.  Kompressen  aus  Baumrinden,  getrocknete  Formen  aus  Erde 
oder  Töpferton,  Saudsäckchen,  Stofflappen  mit  aufgenähten  Strohhalmen,  ein 
oder  zwei  Bretter,  auf  welches  bzw.  zwischen  welche  der  Kopf  gepreßt  wird, 
kahnförmige  Wiegen  mit   Koinpressionsapparaten  u.  a.  m. 

Die  Zeitdauer,  während  welcher  das  Kind  dieser  Tortur  unterworfen 
wird,    variier!    zwischen   einigen  Tagen    und    der   ganzen    Jugendzeit   bis    aar 


')  l ;t.ri<,'.-ns   scliriili   Floß   (2.  Aull.  1.  :s-JH).    Gosse  habe   behauptet,   die   „Siamesen" 
Sehädelverbildung  dumm  und  grausam.     Demnach  hätte  auch  die  Vöikergruppn 
Sprachen  diesen    Brauch  aufzuweisen. 
'■'    A'M'h  angewollte  Vorbildungen  sind  auf  solche  Haarbänder  zurückzuführen  (Schiig). 


§  229.     Operationen  am  Kindesschädel.  83 

Verheiratung.  Das  letzte  Extrem  finden  wir  merkwürdigerweise  im  neuzeit- 
lichen Frankreich. 

Immer  aber  scheint  der  Beginn  der  Operation  mit  der  zartesten 
Kindheit  zusammenzufallen. 

Die  mir  bekannte  Motivierung  der  Deformation  lautet  meistens  auf 
Schönheit.  Neben  oder  statt  ästhetischen  Gründen  und  Zwecken  begegnen 
wir  aber  auch  praktischen  und  religiösen.  Der  religiöse  Charakter  ist  besonders 
deutlich  in  den  Berichten  aus  dem  alten  Mexiko  ausgedrückt.  Hier  finden 
wir  ferner  die  Anschauung,  daß  die  Zeremonie  der  Schädelpressung  das 
Wachstum  des  Kindes  befördere.  Wahrscheinlich  ist  diese  Anschauung  eng 
mit  der  Feier  der  Zeremonie  am  Feste  des  Feuergottes,  als  apotheosierte 
Fruchtbarkeit,  verknüpft.  Ferner  dient  die  Deformation  als  Zeichen  der  vor- 
nehmen Geburt  und  des  reinen  Stammblutes,  bzw.  des  Rassenuuterschiedes. 

Bei  den  meisten  der  in  diesem  Kapitel  eingeführten  Völkern  begegnet 
uns  die  Deformation  als  Begel;  bei  den  wenigsten  als  Ausnahme. 

Eine  Benachteiligung  der  intellektuellen  Fähigkeiten  und  des  körperlichen 
Gedeihens  durch  die  Schädelverbildung  ist  bisher,  allgemein  gesprochen,  nicht 
stichhaltig  nachgewiesen  worden.  Wohl  gibt  es  Völker,  welche  diesem  Brauch 
huldigen  und  als  wenig  bildungsfähig  gelten;  allein  andere  Völker  mit  dem 
gleichen  Brauch  sind  im  Kuf  intellektuell  höher  zu  stellen,  als  ihre  Nachbarn, 
welche  ihren  Schädeln  die  natürliche  Form  lassen.  Beispiele  hierfür  finden  sich 
in  den  folgenden  Abschnitten  dieses  Kapitels.  Ebenso  finden  sich  hier  auch  Be- 
lege dafür,  daß  künstliche  Schädeldeformation,  von  den  Ausnahmsfällen  bei 
den  alten  Maya-Völkern  abgesehen,  die  Kindersterblichkeit  nicht  erhöht,  und 
daß  Völker  mit  diesem  Brauch  trotzdem  zu  den  kräftigsten  und  stattlichsten 
Völkern  der  Erde  gehören.  Freilich  wird  auch  in  diesem  Punkte  zu  bedenken 
sein,  daß  der  Überschuß  an  Körperkraft,  welchen  der  Barbar  und  Halbbarbar 
in  sich  trägt,  und  die  verhältnismäßig  geringen  Anforderungen,  welche  die 
Kultur  seines  Volkes  an  seinen  Geist  stellt,  zwei  Faktoren  sind,  welche  den 
Einfluß  der  Schädelverbildung  wohl  eher  neutralisieren  können,  als  es  einem 
Kulturmenschen  Europas  möglich  sein  dürfte.  Wenigstens  schrieb  Ploß1)  mit 
einem  Hinweis  auf  Broca'-).  daß  in  Frankreich  eine  Prädisposition  zu  Geistes- 
krankheiten in  Gegenden,  wo  tSchädelverbildung  gebräuchlich  ist,  vorzuherrschen 
scheine.  Auch  haben  Forille,  Delaye  und  Lunier  ihrerzeit  an  vielen  Geistes- 
kranken in  französischen  Irrenhäusern  künstliche  Schädelverbildung  bemerkt. 
Der  letztere  Punkt  beweist  allerdings  unter  einer  Bevölkerung,  welche  diesem 
Brauch  im  allgemeinen  huldigt,  nicht,  daß  gerade  bei  diesen  Individuen  die 
Geisteskrankheit  von  der  Schädelverbildung  herrühre,  sonst  müßte  die  gleiche 
Ursache  auch  bei  den  auderu  die  gleiche  Wirkung  haben. 

Übrigens  möchte  ich  meinen  Lesern  nicht  vorenthalten,  was  Ploß  im 
Hinweis  auf  Rüdinger,  Broca  und  Ecker  über  die  Einwirkung  der  Schädel- 
verbildung auf  die  Physiologie  und  Anatomie  des  Gehirns  schrieb:  Wenn  ein 
Druck  auf  den  Kopf  nur  an  einzelnen  Stellen  stattfindet,  dann  ist  für  das 
Gehirn  die  Möglichkeit  gegeben,  nach  druckfreien  Seiten  hin  auszuweichen, 
und  dieses  kann  um  so  leichter  ohne  hochgradige  Beeinträchtigung  der  Gehirn- 
funktion  geschehen,  wenn  der  Druck  einseitig,  allmählich  und  nicht  allzu  stark 
ist.  .Ie  allseitiger  und  je  intensiver  aber  der  Kopf  gedrückt  wird,  um  so  mehr 
muß  das  Wachstum  des  Gehirns  uud  des  Schädels  leiden.  ,.Ohne  Nachteil  für 
die  Intelligenz,"  meinte  Rüdinger,  ,.kann  die  starke,  mehrere  Jahre  fortgesetzte 
Kompression  schon  deshalb  nicht  sein,  weil  die  normale  Füllung  der  Gefäße 
des  Gehirns  mit  Blut  und  die  hiervon  abhängige  Ernährung  desselben  nicht 
unbehindert  vor  sich  gehen  kann."  — 


')  2.  Aufl.  I.  329. 

*)  Broca  im  Bulletin  de  la  soc.  anthr.  1879,  p.  417. 

6* 


84.  Kapitel  XXXVI.     Operationen  am  Kindesschädel. 

Tatsächliche  anatomische  Veränderungen  des  Gehirns  durch  künstliche 
Schädelverbildung  sind  in  Frankreich  an  einem  62jährigen  Mann  aus  Albi 
und  an  einer  Frau  aus  Toulouse  nachgewiesen  worden:  »Starke  Ver- 
wachsung der  harten  Hirnhaut  mit  dem  Schädel,  bedeutende  Abflachung  der 
Stirnlappen  und  starke  Reduktion  der  Scheitellappen  in  ihrem  äußeren  und 
oberen  Teil.  — 

Wie  schon  oben  bemerkt,  beginnen  die  Völker  mit  der  Schädelverbildung 
im  zartesten  Alter  ihrer  Kinder:  Einzelne  schon  am  Tag  der  Geburt;  die 
übrigen  bald  darauf.  Die  Schädelknochen  des  Neugebornen  sind  ja  auch 
elastisch  und  untereinander  noch  nicht  verwachsen.  Zwischen  diesen  Knochen 
befinden  sicli  die  Nähte  und  Fontanellen,  d.  h.  Streifen  und  Stellen,  an  welchen 
die  Knochensubstanz  noch  fehlt.  Diese  Elastizität  und  Verschiebbarkeit  der 
Knochen  zusammen  ermöglichen  eine  Formveränderung  durch  andauernden 
Druck.  Dauert  dieser  Druck  so  lange  bis  die  Schädelknochen  ihre  spätere 
Festigkeit  erlangt  und  die  Nähte  und  Fontanellen  durch  Ansatz  von  Knochen- 
substanz sich  geschlossen  haben,  dann  behält  der  Schädel  jene  Eindrücke 
und  Ausgleichungen,  welche  durch  den  mechanischen  Druck  herbeigeführt 
worden  sind. 

Eine  entscheidende  Antwort  auf  die  Frage  nach  dem  Ursprung  dieses 
Brauches  und  nach  den  Wegen,  auf  welchen  er  sich  ausgebreitet  hätte,  wenn 
der  Ursprung  ein  einheitlicher  gewesen  wäre,  ist  heute  noch  ebenso  unmöglich 
wie  zu   Virchows  Zeh,  der  schrieb: 

Wenn  wir  das  Gebiet  dieser  Deformitäten  sich  so  weit  über  die  Erde 
erstrecken  sehen,  so  wird  man  sich  wohl  darein  finden  müssen,  anzunehmen, 
daß.  durch  eine  gewisse  Übereinstimmung  des  menschlichen  Geistes,  wie  sie 
uns  auch  sonst  oft  genug  überrascht,  derartige  Gebräuche  sich  an  den  ver- 
schiedensten Orten  festgestellt  haben,  ohne  daß  man  daraus  Folgerungen 
auf  einen  direkten  Zusammenhang  der  Völker  ziehen  darf,  und  ohne  daß  man. 
was  meiner  Meinung  nach  das  Wichtigste  ist.  von  dem  Vorkommen  gewisse] 
Schädeldeformitäten  berechtigt  ist.  auf  die  Abstammung  der  Völkerschaften 
und  auf  prähistorische  Wanderungen  derselben  zurückzuschließen. 

Virchow  spricht  damit,  wenn  auch  nicht  formell,  seine  Übereinstimmung 
im!  den  hypothetischen  „Elementargedanken"  aus.  —  Übrigens  glaubte  Virchow, 
den  Brauch  der  künstlichen  Schädeldeformation  von  zufälligen  Defor- 
mationen herleiten  zu  können,  welche  durch  die  Lage  des  Kindes  im  Mutter- 
schoß herbeigeführt  werden1)-  Nach  seiner  Erfahrung  werden  „nicht  ganz 
wenige"  Kinder  mit  auffälligen  Druckwirkungen  am  Schädel  geboren.  Solche 
Druckwirkungen  können  durch  den  Widerstand  der  Beckenknochen  oder  ge- 
wisser  Teile  des  Köms  selbst,  oder  eines  Zwillingskindes  verursacht  werden. 
Schädelveranstaltungen  werden  auch  während  der  Geburt  herbeigeführt;  andere 
wieder  sind  erblich,  oder  pathologisch.  Auch  lang  dauernde  Rückenlage, 
besonders  bei  harter  Unterlage,  wie  sie  nicht  nur  in  den  folgenden  Abschnitten 
dieses  Kapitels,  sondern  auch  in  den  Kapiteln  XIII  und  NIV  des  L.Bandes 
childert  ist.  führen  beim  zarten  Kind,  auch  unbeabsichtigt.  Schädeldeforniation 
herbei,  und  können  so  den  ersten  Anstoß  zur  absichtlichen  Verbindung  gegeben 

haben. 

Mehr  als  den  Wert  einer  Hypothese  hat  dieser  Erklärungsversuch 
aber,  wie  gesagt,  nicht.  — 

unvergleichlich  weniger  Material  als  über  die  hier  angedeuteten  Schädel- 
verbildungen liegt  mir  über  die  Schädeldurchlöcherung  (Trepanation) 
vor.  Ein  Überblick  über  dieses  ist  in  §  *32  so  leicht,  daß  ich  hier  davon 
absehen  kann.  — 


Zeitschrift  für  Ethnologie.  Berlin   1892,  24.  Jahrg.     Supplement,  S.  51.  und  20 f. 


§  230.    Die  künstliche  Schädelverbildung  bei  Völkern  der  alten  Welt  und  bei  den  Eskimos.        85 

§  230.     Die   küustliche   Schädelverbildung  bei  Völkern   der   alten  Welt 

und  bei  den  Eskimos. 

In  Bannu,  nordwestliches  Britiscb-Indien,  sind  breite  Stirnen  sehr 
beliebt.  Um  nuu  ihren  Kindern  diesen  Vorzug  zu  versebaffen,  legen  die  Mütter 
ihren  Neugebornen  Tonformen  auf  und  betten  den  Körper  des  Kindes  höher 
als  den  Kopf,  um  so  den  Druck  gegen  das  Gehirn  zu  vermeinen  (Krebel). 

Die  Hebammen  der  Armenier  im  transkaukasischen  Gouvernement 
Eriwan  suchen  dem  Neugebornen  den  Kopf  nach  ihren  Schönheitsbegriffen 
dadurch  zu  bilden,  daß  sie  ihm  vom  15.  Lebenstag  an  nach  jedem  Bad  mit 
der  rechten  Hand,  vorsichtig  drückend,  vom  Nacken  über  den  Scheitel  fahren, 
wobei  sie  mit  der  linken  Hand  den  Unterkiefer  des  Kindes  stützen.  Ähnliches 
geschieht  bei  den  dortigen  Kurden  und  Tatareu. 

Ebenso  drücken  die  russischen  Hebammen  und  Badefrauen  dem  Neu- 
gebornen am  dritten  Tag  den  Kopf  von  allen  Seiten,  um  ihm  die  richtige 
Form  zu  geben,  wie  sie  meinen  (Krebel). 

Die  Thraker  und  Mazedonier  hatten,  wie  der  römische  Arzt  Soranuä 
im  Jahre  100  n.  Chr.  schrieb,  die  Gewohnheit,  ihre  Kinder  auf  ein  Brett  zu 
binden,  damit  Hinterkopf  und  Nacken  breit  würden. 

Nach  Seobel  gehören  die  Thraker  und  „wohl  auch  die  Mazedonier"  zur 
westlichen  Abteilung  der  indoeuropäischen  Völker.  —  Die  Grenzen  der  Gebiete 
beider  Völker  haben  im  Laufe  der  Jahrhunderte  stark  geschwankt.  Herodot 
erwähnte  die  Thraker  als  eines  der  größten  Völker  des  südöstlichen  Europas. 
Zur  Zeit  des  kaiserlichen  Korns,  also  auch  zur  Zeit  des  Soranus,  war  aber 
bereits  der  Hämus  (Balkan)  thrakische  Nordgrenze;  südwestlich  lag  und 
liegt  Mazedonien.  Somit  ist  durch  die  obige  Mitteilung  des  Soranus  künstliche 
Umgestaltung  des  Schädels  auf  der  Balkanhalbinsel,  und  zwar  bei  Indo- 
Enropäern,  nachgewiesen. 

Zur  indo-europäischen  Völkerfamilie,  und  zwar  zur  germanischen 
Gruppe,  gehörten  feiner  die  Cimbern.  Als  Cimbern-Schädel  aber  konstatierte 
Brocii  sechs  künstlich  deformierte  Schädel,  welche  in  den  siebziger  Jahren 
des  19.  Jahrhunderts  in  Transkaukasien1),  bei  Tiflis,  Gouvernement 
Grusien,  gefunden,  von  u.  Barr  als  Avarenscbädel  erklärt  uud  von  Bayern 
Iberern  zugesprochen  worden  sind. 

Die  Iberer  oder  Basken  sind  nach  den  neuesten  Forschungen  Heinrich 
WinJclers2)  zu  den  sogenannten  Kaukasus-Völkern  zu  rechnen;  die  Avaren 
aber  sind  ein  Turkstamm,  also  Dral-Altaien.  Auf  beide  komme  ich  später 
zurück.  Indessen  sei  bemerkt,  daß  man  auch  in  Niederösterreich  künstlich 
deformierte  Schädel  fand,  welche  man  als  „Avarenscbädel-1  bezeichnete,  die 
aber  nach  neueren  Untersuchungen  Germanenschädel  sind.  Es  ist  das  der 
im  Jahre  182(>  zu  Feuersbrunn,  Herrschaft  Gravenegg,  und  der  im  Jahre 
1840  in  Atzgersdorf  bei  Wien  gefundene  Schädel,  von  denen  -4.  Schliz 
schreibt,  ihre  ethnische  Zugehörigkeit  sei  durch  keine  Beigaben  belegt  und 
sii  schlössen  sich  somalisch  den  in  germanischen  Gräbern  gefundenen  Schädeln 
an.  Zu  diesen  gehört  ein  deformierter  Schädel,  welcher  schon  im  18.  Jahr- 
hundert in  Göttingen  gefunden  wurde;  feiner  der  bei  Niederolm  zwischen 
Mainz  und  Alzey  in  einem  fränkischen  Totenfeld  entdeckte  Frauenschädel. 
Undenschmit  hatte  die  Gräber  dieses  Totenfeldes  als  merovingisch  erklärt, 
und   J'ln/i  sah  darin  einen  Beweis,   daß  unter  den  Franken  jener  Zeit,  wenn 

1)  Die  wichtige  Holle,  welche  der  Kaukasus  als  Fundort  verbildeter  Schädel  in 
diesem  Abschnitte  spielt,  legte  eine  Abweichung  in  der  in  diesem  Werke  regelmäßig  einge- 
haltenen Reihenfolge  der  Völker  nahe.  Somit  folgen  hier  die  Ural- Altaien  in  ihren  turk- 
tatarischen  Zweigen  unmittelbar  auf  die  Ind  oeuropäer. 

2)  Das  Baskisehe  und  der  vorderasiatische  mittelländische  Völker-  und  Kulturkreis. 
Breslau  1909. 


3-i  Kapitel  XXXYL     Operationen  am  Kiudesschädel. 

Tatsächliche  anatomische  Veränderungen  des  Gehirns  durch  künstliche 
Schädelverbildung  siud  in  Frankreich  an  einem  62jährigen  Mann  aus  Albi 
und  an  einer  Frau  aus  Toulouse  nachgewiesen  worden:  Starke  Ver- 
wachsung der  harten  Hirnhaut  mit  dem  Schädel,  bedeutende  Abdachung  der 
Stirnlappen  und  starke  Reduktion  der  Scheitellappen  in  ihrem  äußeren  und 
oberen  Teil.  — 

Wie  schon  oben  bemerkt,  beginnen  die  Völker  mit  der  Schädelverbildung 
im  zartesten  Alter  ihrer  Kinder:  Einzelne  schon  am  Tag  der  Geburt;  die 
übrigen  bald  darauf.  Die  Schädelknochen  des  Neugebornen  sind  ja  auch 
elastisch  und  untereinander  noch  nicht  verwachsen.  Zwischen  diesen  Knochen 
befinden  sich  die  Nähte  und  Fontanellen,  d.  h.  Streifen  und  Stellen,  an  welchen 
die  Knochensubstanz  noch  fehlt,  Diese  Elastizität  und  Verschiebbarkeit  der 
Knochen  zusammen  ermöglichen  eine  Formveränderung  durch  andauernden 
Druck.  Dauert  dieser  Druck  so  lange  bis  die  Schädelknochen  ihre  spätere 
Festigkeit  erlangt  und  die  Nähte  und  Fontanellen  durch  Ansatz  von  Knochen- 
substanz sich  geschlossen  haben,  dann  behält  der  Schädel  jene  Eindrücke 
und  Ausgleichungen,  welche  durch  den  mechanischen  Druck  herbeigeführt 
worden  sind. 

Eine  entscheidende  Antwort  auf  die  Frage  nach  dem  Ursprung  dieses 
Brauches  und  nach  den  Wegen,  auf  welchen  er  sich  ausgebreitet  hätte,  wenn 
der  Ursprung  ein  einheitlicher  gewesen  wäre,  ist  heute  noch  ebenso  unmöglich 
wie  zu   Virchows  Zeit,  der  schrieb: 

Wenn  wir  das  Gebiet  dieser  Deformitäten  sich  so  weit  über  die  Erde 
erstrecken  sehen,  so  wird  man  sich  wohl  darein  finden  müssen,  anzunehmen, 
daß  durch  eine  gewisse  Übereinstimmung  des  menschlichen  Geistes,  wie  sie 
uns  auch  sonst  oft  genug  überrascht,  derartige  Gebräuche  sich  an  den  ver- 
schiedensten Ort  (Mi  festgekeilt  haben,  ohne  daß  man  daraus  Folgerungen 
auf  einen  direkten  Zusammenhang  der  Völker  ziehen  darf,  uud  ohne  daß  man. 
was  meiner  Meinung  nach  das  Wichtigste  ist,  von  dem  Vorkommen  gewisser 
Schädeldeformitäten  berechtigt  ist,  auf  die  Abstammung  der  Völkerschaften 
und  auf  prähistorische  Wanderungen  derselben  zurückzuschließen. 

Virehow  spricht  damit,  wenn  auch  nicht  formell,  seine  Obereinstimmung 
mit  den  hypothetischen  „Elementargedanken"  aus.  —  Übrigens  glaubte  Virehow, 
den  Brauch  der  künstlichen  Schädeldeformation  von  zufälligen  Defor- 
mationen herleiten  zu  können,  welche  durch  die  Lage  des  Kindes  im  Mutter- 
schoß herbeigeführt  werden1).  Nach  seiner  Erfahrung  werden  „nicht  ganz 
wenige"  Kinder  mit  auffälligen  Druckwirkungen  am  Schädel  geboren.  Solche 
Druckwirkungen  können  durch  den  Widerstand  der  Beckenknochen  oder  ge- 
wisser Teile  des  Fötus  selbst,  oder  eines  Zwillingskindes  verursacht  werden. 
Schädelverunstaltungen  werden  auch  während  der  Geburt  herbeigeführt;  andere 
wieder  sind  erblich,  oder  pathologisch  Auch  lang  dauernde  Rückenlage, 
besonders  bei  harter  Unterlage,  wie  sie  nicht  nur  in  den  folgenden  Abschnitten 
dieses  Kapitels,  sondern  auch  in  den  Kapiteln  XIII  und  XIV  des  1.  Bandes 
geschildert  ist.  führen  beim  zarten  Kind,  auch  unbeabsichtigt.  Schädeldeformation 
hei  bei.  und  können  so  den  ersten  Anstoß  zur  absichtlichen  Verbilduug  gegeben 
haben. 

Mehr  als  den  Wert  einer  Hypothese  hat  dieser  Erklärungsversuch 
alicr.  wie  gesagt,  nicht.  — 

Unvergleichlich  weniger  Material  als  über  die  hier  angedeuteten  Schädel- 
verbildungen liegt  mir  über  die  Schädeldurchlöcherung  (Trepanation) 
vor.     Ein  Überblick    über   dieses   ist    in   §  *3ä   so  leicht,  daß  ich  hier  davon 

absehen    kann.    — 


i)   In:  Zeitschrift  für  Ethnologie,  Berlin  1802.  24.  Jahrg.     Supplement,  S.  5  f.  und  201. 


§  230.    Die  künstliche  Schädelverbildung  bei  Völkern  der  alten  Welt  und  bei  den  Eskimos.        85 

§  230.     Die  künstliche   Scliädelverbildung  bei  Völkern   der   alten  Welt 

und  bei  den  Eskimos. 

In  Bannu,  nordwestliches  Britisch-Iiidien,  sind  breite  Stirnen  sehr 
beliebt,  Um  nun  ihren  Kindern  diesen  Vorzug  zu  verschaffen,  legen  die  Mütter 
ihren  Neugebomen  Tonformen  auf  und  betten  den  Körper  des  Kindes  höher 
als  den  Kopf,  um  so  den  Druck  gegen  das  Gehirn  zu  vermehren  (Krebel). 

Die  Hebammen  der  Armenier  im  transkaukasischen  Gouvernement 
Eriwan  suchen  dem  Neugebornen  den  Kopf  nach  ihren  Schönheitsbegriffen 
dadurch  zu  bilden,  daß  sie  ihm  vom  15.  Lebenstag  an  nach  jedem  Bad  mit 
der  rechten  Hand,  vorsichtig  drückend,  vom  Nacken  über  den  Scheitel  fahren, 
wobei  sie  mit  der  linken  Hand  den  Unterkiefer  des  Kindes  stützen.  Ähnliches 
geschieht  bei  den  dortigen  Kurden  und  Tataren. 

Ebenso  drücken  die  russischen  Hebammen  und  Badefrauen  dem  Neu- 
gebornen am  dritten  Tag  den  Kopf  von  allen  Seiten,  um  ihm  die  richtige 
Form  zu  geben,  wie  sie  meinen  (Krebel). 

Die  Thraker  und  Mazedonier  hatten,  wie  der  römische  Arzt  Soranüä 
im  Jahre  100  n.  Chr.  schrieb,  die  Gewohnheit,  ihre  Kinder  auf  ein  Brett  zu 
binden,  damit  Hinterkopf  und  Nacken  breit  würden. 

Nach  Scobel  gehören  die  Thraker  und  „wohl  auch  die  Mazedonier"  zur 
westlichen  Abteilung  der  indoeuropäischen  Völker.  —  DieGrenzen  der  Gebiete 
beider  Völker  haben  im  Laufe  der  Jahrhunderte  stark  geschwankt.  Serodot 
erwähnte  die  Thraker  als  eines  der  größten  Völker  des  südöstlichen  Europas. 
Zur  Zeit  des  kaiserlichen  Borns,  also  auch  zur  Zeit  des  Soranus,  war  aber 
bereits  der  Hamas  (Balkan)  thrakische  Nordgrenze;  südwestlich  lag  und 
liegt  Mazedonien.  Somit  ist  durch  die  obige  Mitteilung  des  Soranus  künstliche 
Umgestaltung  des  Schädels  auf  der  Balkanhalbinsel,  und  zwar  bei  Indo- 
Europäern, nachgewiesen. 

Zur  indo- europäischen  Völkerfamilie,  und  zwar  zur  germanischen 
Gruppe,  gehörten  feiner  die  Cimbern.  Als  Cimbern-Schädel  aber  konstatierte 
Broca  sechs  künstlich  deformierte  Schädel,  welche  in  den  siebziger  Jahren 
des  19.  Jahrhunderts  in  Transkaukasien1),  bei  Tiflis,  Gouvernement 
Grusien,  gefunden,  von  v.  Barr  als  Avarenschädel  erklärt  und  von  Bayern 
Iberern  zugesprochen  worden  sind. 

Die  Iberer  oder  Basken  sind  nach  den  neuesten  Forschungen  Heinrich 
Winklers2')  zu  den  sogenannten  Kaukasus-Völkern  zurechnen;  die  Avaren 
aber  sind  ein  Turkstamm,  also  Ural-Altaien.  Auf  beide  komme  ich  später 
zurück.  Indessen  sei  bemerkt,  daß  man  auch  in  Niederösterreich  künstlich 
deformierte  Schädel  faud,  welche  man  als  „Avarenschädel"  bezeichnete,  die 
aber  nach  neueren  Untersuchungen  Germanenschädel  sind.  Es  ist  das  der 
im  Jahre  1820  zu  Feuersbrunn,  Herrschaft  G  ravenegg,  und  der  im  Jahre 
184t;  in  Atzgersdorf  bei  Wien  gefundene  Schädel,  von  denen  .4.  Schliz 
schreibt,  ihre  ethnische  Zugehörigkeit  sei  durch  keine  Beigaben  belegt  und 
sie  schlössen  sich  somalisch  den  in  germanischen  Gräbern  gefundenen  Schädeln 
an.  Zu  diesen  gehört  ein  deformierter  Schädel,  welcher  schon  im  18.  Jahr- 
hundert in  Göttingen  gefunden  wurde;  feiner  der  bei  Niederolm  zwischen 
Mainz  und  Alzey  in  einem  fränkischen  Totenfeld  entdeckte  Frauenschädel. 
Lindenschmit  hatte  die  Gräber  dieses  Totenfeldes  als  merovingisch  erklärt, 
und  Ploß  sali  darin  einen  Beweis,   daß  unter  den  Franken  jener  Zeit,  wenn 


x)  Die  wichtige  Bolle,  welche  der  Kaukasus  als  Fundort  verbildeter  Schädel  in 
diesem  Abschnitte  spielt,  legte  eine  Abweichung  in  der  in  diesem  Werke  regelmäßig  einge- 
haltenen .Reihenfolge  der  Völker  nahe.  Somit  folgen  hier  die  Ural-Altaien  in  ihren  turk- 
tatarischen  Zweigen  unmittelbar  auf  die  Indoeuropäer. 

z)  Das  Baskische  und  der  vorderasiatische  mittelländische  Völker-  und  Kulturkreis. 
Breslau  1909. 


8g  Kapitel  XXXVI.     Operationen  am  Kindesschädel. 

auch  nur  ausnahmsweise,  küustlich  Deformation  von  Kinderschädeln  vorkam. 
Denn  die  Untersuchungen  dieser  Schädel  und  auch  jener,  welche  in  Ost  er- 
reich, in  der  Krim  und  in  der  Schweiz  ')  gefunden  worden  sind,  ergaben,  daß 
die  Verbildung  im  jugendlichen  Alter  stattgefunden  hat.  In  neuerer  Zeit 
finden  wir  aber  den  Niederolmer  Schädel  bei  Schliz  als  ,.alemannisclr' 
erwähnt.  Ebenso  konstatierte  Schliz  den  von  ihm  selbst  im  Jahre  1901  in 
Heilbronn  gefundenen  deformierten  Frauenschädel  als  alemannisch,  und  zwar 
als  frühalemannisch.  Dieser,  wie  der  Niederolmer  bildeten  unter  den  übrigen 
unverbildeten  Schädeln  der  umliegenden  Gräber  aus  der  gleichen  Zeitperiode 
und  von  dem  gleichen  Volk  Ausnahmen.  Letzteres  war  nach  Rütimeyer  und 
His  auch  der  Fall  mit  dem  in  einem  Schweizer  Grab  gefundenen. 

Einen  weiblichen  Longobarden-Schädel  mit  künstlicher  Verbildung 
erwähnt  Schliz  aus  Wien,  einen  angelsächsischen,  gleichfalls  weiblichen 
(mit  angelsächsischen  Beigaben)  aus  Harnham  Hill  bei  Salisbury  in  Eng- 
land2), und  zwei  burgundische  aus  Beiair  und  Villy  surRegnier,  wobei 
er  bemerkt,  daß  der  erstere  möglicherweise  fränkischer  Herkunft  sei:!). 
Außerdem  finden  wir  bei  Schliz  in  Ungarn  gefundene  deformierte  Schädel 
angeführt.  Die  Fundorte  sind:  0'  Szöny,~Szekely-Udvarhely  und  Velem 
St.  Veit.  Wie  bei  der  niederösterreichischen,  so  fehlen  auch  bei  dieser  unga- 
rischen Gruppe  die  Beigaben,  nach  welchen  die  ethnische  Zugehörigkeit  fest- 
gestellt werden  könnte;  doch  sei  die  ungarische  Gruppe  auf  dem  Boden 
römischer  Niederlassungen  gefunden,  der  Rassentypus  nichtgermanisch4). 

Eine  absichtliche  Deformation  wäre  nach  Schliz  bei  den  in  germa- 
nischen Gräbern  gefundenen  Schädeln  nicht  anzunehmen.  Die  Verbildung  sei 
vielmehr  die  unabsichtliche  Nebenwirkung  eines  Haarbandes.  Es  habe 
immer  einzelne  Kinder  gegeben,  die  sich  von  Geburt  aus  durch  ungewöhnlich 
starken  Haarwuchs  auszeichneten,  welcher  von  den  ersten  Lebensmonaten  an 
durch  ein  Band  aus  dem  Gesicht  zurückgewöhnt  werden  mußte.  Ein  solches 
Band,  Tag  und  Nacht  getragen,  konnte  auf  den  rasch  wachsenden  Kindes- 
schädel die  Wachstumshemmung  in  der  einen  und  den  kompensatorischen 
Wachstumszwang  in  der  andern  Richtung  ausüben. 

Vielleicht  habe  auch  der  eine  oder  der  andere  Kopf  dem  Druck  geringeren 
Widerstand  geleistet  als  die  übrigen.  — 

Deformation  im  jugendlichen  Alter  ist  ferner  konstatiert  worden  für  die 
in  Chesaus  bei  Lausanne  und  für  den  bei  Riquier  in  Savoyen  gefundenen 
Schädel. 

ob  es  sich  bei  den  obigen  Deformationen  nur  um  Ausnahmen  handelt, 
wie  Sehlü   und  andere  meinten,  ist  kaum  festzustellen5). 

Daß  Schädelumbildung  in  der  Schweiz  des  17.  Jahrhunderts  nicht  Aus- 
nahme, sondern  Regel  war,  dürfte  aus  der  folgenden  Stelle  in  J.  Muralts 
„Hebammenbüchlein"  hervorgehen:  ..Sobald  die  Hebamme  das  Kind  auf  dem 
Schoß  li.it.  betrachtet  sie's  allenthalben,  ob  es  recht  gestaltet  sei,  dann  gibt 
-i.-  seinem  Eäuptlein  die  runde  Gestalt  und  verwahret  ihms  mit  einem  8char- 

1 1   II  ieriiber  weiter  unten 

•')  Vgl    Barnard  Davis  im   Archiv  f.  Anthropol.     Braunschweig  18(17.  S.  17. 

i  '    habe  seinerzeit    darauf  hingewiesen,   daß  auch  in  Hamburg  Schädel- 
pn  ■  ■  ■!    '    i    x  vorgekommen  Bei  (De  generis  humani  varietate  aativa  p.  <>0). 

*)  Vgl.  Joseph  von  Lenhossek,  Die  künstlichen  Schädelverbildungen  im  allgemeinen 
und   zwi  künstlich  lete    makrokephale  Schädel    aus  Ungarn.     Budapest    187s.    sowie 

Archiv  f.  Anthrop.  X.IE  i  1879),  S    363 

')  Vgl.  1.  .1.  Gosse,   Essai  mit-  les  deform,  artif.  du  eräne.    Paris  1855.    Tab.  II.  —  //. 

./    Qosse  fils,   Suite       In   notice  sur  d'anciens  cimetieres  trouves  soit  ™  Sänne,  soit  dans  le 

ii    di    Gi  i   du  Tome  XI  des  meni,  de  la  soc.  d-histoire  et  d'archeologfe. 

(Jem    e      L85"  ;         Bulletin     soc    d'Anthrop.    de    Paris,    1878.    p.    234. 

D  üques  du   cräne.     Revue  d'Anthrop.    VIII.    1879,    p.  496. 


§  230.    Die  künstliche  Schädelverbildung  bei  Völkern  der  alten  Welt  und  bei  den  Eskimos.        87 

lachpelz  und  Käppiein."  —  Allerdings  ist  liier  anscheinend  nur  von  einem 
einmaligen  Eingriff  die  Bede,  nicht  von  jenem  dauernden  Druck,  welchen  die 
Verbildung  der  bisher  erwähnten  Schädel  nach  den  Urteilen  der  Anthropo- 
logen voraussetzt. 

Sehliz  kommt  auch  auf  die  noch  im  19.  Jahrhundert  gebräuchliche 
Schädelverbildung  in  Frankreich  zusprechen,  welcher  Floß  in  der  S.Auflage 
bereits  seine  Aufmerksamkeit  geschenkt  hatte.  Sie  war  in  nördlichen,  w  est- 
lichen  und  südlichen  Departements,  aber  auch  im  Innern,  besonders  bei  Land- 
leuten, oder  in  Städten  unter  den  niederen  Volksschichten,  üblich  und  ist  es 
wohl  heute  noch.  In  der  Bretagne  hielten  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahr- 
hunderts die  Hebammen  eine  längliche  Kopfform  für  einen  Fehler,  den  sie 
gut  zu  machen  suchten,  indem  sie  den  Kopf  des  Xeugeborneu  in  eine  rund- 
liche Form  drückten1).  Makrokephaloi.  d.  h.  Langköpfe,  waren  in  der  zweiten 
Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  modern  in  der  Xormandie,  Bouen  und  in 
Deux-Sevres  (hier  besonders  in  Niort);  ferner  in  Limousin  und  Gascogne; 
in  den  südwestlichen  Departements  Haute-Garonne,  Ariege,  Aude  und 
Gers.  Sogar  in  Paris  war  Schädeldeformation  üblich.  Man  bewirkte  diese 
durch  einen  Apparat,  welchen  die  Knaben  bis  zum  achten  Lebensjahr,  die 
Mädchen  bis  zu  ihrer  Verheiratung  tragen  mußten,  und  der  das  Schädelgewölbe 
nicht  nur  niederdrückte,  sondern  auch  einen  breiten  Quereindruck  über  die 
Sutura  coronalis  und  sagittalis  verursachte.  Der  Apparat  hieß  an  einigen 
Orten  einfach  „beguin",  d.  h.  Kinderhaube,  an  anderen  „arcelet"  (Bogen),  und 
wieder  an  andern  trug  er  seinen  rechtmäßigen  Titel  „serre-tete-'  (Kopfpresser). 
Er  bestand  aus  einer  breiten  Haubenbinde  mit  Schleifen  und  einer  eisernen 
bogenförmigen  Spange  oder  einer  harten,  nichtmetallenen  Platte  im  Innern. 
Diese  Binde  wurde  dem  Xeugebornen  über  die  viereckige  Stirufontanelle 
gelegt,  und  deren  Schleifen  entweder  möglichst  tief  über  die  Hinterhaupt- 
schuppe,  oder  unterhalb  des  Unterkiefers,  und  von  da  aus  wieder  zurück  zur 
Fontanelle  geführt,  über  welcher  sie  verknotet  wurden.  Im  letzteren  Fall 
zeigte  das  Schädelgewölbe  im  Profil  zwei  Abteilungen,  eine  vordere  und  eine 
hintere,  wofür  Gosse  den  Ausdruck  „tete  bilobee",  zweilappiger  Kopf,  wählte. 
Im  ersteren  Fall.  d.  h.  wenn  die  Schleifen  der  Haubenbinde  über  die  Hinter- 
hauptschappe  gefühlt  wurden,  bewirkte  die  Einschnürung  einen  ringförmigen 
Eindruck.  Goggrs  ..tete  annullaire".  Am  stärksten  wurde  der  Unfug  der 
Schädelpression  in  Toulouse,  also  in  dem  südwestlichen  Departement  Haute- 
Garonne  getrieben,  wo  die  Stirne  vier  bis  fünf  Zentimeter  über  dem  Arcus 
superciliaris  in  einen  Winkel  oeknickt  wurde.  Weitere  notwendige  Folgen 
der  annulären  Kompression  war  eine  Verminderung  des  Schädelrauminhaltes 
und  Schädelunifanges;  ferner  wurde  der  Oberkiefer  vorgeschoben,  die  oberen 
Schneidezähne  erhielten  eine  schiefe  Bichtung  nach  vorn,  und  das  ganze  Ge- 
sicht etwas  ..Bestialisches". 

Die  Schädeldeformation  soll  in  Frankreich  auf  300—400  Jahre  zurück- 
g-'hen  und.  nach  Broea,  von  einem  belgischen  Volk,  den  arctosagischen 
VoLkem  (?)')  herstammen.  —  .1.  L.  Foville  hingegen  führt  den  Unfug 
auf  einen  hohen  Kopfputz  zurück,  zu  dessen  Festhaltung  die  Verbildung  des 
Schädels  notwendig  gewesen  wäre.  —  Nach  Foville  war  Schädeldeformation, 
Verlängerung  des  Hinterkopfes  (Makrokephalie)  in  der  Xormandie  in  der 
zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  eine  häufige  Erscheinung  bei  Männern, 
und  häufiger  noch  bei  Weibern.  — 


>i  Von  der  Bretagne  der  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  wird  ein  Pressen 
des  Kopfes  zu  einer  Walzen-  oder  Zuckerhutform  erwähnt  (Ploß  2.  Aufl.  1,  32S). 

-i  Vielleicht  rVolcae"  gemeiQt.  das  größte  keltische  Volk  des  römischen  Gallien. 
welches  sich  in  die  zwei  großen  Zweige  der  Arecomici,  von  der  Rhone  bis  Narbo.  und 
der  Tectosages  im  Norden  der  östlichen  Pyrenäen  teilte. 


gg  Kapitel  XXXVI.     Operationen   am  Kindessehädel. 

Während  die  Schädeldeformation  innerhalb  der  indoeuropäischen  Völker- 
familie nur  bis  zum  1.  Jahrhundert  nach  Chr.  geschichtlich  nachweisbar  ist, 
gehen  Belege  für  die  gleiche  Erscheinung  unter  den  sog.  Kaukasus- 
Völkern  undUral-Altaien,  oder  doch  für  eine  alte  Bevölkerung  am  Nordabhaug- 
des  Kaukasus  und  der  davor  liegenden  Steppe1)  bis  ins  5.  Jahrhundert  vor 
Chr.  zurück.  Denn  von  diesen  beiden  Gebieten  teilte  Hippokrates  in  seinem 
Lib.  de  aere,  aquis  et  locis  den  Brauch  mit,  deu  Kopf  der  Kinder  zu  verlängern. 
H.  meint  sogar,  hier  habe  die  Natur  mit  der  Zeit  die  Kunst  ersetzt.  Er 
hielt  diesen  Brauch  für  einzig  dastehend  in  der  Welt,  indem  er  schrieb: 
Es  gibt  gewiß  kein  Volk,  welches  solche  Köpfe  hat.  wie  die  Makro  - 
kephalen.  Ferner  bemerkte  er,  daß  diejenigen,  welche  die  längsten  Köpfe 
hatten,  für  die  vornehmsten  galten.  Sobald  ein  Kind  geboren  gewesen, 
habe  man  dem  noch  weichen  und  zarten  Kopf  mit  den  Händen  die  bestimmte 
Form  ueueben2)  und  ihn  dann  durch  Anlegung  von  Binden  und  Maschinen 
gezwungen,  in  die  Länge  zu  wachsen.  Zu  seiner  Zeit  habe  aber  dieser  Brauch 
nicht  mehr  bestanden. 

Die  Zweitälteste  Mitteilung  über  Makrokephalen  findet  sich  bei  Plinius. 

Seitdem  sind  diese  beiden  Mitteilungen  für  Völker  jener  Gegend  mehrfach 
bestätigt  worden:  In  der  Krim  wurden  unter  fünf  vorhistorischen  Schädeln 
drei  makrokephale  (lang  und  schmal)  gefunden.  Noch  waren  die  Spuren  der 
Binden,  welche  die  Verbindung  bewirkt  hatten,  zu  sehen:  Die  eine  Binde  war 
horizontal  angelegt  und  lief  von  der  Stirne  über  die  Schläfen  zur  Protuberans 
des  Hinterkopfes;  die  andere  kreuzte  die  erste  an  den  Schläfen.  Die  Folgen 
des  Druckes  waren  eine  beträchtliche  Entwicklung  des  Hinterkopfes,  die 
Flucht  des  Stirnbeins  und  ein  abnormes  Hervortreten  des  Gesichtes3).  Die 
Deformation  hat  nach  dem  Urteil  A".  /•.'.  o.  Baers  auch  hier  in  frühester  Kind- 
heit stattgefunden.  Den  Griechen  gehörten  sie  dieser  Autorität  zufolge  nicht 
an.  sondern  einem  später  von  Osten  hergekommenen  Volk.  Auf  der  Krim 
tummelten  sich  ja  auch  Hunnen,  Tataren  und  Türken.  Nach  Floß  (2.  Aufl. 
1.  ■'<•-':;  i  spricht  alles  dafür,  daß  diese  Schädel  aus  der  Krim  von  einem 
tatarischen  (türkischen)  Volk  herstammen,  und  daß  auch  die  von  Hippokrates 
erwähnten  Makrokephaloi  Tataren  waren;  denn  Kopfdepression  sei  ein  alter 
Brauch  tatarischer  Völker:  Von  den  Turktataren  in  Kaschgar  berichtete 
der  Chinese  Hien-Tschang  im  7.  Jahrhundert  nach  Chr.4),  daß  sie  deu  Neu- 
gebornen  die  Köpfe  abflachen,  indem  sie  diese  mit  Platten  zusammendrücken. 
Nach  K.  /•.'.  von  Baer  war  Kopfdepression  im  7.  Jahrhundert  bei  den  Uigur 
(Hunnen)  Brauch.  Auch  Amede'e  Thierry  erwähnte  von  den  Hunnen  die  Unsitte, 
ihren  Kindern  durch  Binden  den  Schädel  zurückzupressen  und  die  Nase  platt 
zu  drücken.  Von  Baer  bezweifelt  zwar  die  Richtigkeit  dieser  Angabe,  weil 
die  Römer  von  einem  solchen  Brauch  der  Hunnen  nichts  erwähnt  hätten; 
allein  wenn  ihr  östlicher  Zweig,  die  Uiguren.  ihn  übten,  dürfte  Thierrys 
Mitteilung  doch  an  Wahrscheinlichkeit  gewonnen  haben.  Aber  auch  die  zu 
dieser  Völkergruppe  gehörigen  Kirgisen  und  europäischen  Türken  übten 
bzw.  üben  Schädelverbildung.  Von  den  ersteren  berichtete  es  Prichard,  und 
von  den  Türken  schrieb  Andreas  Vesalius,  der  Begründer  der  neueren  Ana- 
tomie, im  16.  Jahrhundert,  daß  die  Hebammen  den  Köpfen  der  Kinder  durch 
zweckmäßige  Manipulationen  Kugelform  galten,  weil  diese  Gestalt  des  Schädels 
für  schön  und  zum   aufsetzen  des  Turbans  zweckmäßig  gelte.    Ungefähr  zwei 

'i   \     !.    //  n      Her  saßen  früher  übrigens  Türken,  Finnen,  lndogerman    n 

miil   Basken  gleich  lieh  vom  Kaukasus. 

•')   Vgl,  denselben   Brauch  in  der  Schweiz  des  17.  Jahrb.  w.  ob. 
■   x  Di  Formation  w.  o. 

'i   //■■  Mittelasien    in   den   Jahren   629 — 645.     Seinen   Reisebericht 

Französische. 


§  230.    Die  künstliche  Schädelverbildung  bei  Völkern  der  alten  Welt  und  bei  den  Eskimos.        89 

Jahrhunderte  später  schrieb  von  Asch  an  den  Begründer  der  deutschen  An- 
thropologie, Blumenbach:  Die  Hebammen  in  Konstantinopel  pflegen  die  Mütter 
zu  tragen,  welche  Kopfform  sie  für  den  Neugebornen  wünschen,  und  die  Asiaten 
pflegen  diejenige  vorzuziehen,  welche  durch  eine.  Stirn  und  Hinterhaupt  eng 
umschließende.  Binde  hervorgebracht  wird,  da  auf  einem  solchen  Kopf  die 
rote  Kopfbedeckung  besser  sitze.  Endlich  sollen  die  zwei  in  Tiflis,  Trans- 
kaukasien,  ausgegrabenen  künstlich  deformierten  Schädel  von  F.  Szjepura 
als  tatarische  erwiesen  worden  sein.  Hingegen  ist  der  Irrtum  betreffs 
„Avarenschädel"  in  Niederösterreich  und  anderen  Orten  des  westlichen 
Deutschlands  bereits  früher  angedeutet  worden,  so  daß  dieser  Zweig  der 
Turk-  bzw.  Tatarengruppe  hier  wohl  auszuschalten  ist. 

Hingegen  wissen  wir,  daß  die  Mongolen  ihren  Kindern  den  Kopf  kegel- 
förmig nach  dem  Vorbild  der  Tiara  banden  (A.  Bastian). 

Die  ural-altaische  Völkergmppe  ist  also  auf  dem  Gebiete  der  künst- 
lichen Schädelverbildung  relativ  stark  vertreten. 

Aber  auch  bei  den  sogenannten  Kaukasusvölkern  ist  dieser  Brauch 
nachgewiesen.  Nicht  nur  um  das  Asowsche  Meer  (dem  Mäotischen 
Busen  der  Alten)  und  nicht  nur  in  der  Krim  und  im  transkaukasischen 
Tiflis1).  sondern  in  Nord-  und  Transkaukasien  überhaupt,  also  zweifellos 
auch  von  den  sogenannten  Kaukasusvölkeru.  ist  künstliche  Makrokephalie 
nachgewiesen.  Virckow  brachte  aus  dem  Kaukasus  eine  Wiege  mit  Kom- 
pressionsapparat mit.  Niemand  zweifle  dort,  daß  nur  solche  Menschen  makro- 
kephal  werden,  denen  in  der  Kindheit  Druckapparate  angelegt  worden  sind. 
Lebende  Individuen  und  Schädel  aus  Gräbern  beweisen  den  Brauch.  — 

Künstliche  Schädelverbildung  gibt  es  ferner  bei  Vertretern  der  semi- 
tischen Völkerfamilie  und  bei  Negervölkern:  Wie  Floß  (2.  Aufl.  1.  319) 
schrieb,  ist  eine  solche  von  älteren  Schriftstellern  von  den  Mauren  erwähnt 
worden.  Von  dort  habe  sie  sich  nach  Europa,  besonders  nach  Italien,  ver- 
breitet. Noch  in  der  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  hätten  bei  einigen 
moslemischen  Stämmen  Nordafrikas  die  Mütter  ihren  Kindern  regelmäßig  den 
Kopf  seitlich  abgeplattet,  um  das  reine  Blut  von  den  verachteten  Berber- 
stämmen zu  unterscheiden. 

Über  den  künstlichen  Prognathismus  der  Frauen  in  und  am  Senegal 
berichteten  Faidh  rbe,  Hami  und  Thulie.  -  Hami  fand  am  Schädel  einer 
30jährigen  Negerin  von  Saint-Louis  am  Senegal  die  zwei  oberen  Schneide- 
zähne künstlich  nach  vorn  geschoben.  Diese  Abnormität  wurde  dadurch  bewirkt, 
daß  man  die  betreffenden  Milchzähne  sehr  bald  entfernte  und  die  hervor- 
kommenden Ersatzzähne  teils  durch  Ziehen,  teils  durch  einen  Druck  mit  der 
Zunge  nach  vorn  schob,  wodurch   zugleich  der  Kieferknochen  afflziert  wurde. 

In  Mussumba,  im  Becken  des  unteren  Kongo,  pressen  viele  vornehme 
Kalunda-Neger  ihren  Neugebornen  den  Kopf  derart  zusammen,  daß  das  Hinter- 
haupt monströs  weit  zurückstellt.  In  der  Familie  des  Herrschers  Muata  Jamwo- 
ging  man  in  dieser  Hinsicht  so  weit,  daß  die  Kinder  mit  ihren  breiten  Schädeln 
wie  Mißgeburten  aussahen  (Fogg(  \. 

Bei  den  ostafrikanischen  Wasiba  im  Westen  des  Viktoria-Sees  hat 
die  Hebamme  die  Pflicht,  dem  Kopf  der  Neugebornen  durch  Drücken  mit  den 
Handflächen  eine  angenehme  Form  zu  geben.  Die  Handflächen  werden  zu 
diesem  Zweck  mit  Fett  beschmiert  und  am  Heidfeuer  erwärmt  {Sermann  Echse), 

Auch  die  Aiidanian-Insulaner  iMinkopies)  pressen  dem  Neugebornen 
den  Kopf  mit  den  Händen  (Jagor).  Hierüber  Näheres  in  Kapitel  NNNVTL 
Abschnitt:  „Das  Ordnen  des  kindlichen  Organismus".  — 


1)  Vgl.  oben  die  hier  gefundenen  Tatarenschädel,  sowie   den   oben   erwähnten  Brauch 
der  transkaukasischen  Armenier. 


90  Kapitel  XXXVI.     Operationen  am  Kindesschädel. 

Auf  den  Nikobaren  im  Bengalischen  Golf  drückt  man  vielen  Kindern 
den  Schädel  mit  einem  Brett  flach  (H.  TT'.  Vogel). 

Von  den  Kanikar,  einem  kraushaarigen  kleinen  Völklein  (also  wohl 
ein  Zweig  der  sogenannten  Pygmäen)  in  den  Wäldern  des  südlichen  Vorder- 
indien, berichtete  Jagor,  sie  behandelten  den  Scheitel  bei  jeder  Waschung 
mit  besonderem  Nachdruck,  damit  er  nicht  zu  hoch  werde. 

Unter  den  Dayaken  üben  nach  Cracker  nur  die  Milanaus  Schädel- 
deformation. Nach  Ghas.  Hose  können  sie  aber  das  nur  am  besten.  Erstem- 
schrieb:  Eine  flache  Stirne  gilt  als  schön.  Gewöhnlich  unterwirft  man  nur  die 
Mädchen,  gelegentlich  aller  auch  die  Knaben  der  Operation.  Einige  Tage 
nach  der  Geburt  wird  der  Kopfdeformator  am  Kind  angebracht,  unter  den 
ein  kleines  Kissen  gelegt  wird,  welches  selbst  wieder  auf  grünen  Bananen- 
blättern aufliegt.  Durch  eine  passende  Verschnürung  verteilt  sich  der  Druck 
gleichmäßig  auf  der  Stirn.  Crocker  beobachtete  Mütter,  die  innerhalb  einer 
Stunde  20 mal  das  Instrument  auf-  und  zuschnürten,  wenn  das  Kind  Schmerz 
verriet.      Klie  ein  Jahr  vorüber,   hat  die  Kopfpresse   ihren  Zweck  erfüllt.  — 


Fig.  273.    Apparat  zur  Schädelverbildung  auf  Celebes.    Im  K.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Kopfdeformation  war  feiner  wahrscheinlich  auf  ganz  Celebes  gebräuch- 
lich, wie  ./.  G.  F.  Riedel  meint.  Jedenfalls  erfuhr  er,  daß  es  der  Fall  war 
bei  den  Toumbuluh,  Tounsear,  Toumpakewa  und  Mongodon.  welche 
diesen  Brauch  von  den  im  nördlichen  Celebes  eingewanderten  Bentenan 
übernommen  hatten.  Das  Instrument,  welches  sie  zur  Abplattung  der  Stirn 
benutzen,  nannten  sie  Pepesch.  Die  Bantiks  und  die  Bugis  im  südöstlichen 
Teil  der  Insel  übten  Schädelverbildung  noch  zur  Zeit  Riedels;  ebenso  die 
Bewohner  der  Landschaften  Kaidipan,  Bolaangitans  und  Buool  im  Norden. 
Eine  in  den  Adelsfamilien  von  Buool  gebrauchte  Wiege  mit  Kompressions- 
vorrichtung sandte  Riedel  der  ethnologischen  Gesellschaft  in  Berlin.  Kissen 
und  Polster  waren  von  Seide  und  mit  Gold  gestickt,  die  goldenen  Ringe  mit 
Diamauten  besetzt1),  aber  an  die  Stirne  des  Kindes  und  an  den  Hinterkopf 
wurden  Bretter  g<  h  gt.  welche  man  mit  durchlaufenden  Schnüren  zusammen- 
zog. I>ie  Kinder  nahm  man  jeden  zweiten  Tag  auf  eine  Weile  zum  Baden 
aus  ihrer  Presse  heraus;  die  übrige  Zeit  mußten  sie  6—8  Monate  lang  fest- 
gebunden  darin  aushalten.  —  Eine  andere  Prozedur  beschrieb  Riedel  folgender- 
weise: Man  umwindet  die  Schädel  mit  ausgeklopfter  Rinde  des  Lahendang- 
baumes  (Sponia  sp.),  später  mit  Kapäs  oder  Kattun  und  klemmt  sie  dann  auf 
4— •">  Monate  zwischen  zwei  Bretter.  Dadurch  erhalten  die  Schädel  eine  un- 
gewöhnliche Breite  was  man   hochgradig  schön  nennt.        Die  gleiche  Zeitf 

')  Floß.  1».  K.  2.  Auil.  I,  319. 


§  230.    Die  künstliche  Schädelverbildung  bei  Völkern  der  alten  Welt  und  bei  den  Eskimos.        91 

dauer  fand  Riedel  in  Zentral-Celebes  unter  den  Völkern  To  Ragi,  To  Dai, 
To  Rau  und  To  Mori.  Hier  preßte  man  die,  Schädel  der  Kinder,  nachdem 
diese  40  Tage  alt  geworden,  zwischen  drei  Bretter.  Der  Apparat  hieß  Paupi. 
Das  Pressen  des  Gesichtes  zu  beiden  Seiten,  wie  es  bei  den  Knaben 
geschah,  sollte  diese  zu  unerschrockenen  Kriegern  machen.  Für 
Mädchen  umwickelte  man  ein  Stück  Erde  (Porempe),  das  an  der  Sonne 
getrockuet  worden  war,  mit  Fuja  oder  geklopfter  Baumrinde  und  band  es  auf 
die  Stirne,  um  diese  breit  zu  machen  und  so  die  Schönheit  des  Mädchens 
zu  erhöhen.  Auch  bei  den  Kaili  wurden  bisweilen  Mädchen  dieser  Prozedur 
unterworfen. 

Von  den  Philippinen  berichtete  The'venot  gegen  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts, daß  sie  nach  den  Angaben  eines  Priesters  die  Gewohnheit  hatten, 
ihren  Neugebornen  den  Kopf  zwischen  zwei  Bretter  zu  legen  und  so  zu- 
sammenzupressen, daß  er  nicht  mehr  rund  blieb,  sondern  sich  verlängerte. 
Außerdem  platteten  sie  ihnen  die  Stirne  ab,  weil  sie  diese  Form  für  besonders 
schon  hielten.  —  Diese  Notiz  über  die  Philippiner  blieb  so  ziemlich  isoliert, 
bis  um  das  Jahr  lb70  Jagor  von  einer  Höhle  bei  Lanang  an  der  Ostküste 
der  Philippineninsel  Samar  und  aus  der  Nipa-Nipa-Höhle  an  deren  Südküste 
Schädel  mitbrachte,  von  denen  Virchow  konstatierte,  daß  sie  in  der  frühesten 
Jugend  künstlich  deformiert  seien.  Ein  doppelter  Druck  war  auf  sie  ausgeübt 
worden:  Einerseits  schräg  von  hinten  und  unten,  andererseits  von  vorn  und 
oben  her.  Damals  wies  Virchow  darauf  hin,  daß  man  sich  die  beiden  Druck- 
Aachen  nur  verlängert  zu  denken  brauche,  um  die  nach  vorn  zusammenlaufende 
Stellung  der  Druckbretter  gewisser  In  dian  er  stamme  von  der  nord- 
amerikanischen Westküste  zu  erhalten.  — 

Die  Bewohner  von  Samar  sind  Visayas,  ein  malayisch-indonesisches 
Mischvolk.  —  Dasselbe  gilt  von  den  Bicols,  von  deren  Begräbnisplätzen  Schetelig 
gleichfalls  künstlich  verbildete  Schädel  brachte.  Ein  Mädchenschädel  zeigte 
seitliche  Kompression;  bei  einem  anderen  Schädel  fiel  der  Hinterkopf  stark 
ab,  die  Gegend  der  hinteren  seitlichen  Fontanellen  war  abgeplattet  und  die 
Hinterhauptgrube  stark  vorgewölbt.  -  -  Eine  seltene  Deformation  trat  an  zwei 
Schädeln  von  Albay,  welche  einem  Mann  und  einem  Weib  gehörten,  hervor, 
d.  h.  die  Wirkungen  seitlicher  Pressionen,  von  denen  die  rechte  stärker  war 
als  die  linke.  — 

Endlich  sammelte  A.  B.  Meyer  auf  der  Philippinen-Insel  Luzon 
Negritosschädel,  welche  nach  Virchow,  mit  Ausnahme  eines  einzigen,  künst- 
liche Verunstaltungen  aufwiesen,  wenn  auch  keineswegs  so  bedeutende  wie  die 
Schädel  von  Lanang. 

Schädeldeformationen  traf  ferner  die  Hamburger  Südsee-Expedition 
1908/1909  auf  Neupommern  im  Bismarck-Archipel,  vom  Montague-Hafen 
bis  Kap  Pedder.  Sie  sei  nicht  auf  die  Küste  beschränkt,  sondern  erstrecke 
sich  auf  das  Hinterland,  und  wurde  bei  der  Durchquernng  bis  nahe  an  die  Xord- 
küste  verfolgt.  Anscheinend  sei  sie  als  Verschönerungsmittel  angesehen.  Man 
bewirkt  sie  dadurch,  daß  man  dem  Neugebornen  einen  geölten  Streifen  aus 
Rindenstoff  fest  um  den  Kopf  wickelt  und  so  lange  tragen  läßt,  bis  das  Kind 
gehen  lernt.  Die  dadurch  bewirkte  Verlängerung  des  Schädels  ist  während 
dieser  Zeit  hochgradig,  gleicht  sich  aber  später  häufig  wieder  aus. 

Andere  Melanesier  mit  Schädelverbildung  sind  die  Eingebornen  von 
Mallikollo,  einer  Hebriden-Insel.  und  von  Vanikoro,  einer  Insel  der 
Santa-Cruz-  oder  Königin-Charlotte-Gruppe.  Buch  wies  an  einer  Reihe 
von  Schädeln  nach,  daß  die  Mallikollesen  dieselben  vorn  abplatten,  und  Krause 
fand  Niederdrückung  der  Stirnwölbung  und  Einschnürung  der  Scheitelbeine 
an  1B  Schädeln. 


92  Kapitel  XXXVI.    Operationen  um  Eindesschädel. 

Schädelverbildung  war  ferner  bei  den  melanesischen  Neucaledoniern 

ziemlich  allgemein;  doch  war  der  Druck  nicht  sehr  tiefgehend.  Einige 
Stämme  bezweckten  damit  Verlängerung,  andere  Kürzung  oder  abnorme  Breite 
des  Schädels  (Bourgarel).  — 

Aus  Samoa  meldete  Knliary,  man  umgebe  den  Kopf  eines  Neugebornen 
in  den  ersten  Tagen  mit  flacheil  Steinen,  um  dem  ausgewölbten  Hinterteil 
und  der  vorstehenden  Stirne  möglichst  entgegenzuarbeiten  und  eine  kurze, 
mehr  abgerundete  Form  zu  erhalten,  die  den  dortigen  Schönheitsbegriffen 
entspreche. 

Ferner  ist  von  den  polynesischen  Inselgruppen  Hawaii,  Tahiti  und 
Paumotu  Schädelverbildung  als  alte  Volkssitte  gemeldet  worden  (Seath). 

Desgleichen  von  den  .1  apanern  und  Siamesen  (Gosse).  — 

Die  Dravidas  machen  keine  Ausnahme:  Bei  einem  ihrer  Zweige,  den 
Badagar  im  Nilgiri-Gebirge,  fand  Jagor  einen  kleinen  Knaben  mit  auf- 
fallend zylindrischem  Kopfe,  auf  den  die  Mutter  stolz  zu  sein  schien.  Nach 
einigem  Zaudern  gestanden  die  Weiber,  daß  sie  die  Schädel  der  Neugebornen 
zwischen  den  Händen  zu  pressen  pflegen,  um  ihnen  eine  schöne  Form  zu 
g-eben.  Die  Manipulation  beginnt  gewöhnlich  acht  Tage  nach  der  Geburt, 
wird  morgens  und  abends  wiederholt  und  auch  auf  andere  Körperteile  aus- 
gedehnt. Auf  Jagors  Bitte  vollzog  die  Mutter  die  Operation  vor  seinen 
Augen,  d.  h.  sie  erwärmte  die  Hände  am  Feuer,  bestrich  sie  mit  Ghi  (Butter) 
und  drückte  sie  dann  zuerst  leicht  auf  den  Brustkasten;  dann  wurden  Arme, 
Schenkel,  Beine.  Füße,  Kniee  und  Ellbogen  zusammengepreßt.  Die  Nase  wurde 
nicht  plattgedrückt,  sondern  von  beiden  Seiten  gepreßt,  der  Schädel  mit  den 
beiden   Händen  möglichst  gerundet. 

Bei  den  Nair.  einer  vornehmen  Kaste  der  Dravida  in  Malabar,  wird 
dem   Kinde  täglich  der  Kopf  gepreßt,  um  ihm  eine  runde  Form  zu  geben. 

Die  A in u  auf  Sachalin  wünschen  Köpfe,  die  von  oben,  vorn  und  hinten 
abgerundet  sind.  Zu  diesem  Zweck  behandeln  auch  sie  den  Kopf  des  Neu- 
gebornen einigemal  am  Tage,  indem  sie  ihn  mit  den  Händen  zu  formen  suchen; 
dabei  umhüllen  sie  ihn,  besonders  an  den  weicheren  Stellen,  mit  weichen 
wannen   Bolzspänen  (Pilsudski).  — 

Die  Eskimos  im  Indien  Nordosten  Amerikas  drücken  den  Neugebornen 
den  Kopf  mit  den  Händen  von  beiden  Seilen  zusammen  und  ziehen  ihm  dann 
ein  enganschließendes  Käppchen  aus  Fell  über  den  Kopf,  welches  ein  Jahr 
lang  getragen  werden  muß.     Dadurch  erhält  der  Kopf  Pyramidenform.  — 

§  231.     Künstliche  Schädclverbildung  bei  »Ion  Indianern. 

Häufiger  als  bei  allen  bisher  behandelten  Völkern  dieses  Kapitels  ist 
der  Brauch  der  künstlichen  Schädelverbildung  bei  den  Indianern.  Da  sind 
ä  zunächst  im  Nordwesten  die  Kwakiul-Indianer,  welche  uns  mit  diesem 
Braui  h  begegnen. 

Im  nördlichen  Teil  der  Vancouver-Insel  fand  von  Hesse-Wartegg  teil- 
i  den  Gebrauch,  die  Köpfe  nicht  abzuflachen,  sondern  zuzuspitzen,  d.  h. 
den  Schädel  zu  einem  spitzen  Kegel  umzuformen.  .Alan  bewirkte  dieses,  indem 
man  die  |  um    einer  Bandage  umwickelte,    welche    allmählich  fester  ge- 

zogen wurde,  statt,  wie  bei  den  Chinooks,  den  Kopf  an  ein  Brett  zu  schnalle». 
Diesi  Chinooks  (Tschinuk),  meint  von  Hesse-Wartegg,  würden  wegen  ihres 
Brauch  »pfe   abzuplatten,   viel   eher  den  Namen  „Flatheads"  (Flach- 

köpfi  als  jener  [ndianerstamra,  der  früher  zwischen  Kit  ter-Koot- 

Vfountains  em  Felsengebirge  lebte,  in  Kuropa  als  „Flatheads"  oder 


§  231.     Künstliche  Scliädelverbiltlung  bei  den  Indianern.  93 

Selisch-(Salish-)Indiauer  bekannt  sind,  und  von  denen  es  neuerdings  heißt, 
sie  hätten  das  Kopfabplatten  überhaupt  nie  geübt1). 

Allerdings  scheint  der  Begriff  ..Flachkopf-'  (Plattkopf)  im  Lauf  der  Zeiten 
auch  auf  andere  Indianervölker,  die  Schädelabplattung  trieben,  angewendet 
worden  zu  sein,  z.  B.  gerade  auf  die  Tschinuk,  welche  neben  den  Cowlitz 
(Cowelits)  in  diesem  Brauche  weiter  gingen  „als  irgendein  anderer  der 
Plattkopf  Stämme",  wie  Karte  schrieb.  „Flathead-Tribus"  am  Columbia- 
Fluß-)  wendeten  nach  S.  H.  Morton  zur  Schädelverbildung  eine  Wiege  an,  in 
welcher  ein  dreiseitiger  querliegender  Klotz  mit  aufwärts  gerichteter  Kante 
den  Nacken  des  Kindes  stützte.  Über  die  Stirne  des  Kindes,  welches  in  diese 
Wiege  ausgestreckt  hineingebunden  war.  lief  ein  Querriemen,  der  an  den 
beiden  seitlichen  Wiegengeländern  befestigt  war. 

Catlin,  der  in  der  1.  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  unter  den  Tschinuks 
weilte,  präsentierte  seinen  Lesern  eine  Tschinuk-Mutter  mit  Flachkopf  samt 
ihrem  Kind,  das,  in  der  „kahnartigen"  Kompressionsmaschine  liegend,  von  ihr 


Fig.  274.     Kinderwiege  mit  Kopfpresse  bei  den  K  w  ak  i  ul-I  ndi  anern.     Im  K.  Museum  für  Völkerkunde 

in  Berlin 

getragen  wird,  auch  wenn  sie  an  den  weiten  Wanderzügen  ihres  Stammes 
teilnimmt  (vgl.  Kap.  XIV).  —  Bei  Karte,  der  sich  gleichfalls  bei  den  Chinooks 
aufhielt,  finden  wir  ein  mit  Moos  oder  Fasern  der  Zederrinde  bedecktes 
„Brett",  auf  welchem  das  Kind  befestigt  wurde;  zur  Abflachung  des  Kopfes 
wurde  dem  Kind  ein  Polster  auf  die  Stirne,  darüber  glatte  Baumrinde  gelegt 
und  beides  mit  einem  Kiemen  befestigt,  welcher  darüber  geführt  und  durch 
je  ein  Loch  zu  beiden  Längsseiten  des  Brettes  gezogen  wurde.  Statt  des 
dreiseitigen  Klotzes  bei  Morton  finden  wir  bei  Kaue  ein  Kissen  von  Gras  oder 
Zederfasern  im  Nacken  des  Kindes  als  Stützpunkt.  Dieses  Verfahren,  so 
schrieb  er,  beginnt  mit  der  Geburt  und  wird  8 — 12  Monate  fortgesetzt.  Nach 
dieser  Zeit  hat  der  Kopf  seine  natürliche  Gestalt  verloren  und  die  eines 
Keils  erhalten:  der  vordere  Teil  des  Schädels  ist  flach,  nach  dem  Wirbel  hin 
höher.  —  Schmerzen  schienen  die  Kinder  durch  den  Druck  nicht  zu  leiden,  denn 
•sie  wimmerten  und  weinten  nicht,  solange  sie  die  Stirnbandage  trugen,  obgleich 
•diese  ihnen  die  Augen  aus  dem  Kopfe  trieb.    Allerdings  war  Kanes  Vermutung 


')  Eine  Flathead-  oder  Seiischreservation  ist  jetzt  im  Staate  Montana. 
2)  Die  Tschinuk  leben  an  der  Mündung-  dieses  Flusses. 


94  Kapitel  XXXVI.     Operationen  am  Kindesschädel. 

wohl  richtig,  daß  die  Kinder  durch  den  Druck  betäubt  waren,  denn  sie  weinten 
nach  Entfernung  der  Riemen,  bis  man  sie  ihnen  wieder  anlegte.  Dennoch  sei 
ihre  Gesundheit  kaum  (weiter)  benachteiligt  worden,  denn  die  Kinder- 
sterblichkeit sei  unter  den  Flach-  oder  Plattkopfindianern1)  nicht  merklich 
höher  als  unter  den  andern  Indianerstämmen.  Ebensowenig  schienen  die 
geistigen  Fälligkeiten  darunter  zu  leiden,  denn  die  Plattköpfe  galten  für 
ebenso  begabt  wie  die  umwohnenden  Stämme  mit  natürlichen  Schädelformen. 
Sie  selbst  sahen  in  einem  abgeplatteten  Kopf  das  Merkmal  der  Freiheit; 
sie  nahmen  ihre  Sklaven  aus  den  mndköpfigen  Stämmen  und  schätzten  auch 
die  Weißen  wegen  ihrer  runden  Köpfe  gering. 

Die  Keilform  des  verbildeten  Schädels  konstatierte  Scouler  für  die 
nordwestlichen  Indianer  Nordamerikas  überhaupt2),  ebenso  für  die 
Antillen-Karaiben.  Scouler  bemerkt  hierzu,  daß  der  Kopf  des  Kindes 
häufig  schon  unmittelbar  nach  der  Geburt,  und  dann  3 — 4  Tage  lang 
(jedenfalls  mit  Zwischenpausen  gemeint)  mit  der  Hand  leicht  gedrückt  werde. 
Als  Ausfütterung  der  Wiege  oder  Kiste  gibt  er  Moos  und  Werg  an.  Das 
auf  einem  Brett  ruhende  Hinterhaupt  werde  ebenfalls  durch  Moos  und  Werg 
gestützt,  auf  dem  Vorderkopf  aber  ein  Brett3)""  festgebunden.  Das  Kind  bleibe 
in  diesem  Apparat,  von  kurzen  Zwischenpausen  abgesehen,  bis  es  gehen 
könne;  dreijährige  Kinder  boten  einen  schauerlichen  Anblick:  keilförmigen 
Kopf  und  hervorstehende,  nach  oben  gerichtete  Augäpfel.  —  Auch  Dufiot 
de  Mofras  beschrieb  einen  Apparat  für  Schädeldeformation  von  der  nord- 
amerikanischen Westküste:  Ein  Brett  mit  Moos  und  mit  einem  Fell  bedeckt.  Der 
Stützpunkt  im  Genick  soll  verhindern,  daß  das  Kinn  auf  die  Brust  herab- 
falle. — 

Als  schädeldeformierende  Stämme  im  Innern  Nordamerikas  fanden  sich 
bei  Ploß  (2.  Aufl.  I,  308)  die  von  Haie  erwähnten  Sahaptin  und  Wallawalla. 

Im  südöstlichen  Teil  des  nordanierikanischen  Kontinents  waren  es  die 
Natchez,  Waksaws,  Creeks  und  Maskoki.  Auch  der  weiter  nördlich, 
im  Osten  der  Felsengebirge,  lebende  Zweig  der  Maskoki.  die  Tschokta, 
sowie  die  Tschickasaw,  Athacapas,  Solkuks  u.  a.  m.  übten  Schädel- 
deformation. Die  Tschokta  legten  dem  auf  dem  Wiegenbrett  befestigten  Kind 
einen  Sandsack  auf  die  Stirne  (Bertram);  die  Waksaws  im  nördlichen 
Carolina  eine  Rolle  (Laicson);  die  Völker  in  Louisiana  Töpferton  (Lii/itmn. 
Ähnlich  wie  bei  den  erwähnten  Völkern  im  Nordwesten,  so  band  man  auch 
liier  die  Stirnpressen  durch  Schnüren  (oder  Riemen?)  an  den  Seitenlöchern 
des  Wiegenbrettes  fest  und  verstärkte  den  Druck  allmählich.  Der  Hinterkopf 
wurde  da  und  dort  in  ein  Loch  im  Wiegeiibrett  gelegt,  das  manchmal  trog- 
förmig  ausgehöhlt  war.  Als  Zeitdauer  hat  Ploß  von  diesen  Völkern  drei 
Jahre  angegeben. 

Die  Form  der  verbildeten  Natchez -Schädel  aus  den  Gräbern  am 
Mississippi  war  eine  zylinderförmig  verlängerte,  wie  die  der  Ayniaras  und 
Hiianclias  in  Peru  und  Bolivia.  Nach  Morton  bewiesen  die  hinterlassenen 
Eindrücke,  daß  der  Schädel  ringsum  von  Bandagen  umgeben  war,  welche  ihn 
noch  hielten  und  abwärts  drückten.  Eiue  Binde  lief  von  der  Basis  des  llinter- 
ko]  i'  -  über  die  Stirne,  eine  zweite  über  den  Scheitel   hinter  der  Kreuznaht, 


'      Vi    .    auch    liier   Ausdehnung   des    Begriffes    „Flachkopfindianer"    auf   die   Tschinuk 
und.  wie  es  schei  d   "    i  tiimme  mit  künstlicher  Schädelverbildung. 

"I  wohl    all       em    Stämme   auf  Vancouver-Island,   in  den    benachbarten 
Buchten    bis    herunter   zum   Columbia-Fluß   und   zum   nördlichen    Kalifornien   gemeint, 

lichkeit  in  Aussehen,  Sprache  und  Sitte  unter  dem  gemein- 
samen Namen  N  utka-Columbier  vereinte  (vgl.  indessen  Hesse-Warteggs  Mitteilung  über 
eine  Kegel  Island,  S.  !»ü  u.).  — 

Polster  und  Sir  auf  S.  93. 


§  231.     Künstliche  Schädelverbildung  bei  den  Indianern.  95 

uin  die  Seiten  des  Schädels  zu  drücken.  Nur  der  Hinterkopf  konnte  sich  frei 
entwickeln.  Nach  De  Soto  (bei  Ploß,  2.  Auti.  I,  307)  waren  Xatchez-Indianer 
auch  in  Florida,  und  von  A.  Ecker  wissen  wir,  daß  die  Mehrzahl  der  von 
ihm  untersuchten,  aus  alten  Gräbern  Floridas  stammenden  Schädel  künstlich 
deformiert  waren,  d.  h.  daß  auch  hier  die  Eindrückung  des  untern  Teils  der 
Scheitelbeine  auf  Bandagen  zurückzuführen  ist.  Die  kräftig  gebaute  und  un- 
gewöhnlich große  Bevölkerung,  von  der  diese  Schädel  stammen,  sei  gewiß 
diejenige  gewesen,  welche  die  Europäer  im  16.  Jahrhundert  noch  in  Florida 
vorfanden. 

Vou  den  Xahua-Völkern,  deren  wichtigster  Zweig  die  Azteken  oder 
Mexikaner  waren,  schrieb  Gomara.  daß  sie  die  Kinder  so  in  die  Wiege 
legten,  daß  das  Hinterhaupt  nicht  wachsen  konnte,  weil  diese  Entwicklung 
für  häßlich  galt.  —  Humhoklt  hingegen  behauptete,  daß  die  Azteken  (Mexikaner) 
nie  Schädeldeformation  übten.  Die  in  Gräbern  und  auf  Monumenten  nach- 
gewiesenen Deformationen  sollen  auf  eine  voraztekische  Bevölkerung  zurück- 
geführt werden.  Doch  dürfte  das  kaum  stichhaltig  sein.  Klemm  beschreibt 
bei  Bancroft  die  Nahua-Wiege  als  ein  hartes  Brett,  auf  welches  das  Kind  so 
befestigt  wurde,  daß  die  Schädelverbildung  stattfinden  mußte.  Fast  scheint 
aber  das  nur  bei  "Wohlhabenden  Brauch  gewesen  zu  sein ;  denn  es  folgt  bei 
Bancroft  die  Bemerkung:  Die  Armen  hatten  leichte  Rohrwiegen,  welche  die 
Mütter  auf  den  Rücken  binden  konnten. 

Besonders  interessant  ist  es.  daß  die  alten  Mexikaner  nach  Bancroft 
die  Zeremonie  der  Schädelpressung  mit  der  Zeromonie  des  Ohrendurchstechens 
verbanden,  daß  also  beide  am  Feste  des  Feuergottes  stattfanden,  und  daß 
dieses  Fest  auch  „Itzcalli"  (Wachstum)  hieß,  weil  die  Zeremonie  derSchädel- 
pressung  das  Wachstum  des  Kindes  befördern  sollte  (vgl.  das  folgende 
Kapitel.  Abschnitt  ..Das  Durchlöchern  der  Ohren  .  .  .").  — 

Einem  voraztekischen  Volk  in  Mexiko,  d.  h.  den  Zapoteken,  schrieb 
Berchthold  einen  künstlich  deformierten  Schädel  zu. 

Auch  die  Maya-Völker  flachten  ihren  Kindern  die  Köpfe  ab.  In 
Nicaragua  hielten  die  Mayas  dafür,  daß  die  Götter  selbst  die  Kompression 
des  Schädels  eingeführt  hätten,  daß  solche  Köpfe  ein  Zeich  en  vorn  eh  111  er  Geburt 
und  der  Typus  höchster  Schönheit  sei.  Außerdem  trug  ein  abgeflachter 
Schädel  die  Lasten  leichter.  Von  den  Mayas  in  Yucatan  berichtete  Landa  (bei 
Bancroft):  Am  vierten  oder  fünften  Tag  nach  der  Geburt  legte  man  das 
Kind  auf  das  Gesicht  und  preßte  den  Kopf  zwischen  zwei  Bretter,  von  denen 
das  eine  auf  die  Stirne,  das  andere  auf  den  Hinterkopf  zu  liegen  kam.  In 
dieser  Folter  mußte  das  Kind  mehrere  Tage  verharren,  bis  die  erwünschte 
Form  erreicht  war.  und  so  stark  war  der  Druck,  daß  bisweilen  ein  Kinder- 
schädel brach.  —  Abflachung  des  Hinterkopfes  durch  zweckmäßiges  Befestigen 
der  Kinder  auf  einem  Brett  erwähnt  Sguier  (bei  Bancroft)  von  den  Maya- 
Xweigen  der  Qu  ich  es,  Cakchiquels  und  Zutugils,  wozu  Bancroft  bemerkt: 
Die  vielen  deformierten  Schädel  auf  den  Skulpturen  in  Chiapas,  Honduras 
und  Yukatan  beweisen  zur  Genüge,  daß  eine  abgeflachte  Stirne  das  Ideal 
männlicher  Schönheit  war,  und  daß  diese  Operation  im  Altertum  noch  all- 
gemeiner vorgenommen  wurde  als  in  der  Gegenwart. 

Von  den  Kindern  der  Smu  im  Mosquito-Gebiet,  welche  der  gleichen 
Operation  unterworfen  werden,  schrieb  Ch.  X.  Bill,  daß  sie  zwischen  ihren 
aufgeschnürten  Brettern  klagten  und  wimmerten,  und  daß  viele  aus  ihnen 
durch  diese  Prozedur  zugrunde  gingen. 

Auf  den  Antillen  benutzten  die  Karaiben  keinen  künstlichen  (V)1) 
Apparat,  sondern  die  Mütter  legten  sich  die  Kinder  quer  so  über  die  Schenkel, 

'i  Aus  Ploß  (2  Aufl.  I.  309  und  314)  geht  nicht  klar  hervor,  ob  nach  einigen  Tagen 
nicht  doch  noch  ein  künstlicher  Apparat  angewendet  wurde. 


t)ß  Kapitel  XXXVJ.     Operationen  am  Kindesschädel. 

daß  der  linke  unter  den  Nacken  des  Kindes  kam,  und  war  dieses  eingeschlafen, 
dann  legte  ihm  die  Mutter  die  rechte  Handfläche  auf  die  Stirne,  stützte  den 
linken  Ellbogen  auf  den  Rücken  dieser  Hand  und  drückte  so  die  Stirn  an- 
haltend nieder  [Gosse). 

Für  die  von  der  Fregatte  Novara  seinerzeit  mitgebrachten  süd- 
amerikanischen Schädel  mit  künstlicher  Vorbildung  konstatierte  Zucher- 
handl  drei  verschiedene  Formen:  a)  die  keilförmige,  welche  hauptsächlich 
durch  Abplattung  des  Hinterhauptbeins  und  der  hinteren  Teile  der  Scheitel- 
beine hervorgerufen  wird,  oder  die  Deformation  steigert  sich  durch  die  Ver- 
kürzung des  Längendurchmessers  des  Schädels  so,  daß  dieser  einen  unmittel- 
baren Übergang  zur  Schädelfonn  der  „Flachkopf-Indianer"1)  in  Nordamerika 
bildet;  b)  die  bisquitförmige;  c)  die  von  Tschad'/  beschriebene  Huancaform, 
wovon  die  Schädel  aus  Arica  und  Cochabamba  Beispiele  sind2). 

In  Peru  gibt  es  nach  Virchow  umfangreiche  Gräberfelder,  auf  denen  es 
eine  besondere  Aufmerksamkeit  erfordert,  wenn  natürlich  gebildete  Schädel 
gefunden  werden  sollen.  Die  ersten  am  Titicaca-See  auf  der  peruanisch- 
bolivianischen Hochebene  gefundenen,  welche  man  Pentlanä  verdankte,  wurden 
anfangs  von  Tiedemaa»  und  Tschudi  als  Rasseneigentümlichkeiten  gedeutet,  von 
Morton  und  d'Orbigny  aber  als  künstliche  Verbildungen  nachgewiesen.  Übrigens 
hatten  schon  verschiedene  spanische  Schriftsteller  über  diesen  Brauch  im 
Inkareich  belichtet  (vgl.  Kap.  XIV,  §90).  Im  Jahre  1585  soll  den  Peruanern 
die  Schädeldeformation  durch  eine  Synode  unter  Androhung  von  Strafen  ver- 
boten worden  sein  (v.  Martins  nach  Mayen).  Aber  noch  im  19.  Jahrhundert 
winde  sie  von  manchen  Stämmen  geübt.  Die  Conibos  (Canivos)  banden  den 
Kopf   der    Kinder   auf   ein   halbes  Jahr   zwischen   zwei   Bretter,    welche   mit 


!)  Die   Meinungsverschiedenheiten    über   diese,    bzw.    die  Ausdehnung    dieses   B<  . 
ist  weiter  oben  angedeutet  worden. 

-i   Bim     Beschreibung   der    von    Rüdinger-Häochen   seinerzeit    festgestellten   vier  Typen 
amerikanischer  Schädelverbildungen  aus  der  2.  Auflage  möge  hier  als  Anmerkung  folgen: 

Typus  1:  Die  Schädel  sind  nach  hinten  und  oben  in  die  Länge  gedrückt.  Der  quere 
Durchmesser  nebst  dem  Höhendurchmesser  sind  sehr  gering.  Die  einzelnen  Schädel- 
knochen sind  in  ihrer  Form  stark  verändert,  das  Stirnbein  ist  von  vorn  nach  hinten  ver- 
längert, die  Scheitelbeine  und  die  Schuppen  der  Schläfenbeine  so  stark  nach  rückwärts 
hoben.  daß  der  SchläFenmuske]  einen  rechten  Winkel  machen  muß,  um  zum  I  nterkiefer 
herunter  zu  gelangen.  Die  Ausdehnung  nach  rückwärts  beginnt  vom  Hinterhauptsloch,  hinter 
welcher  der  größte  Teil  des  Gehirns  Hegt.  Hier  sieht  man,  daß  die  Druckmittel  oft  in  den 
Nacken  hinab  gewirkt  haben  müssen.  Die  Basis  des  Schädels  ist  von  hinten  nach  vorn 
deshalb  am  wenigsten  verändert,  weil  liier  keine  Angriffspunkte  für  die  Druckmittel  möglich 
sind.  Uli  die  Kapazität  des  Schädels  im  Vergleich  zu  der  eines  normalen  verringert  ist. 
läßt  sich    schwi  inen      Rüdinger   hat    die   Kapazität    eines   solchen  Schädels  bestimmt 

und    1500  Kubikzentimeter  als   Rauminhalt   gefunden.     Pas  Gehirn    muß   in    seinen   einzelnen 
der   Knochen   auf  gleiche    Weise  mitmachen. 
Typus  II:   Der  S  I  zuckerhutförmig.   Man  nennt  solche  Schädel  Turmköpfe.    Hier 

wurde  das  knnchenwachstum  in  der  horizontalen  Ebene  beschränkt.  Der  Durchmesser  von 
vorn  nach  hinten  ist  unverhältnismäßig  gering,  voo  oben  nach  unten  unverhältnismäßig  groß. 
Die  Zuckerhutform  findet   man  auch  im  Süden   Prankreichs. 

Typus    III:     Einfache    Abplattung   der   Stirn    und    der    Scheitelhöhe.      Diese    Form 

findel    sich    jetzl    vielen    Stämmen    im    Norden    des   Columbiaflusses       Stirn-    und 

b  oe,    der  Querdurchmesser   ist    auf  Kosten   der  Höhe   bedeutend 
1  irn   muß   hierbei   als  allgeplattetes   gedrücktes   Organ   erscheinen. 
I  »er  Schädel  ist  eigentümlich  bisquitförmig  mit  kantigem  Vorsprunge  auf  der 
Kranznahl  sigen    Ausbauchungen    an    den    Scheitelhöckern.      Das    Stirnbein    ist    un- 

verhältnismäßig lii      Mute    der  Scheitelhöhe    zeigt    muldenförmige    Vertiefungen. 

Bei   dieser  Form  itäl    bedeutend  verringert.      Dos  Gehirn    ist    nach   d  i 

S  mittel  scheinen  von  zwei  Seiten  gewirkt  zu  haben:   Das 

eine  von  vorn,   das  hinten      Zu   diesen   Druckmitteln  wurden   auch  Kompressen 

let,   uiii   die    Rint  im    Kopfe    zu    erzeugen.      Die   Schädelkapazität    betrug    bei 

Schädel   1360  Kubikzentimeter.     (Correspondenz-Blatt  der 
'     \nthrupo].      1874,   Nr.  7.  S.  54  \ 


§  231.     Künstliche  Schädelverbildung  bei  den  Indianern.  97 

Baumwolle  belegt  wurden.  Das  eine  lag  über  der  Stirne,  das  andere  am 
Hinterkopf,  und  beide  wurden  durch  Schnüre  so  verbunden,  daß  der  Kopf  eine 
platte  und  verlängerte  Form  erhielt.  Man  schrieb  diesem  Volk  geringe  geistige 
Begabung  zu;  doch  dürfte  diese,  wenn  wirklich  vorhanden,  kaum  auf  die 
Schädeldeformation  zurückführbar  sein,  da  die  Omaguas,  mit  gleichfalls 
deformierten  Schädeln,  als  geweckte  und  betriebsame  Indianer  geschildert 
worden  sind.  Auch  bei  diesen  Omaguas,  welche  von  Missionaren  in  San  Paulo 
de  Olivenqa  im  nordwestlichen  Brasilien  angesiedelt  worden  sind,  um- 
wickelten die  Mütter,  nach  .  Paul  Marcoy,  den  Kopf  des  Neugebornen  mit 
Baumwolle  und  befestigten  darüber  (und  darunter?)  zwei  Bretter.  Die  Methode 
scheint  also  die  gleiche  gewesen  zu  sein  wie  bei  den  Conibos.  Das  Kind 
der  Omaguas  mußte  aber  in  seinem  Apparat  so  lange  bleiben,  bis  es  gehen 
konnte.  Der  Schädel  war  dann  oblong,  und  die  Augen  hatten  eine  eigentümliche 
Stellung.  Die  Bemühungen  der  Missionare,  diesen  uralten  Brauch  abzuschaffen, 
waren  bei  den  Omaguas1)  keineswegs  immer  mit  Erfolg  gekrönt.  Bei  ihnen 
hatte  im  Jahre  1819  Spix  übrigens  einen  Kompressionsapparat  anderer  Art 
als  der  oben  beschriebene  gefunden,  d.  h.  ein  kahnförmig  ausgehöhltes  leichtes 
Holzstück  mit  einem  zurückschlagbaren  Brettchen  über  den  Beinen  des  Säug- 
lings. Der  Kopf  des  Kindes  ruhte  auf  einem  weichen  Kissen,  hatte  aber  je 
einen  viereckigen  Baumwolllappen  mit  flach  aufgenähten  Strohhalmen  auf  Stirn 
und  Hinterhaupt,  welche  den  nötigen  Druck  ausüben  mußten.  Das  Kind  wurde 
in  diesen  Kahn  hin  eingeschnürt;  schlief  es,  dann  schlug  man  das  Brett  chen 
zur  Verstärkung  des  Druckes  nach  oben.  Auch  beim  Stillen  ließ  die  Mutter 
ihr  Kind  in  diesem  Apparate  festgebunden;  reinigte  sie  es,  dann  wurde  das 
Brettchen,  wie  während  des  Schlafes,  nach  oben  geschlagen. 

Sowohl  die  Omaguas  als  auch  die  Conibos  scheinen  ehemals  unter  der 
Herrschaft  der  peruanischen  Inkas  gestanden  zu  haben.  Jedenfalls  waren  die 
Aymara  einer  der  sechs  Hauptstämme  der  Inkaperuaner.  Von  den  in  alten 
Aymaragräbern  gefundenen,  künstln  h  deformierten  Schädeln  aber  schrieb 
Virchow,  daß  sie  die  gleiche  Abplattung  des  Hinterhauptes  und  der  Stirne  hatten, 
wie  die  auf  der  Südküste  von  Mallicollo,  einer  Insel  der  Neu-Hebriden, 
auf  Luzon  (Philippinen),  auf  Tahiti  und  Niue  gefundenen,  welche  in  diesem 
Kapitel  schon  einmal  erwähnt  wurden.  Wer  darauf  besteht,  die  peruanische 
Einwanderung  aus  der  Südsee  geschehen  zu  lassen,  der  möge  hier  die  Etappen 
der  Überführung  der  einstmaligen  Insulaner  nach  der  amerikanischen  West- 
küste erkennen.  Daß  Virchow  selbst  diese  Verbreitung  der  Schädeldeformation 
nicht  als  erwiesen  ansah,  geht  aus  seinen  Äußerungen  hervor,  welche  in  der 
Einleitung  zu  diesem  Kapitel  wiedergegeben  worden  sind. 

Künstliche  Schädelverbildung  ist  ferner  nachgewiesen  bei  den  Pampas, 
Araucos  und  Patagonen  oder  Tehuelchen.  Von  den  Pampas,  Nachkommen 
der  Araucos,  schrieb  Oldendorf,  Chef  des  Argentinischen  Agrikultur-Departements: 
Sobald  die  Pampas-Indianerin  ihr  Kind  geboren  und  im  nächsten  Fluß  oder 
See  gebadet  hat,  wird  des  Neugeborne  auf  ein,  an  beiden  Enden  zugespitztes, 
Brett  gebunden  (gewöhnlich  von  Algarrobo-  oder  Talaholz),  wobei  der  Kopf 
durch  einen  um  das  Brett  gebundenen  Hautstreifen  fest  mit  dem  Hinterhaupt 
darauf  gepreßt  wird;  daher  die  Abflachung,  da  das  Kind  in  dieser  Lage  bleibt, 
bis  es  Anstalten  zum  Gehen  macht.  Geht  die  Mutter  ihrem  häuslichen  Ge- 
schäft nach,  so  stößt  sie  das  Brett  mit  der  einen  Spitze  in  aufrechter  Stellung  in 
die  Erde;  nachts  wird  es  mit  den  beiden  zugespitzten  Enden  in  zwei,  im  Toldo 
(Zelt  von  uiigegerbten  Häuten)  angebrachte  Schlingen  gehängt,  die  Stelle  der 
Wiege  vertretend.  Reitet  sie  aus,  so  wird  das  Kind  samt  Brett  auf  den 
Rücken  der  Mutter  gebunden,  in  einen  Poncho  gehüllt.  —  Die  in  den  70ger 


!)  Von  andern  Brasilianern  auch  Canga  oder  Acangaapeba,  Plattköpfe,  genannt. 
Ploß-Renz,  Das  Kind.    8.  Aufl.    Band  II.  7 


gg  Kapitel  XXXVI.     Operationen  am  Kindesschädel. 

Jahren  des  vergangenen  Jahrhunderts  von  Burmeister  an  die  Berliner  An- 
thropologische Gesellschaft  eingesandten  und  von  Virchow  untersuchten  Pampas- 
schädel bestätigten  dann  auch  Oldendorfs  Bericht  über  den  Brauch  der  künst- 
lichen Verbüdung. 

Ein  aus  Araucanien  nach  Argentinien  eingewanderter  Zweig  der  Pampas 
sind  die  jetzt  fast  ausgestorbenen  Ranquelas.  Ihre  Methode  stimmt  nach 
dem  Berichte  Wiens  mit  der  von  Oldendorf  beschriebenen,  bei  ihren  Stamm- 
verwandten üblichen,  vollständig  überein. 

Die  Deformationsmethode  der  jetzigen  Patagonier  ließ  sich  Virchow 
von  einer  durch  Hagenbeck  in  Berlin  vorgestellten  Patagonierin  vor- 
demonstrieren.  Seinem  Bericht  zufolge  wird  das  Neugeborne  auf  ein 
Brett  gelegt;  dann  kommt  je  ein  Brettchen  auf  beide  Seiten  des  Kopfes, 
damit  dieser  beim  Reiten  der  Mutter  auf  den  langen  Umzügen  ihres  Stammes 
nicht  wackelt,  und  schließlich  bindet  man  den  Kopf  mit  einer  breiten  Binde, 
welche  die  Weiber  sonst  um  den  Leib  tragen,  auf  dem  horizontalen  Brett 
lest,  auf  welchem  das  Kind  liegt.  Die  Zeitdauer,  während  weichet-  es  in 
diesem  Apparat  leben  muß,  wurde  auf  ein  Jahr  festgesetzt.  Das  Resultat 
dieser  Prozedur  ist  das  gleiche  wie  bei  den  Pampas,  d.  h.  Hinterkopf 
und  Stirne  bilden  fast  senkrechte  Flächen.  Hingegen  zeigten  die  alt- 
patagonischen  Schädel,  welche  Bv/rmeister  eingesandt  und  Virchow  unter- 
sucht hatte,  und  die  aus  Dünen-Gräbern  längs  des  Rio  Xegro,  von  Carmen 
de  Patagones  aufwärts,  stammten,  eine  künstlich  stark  zurückgedrängte 
Stirne  mit  wenig  verändertem  Hinterhaupt  ').  Diese  Deformation  wird  auf 
die  dort  noch  übliche  Kopfbinde  zurückzuführen  sein,  mit  welcher  sich  nach 
Moreno  und  anderen  die  jetzigen  Tehuelchen  die  Haare  nach  rückwärts 
zusammenhalten.  — 

§  232.     Die  Schädel-Trepanation. 

Die  Trepanation  oder  Durchlöcherung  der  Hirnschale  ist  nicht  Erfin- 
dung der  neuzeitlichen  Chirurgie  unseres  Kulturmilieus,  sondern  ist  bereits 
für  die  jüngere  Steinzeit  nachgewiesen  worden,  welche  in  Mitteleuropa 
bekanntlich  bis  zum  zweiten  Jahrhundert  v.  Chr.  herabreicht. 

Die  ersten  spuren  von  Schädel-Durcbbohrung  zeigten  sich  mit  jenen 
Schädelplättchen  (Üondelles),  welche  der  Franzose  Prunieres  in  den  Dolmen 
\<>n  Lozere  fand  und  die  als  Amulette  getragen  worden  seiu  sollen.  Dann 
kamen  aus  verschiedenen  Grabgretten  trepanierte  Menschenschädel  zum  Vor- 
schein. Nun  ihnen  waren  nach  Broca,  dem  Pariser  Anthropologen,  viele  bei 
Lebzeiten  der  betreffenden  Personen  durchbohrt  worden.  Seine  Vermutung, 
daß  die  Operation  bei  Kindern  vorgenommen  wurde,  um  Krämpfen  und 
anderen  inneren  Krankheiten  entgegen  zu  wirken,  ist  nach  ungefähr  30  Jahren 
durch  den  folgenden  Bericht  aus  dem  Bismarckar chipe]  bekräftigt 
worden. 

Im  nördlichen  Neumecklenburg  und  auf  Neuhannover  schneiden 
nämlich  die  Mütter  ihren  kleinen  Kindern  die  Stirnhaut  durch  und  schaben 
unter  dem  furchtbaren  Geschrei  des  Kindes  so  lange,  bis  das  Stirnbein  klafft 
und  die  Hirnhaut  bloß  liegt.  Dadurch  will  man  späteren  Kopfschmerzen,  die 
von  eiic  isl  herkommen  sollen,  im  voraus  entgegenarbeiten.     l>enn 

nun  kann  der  Lose  Geisl   hinaus  (Glob.  89,  211,  nach   Parkinson). 


I        S  sind    übrigens   auch    „altpatagonische"  Schädel  erwähnt, 

deren  I  ,  I ; . ,  1 1 . ■  r  hervorgebracht  ist.  vou 

rag    an    die    Stirn,  das   andere   an    den   Hinterkopf  gelegt   wurde.     Dadurch 

entstand,  wi  pn,  eini    Zuröckschiebang  der  Stirn  und  eine  Abdachung 

des  Hinterkopfes."  — 


§  232.     Die  Schädel-Trepanation.  99 

Ähnliche  Schädel  wie  die  von  Broca  untersuchten  fand  B.  Dudlik  zu 
Sedlec  bei  Kattenberg  in  Böhmen  in  einem  alten  Beinhaus,  sowie  WanJcel 
in  der  Byziskala-Höhle  in  Mähren,  und  öredner  in  einem  Gräberfeld  von 
Giebichenstein  bei  Halle,  so  daß  der  Wahrscheinlichkeitsbeweis  erbracht 
ist,  daß  in  der  jüngeren  Steinzeit  die  diese  Gebiete  bewohnenden  Völker  den 
mehr  oder  weniger  geübten  Brauch  der  Schädeltrepanation  hatten. 

Broca  unterschied  eine  „trepanation  posthume"  und  eine  „trepanation 
cliirurgicale":  jene  mit  rauhem  und  schartigem,  diese  mit  scharfkantigem  und 
förmlich  geglättetem  Schnitt.  Aber  auch  eine  durch  Schaben  bewirkte  Durch- 
löcherung, also  wie  im  Bismarckarchipel,  scheint  in  der  europäischen 
Steinzeit  stattgefunden  zu  haben1). 

Den  Brauch,  Plättchen  aus  Menschenschädeln  unter  den  Halskorallen  als 
Amulett  zu  tragen,  versetzte  Ploß  in  eine  viel  spätere  Zeit;  vielleicht  habe 
er  sich  auf  die  historischen  Gallier  vererbt.  Ein  solches  Amulett  befindet 
sich  in  der  Sammlung  „Meorel"  in  Chalons-sur-Marne.  — 


!)  Durchbohrte  Schädel  hat  man^auch  in  einigen  nordamerikanischen  Mounds, 
d.  h.  Grabhügeln,  mit  prähistorischen  Überresten  gefunden.  Vgl.  Annual  Reports  of  the 
board  of  regeuts  of  the  Smithsonian  Institution  1875.  S.  234  ff.  Archiv  f.  Anthropol.  XIII. 
1881.  S.  499.  Die  künstliche  Perforation  ist  jedoch  hier  in  allen  Fällen  nach  dem  Tode 
des  Individuums  gemacht  und  hatte  wahrscheinlich  den  Zweck,  mittels  des  Loches  den 
Schädel  aufhängen  zu  können  {Ploß). 


7* 


Kapitel  XXXVII. 

Operationen  mannigfacher  Arten  am  Korper  des 

Kindes. 

§  '1'tö.  Schon  frühere  Kapitel  haben  einzelne  Operationen  am  Körper 
des  Kindes,  nämlich  die  Haarschur,  die  Veranstaltung  der  Füße  und  Beine 
miil  die  sexuellen  Operationen  behandelt.  Mit  diesen  ist  aber  den  Bräuchen 
vieler  Völker  noch  lange  nicht  genug  getan.  Der  ganze  Organismus,  oder 
doch  noch  verschiedene  andere  Teile,  als  die  von  den  obigen  Operationen 
berührten,  bedürfen  nach  althergebrachten  Anschauungen  der  Nachhilfe,  der 
Ordnung  durch  geschickte  Menschenhände,  sei  es  gleich  nach  der  Geburt,  oder 
später,  einmal  oder  öfter.  Deshalb  knetet,  frottiert,  drückt  und  preßt  man 
das  Neugeborne  nicht  nur  im  heutigen  Bannu  im  nordwestlichen  Indien  und 
bei  den  Kurden.  Armeniern  und  Tataren  des  russischen  Kaukasus,  sondern 
man  tat  ähnliches  auch  im  kaiserlichen  Rom;  und  wie  die  alten  Kömer.  so 
bangen  auch  die  heutigen  Küssen  und  Esten,  Kurden,  Armenier  und  Tataren 
die  Kindlein  an  den  Füßen  auf,  um  ihr  Rückgrat  zu  strecken,  oder  ihnen  den 
Verstand  in  den  Kopf  zu  schütteln,  oder  andere  Wohltaten  zu  sichern.  Das 
Recken,  Strecken  und  Schütteln  der  Glieder  der  Neugebornen  und  Säuglinge. 
scheinl  überhaupt  zahlreichen  Völkern  als  Pflicht  vorzuschweben.  I>ie  süd- 
afrikanischen Basutos  und  Maravi  tun  es  auch,  und  ebenso  die  Yaper  und 
Australier.  Nichtarische,  kulturell  tiefstehende  Völklein  in  Vorderindien  gehen 
im  Kneten  und  .Massieren  ihrer  Neugebornen  besonders  systematisch  vor,  und 
mit  dem  Schütteln  der  Extremitäten  in  den  Gelenken  verfolgen  sie  den 
wesentlich  gleichen  Zweck,  den  die  Ärzte  im  klassischen  Koni  verfolgten, 
nämlich  Elastizität. 

Auch  Vertreter  der  semitischen  und  hamitischen  Völkerfamilien  schütteln 
und  reiben  den  kleinen  Weltbürger. 

Daß  Neugeborne  mit  Birkenruten  gestrichen  werden,  scheint  nur  in 
Rußland  und  bei  den   Esten  vorzukommen. 

Erweiterung  der  Nasenlöcher  und  streichen  der  Harnblase  mußte  sich 
das  Kleine  früher  in  Deutschland  gefallen  lassen;  1  »rücken  des  .Magens  bei 
Hyperboräern  und  Indianern;  Wölbung  des  Gaumens  im  heutigen  Persien; 
kreuzweisi  -  Luseinanderziehen,  bzw.  Zusammenbiegen  der  Hände  und  Füße 
im  beutigen  Rußland  und  im  alten  Rom;  Einschnüren  der  Taille  das  neu- 
geborne  Mädchen  im  heutigen  Catalonien. 

1  ii.  Gesundheil   und  Kraft   war  und  ist  das  ge- 
wöhnlichste Motu   dieser  „Ordnung"  des  kindlichen  Organismus. 

besondere  Aufmerksamkeil  erfährt  bei  mehreren  Völkern  die  Nase, 
diesei    pl  oi  Iste  Teil  des  menschlichen  Gesichtes. 

isten  [che   sich   überhaupt   mit   ihrer  künstlichen  Um- 

bildung   beschäftigen,    scheinen    der   Meinung   zu   sein,    daß    die   Nase   ihre 


§  233.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes.  101 

Umgebung  zu  viel  überrage;  wenigstens  liegt  uns  mehr  Material  über  Ab- 
plattung, als  über  Verschmälerung  vor.  Jene  können  wir,  von  den  Negern 
abgesehen,  bei  den  Hottentotten  und  Bnschleuten,  bei  Malayen,  Mikronesiern, 
Polynesiern,  Tatarenstämmen  und  brasilianischen  Indianern  nachweisen;  Ver- 
schmälerung einstweilen  nur  in  der  indo-europäischen  Völkerfamilie,  auf 
Luzon,  wo  sie  vielleicht  gleichfalls  auf  europäischen  Einfluß  zurückzuführen 
ist,  bei  vorderindischen  Nichtariern  und  eventuell  in  Australien.  Selbst- 
verständlich gilt  aber  das  uns  jetzt  vorliegende  Material  keineswegs  für 
endgültig.  Die  einstweilige  Beschränkung  an  Material  gestattet  uns  auch 
einstweilen  keine  Entscheidung  darüber,  ob  das  Abplatten  der  Nase  und  das 
Schmücken  dieses  Gesichtsteiles  sich  gegenseitig  regelmäßig  ausschließen,  oder 
ob  beides  indifferent  nebeneinander  bestehe,  oder  aber  sich  gegenseitig  ergänze. 
Wir  finden  nämlich  in  den  folgenden  drei  Paragraphen,  daß  die  Yaper  die 
Nasen  ihrer  Kinder  sowohl  abplatten  als  auch  durchbohren,  ohne  jedoch  einen 
Schmuck  einzuführen.  Von  den  übrigen  dort  eingeführten  Völkern  ist  uns 
bisher  diese  doppelte  Operation  bei  ein  und  demselben  Volk  entweder  gar 
nicht  oder  nicht  mit  genügender  Deutlichkeit  bekannt. 

Übrigens  geht  aus  unserem  Material  hervor,  daß  die  Nasendurchlöcherung 
und  der  darauf  eingeführte  Fremdkörper  keineswegs  ästhetische  Zwecke  allein 
haben;  sie  sind  teils  soziale,  religiöse  und  vielleicht  auch  sexuelle  Symbole. 
Welches  von  diesen  das  primäre  war,  ist  nicht  festzustellen. 

In  den  seltensten  Fällen  wissen  wir,  welches  die  Operateure  sind. 
Aus  Australien,  diesem  Lande  reichster  Symbolik,  ist  uns  bekannt,  daß  im 
Süden  alte  Männer,  im  Innern  der  zukünftige  Gatte  des  zu  operierenden 
Mädchens  die  Durchlöcherung  übernimmt,  ein  Brauch,  der  sicher  wiederum 
einen  tieferen  Sinn  hat.  Im  südlichen  Kamerun  und  auf  Yap  besorgen  es 
die  Kinder  selbst,  bzw.  irgendein  Erwachsener. 

Die  durchlöcherten  Teile  sind  entweder  die  Nasenscheidewand  oder  ein 
Nasenflügel. 

Als  Schmuck  oder  Symbol  werden  in  die  Löcher  eingeführt:  Stäbchen, 
Pflanzenmark,  Scheiben  oder  Pflöcke  aus  Holz,  Zinn  und  Silber,  Knochen, 
Federspulen,  belaubte  Zweige,  Krebsscheren,  Muscheln,  Hinge  aus  Bernstein 
oder  Gold  u.  a.  m. 

Das  Alter  des  operierten  Kindes  variiert  bei  den  Völkern  der  folgenden 
Abschnitte  zwischen  14  Tagen  und  zehn  Jahren,  wenn  wir  von  der  mit  der 
Pubertätsfeier  verbundenen  Durchbohrung  absehen,  auf  welche  spätere  Kapitel 
zurückkommen. 

Was  schließlich  das  Geschlecht  der  zu  operierenden  Kinder  betrifft, 
so  geht  aus  den  hier  folgenden  Mitteilungen  hervor,  daß  ein  Teil  der  Völker 
nur  den  Mädchen,  andere  nur  den  Knaben,  und  wieder  andere  beiden  Ge- 
schlechtern die  Nase  operiert. 

Ein  noch  reicheres  Material  als  über  Nasenoperationen  liegt  uns  über 
das  Durchlöchern  der  Ohren  und  Lippen  vor.  Die  dort  fehlenden  Semiten, 
Hamiten  und  Völkergruppen  mit  isolierenden  Sprachen  treten  hier  auf;  auch 
die  amerikanischen  Völker  sind  hier  viel  zahlreicher  als  dort  vertreten. 

Den  Brauch,  sowohl  Ohren  als  Lippen  zu  durchbohren,  finden  wir 
in  §  238  bei  den  wenigsten  Völkern,  d.  h.  nur  bei  den  alteu  mittelamerika- 
nischen Kulturvölkern  der  Mayas,  dann  bei  den  südamerikanischen  Tapuya, 
Karaiben.  Macusi  und  Botokuden;  Durchbohrung  der  Ober-  und  Unter- 
lippe, oder  beider  zusammen,  bei  einigen  ostafrikanischen  Völkern,  im 
nordwestlichen  Amerika,  bei  den  mexikanischen  Pirnas  und  brasilianischen 
Bororo.  Viel  häufiger  ist  das  Durchlöchern  der  Ohren,  welches  ja  auch 
inmitten  unserer  eigenen  Kultur  zur  Genüge  bekannt  ist  und  teilweise  so  früh- 
zeitig geübt  wird,  daß  z.  B.  in  Catalonien  schon  das  Neugeborne  darunter  zu 


102        Kapitel  XXX VIL     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

leiden  hat.  In  Assam,  nördliches  Indien,  herrscht  der  gleiche  Brauch.  Im 
allgemeinen  weisen  die  Völker  des  §  238  die  Zeit  von  der  Geburt  bis  zu 
12  Jahren  als  jene  Periode  auf.  während  welcher  die  Kinder  den  Operationen 
des  Lippen-  und  Ohrendurchlöcherns  unterworfen  werden. 

\\  Le  die  Xasendurchlöcherung,  so  hat  auch  die  Durchlöcherung  der 
Obren  und  Lippen  keineswegs  überall  den  alleinigen  Zweck,  Schmuck  aufzu- 
nehmen, wenn  dieser  auch,  wenigstens  nach  der  jetzigen  Auffassung  der  Völker, 
öfter  als  andere  erscheint.  Die  Operation  selbst  trägt  bei  einzelnen  Völkern 
einen  ausgesprochen  religiösen  Charakter,  oder  soll  das  Kind  vor  Un- 
glück schützen,  seinen  Verstand  und  Charakter  entwickeln  helfen,  oder 
sie  läßt  durch  ihre  Verbindung  mit  der  Xamengebung  wenigstens  auf  einen 
religiösen  oder  sozialen  Grundgedanken  schließen.  Das  nach  der  Operation 
bleibende  Merkmal  gilt  als  Xationalzeichen;  der  in  das  Loch  eingeführte 
Fremdkörper  als  Amulett  gegen  bösen  Zauber.  Die  meisten  Völker  aller- 
dings  haben,    wie   bereits   bemerkt,    zunächst    ästhetische   Zwecke   im    Auge. 

Was  das  Geschlecht  der  zu  operierenden  Kinder  betrifft,  so  gilt  hier 
das  gleiche  wie  bei  den  Xasenoperationen. 

Als  Schmuck  in  den  Ohren  und  Lippen  dienen  Ringe.  Pflöcke.  Muschel- 
scheiben, Blumen,  Beeren.  Blätter,  Federn.  Papier-  und  Stoffrollen,  bunte 
Bändchen  mit  Röhrchen,  Platten.  Kettchen  und  Glöcklein  aus  Silber,  C las- 
perlen, Stifte  u.  a.  m. 

Diese  Gegenstände  haben  bei  einzelnen  Völkern  einen  erstaunlichen  Um- 
fang. Hier  sei  nur  im  voraus  auf  die  20  Zentimeter  langen  Ohrgehänge  der 
Assam-Mädchen  aufmerksam  gemacht. 

Als  Operateur  begegnet  uns  im  §  238  bei  Negern  und  Dravidas  der 
Onkel  des  Kindes,  was  vielleicht  mit  dem  sogenannten  Mutterrecht  zusammen- 
hängt; denn  von  den  Badagar  ist  ausdrücklich  der  älteste  Bruder  der  Mutter 
genannt.     Zauberer  sind  die  Operateure  der  Tapuya-Kinder. 

Aber  auch  Paten  treten  bei  diesen  Operationen  auf.  Wir  linden  sie  im 
alten  und  neuen  Mexiko;  dort  mit  nachhaltigen  Pflichten. 

Mine  weitere  Operation  im  Kindesalter,  oder,  wie  in  späteren  Kapiteln 
gezeigt  werden  wird,  mit  Abschluß  dieser  Zeit,  wird  an  den  Zähnen  vor- 
genommen. Wenn  wir  die  in  §  239  gegebenen  Tatsachen  ins  Auge  fassen,  so 
sehen  wir  Äthiopier,  Neger,  Malayen.  sog.  Pygmäen  und  Pyg;moide.  Australier 
und  alte  Kulturvölker  von  Mittelamerika  diesen  Brauch  ausüben.  Immer  sind 
es  Vorderzähne,  welche  der  Operation  zum  Opfer  fallen.  Die  Wirkung  soll 
also  sichtbar  bleiben,  sei  es.  daß  die  Zähne  am  Unter-  oder  Oberkiefer  aus- 
geschlagen, oder  ausgezogen,  oder  nur  zugespitzt,  oder  in  irgendeiner  anderen 
Form  bearbeitet  werden.  Es  liegt  also  nahe,  anzunehmen,  daß  solche  Zahn- 
operationen  die  Verschönerung  des  Kindes  zum  Zwecke  haben.  In  diesem 
Sinne  schrieb  /,'.  Ln.^li1),  sie  seien  ursprünglich  ein  rein  kosmetischer  Brauch, 
ein  Anziehungsmitte]  für  das  Weib.  Nach  diesem  Grundsätze  wären  die 
Zahnlücken,  bzw.  die  verstümmelten  und  gefärbten  Zähne  der  Mädchen  ein 
Anziehungsmitte]  für  den  Mann:  denn  daß  bei  einem  Teil  der  Völker  das 
weibliche,    bei    einem   anderen   das   männliche,   und  wieder   bei  anderen  beide 

biechter  einer  Zahnoperation  unterworfen  werden,  ersehen  wir  aus  dem 
vorliegenden  Kapitel 

Auch  Dach  Ratzi  i  ist  die  Färbung  der  Zähne  ein  Verschönerungsmittel,  dem 

■    les  dauerhaften  Harzes  gegen  das  Verderben  der  Zähne 

vorausgegai  Das   hygienische  Bedürfnis  wäre  also  dem  ästhetischen 

voraus^  Opferakt,  welchen  Eatzel  und  WiUeen  in  dem  schmera- 

o     rblicken  wollten,  anerkennt  Lasch  nicht  als  primär, 

•)  Lasch,  Die  elhng  der  Zähne,  S.  19—21. 


§  233.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes.  103 

■weil  die  Idee  eines  Opfers  nur  sekundären  Ursprunges  sein  könne.  Primär 
sei  wohl  der  Gedanke  gewesen,  daß  der  Jüngling  Beweise  seines  Mutes  gebe. 
Allerdings  ist  die  Anschauung,  der  Opfergedanke  könne  nur  sekundären  Ur- 
sprunges sein,  nur  hypothetisch. 

Wilhelm  Wundt1)  bringt  die  Zahnverstümmelung  mit  dem  ..Hauchzauber" 
primitiver  Menschen  in  Verbindung.  Wenn  z.  B.  beim  Eintritt  der  Reife  dem 
Mädchen,  oder  vor  der  Eheschließung  beiden  Kontrahenten  die  Vorder-  und  Eck- 
zähne entfernt  werden,  so  gründe  das  wahrscheinlich  in  der  Vorstellung,  dadurch 
„das  Ausströmen  der  Seele  als  Zauberhauch  zu  fördern".  Daß  die  Zahnver- 
stümmelungen von  Anfang  an  bloß  dem  Schmuckbedürfnisse  gedient  haben, 
erscheint  ihm  unwahrscheinlich,  ausgenommen  in  Fällen  äußerer  Übertragung. 
Später  freilich  seien  sie  fast  durchweg  in  eine  kosmetische  Bedeutung  überge- 
gangen. Bei  der  Männerweihe  sei  der  Hauchzauber  zu  einer  Mut-  und  Schmerz- 
probe geworden.  Ursprünglich  habe  man  wohl  im  Ausbrechen  der  Zähne  ein 
direktes  Mittel  zur  Erhöhung  der  Kraft  des  Kriegers  und  Jägers  mittels  des  aus 
dem  Munde  strömenden  Hauchzaubers  gesehen.  Die  Ansicht  des  H.  Schürte,  die 
Zahnfeilung  sei  aus  der  Neigung  zur  Übertreibung  vorhandener  Eigen- 
schaften hervorgegangen,  teilt  Wundt  nicht.  Mit  seiner  eigenen  Hypothese 
will  er  den  australischen  Eitus  erklären,  in  welchem  der  Medizinmann  seine 
unteren  Schneidezähne  gegen  die  oberen  Schneidezähne  des  zu  operierenden 
Knaben  preßt.  Der  Medizinmann  wolle  vielleicht  dem  Jüngling  durch  das 
Einblasen  seines  Atems  etwas  von  seiner  Zauberkraft  mitteilen.  — 

Obgleich  erst  ein  späteres  Kapitel  die.  Zahnoperation  als  einen  Teil  der 
Pubertätsfeier  behandelt,  glaubte  ich,  diese  Anschauungen  doch  hier  schon 
wiedergeben  zu  sollen,  damit  der  geschätzte  Leser  sie  gleich  mit  den  von  den 
Völkern  jetzt  selbst  angegebenen  Motiven  und  mit  den  Zeremonien,  welche 
einen  Schluß  auf  ihre  frühere  Auffassung  ermöglichen,  vergleichen  könne. 
Leider  fehlt  bei  allzu  vielen  Mitteilungen  der  Forschungsreisenden  sowohl  die 
Motivierung  als  auch  die  Angabe  von  Zeremonien.  Soweit  aber  das  eine  oder 
andere,  oder  beides  vorliegt,  ergibt  sich  folgendes: 

Die  jetzigen  Masai  in  Deutsch-Ostafrika  verfolgen  einen  praktisch- 
ästhetischen Zweck,  wenn  man  ein  strahlenförmiges  Ausspucken  so  nennen  kann; 
aber  nach  ITViss  ist  ihre  Zahnoperation  „fraglos"  eine  alte  religiöse  Sitte;  die 
ost-  bzw.  südafrikanischen  Wakamba  und  Batongas  bezeichnen  ihre  künstlich 
verstümmelten  Zähne  bzw.  ihre  Zahnlücken  als  Stammeszeichen;  auch  die 
Herero  tun  das,  verbinden  aber  zugleich  religiöse  Zeremonien  damit  und 
machen  sozial-religiöse  Vorrechte  davon  abhängig;  als  früheres  Stammeszeichen 
und  jetzige  Verschönerung  samt  Reinlichkeit  gilt  die  Wirkung  des  Brauches 
bei  den  Malayen  auf  den  Mentawei-Inseln.  Alle  Australier,  bei  denen  das 
Alter  der  Kandidaten  die  Kindheit  und  die  Reife  beider  Geschlechter  umfaßt, 
verbinden  damit  derartige  Zeremonien  und  Anschauungen,  daß  man  dem 
Brauch  einen  religiös-sozialen  Charakter  kaum  absprechen  kann.  Die  Mayas 
verfolgten  ästhetische  Zwecke. 

Praktische,  ästhetische,  hygienische2),  soziale  und  religiöse 
Zwecke  begegnen  uns  also  bei  den  Zahnoperationen  im  Kindes- 
alter. Welcher  von  diesen  der  primäre  war,  oder  ob  nicht  jeder  aus 
ihnen  in  dem  Kulturmilieu,  in  welchem  er  gefunden  wird,  primär  sein 
kann,  ist  eine  Frage,  auf  die  wohl  nur  hypothetische  Antworten  gegeben 
werden  können,  ehe  anderweitige  Tatsachen  vorliegen.  Die  menschliche  Psyche 
mit  ihrem  Reichtum  an  Empfindung,  Phantasie,  Verstand  und  Willen  läßt  sich 


')  Völkerpsychologie  2.  Bd.,  2.  Teil,  Leipzig  1906,  S.  5lj  ff. 

2)  Hygienisch,    wenn    die  Mentawei-Insulaner   die  Reinlichkeit  nicht  vom  ästhetischen, 
sondern  vom  gesundheitlichen  Standpunkt  auffassen. 


104        Kapitel  XXXVII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

auf  keiner  Kulturstufe  so  arm  denken,  daß   die  Bräuche  der  Völker  immer 
nur  auf  eine  Grundform  ihrer  Art  müßten  zurückbezogen  werden. 

Der  gleiche  Grundsatz  dürfte  auch  für  die  Tätowierung  gelten.  Dieser 
in  §  242  dieses  Kapitels  behandelte  Brauch  war  nach  Joest,  dem  wir  auf  dem 
Gebiet  der  Tätowierung  vieles  verdanken,  ursprünglich  ein  ästhetischer.  Andere 
plädieren  für  ein  religiöses,  wieder  andere  für  ein  soziales  Urmotiv.  Nach 
Karutz,  der  uns  neuestens  mit  interessantem  Material  aus  Tunis  bekannt 
machte,  wäre  die  Tätowierung  auf  die  Volksmedizin  zurückzuführen,  d.  h. 
auf  Narben,  die  vom  Schröpfen,  von  Blutentziehungen ')  durch  Einschnitte, 
von  sogenannten  Haarseilen  u.  a.  m.  zurückblieben. 

Mir  erscheint  freilich  eine  solche  Reduzierung  der,  jetzt  wenigstens,  so 
vielgestaltigen  Motive  und  Zwecke  kaum  durchführbar.  Die  Ka>utzsc\\en 
Tätowiermuster  für  Kinder  allein  schon  repräsentieren  physische  Stärkemittel, 
Schutzmittel  gegen  Zauber,  religiöse  Symbole  u.  a.  m.,  was  der  vielseitigen 
Sorgfalt  der  Eltern  für  ihre  Kinder  entspricht.  Sicher  hat  der  Gedanke,  daß 
diese  Stärke-,  Schutz-  und  Zaubermittel,  diese  religiösen  Symbole  usw.  dauernd 
dem  Kind  aufgedrückt  und  somit  am  zweckmäßigsten  in  dessen  Haut  gezeichnet 
werden,  zum  mindesten  ebensoviele  Wahrscheinlichkeit  für  sich,  als  der  obige. 

Überblicken  wir  dann  die  in  §  212  angeführten  Bedeutungen,  welche 
die  betreffenden  Völker  der  Tätowierung  unterlegen,  so  linden  wir  diese 
als  Stammeszeichen,  Zeichen  königlicher  Abstammung,  als  Privi- 
legium von  Häuptlingstöchtern  und  Häuptlingsfrauen,  und  zwar  als  ein 
religiös-mystisches,  das  der  Seele  nach  dem  Tode  mittels  der  geheimnis- 
vollen Schlange  glücklich  ins  Jenseits  verhilft,  als  religiösen,  nicht  näher 
definierten  Brauch,  und  als  Verschönerungs-  und  Anziehungsmittel  des 
weiblichen  Geschlechtes.  Daß  all  diese  Motive  notwendigerweise  auf  ein  einziges 
zurückgeführt  werden  müßten,  sei  dieses  nur  als  religiös  oder  nur  sozial, 
oder  nur  ästhetisch,  oder  nur  chirurgisch  usw.  gedacht,  dürfte  unhaltbar 
sein.2) 

§  242  zeigt  uns  Völker,  welche  nur  das  weibliche  Geschlecht  tätowieren, 
dann  wieder  andere,  welche  nur  das  männliche,  und  wieder  andere,  die  sowohl 
ihre  Töchter  als  auch  ihre  Söhne  dieser  Operation  unterwerfen. 

Von  allen  Operationen  dauert  die  Tätowierung  am  längsten,  denn  sie 
setzt  sich  mit  kürzeren  oder  längeren  Zwischenpausen  bei  mehreren  Völkern 
Jahrzehnte  lang  fort.  Ein  Extrem  dieser  Art  sind  wohl  die  Mentawei- 
Insulaner  mit  ihrer  Fortsetzung  durch  ein  halbes  Jahrhundert. 

§  24:5  enthält  Bruchstücke  über  Blutentziehungen,  Ritzen,  Brennen.  Ein- 
reiben, Abschneiden  von  Fingergliedern,  Durchlöchern  der  Wangen,  Erweitern 
der  Augenhöhlen,  Abschneiden  von  Teilen  an  den  Ohren  und  des  männlichen 
Gliedes,  Verrenkung  und  Brechen  der  Glieder.  Der  Überblick  über  diesen 
und  die  übrigen  Abschnitte  dieses  Kapitels  sind  leicht,  weshalb  hier  nicht 
weiter  darauf  eingegangen  wird.  — 

§  234.     Das  Ordnen  des  kindlichen  Organismus. 

Im  allen  Indien  galt  es  als  Aufgabe  der  Arzte,  den  abnorm  gebildeten 
Neugebornen  eine  normale  (festalt  zu  geben.  Im  heutigen  Bannu,  nordwest- 
liches Indien,  sucht  die  Mutier  selbst  die  Glieder  ihres  Neugebornen  schön  zu 
bilden,  indem    ie  sie  knetet  und  drückt. 


1 .    I  ätowiermuster,  S.  54. 

B)  Es   sei    I  Uerodot  V,  6  hingewiesen,    welcher  schrieb,    daß   Tätowierung 

I  In  'Li  vornehmer  Geburt   war.     Nach   Backöfen   erscheint   sie  in» 

grieohwcl         H    thu  ..wohl  des  Adels  als  auch  der  Schmach  (Mutterrecht  335 f.). 

Vgl.  auch  die  Togoneger  in  §  213. 


§  234.     Das  Ordnen  des  kindlichen  Organismus.  105 

In  Persien  führt  die  Hebamme  beim  Baden  des  Kindes  ihre  Finger  in 
dessen  Mund,  um  dem  Gaumen  durch  Drücken  eine  gehörige  Wölbung  zu 
geben  und  die  allenfalls  getrennten  Gaumenbeine  zusammenzufügen.  In  diese 
Operation  setzt  das  persische  Volk  einen  so  festen  Glauben,  daß  es  den  Wolfs- 
rachen der  Ungeschicklichkeit  der  Hebamme  in  diesem  Punkte  zuschreibt 
(Polalc). 

Die  Hebammen  der  Kurden  und  Armenier  im  transkaukasischen  Gouver- 
nement Eriwan  beginnen  ihre  Manipulationen,  welche  dem  Kinde  schöne 
Körperformen,  feste  und  regelmäßige  Glieder  verschaffen  sollen,  vom  15.  Lebens- 
tag an1).  Sie  streichen  ihm  von  dieser  Zeit  an  nach  jedem  Bad  die  Schulter- 
gegend, ziehen  ihm  Beine  und  Arme,  drücken  jedes  einzelne  Glied  derselbeu,. 
heben  und  ziehen  den  Kopf,  um  den  Hals  zu  verlängern,  und  drücken  mit 
den  Fingern  die  Ohrmuscheln  an  den  Schädel.  An  einigen  Orten  schwenkt 
man  das  Kind  nach  dem  Bade,  indem  man  es  zuerst  an  den  Füßchen,  Kopf 
abwärts  hält  und  es  dann  umgekehrt,  d.  h.  am  Köpfchen,  faßt  und  es  so 
pendeln  läßt.     Auf  jede  dieser  Stellungen  kommen  je  zwei  Schwenkungen. 

Ahnliche  Bräuche  werden  auch  den  dortigen  Kurden  zugeschrieben. 

In  Rußland  drücken  die  Hebammen  (Badefrauen)  dem  Neugebornen 
alle  Glieder,  fassen  es  dann  gleichfalls  an  den  Füßen  und  schütteln  es  mit 
herabhängendem  Kopf,  weil  es  zerknittert  auf  die  Welt  gekommen  sei.  Schon 
in  einem  früheren  Kapitel  wurde  der  russische  Brauch  erwähnt,  das  Neu- 
geborne  am  zweiten  oder  dritten  Tage  in  den  Ofen  zu  stecken  oder  in  die 
Badestube  zu  bringen,  wo  es  mit  einem  Bündel  Birkenzweige  gerieben  und 
geschlagen,  mit  Seife  gewaschen,  mit  Salz  von  dem  Niederschlag  aus  dem 
Fruchtwasser  usw.  gereinigt  wird.  Auch  der  in  Kapitel  XXXVI  erwähnte 
Versuch,  den  Schädel  hübsch  zu  bilden,  und  das  Ziehen  der  Nase2)  findet  bei 
dieser  Gelegenheit  statt.  Dann  reckt  man  die  Extremitäten  und  damit  den 
ganzen  Körper,  indem  man  das  Kind  zuerst  bei  der  linken  Hand  und  am 
rechten  Fuß  und  herauf  an  der  rechten  Hand  und  beim  linken  Fuß  faßt  und 
zieht.  Schließlich  ergreift  man  es  an  beiden  Füßen  und  hebt  es  schnell  nach- 
einander mehrere  Male  auf,  ..um  die  Eingeweide  in  die  gehörige  Lage  zu 
bringen  und  von  den  Nieren  die  inneren  Brüche  abzuleiten".  —  Von  den 
Russen  in  Astrachan  berichtete  Meyerson,  daß  sie  das  Kind  bald  nach  der 
Geburt  in  die  Badestube  bringen,  wo  ihm  die  Glieder  wiederholt  ..abduziert,. 
adduziert,  flektiert  und  extendiert  werden".  Man  nenne  dieses  Verfahren 
„Pravif. 

Merkwürdigerweise  erwartete  man  auch  im  alten  Rom  von  einer  ähn- 
lichen Behandlung  eines  Neugebornen  Gutes.  Der  Arzt  Soranus  empfahl,  die 
Kinder  nach  jedem  Bade  an  den  Füßen  zu  fassen  und  den  Kopf  nach  unten 
hängen  zu  lassen.  Auch  bei  dem  vermeintlich  altgriechischen  Arzt  Moscion, 
der  nach  Valentin  Rose  aber  wahrscheinlich  ein  Afrikaner  nach  dem  6.  Jahr- 
hundert n.  Chr.  ist,  findet  sich  diese  Ansicht  vertreten.  Man  wollte  dadurch 
das  Rückgrat  dehnen  und  biegsam  machen.  Außerdem  sollte  dem  Kinde  nach 
den  Vorschriften  des  Sora>ius3)  täglich  nach  jedem  Bade  Zunge,  Zahnfleisch- 
und  Mundwinkel  sanft  gerieben  und  der  Unterleib  etwas  gedrückt  werden, 
um  die  Entleerung  des  Harns  zu  veranlassen.  Auch  suchte  man  beim  Salben 
und  Frottieren  des  gebadeten  Kindes  etwaige  Formfehler  an  dem  kleinen 
Organismus  zu  verbessern,  indem  man  mit  dem  Ballen  der  rechten  Hand  zuerst 
von  der  linken  Hinterbacke  in  schräger  Richtung  nach  oben  und  dann  von 
dem  linken  Schulterblatt  nach  dem  rechten  Schenkel  strich.    Hierauf  bog  man 


')  Nach  Ploß  (2.  Aufl.  LT,  35)  streckt  man  dem  Neugebornen  die  Beinchen  auch  gleich 
nach  dem  ersten  Bade. 

2)  Hierüber  im  §  236  des  vorliegenden  Kapitels. 

3)  Dessen  Vorschrilten  über  die  Reinigung  des  Kindes  sind  in  Kap.  XI  referiert  worden. 


106        Kapitel  XXXVII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

4ie  Extremitäten  so,  daß  sieh  die  Finger  und  Zehen  kreuzweise  berührten. 
Dadurch  sollten  die  Sehnen  und  Bänder  elastisch  werden. 

In  Deutschland  drückten  und  streckten  im  16.  Jahrhundert  die  Heb- 
ammen dem  Neugebornen  alle  Glieder,  erweiterten  ihm  mit  den  Fingern  die 
Nasenlöcher,  gössen  etwas  Baumöl  hinein  und  suchten  die  Ohren  künstlich  zu 
bilden  —  alles,  um  das  Kind  schön  zu  machen.  Damit  es  leicht  uriniere,  ver- 
ordnete der  Arzt  Bö/ili».  man  solle  dem  Kind  über  die  Harnblase  streichen. 
Seine  diesbezügliche  Anweisung  in  Versen  lautet: 

PDu  sollt  auch  ihm  zur  selben  Stundt 
Sein  Glieder  streichen  auf  und  ab, 
Wann  es  dieselben  strecken  mag. 
Du  magst  sie  ihm  auch  lenken  fein, 
Dieweil  sie  ihm  noch  linde  sein, 
Nach  Deim  gefallen,  wie  Du  will, 
Damit  sie  werden  wol  gebildt. 
Desgleichen  magstu  auch  dem  Kindt 
Sein  Ohren,  weil  sie  noch  lind  sind, 
Die  Xass,  darzu  das  Häuptlein  sein 
Sänfftigklichen  formieren  fein 
Mit  Deinen  Händen  auf  das  B^st. 
Das  Bäuchlein  streich  ihm  auch  zuletzt." 

Im  18.  Jahrhundert  erging  es  nach  C.  L.  Walten  Darlegungen  dem  Kind 
in  Deutschland  noch  nicht  besser,  und  auch  jetzt  sollen  da  und  dort  ähnliche 
Unsitten  unter  dem  deutschen  Volke  herrscheu. 

Gelien  wir  von  den  Indo- Europäern  zu  anderen  Völkern  über,  so 
finden  wir  zunächst  bei  den  Maroniten  am  Libanon  eine  ganz  gründliche 
Behandlung  des  Neugebornen.  Alle  seine  Glieder  und  Organe  werden  in 
.Mitleidenschaft  gezogen,  schreibt  Beehara  Chemali.  Man  bestreicht  ihm  die 
Augen  mit  Pulver,  welches  dadurch  gewonnen  wird,  daß  man  den  Bauch  von 
einem  Weihranchkorn  und  Alaun  auffängt1),  die  in  einem  Stück  blauen  Stoffes 
verbrannt  werden.  —  Da  der  Name  dieses  Pulvers  von  ChSmali  mit  „collyre 
de  coquetterie"  übersetzt  wird,  dürfte  es  ein  Schönheitsmittel  sein.  Die  .Mutter 
des  Kindes  bestreiche  ihre  Augen  gleichfalls  damit.  —  Um  dem  Kinde  das 
Atmen  und  Schlucken  zu  erleichtern,  behandelt  man  mit  einem  in  Salzwasser 
getauchten  Finger  wiederholt  dessen  Gaumen,  Mandeln  und  Halszäpfchen.  — 
Um  die  Glieder  des  Neugebornen  geschmeidig  zu  machen,  ölt  und  reibt  man 
sie  mit  Myrtenpulver  ein,  bewegt  die  Händchen  nach  oben  und  unten,  vor- 
und  rückwärts,  und  die  Füßlein  biegt  man  so  aufwärts,  daß  sie  den  Kopf 
berühren. 

Im  arabischen  Ägypten  ist  es  Sitte,  das  Neugeborne  am  siebenten 
Tage  in  ein  Sieh  zu  legen  und  zu  schütteln,  weil  das  dem  Magen  zuträglich 
sei  ( Lara  I. 

Die  Kahylen  reiben  ihren  Neugebornen  die  Gelenke  ein.  wohl  auch 
um  sie  elastisch  zu  machen  (Ledere). 

Bei  den  ßasutos  nimmt  die  Großmutter  das  mit  Fett  bestrichene  Neu- 
geborne auf  den  Schoß  und  reckt  und  streckt  ihm  die  Glieder,  damit  es  ge- 
lenkig und  stark  werde. 

Die  Frauen  der  Maravi-Neger  im  portugiesischen  Südafrika  rollen 
ihre  kleinen   Kin  lieh  nach  vorgenommener  Waschung  und  Besprengung 

mit  heißem  Wasser  ml  ihren  ausgestreckten  Beinen,  recken  sie  dann  mit 
einer  Hand  an  Annen  und  Beinen  in  die  Höhe  und  schütteln  sie.  während 
sie  mit  der  andern  Hand  den  kleinen  Körper  in  der  Mitte  umfassen  (W.Peters). 

Bei  den  zu  den  insularen  Zwergstämmen  gerechneten  Minkopies  auf 
n-Inseln  mint   gewöhnlich    der   Vater    das    traditionelle 

ttuß  davon. 


§  234.     Das  Orduen  des  kindlichen  Organismus.  107 

Pressen  des  Schädels  und  Körpers  des  Neugebornen.  Es  findet  sowohl  am 
Tage  der  Geburt  selbst,  als  auch  am  folgenden  Tage  statt  und  hat  wie  bei 
andern  Völkern  den  Zweck,  dem  Kinde  die  richtige  Form  zu  geben.  Jagor 
ließ  sich  das  Verfahren  wiederholt  zeigen  und  fand  es  immer  wesentlich  gleich. 
Der  Vater  erwärmte  die  Fläche  seiner  Hand  am  Feuer  oder  an  einer  Harz- 
fackel und  drückte  damit  stark  zuerst  auf  die  Stirne,  dann  auf  die  Schläfen, 
hierauf  mit  dem  Zeigefinger  auf  die  Nasenwurzel,  während  die  Linke  den 
Unterkiefer  drückte.  Hierauf  wurden  die  Handgelenke.  Elleiibogenvorsprünge, 
die  Nasenscheidewand  zwischen  Daumen  und  Zeigefinger  gepreßt,  während  zu- 
gleich die  Nase  mit  dem  unter  derselben  angelegten  Zeigefinger  der  linken 
Hand  nach  oben  gedrückt  wurde.  Nachdem  das  Kind  umgekehrt  worden  war, 
preßte  man  ihm  nacheinander  das  Ende  der  Wirbelsäule,  die  Kniescheibe,  die 
Knöchel  mit  Daumen  und  Zeigefinger.  Vor  jeder  einzelnen  Operation  wurde 
die  Hand   erwärmt.  — 

Auf  der  deutschen  Karolinen -Insel  Vap  werden  die  Neugebornen  während 
des  ersten  Monats  stark  gerieben;  auch  streckt  man  ihnen  oft  die  Glieder, 
um  sie  zu  kräftigen  (Miclucho-Maclay). 

Aus  Australien  berichtete  seinerzeit,  HooJcer,  man  drücke  dem  Neu- 
gebornen die  Nase  und  strecke  ihm  die  Finger,  Zehen  und  andere  Glieder, 
wobei  man  zu  Alna  (Gott)  bete,  daß  das  Kind  groß,  stark  und  geschickt 
werde.  Und  an  einer  anderen  Stelle  (bei  Ploß,  2.  Aufl.  I,  334):  Man  streckt 
ihm  die  Arme  und  Glieder  täglich  abwärts  durch  eine  Art  Pressung;  seine  Hände 
und  Finger  werden  rückwärts  gebunden. 

Dem  Maori-Kind  auf  Neuseeland  werden  nach  dem  ersten  Bad  alle 
Gelenke  gebogen. 

Die  von  Jagor  erwähnte  Pulayer  Sklavenkaste  in  Malabar  (also  wohl 
Nicht-Arier)  kneten  dem  Kinde  vom  zehnten  Tage  an  den  Körper,  nachdem 
dieser  eingeölt  oder  mit  Turinerikpulver  eingerieben  ist.  Auch  zupfen  sie 
ihm  die  Nase  nach  vorn,  streichen  ihm  Gesicht  und  Stirne  mit  den  Handflächen 
viui  der  Mitte  aus  nach  den  Seiten,  die  Arme  und  Beine  der  Länge  nach  und 
schütteln  ihm  Hände  und  Füße  in  den  Gelenken.  — 

Wenn  die  südindischen  Vedas  das  Neugeborne  zum  erstenmal  ge- 
badet haben,  dann  reiben  sie  es  mit  Turmerik  und  Öl  ein  und  kneten  und 
streichen  es  nach  bestimmten  Begeln,  d.  h.  man  streicht  mit  den  flachen 
Händen,  vom  Scheitel  beginnend,  über  den  Kopf  nach  allen  Richtungen  gleich- 
mäßig abwärts,  fährt  mit  der  inneren  Kante  der  Hand,  den  Zeigefinger  fest 
aufdrückend,  längs  beider  Seiten  der  Nase  hin,  dann  unter  der  Nase  von  links 
nach  rechts  und  umgekehrt.  Hierauf  setzt  man  die  Handflächen  auf  die 
Wangenbeine  und  dreht  sie  drückend  hin  und  her.  Auf  die  gleiche  Weise, 
jedoch  nur  mit  einer  Hand,  wird  dann  auch  der  Scheitel  gedrückt,  bzw. 
massiert,  und  schließlich  streichelt  man,  von  oben  beginnend,  den  ganzen  Körper. 

Die  Tataren  behandeln  ihre  Neugebornen  ungefähr  nach  der  weiter 
oben  bei  den  Armeniern  und  Kurden  geschilderten  Methode. 

Die  Esten  machen  es  ähnlich  den  Russen,  d.  h.  sie  peitschen  dem  Kleinen 
nach  dem  Bade  in  der  heißen  Badestube  den  Hintern  mit  Birkenreisig1),  fassen 
es  an  den  Füßen  und  schütteln  es  hin  und  her,  um  allen  Verstand  in  den 
Kopf  fallen  zu  lassen  {Krebel). 

Die  Tungusen  im  nordöstlichen  Asien  und  die  Koluschen  oder  Thlinkit, 
Indianer  in  Alaska,  drücken  dem  Neugebornen  die  Magengegeud,  bis  Erbrechen 
erfolgt.  — 


!)  Vielleicht  steht  dieser  Brauch  mit  dem  Birkenkult  der  den  Esten  verwandten  Mord- 
winen in  ihrer  vorchristlichen  Zeit  in  Verbindung. 


108        Kapitel  XXX VII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

§  235.     Das  Abplatten  der  Nase. 

Ein  absichtliches  Plattdrücken  der  Nase  bei  den  Negern  scheint  nicht 
nachgewiesen  zu  sein.  Wohl  „sollen"  viele  Negervölker,  darunter  auch 
die  Acra  der  Goldküste,  einen  starken  Druck  auf  den  Nasenknochen 
der  Neugebornen  ausüben,  die  Ohren  in  die  Länge,  die  Lippen  in  die  Breite 
ziehen  und  das  Gesicht  platt  quetscheu,  um  die  typische  Negerschönheit  zu 
steigern;  aber  solchen  Angaben  wurde  widersprochen,  oder  man  zweifelte  sie 
wenigstens  an.  Auch  die  von  Stanley  am  Tanganyika-See  gefundenen 
Uhombo-Neger  dürften  ihre  flachen  Nasen  mehr  als  unabsichtliche  Wirkung 
der  dortigen  Tragart  bekommen  haben;  denn  als  Stanley  einen  Mann  mit  auf- 
fallend flacher  Nase  nach  der  Ursache  fragte,  erhielt  er  die  Antwort,  seine 
Mutter  habe  ihn  in  seiner  Kindheit  zu  fest  an  ihren  Eücken  geschnürt. 
Hingegen  ist  der  Brauch,  die  Nase  platt  zu  drücken,  für  die  Hottentotten 
nachgewiesen.  Zu  Koü>s  Zeit  gingen  sie  dabei  so  weit,  daß  bisweilen  das 
Nasenbein  verrenkt  oder  gar  gebrochen  wurde. 

Spuren  solcher  Verletzungen  fand  Gosse  im  19.  Jahrhundert  auch  an 
Buschmann-Schädeln. 

Plattdrücken  der  Nase  bei  Kindern  erwähnte  Floß1)  als  Brauch  auf 
Sumatra  und  Celebes.  Feierlichkeiten  seien  hier  mit  der  Operation  nicht 
verbunden   gewesen.  Auf   Tahiti    ging   das    Plattdrücken    der   Nase    bei 

Neugebornen  mit  der  Zeremonie  der  Namengebung  vor  sich. 

Als  eine  notwendige  Zeremonie  erscheint  sie  bei  den  Maoris  auf 
Neuseeland,  wo  sie  die  gleiche  Wichtigkeit  hatte,  wie  die  Darreichung 
von  Butter  und  Zucker  im  alten  Schottland  (Tide).  Cole>iso>i  begründete 
sie  hier  einerseits  mit  der  dortigen  Auffassung,  flache  Nasen  seien  schönr 
andererseits  mit  dem  Brauch,  sich  durch  gegenseitiges  Beiben  der  Nasen  zu 
begrüßen. 

Auf  Neu-Caledonien  tauchte  man  die  Finger  in  heißes  Wasser  und 
quetschte  dann  damit  dem  Neugebornen  die  Nase  (Montroueier). 

Als  Schönheitsideal  gilt  eine  Plattnase  auch  auf  Samoa.  Die  dortigen 
Frauen  linden  Adlernasen  und  gerade  Nasen  abscheulich,  nennen  sie  ,.isu  wa" 
(Kahnnasen)  und  suchen  ihre  Neugebornen  davor  zu  bewahren.  Gleich  drückt 
man  den  Kindern  nicht  nur  die  Stirn'-),  sondern  auch  die  Nase  flach,  und  auch 
wenn  die  Mütter  stillen,  drücken  sie  ihren  Säuglingen  die  Nase  mit  der  Hand 
nieder  {Kubary  und  Turner).  Marsden  (bei  Phfi,  '2.  Aufl.  I,  304)  berichtete 
von  den  Weibern  der  polynesischen  Inseln  überhaupt,  daß  sie  ihren 
Kindern  die  Nasen  abplatten  und  ihnen  die  Ohren  auswärts  ziehen,  und  von 
„manchen"  tnseln  Polynesiens  erzählt  G.  Förster  (ebenda),  daß  die  Heb- 
ammen das  Plattdrücken  der  Nase  an  den  Neugebornen  wiederholt  vornehmen, 
weil  sie  platte  Nasen  für  schön  halten. 

Die  Yap- Insulanerinnen  teilen  die  gleiche  ästhetische  Auffassung.  Das 
Plattdrücken  findet  hier  in  den  ersten  Lebensmonaten  statt  und  wird  so 
energisch  durchgeführt,  daß  die  Kinder  schreien.  Die  Mütter  oder  Wärterinnen 
wannen  vor  der  Operation  die  Hände  am  Feuer.  Man  nennt  sie  auf  Jap 
„Andowek". 

An  einem  Negrito-Schädel  von  den  Philippinen8)  fand  Virchow  eine 
sehr  breite  und  platte  Nasenwurzel,  welche  durch  künstliche  Manipulation 
und  seitliche  Verwachsung  der  Nasenbeine  mit  dem  Oberkiefer  hervorgerufen 
worden  war. 


■    \nM.  T.  304. 

Kap.  XXXVI. 

Kap    XXXVI. 


§  236.     Die  Verschmälerung  der  Nase. 


109 


Die  Hunnen  und  (sibirische?)  Tataren  bezwecken  mit  dem  Platt- 
drücken der  Nasen  bei  ihren  Kindern  eine  Veredelung  der  Gesichtsform. 

Einen  ähnlichen  Geschmack  scheinen  gewisse  brasilianische  Stämme 
gehabt  zu  haben.  Lery  wohnte  im  18.  Jahrhundert  bei  den  dortigen  Tupin- 
Inba-Indianern  der  Geburt  eines  Kindes  bei  und  sah,  daß  das  Plattdrücken 
der  Nase  zu  den  ersten  Verschönerungsversuchen  gehörte,  welche  der  Vater 
an  dem  Neugebornen  machte.  Dapper  erwähnte  von  den  Maragnas.  einem 
Zweig  der  Tupin-Inba,  die  Hebammen  hätten  den  Neugebornen  ihre  von 
Natur  eingebogene  breite  Nase  eingedrückt.  — 


§  236.    Die  Verschmälerung  der  Nase. 

Über  Versuche,  die  natürlich  gegebene  Nase  schmalrückig  zu  machen, 
liegt  uus  eine  Mitteilung  von  Blumentritt  vor,  daß  in  Böhmen  die  Ammen 
oder  Kindsfrauen  den  aristokratischen 
Kindern  die  Nase  zwischen  den 
Fingern  von  oben  nach  unten  streichen, 
um  eine  schmalrückige  Nase  zu  er- 
zielen, und  daß  zu  dem  gleichen 
Zwecke  die  Ilocauen  auf  Luzon 
(Philippinen-Insel)  den  Gaumen  des 
Kindes  kitzeln  (?). 

In  Bannu  im  nordwestlichen 
Britisch-Indien  sucht  man  durch  ent- 
sprechende Behandlung  die  Nase  des 
Neugebornen  schmal  und  möglichst 
lang  zu  bilden  (Qerland,  nach  Thor- 
burri). 

Ferner  ist  ein  seitliches  Zu- 
sammendrücken der  Nase  bei  Neu- 
gebornen unter  den  Armeniern  im 
transkaukasischen  Gouvernement  E  r  i- 
wan    gebräuchlich. 

In  Bußland  wird  die  Nase 
„in  die  rechte  Form"  gezogen  (Krebel). 

Die  südindische  Pulayer 
Sklavenkaste  zupft  dem  Neugebornen 
die  Nase  nach  vorn  und  auch  die 
dortigen  Vedas,  sowie  die  von  HooJcer  beobachteten  Australier  scheinen 
durch  ihre  Behandlung,  welche  in  §  234  geschildert  worden  ist,  die  Nase 
schmälern  zu  wollen.  — 


Fig.  27R.   Stationsdolmetscher  von  Jauiide  mit  Familie. 
Dictze  pliot.     Im  Museum  für  Völkerkunde  in  L  e  i  p  zi  g. 


§   237.     Das  Durchlöchern   der  Nasenscheidewand  und    der   Nasenflügel. 
Einführung  von  Fremdkörpern:  Schmuck  usw. 

Bei  den  Jaunde-Negern  im  südlichen  Kamerun  durchbohren  sich  die 
Mädchen  selbst  die  Nasenscheidewand  und  stecken  ein  Stäbchen  durch  das  Loch. 

In  Lukuledi  im  südöstlichen  Deutsch-Ostafrika  durchsticht  man 
den  sechsjährigen  Mädchen  mit  einer  Nadel  den  linken  Nasenflügel  und  steckt 
in  die  Öffnung  zunächst  einen  Grashalm.  Später  kommt  ein  Hölzchen,  bis  der 
eigentliche  Schmuck,  das  „Chipini"  ^  aus  Holz  oder,  öfter  noch,  aus  Metall 
eingeführt  werden  kann. 


*)  Nach   Wcule  heißt  dieser  Nasenpflock  nur  im  Idiom  der  Wayao  „Chipini" ;  bei  den 
Suaheli  „Kipini". 


HO  Kapitel  XXXVII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 


In  späteren  Jahren  zieht  das  Chipini  den  Nasenflügel  unschön  herunter, 
und  noch  weniger  schön  sieht  die  Nase  dann  aus,  wenn  es  ganz  fehlt.  Dieser 
Schmuck,    ein    einheimisches   Kunstprodukt,    welches    von    dem   Künstler   um 

10 15  Pfennig   (6 — 10  Pesa)   erworben    weiden   kann,   ist    in   Lukuledi   das 

Unterscheidungsmerkmal    der    Geschlechter,    da    der    Haarwuchs    bei    beiden 
ist   und  die  meisten  Männer  bis  ins  vorgerückte  Alter  bartlos  bleiben 


gleich 


(  Wehrmeister). 
Auch  die 
diesen   kleinen 


Suaheli  der  Küste  und  die  Wangoni  von  Nchichira  tragen 
koketten   Pflock   im   linken   Nasenflügel,    wie   Weide   schreibt. 


Ursprünglich   indisch,   habe   ei- 


sernen Siegeszug  über  die  ganze  Ostküste 
Afrikas,  gehalten  und  sei  jetzt 
im  besten  Begriff,  als  Sinnbild 
höherer  Bildung  und  feinerer 
Zivilisation  auch  die  fortschritt- 
lichen Stämme  des  Innern  zu 
erobern.  ,,In  einfachster  Form 
ein  bloßer  Zylinder  aus  Pflanzen- 
mark, wird  er  je  nach  dem  Reich- 
tum der  Trägerin  in  den  besseren 
Exemplaren  aus  Ebenholz  ge- 
fertigt oder  gar  aus  Zinn  oder 
Silber  hergestellt.    Die  Ebenholz- 

»  pflöckchen    sind    fast    immer   in 

f  ^^        m  gl  sehr   zierlicher,  geschmackvoller 

Weise  mit  Zinnstiftchen  aus- 
gelegt." Weide  fügt  dieser  Be- 
schreibung noch  die  Bemerkung 
bei,  daß  das  Chipini  nach  unseren 
Begriffen  zwar  keine  Verschöne- 
rung des  Gesichtes  sei,  aber  nach 
einiger  Gewöhnung  doch  ganz 
nett  und  ansprechend  wirke,  da 

^v  ifHillkAiV^  l!r,M     braunen    Oesichl     der 

Trägerin  unstreitig  etwas  Ko- 
kettes    verleihe. 

Durchbohren  des  Septums 
kommt  bei  den  Mikronesiern  auf 
der  deutschen  Karolinen-Insel 
Vap  vor.  Kinder  und  Er- 
wachsene vollziehen  diese  Opera- 
tion entweder  an  sich  selbst, 
oder  lassen  sie  von  andern  voll- 
Zierat  komml  in  die  Öffnung  nicht  hinein  (Senfß).  Nach  Miclucho- 
Maelay  benutzt  man  bei  kleinen  Kindern  zum  Durchbohren  ein  zugespitztes 
Stück   von  einer  Kokosnußschale. 

\ns    Britisch-Neuguinea    berichtete    M.   Krieger,    daß    die    Papuas 

ihren  Söhnen  den  Nasenknorpel  im  Alter  von  sechs  Jahren,  also  im  gleichen 

Aller  wie  in  Lukuledi,  durchbohren   und  den  unentbehrlichen  Nasenschmuck 

anlegen.      Nach    dem    Glauben   der   Eingebornen    muß   man    mit    demselbes 

"ii    sein,    um    nach    dem    Tode    in    ein   Land    einzugehen,    wo   Überfluß 

ihrungs-  und  Genußmitteln  herrscht.    Stirbt  ein  Kind,  dessen  Nasenbein 

iit  durchbohrt   ist,  so  versäumt  man  es  nicht,  diese  Operation  bei  dem 

i    nachzuholen,    aus    Furcht,    es   könnte   ihm    sonst    dadurch 

der    Einlaß    in    das    „gute    Land"    verschlossen    sein.   —    In    Holländisch- 


Fig.  276.    Mädchen  »n<  I .  u  k  u  1 .-,]  i  mit   Kindern.     Das  Mäd- 
chen  links    im    Einlergrund   hat   ein   „Chipini"   im   linken 
Au-.  P.  C.  Wthrmtistar,  „Vordem  Sturm",  S.  61. 


ziehen. 


§  237.     Das  Durchlöchern  der  Nasenscheidewand  und  der  Nasenflügel  usw.  \l\ 

Neuguinea  durchbohrt  man  den  Knaben  die  Nasenknorpel  mit  etwa  sechs 
Jahren. 

Auf  den  Salomon-Inseln  sah  Becchy  Eingeborne  mit  Krebsscheren 
durch  den  Nasenknorpel  gesteckt.  —  Ob  die  Durchbohrung  in  der  Kindheit  oder 
später  stattfindet,  ist  mir  unbekannt. 

Im  Süden  Australiens  wird  dem  Kinde  am  14.  Tage  die  Nasenwand 
durchbohrt  {Eijre),  was  nach  Angas  am  Maquarie  erst  zur  Zeit  der  Mann- 
barkeit geschieht.  Diese  Operation  der  Nasendurchlöcheruug  wird  Mudla- 
willpa  genannt,  bei  dem  Stamme  der  Dieri  an  Kindern  im  Alter  von 
y — 10  Jahren  durch  einen  Alten  vorgenommen,  der  mit  dem  zugespitzten 
Holze  der  Acacia  Cuyamura  das  Septum  durchbohrt  und  dann,  um  Heilung 
zu  verhindern,  eine  Federspule  einfügt.  Diese  Mudlawillpa-Opeiation  und  die 
dabei  gebräuchlichen  Zeremonien  beschreibt  JE.  Jung,  wie  sie  im  Seengebiete 
Australiens  vorkommt.  In  der  Regel  ist  es  der  Vater,  der  die  Zeit  bestimmt; 
die  übrigen  Lagergenossen  werden  gewöhnlich  um  ihre  Zustimmung  befragt; 
sie  wird  bei  Mädchen  und  Knaben  zwischen  dem  5. — 8.  Jahre  vorgenommen. 
Ist  die  Zustimmung  erfolgt,  was  ausnahmslos  geschieht,  so  ersucht  man  einen 
der  alten  Männer,  den  Akt  zu  vollziehen.  Dieser  wählt  von  dem  Cuyamura- 
baum  einen  dünnen,  spannenlangen  Zweig,  glättet,  spitzt  und  härtet  ihn. 
Etwa  wenn  die  Sonne  am  höchsten  steht,  befiehlt  er  den  Eltern,  das 
Kind  zu  ihm  zu  bringen.  In  ihrer  Begleitung  kommen  alle  Männer  und 
Frauen  im  Lager,  umringen  den  Operateur  und  den  Vater,  der  das  Kind 
hält,  und  stimmen  einen  eintönigen  Gesang  an,  den  sie  bis  nach  der 
Operation  fortsetzen.  Man  glaubt,  daß  der  Gesang  die  Schmerzen  des  Kindes 
lindere.  Der  alte  Mann  faßt  die  Nasenscheide  des  Kindes  mit  den  Fingern 
der  linken  Hand,  während  seine  rechte  das  spitze  Holz  hindurchstößt. 
Eine  bereitgehaltene  dünne  Federspule,  in  der  Regel  vom  Habicht  oder 
der  Krähe,  wird  sodann  in  die  Öffnung  gesteckt  und  verbleibt  dort,  bis 
die  Wunde  völlig  geheilt  ist.  Im  späteren  Leben  wird  selten  etwas,  sei 
es  Knochen,  Holz  oder  Federspule,  in  der  Nase  getragen;  nur  junge  Mädchen 
und  Frauen  legen  bei  besonders  festlichen  Gelegenheiten  einen  solchen 
Schmuck  an. 

Auch  die  nördlichen  Stämme  von  Zentral-Australien,  d.  h.  alle  jene 
Stämme,  welche  das  weite  Gebiet  zwischen  dem  Carpentaria-Golf  bis  zu 
den  Macdonnell  Ranges  im  Innern  des  Kontinents  bevölkern,  üben  den  Brauch, 
den  Kindern  die  Nasenwand  zu  durchbohren.  Der  Warramunga-Stamm 
führt  ihn  auf  Alcheringa,  die  graue  Sagenzeit,  zurück.  Eine  alte  Krähe 
habe  die  erste  Operation  mit  ihrem  Schnabel  ausgeführt.  Heutzutage  sollen 
weder  die  Warramunga,  noch  irgendein  anderer  der  nördlichen  Zentral- 
stämme Australiens  der  Nasendurchbohrung  einen  anderen  als  ästhetischen 
Zweck  zuerkennen,  d.  h.  das  durch  die  Nasenscheidewand  geschobene  Stöckchen 
oder  Bein  gelte  ihnen  einfach  als  Schmuck.  Aber  die  Medizinmänner  der 
Warramunga  tragen  doch  das  geheimnisvolle  Zeichen  ihres  Standes,  das 
Kupitja,  in  der  Nase.  Auch  ersetzen  die  Stämme  des  Innern  bei  gewissen 
Zeremonien  den  Knochen  oder  Stab  in  der  Nase  durch  ein  Büschel  belaubter 
Zweige,  was  wohl  mit  dem  Baum-,  bzw.  Geschlechtskult  zusammenhängt.  Die 
Bedeutung  der  Nasendurchbohrung  scheint  also  doch  eine  tiefere  als  nur  die 
des  Schmuckes  zu  sein  (vgl.  Neuguinea  w.  o.).  Diese  meine  Vermutung  wird 
auch  dadurch  bestärkt,  daß  den  Mädchen  der  Stämme  Arrunta,  Ilpirra  und 
Unmatjera  der  zukünftige  Gatte  die  Nasen  durchbohrt.  Das  Mädchen  füllt 
hierauf  ein  kleines  hölzernes  Gefäß  mit  Sand  und  hüpft  mit  enggeschlossenen 
Füßen  umher,  während  sie  das  Gefäß  wie  beim  Schwingen  des  Samens  hin 
und  her  bewegt.  Die  Knaben  ziehen  bei  diesen  Stämmen,  nachdem  ihnen  das 
Septum  durchbohrt  ist,  ein  Stück  Rinde  von  einem  Baum  und  werfen  es,  wie 


112         Kapitel  XXXVII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

später  den  abgeschlagenen  Zahn1),  nach  der  Richtung  des  Alcheriiigalagers 
ihrer  Mutter  {Spencer  und  Gillen). 

Im  alten  Zentral-Amerika  hatten  alle  Maya-Völker,  mit  Ausnahme 
jener  in  Guatemala,  deu  Brauch,  Ohren,  Lippen  und  Nase  beider  Geschlechter 
zu  durchbohren.  In  die  Löcher  fügte  man  Stäbe,  Knochen,  Muscheln  und 
Ringe  von  Bernstein  oder  Gold  ein.  Bei  den  Mayas  in  Guatemala  war  der 
Brauch  auf  die  Könige  beschränkt,  weil  hier  durchbohrte  Ohren,  Lippen  und 
Nasen  als  Zeichen  von  Rang  und  Macht  galten  (Bancroff). 

Daß  bei  den  Macusi  mit  der  Durchbohrung  der  Lippen  und  Ohren  auch 
die  der  Nase  verbunden  war,  ist  bereits  erwähnt  worden.  — 


B 


i 


d 


Fig.  271 


Drei  afrikanische  Ohrenpflöcke  und  ein  Nasenpflock  iChipini). 
Nasenpflock  Ohrpflock  Ohrpflock  Ohrpflock 


.ms  Blei 
WaVao. 


aus  Hörn 
Suaheli. 


Wamwera. 


Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzij 


K  a  (1  j 
Hinterland 
von  Togo. 


§  238.     Das  Durchlöchern  der  Ohren  und  Lippen. 

Schmuckes. 


Einfügung  des 


us,  dali  hier  der  (Haube  an  den  Schutz  vor  Zaubertönen  mit  dem 


Schon  die  alten  Babylonier,  Perser  und  Meder  schmückten  sich  mit 
Ohrringen.  Ihnen  diente  dieser  Schmuck  zugleich  als  Aniulettenträger.  Die 
Amulette  sollten  (las  Ohr  vor  Zaubertönen  schützen.  Denselben  Brauch  und 
Glauben  schrieb  I'lofi  auch  den  Hebräern  und  Arabern  zu,  und  sprach  die 
Verinutun 
Glauben  an  das  „böse  Auge"  zusammenhänge. 

Das  dürfte  den  Aberglauben  unter  dem  deutschen  Volk,  daß  das  Stechen 

der  Ohrlöcher  und  das  Tragen  goldener  Ohrringe  vor  „bösen"  (kranken)  Augen 

schütze,   erklären.     Diese  Ansicht  gewinnt  noch  mehr  an  Wahr- 

Ischeinlichkeit  durch  den  Zusammenhang,  ja  häutige  Identität  des 
bösen  Blickes  mit  dem  „Beschreien"  (vgl.  Kapitel  VI).  Zauber 
und  Religion  durchdringen  sich  im  Völkerleben,  wie  wir  in  den 
vorhergehenden  Kapiteln  sahen,  vielfach  aufs  innigste,  oder  sie 
nähern  sich  doch  sehr.  Auch  der  vorliegende  Abschnitt  bringt 
beides  in  gegenseitiger  Berührung;  denn  der  Auffassung  der 
Babylonier,  Perser,  Meder,  Hebräer  und  Araber  reihen  sich  jene 
anderer  Völker  an,  welchen  das  Durchstechen  der  I  ihren  selbst 
als  religiöser  Akt  gilt.  Das  ist  z.  B.  im  heutigen  Persien  der  Fall. 
Im  östlichen  Afrika  ist  das  Durchbohren  der  Ohren  und 
i  ippen  zum  Einschieben  von  Schmuck  (Ringen  und  Pflöcken)  sehr 
gebräuchlich.  Ein  anderes  .Motiv  scheint  hier  nicht  zu  unterliegen. 
Von  den  Massai,  einem  äthiopischen  Zweig  der  hamitischen 
erfamilie  in  Deutsch-Ostafrika,  schreibt  Max  Weiß: 
In  früher  Kindheit  durchstechen  sie  den  Knaben  und  Mädchen  die 
Ohrläppchen  mit  einem  Akaziendorn  und  durchschneiden  den  un- 


i  ihr- 


mit   i 

11111 
K  0  11  k 

Mut, 
Im    Mus. -um   für 

Völkerkunde 
in  Lei] 


i,  Siehe   [ 


§  238.     Das  Durchlöchern  der  Ohren  und  Lippen.     Einfügung  des  Schmuckes.      113 

mittelbar  darüber  befindlichen  Knorpel.  Durch  Einsetzen  von  Holzpflöcken,  die 
man  anfangs  kleine]-,  dann  immer  größer  wählt,  werden  die  Ohrlappen  nach  und 
nach  derart  gedehnt,  daß  sie  in  nicht  seltenen  Fällen  bis  auf  die  Schultern 
herabhängen.  — 

Die  Mangandja  zwischen  Schirefluß  und  Nyassasee  durchstechen 
ihren  Töchtern,  wenn  sie  noch  klein  sind,  die  Oberlippe  dicht  unter  der  Nasen- 
scheidewand und  stecken  einen  kleinen  Pflock  hinein,  wie  A.  Eichel  (nach 
L'trlngstone)  schrieb.  Ploß  hatte  mit  einem  Hinweis  auf  Oberländer  bemerkt, 
das  Durchstechen  geschehe  mit  einer  Nadel,  welche  nach  Vernarbung  der 
"Wunde  herausgenommen  und  durch  eine  dickere  ersetzt  werde.  Auf  diese 
folge  wieder  eine  stärkere  und  so  fort,  monate-  und  jahrelang,  bis  das  Loch 


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Fig.  279.     Lippenpflöcke,  Spielsachen  usw.  aus  Ostafrika.    Im  Museum  St.  Ottilieu  bei  München. 

P.  Columban  phot. 
1  und  2  geflochtenes  SpeiseteUerehen  und  Speisenäpfchen  für  Kinder 

3  Klapperkörbchen 

4  Telephon  aus  Kürbisschalen  mit  Litotwefell  überspannt 

5  und  6  Tierformen  aus  Ton.  ein  Kinderspielzeug 

7  Menschenform  aus  Ton.  ebenfalls  Kinderspielzeug 
S  Lippenpflöcke  (Pelele)  von  Eberholz 
9  Leudenschurz  aus  Bastschuüreu  ihr  Knaben. 


mit  Leichtigkeit  einen  Ring  (Pelele)  von  ca.  5  cm  Durchmesser  fasse  {Eichel 
gibt  ti  cm  an).  Dieses  „Pelele"  besteht  bei  der  ärmeren  Klasse  der  Be- 
völkerung aus  Bambus;  bei  den  Vornehmen  hat  es  die  Form  eines  Zinntellers 
oder  eines  Serviettenringes  aus  Elfenbein.  Es  wird  nicht  nur  am  oberen, 
sondern  auch  am  unteren  Schire,  also  auch  im  portugiesischen  Ostafrika,  ge- 
tragen. Aus  dem  südöstlichen  Deutsch-Ostafrika,  Nyangao,  berichtet  neuer- 
dings Cyrillus  Wehrmeister  freilich:  Die  greuliche  Sitte  des  Lippenpflockes 
(Pelele)  scheint  allmählich  den  Reiz  zu  verlieren.  Die  Europäer  haben  Ekel 
davor  und  die  müssen  es  wissen.  Die  Burscheu  heiraten  schon  lieber  Mädchen, 
welche  von  dieser  Verunstaltung  verschont  geblieben  sind.  Auch  in  Lukuledi 
sei  der  Lippenpflock  unmodern  geworden.  Zwei  deutsch-ostafrikanische  Lippen- 
pflöcke befinden  sich  auf  dem  vorstehenden  Bilde  (Fig.  279)  unter  der 
Ziffer  8.  — 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.     Band  It.  8 


114        Kapitel  XXXVII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

Nach  K.  Weide  steht  der  Lippenpflock  bei  den  Wamuera  und  Makonde 
aber  noch  immer  in  hohem  Ansehen. 

Bei  den  Wamuera  heißt  er  „Itona".  Er  beschränkt  sich  liier  auf  das 
weibliche  Geschlecht,  das  ihn  allgemein  trägt.  Er  ist  aus  schwarzem  Eben- 
holz oder  einem  hellen  Holz,  welches  mit  geschlämmter  Tonerde  weiß  gefärbt 
wird.  Die  erste  Durchlöcherung  der  Oberlippe  erfolgt  zwischen  dem  siebenten 
und  neunten  Lebensjahre  mit  dem  ahlenförmig  zugespitzten  Ende  des  Rasier- 
messers. Um  das  Zuheilen  der  Wunde  zu  verhindern,  fügt  man  zuerst  einen 
Strohhalm  oder  einen  andern  dünnen  Fremdkörper  ein,  deren  Zahl  in  der  Folge 
vermehrt  wird,  so  daß  die  Öffnung  sich  allmählich  weitet.  Später  werden 
sie  durch  einen  spiralförmig  zusammengerollten  Blattstreifen  eines  Palmfieders 
ersetzt,  der  durch  seine  Elastizität  die  Öffnung  noch  vergrößert,  bis  schließlich 
der  erste  massive  Pflock  eingefügt  wird.  Der  Durchmesser  desselben  schwankt 
bei  den  Wamuera  zwischen  dem  eines  Fingers  und  eines  Zweimarkstückes. 

Noch  erheblich  größere  sah  Weide  bei  den  Makonde,  wo  Klötze  von 
7 — 71/,  cm  Durchmesser  und  3 — 5  cm  Höhe  nicht  selten  seien.  Sie  werden 
von    der   Trägerin    täglich    schneeweiß   gefärbt.      Auch    hier   findet    die    erste 

Durchbohrung,  der  Oberlippe  am  Kinde  statt. 
und  zwar  scheint  diese  Operation  regelmäßig  vom 
Onkel  vorgenommen  zu  weiden  (Weide  S.  436). 
Die  allmähliche  Ausweitung  der  Löcher  ent- 
spricht der  bei  den  Wamuera  beschriebenen: 
das  Einstecken  des  ersten  Holzpflockes  wird  fest- 
lich begangen.  Die  Operation  gelingt  nicht  immer. 
Weule  erwähnt  ein  Mädchen  und  eine  junge  Frau 
mit  vereiterter  bzw.  ausgerissener  Oberlippe. 

Lippenpflöcke  tragen  ferner  die  von 
Sc/twciiifurth  besuchten  Bongo  und  die  Mittu, 
beide  Negervölker  des  äquatorialen  Afrika. 

Bei   den   Zulu- Ivaf fern   in  Natal  gelten 
durchbohrte  Ohren  als  Nationalzeichen.    Jedem 
Kg.  28o.    Mnerafrau  mit  Lippen-        siebenjährigen  Kind  ohne  Unterschied   des  Ge- 

pflni'k.      Aus    u  eitle,   ..Negerleben    in  ,.      {.        °       ,  .  .   .  ,_. 

Ostafrika",  s.  76.  schlechts   werden  von   einem   erfahrenen   Mann 

die  Ohren  mit  einem  Assegai  durchbohrt;  man 
ist  der  Ansicht,  daß  Leute  mit  andurchbohrten  Ohren  kindisch  bleiben,  nie 
geistig  geweckl  und  tüchtig  würden  (Mayr). 

Ohrendurchstechen  wird  ferner  von  den  Papuas  auf  Neuguinea  von 
mehreren  Seiten  berichtet:  Van  Hasselt  schrieb,  daß  die  Noefoor-Papua  diese 
Operation  mit  der  Namengebung  verbinden  (vgl.  diese),  daß  beides  stattfinde, 
wenn  das  Kind  einmal  gehen  könnt',  und  daß  man  in  die  gestochenen  Löcher 
Ringe  einhänge.  Krieger  gab  für  die  Knaben  im  Niederländischen  Oebiete  sechs 
Jahre  an,  and  Nollen  berichtete  von  den  dortigen  Kaia-Kaia-Mädchen1), 
man  durchbohre  ihnen  mit  8 — 12  Jahren  die  Ohren,  worauf  man  sie  mit 
Farben.  Perlen  und  Blätter  schmückte  und  mit  Kokosöl  einreibe. 

Kndlich  liegt  mir  die  folgende  Mitteilung  von  J.  D.  F..  Schmelü  vor: 
Bei  den  Stämmen  des  Meraüke-Flusses,  Neuguinea,  steckt  man  Kindern  ein 
rundes  Eolzstück  in  das  Loch  des  Ohrlappens. 

Feine  Bambusstäbchen  führen  die  .lap- Insulaner  ihren  Kindern  in  die 
Ohren  ein.  Als  Operateure  fungieren  bestimmte  Männer.  Die  Wunden  werden 
mit  warmem  <  »1  bestrichen  und  die  Öffnungen  jeden  zweiten  Tag  vergrößert. 
Doch  scheinen  die  Bambusstäbchen  nur  zum  Offenhalten  des  Loches,  nicht  als 
Schmuck  zu  dienen;  denn  Senfft  fügte  dem  obigen  Berichte  bei:  Die  Öffnung 

')  Siehe  Fig.  282. 


§.238.     Das  Durchlöchern  der  Ohren  und  Lippen.     Einfügung  des  Schmuckes.      H5 


wird  später  mit  den  Blättern  der  Cordyline  terminalis  ausgefüllt  und  dient  zur 
Aufnahme  von  Ohrschmuck  aus  Muschelscheiben,  Blumen,  Blättern,  Federn  u.  dgl. 
Von  den  Mortlock-Inseln,  östliche  Karolinen,  brachte  August  Krämer 
fein  geschnitzte  und  sehr  zierlich  schwarz-weiß 
bemalte  Ohrpflöcke  mit,  welche  dort  von  Mädchen 
getragen  werden.  Ihre  Höhe  beträgt  9y2  cm,  ihre 
Breite  oben  6.2  und  unten  4.5  cm.  Zur  Erweiterung 
der  Ohrläppchen  werden  den  Mädchen  im  Anfang 
Knollen  von  Taroblätter  in  die  durchlöcherten  Ohr- 


Fig.  281.     Kaia-Kaia-Knaben,  Niederländisch-Neuguinea,  im  Alter  bis  zu  etwa  12  Jahren. 
Nach  Hollen  im  „Anthroposu  IV,  568,  Tafel  IV. 


Fig.  282.     Kaia-K  a  ia  -Madchen.     Xach  Xollen  im  „Anthropos"  IV,  -V>6  um<1  66S 

läppchen  gesteckt.  Das  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin  besitzt  zwei 
solche  und  einen  dritten,  der  andere  Form  und  Zeichnung  aufweist.  Eine 
Abbildung  folgt  anbei. 

8* 


116        Kapitel  XXX VII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

Auf  Nauru  fand  Brandeis  einen  ähnlichen  Ohrenschmuck  wie  Senfft 
auf  Jap.  Den  Naurukindern  durchsticht  man  die  Ohren  im  Alter  von  10—12 
Jahren.  Die  Löcher  haben  neben  dem  ästhetischen  auch  einen  praktischen 
Wert,  d.  h.  sie  sind  nicht  nur  zur  Aufnahme  von  Muscheln  als  Tanzschmuck 
oder  von  Baummark  und  Blumen  bestimmt,  sondern  die  Männer  hängen  auch 
aus  Bequemlichkeit  ihre.  Fischhaken  hinein,  da  sie  keine  Taschen  haben. 

Blumen,  Beeren  u.  dgl.  trägt  man  ferner  auf  Tahiti  in  den  durch- 
stochenen Ohren. 

Zur  Aufnahme  von  Schmuck  durchstechen  ferner  die  Katchin  in  Birma 
ihren  Söhnen  im  Kindesalter  das  linke,  ihren  Töchtern  beide  Ohren.  Den 
Knaben  führt  man  in  die  nach  und  nach  erweiterte  Öffnung  des  linken  Ohr- 
läppchens  Blumen  ein,  bis  sie  diese  durch  wertvolleren  Schmuck,  d.  h.  durch 
einen  Silberring  mit  silbernen  Anhängseln  ersetzen  können1).  Die  Armen  be- 
gnügen sich  mit  kleinen  Rollen  aus  Papier  oder  Stoff,  auf  welche  sie  jedoch 


Fig.  383.    Ohrpflöcke  von  den  Mortlock-Inseln.    Im  K.  Museum  für  Völkerkunde  Berlin. 

Sammler:  .luj.  Krämer. 

bei  vorgerücktem  Alter  verzichten.  Den  Mädchen  durchsticht  man  an  beiden 
Ohren  Lappen  und  Muschel.  In  das  Muschelloch  komml  ein  rotes  Bändchen,  an 
welchem  eine  drei  Zoll  lange  und  1'/.,  Zoll  breite  Silberplatte  hängt;  an  dieser 
Platte  selbst  hängen  bisweilen  noch  silberne  Kettchen  und  an  diesen  Glöcklein 
aus  dem  gleichen  Metall.  Durch  das  viel  größere  Loch  im  Ohrläppchen2) 
steckt  man  silberne  Röhren  von  15 — 20  cm  Länge,  deren  vorderes  dickeres  Knde 
zur  Aufnahme  von  Blumen  oder  bunten  Stoffbändchen  bestimmt  ist  (Gilhodes). 

In  Ass.ini  durchbohren  die  Ao-Nagas  ihren  Kindern  beide  Ohren  gleich 
nach  der  Geburl  (Molz). 

Im  südlichen  | dravidischpn)  Indien  ist  das  Ohrlöcherstechen  nach  /'/-)// 
ein  religiöser  Akt  (vgl.  Perser).  Die  dortigen  Nairs  verbinden  die  Handlung 
für  Knaben  regelmäßig  mit  der  festlich  begangenen  Namengebung.  Unterbleibt 
es  bei  dieser  Gelegenheit,  dann  wird  es  am  siebenten,  neunten  oder  elften 
Geburtstage  nachgeholt.  Den  Mädchen  durchsticht  man  die  Ohren  meistens 
am  Dusserahfest,  seltener  an  einem  andern  Festtag.  —  Auch  die  Badaga 
im   Nilgiri-Gebirge  verbinden  die  festlichen  Akte  der  Namengebung  (siehe 

i)  Vgl,  Kap.  XLI. 

-i  Vielleicht  umgekehrt? 


§  238.     Das  Durchlöchern  der  Ohren  und  Lippen.     Einfügung  des  Schmuckes.      117 

diese)  und  das  Olirendurchstechen,  welches  der  älteste  Bruder  der  Mutter  mit 
dem  zugespitzten  Ende  kleiner  kupferne]'  Ringe  ausführt  (Jagor). 

Von  den  Mongolen  wissen  wir  durch  Karutz,  daß  sie  ihren  Neugebornen 
ein  Ohr  durchstechen,  um  sie  vor  Unglück  zu  bewahren. 

Bei  den  Babines-Indianern  am  Skeena-Fluß  in  Britisch  Columbia 
gilt  ein  kurzes  zylindrisches  Holzstück  in  der  durchlöcherten  Unterlippe  als 
Zeichen  freier  Geburt.  Paul  Kerne  und  Gordon  fanden  diese  Verunstaltung 
hier  aber  nur  beim  weiblichen  Geschlecht.  Das  Holzstück  ist  mitunter  zwei 
Zoll  dick  und  drei  Zoll  lang;  entfernt  man  es,  dann  fällt  die  Unterlippe  weit 
über  das  Kinn  hinunter.  Die  nördlichen  Nachbarn  der  Babines  fügen  der 
Oberlippe,  der  ganzen  Länge  nach,  eine  Reihe  Glasperlen  ein  und  lassen  die 
Haut  so  darüber  wachsen,  daß  die  Perlen  etwa  um  ein  Drittel  herausragen, 
was  die  Täuschung  hervorbringt,  als  ob  die  Zähne  über  die  Oberlippe  hinaus- 
gewachsen wären.  Hesse- Wartegg  sah  den  oben  beschriebenen  Holzschmuck 
der  Babine  auch  auf  der  Vancouver-Insel.  Ob  die  Operation  bereits  im 
Kindesalter  vorgenommen  wird,  lassen  wir  in  diesen  beiden  Fällen  dahingestellt; 
hingegen  scheint  dieses  Alter  für  das  Olirendurchstechen  bei  den  Sioux  be- 
stätigt zu  sein.     Hier  wurde  dieser  Akt  feierlich  begangen. 

Das  gleiche  gilt  für  das  alte  Mexiko,  wo  die  Handlung  im  Tempel  statt- 
fand. Im  18.  Monat1)  jedes  vierten  Jahres  brachte  man  zu  diesem  Zweck  jene 
Kinder,  welche  in  den  letzten  vier  Jahren  das  Licht  der  Welt  erblickt  hatten, 
in  den  Tempel  {Baneroft).  —  Nach  Walter  Lehmann  war  es  der  Festtag 
des  Feuergottes  Xiuhtecutli.  Das  Durchbohren  geschah  mit  einem  scharfen 
Bein,  worauf  in  die  Löcher  Federn  des  Macao,  eines  Papageis  (Tlachcayotl) 
eingeführt  wurden.  Ein  Pate  oder  eine  Patin  hielt  das  Kind  während  der 
Operation.  Diese  Paten  hießen  Onkel,  bzw.  Tante,  und  hatten  die  Pflicht, 
die  Kinder  in  den  Dienst  der  Götter  einzuführen.  Nach  der  Operation  opfert e 
man  Mehl  aus  Chiansamen  und  hob  die  Kinder  durch  ein  Feuer,  wobei  je 
eins  vom  Priester  mit  beiden  Händen  am  Kopf  gehalten  wurde.  Auch 
beschenkte  man  die  männlichen  Paten  (?)  mit  einem  roten'2)  Gewand,  die 
weiblichen  mit  einem  Huipil.  Nach  Hause  zurückgekehrt,  erfolgte  ein  Fest- 
mahl, worauf  man  abermals  im  Tempel  erschien.  Hier  gaben  die  Paten 
beider  Geschlechter  den  Kindern  Pulque  aus  winzigen  Täßchen  zu  trinken, 
nahmen  sie  auf  den  Rücken  und  tanzten  so.  Mit  einbrechender  Nacht  ging 
es  heimwärts,  wo  das  Tanzen  und  Trinker,  fortgesetzt  wurde.  Wahrscheinlich 
erhielten  auch  die  Kinder  hier  noch  Getränke;  denn  dieses  Fest  hieß  das  Fest 
der  Berauschung  der  Knaben  und  Mädchen.  Auch  „Itzcalli"  (Wachstum)  wurde 
es  genannt,  weil  mit  ihm  die  Zeremonie  der  Schädelpressung  ver- 
bunden war.  die  das  Wachstum  der  Kinder  befördern  sollte  (Bancroft)s). 

Die  mexikanischen  Pirnas  des  18.  Jahrhunderts  verbanden  mit  der  in 
Kapitel  XXXV  erwähnten  Operation  des  Ausreißens  der  Augenwimpern  auch 
das  Durchstechen  der  Lippen  und  die  Tätowierung.  Zu  all  diesem  waren 
Paten  nötig.  Ein  Pate  und  eine  Patin  hielten  das  Kind,  welches  sich  in 
seinen  Martern  wand,  weinte  und  blutete.  Viele  unterlagen  ihren  Leiden, 
bis  der  missionierende  Jesuit  P.  Josef  Och  festsetzte,  daß  jedermann,  der  sich 
an  solchen  Operationen  beteilige,  mit  einer  ordentlichen  Anzahl  von  Peitschen- 
hieben bestraft  werde.  Beim  Durchstechen  der  Lippen  wurde  das  Innere  der 
oberen  und  unteren  Lippe  möglichst  weit  nach  außen  gewandt  und  mit  vielen 
hundert  Dornstichen  traktiert,  dann  mit  Kohle  oder  dem  tintenfarbigen  Saft 
der  Hülsenfrucht  Visachen  bestrichen.  Die  Lippen  schwollen  hierauf  blau- 
schwarz  an  und  blieben  lebenslänglich  so  (v.  Murr). 

')  Das  bürgerliche  Jahr  umschloß  im  alten  Mexiko  18  Monate  und  b'Iage  (Bancroft  11,  508). 
2)   Wohl  ein  Symbol  des  Feuers. 
»)  Vgl.  Kapitel  XXXV  [. 


118        Kapitel  XXXVII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

Auch  die  alten  Maya-Völker,  mit  Ausnahme  jener  in  Guatemala. 
durchbohrten  ihren  Söhnen  und  Töchtern  Ohren.  Lippen  und  Nase1). 

Ein  großes  Fest  ist  das  Durchbohren  der  Ohren  und  Lippen  bei  den 
südamerikanischen  Moxurunas.  Auch  hier  findet  die  Operation  schon  früh 
statt  i v.  Martins). 

Ohrendurchstechen  bei  Mädchen  hat  Koch-Grwnberg  von  den  Passes 
erwähnt.  —  Die  Carajas  durchbohren  den  Knaben  die  Lippen  (/  on  Koenigswald). 
Dieser  Akt  sei  hier  ein  willkommener  Anlaß  zu  einem  Festtage. 

Die  Tapuya.  ein  Zweig  der  Ges  an  der  brasilianischen  Ostküste,  durch- 
bohrten zu  Jacob  Rabbis  Zeit  allen  ihren  Söhnen  im  Knabenalter  Lippen  und 
Ohren.  -Alan  brachte  die  Knaben  zu  diesem  Zweck  an  den  Versammlungsort 
des  Stammes,  der  das  Ereignis  mit  Tanz  und  Gesang  feierte.  Hier  setzten 
sich  die  Zauberer  in  zwei  Reihen  gegenüber;  dann  ergriff  einer  aus  ihnen 
einen  Knaben  und  fesselte  ihm  Hände  und  Füße,  worauf  ein  anderer  mit  einem 
zugespitzten  Holz(-Stab?)  die  Operation  vornahm,  während  die  Mutter  des 
Knaben  weinend  dabei  stand  (Dapper). 

Zwei  andere  Zweige  der  großen  Gesgruppe  sind  die  Capiekrans  oder 
Canelas  nahe  derSerra  dos  Canelas  und  die  Botokuden.  Von  den  ersteren 
berichtet  E.  Ignace,  allerdings  ohne  Angabe  der  Zeit,  in  welcher  die  Ohren- 
operation vorgenommen  wird:  Ihre  in  die  Länge  gezogenen  Ohren  reichen 
bis  zu  den  Schultern  herab,  was  von  den  schweren  Cou'i  herrührt,  welche 
diese  Leute  am  unteren  Teil  der  Ohrlappen  anhängen.  Auch  die  Aguite- 
quedichayas  und  die  Lingoas  in  Paraguay  deformierten  ihre  Ohren  auf 
diese  Weise.  Tgnaee  macht  hierzu  die  Anmerkung:  „Auch  bei  den  Mundu- 
rucus  werden  in  die  Ohren  große  Löcher  gebohrt,  in  welche  man  Holzstücke 
einfügt"  Wenn  dieses  ..auch"  den  Schluß  gestattet,  welchen  es  zu  gestatten 
scheint,  dann  hätten  wir  Ohrenpflöcke  nicht  nur  im  Osten,  sondern  auch  im 
Westen  des  südamerikanischen  Kontinents.  Daß  die  Botokuden  ihren  Namen 
von  ihren  Lippen-  und  Ohrenpflöcken2)  erhielten,  welche  die  Portugiesen  mit 
Faßspünden  verglichen,  ist  bekannt.  Sie  durchbohren  ihren  9— 10jährigen 
Kindern  Unterlippe  und  Ohren  mit  Pfeilspitzen  und  erweitern  die  Löcher  in 
der  Folge  durch  Einzwängen  von  Holzstückchen  immer  mehr,  bis  sie  (nach 
Sehlobach)  eine  Weite  von  zwei  Zoll  erreichen.  Eichel  gibt  mit  einem  Hin- 
weis auf  Lamberg  für  den  Holzpflock  in  der  Unterlippe  7 — 10  cm  Durch- 
messer  und  1,5—3  cm  Dicke  an. 

Die  Bororö  /.wischen  dem  oberen  Paraguay  und  Paranä.  also  im 
Innern  des  südamerikanischen  Kontinents,  lassen  ihren  männlichen  Säuglingen 
gleich  nach  der  Geburl  vom  Medizinmann  ein  Löchlein  in  die  Unterlippe 
bohren.  An  Festtagen  steckt  man  dann  in  dieses  Löchlein  Stifte  (von  den 
Stein 

Bei  den  Pampas-Indianern  nimmt  man  im  dritten  Jahr  die  Zeremonie 
des  Ohrendurchstechens  vor,  um  dadurch  das  Ende  der  Säuglingsperiode  und 
den  Beginn  der  weiteren  Erziehung  festlich  anzudeuten,  und  um  dem  Kinde 
die  Gunst  des  guten  Gottes  und  der  Verwandten  zuzusichern.  Der  Vater 
bestimmt  den  Tag  der  Feierlichkeit,  zu  welcher  die  Verwandten  herbeieilen. 
Vor  dem  Zelte  weiden  einem  Pferde  die  Füße  zusammengebunden;  man 
wirft  es  zu  Boden  und  hält  es  fest.  Dann  bringt  man  das  Kind  herbei 
und  legt  es  am  das  Pferd,  liier  durchsticht  ihm  der  Vater  mit  einer  Nadel 
die  < ihren. 

Wenden  wir  uns  vom  Süden  zum  Norden  des  südamerikanischen  Kon- 
tinents,  dann    sind   es  in   Britisch-Guayana  die  Macusi.  bei  welchen  der 


1 1  Hierüber  später 

-i  Rotoque  (Faßspund). 


§  239.     Das  Aussehlagen,  Schärfen  und  Bemalen  der  Zähne.  119 

Vater    seinem   Kind   in   der   frühesten   Jugend   Ohrläppchen,    Unterlippe   und 
Nasenscheidewand  durchsticht. 

Von  den  Karaiben  der  Antillen  berichtete  Dapper,  daß  sie  ihren 
Kindern  am  15.  Tag  nach  der  Geburt  durch  einen  Mann  und  eine  Frau  die 
Ohren  und  beide  Lippen  unter  der  Nase  durchbohren  und  einen  Draht  zum 
spätem  Aufhängen  des  üblichen  Schmuckes  in  die  Löcher  ziehen  ließen.  Etwas 
abweichend  von  dieser  Mitteilung  ist  jene  im  Kapitel  „Haaroperationen", 
welche  Durchbohren  der  Ohrläppchen,  Nasenlöcher  und  Unterlippe  erwähnt. 
Nach  Du  Terthe,  aus  welchem  diese  geschöpft  ist,  führten  die  Antillenkaraiben 
Baumwollfäden  in  die  Löcher  ein,  damit  diese  sich  nicht  schlössen.  — 

§  239,     Das  Ausschlagen,  Schärfen  und  Bemalen  der  Zähne. 

Die  Massai  im  nördlichen  Deutsch-Ostafrika  machen  ihren  Söhnen 
und  Töchtern  in  frühester  Jugend  die  unteren  zwei  Schneidezähne  mit  einem 
Messer  los  und  entfernen  sie  dann  mit  der  Hand.  Beim  Zahnwechsel  wird  dieser 
Eingriff  wiederholt.  May  Weiß  meint,  es  handle  sich  hierbei  fraglos  um  eine 
alte  religiöse  Sitte,  deren  Bedeutung  sie  aber  selbst  bei  den  Dorfältesten  nicht 
mehr  erfragen  konnte.  Sie  gaben  als  Grund  nur  an,  es  solle  eine  Zahnlücke 
entstehen,  durch  welche  man  beim  Bier-  und  Milchtrinken  in  einem  langen 
Strahl  spucken  könne. 

Um  Wasser  durch  die  Zahnlücke  in  den  Mund  lassen  zu  können,  lautet 
der  angebliche  Zweck  der  ostafrikanisehen  Kikuyu,  wenn  man  sie  fragt, 
warum  sie  ihren  Kindern  einen  unteren  Schneidezahn  herausnehmen.  Es  gebe 
bei  ihnen  Krankheiten,  in  welchen  sich  die  Kinnladen  so  zusammenpressen, 
daß  man  sie  nicht  mehr  auseinanderbringe  (um  dem  Kranken  Nahrung  ein- 
zuflößen?). Das  Entfernen  eines  Zahnes  im  Kindesalter  sei  daher  ein  Vor- 
beugungsmittel. Cayzac,  der  dieses  mitteilt,  ist  aber,  wie  Weiß,  geneigt,  in 
dieser  Zahnoperation  eine  ursprünglich  religiöse  Handlung  zu  erblicken.  Die 
Kikuyu  bezeichnen  sie  als  „wehe".  Der  Brauch  ist  allgemein,  obgleich  seine 
Beobachtung  nicht  zur  Pflicht  gemacht  wird.  Nur  die  Mutter  oder  ihre  Stell- 
vertreterin darf  diese  Zahnoperation  ausführen,  und  nur  die  Zeit  zwischen 
dem  Erwachen  der  Vernunft  und  der  zur  Pubertätszeit  stattfindenden  Be- 
schneidung gilt  als  die  erlaubte,  in  welcher  der  Zahn  entfernt  werden  darf. 
Ein  allenfallsiges  Versäumnis  darf  nach  der  Beschneidung1)  nicht  nachgeholt 
werden. 

Die  Wahua  feilten  ihren  Söhnen  im  zarten  Alter  die  oberen  Schneide- 
zähne spitz  zu.  so  daß  sie  den  Zähnen  der  Baubtiere  glichen.  Es  wurde 
von  Behr  versichert,  daß  diese  von  den  Medizinmännern  ausgeführte  Operation 
sehr  schmerzlich  sei.  Der  Brauch  ist  jetzt  stark  in  Abnahme  begriffen,  nur 
bei  wenigen  alten  Leuten  sehe  man  noch  solche  gefeilte  Zähne.  —  Von  den 
Wahua  westlich  vom  Tanganyika-See  schrieb  Walter-Hutley  im  Jahre 
1881,  daß  sie  ihren  Söhnen  im  7.  Jahre  die  beiden  vorderen  (oberen?) 
Zähne  abraspelten  und  ihre  Töchter  im  gleichen  Alter  tätowierten.  Vielleicht 
handelt  es  sich  hier  um  ein  und  dasselbe  Volk. 

Umfangreiche  künstliche  Zahndeformationen  haben  Elliot  Smith  und 
Demj  im  Jahre  1909  an  einigen  Negerschädeln  aus  der  Zeit  zwischen  200 
und  400  n.  Chr.  in  Nubien,  Umgegend  von  Dakke,  nachgewiesen.  Es  waren 
Zähne  abgefeilt,  in  bestimmte  Formen  geschnitten  und  Schneidezähne  ausge- 
zogen2).    Ob  die  Operation  im  Kindesalter  stattfand,  weiß  ich  nicht. 

Die  Wakamba  in  Britisch-Ostafrika  spitzen  die  oberen  Schneidezähne 
nach  dem  ersten  Zahnwechsel,  oder  erst  ..in  den  Flegeljahren".     Die  Operation 


i)  Siehe  Kapitel  XXXVIII. 

2)  Nach  A.  Wiedemann  im  Glob.  98,  S.  338. 


120        Kapitel  XXXVII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

geht  ohne  Zeremonie  vor  sich;  die  zugespitzten  Zähne  seien  ein  Stammes- 
abzeichen {Hildebrandt). 

Die  Batongas  im  britischen  Südafrika  ziehen  sich  außer  den  oberen 
Schneidezähnen  manchmal  auch  die  Augenzähne  aus.  Diesen  Brauch  führen 
sie  auf  die  vorbritische  Zeit  zurück,  als  sie  von  den  Matabeles,  Barotse 
und  anderen  Feindeu  vielfach  in  die  Sklaverei  geschleppt  wurden.  Damals 
hätten  sie  sich  an  den  Zahnlücken  erkennen  wollen.  —  Demnach  wäre  der 
Zweck  der  Zahnoperation  auch  hier  ein  Stammeszeichen. 

Der  gleiche  Zweck  wird  von  den  Herero  angegeben,  vom  Sanitätsamt 
in  Windhuk  aber  nicht  als  der  ursprüngliche  geglaubt.  Dem  folgenden 
Bericht  nach  liegt  hier  der  Operation  ein  religiöser  und  sozialer  Gedanke  zu- 
gleich zugrunde,  wie  ja  die  Völker  hauptsächlich  niederer  Kulturstufen  beide 
Charaktere  innig  miteinander  verbinden.  Bei  den  Herero  galten  früher 
nur  jene  Stammgenossen,  welche  sich  der  Zahnverstümmelung  unterwarfen,  als 
vollberechtigt.  Nur  sie  durften  aus  der  gemeinsamen  und  geweihten  Kalabasse 
trinken.  Noch  heutzutage  ist  mit  dieser  Operation  eine  Reihe  religiöser  Ge- 
bräuche verbunden,  obgleich,  wie  gesagt,  die  Zahnverstümmelung  nur  noch  als 
National-  oder  Stammeszeichen  gilt,  welches  auch  die  Kriegsgefangenen  tragen 
müssen.  Deshalb  unterwirft  man  auch  diese,  die  zugleich  durch  das  Abhacken 
des  Endgliedes  eines  oder  beider  kleiner  Finger  als  Sklaven  gekennzeichnet 
werden,  der  gleichen  Zahnoperation,  d.  h.  man  schlägt  ihnen,  wie  den  Herero 
selbst,  3 — 4  mittlere  Zähne  am  Unterkiefer  aus  und  feilt  die  inneren  Ecken 
der  beiden  oberen  Schneidezähne  in  Dreieckform  aus.  Das  Ausschlagen  der 
unteren  Zähne  wurde  stets  am  heiligen  Feuer  (Okuro)  frühmorgens  zwischen 
5  und  6  Uhr  vorgenommen,  und  es  war  eine  strenge  Pflicht,  daß  die  zu  operierenden 
Kinder  dabei  nüchtern  waren.  Zur  Blutstillung  erhitzte  man  ein  Stück  Fleisch 
am  heiligen  Feuer1)  und  legte  es  auf  die  "Wunde.  Die  Operation  wurde  an 
mehreren  Kindern  (20 — 40)  zugleich  vorgenommen  und  mit  einem  nachfolgenden 
Fest  gefeiert,  das  sich  in  Schmausen,  Tänzen,  Gesängen  und  Händeklatschen 
äußerte.  Die  Väter  der  Kinder  lieferten  dazu  Fleisch  und  Milch.  Mit  der 
Anerkennung  der  Operierten  als  Männer  oder  Weiber,  wie  Hahn  und  Francis 
wollten,  soll  die  Zahnverstümmelung  nichts  zu  tun  haben.  Die  erste  Men- 
struation werde  hierbei  nicht  berücksichtigt  und  der  Altersunterschied  der 
Beteiligten  sei  oft  erheblich.  Letzteres  ist  freilich  bei  den  Pubertätsfesten 
mancher  Völker  der  Fall  und  das  regelmäßige  Alter  der  Hererojugend  für  die 
Zahnoperation  scheinen  doch  10 — 15  Jahre  zu  sein.  Übrigens  sollen  die 
Herero-YYeiber  die  Zahnverstümmelung  so  schön  finden,  daß  sie  dem  Verbot 
der  Missionare  nicht  nachkommen  wollten,  während  die  Männer  wenig 
Schwierigkeiten  machten. 

Als  Stamnieszeicheu  sollen  ausgeschlagene  und  verstümmelte  Zähne 
während  einer  bestimmten  Zeitperiode  bei  den  Malayen  auf  den  Mentawei- 
Inseln  gegolten  haben.  Hier  spitzt  man  den  6— 7jährigen  Knaben  und  Mädchen2) 
nach  eingetretenem  Zahnwechsel  die  vorderen  Zähne  des  Ober-  und  Unter- 
kiefers dreieckig  zu.  Früher  benutzte  man  dazu  einen  Stein,  womit  man  die 
Zähne  abschliff;  jetzt  schlägt  man  die  Ecken  mit  einem  Messer  oder  kleinen 
Stemmeisen  ab.  Dieser  Brauch  soll  nach  Plei/te  schon  von  der  Zeit  vor  der 
Einwanderung  auf  die  Mentawei-Inseln  herstammen  und  einer  Verordnung  ihres 
Stammvaters  Jambang  Djaja  seinen  Ursprung  verdanken,  der  durch  dieses 
Zeichen  seine  Untergebenen  von  jenen  des  Radjas  von  Munangkabau  unter- 
scheiden wollte,  nachdem  ihm  im  Auftrage  dieses  Radjas  seine  Braut  gestohlen 
worden  war.  Jetzt  wollen  die  Mentawei-Insulaner  damit  nur  noch  Verschönerung 

')  Vgl.  das  Feuer  und  das  Stück  Fleisch  bei  der  Zahnoperation  der  australische!) 
Warramunga  auf  S.  123. 

-)  Nach  Foketwa  mit  Knitritt  der  Pubertät  (Archiv  f.  Anthropol.  32.  N.  F.  IV,  S.107f.). 


§  239.     Das  Ausschlagen,  Schärfen  und  Bemalen  der  Zähne. 


121 


und  Reinlichkeit  bezwecken,  letzteres  insofern  zwischen  den  zugespitzten  Zähne» 
keine  Speisereste  zurückbleiben  sollen. 

Zufeilen  und  Ausschlagen  von  Zähnen  ist  ferner  auf  Java  gebräuchlich. 
Instrumente  dazu  befinden  sich  im  K.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin.  Die 
Abbildung  einer  Feile  und  eines  Schlegels  folgt  hier  als  Fig.  284.  —  Auf 
Kremers ')  Frage  nach  Grund  und  Zweck  dieser  Operation  gaben  ihm  die 
Javaner  zur  Antwort,  viele  aus  ihnen  hätten  ein  ungleiches  Gebiß;  vielfach 
rage  ein  Zahn  über  den  anderen  hinaus,  oder  die  Lippe  sei  wegen  der 
zu  weit  vorstehenden  Zähne  aufgeworfen.  Diese  Abnormität  komme  daher, 
daß  sie  beim  Essen  alles  mit  den  Zähnen  abreißen.  Somit  sehen  viele  schon 
in  der  Jugend  Hunden  und  Affen  gleich.  Das  Feilen  der  Zähne  aber  gebe 
dem  Mund  wieder  seine  menschenwürdige  Form. 

Eine  ähnliche  Erklärung  erhielt  Hasselt-)  von  Malayen3),  welche 
Leute  mit  ungefeilten  Zähnen  mit  dem  Ausdrucke  charakterisierten:  ,.Ganz 
wie  ein  Hund". 

Über  die  Batak  auf  Sumatra  schrieb  Frhr.  v.  Brenner  im  Jahre  1894: 
„Das  auffallendste  Objekt  gewaltsamer  Eingriffe  und  Umgestaltung  der  reinen 


Fig.  284.    Feile  und  Schlägel  zum  Glätten,  bzw.  Ausschlagen  der  Zähne  auf  Java.     K.  Museum  für 

Völkerkunde  in  Berlin. 


Natur  im  Dienste  des  subjektiven  Schönheitsgefühles  bilden  die  Zähne,  die- 
gefeilt  und  gefärbt  werden,  und  denen  gerade  das  genommen  wird,  was  wir 
an  ihnen  bewundern,  d.  i.  Form  und  Farbe.  Diese  alte  und  allgemein  ver- 
breitete Sitte  hat  wahre  Zahnküustler  ins  Leben  gerufen,  die  an  Knaben  und 
Mädchen  zur  Zeit  des  Eintrittes  der  Pubertät  die  schmerzhafte  Operation  der 
Zahnverstümmelung  vornehmen.  Die  ganze  Prozedur  zerfällt  in  zwei  Teile: 
1.  In  das  Abtragen  der  Schneidezähne  im  Oberkiefer  bis  zur  halben  Länge, 
im  Unterkiefer  bis  fast  zum  Zahnfleisch,  und  mitunter  auch  der  Eckzähne. 
Der  Operateur  bedient  sich  dabei  eines  kleinen  eisernen  Meißels  und  eines 
hölzernen  oder  beinernen  Hammers,  mittels  welcher  er  durch  einzelne  kurze 
Schläge  Stück  um  Stück  von  den  Zähnen  absprengt,  bis  sie  die  richtige  Länge 
erhalten  haben,  worauf  die  scharfen  Kanten  durch  Steine  und  in  neuerlicher 
Zeit  vielfach  durch  Feilen  geglättet  werden.  —  2.  Ist  dies  geschehen,  so  geht 
der  Zahnkünstler  bei  Knaben  daran,  den  Schneidezähnen  des  Oberkiefers  das 
richtige  Profil  zu  geben,  wodurch  die  natürliche  konvexe  Oberfläche  derselben 
in  eine  konkave  verwandelt  wird.  Den  Mädchen  werden  auch  diese  bis  dicht 
an  das  Zahnfleisch  abgetragen. 


')  Bei  J.  Frhr.  v.  Brenner,  Besuch  193. 
2)  Ebenda. 

')  Nach  Frhr.  v.  Brenner    huldigen    alle    llalayen    dem    Brauch    des    Zähnefeilens. 
Auch  hinterindische  Völker  folgten  ihm. 


122        Kapitel  XXXVII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

Dieser  Schilderung  fügt  von  Brenner  bei,  daß  die  schmerzliche  Zahn- 
operation ohne  Klage  aasgehalten  werde,  das  Selbstbewußtsein  der  jungen 
Leute  hebe  und  ihre  Volljährigkeit  dokumentiere,  weshalb  das  Ereignis  mit 
einem  Familienschmaus  gefeiert  werde.  Nach  seiner  Ansicht  liegt  die  un- 
mittelbare Ursache  des  Zähnefeilens  bei  den  Batak  wirklich  in  der  abnormen 
Größe  ihrer  Schneidezähne,  welche  ein  Schließen  der  Lippen  verhindern. 

Auf  das  Feileu  folgt  bei  den  Batak  das  Schwärzen  der  Zähne.  Zur 
Herstellung  der  Schwärze  verbrennt  man  Zitronenholz  auf  einer  Messerklinge 
und  vermischt  das  hervorquellende  Harz  mit  der  Kohle1). 

Zahnfeilen  fand  Volz  auch  bei  den  Kubus  im  südlichen  Sumatra, 
konnte  aber  über  Zeit  und  Technik  nichts  feststellen. 

Von  den  Bewohnern  der  Molukkeninsel  Buru2)  schrieb  B.  Andree3), 
daß  sie  ihren  Kindern  beiderlei  Geschlechts  bei  der  Beschneidung  die  Zähne 
abfeilen. 

Bei  den  Negritos  auf  den  Philippinen  ist  es  nach  Thevenot,  Semper 
und  Jagor  allgemeiner  Brauch,  daß  man  die  Zähne  in  frühester  Jugend  spitz 
zuteilt.  Nach  Sehadendorf  hingegen  feilen  nti»;  einige  Stämme  (Familien)  die 
Zähne,  und  selbst  diese  erst  nach  eingetretenem  Zahnwechsel4).  Die  Operati  m 
werde  an  den  Schneidezähnen  vorgenommen,  welche  dadurch  sageförmig  werden. 

Aus  Victoria,  südliches  Australien,  lag  Plo/i  die  Mitteilung  vor,  daß  den 
Knaben  im  achten  Jahr  die  Vorderzähne  ausgeschlagen  werden.  —  Von  den 
Kaitisch  in  Zentral- Australien  schreiben  in  neuerer  Zeit  Spencer  und 
Grillen:  Das  Zahnausschlagen  findet  im  Alter  von  10 — 30  Jahren  statt  und 
hat  nach  der  jetzigen  Anschauung  der  Eingeborneu  nur  ästhetischen  Zweck. 
Die  Operation  kann  beim  männlichen  Geschlecht  von  älteren  Männern  und 
Weibern  ausgeführt  werden;  beim  weiblichen  ist  gewöhnlich  ein  Weib  damit 
beauftragt.  Oft  sind  es  Verwandte.  Der  Anstand  verlangt,  daß  Männer  dem 
Zahnausschlagen  beim  andern  Geschlecht  nicht  zuschauen,  weshalb  die  Ope- 
ration in  einiger  Entfernung  vom  Lager  vorgenommen  wird.  Als  Instrument 
dient  ein  Stein,  mit  welchem  auf  einen  Stock  geschlagen  wird,  den  man  an 
den  Zahn  hält.  Ein  von  Spencer  und  Gillen  beobachtetes  Mädchen  tanzte 
nach  ihrer  Operation  mit  der  Operateurin  im  Kreise  herum  und  warf  den 
aasgeschlagenen  Zahn  so  weit  sie  konnte  in  der  Richtung  des  Alcheringa- 
Lagers  ihrer  Mutter.  Der  Sage  nach  waren  es  zwei  Schlangenbrüder,  die 
in  der  Urzeit  (Airheringa)  sich  zuerst  gegenseitig  die  Zähne  aasschlagen. 
Seitdem  geschehe  das.  Die  Zahnoperation  steht  also  hier  mit  dem  Schlangen- 
kult  in  einer  gewissen  Verbindung. 

Zwei  gleichfalls  von  Spencer  und  Gillen  beobachtete  Männer  durften 
gegenseitig  nicht  zusehen,  als  ihnen  die  Zähne  aasgeschlagen  wurden,  sondern 
der  eiste  zog  sieb  nacb  seiner  Abfertigung  in  den  Busch  zurück:  beide  warfen 
ihre  Zähne,  wie  das  Mädchen,  nach  dem  „Alcheringa-Lager"  ihrer  Mütter.  — 
Bei  den  Warramuaga  findet  man  einen  oder  zwei  aus<reschlaa;eiie  Zähne  oft 
beim    weiblichen,   relativ   selten    beim   männlichen  Geschlecht.     Die  Zeit   der 


'i   Vornehme   Protzen    begnügen    sich    nicht    mit   dem  Schwärzen,    sondern  lassen  auch 
noch  schmale   \  q    am  Zahnfleisch   entlaug  ziehen,   oder,   in  seltenen  Fällen  (die 

Zähne?),   mit  Gold    überkleiden    und    dieses    selbst   mit  kleinen  Ornamenten   verseben.     Ferner 
gibt    es   Gold     lind    I  reinlagen,   welche  in   entsprechenden   künstlichen   Vertiefungen  in 

den  Zähnen  angebracht   ■■■■<  rden.    In  diese  Vertiefungen  legt  man,  ehe  diese  überbrückt  werden, 
lizin,  welche  vor  Vergiftung  schützen  seil  (t>.  Brenner). 

*)  Die  Molnkken  sind  nach   Scobel   von    den    Harafuru  (Alfuren).    einem   Mischvolk 
von   Malayen  und   Papnas,  bevölkert. 

»)  Ethnogr.  Parall.   191 1 

'  (17.  Jahrhundert)  kann  ein  früher  allgemeiner  Brauch  sein-  wohl 
reduziert  worden  sein.  Daß  Thivenots  Bericht  wenigstens  über  die  damals  übliche  Schädel- 
deformation   auf    den    Philippinen    wahrheitsgetreu    war,    hat   Kapitel    XXX  VI  erwähnt. 


§  239.     Das  Ausschlagen,  Schärfen  und  Bemalen  der  Zähne.  123 

Operation  schwankt  von  früher  Jugend  bis  zum  mittleren  Alter,  und  zwar 
hier  wie  im  Tjingilli-Stamm  gegen  Ende  der  Regenzeit,  d.  h.  wenn  die  Leute 
genug  Feuchte  haben  und  schönes  Wetter  wollen.  Von  den  Tjingilli  schreiben 
Spencer  und  Gillen,  daß  der  ausgeschlagene  und  in  Wasser  geworfene  Zahn  Regen 
und  Wolken  verscheuchen  soll. 

Von  der  Operation  an  ti — 7  AVarramunga-Mädchen  berichten  Spencer 
und  Gillen,  sie  habe  an  einem  Wasserloch  stattgefunden,  während  Männer  in 
einiger  Entfernung  zu  einer  heiligen  Zeremonie  vorbereiteten,  welche  aber 
von  den  Weibern  und  den  zu  operierenden  Kindern  nicht  gesehen  werden 
durfte.  Ob  diese  Zeremonie  im  Zusammenhange  mit  dem  Zähne-Ausschlagen 
stand,  geht  aus  Spencer  und  Gillen  nicht  klar  hervor.  Immerhin  wurden  bei 
der  Ankunft  der  Weiber  und  Kinder  am  Wasserloch  2  —  3  Feuer  angefacht, 
und  die  Mädchen  gingen,  ehe  sie  sich  zur  Operation  auf  die  Erde  legten,  bis 
zur  Brust  in  das  Wasser  hinein,  tranken  davon,  spritzten  einen  Teil  nach 
allen  Richtungen  aus  und  spritzten  das  Wasser  dann  über  sich  selbst,  wobei 
sie  hauptsächlich  den  Scheitel  bedachten.  Die  ausgezogenen  Zähne  wurden 
zerstoßen  und  so  in  ein  Stück  Fleisch ')  getan,  welches  die  Mutter  essen  mußte. 
Die  gleichen  Zeremonien  werden  beim  männlichen  Geschlecht  beobachtet,  mit 
der  Ausnahme,  daß  die  zerstoßenen  in  Fleisch  gemischten  Zähne  von  der  zu- 
künftigen oder  bereits  aktuellen  Schwiegermutter  gegessen  werden.  Der 
Gnanji-Stamm  schlägt  die  Zähne  gleichfalls  in  der  Regenzeit  aus.  Hier 
trägt  der  Operateur  den  ausgeschlagenen  Zahn  einige  Zeit  bei  sich,  gibt  ihn 
hierauf  der  Mutter  der  oder  des  Operierten,  die  ihm  Eßwaren  und  roten 
Ocker  schenkt,  Sie  muß  den  Zahn  neben  einem  Wasserloch  begraben,  damit 
der  Regen  aufhöre  und  mehr  Wasserlilien  im  Teiche  wachsen.  Die  ausge- 
schlagenen Zähne  scheinen  demnach  ein  Bittopfer  zu  sein.  Vgl.  den  Brauch, 
ausgefallene  Zähne  den  Mäusen  zu  geben,  in  Löcher  zu  werfen  usw.  in 
Kapitel  XXXIV. 

Einen  anderen  Ritus  bei  einer  australischen  Zahnoperation  referiert 
Wundt  mit  einem  Hinweis  auf  Rowitt:  Der  Medizinmann  preßt  seine  unteren 
Schneidezähne  gegen  die  oberen  Schneidezähne  des  einzuweihenden  Knaben, 
um  den  Zahn  zu  lockern  und  dann  mit  einem  Meißel  herauszuschlagen.  Wwndta 
Deutung   dieses   Ritus   wurde   in   der  Einleitung  zu   diesem  Kapitel  erwähnt. 

Beim  weiblichen  Geschlecht  der  Mayas  in  Yucatan  galten  Zähne  in 
Sägeform  als  Schönheitsideal.  Die  Operation  wurde  von  alten  Weibern  als 
Profession  vorgenommen,  wobei  scharfe  Kieselsteine  und  Messer  dienten.  Das 
Alter  der  zu  Operierenden  ist  bei  Bancroft  nicht  angegeben. 

Die  Wichtigkeit,  welche  die  Japanerinnen  dem  ersten  Zähne- 
schwärzen  beimessen,  geht  aus  den  Glückwünschen  und  Geschenken  hervor, 
welche  sie  ihren  Bekannten  zu  dieser  Zeremonie  darbringen.  Eigene  Gratu- 
lationsbriefe finden  sich  für  solche  Gelegenheiten  in  Briefstellern.  Der  folgende 
samt  Autwort  ist  dem  „Globus"  (Band  58)  eutnommen: 

..Weil  heute  ein  guter  Tag  ist,  so  hat  Ihre  Tochter  beschlossen,  zum 
ersten  Male  die  Zähne  zu  schwärzen.  So  habe  ich  gehört  und  große  Freude 
darüber  gefühlt.  Dazu  habe  ich  als  Glückwunschzeichen  eine  Bürste,  einen 
Sack  voll  Pulver  und  dazu  ein  Gefäß  geschickt.  Wir  haben  miteinander 
darüber  gesprochen,  daß  es  gut  geeignet  sein  würde.  Seinerzeit  werde  ich 
Ihnen  persönlich  Glück  wünschen.  Grüßen  Sie  die  Großeltern  herzlich  von 
mir.  Das  wünsche  ich."  —  In  der  Antwort  grüßt  die  Mutter  des  Mädchens, 
dessen  Zähne  zum  ersten  Male  geschwärzt  worden  sind,  „ewig"  für  die  Glück- 
wunschzeichen und  fügt  bei:  „Aus  Ihrem  treuen  Herzen  haben  Sie  viele  Zeilen 


')  Vgl.  Feuer  und  Fleisch  der  Herero. 


124        Kapitel  XXXVII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

geschrieben.     Das  freut  mich  sehr.     Seinerzeit  werde  ich  Ihnen  vor  Ihrem 
Angesicht  vielen  Dank  sagen."  — 

§  'HO.     Bruchstücke    über    wirkliche    und    sagenhafte    Behandlung    der 

Kinderbrust. 

An  vielen  Orten  Deutschlands  wird  die  milchähnliche  Flüssigkeit,  eine 
ganz  natürliche  Absonderung  in  den  Brüsten  der  Neugebornen,  „Hexenmilch" 
genannt.  Statt  den  naturgemäßen  Verlauf  abzuwarten,  pressen  die  Hebammen 
und  Großmütter  diese  Hexenmilch  mit  ihren  Fingern  aus  den  kleinen  Brust- 
warzen heraus.  Es  könnte  ja  sonst  die  Drude  oder  der  Alp  kommen  und  sie 
aussaugen. 

Die  gleiche  Anschauung  und  Behandlung  findet  sich  nach  BirJcctt  in 
England  und  nach  Dieruf  in  Neapel. 

In  Catalonien,  nordöstliches  Spanien,  drückt  man  den  neugebornen 
Knaben  die  Brust  aus,  damit  der  Teufel  keine  Gewalt  über  sie  habe,  d.  h. 
damit  sie  nicht  leidenschaftlich  werden  (Jiilita  Michael).  Demnach  gilt  auch 
hier  die  in  der  Brust  befindliche  Flüssigkeit  als  etwas  der  deutschen  ,.Hexen- 
milch"  Ähnliches. 

An  der  afrikanischen  Westküste  binden  die  Angola-Negerinnen 
den  kleinen  Mädchen  ein  Band  über  die  Brust,  um  sie  bereits  in  der  Kind- 
heit daran  zu  gewöhnen  und  so  den  lästigen  Hängebrüsten  vorzubeugen  (Pogge). 

Exstirpation  der  Brustwarze  fand  Cameron  in  Akalunga  und  in  Kasan  - 
galowa  am  Tanganjika.  Die  hübschesten  Frauen  hatten  statt  der  Brust- 
warze ein  Loch.  Die  Angabe,  daß  die  Frauen  diese  schmerzhafte  Operatiou 
aus  ästhetischen  Gründen  selbst  an  sich  vornehmen,  hielt  Cameron  für  unrichtig. 
Allerdings  weiß  ich  auch  nicht,  ob  sie  in  der  Kindheit  vorgenommen  wurde. 

Von  den  Amazonen-Inseln  bei  Yukatan  ging  das  Gerücht,  daß  sie  sich 
in  der  Kindheit  die  linke  Brust  abschnitten,  um  Bogen  und  Pfeil  besser  hand- 
haben zu  können  (Alonso  de  Santa  Cruz).  —  Wie  dieses  Gerücht  auf- 
zufassen ist.  können  wir  gleichfalls  nicht  feststellen.  Interessant  ist  jedenfalls 
seine  Ähnlichkeit  mit  der  griechischen  Amazonensage,  nach  welcher  den 
Mädchen  von  ihren  eigenen  Müttern,  den  Amazonen,  die  rechte  Brust  aus- 
gebrannt wurde,  damit  sie  beim  Bogenspannen  nicht  hindere.  - 

§  241.     Die  Verunstaltung  der  Füße  und  Beine. 

Die  nstafrikanischen  Mischvölker  der  Wak(h)uma  und  Wakuafi,  welche 
sprachlich  dem  äthiopischen  Zweig  der  hamitischen  Völkerfamilie  angehören, 
aber  viel  Negerblut  haben,  sind  der  Ansicht,  daß  starke  Waden  schnelles  und 
ausdauerndes  Laufen  verhindern.  Um  nun  der  Entwicklung  der  Waden  zu- 
vorzukommen,  binden  sie  den  Neugebornen  die  Unterschenkel  vom  Knie  bis 
zum  Knöchel  fest  ein  und  lassen  diese  Bandagen  dort,  bis  die  Kinder  stehen 
können. 

Die  Maori  auf  Neuseeland  drücken  ihren  Kindern  täglich  die  inneren 
Knieflächen  abwärts,  um  sie  gelenkig  zu  machen  (II'.  Colenson). 

In  Australien  winden  gewisse  Stämme  ihrem  Neugebornen  eine  Bolle 
Muka  fest  um  die  Kniee,  um  ihm  gerade  Glieder  zu  verschaffen. 

Kine  unabsichtliche  Wirkung  der  Art,  die  Kinder  zu  tragen,  scheinen 
die  einwärts  gekrümmten  Kniee  vieler  Japaner  zu  sein.  Das  Kind  wird 
nämlich  seiner  Trägerin  mit  einem  Tuch  in  der  Weise  fest  auf  den  Rücken 
gebunden,  daß  das  Tuch  der  Trägerin  um  den  Leib  und  die  Schultern,  dem 
Kinde  um  Rücken  und  Oberschenkel  läuft,  und  die  Kniee  des  Kindes  gegen- 
einander zu  liegen  kommen. 


§  241.     Die  Verunstaltung  der  Füße  und  Beine.  125 

Weltbekannt  ist  die  Verunstaltung  der  Mädchenfüße  in  China,  In  den 
wohlhabenden  und  vornehmen  Chinesenfamilien  ist  sie  im  ganzen  Laude  zu 
finden,  besonders  in  den  südlichen  Provinzen,  unter  welchen  Kwansinund 
Kwangtun  die  ausgesuchtesten  Exemplare  aufweisen  sollen.  Selten  scheinen 
sie  in  Peking  mit  seiner  vorherrschenden  Mandschu-Bevölkerung  zu  sein. 
Immerhin  findet  im  kaiserlichen  Palast  selbst  keine  Frau  mit  natürlichen  Füßen 
Gnade;  alle,  von  der  Kaiserin  bis  zur  letzten  Zofe,  haben  sie  verkrüppeln  lassen. 

Die  Methode  der  Verkrüppelung  ist  nicht  überall  die  gleiche,  vielmehr 
scheinen,  von  unwesentlichen  Abweichungen  abgesehen,  drei  Hauptmethoden 
maßgebend  zu  sein.  In  den  nördlichen  Provinzen  wird  der  Fuß  zunächst 
geknetet;  dann  bringt  man  die  vier  kleineren  Zehen  unter  den  Fuß  zurück 
und  bindet  sie  so  mit  einer  5  cm  breiten  Binde,  welche  täglich  erneuert  wird, 
fest.  Darüber  kommt  ein  hoher  Schnürstiefel  mit  platter  Sohle  ohne  Absatz 
und  einer  Spitze  nach  vorn,  wo  die  große  Zehe  liegt  (G.  Morache). 

Damit  ist  aber  noch  nicht  die  eleganteste  Form  des  chinesischen  Damen- 
fußes erreicht.  Vielmehr  erfordert  diese  eine  weitere  Behandlung,  welche  im 
folgenden  besteht:  Sind  die  Zehen  nach  der  eben  erwähnten  Methode  so  weit 
gebracht,  daß  sie  gebogen  bleiben,  dann  legt  man  unter  den  Fuß  einen  halben 
Metallzylinder  und  preßt  mittels  Binden  die  Zehen  und  das  Fersenbein  über  diesem 
Halbzylinder  zusammen,  so  daß  die  Lage  des  sogenannten  Kahnbeins  verändert 
wird.  Später  kommt  der  Fuß  in  einen  Stiefel  mit  starker  konvexer  Sohle. 
Die  Binden,  welche  bis  zu  den  Knieen  hinaufgeführt  werden,  so  daß  auch  die 
Beine  schwinden,  wie  Bingham  nach  eigener  Anschauung  von  einem  16  jährigen 
Landmädchen  berichtete,  bleiben  Tag  und  Nacht  liegen1).  Durch  das  Brechen 
oder  Biegen  der  Ferse  wird  zwischen  ihr  und  den  Zehen  ein  Bogen  gebildet,  — 
Eine  dritte  Methode  ist  aus  Canton  und  Macao  berichtet,  Hier  bleibt  die 
Ferse  ganz  unangetastet,  Dafür  wird  ein  sehr  hoher  Absatz  angebracht, 
wodurch  die  Spitze  der  großen  Zehe  auf  den  Boden  kommt. 

Die  hochgradige  Verkrüppelung  der  Füße,  wie  sie  beim  weiblichen  Ge- 
schlecht der  höheren  Stände  getrieben  wird,  ist  bei  den  Landleuten  nicht 
üblich.  Die  Mandschu  lassen,  nach  Stern,  die  Füße  überhaupt  in  ihrem  natür- 
lichen Zustand.  Das  Kaiserhaus  (Mandschu-Dynastie)  scheint  also  weniger 
einsichtsvoll  zu  sein  als  das  Volk  (vgl.  die  weiter  oben  erwähnte  Verkrüppelung 
der  Füße  in  der  kaiserlichen  Residenz). 

Die  Verkrüppelung  beginnt  nicht  überall  mit  dem  gleichen  Lebensalter. 
In  vornehmen  Familien  werden  den  Mädchen  schon  in  der  Wiege  Hemmschuhe 
angelegt;  in  gewöhnlichen  Kreisen  beginnt  die  Tortur  im  Alter  von  5 — 8  Jahren. 
Hier  sind  es  die  Mütter,  welche  die  Sache  besorgen,  dort  professionelle  Frauen, 
die  in  den  Diensten  der  Familie  stehen  und  erhalten  werden. 

Die  verkrüppelten  Füße  erschweren  den  Chinesinnen  das  Gehen  in  hohem 
Grade,  besonders  da,  wo  die  Verbildung  nicht  nur  die  vier  kleineren  Zehen, 
sondern  auch  die  Ferse  umfaßt.  Das  ganze  Gewicht  des  Körpers  lastet  hier 
auf  der  Fersenspitze  und  der  großen  Zehe,  weshalb  der  Gang  wacklig  und 
ähnlich  dem  eines  Stelzengängers  sein  soll.  Um  nicht  zu  fallen,  stützen  sich 
die  Damen  auf  Spazierstöcke,  oder  suchen  mit  den  Armen  das  Gleichgewicht 
zu  erhalten.  Trotz  alldem  trägt  der  Fußstumpf  der  Chinesin  iu  der  poetischen 
Sprache  ihres  Landes  den  lieblichen  Namen  Kinlien,  d.  h.  ,.goldene  Wasser- 
lilie", die  weibliche  Eitelkeit  verlangt  ihn,  und  der  Mann  schätzt  die  Frau 
nach  der  Kleinheit  ihrer  Füße. 

Gipsabgüsse  solcher  Füße  befinden  sich  wohl  in  allen  europäischen 
Völkermuseen.  Ihre  Länge  schwankt  zwischen  drei  und  fünf  Zoll,  wovon  drei 
als  die  elegantere  Form  gilt, 


J)  Vgl.  folgende  Seite. 


126        Kapitel  XXXVII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

Die  geschilderte  Unsitte  verursacht  dem  weiblichen  Geschlecht  in  China 
viele  Qualen.  Nach  Parker  brande»  bisweilen  die  Füße  bis  zu  den  Knöcheln 
hinauf:  nach  Stent  faulen  bei  nachlässiger  Behandlung  die  Zehen  ab,  und 
viele  Kinder  erliegen  den  Krankheiten,  welche  durch  die  Störung  des  Blut- 
laufs verursacht  werden.  Aber  ohne  verkrüppelte  Füße  ist  keine  Aussieht 
auf  spätere  Verheiratung,  und  verheiratet  müssen  die  Mädchen  werden.  Das 
Merkwürdige  dabei  ist,  daß  die  auf  ihre  kleinen  Fiißchen  stolzen  Chinesinnen 
sich  schämen,  dieselben  entblößt  zu  zeigen,  und  wäre  es  auch  dem  eigenen 
Gatten,  und  daß  den  Männern  der  Anstand  verbietet,  von  den  Füßen  einer 
Dame  zu  sprechen,  oder  einen  Frauenschuh  anzufassen.  Ja,  es  ist  nach  Stern 
nicht  einmal  erlaubt,  scharf  auf  die  Schuhe  einer  Frau  zu  sehen.  Das  schon 
erwähnte  Mädchen  vom  Land,  welches  seinen  Fuß  Bingham  zeigen  sollte, 
schämte  sich  sehr,  überwand  aber  ihre  Scham  beim  Anblick  eines  neuen 
Kopftuches,  welches  ihr  dafür  versprochen  wurde. 

Bei  Kindern  macht  die  Natur  den  Mißgriff  der  Menschen  bald  wieder 
gut,   wenn    man   die  Füße  ihrer  Händen  entledigt.     Das  hat  sich  bei  kranken 


Fig.  286.    Verkrüppelte  chinesische  Füße.    Nach  Modellen  im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 

Kindern  gezeigt,  welche  in  Peking  von  barmherzigen  Schwestern  verpflegt 
winden.     Nach  einigen  Wochen  hatten  die  Füße  wieder  ihre  natürliche  Form. 

Aber  nicht  nur  die  Füße,  sondern  auch  die  Unterschenkel  der  Mädchen 
werden  künstlich  verbildet.  Nach  Bingham  war  das  ganze  Bein  des  von  ihm 
untersuchten  Landmädchens  vom  Knie  abwärts  stark  geschwunden. 

Kin  entgegengesetztes  Resultat  scheint  die  von  <•.  Keitner  aus  dem 
Löß-Gebiet  zwischen  Si-ngan-fu  und  Lan-tschou-fu  mitgeteilte  Waden- 
schnürung  herbeizuführen.  Fr  schreibt  nämlich:  „Die  den  Mädchen  eigen- 
tümliche Eitelkeit,  möglichst  kleine  Füße  zu  erzielen,  reicht  so  weit,  daß  sie 
schon  von  dem  Knie  an  die  Wade  durch  Faschenbänder  einzwängen;  diese 
gewinnen  endlich  solche  Dimensionen,  daß  sie  dem  Geiste  des  Gouverneurs  in 
der  Oper  Don  Juan  zur  Ehre  gereichen  könnten.  Der  Effekl  wird  noch  er- 
höht, wenn  in  der  Wadenmitte  ein  zollbreiter  Streifen  freibleibt  und  das  Bein 
wir  ein  alle,  Strumpfband  hervorblickt."  (Vgl.  die  Waden-  und  Schenkel- 
schnürung  der  Ka  ra  iben  w.  u.) ') 

'i   Di.'   äußeren    Bandagen    laufe ich    Bingham   um    den  Fuß   über  einen   schmalen, 

von    der    Ferse    berai  □    Streifen,      Dann    folgt    (nach    innen    zu)  der  Sehuh.    und    auf 

diesen  die  zweite  Bindi  un  ere  Strümpfe  ersetzt.    Die  Binden  um  Zehen  und  Knöchel 

baben  die  direkte    \m      I-  rschobenen  Fußteile  an  der  ihnen  zugewiesenen  Stelle  fest- 

zuhalten, and     n   en  dahei     ehr  straff. 


§  241.     Die  Verunstaltung  der  Füße  und  Beine.  127 

Die  Frage  nach  dem  Grund  und  dem  Anfang  dieses  Mißbrauchs  der 
Beine  und  Füße  in  China  wurde  schon  verschieden  beantwortet: 

Nach  Scherger  und  andern  hätte  die  Eifersucht  der  Männer  dem  weib- 
lichen Geschlecht  dieses  Hindernis  in  den  Weg  gelegt.  —  Dem  Missionar 
Stern  wurde  in  China  gesagt,  die  Männer  hätten  die  Fußverkrüppelung  ver- 
langt, weil  sie  nicht  leiden  wollten,  daß  die  Frauen  durch  müßiges  Herum- 
laufen und  Klatschen  die  Zeit  verbrächten. 

Wäre  dieses  letztere  Motiv  historisch  richtig,  dann  müßte  man  aller- 
dings sagen,  daß  es  seinen  Zweck  nicht  erreichte;  denn  Stern  teilt  auch 
mit,  daß  die  Chinesin  auch  jetzt  noch  auf  den  Straßen  eine  Zungenfertigkeit 
beweise,  welche  die  gewisser  Europäerinnen  übertreffe.  Somit  wäre  auch  das 
Eifersuchtsmotiv,  wenn  es  geschichtlich  wäre,  nicht  ans  Ziel  gekommen.  — 
Wahrscheinlicher  klingt  eine  dritte  Erklärung.  Stern  hörte  auch  diese  in 
China.  Ihr  zufolge  ist  die  Verkrüppelung  der  Füße  der  Nebenfrau  eines 
chinesischen  Kaisers,  bzw.  der  Vorliebe  dieses  Kaisers  zu  kleinen  Damen- 
füßchen  zu  verdanken.  Dieser  Kaiser,  der  aber  nicht  genannt  ist,  soll  nämlich 
eine  Nebenfrau  gehabt  haben,  die.  wenn  sie  vor  ihm  tanzte,  mit  ihren  kleinen 
Füßen  Blumen  in  den  Sand  gezeichnet  und  durch  diese  beiden  Vorzüge  dem 
hohen  Herrn  besonders  gefallen  haben.  Deshalb  wollten  die  andern  Frauen 
ihr  gleichkommen,  und  so  sei  der  verkleinerte,  verkrüppelte  Fuß  allgemeine 
Mode  geworden. 

Zeitlich  verlegen  chinesische  Sagen  den  Ursprung  dieser  Mode  um  das 
Jahr  1100  v.  Chr.;  andere  zwischen  die  Zeit  des  Kaisers  Vaugli  (695  n.  Chr.) 
und  des  Kaisers  Li-Yuh  (961 — 976  n.  Chr.).  Aber  Marco  Polo  fand  sie  im 
13.  Jahrhundert  noch  nicht  vor;  sonst  hätte  er  sie  siclier  erwähnt. 

In  neuerer  Zeit  ließ  sich  in  China  eine  vernünftige  Stimme  gegen  die 
Fußverkrüppelung  vernehmen:  Der  fortschrittliche  Vizekönig  Yan-sche-Kai 
der  Provinz  Tschili,  auf  dessen  Kampf  gegen  den  Mädchenmord  Kapitel  IX 
zu  sprechen  kam,  weist  in  seinem  Aufruf  gegen  diesen  auch  auf  die  Fuß- 
verkrüppelung als  eine  schlimme  Sitte  hin.  In  Europa  'meinte  freilich  der 
Anatom  Welcher,  es  gäbe  Dinge,  über  welche  das  Publikum  eine  Belehrung 
nicht  wolle.  Vergeblich  habe  Sömmering  gegen  das  Schnüren  geschrieben; 
vergeblich  habe  Hogareth  in  den  Umriß  der  Venus  ein  Korsett  eingezeichnet. 
Die  Chinesinnen  würden  also  wohl  mit  dem  Eindringen  europäischer  Kultur  das 
Einschnüren  der  Füße  gegen  das  Einschnüren  des  Brustkastens  vertauschen.  — 

Eine  Krümmung  der  Beine  bezwecken  die  Kalmücken,  wenn  sie  ihren 
Kindern  Keile  zwischen  die  Beine  stecken.  Sie  wollen  sie  dadurch  zum 
Reiten  geschickt  machen. 

Eine  dem  chinesischen  Brauch  ähnliche  Erscheinung  fand  Richardson 
bei  den  Loucheux,  einem  Zweig  der  Tinneh-  oder  Dene-Indianer  in 
Nordamerika.  Der  ganze  Stamm  habe  kurze  unschöne  Füße  gehabt;  denn 
nicht  nur  den  Mädchen,  sondern  auch  den  Knaben  habe  man  die  Füße  ge- 
schnürt, um  sie  möglichst  klein  zu  bilden. 

Die  Carrier-Indianer  suchten  ihre  Kinder  durch  zweckmäßige  Behand- 
lung vor  krummen  Beinen  zu  bewahren.     (Vgl.  die  Kalmücken.) 

Von  den  Karaiben  berichtete  A.  v.  Humboldt,  daß  sie  auf  gewisse 
Körperformen  hohen  Wert  legten.  Die  Mütter  würden  der  Gleichgültigkeit 
gegen  ihre  Kinder  beschuldigt  werden,  wenn  sie  diesen  nicht  die  Waden 
und  Schenkel  nach  der  Landessitte  formten,  d.  h.  die  Ober-  und  Unterschen- 
kel in  gewissen  Abständen  mit  breiten  Baumwollbinden  einschnürten,  so  daß 
das  unter  den  Binden  liegende  Fleisch  in  die  freien  Zwischenräume  gedrängt 
wurde  und  hier  herausquoll.  Ähulich  scheint  das  Resultat  der  von  Keitner 
erwähnten  Wadenschnürung  in  China  zu  sein  (vgl.  S.  126). 


128        Kapitel  XXXVII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

§  242.    Die   im  Kindesalter  begonnene  Tätowierung.  —  Bemalung  des 

Kindes. 

Die  Bewohner  von  Bannu  im  nordwestlichen  Indien  färben  ihren 
Neugebornen  Augenbrauen  und  Schädel  mit  Spießglanz,  damit  das  Kind 
schwarze  Haare  bekomme. 

Die  vorwiegend  arabische  Bevölkerung  in  Tunis  zeigt  eine  hochgradige 
Vorliebe  für  tätowierte  Körper.  Eichard  Karuh  schrieb  im  Jahre  1909  von 
den  dortigen  Erwachsenen,  von  den  Ohren  abgesehen,  seien  sie  ganz  mit 
Tätowiermustern  bedeckt;  die  Eltern  unterwürfen  ihre  Kinder  der  Tätowie- 
rung schon  mit  dem  siebenten  oder  achten  Tag  nach  der  Geburt.    Die  Muster 


'*"ig.  280.    Tätowiermuster  aus  Tunis.    Aus  Karulz:  Tätowiermuster  aus  Tunis.    Im  Archiv  f.  Anthropologie 

Bd.  36,  N.  V .,  Bd.  VII,  S.  65. 
Die  erste  Zeichnung  rechts  soll  einen  Adler  darstellen  (siehe  Text);  die  beiden  andern   Verden 
Mädchen   auf  Untersohenkel    und  Wade  tätowiert.    Die  Kreuzehen  in   der  größten  Figur,  links,   sind   Dach 
Knwi   „Glückskrenze" ;    die  Leuchterarme    tragen  je    eine    Lampe   und   Kerze;    die   kleinen   Kreise   in   der 
mittleren  Figur  sind  „Augenkreise",  schützen  gegen  den  bösen  Blick. 


Andere    Figuren 
zu  schließen,  ist 


mihI  verschiedene)  Art.  haben  verschiedene  Bedeutung  und  sollen  verschiedene 
Wirkungen  ausüben.  Ein  Adler  (Fig.  286,  rechts)  soll  den  kleinen  Kindern 
Stärke  verleihen;  kleine  Kreise  als  Symbole  des  Auges  sollen  vor  dem  bösen 
Blick  schützen.  Schlangen  vor  Schlangenbiß  bewahren. 
wieder  sind  /eichen  des  Islam  usw.    (Vgl.  Pubertätsfeier.) 

Kino   All    Tätowierung  im  Kindesalter,  nach  Fig.  287 
auch  bei  den  Madi,  Ostsudan-Negern,  üblich. 

Eine  mit  besonders  intensivem  Schmerz  verbundene  Tätowierung  an 
kleinen  Kindern  und  an  Erwachsenen  hat  Floß  (nach  Tarano)  in  der  2.  Aufl. 
(I,  337)  von  den  „afrikanischen  Küsten"  erwähnt.  Bei  dieser  Operation 
wurde  eine  ziemlich  starke  Stahlnadel  schräg  unter  die  Haut  eingeführt. 
Je  tiefer  das  geschehe,  desto  wirkungsvoller  erscheine  das  Muster.  Die  Nadel 
reißt  die  Haut  nach  der  Richtung,  in  welcher  sie  eingeführt  und 


gewaltsam 


§  242.     Die  im  Kindesalter  begonnene  Tätowierung.  —  Bemalung  des  Kindes.      131 

entlaug  laufenden  Reihe  von  Querstreifen.  Nach  dem  Rückenornament  kommen 
Qaerstreifen  auf  den  Hüften  und  an  der  äußeren  Seite  der  Beine,  sowie  ein 
Streifen  auf  jeder  Backe  und  von  der  Unterlippe  zum  Kinn.  Damit,  schreibt 
Pleyte,  ist  vorläufig  das  Muster  fertig,  und  nun  wird  an  der  Vervollständigung 
der  Brusttätowierung  gearbeitet,  die  allein  mehrere  Jahre  beansprucht.  Diese 
Zeit  fällt  aber  bereits  in  das  reife  Mannesalter,  und  der  vollkommen  täto- 
wierte Mann  habe  gewöhnlich  sein  fünfundvierzigstes  oder  fünfzigstes  Jahr 
erlebt.    Das  weibliche  Geschlecht  ist  im  allgemeinen  weniger  tätowiert.    Statt 


Fig.  289.    Ein  tätowierter  Katurei.    Aus 
Vvlt:  Znr  Anthropologie  und  Ethnographie 
von   Indonesien.     Im  Archiv  für  Anthro- 
pologie. 32.    }».  F.  IV.  S.  n>5  u.  lu7. 


maaL 


Fig.  290.    Eine  tätowierte  Katurei. 
Aus  Volz.    Ebenda. 


des  Brustschildes  bekommt  es  sternförmige  Figuren  auf  Schultern  und 
Brüste. 

Nach  Volz  hat  auf  den  Mentawei-Inseln  nicht  nur  jede  Gegend  ihr  beson- 
deres Muster,  sondern  auch  die  Eingebornen  der  einzelnen  Gegenden  weisen 
Unterschiede  in  ihren  Tätowiermustern  auf;  denn  die  Tätowierung  ist  sowohl 
Stammesabzeichen  als  auch  das  Zeichen  für  erfolgreiche  Kriegszüge. 
Nach  jedem  Sieg  haben  jene,  welche  ihn  erringen  halfen,  das  Recht,  die 
Tätowierung  ihrer  Kinder  zu  vervollständigen.  Die  des  weiblichen  Geschlechtes 
ist  auch  nach  Volz  viel  einfacher  als  die  des  männlichen,  wie  aus  Fig.  289 
und  Fig.  290  zu  ersehen  ist. 

Über  die  Bedeutung  der  Tätowierung  konnte  Volz  auf  den  Mentawei- 
Inseln  nichts  erfahren.  Er  macht  darauf  aufmerksam,  daß  hier  nur  die  unbe- 
kleideten Körperteile  tätowiert  sind,  und  daß  die  Tätowierung  diesen  ange- 
paßt  ist,  sie   abgrenzt  und   hervorhebt,   also   keine   den   Körper   bedeckende 


132        Kapitel  XXXVII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

Bilderschrift,  sondern  eine  anatomische  Tätowierung  sei.  Hierin  glaubt  Yolz 
die  ursprüngliche  Bedeutung  der  Tätowierung  zu  sehen.  Baumstämme,  z.  B. 
eine  Sagopalme  in  der  Brust-Bauchtätowierung  zu  sehen,  wie  es  vor  ihm 
geschehen  ist,  weist  er  ab.    Gewisse  Detailverzierungen  seien  spätere  Zugaben. 

Auf  den  Laughlan-Inseln,  Britisch-Neuguinea,  beginnt  die  Täto- 
wierung, wie  es  scheint,  nur  bei  den  Mädchen  im  Kindesalter.  Auch  hier 
findet  der  Abschluß,  wenn  es  überhaupt  so  weit  kommt,  erst  nach  Jahren  statt. 
Wo  die  Schmerzen  und  Kosten  gescheut  werden,  läßt  man  eben  das  Muster 
nicht  fertig  machen.  Professionelle  alte  Weiber  führen  die  Operation  mit 
einem  Stäbchen  aus,  das  an  einem  der  beiden  Enden  ein  gezähntes  Knochen- 
stück trägt  und  dem  polynesischen  Tätowierinstrument  gleicht,  wie  Q.  Thilenius 
bemerkt.  Früher  war  die  Tätowierung  (Kutukuat)  auf  den  Laughlan-Inseln 
der  Vorzug  der  Töchter  und  Frauen  der  Häuptlinge;  jetzt  ist  sie  durch  den 
Einfluß  der  Weißen  auch  dem  Volke  gestattet,  und  hat  ihren  früheren  religiösen 
Wert  größtenteils  verloren.  Dieser  wurde  von  den  Vornehmen  folgenderweise 
erklärt : 

Sie  müßten  nach  ihrem  Tode  ihre  Tätowierung  einer  großen  Schlange 
abtreten,  wenn  ihre  Seelen  von  den  Laughlan-Inseln  zur  westlichen  Insel  Vatum 
der  Trobriandgruppe  wandern.  Erschiene  die  Seele  einer  vornehmen  Frau 
vor  dieser  Schlange  untätowiert,  so  würde  diese  sich  strecken,  so  daß  sie 
schmal  und  eckig  würde  und  die  Seele  somit  abgleiten  müßte1).  Dann  fiele  die 
Seele  ins  Meer  und  erreichte  niemals  Vatum,  das  Totenreich.  Gibt  aber  eine 
Seele  der  Schlange  ihr  Kutukuat,  dann  besänftigt  sie  sie  damit;  die  Schlange 
streift  die  Tätowierung  über  sich,  macht  sich  flach  und  breit,  und  so  kann 
die  Seele  wie  über  eine  Brücke  nach  Vatum  gelangen.  Was  das  Muster  der 
Tätowierung  betrifft,  so  verweisen  wir  auf  die  Illustration  des  Thilenius  im 
Glob.,  Bd.  81.  S.  47. 

In  Birma  tätowiert  man  jedes  männliche  Kind.  Als  Muster  dienen 
Figuren,  welche  Tiger  und  andere  reißende  Tiere  darstellen.  Alle  Teile  des 
Körpers,  besonders  aber  die  Schenkel,  erhalten  ihren  Teil.  Die  Operation 
wird  mit  einem  Instrument  ausgeführt,  an  welchem  viele  scharfe  und  dicht 
nebeneinander  stehende  Spitzen  angebracht  sind.  Nachher  reibt  man  die 
blutende  Haut  mit  einer  Salbe  ein,  deren  Hauptbestandteil  Galläpfel  bilden. 
Dem  darauf  eintretenden  Fieber  sollen  zwei  Fünftel  der  Kinder  erliegen. 
I  );i>   Muster  trete  namentlich  am  Schenkel  schwarz  auf. 

Bei  den  Ai'nos  sind  es  dann  wieder  die  Mädchen,  welche  der  Tätowie- 
rung unterworfen  werden.  Sie  wurden  sonst  nach  dem  Glauben  ihres  Volkes 
nicht  heiraten;  auch  als  alter  religiöser  Brauch  gilt  die  Tätowierung  unter  den 
\inos.  Im  fünften  Lebensjahr,  wenn  die  Mädchen  gewöhnlich  noch  nicht  der 
Mutterbrust  entwöhnt  sind,  beginnt  man  mit  ihr  im  (Besicht,  an  Händen  und 
Armen.  Alljährlich  folgt  eine  Fortsetzung,  bis  die  Operation  mit  der  Ver- 
heiratung der  Mädchen  ihren  Abschluß  findet  (Isabella  L.  Bird). 

Aus  Furcht,  ihre  Töchter  möchten  sonst  keine  Männer  bekommen,  täto- 
wieren auch  die  Kskinio- Weiber  die  Mädchen  schon  in  der  Kindheit.  An 
Kinn,  Wangen,  Bänden  und  Füßen  ein  eigentümliches  Muster  zu  haben,  gilt 
ihnen  als  dii  te  Zierde.    Das  Muster  wird  ausgeführt,  indem  die  Mutter 

dir  Haut  mit  einem  rußgeschwärzten  Faden  durchnäht,  wodurch  sich  schwarze 
Punkte  bilden  und  die  Haut  den  Anschein  bekommt,  als  wäre  sie  mit  schwarzen 
Bartstoppeln  bedeckl  (.Fr.  Müller). 

Von  den  Indianern  Liegen  mir  einstweilen  nur  zwei  Mitteilungen  darüber 
vor,  daß  bei  ihnen  auch  Kinder  tätowiert  werden.     Die  eine,  von  Schomburgk 


l)  Diese  Schlange  ist,  wie  weiter  unten   folgt,  als  Brücke  zwischen  den  Laughlan-  und 
den  Trobriand-Inseln  gedacht. 


S  243.     Varia.  133 

stammende,  ist  schon  in  der  2.  Auflage  referiert  worden.  Wir  erfahren  durch 
sie,  daß  die  Warrau-Indianer  in  Britisch-Guayana  bereits  ihre  Neu- 
gebornen tätowieren;  die  andere  finden  wir  bei  Koch-Grünberg,  der  von  den 
Passes  im  östlichen  Bolivia  berichtet,  daß  die  Mutter  das  Ohr  ihrer  Tochter 
durchbohrt  und  die  schmerzliche  Operation  der  Tätowierung  beginnt,  wie  der 
Vater  es  für  die  Knaben  tut.  Daß  es  sich  hier  um  Söhne  und  Töchter  in 
den  Kinderjahren  handelt,  geht  daraus  hervor,  daß  diese  Mitteilung  dem  Ab- 
schnitt „Ornamentation  of  Children"  einverleibt  ist. 

Das  Bemalen  der  Kinder  wird  von  mehreren  Indianer- Völkern  belichtet. 
Wir  kommen  darauf  im  Kapitel  „Die  Toilette  des  heranwachsenden  Kindes" 
zurück.  Hier  sei  nur  erwähnt,  daß  das  von  Lery  beobachtete  Tupin-Imba- 
Kind  im  östlichen  Brasilien  gleich  nach  seiner  Geburt  rot  und  schwarz  an- 
gestrichen wurde,  und  daß  Dapper  von  einem  Zweig  dieses  Stammes,  den 
Martinas,  schrieb:  Sie  beschmieren  die  von  Geburt  aus  weiße  Haut  der  Kinder 
mit  Roukou  und  Ol.  — 

§  243.    Varia. 

Um  den  Neugebornen  „das  unreine  Blut  der  Mutter"  zu  entziehen,  läßt 
man  ihnen  in  den  Dörfern  Farsistans,  südwestliches  Persien,  am  dritten  Tage 
nach  der  Geburt  zu  Ader. 

Die  meisten  Maroniten  am  Libanon  lassen  ihre  Kinder  am  Scheitel 
ätzen,  um  sie  vor  Augenleiden  zu  bewahren.  Gegen  Entzündung  des  Mundes 
und  Gaumens,  sowie  gegen  Gelbsucht  ätzt  man  eine  kleine  Vene  unter  der 
Zunge. 

Von  den  libyschen  Nomaden  schrieb  Herodot  (IV,  177):  Die  meisten 
„brennen  ihren  Kindern,  wenn  sie  vier  Jahre  alt  sind,  die  Adern  auf  dem 
Scheitel  mit  Fett  aus  Schafwolle;  andere  brennen  auf  diese  Weise  die  Adern 
an  den  Schläfen,  damit  ihnen  der  aus  dem  Kopfe  herabfließende  Schleim  nicht 
schade.  Daher  sollen  sie  ihrer  Meinung  nach  die  gesundesten  Leute  sein.  Die 
Libyer  sind  auch  in  der  Tat  die  gesundesten  Menschen,  die  wir  kennen.  Ob 
es  von  der  gemeldeten  Ursache  herrührt,  weiß  ich  nicht;  genug,  sie  sind  es. 
Wenn  von  dem  Brennen  der  Kinder  ein  Krampf  entsteht,  so  sprengen  sie 
Bocksurin  darauf."     (Nach  Floß,  2.  Aufl.) 

Nach  Thovi.  Bärtolin  hatten  die  Äthiopier  und  die  Etrusker  einen 
ähnlichen  Brauch,  d.  h.  jene  brannten  ihren  Kindern  die  Venen  an  der  Stirne, 
und  diese  am  Hinterhaupt. 

Wenn  bei  den  Togonegern  Eltern  eines  oder  mehrere  Kinder  durch 
den  Tod  verloren  haben,  dann  glauben  sie,  es  gehe  dem,  welches  später  ge- 
boren wird,  auch  so.  Dieses  erhält  deshalb,  wenn  es  anfängt,  auf  dem  Boden 
herumzukriechen,  einen  oder  mehrere  Schnitte,  je  nachdem  ein  oder  mehrere 
Kinder  starben,  zwischen  Augenwinkel  und  Schläfen.  Man  benutzt  dazu  ein 
gewöhnliches  Messer,  läßt  die  Wunde  ausbluten  und  streicht  dann  pulverisierte 
und  mit  Öl  angerührte  Holzkohle  hinein.  Diese  gibt  der  Narbe  eine  dunklere 
Farbe,  so  daß  sie  von  der  Hautfarbe  deutlich  absticht.  Man  heißt  diese 
Narbe  blenu  (sich  abplagen?),  das  Kind  selbst  dsikudsikuvi,  d.  h.  „ein  für 
den  Tod  gebornes  Kind"  (P.  L.,  nach  Hornberger). 

Aus  dem  südöstlichen  Deutsch-Ostafrika  berichtete  Weide,  daß  man 
den  Neugebornen  mit  dem  landesüblichen  Rasiermesser  das  Bändchen  unter 
der  Zunge  löse,  damit  sie  sprechen  lernen. 

Bei  den  Basutos  in  Britisch-Südafrika  findet  ein  ähnliches  Ritzen 
des  Kindes  mit  darauffolgender  Einreibung  statt  wie  bei  den  Togonegern, 
ohne  jedoch  auf  bestimmte  Kinder  beschränkt  zu  sein.  Missionar  Grützner 
hat  diese  Zeremonie  samt  andern  damit  verbundenen  seinerzeit  eingehend  be- 


134        Kapitel  XXXVII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

schrieben.  Sie  finden  nach  dem  ersten  Lebensnionat  des  Kindes  statt  wie 
folgt:  Der  „Doktor"  kommt  mit  seinem  dithebele  (Zauberkästchen),  nimmt 
daraus  mit  jeder  Hand  je  eine  Priese  pulverisierter  Medizin  und  streut  diese 
dem  Kind  in  der  Weise  auf  den  Kopf,  daß  er  gleichzeitig  mit  der  einen  Hand 
am  Hinterkopf,  mit  der  andern  an  der  Stirne  beginnt,  so  daß  die  beiden  Hände 
sich  am  Scheitel  (wohl  Wirbel?)  treffen.  Dabei  zischt  er  wiederholt  fi,  fi 
und  betet:  Modimo  u  re  neele  noana  eo!  (Gott,  laß  uns  dieses  Kind),  u  mo 
thuse!  (hilf  ihm). 

Die  aufgestreute  Medizin  heißt  „das  zu  Tragende"  und  der  ganze  eben 
geschilderte  Akt  ,.Xo  thusa  noana"  (dem  Kind  zu  helfen).  Nach  diesen 
Zeremonien  ritzt  der  Medizinmann  das  Kind  mit  einem  Kasiermesser  an  der 
Stirne,  vorn  am  Hals,  über  den  Knieen.  zwischen  der  großen  und  zweiten  Zehe, 


Fig.  291.    Kinderimpfung  bei  den  Waliehe  in  Hadibira,  Deutsoh-Ostafrika.    P.  Häßiger  phot. 

an  beiden  Füßen,  an  den  Lenden,  im  Kreuz,  an  den  Achselgelenken,  im  Nacken, 
an  den  Schläfen  und  an  den  Haudgelenken.  Hierauf  rührt  er  in  seinem  Bocks- 
horn Fett  und  Medizin  (molemb)  ineinander  und  schmiert  das  Gemisch  dem 
Kinde,  das  ihm  zwischen  den  Füßen  steht,  mit  einem  Stückchen  Holz  in  die 
Wunden,  wobei  er  einen  eigentümlich  zirpenden  Ton  von  sich  gibt.  Dann 
entnimmt  er  seinem  Sack  ein  Stückchen  Holz,  modimo  (Gott)  oder  modisa  oa 
noana.  Unter  des  Kindes  genannt,  und  bindet  es  mit  einem  Kiemchen  an  die 
Felldecke,  in  welchem  die  Mutter  das  Kind  trägt.  Es  soll  dieses  vor  dem 
Zaubei  böser  Menschen  behüten.  Diese  Zeremonie  wird  xo  kokoteloa  noana 
genannt,  was  ...las  Geklopft  werden  des  Kindes.  confirmatio"(?)  bedeute.  Zum 
Schluß  reiht  der  Doktor  sich,  die  Mutter  und  das  Kind  mit  einem  (Temisch 
von  roter  Erde,  Fett  und  Medizin  von  oben  bis  unten  ein.  —  Eltern,  denen 
ihre  Kinder  am  Herzen  liegen,  wiederholen  diese  Zeremonien  von  Zeit  zu  Zeit, 
weil  sie  nicht  nur  vor  Krankheit  und  vielen  anderen  ("bei  bewahren,  sondern 
kranke  Kinder  auch  gesund  machen. 


§  243.     Varia. 


135 


Die  Amabomvu  und  einige  andere  Stämme  der  Zulu  in  Natal  schneiden 
ihren  Kindern  im  Alter  von  6  Jahren  das  letzte  Glied  des  (welches?)  kleinen 
Fingers  ab.  Diese  Verstümmelung  gilt  als  Stammerkmal  und  soll  mutig  und 
tatkräftig  machen  (Fr.  Mayr). 

Das  Langziehen  der  Ohren  bei  verschiedenen  Völkern  der  Negerrasse, 
im  malayischen  Archipel  und  in  Polynesien  ist  schon  früher  angedeutet  worden. 

Auf  Jap  bringen  sich  die  Knaben  selbst  Ziernarben  am  Oberarm  bei 
zum  Zeichen,  daß  sie  Mut  haben.  Das  geschieht  mit  einem  glühenden  Stäbchen, 
meist  dem  Stiele  der  Kokosnuß  (Senff't). 

Fingeramputation  kommt  nicht 
nur  im  südlichen  Afrika,  sondern  auch 
im  östlichen  und  nordwestlichen 
Australien  vor.  Hier  wird  sie  aber 
auf  das  weibliche  Geschlecht  be- 
schränkt, findet  bald  nach  der  Geburt 
statt  und  wird  anders  motiviert.  Im 
Osten  heißt  es  (nach  Turnbull,  Lang, 
Angas,  Hunter  u.  a.),  die  Mädchen, 
deren  amputierter  Finger  ins  Meer 
geworfen  wird,  würden  dadurch  glück- 
lich im  Fischfang  werden.  Während 
diese  Motivierung  geheimnisvoll  lautet, 
hört  sich  die  vom  Nordwesten  prak- 
tisch an.  Hier  heißt  es  nämlich,  die 
Mädchen  können  dann  die  Angelschnur 
besser  um  die  Hand  winden  (Stolces, 
Collins).  Wahrscheinlich  ist  aber  weder 
die  eine  noch  die  andere  Motivierung 
die  ursprüngliche.  Die  Operation  be- 
steht darin,  daß  man  zwei  Glieder  des 
kleinen  Fingers  der  linken  Hand  ab- 
schneidet (De  Riem'i),  oder  das  erste 
Glied  desselben  Fingers  zuerst  unter- 
bindet und  dann  ablöst  (Collins)'). 

DasKauterisieren  der  alten  Etrus- 
ker,  Libyer  und  Äthiopier  hat  seine 
Parallele  bei  den  heutigen  Badagar, 
Todas  und  anderen  Dravida- Völkern 
im  vorderindischen  Nilgirigebirge. 
Jagor  fand  hier  Kinder  mit  krätzartigen 
Hautausschlägen  und  eiternden  Ge- 
schwüren, welche  von  den  Brandwunden 
herrührten,  die  ihnen  die  Eltern  bei- 
gebracht hatten,  um  sie  von  Krankheiten  zu  befreien.  Ein  kleiner  Knabe 
hatte  eine  solche  Wunde  au  der  Stirne,  zwei  über  den  Brustwarzen,  zwei 
über  dem  Nabel,  zwei  rechts  und  links  daneben  und  eine  am  Unter- 
leib. Zum  Brennen  dient  die  glimmende  Wurzel  der  Wasserpflanze  Vasambu 
(Acorus  calamus). 

Die  Katschinzen,  ein  turk-tartarisches  Volk  im  sibirisch-russischen 
Gouvernement  Jenisseisk,   brennen    ihren   einjährigen    Kindern    „die   Flocken 


Fig.  292.  Ein  „Doktor*  bei  den  Ivaffern.  ImMuseum 
für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


')  Das  Abschneiden  von  Fingergliedern  oder  ganzen  Fingern  gehört  bei  verschiedenen 
Völkern  verschiedenen  Symbolkreisen  an.  Bei  Trauer,  gewöhnlichen  Hochzeiten,  Witwen- 
Jieiraten  usw.  ist  diese  Handlung  nachweisbar. 


136        Kapitel  XXXVII.     Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes. 

(jedna)  aus",  d.  h.  sie  wollen  ihm  durch  Cauterisieren  vom  Speicheln  helfen 
(Duhmberg,  Arzt  in  Barnaul) J). 

Ob  die  bei  den  Eskimos  westlich  vom  Mackenzie  gebräuchliche  Durch- 
löcherung der  Wangen  bereits  in  der  Kindheit  stattfindet,  muß  hier  unent- 
schieden bleiben.  Die  Öffnungen  werden  allmählich  vergrößert  und  dann  ein 
Stein  in  der  Form  eines  Manschettenknopfes  eingeführt  (Lubbock). 

In  Nordamerika  hielten  die  Carrier,  ein  Zweig  der  Dene(Tinneh)- 
Indianer,  große  Augen  für  schön;  deshalb  bearbeiteten  die  Mütter  die  Augen- 
höhlen der  kleinen  Kinder  häufig.  Auf  welche  Weise  scheint  A.  G.  Monte, 
der  dieses  im  „Anthropos"  schreibt,  nicht  zu  wissen. 

Im  alten  Mexiko  schnitt  man  nach  Dappcr  den  Säuglingen  je  ein 
Stückchen  von  den  Ohren  und  dem  männlichen  Glied  und  opferte  es  dem 
Vitzliputzli  (Hnitzilipochtli).  Innerhalb  des  ersten  Lebensjahres  schröpfte 
man  die  Kinder  am  Feste  dieses  Gottes  auf  der  Brust  und  auf  dem  Magen 
oder  an  den  Armen,  um  sie  dadurch  als  Nachfolger  dieses  Gottes  zu  be- 
zeichnen. Bancroft,  der  dieses  referiert,  erinnert  auch  daran,  daß  der  Azteken- 
könig Moteuczomatzin  (Montezuma  II)  Zwerge  und  Bucklige  in  seinem  Palast 
gehabt  habe,  die  in  ihrer  Kindheit  mit  viel  Geschick  bucklig  gemacht,  ver- 
renkt und  gebrochen  worden  waren2).  — 


J)  Wie  Ploß  (2.  Aufl.  I,  340)  bemerkt,  hat  Barnaul  diesen  Brauch  Strümpell  brief- 
lich mitgeteilt. 

2)  Bancroft  war  allerdings  geneigt,  das  spanische  „quebrar"  mit  „castrar'-  zu  übersetzen, 
weil  der  spanische  Geschichtschreiber  Motolinia  hinzugefügt  habe,  daß  die  Könige  sich 
dieser  Knaben  und  Männer  auf  die  gleiche  Weise  bedienten,  wie  der  „Große  Türke"  sich 
seiner. Eunuchen  bediene. 


Kapitel  XXXVIII. 

Sexuelle  Operationen. 

I.  Teil. 
§  244.    Überblick. 

Wichtiger  als  alle  bisher  geschilderten,  oder  kurz  erwähnten  Operationen 
am  Kindeskörper,  erscheint  im  Völkerleben  die  Beschneidung  der  Kinder.  Be- 
sonders ist  es  die  Knabenbeschneidung  in  ihren  drei  Hauptformen: 
Zirkumzision,  Inzision  und  Subinzision,  wovon  die  ersteren  zwei  eine 
erstaunliche  Verbreitung  gefunden  haben.  Richard  Andree  schätzte  schon  im 
Jahre  1889  die  Zahl  derer,  welche  die  eine  oder  andere  üben,  auf  200  Millionen, 
d.  h.  auf  den  siebenten  Teil  der  gesamten  Bevölkerung  der  Erde.  Seitdem 
ist  dieser  Brauch  auch  bei  damals  noch  wenig  erforschten  Völkern  nachge- 
wiesen worden,  so  daß  die  200  Millionen   wohl  bedeutend  überschritten  sind. 

Ein  sehr  seltener  Brauch  scheint  die  künstliche  Verlängerung  des 
Gliedes  an  Knaben  zu  sein.  Außer  den  schon  von  Floß  aufgeführten 
Völkern  ist  mir  keines  bekannt,  welches  diesen  Brauch  übt.  Häufiger  findet 
sich  der  analoge  Brauch  bei  Mädchen. 

Wenig  Material  liegt  mir  einstweilen  auch  über  die  Infibulation  bei 
Knaben  vor.  —  Daß  die  etruskische  Art  der  Unterbindung  des  Präputiums 
mit  einem  Bändchen  auch  in  Griechenland  (neben  dem  Ring)  gebräuchlich 
war,  ist  ethnisch  interessant. 

Etwas  umfangreicher  ist  das  in  diesem  Kapitel  verwertete  Material  über 
Kastration.  Ihm  zufolge  ist  sie  nachgewiesen  im  Orient,  im  alten  und  neuen 
Rom,  im  jüdischen  und  christlichen  Abessinien,  ferner  bei  einem  äthiopischen 
Zweig  der  Härmten,  bei  Hottentotten,  Mikronesiern  und  Polynesien].  —  Be- 
gründet wird  diese  Operation  direkt  oder  indirekt  mit  Rache,  Strafe,  Hab- 
gier1) und  Religion;  ferner  mit  dem  Glauben,  dadurch  der  Zeugung  von  allzu 
vielen  Zwillingen  zuvorzukommen,  gewisse  Krankheiten  zu  verhindern,  Schön- 
heit und  Lust  zu  steigern  usw. 

Der  Überblick  über  diese  drei  Operationen  ist  leicht.  Ganz  anders 
verhält  es  sich  mit  der  Beschneidung,  welche  ich  wegen  der  Fülle  des 
Materials  nach  Völkergruppen,  und  diese  selbst  in  2  Abschnitte  einteilen  zu 
müssen  glaubte,  und  welche  zudem  einer  eingehenden  Einleitung  bedarf, 
wenn  sich  der  Leser  in  dem  Chaos  der  Vorstellungen  einigermaßen  zurecht 
finden  soll,  die  den  Beschneidungszeremonien  zugrunde  liegen. 

Die  Knabenbeschneidung  findet  sich  bei  Juden,  Muselmanen,  Heiden 
und  Christen.  Als  Ganzes  genommen  tritt  bei  ihr  die  Religion  im  weitesten 
Sinn,  also  auch  im  Sinne  des  Geschlechtskultes,  ferner  dieser  letztere  an 
und   für   sich,    sowie   der   Stammes-,   Volks-    oder  Nationalgeist    am   meisten 


1)  Die  Verwendung  Kastrierter  im  Harem  kann  wohl  nicht  als  Grund  der  Kastration 
angesehen   werden,   wohl   aber  die  Habgier   dessen,   der  Kastrierte   zu  diesem  Zwecke  liefert. 


138  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

in  den  Vordergrund.  Welcher  von  diesen  drei  Charakteren ')  der  primäre  ist, 
kann  trotz  mehrfacher  aufgestellter  Hypothesen  wissenschaftlich  nicht  überall 
entschieden  werden,  weshalb  es  methodisch  zulässig  ist,  wenn  ich  zunächst 
das  religiöse  Moment  im  engeren  Sinne  heranziehe. 

Die  Juden  sehen  bekanntlich  in  der  Beschneidung  ein  Zeichen  ihres 
Bundes  mit  Jahve;  von  den  Samaritern  wissen  wir.  daß  sie  mit  der  Operation 
Gebete  verbinden.  Das  gleiche  tun  die  Araber  in  Arabia  Petraea,  welche 
zudem  mit  der  Operation  Opfer  verbinden,  Lobgesänge  auf  Gott  anstimmen, 
eheliche  Enthaltungen  beobachten  u.  a.  m.  Als  „sehr  verdienstlicher  Akt", 
doch  nicht  vom  Koran  geboten,  immerhin  mit  Abbetung  des  moslemischen 
Glaubensbekenntnisses  und  anderer  Gebete,  bzw.  Gesänge  auf  Allah  und  den 
Propheten  verbunden,  begegnet  uns  die  Beschneidnng  bei  den  Arabern  in 
Yemen'-)  und  in  Afrika,  wo  sie  außerdem  in  der  Moschee,  oder  doch  nach 
einer  Vorfeier  in  der  Moschee,  oder  nach  einem  feierlichen  Aufzug  dahin,  oder 
von  dort  zurück  stattfindet.  Ferner  ist  bei  einem  Teil  der  Araber  der  Begriff  der 
sittlichen  Reinigung  und  der  Befähigung  zur  Ausübung  der  Religion  durch 
die  Beschneidung  nachgewiesen.  Schou  die  Zurückbeziehung  des  Brauches 
auf  Ismaelj  den  Sohn  Abrahams  aus  der  Hagär,  also  indirekt  auf  Abraham, 
verleiht  der  arabischen  Beschneidnng  in  ihrer  von  den  Arabern  anerkannten 
Wurzel  eine  religiöse  Seite. 

Die  christlichen  Abessinier  und  Kaffitscho,  sowie  die  Priester  und 
übrigen  gebildeten  Stände  der  christlichen  Kopten  erkennen  der  Beschneidnng 
einen  religiösen  Charakter  nicht  zu.  wohl  aber  tut  das  die  bäurische 
Bevölkerung  unter  den  Kopten.  Ein  Licht  auf  den  Ursprung  der  Beschneidung 
überhaupt  wirft  ihre  Erklärung  nicht,  da  sie  auf  die  Beschneidung  Christi  nur 
als  Vorbild  hinweist.  Zu  den  verschiedenen  Bedeutungen  der  Beschneidung 
im  alten  Ägypten  wird  von  einer  Seite  aus  auch  eine  religiöse  gerechnet;  sie 
habe  als  Weihe  und  Merkmal  der  Priester  und  Krieger  gegolten;  in  Deutsch- 
Togo  stattet  man  beim  Regraben  des  Präputiums  der  Gottheit  Dank  ab;  die 
Ga  üben  Beschneidung,  weil  das  Gesetz  des  Fetisches  es  verlangt,  also  aus 
einem  religiösen  .Motiv.  -  Als  religiöse  Handlung  wird  sie  von  den  Akkra 
und  Sierra  Leone-Negern  bezeichnet.  --  Eine  Fülle  religiöser  Zeremonien,  die 
mit  der  Säuberung  des  Landes  von  Verbrechern  eingeleitet  und  mit  der  Be- 
gnadigung der  Verbrecher  (Amnestie)  abschließt,  weisen  die  im  vorliegenden 
Kapitel  beschriebenen  Beschneidungsfeierlichkeiten  bei  den  Negern  und  Malayen 
auf  Madagaskar  nach.  (Über  ihren  Baum-,  Feuer-  und  Wasserkult  später.) 
Als  religiöse  Handlung  ist  die  Beschneidung  ferner  auf  den  Viti-,  Tahiti-  und 
Tongainseln  (Melanesiern  und  Polynesien^  nachgewiesen,  und  zwar  als  Opfer 
auf  Viti  Levu.  In  Australien  kennzeichnet  schon  teilweise  das  vom  Himmel 
heruntergeworfene  Beschneidungsmesser  die  Operation  als  religiösen  Brauch. 
Viel  stärker  aber  und  allgemeiner  tritt  der  australische  Religionsgedanke  in 
deren  später  zu  besprechenden  Riten  hervor.  -  Laß  die  moslemischen  Turk- 
stämme  mit  ihrer  Beschneidung  Gebete,  Opfer  und  andere  religiöse,  bzw. 
charitative  Handlungen  verbinden,  versteht  sich  nach  dem  über  ihre  Glaubens- 
genossen in  Arabien  und  Afrika  (iesagten  fast  von  selbst.  -  Die  religiöse 
Bedeutung  des  Schnittes  in  die  Vorhaut  bei  den  Neugebornen  im  alten  Mexiko 
ist  schon  dadurch  angedeutet,  daß  der  Operateur  ein  Priester,  die  Stätte  aber, 
wo  es  geschah,  ein    Tempel  war. 

Außer  diesen  bekannteren  Formen  religiöser  Kulte  verbinden 
verschiedene  Völker  mit  der  Beschneidang  mehr  oder  weniger  kompli- 
zierte Formen   des    Baum-,   Pfahl-,  Feuer-,   Wasser-   und  Schlangen- 

'i  Nämlich:  der  religiöse,  sexuelle  und  soziale,  welche  jedoch  auf  gewissen  Kultur- 
stufen vielfach  ineinanderfließen. 

2)   Die  Ausnahmen   weiter  unten. 


§  244.     Überblick.  139 

bzw.  Geschlechtskultes,  sei  es,  daß  sich  je  einer,  oder  mehrere  dieser 
Kultformen  bei  je  einem  Volke  vorfinden.  Daß  es  sich  bei  diesen  Kulten 
wenigstens  zum  Teil  um  religiöse  Auffassungen  handelt,  geht  teils  aus  den 
in  diesem  Kapitel  referierten  Zeremonien  selbst,  teils  aus  einer  Reihe  von 
Mitteilungen  in  früheren  Kapiteln  hervor;  man  vergleiche  z.  B.  Kapitel  XXX. 

Derartige  Kulte  im  Beschneidungsritus  sind  im  vorliegenden  Kapitel 
nachgewiesen  hauptsächlich  bei  den  Kikuyu,  Massai,  Yao  und  Makua  in  Ost- 
afiika;  ferner  bei  den  Howa  auf  Madagaskar,  bei  den  Eiugebornen  (Papua?) 
auf  Karesau  und  bei  australischen  Stämmen. 

Der  Apotheosierung  der  Fruchtbarkeit,  welche  jenen  Kulten  zu- 
grunde zu  liegen  scheint,  entsprechen  die  mit  der  Beschneidungsfeier 
vielfach  verbundenen  geschlechtlichen  Ausschweifungen,  bzw.  die 
offizielle  Einführung  der  Frischbeschnittenen  in  das  Geschlechts- 
leben durch  Wort  und  Tat.  —  Der  Besuch  des  heiligen  Baumes  bei  den 
Kikuyu,  die  Errichtung  eines  mit  Opferblut  umringelten  Beschneidungsbaumes 
bei  den  Makua  und  den  Karesau-Insulanern,  die  wichtige  Rolle  des  Bananen- 
stammes  in  der  heiligen  Ecke  des  Hauses  bei  den  Howa  auf  Madagaskar, 
die  Umarmung  des  heiligen,  auf  grünen  Zweigen  liegenden  Pfahles  durch  den 
Beschneidungskandidaten  während  der  Operation  bei  den  Uumatjera  in  Australien, 
die  mit  der  Subinzision  verbundenen  wochenlangen  Schlangenfeste  der  Warra- 
munga  usw.  usw.  sind  Erscheinungen,  welche  an  der  Bedeutung  der  Be- 
schneidung (in  verschiedenen  Formen)  als  einen  Akt  des  Geschlechts- 
bzw. Fruchtbarkeitskultes   bei   diesen  Völkern   kaum  zweifeln  lassen. 

Von  andern  Völkern  wieder  liegen  uns  zwar  weniger  eingehende 
Schilderungen  derartiger  Bräuche  vor,  aber  die  vorhandenen  genügen,  um  zu 
beweisen,  daß  die  Beschneidung  bei  ihnen  so  gut  wie  bei  den  obigen  höchst- 
wahrscheinlich eine  offizielle  Einführung  in  das  Geschlechtsleben  be- 
deutet, obgleich  geschlechtlicher  Verkehr  bei  einzelnen  Stämmen,  z.  B.  bei 
den  obigen  Massai  und  bei  den  Australiern  an  der  Roebuck-Bay  schon  vor- 
her, gewissermaßen  privatim,  stattfindet.  Sexueller  Verkehr  ohne  Heirats- 
absichten bilden  eineu  Hauptbestandteil  der  mit  der  Beschneidung  der  Bakulia 
verbundenen  Erscheinungen;  zügellose  Ausschweifungen  der  beschnittenen 
Burschen  mit  gereiften  Mädchen  ist  im  Kafferstamm  der  Kosa  gebräuchlich, 
wie  denn  von  den  Kaffern  überhaupt  berichtet  wird,  daß  obszöne  Handlungen 
zur  Schlußfeier  ihrer  Beschneidung  gehören.  Ein  monströser  Phallus  ist  das 
Attribut  des  Fetisches,  unter  dessen  Anrufung,  und  vor  welchem  die  Be- 
schneidung der  Vuila-Xeger  stattfindet.  Bei  den  Mandingo  berechtigt  dann 
wieder  die  Beschneidung  zum  geschlechtlichen  Verkehr;  im  südlichen  Sumatra, 
Lampong-Distrikte,  bringt  die  Wiederholung  der  Beschneidung,  selbst  im  vor- 
gerückten Alter,  die  Zeugungskraft  zurück;  im  nördlichen  Nias  befähigt 
sie  zum  Koitus;  an  der  Roebuck-Bay  berechtigt  erst  sie  zur  Heirat,  also 
zum  legitimen  Geschlechtsverkehr,  wenngleich  der  Kandidat  vorher  schon 
Kinder  gezeugt  hat;  bei  den  nördlichen  Stämmen  von  Zentralaustralien  darf 
kein  Mann  heiraten,  ehe  er  zirkumzidiert  und  subinzidiert  ist.  Die  Dieri 
und  andere  Stämme  am  Eyre-See  verteilen  bei  jeder  Beschneidung  aufs  neue 
die  in  Gruppenehen  (Pirauru)  lebenden  Männer  und  Weiber.  —  Einführung 
der  Beschneidungskandidaten  in  das  Geschlechtsleben  ist  auch  bei  den  Yao 
und  Makua  erwiesen,  deren  Baum-  bzw.  Feuerkult  weiter  oben  erwähnt  worden 
ist.  Ferner  verheiraten  die  moslemischen  Suaheli  und  ein  Teil  der  Araber 
ihre  Söhne  bald  nacli  der  Beschneidung,  was  kaum  ohne  Zusammenhang  mit 
der  obigen  Bedeutung  der  Operation  ist. 

Die  Weigerung  der  Weiber,  Unbeschnittene  zu  heiraten,  oder 
überhaupt  mit  ihnen  zu  verkehren,  finden  wir  im  vorliegenden  Kapitel  bei 
den  Negerinnen  in  San  Salvador,  portugiesischer  Kongo,  bei   den  Bafiote  an 


140  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

der  Loangoküste  und  bei  den  nördlichen  Stämmen  von  Zentralaustralien,  wohl 
abermals  ein  Hinweis  auf  die  hohe  Bedeutung,  welche  diese  Völker  der  Be- 
schneidung in  bezug  auf  das  Eheleben  beilegen.  Nicht  weniger  wichtig  ist 
es,  daß  nur  jene  Karesau-Insulaner  das  Geisterhaus  betreten  dürfen,  von  denen 
die  Weiber  wissen,  daß  sie  sich  den  traditionellen  Operationen  unterworfen 
haben.  Gerade  hier  aber  bildet,  wie  erwähnt,  der  Baum-,  also  der  Fruchtbarkeits- 
kult, einen  wichtigen  Bestandteil  der  Bescbneidungs-  und  Mannbarkeitsfeier. 

Ein  Hinweis  auf  die  Richtigkeit  meiner  auf  S.  139  ausgesprochenen  Ver- 
mutung ist  ferner  der  Brauch  der  Mandingo,  das  abgeschnittene  Präputium 
lebenslänglich  als  kräftiges  Zeugungsmittel  bei  sich  zu  tragen.  Auch  die 
Zähigkeit,  mit  welcher  das  australische  Weib  an  der  Roebuck-Bay  an  dem 
Kängnruhäutchen  hängt,  mit  welchem  ihr  Mann  ehedem  nach  seiner  Be- 
schneidung das  Glied  verband,  spricht  eine  deutliche  Sprache,  wenn  auch 
nicht  in  dem  Sinn,  daß  die  Beschneidung  bei  all  diesen  Völkern 
und  ausschließlich  in  dem  Trieb  zur  Fortpflanzung  gründe.  Da  und 
dort  hat  man  auch  niederere  Motive,  wenigstens  in  der  Art  und  Weise  der 
Operation  entdeckt,  d.  h.  einzelne  Völker  erwarten  davon  Erhöhung  der 
Lust  bei  der  Kopula,  wie  aus  diesem  Kapitel-  hervorgeht,  und  auch  die  mit 
der  Beschneidung  verbundenen  Orgien  bei  gewissen  Völkern  gehören  hierher, 
wenn  sie  nicht  eine  jener  Formen  des  Bundesgedankens  zum  Ausdruck  bringen 
sollen,  auf  welche  ich  bald  zu  sprechen  komme. 

Auf  die  Bedeutung  der  Beschneidung  wirft  vielleicht  auch  der  Ort,  an 
welchem  sie  stattfindet,  der  Stand  des  Operateurs  und  die  Verwendung  des 
Präputiums  einiges  Licht.  Als  Beschneidungsstätte  lernen  wir  in  dem 
vorliegenden  Kapitel  kennen:  Synagogen,  Moscheen,  heilig  erklärte  Orte,  eigens 
erbaute  Beschneidungshütten,  die  zum  Teil  den  Magen  des  Geistes  darstellen, 
aus  welchem  die  Wiedergeburt  stattfindet;  ferner  ein  Zelt,  das  durch  die 
Hörner  und  ein  Stück  Schädeldecke  vom  Opfertier  geheiligt  worden  ist;  den 
Platz  vor  einem  Fetisch,  entlegene  Orte  im  Busch  und  am  Meeresstrand. 

Was  den  Stand  des  Besch neide rs  betrifft,  so  begegnen  uns  sach- 
kundige Laien  (bei  den  Juden  „Mohel"  genannt),  ferner  Chirurgen,  Barbiere, 
Oberpriester,  gewöhnliche  Priester  und  Männer  mit  teilweise  priesterlichem 
Ansehen  (hierher  gehören  auch  Schmiede  und  Zauberer);  ferner  die  Väter  der 
Kandidaten  (im  alten  Testament  auch  Mütter1),  und  endlich  die  Beschneidungs- 
kandidaten  selbst,  sei  es,  daß  sie  sich  gegenseitig  operieren,  oder  daß  jeder 
sich  selbst  beschneidet. 

Die  Verwendung  des  Präputiums  ist  sehr  mannigfach:  Man  ladet  es 
in  eine  Flinte  und  schießt  es  den  Hörnern  des  Opfertieres  zu  oder  in  die 
Luft;  man  steckt  es  auf  eine  Lanzenspitze  und  wirft  es  über  das  Hausdach 
des  Vaters;  man  läßt  es  als  heilig  vom  Onkel  mütterlicherseits  verschlucken, 
oder  der  Vater  des  Knaben  muß  es  essen,  oder  dieser  selbst  hat  es  in  Brannt- 
wein zu  nehmen;  ein  Kalb  muß  es  verschlucken;  es  wird  verbrannt,  ins  Wasser 
gewmfen.  in  einen  Ameisenhaufen  oder  in  die  Erde  verscharrt,  in  ein  Wasser- 
loch gegraben,  damit  die  Lilien  wachsen,  dem  zukünftigen  Schwiegervater  ge- 
geben, in  hohle  Bäume  als  Verwandte  der  Stammgeister  gelegt,  als  zeugungs- 
kräftiger Talisman  konserviert  usw.  —  Sowohl  diese  Zusammenstellung,  als  auch 
die  Zeremonien  und  Verhältnisse,  welche  mit  der  Verwendline-  ,i,.s  Präputiums 
zusammenhängen,  mint  für  einige  derselben  zu  dem  Resultate,  daß  die  Be- 
schneidung  eine  sexuelle,  oder  soziale,  oder  religiöse  Bedeutung  hat,  oder  dr.ß, 
wie  im  Völkerleben  so  häufig,  alle  diese  Momente  innig  ineinander  ver- 
schmolzen sind. 


l)   Die  Weiber   als  Beschueiderinncn    der  Mädchen   siehe   im    3.  Hauptabschnitt    dieses 
Kapitels. 


§  244.     Überblick.  141 

Einiges  Licht  auf  Bedeutung  und  Zweck  der  Beschneidang  wirft  ferner 
das  Alter  der  Kandidaten,  obgleich  sich  diese  Hoffnung  auf  den  ersten  Blick 
nicht  zu  erfüllen  scheint,  da  von  verhältnismäßig  vielen  Völkern  Altersangaben 
nicht  vorliegen,  und  das  von  andern  Völkern  tatsächlich  vorliegende  Material 
oft  bei   ein  und  demselben  Volk  große  Schwankungen  aufweist. 

Am  8.  Tage  nach  der  Geburt  beschneiden  die  Juden  und  Samaritaner, 
sowie  die  südamerikanischen  Otomaco-Indianer;  regelmäßig  schon  innerhalb 
der  ersten  8  Tage  die  brasilianischen  Neger;  vom  8.  Tage  aufwärts  die  Howa 
auf  Madagaskar;  die  Araber  schwanken  zwischen  7  Tagen  und  14  Jahren; 
ähnliche  Altersunterschiede  linden  sich  bei  den  übrigen  Muselmanen.  Die 
polytheistischen  Völker  weisen  noch  größere  Differenzen  auf.  Ihre  unterste 
Grenze,  zwei  Wochen,  finden  wir  bei  den  Ngombe  Lutete  im  belgischen  Kongo, 
wo  die  Operation  aber  auch  bis  auf  20  Jahre  hinausgeschoben  werden  kann. 
Noch  ältere  Beschneidungskandidaten.  d.  h.  25jährige,  sind  die  Sühne  der 
Sulu-Kaffer.  und  in  Australien  fiuden  wir  gar  periodische  AViederholungen  der 
Subinzi^ion  an  ein  und  demselben  Individuum  durch  dessen  Mannesleben  hindurch. 
"Wiederholungen  der  Perforation  auf  Karesau  bilden  ein  Seitenstück  dazu. 
Zwischen  8  Wochen  und  20  Jahren  schwankt  das  Alter  der  christlichen  Be- 
schneidungskandidaten in  Afrika1). 

Trotz  alledem  herrscht  aber  unter  den  Völkern,  als  Gesamtheit  be- 
trachtet, und  wenn  man  ihr  als  Regel  beobachtetes  Beschneidungsalter  im 
Auge  behält,  das  Pubertätsalter  vor,  und  zwar  nicht  nur  bei  den  Poly- 
theisten,  sondern  auch  bei  den  Muselmanen,  was  abermals  für  die  vorzugsweise 
sexuelle  Bedeutung  der  Beschneidung  im  Islam  und  im  Polytheismus  spricht. 

Die  Auffassung  des  Beschneidens  als  „sühnender",  ,.reinigender" 
Akt,  welche  wir  bei  einigen  Völkern  rinden,  braucht  mit  dem  Geschlechtskult 
nicht  notwendig  im  Widerspruch  zu  stehen.  Vielleicht  weist  sie  nur  auf  eine 
Vorstellung  von  der  Sünde  hin.  welche  von  der  unseligen  abweicht.  Die  Sünde, 
welche  die  Kikuyu  durch  die  Be^chneidung  sühnen,  ist  nicht  mit  dem  identisch, 
was  wir  Sünde  nennen,  sondern  mit  jeglichem  Übel.  Allerdings  ist  es 
nicht  ausgeschlossen,  daß  sich  hier,  wie  bei  den  folgenden  Völkern,  mono- 
theistische und  polytheistische  Ethik  miteinander  verquickten,  zumal  die 
„unreinen-1  Tiere  der  Kikuyu  fast  sämtlich  mit  denen  der  Juden  identisch 
sind2).  Reinigend,  sühnend  scheint  die  Beschneiduug  auch  in  Arabia  Petraea 
wirken  zu  solleu,  denn  „rein-'  müssen  alle  Anwesenden  sein,  und  die  Sünden 
des  Kandidaten  werden,  wie  erwähnt,  auf  den  Beschneidet-  gewälzt.  „Reinigend" 
soll  nach  einem  älteren  Bericht  die  Beschneiduug  ferner  wirken  bei  den  Massai. 
die  nach  neuester  Forschung  freien  geschlechtlichen  Verkehr  schon  vor  der 
Beschneidung  gestatten.  —  Reinigung  durch  die  Beschneidung  soll  an  der 
ostafrikanischen  Küste  überhaupt,  sowohl  von  Heiden  als  von  Muselmanen, 
angenommen  weiden.  Bei  den  Kaffern  findet  sich  der  gleiche  scheinbare 
Widerspruch  wie  bei  den  Kikuyu.  d.  h.  geschlechtliche  Ausschweifungen 
schließen  diesen  Akt  der  „Reinigung"  ab.  Man  erinnert  sich  hierbei  un- 
willkürlich an  die  Auffassung  der  Todas  im  südlichen  Vorderindien,  daß  jeder 
verachtungswürdig  ist,  der  zeugen  kann  und  es  nicht  tut.  Dem  Heidentum 
scheint  überhaupt  Nicht-Zeugen  Sünde  zu  sein. 

Andererseits  ist  zu  beachten,  daß  die  alttestamentliche  Beschneiduug  von 
einzelnen  christlichen  Theologen  als  ein  Ersatz  der  christlichen  Taufe,  somit 
auch  als  ein  von  Sünden  reinigender  Akt  aufgefaßt  worden  ist.     Im  4.  Jahr- 


i)  Nach  C.  M.  Pleyte  (Glob.  61,  2781.)  üben  auch  die  Christen  auf  der  Insel  Rote 
(Rotti)  im  malayischen  Archipel   Beschneidung. 

2)  Die  gleiche  Möglichkeit  liegt  von  den  südafrikanischen  Balemba  vor,  die  Beschneiduug 
üben  und  das  Verbot,  das  Fleisch  ungeschächtet er  Tiere  zu  essen,  beobachten. 


iig  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

hundert  hat  Zeno  von  Verona  die  Beschneidung  mit  dem  ersten  Sündenfall 
in  Verbindung  gebracht,  also  in  einer  Zeit,  als  im  nördlichen  und  nordöstlichen 
Afrika,  sowie  in  Arabien  christliche  und  jüdische  Auffassungen  durchaus  nicht 
unbekannt  waren.  Eine  Verquickung  jüdisch-christlicher  Auffassungen  mit 
heidnischen  ist  dort  also  keineswegs  ausgeschlossen,  wenn  es  auch  ebenso 
möglich  ist,  daß  die  Beschneidung  in  Afrika  und  in  jedem  der  übrigen  Welt- 
teile selbständig,  sei  es  aus  sexuellen,  hygienischen,  oder  aus  anderen  Absichten 
eingeführt  worden  ist.  Ebensowenig  erscheint  es  wissenschaftlich  als  aus- 
geschlossen, daß  sie  bei  den  Hebräern,  denen  eine  Vorzugsstellung  in  der 
Auffassung  Gottes  nicht  abzusprechen  ist,  aus  eiuer  ursprünglich  geschlecht- 
liclien')  oder  hygienischen2)  Bedeutung  in  eine  höhere  Sphäre  erhoben 
worden  wäre3). 

Sehr  beachtenswert  ist  die  Auffassung  der  Beschneidung  als  Wieder- 
geburt aus  dem  Magen,  Bauch  eines  Geistes  bei  den  Papuas  in  Kaiser- 
Wilhelmsland,  auf  Deutsch-Karesau  und  in  Australien.  Die  bei  den  beiden 
ersteren  als  Magen  (Bauch)  des  Geistes  gedachte  Isolierhütte  der  Kandidaten 
gibt  uns  vielleicht  den  Schlüssel  zum  Verständnis  auch  jener  Isolierhütten, 
in  welchen  die  Beschneidungskandidaten,  bzw.  Frischbeschnittenen  in  Afrika,  z.B. 
bei  «hu  Dilotiseheu  Kawirondo,  den  Masaai,  Vao.  Makua,  Sulu,  Amakosa,  Balemba4) 
und  bei  verschiedenen  Kongovölkern,  ferner  bei  den  Soninke  im  nordwestlichen 
Sudan  wochen-  oder  monatelang  verweilen  müssen.  Ähnlich  dürfte  es  sich 
mit  der  Isolierung  der  melanesischen  Burschen  auf  Neupommern  und  Tanna 
in  hohen  Umfriedungen  verhalten;  denn  daß  die  Hütte  zur  Wiedergeburt  oder 
doch  Umgestaltung  nicht  überall  nötig  ist,  scheint  daraus  hervorzugehen,  daß 
bei  den  nördlichen  Stämmen  von  Zentralaustralien  die  Beschneidungskandidaten 
vom  Geist  teils,  wie  bei  den  obigen  Papua,  aufgegessen,  teils  nur  ent- 
fuhrt,  in  beiden   Fällen  jedoch  umgewandelt,  zurückgegeben  werden5). 

'i  Es  sei  hier  auf  des  Hkrotiymns  Comraentar  in  Philemon  5  hingewiesen:  ,.Abraham 
de  terra  su ;i  et  engnatiutie  jussus  exire.  ei  i  cumcisiouem.  quam  in  Signum  f  uturae  prolis 
acceperal   pusteris  dereliquit.-' 

Letzteres  nimmt  z.   B.   der  Breslauer  Kxeget  Johanne*  Nücel  an.    (Vgl.  dessen  „alte 
und  neue  Angriffe  auf  das  alte  Testament".     Münster  i.   W.   19Ü8,  S.   19.) 

»)  Über  Analoga  zur  Besebueiduug  der  Juden  als  Bundeszeichen  bei  verschiedenen 
Völkern  später. 

-   Schächtgebot   S.    111.   A um.   2. 

6)  üben  Fällt  nur  ein  Exemplar  von  Frozen  „The  Golden  Bough"  der  3.  Auflage  (1911) 
in  die  Eände,  in  welchem  der  Verfasser  die  Hoffnung  ausspricht,  den  lang  verlornen  Schlösse] 
zur   B  Beschneidung  gefunden    zu  haben,  d.  h.    Freuer  vermutet,   daß  Wieder- 

gebuii    die    in   pri  und    allgemein  gültige  Bedeutung   der  Beschneidung  sei.     Er 

kam  zu  dieser  Ansicht,  weil  die  auch  in  diesem  Kapitel  wiederholt  erwähnten  ostafrikanischen 
Kikuyu  ehemals  ihre  Beschneidung  mit  den  Zeremonien  einer  scheinbaren  Wiedergeburt 
verbanden  hatten,  welche  jetzt  getrennt  voneinander  gefeiert  werden,  und  weil,  wie  auch 
in  diesem   Kap  Zentralaustralien   die   abgeschnittenen   Vorhäute   in  die 

gleichen    I  leisen  und  anderen   Totemzentren    gelegt   werden,   in   denen    die 

Menschenseelen  während  der  Zeit  zwischen  ihrem  Ausfabren  aus  einem  Sterbenden  und  ihrer 
Wiedergeburt    in    einem    Kind    verweilen. 

ein  Ausgangspunkte  entwerten  selbstverständlich  die  meinigen  nicht,  sondern  be- 
kräftigen sie.  Dil  '  der  Völker  gefällt  sich  eben,  ein  und  denselben  Gedanken 
in  mannigfachen  Korn  zum  Ausdruck  zu  bringen.  "Wenn  aber  Frazer  vermutet,  die 
H  ei  die.  daß  dem  Kandidaten  die  Zauberkräfte  eines  tieistes 
zuerteilt  werden,  odei  Scheingeburl  (Wiedergeburt)  zu  einer  wirklichen  Wieder- 
geburt auf  Erden  (nach  i  em  wirklichen  imii  verhelfen  solle,  so  bezweifle  ich  das. 
Null  meinen  obigen  Dar  _  bzw.  Hinweisen  auf  die  in  diesem  Kapitel  referierten  Tat- 
sachen dürfte  che]  Bein,  daß  die  Viilker  mit  diesen  Arten  von 
\\  illi  n.  daß  der  Beschnittene,  bzw.  in  die  Reihen  der 
Erwachsenen  Aufzunehmen!  jetzt  an  ein  anderer  Mensch  sei  als  er  bishet  gewesen 
war,  ein  Mensch  mit  andi  d  Pflichten  als  bisher,  daß  er  nun  seine  sexuelle,  soziale 
im.     i                                 lebt  habe. 


§  244.     Überblick.  143 

Auf  einen  durch  die  Beschneidang  bewirkten  neuen  Menschen  weist 
ferner  die  bei  manchen  Völkern  mit  ihr  verbundene  Erteilung  eines  Namens, 
oder  wo  ein  solcher  schon  vorhanden  ist,  dessen  Ersatz  durch  einen  neuen 
Namen,  hin;  ferner  das  bei  einzelnen  Völkern  gebräuchliche  Rasieren  oder 
Schneiden  der  Kopfhaare  (vgl.  Kapitel  XXXV),  die  neue  Bekleidung  der 
Beschnittenen  usw. 

Mehrere  Völker  haben  Bäder  in  ihren  Beschneidungsritus  aufgenommen, 
die  nicht  überall  nur  Reinlichkeit  bezwecken,  sondern  zum  Teil  auch 
mystische  Bedeutung  haben,  d.  h.  ethische  Reinigung  bewirken,  oder  doch 
versinnbildlichen  sollen.  Die  Kikuyu  z.  B.  messen  nach  Cayzac  ihren  Be- 
schneidungsbädern  die  Kraft  bei,  Sünden  hinwegzunehmen  (vgl.  S.  141). 

Es  sei  hier  ferner  an  die  beachtenswerte  Harmonie  in  der  Auffassung 
der  Beschneidung  bei  drei,  bzw.  vier  sprachlich  und  örtlich  mehr  oder  weniger 
weit  getrennten  Völkern  aufmerksam  gemacht.  Bei  den  Kikuyu  Britisch- 
Ostafrika  erhebt  erst  sie  die.  Jugend  zur  Menschenwürde,  was  daraus  her- 
vorgeht, daß  der  von  den  beschnittenen  Mädchen  mißbrauchte  unbeschnittene 
Knabe  noch  nicht  als  Mensch  gilt.  —  ..Persönliche  Würde"  verleiht  die 
Beschneidung  dem  kannibalischen  Mangbuttu.  —  Die  Muselmanen  in  Mittel- 
sumatra bezeichnen  die  Beschneidung  mit  dem  Ausdruck  „Von  der  Schande 
befreien"  und  erinnern  dadurch  an  die  gleiche  Auffassung  bei  den  Juden  zu 
Josuas  Zeit,  wenn  die  an  einer  anderen  Stelle  dieses  Kapitels  referierten 
Zweifel  nicht  die  Oberhand  behaupten,  d.  h.  wenn  diese  Bibelstelle  unverfälscht 
auf  uns  gekommen  ist. 

Übrigens  ist  die  Vorstellung,  daß  der  Beschnittene  eine  höhere 
Menschenwürde  inne  habe  als  der  Unbeschnittene,  im  Grunde  genommen 
bei  allen  jenen  Völkern  vorhanden,  welche  die  Beschnittenen  von 
der  Operation  an  zu  den  Erwachsenen  rechnen,  und  das  tun  alle  jene, 
welche  um  die  Zeit  der  eintretenden  Reife  beschneiden,  d.  h.  die  große  Mehr- 
zahl. Die  Beschneidung  bildet  da  stets  den  wichtigsten  Teil  der 
ganzen  Pubertätsfeier,  Jünglingsweihe.  Aufnahme  in  die  Rechte  und 
Pflichten  der  Männer  des  Stammes,  des  Volkes,  der  Nation.  Diese  Tatsache 
stimmt  mit  der  Auffassung  der  betreffenden  Völker  von  den  Rechten  und 
Pflichten  des  erwachsenen  Mannes  sehr  wohl  überein;  denn  unter  diesen  ist 
die  vorherrschende:  Zeugung. 

Wenn  wir  die  obigen  auf  einen  neuen  Menschen  hinweisenden  Bräuche 
und  Auffassungen  mit  Kapitel  XV  vergleichen  und  uns  erinnern,  daß  auch  die 
dort  erwähnten  mystischen  Waschungen  zum  Teil  ethische  Reinigung 
und  geistige  Wiedergeburt  bezwecken,  dann  stehen  wir  vor  dem  über- 
raschenden Resultate,  daß  die  Auffassung  der  alttestamentlichen  Beschneidung 
als  Ersatz  der  Taufe,  welche  sich  bei  manchen  christlichen  Theologen 
findet,  mit  der  Auffassung  mancher  nichtchristlicher  Völker  betreffs  ihrer  Be- 
schneidung und  ihrer  Taufe  verwandt  ist.  Dennoch  scheinen  Beschneidung 
und  Taufe  im  Völkerleben  sich  nicht  gegenseitig  zu  ersetzen;  denn  in  Kap.  XV 
lernten  wir  verhältnismäßig  viele  Völker,  darunter  auch  die  Juden,  kennen, 
welche  uns  in  dem  vorliegenden  mit  ihrer  Beschneidung  beschäftigen,  also 
beide  Bräuche  üben.  Von  der  Taufe  der  Christen,  der  Buddhisten  der  gelben 
Kirche,  der  Maya  und  Nahua  und  vielleicht  noch  einiger  anderer  Völker  ab- 
gesehen, scheint  der  Wert  der  geheimnisvollen  AVasseranwendungen  hinter 
jenen  der  Beschneidung  ebenso  zurückzutreten,  wie  das  kleine  Kind  gesell- 
schaftlich hinter  dem  Erwachsenen  zurücktritt. 

Besonders  beachtenswert  dünkt  es  mich,  daß  der  Bundesgedanke  im 
Zusammenhang  mit  der  Beschneidung  nicht  nur  bei  den  Juden,  sondern  auch 
bei  anderen  Völkern  auftritt,   allerdings   mit    einer  Modifikation,    welche    der 


144  Kapitel  XXX  VIII.     Sexuelle  Operationen. 

religiösen  Sonderstellung  der  Juden  unter  den  Völkern  der  alten  Welt  ent- 
sprechen dürfte.  Während  es  sieh  nämlich  bei  den  Juden  vor  allem  um 
einen  Bund  mit  ihrem  Einen  Gott  handelt,  und  der  gegenseitige  Zusammen- 
schluß der  Glieder  dieses  Bundes  sich  erst  aus  diesem  ergibt,  hat  die  Be- 
schneidung bei  anderen  Völkern,  insofern  in  ihr  der  Bundesgedanke  durch- 
blickt, es  vor  allem  mit  menschlichen  Bundesgenossen  zu  tun1).  Auch  muß  viel- 
leicht der  Begriff  Bund  bei  diesen  Völkern  in  einem  weiteren  Sinne  genommen 
werden:  Als  Zeichen  der  nationalen  Zusammengehörigkeit  nämlich  tritt 
die  Beschneidung  nicht  nur  bei  den  alten  Ägyptern  2),  sondern  auch  bei  den 
Herero  auf.  -  Bei  den  muselmännischen  Negern  in  den  Quellengebieten  des 
Nil  dauern  die  Freundschaften,  welche  die  gleichzeitig  beschnittenen 
Burschen  unter  sich  schließen,  für  das  ganze  Leben;  auf  dem  Makondeplateau 
ist  das  Band,  welches  den  Beschnittenen  mit  jenem  Mann,  welcher  ihm  zur 
Operation  als  eine  Art  Pate  und  Lehrer  beigesellt  wird,  „fast"  inniger  als 
das,  welches  ihn  mit  seinen  eigenen  Eltern  verbindet;  ähnliches  finden  wir 
im  vorliegenden  Kapitel  auch  bei  verschiedenen  anderen  Völkern.  Besonders 
drastisch  zeigt  sich  der  Bundes-  oder  vielmehr  Stammgedanke  in  dem  von 
Karesau  berichteten  Brauch,  daß  die  Beschnittenen  gemeinsam  das  gesammelte 
Penisblut  der  älteren  Männer  trinken  müssen.  Auch  unter  den  außerordent- 
lich reichen  und  merkwürdigen  Ritusformen  der  Australier  findet  der  Leser 
in  diesem  Kapitel  mehrere,  in  denen  die  Zusammengehörigkeit  der  an  der  Be- 
schneidung Teilnehmenden  und  ihr  Unterworfenen  drastisch  zum  Ausdruck 
kommt.  Hier  sei  nur  an  die  Kopula  der  jüngeren  und  älteren  Stammes- 
brüder mit  jedem  beschnitteneu  Mädchen  erinnert,  was  bei  gewissen  Stämmen 
gleich  nach  der  Operation  des  Mädchens  geschehen  muß8);  ferner  an  die  Ber- 
gung der  abgeschnittenen  Präputien  in  hohlen  Bäumen,  welche  mit  den  Geistern 
des  Stammes  verwandt  sind  (vgl.  S.  140).  Das  Beschneidungsblut  wird  teils 
getrunken,  teils  läßt  man  es  als  Band  inniger  Freundschaft  aber  Stammes- 
mitglieder träufeln  usw. 

Das  uns  Befremdende,  daß  das  beschnittene  Zeugungsglied  Bundes-  oder 
Stammes-  oder  Nationalzeichen  sei4),  und  daß  die  Operation  selbst  als  der 
geeignetste  Moment  zur  Schließung  lebenslänglicher  Freundschaften  gilt,  ver- 
schwindet, wenn  man  an  die  Apot heosierung  der  Zeugungskraft5)  bei 
polytheistischen  Völkern  und  an  die  Hochschätzung  der  Zeugungskraft 
auch  bei  Monotheisten  denkt"). 


')  Bei  deo  alten  Ägyptern  könnte  allerdings  nach  der  auf  S.  138  erwähnten  Deutung 
der   I  ieses   Zeichen  der   priesterlichen  Weihe    vielleicht    doch    als  Zeichen    des 

Bun  !■  m  öotl   und   Priester  aufgefaßt  werden. 

*)  Diese   Bedeutung  findet  sich  bei  Ruwliiison. 

:,l  Siehe    Müdchenheschncidung. 

4i  Max  Buchner  schrieb  (Glob.  74,  S.  138):  „.  .  .  Welch  unwürdige  Auffassungen 
dieses  Jehova,  daß  er  dem  Menschen  erst  etwas  ganz  Überflüssiges  an  den  Leib  gehängt 
haben  sollte,  damit  es,  bloß  zum  Zeichen  des  Bundes,  schmerzvoll  wieder  entfernt  werden 
konnte  .   .  ."     Ihm  te    //    S  hurtz,   man   sollte    durch    ernste  Forschung    die  Ideen- 

welt  der  primitiven   Völker  zu  begreifen  suchen. 

i   Es  sei   hier  an  die  polynesische  Auffassung  des  lebenspendenden  Gliedes  als  „heilig" 
erinnert     Vgl  pitel    über  den  bösen  Blick,  wo  der  Phallus  wiederholt  als  Schutz- 

uinl  Abwehrmittel  gekennzeichnet  ist. 

rauf  hin,  daß  sich  in  den  vorderasiatischen  Religionen  mystische  Vor- 
stellungen an  Zeugung  und  Geburl  knüpften,  welche  sowohl  zur  Entmannung  als  auch  zur 
Verel  i  Zengnng  iihrten.    Ploß  hatte  letzteres,  d.h.  den  Ph  nl  luskult.  ruhig 

auch  für  liehen.  Afrika.  Amerika  und  Australien  feststellen  können.  Gerade  zu  diesem  un- 
gemein weil  verbreiteten  Kult  verhält  sich  der  israelitische  Begriff  von  der  Be- 
schnei  I.    h.    als    Bund    mit    Javeh.    und    folglich    als    Zeichen    der    Unterwerfung 

unter  das  (iesetz  des  Einen  Gottes,  als  Weihe  des  von  den  Polytheisten  apotheosierten 
und  mißbrauchten  Gliedes  an  den  Einen  Gott,  wie  eben  der  Monotheismus  selbst  sich  zum 
Polytheismus  verhält. 


§  244.     Überblick.  145 

Daß  der  Phallus  bei  Bundesschließungen  alter  semitischer 
Völker  eine  wichtige  Rolle  spielte,  geht  aus  folgendem  hervor:  Um  das 
Jahr  745  v.  Chr.  schloß1)  Asurnirai,  König  von  Assyrien,  mit  Mali'  ilu, 
dem  Fürsten  von  Bit-Agusi  im  nördlichen  Syrien,  einen  Vertrag,  welcher 
unter  anderem  durch  die  folgenden  Zeremonien  rechtskräftig  gemacht  wurde: 
Man  brachte  einen  Bock,  nicht  zum  Opfer  oder  zum  .Schlachten  bestimmt,  wie 
Paul  Karge  bemerkt,  sondern  damit  Mati'  ilu  die  Eidschwüre  für  Asurnirai 
leiste.  Diese  lauteten  dahin,  daß  es  dem  Mati'  ilu,  wenn  er  eidbrüchig  würde, 
samt  seinen  Söhnen  und  Töchtern  und  seinem  Volke  ergehen  würde  wie  diesem 
Bock,  d.  h.  daß  er  und  jene'  alle  aus  ihrem  Land  heraus  und  vor  den  König 
Asurnirai  gebracht,  und  daß  ihnen  wie  diesem  Bock  der  Kopf  abgeschlagen  (?) 
würde2).  Hierauf  sei  nach  Weber  die  gleiche  Zeremonie  auch  mit  dem 
Phallus  des  Tieres  vorgenommen  worden.  —  Daß  die  Assyrer  und  Syrer 
auch  Beschneidung  übten,  über  deren  Bedeutung  mir  anderweitig  nichts  vor- 
liegt, welche  aber  nach  dem  eben  Gesagten  geahnt  werden  kann,  wird  an 
einer  andern  Stelle  dieses  Kapitels  erwähnt  werden. 

Als  blutiges  Buudeszeichen  oder  vielmehr  in  noch  innigerem  Sinn,  als 
blutiges  Vermählungszeichen  ist  die  Beschneidung  bei  2.  Moses  4,  24 — 26 
gekennzeichnet,  wo  es  heißt,  daß  Javeh  Moses  töten  wollte,  Zepphora  aber 
mit  einem  Stein  die  Vorhaut  ihres  Sohnes  beschnitt,  damit  seine  Füße  berührte 
und  dabei  sprach:  „Wahrlich!  ein  Blut bräutigam  bist  du  mir!"  -  „Daließ 
er  von  ihm  ab,  als  sie  gesagt  hatte:  Blutbräutigam,  um  der  Beschneidung 
willen."  Durch  das  Blut  des  Gliedes,  welches  Leben  bedeutet,  die  zeugende 
Kraft  aber  von  Javeh  erhalten  hat,  ist  Moses  und  sein  Sohn,  und  durch  sie 
beide,  auch  Zepphora  mit  Javeh  verlobt,  verbunden,  wie  denn  der  Bund 
zwischen  Javeh  und  Israel  oft  genug  als  Ehebund  (im  geistigen  Sinn)  gekenn- 
zeichnet ist;  Javeh  gehört  alles.  Nach  seinem  Gesetz  muß  alles,  somit  auch 
(und  das  in  besonderer  Weise)  die  Zeugung  untergeordnet  sein.  Jeder  Miß- 
brauch des  Gliedes  zu  anderen  Zwecken  ist  Treubruch,  durch  welchen  das 
Leben  verwirkt  wird.  Von  diesem  Standpunkte  aus  kann  die  alttestamentliche 
Beschneidung  auch  als  Weiheakt  aufgefaßt  werden  Schon  Gerland  schrieb3), 
das  lebenspendende  Glied  sei  Gott  für  die  Abraham  versprochene  Nachkommen- 
schaft geweiht  worden.  Duneher  meinte4),  die  alttestamentliche  Beschneidung 
sei  ein  Javeh  dargebrachtes  stellvertretendes  blutiges  Opfer  für  das  Leben 
des  Kindes.  Wenn  er  aoer  dabei  auf  2.  Mos.  4,  24 — 26  hinweist,  beachtete 
er  vielleicht  doch  zu  wenig,  daß  es  sich  hier  kaum  um  ein  stellvertretendes  Opfer 
handelt,  sondern  um  die  rechtzeitige  Abwendung  der  drohenden  Strafe,  welche 
Javeh  über  Moses  dafür  verhängen  will,  weil  er  die  Beschneidung,  das  Bundes- 
zeichen, vernachlässigt  hat.  Da  tritt  Zepphora  schnell  ein  und  bewahrt  so 
den  Moses  vor  dem  Tod.  Der  Bundesgedanke  blickt  also  meines  Erachtens 
auch  durch  die  obige  Stelle.  Blutbruderschaften  und  Blutfreundschaften,  also 
Blutbündnisse  waren  ja  den  alten  Völkern  sicher  noch  weit  mehr  geläutig  als 
jenen  jetzigen  Völkern  niederer  Kulturstufen,  bei  denen  Blutaustausch  lebens- 
längliche Freundschaften  und  Treuebündnisse  besiegelt.  Als  ein  „rein  national- 
politisches Requisit,  und  nicht  als  Religionsgebot,  wie  Plo/i  an  einer  Stelle5) 
meinte,  ist  die  alttestamentliche  Beschneidung  sicher  nicht  aufzufassen,  schon 
aus  dem  Grund,  weil  Israel   theokratisch  war,    was   Floß   übrigens  an   einer 


')  Nach  einer  von  Peyser  in  den  Mitteilungen  der  Vorderasiatischen  Gesellschaft  1898 
■veröffentlichten  Urkunde.  Bei  Paul  Karge,  Geschichte  des  Bundesgedankens  im  Alten  Testa- 
ment.    1.  Hälfte.     S.  239f.     Münster  i.   W.   IHM). 

2)  Das  „abgeschlagen"  hat  Karge  mit  einem  Fragezeichen  gegeben. 

3)  Bei  Ploß,  2.  Aufl.  I,  371. 
*)  Ebenda,  344. 

6)  2.  Aufl.  I,  346. 

Ploß-Renz.  Das  Kiud.    3.  Aufl.     Band  II.  10 


J4(j  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

anderen  Stelle  selbst  zugibt.  Ploß  schwankte  stark.  So  schrieb  er  z.  B. 
an  einer  andern  Stelle1):  .  .  .  Denjenigen,  welche  die  Beschneidung  im  Volke 
der  Hebräer  einführten.  .  .  .  (schwebte)  die  Idee  vor,  daß  die  Zirkumzision 
den  Koitus  erfolgreicher  für  die  Befruchtung  mache;  denn  es  heißt  in 
der  Bibel:  „Durch  die  Beschneidung  stellte  Gott  ihm  reichliche  Nachkommen- 
schaft ir  Aussicht".-) 

Ploß  widmete  der  Knaben-Beschneidung  seine  Aufmerksamkeit  auch  vom 
sanitären  Standpunkte  aus.  Seine  diesbezüglichen  Ausführungen  lauteten  in 
der  ü.  Auflage: 

Es  ist  .  .  .  nicht  zu  leugnen,  daß  das  Fehlen  der  Vorhaut,  sei  es  in- 
folge angeborner  Mißbildung,  sei  es  durch  zufällige  Verwundung,  sei  es  durch 
absichtliche  "Wegnahme,  weit  mehr  Vorteile,  als  Nachteile  bringt3),  indem 
einerseits  die  hohe  Empfindlichkeit  der  Eichel,  andererseits  die  Neigung  zu 
Excoriationen  und  Entzündung  aufgehoben  wird.  Die  Reinhaltung  der  Ober- 
fläche der  Eichel  wird  erleichtert,  die  Ansammlung  und  Zersetzung  des 
Schleimes  (Smegma)  wird  verhindert,  Eicheltripper  wird  vermieden  und  Ge- 
schwüre (namentlich  syphilitische)  können  weniger  leicht  Fuß  fassen.  Daher 
meinen  auch  manche  Ärzte4),  daß  die  Abwägung  aller  dieser  Vorteile  und 
Nachteile  seinerzeit  den  einzigen  Grund  zur  Einführung  der  Beschneidung  ab- 
gegeben haben  möge,  und  daß  sie  somit  im  Orient  und  in  heißen  Landein 
überhaupt  hei  wirklich  verlängerter  Vorhaut  ihre  Berechtigung  hatte."6) 

„Gegenüber  dieser  Ansicht  muß  ich  (Ploß)  nochmals  hervorheben,  daß 
nur  in  wenig  Fällen  die  bestimmte  und  wirkliche  Absicht,  gesundheitliche 
Vorkehrungen  zu  treffen,  bei  der  Ein-  und  Ausführung  der  Beschneidung 
offen  ausgesprochen  wird,  oder  sonst  zutage  tritt,  indem  nur  einzelne  Völker, 
/..  B.'  die  Sanioauer,  sanitäre  Bücksichten,  Beförderung  der  Reinlichkeit 
usw.  ausdrücklich  hervorgehoben6).  Eine  ungemein  große  Anzahl  von 
Völkern,  welche  die  Beschneidung  üben,  zeigt  sogar  sehr  wenig 
Passion  für  Reinlichkeit,  und  es  läßt  sich  daher  wohl  kaum  annehmen, 
daß  sie  gerade  am  männlichen  Gliede  ausnahmsweise  recht  reinlich  sein 
wollen.  Es  muß  ein  anderes  psychisches  Motiv  vorliegen,  welches  sie  zur 
Vornahme  der  Operation  bewog." 

An  einer  andern  Stelle7)  schrieb  Ploß:  ..Von  der  sanitären  Tendenz 
der  Beschneidung  unter  den  .luden  ist  nach  meiner  Überzeugung  abzu- 
sehen.  Ich  teile  diese  Meinung  vor  allem  mit  solchen  Ärzten,  die  sich  mit 
genauer  Berücksichtigung  der  geschichtlichen  Quellen  um  die  Frage  be- 
kümmert halicn.  wie  und  unter  welchen  Umständen  die  Beschneidung  im 
jüdischen  Volke  Aufnahme  gefunden  hat:  r.  Auienrieth,  Trusen  u.  A.  In 
den  heiligen  Schriften  der  Juden  ist  nirgends  eine  hygienische  Absicht 
betont;  und  wenn  man  die  Sache  als  hygienische  Maßregel  auffassen  will, 
so  lag  doch  eine  solche  Auffassung  Abraham,  Moses,  Josua,  sowie  den 
Propheten   lern.     Wenn   hei   und  mit  ihr  von   „Reinigung"   gesprochen  wird, 


')  Ebenda,  34 

-I   Dp'   l  nmöglichkeit,    eine   einheitliche   sichere  Begründung   der  Beschneidung  als 

wissenschaftlich   erwiese ler   auch    nur   als   spekulativ  einzig  annehmbar  aufzustellen,   geht 

in  'sein   Kapitel  zur  Genüge  hervor. 

'ha  in   Virchows  Handb.  der  speziellen  Pathol.  und  Therapie.     VI.  2.  Abt.  S.  4. 
Erlangen    1856     L865      Ploß  wies  nierauf  hin. 

4i    P  in   Billroths    und    Pithns  Handb.    der  Chirurgie.     Krankh.  d.  Penis.     S.  6. 

6|  Ans  diesen  Gründen  hatte  man  schon  zu  Ploßs  Zeit  von  verschiedenen  Seiten  die 
allgemeine  Einführung  <1<t  Beschneidung  von  Staats  wegen  beantragt.  Vgl.  Ctaparcde,  La 
circoiH-isn.il  et  Sun  importance  dans  la  Familie  et  dans  l'etat.  Paris  18G1.  —  Rosenztceig, 
Zur  Beschneidungsfrage.     Schweidnitz  1878. 

6)   Pritchard,   Üem.  read  betöre  the  Anthrop.  Soc.    I.    S.  326. 

■i  8,   Aull.   1    345. 


§  244.     Überblick.  147 

so  wollte  man  in  ihr  nur  das  Zeichen  von  Glaubensweihe  und  Sünden- 
reinigung erblicken.  Trusen  sagt  ganz  richtig:  „Die  Beschneidung,  als 
Schutzmittel  gegen  Krankheit  gedacht,  ist  wider  den  Bibeltext,  darin  einer 
solchen  Veranlassung  nicht  gedacht  wird." 

S.  368f. ')  führte  Floß  aus:  „Zweck  und  Absicht  dieser  Operation 
liegt  meiner  Ansicht  nach  in  dem  Bestreben,  die  Natur  zu  korri- 
gieren, ihr  bei  ihren  angeblichen  „Verirrungen"  zu  Hilfe  zu  kommen  und 
an  den  Sexualorganen  einen  Zustand  herbeizuführen,  welchen  man  für  einen, 
beim  erwachsenen  Menschen  normalen  hält,  und  der  von  der  Natur  an  kleinen 
Kindern  wohl  nie  von  selbst,  in  der  Pubertätsepoche  sehr  oft  auch  noch  nicht 
spontan  hergestellt,  vielmehr  zum  Nachteil  der  sexuellen  Funktionen  gar  nicht 
selten  in  das  Mannesalter  hinübergebracht  wird;  —  man  will  die  „Phimose" 
beseitigen,  denn  man  hält  den  mit  einer  solchen  behafteten 
Menschen  für  minder  zeugungsfähig.  Um  dies  zu  verstehen,  muß  auf 
die  Umwandelung  hingewiesen  werden,  welche  am  Penis  allmählich  bis  zum 
zeugungsfähigen  Alter  in  der  Regel,  wenn  auch  nicht  immer,  vor  sich  geht. 
Die  Vorhaut,  welche  die  Eichel  bedeckt,  ist  beim  Neugeboruen  stets  so 
gestaltet,  daß  sie  nur  mit  Mühe  oder  gewaltsam  über  die  Eichel  zurück- 
gezogen werden  kann;  nach  und  nach  wird  sie  im  Verhältnis  zum  ganzen 
wachsenden  Gliede  (Penis)  an  ihrer  Öffnung  viel  ausdehnbarer,  so  daß  sie  sich 
später  meist  von  selbst  zurückstülpt,  namentlich  dann,  wenn  sich  der  Penis 
in  Erektion  befindet.  Das  neugeborne  Kiud  besitzt  also  ganz  regelmäßig  eine 
Phimose,  d.  h.  eine  solche  Verlängerung  der  Vorhaut,  mit  gleichzeitiger  Engigkeit 
ihrer  Mündung,  daß  die  (beim  Manne  zur  Ausübung  des  Koitus  für  die  Ejakula- 
tion förderliche)  Zurückschiebung  hinter  die  Corona  der  Glans  nicht  aus- 
führbar ist.  Wenn  nun  überall,  und  ohne  Frage  selbst  bei  den  schlecht  oder 
unzulänglich  beobachtenden  Naturvölkern,  die  Tatsache  wahrgenommen  wurde, 
daß  der  zum  Manne  herangewachsene  Jüngling  die  Eichel  nicht  selten  frei 
zu  tragen  beginnt,  weil  das  Präputium  sich  von  selbst  zurückschiebt  und 
hinter  der  Corona  liegen  bleibt,  daß  aber  auch  beim  Manne  die  Eichel  im 
erigierten  Zustande  nur  ausnahmsweise  noch  von  der  Vorhaut  bedeckt  bleibt, 
so  erschien  die  Bedeckung  der  Eichel  durch  die  Vorhaut  als  ein  nicht  normales 
Verhältnis,  dem  man  korrigierend  schon  frühzeitig  und  ganz  allgemein  ent- 
gegentreten muß." 

„Somit  fasse  ich  {Floß)  die  ursprüngliche  Tendenz  der  Be- 
schneidung auf  als  den  operativen  Vorbereitungsakt  auf  die 
Sexualfunktion  des  Mannes.  Man  betrachtete  die  noch  immer  bei  dem 
Jüngling  in  einigem  Grade  vorhandeue  Bedeckung  der  Eichel  mit  der  Vor- 
haut, den  seit  frühester  Jugend  noch  vorhandenen,  immerhin  geringen  Zustand 
der  Phimose  als  etwas  mehr  oder  weniger  Hinderliches  für  den  Koitus,  das 
man  durch  einen  operativen  Eingriff  beseitigen  muß.  Daher  kommt  es,  daß 
die  meisten  Urvölker  erst  in  demjenigen  Lebensalter  die  Vorhaut  ein-  oder 
wegschneiden,  in  welchem  die  Reife  zum  Geschlechtsgenuß,  die  Pubertät,  er- 
reicht ist;  man  will  den  Jüngling  mit  einem  Male  völlig  reif  und  normal  in 
sexueller  Hinsicht  machen.  Es  ist  hiermit  gleichzeitig  ein  Akt  auszuführen, 
durch  den  der  junge  Mensch  gleichsam  in  die  Reihe  der  reifen,  heiratsfähigen 
Männer  aufgenommen  wird,  man  verknüpft  diesen  Akt  mit  gewissen  diese 
Aufnahme  symbolisierenden  Zeremonien;  dabei  mochte  man  auch  im  Hin- 
blick auf  den  Schmerz,  den  diese  an  dem  sehr  empfindlichen  männlichen 
Sexualorgane  vorzunehmende  Operation  verursacht,  eine  Art  Prüfung  der 
männlichen  Standhaf tigkeit  im  Auge  haben.  Allein  diese,  auf  die 
sexuelle  Reife   vorbereitende  Operation    wird   ja   auch,  z.  B.  bei   Juden   und 

l)  2.  Aufl.  I. 

10* 


14H  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Mohammedanern,  schon  in  ganz  jugendlichem  Alter  ausgeübt;  hier  glaubt  man 
schon  an  Xeugebornen  dem  Zustande  der  natürlichen  Unfertigkeit  entgegen- 
treten zu  müssen.  Schon  dem  Kinde  will  man  eine  möglichst  zahlreiche 
Nachkommenschaft  garantieren  und  sich  nicht  auf  den  Zufall  verlassen,  ob 
die  an  ihm  bemerkte,  dem  Zeugungsakt  vielleicht  nicht  hinderliche  Phimose 
dereinst  sich  von  selbst  beseitigen  wird  oder  konstant  bleibt.  Da  wurde 
es  dann  für  ein  Gott  wohlgefälliges  Werk  betrachtet;  denn  es  galt 
den  Juden  schon  an  sich  für  höchst  wertvoll,  zahlreiche  Nach- 
kommenschaft zu  besitzen." 

Der  Ploßschen  Theorie  stimmte  der  Hauptsache  nach  auch  Richard  Andres 
zu.  Die  große  Mehrzahl  der  die  Beschneidung  übenden  Völker,  meinte  Andree, 
bezwecke  damit  Vorbereitung  auf  die  sexuellen  Funktionen1),  was  ja 
auch  aus  dem  vorliegenden  Kapitel  hervorgeht. 

Ebenso  schlich  Heinrich  Schürte:  Der  Zweck  der  Beschneidung  ist 
„trotz  aller  tiefsinnigen  Hypothesen  doch  wohl  nur  der,  die  Begattung  zu  er- 
leichtern und  allenfalls  im  hygienischen  Sinne  günstig  zu  wirken.  Entsprechend 
wird  in  manchen  Gegenden  Australiens  die  Vagina  der  Mädchen  künstlich 
erweitert"  *).  - 

Nach  C.  M.  Fleyte*)  herrscht  „bei  unbeeinflußten  Heiden  nun  allgemein 
die  Meinung  .  .  .,  daß  ein  Unbeschnittener  nicht  zu  einer  frucht- 
baren Kopulation  fähig  sei-'"1).  Die  Meinung,  die  Beschneidung  sei  ein 
religiöser  Brauch,  sei  veraltet.  Damit  trat  er  speziell  gegen  den  jüdischen 
\r/i  Jacobs  auf.  der  den  religiösen  Charakter  der  Operation  abermals  zu  be- 
weisen suchte  und  zugleich  in  Abrede  stellte,  daß  die  Phimose  häufig  so 
hochgradig  vorkomme,  daß  sie  die  Befruchtung  verhindere.  Die  Phimose 
sei  also  nicht  der  Grund  der  Beschneidung. 

Es  würde  viel  zu  weit  führen,  wollte  ich  hier  auch  noch  auf  andere 
Bemühungen,  den  sinn  der  Beschneidung  zu  finden,  eingehen. 

Auch  meine  bisherigen  Ausführungen  machen  den  Eindruck, 
daß  die  Knabenbeschneidung  bei  den  weitaus  meisten  Völkern  als 
eine  Vorbereitung  zu  den  geschlechtlichen  Funktionen  erscheint. 
Und  doch  ist  dieser  Eindruck  kein  zwingender,  weil  er  die  Frage 
provoziert,  ob  denn  die  beschnittenen  Völker  in  ihrem  Umgang  mit  den 
unbeschnittenen  nicht  einsehen,  daß  diese  ihnen  weder  an  Zeugungs- 
fähigkeit, noch  an  Gesundheil  und  Peinlichkeit,  noch  an  sozial- 
politischer Einheil   nachstehen. 

Ain-h  diese  Schwierigkeit  in  der  Lösung  des  Problems  hat  übrigens 
schon  Andret  bemerkt,  der  andererseits  meinte,  die  Beschneidung  habe  eine 
religiöse  Bedeutung  erst  dann  erhalten  können,  nachdem  sie  bereits  vorhanden 
und  ihre  etwaige  Beilsamkeil  erprobt  war.  — 

Mioe  Probe  scheint  aber  die  Beschneidung  eben  doch  nicht  bestanden 
ZU  haben,  und  so  wäre  denn  anzunehmen,  daß  die  so  weit  verbreitete  Be- 
rn- aui  einer  irrtümlichen  Überschätzung  ihrer  Wirkung  auf 
d  ie  Zeugung  beruhe. 

Den  religiösen  Charakter  kann  man  ihr  aber  auch  unter  der 
letzteren  Annahme  und   trotz   vorgeworfener  Veraltung  bei  den  wenigsten 


.■r.    Pan.ll.      X.    F.      206 ff. 

md   Uläunerbünde,  S.  96f.     Berlin  11102.  —   lUier  die  Öffnung 

'i    Pleyle    ■  ml    !'!•>/'.    Andree    und     Wilken,    zu    deren    sehr    wertvollen 

i  fn  i;>'l,  Material  gekommen  ist. 


§  244.     Überblick.  149 

Völkern  absprechen,  wenn  man  Religion  im  weitesten  Sinn,  also  auch 
im  Sinne  d.es  Geschlechtskultes  mit  seinen  zahlreichen  Formen  sieht,  und  das 
muß  man  wohl,  wenn  man  den  Polytheismus  als  Religionsform  auffaßt,  was 
nicht  zurückweisbar  ist. 

Bundesgedanke,  Fortpflanzung,  Wiedergeburt,  Sühneakt  und 
Religion  widersprechen  sich  im  monotheistischen  Religionsgedanken  ebenso- 
wenig wie  im  polytheistischen.  Die  verschiedenen  Resultate,  welche  sich  aus 
den  Untersuchungen  über  Grund  und  Zweck  bzw.  Bedeutung  der  Beschneidung 
ergeben,  können  also  eher. als  gegenseitige  Ergänzungen,  denn  als  Wider- 
sprüche angesehen  werden. 

Der  wesentliche  Unterschied  zwischen  Polytheismus  und  Monotheismus 
ist  eben  der,  daß  dieser  die  Natur  dem  Geiste,  bzw.  dem  einen  Gott  unter- 
ordnet, während  jener  die  Natur  vergöttert.  Diese  zwei  sich  gegenüberstehenden 
Gedanken  scheinen  durch  die  Beschneidungsbräuche  der  Völker  zu  gehen,  sei 
es  in  mehr  oder  weniger  klarer  Sonderung,  sei  es  in  mehr  oder  weniger  gegen- 
seitiger Durchdringung.  Welcher  von  beiden  zeitlich  der  erste  war,  d.  h.  ob 
die  Beschneidung  zuerst  von  Polytheisten  oder  von  Monotheisten  ge- 
übt wurde,  ob  ein  einziger,  oder  ob  mehrere  Ausgangspunkte  anzunehmen 
sind,  ist  gleichfalls  eine  noch  immer  ungelöste  Frage,  die  kaum  wird  beant- 
wortet werden  können,  ehe  die  Frage  über  die  Ausbreitung  und  das  Ineinander- 
greifen der  Völker  gelöst  sein  wird,  was  vollkommen  kaum  je  der  Fall  sein  wird. 
Immerhin  sei  hier  ein  Versuch  gemacht. 

Geschichtlich  scheint  das  höchste  Alter  der  ägyptischen  Beschneidung 
erwiesen  zu  sein,  wie  aus  Rawlinsons  Angabe  in  §  248  hervorgeht,  selbst 
wenn  man  von  SerodoW1),  Diodors  und  Strabos  Mitteilungen  absieht.  Auch 
G.  Ebers")  behauptete,  daß  die  Ägypter  die  Beschneidung  längst  vor  den 
Juden  hatten.  Auf  den  ägyptischen  bildlichen  Darstellungen  des  Zeugungs- 
gliedes fehle  ,.überall"  die  Vorhaut.  Floß,  dessen  Zweifel  an  Abraham  als 
geschichtlicher  Persönlichkeit  mittlerweile  widerlegt  worden  sind,  meinte,  wenn 
Abraham  geschichtlich  zu  nehmen  sei,  dann  habe  er  die  Beschneidung  wahr- 
scheinlich zuerst  in  Ägypten  kennen  gelernt.  Unbeschnitten  lasse  ihn  die 
Bibel  aus  Ur  und  Haran  in  Chaldäa,  seinem  Geburtslande  gehen,  und  in  Kanaan, 
wo  er  hierauf  lebte,  sei  Beschneidung  nicht  Brauch  gewesen.  Aber  er  sei 
zum  Einkauf  von  Getreide  nach  Ägypten  gegangen,  seine  Frau  und  eine 
seiner  Schwiegertöchter  seien  aus  Ägypten  gestammt,  und  so  sei  denn  anzu- 
nehmen, daß  er  die  Beschneidung  in  Ägypten  als  einen  bedeutsamen  Weihe- 
akt kennen  gelernt  habe3).  —  Schon  lange  vor  Ploß  hatte  Trusen  an  eine 
Entlehnung  der  alttestamentlichen  Beschneidung  von  den  Ägyptern  gedacht, 
als  er  schrieb4):  „Es  scheint  nicht  unwahrscheinlich,  daß  Abraham  mit 
Bezug  auf  den  Kultus  des  ägyptischen  Isis-Dienstes  und  aus  eben  der  Ver- 
ehrung des  Sinnbildes  alles  organischen  Lebens  die  Notwendigkeit  der  Be- 
schneidung  seines  Volkes  als  Opferakt  abgeleitet  habe,  um  durch  die  Weihe 
des  edelsten  (?)  Teils  des  menschlichen  Leibes  die  Weihe  des  ganzen  zu 
ersetzen."  —  Nach  Ploß5)  läßt  die  Sage  ägyptische  Halbgötter  ebenso  gut 
wie  jüdische  Patriarchen,  und  wie  Adam,  David  und  Mohammed  beschnitten 
auf  die  Welt  kommen. 


i)  Rerodot  II,  36,    104;  Dioilor  I,   28  und  Strabo  XVII,   824  ed.    Casaub.    (Bei  Ploß 
2.  Auflage  1,  344.) 

2)  Ägypten  und  die  Bücher  Mosis.     Leipzig  1868   (bei  Ploß  2.  Auflage  I,   343  Anm.). 

3)  2.  Auflage  I,  344. 

*)  J.  P.  Trugen,  Die  Sitten,  Gebräuche  und  Krankheiten  der  alten  Hebräer.     Breslau 
1853,  S.  115  und  124  (bei  Ploß  I,  345). 
5)  I,  370. 


150  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Die  Bantu-Völker  entlehnten  die  Beschneidung  nach  P.  H.  Brincker1} 

von  den  Semiten,  mit  denen  sie  auf  ihren  langwährenden  Wanderzügen  aus 
ihrer  vorderasiatischen  Heimat  in  Berührung  gekommen  sein  müssen. 
Als  geschichtlich  erwiesen  ist  nach  Brincker  der  Zusammenstoß  der  Bantu 
mit  den  Elamitern  und  Assyrern.  So  sei  z.  B.  Thideal-Thidegal  (in 
Ostjiherero  Tji-nda-ng  'ombära,  der  Berühmte),  der  Fürst  und  Führer  der 
Gojim-Stämme,  mit  dem  elamitischen  Eroberer  Kedor  Laomer  verbündet 
gewesen.  Diese  Gojini  sind  nach  Brincker  die  Urstämme  der  Neger-Bantu. 
Damals  seien  auch  semitische  Missionare  unter  nichtsemitischen  Völkern 
tätig  gewesen.  An  semitischen  Einfluß  in  Religion  und  Sprache  erinnern 
manche  Gebräuche  und  Sitten  der  Bantu  in  auffallender  Weise,  und  zwar 
seien  diese  entschieden  älter  als  die  Invasion  der  mohammedanischen  Araber. 
Eine  Entlehnung  der  Beschneidung  von  diesen  durch  die  Bantu  lehnt 
Brincker  ab,  nimmt  aber  auch  für  die  Beschneidung  unter  den  Semiten 
ein  über  Abraham  hinausgehendes  Alter  an,  für  diese  Zeit  allerdings  nicht 
als  jehovistisches  Institut,  welches  den  Israeliten  schon  als  kleines  Kind 
in  den  mit  Javeh  geschlossenen  Bund  aufnimmt,  sondern  wie  bei  anderen 
Völkern  als  Pubertätsweihe,  als  welche  die-Beschneidung  ja  auch  bei  den 
Bantu  gelte2). 

Brinckers  Behauptung,  daß  Bantu  und  Semiten  früher  dauernd  im  Ver- 
kehr lebten,  so  daß  eine  Entlehnung  der  Beschneidung  keineswegs  aus- 
geschlossen erscheint,  wird  neuestens  durch  die  vielen  Funde  althebräischer 
Münzen  in  Südafrika  (1.  und  2.  Jahrhundert  v.  Chr.)  bestätigt. 

Sogar  von  den  Monbuttus  im  Herzen  von  Afrika,  deren  Beschneidung 
für  Andree  ein  Beweis  für  die  von  Mohammedanern  und  Juden  unabhängige 
Entstehung  des  Brauches  galt,  schrieb  Schweinfnrth3),  sie  hätten  semitische 
Prolile.  ■  In  F.  Müllers  Zwölfrassensystem  erscheinen  die  Monbuttu  mit 
den  Nubiern  und  Fulben  zu  einer  Rasse  verbunden,  und  Nachtigal  schrieb 
von  den  zu  den  Bua  verschlagenen  Fulben:  „Sie  .  .  .  waren  so  sehr  von 
der  Herkunft  ihrer  Vorfahren  aus  den  Küstenländern  des  Mittelmeers 
überzeugt,  daß  sie  bald  nach  ihrem  Eintreffen  zu  mir  kamen,  um  mich  als 
Vetter  -  Uld  Ammi  arab  -  zu  begrüßen.  Alle  sprechen  gebrochen 
arabisch."  4) 

Die  Forschung  bringt  immer  neue  Überraschungen,  so  daß  die  von 
Schwarz  vermuteten  semitischen  Einflüsse  in  Kamerun  ebensowenig  undenkbar 
sind,  wie  die  Beschneidung  in  Amerika  ein  sicherer  Beweis  dafür  ist,  daß  sie 
dort  selbständig  entstand. 

Zum  Teil  nachgewiesen  ist  die  Verbreitung  der  Beschneiduug  durch  die 
muselmanischerj  Araber  in  Afrika,  Asien  und  Europa.  — 

Was  die  Formen  der  Operation  betrifft,  so  finden  wir  ein  bloßes 
Abtrennen    der    Vorhaut    zunächst   im   alttestamentlichen   Israel   und   bei  der 


')  Globus,   Bd.  «2,  41  f. 

'-')  Bei  der  Entstellung  der  Beschneidung  (im  allgemeinen)  meint  Brincker,  sei  der 
Gedanke     maßgebend  esen,     „daß     durch     den    Gebrauch     des    Gliedes     demselben   eine 

gewisse  Schuld  anhafte,  die  man  vor  dem  bürgerlich  erlaubten  Gebrauch  einesteils  vorab  zu 
sühnen,  andernteils  denselben  aber  auch  öffentlich  zu  weihen  trachtete.  Letztere  Bedeutung 
sei  die  herrschende  geworden  und  sei  es  noch  jetzt,  nämlich  eine  Inauguration  des 
männlichen  (Jliedes.  —  Diese  Annahme  Brinckers  wird  allerdings  durch  die  weit  verbreitete 
Auffassung  gestützt,  daß  geschlechtliche  Funktionen  verunreinigen.  Vgl.  die  Kapitel  XXI 
und  XXII,  aber  andererseits  auch  die  Apotheosierang  des  Phallus,  des  Geschlechtslebens  und 
der   r'rm-hlharkeit  im  vorliegenden   Kapitel. 

'i    Im   Unzen  von   Afrika.     S.  292f.  und  288.     Leipzig  1878. 

*)   Nachtigal,  Sahara  und  Sudan.     Bd.  II,  657. 


§  244.     Überblick.  151 

heutigen  jüdischen  Sekte  der  Karäer;  auch  von  den  Arabern  in  Arabia  Petraea 
und  in  Algier,  von  den  persischen  Muselmanen,  von  den  moslemischen,  heid- 
nischen und  christlichen  Kaffitscho  wird  sie  berichtet;  dann  sehen  wir  sie 
bei  den  ostafrikanischen  Negervölkern  der  Wakamba,  Wanika,  Kikuyu,  Bakulia 
und  Wakua;  ferner  im  Süden  bei  den  Kaffern  und  bei  den  Negern  auf 
Madagaskar;  im  "Westen  bei  den  Kongo-Negern  in  San  Salvador;  im  Nord- 
westen bei  den  Dahomeern  und  den  Soniuke.  Auch  auf  den  Opferinseln  bei 
Yukatan  (Islas  de  Sacrificios)  hat  es  sich  wahrscheinlich  um  diese  Art  der 
Operation  gehandelt. 

Die  Talmudisten  sollen  es  gewesen  sein,  welche  sich  mit  der  Beschneidungs- 
form  ihrer  Vorväter  nicht  mehr  begnügten,  sondern  zu  dem  Querschnitt  einen 
Längsschnitt  fügten.  --  Auch  nichtjüdische  Völker  üben  Doppel-,  ja  Tripel- 
operationen,  und  zwar  teils  geradezu  barbarischer  Art.  Hierher  gehört  die 
Abtrennung  der  Vorhaut  mit  Längsschnitt  auf  dem  Glied  und  Lostrennung 
eines  Hautfetzens  vom  Unterleibe  bei  einem  Stamm  im  südwestlichen  Arabien 
die  Perforation  neben  der  Zirkumzision  auf  Karesau,  und  ganz  besonders  die 
australische  Subinzision  neben  der  Zirkumzision. 

Bloße  Spaltung  der  Vorhaut  finden  wir  bei  einer  Reihe  malayisch- 
polynesiseher  Völker  und  im  alten  Mexiko.  -  -  Statt  dieser  Spalte  wird  da 
und  dort  ein  Einschnitt  in  die  Eichel  gemacht.  Auch  finden  sich 
diese  beiden  Operationen  zusammen1).  Isolierte  Erscheinungen  sind  meines 
Wissens  Tätowierung  der  entblößten  Eichel  und  keilförmiger  Ausschnitt  aus 
der  Vorhaut. 

Als  Beschneidungsinstrumente  lernen  wir  in  diesem  Kapitel  kennen: 
Scharfe  Steine  und  Steinmesser,  Glasscherben,  Muscheln,  Bambussplitter, 
Bambusmesser,  Dolche,  Rasiermesser  und  gewöhnliche  Messer  mit  einfachem 
und  doppeltem  Schnitt,  Scheren  und  wohl  auch  noch  andere  Instrumente; 
im  australischen  Mythus  das  Feuer. 

Was  endlich  gewisse,  hier  noch  zusammenzustellende  Begleit- 
erscheinungen der  Knabenbeschneidung  betrifft,  so  gehören  hierher: 
Leidensproben,  welche  mit  entsprechenden  Modifikationen,  losgelöst  von 
der  Beschneiduug,  eingehend  in  Kapitel  LVIII  behandelt  werden;  ferner  Be- 
lehrung über  die  Rechte  und  Pflichten  des  nun  in  die  Reihen  der 
erwachsenen  Männer  eintretenden  Beschnittenen;  Enthaltung  von  bestimmten 
Speisen;  strenge  Absonderung  vom  weiblichen  Geschlecht2);  Ge- 
schenke, phantastischer  Schmuck  und  ebensolche  Bekleidung,  Gesänge, 
Tänze,  Festreden,  Festessen,  Trinkgelage  u.  a.  m.  — 

Nimmt  nach  den  bisherigen  Ausführungen  des  vorliegenden  Kapitels  die 
Beschneidung  des  männlichen  Geschlechts  die  erste  Stelle  unter  den  Operationen 
am  gesunden  Kindeskörper  ein,  so  steht  an  zweiter  Stelle  die  Beschnei  düng 
des  weiblichen  Geschlechtes.  Wie  jene,  so  erscheint  auch  diese  bei  den 
meisten  Völkern  vor  allem  als  ein  Brauch,  welcher  das  Eheleben,  die 
Nachkommenschaft  oder  doch  die  sexuelle  Verbindung  begünstigen 
soll.  Denn  die  martervolle  Verwundung  und  mancherorts  darauffolgende 
Vernähung  der  Mädchen  mit  Roßhaar,  Faden  oder  Draht  (Infibulation)  bei 
einer  Reihe  semitischer,  hamitischer  und  Neger-Völker,  sowie  einzelner 
Malayen  und  Burmanen  moslemischen  Glaubens  bezwecken  nichts  anderes,  als 
den  Ausschluß  eines  jeglichen  Nebenbuhlers  des  zukünftigen  oder  bereits 
aktuellen  Ehemannes.     Ob  es  diesem  dabei  vor  allem  um  sein  Eherecht,  oder 


')  Vgl.  die  mehr  komplizierte  Form  bei   Weiß  in  den  Referaten  dieses  Kapitels. 
2)  Zu  den  wenigen  Ausnahmen  von  dieser  Hegel  gehört  das  alte  Weib,  mit  einer  Art 
priesterlicher  Funktionen  bei  den  Makua  (Deutsch-Ostafrika). 


252  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

vor    allem   um  ausschließlich   eigene   Kinder   zu   tun   ist,   kann   wohl   nur  er 
feststellen. 

Um  die  Nachkommen  vor  den  durch  die  Zeugungsglieder  vererblichen 
Sünden  oder  Übeln  zu  bewahren,  beschneiden  die  afrikanischen  Kikuyu  ihre 
Töchter  (und  Söhne1),  und  einen  ähnlichen  Zweck  scheint  die  Beschneidung 
der  Massai-Mädchen  zu  haben,  da  bei  ihnen,  die  doch  schon  vorher  der  freien 
Liebe  leben,  Mutterschaft  vor  der  Beschneidung  den  Tod  für  Mutter  und 
Kind  zur  Folge  hätte.  Als  notwendige  Vorbedingung  des  Ehelebens  und 
somit  sicher  auch  der  Nachkommenschaft  finden  wir  die  Beschneidung  beider 
Geschlechter  in  Alt-Kalabar,  nordwestliches  Afrika.  — 

Unbeschnittene  Mädchen  können  keine  Kinder  haben,  heißt  es  bei  den 
Bantu  am  untern  Kongo. 

Bei  den  Bakulia  bedeutet  die  Beschneidung  auch  der  Mädchen  offizielle 
Einführung  in  das  Geschlechtsleben.  -  -  Die  Mädchen  gewisser  australischer 
Stämme  (§  253)  werden  unmittelbar  nach  der  martervollen  Öffnung  der  Vagina 
dem  geschlechtlichen  Verkehr  mit  einer  bestimmten  Anzahl  bestimmter  Männer 
übergeben  und  gleich  darauf  verheiratet,  d.  h.  ihrem  eigentlichen  Mann  aus- 
geliefert. Die  barbarische  Öffnung  der  Vagina  mit  Fingern,  Stöcken  und 
künstlichen  Gliedern  in  Australien,  Afrika  und  Amerika  müssen  die  gemarter- 
ten Mädchen  aushalten,  damit  der  Mann  beim  ersten  Beischlaf  kein  Hinder- 
nis findet!  Das  geht  aus  §  253  und  i;  254  klar  genug  hervor.  Als 
Hindernis  im  Beischlaf  und  somit  der  Fruchtbarkeit  galten,  bzw.  gelten  wohl 
auch  die  in  §  253  erwähnten  weiblichen  Geschlechtsteile  (labia  major a,  labia 
minora  und  clitoris),  welche  durch  die  Beschneidung  entfernt  oder  doch  ver- 
kleinert werden. 

■  Somit  würde  die  Beschneidung  beider  Geschlechter  bei  einer 
beträchtlichen  Anzahl  von  Völkern  direkt  eine,  wenn  auch  nur 
vermeintliche  Erleichterung  des  Beischlafes  uud  dadurch  wohl  eine 
Förderung  der  Fruchtbarkeit  bezwecken2). 

Die  Töchter  der  Panos-Indianer  sollen  durch  die  Beschneidung  und 
Öffnung  der  Vagina  „geschickter  werden  für  ihren  natürlichen  Beruf",  also 
zum  Eheleben  oder  zur  .Mutterschaft.  Den  gleichen  Zweck  hat  allem  Anscheine 
nach  aber  auch  die  Defloration  der  neugebornen  Töchterlein  vornehmer 
Leute  im  alten  Mexiko  und  bei  einem  [ndianei stamm  in  Paraguay  (§  252). 
Die  dabei  üblichen  "Worte  bei  den  letztern:  „Das  ist  ein  Weib"  sprechen  ja 
eine  deutliche  Sprache.  Der  Umstand,  daß  im  alten  Mexiko  das  Hymen  vom 
Hohenpriester  selbst  durchbrochen  wurde,  beweist  zudem,  daß  liier  diese 
Operation  im  /.ältesten  Kindesalter  nicht  weniger  im  religiösen  Sinn  auf- 
gefaßt winde,  als  die  Beschneidung  und  Infibulation  der  reifen  Mädchen  bei 
den  Sudan-Negern,  die  Beschneidung  der  reifen  Kikuyu-Töchter  u.  a.  in.  (§  252). 
Zeugung  und  Fruchtbarkeit  ist  diesen  Völkern  heilig.  Deshalb  ent- 
fernte der  Hohepriester  das  Hymen  (wohl  als  Hindernis  des  künftigen  Bei- 
schlafes) der  neugebornen  Aristokratinnen  im  Tempel;  deshalb  sehen  wir 
die  gereiften  Beschneidungskandidatinnen  der  ostafrikanischen  Kikuyu  ebenso 
wie  die  dortigen  männlichen  Kandidaten  den  Tempel  und  den  heiligen  Baum3) 
besuchen,  deshalb  amb  eine  Priesterin  als  Beschneiderin  bei  früheren  Guinea- 
Negerinnen. 


1     Vgl.  §  849. 

-!  Freilich  stellt  sich  bei  der  Mädchenbeschneidung  wie  bei  der  Knabenbesehneidui  g 
das  schon  ungerührte  Bedenken  «rieder  ein,  duü  die  betreffenden  Völker  durch  die  Frucht- 
barkeit anbeschnittener  Völker  nicht  eines  Besseren  belehrt  wurden.    F^in  einheitlich  tiefster 

und  sicherer  Gr I  ist    also  auch  durch  den  Vergleich  der  Mädehenbeschneidung  noch  nicht 

gefundrn.  obschon  dieser  Vergleich  uns  abermals  einen  Schritt  vorwärts  bringt. 

3)  Baum-  bzw.  Fruchtbarkeitskult! 


§  244.     Überblick.  15;} 

Was  das  Alter  der  Mädchen  betrifft,  welchen  entweder  das  Hymen 
künstlich  durchbrochen  wird,  oder  die  der  Zirkunizision,  oder  Exstirpation. 
oder  Infibulation  usw.  unterworfen  werden,  so  ergibt  ein  Überblick  über  die 
§§  252  und  253,  daß  die  betreffende  Operation  außer  in  Mexiko  und  Paraguay 
auch  bei  den  Falaschas  (abessinischen  Juden)  im  zartesten  Alter  vorgenommen 
wird,  d.  h.  Ende  der  zweiten  Lebenswoche.  Wenige  "Wochen  nach  der  Geburt 
beschnitten  die  Araber  zu  Strabos  Zeit  ihre  Töchterlein:  zwischen  vier  und 
zwölf  Monaten  tun  es  die  heutigen  Kafhtscho,  ein  Gallastamm  in  Abessinien; 
bald  nach  der  Geburt  die  Peul,  ein  Volk  mit  semitischer  Sprache  im  nord- 
westlichen Afrika:  mit  vierzehn  Tagen  die  Soninke,  ein  Zweig  der  Mandingo: 
gleich  nach  der  Geburt  manche  Muselmanen  in  Pegu1).  Alle  andern  Völker 
des  §  252  unterwerfen  ihre  Töchter  der  einen  oder  andern,  oder  mehreren 
der  angedeuteten  Operationen  erst  in  einem  vorgerückteren  Alter, 
dessen  unterste  Grenze  fünf  Jahre,  dessen  oberste  die  Zeit  unmittelbar  nach 
der  Hochzeit  bildet.  Die  meisten  Völker  dieser  zweiten  Klasse  nehmen  die 
Operation  kurz  vor  Eintritt  der  Reife,  oder  in  dieser  Zeit  selbst, 
oder  gleich  nachher  vor.  wiederum  ein  Wahrscheinlichkeitsbeweis  dafür, 
daß  sie  eben  die  Beschneidung  auch  der  Mädchen  als  direkte  Vorbereitungen 
zum  sexuellen  Leben  ansehen.  Damit  ist  zugleich  ihre  wichtige  Rolle  bei 
der  Pubertätsfeier  auch  des  weiblichen  Geschlechtes  erklärt.  Fruchtbarkeit 
ist  eben  nach  der  Anschauung  Dichtchristlicher  Völker  für  das  Weib  ebenso 
eine  notwendige  Bedingung,  um  als  vollgültiger  Mensch  undStammes- 
genosse  angesehen  zu  werden,  wie  für  den  Mann,  und  diese  Fähigkeit 
erhofft  man  durch  die  Beschneidung.  „Unbeschnitten"  genannt  zu  werden, 
ist  infolgedessen  bei  einzelnen  Völkern  eine  Beleidigung  für  beide  Geschlechter 
(vgl.  die  Araberinnen  in  §  253,  sowie  die  betreffenden  Mitteilungen  über  die 
Knabenbeschneidung).  Bemerkenswert  ist,  daß  der  Bundesgedanke  auch  in 
der  Beschneidung  des  weiblichen  Geschlechtes  da  und  dort  zum  Ausdruck 
kommt,  z.  B.  in  Australien  und  bei  den  von  Dapper  angeführten  Guinea- 
Negerinnen  (§  253). 

Ebenso  finden  wir  bei  der  Mädchenbeschneidung  kürzere  oder  längere 
Zurückgezogenheit  der  Kandidatinnen  an  abgeschiedenen  Orten,  Unter- 
weisung im  sexuellen  Leben  und  anderen  Rechten  und  Pflichten  ihres  zu- 
künftigen Berufes,  in  Tanz  und  Gesang;  auch  Haarschur,  Bäder  und  andere 
uns  schon  von  der  Knabenbeschneidung  her  bekannte  Zeremonien,  sowie 
Festesjubel  u.  dgl.  mehr  sind  vielenorts  mit  der  Mädchenbeschneidung 
verbunden. 

Ob  diese  eine  spätere  Erscheinung  im  Völkerleben  sind,  als  die  Knabeu- 
teschneidung,  wie  schon  behauptet  wurde,  scheint  mir  bisher  unbewiesen; 
denn  schon  im  alten  Ägypten  galten  die  Mädchen  erst  heiratsfähig 
nach  ihrer  Beschneidung  (§  253). 

Ganz  verschieden  von  der  Beschneidung,  ja  in  einem  gewissen  Gegen- 
satz zu  dieser,  ist  bei  manchen  Völkern  die  künstliche  Verlängerung 
jener  weiblichen  Geschlechtsteile,  welche  bei  anderen  Völkern  durch  die  Be- 
schneidung verkürzt,  oder  ganz  beseitigt  werden.  Diese  in  §  252  be- 
schriebenen Mißbräuche  haben  wohl  mit  der  Geschlechtslust  allein  zu 
tun.  Zu  ihnen  steht  einerseits  die  Begründung  der  Beschneidung  dieser 
Teile  bei  einzelnen  Völkern  des  §  253  im  scharfen  Gegensatz,  welche  dahin 
lautet,  daß  sie  beschneiden,  um  übergroße  Reize  der  Sinnlichkeit  zu  unter- 
drücken. — 


')   Vgl.  das  Alter  der   semitischen    bzw.    islamischen    und    indianischen    männlichen 
Beschneid  ungskandidaten. 


254  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

IL  Teil. 

Sexuelle  Operationen  «am  männlichen  Geschlecht. 

§  245.     Künstliche  Verlängerung  des  Gliedes. 

Wenn  in  Paraguay  „die  Hebamme  ein  Kind  männlichen  Geschlechts 
empfängt,  so  zieht  sie  mit  ihren  Händen  sehr  stark  den  Penis  lang".  — 
Diese  Mitteilung  erhielt  Floß'  schriftlich  von  Mantegazza  mit  der  Beifügung, 
daß  dort  die  männlichen  Glieder  sehr  lang  seien.  —  Über  die  entsprechende 
Manipulation  an  neugebornen  Mädchen  in  Paraguay  später. 

Die  Schangalla  in  Guarague  (?)  suchen  das  männliche  Glied  „eine 
Spanne  lang  auszudehnen  .  .  .,  damit  die  Mutter  der  Tochter,  die  den  Mann 
heiraten  will,  die  gehörige  Länge  finden  möge"  '). 

§  246.     Inflbnlatiou  bei  Knaben. 

Nach  einer  mit  R.  A.  gezeichneten  Mitteilung  im  Globus2)  hat  Ludwig 
Stieda  zwei  Arten  antiker  Infibulation  nachgewiesen:  die  eine,  bei  Griechen 
und  Römern  gebräuchlich,  verschloß  das  Präputium  vor  der  Glans  mit 
einem  durchgelegten  Metallring  und  wurde  bei  Knaben  und  Jünglingen 
„interdum  vocis,  interdum  valetudinis  causa"  vorgenommen;  die  andere,  bei 
Etruskern  und  Griechen,  bestand  in  einem  Zubinden  des  Präputiums  mit 
einem  Bändchen.  — 

§  247.     Kastration  des  männlichen  Geschlechtes. 

Weniger  selten  als  die  in  den  vorhergehenden  zwei  Paragraphen  er- 
wähnten Erscheinungen  ist  die  Kastration  des  männlichen  Geschlechtes. 

Abgesehen  davon,  daß  die  Kastration  Erwachsener  auf  verhältnismäßig 
niederen  Kulturstufen  eine  gebräuchliche  Straf-  oder  Racheform  für  Ehebruch 
und  andere  Vergehen  war  und  ist,  entmannten  sich  Jünglinge  und  Männer  aus 
religiösem  Fanatismus,  kastrierte  man  Knaben  aus  verschiedenen  Gründen 
und  zu  mancherlei  Zwecken.  In  Asien  und  später  in  Rom  kamen  solche 
Knaben  in  den  Dienst  der  Kybele.  -  -  Im  päpstlichen  Rom  verwendete  man 
die  Singstimmen  Kastrierter  zur  Verschönerung  des  Gottesdienstes,  bis  Leo  XIII. 
diesem  Mißbrauch  ein  Ende  machte3). 

Kastration  zu  Eunuchenzwecken  soll  in  abessinischen  Klöstern  noch 
heute  vorkommen.  Die  kastrierten  Knaben  treten  als  Haremswächter  in 
türkische  Dienste,  weil  der  Islam  Entmannung  an  seinen  eigenen  Gläubigen 
verbietet. 

Solche  Zwecke  hatte  man  schon  zu  Heroäots  Zeit  im  Auge.  Dieser 
macht  uns  (VIII.  c.  105  und  106)  mit  einem  gewissen  Panionius  auf  Chios 
bekannt,    der   Kastration    gewerbsmäßig    betrieb.     Er    fahndete    nach    außer- 


i)  2.  Aufl.  I.  372  ..ikI  376. 

2i  Bd.  I.XXX1I,  S.  17. 

3)  Über  die  sittliche  Erlaubtheil  der  Kastrierung  zu  dem  letzteren  Zweck  waren  die 
Ansichten  der  christlichen  Moralisten  geteilt.  In  der  Moral  des  Alphons  -V.  de  T.igorio  ist 
Kastration  als  sündhaft  erklärt:  „Peecant  parentes.  qui  lilios  etiam  consentientes  castrant  ut 
sint  utiles  cantui."  Doch  waren  andere  Moralisten,  darunter  Elbcl,  der  Ansicht,  die  Ver- 
herrlichung (iottes  durch  den  schönen  Gesang  und  die  zeitliche  Versorgung  des  Sängers  seien 
zwei  Faktoren,  «reiche  die  Kastration,  wenn  mit  Zustimmung  der  Knaben  unternommen,  zu 
einer  erlaubten  Handlung  gestalten  (Theologia  Moralis  8.  Alphonsi  M.  de  IÄgorio,  Vol.  I,  430f.). 


§  247.     Kastration  des  männlichen  Geschlechtes.  155 

gewöhnlich  schönen  Knaben,  die  er  kastrierte  und  für  hohe  Geldsummen 
als  Eunuchen  nach  Sardis  oder  Ephesus  verkaufte.  Unter  seinen  vielen 
Opfern  befand  sich  Hermotimus,  ein  Pedasier,  der  später  dem  Perserkönig 
Xerxes  zum  Geschenk  gemacht,  von  diesem  bald  allen  anderen  Eunuchen 
des  Hofes  vorgezogen  wurde,  und  sich  an  Panionius  dadurch  rächte,  daß 
er  ihn  samt  dessen  Familie  nach  Sardis  lockte,  wo  er  ihn  zwang,  seine 
eigenen  vier  Söhne  zu  kastrieren  und  sich  selbst  hierauf  von  diesen  kastrieren 
zu  lassen.  Charakteristisch  für  die  damalige  Auffassung  eines  solchen  Ge- 
werbes und  des  Gemütszustandes  eines  Zerschnittenen  ist  die  Ansprache  des 
Hermotimus  an  Panionius;  Du,  der  du  dein  Brot  auf  die  gemeinste  Art 
verdienest,  was  hatten  ich  oder  die  meinigen  dir  oder  den  deinen  getan, 
daß  du  mich  zu  dem  Nichts  gemacht,  das  ich  jetzt  bin?  Ah!  du  meintest 
wohl,  daß  die  Götter  deine  Verbrechen  nicht  gewahrten!  Aber  sie  in  ihrer 
Gerechtigkeit  haben  dich,  den  Missetäter,  meinen  Händen  überliefert  und 
nun  kannst  du  dich  über  die  Rache,  die  ich  an  dir  zu  nehmen  gedenke, 
nicht  beklagen. 

Aus  dieser  Ansprache  geht  übrigens  hervor,  daß  Kastration  damals 
in  Kleinasien  als  ein  von  den  Göttern  zu  bestrafendes  Unrecht  angesehen 
wurde. 

Eunuchen  als  Haremshüter  traf  Polak  noch  in  der  zweiten  Hälfte  des 
19.  Jahrhunderts  in  Persien  an.  Die  weitaus  meisten  waren  Schwarze, 
welche  schon  in  ihrer  Kindheit  von  Afrika  eingeführt  worden  waren.  Ein 
weißer  Eunuche  —  es  soll  der  letzte  weiße  gewesen  sein  —  starb  im  Jahre  1856. 
Die  Kastrierung,  völlige  Abtragung  der  Geschlechtsteile,  habe  den  meisten 
ihr  unterworfenen  Kindern  das  Leben  gekostet,  zumal  das  Verfahren  roh 
gewesen  sei.  Deshalb  kostete  ein  Eunuche  wenigstens  dreimal  mehr  als  ein 
anderer  Sklave. 

Im  kaiserlichen  Rom  griff  die  Unsitte  der  Kastrierung,  nachdem  sie, 
wie  oben  bemerkt,  mit  dem  religiösen  Kult  aus  Asien  eingeführt  worden  war, 
immer  mehr  um  sich.  Deshalb  wurde  sie  von  Domitian  als  strafbares  Ver- 
brechen erklärt;  Hadrian  verschärfte  das  Verbot  und  stellte  sie  unter  das 
Mordgesetz. 

Im  religiösen  Kult  finden  wir  die  Kastration  wieder  bei  den  heutigen 
Falaschas,  Juden  in  Abessinien,  wenigstens  nach  Aussage  der  nicht- 
jüdischen  Abessinier.  Die  erstgebornen  Söhne  der  Falaschas  seien  es,  welche 
dieser  Operation  im  zartesten  Alter  unterworfen  werden,  weil  sie  dem  Priester- 
staud  gewidmet  seien.  Auch  essen  die  Knaben,  um  ihre  Männlichkeit  zu  zer- 
stören, Wurzeln  (D'Abbadie). 

Von  den  Bejah  oder  Bischarin,  einem  äthiopischen  Zweig  der  hamitischen 
Völker  nördlich  von  Abessinien,  an  den  Ufern  des  Nils,  schrieb  im  Mittel- 
alter Magrizi,  es  sei  bei  ihnen  kein  Mann,  dem  nicht  der  rechte  Hoden 
exstirpiert  wäre.  Hierzu  bemerkte  Plofs'),  er  habe  in  späteren  Berichten  von 
einer  solchen  Sitte  bei  den  Bedja  (Bedscha)  nichts  gefunden.  Mit  Recht  gilt 
ihm  letzteres  aber  nicht  als  ein  Beweis,  daß  deshalb  zu  Magrizis  Zeit  ein 
solcher  Brauch  nicht  bestanden  haben  könne. 

Ebenso  richtig  dürfte  Ploß  über  die  im  18.  Jahrhundert  von  Peter  Kolben 
berichtete,  später  wiederholt  angezweifelte  Kastration  bei  den  Kap-Hotten- 
totten geurteilt  haben.     Es  möge  hier  Ploßs  Darlegung  wörtlich  folgen: 

..Angezweifelt  bleibt  auch  der  Bericht  des  einst  in  Südafrika  reisenden 
Botanikers  Peter  Kolben,  daß  die  Hottentotten  den  Knaben  durch  einen 
Priester  den   linken  Hoden   ausschneiden   ließen.     Er  gibt  an.  daß  dies  eine 


')  2.  Aufl.  I,  340. 


]56  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

religiöse  Zeremonie  sei,  und  daß  keine  Frau  einen  Mann  zulassen  würde, 
der  diese  Operation  nicht  ausgehalten  hätte.  Er  beschreibt  diese  Operation, 
welche  er  in  emem  Falle  sogar  selbst  mit  ansah,  sehr  genau.  In  Ermangelung 
eines  tauglicheren  Instruments  benutzte  der  Priester  ein  geschärftes  Brot- 
messer, machte  eine  Öffnung  anderthalb  Glieds  groß  in  den  Beutel,  drückte 
den  linken  Knoten  heraus  und  schnitt  die  Blutgefäße  und  Samenleiter  dicht 
an  demselben  durch.  Dann  steckte  der  Operateur  eine  aus  Schafsfett  und 
Arzneikräutern  (namentlich  Buchul  bestehende  kleine  Kugel  in  die  Wunde, 
die  er  schließlich  mittels  einer  aus  einem  Vogelknochen  hergestellten  Ahle 
und  mit  Tiersehnen  zunähte.  Nach  der  Operation  wurde  der  Patient  heftig 
gerieben,  daß  er  stark  schwitzte,  und  zuletzt  mit  Urin  besprengt.  '  Tanz  und 
Schmausereien  folgten  dem  Akte." 

„Die  Hottentotten  gaben  Kolben  die  Auskunft,  daß  das  „Gesetz"  der 
Verschneidung  bei  ihnen  seit  urdenklicher  Zeit  bestehe  und  kein  Mann  eine 
Frau  erkennen  dürfe,  bevor  man  ihm  den  linken  Hoden  ausgeschnitten. 
Regelmäßig  werde  das  (iesetz  alle  8 — 9  Jahre  ausgeführt.  Sie  meinten,  daß 
ein  Mann  ohne  Verschneidung  lauter  Zwillinge  zeuge." 

„Der  Bericht  Kolbens  macht  allerdings-  den  Eindruck  der  Wahrheit, 
denn  er  spricht  als  ehrlicher  Augenzeuge,  und  es  scheint  auch  kaum  möglich, 
daß  er  die  Beschneidung  und  Kastrierung  miteinander  verwechselt  habe; 
er  hat  nicht  bloß  einer  Operation  persönlich  beigewohnt,  sondern  auch  öfter 
die  Narben  bei  jungen  Hottentotten  betrachtet.  Spätere  Beobachter  melden 
dagegen  nichts  davon,  daß  die  Hottentotten  die  Kastration  üben.  Schon  Le 
Vaillant  widerspricht  der  Angabe  Kolbens,  die  er  für  nichts  als  eine  Fabel 
erklärt:  allein  auch  er  fand  bei  einem  Hottentottenvolke,  die  er  Gheyssiquois 
nennt,  den  Gebrauch  der  Halb  verschneidung  vor.  welche  auf  zweierlei 
Weise  fast  immer  vom  Vater  am  Neugehornen  verrichtet  wird.  —  Man  darf 
demnach  die  Sache  durchaus  nicht  gänzlich  in  Abrede  stellen.  Und  wenn 
bereits  Sparrmann  ')  die  Verschneidung  der  Hottentottenknaben  für  un- 
begründet erklärt,  wenn  auch  G.  Fritseh  vermuten  möchte,  daß  Kolben  be- 
logen wurde,  und  demselben  die  Entfernung  des  Hodens  statt  der  der  Vor- 
haut aufgebunden  worden  sei,  so  liegt  doch  die  andere,  wohlberechtigte 
Annahme  für  uns  vor.  daß  wenigstens  früher  bei  einem  Teile  der  Hotten- 
tottenstämme  Kastration  geübt,  später  unterlassen  worden  sei.  Es  ist  ja 
auch  bei  den  Kaffern  und  anderen  Völkern  der  Brauch  der  Beschneidung  in 
Abgang  gekommen." 

Zu  diesen  Darlegungen  in  der  2.  Auflage  sei  bemerkt,  daß  auch  Richard 
Andree  im  Hinweis  auf  Sparrmann  und  Fritseh  die  Behauptung  Kolbens  be- 
zweifelt. Trotz  alldem  scheint  dieser  Zweifel  nicht  ganz  berechtigt  zu  sein. 
Denn  wenn  Sparrmann  ungefähr  70  Jahre  nach  Kolben  den  Brauch  nicht 
vorfand,  so  kann,  gesetzl  auch,  daß  es  sich  um  ein  und  dieselben  Stämme 
handelt,  der  holländische  Kintluß  innerhalb  dieser  Zeit  wohl  zur  Unterlassung 
der  Kastration  geführt  haben.  Der  Zeitraum  aber  zwischen  Kolben  und  Fritseh 
ist  so  bedeutend,  daß  beispielsweise  auch  die  hottentottische  Werbeform  Ver- 
änderungen*) aufweist.  Zu  Kolbens  Zeit.  d.  h.  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts, 
wurde  kein  Hottentottenmädchen  zur  Annahme  eines  ihr  unlieben  Werbers 
gezwungen;  nach  Fritseh  winde  in  der  2.  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  keines 
mehr  um  ihre  Zustimmung  gefragt8). 


Sparrmann:  Reise  nach  dem  Vorgebirge»  der  guten  Hoflnung.     S.  173.    Berlin  1784. 
•i  M.  Feier  Kolb,  Capul  bonae  spei  hodiernum.    S.  424,  426  f.  und  451  ff.  Nürnberg  1719. 
;tl   Vgl.  die  spätere  Anzweiflung  der  früheren  SchädeldeformatiOD  auf  den  Philippinen  in 
Kap.   XXXVI. 


§  248.     Knabenbeschneidung  bei  Semiten  und  Iraniern.  157 

Übrigens  steht  ja  die  südafrikanische  Exstirpation  des  einen  Hodens  nicht 
vereinzelt  da.  Zu  den  schon  erwähnten  Bedjas  kommen  Mikronesier  und 
Polynesien 

Die  Mikronesier  auf  Pouape,  östliche  Karolinen-Insel,  exstirpieren, 
Avie  Otto  Finsch  berichtet,  mittels  eines  geschärften  Stückes  Bambus  den 
Knaben  im  7.  bis  8.  Jahre  den  linken  Hoden.  Dies  soll  deshalb  ge- 
schehen, weil  man  dadurch  einer  möglichen  Orchitis  (Hodenentzündung')  für 
immer  vorzubeugen  meint,  und  dann,  weil  die  Mädchen  einhodige  Männer 
schöner  und  begehrlicher  finden.  Finsch  habe  die  Bestätigung  von  zu- 
verlässiger Seite. 

Der  gleiche  Brauch  herrscht,  wie  Wright  angibt,  bei  den  Polynesiern  auf 
Niuatabutabu.  einer  der  Freundschaftsiuseln,  wo  fast  jeder  über  20  Jahre 
alte  junge  Mann  nur  einen  Hoden  besitzt.  Knaben  von  12 — 14  Jahren  wett- 
eifern darin,  gemeinschaftlich  zu  einem  Operateur  zu  gehen,  und  jeder  will, 
um  mutig  zu  erscheinen,  der  Erste  zur  Operation  sein.  Auch  hier  verhindert 
die  Halbkastration  nach  der  Auffassung  der  Eingebornen  Krankheiten,  be- 
sonders der  Geschlechtsorgane. 

§  248.     Kiiiibenbesehneidimg  bei  Semiten  und  Iraniern. 

Nach  Mos.  17.  10  —  14  sprach  Gott  zu  Abraham '):  ..Dies  ist  mein  Bund, 
•den  ihr  halten  sollet,  zwischen  mir  und  zwischen  euch,  und  zwischen  deinem 
Samen  nach  dir,  daß  alles  Männliche  bei  euch  beschnitten  werde.  Ihr  sollet 
nämlich  das  Fleisch  euerer  Vorhaut  beschneiden;  und  das  soll  sein  das  Zeichen 
des  Bundes  zwischen  mir  und  zwischen  euch.  Wenn  es  acht.  Tage  alt  ist, 
soll  alles  Männliche  bei  euch  beschnitten  werden  in  euren  Geschlechtern,  sowohl 
der  Hausgeborne,  als  der  um  Geld  Erkaufte  von  irgendeinem  Fremden,  der 
nicht  von  deinem  Samen  ist.  Beschnitten  soll  der  Hausgeborne  werden,  und 
der  um  Geld  Erkaufte.  So  soll  mein  Bund  an  einem  Fleische  sein  ein  ewiger 
Bund.  Ein  unbeschnittener  Männlicher  aber,  bei  dem  das  Fleisch  seiner  Vor- 
haut nicht  beschnitten  ist  —  ausgerottet  soll  eine  solche  Seele  werden  aus 
ihrem  Volke,  denn  er  hat  meinen  Bund  gebrochen." 

Dieses  Bundeszeichen  wurde  von  den  alttestamentlichen  Hebräern  im 
allgemeinen  festgehalten.  Nur  die'  40  Jahre  Wüstenleben  nach  ihrem  Auszug 
aus  Ägypten  machten  eine  Ausnahme,  so  daß  vor  der  Eroberung  Jerichos 
bereits  alle  jene,  die  beim  Auszug  aus  Ägypten  beschnitten  waren,  tot,  und 
nur  noch  Unbeschnittene  im  Lager  waren.  Josua  holte  das  Versäumte  auf 
Befehl  Jahves  nach.  , .Nachdem  nun  alle  beschnitten  waren,  blieben  sie  an 
demselben  Lagerorte,  bis  sie  geheilt  waren.  Da  sprach  der  Herr  zu  Josue: 
„Heute  habe  ich  die  Schmach  Ägyptens  von  euch  hinweggenommen '-'). 
Und  jener  Ort  war  Galgala  genannt,  bis  auf  den  gegenwärtigen  Tag." 
(Jos.  5.) 

Später,  unter  der  Herrschaft  der  Seleuciden,  wurde  die  Treue  der 
Juden  auf  eine  harte  Probe  gestellt:  Antiochus  Epiphanes,  der  im  Jahre 
174  v.Chr.  den  syrischen  Thron  bestieg,  wollte  der  religiösen  und  nationalen 
Sonderstelluno;  der  Juden  ein  Ende  machen.     Zu  seinen  Gewaltmaßregeln  ge- 


l)  Über  Herotlols  Ansicht,  die  Juden  hätten  die  Beschneidung  von  den  Ägyptern, 
und  Rawlinsons  Stellung  zu  dieser  Ansicht  vgl.  d.  f.  Paragraphen. 

-i  Diese  Stelle  kommentierte  Augustin  Arndt  S.  J.:  ,,.  .  .  die  Vorhaut,  wodurch  ihr  den 
Ägyptern  wie  allen  Heiden  ähnlich  wäret;  leget  nun  aber  auch  allen  heidnischen  Sinn  ab." 
Aber  die  Ägypter  selbst  übten  damals  die  Beschneidung,  wie  wir  später  erfahren  werden. 
Floß  meinte  im  Hinweis  ..auf  Trusen,  es  sei  hier  der  „gemeine"  Ägypter  gemeint,  da  die 
Krieger  und  Priester  der  Ägypter  durch  Beschneidung  ausgezeichnet  gewesen  seien,  oder  die 
Bibelstelle  sei  falsch  verstanden.  —  Nach  Raivlinson  wurde  freilich  auch  der  „gemeine" 
Ägypter  beschnitten  (vgl.  S.  170). 


jgg  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

hörte  auch  die,  daß  alle  Jüdinnen,  welche  ihre  Söhne  beschneiden  ließen, 
sowie  alle,  welche  die  Beschneidung  ausübten,  getötet  wurden.  „Und  man 
hing  die  Knäblein  an  ihren  Hals  in  allen  ihren  Häusern  (1.  Machab.  IV. 
Viele  Juden  zogen  damals  in  ihrer  Treue  gegen  Jahve  den  Tod  vor;  aber 
einige  unterwarfen  sich  dem  König  und  erhielten  von  diesem  die  „Gewalt, 
die  Satzungen  der  Heiden  zu  üben.  Sie  bauten  also  eine  Übungsschule  in 
Jerusalem  nach  dem  Brauche  der  Heiden.  Und  sie  stellten  sich  die  Vorhaut 
wieder  her1),  fielen  von  dem  heiligen  Bunde  ab,  schlössen  sich  an  die  Heiden 
an,  und  verkauften  sich  dazu,  böses  zu  tun"  (ebenda). 

Diese  Wiederherstellung  der  Vorhaut  bestand  nach  Ploß'*)  darin,  daß 
der  von  der  Beschneidung  gebliebene  Best  der  Vorhaut  künstlich  vorgezogen 
und  allmählich  verlängert  wurde. 

Um  der  Wiederholung  einer  solchen  äußeren  Verleugnung  des  Bundes 
mit  Jahve  vorzubeugen,  verordneten  die  Talmudisten  das  Einreißen  der 
Vorhaut,  wodurch  die  Eichel  völlig  entblößt  wird.  Ursprünglich  habe  die 
Operation  wahrscheinlich  nur  in  einem  Querschnitt  („Chituch")  bestanden, 
welcher  den  vorderen  Teil  der  Vorhaut  ringsum  loslöste,  worauf  der  Best 
hinter  die  Eichel  zurückgeschlagen  wurde,  während  der  von  den  Talmudisten 
eingeführte  zweite  Akt  auch  noch  eine  Längsspaltung  der  Vorhaut  („P'riah") 
erfordert. 

Ein  zweiter  Ansturm  auf  die  Beschneidung  der  Juden  ist  aus  dem 
kaiserlichen  Koni  bekannt.  Hadrian  stellte  sie  gleich  der  Kastration3) 
unter  das  Mordgesetz  (wohl  aus  Mißverständnis,  meinte  Mommsen).  Bald 
nachher  wurde  jedoch  die  Beschneidung  von  Pins  wieder  für  Kinder  jüdischer 
Herkunft  gestattet,  während  die  der  Proselyten  für  alle  Beteiligten  die  Strafe 
der  Kastration  nach  sich  ziehen  sollte. 

Als  Operateure  erscheinen  im  alten  Testament  nicht  nur  Männer; 
auch  die  Gattin  des  Moses  beschneidet  ihren  Sohn.  Das  von  ihr  benutzte 
Instrument  ist  ein  scharfer  Stein.  Abraham  und  Josua  hatten  Steinmesser4). 
Später  waren  Glas  und  andere  schneidende  Werkzeuge  gestattet;  Pflauzen- 
rohr  war  verboten;  als  am  geeignetsten  empfahl  man  Instrumente  von  Eisen 
(Messer  oder  Schere). 

Einzelheiten  über  die  Ausführung,  bzw.  den  Eitus  der  Operation  bei 
den  alttestamentlichen  Juden  scheinen,  außer  dem  früher  bemerkten  „wahr- 
scheinlichen" Querschnitt,  nicht  bekannt  zu  sein;  bei  den  neuzeitlichen  Juden 
verläuft  sie,  wenn  die  Beschneidung  in  der  Familie  stattfindet,  im  allgemeinen 
folgenderweise. 

Nachdem  die  nötigen  Vorbereitungen  getroffen  worden,  der  Mohel  (Be- 
schneide!), der  Gevatter  und  womöglich  zugleich  acht  männliche  Personen, 
die   das  Alter   von    mindestens   13  Jahren   haben,    im  Operationszimmer  ver- 


')   Weil  sie  beim  Ringen  nackt  erscheinen  mußten  (Arndt). 

')  2.  Aufl.  I,  3-17.  Floß  wies  auf  die  ausführliche  Beschreibung  dieser  Gegenoperatioo 
bei  Cclsus,  De  arte  medica  VII,  c.  25  hin. 

i    Uso  war  der  Kustrate  im  Grunde  ein  sozial  Toter,  weil  er  nicht  mehr  zeugen  konnte. 

4)  Hierzu  bemerkte  l'loß  (2.  Aufl.  I,  348):  „Die  Benutzung  des  Messers  von  Stein 
deutet  auf  eine  srlu-  liiihe  Herkunft  der  Sitle  aus  einer  Periode,  in  welcher  noch  die  Stein- 
werkzeuge  im  Gebrauch  waren  (Steinzeit).  Und  wie  sehr  viele  Völker,  die  schon  längst  in 
die  Metallzeil  eingetreten  sind,  noch  immer  zu  gewissen,  durch  ihr  Alter  geheiligten  Hand- 
lungen sich  der  ganz  außer  sonstigen  Gebrauch  gekommenen  Steinwerkzeuge  bedienen,  so- 
hielten  die  Juden,  vielleicht  auch  diejenigen  ägyptischen  Kasten,  welche  die  Beschneidung 
übten,  das  Steinmesser  für  ein  notwendiges  Requisit  dieser  Operation.  Schon  der  Dmstand, 
daß  an  den  beiden  betreffenden  Bibclstcllcn  ausdrücklich  das  Messer  als  Sleinmesser  be- 
zeichnet wird,  wählend  auch  bei  den  alten  Ägyptern  der  erste  Schnitt  in  die  einzubal- 
samierende Leiche    mit  einem   Steinmesser  geschehen  mußte,   ist  bemerkenswert." 


§  248.     Knabenbesehneidung  bei  Semiten  und  Iraniern.  159 

sammelt  sind,  nimmt  der  Gevatter  das  Kind,  welches  die  Gevatterin  ihm  zu- 
trägt, an  der  Tür  in  Empfang  und  führt  es  dem  Mohel  zu,  während  die 
andern  rufen:  „Gesegnet  sei  der  Ankömmling!"  Das  fest  eingehüllte  Kind 
wird  so  gelagert,  daß  der  Penis  leicht  zugänglich  ist,  und  nachdem  eine  kleine 
Schüssel  mit  Sand  in  dessen  Nähe  gestellt  worden,  spricht  der  Mohel  ein 
hebräisches  Gebet  und  vollführt  hierauf  den  Schnitt  (Chituch).  Er  faßt  das 
Glied  mit  dem  Daumen  und  Zeigefinger  der  linken  Hand,  macht  einige  gelinde 
Friktionen,  um  eine  Erektion  zu  erwecken;  faßt  sodann  mit  der  äußeren 
zugleich  die  innere  Lamelle  der  Vorhaut  zu  beiden  Seiten  (nicht  von  oben 
nach  unten)  und  zieht  sie  glatt  gedrückt  über  die  Eichel  hinweg,  indem  er 
zugleich  die  Hand  in  die  Höhe  hebt  und  dadurch  dem  Gliede  eine  senkrechte 
Stellung  gibt.  Der  Mohel  faßt  nun  mit  dem  Daumen  und  Zeigefinger  der 
rechten  Hand  ein  Zünglein,  schiebt  in  dessen,  von  oben  nach  unten  zu 
richtende  Spalte  die  Vorhaut  so,  daß  die  Eichel  hinter  dieser  Platte, 
und  die  abzutragende  Vorhaut  vor  derselben  zu  stehen  kommt  und  in  sie 
eingeklemmt  wird.  Jetzt  faßt  er  mit  den  drei  ersten  Fingern  der  rechten 
Hand  das  Messer  so,  daß  es  auf  dem  Mittelfinger  ruht,  der  Zeigefinger  auf 
dem  Rücken  des  Messers  und  der  Daumen  auf  dessen  Stiel  aufliegt;  mit  einem 
Zug  von  oben  nach  unten  schneidet  er  den  vor  der  Platte  stehenden,  mit  der 
linken  Hand  gehaltenen  Vorhautteil  knapp  an  derselben  ab.  Ist  nach  dieser 
Vorschrift  genau  verfahren,  so  ist  nach  vollendetem  Schnitte  die  äußere  Lamelle 
der  Vorhaut  bis  über  die  Krone  der  Eichel  zurückgezogen,  die  Eichel  noch 
von  der  inneren  Lamelle  der  Vorhaut  bedeckt,  sie  an  ihrer  Spilze  abgeschnitten 
und  hat  eine  Öffnung  von  der  Größe  einer  Erbse.  Hierauf  folgt  die  Ent- 
blößung der  Eichel  (P'riah).  Gleich  nach  vollführtem  Schnitte  setzt  der  Mohel 
die  Spitze  seines  Daumennagels  (der  in  der  Regel  lang  und  lanzettförmig  zu- 
geschnitten ist),  oder,  wie  jetzt  fast  allgemein  üblich,  eine  lanzettenartige 
Schere,  in  die  Mündung  des  inneren  Blattes  der  Vorhaut,  faßt  sie  damit  durch 
Beihilfe  der  beiden  Zeigefinger,  spaltet  sie  auf  dem  Rücken  der  Eichel  mittels 
Schützens  bis  auf  die  Krone  und  schiebt  die  aufgeschlitzte  Vorhaut  über  die 
Krone  hinweg.  Schließlich  reißt  der  Mohel,  indem  er  beiderseits  die  durch 
den  Schnitt  gebildeten  Vorhautlappen  mit  Daumen  und  Zeigefinger  faßt,  die 
ganze  Vorhaut  rings  um  die  Korona  der  Eichel  ab1)-  Nun  folgt  das  Aus- 
saugen der  Wunde  (M'ziza)  auf  die  Weise,  daß  der  Mohel  das  beschnittene 
Glied  in  seinen  Mund  nimmt  und  durch  zwei  bis  drei  Züge  das  Blut  aus  der 
verwundeten  Stelle  aussaugt2).  Er  nimmt  sodann  aus  einem  Becher  einen 
Mund  voll  Wein  und  spritzt  ihn  in  zwei  bis  drei  Teilen  auf  die  Operations- 
wunde. Hierauf  spricht  der  Mohel,  der  die  abgetragene  Vorhaut  auf  den  be- 
reitstehenden Sand  legt,  über  einen  zweiten  Becher  Wein  einen  Segen  und 
verrichtet  ein  kurzes  Gebet  für  das  Kind.  Die  Blutung  ist  meist  gering  und 
wird  durch  Aufstreuen  eines  Pulvers  von  Lycoperdon  Bovista  gestillt.  Schließ- 
lich wird  ein  einfacher  Verband  angelegt. 

Nach  Ploß  (2.  Aufl.  I,  350)  ist  der  Brauch,  die  Beschneidung  in  der 
Synagoge  vorzunehmen,  jetzt  abgekommen.  Den  damit  verbundenen  Ritus 
(früherer  Zeit?)  schilderte  er  folgenderweise:  Gewöhnlich  findet  die  Be- 
schneidung nach  dem  Morgengebet  in  Gegenwart  von  wenigstens  zehn  Personen 


*)  Terquem  hat  seinerzeit  zur  Ausführung  dieses  zweiten  Akts  der  Beschneidung  ein 
eigenes  Instrument  (Posthetom)  beschrieben,  eine  Schere  mit  einer  durchgehends  stumpfen 
Klinge,  deren  eine  Seite  leicht  konkav-  ist.  Damit  wird  die  Vorhaut  ein-  und  dann  abge- 
schnitten. Durch  dieses  kunstgerechtere  Verfahren  ersetzt  man  häufig  das  Ein-  und  Abreißen 
der  Vorhaut  mittels  des  Daumennagels  und  der  Finger.  (Terquem,  Die  Beschneidung  usw. 
Magdeburg  1844.  Bei  Ploß  I,  349  Anm.)  —  In  Budapest  dürfen  seit  1880  nur  graduierte 
Ärzte  die  rituelle  Zirkumzision  der  Juden  ausüben. 

*)  Vgl.  die  Ausscheidung  dieses  Brauches  auf  S.  160. 


KjO  Kapitel   XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

statt.  Neben  den  Schrank  mit  den  Gesetzesrollen  stellt  man  den  Eliasstuhl1). 
Knaben  bringen  auf  den  lauten  Ruf  eines  der  Anwesenden  die  zum  Ritus  ge- 
hörenden Werkzeuge,  eine  brennende  Fackel,  das  Messer,  Pulver  zum  Streuen 
auf  die  Wunde,  ein  Band,  die  Wunde  zu  verbinden,  einen  Becher  Wein,  eine 
Schüssel  mit  Öl  und  eine  andere  voll  Sand  und  stellen  sich  nahe  an  den  Be- 
sehneider. An  der  Tür  der  Synagoge  empfängt  der  Gevatter  das  Kind  aus 
•den  Händen  der  Gevatterin  und  bringt  es  zur  Versammlung,  wobei  der  Mohel 
ruft:  „Gesegnet  sei  der  Ankömmling!"  Diese  Worte  wiederholt  die  ganze 
Versammlung.  Dann  legt  jener  das  Kind  auf  seinen  Schoß,  der  Beschneider 
nimmt  es  aus  den  Wickeln,  dehnt  die  Vorhaut  und  bringt  sie  in  die  Spalte 
einer  Klammer  oder  nimmt  sie  einfach  zwischen  die  Finger  und  drückt  sie 
zurück.  Indem  er  das  Messer  ergreift,  ruft  er  mit  lauter  Stimme:  „Gelobet 
seist  Du,  Herr,  unser  Gott,  König  der  Welt,  der  Du  uns  geheiligt  durch  Deine 
Gebote  und  uns  die  Beschneidung  befohlen  hast."  Bei  dem  letzten  Wort 
schneidet  er  die  Vorhaut  weg  und  wirft  sie  in  das  Gefäß  mit  Sand.  Um  das 
Blut  etwas  zu  stillen,  nimmt  er  einen  Schluck  Wein,  bespritzt  damit  die 
Wunde,  wenn  das  Kind  schwach  wird,  auch  dessen  Gesicht,  und  zerreißt  dann 
mit  seinen  Nägeln  (jetzt  mit  einem  eigens  dazu  eingerichteten  Instrument) 
die  innere  .Membran  der  Vorhaut;  darauf  satlgt  er,  wahrscheinlich  um  Ent- 
zündung zu  verhüten,  dreimal  das  Blut  aus  (was  gegenwärtig  in  den  zivili- 
sierten Staaten  nicht  mehr  geschieht)2)  und  spuckt  es  in  das  Gefäß  mit 
Sand.  Nun  verbindet  er  das  Kind  mit  Linnen,  wickelt  es  wieder  ein  und 
wäscht  sich  Mund  und  Hände.  Der  Gevatter  stellt  sich  mit  dem  Kinde 
ihm  wieder  gegenüber,  und  der  Beschneider  beschließt  die  Handlung  mit 
einem  Gebete,  daß  Gott  das  Kind  am  Leben  erhalten  wolle  und  den  Eltern 
viel  .Freude  gewähren  möge3). 

Stirbt  ein  Knabe  vor  dem  achten  Tage,  so  beschneidet  man  ihn  im  Sarge 
über  dem  Grabe,  damit  er  die  Vorhaut  nicht  mit  in  das  Grab  bringe  und  ihm 
solches  zur  Sünde  gerechnet  werde;  auch  wird  ihm  ein  Name  beigelegt*). 

Abweichungen  von  diesen  Bräuchen  liegen  in  den  folgenden  Mitteilungen 
aber  die  Karäer  und  die  Falaschen  vor. 

Von  der  jüdischen  Sekte  der  Karäer  in  der  Krim  schreibt  S.  Weißen- 
berg: Sie  lassen  ihre  Knaben  am  achten  Tage  nach  der  Geburl  besehneiden. 
Die  Beschneidung  besteht  bei  ihnen  aber  nur  in  einem  Akte,  der  Milah  oder 
eigentlichen  Beschneidung,  ohne  die  bei  den  .luden  üblichen  Pariah  und 
Mezzizah  (Einreißen  des  innern  Vorhautblattes  und  Blutaussaugen).  —  Dem- 
nach findet  das  Blutaussaugen  bei  den  Juden  der  Krim  noch  statt. 

Bei  «hu  Falaschas,  .luden  in  Abessinien,  welche  in  religiöser  Hin- 
sicht vortalmudisch  sein  sollen,  führt  der  Vater  selbst  die  Beschneidung  am 
.Milien  Tage  aus.  Die  Ansicht,  daß  die  Falaschas  Samaritaner  seien,  wird 
von  ■/.  TfaUvy  nichl  geteilt. 

Aber  nicht  nur  die  jüdischen  Einwohner  von  Abessinien,  sondern  auch 
die    christlichen    A  bessi  nier  •"')    üben    Beschneidung,    ohne    ihr   jedoch    eine 


')   Bei   der   Be  chneidung   im    Hause  benatzt   man  (nach  Floß)   zwei  Stühle:    den    einen 
für  den  Zeugen  odei   Gevatter,  den  andern  für   den   Elias,   welcher   nach   einer   rabbinischen 

Mißdeutung   von   Mich    ::.   I    1   mit  Bezug  auf  1.   Könige   19,   10  gegenwärtig  gedacht  ist. 

•'i  In   Rußland  scheint   es  aber  nach    Weißenbergs   Bemerkung  über  die  Karäer   und 
eigentlichen   .luden    doch    noch    Üblich   zu   sein.      Siehe   weiter  unten. 

;)    Bwx&orf,  Synag.  Judaic    M2 — 110.     Bauer,   Beschreib,  der   irnttesdicnstl.   Verfassung 
der  alten   I  tebi  ier   1 .  76 

l  Die  Beschneidung  nach  dem  Tod  kommt  auch  im  Islam  vor.  Leider  isl  nur  des 
Beleg  hierfür  abhanden  gekommen.  Nach  l'loß  ist  er  kabbalistischen  Ursprungs  und  bei  den 
.1  ud e u   keineswegs  allgeu 

i    Die  Abessinier  sind   somatisch  Mischlinge  aus  Negern,  Arabern   und   Agypto-Libyern ; 
iie  Sprache  betrifft,  so   ist   bei   ihnen   das  Semitische  vorherrschend. 


§  248.     jrlnabenbeschneidung  bei  Semiten  und  Iraniern.  161 

religiöse  Bedeutung  zuzuschreiben.  Der  eingeborne  König  Claudius  er- 
klärte in  seinem  christlichen  Glaubensbekenntnis  vom  Jahre  1555:  „Unsere, 
•der  Abessinier,  Beschneidung  ist  bloße  Landessitte,  wie  die  Einschnitte  im 
Gesichte  bei  anderen  Äthiopiern  und  den  Nubiern  sind,  und  wie  das  Durch- 
bohren der  Ohren  in  Indien;  wir  verrichten  die  Beschneidung  nicht  um 
des  mosaischen  Gesetzes  willen,  sondern  als  einen  bloßen  menschlichen  Ge- 
brauch." 

Auch  andere  Zweige  der  semitischen  Völkerfamilie  übten  oder  üben  noch 
den  Brauch  der  Beschneidung. 

Von  den  Assyrern  schrieb  Caspar  Hoffmann  im  17.  Jahrhundert:  Sie 
komprimierten  bei  Kindern,  die  der  Operation  der  Beschneidung  unterworfen 
werden' sollten,  die  Halsgefäße,  um  sie  dadurch  gegen  Schmerz  unempfindlich 
zu  machen.  Ferner  ist  die  Beschneidung  konstatiert  worden  bei  den  Phö- 
niziern, die  sie  n&d\  Herodot.  Diodor  und  Strähn,  wie  die  Syrier  in 
Palästina1),  von  den  Ägyptern  erhalten  haben. 

Erst  nach  ihrer  A'erbindung  mit  den  Griechen  sollen  die  Phönizier 
den  Brauch  der  Beschneidung  aufgegeben  haben. 

Den  Edomitern  (Idumäern),  Nachkommen  Esaus  und  somit  Abrahams. 
Feinde  Israels,  wurde  die  Beschneidung  im  Jahre  129  v.  Chr.  von  Johannes 
Hi/rkanus  aufgenötigt  (Ploß,  2.  Aufl.  I,  343). 

Beschneidung  übten  ferner2)  die  Ammoniter,  Nachkommen  Amnions, 
«•in  Solm  des  Lot  und  Neffe  Abrahams,  welche  die  Bibel  gleichfalls  als 
Feinde  Israels  erwähnt  und  sie  schließlich  durch  Judas,  den  Machabäer,  ver- 
tilgen läßt. 

Desgleichen  wird  von  den  Moabitern,  Nachkommen  Moabs,  eines  anderen 
Huhnes  von  Lot,  Besclineidung  erwähnt.  — 

Die  Samariter  waren  bekanntlieh  ein  Mischvolk  aus  assyrischen 
Kolonisten  und  der  einheimischen  altisraelitischen  Bevölkerung3).  Von  ihren 
Nachkommen  des  19.  Jahrhunderts  schrieb  K.  Petermann,  daß  sie  ihre  Söhne 
am  8.  Tage  nach  der  Geburt  beschneiden.  Die  Operation  wird  von  dem 
Priester  vorgenommen,  nachdem  er  einige  Gebete  verrichtet  hat,  Hierauf  wird 
ihm  vom  Vater  des  Kindes  der  diesem  zu  erteilende  Namen  mitgeteilt;  er 
spricht  den  Segen;  der  Knabe  wird  beschenkt  und  die  Anwesenden  vom 
Vater  bewirtet. 

Die  Philister,  obgleich  Semiten,  hatten  den  Brauch  der  Beschneidung 
nicht  (Ploß,  2.  Aufl.  I,  344). 

Eine  eingehende  Schilderung  der  Beschneidungsbräuche  im  heutigen 
Arabia  Petraea  liegt  mir  von  Musil  vor. 

Die  Operation  wird  am  liebsten  an  einem  Montag  vorgenommen.  Doch 
darf  dieser  Montag  nicht  auf  den  6.,  16.,  7.,  17.,  9.,  19.  und  21.  Tag  im 
Monat  fallen.  Am  besten  ist  es,  wenn  er  auf  den  1.  oder  15.  Tag  fällt; 
Mittwoch  und  Donnerstag  gelten  als  Unglückstage.  Der  Beschneidung  geht 
eine  Vorfeier  voraus,  welche  in  der  Nacht  von  Mittwoch  auf  Donnerstag  oder 
von  Donnerstag  auf  Freitag  beginnt.  Die  Mutter,  Schwester  oder  nächste 
Verwandte  befestigt  vor  der  Mitte  des  Zeltes  eine  Lanze  oder  Stange  mit 
weißem  Mindil  und  einer  Straußfeder,  wobei  sie  spricht:  „Diese  Fahne  ist 
um  Gottes  willen  (aufgestellt)."  Bei  dem  Stamme  der  Tijäha  werden 
auch  noch  bunte  Bänder  beigebuuden.  Die  Fahne  bleibt  einen  Monat  hängen. 
Sobald  sie  angebracht  ist,  lassen  die  Frauen  ihr  Zarärit  hören  und  stimmen 


>)  Vgl.  S.  169. 

2)  Nach  Ploß  und  Dapper. 

3)  Die  assyrische  Kolonie  in  Samaria  datiert  von  720  v.  Chr. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  11 


162  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen, 

dann   Lieder  an,  von   denen  hier  aus   Musils  Übersetzung  in  seiner  „Arabia 
Petraea"  nur  das  folgende  erwähnt  sei: 

„0  wie  schuf  unser  Herr  im  Stamme  schöne  Menschen! 

Und  der  Verstand  ist  wie  die  Edelsteine;  wer  ihn  hütet,  hat  Ruhe."  — 

„O  (die   Fahne)  eurer  Beschneidung,  die  aufgepflanzt, 

wir   alle  freuen   uns  deshalb: 

Genug  gibt  es  für  alle   Wanderer 

und  für  jeden,  der  vor  ihm  (?)  erscheint."  — 

„Habe  ich  dir  nicht  gesagt,   o   Augapfel, 
steig  nicht  (auf  den  Hügel)? 
Es  würden  dir  sicher  erscheinen  deine  Freunde, 
und  deine  Tränen  würden  fließen.'-  — 

Am  Abend  ladet  einer  der  Väter,  dessen  Kind  beschnitten  werden  soll, 
zum   Essen  ein.     Vor  dem  Zelte  tanzt  und  singt  die  Jugend: 

..Wir  wollen   euch  hüten 
vor  dem  Schneidenden; 
wir  wollen   euch  hüteH. 

Schneide,  o  Schneidender, 
mache   nicht    Wehe   dem   N., 
Schneide,  o  Schneidender! 

Gib   acht   auf  das   Rohr, 

o  mein  Liebling, 

gib  acht  auf  das  Rohr."   — 

An  jedem  der  folgenden  Abende  fällt  die  Pflicht  der  Bewirtung  auf  einen 
anderen  der  Väter,  welche  Beschneidungskandidaten  haben.  Am  Montag,  dem 
Beschneidungstage,  wäscht  man  die  Kinder,  legt  ihnen  weiße  Hemden,  lange 
rote  Röcke  und  rote  Kopftücher  um  und  fuhrt  sie  in  ein  großes  Zelt,  welches 
zu  diesem  Zweck  an  einem  hervorragenden  Platze  errichtet  und  vor  dem 
gleichfalls  eine  Fahne  aufgepflanzt  worden  ist.  Bei  dem  Hwetät-Stamm  läuft 
der  Knabe  vor  der  Beschneidung  mit  einem  Säbel  dem  zum  Opfer  bestimmten 
Tiere  nach  und  zerschneidet  ihm  die  Seimen  der  Hinterfüße,  worauf  es  sofort 
geschlachtet  wird.  In  dem  Zelte  reinigt  man  den  Kindern  die  Füße  und  setzt 
jedes  auf  einen  großen  Stein  oder  auf  eine  Handmühle.  Dann  schließt  man 
das  Zell,  in  dem  sich  der  Besehneider  und  die  nächsten  männlichen  Ver- 
wandten der  Knaben,  oder  die  Beschneiderin  und  die  nächsten  weiblichen 
Verwandten  der  Mädchen  befinden.  Alle  müssen  rein  sein,  d.  h.  sie  durften 
in  der  letzten  Nacht  keinen  geschlechtlichen  Umgang' gepflogen,  nicht  innerhalb 
der  letzten  10  Tage  etil  blinden  haben  und  nicht  menstruieren.  Beim  Betreten 
des  Zeltes  ruft  der  Beschneider  die  Sünde  des  zu  Beschneidenden  auf 
seinen  eigenen  Nacken  herab  und  trägt  dessen  Vater  oder  Bruder  oder 
Vormund,  was  sie  ihm  schenken.  Die  Antwort  lautet  auf  eine  Stute  oder 
eine  Kamelin,  und  das  betreffende  Tier  gehört  dem  Knaben  von  nun  an  auch 
tatsächlich. 

Dieses  äov  e  das  folgende  Geschenk  scheint  nur  für  Knaben  zu  sein. 

Furchtsame  Knaben  weiden  angeleitet,  einen  der  anwesenden  Verwandten 
anzurufen,  was  sie  mit  der  Formel  tun:  „Unter  deinen  Schirm,  o  Oheim  N. 
(oder  Vetter  N.il"  Der  Angerufene  tröstet  ihn  dann  mit  einer  Kamelin,  oder 
einem  Schaf,   einer  Zi  oder   mit   seiner  Tochter  oder  Schwester.     Das  be- 

treuende Tier  gehört  nun  dem  Knaben,  und  das  in  Aussicht  gestellte  Mädchen 
gilt   als  seine   Kraut. 


§  2-18.     Knabenbesehneidung  bei  Semiten  und  lraniern.  163 

Während  der  Beschneidung  der  Knaben  stehen  deren  weibliche  Ver- 
wandte hinter  dem  verschlossenen  Zelte,  schlagen  mit  krummen  Messern  auf 
das  Zelttuch  und  lassen  ihre  Zaräritlaute  erschallen  zum  Schutze  des  Be- 
schnittenen vor  dem  bösen  Blick1).  Sie  bekommen  dafür  von  den  Vätern 
der  Knaben  kleine  Geschenke.  Nach  der  Operation  tragen  die  Frauen  das 
Kind  samt  dem  Stein  oder  der  Handmühle,  auf  dem  es  sitzt,  und  worauf  das 
Blut  geflossen,  unter  „Lu-lu-lu-lu-li-a" -Geschrei  dreimal  um  das  Zelt  herum. 
Dann  legt  sich  die  Mutter  oder  nächste  Verwandte  den  schweren  Stein  auf 
den  Kopf  und  hält  ihn  so  lange,  bis  der  Beschnittene  sagt:  „Wirf  ihn  ab 
und  was  du  wünschest,  das-  soll  geschehen.  Ich  gebe  dir  das  und  das."  Hierbei 
nennt  der  Knabe  etwas  von  dem  Eigentum  seines  Vaters,  was  hiermit  der 
Mutter  geschenkt  wird.  Dann  bringen  die  Verwandten  dem  Beschnittenen 
Geschenke,  zu  denen  beim  Tijäha-Stamm  ein  mit  roten  Bändern  geschmücktes 
und  von  vier  Frauen  geführtes  Kamel  gehört. 

Die  Zeremonie  endet  mit  chorweise  gesungenen  Liedern  der  Männer 
und  Weiber,  von  denen  ich  aus  Musils  Übersetzung  die  zwei  folgenden 
anführe: 

,,Neu  ist  dein  Kleid,  o  Hirt  des  Neuen! 
O,  er  möge  gesegnet  und  glücklich  sein! 
Seine  Beschneidung  sei  wie  ein  Festtag!"  — 

,,Gesegnet  sollst  du  sein,  o  du,  der2)  du  aufstelltes  die  Feder, 

gesegnet  sollst  du  sein,  und  das  Knäblein  soll  leben, 

gesegnet  sollst  du  sein  so  viel  mal  als  Bäume  im  Walde  sind!"   — 

Die  Beschneidung  selbst  besteht  im  Abschneiden  der  Vorhaut. 

Was  das  Alter  betrifft,  so  nennt  Musil  das  dritte  Lebensjahr  als 
das  am  wenigsten  gefährliche.  Doch  werden  in  Arabia  Petraea  auch  ältere 
Kinder  manchmal  dieser  Operation  unterworfen"). 

Von  den  arabischen  Bauern  (Gabili)  in  Yemen  berichtete  Manzoni, 
daß  sie  ihre  Söhne  mit  14  Jahren  beschneiden.  Mit  der  Operation  sind,  wie 
in  Arabia  Petraea,  Festlichkeiten  verbunden,  zu  denen  in  Yemen  Tänze  gehören. 
Der  Kandidat,  aufs  beste  gekleidet,  reitet,  von  seinen  Eltern,  Kaineraden  und 
von  Musikanten  begleitet,  wie  in  einem  Triumphzuge  auf  einem  Maulesel  durch 
den  Ort.  Bei  der  Moschee  angelangt,  erinnert  ihn  der  Iman  an  die  Wohltat, 
daß  er  der  wahren  Religion  angehöre,  und  läßt  ihn  das  Glaubensbekenntnis 
ablegen:  „Gott  allein  ist  groß.  Ich  bekenne,  daß  es  nur  Einen  Gott  gibt.  — 
Ich  bekenne,  daß  Mohammed  der  Prophet  Gottes  ist."  Nach  der  Operation 
wiederholen  alle  Anwesenden:  „Es  gibt  nur  Einen  Gott,  und  Mohammed  ist 
sein  Prophet."  —  Zur  Linderung  der  Schmerzen  wird  die  Asche  verbrannten 
Papieres  appliziert,  der  die  Araber  große  Heilkraft  zuschreiben.  Der  Operierte 
wird  ebenso  feierlich,  wie  er  ankam,  nach  Hause  begleitet,  wo  die  Familie 
drei  Tage  lang  offene  Tafel  hält,  zu  der  jedermann  willkommen  ist.  — 

Für  die  Städtebewohner  ist  nach  Manzoni  ein  Beschneidungstermin 
nicht  festgesetzt,  sondern  das  Alter  der  Kandidaten  wechselt  von  Stadt  zu 
Stadt.  Doch  sollen  sie  das  Pubertätsalter  nicht  überschritten  haben.  Wir 
sehen  hier  somit  als  äußerste  obere  Altersgrenze  ungefähr  jenen  Termin,  der 
den  Bauern  vorgeschrieben  ist.  Wie  der  Sohn  des  Bauern,  so  reitet  auch  der 
Sohn  des  Städters,  wenigstens  des  vermöglichen,  festlich  bekleidet,  mit  einem 
Gefolge  von  Eltern,  Freunden   und  Musikanten  zur  Moschee,  in  welcher  die 


])  Siehe  Kap.  VI. 

*)  Oder  .,die"  (?).     Vgl.   auf   S.  162   die   mit   einer  Straußenfeder  geschmückte  Lanze 
oder  Stange,   welche  die  Mutter,   Schwester  oder   nächste  Verwandte  vor  dem  Zelt  aufstellt. 
:,j  Musil  III,  219ff. 

11* 


]54  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Operation  stattfinden  soll.  Keiclie  Eltern  entfalten  dabei  einen  großen  Pomp. 
1  las  Reittier  des  Knaben,  ein  Maulesel,  Pferd  oder  Kamel,  ist  reich  an- 
geschirrt, und  seine  Schulkameraden  verbrennen  Benzoe,  Weihrauch  und  Aloe. 
Zur  Vorfeier  der  Beschneidung  verbringen  die  an  der  Prozession  teilnehmenden 
einen  großen  Teil  des  (vorhergehenden?)  Nachmittags  in  der  Moschee.  Auch 
das  Festmahl  wird  hier  bereits  vor  der  Operation  gegeben.  Nach  Beendigung 
des  Mahles  führt  der  „Barbier"  den  Knaben  in  einen  abgeschlossenen  Raum, 
beschneidet  ihn  hier  mit  einem  Rasiermesser  und  stillt  das  Blut  mit  adstrin- 
gierendem  Pulver.  Hierauf  wird  der  Beschnittene  von  den  Festgästen  mit 
lautem  Geschrei  begrüßt  und  beschenkt.  Acht  Tage  später  geleitet  man  ihn 
mit  großem  Pomp  ins  Bad. 

Nach  der  Manzoni  gegenüber  ausgesprochenen  Ansicht  der  städtischen 
Araber  in  Yemen  ist  die  Beschneidung  ein  sehr  verdienstlicher  Akt,  dem 
man  sich  unterwerfen  solle,  wenn  nicht  vernünftige  Dispensatiunsgründe  vor- 
handen seien.  Immerhin  könne  man  auch  ohne  Beschneidung  ein  sehr  guter 
Moslem  sein.  Im  Koran  findet  sich  nach  Manzoni  auch  nicht  ein  Wort  über 
die  Beschneidung. 

In  Dschauf1)  gilt  die  Zirkumzision  als^der  erste  Akt  der  Männlichkeit 
und  als  feierlicher  Eintritt  in  das  Kriegerleben.  Wer  den  Mut  nicht  hat, 
diese  Operation  als  Erwachsener  an  sich  vornehmen  zu  lassen,  gilt  als  Feigling, 
dessen  Berührung  dem  Gegner  Schmach  brächte  (Halevy). 

Aus  dem  südwestlichen  Arabien  erwähnte  ferner  Floß  (nach  Hilde- 
brandt)  den  Brauch,  die  Knaben,  bei  einigen  Stämmen  auch  die  Mädchen, 
am  7.,  14.,  21.  oder  anderem  mehrfach  siebenten  Tag,  oft  erst  mehrere  Monate 
nach  der  Geburt,  zu  beschneiden.  Der  Grund  der  Verzögerung  liege  in  den 
kostspieligen  Festlichkeiten,  welche  veranstaltet  werden  müssen. 

Eine  Beschneidunp;  außergewöhnlicher  Art  erwähnte  Niebuhr  von  einem 
Araberstamm  zwischen  Abu-Arisch  und  Hedschas,  also  gleichfalls  im  süd- 
westlichen Arabien,  der  aber  deu  übrigen  Arabern  als  ungläubig  gilt.  Hier 
wird  nicht  nur  die  Vorhaut  beschnitten,  sondern  man  macht  auch  einen  Längs- 
schnitt in  die  Haut  oben  auf  dem  Glied  und  löst  vom  Unterleib  ein  Stück 
Haut  ab.  Nach  ihren  Aussagen  geben  sie  dem  Kandidaten  eine  Lanze  in  die 
Hand,  die  er  auf  seinen  Fuß  aufsetzen  und  deren  oberste  Spitze  er  während 
der  ganzen  peinlichen  Operation  unverrückten  Auges  und  mit  angstloser  Miene 
anseilen  muß;  die  Lanze  selbst  darf  nicht  zittern.  Wer  dagegen  fehlt,  wird 
als  Feigling  verachtet;  denn  man  setzt  eine  große  Ehre  darein,  Qualen  stand- 
haft zu  eil  ragen.  Diese  Beschneidung  führt  bei  Erwachsenen  bisweilen  den 
Tod  herbei. 

Die  muselmanischen  Araber  und  Suaheli  in  Deutsch-Ostafrika  be- 
schneiden ihre  Knaben  etwa  im  12.  Lebensjahre  (nicht  schon  nach  der  Geburt). 
Meisl  werden  mit  dem  Herrensohn  auch  alle  etwa  gleichaltrigen  Sklaven- 
knaben  beschnitten.  Ein  Fest,  zu  dem  alle  Freunde  und  Bekannten  geladen 
werden,  schließt  sich  der  Operation  an.  Nach  der  Beschneidung  uilt  der 
Knabe  als  erwachsen  und  wird  bald  verheiratet  (H.  F.  ran    Behr), 

Eine  ausführliche  Beschreibung  der  Beschneidungsprozessionen  bei  den 
ibern  verschiedener  stände  in  Kairo  und  Oberägypten  gab  Lane.  Die 
der  mit  t  leren  und  höheren  Bürgerk lassen  schilderte  er  folgenderweise-): 
Der  Beschneidungskandidat  reitet  vor  der  Operation  auf  einem  schön  aus- 
staffierten, aber  vielfach  nur  geborgten  Pferd  durch  die  Straßen.  Er  tra>t 
einen    lohn    Kaschmir-Turban   und   möglichst    kostbare,    gleichfalls    geborgte 


')   II    i   wohl  ilas  Dschauf  im  südlichen  Yemen  gemeint. 
-)  ^1»      bi      davon  isl   uns  schon  aus  Yemen  bekannt. 


§  248.     Knabenbeschneidung  bei  Semiten  und  Iraniern.  165 

Frauenkleidung  und  Frauenschmuck1).  Beides  ist  ihm  gewöhnlich  viel 
zu  groß.  Mit  der  rechten  Hand  hält  er  sich  beständig  ein  zusammengelegtes 
gesticktes  Taschentuch  vor  den  Mund.  Ihm  voraus  schreitet  ein  Diener  des 
operierenden  Barbiers  und  drei  oder  mehr  Musikanten.  Die  Instrumente  der 
letztern  sind  eine  Hoboe  und  Trommeln;  der  Diener  trägt  das  Schild  (hheml) 
des  Barbiers,  d.  h.  einen  hölzernen  Halbzylinder  mit  vier  kurzen  Beinen, 
dessen  Bückseite  mit  einem  Vorhang  und  dessen  Vorderseite  mit  Spiegel- 
seheiben und  getriebenem  Kupfer  bedeckt  ist.  Das  Pferd  des  Knaben  wird 
von  einem  Burschen  geführt;  oft  sitzen  auch  zwei  Beschneidungskandidaten 
auf  einem  Pferde,  oder  es  lassen  sich  zwei  auf  je  einem  Pferd  zusammen  zur 
Mcischee  führen.  Hinter  dem  Reittier  schreiten  die  weiblichen  Verwandten 
und  Bekannten. 

Um  die  Kosten  zu  verringern,  verbindet  man  solche  Prozessionen  meist 
mit  einem  Hochzeitszug.  der  in  einem  solchen  Fall  von  dem  Beschneidungs- 
kandidaten  und  seinem  Gefolge  eröffnet  wird. 

Feierlicher  noch  gestaltet  sich  die  Sache  bei  den  Söhuen  der  Lehrer. 
Gelehrten.  Geistlichen  und  einzelneu  Reichen  Kairos.  Die  bei  diesen 
Ständen  üblichen  Umzüge  (Sira'  feh)  verlaufen  wie  folgt:  der  Beschueidungs- 
kandidat,  Knabe,  geht  am  Tage  der  Operation  kurz  vor  Mittag  zu  einer  der 
hervorragendsten  Moscheen  der  Stadt.  Ihn  begleiten  seine  festlich  gekleideten 
Mitschüler  und  die  männlichen  und  weiblichen  Mitglieder  der  Familie,  Ver- 
wandte und  Freunde  beiderlei  Geschlechtes;  die  Söhne  des  Scherifs  weiden 
bisweilen  auch  von  Soldaten  begleitet,  und  dazu  gesellt  sich  eine  Schar 
Fremder.  In  der  Moschee  verrichtet  man  die  Mittagsgebete,  und  nun  findet 
die  eigentliche  Prozession  von  der  Moschee  zum  elterlichen  Hause 
des  Kandidaten  statt.  Voran  schreitet  der  uns  schon  bekannte  Diener  des 
Barbiers  mit  dessen  Schild;  ihm  folgen  bisweilen  5  —  6  Lehrer  unter  Ab- 
singung eines  lyrischen  Gedichtes  zu  Ehren  des  Propheten:  hierauf  kommen 
paarweise  die  Schulknaben.  welche  abwechselnd  singen:  0  Nächte  der  Lust! 
0  Nächte  der  Freude!  -  Lust  und  Verlangen,  mit  Freuden  zusammen!  — 
Gewähre,  o  Herr,  das  klare  Licht!  -  -  Ahh'mad2).  den  Erwählten,  Haupt  der 
Apostel!!,'?)  — 

Der  YVechselgesang  setzt  sich  auf  dem  ganzen  Wege  fort.  Hinter  den 
Schulknaben  schreiten  die  männlichen  Verwandten  des  Beschneidungskandidaten: 
auf  sie  folgen  abermals  Knaben,  ca.  6  an  der  Zahl,  von  denen  drei  eine  silberne 
Flasche  mit  wohlriechendem  Wasser  aus  Bösen  oder  Orangeblüten  tragen, 
womit  sie  die  Zuschauer  besprengen.  Die  andern  drei  tragen  je  ein  silbernes 
Bauchgefäß,  worin  Benzoe,  Weihrauch  oder  andere  wohlriechende  Stoffe 
brennen.  Neben  diesen  Knaben  geht  ein  Mann  mit  einem  Wasserschlauch 
auf  dem  Rücken.  Der  Schlauch  ist  mit  einer  gestickten  Serviette  bedeckt, 
und  der  .Mann  reicht  den  Vorübergehenden  aus  dem  Schlauch  Wasser  in 
Metalltassen. 

Nach  diesem  Mann  und  den  erwähnten  Knaben  kommen  drei  Diener, 
von  denen  der  erste  eine  silberne  Kaffeekanne  in  einem  silbernen,  an  drei 
Ketten  hängenden  Gefäß  mit  brennenden  Kohlen  trägt;  der  zweite  hat  eine 
silberne  Platte  mit  10 — 1 1  Kaffeetassen  und  den  dazugehörigen  silberneu 
„zurfs",  d.  h.  eierbecherähnlichen  Gefäßen,  in  welchen  sich  die  henkellosen 
Kaffeetassen  befinden.  Der  Dritte  reicht  jedem  gut  gekleideten  Passanten 
eine   Tasse   Kaffee,    wofür   er   durchschnittlich   einen   halben    Piaster    erhält. 


J)  Nach  Ploß  (2  Aufl.  I.  ;55f>)  „vielleicht  zum  Zeichen,  daß  er  bis  zu  diesem  Moment 
noch  dem  Harem  angehört-.  Auch  ein  goldgesticktes  \Veiberkä[>pchen  setzt  man  dem  Knaben 
auf.  Doch  findet  die  weibliche  Verkleidung  nicht  immer  statt;  in  diesem  Fall  werden  die 
Kandidaten  mit  neuen  kostbaren  Männergewändern  bekleidet. 

2)  Ein  Titel  des  Propheten. 


lßg  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Auf  diese  Diener  folgen  die  Sha'wee  slies,  auf  welche  manchmal  eine 
zweite  Knabenabteilung  mit  Riechtiascben  und  Rauchgefäßen  kommt.  Hinter 
ihnen  trägt  ein  Knabe  die  vom  Lehrer  verzierte  Schreibtafel  des  Beschneidungs- 
kandidaten  an  einem  Tuch  um  den  Hals.  Jetzt  kommt  der  mootä  hir 
(Beschneidungskandidat)  selbst  zwischen  zwei  Knaben.  Er  ist  wie  die 
Bürgersöhne  (S.  165),  vom  Turban  abgesehen,  als  Mädchen  gekleidet,  trägt 
Weiberschmuck  und  hält  ein  gesticktes  Tuch  vor  den  Mund.  Hinter  ihm 
divin  kommen  die  Weiber  mit  schrillem  Freudengeschrei.  Ein  Weib  streut 
fortwährend  Salz  hinter  dem  Knaben  umher,  damit  er  vor  dem  neidischen 
bösen  Blick  bewahrt  bleibe. 

Vor  dem  Elternhause  angekommen,  singt  der  vorderste  Schalknabe: 
Du  bist  eine  Sonne!  Du  bist  ein  Mond!  Du  bist  Licht  über  Licht!  —  Die 
andern  fügen  bei:  0  Mohammed!  0  mein  Freund!  0  du  Schwarzäugiger!  — 
Unter  Wiederholung  dieser  Anrufung  des  Propheten  betreten  sie  das  Haus. 
wo  sich  der  Gesang  fortsetzt.  Während  die  Erwachsenen  (Männer)  unten 
bleiben,  steigen  die  Knaben  und  Frauen  die  Treppe  hinauf  und  rufen  wieder- 
holt: 0  du.  seine  Tante  väterlicherseits!  0  du.  seine  Tante  mütterlicherseits! 
Kommt!  richtet  zu  seiner  „Sirä  feh"  her.  — 

Beim  Betreten  des  Hauptgemaches  des  Harems  gibt  man  den  Knaben 
einen  Kaschmir-Schal,  den  sie  an  den  Bändern  halten  müssen  und  in  dessen 
Mitte  die  verzierte  Schreibtafel  des  Kandidaten  gelegt  wird.  Dieser,  sowie 
die  Weiber  und  der  'ari'f  (ein  Knabe,  der  in  der  Schule  Aufsicht  hat)  steheu 
dabei  und  nun  singt  dieser  abwechselnd  mit  den  andern  Knaben  teils  religiöse 
und  ernste,  teils  komische  Verse:  Lob  sei  Gott,  dem  mächtigen  Schöpfer!  — 
Der  Sonne,  dem  Vergeber,  dem  Erhalter!  —  Er  kennt  die  Vergangenheit  und 
Zukunft.  --  und  verschleiert  die  Dinge  mit  Dunkelheit.  —  Erkennt  den  Weg 
der  schwarzen  Ameise,  und  ihr  Werk,  —  wenn  wach  im  Finstern.  —  Er  bildete 
und  errichtete  des  Himmels  Gewölbe,  --  und  breitete  die  Erde  aus  über  des 
Meeres  Salz.  —  Möge  er  diesem  Knaben  langes  Leben  und  Glück  verleihen,  — 
dall  er  aufmerksam  den  Koran  lese  — ,  daß  er  lese  den  Koran  und  die 
Geschichte  — ,  die  Geschichte  alter  und  neuer  Zeiten.  —  Dieser  Knabe  hat 
Lesen  und  Schreiben  — ,  Buchstabieren  und  Rechnen  gelernt.  -  -  So  soll  sein 
Vater  ihm  nicht  verweigern  —  ein  Geldgeschenk,  Silber  und  Gold.  —  Für 
meinen  Unterricht,  o  Vater,  hast  du  bezahlt  -  Gott  gebe  dir  dafür  einen 
Platz  im  Paradies  --  und  du.  meine  Mutter,  nimm  meinen  Dank  --  für  deine 
bange  Sorge  um  mich  ■  früh  und  spät.  —  Möge  Gott  mich  dich  —  im 
Paradiese  sehen  lassen  —  von  Maria')  und  Zeyneb8)  und  Fätimeh3)  begrüßt.  — 

Nach  diesem  Gesang  wenden  sich  die  Knaben  mit  komischen  Versen  an 
ihren  Lehret,  der  unten  an  der  Treppe  steht,  sowie  an  die  Mädchen  und 
Frauen,  jung  und  alt.  Den  letzteren  z.  B.  rufen  sie  wenig  ehrfurchtsvoll  zu: 
0  ihr  alten  Weiber,  die  ihr  da  steht!  --  Mit  alten  Schuhen  sollte  man  euch 
schlagen  und  fortjagen.  •  Doch  sollten  wir  alten  Weihern  eher  sagen:  — 
Nehmet  das   I lecken  und  den  Eimer,  waschet  und  betet.  — 

Während  dieser  und  ähnlicher  Rezitationen  lasseu  die  Weiber  auf 
die  verzierte  Schreibtafel  ihre  Geschenke  fallen,  welche  nachher  in  einem 
Tuch  gesammelt  und  yon  den  Knaben  dem  Lehrer  hinuntergetragen   werden. 

Nach  dieser  Zeremonie  folgt  das  Festmahl,  welches  von  den  Frauen  oben 
im  Harem,  von  den  Knaben  und  Männern  unten  eingenommen  wird.  Der 
Beschneidungskandidal  wird  auf  einen  Stuhl  (?)  gesetzt;  ihm  zur  Seite  stehen 
der  Barbier  und  dessen  Diener.    Das  Schild  des  Barbiers  steht  auf  dem  Boden. 


1 1  !»:>•   Mutter  Jesu. 

I  mam  'AI  i 
3)  Torluer  des   Propheten. 


§  248.     Knabenbeschueidung  bei  Semiten  und  Iraniern.  1(37 

Die  Gäste  legen  in  einer  darüber  angebrachten  Schale  ihre  Geschenke  für  den 
Barbier  nieder. 

Nach  dem  Mahle  bleibt  nur  die  Familie  (und  nächsten  Verwandten?), 
sowie  der  Kandidat,  der  Barbier  und  dessen  Diener  im  Hause;  alle  übrigen 
gehen  fort.  Und  nun  folgt  die  Beschneidung  (wenn  sie  nicht  auf  den  nächsten 
Tag  verschoben  wird)  in  einem  abgesonderten  Gemach  unter  Anwesenheit  von 
zwei  männlichen  Verwandten. 

Ungefähr  eine  Woche  später  führt  der  Barbier  den  beschnittenen  Knaben 
ins  Bad. 

Zur  Erhöhung  der  Beschneidungsfeier  lassen  die  Eltern  manchmal  Fecht- 
und  Gaukelspiele  und  dergl.  aufführen. 

Als  Alter  gab  Lane  durchschnittlich  5 — 6  Jahre  an;  doch  sei  es  nicht 
selten,  daß  die  Bauern  ihre  Söhne  erst  mit  12  — 14  Jahren  beschneiden  lassen. 

Nach  Klunzinger,  der  die  oberägyptische  Beschneidung  als  einen  religiösen, 
der  Konfirmation  ähnlichen  Akt  nennt1),  soll  sie  den  Knaben  „rein"  machen, 
zum  Eintritt  in  die  Moschee  und  zum  Beten,  überhaupt  zur  Ausübung  seiner 
Beligion  befähigen.  Von  Lane  abweichend,  gibt  Klunzinger  (bei  Ploß)  das 
Alter  von  „meist"  5 — 10  Jahren  an.  Als  Ergänzung  zu  der  uns  bekannten 
äußeren  Feier  sei  hier  aus  Klunzinger  folgendes  erwähnt:  Am  Vorabend,  der 
„Nacht  der  Henna",  versammeln  sich  die  Frauen,  kneten  Hennablätter  zu 
einem  Teig,  setzen  diesen  stückweise  auf  einen  Präsentierteller  und  stecken 
über  jedem  Stück  eine  Kerze  an.  Unter  Singen,  Trillern  und  Pauken  zieht 
die  Weiberprozession  im  Hause  herum,  der  Festknabe  hinter  dem  Hennateller. 
Man  beschert  der  Mutter,  den  Sängerinnen,  und  bindet  dem  Knaben  ein  Stück 
des  Hennapflasters  in  die  Hohlhand;  ebenso  machen  es  die  versammelten  Frauen, 
und  alle  erwachen  mit  braunroten  Handflächen 2). 

Die  Araber  in  Algier  lassen  ihre  Söhne  „im  allgemeinen  schon  gegen 
das  5.  Jahr"  beschneiden.  Den  Verlauf  der  Operation  und  die  darauf  folgende 
Behandlung  des  Knaben  schilderte  Bertherand:  Der  Operateur  (thahar)  setzt 
sich,  nachdem  er  einen  großen  hölzernen  Napf  gefüllt  hat,  um  darin  das  Blut 
aufzufangen,  unter  ein  haik  (großes  Stück  Leinwand)  mit  einem  oder  zwei 
Assistenten,  von  denen  der  eine  die  Schenkel  des  Knaben  auseinanderhält. 
Er  zieht  die  Vorhaut  des  letzteren  soweit  als  möglich  nach  vorn  und  bindet 
dieselbe  mit  einem  gewöhnlichen  Faden  gegen  die  Eichel.  Hierauf  ergreift 
er  eine  hölzerne  Scheibe  (oueurgha),  die  ein  wenig  größer  als  ein  Fünffrank- 
stück ist  und  in  der  Mitte  ein  rundes  Loch  hat,  durch  welches  man  den  kleinen 
Finger  stecken  kann.  Durch  diese  Öffnung  führt  er  das  Ende  des  Fadens  und, 
indem  er  die  Holzscheibe  über  den  Faden  weiterschiebt,  drückt  er  dieselbe 
schnell  und  kräftig  gegen  die  Eichel.  Nun  zieht  er  leicht  am  Faden,  um 
die  Vorhaut  anzuspannen,  und  während  er  die  Aufmerksamkeit  des  Knaben 
dadurch,  daß  er  ihm  befiehlt,  nach  der  Decke  zu  sehen,  abzulenken  sucht, 
schneidet  er  mittels  einer  starken  Schere,  bisweilen  auch  mit  einem  Rasier- 
messer, noch  häufiger  mit  einem  gekrümmten  arabischen  Messer  die 
Vorhaut  (djelda)  ab.  Einer  der  Assistenten  gibt  ihm  sofort  ein  frisches,  schon 
vor  der  Operation  geöffnetes  Ei,  das  er  über  das  ganze  Glied  stülpt.  Nach 
zwei  bis  drei  Minuten  bedeckt  der  Thahar  die  Wunde  mit  dem  feinen  Staube 
der  Blätter  von  Thuya  articulata  (aghar),  um  das  Blut  zu  stillen,  und  umhüllt 
das  Glied  mit  einer  kleinen  Bandage  oder  einem  Läppchen.  Der  Knabe  wird 
nun  auf  den  Kücken  gelegt  und  muß  mehrere  Tage  in  dieser  Stellung  ruhig 
verharren.      Sieben    Tage    lang    besucht    ihn    der    Operateur;    das    erstemal 


1)  Nach  Ploß   (2.  Aufl.  I,  345)   heißt  die   Beschneidung   auf  arabisch   „tuhur",  „tahir", 
<i.  i.  Reinigung. 

')  Henna  ist   im   moslemischen  Marokko   sowohl  Schönheits-    als   auch  Zaubermittel. 


2(jg  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

legt  er  auf  die  Wunde  warme  Butter  und  zerstoßene  Zj-pressensamen.  an 
den  anderen  Tagen  einen  Brei  von  Zwiebeln,  Absinthium  Judaicum  und  Butter, 
um  die  Eiterung  zu  vermindern.  Ist  am  7.  Tage  die  Wunde  noch  nicht  ge- 
heilt, so  wird  das  Glied  in  heißem  Sand  gebadet.  Blutungen  kommen  selten 
vor,  und  in  der  Regel  ist  Patient  schon  am  7.  Tage  genesen.  —  Die  ab- 
geschnittene Vorhaut  wird  alsbald  nach  der  Operation  vom  Assistenten  in 
ein  Läppchen  gehüllt  und  auf  irgendeinen  Gegenstand,  einen  Baum  (Palme),, 
ein  Tier  (Ochse  usw.i  gelegt;  der  Vater  des  Beschnittenen  macht  diesen 
Gegenstand  dem  Thahav  zum  Geschenk.  ■  Bertherand  erwähnt  ferner  eine 
Beschneidungsform.  bei  dem  die  mit  dem  Finger  vorgezogene  Vorhaut  dicht 
vor  der  Eichel  mit  einem  Faden  umbunden  wird,  worauf  ein  zweiter  Faden 
ein  Stück  vor  jenem  in  gleicher  Weise  umgelegt  und  zugeknüpft  wird;  der 
Operateur  schneidet  mit  einem  scharfen  Messer  die  Vorhaut  zwischen  diesen 
beiden  Fäden  durch.  Die  erste  Ligatur  ist  so  fest,  daß  sie  das  Gefühl  ver- 
mindert und  die  Operation  fast  schmerzlos  macht. 

über  die  Beschneidung  in  Marokko  berichtete  G.  Rohlfs,  daß  sie  von 
einem  Schriftgelehrten  (Fakih)  in  der  Weise  ausgeführt  wird,  daß  er  nach 
einem  verrichteten  Gebet  die  Vorhaut  mit  einem  raschen  Schnitt  von  der 
übrigen  und  dann  das  noch  übrige  Frenulum  mit  einem  zweiten  Schnitte  trennt, 
während  der  Knabe  von  seinem  Vater  gehalten  wird.  Nach  der  Operation 
streut  ein  Taleb  pulverisierten  Alaun  auf  die  blutenden  Ränder.  Der  Knabe 
murmelt  während  der  Beschneidung  zwischen  den  zusammengebissenen  Zähnen: 
..Gott  ist  der  größte:  es  gibt  nur  einen  Gott."  Als  Festgeschenk  erhält  er 
von  seinem  Vater  Kleider,  die  er  nach  völliger  Genesung  anlegt.  —  Das  zur 
Operation  benutzte  Instrument  ist  ein  Steinmesser  oder  ein  gewöhnliches 
Rasiermesser. 

Fragt  man  die  Araber  nach  dem  Ursprung  der  Beschneidung,  so 
erhält  man  zur  Antwort,  sie  Liehe  auf  Ismael,  den  Sohn  Abrahams  und  seiner 
Magd  Piagar,  den  biblischen  Stammvater  der  Araber,  zurück.  Nach  Josephus') 
ließen  zu  seiner  Zeit  die  Araber  ihre  Söhne  mit  13  Jahren  beschneiden,  also 
in  dem  gleichen  Alter,  in  welchem  Ismael  (1.  Mos.  17,  25)  von  seinem  Vater 
Abraham  beschnitten  wurde.  -  Mohammed  behielt  die  Beschneidung  bei.  und 
sie  fand  mit  dem  Islam  eine  sehr  weite  Verbreitung,  obgleich  sie  nicht  als 
Dogma  gilt.  Das  Volk  sieht  in  ihr  den  wichtigsten  Akt  beim  übertritt  eines 
„Ungläubigen"  zum  Islam.  Nach  Richard  Andree*)  führten  die  Araber  die 
Beschneidung  mit  dem  Islam  nach  Innerafrika  und  Innerasien,  zu  den  Iraniern 
and  Mongolen8). 

Verwandte  der  Araber  waren  die  Ithuräer  östlich  von  Palästina.  Bei 
1.  Mos.  "-'■">,  15  wird  deren  Stammvater  ein  Solin  Ismaels  genannt.  Auch  sie 
übten  die  Beschneidung,  doch  erst,  nachdem  sie  ihnen  von  den  Juden  auf- 
gedrängt   worden  war  {Floß,  '2.  Aufl.  I,  343). 

Die  Massai,  neuestens  von  Max  Weiß  zu  den  Semiten  gerechnet,  sind 
in  diesem  Buch  noch  nach  der  älteren  Anschauung  den  Hamiten  beigezählt 
(siehe  f.  Paragraph). 

Über  die  Beschneidung  der  iranischen  Völkergruppen  liegt  mir  nur 
sehr  wenig  Material  vor.  Wenn  die  Wachietsclii  in  Afghanistan  Iranier 
sind,  dann  sei  hier  von  ihnen  bemerkt,  daß  sie  ihre  Söhne  im  Alter  von 
12  — 14  Jahren  beschneiden  lassen.  Festlichkeiten  sind  damit  nicht  verbunden 
i  /'.  von  Stenin  i. 


•i  Bei   Bicliard  F.thnogr.  l'arall.,  S.  170. 

*)  Ebenda. 

')  In   Indoo  Bie   mit    altheidnischen)  Brauch    zusammengetroffen.    —    Vgl.   die 

Berber  im  folgenden  Paragraphen. 


§  249.     Knabenbeschueidung  bei  Hamiten  und  Negern.  169 

Die  muselmanischen  Perser  übernahmen  den  Brauch  von  den  Arabern 
mit  dem  Islam.  Die  Knaben  werden  hier  der  Operation  gewöhnlich  um  das 
dritte  oder  vierte  Lebensjahr  unterworfen;  doch  könne  sie  bis  zum  13.  Lebens- 
jahr hinausgeschoben  werden.  Nach  Polali  wird  hier  die  Beschneidung  vom 
Dalak  (Barbier)  durch  Einzwängen  der  Vorhaut  in  ein  gespaltenes  Rohr  und 
Abtragen  mittels  eines  Rasiermessers  ausgeführt.  Sie  unterscheidet  sich  von 
der  Beschneidung  der  Juden  dadurch,  dal?  der  zweite  Akt,  nämlich  das  Ein- 
reißen des  inneren  Blattes,  bei  den  Persern  wegbleibt.  Die  Blutstillung  wird 
durch  styptische  Pulver  bewirkt;  die  Anwendung  von  Wasser  ist  streng  ver- 
pönt. Die  Zeremonie  ist  von  einigen  Festlichkeiten  begleitet:  Man  verteilt 
Spenden  an  die  Armen;  es  werden  Gäste  geladen  und  mit  Süßigkeiten  be- 
wirtet, und  der  Operierte  erhält  ein  neues  Kleid.  Im  ganzen  entfaltet  man 
jedoch  nicht  jenes  Gepränge,  welches  in  manchen  anderen  muselmännischen 
Ländern,  z.  B.  im  arabischen  Ägypten,  der  Fall  ist. 

Die  um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  im  südlichen  Persien  entstandene 
islamische  Sekte  der  Babisten  behielt  die  Beschneidung  aus  zwei  Gründen 
bei,  einerseits  mit  Rücksicht  auf  die  Hygiene,  und  andererseits,  um  der  Ver- 
folgung der  altgläubigen  Muselmanen  zu  entgehen  (N.  von  Seidlitz). 

§  249.     KHabenbesclineidiing'  bei  Hamiten  und  Negern. 

Herodot  hat  (II,  c.  104)  geschrieben:  „Die  Kolchier,  Ägypter  und 
Äthiopier  sind  die  einzigen  Völker,  welche  die  Beschneidung  seit  frühester 
Zeit  üben."  —  Die  Gemeinsamkeit  dieses  Brauches  bei  den  beiden  ersten  Völkern 
galt  Herodot  als  ein  Beweis  für  deren  ethische  Zusammengehörigkeit.  Ob 
die  Äthiopier  die  Beschneidung  von  den  Ägyptern,  oder  umgekehrt,  entlehnt 
haben,  ließ  er  dahingestellt.  Die  Phönizier  und  die  „Syrierin  Palästina 
aber  hätten  selbst  eingestanden,  daß  sie  den  Brauch  von  den  Ägyptern  über- 
nommen, und  die  Syrier  am  Thermödon  und  Parthenius,  sowie  die  ihnen 
benachbarten  Macronianer  hätten  gesagt,  daß  sie  ihn  von  den  Kolchiern 
entlehnten.  Herodot  selbst  zweifelte  nicht,  daß  alle  diese  Völker,  von  den 
Äthiopiern  abgesehen,  den  Brauch  von  den  Ägyptern  übernahmen.  - 

Dazu  bemerkt  Rawlinson,  daß  gerade  die  Äthiopier  sowohl  ihre  Religion 
als  ihre  kulturellen  Bräuche  von  den  Ägyptern  entlehnten.  Sogar  der  ägyp- 
tischen Sprache  bedienten  sie  sich  für  ihren  Kult  und  an  ihrem  Hof.  Diese 
Tatsache  sei  durch  Monumente  über  alle  Zweifel  erhaben;  die  gegenteilige 
Ansicht  gründe  vielleicht  auf  der  Zurückverlegung  des  ägyptischen  Hofes  aus 
Äthiopien  nach  Ägypten.  Nach  Äthiopien  sei  er  bei  dem  Einfall  der  Hirten 
verlegt  worden.  Unter  den  „Syriern"  Palästinas  verstehe  Herodot  offenbar  die 
Juden,  welche  geographisch  in  diesem  Stamm  einbegriffen  waren ').  Herodots 
Annahme,  die  Juden  hätten  die  Beschneidung  von  den  Ägyptern  entlehnt,  sei 
entschuldbar,  weil  die  Juden  erst  nach  ihrem  Auszug  aus  Ägypten  die  Be- 
schneidung allgemein  und  regelmäßig  übten,  was  aus  Josua  V,  5,  7  hervor- 
gehe. Erst  auf  der  Ebene  von  Jericho  sei  die  neue  Generation  beschnitten 
worden,  obgleich  die  Patriarchen  und  deren  Familien  seit  Abraham  die  Be- 
schneidung übten.  Natürlicherweise  könne  jeder  Forscher  annehmen,  daß  die 
Juden  die  in  Ägypten  schon  lange  geübte  Beschneidung  von  da  entlehnten. 
Sie  gehe  in  Ägypten  wenigstens  bis  zur  vierten  Dynastie,  wahr- 
scheinlich noch  weiter,  zurück,  sei  dort  also  lange  vor  Abraham  allgemein 
üblich  (common)  gewesen;  nach  den  ältesten  Monumenten  zu  urteilen,  habe 
man  in  Ägypten  schon  vor  2400  Jahren  v.  Chr.  beschnitten. 


')  Vgl.  die  Beschneidung  bei  Semiten  im  vorigen  Paragraphen. 


170  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Mit  dieser  Feststellung  geht  Rawlinson  geschichtlich  über  jenes  Datum 
hinaus,  welches  Ehers  und  Welcher  mit  der  Untersuchung  des  Penis  von  der 
Mumie  des  ägyptischen  Feldhauptmanns  Amen-em-heb  gegeben  hatten.  Dieser 
Hauptmann  soll  nämlich  unter  Thutmes,  um  J614 — 1555  v.  Chr.,  also  zu  jener 
Zeit  gelebt  haben,  als  die  Juden  noch  in  Ägypten  waren1). 

Serodot  gab  auch  einen  Grund  für  die  ägyptische  Beschneidung 
an,  d.  h.  er  bemerkt  (II,  c.  37),  die  Ägypter  hätten  sie  aus  Peinlichkeit  s- 
gründen  geübt.  -  -  Nach  Ploß  (I,  346f.)  war  sie  in  Ägypten  die  Weihe  und 
das  Merkmal  der  Kasten  der  Krieger  und  Priester,  wurde  also  nur  an 
den  Vornehmen  und  an  den  zu  einem  religiösen  Amt  Berufenen  vorgenommen. 
Deshalb  habe  sich  der  griechische  Philosoph  in  Ägypten  beschneiden  lassen, 
Als  er  sich  von  den  dortigen  Priestern  in  die  Geheimnisse  des  Isiskultes  ein- 
weihen lassen  wollte. 

Daß  Rawlinson  einen  derartigen  Klassenunterschied  bei  Anwendung  der 
Beschneidung  nicht  annimmt,  ist  schon  angedeutet  worden.  Ihm  zufolge  be- 
weisen die  Mumien  und  Skulpturen,  daß  die  Beschneidung  ein  Unterscheidungs- 
merkmal der  Ägypter  gegenüber  ihren  Feinden  war.  Später,  als  sich  in 
Ägypten  viele  Fremden  ansiedelten,  schied  die  Beschneidung  den  orthodoxen 
Ägypter  von  den  fremden  Dissidenten.  Deshalb  durfte  auch  nur  der  Be- 
schnittene  in  alle  Geheimnisse  der  ägyptischen  Wissenschaft  eingeführt  werden. 
Das  habe  wahrscheinlich  zu  der  Auffassung  geführt,  daß  nur  die  Priester 
beschnitten  waren.  Übrigens  hat  Plo/i  selbst  auf  eine  Stelle  bei  0.  Ebers*) 
hingewiesen,  nach  welcher  auf  den  bildlichen  Darstellungen  des  Zeugungs- 
gliedes der  Ägypter  „überall  die  Vorhaut  fehlt". 

Daß  die  Kolchier  die  Beschneidung  von  den  Ägyptern  entlehnten,  wollte 
Sayce  nicht  gelten  lassen.  Hingegen  schrieb  der  anonyme  Verfasser  einer 
Serie  von  Artikeln,  betitelt:  „Degli  Hittim  o  Hethei  e  delle  loro  migrazioni" 
in  der  „Civiltä  cattolica"?),  daß  die  Vorfahren  der  Kolchier  (Scythen,  Hettiter) 
jahrhundertelang  mit  den  Ägyptern  zusammen  lebten  und  sich  ihnen  assimilierten, 
nicht  nur  in  der  Beschneidung,  sondern  auch  in  der  Sprache  und  in  der  Haut- 
farbe. Nebenbei  bemerkt,  verteidigt  der  anonyme  Verfasser  (gegen  Sayce  und 
Rawlinson)  Herodots  Mitteilung  über  die  Verwandtschaft  der  Ägypter 
mit   den   Kolchiern4). 

Als  direkte  Nachkommen  des  altägyptischen  Volkes  werden  die  christ- 
lichen  Kopten  angesehen  {Scobel).     Von  ihnen  schrieb  Lane: 

Die  meisten  Kopten  beschneiden  ihre  Söhne.  Nur  bei  den  iu  Kairo 
lebenden  wird  der  Brauch  weniger  beobachtet.  Ein  Alter  ist  nicht  bestimmt, 
doch  nimmt  man  die  Operation  gewöhnlich  mit  sieben  oder  acht  Jahren,  aber 
auch  mit  zwei  und  mit  zwanzig  und  noch  mehr  Jahren  vor.  Der  Akt  vollzieht 
sich  immer  privat.  Die  aufgeklärteren  der  Kopten  sehen  in  der  Beschneidung 
keinen  religiösen,  wohl  aber  einen  empfehlenswerten  Brauch.  Die 
Priester  selbst  negieren  den  religiösen  Charakter.  Hingegen  scheinen  die 
Bauern,  bei  welchen  allgemein  beschnitten  wird,  darin  mehr  als  einen  rein 
bürgerlichen  Akt  zu  erblicken,  wie  Lane  meint.  Manche  behaupten,  es  sei 
eine  Nachahmung  Christi,  der  sich  der  Beschneidung  unterwarf. 


i  \ls  einen  Beweis  für  das  hohe  Alter  des  Bcschneidungsbrauches  in  Ägypten 
fährte  Ploß  \2.  Aufl.  1.  342)  auch  ein  von  Chabas  erklärtes  Relief  im  kleinen  ILons-Tempel 
zu  Karnak  an.  —  Schon  Blumenbach,  Anatom  und  Begründer  der  Anthropologie,  habe  auf 
Spuren  der  Beschneidung  an  ägyptischen  Mumien  hingewiesen. 
:i  und  die  Bücher  Mosis.  Leipzig  18tiS. 
riltä  cattolica,  Anno  4t.  Serie  SV,  vol.  VII.  pp.  293 ff.  —  Der  Verfasser  der 
genannten  Serie  sieht   in  den   Kolchiern  Nachkommen  der  Hyksos. 

Ibstverständlich    will    die  eielumstrittene  Frage   nach   der  ethnischen    und  anthro- 
polo  ng   der  Eettiter  nicht  hier  ihre  Lösung  gefunden  haben.    Neuestens  werden 

ja  die  Hettiter  mit  den  Nordkaukasiern  in  Zusammenhang  gebracht. 


§  249.  ,  Knabenbeschneidung  bei  Hamiten  und  Negern.  171 

Die  Beschneidung  finden  wir  dann  im  berberischen  und  libyschen 
Zweig  der  Hamiten,  ob  durch  moslemischen  Einfluß  oder  aus  älterer  Zeit, 
dürfte  schwer  zu  unterscheiden  sein. 

Die  Knaben  der  Kabylen  werden  mit  drei  Jahren  beschnitten,  wie 
A.  Lissauer  im  Jahre  1908  schrieb;  nach  Bertherand ')  zwischen  dem  sechsten 
und  achten  Jahre. 

Bei  den  Berbern  ist  die  Beschneidung  nicht  allgemein.  Ob  das  mit 
dem  oberflächlichen  Islam  verschiedener  Stämme  im  Rifgebirge  und  dem 
nördlichen  Atlas  zusammenhängt,  wie  Ploji  meinte,  oder  ob  das  dortige  Fehlen 
des  Brauches  andere  Ursachen  hat,  lasse  ich  hier  uneutschieden. 

In  El  Bedig,  nordlich  von  Abessinien,  östlich  vom  Nil,  leben  die 
Bedja  oder  Bischarin.  ein  äthiopischer  Zweig  der  Hamiten.  Auch  sie 
scheinen  (nach  Ploji  I.  361)  die  Beschneidung  zu  üben. 

In  Abbessinien  sind  es  die  zum  gleichen  Zweig  gehörigen  Kaffitscho, 
von  denen  Friedrich  J.  Bieber  berichtet: 

Alle  Kaffitscho.  bekennen  sie  sich  nun  zum  Hekkoglauben,  oder 
zum  Islam,  oder  zum  Christentum,  lassen  ihreu  männlichen  Kindern  die 
Vorderhaut  abschneiden.  Das  geschieht,  sobald  diese  acht  Wochen  alt  sind. 
Als  Grund  geben  die  nichtmoslemischen  keine  Glaubensvorschrift  an,  sondern 
..weil  es  so  Brauch  ist,  zur  Reinheit  des  Körpers".  Bei  den  sich  als  Moslim 
bezeichnenden  Kaffitscho  entspricht  die  Beschneidung  der  uns  von  den  Musel- 
manen im  vorigen  Kapitel  her  bekannten  Erklärung.  Die  Beschneidung 
nehmen  nicht  die  Priester,  sondern  sachkundige  Männer  (dokorino)  gegen  Be- 
zahlung Mir.  Sie  ziehen  bei  der  Operation  die  Vorhaut  des  auf  dem  Rücken 
liegenden  und  festgehaltenen  Kindes  mit  zwei  Fingern  der  linken  Hand  vor 
und  schneiden  sie  mit  der  rechten  rasch  mit  dem  Beschneidemesser  (abbo)  ab. 
Eine  Behandlung  der  Wunde  erfolgt  nicht.  Als  Honorar  erhält  der  Be- 
Schneider vom  Vater  des  Kindes  eine  Salzstange  oder  andere  Geschenke.  Den 
Vollzug  der  Operation  feiert  der  Vater  mit  den  Nachbarn  durch  eiu  Gastmahl 
mit  Bier. 

Die  Somal2)  beschneiden  ihre  Söhne  im  Alter  von  8 — 10  Jahren.  Hier 
wird  oben  auf  der  Eichel  ein  Längsschnitt  derart  gemacht,  daß  neben  dem 
unverletzten  Bändchen  zwei  heruntergeklappte  Lappen  stehen  bleiben.  Zur 
Blutstillung  wird  Styraxlösung  oder  ein  anderes  adstriugierendes  Mittel 
angewendet. 

Von  den  Kawirondo.  einem  nilotischen  Volk  in  der  Landschaft  gleichen 
Namens  in  Englisch-Ostafrika,  schreibt  N.  Stam:  Viele  üben  die  Be- 
schneidung. Ein  bestimmtes  Alter  scheint  nicht  verordnet  zu  sein;  denn  wenn 
der  Stammeshäuptling  die  Zeremonie  vorschreibt,  unterwerfen  sich  alle  jungen 
Burschen.     Immerhin  dürfte  das  Alter  von  14  Jahren  die  Regel  sein. 

Während  der  Operation  darf  kein  Schmerzensschrei  über  die  Lippen  des 
Kandidaten  kommen,  wenn  er  nicht  eine  bestimmte  Anzahl  Ziegen  zur  Strafe 
geben  will.  Zur  Feier  der  Handlung  werden  Tänze  aufgeführt,  an  denen 
alle  umliegenden  Dorfbewohner  jauchzend  teilnehmen.  Die  Beschnittenen 
tragen  nach  der  Operation  einen  langen  Grasmantel  und  einen  phantastischen 
Kopfputz  und  müssen  sich  bis  zu  ihrer  völligen  Heilung  in  einem  besonderen 
Hause  aufhalten.  Nur  einige  Verwandte  dürfen,  wenn  sie  das  Essen  bringen, 
diesem  Hause  nahe  kommen. 

Ist  die  Heilung  eingetreten,  dann  wird  vor  der  Rückkehr  der  Be- 
schnittenen in  das  Dorf  ein  dreitägiges  Festessen  gegeben,  welches  die  jungen 


!)  Bei  Ploß  (2.  Aufl.  r,  351). 

2)  Scheinen    nach   Richard  Andree    (Ethnogr.  Parallelen,    173)    Strabos   beschnittene 
Troglodyten  zu  sein. 


J72  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Leute  beiderlei  Geschlechts  mit  Tanz  verherrlichen.    Das  bei  diesem  Fest  ge- 
spendete Bier  darf  nur  von  verheirateten  Männern  getrunken  werden. 

Von  den  Massai  in  Deutsch-Ostafrika  schrieb  Ploß:  Die  Massai-Knaben 
werden  im  dritten  Jahre ' )  „gereinigt" ;  die  Operation  selbst  werde  auf  die 
gleiche  Weise  wie  bei  den  Somal  (S.  171)  ausgeführt.  —  Seitdem  hat  Max 
Weiß  über  die  Beschneidung  bei  den  Massai  folgendes  mitgeteilt: 

Die  Massai  im  nördlichen  Deutsch-Ostafrika  lassen  ihre  Söhne  und  Töchter 
beschneiden  (die  letztern  siehe  Teil  III).  Die  Beschneidung  der  Knaben  erfolgt 
erst,  wenn  sie  zum  Eintritt  in  den  Kriegerstand  kräftig  genug  sind.  d.  h. 
zwischen  14  und  16  Jahren;  bei  besonders  gut  Entwickelten  auch  früher. 
Nach  der  Beschneidung  gelten  die  Leute  als  erwachsen.  Sämtliche  Knaben 
eines  Distriktes  müssen  sich  an  ein  und  demselben  Tage,  der  nach  Beratung 
der  Ältesten  festgesetzt  wird,  der  Operation  unterziehen.  Sie  feiern  dieses 
bedeutsame  Ereignis  schon  Wochen  vorher  mit  Gesang  und  Tanz  in  ihren 
und  befreundeten  Kraalen.  Am  Tage  vor  der  Beschneidung  wird  ihnen  das 
Kopfhaar  rasiert.  Diese  wird  von  den  Alten  in  frühester  Morgenstunde  in 
Gegenwart  der  Krieger  in  der  Nähe  des  Kraals  vorgenommen.  Weibliche 
Wesen  dürfen  sich  dem  Ort  nicht  nähern.  Die  frühe  Morgenstunde,  sowie 
das  Begießen  des  Gliedes  mit  kaltem  Wassw  vor  der  Operation,  soll  allzu 
heftigen  Schmerzen  zuvorkommen.  Äußerungen  des  Schmerzes  werden  von 
den  Kriegern  mit  Verachtung  des  Kandidaten  und  dessen  Eltern  bestraft  und 
tragen  dem  Empfindsamen  einen  Spottnamen  ein.  Die  Alten  führen  die  Be- 
schneidung mit  einem  kleinen,  spitzen,  zweischneidigen  Messer  aus.  wählend 
die  Kandidaten  mit  gespreizten  Beinen  auf  ihren  Lederschürzen  sitzen.  Sie 
ziehen  die  äußere  Haut  des  Gliedes  zurück  und  durchschneiden  das  innere 
Blatt  der  Vorhaut  dicht  hinter  der  Eichel  ringsum.  Hierauf  gleitet  die  Eichel 
in  die  verlängerte  Haut  zurück,  die  oben,  wo  jene  durchtreten  soll,  ein- 
geschnitten wird,  so  daß  sie  unter  der  Eichel  herabhängt,  worauf  man  die 
Hälfte  von  ihr  abtrennt.  Die  andere  Hälfte  wächst  in  14  Tagen  zusammen 
und  bildet  nach  der  Heilung  ein  Zäpfchen.  Nach  der  Operation  wird  der 
Penis  mit  Milch  abgewaschen2);  sonstige  blutstillende  oder  heilende  Mittel 
wendet  man  nicht  an.  Nach  der  Operation  geben  die  glücklichen  Väter 
allen  aus  der  Umgebung  geladenen  Massai  ein  Festmahl.  —  Da  die  Be- 
schneidung den  jungen  Massai  zum  Eintritt  in  den  Kriegerstand  berechtigt, 
die  Krieger  aber  mit  den  jungen  Mädchen,  schon  ehe  diese  selbst  be- 
schnitten werden,  im  Kriegerkraal  ein  ungebundenes  Leben  führen,  so  ist 
anzunehmen,  daß  die  Beschneidung  nur  dem  Mann  erst  den  geschlechtlichen 
Verkelir  eröffnet. 

Max  Weiß  schildert  ferner  die  Beschneidung  bei  den  Bakulia  zwischen 
Gori-  und  Marafluß  im  nördlichsten  Deutsch-Ostafrika,  welche  ihre 
Söhne  im  Alter  von  \2 — 15  Jahren  dieser  Operation  durch  besondere  Medizin- 
männer unterwerfen.  Sie  findet  nach  der  Ernte,  aber  nicht  alljährlich,  sondern 
je  nach  IVstinimung  des  Häuptlings,  oder  wo  dessen  Autorität  nicht  bedeutend 
ist,  nach  Übereinkommen  der  Dorfältesten  statt.  Diese  Zeitbestimmung  gilt 
auch  für  die  Mädchenbeschneidung  (siehe  diese).  Die  beschneidenden  Medizin- 
männer gelien  den  Knaben  Verhaltungsmaßregeln  für  das  Leben,  besonders 
dem  weiblichen  Geschlecht  gegenüber:  Sie  gehörten  jetzt  zu  den  Erwachsenen, 
sollten  ihre  Eltern  einen  und  nie  unangemeldet  deren  Hütte  betreten,  vor 
den  Mädchen   keine  Angst  mehr  haben,  ihre  zukünftige  Schwiegermutter  be- 


i|  S,,  auf  S.  361,  Bd.   I   CJ.   AnlU;   auf  S.  3HÜ  (ebendort);   hingegen:  „Zum  Akte   der 
Beschneidung  vereinigen   bei  den  Massai   .   .   .  sich  jedes  dritte  oder  vierte  Jahr  alle  reiche» 
es  Distrikt 
2)   Vgl.  das  Begießen  der  Beschnittenen  mit  Milch  bei  den  Kikuyu  auf  S.   174. 


§  249.     Knabenbeschneidung  bei  Hamiten  uud  Negern. 


173 


Tücksichtigen,  deren  Haus  in  Ordnung-  halten  und  deren  Feldwirtschaft  unter- 
stützen. 

Die  Operation,  welche  auf  einer  entlegenen  Stelle  in  unbebauter  Gegend 
unweit  vom  Dorf  stattfindet,  besteht  im  gänzlichen  Abtrennen  der  Vorhaut 
uud  wird  mit  einem  kleinen  scharfen  Messer  durch  kurzen  scharfen  Schnitt 
ausgeführt.  Die  Knaben  stehen  dabei  in  Reih  und  Glied  nebeneinander. 
Schreien  und  Weinen  wird  verhöhnt.  Kein  weibliches  Wesen  darf  den  Platz 
betreten.  Nach  der  Beschneidung  kehren  die  Knaben  iu  ihre  Hütten  zurück. 
Die  Heilung,  welche  etwa  vier  Wochen  dauert,  wird  nur  durch  Hoclilagerung 
des  Penis  erleichtert,  wozu  ein  Grasring  mit  Bastschnur  verwendet  wird. 
Häufig  treten  böse  Eiterungen  ein.  Nach  erfolgter  Genesung  beginnt  eine 
mehrwöchentliche  Freudenzeit  mit  täglichen  Tanzfesten,  wozu  jeder  ein 
^Mädchen  wählt,  mit  dem  er,  ohne  schon  an  eine  Heirat  zu  denken,  geschlecht- 


Fig.  293.    Massai-  und  Wadsehagga- Jugend  im  Ringkampf.    Von  deu  Missionären  C.  S.  Sp.  in 

Knech  tst  eden. 


lieh  verkehrt.  Der  zu  diesen  Festen  angelegte  Schmuck  ist  höchst  phantastisch 
(Illustrationen  und  Aveitere  Einzelheiten  bei  Max  Weiß,  285 ff.). 

In  Deutsch-Ostafrika  finden  wir  die  Beschneidung  ferner  bei  den 
Wadschagga,  und  zwar  nach  Plofs,  2.  Auflage,  in  der  gleichen  Weise,  wie 
bei  den  Massai ')  und  Somal.  Auch  iu  vielen  Familien  der  Kikuyu.  Britisch- 
Ostafrika,  wurde  die  Operation  auf  diese  Art  ausgeführt  (-/.  21.  Hildebrandf), 
hier  aber  erst  mit  16 — 17  Jahren,  wenn  sich  der  Bartflaum  zeigt.  Vorher 
dürfen  die  Burschen,  wie  bei  den  Oigöb  (Massai?)  und  Wakuafi,  keine 
eisernen  Waffen  haben,  weshalb  sie  sich  für  ihre  Kriegsspiele  Waffen  aus 
Holz  fertigen.  Nicht  einmal  ein  eisernes  Messer  können  sie  besitzen;  brauchen 
sie  ein  solches  zur  Arbeit,  so  können  sie  es  zwar  von  einem  Erwachsenen 
entlehnen,  müssen  es  aber  baldigst  zurückerstatten  (Waitz). 

Der  Beschneidungsritus  der  Kikuyu  wurde  von  Ploß  (1,362)  folgender- 
weise geschildert:   Die  Kandidaten  hocken   in   einer  Eeihe.     Der  Beschneide!- 


*)  Daß  das  mit  der  obigen  Schilderung  von  Weiß  nicht  stimmt,  ist  klar.  Vielleicht 
handelt  es  sich  um  verschiedene  Stämme.  Die  Karte  zeigt  die  Massai  aut  weite  Strecken  zer- 
streut. Jedenfalls  haben  wir  sehr  verschiedene  Altersangaben  über  die  Massai  und  Somal, 
wie  aus  den  schon  angeführten  Mitteilungen  über  diese  Völker  hervorgeht. 


174  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

(kein  Zauberer) ')  hat  sich  festlich  geschmückt;  ihm  hilft  ein  hinter  der  Eeihe 
stellender  Mann,  welcher  das  Glied  des  Jünglings  festhält.  Der  Operateur 
beginnt  beim  ersten  die  Eeihe.  Sein  Messer  ist  etwa  0,2  m  lang  mit  lanzett- 
förmiger, zweischneidiger  Klinge.  Er  hält  es  beim  Schnitt  in  eigentümlicher 
\\  eise,  indem  der  Mittelfinger  hinter  dem  Messerhefte,  die  andern  Finger 
vor  demselben  zu  liegen  kommen.  Die  abgeschnittene  Vorhaut  wird  dann 
in  die  Erde  vergraben,  wozu  sich  der  Beschneider  eines  spitzen  Stabes  be- 
dient. Das  Blut  läßt  man  zur  Erde  rieseln  und  bedeckt  es  später.  Die  Ope- 
rierten bleiben  noch  auf  der  Erde  hocken,  werden  in  ein  Lendentuch  gehüllt, 
mit  frischer  Milch  beschüttet  und  sind  nun  unter  die  Erwachsenen  des  Stammes 
aufgenommen.  Dann  erst  erhalten  sie  vom  Vater  Waffen.  Auch  zwei  bis  drei 
Ochsen  geben  die  Eltern  jedem  der  Jünglinge.  Diese  begeben  sich  gemein- 
schaftlich weit  von  den  Dörfern  weg  in  den  Wald,  schlachten  dort  die  Ochsen 
und  verzehren  deren  Heisch.  Nach  etwa  einem  Monat  kehren  sie  zum  elter- 
lichen Dorfe  und  Hause  zurück,  erhalten  nochmals  Vieh  und  ziehen  wieder 
in  ihr  Waldversteck.  So  treiben  sie  es,  so  lange  Fleisch  da  ist  und  bis  sie 
des  Fressens  und  Faullenzens  müde  und  „stark  und  fett"  geworden  sind. 
Dann  verschaffen  ihnen  die  Väter  Weiber  {Hildebrandt).  -  Vgl.  Mädchen- 
beschneidung. — 

Die  ethische,  soziale  und  religiöse  Bedeutung  der  Beschneidung  bei  den 
Kikuyu  hat  uns  in  neuester  Zeit  (1910)  Cayzac  erklärt.  Diese  Operation, 
welcher  sich  nach  dessen  Erfahrung  die  Knaben  und  Mädchen  vor  Eintritt 
der  Geschlechtsreife  unterwerfen  müssen,  ist  der  wichtigste  und  feierlichste 
Ritus  im  Lebeu  der  Kikuyu.  Am  Vorabend  statten  die  Kandidaten  dem 
„heiligen  Baum"2),  dem  Baume  Gottes3)  und  Tempel  des  Ortes,  einen  Besuch 
ab,  um  ihm  singend  zu  verkünden,  daß  sie  nun  das  Kindesalter  hinter  sich 
haben  und  zur  Wiiide  eines  Mannes  bzw.  Weibes  gelangt  sind.  Jedes  schneidet 
von  dem  heiligen  Baum  einen  Zweig  ab,  um  ihn  am  folgenden  Tage,  während 
der  Operation,  neben  sich  zu  legen.  Am  Morgen  des  Beschneidungstaues  be- 
gleitet man  die  Kandidaten  beiderlei  Geschlechtes  in  Prozession  zum  Fluß, 
in  den  sie  sich  stürzen.  Hierauf  werden  sie  unter  Siegesrufen  auf  die  Be- 
schneidungsstätte  geführt.  Auch  dieses  Bad  ist  nach  Cayzac  ein  Beweis  für 
die  sittlich  religiöse  Bedeutung  der  Beschneidung.  Es  bedeutet  für  den 
Kikuyu  das  gleiche  wie  diese  selbst,  d.  li.  Reinigung  von  der  Sünde.  Da- 
her hat  dort  der  Ausdruck  „sich  in  den  Fluß  stürzen-'  den  gleichen  Sinn 
wie  „sich  beschneiden  lassen".  Nach  der  Auffassung  der  Kikuyu  pflanzt  sich 
nämlich  das  Übel  (die  Sünde)  durch  die  Zeugung  fort  und  hat  den  Tod  zur 
Folge,  weshalb  die  Zeugungsorgane  gereinigt  werden  müssen.  Daher  blutige 
Beschneidung. 

Das  durch  diese  Operation  gereinigte  Organ  soll  nun  nicht  mehr  ver- 
unreinigt werden:  doch  scheint  das  nach  Kikiiyu-Auflassung  wenigstens  mit 
dem  eisten  Koitus  Neubeschnittener  einzutreten.  Denn  Cayzac  schreibt:  Das 
eiste  Zusammenkommen  eines  Neubeschnittenen  mit  einem  Weib  würde  den 
Tod  beider  zur  Folge  haben.  Um  sich  aus  diesem  Verhängnis  zu  retten,  übten 
die  Kikuyu  früher  folgenden  Brauch:  Die  frisch  beschnittenen  Burschen  fielen 
zu  15-  20  Köpfen  stark  an  einem  abgelegenen  Ort  ein  altes  Weib  an  und  miß- 
achten es.  worauf  sie,  es  zu  Tod  steinigten.  Durch  den  Tod  des  Weibes 
waien  sie  selbst  vor  dem  Tode  gesichert4). 


'i   Nac  Si.lle  auf  der  gleichen   Seite  ist  es  aber  ein  Zauberdoktor. 

innigen  Zusammenhang  des  Baumknltes  mit  dem  Geschlechts-  bzw.  Frucht- 
itskull  h:i  Ihui  früher,  z.  1'..   Bd.   1,  ">1   und  581,  hingewiesen. 

:li  Dei    KationaI|  ,der  Schwarze". 

')  I  I  prechendes   Brauch  der  Mädchen  Bpäter.  — 


Knabenbeschneidung  bei  Haruiten  und  Negern. 


17; 


Die  Wakamba  und  Wanika,  gleichfalls  in  Britisch-Ostafrika,  beob- 
achteten ungefähr  den  gleichen  Beschneidungstennin  wie  die  Kikuyu,  d.  h.  den 
Eintritt  der  Reife. 

Das  bei  den  Wakamba  gebrauchte  Operationsmesser  wird  von  einem 
bestimmten  Zauberdoktor  aufbewahrt.  Es  ist  etwa  u.l  m  lang,  dünn,  von 
weichem  Eisen  und  nur  an  einer  Seite  schneidig.  Bei  beiden  Völkern  besteht 
die  Operation  darin,  daß  man  die  langgezogene  Vorhaut  abschneidet  (.7.  M. 
Hildebrandt). 

Das   von   den  Wakamba   angewendete  Mittel  zur  Blutstillung  ist   das 
gleiche  wie  das  der  Somal  (s.  S.   171).     Zur  Heilung    nimmt  man   hier   wie 
dort  Fett.  Rizinusöl  u.  a.  m.  Große 
Festlichkeiten  beschließen  den  Akt. 

Die  stark  mit  Araberblut 
gemischten  Suaheli  an  der 
deutsch  -  ostafrikanischen 
Küste  und  auf  Sansibar  be- 
schneiden ihre  Söhne  mit  etwa 
sieben  Jahren.  Bis  dahin  standen 
sie  unter  der  Obhut  ihrer  Mütter; 
jetzt  aber  beginnt  für  sie  der 
Schulbesuch  und  das  Leben  außer- 
halb des  mütterlichen  Kreises.  — 
An  der  Sansibar-Küste  werden 
gewöhnlich  die  gleichaltrigen  Kna- 
ben einer  Verwandtschaft  oder 
eines  Freundeskreises  am  gleichen 
Tage  beschnitten. 

Die  mit  den  Suaheli  ver- 
wandten Wapokomo  teilen  sich 
in  vier  Stämme.  Einer  beschneidet 
nicht:  der  zweite  nur  Knaben; 
der  dritte  und  vierte  beide  Ge- 
schlechter; die  Knaben  nach  voll- 
endetem sechsten  Lebensjahr  (C. 
Denhardt  und   R.  Andrei). 

T7„.    ,i„.,    MnoalmtTKm    nn^        Fig.  294.     Wa  k  am  ba-  Knaben,   Britisch-Ostafrika       Hof- 
Von    den    JlUseinidnen    lind       mann  phot.     Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 

Heiden  der  <  »stküste  überhaupt 

schreibt  Andree,  daß  die  Knaben  vor  der  Beschneidung  als  „unrein"  gelten. 
Bruce  teilte  von  den  muselmanischen  Negern  der  Quellengebiete  des 
Nils  folgende  Beschneidungsfeierliebkeiten  mit:  Je  mehr  gleichalterige  Knaben 
beisammen  sind,  desto  mehr  Freundschaften  werden  bei  dieser  Gelegenheit 
geschlossen,  und  sie  dauern  lebenslänglich.  Nur  Männer  dürfen  der  Feier, 
welche  an  einem  abgelegenen  Orte  stattfindet,  beiwohnen.  Sie  verlief  nach 
Bruce  in  der  folgenden  Weise:  Die  Griots  (Sänger)  führten  mit  ihren  Trommeln 
den  Vortrab  des  Zuges,  und  ohne  Gesaug  wurde  langsam  ein  Marsch  ge- 
schlagen. Die  Marabuts  (Priester  oder  Heilige)  der  benachbarten  Dörfer 
folgten  paarweise  in  laugen  weißen  Röcken  und  mit  langen  Hassagaien.  Hinter 
ihnen  kamen  in  einiger  Entfernung  die  Knaben,  welche  beschnitten  werden 
sollten,  in  lange  Gewänder,  wie  Kutten,  gekleidet.  Sie  gingen  einzeln,  und 
neben  jedem  ein  oder  zwei  Verwandte,  sie  zur  Standhaftigkeit  ermunternd. 
Zweitausend  bewaffnete  Neger  beschlossen  deu  Zug.  Auf  den  Versammlungs- 
platz war  ein  Brett  gelegt,  auf  dessen  beiden  Seiten  sich  die  Priester  und 
Vornehmen  stellten;   in  der  Mitte  des  Platzes  standen  die  Knaben  und  deren 


17g  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Freunde,  um  welche  ein  Kreis  geschlossen  wurde.  Der  erste  Marabut  ver- 
richtete'das  Gebet,  dann  kam  der  Beschneidungspriester  und  der  Vater 
des  ersten  Knaben,  der  beschnitten  werden  sollte,  wozu  er  auf  das  Brett  ge- 
setzt wurde. 

Die   Waseguha   im    östlichen   Deutsch -Ostafrika    beschneiden   ihre 

Knaben  schon  mit  1—2  Monaten. 

Die  Waschamba  in  Usambara,  nordöstliches  Deutsch-Ostafrika,  nehmen 
die  Zirkumzision  im  Alter  von  3—4  Jahren  vor  (Keith  Johnson). 

Die  Wasiba  im  Westen  des  Viktoria-Sees  kennen  die  Beschneidung 
nicht  [Eerrmann).  , 

Bei  den  Yao  (Wayao)  auf  dem  Makon  de -Plateau  im  südöstlichsten 
Teil  von  Deutsch-Ostafrika  ist  die  Beschneidung  mit  der  Mannbarkeitsfeier 
verbunden,  welche  ihren  Turnus  vou  einem  Dorfkäuptling  zum  andern  macht, 
also  nicht'  jedes  Jahr  in  jedem  Dorf  stattfindet,  Weule  vermutet,  daß  die 
damit  verbundenen  Kosten  der  Grund  dieser  Abwechslung'  sind  (vgl.  Kap.  LVII1). 
Zu  dem  einleitenden  Feste  werden  für  die  Beschneidungskandidaten  Hütten 
um  den  Festplatz  herum  errichtet,  Die  Operation  selbst  aber  wird  nicht  liier, 
sondern  in  einer  tief  im  Walde  gelegenen  Hütte  ausgeführt,  wo  die  Knaben 
mehrere  Monate  hindurch  von  ihren  Anamungwi  über  Schickliches  und  un- 
schickliches unterrichtet  werden,  was  sich  tfäch  Wrulc  im  wesentlichen  so  zu- 
sammenfassen läßt: 

„Du,  mein  Lehrling  (Schüler),  jetzt  bist  du  beschnitten.  Deinen  Vater 
und  deine  Mutter,  ehre  sie.  Ins  Haus  gehe  nicht  unangemeldet;  du  möchtest 
sie  sonst  treffen  in  zärtlicher  Umarmung.  Vor  Mädchen  mußt  du  keine 
Angst  haben;  schlaft  zusammen;  badet  zusammen.  Wenn  du  fertig  bist,  soll 
sie  dich  kneten;  wenn  du  fertig  bist,  soll  sie  dich  grüßen:  masakam.  Dann 
antwortest  du:  marhaba.  Bei  Neumond  nimm  dich  in  acht:  dann  würdest  du 
leicht  krank  werden.  Vor  Kohabitation  während  der  Regel  hüte  dich  (du  würdest 
sonst  sterben);  die  Kegel  ist  gefährlich;  (sie  bringt)  Krankheiten  viele." 

Die  von  Weule  besichtigte  Beschneidungshütte  „Daggara"  (Fig.  295) 
war  für  15  Knaben  und  ihren  Lehrer  berechnet,  etwa  zehn  Meter  lang  und 
vier  Meter  breit,  mit  Türöffnungen  in  der  Mitte  jeder  Längswand,  aber  ohne 
Verschluß.  Die  Wände  waren  aus  krummen  ästigen  Baumstämmen  gebildet, 
durch  deren  Lücken  der  Wind  pfiff,  und  das  luftige,  schlecht  gehaltene  Stroh- 
dach gewährte  ebenso  mangelhaften  Schutz  gegen  die  kalte  Tropennacht. 
Auf  dem  Boden  lagen  Lö  Betten  aus  Hirsestroh,  von  denen  eins  dem  Lehrer, 
die  anderen  je  einem  der  1 5  Knaben  gehörten.  Auf  diesem  Lager  hatten  sie 
die  schmerzhafte  Operation  mit  zusammengebissenen  Zähnen  ohne  Schmerzens- 
laut  ausgehalten;  sonst  wären  sie  von  ihrem  Lehrer  und  ihren  Gefährten 
ausgelachl  worden.  Zwischen  je  zwei  Betten  lagen  grolle  Äschehaufen;  denn 
nachts  wurde  zum  Schutz  gegen  Frost  Feuer  unterhalten.  .1  oder  der  Burschen 
war  vom  Scheitel  bis  zur  Sohle  mit  einer  dicken  Schicht  von  Dreck.  Staub 
und  Asche  he, leckt,  so  daß  das  am  Schluß  übliche  gemeinsame  Bad  keines- 
wegs unnötig  war').  Obgleich  die  Beschneidung  bereits  einen  Monat  hinter 
ihnen  lag,  hatte  doch  der  eine  und  andere  noch  Eiterungen.  -  Die  Bezeich- 
nung für  die  Kiiabenbesclineidung  ist  bei  den  Wayao  „Lupanda";  die  der 
Knalien  während  der  Beschneidungsperiode,  von  einem  bestimmten  Moment 
an.  „Wari".  Mit  der  Beschneidung  bzw.  der  Reifefeier  sind  typische  Tänze 
verbunden,  darunter  eine  Masewe,  nach  den  Rasseln'2)  an  den  Beinen  der 
Tänzer  so  benannt. 


1,1   hat   das  Bad  aber  auch  hier,  wie  bei  verschiedenen  anderen  Völkern  dieses 
[8,  die  Bedeutung  einer  ethischen   Reinigung, 
"J   Die   Hassel  als  Symbol  des  Geschlechtslebens  ist  in  der  Völkerkunde  wohl  bekanut. 


§  249.     Knabenbeschneidung  bei  Hamiten  und  Negern. 


177 


Der  Unterricht  wird  nicht  in  der  Waldhütte  selbst,  sondern  auf  einem 
eigens  dazu  hergerichteten  Platz  daneben  erteilt.  Einen  solchen,  in  der  Nähe 
von  Chingulungulu,  hat  Weule  besucht  und  beschrieben  als  eine  Lichtung 
von  etwa  15 — 20  Meter  im  Durchmesser,  kreisrund  und  von  einzelnen 
Sträuchern  besetzt.  Um  einen  Baumstumpf  in  der  Mitte  gruppieren  sich 
konzentrisch  zwei  Kreise  kleiner  Baumstümpfe  von  25 — 30  Zentimeter  Höhe, 
die  Sitze  der  Schüler  und  ihres  Lehrers. 

Feuer-  und  Baumkalt,  diese  mit  dem  Geschlechtsleben  häufig  und  innig 
verbundenen  Kulte,  finden  sich  nach  meiner  Ansicht  zweifellos  in  Weules  Be- 
schreibung der  Beschneidung  und  Pubertätsfeier  der  Makua;  denn  diese  lautet: 

Die  Makua  pflanzen,  mitten  auf  den  Festplatz  einen  vielgegabelteu 
Baumast  von  ganz  bestimmten  Eigenschaften '),  den  Männer  unter  Absingung 


Fis 


Eine  Beschueidungshütte  (Daggaral  der  Wayao.     Aus  Weules  „Negerleben  in  Ostafrika",  S.  209. 


eines  Liedes")  aus  dem  Pori  holen,  und  der  in  langem  Zug  in  den  Festhütten- 
ring getragen  wird,  wo  der  Leiter  des  Festes  als  Oberpriester  steht  und  ein 
Huhn  schlachtet,  dessen  Blut  in  eine  bereitgehaltene  Schale  fließt11). 
In  einer  zweiten  Schale  wird  Holzkohle  zu  Pulver  gerieben;  in  einer  dritten 
Schale  roter  Ton  zerstoßen.  Bot-schwarz-rot  wird  dann  der  vielgegabelte 
Baumast  mit  diesen  drei  Stoffen  (Blut,  Kohle  und  roter  Ton)  geringelt.  Dieser 
Baumast  selbst  wird  Lupanda  genannt,  d.  h.  mit  dem  gleichen  Ausdruck  wie 
die  Beschneidung  belegt.  —  Unterdessen  haben  zwei  Männer  ein  Loch 
gegraben,  in  welches  ein  Amulett  aus  zusammengebundenen  Stücken  von  Baum- 
rinde4) gelegt  wird.  Dann  füllt  man  das  Loch  wieder  auf,  macht  einen 
kleinen  Hügel  darüber  und  pflanzt  den  geringelten  Baumast  darauf. 

')  Vgl.  (S.  174)  die  Zweige  vom  heiligen  Baum  der  Kikuyu  bei  deren  Beschneid ungsfeier. 

-)   Vgl.  den  Gesang  der  Kikuyu  vor  dem  heiligen  Baum. 

s)  Vgl.  den  Charakter  der  Beschneidung  als  Akt  sittlicher  Reinigung  bei  den  Kikuyu. 
Wahrscheinlich  ist  das  Huhn   der  llakua  als  Opfer,  sein  Blut  als  Opierblut  aufzufassen. 

4)  Auch  diese  Baumrinde  dürfte  mit  dem  Baum-  bzw.  Fruchtbarkeitskult  im  Zusammen- 
hang stehen. 

PloO-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  12 


178 


Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 


Dann  wirft  man  einen  zweiten  Hügel  auf.  Das  ist  der  Sitz  für  den 
Vornehmsten  der  Kandidaten,  eine  Parallele  zu  dem  Mittelsitz  des  Lehrers- 
nahe  der  Waldhütte  der  Wayao,  welche  wir  bereits  kennen  gelernt  haben.    Um 


ihn  herum  gruppieren  sich  die  minder  vornehmen   Dnyagoknaben  auf  Baui  - 
Stümpfen. 

Wie  die  Wayao,  so  erbauen  auch  die  Makua  oeben  diesem  Platz  eine 
Hütte,   in  welcher  die  Beschneidungs-   und    Pubertätskandidaten   monatelang 


§  249.     Knabenbesehneidung  bei  Hamiten  und  Negern.  179 

leben.  Das  Erbauen  übernehmen  Männer,  welche  gleich  darauf  „Medizin", 
d.  h.  bestimmte  Wurzeln  aus  dem  Busch  holen.  Diese  werden  am  Abend 
des  gleichen  Tages  von  einem  alten  Weib  in  einem  Mörser  zerstampft  und 
hierauf  von  dem  Oberpriester  (Munchira)  5—6  Männern  tupfenweise  auf  den 
Oberarm  gestrichen.  Um  Mitternacht  strömt  auf  den  Trommelschlag  des 
Oberpriesters  hin  groß  und  klein  zum  Tanz  herbei,  welcher  bis  zum  nächsten 
Nachmittag  dauert;  es  wird  geschossen,  man  verteilt  Geschenke  unter  sich 
und  au  die  Lehrer  der  Kandidaten,  und  der  Oberpriester  hält  eine  Festrede, 
in  welcher  er  die  5 — G  getupften ')  Männer  als  geweiht  erklärt.  Diese  dürfen 
nun  ungestraft  stehlen,  rauben  und  sich  mit  den  Frauen  anderer  einlassen, 
haben  aber  die  Pflicht,  in  den  folgenden  drei  Monaten  der  Beschneidungs- 
bzw.  Pubertätsperiode  allnächtlich  um  Mitternacht   die  Trommel  zu  schlagen. 

In  diesen  drei  Monaten  bereiten  die  Frauen  ungeheure  Mengen  Pombe 
zum  Schlußgelage.  Nach  Ablauf  dieser  Zeit  findet  die  folgende  Zeremonie  in 
der  Likumbi  (Beschneidungshütte).  bzw.  um  sie  herum  statt.  In  der  Hütte 
steht  ein  rundes  Deckelkörbchen  (Chihero)  mit  Medizin.  Auch  diese  wurde  (w.  o.) 
von  einem  alten  Weib  zerstampft,  welches  nun  daneben  steht2).  Männer,  die 
stillschweigend  trockenes  Holz  auf  den  Festplatz  gebracht  hatten,  spucken 
etwas  Festpombe  auf  diese  Medizin  im  Körbchen,  welches  dann  von  der  Alten 
auf  den  Kopf  genommen  wird.  Hierauf  erfaßt  diese  eine  lange  Zeugbahn  und 
beginnt,  mit  dem  Oberpriester  an  der  Seite,  die  Prozession  um  die  Festhütte, 
wobei  die  Brennholzsammler  die  Stoffbahn  tragen,  damit  diese  nicht  den 
Boden  berühre,  sondern  langgestreckt  darüber  schwebe.  Nach  dem  Umzug- 
wickelt der  Oberpriester  den  Stoff  um  das  Körbchen,  hält  dieses  damit  der 
Reihe  nach  und  in  kurzen  Zwischenpausen  sich  an  das  rechte  Ohr,  auf  Schulter, 
Hüfte,  Knie  uud  äußeren  Fußknöchel,  und  eignet  es  sich  dann  als  Honorar  an. 

In  der  darauffolgenden  Nacht,  etwa  eine  Stunde  nach  Mitternacht,  steckt 
der  Oberpriester  den  erwähnten  Holzstoß  in  Brand,  und  wenn  das  Feuer 
seinen  Höhepunkt  erreicht  hat  und  die  Männer  es  umstehen,  dann  umkreist 
er  es  eilenden  Schrittes  und  spiicht  es  an:  ..Laß  die  Wunden  der  Knaben 
schnell  und  schmerzlos  heilem  den  Häuptling  aber,  der  diesmal  das  Likumbi 
feiert,  laß  recht  viel  Freude  an  den  Knaben  erleben."  Weules  Frage:  „Liegt  hier 
ein  wirklicher  Feuerkult  vor,  oder  ist  Rundgang  und  Ansprache  auch  nur 
noch  ein  letztes,  unbewußtes  Überbleibsel  einer  solchen  uralten  Verehrung  des 
lohenden  Elementes?"  glaube  ich  im  Hinblick  auf  die  Bedeutung  des  Feuers 
und  Baumes  im  Völkerleben  dahin  beantworten  zu  dürfen,  daß  das  Feuer, 
hier  wohl  wie  so  oft  im  ATölkerleben,  das  Sinnbild  der  apotheosierten  ge- 
schlechtlichen Leidenschaft  ist,  wie  der  Baumast  die  Fortpflanzung  symbolisiert. 

Damit  stimmen  nicht  nur  die  früher  erwähnten  Rasseln  an  den  Füßen  der 
Beschneidungstänzer,  sondern  auch  die  Rasselstäbe  (Kakalle)  in  den  Händen 
der  Beschnittenen  beim  Festzug  am  Schlußtanz  des  Unyago;  denn  auch  die 
Rassel  ist.  wie  schon  bemerkt,  im  Völkerleben  ein  häufiges  Sinnbild  des 
Geschlechtslebens.  —  Das  Alter  der  Beschneidungs-,  bzw.  Reifekandidaten  beider 
Geschlechter  gibt   Weide  auf  8 — 10  Jahre  an3). 

C.  Wehrmeister  nennt  die  Beschneidung  das  „Wesentliche"  bei  der 
Pubertätsfeier  der  Knaben  in  Lukuledi.  wo  es  sich  auch  um  Wayao  und 
Makua  zu  handeln  scheint.  In  Lukuledi  beginne  sie  nach  der  Ernte  und 
erstrecke  sich  auf  die  Monate  Juli,  August  und  September.  Jedes  Kind  müsse 
das  große  Unyago  einmal  mitmachen;  das  Alter  sei  7 — 10  Jahre;  höheres 
Alter  haben  Kandidaten,  die  durch  Krankheit  oder  Reisen   an  einer  früheren 


')  Vgl.   das  getupfte   Weib   bei  den  Jlaskoki-Indianern,  Bd.  I,   S.  99. 
-)  Dieses  Weib  scheint  also  eine  Ausnahme  von  der  Regel  zu  sein.  Denn  nachS.  3<52(Weule) 
soll  der  Aufenthaltsort  der  Beschneidungskandidaten  keinem  weiblichen  Wesen  bekannt  sein. 
3)  Negerlebeu,  S.  360. 

12* 


180 


Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 


Teilnahme  verhindert  waren.  Auch  hier  bekommt  jeder  Kandidat  einen  Er- 
wachsenen als  Mkubwa,  Patron  oder  Ratgeber  für  sein  ganzes  zukünftiges 
Leben,  der  ihm  fast  mehr  als  seine  Eltern  gilt. 

Vor  der  Beschneidung  wird  ein  Hahn ')  als  Opfer  geschlachtet  und  mit 
seinem  Blut  ein  Baum2)  bestrichen,  worauf  der  Hahn  mit  Ugalibrei  von  den 
Eltern  und  Mkubwa  der  Knaben  verzehrt  wird. 

Nach  diesem  Mahl  (Opfermahl?)  packt  plötzlich  ein  Mkubwa  seinen 
Knaben  und  eilt  in  die  Wildnis,  wo  ein  Beschneider  wartet  und  die  Operation 
an  dem  Knaben  vornimmt.  Bald  eilt  ein  anderer  Mkubwa  mit  seinem  Burschen 
dem  Beschneider  nach,  der  sich  nach  jeder  Operation  an  einen  anderen  Ort 
begibt.     Die  Wakubwa  verwehren  ihren  Knaben  das  Weinen. 

Sind  alle  Knaben  beschnitten,  dann  haut  man  den  mit  Blut  beschmierten 
Baum  um  und  läßt  ihn  liegen.  Die  Wunden  der  Knaben  werden  nicht  ver- 
bunden. Diese  bleiben  mit  ihren  Wakubwa  bis  zu  ihrer  Heilung,  also  etwa 
einen  Monat,  in  kleinen  Hütten  in  der  Wildnis  und  kleiden  sich  von  jetzt  an 
nur  mit  geschlagener  Baumrinde. 


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Fig.  2'.i7.    Hakua-Knaben  mit  Rasselstäben  (Kakalle)  beim   festlichen  Abschluß  ihrer  Beschueidungsfeier. 

Aus   Wen/es  „Neg<  llel'fn  in  Ostafrika-'.  S.  :»,:;. 

Während  dieser  Zeit  dürfen  die  Knaben  kein  weibliches  Wesen,  auch 
nirht  ihre  Mütter  sehen,  wenn  diese  das  Essen  bringen.  Die  Wakubwa  holen 
es.  nachdem  die  Mütter  es  in  einiger  Entfernung  von  der  Hütte  hingestellt  haben. 
Die  Patrone  selbst  dürfen  während  der  Beschneidungsperiode  keinen  Umgang 
mit  ihren  Weibern  pflegen,  weil  sonst  die  Wunden  der  Knaben  nicht  heilen. 
Dieser  Glaube  zieht  dem  Mkubwa  eines  Knaben,  der  in  dieser  Hinsicht 
Beschwerden  hat,  sofort  den  Vorwurf  zu,  er  habe  jenes  Verbot  übertreten. 
unter  Umständen  muß  er  sogar  einem  andern  Mkubwa  seine  stelle  abtreten8).  - 

Von  den  Wasaramo  an  der  mittleren  Küste  von  Deutsch-Ostafrika  besitzt 
das  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig  einen  Tanzstab,  welchen  die  Knaben 
bei  der  Beschneidungsfeier  tragen.    Eine  Abbildung  davon  folgt  als  Fig.  2V)8. 

Ferner  besitzt  das  Leipziger  Museum  Beschneidungsmesser  der  Wagaya 
am  Victoria  Nyansa-See,  welche  hier  als  Fig.  299  abgebildet  sind.  Die 
Wagaya  beschneiden  Knaben  und  Mädchen. 

Über  die  Sulu,  einen  Kaffernzweig  in  Natal.  schrieb  im  Jahre  1907 
Fr.  Mayr:   Sie    ließen    sich  früher  mit   25  Jahren  beschneiden.     Die  gleich- 


')  Der  Halm  ist   im   Völkerleben  vielfach  ein  Sinnbild  des  Geschlechtslebens. 
*)  Also  abermals   Baum   und    Bi  ichneidung  im  Zusammenhang. 
i  A.il  weitere  Branche  kommt  Kap.   LV11I  zu  sprechen. 


§  249.     Knabenbeschneidung  bei  Hamiten  und  Negern. 


181 


alterigen  jungen  Leute  begaben  sich  zu  diesem  Zweck  auf  einen  nahgelegenen 
Hügel  und  errichteten  da  Hütten  aus  Gras  und  Zweigen.    Die  Operation  wurde 
von  einem  oder  mehreren  erfahrenen  Männern  vorgenommen.     Die 
Beschnittenen  blieben  in  diesen   Hütten  ein   ganzes  Jahr.     Alte 
Weiber  brachten  ihnen  die  Speisen;  die  Jugend  hatte  keinen  Zutritt. 

Demnach  ist  hier  die  Beschneidung  jetzt  nicht  mehr  üblich. 
Im  Jahre  1870  schrieb  Callaway  noch:  Die  Amazulu  (Sulu) 
führen  die  Beschneidung  auf  einen  Befehl  Unkulunkulus,  ihres 
Stammvaters  (und  Schöpfers?),  zurück.  Das  männliche  Geschlecht 
solle  sich  beschneiden  lassen,  damit  es  mannhaft  werde,  nicht 
Knabe  bleibe ').  Unkulunkulu  selbst  habe  beschnitten.  -  -  Nach 
Fritsch2)  hat  bereits  Tschdka,  der  sogenannte  afrikanische 
Napoleon  und  Begründer  des  nationalen  Lebens  der  Sulu,  auf  die 
Abschaffung  der  Beschneidung  hingewirkt. 

Andere  Kaffernstämme,  darunter  der  südlichste,  die  Kosa 
(Ama-Kosa),  übten  sie  weiter.  Bei  diesen  letzteren  ist  die  Be- 
schneidung des  männlichen  Geschlechtes  mit  den  Uku-tshila-Tänzen 
verbunden,  welche  die  Aufreizung  der  Sinnlichkeit  bezwecken. 
Gereifte  Mädchen  nehmen  daran  teil;  jeder  Aba-Kvveta,  d.  i.  Neu- 
beschnittene, .darf  bei  dieser  Gelegenheit  jedes  gereifte  Mädchen 
benutzen.  —  Ähnlich  ging  es  bei  dem  Uku-hlobonga  der  Amazulu 
her  (SJwoter). 

In  der  '2.  Auflage  hat  Plo/i  für  die  Beschneidung  der  „Kaf  f  er"- 
(Stämme?)  das  Lebensalter  von  8  — 10  Jahren  angegeben  und  sie 
ein  höchst  wichtiges  Fest  genannt,  das  stets  im  Monat  Mai  ab- 
gehalten werde.  Den  Beschnittenen,  schrieb  er,  baut  man  eine 
große  Rohr-  oder  Strohhütte,  fast  wie  eine  Scheune,  in  deren  kleineren 
Abteilungen,  bis  25  an  der  Zahl,  sich  die  Beschnittenen  auf- 
halten, abgesondert  von  den  Eltern  und  aller  anderen  Gesell- 
schaft. Man  bereitet  ihnen  das  Essen,  und  erlaubt  ihnen  auch 
wohl,  sich  selbst  Wurzeln  zu  suchen.  Sie  sind  mit  Binsen  am 
Leibe  bekleidet  und  tragen  eine  tonnenförmige  Binsenmütze.  In 
der   Mitte    des    September   ist   erst    dieser  Aufenthalt    beendigt. 

Dann  kommen  die  Weiber  und  tanzen  bis 
spät  in  die  Mitternacht;  auch  stellen  sich 
nach  und  nach  alle  Leute  der  Nachbar- 


Fic 


Fi^r.  199.  Besckneidungsinstru- 
mente  bei  den  Wagaya.  Links: 
Messer  zur  Beschneidung  der 
Knaben ;  rechts :  Messer  zur  Be- 
schneidung der  Mädchen  (Ex- 
stirpation  der  Klitoris)  Im 
Museum  für  Völkerkunde  in 
Leipzig. 


298.  Tanz- 
stab derWasa- 
ramo  -  Knaben 
bei     ihrer     Be- 

schaft  ein.  Das  Oberhaupt  der  Horde  teier.  im  Muse- 
geht  mit  seinem  Gefolge  nach  der  Hütte,  guJelnLe^ 
und  aller  Unrat  um  die  Hütte  herum,  zig- 
alle Eß-  und  Trinkgeschirre  werden  nun 
in  dieselbe  hineingeworfen.  Man  tanzt  bis  abends 
8  Uhr;  hierauf  führt  man  die  jungen  Leute  fort,  hinter 
welchen  die  Hütte  an  vier  Ecken  angezündet, 
wird.  Sie  dürfen  sich  aber  nicht  umseheu,  sonst 
würden  die  Genesenen  wieder  krank  werden :!). 
Tags  darauf  werden  die  Beschnittenen  ganz  früh  in 
einen  Wald  gebracht;  dort  erhalten  sie  ihren  Lager- 
platz unter  einem  großen  Baume  auf  Matten.  Bald 
erscheint  das  Oberhaupt    und    der  Arzt  (Zauberer, 


M  Vgl.  das  Uku-lilobonga  der  Sulu  (Amazulu)  w.  u. 
a)  Bei  Floß  I,  363. 

3)  Vgl.  die   Balemba  w.  u.  —  Es    ist    nicht    unwahrscheinlich,    daß    auch    die    obigen 
Binsen  ein  Symbol  des  Geschlechtslebens  bzw.  des  feuchten  Elementes  sind.    Vgl.  Kap.  XXX. 


]g2  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

welcher  die  Beschneidung  verrichtet  hat);  die  Knaben  werden  mit  Korallen  und 
Hassagaien  beschenkt  und  dadurch  gleichsam  unter  die  Krieger  aufgenommen. 
Hierauf  bewirtet  man  sie.  Schließlich  laufen  auch  die  Mütter  mit  Freuden 
zu  ihren  Kindern,  werden  aber  von  ihnen  mit  Stockschlägen  empfangen,  um 
anzuzeigen,  daß  die  Knaben  nun  Männer  und  der  Aufsicht  der  Mütter  ent- 
wachsen sind.     Singen,  Tanzen  und  Trinken  beschließen  die  Feierlichkeit. 

Das  Verbrennen  der  Hütte  und  seines  Inhaltes  hat,  nach  den  Feuer- 
zeremonien bei  anderen  Völkern  zu  schließen,  wohl  auch  hier  einen  tieferen 
Sinn  als  nur  den  der  Vernichtung  der  Hütte  und  seines  Inhaltes;  ob  als  Bild 
des  abgeschlossenen  Kindes-  und  Anfang  des  Manneslebens,  ob  als  Bild  der 
Reinigung  usw.,  muß  wohl  einstweilen  unentschieden  bleiben. 

G.  Fritseh  erzählt,  daß  sich  bei  den  Kaffern  die  jungen  Burschen  zur 
Zeit  der  Pubertät  unter  der  Obhut  eines  altern  Mannes  in  die  Wildnis  zu- 
rückziehen, sieh  mit  weißem  Ton  bemalen  und  eine  Genossenschaft  bilden. 
Nun  vollzieht  ihr  Mentor  an  ihnen  unter  den  eigentümlichsten,  mit  Peinigungen 
und  Disziplinar- Prüfungen  verbundenen  Zeremonien  die  Zirkumzision.  Jeder 
Knabe  hat  seine  abgeschnittene  Vorhaut  hinwegzutragen  und  im  Stillen  irgendwo 
zu  begraben,  damit  mit  derselben  kein  schadender  Sympathiezauber  getrieben 
werde.  Dann  folgen  Aufzüge  in  phantasti&chen  Trachten,  obszöne  Hand- 
lungen1), zuletzt  Waschungen  im  Flusse. 

Das  Auspeitschen  der  Beschneidungskandidaten  usw.  wird  in  Kap.  LVIII 
beschrieben  werden;  hier  sei  im  voraus  bemerkt,  daß  die  Beschneidung  auch 
bei  den  Kaffern  einen  wichtigen  Bestandteil  der  Aufnahme  in  die  Reihe  der 
Männer  ausmacht  (vgl.  Lukuledi  w.  u.). 

Ähnliches  gilt  von  den  Basuto  oder  Sotho,  einem  Zweig  der  Bet- 
schuanen  im  britischen  Südafrika,  welche  die  Beschneidim?  und  Aufnahme 
unter  die  Erwachsenen-)  „Polio"  (von  volla,  d.  i.  Auszug)  bezeichnen,  ..weil 
die  Betreffenden  dabei  ins  Feld  ziehen"  (?).  Hier  geht  die  Sage,  es  sei  ein- 
mal jemand  gekommen,  der  sie  hätte  bewegen  wollen,  die  Beschneiduno-  an- 
zunehmen. Da  habe  man  sich  erst  vergewissern  wollen,  ob  man  nicht  vom 
Beschneiden  sterbe.  Man  habe  also  erst  an  einem  Fremdling  den  Akt  probiert, 
und  als  man  gesehen,  daß  es  ihm  nichts  geschadet,  habe  man  die  Beschnei- 
dung  eingeführt.  Dalier  noch  heute  stets  Jünglinge  von  andern  Stämmen  am 
Polio  teilnehmen.  —Endemann  meinte,  daß  nach  diesen  Sagen  die  Beschnei- 
dung der  Basuto  mohammedanischen  Ursprungs  sein  könne.  -  Dafür 
spräche  auch  der  ('instand,  daß  die  dortigen  Beschneidungskandidaten  in  Na- 
tionalliedern „Krokodilskinder"  genannt  werden,  was  nach  Plofi  I,  364  ent- 
weder auf  äthiopischen  Ursprung,  oder  aber  auf  die  beim  Polio  stattfindenden 
Waschungen  hinweisen  soll. 

Beides  wäre  möglich;  wahrscheinlicher  aber  dünkt  mir  ein  tieferer  Sinn 
dieses  Wortes,  der  abermals  aus  dem  Hauptzug  im  Leben  der  Heiden- 
welt, aus  dem  Geschlechts-  bzw.  Fruchtbarkeitskull  entsprangen  sein  dürfte. 
Denn  das  Krokodil  ist,  wie  die  Eidechse  und  Schlange,  unter  anderm  ein 
Bild  der  Zeugung.  Was    aber  den  „Fremdling"    der  Basutosage   betrifft, 

so  scheint  er  ein  Balemba  gewesen  zu  sein,  wie  wir  auf  S.  183  sehen  werden. 

Das  Polio  der  Basuto  findet  nach  Endemann  nicht  jedes  Jahr  statt, 
ist  aber  in  seinem  weiteren  Sinne,  d.  h.  als  Pubertätsfeier,  obligatorisch  für 
beide  Geschlechter;  wer  sich  ihm  entziehen  wollte,  würde  aus  dem  stamm 
ausgestoßen  oder  gar  getötet  werden.  Doch  nur  das  männliche  Geschlecht 
hat    sich    der  Beschneidung,   dem   einen  Hauptteil  des  Polio,  zu   unterwerfen. 


l)  Siel  i  ku-tshila-Tänze  S.  181. 

-i  Beider  Geschlechter.     Vgl.  Kap.  LVU  und  LVIII. 


§  249.     Knabenbesehneidung  bei  Hamiten  und  Negern.  183 

Die  Beschneidung  wird  vom  Xaka  an  einem  bestimmten  Ort  vollzogen. 
Wehe  dem.  der  dabei  Angst  zeigt,  oder  Zeichen  des  Schmerzes  vou  sich  gibt! 
Er  erhält  unbarmherzige  Schläge  mit  Ruten  vom  beiwohnenden  älteren  Manns- 
volke. —  Nach  vollzogener  Beschneidung  tritt  an  Stelle  der  bisherigen  Be- 
deckung der  Lenden  ein  Schurz,  welcher  dem  der  Mädchen  gleicht.  Die  Be- 
schnittenen bleiben  drei  Monate  im  Felde,  bis  sie  völlig  heil  sind.  Während- 
dem vertreiben  sie  sich  die  Zeit  mit  Singen  und  Tanzen;  außerdem  werden 
sie  „geschult"  von  einem  dazu  gesetzten  Aufseher.  Die  Schulung  betrifft 
„die  Einweihung  in  alles,  was  ein  Mann  zu  beobachten  hat".  Dabei  erhalten 
•die  Schüler  von  den  sie  besuchenden  älteren  Beschneidungsklasseu  oft  un- 
barmherzige Schläge,  die  um  so  unbarmherziger  sind,  je  mehr  einer  Zeichen 
■des  Schmerzes  von  sich  gibt.  Eine  bestimmte  Zeit  dürfen  die  Xeubeschnittenen 
kein  Wasser  trinken;  hartes  Staupen  straft  die  Übertretung  dieses  Verbotes.  Die 
Speise  wird  den  Beschnittenen  täglich  von  bestimmten  männlichen  Personen 
ins  Feld  getragen:  eine  weibliche  darf  ihnen  nicht  nahen.  Nach  Verlauf  von 
drei  Monaten  ziehen  die  Beschnittenen,  mit  einem  neuen  kxesoa  angetan,  nach 
Hause.  -  Alle,  die  zusammen  das  Polio  durchmachen,  bilden  eine  xoera 
(Kameradschaft,  also  einen  Bund). 

Unter  den  Basuto  und  Bathonga  lebt  zerstreut  der  Bantn-Stamm  der 
Balemba,  Von  ihnen  schrieb  im  Jahre  1908  Missionar  He)ui  A.  Junod: 
Sie  hängen  mit  Überzeugung  an  der  Beschneidung  (ngoma).  Junod  zweifelt 
nicht,  daß  liier  semitischer  Einfluß  vorliegt,  da  die  Balemba  das  jüdische 
Verbot,  Fleisch  von  ungeschäehteten  Tieren  zu  essen,  beobachten. 
Übrigens  hat  Nauch  (bei  B.  Andree)  auf  den  auffallend  jüdischen  Typus  der 
Balemba  hingewiesen. 

Anknüpfend  an  die  Basutosage  (S.  182)  von  der  Einführung  ihrer 
Beschneidung  durch  einen  Fremden  ist  die  folgende  Mitteilung  Junods 
besonders  interessant.  Ein  alter  Shangaan  erzählte  -Junod  nämlich,  daß  die 
Balemba  früher  die  Beschneider  der  Basutos  gewesen  seien.  Sie  hatten 
den  Zauber  zu  besorgen  für  die  kreisförmige  Umzäunung  der  Beschneidungs- 
hütte.  um  sie  gegen  böse  äußere  Einflüsse  zu  schützen1);  ihnen  kam  es  auch 
zu,  die  Hütte  an  dem  Tage  in  Brand  zu  stecken,  an  welchem  die  beschnittenen 
Knaben  wieder  heraus  durften.  Sonst  wagte  es  niemand  zu  tun.  Die  Knaben 
selbst  mußten  die  Hütte  laufend  verlassen  und  einem  nahen  Teich  zueilen, 
wo  sie  ein  Bad  nahmen.  Zurückblicken  zur  brennenden  Hütte  war  ihnen 
<treug  verboten,  da  der  Anblick  des  Feuers  ihre  Augen  durchbohren  und  sie 
■erblinden  würden'-).  Aber  die  Balemba,  die  Herreu  des  ngoma,  fürchteten 
das  nicht. 

Es  scheint  also,  daß  die  Balemba  es  waren,  welche  den  Basuto  die 
Beschneidung  brachten. 

Sicher  ist.  nach  Junod,  daß  sie  diesen  Brauch  bei  den  Bavenda  ein- 
führten. 

Beschneidung  üben  ferner  die  erwähnten  Bathonga,  unter  welchen  die 
Balemba  leben;  ebenso  die  Barolong. 

Auf  Madagaskar  ist  die  Beschneidung  allgemein.  Eine  Unterscheidung 
•der  Bräuche  nach  Malayen  und  Negern  dürfte  bei  der  dortigen  ethnischen 
Vermischung  kaum  überall  möglich  sein.  Jene  der  malayischen  Howa  werden 
im  folgenden  Paragraphen  besprochen.  Wahrscheinlich  ist  aber  ein  Teil  davon 
auch  der  kraushaarigen  Bevölkerung  an  der  Westküste  gemeinsam.  Von 
dieser  schrieb  Plofi  (2.  Aufl.).   daß   die   beschnittenen  Knaben   ihr  Präputium 


')  Diese  Mitteilung  wirft  auf  die  Umzäunung  der  Beschneidungs-  bzw.  Rekonvaleszenz- 
hütten auch  anderer   Völker  ein  Licht. 

2)  Vgl.  das  Verbot  der  Kaff'er  auf  S.  181  f. 


134  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

in  Branntwein  verschlucken  mußten.  —  Bei  den  Bara  warfen  die  Väter  die 
Präputien  in  den  nächsten  Fluß.  -  Nach  likharchon  bestimmt  bei  den  Bara 
heutzutage  noch  ein  Wahrsager  die  Zeit  der  Beschneidung  und  erhält  dafür 
einen  halben  Ochsen  und  einen  Speer. 

Bei  den  Sakalaven  auf  Madagaskar  finden  Zeremonien  erst  nach  glücklich 
ausgefallener  Operation  statt.  C.  Keller  spricht  in  diesem  Fall  von  einem 
„Dankfeste".  Die  Beschneidung  findet  nach  Grandidier  unter  Beisein  der  Ver- 
wandten statt,  die  das  Kind  mit  ihren  Gewändern  bedecken,  während  der  Vater 
es  im  Arme  hält.  Der  Operateur  benutzt  ein  schlechtes  Rasiermesser.  Die  ab- 
geschnittene Vorhaut  wird  in  eine  Flinte  geladen,  oder  auf  die  Spitze  einer 
Lanze  gesteckt  und  über  das  Dach  des  väterlichen  Hauses  geworfen.  Fällt 
der  Speer  gerade  stehend  zur  Erde,  so  ist  dies  ein  gutes  Zeichen:  Der  Knabe 
wird  mutig.  —  Der  Körper  des  Kronprinzen  aber  ist  nach  madagassischem  Begriff 
heilig,  weshalb  dessen  Oheim  das  Präputium  zu  verschlucken  hat  (Grandidier). 

Die  Antankarana  am  Ambro-Gebirge,  ebenda,  haben  etwas  andere 
Gebräuche,  als  die  Sakalaven.  Die  Beschneidung  der  Knaben  findet  bei  ihnen 
statt,  wenn  sich  mehrere  Kinder,  Säuglinge  und  solche  bis  zu  sechs  Jahren, 
eingefunden  haben.  Der  Angesehenste  der  Familie  (gewöhnlich  der  Älteste 
nimmt  die  Zeremonie  vor.  Nachdem  sich  die  Kinder  mit  ihren  Eltern  und 
sonstigen  Verwandten  in  seinem  Dorfe  eingefffnden  haben,  und  man  sich  durch 
Trinken  und  Essen  in  die  richtige  Feststimmung  versetzte,  wird  ein  Ochse 
gebracht,  zu  Boden  geworfen  und  gefesselt,  Den  Kopf  des  Tieres  richtet  man 
nach  Osten.  Nun  nimmt  der  Alte  einen  Topf  Wasser  und  begießt  unter 
Gebetmurnielu  das  Tier  vom  Kopf  bis  zum  Schweife.  Dann  stellt  oder  setzt 
er  sich  hinter  den  Ochsen,  in  der  Hand  ein  Stäbchen  haltend.  Mit  diesem 
klopft  er  viermal  auf  die  Rippen  des  Opfers,  dabei  Gesundheit.  Reichtum  und 
anderes  Gut  für  die  Kinder  erflehend.  Darauf  wird  der  Ochse  durch  Zer- 
schneiden der  Halsader  geschlachtet  und  sein  Fleisch  -  -  bei  den  Antankarana 
ist  kein  Körperteil  des  Viehs  „fadi" ')  --  gegessen.  Die  Hörner  mit  einem 
Stück  Schädeldecke  steckt  man  auf  lange,  oben  zugespitzte  Stangen  mitten 
im  Dorfe.  Hier  wird  aus  Bootssegeln  und  anderen  Tüchern  ein  dicht  ver- 
schlossenes Zelt  aufgestellt,  in  welchem  die  Beschneidung  durch  den  Alten 
vorgenommen  wird.  Einen  der  Knaben  nach  dem  anderen  geleitet  man  hinein. 
Die  Operation  geschieht  mit  einein  beliebigen  .Messer,  gewöhnlich  Rasier- 
messer, in  gleicher  Weise  wie  bei  den  Orientalen.  Die  abgeschnittene  Vor- 
haut laden  die  Verwandten  in  eine  Flinte  und  schießen  sie  unter  Frohlocken 
in  die  Luft    oder  gegen  die  Ochsenhörner  hin.     Essen,  Trinken  oder  Tanzen 

beschließt    das    Fest. 

Vom  südöstlichen  Afrika  zum  südwestlichen  übergehend,  finden  wir  die 
Beschneidung  bei  den  Herero,  die  ihre  Söhne  dieser  Operation  im  Alter  von 
fünf  Monaten  unterwerfen.  Zu  den  alttestainentlichen  Israeliten  bildeten  sie 
vor  der  deutschen  Ära  insofern  ein  Seitenstück,  als  sie,  gleich  jenen,  auch 
Fremde,  die  sie  ihrem  Volke  einverleibten,  d.  h.  ihre  Kriegsgefangenen: 
Bergdamara,  Hottentotten  und  Buschmänner,  beschnitten,  wie  vom  Sanitäts- 
amt in   Windhuk  berichtet  wird. 

An  einem  als  heilig-  erklärten  Ort  wird  die  Beschneidung  östlich  von 
Loanda  bis  zum  Reiche  des  Muata  .lamwo,  also  im  nördlichen  Angola 
und  den  angrenzenden  Gebieten  des  Kongostaates  vorgenommen.  Das 
\lter  der   Kandidaten  umschließt  8  —  10  Jahre  (li.  Andree). 

l\{ni  Pogge  berichtete  nach  seinen  Erfahrungen  „Im  Beiche  des  Muata 
Jamwo"  von  den  Songo-Negern.  Die  zu  Beschneidenden.  Knaben  von 
8 — 10  Jahren,    ziehen    gemeinsam    mit   dem  Arzte   und   seinen  Assistenten  an 


')  Die  Bedeutung  des  „fadi"'  oder  ,.fady"  s.  S.  191,  Anm. 


§  249.     Knabenbeschneidung  bei  Hamiten  und  Negern.  185 

einen  fern  vom  Dorfe  gelegenen  Ort,  bauen  sich  hier  Hütten  und  friedigen 
dieselben  mit  einem  hohen  Zaun1)  aus  Flechtwerk  ein.  Sie  verbringen  hier 
meistens  viele  Wochen  und  beschäftigen  sich  während  dieser  Zeit  hauptsächlich 
mit  zeremoniellen  Gesängen.  Niemand  hat  Zutritt  zu  diesem  heiligen  Ort. 
Die  Mütter  bringen  Lebensmittel,  jedoch  kein  Fleisch,  weil  den  Kandidaten 
der  Fleischgenuß  verboten  ist;  sie  dürfen  auch  nicht  in  den  geheiligten  Kaum 
eintreten,  um  ihre  Söhne  zu  sehen.  Sobald  die  Operation  vollendet  ist,  zieht 
der  Arzt  mit  seinen  Pflegebefohlenen  auf  die  Jagd;  nach  Erlegung  eines 
Stückes  Wild  wird  dies  von  der  Gesellschaft  teilweise  verzehrt,  dann  ziehen 
die  Knaben  mit  dem  Operateur  ins  Elternhaus  zurück.  Zum  Zeichen,  daß 
sie  entlassen  sind  und  Fleisch  wieder  essen  dürfen,  überbringen  sie  ihren 
Eltern  ein  Stück  von  dem  erlegten  Wild.  Die  Angehörigen  geben  ihren 
Söhnen  meistens  ein  Fest,  bestehend  in  Tanz  und  fröhlicher  Bewirtung  mit 
Speise  und  Trank;  außerdem  in  der  Regel  ein  neues  Kostüm.  Die  Eltern 
bezahlen  den  Arzt,  je  nach  Umständen,  mit  einer  Ziege,  4  Yards  Zeug  oder 
anderen  Gegenständem  Stirbt  dem  Arzt  im  Exil  einer  seiner  Schützlinge,  so 
hat  er  durch  Zahlung  Ersatz  zu  leisten,  der  entweder  in  einem  Sklaven  oder 
in  Vieh  besteht. 

Von  den  Kongo-Negern  in  der  Umgegend  von  San  Salvador")  und  von 
Warben  (Xgombe  Lutete3)  schreibt  der  englische  Missionar  John  H.  Weehs: 
In  der  Umgegend  von  San  Salvador  ist  die  Beschneiduug  mit  andern 
Formalitäten  verbunden  als  in  der  Umgebung  von  Wathen  bei  den  Ngombe 
Lutete. 

Wecks  beschreibt  dann  zunächst  jene:  Im  Mittelpunkt  einer  Gruppe  von 
Dörfern,  aus  denen  die  Beschneidungskandidaten  kommen,  wird  von  den  Männern 
ein  großes  Haus  „vela"  auf  einem  Hügel  in  der  Nähe  eines  Gewässers  erbaut. 
Dieses  Haus  erhält  seine  Benennung  nach  dem  nganga,  der  die  Kandidaten 
empfängt.  Ist  der  Mann  ein  'ngang'  eseka,  so  heißt  es  „eseka";  ist  er  ein  'ngang' 
a  lubwiku,  so  heißt  es  „lubwiku"4).  Beide  können  auch  nebeneinander 
besteben,  und  es  hängt  dann  der  Zulauf  der  Knaben  von  dem  größeren  Ruf 
des  einen  oder  anderen  ab.  Die  Beschneidung  fällt  in  die  kalte  Jahreszeit, 
d.  h.  vom  Mai  ins  Oktober.  Der  nganga,  seine  Assistenten  und  Beschneidungs- 
kandidaten leben  in  dieser  Zeit,  d.  h.  fünf  Monate  lang,  von  den  Speisen. 
welche  die  Eltern  der  Knaben  in  das  Beschueidungshaus  schicken.  Außerdem 
erhält  der  nganga  für  jeden  Beschnittenen  fünf  Reihen  blauer  Perlen.  Knaben, 
die  nicht  von  selbst  zur  Operation  kommen  wollen,  was  jedoch  selten  ist. 
werden  von  den  ihrigen  gewaltsam  hingebracht.  Während  ihres  Aufenthaltes 
im  Beschueidungshaus  muß  ein  Knabe  dafür  sorgen,  daß  das  Feuer  nie  aus- 
geht; ginge  es  aus,  so  müßte  seine  Mutter  ein  Huhn  als  Strafe  zahlen5).  In 
dieser  Zeit  dürfen  die  Knaben  weder  ihre  Mütter,  noch  irgendein  weibliches 
Wesen  sehen.  Streit  untereinander  wird  bestraft,  indem  die  Schuldigen  einen 
Teil  der  kalten  Nacht  im  nahen  Wasser  sitzen  und  dabei  mit  den  am  Ufer 
sitzenden  nganga,  Assistenten  und  Kandidaten  singen  müssen.  Oder  sie  haben 
nackt  auf  einem  Hüo-el  zu  liegen.  Mancher  leidet  zeitlebens  an  den  Folgen 
solcher  Strafen.  —  Die  abgeschnittenen  Vorhäute  werden  verbrannt  und  die 
Wunden  täglich  gewaschen.  Obwohl  die  ßeschneidung  zu  verschiedenen  Zeiten 
geschieht,  verlassen  doch  alle  erst  nach  Ablauf  der  Saison  das  Haus.    Dieser 


')  Vgl.  die  L'mz'aunung  als  Schutzmittel  gegen  böse  Einflüsse  bei  der  Bechneidung  der 
Balemba  und  Basuto  S.  183;  ferner  die  Beschueidungshütten  als  Magen  der  Gottheit,  aus 
welchem  die  Kandidaten  ihre  Wiedergeburt  erleben,  bei  den  Papuas  im  folgenden  Paragraphen. 

s)  Portugiesischer  Kongo. 

3)  Im  belgischen  Kongo. 

l)  Den  Unterschied  zwischen  den  beiden  Männern  s.  S.  186. 

6)  Auch  hier  scheint  das  Peuer  in  einem  tieferen  Sinn  aufzufassen  zu  sein. 


Igg  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Zeitpunkt  wird  festlich  begangen.  Verwandte  und  Bekannte  kommen  in  ihrer 
besten  Kleidung.   Flinten  knattern,  Trompeten  erschallen  und  Trommeln  wirbeln. 

Ein  ,,'ngang'  a  lubwiku"  hat  einen  mächtigeren  Fetisch  als  ein  ,,'ngang" 
eseka".  Das  zeigt  er  am  Ende  der  Saison.  Er  läßt  sich  an  den  Mittelpfosten 
des  Beschneidungshauses  binden,  dieses  anzünden  und  sich  unverletzt  durch 
seinen  Fetisch  aus  dem  brennenden  Haus  befreien. 

Als  Grund  für  die  Beschneidung  (um  San  Salvador)  konnte  Wecks 
nur  erfahren,  daß  die  Weiber  Beschnittene  vorziehen,  Unbeschnittene 
nicht  heiraten  wollen.  In  manchen  Distrikten  dürfen  Unbeschnittene  sich 
nicht  zu  den  Beschnittenen  hinsetzen.    Die  Beschneidung  ist  allgemein  üblich. 

Nicht  allgemein  ist  sie  im  Wathendistrikt.  Hier  findet  sie  übrigens 
manchmal  schon  2 — 3  Wochen  nach  der  Geburt  statt,  bisweilen  jedoch  im 
Alter  von  10 — 12  Jahren,  oder  gar  erst  mit  20  Jahren.  Der  Operateur  ist 
der  „nganga  kumbi".  Er  erhält  von  jedem  Knaben  zwei  Kupferdrähte. 
Der  Kandidat  darf,  wie  bei  anderen  Völkern,  auch  hier  einige  Zeit  keinen 
Verkehr  mit  dem  weiblichen  Geschlecht  haben,  noch  von  diesem  gesehen 
werden.  Ein  besonderes  Beschueidungshaus  erwähnt  Weeks  hier  nicht.  — 
Nach  der  Operation  gräbt  der  Knabe  ein  ca.  18  Zoll  tiefes  Loch  mit  eben- 
solchem Durchmesser,  erhitzt  harthäutige  große  Bohnen  am  Feuer,  legt  sie  ins 
Loch  und  sich  selbst  darüber,  um  den  heißen  Dampf  aufzunehmen,  worauf  er 
sich  in  einem  fließenden  Wasser  wäscht.  Die  AVunde  wird  mit  der  Asche 
verbrannter  Grasstengel  eingerieben,  worauf  der  Beschnittene  heimgeht  und 
die  Wunde  heilen  läßt.  Dann  legt  er  ein  neues  Kleid  an.  und  die  Sache 
ist  abgetan. 

Daß  in  San  Salvador  die  Knaben  bei  der  Beschneidung  einen  neuen 
Namen  erhalten,  ist  in  einem  früheren  Kapitel  erwähnt  worden. 

Im  Dorfe  Vuila,  etwa  eine  Stunde  von  Inkissi  im  Gebiete  der  Kongo - 
fälle,  wird  die  Beschneidung  der  Knaben  „in  einem  gewissen  Alter"  vor  dem 
„Fetisch  der  Beschneidung"  unter  Anrufung  des  Fetisches  vorgenommen. 
Dieser  „Fetisch"  ist  ein  ca.  12  m  langer  und  3  m  hoher  Portikus  aus  dünnen 
Brettern  mit  6  Türöffnungen.  Auf  jedem  Türpfeiler  steht  eine  einen  Europäer 
darstellende  Figur  mit  einem  monströsen  Attribut,  das  an  die  Phallusembleme 
des  alten  Rom  erinnert  (Glob.  70,  nach  P.  Briart). 

Im  belgischen  Kongo,  und  zwar  im  Osten  und  Nordosten,  sind  ferner  die 
Manjema,  Warega,  Mangbuttu  und  Akka,  letztere  ein  sog.  Zwergvolk. 
Alle  üben  Beschneidung. 

Von  den  Manjema  hat  sie  Livingstone  bezeugt.  Sie  ist  hier  allgemein 
üblich  und  wird  an  den  Knaben  schon  im  Kindesalter  vollzogen.  Soll  der 
Sohn  eines  Häuptlings  beschnitten  werden,  dann  versucht  man  die  Operation 
zuerst  an  einem  Sklaven,  da  man  gewisse  Zeiten,  z.  B.  Dürre,  für  ungünstig 
hält;  haben  sie  durch  dieses  Experiment  die  geeignete  Zeit  festgestellt,  so 
gehen  sie  in  den  Wald,  schlagen  die  Trommel  und  begehen  die  Zeremonie 
festlich.  -  Den  Sitten  anderer  Afrikaner  entgegen  schämen  (?)  sie  sich  nicht, 
von  der  Zeremonie  zu  sprechen,  und  tun  es  sogar  in  Gegenwart   der  Frauen. 

Daß  die  Warega  ihre  Knaben  beschneiden  lassen,  hat  Delhaise  berichtet. 

Bei  dem  .Mischvolk  der  Mangbuttu,  die,  nebenbei  bemerkt,  stark  semi- 
tischen  Typus   haben    sollen,    verleiht    die   Beschneidung   persönliche  Würde 

(/'/„/;'  I,   370). 

Von  den  zerstreut  unter  den  Mangbuttu  lebenden  Akka  erwähnt  Richard 
Andree  den    Brauch  der  Beschneidung. 

Wir  Liehen  zum  französischen  Kongo  über. 

\  "ii  den  Bafiote,  Fetischdienern  an  der  Loango-Küste,  meldete  Falk-  h- 

in   ungefähr  das  Gleiche,  was  wir  oben  durch   Weeks  von  San  Salvador 

erfahren  haben,  d.  h.  die  Weiber  wollen  mit  l'nbeschnittenen  nicht  verkehren. 


§  249.     Knabenbeschneidung  bei   Hainiten  uad  Negern.  187 

Die  Operation  der  Knaben  nimmt  man  bei  den  Bafiote  in  verschiedenen 
Altersstufen  vor,  sie  muß  nur  vor  der  Verheiratung  stattfinden.  —  Der  Operateur 
bedient  sich  eines  Messers.  —  Prüfungen.  Feste,  oder  überhaupt  öffentliche 
Zeremonien  sind  hier  mit  der  Beschneidung  nicht  verbunden. 

Daß  die  Fjort  im  französischen  Kongo  ihre  Knaben  beschneiden,  wenn 
diese  zur  Pubertät  gelangt  sind,  hat  D&nnet  mitgeteilt. 

In  Kamerun  lassen  die  Dualla  ihre  Söhne  im  Alter  von  4  —  5  Jahren 
von  eigens  dafür  bestimmten  Männern,  deren  es  ein  bis  zwei  in  jedem  Orte 
gibt,  beschneiden  (Pauli). 

Die  dortigen  Bakwiri  unterwerfen  ihre  Söhne  dieser  Operation  mit 
12—14  Jahren.  Semitischen  Einfluß  weist  hier  B.  Andree  im  Gegensatz  zu 
Schwarz  zurück1). 

Die  Batanga  in  Kamerun  hingegen  lassen  nicht  beschneiden  (Alfred 
Kirchoff). 

In  Dakome  wird  die  Beschneidung,  Adagbwiba  genannt,  allgemein  geübt; 
in  Wydah  und  an  der  Küste  wird  sie  im  1^.-16.  Jahre,  mehr  im  Innern 
bisweilen  erst  im  '20.  Jahre,  vorgenommen.  Ein  Laie,  kein  Fetischmann,  führt 
sie  aus.  Der  Patient  sitzt  über  einer  kleinen,  in  den  Boden  gegrabenen 
Höhlung.  Der  Operierende  zieht  die  Vorhaut  vor,  die.  wie  gewöhnlich  bei 
Afrikanern,  lang  und  fleischig  ist.  Er  entfernt  durch  Manipulationen  das  Blut 
aus  derselben.  Ein  Stückehen  Bast  oder  Stroh,  mit  Speichel  angeklebt,  gibt 
den  Kreis  au.  wie  weit  abgeschnitten  werden  soll.  Ein  Schnitt  oben,  einer 
unten  mit  einem  scharfen  Rasiermesser  ausgeführt,  vollendet  die  Operation. 
Heißer  Sand  auf  die  Wunde  gestreut,  stillt  das  Blut.  Man  wäscht  die  "Wunde 
jeden  dritten  Tag  mit  warmem  Wasser  und  gibt  Ingwersuppe  zu  trinken. 

Aus  Deutsch-Togo  teilt  Fr.  Müller  mit: 

In  Atakpame  werden  die  Knaben  zwischen  dem  achten  und  zehnten 
Jahre  ohne  besondere  Feierlichkeiten  und  Zeremonien  beschnitten.  Früher 
sollen  aber  solche  beobachtet  worden  sein.  Nach  Aussage  der  Eingebornen 
würde  diese  Beschneidung  weder  mit  der  Religion  noch  mit  der  Pubertät  zu- 
sammenhängen. Dennoch  spricht  für  ersteres  der  Dank,  welchen  der  Be- 
schneider  der  Gottheit  ausspricht.  Ehe  er  nämlich  das  Präputium  in  das  zu 
dem  Zwecke  gegrabene  Grübchen  legt,  sagt  er:  „Dank,  Dank  gebührt  Gott. 
Ich  weiß  nichts;  ich  bin  ein  kleines  Kind;  Dank,  Dank  gebührt  Gott!-'  Das 
Grübchen  wird  hierauf  mit  Erde  bedeckt.  Beschneiden  darf  jeder,  der  es 
kann;  Fetischpriester  Bind  hierfür  nicht  bestimmt. 

Die  Ho  er  beschneiden  ihre  Knaben  zwischen  sechs  und  neun  Jahren. 
Sie  verwenden  dazu  Stein-,  jetzt  wohl  auch  Stahlmesser,  schreibt  K.  Fies. 

Nach  Zündel  beschneiden  die  Ewe  im  zwölften  Jahre.  Über  die  Be- 
deutung des  Brauches  wissen  sie  nichts;  dieser  sei  sehr  alt. 

CruikshanJc  erwähnte  die  Beschneidung  bei  den  Negern  in  Accra  an 
■der  Goldküste.  Nach  seiner  Ansicht  trug  sie  religiösen  Charakter.  Das 
Aller  betrug  sieben  bis  acht  Jahre.  In  neuerer  Zeit  berichtete  Yortisch  von 
dem  Gä-Volk  an  der  Goldküste,  das  Gesetz  des  Fetisches  verlange  Knaben- 
beschneidung. 

Die  Wai-Neger  in  Liberia  nehmen  die  Beschneidung  ihrer  Söhne  vor 
Eintritt  der  Mannbarkeit  oder  im  (zarten?)  Kindesalter  vor,  wie  OsJcar  Bau- 
maint  mitteilt. 


l)  Xeuesteus,  d.  h.  in  den  ,. Mitteilungen  aus  den  deutschen  Schutzgebieten",  24.  Bd. 
■(Berlin  1911)  S.  152  gibt  auch  Kurt  Hassert  das  Alter  der  Beschneidungskandidaten  bei  den 
Bakwiri  mit  12 — 14  Jahren  an  und  bemerkte  dazu,  „nach  erfolgter  Reife";  nach  der  Be- 
schneidung heiraten  sie.  Kurz  habe  aber  3  Jahre  als  dortige  Beschneidungszeit  augegeben, 
und  Preuß  eine  Beschneidung  der  Bakwiri  ganz  in  Abrede  gestellt. 


Jg3  Kapitel  XXXV11I.     Sexuelle  Operationen. 

Von  Sierra  Leone,  hat  Winterbottom  Beschneidung  erwähnt.  Mädchen 
und  Knaben  werden  ihr  unterworfen.  Auch  hier  findet  sich  ein  religiöses 
Moment  darin. 

Die  dortigen  Balantes  üben  sie  nach  Art  der  Muselmanen. 

Im  französischen  Nordwest afrika,  zwischen  Senegal  und  Gambia,  leben 
die  Djoloff  oder  Wolof,  d.  h.  „die  Schwarzen".  Sie  unterwerfen  ihre  Söhne 
der  Beschneidung  mit  15 — 1H  Jahren.  Nach  der  Operation  tragen  die  Be- 
schnittenen das  getrocknete  Präputium  lebenslänglich  bei  sich,  weil  es  ein 
kräftiges  Zeugungsmittel  sei  (E.  de  Rochebrime). 

Weiter  von  der  Küste  entfernt,  am  obern  Senegal  und  Niger,  sind  die 
Mandingo,  welche  ihre  Söhne  und  Töchter  mit  Eintritt  der  Pubertät,  d.  h. 
mit  12 — 14  Jahren  beschneiden  lassen.  Die  damit  verbundenen  Zeremonien 
sind  hochfestlich.  Schon  zwei  Monate  vorher  wird  der  Tag,  an  welchem 
mehrere  junge  Leute  der  Operation  unterworfen  werden  sollen,  angekündigt. 
Mau  schmückt  das  ganze  Dorf  mit  Blumen  auf  diesen  Tag.  Dem  Akte  selbst 
dürfen  (bei  den  Knaben?)  nur  Männer  beiwohnen.  Die  Kandidaten  sind 
wiihieml  zweier  Monate  von  jeder  Arbeit  frei,  bilden  in  dieser  Zeit  besondere 
Gesellschaften,  Solimane1)  genannt,  ziehen  in  den  Dörfern  umher,  singen, 
tanzen  und  werden  überall  gut  bewirtet.  Die  Beschneidung  gibt  die  Erlaubnis 
zum  geschlechtlichen  Umgang  und  verleiht"  überhaupt  die  Rechte  des  Er- 
wachsenen (LajttiUc  und  M/dii/o  Park). 

Zwischen  dem  oberen  Senegal  und  Niger  wohnen  auch  die  von  den 
Mandingo  zerstreuten  Soiiinkes  (Saraholes,  Serechules).  Diese  lassen 
ihre  Söhne  zwischen  12  und  13  Jahren  beschneiden.  Bis  dabin  heißen  die 
Knaben  Munt  n'  te;  nach  der  Operation  bis  zu  20  Jahren  Yakambane;  die 
Beschneidung  selbst  wird  mit  Salin'  de  bezeichnet  und  auf  Anordnung  des 
Vaters  von  einem  Schmied  mit  einem  gewöhnlichen  Messer  ausgeführt.  Man 
wählt  zur  Operation  mit  Vorliebe  die  kalte  Jahreszeit,  d.  h.  die  Zeit  von 
November  bis  Februar.  Alle  zu  beschneidenden  Knaben  haben  sich  im  Hause 
des  Schmiedes  zu  versammeln.  Die  Reihenfolge  scheint  nach  Staudesunter- 
schieden festgesetzt  zu  sein;  denn  Fernand  Daniel  schreibt:  „Celui-ci  (der 
Schmied)  commence  par  circoncire  les  forgerons,  les  griots  2),  les  domestiques, 
et  termine  par  les  gens  de  qualite."  —  Nach  der  Abschneidung  des  Präputiums 
bestreuen  die  Knaben  selbst  ihr  Glied  mit  warmem  Sand  oder  Asche,  bleiben 
vier  Wochen  in  einem  besondern  Hause  beisammen,  brauchen  in  dieser  Zeit 
nicht  zu  arbeiten;  das  Essen  bringt  man  ihnen.  Als  Grund  und  Zweck  gibt 
Daniel  hier  Hygiene  an.  —  Der  Operateur  erhält  zum  Lohne  die  Kleider, 
welche  tlie  K andidaten  am  Tage  der  Beschneidung  trugen.  Jede  Beschneidung 
wird  mit  einem  großen  achttägigen  Tam-tam  gefeiert,  an  welchem  das  ganze 
Dorf  teilnimmt.  — 

Durch  den  Islam  kam  die  Beschneidung  auch  zu  den  Nachkommen 
ehemaliger  Negersklaven  in  Brasilien.  Ignace  Etienne  berichtet  sie 
von  der  dortigen  moslemischen  Sekte  der  Males,  welche  die  Beschneidung  ge- 
sunder Knaben  innerhalb  der  ersten  acht  Tage  nach  der  Geburt  verlangt. 
Krankheil  gestattet  Verzögerung.  —  Dieser  mit  dem  jüdischen  zusammen- 
fallende Beschneidungstermin  ist  um  so  interessanter,  weil  es  wahrscheinlich 
ist.  daß  die  Nachkommen  der  Negersklaven  diesen  Termin  von  ihren  Vorfahren 
übernahmen,  und  daß  diese  ihre  altafrikanischen  Sitten  mit  in  den  neuen 
Weltteil  nahinen. 

Dieser  Beschneidungstermin  scheint  also  die  in  neuerer  Zeit  wiederum 
auftauchenden    Annahmen,    z.    B.    Brinehers    und  Schwarzs,   zu  stützen,    daß 


'i  Auch  eine  weibliche  Solimane  sah   Mungo  Park. 

a)  Die  griots  sind  die  Sänger  und  Spaßmacher  der  Soninke  und  anderer  Negervölkelt 


§  2.50.  Knabenbeschneidung  b.  malayisch-polynesischen  Völkern  inkl.  Papuas  u.  Australier.      189 


und 
und 


die   Beschneidung    verschiedener    Negervölker    doch    auf    semitischen    Einfluß 
zurückzuführen  sei '). 

Die  Auin-')  und  Tannekwe-  oder  Sumpf-Buschleute  üben  nach  H.  Kauf- 
mann bzw.  Franz  Seiner*)  die  Beschneidung  nicht.  --  Die  Kastration  der 
Hottentotten  ist  früher  erwähnt  worden.  Somit  können  wir  nun  zu  den 
malayisch-polynesischen  Völkern  übergehen. 

§  250.     Knabenbeschneidung   bei    malayisch-polynesischen   Völkern   inkl. 

Papuas  und  Australier. 

Zu  der  Gruppe  dieser  Völker  gehören,  wie  in  früheren  Kapiteln  wieder- 
holt bemerkt,  die  Howa  auf  Madagaskar4).     Ihre  Anschauungen   über  die 
Beschneidung   und   die   damit   verbundenen   Bräuche   der   Vergangenheit 
■Gegenwart  hat  in  neuester  Zeit  (1909)  Paul  Camboue  teils  nach  AUnal 
La  Vaissiere,    teils   nach   eigener   Beobachtung 
mitgeteilt  und  eingehend  beschrieben.  Nach  jenen 
beiden    Quellen    verliefen    die   Zeremonien    vor 
dein  Jahre  18B9  folgenderweise: 

Die  Regierung  (autorite)  verordnete  alle 
sieben  Jahre5)  die  Eröffnung  der  Feierlichkeit. 
Nachdem  dieses  geschehen  war,  erging  an  alle 
Häuptlinge  jener  Dörfer,  in  welchen  die  Be- 
schneidung (Zirkunizision)  stattfinden  sollte,  der 
Befehl,  jedem  der  Zauberei  Verdächtigten  das 
tangena  zu  reichen,  um  das  Reich  von  diesen 
Urhebern  alles  Unheils  zu  reinigen.  Mit  dem 
Reichen  des  tangena  erwartete  man  ein  Gottes- 
urteil. Der  Trank  bestand  nämlich  in  Wasser, 
worein  man  ein  Fruchtkorn  des  tangena-Baumes 
(tanghinia  venenifera,  Poir.)  geraspelt,  und  wor- 
über der  mit  der  Handlung  Beauftragte  Flüche 
aussprechen  mußte.  Mit  diesem  Getränk  hatte 
der  Verdächtigte  drei  Fetzen  Hühnerhaut  zu 
verschlingen;  gingen  diese  nicht  unverletzt  ab, 
dann  war  er  als  Zauberer  überwiesen  und  mußte 
sterben. 

Eine  zweite  Vorbereitung  zur  Beschnei- 
dungsfeier  war,  wenigstens  unter  der  Regierung  des  Königs  Andriamspoinimerinä, 
d.  h.  des  Prinzen  im  Herzen  von  Imerina  (1787 — 1810),  das  Frisieren.  Damals 
trug  jeder  Howa  beider  Geschlechter  die  Haare  lang,  welche  zur  Beschneidung 
nach  einem  bestimmten  Ritus  frisiert  werden  mußten.  Das  geschah  auf  dem 
Gemeindeplatz  der  Hauptstadt.  Zur  Eröffnung  dieser  Zeremonie  wurde  ein 
weißgefleckter  Ochse  geopfert;  zum  Schluß  feuerte  man  schweres  Geschütz  ab. 

Von  diesem  Tag  an  erfüllte  die  Freude  alle  Dörfer,  welche  der  Schau- 
platz der  Beschneidung  werden  sollten.  Tag  und  Nacht  fort  dauerten  Ge- 
sänge und  Tänze  der  von  allen  Seiten  herbeiströmenden  Gäste,  für  welche 
zahlreiche  Ochsen  geschlachtet  wurden6). 

:)  Über  Brinckers  Begründung  s.  S.  150. 

2)  H    Kaufmann,  Die  Auin-Buschleute,  142. 

3)  Die  Buschmänner  des  Ukawengo-  und  Sambesigebietes.     Glob.  97,  344. 

4)  Da  die  Sprache  aller  Völker  auf  Madagaskar  das  den  polynesischen  Spraehstamm 
augehörige  Madagassi  ist,  könnten  wir  übrigens  auch  die  Bevölkerung  mit  Negertypus  mit 
den  Howa  klassifizieren.     Doch  sielie  diese  im  vorigen  Paragraphen. 

6J  Alle  über  acht  Tage  alten  Knaben  ohne  Ausnahme  mußten  auf  königlichen  Befehl 
bei  der  öffentlichen  Beschneidungsfeier  beschnitten  werden. 

6)  Da  Camboue  hier  das  Verbum  „immoler"  gebraucht,  muß  vielleicht  auch  hier  an  ein 
Opfer  gedacht  werden. 


Fig.  300.    Easchmann-Knalip.    Im  K. 
Ethnographischen  Museum  in  llüuche  n. 


|90  Kapitel  XXX VI II.     Sexuelle  Operationen. 

Zu  dem  feierlichsten  Tag-  der  Beschneidungsperiode  wurde  das  ran» 
masinä  (das  heilige  Wasser),  welches  bei  der  Beschneidung  verwendet  werden 
sollte,  feierlich  von  einer  abergläubisch  verehrten  Quelle  geholt.  Hofbeamte 
in  hochfestlicher  Tracht  waren  mit  diesem  wichtigen  Akte  betraut.  Sie  be- 
reiteten sich  mehrere  Tage  dazu  in  einem  Zelte  vor  und  brachten  das  Wasser 
triumphierend  in  einer  Kürbisschale,  welche  der  König  mit  eigener  Hand 
präpariert  und  verziert  hatte ]). 

Bei  dieser  Gelegenheit  wurde  der  größtmögliche  Prunk  entwickelt.  So 
seien  bei  der  letzten  Beschneidung  königlicher  Prinzen  zwei  kräftige,  als 
„Helden  der  Toilette-'  betitelte  Männer  unter  der  Last  der  goldenen  und 
silbernen   Ketten   zusammengebrochen,    mit   welchen   man   sie   belastet    hatte. 

An  diesem  Tag  wurde  ferner  der  „große  Leuchter"  hergerichtet.  Das 
war  ein  Bananenstamm2)  (Musa  paradisiaca  oder  Musa  sapientum),  auf  dem 
ein  Topf  mit  Kuhmist  stand.  Letzterer  wurde  in  Dochtform  gebracht  und 
angezündet. 

Am  Tage  darauf  führte  der  König  und  sein  ganzer  Hof  einen  Tanz  auf 
einer  rautenförmigen  Zeichnung  auf  der  Erde  aus,  wobei  der  Herrscher  die 
vertikalen,  seine  Suite  die  transversalen  Linien  tanzte3).  Auf  dem  Lande 
führte  man  solche  Tänze  auf  dem  Basen  aus;  sie  dauerten  manchmal  drei 
aufeinanderfolgende  Tage. 

Der  vorletzte  Tag  vor  dem  Beschneidungstag  war  der  Tag  der  Segnung. 
Diese  bestand  darin,  daß  man  den  zu  beschneidenden  Kindern  alle  irdischen 
Güter,  Gesundheit,  Freude  und  ein  glückliches  Alter  wünschte,  worauf  ein 
geschickter  Eedner  in  bilderreicher  Sprache  ihre  zukünftige  Kraft,  ihren 
zukünftigen  Ruhm  und  Reichtum  schilderte  und,  den  Propheten  spielend,  sie 
als  Helden  wunderbarer  Taten  pries.  Währenddessen  besprengte  mau  die 
Kinder  mit  dem  heiligen  Wasser,  dem  reiner  Honig  beigemischt  worden  war. 

Von  der  Mitternacht  vor  dem  Tag  der  Beschneidung  an  ist  alles  auf 
den  Beinen.  In  kriegerischer  Ausrüstung  schleichen  Männer  aus  dem  Dorfe, 
wählend  das  übrige  Volk  sich  in  der  großen  Beschneidungshalle  versammelt. 
Noch  ehe  die  Morgenröte  erscheint,  erschallt  vor  dem  Dorf  das  Geschrei 
der  zurückkehrenden  Männer  in  Kriegsrüstung.  Sie  bringen  in  einem  Kürbis 
frisches  Wasser,  um  damit  die  Schmerzen  der  Wunden  zu  lindern,  werden 
aber  von  dem  herbeieilenden  Volk  mit  einem  Hagel  von  Steinwürfen  und 
Wurfgeschossen  aller  Art  empfangen.  Sie  beschleunigen  ihre  Schritte  und 
suchen  das  Wasser  mit  ihren  Schildern  zu  schützen;  denn  wenn  dieses  ..starke 
Wasser"  ( ratio  mahenl  verschüttet  würde,  dann  müßte  die  Beschneidung  auf 
einen  andern  Tag  verschollen  werden,  weil  es  ein  böses  I  >men  wäre. 

.Mittlerweile  reißt  man  die  zu  beschneidenden  Kinder  aus  dem  Schlaf 
und  bring)  sie  in  die  dicht  mit  Menschen  gefüllte  Beschneidungshalle,  wo  die 
glänzend  uniformierten  Krieger  ihre  Lanzen  schwingen,  dabei  auf  ihre  Schilder 
schlauen  und  ein  fürchterliches  Kriegsgeschrei  erheben,  das  sich  in  der  Menge 
fortpflanzt. 

Schließlich  vollzieht  der  Oberpriester*)  die  Beschneidung  unter  dein  Weinen 
der  Kinder  und  den  diesen  ausgesprochenen  Glückwünschen. 

Im  folgenden  Jahr  ließ  damals  der  Herrscher  die  Danksagung  (für  den  glück- 
lichen Verlauf?)  veröffentlichen  und  ordnete  abermals  öffentliche  Lustbarkeiten 
an.     I>ei  dieser  Gelegenheit   wurden  die  seit  dem  letzten  Fest  gebornen  Kinder 


')  .  .  .  dans   une   gourde    preparei     et    ornee   de   la   main   royale  elle-meme  (vom  König 
eigenhändig  .  .  .''). 

Vgl.  S.   191. 

')    Es    dünkt    mich    Dicht    unwahrscheinlich,    daß   auch   hier   an    den   schon   früher  au- 
gedeuteten  Sinn   der   Kreuzung,  d.h.  an  den  Zeugungsakf  zu  denken  ist. 

4)  Le  pontife  de  la  Circoncision  (Camboui). 


§  250.  Knabeubeschneidung  b.  nialaviseh-polynesischen  Völkern  inkl.  Papuas  u.  Australier.      191 

beschnitten  und  ein  Dankesjubiläum  verkündet.    Alle  Verbrechen  wurden  ver- 
ziehen und  alle  Gefängnisse  evöfi'net. 

Von  diesem  Jubeljahr  bis  zum  nächsten  Beschneidungsjahr  lagen  fünf 
Jahre  Zwischenzeit,  was  später,  als  diese  Aufeinanderfolge  in  Vergessenheit 
geraten  war.  zu  der  irrigen  Annahme  führte,  daß  die  Howa  zwei  periodisch 
wiederkehrende  Beschneidungsfeste  hätten,  von  denen  das  eine  alle  fünf,  das 
andere  alle  sieben  Jahre  wiederkehrte. 

Nach  diesen  Referaten  über  die  Beschneidungszeremonien  vergangener 
Zeiten  schildert  ( 'amboue  das  Resultat  seiner  eigenen  Erfahrungen  in  der  Gegen- 
wart, welche  folgendes  Bild  geben: 

Seit  der  offiziellen  Abschaffung  der  allgemeinen  und  periodischen  Be- 
schneid ungsfeier  bestimmt  in  Imerina  jede  Howa-Familie  den  Tag  der  Be- 
schneidung ihrer  Kinder  nach  Gutdünken.  Die  kalte  Jahreszeit  wird  vorgezogen ; 
nach  madagassischer  Annahme  würde  die  Wunde  nach  der  Beschneidung  während 
der  heißesten  Tage  länger  zum  Heilen  brauchen.  Gewöhnlich  unterwirft 
man  jetzt  die  Kinder  der  Operation  nach  dem  ersten  Lebensjahr,  doch  kommt 
sie  auch  früher  vor.  Je  nachdem  das  eine  oder  andere  der  Fall  ist.  wechselt 
der  Ausdruck  für  die  Beschneidung  selbst,  welche  u.  a,  auch:  Güte. 
Schönheit.  Dank  (Anmut?).  Freude  genannt  wird.  Der  Sinn  der  übrigen 
Benennungen  sei  realistischer. 

2 — 3  Tage  vor  der  Operation  versammelt  sich  die  Verwandtschaft  zur 
Wahl  der  Väter  oder  Paten  und  der  Mütter  oder  Patinnen  der  zu  beschneidenden 
Kinder.  Daß  die  Beschneidung  seines  Kindes  stattfindet,  darf  aber  der  Howa 
nicht  jedermann  sagen;  das  wäre  fädy1);  das  Kind  müßte  sterben.  Während 
der  ganzen  Woche,  welche  der  Operation  vorangeht,  darf  der  Vater  des  zu 
beschneidenden  Kindes  mit  der  Mutter  nicht  in  einem  Bett  schlafen.  Die 
gleiche  Vorschrift  haben  die  Patinnen  zu  beachten,  sonst  gelingt  die  Operation 
nicht.     (Also  eheliche  Enthaltung!) 

Eine  andere  Vorsichtsmaßregel  zu  einem  guten  Gelingen  ist  das  mifa- 
diträ  ahiträ,  d.  h.  eine  Art  Reinigungszeremonie,  welche  darin  besteht,  daß  man 
Kräuter  (ahiträ)  über  den  Kopf  wirft  (wem?).  Auch  müssen  die  Männer  das 
Haupt  entblößen,  wenn  sie  das  Haus  betreten,  in  welchem  ein  Kind  beschnitten 
werden  soll;  hingegen  sind  die  gewöhnlichen  Grußformeln  untersagt. 

Das  aus  frühereu  Zeiten  erwähnte  heilige  Wasser  und  der  Bananen- 
stamm  spielen  auch  heute  noch  eine  Rolle.  Zwar  bemerkt  hier  Camboue 
nichts  von  einer  feierlichen  Abholung  dieses  heiligen  Wassers;  aber  beim 
Herbeiholen  des  Bananenstammes  singt  die  tanzende  Menge,  indem  jedermann 
mit  der  rechten  Hand  sein  loses  Gewand  (lamba)  schüttelt:  ,.0  heiliges  Wasser! 
Wasser  der  Kraft  (Tugend?)!  -  -  Was  ist  es  denn  für  ein  Wasser?  Es  ist 
das  heilige  Wasser,  das  Wasser  der  Kraft  (Tugend?)." 

Über  die  Behandlung  des  Bananenstammes  berichtet  Camboue:  Im  Hause, 
wo  die  Beschneidung  stattfinden  soll,  angekommen,  schneidet  man  den  herbei- 
gebrachten Stamm  in  mittlerer  Mannshöhe  ab  und  pflanzt  ihn  in  der  nordöstlichen 
Ecke,  d.  h.  in  der  heiligen  Ecke  (zorofirarazana)  des  Hauses  in  die  Erde, 
worauf  man  die  schon  früher  erwähnten  irdenen  Töpfe  mit  getrocknetem 
Kuhmist  (als  Docht)  auf  dem  Stamme  anbringt.  Der  Kuhmist  ist  mit  Talg 
bestrichen  und  von  drei  Quarzsteinen  umgeben.  Diese  eigens  für  die  Be- 
schneidungszeremonie  hergerichtete  Lampe  (fototra)  wird  dann  angezündet  und 
muß  bis  zum  nächsten  Morgen  von  Männern  brennend  unterhalten  werden. 
Wurde  ein  Weib  diesen  Dienst  sich  anmaßen,  dann  würde  der  zu  beschneidende 
Knabe  nie  „ein  Mann",  sondern  kraft-  und  mutlos  werden. 


2)  Fädy,  dem  ,,tabu;c  anderer  Völker  entsprechend,  bedeutet  auf  Madagaskar  verboten, 
unglückbringend,  aber  auch  heilig  (Camboue.  Anthrop.  IL  984,  Anm.  2). 


192  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Die  Segnung  des  zu  beschneidenden  Kindes,  welche  in  der  früheren 
Schilderung  am  vorletzten  Tag  vor  der  Operation  stattfindet,  wird  jetzt  inlnierina 
in  der  Nacht  vor  der  Beschneidung  vollzogen.  Man  füllt  zu  diesem  Zweck  eine 
hölzerne  Getreideschwinge  mit  Wasser  und  wirft  silberne  Kettchen  hinein. 
Diese  werden  dann  von  drei  Männern  mit  einem  Stengel  der  fantaka,  einer 
Art  Rohr,  bis  zu  zehnmal  nacheinander  in  die  Höhe  gehoben,  wobei  die 
Männer  dem  Kind  Reichtümer  wünschen. 

Beim  ersten  Hahnenschrei  bereitet  man  zum  Herbeiholen  des  „starken 
Wassers" l)  vor:  Jemand  aus  der  Versammlung  befestigt  einen  Stengel  Quecken- 
gras oder  eine  Kletterpflanze,  oder  Gorcania  pennigera,  Tulsn.,  welche  nach 
früherem  Glauben  die  Stiere  mutig  machte,  an  den  Hals  einer  Kürbisflasche. 
In  dieser  Flasche  holen  Männer,  die  man  aus  den  stärksten  und  tapfersten 
aussuchte,  das  ..starke  Wasser",  wozu  sie  sich  ihr  lamba  fest  um  die  Lenden 
gürten,  ein  Bild  des  Mutes  und  Eifers  für  die  bevorstehende  Handlung.  Wie 
schon  weiter  oben  erwähnt,  wäscht  man  mit  diesem  Wasser  die  Wunden  der 
Beschnittenen  aus.  Die  Männer,  welche  es  holen,  singen  auf  dem  ganzen 
Weg:  „Das  .hinge  des  Vogels  voromahery  legt  seine  Eier  auf  den  Felsen!"-') 
Streit,  gegenseitige  Ulihöflichkeit  dieser  Wasserbringer  auf  dem  Wege  ist 
fädy,  unglückbringend.  Eine  Verletzung  djeses  fädy  hätte  eine  mißglückte 
Beschneidung  zur  Folge. 

Nach  der  Ankunft  des  starken  Wassers  (rano  mahery)  schreitet  der  Be- 
schneider  an  seine  Arbeit.  Dieser  hatte  am  Vorabend  im  Dunkeln  allein 
kommen  müssen,  und  kein  Weib  durfte  in  dem  Hause  sein,  in  welchem  er 
diese  Nacht  schlief.     (Also  wiederum  eheliche  Enthaltung,  ja  noch  mehr.) 

Das  zu  beschneidende  Kind  wird  auf  eine  Trommel  oder  in  Ermangelung 
einer  solchen  auf  einen  Mörser  gesetzt;  das  Instrument  des  Operateurs  ist 
ein  eigentümlich  geformtes  eisernes  Messer  mit  Griff  und  Klinge  in  einem 
einzigen  Stück.    (Eine  Abbildung  davon  siehe  bei  Camhoue,  Anthropos  IV,  381.) 

Unterdessen  ergreift  ein  Assistent  einen  Assagai  (Mona)  oder  eine  Lanze, 
die  er,  sobald  das  Blut  fließt,  schwingt  und  auf  die  Türschwelle  stößt,  wobei 
er,  wenn  das  Kind  ein  freigebornes  ist,  ruft:  „Du,  o  du,  mögest  du  ein  Ideal 
der  Schönheit  sein!  0  du,  mögest  du  ein  Ideal  der  Güte  sein!  0  du,  mögest 
du  nicht  auf  Abwege  geraten!  Mögesl  du  nicht  ein  wankelmütiger  Tauge- 
nichts1) sein!  0  du.  mögest  du  von  deinem  Herrscher  geliebt  werden!  Mögest 
du  vom  Volke  geliebt  werden!" 

Vor  der  Abschaffung  der  Sklaverei  durch  die  Franzosen  wünschte  man 
dem  beschnittenen  Sklavenkind:  „0  du,  mögest  du  stark  zur  Arbeit  sein! 
.Mögest  du  fleißig  Gras  sammeln!  0  du.  mögest  du  von  deinem  Herrn  geliebt 
werden!     Mögest  du  dich  selbst  loskaufen  können!"  — 

Nach  der  Operation  muß  der  Vater  des  Kindes  das  abgeschnittene 
Präputium  mit  einer  Banane  essen.  —  Der  Operateur  erhält  einen  roten  Hahn 
und  etwas  Silber  (Geld?);  das  letztere  Honorar  muß  aber  erhöht  werden, 
wenn  das  Kind  während  der  Beschneidung  die  Trommel  oder  den  Mörser 
beschmutzt  hat. 

Das  Iluwa-Kind  erhält  während  der  Beschneidungszeit  bisweilen  seinen 
endgültigen  Namen,  was  besonders  bei  angesehenen  Familien  der  Fall  ist  (vgl. 
die   Kap.  XXIII   und  XXIV). 

Die  Schilderung  der  madagassischen  Beschneidungsbräuche  durch  Sibree, 
aus  welcher  Ploß  für  die  2.  Auflage  des  vorliegenden  Werkes  schöpfte,  deckt 
sich  teilweise  mit  jener  des  Cambou6  b/.w.  Abinal  und  Ln  Vaissiere.    Zu  er- 

11    \  g  I.     I'  iblichen   früheren   Zeremonien   auf  S.    190. 

•i   Voromahery    ist    eine   Falkenart,    der    königliehe   Vogel,  das   Emblem   der  Dynastie 

von    Tananan  \  o. 

J)  „Uu  vuin  inconstanl  " 


§  250.  Knabenbeschneidung  b.  malayiseh-polynesiscken  Völkern  inkl.  Papuas  u.  Australier.      193 

wähnen  sind  aus  der  2.  Auflage  die  folgenden  zwei  Ansprachen.  Erstens  sagt 
man  beim  Bespritzen  der  Knaben  mit  dem  heiligen  Wasser:  „Der  Knabe  ist 
kein  Kind  mehr,  er  ist  ein  Mann,  der  den  Strom  zerteilt,  der  nicht  im  Netze 
gefangen  wird.  Der  Bursche  ist  ein  Bananenbaum  im  Norden  der  Stadt  (d.  h. 
er  ist  windgeschützt)  mit  ungebrochenen  Blättern  und  jungen,  nicht  ent- 
fernten (?)  Schößlingen.  Der  Bursche  ist  kein  Kind  mehr!  Er  ist  ein  Soro- 
hitra  (Vogel)  auf  dem  Felsen.  Sein  Vieh  möge  die  Ebenen  bedecken.  Sein 
Geld  möge  ein  großes  Grab  füllen!  Seine  Sklaven  mögen  sein  Landhaus  be- 
völkern!" 

Zweitens  redet  der  Herrscher  vor  der  Beschneidung  seiner  Kinder  jedes 
an:  „Werde  ein  Mann,  mein- Bursche!  Werde  alt!  Erobere  das  Land,  mein 
Bursche!  Sei  Herr  des  Königreichs!"  --  Die  Knaben  aus  dem  Volke  werden 
ermahnt:  „Werde  ein  Mann!  Werde  ein  tüchtiger  Schütze!  Sei  gewandt 
mit  dem  Speer!     Erreiche  ein  hohes  Alter!"  — 

Das  abgeschnittene  Präputium  wird  nach  Sibree1)  in  ein  Bananenblatt 
gewickelt  und  einem  Kalb  zu  fressen  gegeben. 

Zu  erwähnen  ist  hier  ferner  aus  der  2.  Auflage,  daß  die  Krüge  mit  dem 
heiligen  Wasser  siebenmal  -)  um  das  Haus  getragen  werden,  und  daß  man 
vorschriftsmäßig  von  den  zu  beschneidenden  Kindern  das  Maß  von  Hüften, 
Schultern  und  dem  ganzen  Körper  nimmt;  ferner  daß  die  Trommel,  auf  welche 
das  Kind  während  der  Beschneidung  gesetzt  wird,  im  Süden  des  Herdes,  gegen- 
über der  Türe  steht,  und  daß  das  Kind  sofort  nach  der  Operation  am  Feuer 
erwärmt  wird,  worauf  man  es  nach  Hause  bringt. 

Was  die  Prinzen  betrifft,  so  schrieb  Sibree,  daß  sie  von  einem  tüchtigen 
Speennann  zum  Orte  der  Zeremonie  getragen  wurden.  Auf  diesen  warf  dann 
ein  verborgener  Speerträger  einen  Speer.  Wurde  das  Kind  oder  sein  Träger 
verletzt,  so  verlor  jenes  seine  Kaste  und  war  nicht  länger  Prinz;  blieb  das 
Kind  unberührt,  so  galt  das  als  ein  Zeichen,  daß  es  ein  echter  Prinz  war 8). 
-  Der  Mutter  des  Kindes  wurden  vor  der  Beschneidung  verschiedene  Speise- 
verbote auferlegt;  brach  sie  dieselben,  so  verlor  das  Kind  gleichfalls  seine 
Kaste.  —  Die  Zauberer  vollführten  die  Operation  mit  einem  krummen  Messer; 
die  Wunde  wurde  von  einigen  mit  Milch  gewaschen4). 

Eine  sinnreiche  Zeremonie  referierte  R.  Andree  aus  Sibree:  „Die  Mütter 
der  (zu  beschneidenden)  Kinder  flechten  kleine  Körbe  aus  Sandrifyblättern, 
für  jedes  Kind  eins,  in  welchen  dieses  die  unreifen  Bananen  zu  halten  hat, 
die  dann  als  Faditra  oder  Sühnopfer  weggeworfen  werden." 

Beim  Überblick  dieser  madagassischen  Sitten,  welchen  ihrer  offenbar  tiefen 
Bedeutung  wegen  verhältnismäßig  viel  Baum  eingeräumt  wurde,  dürfte  es 
schwer  sein,  mit  C.  Keller 5)  und  /«'.  Andree6)  übereinzustimmen,  wenn  diese 
Gelehrten  meinen,  es  werde  auf  Madagaskar  der  Beschneidung  eine  religiöse 
Bedeutung  nicht  unterbreitet.  C.  Keller  schrieb  übrigens:  Vor  Einführung  des 
Christentums  war  die  Beschneidung  bei  den  Hova  mit  großartigen  Zeremonien 
und  Volksfesten  verbunden;  jetzt  wird  sie  in  aller  Stille  vorgenommen. 

Im  indischen  (malayischen)  Archipel,  schreibt  R.  Andree,  wird  die 
Beschneidung  von  den  Muselmanen  als  echt  mohammedanischer  Brauch  an- 
gesehen;  „ohne  Zweifel"   habe  sie  aber  dort  schon  vor  Einführung  des  Islam 

')  Vgl.  die  verschiedenen  Verwendungen  des  Präputiums  auf  S.  140. 

2)  Die  beilige  Siebenzahl  in  Indonesien  ist  in  früheren  Kapiteln  erwähnt  worden. 

3)  Bei  Floß,  2.  Aufl. 

*)  Vgl.  das  „starke  Wasser"  auf  S.  100  IT. 

6)  Ploß  hatte  (2.  Aufl.  I,  361)  gezweifelt,  ob  die  Malayen  die  Besehneidung  schon  vor 
Einführung  des   Islam  kannten. 

6)  Andree  weist  hier  auf  G.  A.  Wüken  hin :  „De  Besnijdenis  bij  de  volken  van  den 
indischen  Archipel'-.  Abdruck  aus  den  Bijdragen  tot  de  taal-,  land-  en  volkenkunde  van 
Nederlandsch-Indie.     'SGrarenhage  1885. 

Ploß-Renz,  Das  Kiud.    3.  Aufl.    Band  II.  13 


194 


Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 


bestanden,  was  u.  a.  durch  Gebräuche  und  Anschauungen  bewiesen  werde,  die 
als  heidnische  Überbleibsel  aufzufassen  seien. 

Aus  Java  befinden  sich  Beschneidungsinstrumente  im  K.  Museum  für 
Völkerkunde.  Eine  Abbildung  hiervon  folgt  hier  als  Fig.  391.  —  Einzelheiten 
über  die  Ausführung  der  Operation  liegen  mir  nicht  vor. 

Die  Stäbchen  auf  unserer  Abbildung  dürften  die  gleichen  Dienste  leisten 
wie  jene  bei  den  Battak,  Heiden  im  Innern  der  Nordhälfte  von  Sumatra,  von 
welchen  Freiherr  von  Brenner  schrieb,  daß  sich  die  Knaben  im  Alter  von 
9 — 11  Jahren,  wenn  bei  ihnen  Schamgefühl  erwacht,  in  der  Stille  sich  selbst 


Fig.  301. 


Stäbohm,    Zange   und  Messer  zur  Beschneidung  auf  Java.     Im  K.  Museum   für  Völkerkunde  in 

Berlin. 


nach  der  folgenden  Methode  beschneiden:  Sie  bedienen  sich  dabei  eines  Messers, 
oder,  was  das  Gewöhnlichere  ist,  zweier  scharfkantiger  Bambusstäbchen,  die 
zusannm  ngrbunden  werden  und  so  an  einen  Handschuhweiter  erinnern.  Das 
Präputium  wird  gespalten  und  dann  zurückgeschoben,  in  welcher  Lage  die 
Wunde  verheilt.  An  dieser  Stelle  werden  später  dann  und  wann  kleine,  aus 
dem  Pakpaklande  kommende,  prismatische  Steinchen  in  eigens  dazu  angebrachten 
ziemlich  liefen  Schnitten,  ad  augmentum  coitus  volnptatan,  eingelegt,  die  in 
den  meisten  Fällen  über  kurz  oder  lang  Ursache  langwieriger  Eiterungen  sind. 
Übrigens  scheine  diese  Sitte  in  Abnahme  begriffen  zu  sein.  — 

Nach  Richard  Andree,  bzw.  Wilken  haben  dieMalayen1)  von  Mitted- 
Sumatra  für  die  Beschneidung  den  Ausdruck  „malapekan  dari  malu",  d.  h. 

')  Naeli  lii'iu  (iliiiibcnsbekenntnis   (S.  195)  haben  wir  es  hier  mit  Muselmanen  zu  tun. 


§  250.  Knabenbeschneidung  b.  rnalavisch-polynesischen  Völkern  inkl.  Papuas  U.Australier.      195 

von  der  Schande  befreien.  Mit  der  Stelle  bei  Josua  5,  9:  ..Heute  habe  ich 
die  Schande  Ägyptens  von  euch  gewendet"  habe  das  aber  nichts  zu  tun. 
Den  Beweis  für  die  Richtigkeit  dieser  Bemerkung  kenne  ich  nicht.  Die 
Operation  findet  im  Alter  von  10 — 18  Jahren  statt;  der  Patient  spricht  dabei 
dreimal  das  moslemische  Glaubensbekenntnis1). 

Im  südlichen  Sumatra  wird  die  Beschneidung  bei  den  Kubus,  einem 
Urwaldvölkchen '-),  nur  gelegentlich,  und  dann  meist  bei  Eintritt  der  Pubertät 
vorgenommen,  wie  W.  Volz  schreibt.  Sie  wird  von  besonders  geschickten 
Leuten  ausgeführt.    Die  abgeschnittene  Vorhaut  wirft  man  in  fließendes  Wasser. 

Im  östlichen  Sumatra  sind  die  Sakai*),  ein  kulturell  niedrigstehendes 
Völkchen,  das  wiederholt  als  Negritos,  neuestens  aber  von  Felix  Speiser  als 
wahrscheinlich  malayisch  bezeichnet  worden  ist.  Von  ihnen  berichtet 
M.  Moszkotoski,  der  ihnen  jede  Religion  abspricht  und  einen  muselmanischen 
Einfluß  durch  die  benachbarten  Malayen  zurückweist:  Der  größte  Festtag  für 
eine  Sakai-Gemeinde  ist  jener  Tag,  an  welchem  die  Inzision  an  den  Jüng- 
lingen eines  Kampongs  vorgenommen  wird. 

Auf  Xias,  einer  Insel  an  der  "Westküste  von  Sumatra,  beschneiden 
die  Väter  ihre  Söhne  meistens  selbst,  wenn  diese  im  Alter  von  5—8  Jahren 
stehen.  Eine  religiöse  Bedeutung  wird  der  Handlung  nach  Rosenberg  nicht 
beigelegt  *).  R.  Andree  erwähnt  außer  der  Beschneidung  eine  Inzision.  Diese 
finde  mit  15  Jahren  statt. 

Auf  Celebes,  in  der  Landschaft  Limo  lo  Pahalaa,  findet  die  Be- 
schneidung der  Knaben  im  Alter  von  12  Jahren  statt.  Die  Vorhaut  wird 
gespaltet. 

Auf  Amboina  werden  die  Burschen  mit  12 — 16  Jahren  beschnitten. 

Die  Heiden  auf  Timor,  Sawu,  Roti  und  Sumba  beschneiden  mit 
14—15  Jahren. 

Als  besonders  schmerzlich  erwähnt  R.  Andree  das  Abklemmen  der  Vor- 
haut bei  den  12 — 14jährigen  Dayaken  im  südöstlichen  Borneo. 

Auf  der  Molukken-Insel  Buru  unterwirft  man  beide  Geschlechter  der 
Beschneidung.     Besondere  Operateure  gibt  es  nicht. 

Beschneidung  ist  ferner  bei  den  Sakai  auf  Malakka5)  gebräuchlich, 
welche  Scobel  und  R.  Andree,  wie  schon  bemerkt,  zur  Papua -Rasse 
rechnen. 

Auf  den  Philippinen  sind  nach  Andree  nur  noch  Reste  einer  Be- 
schneidung vorhanden. 

Bei  den  Papuas  in  Kaiser-Wilheimsland  wird  die  Beschneidung  ge- 
wöhnlich mit  dem  Eintritt  der  Mannbarkeit  vorgenommen.  Doch  gibt  es  auch 
Ausnahmen,  d.  h.  es  werden  einerseits  erst  fünfjährige  Kinder,  anderseits  schon 
verheiratete  Männer  beschnitten,  weil  die  Operation  nur  nach  längeren  Zeit- 
abschnitten vorgenommen  wird.  Man  hat  nämlich  nicht  immer  genug  Schweine, 
die  zum  Beschneidungsessen  gebraucht  werden,  wie  Krieger  schreibt,  dessen 
Schilderung  der  Zeremonien  und  sonstiger  Umstände  hier  kurz  folgen  möge. 

Die  Beschneidungszeit  versetzt  die  Papuas  in  Kaiser-Vv  ilhelmsland 
immer  in  große  Erregung  und  macht  sie  gegen  Verhandlungen,  Anwerbungen  usw. 


')  Über  die  Ansicht  in  den  Lampong-Distrikten  (südliches  Sumatra),  daß  die  Be- 
schneidung zeugungskräftig  mache  (Pleyte),  an  einer  andern  Stelle. 

2)  Nach  Yolz  sind  die  Kubus  „vielleicht  die  Reste  mehrerer  uralter  Schichten'-,  haben 
viele   Battakworte   und  einige  javanische   Worte  in  ihrer  Sprache. 

8)  Die  Sakai  auf  Malakka  sind  nach  Scobel  und  R.  Andree  Papuas  (s.  w.  u.). 

4)  Nach  Durdik  bei  Pleyte  gelten  in  Nord-Niaa  Unbeschnittene  als  unfähig  zum 
Koitus;  im  südlichen  Nias  begründet  man  die  Beschneidung  mit  Reinlichkeit  (von  Rosen- 
berg bei  Pleyte). 

5)  Verwandte  der  Sakai  auf  Sumatra?  Vgl.  diese  oben.  Eine  ethnische  Feststellung 
hier  und  auf  Jlalakka  scheint  für  diese  Sakai  demnach  noch  nicht  möglich  zu  sein. 

13* 


lyg  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

mit  und  durch  die  Weißen  anempfänglich.  Im  Stamme  der  Jabim  ist  diese 
Zeit  eine  Art  treuga  dei,  d.  h.  es  darf  kein  Totschlag  vorkommen.  Dieser  Stamm 
hat  auch  Beschneidung  ohne  Zeremonien.  Eine  solche  findet  bei  Gelegenheit 
eines  Schweinemarktes  statt  und  wird  nur  an  einzelnen  Knaben  vorgenommen. 

Zu  einer  feierlichen  Beschneidung  hingegen  müssen  sich  die  Kandidaten  etwa 
eineu  Monat  lang  durch  strenge  Diät  vorbereiten.  Hierauf  werden  sie  unter 
dem  Heulen  der  Weiber  und  unter  den  Rutenstreichen  der  Männer  nach  dem  für 
die  Beschneidung  bestimmten  Platz  geführt,  wo  sich  das  Haus  des  „Balum" 
befindet.  Der  Magen  (Bauch?)  dieses  mythischen  Ungeheuers  stellt  sich  als 
eine  ca.  3u  m  lange  Hütte  dar1),  aus  welcher  bisweilen  die  Stimme  des  Balum 
ertönt,  die  natürlich  künstlich  hervorgebracht  wird.  An  der  Hütie  angekommen, 
ruft  man  ihn  beim  Namen  und  fordert  ihn  durch  Blasen  auf  Muschel  hörnern 
auf,  herauszukommen.  Läßt  er  sich  hören,  so  bedeutet  das  sein  „Heraufsteigen"  -), 
und  nun  beginnen  die  Männer  ihren  Gesang  oder  vielmehr  ihr  Geheul,  und 
bringen  Schweine  als  Opfer  dar,  um  das  Leben  der  Knaben  zu  erhalten.  Auch 
binden  sie,  damit  das  ungeheuer  nicht  davonlaufe  und  etwa  den  Weibern  und 
kleinen  Kindern  schade,  die  Hütte  mit  Stricken  fest. 

In  dieser  Hütte,  dem  Magen  des  Balum,  findet  die  Beschneidung  statt. 
Die  Operation  wird  in  verschiedener  Weise  ^vorgenommen.  In  der  Kegel 
besteht  sie  in  der  Spaltung  der  Vorderhaut,  oder  in  einem  Einschnitt 
in  die  Eichel,  und  soll  dadurch  nach  der  Ansicht  ..aufgeklärter"  Papuas 
schlechtes  Blut  entfernen  und  eine  kräftige,  rasche  Entwicklung  der  Burschen 
bezwecken.  Die  Weiber  dürfen  während  der  Beschneidimgszeit  keinen  der 
Kandidaten  sehen.  Schon  vorher,  d.  h.  während  an  der  Hütte  des  Balum 
gebaut  wird,  müssen  sie  sich  bei  ihren  Ausgängen  innerhalb  des  Dorfes  eines 
trommelartigen  Instrumentes,  und  die  Beschneidungskandidaten  eigenartiger 
Bambusflöten  bedienen,  um  sich  gegenseitig  ein  Zeichen  zu  geben,  damit  sie  sich 
ungesehen  ausweichen  können.  Wäre  doch  jede  Frau,  die  eine  solche  Flöte 
sehe,  des  Todes.  Solange  dann  der  Geist  des  Balum  in  der  Hütte,  also  im 
helfe  gegenwärtig  gedacht  ist,  müssen  die  Frauen  und  Kinder  außerhalb  des 
Dorfes  in  eigens  errichteten  Hütten  leben.  Der  Anblick  eines  Beschneidungs- 
kandidaten würde  ihnen  das  Leben  kosten.  Überhaupt  sucht  man  die  Weiber 
der  Beschneidung  gegenüber  in  religiöser  Scheu,  z.  B.  in  dem  Glauben  zu  er- 
halten, daß  das  Balum  die  Knaben  verschlinge  und  nach  erhaltenen  Sehweine- 
opfern sie  als  kräftige  Burschen  wieder  von  sich  gebe.  Das  Fleisch  dieser 
Schweine  wird  von  den  Männern  gegessen;  das  Balum  bekommt  die  Schweins- 
seelen   i 

Nach  der  Operation  müssen  die  Beschnittenen  noch  so  lange  im  Balum 
bleiben,  las  sie  durch  abermalige  Opferung  von  Schweinen  als  erlöst  erklärt 
werden.  Dann  führt  man  sie  in  feierlichem  Zuge  zum  Dorfe  zurück.  \oi\ 
jetzt  an  haben  sie  das  Recht,  selbst  an  kommenden  Beschneidungst'esten  teil- 
zunehmen und  darüber  zu  sprechen. 

Stirbt  ein  Knabe  oder  Jüngling  infolge  der  Beschneidung,  so  heißt  es. 
er  sei  unversehens  in  den  Schweine-,  statt  in  den  Menschenmagen  des  Balum 
geraten;  denn  nur  der  letztere  gibt  die  Burschen  wieder  heraus. 

Nach  h'i  iit/rr  ist  die  Beschneidung  nicht  in  ganz  Kaiser-Wilhelmsland 
üblich. 


ihere    Beschreibung   derselben    sowie    der  ..Stimme    des    Balum"  mit    Hinweis    auf 
di      Missionars    Veller,  siehe  Krieger:  Neu-Guinea,  S.  168. 
-')  Wohl  aus  dem   Meere.     Vgl.   das  Meerungeheuer  bei  den  Karesau   S.   197  ff.,  ferner 
Kap.  X\\   „Woher  das  Kind  .  .  .•• 

I    E     dünkt  mich,  daß  diese  Schweineopfer  gleichfalls  tieferen  Sinn  haben;  denn  auch 
das   Aufziehen    der  Schweine    bei  den    Papuas    steht    in    einer  geheimnisvoll    gedachten   Be- 
ziehung zur  Fortpflanzung  der  Papuas.     Leider  ist  mir  der  Belag  und  die  Einzelheiten  dieser 
hauung  abhanden  gekommen   --  Vgl.  den  Schweinekult  der  Mordwinen  in  Kap.  XL1I. 


§  250.  Knabenbeschneidung  b.  malayiseh-polynesischen  Völkern  iukl.  Papuas  u.  Australier.      197 

Ebensowenig'  ist  sie  in  Holländisch-Neuguinea  allgemein.  Jene 
Stämme,  welche  sie  haben,  unterwerfen  ihre  Söhne  der  Operation  mit  ein- 
getretener Geschlechtsreife  und  verbinden  damit  Festlichkeiten. 

In  Britisch-Neuguinea  wird  die  Beschneidung  ähnlich  ausgeführt 
wie  in  Deutsch-Neuguinea,  aber  ohne  die  hier  üblichen  Zeremonien.  Im  Osten 
komme  sie  hantiger  vor  als  im  Westen. 

Zu  Deutsch-Neuguinea  gehört  Karesau,  eine  Insel  der  deutschen 
Schoutengruppe.  Hier  ist  die  Durchstechung  des  Penis  und,  wenn  der 
Bursche  oder  Mann  schon  über  13  Jahre  alt  ist,  auch  die  Zirkumzision  mit 
der  Junglingsweihe1)  verbunden,  welche  P.  W.  Schmidt  nach  der  mündlichen 
Mitteilung  des  Karesau-Iiksulaners  Bonifaz-Tamatai  Pritak  im  „Anthropos",  II, 
ausführlich  beschrieben  hat.  Die  Karesauzeremouien  gleichen  in  mancher 
Hinsicht  auffallend  einem  Teil  der  uns  schon  bekannten,  d.  h.  der  von  Wehr- 
meister und  Weule  geschilderte  ost  afrikanische  Brauch,  bei  derBeschneidungs- 
feier  bzw.  Jünglingsweihe  einen  Baum  zu  bemalen,  rindet  sich  auch  auf 
Karesau.  Sogar  das  ringel weise  Bemalen  stimmt  (vgl.  S.  17  7  und  199). 
Baumkult  und  Beschneidung  bzw.  Geschlechtsleben.  Fortpflanzung,  Wachsen  und 
Gedeihen  wird  offenbar  da  wie  dort  unter  diesen  Bildern  dargestellt.  Die  uns  von 
Afrika  und  aus  Neuguinea  schon  wohlbekannte  Beschneidungshütte  treffen 
wir  auch  auf  Karesau.  Sie  stellt  hier  wie  auf  Neuguinea  den  Bauch  des 
Geistes  dar.  durch  welchen  die  Beschnittenen  ihre  Wiedergeburt  erfahren'-'). 
Der  kulturell  sonst  viel  höher  stehende  Hindu  versinnbildet  Wiedergeburt, 
indem  er  sich  in  eiue  künstlich  hergestellte  Kuh  einschließen  läßt.  Doch  das 
um'  nebenbei! 

Die  Be*chneidiing  auf  Karesau  findet  wegen  der  mit  ihr  und  den  übrigen 
Festlichkeiten  der  Jünglingsweihe  verbundenen  Ausgaben,  und  weil  eine 
ziemliche  Anzahl  von  Kandidaten  gewünscht  ist,  nicht  jedes  Jahr  statt.  Viel- 
mehr  läßt  man  mehrere  Jahre  verstreichen,  so  daß  bereits  verheiratete  Männer 
sich  zu  elfjährigen  Knaben  <j-e>.ellen.  Nach  vorausgegangenem  Bad  am  Vor- 
abend des  Beschneidungstages  ziehen  sich  die  Kandidaten  in  zwei  leicht 
gebaute  Häuser  an  je  einem  Ende  des  Dorfes,  am  Strand,  zurück.  Von  jetzt 
an  dürfen  sie  bis  zum  Schluß  der  Feier  keines  ihrer  Angehörigen  mehr  sehen, 
eine  Verordnung,  die  wir  gleichfalls  zur  Genüge  aus  Afrika  usw.  kennen.  Das 
Kssen  wird  ihnen  von  ihren  Beschneidungspaten  gebracht  und  von  deren 
Frauen  bereitet.  In  der  ersten  Nacht  fingiert  man  dann  das  Nahen  des 
Kasuarg-eistes  Makarpon  von  dem  Meere  her3),  indem  Flöten  geblasen,  die 
See  mit  breiten  Kokosblättern  geschlagen  und  schlangenförmige  Windungen 
in  den  Ufersand  als  Schwanzspuren  eines  Geistes  gemacht  werden. 
Makarpon  kehrt  aber  nicht  in  diesen  beiden  Hütten,  sondern  in  dem  außerhalb 
des  Dorfes  liegenden  „Geisterhaus"  mit  dem  davorliegenden  Tanzplatz  ein  und 
hierher  werden  die  Kandidaten  etwa  l/27  Uhr  früh  des  folgenden  Tages  von 
ihren  Paten  geführt.  Übrigens  beteiligen  sich  mehrere  Geister  an  der  Feier. 
Schon  am  Vorabend  streitet  sich  der  Kasuargeist  Makarpon  mit  dem  Kasuar- 
geist Tambus  (Männchen  und  Weibchen)  um  die  Beschneidungskandidaten.  und 
jetzt,  wenn  die  Kandidaten  mit  ihren  Paten  auf  dem  Tanzplatz  erscheinen, 
naht  sich  ihnen  aus  dem  Geisterhaus  zuerst  ein,  dann  ein  zweites  Geisterpaar, 
je  ein  Männchen  und  ein  Weibchen  in  Vogelgestalt,  die  Tänze  aufführen. 
Von  dieser  Zeit  an  dürfen  die  Kandidaten  zeitlebens  Vögel  und  Fische  außer- 


')  Hierüber  im  Kap.  LV11I. 

-I  Wie  schon  augedeutet,  vermute  ich.  daß.  nach  der  Bedeutung  der  Beschncidiings- 
hütten  unter  den  Papuas  zu  urteilen,  vielleicht  auch  die  afrikanische  Beschneidungshütte 
auf  den   (iedanken  der   Wiedergeburt  zurückzuführen  ist. 

3)  Meerungeheuer  als  Stammvater,  Urheber  des  Lebens,  Bild  der  Zeugung  und  Frucht- 
barkeit sind  im  Völkerleben  wohl  bekannt.     Das  Wasser  ist  das  gleiche  Bild. 


198  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

halb  des  Geisterhauses  nicht  mehr  essen1).  Das  zweite  Geisterpaar  streitet 
sich  um  ein  Stück  Holz,  welches  der  Mann  als  der  stärkere  behält,  dann  aber 
fallen  läßt,  worauf  sich  das  Paar  mit  ausgespreizten  Flügeln  den  Knaben, 
welche  sie  „fressen"  werden,  nahen  und  sie  mit  den  Flügeln  streifen. 

Sobald  dieses  Paar  hierauf  in  das  Geisterhaus  zurückgekehrt  und  letzteres 
hinter  ihnen  verschlossen  worden  ist,  werden  die  Knaben  einzeln,  vom  ersten 
der  Eeihe  angefangen,  von  ihren  Paten  zur  Operation  nach  einem  abseits 
gelegenen  Platz  am  Strand  geführt,  wo  zwei  Männer  auf  sie  warten.  Keiner 
der  Knaben  weiß,  was  mit  ihm  nun  geschehen  soll.  Da  faßt  der  Pate  seinem 
Patenkinde  die  Hände  hinter  dem  Rücken  zusammen  und  beugt  ihm  den  Kopf 
so  nach  rückwärts,  daß  der  Knabe  die  Operation  nicht  sehen  kann.  Sie  geht 
folgenderweise  vor  sich: 

„Der  eine  von  den  zwei  dort  wartenden  Männern'2)  hält  einen  spitzen 
Dolch  aus  Kasuarknochen,  etwa  von  der  Breite  eines  mäßigen  Federhalters, 
in  der  Hand.  Mit  diesem  durchsticht  er  den  Penis  des  Knaben  an  dessen 
Spitze  an  einer  Seite  von  oben  nach  unten  so,  daß  die  Spitze  des  Dolches 
unten  wieder  hervorkommt,  und  zieht  den  Dolch  dann  zurück:  hierauf  stößt 
er  auf  der  anderen  Seite  des  Penis  noch  einmal  hinein,  aber  nicht  so  weit, 
daß  die  Spitze  hervorschaut,  und  zieht  dann  den  Dolch  wieder  heraus.-' 

„Ist  der  Knabe  noch  sehr  jung,  etwa  11—13  Jahre  alt,  so  ist  damit  die 
Operation  vollendet.  Ist  er  dagegen  älter,  so  hebt  der  erste  Mann  mit  dem  Dolch  an 
den  beiden  Wunden  die  Vorhaut  empor,  und  der  zweite  schneidet  dann  mit  einem 
scharfen  etwa  daumenbreiten  Bambusmesser  die  ganze  Vorhaut  rund  herum  ab." 

,.Die  Vorhaut  wird  entweder  in  einen  Ameisenhaufen  geworfen  oder  in 
einer  kleinen  Grube  in  die  Erde  gescharrt." 

Die  atnputatio  praeputii  wird  bei  jenen  Knaben,  au  denen  nur  die  per- 
Eoratio  vorgenommen  worden  ist,  später  nicht  mehr  nachgeholt,  auch  wenn  sie 
heiraten3).  Will  aber  ein  solcher  Mann  das  Geisterhaus  eines  fremden  Dorfes 
betreten,  und  schöpfen  die  Dörflinge  wegen  seiner  Unterlassung  des  üblichen 
( Ipfers  Verdacht,  dann  untersuchen  sie  ihn  und  vollziehen  an  ihm  die  ampu- 
tatio  praeputii  gewaltsamerweise.  Zum  Betreten  des  Geisterhauses  im  eigenen 
Dorfe  scheint  die  im  Knabenalter  erlittene  perforatio  aber  genügend  zu  sein. 
Nur  solche  Männer,  welche  die  Jünglingsweihe  überhaupt  nicht  mitgemacht 
haben,  dürfen  das  Geisterhaus  nicht  betreten  und  sind  von  allen  Zeremonien 
ausgeschlossen,  an  denen  Frauen  und  Kinder  nicht  teilnehmen  dürfen.  Doch 
können  auch  bereits  verheiratete  Männer,  wenn  sie  noch  keine  Kinder  haben, 
die  gemeinsame  Weihefeier  nachholen.  Sind  sie  aber  bereits  Väter,  dann  wird 
ihnen  die  Vorhaut  ..wühl  unversehens,  auf  einer  Reise"  amputiert.  Weil  das 
aber  nicht  feierlich  stattfindet,  so  daß  die  Frauen  von  ihrer  Initiation  nichts 
wissen,  darum  dürfen  sie  zeitlebens  das  Geisterhaus  nur  heimlich,  ohne  Mitwissen 
der  Frauen  und  Kinder,  besuchen4). 


1)  Nach  Bachofen  stand  der  Vogel  Strauß  in  vorzugsweiser  Beziehung  zum  Dionysus- 
kult,  hatte  also  sexuelle  Bedeutung.    Der  Fisch  ist  ein  wohlbekanntes  Bild  der  Fruchtbarkeit. 

sheinlich  haben  wir  in  dem  Kasuarkult  und  dem  Fisch  bei  der  Beschneidungsfeiei 
anl  Haresau  ähnliches.  Das  erste  Geisterpaar  trä^t  eine»  Fisch  auf  einem  mit  Kasuarfedern 
umwundenen  Stab. 

i   Diese  beiden  .Männer  gehören,  nach  Schmidt-Tamatai,   der  Gruppe  der  Kinäau    an, 
die  eine    \n   priesterlichen   Ansehens  genießt. 

3)  Ebensowenig  scheint  sie  bei  jenen  Jünglingen  nachgeholt  zu  werden,  die  von  der 
Erlaubnis  Gebrauch  machen,  die  Jünglingsweihe  in  fremden  Dörfern  mitzumachen,  wo  an 
ihnen  als  Fremder  nur  die  perforatio  vorgenommen  wird  (Anthrop.   II.  1032). 

')  üb  dei  I  dii   en  Brauch  nicht  weiß,  oder  ob  er  das  Opfer  als  Unbeschnittener 

anoh  si  inem  Gewissi  n      ich)    bringen  darf,  ist  bei  Schmidt  (Anthrop.  II,  1037)  nicht  klar  genug 

Irückt.    Bingegen         es  klar,  daß  nicht  die  Perforatio,  sondern  erst  die  Amputatio  den 
i    vollbi    echtigl    in-   und  außerhalb  seines    Dorfes   macht,   und  das    besonders 
den  Geistern  gegenüber.     Die  Beschneidung  ist  also  hier  ein  vorzugsweise  religiöser  Akt. 


§  250.  Knabenbeschneidung  b.  malayisch-polynesisehen  Völkern  inkl.  Papuas  u.  Australier.      199 

Während  der  Operation  zeigen  sich  die  Jünglinge  standhaft;  die  Knaben 
aber  weinen,  schreien,  schimpfen,  suchen  die  Männer  mit  Steinen  zu  werfen 
und  drohen  ihnen,  sie  würden  es  den  Frauen  sagen,  denn  das  sei  „nicht  schön". 
Die  Männer  zeigen  ihnen  aber  Speere  und  Dolche  und  bedrohen  sie  mit  dem 
Tode,  wenn  sie  das  Geheimnis  verrieten.  Besonders  unbändige  Knaben  werden 
noch  einmal  gestochen. 

Die  Operierten  waschen  sich  in  der  Kegel  gleich  die  Wunde  im  Meer, 
oder  wenn  ein  Knabe  sich  weinend  am  Ufer  niederlegt,  wird  er  von  Männern 
hineingeworfen.  Freundlichere  Männer  hingegen  suchen  auf  die  Kleinen  mit 
freundlicher  Zuspräche  einzuwirken.  Erst  wenn  der  Letzte  ins  Wasser  ge- 
gangen, dürfen  alle  wieder  .heraus. 

Von  jetzt  an  erhalten  die  Knaben,  welche  bisher  nackt  waren,  einen 
Leibgurt,  welcher  nur  von  den  bloß  Perforierten  zeitweise  wieder  abgelegt 
werden  darf. 

Auf  der  Rückkehr  zum  Geisterhaus  ermahnen  die  Paten  ihre  beschnittenen 
Patenkinder,  daß  sie  bis  zum  Abschluß  der  Zeremonien  nichts  mit  Frauen  zu 
tun  haben,  von  min  an  mit  keinem  Mädchen  mehr  spielen,  nicht  mehr  auf 
Männer  schimpfen  dürfen  usw. 

Dem  (ieisterhaus  gegenüber  ist  für  jeden  Knaben  ein  Lager  zubereitet, 
auf  dem  er  mit  geschlossenen  Augen  ausharren  muß,  bis  er  den  „Hund"  ')  hörte. 
Abermaliges  Blasen  auf  Bambusflöten,  welches  als  Stimme  des  Geistes  Tambus 
aus  der  Gattung  der  Kasuare  gilt,  kündigt  den  Frauen  im  Dorf  an,  daß  die 
Beschnittenen  im  Bauche  des  Geistes  sind,  während  sie  in  der  Tat  ohne  Schutz 
an  der  sengenden  Sonne  liegen.  Etwa  um  zehn  Uhr  erfolgt  ein  zweites  Blasen, 
das  Zeichen,  daß  sie  aus  dem  Geisterbauch  wieder  herauskommen.  Kurz  vor 
zwölf  Uhr  erschallt  die  bellende  Hundsflöte,  welche  den  Knaben  gestattet,  die 
Augen  zu  öffnen  und  zu  sprechen.  Dann  kommen  Männer  aus  dem  Wald  mit 
Speer,  Bogen  und  Pfeil,  und  einer  davon  wirft  einen  Spieß,  oder  schießt  einem 
der  daliegenden  Beschnittenen  einen  Pfeil,  dicht  über  die  rechte  Schulter  in 
die  Erde  hinein,  worauf  die  Knaben  aufspringen  und  die  Männer  verkünden, 
daß  es  zu  Ende  sei. 

Aber  noch  immer  wechselt  eine  geheimnisvolle  Zeremonie  mit  der  andern 
ab:  Man  bringt  den  Beschnittenen  eine  Schüssel  mit  Yams,  den  die  Frauen 
gekocht  haben,  und  verteilt  unter  sie  mehrzackige  Fischspeere.  Jeder  Knabe 
schleudert  seinen  Speer  in  die  Schüssel,  holt  ein  Stück  Yams  heraus,  leckt  daran, 
wirft  Yams  und  Speer  in  die  Schüssel  zurück,  welche  schließlich  mit  ihrem 
ganzen  Inhalt  ins  Meer  geschleudert  wird.  (Hier  haben  wir  vielleicht  ein 
Opfer  an  den  aus  dem  Meer  gekommenen  Geist.) 

Die  Beschnittenen  oder  nur  Perforierten  werden  „Kinder  des  Kasuar- 
geistes (Kaiwar)"  genannt,  dürfen  nun  selbst  im  Geisterhaus  Geistertlöten 
spielen  und  schmücken  nach  Sonnenuntergang  einen  tannenähnlichen 
Baum,  welchen  der  getaufte  Bonifaz'1)  mit  dem  Christbäumchen  verglich. 
Dieses  „Schmücken"  besteht  darin,  daß  sie  die  Aste  so  abhauen,  daß  nur 
noch  Stümpfe  von  halber  Armeslänge 3)  am  Stamm  bleiben.  Dann  werden 
Stamm  und  Äste  vollständig  abgeschält  und  ringel weise  schwarz,  rot,  weiß 
und  gelb   bemalt4),   mit  Federn   und  Guirlanden   von   kirschroten,   zitronen- 


')  Auch  der  Hund  spielt  in  der  Geschleehtssymbolik  eine  Kolle.  Vgl.  Bachofen,  „Das 
Mutterrecht''.  11".  Schmidt  weist  übrigens  (Anthrop.  II,  S.  1043)  auf  zwei  (mythische?)  Hunde 
hin,  welche  früher  besonders  den  Mädchen  auflauerten  und  sie  erschreckten;  man  habe  die 
beiden  Hunde  dann  in  die  See  geworfen. 

2)  Siehe  S.  197. 

*)  Das  Holzstück,  um  welches  sich  das  eine  Vogelpaar  vor  der  Besehneidung  streitet, 
ist  nach  Schmidt  armlang  und  armdick. 

4)  Die  Hinge  des  von  Weide  beschriebenen  Beschneidungsbaumes  der  ostafrikanischen 
Makua  sind  rot  und  schwarz. 


200  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

großen  föfeäk-Früchten  behängen,  worauf  man  den  Baum  an  jenen  Ort,  wo- 
nach dem  Esseu  die  Teller  zusammengelegt  werden,  in  die  Erde  pflanzt 
(vgl.  das  Einpflanzen  des  Baumes  bei  den  Makua).  In  einer  gewissen  Ent- 
fernung von  dem  Baum.  Kälpem  genannt,  steckt  man  zwei  Stäbe  in  die  Erde 
und  verbindet  sie  mit  einem  kunstvollen,  mit  Federn  besteckten  Geflecht  aus 
zwei  Kokosblättern.  worauf  die  Beschnittenen  ihren  Gesang  beginnen,  der  die 
ganze  Nacht  fortdauert  und  ihre  gesamte  ..Nationalliteratur"  umschließt,  wie 
II '.  Schmidt  sich  ausdrückt.  Beim  Aufgehen  des  Morgensterns  stellen  sie  ihre 
Trommeln,  mit  denen  sie  ihre  Gesänge  begleitet  hatten,  um  den  Kalpembaum, 
worauf  sie  zum  Schlafen  in  das  Geisterhaus  gehen. 

Mittlerweile  kommen  einige  Männer  aus  dem  Dorf,  vergewissern  sich, 
daß  die  Beschnittenen  den  Kalpembaum  ohne  andere  Beihilfe  gemacht  haben, 
bewundern  ihn,  reißen  ihn  dann  aus 1),  rupfen  ihm  die  Federn  aus  und  nehmen 
diese  zu  sich;  sie  gehören  ihnen. 

Aus  der  Reihe  der  weiterfolgenden,  vielfach  mit  Gesang  begleiteten 
Zeremonien  sei  hier  eine  Kahnfahrt  der  älteren  Knaben  unter  Beschnittenen 
erwähnt,  welche  Baumrinde  zu  Leibgürteln  holen,  die  nach  der  Rückkehr 
zum  Platz  vor  dem  Geisterhaus  hier  angefertigt  werden;  ferner  Bereitung 
einer  Salbe  aus  Kokosnußöl  und  roter  Farbe,  Avomit  sie  sich  die  Haare  ein- 
reiben; Gewinnung  einer  wohlriechenden  Substanz  aus  den  Blättern  des  pok- 
Baumes  und  Einreibung  des  Körpers  mit  derselben;  Versenkung  eines  mit 
Blättern  geschmückten  Pfahles2),  Anspucken  dieses  Pfahles  mit  wohlriechender 
Substanz  seitens  sämtlicher  Beschnittenen,  die  ihn  doppelt  umkreisen  und  dabei 
singen : 

Kalembö  kalembö  komcäl  kalembö, 
Kalernbö  kalembö  rurau  kalembö.3) 

Erwähnt  seien  hier  ferner  die  Stäbchen  mit  Grasbüscheln  an  der  Spitze, 
welche  zwei  „Oberjünglinge-'  jedesmal  tragen,  wenn  sie  in  den  übrigen  Be- 
schnittenen prozessionsweise  jeden  neu  angekommenen  Mann  auf  dem  Platz 
vor  dem  Geisterhaus  begrüßen4"). 

Ein  sehr  beachtenswerter  Beitrag  zum  Baum-,  bzw.  Fruchtbarkeits- 
kult scheint  mir  ferner  in  der  folgenden  Zeremonie  zu  liegen:  Wenn  die 
Beschnittenen  ihre  weiter  oben  angedeuteten  Leibgürtel  aus  Baumrinde  fertig, 
und  die  Männer  davon  Kenntnis  genommen  haben,  unternehmen  diese  eine 
Kahnfahrt,  um  eine  heilig  gehaltene  (tabu)  Liane  und  gewisse  duftende, 
immer  blühende  und  von  Vögeln5)  gern  besuchte  Bäume  aufzusuchen. 

Wenn  ein  Eingeweihter  Nichteingeweihte  zu  dieser  Liane  führt  und 
sie  damit  spielen  ließe,  würde  er  getötet  werden.  Haben  die  Männer  die 
gewünschten    Baumarten6)   gefunden,   dann   kratzen   sie  Saft  heraus,   nehmen 

')  Vgl.  das  von  Wehrmeister  beschriebene  Umhauen  des  Beschneidungsbaumes  in- 
Lukuledi,   Deutsch-Ostafrika,  auf  S.  180. 

-)  Wahrscheinlich  abermals  ein  sexuelles  Symbol.  Wenigstens  findet  sich  der  l'fahl 
als  solches  in  der  Symbolik  verschiedener  Völker. 

3)  Hierzu  bemerk!  Schmidt,  Komcäl  bedeute  ein  Halsband  aus  Bundezähnen  und 
rurau  Mu  cheln  zum  Armband.  Etwas  an. leres  bringe  er  aus  Bonifaz  nicht  heraus. 
—  Mir  dünkl  die  Muschel  im  obigen  Zusammenhang  in  jener  Bedeutung  wahr- 
scheinlich, welche  sie  bei  nicht  wenigen  Völkern  hat.  nämlich  als  Symbol  der  weiblichen 
Scham.    Die  I  I  nun  einmal  nachweisbar  bei  zahlreichen  Völkern  die  Einführung 

ms   Geschlechtsleben      Selbstverständlich    mache    ich    mit    dem    Heranziehen   der   Symbolik 
anderer    Volk«  Anspruch    auf   unfehlbare    Anwendung   derselben   bei   den    Karesau- 

[nsnlanern.     Die   Völkerkunde  bringt  ja    immer  neue  Überraschungen,  denen   ich   ohne  \  or- 
urteil  entgegensehi 

'i    VgL  den  Tanzstab  der  Wasaramo  (Fig.  298)  und  was  über  die  sexuelle  Bedem 
des  Stabes  Bchon  Erühei  gesagt  worden  ist. 

Bangt   vielleicht   mit   dem  weit   verbreiteten  Glauben  zusammen,  daß  Menschenseelen 
als  Vögel  erscheinen.     Vgl.  Kap.  XXX. 

6 1  llire  Bi  siehe  Ä.nthrop,  II.  1049. 


§250.  Knabenbesehneidungb.  malayiseh-polynesischen  Völkern  inkl.  Papuas  u.  Australier.      201 

ihn  in  einem  Baumblatt  auf  und  stecken  dieses  zusammengeschlagen  in  die 
Tasche.  Reim  Anblick  der  Liane  fangen  die  Männer  auf  ihren  Handtrommeln 
zu  trommeln  an,  worauf  alle  anderen  Männer  hinzulaufen.  Dann  kratzt  einer 
der  Finder  in  Gegenwart  aller  Saft  aus  der  Liane;  jedermann  liefert  die 
Blätter  mit  dem  vorher  gesammelten  Baumsaft  ab,  der  nun  in  zwei  große 
Blätter  zusammenkommt.  Auch  diese  zwei  Blätter  scheinen  sehr  wichtig  zu 
sein;  denn  zwei  ältere  Männer,  aus  einer  Anzahl  jüngerer,  waren  vorher  zu 
ihrem  Schutz  aufgestellt  worden.  Hierauf  schmückt  man  mehreren  Greisen 
das  Haupthaar  mit  roter  Farbe,  Federn  usw.,  worauf  diese  mit  den  Saft- 
kratzern die  Liane  ansingen:  „Hilf  uns,  unseren  Frauen,  Kindern,  Jünglingen." 
Bann  besucht  man  der  Reihe  nach  alle  Bäume,  aus  welchen  Saft  gekratzt 
worden  war,  singt  sie  alle  an,  trägt  die  zwei  großen  Blätter  mit  dem  Saft 
zusammengewickelt  zum  Kanoe  und  fährt,  unter  Gesang  auf  die  beiden  „See- 
hunde", zum  Geisterhaus  zurück,  wo  die  Beschnittenen  die  Männer  erwarten. 
Hier  tragen  diese  die  beiden  Blätter  mit  dem  Baum-dind  Lianen ?)saft,  tanzend 
und  singend,  in  Prozession  um  das  Haus. 

Die  Beschnittenen  nennen  sich  in  einem  von  Schmidt  (Anthrop.  II, 
S.  104m  mitgeteilten  Gesang  selbst  ein  Blatt  vom  Baum  parai,  der  sich 
durch  seine  schönen  Blätter  auszeichnet. 

Auch  das  Feuer  spielt  bei  der  Karesauer  Beschneidungs-  und  Pubertäts- 
feier eine  Rolle'):  Nach  Beendigung  der  eben  geschilderten  Prozession  werden 
hinter  dem  großen  Geisterhaus  zwei  große  Feuer  angezündet;  in  die  beiden 
Aschenhaufen  legt  man  dann  je  eines  der  beiden  Blätterbündel  mit  dem  ge- 
sammelten Baumsaft,  welche  nach  Mitternacht  wieder  herausgenommen,  ihres 
Inhaltes  entledigt,  und  dieser  an  die  vorher  gebadeten  Beschnittenen  verteilt 
wird.  Die  leeren  Blätter  wirft  man,  um  sie  vor  den  Blicken  der  Frauen  und 
Kinder  zu  schützen,  ins  Meer.  -  -  Außerdem  tritt  bei  der  Schlußfeier  eine 
jüngere  Frau  in  Männerkleidung  mit  einer  brennenden  Fackel  und  einem 
mehrzinkigen  Fischspeer  in  der  Hand  auf  und  geht  der  Reihe  der  Knaben 
entlang.  Nach  ihr  erscheint  ein  fremder  Mann,  gleichfalls  mit  brennender 
Fackel,  der  diese  den  Knaben  um  die  Füße  fuchtelt. 

Nach  Ablauf  der  hier  geschilderten  und  mancher  anderen  Zeremonie 
treten  die  Beschnittenen  mit  ihren  Eltern  und  Geschwistern  eine  ca.  14tägige 
Besuchsreise  bei  Freunden  und  Bekannten  an.  Nach  ihrer  Rückkehr  folgt 
unter  anderen  Zeremonien,  auf  welche  Kap.  LVIII  zurückkommt,  die  folgende, 
welche  mit  der  Beschneidung  enge  zusammenhängt. 

Die  Männer  entfernen  aus  einer  Steinhöhlung  am  Strand  das  darin 
befindliche  Meerwasser  und  tragen  Süßwasser  hinein.  Dann  durchstechen 
sie  sich  mit  Kasuarknochen2)  das  Glied,  lassen  das  Blut  in  dieses  Wasser 
hineinlaufen,  schaben  auch  das  auf  den  Rand  getropfte  hinein  und  befehlen 
den  Beschnittenen,  das  ekelhafte  Gemisch  zu  trinken3),  und  stellen  es  ihnen 
anheim,  jene  Operation  von  nun  an  täglich  an  sich  selbst  vorzunehmen.  Als 
Pflicht  gilt  es  zwar  nicht,  aber  man  sieht  doch  Krankheiten  als  eine  Strafe 


')  So  klar  wie  bei  der  Beschneidungsfeier  der  Makua  tritt  hier  der  Feuerkult  nicht 
auf.  Vielmehr  erscheint  es  auf  Karesau  nach  dem  folgenden  Referat  mehr  Mittel  zum  Zweck 
(Dunsten  des  heiligen  Saftes  und  Schreckmittel,  bzw.  Mutprobe)  als  Symbol  des  apotheosierten 
Feuers  zu  sein. 

2)  Mit  diesen  wurde  auch  die  erste  Perforation  vorgenommen  (S.   198). 

3)  Vielleicht  soll  durch  diese  Zeremonie  die  enge  Zusammengehörigkeit  aller 
Männer  des  Stammes  versinnbildet  werdeu.  In  Australien  geht  man  bei  einzelnen  Stämmen 
noch  weiter,  d.  h.  die  älteren  und  jüngeren  Stammesbrüder  eines  beschnittenen  Mädchens  verbinden 
sich  mit  diesem.  Vgl.  ferner  die  Bedeutung  der  gemeinsamen  Wiederholung  der  austra- 
lischen Subinzision,  w.  u.,  welche  die  jungen  und  alten  Männer  innig  miteinander  verbinden 
und  die  jungen  zu   ,.guten  Schwarzen"   machen  soll. 


202 


Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 


für  Unterlassung  an.    Übrigens  schwäche  dieser  Brauch  viele  Jünglinge  derart, 
daß  sie  arbeitsunfähig  werden1).  — 

Auf  der  zwischen  Kaiser- Wilhelmsland  und  Neupommern  gelegenen  Insel 
Rook  besteht  die  Operation  der  männlichen  Jugend  nur  in  einem  Einschnitt 
in  die  obere  Seite  der  Vorhaut.  Der  Beschnittene  muß  sich  einige  Tage 
in  das  öffentliche  Versammlungshaus  (Barem)  zurückziehen,  wo  am  Besehneidungs- 
tag  und  beim  Abschluß  der  Retraite  ein  großes  Fest  stattfindet.  Sein  Vater 
muß  den  Freunden  ein  Schwein  und  Taro  zum  Besten  geben,  was  arme  Leute 
nicht   leisten   können.     Ihre  Kinder  werden   daher   nicht   beschnitten.     ,.Un- 


Fig.  302.    Eingeborne   vor  ihrer  Hütte  auf  Vannua   Leva,   Neue   Hebriden.    Im  K.  Ethnographischen 

Museum  in  München. 


beschnittener"  gilt  (deshalb?),  ähnlich  dem  deutschen  „Lump"  als  Schimpf- 
wort (JReina). 

Auf  Neupommern  ist  die  Beschneidung  allgemein  (Ii.  Andrea).  Ebenso 
in  jenem  Teil  von  Neu-Mecklenburg,  der  die  meisten  und  kunstvollsten 
Tanzmaskeu  aufweist.  Von  Schleinitz  glaubte,  daß  beides  mit  dem  religiösen 
Kultus  im  Zusammenhang  stehe. 

Von  der  zu  den  Neuen  Hebriden  gehörigen  Insel  Aneityum  er- 
wähnt  //.  Andree  Beschneidung  im  Alter  von  fünf  Jahren. 

Auf  der  zur  gleichen  Gruppe  gehörigen  Insel  Tanna  wird  den  Knaben 
im  Alter   von   7  —  10  Jahren   die  Vorhaut   aufgeschlitzt.     Schon  zwei  Monate 


')  An  die  häufigen  Blutentziehungen  der  alten  Azteken  aus  verschiedenen  Körper- 
teilen ist  in  dem  vorliegenden  Werke  an  anderer  Stelle  hingewiesen.  —  Das  fast  allzulange 
Verv  den   ELaresau  möge  damit  entschuldigt  werden,  daß  ihre  Zeremonien  in  miig- 

lichster  Vollständigkeit  sehr  geeignet  sind.   Lieht  auf   die  fragmentarischen  Mitteilungen  von 
Bräuchen  anderer  Völker  zu  werfen.    Nur  durch  möglichst  viele  und  eingehende  Vergleichung 
rmafien  zu  deren  Verständnis. 


§  250.  Knabenbeschueidung  b.  malayisch-polynesisehen  Völkeru  inkl.  Papuas  u.  Australier.      203 

vor  dem  Beschneidungstag  werden  die  Kandidaten  in  eine  leicht  bedeckte 
Umzäunung  gesperrt,  vor  welcher  Tag  und  Nacht  ein  Eingeborner  "Wache 
hält.  Die  Weiber  dürfen  die  Knaben  in  dieser  Zeit  bei  Todesstrafe  nicht 
sehen.  Täglich  zweimal  führt  der  Wächter  die  Knaben  an  den  Strand  zum 
Baden,  nachdem  er  durch  einen  Stoß  in  das  Muschelhorn  allen  Unberufenen 
das  Signal  gegeben  hat,  daß  sie  sich  in  den  Busch  zurückzuziehen  haben. 
Nach  dem  Bad  zeigt  der  Ton  des  Muschelliorns  an,  daß  die  Luft  rein  sei. 
Bei  der  Operation  wird  wacker  gegessen:  Yams  werden  oft  an  200  Pfund 
schwer,  zwischen  zwei  Stäben  befestigt,  von  vier  Männern  herangeschleppt; 
es  wird  Kawa  getrunken  usw. 

Schlitzung  der  Vorhaut  ist  ferner  auf  Neu-Caledonien  im  französischen 
Ozeanien  gebräuchlich  (MeinieJce).    Desgleichen  auf  den  Viti-Inseln  mit  ihrer 


Fig.  303.    Familie  auf  Tauna,  Neue  Hebriden.     Aus  Turner,  Nineteen  Years  in  Polynesia.    London  1861. 


melanesisch-polynesischen  Mischbevölkerung,  wo,  nach  Williams,  die  Knaben 
dieser  Operation  nach  dem  7.  Jahr  unterworfen  werden;  E.  Andree  gibt 
10 — 12  Jahre  und  Emanuel  Bougier  (1907)  12— 15  Jahre  als  Beschneidungs- 
alter  an.     Rougier  nennt  zudem  die  Operation  „Zirkumzision".  - 

Nach  Andree  folgen  auf  die  Operation  religiöse  Feste.  Unbeschnittene 
Burschen  gelten  als  unrein  und  dürfen  den  Häuptlingen  keine  Nahrung  bringen. 
Auf  Viti  Levu  hat  die  Beschneidung  den  Charakter  einer  Opferhandlung. 

Auf  den  Viti-Inseln  wird  auch  eine  Operation  geübt,  welche  wir  in 
Australien  als  Mika  (Subinzision)  kennen  lernen  werden.  Auf  Viti  ist  sie 
aber  nur  zu  Heilzwecken  angewendet  uud  steht  mit  der  üblichen  Beschneidung 
nicht  in  Verbindung  (.7.  de  Marzan). 

Das  bloße  Aufschlitzen  der  Vorhaut  ist  auch  bei  den  Polynesiern  auf 
Tonga  und,  wie  es  nach  Floß  (2.  Aufl.  I,  370f.)  scheint,  überhaupt  in  Poly- 
nesien üblich.     Gerland  hatte   geschrieben:   Die  Polynesier   sind  hinsichtlich 


204  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

der  Eichel  ungemein  schamhaft,  und  doch  pflegen  sie  sie  durch  Aufschlitzung 
der  Vorhaut  zu  entblößen;  auf  Tonga  tätowiere  man  sogar  die  entblößte 
Eichel.  I hie  Sclieu  vor  dem  Anblick  der  Eichel  gründe  in  der  Religion:  Die 
Eichel  sei  tabu  und  ihr  Anblick  ein  Frevel.  ..Man  schlitzte  die  Vorhaut  auf, 
um  den  den  Göttern  besonders  heiligen,  lebenspendenden  Teil  nicht  zu  ver- 
hüllen: man  band  ihn  wieder  zn.  um  den  Teil,  der  wegen  seiner  Heiligkeit 
streut;-  tabu,  d.  h.  den  Göttern  angehörig  war,  den  Blicken  der  Menschheit 
zu  entziehen,  damit  kein  Bruch  des  Tabu  entstehe."  Als  vorzüglich  leben- 
spendendes Glied  habe  man  die  Eichel,  und  als  Ausgangspunkt  des  Lebens 
habe  man  den  Nabel  betrachtet,  und  deshalb  beide  mit  dem  Bilde  oder  Zeichen 
des  Gottes  versehen,  wie  das  neue  Leben  und  Wesen  selbst  dem  Gotte  heilig 
war.  Tätowierung  um  den  Nabel  war  nämlich  auf  Samoa  üblich,  weil  dieser 
Teil  mit  dem  Mutterleib  zusammengehangen.  Die  Beschneidung  scheint  aber 
auf  Samoa  (wenigstens  in  neuerer  Zeit)  keinen  religiösen  Charakter  zn  tragen. 
Nach  Kuh, inj  tindet  sie  dort  jetzt  ohne  besondere  Zeremonien  statt;  religiöse 
Bedeutung  mißt  man  ihr  nicht  zu.  Wenn  die  Knaben  ungefähr  7  Jahre  alt 
seien,  gehen  einige  zusammen  zu  einem  sachkundigen  Mann,  der  die  ( Iperation 
gegen  ein  Geschenk  von  Matten  vollziehe.  Nach  Thilenius-Krämer  und 
II".  T.  Pritchard  bezwecken  die  Samoaner  einfach  Reinlichkeit.  Die  Operation 
besteht  auch  hier  nicht  in  einer  Zirkumzision,  sondern  nur  in  einer  Spaltung 
der  Vorhaut,  wozu  früher  ein  Bambussplitter,  später  ein  Rasiermesser  benutzt 
wurde.  Nach  Pritchard  ist  in  jedem  Orte  ein  Mann,  welcher  die  Operation 
gegen  Bezahlung  ausführt;  doch  ist  es  nicht  selten,  daß  sich  10  oder  15  Barschen 
in  den  Wald  begeben  und  sich  dort  gegenseitig  beschneiden.  Als  Alter  wurde 
hier  8—10  Jahre,  bei  Floß  (II,  424)  9 — 11  Jahre  augegeben.  —  Der  Brauch 
gehöre  zu  den  ältesten  der  Samoa-Inseln. 

Die  Beschneidung  auf  den  weiter  oben  erwähnten  Tonga-Inseln  wurde 
von  Mariner  geschildert:  Ein  Stückchen  Holz  vou  passender  Form  wird  mit 
Gnatu  umwickelt  und  in  das  Präputium  eingeführt;  alsdann  wird  auf  dem 
Rücken  desselben  ein  Längseinschnitt  von  einem  halben  Zoll  entweder  mit 
einem  Bambussplitter  oder  einer  Muschelschale  gemacht,  am  liebsten  mit  der 
letzteren.  Diesen  Einschnitt  macht  man  durch  die  äußeren  Hautpartien  und 
den  Anfang  der  inneren  und  reißt  den  Rest  der  letzteren  mit  den  Fingern 
auf.  Das  Ende  des  Penis  wird  dann  in  ein  Blatt  des  Guataibaumes  ein- 
gewickelt und  mit  einer  Bandage  versehen.  Der  Knabe  darf  drei  Tage  lang 
nicht  baden,  und  das  Blatt  wird  ein-  oder  zweimal  täglich  erneuert. 

Auf  Tahiti  schlitzten  die  Priester  den  Knaben  die  Vorhaut  im  Alter 
M'ii  H  Jahren  auf.  Es  waren  stets  mehrere  Kandidaten  dabei  beteiligt;  die 
Feier,  welche  religiösen  Charakter  trug,  dauerte  fünf  Tage  {Cook  und  Forster). 

Auf  Xukahiva,  einer  Marquesas-Insel,  findet  das  Aufschlitzen  der 
Vorhaut  zur  Pubertätszeit  der  Knaben  statt.  Man  verwendet  dazu  einen 
schalten  Stein. 

Im  Aufschlitzen  der  Vorhaut  besteht  die  Operation  feiner  auf  der  Oster- 
insel  und  den  Sandwich-Inseln.  — 

Wir  kommen  nach  Australien,  das  wegen  seiner  reichen  Symbolik  im 
allgemeinen  und  wegen  seiner  sexuellen  Operationen  im  besonderen  ethnologisch 
srordentiieh  merkwürdig  ist. 

Was  zunächst  das  westliche  Küstengebiet  des  australischen  Kontinents 
betrifft,  so  ha1  schon  Floß1)  erwähnt,  daß  Oldfield  die  Beschneidung  am 
Murchison  River,  im  Stamme  der  Angaardies,  und  Eyre  dieselbe  am 
King-Georges-Sound  und  Swan-River  entdeckte. 


')  2.  AMI. 


§  250.  Kuabenbeschneidung  b.  malayisch-polynesisehen  Völkern  inkl.  Papuas  u.  Australier.      205 

Ein  neuerer  Bericht  liegt  mir  von  Mrs.  Peggs  über  die  Eingebornen 
an  der  weiter  nördlich  gelegenen  Roebuck  Bay  vor.  Die  Beschneidung 
schließt  hier  die  Beifezeremonien  der  jungen  Burschen  ab.  Peggs  bezeichnet 
die  Art  und  Weise  der  Operation  nur  als  „very  roughly  performed-'.  Man 
beschneidet  mit  zwei  Glasscherben.  Nach  der  Operation  und  Reifefeier  über- 
haupt muß  der  Jüngling  schwören,  daß  er  von  dem  Erlebten  nichts  seinen 
jüngeren  Bekannten  mitteilen  werde.  Ehe  die  Wunde  verheilt  ist,  darf  er 
das  Lager  des  Stammes  nicht  betreten  und  untersteht  der  Pflege  eines  Mannes 
oder  alten  Weibes.  Doch  darf  kein  Weib  bei  der  Reifefeier  zugegen  sein. 
Nach  seiner  Genesung  kann  sich  der  Beschnittene  um  ein  Eheweib  umsehen. 
Übrigens  verkehren  schon  viele  vor  der  Operation  und  Mannbarkeitserklärung 
mit  dem  anderen  Geschlecht  und  haben  1  —  2  Kinder.  Peggs  deutet  dann 
eine  zweite  Operation  an,  welche  nach  der  Heilung  der  von  der  ersten  Wunde 
stammenden  stattfinde,  und  weist  dabei  auf  den  Report  of  the  Hörn  Scientific 
Expedition  (IV,  169)  hin.  die  mir  leider  nicht  vorliegt.  Doch  werden  im 
folgenden  zwei  aufeinanderfolgende  Operationen  bei  anderen  australischen 
unuen  geschildert1).  Einstweilen  sei  der  von  Peggs  beigefügte  Brauch 
erwähnt,  'laß  ca.  30 — 40  Meilen  landeinwärts  von  Boebuck  Bay  der  be- 
schnittene Bursche  sein  wundes  Glied  mit  einem  Stück  Känguruhhaut  verbindet. 
Auf  dieses  Stück  hat  das  Mädchen,  welches  der  Bursche  später  heiratet,  ein 
Anrecht,  und  sie  würde  lieber  ihr  Leben  als  dieses  Hautstückchen  lassen-). 

Im  nordwestlichen  Küstenstrich  nimmt  man  eine  partielle  Spaltung 
der  Urethra,  d.  h.  eine  Erweiterung  des  Orificium  urethrae  vor,  indem  man 
längs  der  unteren  Mittellinie  der  Glans  penis  einen  Einschnitt  macht.  Das 
bezwecke  eine  Steigerung  der  Wollust  bei  der  Kopula  (MiMucho-Maelay) s). 

Aufschlitzung  der  Harnröhre  ihrer  ganzen  Länge  nach,  die  sogenannte 
Mika-Operation,  ist  sowohl  im  Norden,  um  Port  Darwin,  als  im  Innern 
von  Australien  üblich.  In  Port  Darwin  unterwerfen  sich  ihr  alle  Männer, 
wie  Plofi*)  schrieb,  indem  er  zugleich  bemerkte,  daß  viele  dieser  Männer  Väter 
seien,  was  der  Mitteilung MiMucho-Maclays,  die  Mika-Operation  mache  Zeugung 
unmöglich,  widerspreche5).  Von  einem  Berichterstatter  hatte  dieser  gehurt, 
daß  der  erwähnte  Längsschnitt  an  der  unteren  Wandung  gemacht  werde,  und 
daß  der  Penis  nur  noch  eine  Rinne,  keine  Röhre  mehr  darstelle,  weshalb  bei 
der  Kopulation  das  Sperma  abtließe.  ..Auffallend"  nannte  PJoß  die  Be- 
hauptung des  Berichterstatters,  daß  in  Zentral- Australien  neben  ca.  100  Ope- 
rationen dieser  Art  nur  3 — 4  Männer  mit  unverletztem  Glied  für  die  Nach- 
kommenschaft des  Stammes  sorgen  sollten6). 

Seitdem  haben  bekanntlich  Spencer  und  (>'illr>i  auf  diesem  Gebiet  be- 
deutsame Mitteilungen  gemacht:  Mit  einer  einzigen  Ausnahme  üben 
alle  von  ihnen  beobachteten  nördlichen  Stämme  von  Zentral- 
Australien  sowohl  Mika-Operation  (Subinzision)  als  auch  Zirkum- 
zision.  Sobald  beim  Knaben  Geschlechtsreife  eintritt,  muß  er  sich  zunächst 
der  Zirkumzision  unterwerfen.  Über  die  Bedeutung  dieser  und  jener  konnten 
Spencer- Gill&n  allerdings  nichts  Befriedigendes  erfahren.  Die  Einführung  der 
Operationen  führen  die  Eingeborenen  auf  das  „Alcheringa",  d.  h.  die  Traum- 
oder Sagenzeit  zurück. 


')  Vgl.  Kap.  LV11I. 

2)  Die  innige  Beziehung  der  Beschneidung  zum  Eheleben  bei  diesem  australischen 
Stamm  geht  schon   aus  dieser  Mitteilung  hervor. 

M   Vielleicht  haben  wir  hier  die  Ton  Peggs  angedeutete  zweite  Operation. 

*)  2.  Aufl.  I,  359. 

6)  Die  Bedeutung  der  Mika-Operation  scheint  trotz  mehrfacher  Nachforschung  noch 
unklar  zu  sein.  Vgl.  das  hier  Einschlägige  in  diesem  Abschnitt  und  „Operative  Eingriffe 
in  die  Eierstöcke"  im  dritten  Teil  dieses  Kapitels. 

8)  Vgl.  die  Mika-Operation  (Subinzision)  zu  Heilzwecken  auf  Viti. 


206  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Ein  Vorfahre  habe  die  eine  oder  beide  Operationen  zuerst  an  sich  selbst 
und  dann  an  andern  ausgeführt •  |.  Seitdem  sei  man  seinem  Beispiele  gefolgt.  — 
Das  scheint  die  vorherrschende  Erklärung  zu  sein.  —  Der  Kaitisch -Stamm 
hingegen  führt  die  Zirkumzision  auf  den  im  Himmel  wohnenden  mächtigen 
Geist  Atnatu  zurück.  Dieser  habe  zwei  Knaben,  welche  aus  zwei  Eiern 
schlüpften,  je  ein  Steinmesser  heruntergeworfen,  als  ihnen  die  Schamhaare  zu 
wachsen  anfingen  und  sie  wiederholt  versucht  hatten,  die  Vorhaut  zurück- 
zuziehen. Jeder  der  beiden  habe  dann  die  Zirkumzision  an  sich  selbst  aus- 
geführt, worauf  sie  gegenseitig  die  Subinzision  vorgenommen  hätten2). 

Eine  numerische  Beschränkung  des  Stammes,  wie  der  Berichterstatter 
des  MiJducho-Macla//  und  anfangs  Spencer  und  G'dlcn.  sowie  Roth  an- 
nahmen, bezweckt  die  Subinzision  nach  der  späteren  Ansicht  Spencers  und 
Gillens  nicht.  Die  Männer,  so  meinen  diese  beiden,  würden  aus  jenem  Grunde 
nicht  so  hochgradige  Schmerzen  auf  sich  nehmen,  da  ja  jedes  unwillkommene 
Xeugeborne  getötet  werden  kann  und  es  tatsächlich  auch  wird. 

Wenn  die  Subinzision  die  Befruchtung  ausschlösse,  müßten  die  sie  übenden 
Stämme  übrigens  längst  ausgestorben  sein;  denn  nach  Spencer  und  Oillen 
muß  sich  ihr,  ebenso  gut  wie  der  Zirkumzision.  jeder  Knabe  unterwerfen. 
Keiner  darf  heiraten,  ehe  er  beide  Operationen  hinter  sich  hat.  —  Die  Weiber 
verachten  jeden  unbeschnittenen  Mann.  — ~Im  Warrant unga-Stamm  wird  die 
Subinzision  sogar  regelmäßig  wiederholt  und  auch  im  Arunta- Stamm  ist  ihre 
Wiederholung  häufig.  Bei  den  Warramunga  versammeln  sich  die  Neu- 
initierten  (also  die  bereits  beide  Operationen,  Zirkum-  und  Subinzision.  hinter 
sich  haben)  mit  den  älteren  Männern  und  jeder  schneidet  sich  selbst  oder 
läßt  sich,  nach  Beobachtung  einer  heiligen  Zeremonie  auf  dem  Corrobboreeplatz, 
von  einem  andern  schneiden  bis  reichlich  Blut  fließt.  Das  geschieht  in  dem 
Bette  des  Baches,  in  welchem  die  jungen  Leute  nach  ihrer  ersten  und  eigent- 
lichen Subinzision  ihr  Lager  hatten  aufschlagen  müssen.  Das  zur  Wiederholung 
benutzte  Instrument  ist  je  nach  Wahl  ein  scharfer  Stein  oder  eine  Glasscherbe. 
Diese  Operation,  „kuntamara"  genannt,  soll  die  jungen  und  alten  Männer 
inniger  miteinander  verbinden  und  jene  zu  ..guten  Schwarzen"  machen. 
Doch  fehlt  ihr  die  Feierlichkeit  der  eigentlichen  Subinzision  (parra).  Am 
Schluß  bestreicht  der  Initiierte  seinen  rechtmäßigen  Vater3)  etwas  mit  seinem 
eigenen  Blut  und  streichelt  seinem  Großvater  mit  einem  grünen  Zweig  das 
Haupt4). 

Viele  vor,  bei  und  nach  der  Zirkumzision  und  Subinzision  beobachteten 
Zeremonien  gleichen  sich  bei  verschiedenen  Stämmen,  hauptsächlich  bei  den 
Warramunga,  Walpari,  Wulmala,  Tjingilli  und  Umbaia  einerseits  und 
den  Mara  und  Anula  andererseits5).  Bemerkenswert  ist  die  Gegenwart 
der  Weiber  bei  der  Subinzision  im  Warramunga-Stamm.  während  sie 
bei  den  anderen  Stämmen  strenge  ausgeschlossen  sind,  oder  doch  nur  an  den 
einleitenden  Feierlichkeiten  teilnehmen,  z.  B.  Tänze  aufführen6). 

Wesentlich  gleiche  Züge  bei  verschiedenen  Stämmen  sind  ferner  das  dem 
Kandidaten  auferlegte  Stillschweigen,  seine  unter  Aufsicht  unternommene 
monatelange  Reise  zu  verwandten  Stämmen,  um  sie  zu  seiner  Initiation  ein- 


»i   ■->  !!,„,  The  Northern  Tribes  of  Ceutral  Australia  328ff. 

8)  Dil  I44f. 

i  ..Vater-   heißen    auch    andere  Männer  des  Stammes.     Vgl.  Kap.  LXI  (Urgeschichte 
der  Familie). 

*)  Op.  cit.,  359  ff.  —  Dieser  grüne   Zweig   hat    nach   meinem  Dafürhalten    die   gleiche 
Bedeutung,  welche  der  Bnumkult  der   Völker  überhaupt  hat. 

«)  348  und  369. 

•)  :: 


§  250.  Knabenbeschneidung  b.  tualayisch-polynesischen  Völkern  inkl.  Papuas  u.  Australier.     207 

zuladen,  seine  Unikleidung  mit  einem  Haargürtel ]).  die  Umwindung  des  Kopfes 
mit  einem  Weiberkopf  ring'-'),  Bemalung,  teils  zu  rein  ästhetischen  Zwecken, 
teils  mit  Totemzeichen,  Speiseverbote  und  anderen  Vorschriften  unter  mehr 
oder  weniger  schweren  Strafandrohungen,  deren  Verwirklichung  teilweise 
mächtige  Geister  übelnehmen,  Einführung  des  Kandidaten  in  die  heiligen 
Zeremonien  seines  Stammes,  fortgesetztes  ptlichtmäßiges  Schwingen  eines  heilig 
gehaltenen  Stockes,  dessen  Ursprung  von  den  Kaitisch  in  die  graue  Sagenzeit 
zurückversetzt  wird,  und  dessen  Töne  Weibern  und  Kindern  als  Stimme  eines 
Geistes  gilt,  der  die  Knaben  aufißt*)  oder  doch  entführt  und  sie 
als  Männer  wieder  zurückgibt,  Übergabe  eines  Feuerbrandes*),  der  von 
den  Kandidaten  brennend  erhalten  werden  muß,  Austausch  von  Geschenken, 
zurückgezogenes  Leben  bis  zur  Heilung,  Entfernung  aus  dem  Weiberlager 
und  Einführung  in  das  Männerlager.  Besonders  bemerkenswert  ist  ferner  der 
verschiedenen  Stämmen  gemeinsame  Brauch,  daß  der  Kandidat,  sowohl  während 
der  Zirkumzision,  als  während  der  Subinzision,  einigen  ihm  verwandten 
Männern  auf  den  Bücken  gelegt  wird,  die  mit  dem  Gesicht  auf  der  Erde 
liegen  oder  in  gekauerter  Stellung  eine  Art  Tisch  bilden,  und  daß  ihm  der 
Mund  verstopft  wird,  damit  er  nicht  schreien  könne.  Während  das  bei 
anderen  Stämmen  mit  Beizstreifen  geschieht,  benutzten  die  Warramunga  bei 
der  Subinzision  dazu  die  Benisquaste  des  Vaters,  mit  welcher  der  Kandidat 
nach  der  Subinzision  bestimmten  Verwandten  die  Köpfe  streicht.  In  diesem 
Stamme  zeigen  verwandte  Männer  dem  Kandidaten  vor  dessen  Zirkumzision 
ihre  Benis,  strecken  und  dehnen  sie;  auch  legen  sich  in  diesem  Stamme  ver- 
wandte Weiber  vor  der  Zirkumzision  auf  den  Kandidaten5). 

Diese  stark  hervortretende  niedere  Sinnlichkeit  stimmt  nach  meinem 
Dafürhalten  ganz  und  gar  zu  dem  üppigen  Schlangen kult  dieses  Stammes. 
Seine  Wollonqua  (große  Schlange)  -Zeremonien  dauern  über  einen  Monat.  Mit 
ihnen  verbinden  die  Warramunga  Subinzision6).  Auch  nach  der  erwähnten 
Wiederholung  der  Subinzision  (kuntamara)  feiern  die  Warramunga  wochen- 
lange Schlangenfeste  (Thalaualla),  denen  die  Operierten  beiwohnen  und  in  deren 
Zeremonien  sie  sorgfältig  unterrichtet  werden7). 

Nach  den  Mitteilungen  in  diesem  und  in  früheren  Kapiteln  und  meinen  dazu 
ausgesprochenen  Ansichten  über  den  ZusammenhangzwischenGeschlechts- 
leben,  Schlangen-,  Feuer-,  Baum-,  Bfahlkult  usw.  ist  es  nicht  zu  ver- 
wundern, daß  wir  diese  Kulte  auch  bei  den  nördlichen  Stämmen  von  Zentral- 
Australien  beisammen  finden.  Der  Feuerbrand  in  der  Hand  der  Beschneidungs- 
kandidaten  ist  schon  erwähnt  worden8),  und  der  Bfahl-  bzw.  Baumkult  wird 
durch  den  folgenden  Brauch  bewiesen:  Im  Stamme  der  Unmatjera  legt  man 
vor  der  Subinzision  den  „heiligen  Bfahl"'  auf  grüne  Zweige.  Diesen  muß  der 
Beschneidungskandidat  umarmen;  auf  diesen  Bfahl  auch  legt  sich  der  Bruder 
des  Mädchens,  welches  zum  Weibe  des  Kandidaten  bestimmt  ist,  und  auf  diesem 
zukünftigen  Schwager  liegend,  wird  der  Knabe  operiert.  —  Bfahlzeremonien 
sind  mit  der  Subinzision  auch  in  den  Stämmen  der  Mara  und  Anula  ver- 
bunden. —  Bemerkenswert  ist  ferner  von  den  Unmatjera,  daß  jeder  Knabe 
von  seinem  zukünftigen  Schwiegervater  beschnitten  (zirkumzidiert)  wird,  was 


')  Wenn  ich  mich  recht  entsinne,  so  berichten  Spencer  und  Gillen  an  einer  Stelle,  daß 
das  Haar  zu  diesem  Gürtel  von  dem  zukünftigen  eigentlichen  Weibe  des.  Kandidaten  sei. 

2)  Vgl.  die  Verkleidung  der  arabischen  Beschneidungskandidaten  in  Ägypten  als  Frauen. 

3)  Also  auch  hier  Wiedergeburt  aus  dem  Geiste. 

4)  Vgl.  das  Feuer  der  Karesau-Insulaner  und  der  ostafrikanischen  Makua. 
6)  350  und  355. 

«)  354. 
1)  361. 
8)  Über  das  Feuer  als  sagenhaftes  Operationsmittel  siehe  weiter  unten. 


208  Kapitel  XXXYII1.     Sexuelle  Operationen. 

abermals  den  engen  Zusammenhang  der  Beschneidung  mit  dem  Eheleben  her- 
vorhebt1). 

Blut  und  Vorbaut  finden  bei  den  verschiedenen  Stämmen  verschiedene 
Verwendung:  Bei  den  Urabunnaberührt  der  ältere  Bruder  des  Zirkumzidierten 
mit  dessen  Vorhaut  den  .Magen  eines  jeden  anwesenden  nuthi,  d.  h.  älteren 
Bruders.  (Über  die  Bedeutung  der  Verwandtschaftsbegriffe  siehe  Kapitel  LX.) 
Hierauf  wird  die  Vorhaut  auf  einen  Feuerbrand  gelegt  und  ohne  Zeremonien 
verscharrt2).  Bei  den  Unmatjera  bewahrt  der  ikuntera.  d.h.  der  zukünftige 
Schwiegervater  des  Kandidaten,  dessen  Vorhaut  auf,  bis  sie  stark  riecht,  wo- 
rauf er  sie  dem  Knaben  gibt.  Dieser  legt  sie  auf  einen  Schild,  bedeckt  sie 
mit  einer  breiten  Speerschleuder  (?)  und  legt  sie  nach  eingebrochener  Dunkel- 
heit heinilich  in  einen  hohlen  Baum.  Nur  des  Vaters  Schwester«  Sohn  darf 
den  Ort  wissen.  In  der  Vorzeit  sollen  die  Ahnen  ihre  Vorhäute  stets  in 
nanja-Bäume,  welche  mit  ihren  Geistern  verwandt  waren,  gelegt  haben3).  - 
Die  Warramunga  fangen  das  bei  der  Zirkumzision  fließende  Blut  in  einem 
Schild  auf  und  bringen  es  der  Mutter  des  Knaben,  welche  einen  Teil  davon 
trinkt4).  Die  Vorhaut  wird  in  ein  von  einem  Wurm  gemachtes  Loch  in 
einem  Baum  versteckt,  damit  es  recht  viele  solche  (eßbare?)  Würmer  gebe; 
oder  man  legt  sie  in  das  Loch  einer  Erdspinne,  damit  der  Penis  wachse.  Der 
Knabe  darf  die  Vorhaut  aber  weder  sehen  noch  wissen,  wohin  sie  gelegt 
wird5).  Das  bei  der  Subinzision  vergossene  und  in  einem  hölzernen  Gefäß 
aufgefangene  Blut  wird  den  Eltern  ins  Lager  gebracht  und  von  diesen  ge- 
trunken6). --  Im  Binbinga-Stamm  begräbt  die  Mutter  das  Blut  ihres  zir- 
kumzidierten Sohnes  am  Rand  eines  Wasserloches,  damit  die  Lilien  besser 
wachsen.  Die  Vorhaut  wird  nach  einiger  Zeit  unter  dem  Austausch  von  Ge- 
schenken dein  Vater  gezeigt  und  dann  beerdigt7). 

Bei  den  Mara-  und  Anula-Stämmen  läßt  man  nach  der  Zirkumzision 
söforl  etwas  Blut  von  der  Wunde  auf  die  als  Unterlage  des  Operierten  bildenden 
verwandten  .Männer  träufeln,  um  eine  besonders  innige  Freund-  und  Ver- 
wandtschaft herbeizurufen.  Das  übrige  Blut  wird  wie  bei  den  ßinbinga 
verwendet;  ebenso  begräbt  man  die  Vorhaut,  nachdem  sie  bald  zu  diesem, 
bald  zu  jenem   Verwandten  geschickt    worden,  neben  einem   Wasserloch 8). 

Die  Subinzision  findet  erst  nach  Heilung  des  zirkumzidierten  Gliedes, 
jedoch  vor  Ablauf  zweier  Monate  nach  der  Zirkumzision  statt.  Die  Stämme 
Biubinga,  Mara  und  Anula  verbinden  Subinzision  mit  der  Beisetzung  der 
Gebeine  eines  Toten  in  einem  hohlen  Baumstamine.  Das  geschieht,  nachdem 
das   Fleisch   des  Toten   voll  den   Männern   verzehrt   worden   ist9). 

Nach  der  Subinzision  muß  bei  den  Binbinga  der  Operierte  das  mit 
-einem  Blut  belleckte  Steininesser  ablecken.  Das  übrige  Blut  wird,  wie  das 
bei  der  Zirkumzision  vergossene,  in  einer  Papierrinde  der  Mutter  gebracht, 
die  damit  wie  oben  und  zu  dem  gleichen  Zwecke  verfährt10).  Zur  Linderung 
der  Schmerzen  wärmt  sich  ein  Mann  die  Hände  an  einem  Feuer  und  hält  sie 
hierauf  dem    Knaben   über  den  Penis  "j. 


cit.  340. 

*)  334. 
s)  341. 
352. 
<•)  354 
«)  35« 
168. 
8)  372 

i  873. 
"'i  868. 
n)  Ebenda 


^  2öO.  Knabenbesckneidung  b.  mal avisch-polvnesiselien  Völkern  inkl.  Papuas  u.  Australier.      209 

Dem  Mythus  zufolge  wurden  früher  beide  Operationen  (Zirkumzision 
und  Subinzision)  mit  Feuer  ausgeführt.  Viele  Knaben  seien  daran  gestorben1). 
Erst  später  habe  man  Steinmesser  verwendet. 

Eine  Pause  von  vier  Jahren  zwischen  der  Zirkumzision  und  der  Subin- 
zision berichtete  MiJclucho-Maclay  vom  Nasim-Stamm  an  dem  westlichen 
Küstenstrich  des  Carpentaria-Golfes,  also  auch  im  Norden  des  Kontinents. 
Die  erste  Operation  findet  im  Alter  von  14.  die  zweite  mit  18  Jahren  statt. 
Zeremonien  seien  mit  jener  nicht  verbunden.  Zur  Aufschlitzung  verwenden 
die  Männer  eine  .Muschel  oder  einen  Quarzsplitter.  In  die  Wunde  der  auf- 
-i  schlitzten  Harnröhre  legt  man  ein  Stöckchen  oder  einen  dünnen  Knochen. 
Nach  eingetretener  Heilung  erscheine  das  Glied  sehr  zusammengezogen  „and 
has  in  its  collapsed  State  the  appearance  of  a  large  button",  was  mit  der 
früher  erwähnten  ..Rinne"  kaum  stimmt.  Es  scheinen  also  zwei  verschiedene 
Arten  von  Subinzision  üblich  zu  sein.  Bei  diesen  Nasini  gelte  es  für  eine 
Ehre,  wenn  man  für  die  Operation  gewählt  werde,  und  es  scheine,  daß  man 
die  stärksten  jungen  Leute  dazu  ausersehe.  Die  Weiber  ziehen  die  Operierten 
den  Nichtoperierten  vor. 

Hingegen  sollen  am  Hei  bertfluß  im  nordöstlichen  Australien  „be- 
sonders schwache"  .Männer  der  Subinzision  (Mika)  ausgesetzt  sein.  Die  Weiber 
der  <  Iperierteu  sollen  hier  von  Zeit  zu  Zeit  bei  nichtoperierten  Männern  schlafen, 
um  befruchtet  zu  werden.  Als  Instrument  zur  Mikaoperation  dient  hier  ein 
Quarzsplitter  in  einem  Holzschaft,  also  ein  Steinmesser. 

Da  nach  Spencer- Gillen,  wie  schon  früher  bemerkt,  die  Subinzision  bei 
den  von  ihnen  beobachteten  Stämmen  allgemeiner  Brauch  ist.  kann  der  von 
Miklucho-Maclay'1)  angegebene  Zweck,  die  Kopula  ohne  Befruchtung  aus- 
führen zu  können,  kaum  der  allgemeine  sein. 

Zweierlei  Operationen  fand  Rieh.  Schomburgk  auch  am  Peake  River  in 
Süd-Australien.  Die  erste  besteht  in  der  Zirkumzision;  die  zweite  in  der 
i  partiellen?)  Aufschlitzung  der  Harnröhre.  Die  hier  zunä chst  mit  der  Beschneidung 
verbundenen  Zeremonien  waren  bei  PJoß:i)  folgenderweise  geschildert: 

Sobald  sich  die  ersten  Barthaare  im  I  resicht  des  heranwachsenden  Burschen 
zeigen,  beruft  einer  der  Alten  die  Männer  des  Stammes  zur  Beratung  ein. 
Ausgeschlossen  ist  nur  der  Vater  des  Kandidaten:  auch  hütet  man  sich  wohl, 
diesen  selbst  oder  seinen  Eltern  von  dem  Vorhaben  etwas  wissen  zu  lassen. 
Kiuer  Frau  wird  der  Auftrag  gegeben,  dem  Knaben  eine  Muschelschale4!,  das 
Kurie,  um  den  Hals  zu  hängen,  was  sie  an  einem  bestimmten  Abende  ausführt, 
nachdem  sie  den  jungen  Mann  unter  irgendeinem  Vorwand  heimlich  zu  sprechen 
versuchte.  Der  Knabe  weiß,  was  es  bedeutet,  und  eilt  aus  dem  Lager,  um 
sich  in  einiger  Entfernung  niederzulegen.  Kaum  ist  das  im  Lager  bekannt 
geworden,  so  erhebt  sich  ein  höllischer  Lärm:  Alles  schreit,  gestikuliert,  tobt; 
besonders  der  Vater  und  die  Brüder  des  Knaben  gebärden  sich  über  das  Vor- 
haben der  alten  Männer  höchst  unwillig.  Schließlich  geht  mau  aber  schlafen, 
als  ob  nichts  vorgefallen  wäre. 

Mit  Tagesanbruch  suchen  die  jungen  Männer  im  Lager,  welche  mit  dem 
Kandidaten  nicht  verwandt  sind,  diesen  auf  und  machen  mit  ihm  eine  Rund- 
reise durch  befreundete  Lager,  zuweilen  20—30  deutsche  Meilen  weit,  um 
Nah  und  Fern  zu  der  bevorstehenden  Feierlichkeit  einzuladen.  Der  junge 
Mann  darf  aber  bei  diesen  Besuchen  das  Lager  nicht  betreten,  sondern  er  ist 
tagsüber  mit  seinen  Genossen  auf  der  Jagd;  bei  Nacht  schläft  er  allein,  mehrere 
hundert  Schritt  von  den  andern. 


')  Op.  cit.  424  f. 

■')  N.  r.  Miklucho-Maclay  bei  Ploß,  2.  Aufl.  II,  423. 

3i  2.  Aufl.  II,  419—422. 

*)  Vgl.  die  Muscheln  bei  der  ßesehneidungsfeier  auf  Karesau. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Bandit.  14 


210  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Gewöhnlich  dauert  die  Rundreise  14  Tage,  worauf  der  Jüngling-  in  die 
Nähe  des  Lagers  seines  Stammes  zurückkehrt.  .Seinen  Aufenthalt  hier  kündet 
er  dadurch  an,  daß  er  zwei-  oder  dreimal  grüne  Zweige  anzündet,  dessen 
weithin  sichtbare  Bauchsäule  seinen  Aufenthalt  angibt.  Nun  wird  eine  Anzahl 
alter  Frauen  abgeschickt,  um  ihn  ins  Lager  zu  führen.  Vater.  Mutter  und 
Brüder  kommen  ihm  entgegen,  um  ihn  zu  begrüßen;  aber  ehe  noch  viele  Worte 
gewechselt  sind,  stürzt  eine  Anzahl  junger  Männer  herbei,  von  denen  einer 
den  Burschen  auf  den  Rücken  nimmt  und  ihn,  während  die  alten  Männer 
einen  dreimaligen  Schrei  ausstoßen,  etwa  hundert  Schritte  weit  vom  Lager 
wegträgt,  wo  er  ihn  auf  die  Erde  legt  und  mit  Fellen  zudeckt.  So  bleibt 
er  bis  zum  nächsten  Morgen  liegen. 

Im  Lager  fallen  die  männlichen  Angehörigen  des  Kandidaten  über  die 
anderen  Männer  her,  auf  deren  Anordnung  die  ganze  Sache  geschieht,  zuerst 
mit  Worten,  dann  mit  Knütteln  und  Keulen,  und  es  entsteht  eine  allgemeine 
Rauferei,  wobei  man  sich  aber  wohl  hütet,  einander  ernstlich  zu  verwunden. 
Immerhin  können  Streiche  und  Stöße  nicht  immer  vermieden  werden,  so  daß 
mancher  Tropfen  Blut  fließt  und  mancher  Kopf  schmerzt.  Die  Weiber  kämpfen 
nicht,  schreien  aber  und  weinen,  zischen  und  beschimpfen  die  scheinbaren 
Feinde.  Schließlich  tritt  verhältnismäßige  Ruhe  ein;  die  Weiber  schlafen  oder 
schweigen  doch,  und  die  Männer  bewegen  -nur,  am  Boden  sitzend,  ihren  Ober- 
körper hin  und  her,  wobei  sie  den  monotonen  Thahama  singen  oder  summen. 
Gegeu  4  Ihr  morgens  müssen  sich  alle  Weiber  und  Kinder  wenigstens  400  Schritt 
vom  Lager  entfernen.  Hier  lagern  sie  sich.  Die  Weiber  legen  ihre  hölzernen 
Mulden,  Pirras,  vor  sich  hin  und  schlageu  in  Zwischenpausen  von  etwa  einer 
Minute  rhythmisch  darauf,  und  die  Männer  in  ihrem  Lager  erwidern  auf  die 
gleiche  Weise.     So  geht  es  hin,  bis  der  Morgen  graut. 

Am  Morgen  begeben  sich  alle  Männer  zu  dem  Kandidaten  und  umstellen 
ihn  in  einem  Kreise,  in  welchen  der  Alte  tritt,  dem  die  Operation  zufällt. 
Ein  junger  Mann  ergreift  eine  Hand  voll  Sand  und  streut  ihn,  schnell  im  Kreise 
um  die  Anwesenden  laufend,  auf  den  Boden.  Dies  treibt  den  bösen  Geist 
Kutschie  aus  und  schließt  den  Muramura,  den  guten  Geist,  ein. 

Die  Operation  wird  mit  einem  scharfen  Stein,  gewöhnlich  Quarz,  aus- 
geführt.    Der  Leidende  stößt  keinen  Laut  aus. 

Nach  der  Beschneidung  beugt  sich  der  Vater  oder  der  nächste  männliche 
Verwandte  über  den  am  Boden  Liegenden  und  gibt  ihm  unter  dem  Einfluß 
des  guten  Geistes  einen  neuen  Namen,  den  der  Beschnittene  fortan  trägt. 
Er,  der  zuerst  ein  Kurawulie,  dann  ein  Mockaworo  gewesen  war.  tritt  nun  unter 
die  Thutsehawaras  ein  und  hat  von  jetzt  an  alle  Rechte  des  Mannes. 

Floß  hat  (I,  358)  auch  einen  Gürtel  „Yinka"  aus  Menschenhaar  erwähnt, 
welchen  der  Beschnittene  um  die  Hüften  tragen  muß,  bis  er  nach  einigen 
Tagen  ins  Lager  zurückkehren  darf.  Nach  einer  Mitteilung,  deren  Quelle  mir 
leider  nicht  mehr  präsent  ist,  dürfte  auch  dieser  Gürtel  mit  dem  zukünftigen 
Eheleben  des  Operierten  zusammenhängen. 

.Mit  der  Aiilschlitzung  der  Harnröhre  am  Peak-Fluß.  „Kulpie"  genannt, 
wartet  man  bis  dem  Jüngling  der  Bart  so  gewachsen  ist.  daß  man  dessen 
Enden  zusammenbinden  kann.  Dann  halten  die  alten  Männer  im  Geheimen 
eine  Versammlung,  bestimmen  den  Tag.  au  welchem  die  Operation  vorgenommen 
wiid.  und  geben  vor.  daß  eine  große  Jagd  stattfinden  solle,  an  welcher  alle 
Männer  sich  beteiligen,  ('her  den  Rat  der  Alten  hinaus  verlautet  nichts  über 
den  eigentlichen  Zweck  der  Expedition.  Früh  am  Morgen  bricht  das  ganze 
Lager  mit  Ausschluß  der  Weiber  und  Kinder  auf.  Sobald  man  am  verab- 
redeten I Matze  immer  mehrere  Kilometer  vom  Lager  gelegen  und  durch 
große  Bäume.  Felsen  oder  andere  Naturmerkmale  ausgezeichnet  —  angelangt 
ist.  werfen  siel  fünf  junge  kräftige  Leute,  von  den  Aiten  dazu  bestimmt,  auf 


§  250.   Knabenbeschneiduug  b.  malayisch-polynesisehen  Völkern  inkl.  Papuas  u.  Australier.      211 

den  Nichtsahnenden.  Zwei  erfassen  seine  Arme,  zwei  die  Beine,  der  fünfte 
setzt  ihm  das  Knie  auf  die  Brust  und  verschließt  ihm  den  Mund  mit  der 
Hand.  Zur  Verhinderung  von  Schmerzenslauten  sei  das  kaum  nötig,  denn 
auch  bei  größtem  Schmerze  zeigen  die  Australier  eine  Selbstbeherrschung, 
welche  einen  alten  Römer  geehrt  haben  würde.  Bis  die  Wunden  geheilt 

sind,  stehen  dem  Burschen  zwei  Altersgenossen  zur  Seite.  Nach  seiner  Rück- 
kehr ins  Lager  darf  er  von  jetzt  an  auch  vor  Frauen  ohne  die  Unpa  oder 
Thippa  erscheinen,  welche  er  vorher  stets  tragen  mußte. 

Nach  dem  Ploßschen  Zusammenhang1)  zu  schließen,  ist  diese  doppelte 
Operation  im  ganzen  Seedistrikt  (südliches  Australien)  gebräuchlich'-).  Die 
Eiugeborneu  beantworten  aber  die  Frage  auf  Ursprung  und  Zweck  nicht 
befriedigend.  Wie  bei  den  nördlichen  Stämmen,  so  heißt  es  auch  hier,  der 
Brauch  stamme  von  ihren  Vorfahren.  Sie  bewahren  ihn  mit  religiöser  Scheu. 
und  kein  Bursche  dürfte  daran  denken,  sich  ihm  zu  entziehen. 

Bei  B.  Andres,  lesen  wir:  Im  Port- Lincoln -Distrikt  findet  das  Auf- 
schlitzen des  Penis  von  unten  bis  (?)  zur  Harnröhre  auf  der  mittleren  Stufe  der 
Jünglingsweihe  statt,  und  die  Quaste  aus  Opossum-Haar8),  welche  der  Kandidat 
am  Penis  tragen  muß,  gehört  zu  den  „heiligen"  Unterscheidungszeichen.  Als 
Grund  der  schmerzvollen  Operation  geben  die  Eingebornen  an,  ihre  Vorfahren 
hätten  es  auch  so  gemacht,  und  den  Weibern  und  Kindern  erzählen  sie  von 
einem  Fabelwesen,  welches  die  Ursache  sei.  -  -  Nach  Pfo/?4)  scheint  Missionar 
Schürmann  aus  dieser  Gegend  eine  partielle  Spaltung  der  Urethra  erwähnt 
zu  haben. 

Aus  der  Gegend  von  Adelaide  (Dieri-Stamm?)  an  der  südlichen  Küste 
erwähnte  Gaston  Beschneidung.  Daß  die  Dieri  und  verwandte  Stämme 
am  Eyre-See  mit  jeder  Beschneidung  eine  neue  Verteilung  der  in  Pirauru 
(d.  h.  Gruppenehe)  lebenden  Männer  und  Weiber  verbinden,  wird  in  Kap.  LX 
eingehender  besprochen.  Dieser  Brauch  beweist  abermals  die  enge  Verbindung 
der  Beschneidung  mit  dem  Eheleben,  bzw.  geschlechtlichen  Verkehr. 

Übrigens  soll  die  Beschneidung  im  südöstlichen  Teil  Australiens  nun 
stark  in  Abnahme  begriffen  sein.  Die  Stämme  in  der  Umgebung  von  Adelaide 
üben  sie,  wie  W.  Schmidt  (nach  W.  Wyatt)  schreibt,  nicht  mehr.  Ebensowenig 
kommt  sie  bei  den  Narrinyeri  vor,  welche  mit  den  Stämmen  um  Adelaide 
vieles  gemeinsam  haben.  Im  übrigen  gleichen  die  Initiationsbräuche  der 
Narrinyeri  denen  der  westlichen  Stämme,  welche  die  Beschneidung  üben,  so 
daß  anzunehmen  sei,  daß  diese  früher  auch  bei  den  Narrinyeri  bräuchlich 
gewesen  sei.  —  Die  Yerkla-Minung  und  die  Narangga  seien  die  einzigen 
zwei  Stämme  dieses  Gebietes,  welche  die  Beschneidung  noch  beibehalten 
haben.  — 

§  251.     Knabenbeschneiduug  bei  Turkstänimen  und  Indianern5). 

Schon  Dapjier  hat  in  seinem  Werke  „Die  Unbekannte  Neue  Welt"  darauf 
hingewiesen,  daß  von  den  „Tataren"  nur  jene  Beschneidung  übten,  welche 


»)  2.  Aufl.  H,  422. 

a)  Am  Lake  Blanche,  am  Lake  Torrens  und  am  Mount  Hopeless  fand 
Sturt  den  Brauch  der  Beschneidung.  Hier,  wie  bei  allen  bisher  erwähnten  australischen 
Stämmen,  bildet  sie  einen   wichtigen  Teil   der  Pubertätszeremonien. 

3)  Vgl.  das  Penisfutteral  bei  der  Pubertätsfeier  der  Yaunde  in  Kamerun,  Kap.  LV1II. 

*)  2.  Aufl.  I,  359. 

B)  Ploß  erwähnte  in  der  2.  Aufl.  (T,  354)  ein  Beschneidungsmesser  aus  Malabar.  Die 
Beschneidung  ist  wohl  durch  deu  Islam  dorthin  gekommen.  Da  mir  weiteres  Material  über 
Knabenbeschneidung  im  arischen  und  nichtarischen  Indien  einstweilen  fehlt,  gebe  ich  diese 
Notiz  als  Anmerkung.  —  Bei  den  Ao-Nagas  in  Assam  fand  Molz  keine  Beschneiduug, 
wohl  aber  bei  einzelnen  das  Präputium  zurückgezogen. 

14* 


•jl2  Kapitel  XXXYI1I.     Sexuelle  Operationen. 

dem  Islam  anhängen,  während  die  anderen,  z.  B.  die  Eataier  und  Sarniaten 
am  Ob,  sie  nicht  hätten1). 

Ploß2)  erwähnte  von  den  Tataren  als  eine  Eigentümlichkeit  ihrer  Be- 
schneidung,  daß  aus  der  Vorhaut  ein  keilförmiges  Stück  herausgeschnitten 
werde.  Welche  Stämme  der  Tatarengruppe  diesen  Brauch  üben,  weiß  ich 
nicht;  anfalle  dehnl  er  sich  sicher  nicht  aus,  schon  deshalb  nicht,  weil  nicht 
alle  die  Beschneidung-  haben. 

In  Ost-Turkestan  verfiel  der  alte  Brauch  der  Beschneidung  unter 
der  chinesischen  Herrschaft,  kam  aber  später  wieder  zu  hoher  Geltung.  Zu 
der  vom  Barbier  feierlich  ausgeführten  Operation  werden  alle  Nachbarinnen. 
Tanten,  Basen  usw.  eingeladen.  Als  Alter  wird  das  zweite  bis  zehnte  Lebens- 
jahr angegeben;  die  genauere  Fixierung  der  Beschneidungszeit  komm!  den 
Astrologen  zu.  —  Speziell  für  Kaschgar  gab  Paquier  das  Alter  des  Kindes 
zwischen  zwei  und  acht  Jahren  an.  Auch  hier  verbindet  man  mit  der  Operation 
ein  großes  Familienfest. 

Die  von  Prschewalsh  besuchten  Karakurtschinen,  sämtlich  Muselmanen, 
nehmen  die  Operation  im  vierten  oder  fünften  Jahre,  und  zwar  gewöhnlich 
im  Frühjahr  vor,  weil  es  zu  dieser  Jahreszeit  genügend  Fische  und  Enten 
zur  Bewirtung  der  Gäste  gibt. 

Nach  1'.  von  Stenin  lassen  die  Baschkiren  ihre  Knaben  im  Alter  von 
ein  bis  zwei  Jahren  unter  Gebeten  beschneiden.  Die  Operateure  sind  dort 
aber  meist  so  selten,  daß  man  sie  von  weit  her  kommen  lassen  muß.  In  der 
liege!  sind  es  fünfundzwanzig-  bis  fünfzigjährige  Mestscherjaken  (ein  Turk- 
stamm),  die  von  dem  moslemischen  Geistlichen  ein  Zeugnis  besitzen. 

Die  Türken  feiern  die  Beschneidung  als  ihr  größtes  Familienfest,  das 
reich  und  arm  von  einem  Freitag  bis  zum  nächsten,  also  volle  acht  Tage 
leiert.  F.  W.  Oppenheim  hatte  als  Arzt  Gelegenheit,  der  Beschneidung  zweier 
Söhne  des  Mufti  in  Monastir  beizuwohnen.  Die  Knaben  standen  im  Alter 
VOI)   zehn   Ins  zwölf  Jahren. 

Die  damit   verbundenen  Bräuche  schilderte   Oppenheim8)  wie  folgt: 

Alle  Muselmänner  hatten  während  der  achttägigen  Feier  freien  Zutritt 
in  das  Haus  des  Mufti  und  wurden  täglich  bewirtet.  Die  Vornehmen  der 
Stadt  waren  eingeladen  und  schickten  vor  ihrem  Erscheinen  den  Kindern  reiche 
( reschenke:  Goldgeschmeide,  Diamanten,  seidene  Stoffe  usw.  Im  Hause  herrschte 
ungewöhnliches  Treiben  und  Lärmen.  Die  ( Ipferhammel,  welche  täglich  geschlach- 
tet und  verzehrt  wurden,  waren  mit  Blumen  und  Bändern  geziert  und  wurden 
durch  das  Hans,  auch  durch  den  Harem,  geleitet.  Spielleute  und  Tänzer  unter- 
hielten   fort  während    die    ( laste.      Am    siebenten  Tage    erst,    in    der   Nacht    des 

Donnerstag  auf  den  Freitag,  fand  die  eigentliche  Zeremonie  statt.  Die  Kinder 
wurden  dazu  prächtig  gekleidet,  und  zugleich  wurde  an  einer  großen  Zahl 
armer  Kinder  an  demselben  Tage  die  Operation  im  Hause  und  auf  Kosten 
des   Fest  gebe rs   vorgenommen. 

In  einigen  Zimmern  neben  dem  Harem  waren  Betten  aufgemacht;  in 
dem  hintersten  zwei  prächtige  für  die  Söhne  des  Mufti,  in  den  anderen  für 
die  Kinder,  welche  zugleich  mit  jenen  beschnitten  werden  sollten. 

iiald  fand  sich  der  bärtige  Operateur  (Süiietschy )  ein.  Seine  Instrumente 
bestanden  aus  einem  hölzernen  Stäbchen,  einem  zweischenkligen  Instrumente 
zum  Zusammenkneifen,  einem  Rasiermesser  und  einer  Büchse  mit  styptischem 
Pulver. 


')    Dapper   zitierte    Im'   die8e    Bphuupttmg    Mirlmrins   iSariiiat.    I.   c.    5). 

2)  2.  Aufl.   1,  353. 

s)  Bei  Floß,  2.  Aufl.   1.  252  f. 


§  251.     Kuabenbeschneiduug  bei  Turkstämmen  und  Indianern.  213 

Nun  wurden  die  Knaben  entkleidet,  und  mehrere  Diener  hielten  einen 
Vorhang-  vor  das  Bett,  auf  welches  jene  gestellt,  von  hinten  gehalten  und  stehend 
operiert  wurden. 

Bei  der  Operation  brachte  der  Chirurg  zuerst  das  hölzerne  Stäbchen  in 
die  Öffnung  der  Vorhaut,  schob  sie  mit  beiden  Händen  hinter  die  Eichel  zurück, 
legte  dann  den  Daumen  auf  die  Eichel,  zog  die  Vorhaut  so  weit  als  möglich 
über  dieselbe  hervor,  kniff  sie  mit  dem  gleichschenkligen  Instrument  zusam- 
men, drückte  den  Penis  nach  abwärts  und  schnitt  nun  von  oben  nach  unten 
die  Vorhaut,  die  er  unten  mit  der  linken  Hand  festhielt,  hart  an  der  Klemme 
in  einem  Zuge  mit  dem  Rasiermesser  ab.  Der  Knabe  wurde  dann  auf  das 
Bett  niedergelassen,  und  der  Operateur  streute  das  blutstillende  Pulver  auf 
die  Wunde;  dann  deckte  man  den  Knaben  zu.  —  Durch  diese  Operation  wird, 
wie  Oppenheim  bemerkte,  von  der  äußeren  Lamelle  die  Vorhaut  mehr  entfernt, 
als  von  der  inneren,  und  die  Eichel  noch  zur  Hälfte  unbedeckt  gelassen,  die 
daher  auch  in  späteren  Jahren  nicht  ganz  entblößt  ist;  ja  in  vielen  Fällen 
bleibe  noch  so  viel  von  der  Vorhaut  zurück,  daß  man  später  von  der  Opera- 
tion gar  nichts  gewahr  werde. 

Während  die  Zirkumzision  ausgeführt  wurde,  rief  alles  in  und  außerhalb 
des  Zimmers,  um  den  Operierten  zu  betäuben:  „Allah,  Allah,  Allah!"  und  klatschte 
in  die  Hände.  In  der  ersten  Nacht  durfte  das  Kind  nicht  schlafen,  sondern 
wurde  durch  Geschrei,  Gesellschaft  und  Musik  wach  erhalten. 

Bis  zur  Beschneidung  lebte  der  Knabe  im  Harem.  Nach  dieser  gehörte 
er  der  männlichen  Gesellschaft  an. 

Von  den  Türken  in  Bosnien  beschneiden  einige  die  Knaben  bald  nach 
der  Geburt.  Die  andern,  von  der  großen  Sterblichkeit  unter  den  Kindern 
veranlaßt,  warten  bis  zum  dreizehnten  Jahre;  wieder  andere  glauben,  daß  das 
zehnte  Jahr  das  günstigste  zu  dieser  Handlung  sei.  —  Der  Beschnittene 
muß  liier  einen  Monat  lang  liegen,  bis  die  Wunde  heilt.  Diese  wird  mit 
Asche  bestreut,  um  die  Blutung  zu  stillen;  ein  anderes  Heilmittel  wenden  sie 
nicht  an.  Während  der  vier  Wochen  muß  der  Beschnittene  Brot  essen  und 
frische  Milch  trinken.  Nimmt  er  einen  Schluck  Wasser,  so  gilt  die  als  religiöse 
Handlung  angesehene  Beschneidung  für  entweiht. 

Relativ  wenig  ist  über  die  Beschneidung  unter  den  Indianer-Völkern 
bekannt.  Von  den  Sklaven-  und  denHundsrippen-Indianern  imNorden  schrieb 
Maekenzie.  er  könne  nicht  behaupten,  daß  bei  ihnen  Beschneidung  üblich  sei, .aber 
bei  den  von  ihm  beobachteten  25 — 30  Mann  habe  der  Schein  dafür  gesprochen. 

A.  G.  Morice,  der  auf  diese  Stelle  bei  MacJcenzie1)  hinweist,  erinnert 
ferner  daran,  daß  Petitot  die  Beschneidung  (Zirkumzision)  bei  den  Loucheux- 
und  Hasen-Indianern  bezeugt  habe.  Sie  finde  bei  diesen  beiden  Dene  (Tinneh)- 
Stämmen  einige  Tage  nach  der  Geburt  statt  und  werde  mit  einem  Kiesel- 
stein ausgeführt.  Die  Heilung  der  Wunde  werde  durch  Anwendung  einer 
Mischung  von  Fett  und  pulverisiertem  Pyrit  herbeigeführt. 

Nach  Morice  sehen  diese  Indianer  in  der  Beschneidung  ein  Schutzmittel 
gegen  zwei  Arten  von  aussatzähnlichen  Hautkrankheiten. 

Um  nicht  von  diesen  Stämmen  verachtet  zu  werden,  bat  ein  Tschiglit- 
Eskimo  am  Mackenzie  den  Missionar  Petitot,  ihn  zu  beschneiden  (Andree). 

Im  alten  Mexiko  erhielt  das  Neugeborne,  wenn  von  seiner  Mutter  mit 
Geschenken  zum  Tempel  gebracht,  von  einem  Priester  einen  kleinen  Schnitt 
in  die  Vorhaut   und  in  das  Ohr2),   wie  Plo/i  im  Hinweis   auf   Acosta,  Duran 


J)  In  dessen   ,.  Voyages  from   Montreal'1.   Vol.   I,  p.  235. 

2)  Der  neutestamentliehe  Diakon  Stephanus  (Apostelgesch.  7,  51)  wirft  den  Juden  vor. 
sie  seien   unbeschnitten   an  Herz  und  Ohren. 


214 


Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 


§  252.   Künstliche  Verlängerung  der  weiblichen  Genitalien.   Deflorierung  im  Kindesalter.      215 

und  Brasseur  de  Bombourg  schrieb.  —  Nach  Zuazo  wurde  diese  (?)  Art 
Beschneidung  nur  an  Kindern  vornehmer  Leute  vollzogen;  geboten  sei  sie  im 
mexikanischen  Staate  nicht  gewesen.  -  -  Nach  Ploß1)  kam  sie  überhaupt  nur 
bei  einigen  Stämmen  vor.  —  Las  Casus  und  Mendieta  haben  sie  von  den  Azteken 
und  Totonaken  erwähnt. 

Auch  Torquemada  habe  sie  von  den  letzteren  bezeugt.  Das  Totonaken- 
kind  sei  am  achtundzwanzigsten  oder  neunundzwanzigsten  Tag  in  den  Tempel 
gebracht  worden,  wo  es  einer  Art  Beschneidung  mit  der  Bedeutung  eines 
ersten  Blutopfers  unterworfen  wurde.  Die  von  Baumgarten  den  Mexikanern 
zugeschriebene  Verbindung  des  Ritzens  der  Geschlechtsteile  mit  der  mystischen 
Waschung2)  des  Neugebornen  ist  nach  Ploß  irrig. 

Blutentziehung  aus  dem  männlichen  Glied  wiederholte  sich  im  alten 
Mexiko,  in  Nicaragua  und  überhaupt  bei  den  halbzivilisierten  Völkern 
Amerikas  im  späteren  Leben  häufig  als  religiöser  Akt.  Sqnier  schrieb 
von  diesem  Blutopfer:  Es  bestand  darin,  daß  man  das  den  Zeugungsorganen 
•entzogene  Blut  auf  Mais  sprengte,  der  nachher  unter  großer  Feierlichkeit 
verteilt  und  gegessen  wurde3). 

Vom  mittelamerikanischen  Festland  abgesehen,  erwähnte  Ploß  „Be- 
schneidung"  von  der  Insel  Cosumel,  und  nach  Alonso  de  Santa  Cruz 
waren  die  Eingebornen  der  von  Yucatan  70 — 80  Meilen  westlich  gelegenen 
Inseln  de  Sacrificios  zur  Zeit  ihrer  Entdeckung  durch  Joan  de  Grijalve 
beschnitten.  Da  Alonso  de  Santa  Cruz  „beschnitten  „mit"  retajados"  gab, 
und  „retajados"  nach  dem  spanischen  Wörterbuch  des  C.  F.  Francesco  „ringsum 
beschnitten"  bedeutet,  so  wird  man  hier  also  wohl  eine  regelrechte  Zirkumzision 
annehmen  dürfen. 

Der  Brauch  der  Beschneidung  wurde  von  den  Spaniern  ferner  bei  den 
Karaiben  angetroffen,  weshalb  sie  einen  Zusammenhang  dieser  Indianer  mit 
■den  Juden  annahmen. 

Die  Salivas,  Guamos  und  Otomacos  in  Colombia  beschneiden  ihre 
Knaben  am  8.  Tag  nach  der  Geburt.  — 

Am  Ucayale,  Peru,  sollen  alle  anliegenden  Indianer  ihre  Kinder  beider 
Geschlechter  der  Beschneidung  unterwerfen4). 

Beschneidung,  und  zwar  Zirkumzision  beider  Geschlechter  erwähnte 
Ploß  ferner  (nach  von  Spix  und  von  Martins)  von  den  Ticunas,  einem  aus- 
sterbenden Stamm  am  oberen  Solimoes.  Hier  erhält  der  Beschnittene  gleich 
nach  der  Operation  einen  Namen,  der  gewöhnlich  von  einem  Vorfahren 
genommen  wird.  — 

III.  Teil. 

Sexuelle  Operationen  am  weiblichen  Geschlecht. 

§  252.    Künstliche  Verlängerung  der  weiblichen  Genitalien.    Deflorierung 

im  Kindesalter. 

Im  Negerreiche  Dahomey,  nordwestliches  Afrika,  war  es  in  der 
ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  Brauch,  die  Schamlippen  der  Mädchen 
künstlich  zu  verlängern  (Adams). 

>)  2.  Aufl.  I,  356. 

2)  Siehe  Kapitel  XV. 

3)  Vgl.  das  gemeinsame  Trinken  des  Blutes  aus  den  beschnittenen,  bzw.  durchbohrten 
■Gliedern  auf  Karesau  und  in  Australien.     Bundeszeieheu! 

4)  Ploß,  2.  Aufl.  1,  357.  —  Hier  schrieb  Floß  auch:  Bei  „vielen"  südamerikanischen 
Stämmen  finde  die  Beschneidung  der  Kinder  von  10 — 12  Jahren  statt. 


216  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Eine  bedeutende  Verlängerung  der  Labia  minora  durch  methodisches 
Zerren  und  Schnüren  hat  l'lo/i1)  für  Uganda,  englisches  Ostafrika,  an- 
gegeben. 

Von  den  Makua  in  Deutsch-Ostafrika  berichtete  Weule  den  gleiches 
Mißbrauch.  „Ganz  systematisch  müssen  die  heranwachsenden  Mädchen  die 
Labia  minora  verlängern  bis  zur  Größe  von  7 — 8  und  mehr  Zentimeter.  Der 
Endzweck  der  ganzen  Maßnahme  ist  erotischer  Natur."  Auch  bei  den 
anderen  Stämmen  des  Makonde-Plateaus  finde  sich  dieser  Brauch,  wie 
Weule  versichert  wurde. 

Die  Wahia  am  Nyassasee  verlängern  die  Klitoris  bis  zur  Länge 
eines  Fingers'2). 

Im  Jahre  1875  berichtete  Missionar  A.  Merensky  künstliche  Verlängerung 
der  Labia  minora  von  den  Basti  tos  „und  vielen  anderen  afrikanischen 
Stämmen".  Sie  werde  dadurch  hervorgebracht,  daß  die  älteren  Mädchen, 
sobald  sie  mit  jüngeren  allein  seien,  z.  B.  beim  Holz-  und  Früchtesammeln, 
diese  an  den  erwähnten  Teilen  zerren  und  später  förmlich  auf  Hölzchen 
wickeln.     Die  Manipulationen  beginnen  fast  gleich  nach  der  Geburt. 

Künstliche  Verlängerung  der  Labia  minora  gab  Merensky  auch  für 
die  Hottentottinnen  an.  Bekanntlich  ist  die  „Hottentottenschürze"  ja 
schon  vielfach  der  Gegenstand  wissenschaftlicher  Untersuchungen  und  Be- 
sprechungen gewesen.  „Das  Weib"  von  PI  oft -Bartels  enthält  eine  ge- 
drängte Übersicht  über  die  wichtigsten  Resultate  derselben.  Hier  sei  vor 
allem  das  wesentliche  aus  dem  schon  in  den  früheren  Auflasen  des  vor- 
liegenden Werkes  mit  dem  Zusätze  mitgeteilt,  daß  die  Ansichten,  ob  die  bei 
den  Hottentottinnen  und  Buschweibern  bzw.  -mädchen  nachgewiesene 
außerordentliche  Länge  der  Schamlippen  künstliche  oder  natürliche  seien, 
auseinander  gehen.  Der  Zoologe  Lichtenstein  in  Berlin  z.  B.  hielt  die 
„Hottentottenschürze"  für  kein  Kunstprodukt8).  Ein  Vergleich  der  genannten 
Erscheinung  mit  ähnlichen  bei  anderen  Völkern,  welche  sie  künstlich  bewirken, 
scheint   Lichtensteins  Ansicht  allerdings  zu  widerlegen. 

Le  Vaillant  berichtete  in  seinen  „Reisen  in  das  Innere  von  Afrika", 
daß  es  unter  den  Hottentotten  der  Brauch  sei,  die  großen4)  Schamlippen 
künstlich  bis  zu  ca.  9  Zoll  zu  verlängern.  Der  Brauch  sei  nicht  allgemein; 
in  einer  Horde  habe  er  nur  vier  Weiber  und  ein  .Mädchen  mit  dieser  Er- 
scheinung beobachtet,  welche  auf  Koketterie  zurückzuführen  sei.  Die  Ver- 
längerung werde  dadurch  erzielt,  daß  man  die  Teile  reibe  und  zerre  und 
schließlich   durch  Einführung  von  steinen  oder  dgl.  noch  wirksamer  ziehe. 

Nach  Ploß-Bartels5)  bezeichnete  Damberger  diese  Behauptung  Le  Vaillants 
als  ..unstatthaft",  was  ..jeder  leicht  einsehe".  -  Ob  Damberger  damit  recht 
hat,  ist  unter  anderem  nach  der  obigen  Mitteilung  Merenskys  zweifelhaft. 
Denn  wenn  die  Basuto-Mädchen  die  Labia  minora  nach  Erlangung  einer  be- 


')  •-'.   Aull.   1.  374. 

-)  Außer    diesem   Bericht    fand    sich    bei    /'/../;  (I.  372  und  371)    der    folgende:    „Als 

Cameron    durch    (Jhiyo   zog,   das    unweil    des   Tanganyika-Sees  liegt,   sagte  man  ihm,  ein 

wenig   weiter  nach  Westen  gingen  die  Leute  völlig   nackt,  aber  durch  fortgesetzte  Manipulation 

n   Kindern,  wenn  sie  noch  ganz  klein  sind,  brächten  sie  es  dahin,  daß  die  Fettdeoke 

des   I' ii  t  eil  ei  I. es    wie    eme    Seliiirze    last    bis    auf   die  Mitte  der  Schenkel   herab- 

ixi  dies  entspräche  bei  ihnen  dem  Zweck  der  Bekleidung.     Adtniral  Andrade  babe 

i   Cameron  auf  dessen   Mitteilung  von  diesem  Brauch  erwidert,  er  habe  Ähnliches  in  der 

'■ii   Mozambique,  portugiesisches  Südostafrika,  gesehen. 

■    /■',,<;  Bartels,  „Das   Weib".     8.  Aufl.  I.  L')S7. 

4)  Die  im  vorliegenden  Paragraphen  erwähnten  Völker  mit  ähnlichen  Bräuchen  unter- 
werfen die  ■  n  (LabU  minora)  der  Deformation.  Vgl.  übrigens  die  andern  Bericbti 
über  die  Hottentotten  auf  dieser  und  dei   folgenden  Seite. 

>•)    I.    e. 


§252.    Künstliche  Verlängerung  der  weiblichen  Genitalien.    Deflorierung  im  Kimlesalter.      217 

stimmten  Länge  auf  Hölzchen  wickeln,  dann  erscheint  die  Verwendung  von 
Steinen  bei  Hottentotten-Mädchen  keineswegs  unglaublich. 

Hingegen  stimmen  die  „großen"  Schamlippen  bei  Le  Yaillant  nicht  mit 
den  „kleinen-  bei  Men  nshy.  Andererseits  definierte  aber  auch  der  Ethnograph 
Fr.  Müller  nach  seiner  Teilnahme  an  der  Novarareise  die  „Hottentotten- 
schürze" als  eine  Verlängerung  der  „äußeren-'  Schamlippen,  welche  4  bis 
6  Zoll  herabhängen. 

Bei  den  wenigen  in  Europa  von  Cuvier,  Virey,  Luschka,  Gürte,  Wäldeyei 
u.  a,  untersuchten  Hottentott  innen  und  Buschmädchen  bzw.  Buschweibern 
waren  es  nicht  die  großen,  sondern  die  kleinen  Schamlippen,  welche  Ver- 
längerung zeigten;  jene  waren  verhältnismäßig  sehr  klein,  so  daß  Floß1)  in 
ihnen  „ein  stehenbleiben  auf  fötaler  Stufe"  zu  erkennen  glaubte  und  meinte. 
es  sei  kein  Grund  zu  der  Annahme  vorhanden,  daß  die  Mißbildung  bei  den 
jetzigen  Generationen  künstlich  hervorgebracht  sei.  „Sollte,"  so  fügte  er  bei.  „zuerst 
eine  willkürliche  Verlängerung  der  kleinen  Schamlippen  auf  Kosten  des  Unifangs 
der  großen  Schamlippen  jahrhundertelang  stattgefunden  haben,  und  dann  nach  und 
nach  bei  der  Bevölkerung  eine  angeborne  Verlängerung  dieser  Organe  habituell 
geworden  sein,  so  würde  allerdings  dieser  Nachweis  der  Übertragung  einer 
künstlich  erzeugten  Deformität  auf  die  Nachkommen  jener  Völker  für  Darin  »s 
Lehre  über  die  Arten-  und  Rassenbildung  durch  Vererbung  und  Zuchtwahl 
sehr  wichtig  sein." 

Seine  Beschreibung  eines  deformierten  Organs  obiger  Art  lautete:  „Die 
großen  (äußeren)  Schamlippen  stellten  hier  zwei  ganz  flache  Wülste  dar,  die 
sich  nach  oben  und  unten  hin  so  allmählich  verloren,  daß  weder  von  einer 
Rima  pudendi,  noch  von  einer  Kommissur  die  Rede  ist;  die  kleinen  Scham- 
lippen liegen  daher  frei  (fötale  Bildung);  vom  flachen  Venusberg  (Mons  veneris) 
geht  ein  26  mm  langer  Wulst  ab,  der  Kitzler  (Klitoris);  die  von  der  Kitzler- 
vorhaut (Präputium  clitoridis)  ausgehenden  kleinen  Schamlippen  haben  eine 
Höhe  von  3,85  cm  und  eine  Länge  von  6  cm.  Beide  Nymphen,  in  der  Mitte 
aneinander  gelegt,  bilden  einen  nasenähnlichen  Vorsprung." 

Franz  Müller  schrieb,  wie  teilweise  schon  angedeutet:  „Die  sogenannte 
Hottentotten-Schürze  besteht  in  einer  Verlängerung  der  äußeren  Scham- 
lippen, welche  4 — 6  Zoll  lang  herabhängen.  Sie  haben  bei  Frauen  eine 
schmutzig  blaue  Färbung  und  gleichen  dem  am  Schnabel  des  Truthahns  be- 
findlichen Fleischklumpen.  Wie  es  scheint,  ist  diese  Verlängerung  keine 
natürliche,  sondern  künstlich  erzeugte,  und  wurde  nach  und  nach,  wie  dies 
bei  Mißbildungen  häutig  zu  geschehen  pflegt,  vererbt." 

Flower  und  Murie  erwähnten'-')  ein  zwölfjähriges  Mädchen  bei  den  Cap- 
Hottentotten,  dem  die  Nymphen  als  zwei  3ya  Zoll  lange  Lappen  herabhingen. 

Auf  „Pithecoide"  Zustände  im  evolutionistischen  sinn,  wie  Blanchard 
meinte3),  darf  nach  den  obigen  Mitteilungen  über  die  Dahomey-Neger,  Waganda, 
Makua,  Wahia  und  Basutos,  wegen  solcher  Erscheinungen,  freilich  noch  nicht 
geschlossen  werden,  zumal  neuestens  H.  Kaufmann  von  den  Auin-Busch- 
leuten  nicht  nur  künstliche  Kürzung,  sondern  auch  künstliche  Ausdehnung 
der  kleinen  Schamlippen,  letzteres  durch  Langrecken  mit  der  Hand, 
berichtet   hat4).     Übrigens   drängt   sich   einem    bei   dem   Überblick   über   die 


i)  -J-  Aufl.  I.  374. 

*)   Hei  Floß-Bartels  I,  238. 

3)  Ebenda. 

li  Nach  Floß-Bartels  (I,  242)  gibt  es  übrigens  auch  in  Deutschland  „Hottentotten- 
9  thürzen".  Der  Verdacht  liege  nahe,  daß  deutsche  Weiber  durch  Masturbation  zu  dieser 
Auszeichnung  kommen.  —  Andererseits  ist  aber  zu  erwägen,  daß  die  verlängerten  .Nymphen  der 
Abessinierinnen  im  lrj.  Jahrhundert  mit  dem  dortigen  Klima  erklärt  wurden.  Ähnliches  be- 
richtete der  Arzt  ./.  Bruce  in  der.  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  sowohl  von  den 
Abessiuierinnen,  als  auch  von  den  Ägypterinnen  und  anderen   Völkern. 


218 


Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 


wissenschaftlichen  Arbeiten  betreffs  „Hottentottenschürze"  die  Frage  auf,  ob 
denn  die  untersuchten  Mädchen  und  Weiber  keine  Erklärung  der  Erscheinung 
abgaben.  Wie  aus  Floß-Bartels  (I,  238)  hervorgeht,  wurden  ja  nicht  alle  erst 
nach  dem  Tod  untersucht.  — 

Eine  Deformation  anderer  Art  ist  bei  den  Malayen  in  Niederländisch- 
Ostindien  und  in  China  gebräuchlich,  d.  h.  hier  wird  das  Hymen  (Jungfern- 
häutchen) der  Mädchen  von  klein  an  teilweise  oder  ganz  zerstört,  indem  die 
Ammen,  bzw.  Kinderfrauen,  bei  den  täglichen  Waschungen  der  Geschlechts- 
teile den  Finger  in  die  Scheide  des  Kindes  einfuhren,  wodurch  das  über  den 

Eingang  gespannte  Häufchen 
zunächst  nach  innen  ausgedehnt 
wird  und  dann  ganz  oder  zum 
Teil  verschwindet.  Allerdings 
scheint  diese  Wirkung  nicht 
bezweckt  zu  sein,  sondern  die 
Amme  oder  Wärterin  beab- 
sichtigt nach  Vilh'iirurrs  Dar- 
stellung dieses  Brauches  in 
China  nur  die  Beseitigung  des 
vielen  Schleimes,  welcher  sich 
unter  dem  heißen  Klima  in  den 
Genitalien     sammelt.  In 

Niederländisch  -  Ostindien 
verfahren  die  einheimischen 
Ammen  sogar  mit  den  ihnen 
anvertrauten  Töchtern  der  Eng- 
länder und  Holländer  auf  jene 
Art.  Die  Chinesen,  ihre  Ärzte 
initinbegriffen,  sollen  von  dem 
bei  den  Bräuten  anderer  Völker 
so  hochwichtigen  Hymen  gar 
nichts  wissen. 

Die  uns  aus  Afrika  be- 
kannte künstliche  Verlängerung 
der  Schamlippen  war  auch  auf 
l'onape,  einer  Insel  der  öst- 
lichen Karolinen  gebräuch- 
lich. Otto  Finsch  schrieb:  „Als 
bi  soliderer  Beiz  eines  Mädchens 
oder  einer  Frau  gelten  beson- 
ders verlängerte,  herabhängende 
Labia  interna.  Zu  diesem  Behüte 
durch  Ziehen  und  Zupfen  bei 
sind,  diesen  Schmuck  künstlich 
gewissen  Zeiten  bis  zur  lieran- 
Zeit  ist  es  ebenso  die  Aufgabe 
natürliche  Entwicklung  zu  ver- 
leihen, weshalb  dieser  Teil  nicht  allein  anhaltend  gerieben  sowie  mit  der 
Zunge  beleckt,  sondern  auch  durch  den  stich  einer  großen  Ameise  gereizt 
wird,  dei  einen  kurzen,  prickelnden  Beiz  verursacht.  Im  Einklänge  hiermit 
-teilen  die  Extravaganzen  im  Genuß  des  Geschlechtstriebs.  Die  Männer  be- 
dienen sieh  zur  größeren  Aufreizung  der  Frauen  nicht  allein  der  Zunge, 
sondern  auch  der  Zähne,  mit  welchen  sie  die  verlängerten  Schamlippen  fassen, 
um  sie  Länger  zu  zerren." 


Pig.  306.    Eine  Christin  auf  Ponape  mit  ihren  sechs  Neffen. 

Von    dein    Missionssekretariat    der    rheinisch  -  westfälischen 

Kapuzinerprovinz  Ehrenbreitstein  a.  Rh. 


werden    impotente   Greise   angestellt,    welche 
Mädchen,  noch  wenn  dieselben  kleine  Kinder 
hervorzubringen   bemühl   sind,  und  damit  zu 
nahenden    Pubertät    fort  fahren.     Zu    gleicher 
dieser  impotenten,  der  Klitoris  eine  mehr  als 


§  252.    Künstliche  Verlängerung  der  weibliehen  Genitalien.    Deflorierung  im  Kindesalter.      219 

Künstliche  Verlängerung  der  äußeren  oder  auch  der  inneren  Schamlippen 
ist  ferner  bei  nordamerikanischen  Indianerstämmen  gebräuchlich.  Prinz  Max  zu 
Wied  hat  sie  von  den  Mandan-,  den  Minetari-  und  den  Krähen-(Crow-) 
Indianern,  sämtlich  Zweige  der  Sioux-Familie,  berichtet. 

Die  uns  aus  China  und  Niederländisch-Ostindien  bekannte  gewalt- 
same Zerstörung  des  Hymen  an  kleinen  Mädchen  hat  ihre  Parallele  in  Süd- 
amerika. 

W.  Ch.  G.  v.  Feldner1)  meldete  von  den  Machacura-Indianerinnen 
in  Brasilien: 

Nulla  inter  illas  invenitur  virgo,  quia  mater  inde  a  teuere  aetate  filiae 
maxima  cum  cura  omnem  vaginae  constrictionem  ingredimentumque2)  amovere 


Fig.  3ü6.    Kinder  aus  dem  Stamme   der  Krähen-Indianer.     (Copyright  F.  A.  Rinehart,  Omaha.)    Im  K. 

Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 


studet  hoc  quidem  modo:  manui  dextrae  imponitur  folium  arboris  in  infundi- 
buli  formam  radactum,  et  dum  index,  in  partes  genitales  immissus,  huc  et  illud 
movetur,  per  infundibulum  aqua  tepida  immittitur. 

Wenn  in  Paraguay  ein  Mädchen  zur  Welt  kommt,  dann  bohrt  ihm  die 
Hebamme  den  Finger  in  die  Vagina,  wozu  sie  sagt:  Dies  ist  ein  Weib 
(Mantegaezd) :i). 

Im  alten  Mexiko  war  die  erste  Deflorierung  ein  hohepriesterlicher 
Akt  und  ein  Vorzug  der  Vornehmen.     Bancroft  schrieb: 

Die  Töchter  der  vornehmen  alten  Mexikaner  wurden  am  28.  oder  29. 
T.  <xe  nach  ihrer  Geburt,  oder  doch  innerhalb   ihrer   ersten   fünf  Lebensjahre 


')  Bei  Ploß,  2.  Aufl.  I,  376,  Anm. 

2)  Wohl  „iinpedimentum"? 

s)  Nach  einer  schriftlichen  Mitteilung  an  Ploß. 


220  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

von  dem  Hohenpriester  mit  dem  Finger  defloriert,  und  im  sechsten  Jahre 
wurde  die  Operation  auf  Geheiß  des  Priesters  von  der  Mutter  des  Kindes 
wiederholt '). 

§  253.     Exstirpation,  Zirkuinzision,  Infibulation,  Aufschneidung  usw. 

In  Persien  ist  es  nach  Chardin  bei  einigen  Nomadenstäinmen  Brauch, 
die  Mädclien  mit  Eintritt  der  Reife  zu  beschneiden.  —  Polak  hingegen  er- 
fuhr von  einer  Mädchenbeschneidung  in  Persien  nichts,  wie  Plo/i  in  der 
2.  Auflage  bemerkte. 

Die  Falaschas,  vortalmudische  Juden  in  Abessinien,  lassen  ihre 
Töchterchen  am  Ende  der  zweiten  Lebenswoche  von  Frauen  beschneiden. 

Aus  Arabien  erwähnte  schon  Strähn  Mädchenbeschneidung.  —  Im 
9.  Jahrhundert  n.  Chr.  wurde  sie  von  dem  arabischen  Arzt  Rhazes  erwähnt. 
Die  üppigen  Araber  hätten  sich  dadurch  (?)  vom  weiblichen  Geschlecht  Genuß 
zu  verschaffen  gesucht. 

Als  Beschneidungsalter  für  die  Mädclien  gab  Niebuhr  wenige  Wochen 
nach  der  Geburt  an.  —  Nach  Seezen  wird  in  den  Städten  die  Beschneidung 
öffentlich  angeboten,  d.  h.  die  Weiber,  welche  sie  ausführen,  ziehen  in  der 
Stadt  umher  und  rufen:  „Gibt  es  Mädchen  zu  beschneiden?"  -  Die  Operation 
besteht  nach  Niebuhr  und  Muradyea  d'Ohsson  darin,  daß  die  Beschneiderin 
in  die  Geschlechtsteile  des  Kindes  einen  kleinen  Einschnitt  macht.  Etwas  Näheres 
anzugeben  sei  nicht  möglich,  da  die  dortigen  Muselmanen  niemanden  zugegen 
seiu  ließen  und  wenig  darüber  mitteilten.  -  -  Die  Operation  bezeichnen  die 
Araber  als  „battar"  oder  „chaphadh"  (Knabenbeschneidung  „chatau").  -■  Die 
Beschneiderin  heißt  „mobatterat"  und  der  abgeschnittene  Teil  „bäta". 
Golius  beschrieb  es'-)  als  „res  oblongior,  caruneulae  similis  in  pudendis  feminae"3). 
Für  den  beschneidenden  Teil  haben  die  Araber  die  Bezeichnung  „nava". 
Ein  Mädchen  „Unbeschnittene"  zu  nennen,  ist  eine  Beleidigung. 

Auf  die  Beschneidung  der  Mädchen  speziell  in  Arabia  Petraea  ist 
schon  bei  der  Knabenbeschneidung  hingewiesen  worden. 

Auch  die  Araber  in  Afrika  üben  Mädchenbeschneidung. 

Burchhardt  teilte  sie  von  den  Araberst  ämnien  am  westlichen  Ufer 
des  Nil  von  Thebae  bis  zu  den  Nilkatarakten,  also  im  südlichen  Ägypten 
mit,  aber  auch  von  den  nubischen.  also  haniit  ischen,  Völkern  südlich  von 
Kenne  und  Esne  bis  Sennaar. 

Was  die  Art  und  Weise  der  Operation  betrifft,  so  erwähnte  Burchkardt 
aus  der  Umgebung  von  Esne,  Siut  und  Kairo,  also  von  Ober-  und  Unter- 
ägypten, Rasierer,  welche  „obstruetionem  novacula  amovent". 

Hartmann  berichtete  aus  Ägypten  und  Abessinien,  den  dortigen 
Mädchen  werde,  das  Praeputium  clitoridis,  seltener  die  Klitoris  selbst,  oder  ein 
an  der  vorderen  Kommissur  der  labia  majora  hervorwachsender  Klunker  ab- 
getragen. 

h'iili/irl.  meldete  ans  A  ltess i  n  i en  und  Massaua4)  „K'ezision  der  Nerven- 
warze  am  Pubis",  was  nach  Floß  gleichfalls  „Ausschneiden  der  Klitoris"  be- 
deutet. -■  Im  i«i.  Jahrhundert  scheinl  in  Abessinien  die  Mädchenbeschnei- 
dung sowohl  die  Klitoris  als  auch  die  Nymphen  umschlossen  zu  haben.  Denn 
Floß  schrieb  in  der  2.   Auflage   (I,  380): 

')  Vgl.  die  rohe  Deflorierung  australischer  Mädchen  in  S  258. 

-)  Bei   Floß,  2.  Aul'l    I.  382. 

3i  Nach  Floß  (I,  :183)  ist  mit  dieser  „res  oblongior"  wohl  die  Klitoris  zu  verstehen, 
da  die  dort  angeführte  Operation  in  den  Städten  Arabiens  die  gleiche  sei  wie  auf  Massen a 
und  in  A  bessi  nien. 

4)  Für  Massaua  erwähnte  Floß  (2,  Aufl.  1,885)  auch  die  noch  später  zu  beschreibende 
I  n  I  i  liul  ;i  I  i  ii  ii   ili  ■    weiblichen   Geschlechtes. 


§  253.     Exstirpation,  Zirkumzisioii,  Infibulation,  Aufschneidung  usw.  221 

„Die  katholischen  Priester,  welche  im  16.  Jahrhundert  in  Abessinien 
Fuß  gefaßt  und  das  Christentum  ausgebreitet  hatten,  verboten  zu  jener  Zeit 
die  Beschneiduno:  ihrer  Proselythmen,  denn  sie  glaubten,  in  derselben  einen 
Überrest  des  Heidentums  zu  finden.  Allein  die  Folge  dieses  Verbots  war,  daß 
sich  dort  Niemand  mit  einer  Katholikin  verheiraten  wollte.  Die  Priester 
sahen  sich  daher  genötigt,  die  Beschneiduno-  der  Weiber  zuzulassen,  nachdem 
ein  von  der  Propaganda  in  Rom  abgesandter  Wundarzt  die  „Notwendigkeit" 
des  alten  (durchaus  nicht  religiösen)  Gebrauchs  festgestellt  hatte.  Der  Arzt 
wollte  nämlich  daselbst  beobachtet  haben,  daß  der  in  jenen  Ländern  heimische 
Auswuchs  (die  große  Klitoris  und  die  verlängerten  Nymphen)  an  den 
Geschlechtsteilen  der  Frauen  bei  den  Männern  einen  großen  und  unüberwind- 
lichen Abscheu  errege  und  folglich  dem  Zwecke  der  fthe  hinderlich  sei." 

Im  welche  Völkerschaften  Abesstniens  es  sich  hier  handelt,  muß  ich 
unentschieden  lassen  (vgl.  Harrar  w.  u.).  Von  den  Agau  (Agow,  Agaw),  der 
hamitischen,  sogenannten  Urbevölkerung  des  Landes,  sowie  von  den  gleichfalls 
hamitischen  Gallas1),  Gongas  und  Gaff ats  bezeugte  J.  Bruce  Mädchen- 
beschneidung. Diese  habe  wegen  der  durch  das  heiße  Klima  und  anderer, 
Ursachen  bewirkten  Ungestaltheit  der  Geschlechtsteile  als  notwendig  gegolten. 
Die  Operation  sei  mit  s  Jahren  vorgenommen  worden. 

In  neuester  Zeit  teilt  Bieber  von  den  Katfitscho,  einem  Gallastamm 
in  Abessinien.  mit: 

Kbenso  allgemein  wie  die  Knabenbesclmeidung  (vgl.  diese)  ist  auch  die 
Mädchenbeschneidung.  Sie  besteht  im  Abschneiden  der  Spitze  der  Klitoris. 
Die  Operation  wird  nicht  von  Priestern,  sondern  von  berufsmäßigen  Laien, 
und  zwar  von  Frauen  „etakawati"  gegen  Bezahlung  vorgenommen.  Die 
Mädchen  müssen  älter  als  die  Knaben  sein,  d.  h.  4 — 12  Monate  zurück- 
gelegt haben.  Die  Wunde  wird  nur  mit  Wasser  gewaschen.  Das  Honorar 
ist  das  gleiche  wie  bei  der  Knabenbesclmeidung.  wird  aber  von  der  Mutter 
des  Mädchens  ausgehändigt.  Der  bei  der  Knabenbesclmeidung  erwähnte  Fest- 
akt unterbleibt  bei  der  Mädchenbeschneidung'. 

Für  Harrar.  einer  Landschaft  in  Abessinien,  deren  Bevölkerung 
sprachlich  zu  den  Semiten  gehört,  fühlte  Floß  Infibulation  an,  und  da. 
wie  wir  weiter  oben  sahen,  auch  die  abessinischen  Falaschen  (Juden)  Be- 
schneidung üben,  scheint  ganz  Abessinien  das  weibliche  Geschlecht  sexuellen 
Operationen  zu  unterwerfen. 

Hier  sei  ferner  eines  semitischen  Zweiges  im  nordwestlichen  Afrika. 
der  Peul,  gedacht,  welche  ihre  Töchter  bald  nach  der  Geburt  beschneiden2). 

Vom  ersten  Katarakt  nilaufwärt s3;.  so  schrieb  Ferdinand  Werne, 
wird  bei  den  Muselmanen  an  9 — 10jährigen  Mädchen  nach  der  Exzision 
eine  zweite  i  Iperation  vorgenommen,  eine  sicherere  Vorkehrung,  als  alle  künst- 
lichen Schlösser  und  Federn,  mit  welchen  rohe  Ritter  ihre  Frauen  umschlossen, 
wenn  sie  Kreuz-  und  andere  Züge  machten,  oder  überhaupt  den  Gattinnen 
nicht  trauten4).     Alte  Weiber  legen  ein  solches,  dem  Volksgebrauche  unter- 


')  Von  den  Gallas  erwähnte  Floß  auch  Infibulation. 

-i  Floß,  2.   Aufl.   1,  382. 

3j  Wenn,  wie  gewöhnlich  angenommen  wird,  die  nördliche  Grenze  von  Nubien  mit 
dem  Parallelkreis  der  Katarakte  bei  Assuan  zusammenfällt,  das  von  Burckliarilt  \\ ,-.  u.  er- 
wähnte Oberägypten  also  nur  bis  dorthin  reicht,  dann  kommt  Infibulation  auch  noch  nil- 
abwärts  von  den  ersten  Katarakten  vor.  Kbenso  darf  nicht  vergessen  werden,  daß  wir  es 
in  Nubien  nicht  nur  mit  äthiopischen  Zweigen  der  Hamiten.  sondern  auch  mit  Arabern  zu 
tun  haben. 

*)  Im  18.  Jahrhundert  sollen  sogar  in  Frankreich  Vorschläge  zur  Vernähung  des  weib- 
lich-n  Geschlechtes  nach  nubischer  Methode  gemacht  worden  sein.  Floß  wies  bei  dieser  Be- 
merkung namentlich  auf  den  Dictionnaire  de  Theboux,  Tome  VI,  Paris  1752,  p.  943,  Art. 
..Kitrecisseuse"   hin. 


220  Kapitel  XXXVill.     Sexuelle  Operationen. 

worfenes  Opfer  auf  einen  Anqareb  und  skarüizieren  mit  einem  scharfen  Messer 
die  beiden  Wände  der  großen  Schamlefzen  bis  auf  einen  kleinen  Raum  nach 
dem  After  hin.  Darauf  nehmen  sie  eine  Ferda  (jenes  lange  Stück  Baum- 
wollenzeug mit  verzierten  Enden,  so  .Männer  und  Weiber  um  ihren  Körper 
gürten)  und  umwickeln  damit  dem  Mädchen  tue  Kniee  fest,  wodurch  jene 
skariiizierten  Teile,  aneinandergeschlossen,  auf  die  Dauer  verwachsen,  bis  auf 
den  nicht  wund  gemachten  Teil:  in  die  kleine  Öffnung  wird  wegen  des  möglichen 
Zusammenwachsens  ein  Federkiel  oder  ein  dünnes  Rohr  gesteckt,  um  den  Be- 
dürfnissen der  Natur  den  Weg  offen  zu  halten.  40  lange  Tage  muß  das 
.Madchen  in  dieser  Lage  auf  dem  Anqareb  mit  gebundenen  Knieen  aushalten. 
ausgenommen  wo  ein  Bedürfnis  eintritt;  und  es  scheint  dieser  Zeitraum,  der 
Erfahrung  über  wirklich  erfolgte  Zusammenwachsung  der  Schamlippen  ent- 
sprechend, gleichsam  gesetzlich  zu  sein.  Ist  nun  eine  auf  solche  skandalöse 
Art  erhaltene  Jungfrau  —  welche  nicht  selten,  wenn  man  liebkosend  sich  ihr 
nähert,  mit  einem  „el  bab  masdüht  oder  makful"  (das  Tor  ist  verschlossen  i 
sich  entschuldigt  -  -  früher  oder  später  Braut  geworden,  so  werden  die  ob- 
szönen Handlungen  fortgesetzt.  Eines  von  den  Weibern,  welche  jene  Operation 
ausführen,  kommt  unmittelbar  vor  der  Hochzeit  zum  Bräutigam,  um  dessen 
männliche  Vorzüge  zu  messen;  sie  verfertigt  darauf  eine  Art  Phallus  von  Ton 
oder  Holz  und  verrichtet  an  der  Braut  genau  nach  dem  Maße  desselben  eine 
teilweise  Aufschneidung;  der  mit  einem  Fettlappen  umwundene  Zapfen  bleibt 
stecken,  um  ein  neues  Zusammenwachsen  zu  verhüten.  Unter  den  gebräuch- 
lichen lärmenden  Hochzeitsfeierlichkeiten  führt  alsdann  der  Mann  sein  mit 
verbissenem  Schmerze  einherschreitendes  Weib  nach  Hause  auf  das  Gerüst 
hinter  einen  grob  wollenen  Vorhang  --  und  schon  nach  vier  oder  fünf  Tagen, 
ohne  die  Wunden  heilen  oder  vernarben  zu  lassen,  fällt  der  Tiermensch  über 
sein  Opfer  her.  Vor  dem  Gebären  wird  das  Muliebre  zwar  durch  totale 
Lösung  in  integrum  restituiert,  allein  nach  der  Geburt,  je  nach  Belieben  des 
Mannes,  bis  auf  die  mittlere  oder  die  kleinste  Öffnung  wieder  geschlossen, 
und  so  fort. 

In  der  Berberei  lernte  F.  Werne  eine  junge  Witwe  kennen,  welche 
sich  über  den  Tod  ihres  Gatten  freute,  weil  er  sie  in  kurzer  Zeit  siebenmal 
einer  solchen  Operation,  von  der  die  Narben,  sieht-  und  fühlbar.  Ekel  erregten, 
unbarmherzig  unterworfen  hatte. 

Tanners  Schilderung  lautet:  „Puella,  adhuc  tenera,  humi  supina  prosterni- 
tnr,  cruribus  sursum  trusis,  genubus  tlexis  et  in  diversum  extensis.  Sic  ja- 
centi,  verendorum  labia  acuta  novacula  utrinque  per  totum  paene  os  scalpuntur, 
relicta  ad  extremnm  deorsus  hiatum  in  longitudinem  quarta  unciae  parte,  in 
quam  calamus  pennam  anserinam  circulo  aequiparans  intro  immittitur.  Hoc 
facto  labiorum  margines,  sanguine  adhuc  stillantes  in  ununi  coguntur,  eo  con- 
siliu  nt  resanescentes  conjungantur,  et  nihil  aliud  apertum  reliiiquatur.  quam 
exiguum  illud  foramen,  quod  per  calamum  insertum  reservatur. 

Quae  ut  tiat  conjunetio  et  superficies  labiorum  scalpro  nuper  incisa  quam 
optime  coeat,  puellae  crura  genubus  et  talis  inter  se  nexis  colligantur.  Hinc 
fit,  ut  nulla  membrorum  tensione  vel  luctatione  labella  jamjam  concrescentia 
possint  separari.  Pos1  paueos  dies  firmiter  intei  se  cohaerent,  et  forma,  quam 
natura  dederat,  nulla  apparet.  Ita  laevis  est  pars  ea,  quae  monti  qui  veneria 
proxime  subjacet,  ut  speciem  nudae  feminae,  quem  admodum  sculptores 
ituam  es  ea  parte  laevigant,  omnino  repraesentet.  Calamo  subdueto  perexigua 
quae  relinquitur  apertura  officio  urethrae  fungitur. 

Hoc  artificio  t litis  licet  pnellis  cum  pueiis  libere  consociari.  dum  dies 
nuptialis  advenerit,  quo  tempore  sponsa  sine  controversia  virgo  est. 

Festum,  quod  in  honorem  nuptiarum  celebratur,  rhu,  qui  tinem  castitati 
adhuc  coaetae  imponat,  concluditur.     Sponsa  a  quibusdam  ex  amicis  suis,  officio 


§  253.     Exstirpation,  Zirkumzision,  Infibulation,  Aufschneidung  usw.  223 

proiiubaruin  fugentibus,  tanquam  jure  occupatur.  Mulier,  rei  agendae  perita, 
ferramentum  acutum,  curvatum,  in  falsi  urethrae  canalem  inserit,  quod  eum 
adiuodum  curvatum  est,  ut,  quum  cuspis  cura  adhibita,  sursum  propellitur. 
cutis,  ubi  opus  est,  perforatur.  Uno  ictu  tegumentum  dissuitur,  et  rimae 
longitudo  eadem  prope,  quae  prius  fuerat,  restituitur.  Ex  illo  tempore  sponsa 
summa  vigilantia  a  pronubis  observatur,  a  quibus  ad  mariti  tugurium  deducitur. 
Ibi  ante  fores  in  vigilia  manent  pronubae,  et  Signum,  quod  ex  usu  convenit, 
auscultantes  exspectant:  quo  intus  edito,  chorus  omnis  feminarum  clara  voce, 
arguta  simul  et  injucunda,  more  suo  exultantes  ululant  .  .  .  Antequam  mulier 
puerum  eniti  possit,  opus  est,  vaginam  secando  dilatare,  quae  post  partum 
arundine  introducta  ad  priorem  mensuram  iterum  con  contrahitur."  - 

Burckhardt  schrieb:  ,-.Milii  contigit  nigram  quandam  puellam,  quae  hanc 
operationem  subierat,  inspicere  Labia  pudendorum  acu  et  filo  consuta  mihi 
plane  detecta  fuere,  foramine  angusto  in  nieatum  urinae  relicto.'-  —  Hier 
handelt  es  sich  also  um  ein  förmliches  Zusammennähen,  nicht  nur,  wie  in 
Wernes  und  Tann ers  Schilderung,  um  ein  Zusammenwachsen.  Dieses  folgt 
auf  jenes  in  Burekhardts  Fall: 

„Cäcatrix  post  excisionen  clitoridis')  parietes  ipsos  vaginae,  foramine 
parvo  relicto,  inter  se  glutinat.  Cum  tempus  nuptiarum  adveniat,  membranam, 
a  qua  vagina  clauditur,  coram  pluribus  inciditur,  sponso  ipso  adjuvante.  Inter- 
dum  evenit,  ut  operationem  efficere  nequeat  sine  ope  mulieris  alicujus  ex- 
pertae,  quae  scalpello  partes  vaginae  profundius  rescindit.  Maritas  crastina 
die  cum  uxore  plerumque  habitat;  unde  illa  Arabum'-)  sententia:  Leilat  ed- 
dokhle  messel  leilat  et  Fatouh  i.  e.  Post  diem  aperturae  dies  coitus.  Ex  hac 
consuetudine  fit,  ut  sponsus  nunquam  decipiatur,  et  ex  hoc  fit,  ut  in  Aegypto 
Superiori  innuptae  repulsare  lascivias  hominum  Student,  dicentes:  Tabousny 
wala'  takghergang.  Sed  quantum  eis  sit  invita  haec  continentia  post  matri- 
inonium  demonstrant,  libidini  quam  maxime  indulgent.es. 

Ähnlich  wie  Burekhardt  erwähnt  Russegger  eine  förmliche  Zunähung 
der  Labia  mit  Nadel  und  Faden  oder  Draht.  Diese  Operation  finde  (nach 
der  Exzision  und  Zirkumzision)  im  Alter  von  6—8  Jahren  statt.  Wie 
Tanner,  so  erwähnte  ferner  Russegger  sachkundige  Weiber,  welche  mit  der  Auf- 
schneidung der  Naht  vor  der  Hochzeit  betraut  sind.    Das  sei  ein  festlicher  Akt. 

Von  den  Bedja  im  nördlichen  Nubien  schrieb  Magrizi  schon  im  Mittel- 
alter, daß  sie  die  Schamlefzen  der  Mädchen  beschneiden  und  dann  die  Wunde 
zusammenwachsen  lassen,  um  sie  erst  bei  der  Verheiratung  wieder  zu  öffnen3). 

Das  Alter  der  zu  operierenden  Mädchen  bei  den  heutigen  Bedja,  sowie 
bei  den  Galla  und  Somal,  ferner  in  Hariar  und  auf  Massaua  beträgt  nach 
Ploß*)  2 — 9  Jahre;  Brehm  habe  5 — 7  Jahre  angegeben. 

')  Ploß  (2.  Aufl.  I,  329)  meinte,  Bwcklmrdt  habe  die  Zirkumzisiou  (Besehneidung  der 
Nymphen)  mit  der  Exzision  der  Klitoris  verwechselt.  Aber  hier  dürfte  der  Irrtum  bei  Ploß 
liegen;  denn  auch  Rußegger  fand  bei  den  „meisten  Völkern  des  südlichen  Nubien"  neben 
der  Zirkumzisiou  (Beschneidung  des  Bandes  der  Vagina)  Ausschneidung  der  Klitoris,  wie 
Ploß  selbst  in  der  2.  Auflage  referierte  und  allerdings  ebenfalls  anzweifelte.  Aber  auch  hier 
dürfte  sich  Ploß  getäuscht  haben,  der  in  beiden  Fällen  vorauszusetzen  schien,  daß  diese 
Operationen  sich  gegenseitig  ausschließen.  Merkwürdigerweise  bemerkte  er  aber  zu  R.  Hart- 
manns  Mitteilungen  über  den  gleichen  Gegenstand:  „Es  scheint  also  nach  Hartmanns  Bericht, 
als  ob  man  auch  bei  der  Vernähung  gleichzeitig  mit  die  Exzision  vollbringt.  Hiervon  sprechen 
aber  andere  nicht"  (I,  390).  Die  Vernähung  bzw.  das  Zusammeuwachsenlassen  der  Labia 
folgt  auf  jene  Operationen.  —  Vgl.  ferner  Ploß  über  Rüpjpels  „Rezision  der  Nervenwarze", 
S.  220,  sowie  die  dortige  Anmerkung  zu  Massaua. 

2)  Das  beweist  wohl,  daß  die  Infibulation  nicht  etwa  nur  hamitischer,  bzw.  nubischer. 
sondern  auch  arabischer  Brauch  ist,  worauf  ich  schon  früher  aufmerksam  machte.  Die  ein- 
gangs dieses  Paragraphen  angeführte  Bemerkung  des  Arabers  Rhazes  läßt  vermuten,  daß  der 
Araber  sich  das   Weib  schon  im  9.  Jahrhundert  auf  diese  Art  zu  sichern  suchte. 

3)  Ploß,  2.  Aufl.  I,  386. 
*)  Ebenda,  385. 


224  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

E.  Hartmanns  Beschreibung  der  „Vernähung"  .südlich  von  Wädi  Halfah 
(Nubien),  sowie  in  Dar-Sennär  und  Kordofan,  zwei  weiteren  Provinzen  des 
ägyptischen  Sudan1),  stimmt  im  wesentlichen  mit  dem  uns  bereits  bekannten 
iiberein.  Bemerkenswert  darüber  hinaus  ist,  daß  die  Operierte  während  der 
Heilung  sich  mit  schmaler  Kost  begnügen  muß.  daß  der  Sudanese  die  Ver- 
schließung  seiner  Töchter  als  eine  geheiligte  Sitte  betrachte,  deren  Vor- 
trefflichkeil  rühme  und  den  Tag  dieser  Operation  festlich  begehe. 

Ebenso  stimmt  die  Schilderung  Brehms  im  allgemeinen  mit  den  uns 
bekannten,  früheren  und  späteren,  aus  dem  Sudan  überein.  Außerdem  teilte 
Brehm  mit,  daß  in  Dar  For2),  zentraler  Sudan,  an  den  zu  beschneidenden 
Mädchen  auch  die  Sutura  cruenta,  d.  h.  die  uns  durch  Burckhardt  und  Russegger 
aus  den  mein-  östlich-nordöstlich  gelegenen  Gebieten  her  bekannte  Vernähung 
mit  Nadel  und  Faden  vorgenommen  werde,  und  zwar  in  Dar  For  an  den 
großen  Schamlippen,  nachdem  die  kleinen  durch  Schnitte  wund  gemacht 
sind.  Demnach    ist    hier    das    Mädchen    doppelt    verschlossen;    denn    die 

verwundeten  Labia  minora  verwachsen  infolge  der  Verwundung  wohl  auch 
ineinander3). 

Was  Dar-Sennär  und  Kordofan  betrifft,  so  linden  sich  die  obigen 
Angaben  größtenteils  durch  jene  des  Fr.  Cailliaud  und  Rüppell  bestätigt. 
Nach  jenem  verwendet  man  in  Dar-SenmTr  bei  der  Aufschneidung  vor  der 
Hochzeit  im  Notfall  glühendes  Eisen  und  ein  Rasiermesser.  Dazu  bemerkt 
Cailliaud:  „On  dirait  que  la  sensibilite  emoussee  chez  ces  peuples  les  empeche 
d'apprecier  les  souffrances  inouies  et  les  accidents  graves  et  inevitables  de 
ces  pratiques  inhumaines,  inventees  par  te  despotisme  du  sexe  le  plus  fort, 
pour  s'assurer  la  jouissanee  premiere  de  cette  fleur  virginale  si  fugitive  dans 
Ions  les  autres  pays.  Quoi  qu'il  en  soit,  il  en  coüte  assez  eher  pour  faire 
remettre  Line  jeune  fille  en  etat  de  remplir  des  devoirs  conjugaux.  S'il  en  est 
quelqu'une  qui,  ä  defaut  de  moyens  peeuniaires,  se  marie  sans  avoir  subi  reite 
preparation  essentielle,  c'est  ä  l'epoux  prendre  ä  cet  egard  le  parti  qui  hü 
convient;  mais  lorsqu'il  reussit,  chose  difficile,  ä  la  rendre  feconde,  eile  a  le 
droil  d'exiger  qu'une  des  matrones,  qui  exercenl  ce  cruel  metier  lasse  disparaitre 
gratis  des  obstacles,  qui  contrarient  le  travail  de  l'enfantement.  La  jeune 
veuve,  qui  conserve  l'espoir  de  se  remarier,  n'hesite  point  ä  se  soumettre  une 
seconde  Eois  aus  tortures  de  cette  double  laceration." 

Aus  Rü/ppelh  Mitteilungen  über  Kordofan  sei  hier  erwähnt,  daß  die  Auf- 
schneidung der  Brau!  nicht  vor  der  Entrichtung  des  ganzen  Brautpreises  statt- 
findet4), und  daß  die  nach  der  Entbindung  wiederholt  inlibuliei  teil  Labia  nach 
der  Entwöhnung  des  Säuglings  wieder  aufgeschnitten  werden5).  Das  wieder- 
hole sich  auf  Verlangen  des  Ehemannes  (bei  vielen?)  bis  nach  dem  dritten 
oiler  vierten  Wochenbett;  öfters  unterbleibe  die  tufibulation  aber  schon  nach 
dem  ersten. 

Rüppell  sah  Weiber,  deren  Männer  kurz  nach  einem  i\vt-  ersten  Wochen- 
betten ihrer  Gatten  gestorben  waren,  und  da  zur  Zeil  des  Todesfalls  die  Wunde 
der  Aufschneidung  zugewachsen  war.  befanden  die  Krauen  sich  in  einem 
sonderbaren  Zustande,  aber  ihre  Eltern  zwangen  sie.  in  dem  traurigen  Status 

Die  Bevölkerung  von   Kordofan  setzl   sich  aus  Arabern,  Nubiern  und  Sudannegern 
iimen. 

Araber  und   Km-,  ein  Negervolk, 
')   W;i     Werne   von    der    Berberei    mitteilte,    berichtete  Brehm    von   den    Sudanesen, 
0    gu(    wie   dort,    Ehemänner  gibt,    welche    ihre   Frauen   nach  der  Knt- 
ei    Beschneidung  um. hl  [nfibulatioo?)  unterwerfen. 

b    Für  die  meisten  Stämme  in  Kordofan  20  Tage  vor  der  Hochzeit  an. 
:'<  Vgl.  dii  i      Enthaltung   während    der  Stillzeit    auch    bei   anderen  Völkern    in 

Kap    XXVI. 


§  253.     Exstirpation,  Zirkumzision,  lnfibulation,  Aufschneidung  usw.  225 

zu  bleiben,   denn  durch  die  Aufschneidung  hätten  sich  diese  Frauen  eo  ipso 
in  die  Klasse  der  Freudenmädchen  versetzt.  — 

Die  Exzision  findet  in  Kordofan  um  das  achte  Lebensjahr  statt 
(Ignas  Pallme). 

Infibulation  ist  ferner  von  den  Beduinen  der  Bajudah- Steppe  (Kababisch- 
A raber?)  im  westlichen  Nubien,  linkes  Nilufer,  berichtet  worden.  A.ls  Be- 
schneidungsalter  der  dortigen  Mädchen  gaben  A.  von  Barnim  und  R.  Hart- 
mann 5  —  8  Jahre  an. 

Exzision  der  Nymphen  soll  in  der  „Kleinen  Oase"  (Uah  el-Beharie) 
im  nördlichen  Teil  der  Libyschen  Wüste  stattfinden  {Paul  Ascheron). 

Exzision  hat  ferner  Ploß1)  im  Hinweis  auf  Werne  von  den  Kopten, 
den  Nachkommen  der  alten  Ägypter,  erwähnt. 

Auch  bei  den  alten  Ägyptern  ist  Mädchenbeschneidung,  und  zwar,  wie 
ans  dem  unten  folgenden  „7repwsu;vs(ji}ai"  hervorgeht,  Zirkumzision  erwiesen.  — 
Das  war  aber  nicht  die  einzige  Beschneidungsform,  sondern  man  amputierte  auch 
die  Klitoris,  wenn  diese  aus  den  Labia  majora  hervortrat,  hauptsächlich,  wenn 
es  sich  um  mannbare  Mädchen  handelte,  welche  in  fremde  Dienste  traten,  wie 
aus  der  folgenden  Stelle  bei  Paulas  von  Aegina  (7.  Jahrh.  n.  Chr.)  hervor- 
geht: „Quapropter  Aegyptiis  Visum  est  ut  antequam  exuberet,  ämputetur,  tunc 
praecipue,  quum  nubiles  virgines  sunt  elocaudae."  —  Paulus  von  Aegina  selbst 
riet'-)  zur  Abschneidung  der  widernatürlich  vergrößerten  Klitoris3). 

Die  altägyptische  Zirkumzision  bei  Mädchen  wird,  wie  augedeutet,  durch 
das  7tepiT£[j.v3oi)ai  in  einem  ägyptischen  Papyrus  erwiesen,  aus  welchem  Back- 
ofen die  folgende  Stelle  nach  Bernardino  Peyron  anführte:  „Armai,  ein  in  der 
Klausur  des  memphitischen  Serapeum  lebender  Ägypter4),  reicht  dem  Strategen 
Dionysios  folgende  Klagschrift  ein:  Tatemi,  die  Tochter  der  Nefori  von 
Memphis,  lebe  mit  ihm  im  Serapeum.  und  habe  durch  ihre  Kollekten  und  die 
freiwilligen  Gaben  der  Besucher  bereits  ein  Vermögen,  betragend  ein  Talent 
und  300  Drachmen,  gesammelt,  das  sie  ihm  als  Depositum  zur  Aufbewahrung 
anvertraut.  Darauf  sei  er  von  der  Mutter  der  Tatemi  folgender  Art  betrogen 
worden:  sie  habe  ihm  vorgegeben,  die  Tochter  stehe  in  dem  Alter,  in  welchem 
sie  nach  ägyptischer  Sitte  beschnitten  werden  müsse  (irspiTSftveoftai) ;  er  möge 
ihr  daher  jene  Summe  verabfolgen,  damit  sie  bei  der  Vornahme  jener  feier- 
lichen  Handlung  die  Tochter  einkleiden  und  angemessen  dotieren  könne.  Sollte 
sie  nicht  dazu  kommen,  das  Vorhaben  zu  erfüllen  und  die  Tochter  Tatemi 
im  Monat  Mechir  des  Jahres  XVIII  zu  beschneiden,  so  werde  sie  mir  die 
Summe  von  2400  Drachmen  zurückerstatten.  Auf  diesen  Vorschlag  sei  er 
eingetreten  und  habe  der  Nefori  das  Talent  und  die  300  Drachmen  eingehändigt, 
Aber  die  Mutter  habe  von  allem  nichts  gehalten,  und  als  nun  die  Tochter 
ihm  Vorwürfe  gemacht  und  ihr  Geld  zurückverlangt,  sei  es  ihm  durch  wichtige 
Geschäfte  unmöglich  geworden,  sich  selbst  nach  Memphis  zu  begeben  und 
dort  seine  Angelegenheit  zu  besorgen.  Darum  gehe  seine  Bitte  dahin,  Nefori 
möge  vor  Gericht  geladen  und  die  Sache  zum  Gegenstand  richterlicher  Be- 
urteilung gemacht  werden." 

Die  Beschneidung  der  Mädchen  war  also  im  alten  Ägypten  vorgeschrieben 
und    ein  feierlicher  Akt,   nach  welchem  die  Mädchen  als  heiratsfähig  galten. 


')  2.  Aufl.  I,  381. 

-I  Nach  Ploß  (2.  Aufl.)  I,  379. 

3)  Vgl.  die  „Hottentottenschürze"  und  ähnliche  Erscheinungen  bei  anderen  afrikanischen 
Völkern,  auch  bei  deutschen  Frauen.  Man  muß  mit  dem  Verdacht  der  Masturbation  doch 
sehr  vorsichtig  sein. 

4)  Bei  dem  Serapis-Tempel  bei  Sakkara,  südlich  von  Kairo,  am  linken  Nilufer,  lebten 
Mönche. 

Ploß-Renz.  Das  Kind.    3.  AuB.    Baml  II.  15 


9^.  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Die  von  Ploli  ausgesprochene  Vermutung i),  daß  die  Beschneidung  vielleicht 
^n  Vorrecht  der  im  Serapeum  erzogenen  Mädchen  war,  da  dieselbe  ja  beim 
n?„nli  hen  Ges  h  echt  ein  Vorrecht  der  Priester-  und  Kriegerkaste  gewesen 
S  Skauir ThaUbar,  weil  das  letztere  Vorrecht  nicht  bestand,  wie  Bawhnscn 

stellen    förmlich    zusammen, 

wozu      Pferdeliaar      benutzt 
wird.    Ein  enger  Kanal  zum 
Entleeren  des  Urins  wird  selbst- 
verständlich auch   im  Somali- 
Land  freigelassen.  —  Das  Alter 
der  Kandidatinnen    schwankt 
zwischen    8    und    10    Jahren 
i  Hildebrandt  und  Paulitschke). 
Daß     Mädchenbeschnei- 
dung auch  bei  den  Kikuyu  in 
Britisch -Ostafrika   üblich 
ist,    wurde   bei   der  Knaben- 
beschneidung  angedeutet.  Ihre 
sozial-religiöse  Bedeutung  ent- 
spricht    jener     der     Knaben. 
Hier    sei  beigefügt,    daß    die 
durch  die  Beschneidung  weg- 
zunehmende      Sünde       nach 
Kikuyu-Auffassung     die    Ur- 
sache aller  Übel  ist,  daß  man 
mit     der    Sünde    nur    Bluts- 

»  verwandte  infizieren  kann,  und 

f  t         daß  man  die  Sünde,  also  auch 
■'■V/  L  die  Ursache  aller  Übel,  haupt- 

'  :     _~7a/l  sächlich  durch  die  Zeugung  auf 

.  '  (  /  seine  Nachkommen  überträgt. 

•  >    __^  JT  Deshalb    müssen    beide    be- 

schlechter beschnitten  werden, 
ehe  sie  der  Zeugung  fähig 
sind;  denn  nur  so  sind  .ihre 
Nachkommen  vor  dem  Übel 
o-eschützt.     Es  gilt  als  Sünde, 

wenn  ein  Mädchen  die  erste  Regel  hat,  ehe  *S*ä£^  ~  ^JJ?Ä 
des  Tempels,  Baumkult  usw.  werden  vor  der  ^^^^^J^S,  der 
Knabenbeschneidung  vorgenommen.  -  Der  frühere  J™uch^au  na  und 
Beschneidung  Burschen  zum  ersten  Koitus  ein  altes ;  Weib  "*«"»  den 
dieses  hierauf  zu  Tode  steinigten,  um  den  nach  K.ku >u-A  i  .  mi nB  ai 
erste,  Koitus  folgenden  Tod  auf  dieses  \\ ei b .  wöxen,  natt  ir 
Parallele  in  dem  Brauch  der  beschnittenen  Madchen,  sie*  n c*  ^t|  dieser 
mit  einem   unbeschnittenen  Knaben  zu  verbinden.     Getötet  ,™«J  h 

deshalb  nicht  zu  werden,  weil  er  als  Unbeschnittener  noch  nicht  als  Mensc 
galt  (Cayzac). 

i)  2.  Aufl.  I,  378.  .     ...        r^.hWhtes    Abschnitt  11  anüten  und  Neger. 

*)  Siehe  die  Beschneidung  «los  mannlichen  Geschlechtes,  ädscdu 


Fi»   807      Knaben  aus  den  ustufrikaiiisolien  Mizollen  der  Vater 
vom  hl.  Geist.     Sekretarial    Kneohtsteden,   Rheinprovinz. 


§  253.     Exstirpation,  Zirkumzision,  Infibulation,  Aufsehneidung  usw. 


227 


Mädchenbeschneidimg  bei  den  Kikuyu  (Wakikuyu)  hatte  aucli  Ploß  in 
der  2.  Auflage  I,  362  erwähnt,  und  zwar  in  Verbindung  mit  der  Mädchen- 
beschneidung der  Massai1),  Wakamba  und  Wanika.  Sie  finde,  wie  die  der 
Knaben,  jedes  dritte  oder  vierte  Jahr  an  allen  reifen  Mädchen  eines  Distriktes 
statt.  Die  Mädchen  werden,  getrennt  von  den  Knaben,  von  einem  alten  Weib 
beschnitten.  —  Auf  S.  383  schrieb  Ploß  mit  einem  Hinweis  auf  Hildebrandt, 
die  Mädchenbeschneidung  werde  bei  diesen  Völkern  und  bei  den  Wad- 
schagga  nach  dem  ersten  Zeichen  der  Pubertät,  d.  h.  im  8. — 10.  Jahre,  oder 
auch  später,  kurz  vor  der  Heirat  vor- 
genommen'). „Die  Operation  geschieht  durch 
Abschneiden  des  Praeputium  Clitoridis."  Die 
Beschneiderin  der  K  i  k  u  y  u-Mädchen  gebrauche, 
hierzu  eines  der  dort  gebräuchlichen  drei- 
eckigen Rasiermesser.  —  Vernähung  im  eigent- 
lichen oder  uneigentlichen  Sinn  komme  bei 
diesen  Völkern  Ostafrikas  nicht  vor  (I,  389). 

—  Bei  den  Wakamba  benutze  man  zur 
Mädchenbeschneidung  das  gleiche  Messer, 
welches  zur  vorhergehenden  Knabenbe- 
schneidung  verwendet  werde;  nur  biege  man 
die  abgerundete  Spitze  oben  am  Messer  um. 

—  Zum  Auffangen  des  Blutes  werde  bei  den 
Kikuyu  das  junge,  noch  unaufgerollte  Spitzen- 
blatt der  Banane  vorgehalten,  welches  dann 
samt,  dem  Fleische  verscharrt  werde.  —  Nach- 
dem sämtliche  Kandidaten  beider  Geschlechter 
beschnitten  seien  (vgl.  Knabenbeschneidung), 
führen  die  männlichen  Glieder  des  Stammes 
um  die  Burschen,  die  weiblichen  um  die 
Mädchen  einen  Tanz  auf;  man  hülle  die  auf 
der  Erde  sitzenden  Beschnittenen  so  in  Leder, 
daß  nur  der  Kopf  frei  bleibe,  die  Angehörigen 
schütten  ihnen  Ströme  von  Milch  über  Kopf 
und  Korper,  und  nun  gelten  die  jungen  Leute 
als    Erwachsene     und    Stammesmitglieder3). 

Mädchenbeschneidung  (neben  der  Knaben- 
beschneidung) erwähnte  Plo/ii)  mit  einem 
Hinweis  auf  Clemens  Denhardt,  ferner  bei 
den  englisch-ostafrikanischen  Wapokomo, 
einem  Nachbarvolk  der  Somali;  doch  sei  sie 
hier  nicht,  allgemein;  ferner  von  den 
dortigen  Waboni  und  Wasanja. 

Was    die    im    nördlichen    Deutsch- 
Ost  afrika   lebenden   Massai  und  Bakulia  betrifft,  so  hat  in  neuester  Zeit 
(191ü)  Max  Weiss  nicht  nur  über  deren   Knaben-,    sondern  auch  über  deren 
Mädchenbeschneidunjr  Wertvolles  berichtet: 


Fig.  308.  Mädchen  aus  den  ostafiikauischen 
Missionen  der  Väter  vom  hl.  Geist.   Sekre- 
tariat Knechtsteden,  Rheinprovinz. 


')  Über  diese  auf  S.  228. 

2)  Auf  S.  384  desselben  Bandes  schrieb  Ploß,  die  Töchter  der  Massai  und  Wakuafi 
werden,  „erst  kurz  nach  der  Verheiratung  beschnitten".  Das  gleiche  hatte  er  S.  382  ge- 
schrieben. —  Auf  S.  384  hatte  Ploß  ferner  bemerkt,  daß  bei  diesen  beiden  Völkern  eine  un- 
beschnittene Person  nicht  in  die  Gesellschaft  eintreten  könne,  und  daß  die  Knaben  schon  im 
3.  Jahr  beschnitten  werden. 

3)  Ploß  II,  437  f.  (nach  Hildebrandt). 
*)  2.  Aufl.  I,  362. 


228 


Kapitel   XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 


Die  Mädchenbeschneidung  findet  bei  den  Massai  meist  zwischen  12  und 

14  .Taliien  statt,  d.  h.  wenn  die  schon  vorher  im  Kriegerkraal  zügellos  lebenden 
Madchen  merken,  daß  ihre  Reife  herannaht.  Dann  verlassen  sie  den  Kraal, 
begeben  sich  zu  ihren  Müttern,  und  diese  verabreden  sich  untereinander  über 
den  Tag  einer  gemeinschaftlichen  Operation,  steht  eine  Knabenbeschneidnng 
bevor,  so  wartet  man  diesen  Tag  ab,  wählt  jedoch  einen  andern  Ort.  häufig 
die  mütterliche  Hütte.  Am  Tag  vor  der  Operation  rasiert  man  den  .Mädchen 
das  Kopfhaar  ab1).  Die  Beschneidung  besteht  im  Abtrennen  der  Klitoris, 
welche  vorher  mit  kaltem  Wasser  unempfindlich  gemacht  wird.  Während  der 
Handlang  sitzt  das  Mädchen  auf  einem  langen  schmucklosen  Lederschurz,  der 
nun  an  Stelle  der  bisherigen  Kleidung  tritt.  Als  Operateurin  fungiert  die  weise 
Kran:  die  unbedeutende  Wunde  wird  mit  Milch  gewaschen.  —  Beim  darauf- 


Fig.  809.    Massai-Weiber  und  Massai-Kinder.    Aufnahme  des  Kunstverlages  C     Vincenti  in  Daressalaam, 

Deutsch-!  Istafrika. 


folgenden  .Mahl  bewirten  die  Väter  der  Beschnittenen  sämtliche  Weiber  des  Kraals 
mit  Fleisch  und  Honigbier,  was  auch  beim  Beschneidungsmahl  der  Knaben  ge- 
reicht wird,    hie  Beschneidung  dieser  gilt  für  wichtiger  als  jene  der  Mädchen.  — 

Nach  Hildehrandt  verfiele  bei  den  Massai  jenes  Mädchen,  das  vor  der 
Beschneidung  ein  Kind  gebären  winde,  dem  Ted.  und  das  gleiche  Schicksal 
würde  das  Kind  ereilen. 

Die  Mädchen  der  ßakulia  werden  nach  .1/'"  Weiß  imAlter  von  9 — 12 
Jahren  beschnitten.  Auch  hier  sind  die  sogenannten  weisen  Frauen,  sonst 
Geburtshelferinnen,  die  Operateure.  Wie  für  die  Knaben  (vgl. diese),  so  wird 
für  tlie  Mädchen  ein  versteckter  Platz  in  der  Nähe  des  Dorfes  gewählt  Kein 
männliches  Wesen  darf  ihn  betreten.  Die  von  den  weisen  Frauen  gegebenen 
Lehren  beziehen  sich,  wie  dort,  besonders  auf  das  Geschlechtsleben,  doch  auch 
auf  sonstiges  Verhalten    für   die  Zukunft.     Diese  Frauen   bleiben   die  Berate- 


'i  Vgl.  die  llaarschur  nach  der  Beschneidung  bei  den  Bakulia  S.  229,  sowie  Kapitel  XXX  V. 


§  253.     Exstirpation,  Zirkumzision,  Infibulation,  Aufsckneidung  usw. 


229 


rinnen  der  Beschnittenen  für  das  spätere  Leben.  Die  Operation.  Abtrennen 
der  Klitoris,  findet  statt,  während  die  Mädchen  sitzen.  Unmittelbar  darauf 
folgt  das  Rasieren  des  Haupthaares1).  Die  Heilung,  welche  durch  nichts 
unterstützt  wird,  warten  die  Mädchen  in  den  Hütten  ihrer  Mütter  ab,  worauf, 
wie  bei  den  Knaben,  große  Tanzfeste  stattfinden,  und  zwar  auf  dem  Tanzplatze 
der  Knaben,  doch  ohne  daß  sich  die  Mädchen  unter  die  Gruppen  der  Knaben 
mischen.  Nach  der  Beschneidungsfeier  eröffnen  die  Mädchen  offiziell  den  ge- 
schlechtlichen Verkehr;  sie  empfangen  die  gewählten  Jünglinge  in  den  Hütten 
ihrer  Mütter. 

Zu  der  phantastischen  Ausstattung  der  beschnittenen  Mädchen  gehört 
unter  anderem  ein  Kürbistopf 2). 

Zirkumzision  der  Mädchen 
erwähnte  Plo/i:i)  von  den  Be- 
wohnern Londus  in  Uganda. 
englisches  Ostafrika,  welche  „von 
Westen  herstammen". 

Exstirpation  der  Klitoris 
ist  bei  den  Wagayo  gebräuch- 
lich. Die  Abbildung  eines  von 
dort  stammenden  Messers  zn  dem 
genannten  Zweck  ist  im  Ab- 
schnitt über  die  Knabenbeschnei- 
dung  eingereiht  worden. 

Die  hochfestliche  Beschnei- 
dung  der  Mandingo -Jugend 
beiderlei  Geschlechtes  mit  ein- 
tretender Pubertät,  französisches 
Nordwestafrika,  ist  im  Abschnitt 
Knabenbeschneidung  erwähnt 
worden.  Hier  sei  nur  beigefügt, 
daß  die  Mandingo  mit  der  Be- 
schneidung Fruchtbarkeit  der 
Ehe  bezwecken.  —  Die  jungen 
Mädchen  wurden  zu  Mungo ParJcs 
Zeit,  also  Ende  des  18.  Jahr- 
hunderts, oft  schon  während  der 
zweimonatlichen  Schlußfeier  ver- 
heiratet. 

Über  die  Mädchenbeschnei- 
dung der  Soninkes  (Sarakoles) 

zwischen  8ene°  a  I  und  Niger  bemerkte  Fernand  Daniel,  dessen  Mitteilungen  über 
die  dortige  Zirkumzision  der  12 — 13jährigen  Knaben  schon  früher  wiedergegeben 
worden  sind,  nur:   ,,L'  excision  se  pratique  plus  tot   chez  les  filles." 

Als  Alter  der  zu  beschneidenden  Mädchen  gibt  Daniel  „ungefähr 
14  Tage-  (quinze  jours  environ)  an.  -  -  Der  Altersunterschied  der  beiden 
Gesehlechter  ist  also  nach  Obigem  in  diesem  Punkte  auffallend.  Auch  der 
Zw  ick  ist  ein  verschiedener,  wenn  Daniel  ihn  wahrheitsgetreu  erfahren  hat; 
denn  er  schreibt:  „Mesure  d'hygiene,  la  circoncision  est  pratiquee  par 
tous  les  noirs*),   meme  fetichistes.  Quant  ä   l'excision,    son    principal   objet 

J)  Vgl.  Massai. 

-i   Der  Kürbis  tritt  in  der  Völkerkunde  wiederholte  Male  als  sexuelles  Symbol  auf. 

s)  2.  Aufl.   I.  374. 

4)  Daß  hygienische  Gründe  keineswegs  bei  „allen  Schwarzen"  die  einzigen  Gründe  für 
die  Beschneidung  des  männlichen  Geschlechtes  sind,  wenigstens  sofern  von  ihnen  Gründe  an- 
gegeben werden,  ist   aus  den  Mitteilungen  über  die   Knabeiibeschueidung  ersichtlich. 


Km  Massai- Mädchen   aus  dem  Missionsgebiet 
der  Vater  vom  hl.  Geist. 


230  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

est  de  refrener  les  ardeurs  genesiques  de  femmes  nees  sous  im  ciel 
trop  dement."  —  Als  Besclineideriii  fungiert  das  Weib  eines  Schmiedes,  was 
wohl  mit  dem  eigentümlichen,  teilweise  geheimnisvollen  Beruf  der  Schmiede 
in  der  Auffassung  verschiedener  Negervölker  zusammenhängen  dürfte.  — 
Einige  Stücke  einheimischer  Seife  und  ein  Mudd  (ungefähr  2  Kilo)  Hirse 
bilden  das  Honorar  der  Operateurin. 

In  Deutsch-Togo  sind  es  die  Yoruba- Stämme,  welche  ihre  Töchter 
vor  der  Verheiratung  oder  im  Alter  von  etwa  14—17  Jahren  der  Exzision 
unterwerfen.  Im  letzteren  Falle  führen  die  beschnittenen,  noch  unverheirateten 
Mädchen  ein  zügelloses  Leben.  Alte  Frauen  vollziehen  mit  denselben  Worten 
und  dem  gleichen  Bitus  wie  die  Männer  bei  den  Knaben1)  die  Operation. 
Auch  der  Ausschnitt  wird  auf  die  gleiche  Weise  wie  dort  begraben. 

Als  zugestandene  Vorbereitung  zur  Ehe  faud Arehibäld  Hewan  die  Mädchen- 
beschneidung in  Alt  Calabar,  englisches  Nordwestafrika.  Die  Operation, 
Amputation  der  Klitoris,  wird  mit  Eintritt,  der  Reife  an  einem  von  der 
Stadt  entfernten  Orte  von  einem  Weibe  mit  einem  Basiermesser  ausgeführt. 
Blutstillende  Mittel  sind  bekannt.  —  Findet  ein  Mann  nach  der  Verheiratung, 
daß  seine  Gattin  unbeschnitten  ist,  so  trennt  er  sich  von  ihr,  wie  das  Weib 
es  nach  einer  solchen  Entdeckung  an  ihrem  Gatten  macht.  —  Dnbeschnitten- 
sein  ist  also  bei  den  Negern  in  Alt  Calabar  ein  Scheidungsgrund. 

Vnii  den  Bantu  am  untern  Kongo  schreibt  der  Baptisten-Missionar 
/.  //.  Weeks,  dessen  Beschreibung  der  Knabenbeschneidung  wir  bereits  kennen: 
Auch  an  den  Mädchen  muß  eine  Operation  vorgenommen  werden,  aber  ich 
kann  darüber  keine  Auskunft  erhalten,  weil  es  ein  Geheimnis  ist.  das  der 
nganga  kumbi  und  die  Mädchen  bei  sich  behalten.  —  Alles  was  Weeks  er- 
fahren konnte,  war,  daß  für  die  Mädchen  auf  einer  Plattform  ein  Haus  er- 
richtet wird,  weil  die  Mädchen  in  dieser  Zeit  mit  dem  Erdboden  nicht  in 
Berührung  kommen  dürfen,  und  daß  sie  darin  3  —  4  Monate  zubringen,  singen 
und  tanzen.  Gelegentlich  komme  der  „nganga  kumbi''  und  unterrichte  sie  im 
Eheleben.  Die  Mütter  der  Mädchen  und  andere  Weiber  sagen  den  Kandi- 
datinnen, sie  könnten  keine  Kinder  bekommen,  wenn  sie  diese  „Operation 
oder  Zeremonie"  nicht  durchmachen  würden. 

J.  B.  DouriUe  berichtete  aus  Loanda,  portugiesisch  Südwestafrika,  daß 
dort  die  Mädchen  acht  Tage  vor  der  Hochzeit  beschnitten  weiden.  Der 
Zauberer  schließt  sich  in  dieser  Zeit  mit  der  Braut  in  einer  abgesondert 
gelegenen  Hütte  ein,  wo  er  die  Operation  ausführt.  Nach  Ablauf  der  acht 
Tage  wird  die  Braut  feierlich  von  ihren  Verwandten  abgeholt. 

In  der  2.  Auflage  hat  Floß  nach  Dapper  (17.  Jahrh.)  die  folgenden 
Beschneidungsbräuche  aus  einer  Landschaft  der  Guinea-Neger  erwähnt  Sie 
hätten  ihren  Ursprung  in  Gale  (?)  genommen  und  seien  zu  Dappers  Zeil  auch 
in  Polgia  und  Ouoja  gebräuchlich  gewesen.  Die  Stelle  lautete  bei  I'lofi: 
..Man  bring!  zehn-  oder  zwölf-,  auch  wohl  mehrjährige  Töchter,  als  auch  Frauen 
an  einen  sonderlichen  abgeschiedenen  Ort  in  einen  Busch,  nicht  weit  vom  Dorfe; 
da  die  Männer  ihnen  erst  Wohnungen  gemacht,  und  danach  eine  Frau  aus 
Gola2)  kommen  hissen,  welche  sie  So»iiwilly  nennen.  Diese  Soghwilly,  welche 
als  eine  l'iiesterin  ist.  gibt  der  Versammlung  Hühner  zu  essen,  welche  sie 
II  iiliner  des  Hundes  nennen,  weil  sie  dadurch  verbunden  werden,  allda  zu 
bleiben.  Danach  scheret  man  ihnen  das  Haar  mit  einem  Schermesser 
und  bringl  sie  des  andern  Taues  an  einen  Fluß  im  Busche;  da  zur  Stunde 
die  gemelte  Priesterin  die  Beschneidang  verrichtet:  nämlich  eine  muß 
die  andere   festhalten,  und  die   Priesterin  zieht   und  schindet  den  Kitzel  der 

'  i  Siehe  diese. 

-i   Ein  Gola   befindel    sich  in  Andrces  Handatlas   östlich   von  Loanda,   portugiesisch 
i  iko.     Vi.  lieses  Gola  das  obige  (i  ale. 


§  253.     Exstirpation,  Zirkumzision,  Infibulation,  Aufsehneidung  usw.  231 

Wollust  aus  der  Scham,  welches  überaus  blutet  und  selir  schmerzet.  Nach  der 
Beschneidung  heilt  die  Priesterin  die  "Wunden  mit  grünen  Kreutern,  welches 
zuweilen  kaum  in  10  oder  12  Tagen  geschieht.  Gleichwohl  bleiben  sie  allda 
3 — 4  Mohnden  beieinander  und  lernen  unterdessen  Tänze  und  Lieder  usw." 

Mädchenbeschneidung  finden  wir  ferner  bei  den  Bamangwato.  Maka- 
tisses  und  andern  Betschuanen-Stämmen  im  südlichen  Afrika. 

Bei  den  Bamangwato  wird  sie  an  14jährigen  Mädchen  vorgenommen. 
Diese  ziehen  bei  dieser  Gelegenheit  phantastisch  gekleidet  umher,  wobei  sie 
eine  Geißel  mit  Dornenzweigen  schwingen,  die  gleichaltrigen  Burschen  ver- 
folgen und  peitschen.    "Wer  diese  Marter  ruhig  hinnimmt,  gilt  als  reifer  Mann. 

Von  den  Makatisses  hat  Di  legorgue  Mädchenbeschneiduno-  zur  Pubertäts- 
zeit erwähnt.  Plo/i.  der  diesen  zitierte,  fügte  bei,  daß  die  Betschuanen 
(überhaupt?),  ähnlich  den  Kiffern,  die  Beschneidung  als  nationales  Fest  feiern. 
—  Bei  den  Amakosa-Kaffern  gelten  die  Kinder  bis  zur  Beschneidung 
für  unrein ').  — 

Auf  Java  und  anderen  Inseln  des  malayischen  Archipels  unterwirft 
man  die  Mädchen  der  Besclmeidung  zur  Zeit  des  zweiten  Zahnens.  Die 
Operation  besteht  nach  F.  Epp '-')  in  der  Beschneidung  der  Nymphen.  Als 
Grund  dieser  Operation  ist  in  der  2.  Auflage  die  bedeutende  Größe  und  Er- 
schlaffung der  Schamteile  genannt;  beides  werde  durch  die  dort  herrschende 
Onanie  und  große  Tätigkeit  der  Geschlechtsteile  herbeigeführt.  Bei  „manchen 
der  mohammedanischen  Malayen"  fand  Epp3)  auch  Infibulation  vor.  Ob  diese 
von  den  Muselmanen  aus  Tegu  im  südlichen  Burma  (Hinterindien)  hierher 
übertragen  wurde,  wie  Ploji  vermutete,  kann  ich  nicht  entscheiden.  Ploß 
selbst  meinte  übrigens  auch,  sie  könne  im  malayischen  Archipel  ebensogut 
autochthon   sein 

Aus  Pegu  lautet  Lindschottens  Bericht  in  J.  v.  Brys  Übersetzung  wie 
folgt:  „Man  findet  etliche  bei  ihnen,  so  ihren  Töchtern,  wenn  sie  geboren 
werden,  ihre  Scham  zunähen  und  ihnen  nur  ein  klein  Löchlein  lassen,  dadurch 
sie  ihr  jungfrauwlich  "Wasser  abschlagen  mögen;  wenn  sie  dann  erwachsen, 
und  verheyrat  werden,  so  mag  sie  der  Bräutigam  wiederumb  aufschneiden  so 
groß  und  so  klein,  als  er  vermeinet,  daß  sie  ihm  eben  recht  sey4)". 

Wir  haben  hier  also  wieder  den  uns  von  Afrika  her  wohl  bekannten 
Brauch,  wenn  auch  in  Indien  nicht  so  allgemein  geübt,  wie  im  östlichen  Afrika. 

.7".  Kögel  erwähnte  aus  Java  ein  mit  der  Mädchenbeschneidung  (Botong- 
itell)  verbundenes  Fest. 

Über  Celebes  schrieb  J.  G.  F.  Riedel  daß  in  den  dortigen  Landschaften 
Holontala.  Bone.  Boalemo  und  Katinggola  die  Mädchen  in  ihrem  9.  oder 
12.  oder  15.  Jahr  beschnitten  werden.  Diese  Handlung  bezeichne  man  als 
„mopolihoe  olimoe"  (mit  dem  Citrus  histrix  gebadet  werden).  "Wie  mit  der 
Knabenbeschneidung,  so  seien  auch  mit  der  Mädchenbeschneidung  große 
Festlichkeiten  verbunden,  obgleich  man  das  Festessen  für  diese  weniger  kost- 
spielig als  für  jene  gestalte.  —  Die  Operation  wird  von  weiblichen  Personen 
vollzogen. 

Daß  auf  der  Molukkeninsel  Buru  gleichfalls  Mädchenbeschneidung 
&bli<  h  ist,  wurde  im  Abschnitt  bei  der  Knabenbeschneidung  angedeutet. 

Bei  den  Stämmen  im  Innern  von  Australien  bildet  das  Einreiben 
der  Brüste  mit  Fett  und  rotem  Ocker  die  erste  der  Initiations-Zeremonien 
■des  weiblichen  Geschlechtes.     Die  zweite  Zeremonie  besteht   im  Öffnen  der 


J)  Vgl.  die  gleiche  Auffassung  bei  den   Kikuyu. 
2i  Bei  Ploß  I.  380. 
3i  Nach  Ploß  I.  386. 

*)  Bei   Ploß-Bartels,    „Das    Weib",   8.  Aufl.   I,   253   wird   an   Limhchottrns   Mitteilung 
gezweifelt,  weil  sieh  der  Brauch  bei  anderen  Forschungsreisenden  nicht  erwähnt  finde. 


232  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Vagina,  welches  der  Subinzision ')  des  männlichen  Geschlechtes  entspricht  und 
als  atna  ariltha  kuma2)  bezeichnet  wird.  Die  erste  Zeremonie  entspricht 
nach  Spencer-Gillens  Ansicht  dem  Bemalen  und  in  die  Luft  werfen  der  jungen 
Burschen.     Die  Zirkumzision  dieser  hat  bei  den  Mädchen   keine  Parallele*). 

Bei  allen  von  Spencer- Grillen  beobachteten  Stämmen,  von  den  l'rabunna 
im  Süden  bis  zur  Westküste  des  Golfes  von  Carpentaria,  wird  das  Mädchen 
nach  der  atna  ariltha  kuma  bestimmten  Männern  zur  Verfügung  gestellt  und 
dann  ihrem  eigentlichen  Ehemann  übergeben,  der  sie  aber  auch  wieder  her- 
leihen muß. 

Was  die  Einzelheiten  dieser  Operation  betrifft,  so  stimmen  sie  der  Haupt- 
sache nach  bei  den  verschiedenen  Stämmen  überein.  Das  Alter  der  Mädchen 
ist  gewöhnlich  14  oder  15  Jahre.  Ist  bei  den  nördlichen  Arunta  und 
Ilpirra  diese  Zeit  gekommen,  dann  bespricht  sich  der  ihr  zugesprochene 
Mann  mit  seinen  unkulla4),  welche  zusammen  mit  anderen  Männern,  unawa5) 
genannt,  und  einem  alten  ipmunna6),  das  Mädchen  in  den  Wald  hinausnehmen. 
Der  letztere  berührt  hier  die  Schamlippen  des  Mädchens  mit  einem  Churinga. 
um  zu  starke  Blutung  zu  verhindern,  worauf  er  die  Operation  mit  einem  Stein- 
messer ausführt.  Nach  der  Operation  verbinden  sich  diese  sämtlichen  Männer 
in  der  Reihenfolge:  ipmunna,  unkulla  und  unawa  mit  dem  Mädchen.  Hierauf 
wird  dieses  von  dem  ipmunna  mit  Pelzstreifen,.  Rattenschwänzen  usw.  geschmückl 
und  in  das  Laser  des  ihr  als  eigentlichen  Ehemann  zugedachten  Mannes  ge- 
bracht,  der  sie  den  gleichen   Männern  abermals  zur  Verfügung  stellen  kann. 

Im  Illiaura-Stamm  haben  außer  den  oben  erwähnten  Männern  auch 
die  okilia  und  itia,  d.  h.  die  älteren  und  jüngeren  Stammesbrüder,  Zutritt  zur 
Operierten.  Die  leiblichen  Brüder  des  Mädchens  sind  ausgeschlossen.  —  Im 
Kait  isch-Stamm  vollzieht  eine  ältere  Schwester  des  Mädchens  die  Operation, 
und  die  Brüder  der  Großmutter  mütterlicherseits,  sowie  die  älteren  und 
jüngeren  Stammesbrüder,  ferner  die  Brüder  der  Mutter  und  die  gesetzmäßigen 
Gatten  der  Operierten  verbinden  sich  mit  ihr.  — 

Im  Warramunga-Stamm  nimmt  eine  ältere  Schwester  das  zu  operierende 
Mädchen  mit  auf  einen  bestimmten  Platz  nahe  dem  Lager,  indem  sie  sagt: 
„Komm  mit  mir,  wir  wollen  miteinander  Corrobboree  Liehen7)."  Auf  dem 
Platze  angekommen,  wird  das  Mädchen  von  ihrer  Schwester  querüber  auf  drei 
Stammesbrüder  gelegt,  von  denen  zwei  ihre  gesetzmäßigen,  der  dritte  ihr 
eigenster  Gatte  ist.  und  welche  drei  dicht  nebeneinander  liegen.  Die  Operation 
vollzieht  liier  der  Sohn  der  Tante,  also  der  Vetter  des  Mädchens  väterlicher- 
seits, und  zwar  so.  daß  alle  Männer  und  Weiber  es  vom  nahen  Lager  aus 
sehen  können.  Nur  die  eigenste  Schwiegermutter  und  deren  Brüder  dürfen 
es  nicht  sehen.  Nach  der  Operation  wird  das  Mädchen  mit  Schnüren  (strings), 
Kopf-,  Hals-  und  Armbändern  geschmückt,  die  sie  später  ihrem  Vater  und 
ihrer  Mutter  schenkt.  Dann  wird  sie  von  ihrem  eigensten  Verlobten,  d.  h. 
von  dem  Manu,  dessen  Eigentum  sie  wird,  in  sein  Lauer  genommen,  wo 
beide  an  zwei  entgegengesetzten  Seiten  des  Feuers  schlafen,  ohne  zusammen- 
zukommen. An  den  folgeuden  2  3  Morgen  wird  sie  von  diesem  Mann  in  den 
Wald  genommen  und  am  ganzen  Körper  mil  Fett  und  rotem  Ocker  eingerieben, 


i.  Pura-ariltha-kuma  (pura  =  penis).    Verhinderung  der  Befruchtung  bezweck!  <lie  Sub- 
inzisi  i    Grillen  nicht. 

\ii:i       vulva,  kuma  =  schneiden  (Spencer-Gülen,  The  Northern  Tribes,  133) 
>)    i  al  Tribes  of  Central  Australia,  869ff.     London  1890. 

1 1  Söhne  der  Schwester  seines   \  aters. 

Gesetzmäßige  Gatten  des  Mädchens.     (Über  das  Familienleben  dieser  Stamme  mehr 
in  Kapib  i   I.X.i 

0)  l;  I  Iroßmutter  mütterlicherseits. 

and   1  walk  along  corrobboree." 


§  253.     Exstirpatioa,  Zm-kurnzision,  Infibulation,  Aufsehneiduug  usw.  233 

Verbinden  dürfen  sie  sich  aber  nicht.  —  Das  Mädchen  sammelt  Gras,  Samen, 
Yams  usw.  und  bringt  das  ihrer  Mutter  und  älteren  Schwester.  Diese  binden 
ihr  (dafür)  ein  kurzes  Schürzchen  aus  Schnüren  (string  apron),  das  Zeichen 
einer  Verheirateten  des  Stammes,  um.  Nach  dieser  Zeit  verbindet  sich  das 
Mädchen  während  zweier  Nächte  mit  ihrem  Großonkel  mütterlicherseits,  mit 
den  Söhnen  ihrer  Tante  väterlicherseits,  mit  ihrem  Großvater  väterlicherseits, 
mit  ihren  jüngeren  und  älteren  Stammesbrüdern  (ihre  leiblichen  Brüder  aus- 
geschlossen) und  mit  ihren  gesetzmäßigen  Männern.  Erst  dann  wird  sie  der 
Besitz  ihres  eigensten  Mannes. 

"Wesentlich  das  gleiche  ist  der  Brauch  bei  den  folgenden  Stämmen: 
Worgaia,  Bingongina,  Wulmalla,  Tjingilli,  Umbaia  und  Walpari. 
mit  der  Ausnahme,  daß  hier  der  Vater  des  eigentlichsten  Gatten  des  Mädchens 
als  Operateur  auftritt. 

Ähnlich  ist  es  bei  den  Binbinga,  Auula  und  Mara,  wo  das  Mädchen 
während  der  Operation  auf  ihrem  künftigen  eigentlichsten  Manne  liegt.  Hier 
findet  die  Operation  schon  vor  Eintritt  der  Reife  statt,  und  bis  dahin  darf 
keine  Kopula  vorkommen.  Nach  eingetretener  Reife  wird  das  Mädchen  von 
ihrem  versprochenen  Ehemann  den  Söhnen  ihrer  Tanten  väterlicherseits,  ihren 
gesetzmäßigen  Gatten  und  den  Söhnen  ihres  Onkels  mütterlicherseits  zur  Ver- 
fügung gestellt.  Das  Gleiche  geschieht  bei  den  Gnanji,  bei  denen  aber  der 
Onkel  des  Mädchens  mütterlicherseits  die  Operation  ausführt.  — 

Folgende  australische  Formen,  die  Vagina  der  Mädchen  zu  öffnen,  hat 
Ploß  in  der  2.  Autlage1)  referiert:  Wenn  am  Peake-Fluß,  Süd-Australien, 
einem  jungen  Mädchen  die  Brüste  schwellen  und  sich  ein  Haarwuchs  zeigt, 
so  wird  sie  von  einer  Anzahl  älterer  Männer  an  einen  einsamen  Ort  geführt, 
Dort  wird  sie  niedergelegt;  ein  Mann  hält  ihre  Arme,  zwei  andere  die  Beine; 
der  vornehmste  darunter  führt  dann  zunächst  einen  Finger  in  die  Vagina. 
dann  zwei,  zuletzt  viel-.  Zurückgekehrt  in  den  Lagerplatz,  kann  das  arme 
Ding  infolge  der  Mißhandlung  3 — 4  Tage  den  Platz  aus  Schmerz  nicht  ver- 
lassen. Sobald  es  ihr  möglich  ist,  geht  sie  fort,  wird  aber  von  den  Männern 
in  jeden  Winkel  verfolgt  und  111111!  sich  den  Koitus  von  4—6  aus  ihnen  ge- 
fallen lassen.  Dann  aber  lebt  derjenige,  mit  dem  sie  als  Kind  versprochen 
worden  war,  mit  ihr  als  Gattin.  Bei  den  Einwohnern  von  Charlotte  Waters 
und  Alice  Springs  besteht  dieselbe  Sitte,  doch  gebraucht  man  hier  zur 
Zerstörung  des  Hymen  (zur  Deflorierung)  einen  Stein  und  an  Stelle  der  Finger 
einen  Stock.  — 

Die  Deflorierung  der  Töchter  vornehmer  Familien  im  alten  Mexiko  ist 
im  ^  252  erwähnt  worden. 

Von  den  Conibos.  einem  Zweig  der  Pano-Indianer  im  nordöstlichen 
Peru,  meldete  Alfred  Reich  und  Felix  Stegelmann  Zirkumzision  und  Öffnung 
der  Vagina  nach  einer  uns  von  Afrika  her  bekannten  Methode.  Sobald  ein 
Mädchen  zur  Reife  gelangt  ist,  wird  ein  Fest  veranstaltet,  bei  dem  der 
Maschato,  ein  aus  Maniokwurzeln  gekautes  berauschendes  Getränk,  eine  große 
Rolle  spielt.  Das  Mädchen  wird  bis  zur  Sinnlosigkeit  trunken  gemacht  und 
dann  der  Operation  unterzogen.  Ein  altes  Weib  führt  sie  in  Gegenwart  des 
tobenden  Stammes  mit  einem  Bambusniesser  aus.  während  das  Mädchen  auf 
drei  Pfählen  ausgespannt  liegt.  Sie  umschneidet  den  Introitus  vaginae,  trennt 
das  Jungfernhäutchen  von  den  Schamlippen  Ins  und  legt  damit  die  Klitoris 
frei.  Hierauf  bestreicht  sie  die  blutenden  Teile  mit  Medizinkräutern  und  führt 
nach  einer  Weile  einen  aus  Lehm  geformten  und  etwas  befeuchteten  Penis. 
der  jenem  des  Verlobten  in  der  Größe  genau  entsprechen  soll,  in  die  Scheide  ein- 
Nun  kann  die  Braut  ihrem  Bräutigam  ausgeliefert  weiden. 

!)  I.  376. 


234  Kapitel  XXXVIII.     Sexuelle  Operationen. 

Teilweise  stimmt  diese  Beschreibung  mit  jener  überein,  welche  PJoß  in 
der  zweiten  Auflage  mit  einem  Hinweis  auf  E.  Grandidier  und  v.  Martins 
von  den  Chunchos  ,.oder"  Campas1)  gegeben  hatte  und  welche  folgender- 
weise lautet: 

„Die  Indianer  in  Peru  am  Flusse  Ucayali,  welche  man  mit  dem  Namen 
Chunchos  bezeichnet  (auch  Campas),  üben  bei  den  Mädchen  von  10  Jahren 
ebenfalls  die  Zirkumzision  aus.  Bei  dieser  Gelegenheit  kommen  die  Nachbarn 
mit  vollem  Schmucke  angetan  zusammen  und  bereiten  sich  7  Tage  lang 
durch  feierliche  Gesänge  und  Tänze  zu  dem  Feste  vor,  wobei  sie  in  reichlicher 
Menge  die  berauschende  Chicha,  aus  Manioc  bereitet,  genießen.  Am  achten 
Tage  wird  das  Mädchen  durch  eine  starke  Gabe  des  gegorenen  Manioc 
belauscht  und  unempfindlich  gemacht;  in  diesem  Zustande  vollbringt  eine  alte 
Frau  an  ihr  die  Operation.  Durch  einfache  Übergießungen  stillt  mau  die 
Blutung.  Alsbald  beginnen  wieder  die  Gesänge  und  Tänze:  dann  legt  man 
das  Opfer  in  eine  Hängematte  und  trägt  es  von  Haus  zu  Haus.  Durch  die 
Zirkumzision  ist  das  junge  Mädchen  unter  die  Frauen  aufgenommen." 

Von  den  Panos  „der  Landschaft  Maynas"  (nach  Plofi  im  heutigen 
Ecuador)  erfuhr  übrigens  schon  Missionar  Franz  Xavier  Vci<j!  im  1«.  Jahr- 
hundert, daß  sie  früher  Mädchenbesehneidung  übten.  Als  Grund  gaben  sie 
an,  man  habe  beschnittene  Weiber  für  ihreTi  natürlichen  Beruf  geschickter 
gehalten. 

Die  Zirkumzision  der  Mädchen  bei  den  Ticunas  am  oberen  Solimoes 
ist   mit  der  Zirkumzision  der  dortigen  Knaben  erwähnt  worden.  - 

§  254.     Operative  Eingriffe  in  die  Eierstöcke. 

In  Australien,  diesem  Land  geschlechtlicher  Verstümmelungen  und 
Mißbräuche  xar  Hoyj^,  sind  auch  operative  Eingriffe  in  die  Eierstöcke  un- 
reifer Mädchen  nachgewiesen  worden. 

In  der  2.  Auflage  zitierte  Plo/i  von  Mihhicho-Maclays  Mitteilung  aus 
dem  Jahre  1882,  daß  in  Australien  von  Zeit  zu  Zeit  jungen  Mädchen  die 
Ovarien  exstirpiert  werden,  um  für  die  jungen  Männer  eine  besondere  Art 
Hetären  herzustellen,  die  nie  Mutter  werden  können2).  —  Ein  Berichterstatter 
habe  ein  solches  Mädchen  unter  den  Eingebornen  am  Parapitschuri-See 
mit  länglichen  Narben  in  der  Leistengegend  und  mit  knabenhaftem  Aussehen 
getroffen3). 

Bei  einigen  Stämmen  in  Zentral-Australien  werden  übrigens  die 
Ovarien  nicht  durch  Öffnungen  an  der  Leistengegend,  sondern,  wie  Purcell 
im  Jahre  1893  berichtete,  durch  eine  „viel  schrecklichere  Verstümmelung'' 
entfernt,  d.  h.  man  reißt  10 — 12jährigen  Mädchen  mittels  einer  Rolle  von 
Emu-Federn  und   einer  daran   befestigten  Haarschnur  einen  Teil  der  Gebär- 

1)  Floß  schrieb  I,  382:  ,,  .  .  .  den  Chunchos  oder  Campas"  und  S.  385:  „Die 
Indianer  in  Peru  am  Flusse  Ucayali,  welche  man  mit  dem  Namen  Chunchos  bezeichnet  (auch 
i'ainpas)."  Nach    Amlrccs   Handatlas    (Ausgabe    Scobel,    1899)    wären    aber    diese    beiden 

Völker  nicht  identisch,  sondern  die  Campas  wären  am  Ucayali,  die  Chunchos  am  Madre  de 
Dios.  —  Die  Conibos  sind  nach  Andree  nördlich  von  den  Campas  zwischen  dem  Ucayali 
und  dem   Huallaga. 

ibliche    Eunuchen    traf   Roberts    in    Vorderindien.      Da    er    ihr    Alter    aber 
auf   ca.  25  .lahre   angab    und   .Näheres   über   die  Operation    nicht    vorliegt,    kann  „Das   Kind" 
iinuchen  absehen. 

i    dlich    ist,    daß    dem    von    John  Mac  OÜlivray    am  Cap   York    gesehenen 

Weib   dii  iisg. schnitten  wurden   sein  sollen,   weil   sie  stumm  war  und  weil  man  keine 

stummen    Nachkommen    haben    wollte.     Der  Kiudermord   ist    unter   den   Australiern 

noch  in  üppiger  Blüte,  und  kein   Eingeborner  braucht  wegen  Kindsmord  von  seinem  Stamme 

ten. 


§  254.     Operative  Eingriffe  in  die  Eierstöcke.  235 

mutter  durch  den  Mutterhals  heraus,  führt  hierauf  ein  kleines  Steinmesser 
ein  und  inzidiert  damit  den  Mutterhals  horizontal  und  vertikal.  —  Die  Operateure 
sind  alte  Männer.  —  Nach  Heilung  der  Wunden  schneiden  alte  Weiber  dem 
Mädchen  erst  die  Vagina  für  die  Mika,  den  aufgeschlitzten  Penis  der  Männer, 
gegen  den  After  hin  auf  (siehe  Mika-Operation  bei  Knabenbeschneidung)1).  — 
Der  von  Pureell  angegebene  Zweck  der  obigen  Operation  scheint  im  Grund 
den  gleichen  'Widerspruch  mit  dem  in  Australien  erlaubten  und  häufigen 
Kindsmord  zu  enthalten,  wie  die  schon  früher  mitgeteilte  Begründung  der 
Mika-Operation  und  die  Kastration  der  Stummen  auf  S.  234,  Anm.  3,  d.  h.  der  von 
Pureell  bezeichnete  Zweck  lautet2):  „Vorzubeugen,  daß  die  Frau  fremden 
Stämmen  Kinder  gebäre  und  durch  das  Tragen  von  Kindern  behindert  werde, 
das  trockene  und  wenig  Nahrung  bietende  Land  zu  durchziehen.'"  —  Wo  die 
Schwangere  bis  zur  Niederkunft  ihre  gewöhnliche  Arbeit  leisten  muß,  und  wo 
das  Kind  ungestraft  gleich  nach  der  Geburt  getötet  werden  kann,  klingt 
eine  solche  Begründung  zweifelhaft.  Bei  der  außerordentlich  komplizierten 
Geschlechtssymbolik  der  Zentralstämme  Australiens  dünkt  es  mir  vielmehr 
wahrscheinlich,  daß  sowohl  der  Mikaoperation  (welche  ja  nach  Spencer  und 
Oillen  eine  Verhinderung  der  Befruchtung  nicht  bezweckt)  als  auch 
der  Exstiipation  der  Eierstöcke  ein  uns  noch  unbekannter  Grund  und 
Zweck  unterliege.  Da  die  Mikaoperation  nach  Sipencer-Gillen  zudem  ein 
allgemeiner  Brauch  bei  verschiedenen  Stämmen  ist,  so  werden  wir  annehmen 
müssen,  daß  das  Aufschneiden  der  Vagina  nicht  nur  nach  der  obigen 
Exstirpation  der  Ovarien,  sondern  bei  den  gereiften  Mädchen  der  im 
vorigen  Paragraph  erwähnten  .Stämme  überhaupt  den  Zweck  hat,  dem 
Mika-Operierten  die  Verbindung  zu  ermöglichen.  Somit  müßte  vor 
allem  der  Sinn  der  Mika-Operation  gefunden  werden.  — 


')  Eine  derartig  Operierte  heiße  Eurilthas;   eine    deren  Vagina  halb  eingeschnitten  ist 
^ohue  andere  Verstümmelung)  „Woridoh  Windee's". 

*)  Bei  Ploß-Bartels,  „Das  Weib",  8.  Aufl.  I,  295. 


Kapitel  XXXIX. 

Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

§  25Ö.  Im  Leben  des  Menschen  hat  das  Kinderspiel  eine  nicht  zu 
unterschätzende  Bedeutung.  Manch  frohe  Erinnerung  im  späteren  Leben 
knüpft  sich  an  jene  Augenblicke,  iu  welchen  wir  uns  scherzend  mit  unseru 
spielenden  Altersgenossen  tummelten;  willig  unterwarfen  wir  uns  damals  den 
Spielgesetzen,  die  sich  das  kleine  Völkchen  teils  selbst  gegeben,  teils  aus  alter 
Zeit  empfangen  hatte. 

Rochholz  fährte  eine  Reihe  hervorragender  Persönlichkeiten  an.  welche 
das  Spiel  der  Kinderwelt  beobachtet,  oder  selbst  nochmals  mitgemacht  und 
weiter  ausgebildet  haben.  Männer,  die  einstanden  für  die  Wahrheit  des 
Sehillerschen  Wortes,  es  liege  oft  hoher  Sinn  im  kindlichen  Spiele.  —  Leib'i 
wies  auf  die  Erfindungskraft  hin,  die  in  manchen  Spielen  steckt:  er  selbsl 
Hieb  das  Grillenspiel;  HeraMit  ordnete  am  Dianentempel  zu  Ephesus  die 
Knabeiispiele:  SoJcrqtes  machte  sie  zu  Athen  mit.  Cosimo  dei  Medici  ver- 
besserte seinem  Enkel  auf  öffentlichen!  Platze  die  Pfeife;  Gustav  Adolf  spielte 
mit  seinen  Offizieren  Blindekuh;  Wallis  betrieb  das  Ringelspiel  und  schrieb 
eine  Abhandlung  darüber1);  Lavater  erfand  das  Spiel  mit  Bausteinen9).  Her 
spartanische  König  Agesilaos  ritt  mit  Kindern  auf  einem  stecken:  Heinrieh  IV. 
von  Frankreich  diente  den  seinigen  selbst  zum  Reitgaul  und  rutschte  mit 
ihnen  im  Zimmer  umher. 

Kaiserin  Katharina  II.  von  Rußland  schrieb  einst  an  ihre  Freundin, 
Fnin  von  BielJce  in  Hamburg:  ..Sowie  ich  nur  immer  konnte,  habe  ich  ge- 
lacht, und  ich  schwöre  Ihnen,  dal.»  ich  noch  jetzt,  wo  doch  die  ganze  Last 
meines  Standes  auf  mir  liegt,  abends  aus  Herzenslusl  mit  meinem  Sohne  Blinde- 
kuh spiele.  Wir  sagen  /.war.  es  geschehe  der  Gesundheit  halber,  unter  uns 
gesprochen,  geschieht  es  indes  nur.  um  Possen  zu  treiben." 

Die  Neigung  zum  spiel  offenbart  sich  im  Kinde  bald,  wenn  man  dessen 
Reaktion  auf  die  ihm  gebotenen  Spielsachen  „Spiel"  statt  ..Arbeit-  nennen 
will.  Wenn  das  Kind  zu  tasten  beginnt,  sucht  es  zunächst  diejenigen  Dinge 
zu  fassen,  die  ihm  in  die  Augen  fallen,  oder  die  Ohren  affizieren.  Es  reagiert 
auf  die  Töne  der  Klapper,  auf  den  Glanz  eines  bunten  Gegenstandes,  den  man 
ihm  vorhält;  es  fängt  auch  an.  sich  dieser  Dinge  zu  bemächtigen,  schwingt 
mit  Wohlgefallen  die  Klapper  tun  und  her,  auf  deren  Töne  es  lauscht.  Hängt 
man  ihm  Ringe  und  ähnliche  Dinge  über  seinem  Bettchen  auf.  so  pendelt  es 
sie  hin  und  her  und  freul  sich,  daß  es  die  Sachen  bewegen  kann. 

Diesem  Trieb  des  Kindes  zur  Tätigkeil  scheinen,  so  weit  das  mir  vor- 
liegende  .Material    reicht,  alle   Völker   Rechnung  zu  tragen    und   die  dabei  ent- 


'i  7'/,v;.  2.  Aufl.   II. 

Kenntnis   von   den   chinesischen  Spielen  mit  Hausteinen.    Siehe 
im  folgenden   Kapil 


§  255.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug.  237 

faltete  Tätigkeit  des  Kindes  als  Spiel  aufzufassen,  da  sie  ja  jenen  Nutzen, 
welchen  die  Arbeit  Erwachsener  bringt,  regelmäßig-  nicht  bewirkt,  auch  aus 
freier  Wahl  und  mit  Lust  unternommen  und  durchgeführt  wird,  was  bei 
der  Arbeit  im  engeren  Sinne  keineswegs  immer  der  Fall  ist. 

Aber  des  Kindes  Spiel  ist,  weil  großenteils  eine  Nachahmung-  der 
Arbeit  seiner  erwachsenen  Umgebung,  großenteils  eine  lustvolle 
Selbsteinführung-  in  den  späteren  Pflichtenkreis. 

Hierher  gehört  das  Puppenspiel  der  Mädchen  mit  dem  mehr  oder 
weniger  primitiven  oder  verfeinerten  Puppenhaushalt.  Was  das  Töchterlein 
seine  eigene  Mutter  und  die  übrigen  in  seinen  Erfahrungskreis  kommenden 
Frauen  tun  und  lassen  sieht,  das  ahmt  es  seiner  Puppe  oder  seinen  lebenden 
Spielgenossen  gegenüber  nach.  Seine  meiste  Erfahrung  hat  es  bisher  im  Kreis 
der  Familie  gewonnen,  und  deshalb  spielt  es  am  liebsten  Familienleben. 

Zu  diesem  naturgemäßen  Umstand  kommt  freilich  häufig  auch  ein 
gewissermaßen  künstlich  geschaffener,  d.  h.  man  gibt  dem  Mädchen  aus- 
schließlich, oder  doch  hauptsächlich  Spielsachen,  welche  sich  auf  das  häus- 
liche Leben  beziehen,  oder  welche  nach  der  Ansicht  seiner  erwachsenen  Um- 
gebung- für  Mädchen  passend  sind,  und  dazu  gehört  eben  die  Puppe,  welche 
wir  in  diesem  und  im  folgenden  Kapitel  schon  im  alten  Ägypten,  Griechen- 
land und  Rom,  sowie  im  deutschen  und  schwedischen  Mittelalter  finden.  Sehen 
wir  uns  bei  Völkern  der  Gegenwart  um,  so  erblicken  wir  sie,  abgesehen  von 
den  europäischen  und  amerikanischen  Kulturvölkern  weißer  Rasse1),  bei  den 
Haussa  im  westlichen  Sudan,  bei  Kamerun-  und  Kongonegern,  auf  Madagaskar 
und  den  Hawaii-Inseln,  in  China,  Japan  und  Siam,  bei  den  Golden  an  der 
asiatischen  Ostküste,  den  Tschuktschen  im  nordöstlichsten  Sibirien,  den  Ost- 
jaken  und  den  Eskimos,  sowie  bei  verschiedenen  Indianervölkern  in  Nord-  und 
Südamerika. 

So  wenig  aber  der  Wirkungskreis  einer  Hausfrau  und  Mutter  sich  auf 
die  direkte  Pflege  ihres  Kindes  beschränkt,  so  wenig  begnügt  sich  ihr  Töckter- 
lein  mit  dem  Puppenspiel.  Ein  ganzer  Haushalt,  und  alles  was  diesen 
beeinflußt,  wird  spielend  geschaffen,  überblickt  und  geführt,  Je 
«eitei-  der  Wirkungskreis  der  erwachsenen  Umgebung,  und  je  weiter  der 
dem  Kinde  durch  Worte  oder  Lektüre  gestattete  Einblick  in  die  große  Welt, 
desto  reichhaltiger  sein  Spiel. 

Bei  Völkern  auf  verhältnismäßig  niederen  Kulturstufen,  deren  Leben 
vornehmlich  in  Beschaffung  und  Genuß  materieller  Werte  aufgeht,  sehen  wir 
die  Kinderschar  das  gleiche  tun.  Spielend  bauen  Knaben  und  Mädchen  Hütten 
und  Kraale,  legen  kleine  Gärten  und  Pflanzungen  an  und  bebauen  sie.  Knaben 
fertigen  sich  Handwerkszeug  und  Waffen:  Bogen,  Pfeile,  Speere,  Lanzen, 
Schwirrhölzer,  Schleudern,  Blasrohre  u.  dgl.,  wenn  sie  sie  nicht  von  ihrem 
Vater  erhalten,  gehen  auf  den  Fischfang,  legen  Leimruten  und  Schlingen, 
um  Vögel  und  kleine  Vierfüßler  zu  erbeuten,  bauen  Schiffe  usw.  usw.2) 

Auch  das  Stammesleben,  der  Nationalcharakter,  politische 
Feindseligkeiten  kommen  im  Kinderspiel  zum  Ausdruck:  Spielend  raubt 
sich  der  kleine  Australier  eine  Spielgefährtin  zur  Braut,  wie  der  Erwachsene 
es  im  Ernste  tut;  spielend  tummeln  sich  Söhne  und  Töchter  der  Nomaden- 
volker schon  im  Kindesalter  auf  den  Reittieren;  Chinesenknaben  eröffnen  gern 
Buden  und  Pfandhäuser,  oder  bestehen  Prüfungen  und  erreichen  das  von  den 


'i  Krau  Julitn  Michael  sah  in  Katalonien  keine  Puppen.  Über  das  dortige  Spiel- 
zeug  später. 

")  Es  ist  bemerkenswert,  daß  Bogen,  Pfeil,  Schleuder,  Wurfholz  und  andere  Waffen- 
gattungen,  welche  unsern  Altvordern  halfen,  Haus,  Herd  und  Vaterland  zu  schirmen,  bei 
uns  ihr  Dasein  nur  noch  in  den  Museen  und  in  Kinderstuben  und  Kinderhänden  fristen, 
während   sie  ihren   alten   Wert   auf  niederen  Kulturstufen  noch  immer  haben. 


238  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

Erwachsenen  angestrebte  Ziel,  d.  h.  Würde  und  Einkommen  eines  Mandarins; 
die  japanischen  Kinder  geben  mit  Berücksichtigung  der  komplizierten  Etikette 
ihres  Volkes  Gesellschaft;  die  spanische  und  mexikanisch-spanische  Jugend 
spielt  mit  Vorliebe  Stierkämpfe;  in  Mexiko  kommt  ferner  die  Abneigung  der 
Weißen  gegen  die  chinesischen  Einwanderer  spielend  zum  Ausdruck;  im 
englisch-schottischen  Grenzgebiet  dauern  im  Spiele  der  Jugend  die  früheren 
Kriege  zwischen  England  und  Schottland  fort,  und  das  gleiche  gilt,  mit  Ab- 
änderung der  Gegner,  von  zahlreichen  Kinderspielen  bei  Völkern  aller  Kultur- 
stufen. 

Alt  und  doch  immer  neu  ist  die  Lust,  hauptsächlich  der  männlichen 
Jugend,  an  Ringkämpfen,  Wettlaufen,  Turnen,  Rudern  und  ähnlichen 
Kraftproben.  Nicht  nur  im  alten  Griechenland  und  Rom  finden  wir  sie, 
sondern  auch  im  alten  Ägypten,  im  heutigen  Arabien  sowie  bei  den  sogenannten 
„wilden"  Malayen  auf  Formosa,  bei  den  Howa  auf  Madagaskar,  im  keltischen 
Schottland,  bei  den  Indianern  und  zahlreichen  andern  Völkern. 

Ein  gewisser  Kraftaufwand  und  Behendigkeit  ist  ferner  nötig  zu  den 
weitverbreiteten  Pflock-  und  Schlägelspielen. 

Auch  der  Tanz  ist  eine  Muskelübung,  bei  welcher  allerdings  noch  andere 
Motive,  z.  B.  Anmut,  sexuelle  Erregung  usw.  maßgebend,  oder  doch  mitwirkend 
sein  können,  hauptsächlich  wenn  es  sich  mn  Tänzer  handelt,  welche  das 
Kindesalter  hinter  sich  haben.  Kindertänze  sind  in  unsern  beiden  Kapiteln 
über  Spiele  auf  allen  Kulturstufen  nachgewiesen:  in  Australien  so  gut  wie  in 
Europa, 

Wo  Tanz  und  Spiel,  da  ist  Musik  nicht  fremd.  Die  dazu  nötigen  In- 
strumente sind  bei  den  musizierenden  Kindern  teils  Nachbildungen  der  In- 
strumente Erwachsener,  teils  dem  Kindesalter  eigen  und  meist,  wie  es  scheint, 
eigenhändig  hergestellt.  Da  gibt  es  Geigen  und  Klaviere  primitivster  Art 
(Stäbchenspiele),  Gitarren,  Pfeifen,  Flöten,  Trompeten,  Trommeln  u.  a.  m. 
Auch  an  Gesang  und  dramatischen  Aufführungen  fehlt  es  weder  höheren  noch 
tieferen  Kulturstufen.  Es  sei  hier  im  voraus  nur  auf  die  dramatischen  Spiele 
der  Kongo-  und  Guayana-Jugend  aufmerksam  gemacht, 

Primitive  Kunst  entwickeln  die  Kinder  verschiedener  Völker  ferner  in 
der  Darstellung  von  Menschen  und  Tieren,  sei  es,  daß  sie  solche  zeichnen, 
(Hier  aus  Papier,  Vegetabilien,  Wachs  oder  einem  andern  Stoff  Figuren  her- 
stellen, oder  aber  im  Spiele  nachahmen.  Die  vorliegenden  zwei  Kapitel  bieten 
zahl  reiche  derartige  Beispiele. 

Selten  sind  wohl  wirkliche  Tierkämpfe,  wie  sie  von  der  Howa-Jugend 
hervorgerufen  werden,  und  die  vielleicht  ebensogut  Tierquälerei  genannt 
werden  können,  wie  das  Anbinden  von  Maikäfern,  Zikaden,  Heuschrecken  usw., 
und  das  Quälen  der  Hunde  durch  europäische,  malayische,  chinesische  und 
hyperboräische  Kinder.  Dieser  grausame  Zug  hat  ein  Gegenstück  in  der  über- 
großen Zärtlichkeit  anderer  Kinder  gegen  Tiere.  Beispiele  hierfür  sind  die 
der  Maskoki-  und  Pimas-Indianer. 

Mit  Fangspielen  unterhält  sich  nicht  nur  die  deutsche  Jugend,  sondern 
auch  die  Kinder  der  Wakamba  in  Deutsch-Ostafrika,  der  Melanesier  auf  Neu- 
mecklenburg in  der  deutschen  Südsee,  der  Polynesier  auf  den  Hawaii-  oder 
Sandwich-Inseln. 

I>;is  Versteckspiel  weisen  Kap.  NXXIX  und  XL  außerhalb  Deutsch- 
land in  England,  auf  Sizilien,  bei  den  eben  erwähnten  ostafrikanischen 
kamba  und  Hawaii-Insulanern,  sowie  in  Australien  nach. 

Manches  Kinderspiel  und  Spielzeug  scheint  mit  uralten  Mythen  und  Vor- 
stellungen zusammenzuhängen.  Hierher  gehören  wohl  vor  allem  die  Drach«  n. 
seien  sie  aus  Papier  oder  Kinde  oder  irgendeinem  Stoffe  verfertigt.  Dieses 
Spielzeug  ist  ja  in  China  mit  seinem  vordringlichen  Drachenkult  in  den  Händen 


!;  255.     Des  Kiades  Spiel  und  Spielzeug.  239 

von  groß  und   klein.     Auch  in  Burma,  unter  den  Dajaken  auf  Borneo  und 
auf  den  polynesischen  Hawaii-Inseln  ist  es  wohlbekannt, 

Mit  einem  alten  Dämonenkult  einerseits  und  mit  einem  alten  Hochzeits- 
brauch  andererseits  scheint  das  Blindekuh-  oder  Blindemausspiel  im  Zu- 
sammenhang zu  stehen,  wie  aus  dem  vorliegenden  Kapitel  hervorgeht,  welches 
dieses  Spiel  in  Deutschland,  England  und  den  Niederlanden,  im  keltischen 
Schottland,  in  Frankreich  und  auf  Sizilien,  bei  Litauern,  Griechen  und  Ungarn 
nachweist,    Kap.  XL  zeigt  es  uns  auf  den  Hawaii-Inseln,  also  bei  Polynesiern. 

Ebenso  finden  sich  dämonische  Elemente  in  den  Brückenspielen 
gewisser  Gegenden,  z.  B.  auf  Sizilien  und  im  bayrischen  Schwaben.  Dort  wird 
der  Teufel  gefangen;  hier  kommt  ein  Teil  der  Kinder  in  seine  Gewalt.  Ob  es 
sich  um  Vor-  oder  Nachchristliches  haudelt,  kann  freilich  kaum  entschieden 
werden.  Das  vorliegende  Kapitel  weist  Brückenspiele  nur  bei  den  Indo- 
germanen,  und  zwar  in  Deutschland,  England,  Frankreich,  auf  Sizilien  und 
bei  den  Litauern  nach. 

Ferner  scheinen  die  Ringelreihen  oder  Reigentänze,  auch  Rund- 
tänze genannt,  einerseits  auf  einen  alten  Mythus  mit  religiösem  Hintergrund 
zurückzugehen,  wenn  wir  den  Beigen  um  das  ungarische  bzw.  slawische  „Dodolo" 
(Regenmädchen)  im  folgenden  Kapitel  mit  den  zu  Regengöttern  erhobenen 
Kinderseelen  der  Cora-Indianer  und  ähnlichen  ethnologischen  Erscheinungen 
vergleichen,  obwohl  andererseits  das  Anmutsvolle  eines  Reigentanzes  diesem 
schon  an  und  für  sich  Existenzberechtigung  verleiht.  —  Wir  finden  Ringel- 
tänze außerhalb  Ungarn  bekanntlich  in  Deutschland.  Auch  in  England  und 
Italien,  dort  teilweise  mit  tragischer  Zwischenhandlung,  in  Afrika  (Deutsch- 
Togo)  und  bei  den  sogenannten  „wilden"  Malayen  auf  Formosa  werden  sie  in 
diesem  und  dein  folgenden  Kapitel  nachgewiesen. 

Mythische  Grundlage  wird  ferner  für  die  jetzigen  Kinderreime  auf 
die  Marienkäferchen,  für  die  Knabenliedlein  beim  Anfertigen  der  Weiden- 
pfeifen, sowie  für  gewisse  Rätsel  und  Sprüche  im  Kindermund  angenommen. 

An  und  für  sich  unbedeutend,  aber  geschichtlich  und  völkerpsychologisch 
bemerkenswert  ist  das  Würfeln  mit  den  Fußknöcheln  des  Schafes  (Astragal- 
spiel),  welches  wir  in  diesem  und  dem  folgenden  Kapitel  im  alten  Griechen- 
land und  Rom,  bei  den  Neugriechen,  in  Deutschland  und  den  Niederlanden, 
im  Orient  und  bei  den  südrussischen  Juden,  sowie  bei  verschiedenen  Indianer- 
völkern des  nördlichen  und  südlichen  Amerika  finden,  bei  denen  es  allerdings 
Entlehnung  von  Europäern  sein  kann.  Das  Würfelspiel  im  weiteren  Sinn, 
d.  h.  das  Spiel  mit  künstlichen  Würfeln,  oder  mit  Sämereien,  Fruchtkernen 
u.  dgl.,  hat  ein  noch  höheres  Alter  aufzuweisen;  wir  finden  es  bereits  im 
alten  Ägypten. 

Ähnliches  gilt  vom  Ballspiel,  das  uns  in  großer  Mannigfaltigkeit  ent- 
gegentritt. Das  alte  Ägypten  kannte  es;  Kelten,  Germanen,  Slawen,  Romanen, 
Inder,  Perser,  Araber,  Türken,  Chinesen,  Japaner,  Papuas,  Australier,  Melanesien 
Polynesier,  Indianer,  vielleicht  alle  Völker  der  Erde  unterhalten  sich  mit  ihm 
oder  lassen  ihre  Kinderscharen  sich  daran  ergötzen. 

Kreiselspiele  stehen  den  Ballspielen  weder  an  Alter  noch  an  Ver- 
breitung nach.  Die  Beweise  finden  sich  gleichfalls  in  diesem  und  dem  folgenden 
Kapitel1). 

Auf  Steckenpferden  ritten  die  Knaben  bereits  im  alten  Griechenland; 
der  mittelalterliche  Schwede  sah  sein  Söhnchen  darauf  reiten,  und  der  Chinese, 
Japaner  und  Hawaii-Insulaner  freut  sich  heute  so  gut  wie  der  Deutsche  über 
seinen  Sprößling,  der  sich  mit  ihm  herumtummelt. 


')  Vgl.  auch  Richard  Andree,  „Das  Kreiselspiel  und  seine  Verbreitung",  Glob  69,  371  ff. 


240  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

Schaukeln  als  Kinderspielzeug  finden  wir  bis  in  die  Urwälder  von 
Sumatra  und  dfe  Chinesin  setzt  seit  Jahrhunderten  ihr  Töchterlem  Innern, 
ihr  Söhnchen  aber  auf  ein  Schaukelpferd.  .,,.       ,  XT 

Kinderklappern   oder  Kinderrasseln  weisen  Kap.  N\M\  und  XL 
im   alten    typten,  Griechenland    und  Rom,    bei    der  europäischen    sog.  Ui- 
™v Ölke rangfin  Indien,  bei  verschiedenen  Negervölkern  und  bei  den  1  »ayaken  nach. 
Am  „Diabolo«- Spiel   erfreuten   sich   Chinesen,   Nege>-   und  Indianer- 
irnahen  längst  vor  den  Deutschen.  . 

\ut  Stelzen  laufen  Neger-,  Buschmann-  und  Indianerkinder 
Knallbüchsen  sind  die  Freude  der  Knaben  im  Himalayagebirge  and 
in  Brasilien-  Windmühlen  die  der  Chinesen,  Papuas  und  Hawaii-Insulaner; 
Purzelbäume  schlagen  die  dunkelfarbigen  Neumecklenburger  der  deutschen 
sdsee  e  o  gern  wie  ihre  weißen  Altersgenossen  in  Nord-  und  Suddeutsch- 
land Seil  und  Reihenspiele  gibt  es  auch  in  China,  bei  den  Papuas  auf 
Neuguinea  und  auf  den  Hawaii-Inseln;  Schneesport  in  China  und  in  der 
Heimat  der  Eskimo-Kinder.  .  .  , 

Teilweise  mehr  entwickelt  als  bei  uns  sind  die  laden-  bzw.  Ab- 
nehmespiele auf  Palau  und  Nachbarinseln,  auf  Yule-Island,  bei  Neuguinea, 
in  Australien  und  bei  den  Eäua-Indianern  im  nordwestlichen  Brasilien 

Finger-  bzw.  Katespiele  gab  es*chon  im  alten  Ägypten  und  Rom, 
und  gibt  es  heute  noch  in  Kuropa  so  gut  wie  auf  Neuseeland  und  Samoa,  in 
China  und  anderen  Ländern.  „,  R,„8,p;„p„ 

Rätsel  gaben  sich  schon  die  altägyptischen  Rinder  ant:  an  Baustein.) 
und  den  dazu  gehörigen  Erklärungen  üben  sich  die  Chinesenkinder  schon .mt 
Jahrhunderten    den   Märchen  und  Gespenstergeschichten  seiner  Muttei 
„,1er  Wärterin  lauschte  bereits  das  Kind  in,  alten  Griechenland 

Hall  zur  Erweckung  der  Jugendlust  kostspielige  Fabrikate   nulit   not  g 

sind,  beweist  nach  den,  Gesagten  und  den,    hier  Folgenden    die  Völkerkunde 

unwiderleglich   -  ..Die  Pädagogik  des  Spieles  und  Spielzeuges  hat  sich 

an  den  angeheuchelten,  wahrhaftigen  Äußerungen  der  Kinde, - 

seele  zu  orientieren."  schrieb  Jos.  Ante  mit  Recht1).  — 

§  256.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Indern  und  Persern. 

Paula  Karsten,  eine  fleißige  Besucherin  der  im  Jahre  1898  in  Charlotten- 
burg-Berlin   stattgehabten   indischen  Ausstellung,  schrieb:    „Ich  begab »mich 
häuft-    auf   den    Spielplatz,   eben   weil   es   mich   interessierte    zu   sehen,    da 
unsere  Spiele  und   die  der  Indier  in,  Grande  g, n.z  dieselben  sine 
Karsten   weis,   dabei  auf  die  Überlegenheit  der  indischen  Kinder  ™  Gebrauch 
der    Füße    und    Zehen    hin.     Beim    Tschidamuburumspiel     welches   dem 
schlesischen  Paradies-Spiel  und  den,  Berliner  Himmel-  und  Hollenspie 
.ehr  ..'leich,^,    befordert  z.  B.  das  indische  Kind  sein  Steinchen  mit  den  Zehen 
;,!;  &   Feld   zun,    andern,   während    das    deutsche    Kind    dazu    die  Finger 
braucht.   -    Ein    anderes    sehr  beliebtes    Spiel   der  indischen    Knuler   in ,  Ghai .- 

lottenburg-Berlin  bestand  nach  Karsten  darin,  daß  sie  ihrem  auf  den  Rocken 
liegenden  und  die  Beine  in  die  Höhe  reckenden  Vater  an  den  Beinen  hinauf- 
kletterten  und   sich   da   als   angehende    Luftkünstler   ™f™-^*™>J" 

kau,,,   .eben   konnten,    za] lten    schon    vor   Ungeduld  und  ^langen  nach 

diesen,  Vergnügen.  Eoffmann  schrieb  ans  [ndien:  Das  Spielzeug  de rM  äd  hen 
bestehl  in  rohe,,  hölzernen  Pappen,  welche  sie  verheiraten  und  die  Cottei 
ve.vhr.n  lassen;  ferner  in  Herden.    Kochgeschirr  u.  dgl.  Hildebrandt  er- 

.,li  Spielzeug.     In  ..Die  christliche  Frau",  7.  Jahrg.,  S.  95 ff. 

chende  Spiel  auf  Sizilien  und   m   hngland  spat,,. 


§  25(>.     Inder  und  Ferser. 


241 


wähnte  seinerzeit  Strohpuppen,  Ballspiele  und  Drachensteigen  als  indische  (und 
europäische)  Kinderspiele,  die  sich  auf  Sansibar  eingebürgert  hätten  (Ztschr. 
f.  Etlinol.  1878,  393). 

Dalton  bemerkte,  daß  die  Kinder  der  Kasias  in  Bengalen  sich  wie 
die  europäische  Jugend  mit  Kreiselspiel  und  Stangenklettern  amüsierten. 
Letzteres  gehört  wohl  zu  den  von  Karsten  erwähnten  Luftkünsten. 

Daß  sich  indische  Kinder  auch  selbst  Spielzeug  anfertigen,  beweisen  die 
hier  folgenden  drei  Abbildungen,  welche  lebhaft  an  manche  in  unseren  Kinder- 
gärten angefertigten  Gegenstände  erinnern. 


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— ^1  -Jm^j 

i  1  '"■ 

5f J 

■ 
1 

Fig.  311.    Zwei   indische  Puppen.     Im   K.   Museum  für 
Völkerkunde  in  Berlin. 


Fig.  312.    Indisches  Spielzeug,  von 
Kindern    selbst    aus    Lontara-Blättern 
hergestellt.    Im  K.  Museum  für  Völker- 
kunde in  Berlin. 


Ein  indisches  Knabeuspiel  beschreibt  der  Inder  M.  K  Venkatasvami 
wie  folgt:  Ein  halbes  Dutzend  oder  mehr  Hindukinder  im  Alter  von  <>  bis 
7  Jahren  stellen  sich  abends  um  eine  Frau  auf  und  bücken  sich  so,  daß  sie 
mit  den  Fingerspitzen  den  Boden  berühren.  Die  Finger  stellen  die  Pferde 
eines  Räjäräm,  eines  vornehmen  Inders,  vor,  die  sich  an  der  Tränke  eines 
Fremden  laben  wollen.  Die  Bolle  dieses  Fremden  übernimmt  die  mitspielende 
Frau,  welche  eines  der  Kinder  anspricht,  indem  sie  auf  die  Finger  deutet: 

,.Ai  kiskä  ghorä?" 
Wessen  Pferd  ist  dieses? 
Kind:  „Räjäränikä" 
Räjäräms. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  16 


242 


Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 


Frau:    ..Käbe  ko  äyä." 

Warum  kam  es? 
Kind:  „Pänl  pine  ko." 

Um   Wasser  zu  trinken. 
Frau:    „Achchä!   Jane  deo,  jäne  den!-' 

Ganz  recht.   Laß  es  nur.    Laß  es  nur. 

Damit  entschuldigt  die  Frau  die  Freiheit  des  Pferdes,  und  das  Kind  liebt 
seine  Hand  wieder  vom  Boden  auf.  Dann  wird  die  Frage  an  ein  zweites 
Kind  und  so  fort  gerichtet.  Zum  Schluß  packen  sich  die  Knaben  gegenseitig 
und  die  Frau  an  den  Ohren,  schließen  einen  Kreis,  setzen  sich  und  rufen  kichernd 
und   unter  Vor-  und  Rückwärtsbewegungen:   „Kia  mia,  Kia  mia",   ein   nach 


Fig.  313.    Indisch|e9_SpieIzeug,  von  Kindern  selbst  aus  Lontara-Blättern  hergestellt.    Im  K.  Museum  für 

Völkerkunde  in  Berlin. 


M.  N.  Vmlcatasvami  bedeutungsloser,  aber  beliebter  Kinderausdruck.  Damit 
ist  das  Spiel  zu  Ende  l). 

Ein  in  der  Provinz  Gujerat  beliebtes  Spiel2)  der  Mädchen  und  Frauen 
besteht  darin,  daß  sie  Tamarindensamen  in  die  Luft  werfen  und  dann  mit 
dem  Bandrücken  auffangen.  Gelingt  letzteres  für  den  größeren  Teil  des 
Samens,  so  hat  man  gewonnen.  E.  Lovett,  der  dieses  mitteilt,  sieht  in  diesem 
Spiel  eine  entartete  Form  des  später  zu  erwähnenden  Astragalspieles. 

Diesem  indischen  Spiel  gleicht  das  sizilianische  „a  lipisuli".  Unter  diesen 
„pisuli"  verstellt  der  kleine  Nizilianer  nämlich  16 — 18  Prirsichsteine  oder 
ebensoviel  Schusser.  Diese  liegen  in  der  hohlen  Hand  des  Spielers  und 
werden  von  ihm  in  die  Luft  geworfen.  Beim  Herunterfallen  soll  er  sie  mit 
dem   Kücken  der  Hand  auffangen,  von  wo  aus  er  sie  ein  zweites  Mal  in  die 


Die    vielleicht    ans    A  1 1  - 1  n  d i  e  n    stammenden    Waffentänze    tibetanischer    i.nd 
slawischer  Knaben  siehe  im   Abschnitt  „Lettoslawen"  am  Schluß  dieses  Kapitels. 

IIb  arischen   oder    niehtarisehen    Ursprungs,  muß  hier  unentschieden  bleiben. 


§257.    Griechen,  Körner  und  romanische  Volker  der  Neuzeit.   Seitenstücke  bei  Germanen.      243 

Luft  wirft.    Was  dieses  Mal  auf  die  Handfläche  fällt,  ist  sein  Gewinn.    Dieses 
Spiel  wird  von  je  zwei  Knaben  unternommen  (Coote)*).  — 

Aus  Persien  erwähnte  Plo/i')  das  weitverbreitete,  auch  bei  den  Arabern 
und  Türken  beliebte  „Tschaugan",  ein  Schlagballspiel,  welches  von  den 
Rittern  des  deutschen  Hauses  in  Jerusalem  nach  dem  Abendland  verpflanzt 
worden  sei. 


§  257.     Griechen,  Römer  und  romanische  Völker  der  Neuzeit.     Seiten- 

stiicke  bei  Germanen. 

Von  den  Kinderspielen  der  alten  Griechen  schrieb  Wachsmuth:  Archytas 
galt  ihnen  als  Erfinder  der  Kinderklapper 
(idata-pi);  an  Puppen.  •  Ammenmärchen,  Ge- 
spenstergeschichten und  Steckenpferden  maugelte 
es  nicht.  Plo/i  erwähnte3)  altgriechische  Puppen 
mit  bemalten  Holz-  und  Tongesichtern,  sowie 
Gliederpuppen  aus  Terrakotta,  und  bemerkte 
hierzu:  'Wenn  ein  Mädchen  mannbar  wurde,  so 
forderte  die  Sitte,  daß  es  sein  Spielzeug  der  Göttin 
Aphrodite  weihte  und  in  ihrem' Tempel  aufhing. 
Die  Dichterin  Sappho  begleitete  diesen  Akt  mit 
der  Bitte,  die  Göttin  möge  die  kindlichen  Ge- 
schenke freundlich  annehmen,  auch  die  roten 
Kopftüchlein  der  Puppen  nicht  verachten. 

„Die  roten  Kopftüchlein  der  Puppen 
Verachte  nicht ;  dies  hab'  ich,  Sappho, 
Geschenkt  dir  als  nicht  unwertes  Geschenk."  — 

Ein  kleines,  mit  Elfenbein  verziertes  Bett- 
chen, sagenhaftes  Spielzeug  der  Hippodameia.  er- 
wähnte Paust/Unis4)  unter  den  Merkwürdigkeiten 
des  Junotempels  zu  Olympia. 

Ein  sehr  beliebtes  Spiel  war  im  alten 
Griechenland  und  Rom  das  noch  jetzt  im 
Morgen-  und  Abendland  beliebte  Spiel  mit 
den  vier  Fußwurzelknochen  des  Schafes,  Astragali 
genannt,  welche  mit  ihren  je  sechs  Flächen  die 
Urform  des  Würfels  gewesen  sein  sollen.  Zwei 
Knöchel  waren  gelb,  zwei  rot  gefärbt.  Zu  Plo/is 
Zeit  war  das  in  Trier  noch  der  Fall.  Auch  aus 
der  Gegend  von  Wernigerode  teilte  Plo/i 
(2.  Aufl.  II,  318)  ein  Knöchelspiel  als  Überbleibsel 
des  antiken  Astragalispieles  mit.  Man  wirft 
Knöchel  in  die  Höhe,  um  sie  wieder  aufzufangen. 
Dieses  ..Überhändchenspiel"  sei  dem  ..Fascheln" 
oder  „Fassein"  der  Berliner  Jugend  ähnlich,  welches  aber  nicht  mit  Knöcheln, 
sondern  mit  Steinchen  ausgeführt  werde5).  — 

E.  Lovett  erwähnt  eine  Terrakottagruppe  im  Britischen  Museum,  welche 
aus   dem   8.  Jahrhundert   v.   Chr.  stammt   und   zwei   mit  Astragali   spielende 

')  Eine  Auswahl  anderer  sizilianischer  Spiele  folgen  später. 

2)  2.  Aufl.  H.  293. 

3i  2.  Aufl.  II,  291  und  293,  Anm.  2. 

*)  Bei   Floß,  ebenda.  291. 

s)  Ploß  vermutete,  daß  die  Griechen  und  Römer  das  Astragalispiel  den  Orientalen 
entlehnten.  Ob  diese  Vermutung  richtig  ist,  dürfte  schwer  zu  sagen  sein,  da  das  Spiel  auch 
bei  Indianern  gefunden  wurde  (siehe  diese  in  Kap.  XL). 

16* 


Fig;.  314.    Kinderklapper  aus  Madras, 
südliches  Vorderindien.    Im  K.  Mu- 
seum für  Völkerkunde  in  Berlin. 


2-44  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

Mädchen  darstellt:  ferner  erwähnt  Lovett  Astragali  aus  griechisch-römischer 
Zeit,  die,  aus  Bronze,  Bergkristall,  Achat  und  anderem  Material  verfertigt, 
sich  jetzt  gleichfalls  im  Britischen  Museum  befinden.  —  Auf  seiner  Reise 
durch  Holland  und  Belgien  sah  er  Ende  des  19.  Jahrhunderts  metallene 
Nachbildungen  dieses  Spielzeugs  in  den  Händen  ärmerer  Stadtkinder. 

Im  alten  Griechenland  kam  es  beim  Astragalspiel  gelegentlich  zu 
derben  Schlägen;  Patroklus  soll  dabei  den  Sohn  des  Amphidamas  erschlagen  haben. 

Das  Spiel  hat  sich,  wie  die  Täuze  der  Jungfrauen,  auch  bei  den  Neu- 
griechen erhalten. 

Verwandt  mit  dem  griechisch-römischen  Astragalspiel  ist  nach  Elisabeth 
Lemke  das  deutsche  „Fangspiel  mit  Steinchen"1);  ferner  das  „Schirkeu"  oder 
„Wassermännle  weifen'1,  auf  welches  wir  später  bei  den  Spielen  der  englischen 
und  schwäbischen  Jugend,  als  „Duck  and  Drakes"  bzw.  „Schättala"  zurück- 
kommen. E.  Lemke  beruft  sich  dabei  auf  Wagner-Rochholz,  welche  auch  den 
Strombos  oder  Strobilos  der  alten  Griechen  und  den  Turbo  der  Römer  im 
Kreiselspiel  der  deutschen  Jugend  wiederfanden. 

Eine  nationale  Bedeutung  erhielten  im  alten  Griechenland  die 
Wettkämpfe  der  Knaben.  Sie  standen  bei  den  olympischen  Spielen  auf 
der  Tagesordnung,  so  daß  den  Knaben  Gelegenheit  geboten  war,  sich  vor 
ganz  Griechenland  auszuzeichnen.  --  Olympiade  37  wurde  der  erste  Sieg  eines 
Knaben  im  Lauf  und  eines  andern  im  Ringen  erkämpft,  während  bis  dahin 
lediglich  Erwachsene  den  Kampfplatz  betreten  hatten.  <  llympiade  41  fochten 
auch  im  Faustkampf  Knaben;  Olympiade  145  kam  das  Pankration  der  Knaben 
hinzu.  Dieses  war  eine  sehr  beliebte  Komplikation  des  Ringens  und  Faust- 
kampfes, den  die  Knaben  unter  sich  bestanden.  -  -  Die  Griechen  erteilten  den 
kämpfenden  Knaben,  die  sich  wider  die  Anordnungen  der  Hellanodiken  bei 
den  Kampfspielen  vergangen  hatten,  Peitschenhiebe  als  Strafe,  und  wenn  durch 
einen  Knaben  ein  Sie-  erschlichen  worden  war,  so  hielt  man  sich  an  seinen 
Vater,  der  die  Strafsumme  zahlen  mußte. 

I'lul'i  erklärte  die  Kinderspiele  für  notwendig,  weil  sie  speziell  zu  Ernstem 
kräftigen  und.  wenn  richtig  geleitet,  im  allgemeinen  dem  Körper  und  dem 
leiste  förderlich  seien.  Der  Staat  soll  für  Spielplätze  sorgen  und  die  Spiele 
überwachen.  —  Aristoteles  teilte  Piatos  Ansicht.  Man  müsse  ruhen,  um  mit 
erneuter  Kraft  wieder  arbeiten  zu  können.  Das  Spiel  gewähre  dem  Geiste 
Ruhe  und  Erheiterung  zugleich. 

Im  alten  Rom  erhielten  die  Kinder  schon  am  Tag  ihrer  Namengebung 
(dies  nominum  oder  nundinae)  Spielzeug  (Klappern  und  Rasseln?)  geschenkt. 
Bei  Knaben  war  dies  der  neunte,  bei  Mädchen  der  achte  Tag.  Sogar  die 
Sklaven  machten  solche  Geschenke.  Man  hängte  sie  den  Kleinen  um  den 
Hals  und  nannte  sie  crepundia  (von  crepare,  Klappern)-). 

Zur  Zeit  Neros,  kam  in  Rom  eines  jener  Fingerspiele  auf.  die  mit  wenig 
veränderten  Formen  eine  außerordentliche  Verbreitung  haben.  Es  handelt  sich 
dabei  gewöhnlich  um  das  Erraten  der  Zahl  ausgestreckter  Finger: 

„Bucca,  Bucca,  quot  sunt  hie?"  fragte  der  Römer,  und  in  der  englischen 
Einderstube  fragt  heute  noch  die  Amme:  ..Duck.  Huck,  how  niany  horns  du  I  hold 
up?"8)  Il.iii  entspricht  auf  Sizilien  das  Spiel  ..a  Cancara  e  bella"  und  „a 
Gadduzza",  wie  )/.  C.  Coote  in  seiner  Rezension  der  Preschen  „Giuochi 
fanciuleschi  siciliani"  schreibt  und  dabei  bemerkt,  daß  eine  sehr  große  Anzahl 
der  sizilianischen  Kinderspiele  auch  in  England  gebräuchlich  und  hier  wie  dort 

')   Wohl  'las  Berliner  „Fascheln"  geraeint? 

i  >ß,  2.    \ull.   II.  291. 
3)  Die  Finger  sind  hier  und  im  folgenden  italienischen  Spiel  als  Hörner  bezeichnet. 
Vgl.   Finger  und   Hm-n  als  Schutzmittel  gegen  den  biison   Blick  im   Kap.  VI. 


§  257.    Griechen,  Körner  und  romanische  Völker  der  Neuzeit.    Seitenstücke  bei  Germanen.     245 

Reste  lateinischer  Jugendinst  seien1).  —  In  Florenz  und  Pisa  entspricht 
dem  altrömischen  Fingerspiel  das  „a  biccicalla".  „Biccicalla,  Biccicalla,  quante 
corna  ha  la  cavalla?"  (Wie  viel  Hörner  hat  die  Stute?)  fragt  hier  das  Kind, 
welches  rittlings  auf  dem  Rücken  eines  andern  Kindes  sitzt,  an  das  diese 
Frage  gerichtet  wird.  Und  „Bicicü,  cü,  quante  corna  son  lassu?"  ("Wie  viele 
Hörner  sind  da  oben?).  —  In  Genua  heißt  das  gleiche  Spiel  „a  Cancaignan". 
Hier  legt  das  Kind,  auf  welchem  ein  zweites  reitet,  seinen  Kopf  auf  den 
Schoß  eines  dritten,  welches  sitzt  und  ihm  mit  beiden  Händen  die  Augen  zu- 
hält, damit  es  die  Finger  nicht  sehen  kann.  Der  Reiter  fragt:  „Cancaignan, 
Cancaignan,  quante  corne  l'ha  o  mae  Can?"  (Wie  viel  Hörner  hat  mein  Hund?) 

Dem  italienischen  „Mona",  gleichfalls  ein  Ratespiel,  entspricht  das 
französische  „Mourre"..  —  Die  alten  Römer  nannten  ihr  Fingerfunkeln 
„micare  digitis".  Man  streckte  dabei  die  Finger  schnell  aus  und  ließ  ihre 
Anzahl  erraten.  —  In  Deutschland  spielte  man  es  früher  als  „Fingerlein 
snellen" -). 

In  Italien  wird  ferner  „Schlägel  und  Pflock"  (Mazza  e  pivreza)  ge- 
spielt: Die  Ersten,  welche  das  Los  trifft,  nehmen  einen  Pflock,  die  anderen 
einen  Schlägel  in  die  Hand.  Einer  von  denen,  welche  den  Pflock  haben, 
sucht  ihn  in  eines  der  beiden  Löcher  festzutreiben,  welche  man  dazu  gemacht 
hat,  worauf  der  mit  dem  Schlägel  schnell  so  nach  dem  Pflock  schlägt,  daß  er 
ihn  möglichst  weit  fortschleudert.  Wer  den  Pflock  verloren  hat,  muß  ihn 
wieder  holen,  während  die  Spieler,  welche  den  Schlägel  haben,  möglichst 
schnell  von  einem  Loch  zum  anderen  laufen  und  zählen,  wie  oft  sie  hin-  und 
herkommen.  Können  sie,  ehe  der  Pflocksucher  zurückkehrt,  zehnmal  ihre  Tour 
beenden,  so  werden  sie  Sieger  und  nehmen  ihrerseits  den  Pflock;  kehrt  aber 
der  mit  dem  Pflock  früher  zurück,  so  bleibt  er  Sieger  und  ..darf  ihn  nochmals 
in  ein  Loch  stecken  (Freih.  v.  Reinsberg-Düringsfeld).  ■ —  Ähnliche  Spiele  mit 
Varianten  gibt  es  in  Deutschland  und  England;  Ploß  war  geneigt,  ihre 
Verbreitung  auf  die  Völkerwanderung  zurückzuführen.  —  Zwei  andere  von 
Freih.  v.  Reinsberg-Düringsfeld  beschriebene  Spiele  der  italienischen  Jugend 
sind  „Je  castella"  und  „sur  imbasciatur".  Bei  dem  ersteren  stellen  je  vier 
Nüsse,  von  denen  drei  die  Basis  der  vierten  bilden,  ein  castello  (Schloß)  dar. 
Jeder  Mitspieler  hat  ein  solches  zu  liefern.  Jeder  auch  wirft  mit  einer  großen 
Nuß,  pallone  genannt,  nach  den  Schlössern  und  gewinnt  davon  so  viele,  als 
er  trifft.  —  Das  zweite  Spiel  (Herr  Gesandter)  ist  im  Piem  ontesischen 
zu  Hause  und  verläuft  wie  folgt: 

Ein  Knabe,  dem  die  Rolle  des  Hausherrn  zugefallen  ist,  hält  an  jeder 
Hand  ein  Mädchen,  denen  zu  beiden  Seiten  in  langer  Reihe  andere  sich  an- 
schließen. Ein  anderer  Knabe  steht  vereinzelt  dieser  Kette  gegenüber,  geht 
einige  Schritte  vorwärts  und  singt: 

„Sur  imbasciatur 

(Herr  Gesandter) 
Lantanti  rulirula 

Sur  imbasciatur 
Lantanti  rulirula." 

Beim  zweiten  Verse  ist  er  zurückgetreten,  beim  dritten  wieder  vorgegangen, 
beim  vierten  steht  er,  wo  er  stand.     Dann  auf  die  gleiche  Weise  beim  ersten 


')  Bekanntlich  haben  sich  auf  sizilianischem  und  englischem  Boden  aber  auch  noch 
andere  Völker  getummelt. 

-'  K.  E.  Georges  bemerkte  in  seinem  Lateinisch-deutschen  Handwörterbuch,  man  habe 
durch  dieses  Fingerspiel  auch  Ungewisse  Dinge  entscheiden  lassen,  wobei  er  auf  Cicero  und 
Suetonius  hinweist:  „Patrum  et  filium  pro  vita  rogantes  micare  jussit."  —  „Quid  enim  sors 
est?  Idem  propemodum  quod  micare."  —  Über  die  Entlehnung  dieses  Spieles  von  den 
Ägyptern  siehe  Kap.  XL. 


246  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

vor-,  beim  zweiten  zurücktretend,  und  diese  Bewegungen  beim  dritten  und 
vierten  wiederholend,  singt  der  Hausherr  neben  den  beiden  Mädchen,  die 
er  führt : 

,.(Y>sa  völi  vui? 

(Was  begehrt  ihr?) 
Lautanti  rulirula 
Cosa  völi  vui? 
Lantanti  rulirula." 

Der  Gesandte  antwortet: 

..I  vöi  una  dVostre  fie'- 

(Ich  will  eine  Eurer  Töchter). 

worauf  der  Hausherr  und  die  Mädchen  fragen : 

„(j.uala  völi  vui?-' 
(Welche  wollt  ihr?) 

Der  Herr  Gesandte  will  (es  folgt  nun  die  Gewünschte)  die  Braune,  die 
Blonde,  die  Schönste,  die  Kleinste  usw.     Mädchen  und  Hausherr  fragen  nun: 

..(.'he  nieste  faräla?" 

(Welches  Standes  wird  sie  sein?). 

1  »er  Gesandte  will  sie  bald  zur  Prinzessin,  bald  zur  Fruchtverkäuferin  usw. 
Bisweilen  dünkt  dem  Mädchen  der  Stand,  zu  welchem  es  geworben  wird,  gar 
zu  gering;  dann  wird  es  böse,  will  nichts  mehr  von  der  Heirat  hören  und 
muß  erst  durch  das  Versprechen  einer  glänzenderen  Stellung  besänftigt  werden, 
bevor  es  einwilligt,  zugleich  mit  dem  Hausherrn  und  dem  anderen  Mädchen 
weitere  Fragen  zu  stellen,  deren  wichtigste  die  Morgengabe  betritt!,  welche 
der  Gemahl  der  Braut  zu  bieten  beabsichtigt.  Schließlich  wird  die  Erwählte 
unter  dem  Gesänge: 

„Pievla  pura  cha  L'e  vostra" 
(Nehmt  sie  nur.  denn  sie  ist  Euer). 

dem  Gesandten  übergeben,  der  sie  mit  sich  fortführt,  während  die  übrigen 
Kinder  mit  Jube.lrufen  im  Kreise  tanzen. 

Ein  italienisches  Räuberspiel  beschrieb  Otto  Badice:  Einer  Gruppe  von 
Knalien  stehen  zwei  einzelne  Knaben  gegenüber,  die  mit  herabhängenden 
Armen  sich  gegenseitig  die  Hand  reichen.     Einer  aus  der  Gruppe  singl  : 

„Tor,  du  kleines  Tor. 
•  Iffnet  mir  dieses  Tor." 
Aul'  diese  Anrede   halten  jene  beiden   die  Arme   empor,   so   daß   sie   ein  Tor 

bilden,  und  singen  dabei: 

..Das  Tor  ist    offen. 

Wer  will  hindurch  gehen?" 

Der   erste   aus  der  Gruppe  erwidert: 

„Ich  habe  Furcht 
Vor  den  Räubern, 
Daß  sie  mir 
Meine   Kinder   nehmen.-' 

Dann  stürzt  er  sich  in  das  Tor  und  alle  übrigen  folgen  ihm.  Der  letzte  der 
Gruppe  wird   von  jenen  beiden  unter  Absingen  der  Schlußverse: 

„Deine   Kinderchen  sind  geraubt, 
Du  bisl   betrogen  und  geschlagen", 

gi  i  mgen  genommen  und  mit  einer  vorbei-  festgesetzten  strafe  belegt. 

In  Venedig  isl  bei  den  kleinen  Mädchen  das  Fangspiel  „Siora  Cate" 
beliebt:  Eines  der  Mädchen,  die  zur  Signora  Catalina  geworden,  kniet  inner- 
halb des  K'nises  ihrer  tanzenden  Gespielinnen.  Nach  einigen  Rundtänzen 
halten  diese  inne  und  fragen:  „Siora  Cate,  ehe  ora  c'e?"  (Signora  Cate,  welche 
stunde  istVj)     Die  t'ate  antwortet:   ..l'n  boto  de  notte"  U  Uhr  nachts).     Da 


§257.    Griechen,  Römer  und  romanische  Völker  der  Neuzeit.    Seitenstücke  bei  Germanen.      247 

beginnt  der  Kreis  wieder  zu  tanzen  uud  singt  zweimal:  „Siora  Cate  giä  dito 
che  c'e  im  boto  de  note"  (S.  C.  hat  gesagt,  daß  es  1  Uhr  nachts  ist).  Dann 
setzt  sicli  der  Dialog  fort:  „Siora  Gate,  was  tun  Sie?"  —  „Ich  rühre  die 
Polenta."  —  „S.  C.  hat  gesagt,  daß  sie  die  Polenta  rührt."  —  „S.  C,  gebt 
Ihr  uns  eine  Schnitte  davon?"  -  -  „Wenn  Ihr  brav  seid,  geb  ich  sie  Euch."  - 
Chor:  „S.  C,  was  suchet  ihr?"  —  „Ich  suche  die  Brille."  -  -  Chor:  Gott  gebe, 
daß  die  Mäuse  sie  gefressen!"  —  „S.  C,  was  suchen  Sie?"  —  „Ich  suche 
ein  Messer,  um  Euch  umzubringen."  -  -  Da  löst  sich  der  Kreis  uuter  Geschrei 
auf,  die  Mädchen  fliehen  nach  allen  Seiten,  doch  die  Siora  Cate  hascht  eines 
von  ihnen,  das  nun  an  ihrer  Statt  als  Siora  Cate  im  neuen  Kreise  umtanzt  wird. 

H.  C.  Coote  sagt  in  seinem  Vergleich  sizilianischer  Kinderspiele  mit 
englischen:  In  den  sizilianischen  entfaltet  sich  vielleicht  mehr  Leben  und 
Feuer.  Dort  gibt  es  mehr  Formeln  und  Dialoge;  ferner  sichern  die  sizili- 
anischen Knaben  durch  die  Wahl  eines  Anführers  (capogiuoco)  ihrem  Spiel 
eine  gewisse  Ordnung  zu;  auch  zeichne  treues  Festhalten  am  Althergebrachten 
die  sizilianischen  Spiele  aus1).  — 

Teils  Ähnlichkeit,  teils  völlige  Gleichheit  fand  Coote  in  den  folgenden 
Spielen  der  sizilianischen,  bzw.  der  italienischen  und  englischen  Jugend: 
Im  sizilianischen  acuta  e  cruci  und  in  dem  von  der  englischen  Straßenjugend 
gespielten  heads  or  tails.  (Den  Gang  des  Spieles  gab  Coote  nicht  an.)  -  -  Im 
sizilianischen  aneddu  sei  das  englische  „Hot  Cockles"  versteckt,  Es  verläuft 
wie  folgt:  Eine  Anzahl  Knaben  sitzen  im  Kreis  auf  dem  Boden  und  reichen 
sich  die,  Hände.  Der  erste  hält  einen  Stein,  oder  einen  Schlüssel,  oder  eine 
Nuß,  oder  eine  Bohne,  oder  einen  Ring  und  läßt  das  Ding  heimlich  bei  den 
andern  herumgehen.  Dann  fragt  er  einen,  wer  es  hat.  Errät  es  der  Gefragte, 
so  wird  er  Anführer  des  Spieles;  im  andern  Fall  reicht  er  seine  geöffnete 
Hand  zu  einem  Schlag  als  Strafe  hin.  -  -  „A  lu  Castellu",  nennt  Coote  ein 
Spiel,  in  welchem  sich  Kraft,  Behendigkeit  und  Geschick  in  der  Erstürmung 
und  Behauptung  „des  Schlosses",  d.  h.  irgendeiner  kleinen  Anhöhe  entfalten, 
und  welches  zu  dem  auf  Sizilien  und  in  Italien  überhaupt  gebräuch- 
lichen Spiel  ,.a  li  Palazzi"  die  Einleitung  bildet.  Coote  findet  es  im  englischen 
,,1'm  King  of  the  castle"  wieder.  Das  sizilianische  „A  lu  Balluni"  sei  das 
englische  „Football".  —  „A  Manciugghia"  gleiche  dem  gefürchteten  „tipcat" 
der  Londoner  Straßenjugend.  —  „A  Bocci  e  a  Ravigghia"  nennt  er  ein  Croquet- 
spiel  in  rauherer  Form.  -  -  „A  la  Strummula"  ist  ein  mit  großem  Geschick 
ausgeführtes  Kreiselspiel.  —  Das  ,.a  Bue"  ist  das  englische  „Hide  and  seek" 
(Versteckspiel);  das  „ad  attuppa  occhi"  das  englische  „Blindmans  buff" 
(Blindekuh).  -  Eine  Form  des  englischen  „Aunt  Sally"  fand  Coote  in  dem 
sizilianischen  Spiel  „a  lu  Granu  supra  le  nuci".  Man  stellt  bei  diesem  Spiel 
eine  Walnuß  aufrecht  in  die  Erde  und  legt  eine  kleine  Münze  auf  sie.  Wer 
diese  Münze  von  einer  gewissen  Entfernung  aus  mit  einer  Nuß  herunterwirft, 
gewinnt  die  Münze.  — 

Das  sizilianische  „a  murari"  besteht  darin,  daß  die  Spieler  gegen  eine 
Reihe  von  Nüssen,  Äpfeln  oder  Aprikosenkernen  von  einer  bestimmten  Ent- 
fernung aus  werfen.  Das  aus  der  Reihe  gestoßene  ist  der  Gewinn.  —  In 
England  vertreten  Schusser  die  Nüsse,  Äpfel  oder  Aprikosenkerne.  —  Auch 
das  folgende  Ratespiel  auf  Sizilien  hat  sein  Seitenstück  in  England:  Ein 
Knabe  hält  in  einer  Hand  Nüsse  oder  Aprikosen  und  läßt  einen  anderen 
deren  Anzahl  erraten.  Gelingt  es  diesem,  so  gehören  sie  ihm;  rät  er  mehr 
«der  weniger,  dann  hat  er  für  die  Differenz  aufzukommen.  Coote  fügt  dieser 
Mitteilung  bei.  dieses  Spiel  komme  schon  in  Shakespeares  „King  Lear" 
anter  dem  Namen  „Handy  Dandy"  vor. 

')  Letzteres  kann  kaum  eine  Eigentümlichkeit  des  sizilianischen  Spieles  genannt  werden. 


248  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

Es  braucht  kaum  daran  erinnert  zu  werden,  daß  die  von  der  sizilianiscben 
und  englischen  Jugend  gespielten  Spiele  zu  einem  guten  Teil  auch  die  deutsche 
Jugend  erfreuen.  Hier  sei  einstweilen  nur  folgendes  erwähnt:  Das  Eispicken 
des  bayrischen  Schwabenkindes  findet  sich  in  dem  sizilianischen  Spiel 
A  lu  Struzzi.  Hierzu  dienen  hart  gesottene  Eier,  deren  Spitzen  man  aneinander 
stößt.     Das  zuerst  verletzte  ist  verloren. 

Ebenso  ist,  Nußspicken,  wenn  auch  mit  mehr  oder  minder  abweichenden 
Formen,  im  bayrischen  Schwaben  so  gut  bekannt  wie  auf  Sizilien.  Hier  ver- 
lauft es,  nach  Coote-Pitre,  sehr  einfach.  Ein  Knabe  läßt  eine  Nuß  eine  kleine 
Anhöhe  hinunterrollen,  wo  sie  liegen  bleibt.  Nun  schickt  ihr  ein  anderer 
eine  zweite  Nuß  nach.  Stößt  sie  auf  die  erste,  so  hat  sie  gewonnen.  —  Im 
bayrischen  Schwaben  sind  die  Spieler  etwas  anspruchsvoller.  Sie  bilden  kleine 
Häufchen  aus  Walnüssen,  welche  sie  nach  bestimmten  Kegeln  mit  einer 
einzelnen  Nuß  anrempeln.  Der  Sieg  ist  hier  bedeutender;  denn  es  handelt 
sich  um  das  ganze  getroffene  Häufchen. 

Auch  die  bayrischen  Brückenspiele  haben  auf  Sizilien  ein  Seiten- 
stück, welches  Coote  schildert:  Zwei  Reihen  Knaben  stellen  sich  einander 
gegenüber  auf  und  reichen  sich  mit  emporgehobenen  Armen  die  Hände,  so 
daß  sie  einen  Durchgang  bilden.  Nun  setzt  sich  der  Anführer  des  Spiels  einen 
Knaben  so  auf  den  Nacken,  daß  dessen  Beine  dein  Träger  vorn  herunter- 
hängen, und  trägt  ihn  unter  dem  Durchgang  weg  mit  den  Worten:  San 
Giovanni  (oder  irgendein  anderer  Name)  geht  durch.  „San  Giovanni"  erhält 
von  jedem  einen  leichten  Kippenstoß,  darf  jedoch  passieren.  Nach  diesem 
trägt  der  Anführer  einen  zweiten,  dritten,  bis  6.  oder  7.,  jedesmal  mit  Ab- 
änderung des  Namens  durch.  Schließlich  kommt  er  mit  einem  und  sagt:  Ah 
ca  passa  lu  diavolo  (jetzt  kommt  der  Teufel).  Auf  diese  Ankündigung  stürzt 
sich  alles  auf  die  zwei,  und  das  beliebte  Spiel  endet  in  einer  allgemeinen 
Rauferei.  — 

Das  deutsche  Paradies-  oder  Himmel-  und  Höllespiel,  welches 
dem  englischen  „Hopscotch"  entspricht,  wird  auch  auf  Sizilien  gespielt. 
Wie  das  indische  Kind,  so  benutzt  das  sizilianische  zur  Weiterbeförderung 
des  Steinchens  oder  Holzstückes  nicht  die  Hand,  sondern  den  Fuß.  Coote 
beschreibt  das  sizilianische  folgenderweise:  Es  werden  auf  dem  Boden  zwei 
senkrechte  Linien  und  so  viele  wagerechte  gezogen,  daß  7 — 8  Felder  ent- 
stehen. Hierauf  läßt  der  Spieler  in  das  erste  Feld  ein  Scheibchen  (palasu) 
fallen,  dem  er  mit  dem  einen  Bein  nachhüpft.  Mit  dem  anderen  Bein  stößt 
er  die  Scheibe  der  Reihe  nach  in  das  zweite  und  die  folgenden  Felder.  Nur 
beim  vierten  Feld  darf  er  die  Linie  berühren  und  das  aufgehobene  Bein 
herunterlassen. 

Das  deutsche  „Anmauern"  spielt  der  sizilianische  Knabe  als  „a  lu 
Spangu".  Drei  oder  mehrere  Knaben  ziehen  vor  einer  Mauer,  in  einer  Ent- 
fernung von  zirka  3  m,  eine  Grenzlinie  und  graben  außerhalb  derselben  ein 
Loch.  Dann  weifen  sie  der  Reihe  nach  je  eine  Münze  an  die  Wand,  damit 
sie  beim  Zurückprallen  in  das  Loch  falle.  Wem  dies  nicht  gelingt,  der  ver- 
liert seine  .Münze. 

Ferner  haben  die  sizilianischen  und  die  bayrischen  Schwaben- 
kind er  das  Ratespiel  mit  Strohhalmen  gemeinsam.  Ein  Kind  hält  dabei 
zwei  Strohhalme  von  ungleicher  Länge  in  den  beiden  geschlossenen  Händen  und 
läßt  raten,  in  welcher  Hand  der  eine  oder  der  andere  ist. 

sizilianische  Stadtknaben  spielen  ,.a  la  morti"  oder  ,.a  quartaccio". 
Bei  diesem  Spiel  suchen  sie  eine  jener  großen  Steinplatten  auf,  welche  die 
Kanäle  decken  und  gewöhnlich  fünf  runde  Löcher  oder  drei  horizontal  laufende 
Spalten  haben.  Es  wird  eine  Entfernung  angegeben,  von  welcher  aus  der 
Spieler  mit   einem  Ball  oder  einer  Orange  auf  die  Löcher  oder  Spalten  zielt. 


§257.   Griechen,  Römer  und  romanische  Völker  der  Neuzeit.    Seitenstücke  bei  Germanen.      249 

Trifft  er,  und  bleibt  der  Ball  bzw.  die  Orange  im  Ziele  stecken,  so  streicht 
er  sich  den  Wurf  an  und  zielt  der  Reihe  nach  auf  die  anderen  Löcher  oder 
Spalten.  — 

In  Catalonien  unterhalten  sich  die  Kinder,  der  nationalen  Vorliebe  der 
Spanier  entsprechend,  vielfach  mit  fingierten  Stiergefechten.  Auch  Tänze, 
von  den  Knaben  auf  der  Mundharmonika  gespielt  und  von  den  Mädchen  ge- 
tanzt, bilden  eine  beliebte  Unterhaltung  der  Kinder.  Puppen  und  Kreisel  sah 
Frau  Julita  Michael-Breslau  in  Catalonien  nicht,  wohl  aber  Ballspiel. 
Spiele  mit  Muscheln  und  viele  Bilderbücher.  —  Fächer  wissen  schon 
zweijährige  Kinder  anmutig  zu  handhaben.  —  Fünf-Finger-Spiel,  „Tauben- 
fliegen-', Plumpsack  erwähnte  Floß  im  Hinweis  auf  Liebrecht1). 

Kin  besonders  frischer,  kampflustiger  Zug  geht  durch  die  Spiele  der 
mexikanischen  Jugend  spanischer  Abkunft.  Frederik  /Sfarr-Chicago  hat 
uns  in  seinem  ..Catalogue  of  a  Collection  of  Objects  illustrating  the  Folklore 
of  Mexico-''2)  eine  reiche  Auswahl  daraus  vorgeführt.  Hier  mögen  einige 
folgen:  Der  „Toro  enteio-'  ist  die  Nachahmuug  eines  Stierkampfes  mit 
allen  Einzelheiten  eines  wirklichen  Stierkampfes.  Die  Zuschauer,  zugleich 
Musikanten,  sitzen  auf  einem  erhöhten  Platz  und  musizieren;  man  wählt  einen 
Kampfrichter  (juez);  der  Stier  ist  eingespeirt;  einmal  losgelassen,  treten  die 
capeadores.  banderilleros  und  matadores  auf,  und  ist  er  am  Schluß  getötet,  dann 
ruft  man  nach  den  Mauleseln,  damit  er  hinausgeschafft  werde.  —  Nach  Starrs 
Versicherung  wird  dieses  Spiel  bei  der  spanisch-mexikanischen  Einderschar 
allen  anderen  vorgezogen.  Man  sehe  es  von  den  Gassenjungen  auf  allen 
Plätzen  aufführen.  Lumpen  oder  zerrissene  Jacken  dienen  als  capas,  Stöcke 
als  banderillas  und  Schwerter. 

Ein  anderes  Stiergefechtspiel  in  Mexiko  sei  der  „Toro  Chicho" 3).  Ein 
Knabe  spielt  den  Stier;  die  andern  stürzen  als  Kämpfer  auf  ihn  los.  Gelingt 
es  ihm,  einen  von  diesen  auf  den  Rücken  zu  schlagen,  dann  tritt  dieser  an 
seine  Stelle,  d.  h.  der  Geschlagene  übernimmt  die  Rolle  des  Stiers.  —  Starr 
bemerkt  hierzu:  „It  is  lively  work.-' 

Aber  nicht  nur  der  Stier,  sondern  auch  der  Löwe,  der  Tiger,  der  "Wolf,. 
der  Adler,  die  Schlange,  der  Hirsch  und  andere  Tiere  beschäftigen  die  Phantasie 
der  mexikanisch-spanischen  Kinderschar  bei  ihren  Spielen.  Hiervon  einige 
Beispiele: 

„El  leon  y  el  tigre"  (Löwe  und  Tiger).  Zwei  Knaben.  Löwe  und 
Tiger,  werden  von  den  Mitspielenden,  Jägern,  mit  Stöcken  und  Schildern  ver- 
folgt. Beim  Aufeinanderprallen  soll  es  sehr  handgreiflich  zugehen.  Für  tot 
gilt  einer,  wenn  er,  niedergeschlagen  oder  niedergeworfen,  auf  dem  Rücken 
liegt,  und  erst  wenn  Löwe  und  Tiger  oder  alle  Jäger  so  zur  Strecke  gebracht 
worden,  ist  das  Spiel  zu  Ende. 

„Coyote"  (Prärienwolf).  Ein  Knabe  ist  der  Wolf;  die  andern  sind 
Hühner  und  bilden,  sich  die  Hände  reichend,  einen  Kreis,  während  der  Wolf 
beiseite  steht.  Nun  drehen  sie  sich  im  Kreise  und  rufen  ihnen  zu;  „Coyote 
por  donde  vas?"  (Coyote,  wo  gehst  du  hin?)  Dieser  stürzt  nun  auf  einen  los 
und  sucht  ihn  aus  dem  Kreis  zu  reißen.  Die  Hühner  dürfen  sich  bei  ihrer 
Abwehr  nicht  der  Hände  bedienen,  stoßen  den  Wolf  aber  mit  den  Füßen,  wenn 
er  ihnen  nahekommt.  Der  läßt  jedoch  nicht  nach,  bis  nur  eine  Henne  übrig 
bleibt.     Diese  wird  der  Wolf  für  das  neu  beginnende  Spiel. 

„Culebra"  (Schlange).  Ein  Knabe  stellt  einen  Adler,  alle  übrigen 
Mitspieler  zusammen  eine  große  Schlange  dar,  indem  jeder  seinen  Vormann 
am  oberen  Saum  des  Beinkleides  oder  an   einen  Knopf  seiner  Joppe  festhält. 

i")  Liebrecht,  ..Zur  Volkskunde",  S.  390. 

8)  London  1899. 

3l  Wohl  „chico"  (klein  iV 


250     •  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

so  daß  sie  eine  lange  Eeihe,  die  Schlange,  bilden.  An  ihrer  Spitze  steht  der 
größte  Knabe  dem  Adler  gegenüber,  der  nun  fragt:  „Per  donde  sale  el  sol?1' 
(Wo  geht  die  Sonne  auf?)  -  Schlange:  „Acä!"  (hier).  —  Adler:  „No!  acä!" 
(Nein!  hier!)  Diese  Meinungsverschiedenheit  führt  zum  Kampfe.  Schreiend 
und  heftig  gestikulierend  stehen  sich  das  Schlangenhaupt  und  der  Adler  gegen- 
über, und  dieser  versucht  den  Schwanz  der  Schlange,  d.  h.  den  kleinsten  und 
letzten  der  Knaben,  zu  erhaschen.  Gelingt  es  ihm,  so  folgt  der  nächste  u.  s.  f. 
Er  darf  auch  zwei  zugleich  wegreißen.  Immer  aber  läuft  er  Gefahr,  von  deu 
die  Schlange  bildenden  Knaben  umschlungen  und  so  besiegt  zu  werden.  ..ißt" 
aber  er  alle  auf,  so  ist  der  Sieg  sein1). 

Ferner  schildert  Starr  das  Spiel  ..Cebollita'"  (Kleiner  Zwiebel):  Eine 
Eeihe  Knaben  setzt  sich  so  auf  die  Erde,  daß  immer  der  eine  zwischen  den 
Beinen  seines  Hintermanns  sitzt  und  dieser  dessen  Oberkörper  mit  den  Armen 
umspannt.  Nun  redet  ein  außerhalb  der  Reihe  Stehende]'  den  ersten  an: 
„Der  Pfarrer  möchte  einen  kleinen  Zwiebel."  Antwort:  ..Er  soll  ihn  aus- 
reißen, wenn  er  kann."  —  Jener  sucht  dieser  Aufforderung  nachzukommen, 
indem  er  den  Angeredeten  packt.  Gelingt  es  ihm,  dann  macht  er  sich  an 
den  nächsten  u.  s.  f.  Gelingt  es  ihm  nicht,  so  tritt  der  Festgewurzelte  an 
seine  Stelle  als  Herauszieher. 

„Venado"  (Hirsch).  Knaben  setzen  sich  in  einen  durchbrochenen  Kreis. 
Die  Öffnung  stellt  eine  Tür  vor.  Neben~jedem  Knaben  ist  ein  Häufchen 
Schmutz,  dessen  Spitze  etwas  eingedrückt  ist.  Es  sind  die  Tränken  für  den 
Hirsch  und  enthalten  etwas  Speichel  oder  Wasser.  Der  Hirsch  naht  sich 
alsdann  den  herumsitzenden  Knaben  von  hinten,  schlägt  mit  den  Worten 
„cacaon,  cacaon"  zwei  Steine  aneinander  und  beriecht  einem  jeden  Kopf  und 
Schultern.  Lacht  der  Beschnüffelte,  dann  erhält  er  einen  Stoß.  Hat  der 
Hirsch  seine  Tour  außerhalb  des  Ringes  vollendet,  dann  tritt  er  durch  die 
Tür  hinein  und  geht  nun  von  Tränke  zu  Tränke,  indem  er  auch  diese  der 
Reihe  nach  beschnüffelt.  Verboten  ist.  daß  man  ihm  den  Kopf  hineindrückt, 
aber  es  soll  doch  vorkommen.  Hat  er  auch  hier  seine  Runde  gemacht  und  will 
er  hierauf  entfliehen,  dann  entsteht  der  Kampf.  Die  im  Kreise  sitzenden  wollen 
ihn  nicht  hinauslassen,  und  bricht  er  doch  durch,  dann  geht  eine  allgemeine 
Verfolgung  los.  Wer  den  Hirsch  fängt,  wird  selbst  ein  Hirsch  und  muß  von 
dem  alten  auf  dem  Rücken  zum  Spielplatz  zurückgetragen  werden,  wo  das 
Spiel  aufs  neue  beginnt.  — 

Als  ein  Spiel,  das  an  die  Aufmerksamkeit  der  beteiligten  Kinder,  meistens 
Madchen,  bedeutende  Anforderungen  stellt,  beschreibt  Starr  den  ...luan 
Pirolero".  Die  Kinder  sitzen  mit  ihrem  Anführer  oder  ihrer  Anführerin 
im  Kreise.  Alle,  die  letzten  ausgenommen,  wählen  ein  Handwerk:  Waschfrau, 
Kuchenbäckerin,  Kleidermacherin,  Müllerin  usw.  Die  Anführerin  ist  stets  eine 
Flötenbläserin.  Das  ganze  Spiel  wird  unter  wiederholter  Absingung  der 
Strophe  durchgeführt: 

..Este  es  el  juegn  Das  ist  das  Spiel 

De  Juan   I'imlero.  Des  Juan   I'irolero. 

t(w  cada  cual  Jedes  für  sich 

Atiende  a  su  juego.'"  —  Habe  acht  auf  sein  Spiel. 

Während  dieses  Gesanges  muß  jede  Mitspielende  ihr  Handwerk  durch  passende 
Gebärden  ausdrücken.  Die  Flötenspielerin  hat  das  Vorrecht,  daß  sie  bisweilen 
plötzlich  irgendein  beim  Spiel  vertretenes  Handwerk  nachahmt,  und  das 
Mädchen,  welches  dieses  Handwerk  vertritt,  hat  dann  die  Aufgabe,  ihr  eigenes 
Gebärdenspiel  ebenso  plötzlich  und  ebenso  lange  v.fj:<-n  die  Pantomime  des 
Flütenspiels  umzutauschen. 

l)   Kirnte,  gleichfalls  von  Store  mitgeteilte,  interessante  Spiele  sind  illustriert  und  ver- 
weise ich  den  geschätzten   Leser  aui  dessen  „Catalogue  -  .  ."  (pp.  .'S8 — 12). 


§257.   Griechen,  Römer  und  romanische  Völker  der  Neuzeit.    Seitenstiieke  bei  Germanen.      251 

Den  mexikanischen  Bevölkerungsverhältnissen  und  der  herrschenden  Ab- 
neigung gegen  die  eingewanderten  Chinesen  entwachsen  ist  wohl  das  Spiel 
„El  gran  Chino"  (Der  große  Chinese).  Ein  Knabe  sitzt  in  einem  Stuhl; 
um  ihn  kauern  im  Kreise  seiue  Spielkameraden  auf  der  Erde.  Jeder  aus 
diesen  nimmt  den  Namen  eines  Landes  oder  einer  Stadt  an  und  macht  ihn 
allen  andern  mit  lauter  Stimme  bekannt.  Der  Chinese  auf  dem  Stuhl  aber 
ballt  sein  Taschentuch  zusammen  und  spricht: 

„Yo  soy  el  gran  Chino  de  Valencia, 
Que  tiene  la  gran  ocurrencia 
De  entrar  en  la  ciudad  N.  N." 

Ich  bin  der  große  Chinese  von  Valencia 

Mit  dem  gxoßen  Plan, 

In  das  Land  (oder  die  Stadt)  N.  N.  einzuziehen. 

Hierbei  nennt  er  einen  der  gewählten  Städte-  oder  Landnamen  und  wirft  sein 
zusammengeballtes  Taschentuch  nach  dem  Träger  des  Namens.  Dieser  ent- 
gegnet ihm,  er  solle  nicht  hier,  sondern  in  die  Stadt  (in  das  Land)  N.  N. 
einziehen,  indem  er  seinerseits  das  Taschentuch  auf  den  genannten  Knaben 
wirft.  Jeder  Irrtum  bei  diesen  Benennungen  gilt  als  Verlust  und  drei  solche 
Verluste,  schließen  aus  dem  Spiele  aus. 

Neben  diesen  und  vielen  anderen  Spielen,  welche  die  spanisch-mexi- 
kanischen Kinder  auf  den  Straßen  und  Plätzen  aufführen,  hat  Starr  auch  zahl- 
reiche Karten-  und  Brettspiele  mitgeteilt,  mit  welchen  sich  die  dortigen  Kinder 
zu  Hause  unterhalten.  Von  den  letzteren  erscheint  mir  besonders  „El  Laberinto" 
(Das  Labyrinth)  erwähnenswert.  Das  Spielbrett  trägt  das  Bild  einer  vielfach 
verschlungenen  Schlange1),  deren  Körper  64  Felder  aufweist,  von  denen  63  je 
eine  Zahl  und  "in  Bild  enthalten.  Das  64.  hat  keine  Zahl,  aber  das  Bild  des 
Todes.  Man  spielt  mit  drei  Würfeln.  Wirft  ein  Spieler  gleich  anfangs  drei 
Einser,  so  hat  er  das  Spiel  gewonnen.  Andernfalls  spielt  er  die  Serie  bis 
Nr.  63  durch.  Diese  Nummer  trägt  das  Bild  der  blinden  Fortuna.  Geht  er 
aber  weiter,  also  bis  zum  Feld  des  Todes,  so  hat  er  das  Spiel  verloren,  wenn 
er  nicht  von  einem  andern  zurückgeworfen  wird.  Ein  erster  Wurf  mit  drei 
Fünfern  läßt  bis  Nr.  42  vorrücken.  Wenn  im  Feld  mit  dem  Stier,  darf  der 
Spieler  eine  Marke  aus  dem  Einsatz  nehmen;  wenn  beim  Hahn,  zwei;  wenn 
beim  Hahn  Nr.  51,  drei.  Hingegen  hat  er  eine  Marke  zum  Einsatz  zu  legen, 
so  oft  ein  Würfel  auf  eine  legende  Henne  fällt,  wobei  er  zugleich  einen  Wurf 
verliert.  Ein  laufendes  Kaninchen  verdoppelt  den  Wurf;  beim  Hund  und  beim 
Kamel  muß  der  Spieler  warten,  bis  ein  anderer  ihm  nachkommt  und  sein 
Feld  einnimmt.  Kommt  er  an  ein  Feld,  das  bereits  eingenommen  ist,  so  wirft 
er  den  Würfel  seines  Vormannes  zu  dessen  früherer  Stellung  zurück.  Fürchtet 
er  über  63,  also  bis  zum  Tod,  hinauszukommen,  so  kann  er  bei  61  oder  59 
stehen  bleiben,  verliert  aber  dadurch  einen  Wurf  und  muß  eine  Marke  be- 
zahlen, überholen  ihn  die  andern  Spieler  und  kommen  bis  zum  Todesfeld, 
so  gehört  doch  das  Spiel  ihm,  wenn  er  Nr.  63  am  nächsten  ist,  und  wird  er 
aus  seiner  Stelle  zurückgeworfen,  so  braucht  er  die  Marke  nicht  zu  zahlen 
und  hat  noch  einen  Wurf. 

Interessant  schildert  dann  Starr  die  Spiele:  „Castillo  de  los  Aztecas" 
(die  Burg  der  Azteken);  „2°  de  Abril",  ein  Kriegsspiel,  welches  das  Datum 
einer  in  der  mexikanischen  Geschichte  denkwürdigen  und  glorreichen  Be- 
lagernng  trag«  ;  ..La  Batalla'"  (Die  Schlacht);  „la  Guerra  de  los  Kickapoos" 
(Der  Kickapookrieg);  „Oca  General  Porfirio  Diaz"  und  ..Kos  Insurgentes".  — 
Ferner    gibt    es    geographische   Spiele:    ,.Los    viajeros    en   Mexico"    (Die 


')  Die   verhältnismäßig  vielen  Schlangenspiele   im    heutigen  Mexiko   dürften    mit   dem 
üppigen  Schlangenkult  im   alten  Mexiko  zusammenhängen. 


252  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

Reisenden  in  Mexiko)  und  „Los  Exploradores  del  Polo"  (Die  Nordpolforscher). 
Eto  politisches  Spiel  endlich  ist  „El  Cambio  del  Ministro"  (Der  Minister- 
wechsel)1) ■  ■  Sehen  wir  uns  nun  nach  französischen  Kinderspielen  um: 
Das  uns  schon  aus  Sizilien  und  Bayern  bekannte  Brückenspiel  ist 
auch  bei  der  französischen  Jugend  beliebt.  Sein  hohes  Alter  ist  dadurch 
bewiesen,  daß  es  schon  in  „Babelais'  Gargantua"  erwähnt  ist2).  — 

Von  den  Rundgesängen  der  französischen  Kinder  schrieb  Andre  lhewnet: 
Le  repertoire  de  ces  rondes  franijaises,  si  alertes,  si  sautillantes  et  si  gaies. 
est  aussi  varie  et  abondant  que  les  herbes  d'une  prairie.  11  y  en  a  de  drama- 
tiques  comme  le  Pont  du  nord.  de  galantes  comme  les  Trois  Alles  dans  un 
pre  ou  Cecilia,  d'ironiques  comme  celle-ci,  qui  est  originaire  du  Poitou.  et 
dont  le  mouvement  est  si  bien  rythme,  qu'on  croit  voir  a  tont  moment  tour- 
noyer  la  chaine  des  danseurs: 

..Derriere  chez  mon  pere 
11  y  a  un  etang, 
Trois  jeunes  demoiselles 
S'y  vont  promenant. 
Vous  qui  menez  la  ronde, 
Menez-la  rondement." 

En  chemin,  les  trois  demoiselles  rencontrent  un  pelerin  qui  les  implore, 
mais  les  helles  n'ont  pas  le  coeur  tendrj;  et  elles  rabrouent  le  quemandeur 
indiscret: 

..Avoir  pitie  des  hommes, 
Nous  n'avrons  pas  le  temps. 
Les  gar§ons  sont  volages 
Comme  la  feuille  au  vent, 
Vous  qui  menez  la  ronde, 
Menez-la  rondement."  — 

Andere  Liedchen  der  französischen  Jugend  sind  an  den  Maikäfer  ge- 
richtet, welchen  sie  zum  Fliegen  auffordern: 

„Hanneton,  vole,  vole! 
Ton  mari  est  ä  l'eeole, 
11   a  dit  qu'si  tu  volais, 
Tu  aurais  d'la  soupe  au  lait, 
II  a  dit  qu'si  tu  n'volais  pas. 
Tu  aurais  la  töte  en  bas."  — 

Oder  sie  singen  nach  Kamps  Übersetzung: 

..fliege.  Käfer,  flieg'  bergan, 
In  der  Schule  ist  dein  Mann, 
Hat  gesagt,  daß  wenn  du  fliegst, 
Du  mit  Milch  die  Suppe  kriegst, 
Hörst  du  aber  nicht  hierauf, 
So  bekommst  du's  hinten  drauf." 

(Heims;   Tarbes  Sammlung.) 

„April,  fliehe  schnell,  .Am  Himmel,  o  Graus. 

Der  Mai  ist  zur  Stell',  Da  brennt  schon  dein  Haus, 

Damit  er  gleich  den  Kopf  dir  fegt  Die  Türken  kommen  mit  dem  Schwert, 

Und   Frosl   und  Regen  niederschlägt,  Dann   wird  dir  deine  Brirt  verheert  — 

Flies?',  Maikäfer,  flieg',  Flieg',  Maikäfer.  ">g. 

Kli.-'    Maikäfer,  flieg'."  Flieg',  Maikäfer,  flieg  ! 

(Elsaß;  Champfleurys  Sammlung.) 

§  258.     Kelten  und  Germanen.     Europäische  sogenannte  Urbevölkerung. 

Seitenstücke  bei  Slawen. 
Den  Kinderspielen  im  schottischen  Hochlande  ha1  R.  Graig  Maelagan 
in   neuerer  Zeit  seine   Aufmerksamkeit  zugewandt.     Wir    lernen   aus   ihnen 

»)   Die   Ausführung  dieser  Spiele  ist  in   Statrs  ..Catalogue"  beschrieben. 
2)  Floß,  2.  Aufl.  II,  292  (nach  Buchholz). 


§  258.    Kelten  und  Germanen.    Europäische  sog.  Urbevölkerung.   Seitenstücke  bei  Slawen.     253 

keltische  Jugendlust  kennen:  Als  bei  den  schottischen  Hochländern  noch 
das  gaelische  slabhraidh  über  jedem  Feuer  hing,  so  schreibt  er,  machten 
sich  die  Knaben  oft  das  Vergnügen,  sich  über  dem  Feuer  hin-  und  herzu- 
schwingen, indem  sie  sich  mit  einem  Fuß  in  den  Haken  des  slabhraidh  und 
mit  den  Händen  an  der  Kette  oder  dem  Balken,  an  welchem  es  befestigt  war, 
festhielten.  Dieses  Spiel  scheint  von  den  Eltern  nicht  gern  gesehen  worden 
zu  sein,  denn  Craig  Machgan  setzt  hinzu:  Wenn  die  Eltern  ausgegangen 
waren,  strömten  die  Knaben  zahlreich  ins  Haus,  um  sich  auf  die  obige  Art 
in  Rauch  und  Büß  zu  ergötzen.  —  Ein  noch  mehr  aufregender  Sport  der 
schottischen  Hochländerknaben  bestand  darin,  daß  sie  sich  mit  den  Füßen  an 
einem  Querbalken  des  Hauses  aufhängten,  und  kopfabwärts,  sich  völlig  ent- 
kleideten, die  Kleider  fallen'  und  sich  selbst  hierauf  an  einem  Dachsparren 
herunterließen. 

Eine  Art  Blindekuh-  oder  Blindemausspiel1)  ist  unter  den  schottischen 
Hochländern  als  „Spionadh  Anna  Gorach",  d.  h.  „die  närrische  Anna  zupfen" 
bekannt.  Den  Verlauf  schildert  Maclagan  wie  folgt:  Nachdem  man  dem 
Knaben  oder  Mädchen,  welches  die  Rolle  der  Anna  Gorach  übernimmt,  die 
Augen  verbunden  hat,  räumt  man  alles  weg,  worüber  das  Kind  stolpern  könnte, 
und  nun  entspinnt  sich  zwischen  ihm  und  den  Mitspielenden  folgendes  Gespräch: 
„Tha  do  mhathair  ga  d'iarruidh."  —  „C'arson?"  —  ,,A  ghabhail  do  bhrochan." 
-  „C'ait  bheil  an  spain?"  —  „Tionndaidh  mu'n  cuairt  tri  nairean  agus  amhairc 
air  a  shon."  (..Deine  Mutter  fragt  nach  dir."  —  „Warum?"  —  „Du  sollst 
deine  Suppe  essen."  —  „Wo  ist  der  Löffel?"  —  ,.Dreh'  dich  dreimal  um  und 
suche  ihn.")  Nun  sucht  Anna  Gorach  eines  der  Kinder  zu  erhaschen,  während 
sie  bald  von  diesem,  bald  von  jenem  einen  Stoß  erhält  oder  gezupft  und 
„Spionadh  Anna  Gorach"  angeschrieen  wird.  Wen  sie  erwischt,  tritt  an 
ihre  Stelle. 

Dieses  Spiel  wird  auf  einigen  Hebrideninseln  als  „Posadh  cheirt"  auf 
einen  Hochzeitsbrauch  in  St.  Ivilda  zurückgeführt,  welcher  folgenderweise 
beschrieben  wird:  Der  Geistliche  nahm  die  Hochzeitslente  in  die  eigens  für 
die  Hochzeit  verdunkelte  Kirche  und  stellte  sie  in  zwei  Reihen  längs  den 
Mauern  auf,  Braut  und  Bräutigam  an  zwei  gegenüberliegenden  Ecken,  wo 
man  ihnen  die  Augen  verband.  Nach  Verrichtung  eines  Gebetes  sagte  der 
Geistliche  „Air  ord",  worauf  Braut  und  Bräutigam  einander  zu  erhaschen 
suchten.  Dreimal  durften  sie  es  versuchen;  gelang  es  auch  das  drittemal 
nicht,  dann  mußten  sie  unverheiratet  abziehen. 

Auch  volkstümliche  Zun  gen  Übungen  der  Art,  wie  wir  sie  weiter  unten 
im  Munde  der  deutschen  Jugend  finden  werden,  hat  Craig  Maclagan  in 
gaelischer  Sprache  gefunden  und  dazu  die  englische  Übersetzung  gefügt. 
Hiervon  zwei  Proben. 

Gaelisch:  Englisch: 

..Uisg'  blatb,  bog,  Water  warm,  soft 

Tighiun  mach  a  gob  Coming  from  the  spout 

A  eheatail."  —  of  the  Kettle.  — 

Gaelisch:    ,,Cac  circ'  air  au  spar,  pairt  de  dubh's  pairt  de  ban." 
Englisch:  The  heu   .   .   .   on   the  spar,  part  black,  part  white. 

Die  letztere  Zungenübung  habe  ein  Lehrer  mit  Vorliebe  seinen  Schülern 
zu  sehr  schnellem  Aussprechen  gegeben,  wobei  diese  eine  feierliche  Miene 
machen  mußten.     Taten  sie  letzteres  nicht,  so  wurden  sie  strenge  gestraft. 

Andere  Schulkinderverse  aus  Schottland  (Argyleshire)  lauten  bei 
-K.  Craig  Maclagan: 


')  Im  Englischen   .,Blindfold   Games",  „Blindman's  buff". 


254  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

„Dicky  Dan  was  a  funny  wee  man, 

He  washed  his  head  in  a  tarry  pan, 

He  combed  his  hair  with  the  leg  of  a  chair, 

Dicky  Dan  was  a  iunny  wee  mau."  — 

„John  Brown  is  a  nice  young  man. 

He  comes  to  the  door  hat  in  han'. 

Doun  comes  she  all  dressed  in  silk, 

A  rose  in  her  bosom  white  as  milk. 

He  pulls  of  his  glove  and  shows  her  the  ring, 

To-morrow  the  wedding  shall  begin."  — 

„Barber,  barber,  shave  a  pig. 
llnw  many  hairs  will  make  a  wig? 
Twenty-four,  that's  enough; 
Give  the  barber  lad  a  snuff."  — 

Von  den  zu  Argyleshire  gehörigen  westlichen  Inseln  beschreibt 
Maclagan  zwei  Ballspiele.  Bei  dem  ersten,  „Cluich  an  Tighe"  genannt,  weiden 
an  einem  Dreieck  drei  zirka  tiü  Ellen  voneinander  entfernte  Kreise  auf  die 
Erde  gezeichnet.  Diese  Kreise  heißen  „an  Tigh".  Innerhalb  eines  der  Kreise 
stellen  die  Mitspielenden  mit  einer  einzigen  Ausnahme,  und  dieses  einzige  Kind 
steht  außerhalb.  Es  soll  die  drinnen,  welche  den  Kreis  verteidigen,  gefangen 
nehmen,  d.  h.  sie  mit  seinem  Ball  treffen,"während  die.  Verteidiger  von  einem 
Kreis  zum  andern  laufen  Wer  getroffen  wird,  bleibt  bis  zum  Schluß  des 
Spieles  gefangen.  Der  Außenstehende  oder  Belagerer  geht  als  Sieger  hervor, 
wenn  es  ihm  gelingt,  jeden  Verteidiger  zu  treffen,  ehe  diese  die  Kreise  so 
oft  umlaufen  haben,  als  vor  dem  Spiel  festgesetzt  worden  war. 
Das  zweite  Spiel  heißt  „Bonnety"  und  verläuft  so: 
Alle  Mitspielenden  legen  ihre  Mützen  längs  einer  Mauer  der  Reihe  nach 
so  auf  die  Erde,  daß  der  Boden  der  Mützen  gegen  die  Mauer,  die  Öffnung 
gegen  die  Spieler  schaut.  Das  Ziel  des  jeweiligen  Spielers  ist  ca.  acht  Fuß 
von  den  Mützen  entfernt.  Von  da  aus  sucht  er  einen  Ball  in  eine  von  diesen 
hineinzurollen.  Gelingt  dieses,  so  ergreift  der  Eigentümer  der  Mütze,  während 
alle  andern  davoneilen,  den  Ball  und  wirft  ihn  einem  nach.  Dreimal  muß  er 
jedoch  ein  und  denselben  treffen,  ehe  dieser  aus  dem  Spiel  ausgeschaltet  wird. 
Hiergegen  berechtigt  der  Ball,  wenn  von  einem  erhascht,  diesen  an  Stelle 
seines  Vormannes  zum  Rollen. 

Weitere  Spiele  der  gaelischen  Jugend  sind  die  Bat-  oder  Knüttel- 
spiele und  eine  Reihe  anderer  Spiele,  welche  Maclagan  in  seinem  Werke 
mehr  oder  weniger  ausführlich  beschreibt.  — 

Im  englisch-schottischen  Grenzgebiete  halten  die  Kinder  die  Er- 
innerung an  die  alten  Fehden  durch  das  „schottisch-englische  Spiel"  oder 
„The  Kaid"  lebendig.  Es  spielt  sich  folgenderweise  ab:  Die  Knaben  eines 
Dorfes  wählen  aus  ihrer  Mitte  zwei  Häuptlinge,  teilen  sich  in  zwei  Gruppen, 
ziehen  sich  ans  und  legen  die  Kleider  auf  zwei  Hauten,  jeden  auf  das  jeder 
Partei  gehörende  Gebiet,  welches  durch  einen  stein  vom  Gebiete  des  Gegners 
abgegrenzt  ist.  Hierauf  fallen  die  Parteien  in  die  entgegengesetzten  Gebiete 
ein,  wobei  die  Engländer  rufen:  „Ein  Sprung  in  dein  Land,  du  hartbaucluger 
Schotte."  Die  Gegner  plündern  sich  nach  Kräften  aus.  Gefangene  fallen 
unter  die  Gerichtsbarkeit  des  Feindes,  können  aber  von  der  eigenen  Partei 
OSgekauft    werden  {Ihilfour-Northcote). 

Aus  Suffolk  teilt  Lady  Everline  Camdla  Gurion  das  Spiel  „Ducks 
and  Drakes"  mit,  welches  dem  schwäbischen  „Schättala"  entspricht  und 
im  folgenden  besteht:  .Man  wirft  einen  Ilachen  Stein  schief  in  ein  stillstehendes 
Gewässer,  damit  es  ein-  oder  mehreremal  wieder  auftauche.  In  Suffolk  heißt 
das  einmalige  Auftauchen  „a  duck"  (eine  Ente);   das  zweimalige  „a  duck  an 


§258.    Kelten  und  Germanec    Europäische  sog.  Urbevölkerung.    Seitenstücke  bei  Slawen.      955 

a  drake"  (eine  Ente  und  ein  Enterich);  das  dreimalige  „a  duck  an  a  drake 
an  a  fie'  penny  cake"  (eine  Ente  und  ein  Enterich  und  ein  Fünfpfennig- 
Kuchen)  usw.  Diese  Benennungen  müssen  während  des  Spieles  ebenso  rasch 
ausgesprochen  werden  als  der  Stein  untertaucht.  Dieses  Spiel  ist  hier  also 
zugleich  eine  Zungen  Übung. 

Die  folgenden  drei  englischen  Reigentänze  mit  Gesang  hat  Lad}' 
Qurdon  nach  den  Mitteilungen  der  Miss  Nina  Layard  veröffentlicht.  Bei 
dem  ersten  „Es  ist  eine  Dame  auf  dem  Berg"  bilden  Mädchen  einen  Kreis 
und  drehen  sich  singend  um  ein  Mädchen,  das  in  der  Mitte  steht.  Der  Text 
des  Gesanges  lautet: 

,.There's  a  lady  on  tue  mountain, 
Who  she  is  1  do  not  know; 
All  she  want  is  gold  and  silver: 
All  she  want  is  a  niee  young  man. 
Now  you're  married  you  nnist  be  good. 
Make  your  husband  chop  the  wood. 

Chop  it  fine  and  bring  it  in, 

Give  three  kisses  in  the  ring."  — 

Beim  folgenden  Reigentanz  steht  in  der  Mitte  des  Kreises  ein  Knabe  und 
ein  Mädchen,  etwas  voneinander  entfernt.  Dieses  ist  die  Dame,  jener  der 
Herr.     Der  Knabe  beginnt: 

„There  Stands  a  lady  on  yonder  hill, 
Who  she  is  I  cannot  teil; 
ril  go  and  court  her  for  her  beauty. 
Whether  she  answers  me  yes  or  no. 
Madam  I  bow  once  to  thee." 

Nun  folgt  ein  kurzes  Zwiegespräch  zwischen  dem  „gentleman"  und  der 
„lady",  worauf  jener  diese  ersticht.  Die  lady  fällt  zu  Boden  und  der  gentle- 
man umkreist  sie  singend: 

„Rise  up,  rise  up,  my  pretty  fair  maid, 

You're  only  in   a  trance; 
Kise  up,  rise  up,  my  pretty  fair  maid, 

And  me  will  have  a  dance." 

Dann  richtet  er  das  Mädchen  auf,  und  das  Spiel  ist  zu  Ende. 

Das  dritte  Spiel  ist  betitelt:  „Die  arme  "Witwe".  In  der  Mitte  des 
Kreises  steht  ein  Kind;  die  den  Kreis  bildenden  Mitspieler  singen: 

„One  poor  widow  is  left  alone,  all  alone.  all  alone, 
Chobse  the  worst  and  choose  the  best, 
And  choose  the  one  that  you  like  best." 

Nun  wählt  das  Kind  in  der  Mitte  ein  mitspielendes  aus  dem  Ring,  während 
die  andern  singen: 

„Now  she's  married  I  wish  her  joy, 
Her  father  and  mother  she  must   obey, 
Love  one  another  like  sisters  and  brothers, 
And  now  it's  time  to   go  away."  — 

Aus  Suffolk  teilte  Lady  Gurdon  ferner  Kinderreime  auf  das  Marien- 
käferchen (golden-bug  oder  lady-bird)  mit,  welches  bekanntlich  auch  von 
den  deutschen  Kindern  angesungen  wird.  (Über  diese  später.)  Setzt  sich 
in  Suffolk  ein  solches  Käferlein  auf  ein  Kind,  dann  ruft  man  ihm  zu: 

,.Gowden-bug.  Gowden-bug,  fly  away  home ; 

Yar  house  is  bahnt  down,  an  yar  children  all  gone." 

Bei  der  dritten  Wiederholung  dieser  Verse  fliegt  das  Marienkäferchen  sicher 
fort,  — 


256  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

Henderson  machte  uns  aus  dein  „nördlichen  England1'1)  mit  der  folgenden 
Variante  dieser  Reime  bekannt: 

„Ladybird,  ladybird,  fly  away  home. 

Tay  house  is  on  fire,  thy  children  all  gerne.-'  — 

Wie  in  Italien,  Deutschland  und  Polen,  so  singen  auch  in  England 

die  Kinder  Schnecken  an.     Im  nördlichen  England  drohen  sie:  „Snail, 

snail    put  out  your  hörn,   —  Or  l'll  kill  your  father  and  mother  tlie  niorn!'' 

In  Süd-England:   „Snail,  snail,  come  out  of  your  hole,  Or  eise  l'll 

beat  von  as  black  as  a  coal!'- 

Aus  Süd-Italien  wird  ein  ähnliches  Sprüchlein  übersetzt:  „Schnecke, 
Schnecke,  streck  aus  dein  Hörn,  -  Deine  Mutter  gibt  dir  ihren  Spott  und 
Zorn,   -      Denn   sie   hat   just   ein   Söhnchen   gebor'n!"  Im    Polnischen: 

„Sliimic,  slimac  wypusc  rogi,  -  Dam  ci  grosz  na  pirogi!"'  (Pirog  =  feines 
Weizenbrot,  Semmel.)  —  Deutsche  Schnecken verse  später. 

In  Norfolk  singen  die  Kinder  beim  Schaukelspiel: 

„l  went  down  the  garden, 
And  there  1  found  a  i'arden; 

I  gove  it  to  my  mother, 
To  buy  a   baby  brother; 

II  v  brother  was  so  cross: 
We  put  him  on  a  horse; 
The  horse  was  so  founded, 

(?  so  randy  or  bandy), 
We  gave  him  a  drop  o'  brandy; 
The  brandy  was  so  strong, 
We  put  him   in   the  pond; 
The  pond  was  so  deep; 
We  put  bim  in  a  oradle 
And  rocked  him  off  to  sleep 
W'ith  a  heigh-ho! 
Over  the  bowling  green."  — 

Mit  dein  „heigh-ho!"  erhält  das  in  der  Schaukel  sitzende  Kind  einen  stärkeren 
Schwung  und  macht  nun  einem  anderen  Kinde  Platz  (TP.  B.  Gensh). 

Ein  englisches  Wahrsagespiel  hat  Graig  Maclagan  veröffentlicht: 
lin  festzustellen,  wann  der  oder  jener  Knabe  oder  irgendein  Mädchen  heiratet, 
berührt  man  die  Knöpfe  der  Weste  oder  Joppe   oder  Taille  und  sagt  dabei: 

„This  year, 
Ncxt  year, 
Some  time, 

Never2).-' 

Das  mit  dem  letzten  Knopf  Zusammenfallende  trifft  ein. 

Eine  englische,  wohl  bekannte  Zungen  Übung  lautet:  „Peter  Piper 
picked  a  peck  of  pickled  pepper  off  a  pewter  plate.  Where  is  the  peck  of 
pickled  pepper  Peter  Piper  picked?"  (Graig  Maclagan).  — 

WirkoinmenzumKinderspielzeugder  sogenannten  l'  rein  wo  Im  er  Deutsch- 
lands. Hierher  gehört  die  Kinderklapper,  welche  in  Gräbern  aus  der  dama- 
ligen Zeil  gefunden  worden  ist.  Sie  besteht  aus  zwei  birnenförmigen,  hohlen,  an- 
einander gebackenen  Tonkugeln  mit  eingedrückten  kreisfönnigenVerziernngen,und 
enthält  Steinchen  zum  Klappern.  Auch  Vogelfiguren  aus  Ton,  mit  Sternchen  im 
tnnern,  dienten  als  Kinderklappern  und  Kinderrasseln.  !'!"/:  erwähnte  solche 
aus  der  Sammlung  der  „I  »rutschen  Gesellschaff  in  Leipzig,  sowie  aus  dem 
K.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin.  Die  letzteren  stammen  nach  seiner 
Angabe  aus  den  Gräberfeldern  von  Groß-Czettritz  in  der  Neumark,  aus 


i)  Ploß,  2.  Aufl.  11.  312.  ' 

2)   Ein    ähnliches   Wahrsagespiel   haben    auch   die   bayrischen    S  ch  wabenkinder. 


§258.    Kelten  und  Germanen.    Europäische  sog.  Urbevölkerung.    Seitenstücke  bei  Slawen.     257 

den  Gräbern  bei  Striegau,  Schlesien,  und  aus  jenen  bei  Pforten  in 
der  Lausitz.  Ferner  erwähnte  Floß  derartiges  Spielzeug  aus  der  Bronze- 
zeit in  Sachsen,  Württemberg  und  in  der  Schweiz;  rundgeschliffene  Kiesel, 
wie  sie  die  Knaben  heute  noch  beim  Spiele  benutzen,  seien  im  Urnenfriedhof  bei 
Darzau,  in  der  Provinz  Hannover  gefunden  worden,  und  ein  beinernes  Gäulchen 
mit   einer  Kinderpfeife   an   Stelle  des  Schweifes   habe  Preusker   beschrieben. 

Die  Puppe,  oder  wie  die  alte  deutsche  Benennung  lautete,  die  „Tocke'' 
oder  „Docke"1),  wie  sie  heute  noch  im  bayrischen  Schwaben  und  in 
Schlesien  heißt,  ist  nach  Weinhold  in  Deutschland  seit  dem  9. — 10.  Jahr- 
hundert allgemein  bekannt.  Vielleicht  hatte  das  Kind  mit  ihr  in  Asien  schon 
vor  der  Völkerwanderung  gespielt'2).  —  Im  13.  Jahrhundert  schilderten 
Gedichte  die  Freude  der  Mädchen  au  schönen  und  vielen  Puppen.  In  Wolframs 
„Parcival"  will  das  Töchterchen  des  Burggrafen  dem  heimkehrenden  Gast, 
der  sich  scherzend  zu  ihrem  Bitter  erklärt,  ihre  Puppen  verehren,  welche 
jene  der  Nachbarskinder  an  Schönheit  weit  überragen.  Floß,  der  auf  diese 
Stelle  hinwies3),  erwähnte  auch  weiße  Tonpiippchen  in  der  deutschen  Fraueil- 
tracht des  14.  Jahrhunderts  aus  dem  Germanischen  Museum  in  Nürnberg,  die 
kaum  daumenlang  seien  und  am  Brustteil  eine  Vertiefung  zur.  Einlegung  des 
Patenpfennigs  haben.  Man  habe  sie  im  Jahre  1859  bei  der  Umlegung  des 
Pflasters  unter  der  Straße  gefunden.  Auch  nackte  Kindlein  und  Wickelkinder, 
gepanzerte  Keiter,  einige  Heiligenfiguren,  sowie  kleine  Töpfe,  Kannen,  Schalen, 
Hörner  und  anderes  irdenes  Spielzeug  fand  sich  dabei,  ein  Fund  von  über 
100  Tonfigürchen.  —  Schon  vor  dieser  Zeit  waren  auf  der  Burg  Tannenberg 
in  Franken  Püppchen  aus  gebranntem  Ton  in  der  Tracht  der  2.  Hälfte  des 
14.  Jahrhunderts  gefunden  worden4).  —  Ebenso  wurden  in  Schlesien  Püppchen 
(Frauenfigürchen)  in  der  Tracht  des  späteren  14.  Jahrhunderts  ausgegraben. 
Sie  waren  aus  Kalkstein  und  ca.  9  cm  hoch5). 

Im  13.  Jahrhundert  spricht  sich  der  volkstümliche  Prediger  Berthold 
von  Regensburg  tadelnd  darüber  aus,  daß  die  Mädchen  ihre  Liebe  auf  Puppen, 
Glasringe.  Kränze,  Vögelchen  und  Hündlein  werfen.  Die  Mädchen  spielten  mit 
Hausgerät  und  Putz,  füllten  die  kleinen  Schreine  mit  Puppenkleidung,  ahmten, 
wie  heute,  die  Wirtschaft  ihrer  Mütter  nach  und  lebten  sich  spielend  in  ihren 
späteren  Beruf  als  Hausfrauen  und  Mütter  ein.  -  -  Auch  Tierfiguren  aus  Ton, 
Holz  und  Metall  gehörten  zum  Spielzeug  der  Kinder. 

Die  schwedischen  Bauernmädchen  besaßen  gleichfalls  schon  im  Mittel- 
alter Puppen,  die  Knaben  belustigten  sich  mit  Steckenpferden  und  Bogen- 
schießen.    Ferner  ergötzte  sich  die  Kinderschar  mit  Schneeschuhlaufen. 

Floß  machte  darauf  aufmerksam0),  daß  ein  Teil  des  Waffenspielzeugs 
auch  der  deutschen  Knaben  eine  längst  vergangene  Kulturperiode  vertritt. 
„Ein  gutes  Beispiel  ist  Pfeil  und  Bogen"  schrieb  er.  „Alt  und  in  der  wilden 
Kultur  weit  verbreitet,  können  wir  die  Waffe  durch  das  barbarische  und 
klassische  Leben  hindurch  und  hinauf  bis  zu  einer  hohen  mittelalterlichen 
Stufe  verfolgen.  Aber  wenn  wir  jetzt  bei  einem  Scheibenschießen  zuschauen, 
oder  zur  Zeit,  wenn  die  Kinder  mit  Pfeil  und  Bogen  spielen,  durch  die  Land- 
straßen gehen,  so  sehen  wir  die  alten  Waffen,  welche  bei  einigen  wilden 
Stämmen  noch  ihre  tödliche  Stellung  auf  der  Jagd  und  im  Kampfe  einnehmen, 
zu  einer  bloßen  Kurzweil   erniedrigt.     Die  Armbrust,  eine  verhältnismäßig 


')  Tocke   oder  Docke   soll   ursprünglich    der  Ausdruck   für   ein   Holzkästchen   gewesen 
sein  (Ploß,  2.  Aufl.,  319). 

2)   Vgl.  die  indischen  .Puppen,  Fig.  311. 

5)  2.  Auf!    II,  292. 

*)  Anzeiger  für  Kunde  deutscher  Vorzeit.     1859.     Sp.  210. 

6)  Schlesiens  Vorzeit,  111,  497  ff.  (bei  Ploß,  2.  Aufl.  U,  319). 
6)  2.  Aufl.  II,  308. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  17 


258  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

späte  und  lokale  Verbesserung  des  Bogens,  ist  fast  vollkommen  aus  dem 
praktischen  Gebrauche  verschwunden,  aber  als  Spielzeug  dient  sie  noch  in 
ganz  Europa,  und  so  wird  es  wahrscheinlich  noch  lange  bleiben.  In  Alter 
und  weiter  Verbreitung  über  die  Erde,  von  der  wilden  bis  zur  klassischen 
Zeit  hinauf,  wetteifert  die  Schleuder  mit  dem  Bogen  und  Pfeil.  Aber  im 
Mittelalter  kam  sie  als  praktische  Waffe  außer  Gebrauch.  Trotzdem  ist  diese 
alte  rohe  Waffe  von  den  Knaben  in  ihren  Spielen  aufrecht  erhalten.  .  ."  — 

Eine  gewisse  Form  der  Pflockspiele  haben  die  Knaben  des  sächsischen 
Vogtlandes  mit  ihren  Altersgenossen  tschechischer  und  magyarischer 
Stämme  gemeinsam;  dieSachsenjugend  kennt  es  als  „Eimalab-'  und  als  „Potschek"; 
die  tschechische  als  „Spacek";  im  Banat,  Ungarn,  heißt  das  dabei  benutzte 
zugespitzte  Holz  „Gatschkai".  Das  Spiel  verläuft  im  Vogtland  folgenderweise: 
Ein  keilförmig  zugeschnittener  kurzer  Pflock  wird  auf  die  Erde  gelegt.  Dann 
schlägt  man  mit  einem  Stocke  auf  sein  zugespitztes  Ende,  so  daß  der  Pflock 
in  einem  weiten  Bogen  fortfliegt;  ein  anderer  Knabe  hat  ihn  mit  seinem  Stocke 
aufzufangen;  trifft  er  ihn  nicht,  so  nimmt  er  den  Pflock  und  wirft  ihn  gegen 
den  angelegten  Stock  des  ersten  Knaben. 

Der  Schlagballspiele  als  orientalisches  Erbe  ist  schon  früher  gedacht 
worden.  Nach  Plofs  ist  „Ball"  vom  romanischen  „ballare"  (tanzen)  herzuleiten. 
Eine  (sächsische?)  Form  dieses  Spieles,  bei  welchem  eine  Kugel  auf  ebener 
Bahn  durch  einen  Eisenring  geschlagen  wurde,  erwähnte  er  als  das  „Bügel" 
schlagen,  und  „durch  die  Kloospforte"  schlagen;  im  Vlämischen  sei  es  bekannt 
als  closen,  cloten,  bollen  und  bogheten;  in  Norddeutschland  sei  das  Schlagen 
der  „Kliese",  eines  Holzballs,  zu  Ostern  ein  herkömmliches  Gesellschaftsspiel. 

Das  Kegel- und  Kluckerspiel,  das  Radtreiben,  „Puck  oder  Schneid",  sowie 
das  Paarlaufen  usw.  gehörte  nach  Johannes  Holte  schon  im  15.  und  16.  Jahr- 
hundert zu  den  Belustigungen  der  Jugend  süddeutscher  und  schweizer 
Städte,  und  manche  Polizeiverordnung  beschäftigte  sich  damit.  In  Nürnberg 
gestattete  der  Stadtrat  im  Jahre  1503  das  Kugeln  und  Schussern  (Kluckern) 
auf  der  Hallerwiese;  an  den  Feiertagen  aber  erst  nach  dem  Gottesdienst.  — 
Der  Ulm  er  Rat  verbot  1517  Fuchs,  Vogelspiel  und  Kluckern  bis  auf  St.  Ulrichs- 
tag (4.  Juli),  erlaubte  den  Knaben  aber  das  Klebern.  —  In  Zürich  ward 
1530  das  Kluckern  mit  steinernen  Kügelchen.  1627  außer  dem  Spielen  mit 
Karten,  „Würflen,  wetten,  gerad  oder  ungerad  machen"  auch  das  Kluckeren, 
Stöcklen,  Huetschießen  und  derlei  Spiel  untersagt.  —  In  Bern  ward  1560 
das  Kluckern  auf  dem  offenen  Platz  des  sog.  Kirchhofes  verboten.  —  In 
St.  Gallen  erhielt  1589  der  Messner  zu  St.  Laurenz  den  Befehl,  alle  Buben, 
so  unter  den  Fischbäuken  tupfen,  bölen  oder  kluckeren.  wenn  sie  sich  nicht 
warnen  lassen,  mit  einer  Geißel  abzutreiben. 

Bolte  zitiert  ferner  aus  Martin  Luther:  „An  die  Ratherren  aller  Städte 
deutsches  Lands"1)  (1524):  „Meyn  meynung  ist,  das  man  die  Knaben  des  tag 
eyn  stund  odder  zwo  lasse  zu  solcher  schule,  gehen  .  .  .  Bringen  sie  doch 
sonst  wol  zehen  mal  so  viel  zeyt  zu  mit  Keulichen  schießen,  ball  spielen, 
lauften  und  rammeln." 

Eine  ansehnliche  Reihe  jetziger  deutscher  Kinderspiele  sind,  wenn  auch 
größtenteils  unter  anderen  Namen,  schon  in  dem  mittelhochdeutschen  Gedicht 
„Der  Tugenden  Schatz"  und  in  Fiseharts  „Gargantua"  (16.  Jahrhundert)  er- 
wähnt. Plo/i  schrieb  über  diese  Tatsache:  ..Das  bekannte  Blindekuhspiel 
ist  in  jenen  beiden  Verzeichnissen  als  „Blindemaus"-)  angeführt,  doch  setzt 
Mschart  neben  diesen  Namen  schon:  ..I  »er  blinden  Kuh".  Das  „Hafen-  oder 
Topfschlagen"  erwähnt  Fischart  unter  der  Bezeichnung':  ..Brich  den  Haien". 
Das  jetzt  unter  den  Namen:  „Platz  wechseln",  „Kämmerchen  vermieten"  und 

M  Werke,  Weimarer  Ausg.  15,  47.  1. 

!)  Diesen  Namen  führt  das  Spiel  heute  noch  im  bayrischen  Schwaben. 


§258.    Kelten  und  Germanen.   Europäische  sog.  Urbevölkerung.    Seiteustücke  bei  Slawen.      259 

„Schneider,  leih  mir  deine  Schere"  bekannte  Spiel  wird  iu  der  Tugenden 
Schatz  angeführt  als:  „Zwei  sprachen:  der  Platz  ist  mein";  und  das  bei  Fischart 
genannte  Spiel:  „Schulwinkel"  ist  unser  Versteckspiel  mit  dem  Blinzwinkel. 
Das  Spiel  ..Fuchs  im  Loch",  bei  dem  der  Spielreim  heißt:  ..Fuchs,  Fuchs,  beiß 
mich  nicht  usw."  führt  Fischart  auf  unter  dem  Namen:  „Wolf,  beiß  mich  nicht". 
Unser  Spiel:  „Der  Abt  ist  nicht  zu  Hause"  heißt  bei  Fischart:  „Des  Abts 
und  seiner  Brüder".  Das  Batespiel:  „Pinkepank,  in  welcher  Hand?"  oder: 
„Pinkepank,  wo  steht  der  Schrank,  unten  oder  oben?",  bei  dem  es  darauf  an- 
kommt, zu  erraten,  in  welcher  Hand  der  Stein  verborgen  sei,  erwähnt  Fischart 
unter  dem  Namen  „Steinverbergen".  -  Weitere  Angaben  über  die  Kinderspiele 
jener  Zeit  finden  sich  in  den  von  den  beiden  Schwarz  (Vater  und  Sohn)  hinter- 
lassenen  Aufzeichnungen,  aus  welchen  wir  ersehen,  daß  in  der  Mitte  des 
IG.  Jahrhunderts  das  „Tribeln",  d.  h.  ein  Stück  Holz  in  die  Luft  prellen,  das 
..  Klukern",  d.  h.  Marmorküglein  in  ein  Loch  an  der  Erde  werfen,  das  „Baift- 
treiben",  sowie  das  ..Eggeti",  d.  h.  das  Aufsuchen  der  sich  um  die  Ecke  des 
Hauses  Verbergenden  unter  den  Knaben  Deutschlands  beliebt  war."  — 

In  Breslau  sah  die  Herausgeberin  im  Sommer  1911  zwei  Knaben  mit 
einem  Schwirrholz  spielen,  das  unwillkürlich  an  den  australischen  Bumerang 
erinnerte.  Sie  schleuderten  das  Holz  wiederholte  Male  in  die  Luft,  wo  es  bald 
schlangtnförmig,  bald  in  Kreisen  mit  blitzgleicher  Geschwindigkeit  umher- 
schwirrte. Einigemal  geschah  es,  daß  es  beim  Niederschwirren  die  Erde  be- 
rührte und  dann  abermals  aufstieg.  — 

Das  Stelzenlaufen  haben  unsere  Kinder  mit  Negerknaben  gemeinsam, 
wie  das  folgende  Kapitel  nachweist. 

Die  deutschen  Kinderspiele:  Blinde  Kuh,  Maus,  Katze,  Henne,  Eule  und 
blinder  Bock;  ferner  die  entsprechenden  Spiele  in  Frankreich,  England 
und  den  Niederlanden,  sowie  das  griechische  Haschespiel  „blinde  Fliege" 
u.  dgl.  führt  Samuel  Singer  auf  die  indogermanische  Vorzeit  zurück1). 
..Man  wird  annehmen  dürfen,"  so  sehreibt  er,  „daß  es  in  jener  Zeit  Volks- 
belustigungen gab,  in  denen  ein  die  Maske  eines  tiergestaltigen  Dämons 
Tragender  die  Umstehenden  zu  faugen  suchte.  Dabei  scheint  die  Maske  nicht 
mit  Augenlöchern  versehen  gewesen  zu  sein,  sei  es,  um  einfach  das  Fangen 
zu  erschweren,  sei  es,  um  den  „bösen  Blick"  des  Dämons  auch  in  der  Nach- 
ahmung zu  vermeiden." 

Daß  mit  den  Tiermasken  ursprünglich  ein  dämonisches  Wesen  gemeint  war, 
schließt  Singer  unter  anderm  aus  noch  gebräuchlichen  Haschespielen.  Solche 
Spiele  fand  Singer  in  der  Schweiz,  England,  den  Niederlanden  usw.  Hier 
möge  aus  seiner  Beschreibung  nur  das  in  Bern  übliche  folgen:  Ein  Kind  spielt  die 
Mutter  und  befiehlt  einem  anderen.  Butter  aus  dem  Keller  zu  holen.  Dieses 
kommt  bald  zurück  mit  der  Bemerkung,  im  Keller  sei  eine  Hexe.  Ein  zweites 
bringt  dieselbe  Nachricht.  Dann  geht  die  Mutter  selbst,  sieht  eine  mit  einem 
Tuch  verhüllte  Gestalt  sitzen,  rührt  sie  an  und  sagt:  Das  ist  ja  nur  ein  Faß 
(oder  ein  Kätzchen).  Doch  die  Hexe  stößt  bei  der  Berührung  schreckliche 
Töne  aus  und  erhebt  sich.  Alles  flieht,  sie  aber  fängt  ein  Kind,  das  nun  an 
ihrer  Statt  die  Hexenrolle  übernimmt. 

Auf  einen  früheren  Dämonenkult  will  Singer  ferner  die  weil  verbreiteten 
spiele  des  Farbenratens  zurückführen.  Ein  Kind,  das  den  Teufel  darstellt, 
ahmt  die  Töne  einer  Klingel  nach:   ..Geling,  geling,  geling  (Ging,  ging,  ging)." 

—  „Wer  ist  da?"  —  „Der  Teufel  mit  der  Ofengabel."  —  „Was  möchte  er?" 

—  ..Eine  Farbe."  -  „Was  für  eiue?"  —  Nun  ratet  der  Teufel  eine  Farbe, 
d.  h.  ein  Kind,  das  nach  dieser  Farbe  genannt  ist.  Trifft  der  Name  zu,  dann 
muß  das  Kind  auf  seine  Seite. 


*)  Vgl.  die  entsprechenden  Spiele  der  litauischen  Jugend  in  §  259. 

17* 


260  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

Doch  will  Singer  nicht  jedes  Haschespiel  und  jedes  Kauf-  und  Verkauf- 
spiel  auf  alten  Dämonenkult  zurückführen,  sondern  glaubt  nur,  daß  daraus 
gewisse  Typen  herausgehoben  werden  können,  welche  Nachahmungen  alter  Kult- 
handlungen seien.     Die  Kinder,  meint  er,  ahmten  von  jeher  die  Großen  nach. 

Den  frühesten  Jahrhunderten  germanischer  Geschichte  wies  Rochhote1) 
gewisse  Reimsprüche  und  Lieder  im  Kindermund  zu:  Halliwella  englische 
und  l'huiiihrrs  schottische  Sammlung  von  Kinderliedern  seien  den  deutschen 
durchgängig  um  so  ähnlicher,  je  älter  sie  seien.  ..Je  mehr  nach  der  Völker- 
wanderung." sagt  Rochhole,  „die  deutschen  Volksstämme  sich  auch  in  ver- 
schiedenartige Sprachstämme  sonderten,  um  so  unmöglicher  wurde  ein  gegen- 
seitiges Abborgen  dieser  Keimsprüche  aus  gegenseitig  sich  entfremdeten 
Mundarten  und  Sprachen;  der  Kinderspruch  muß  also  so  alt  sein,  wie  unsere 
deutsche  Heldensage,  welche  vor  der  Völkerwanderung  bei  allen  deutschen 
Volksstäniinen  einheimisch  war,  von  ihnen  mit  in  die  Fremde  hinausgenommen 
wurde  und  in  den  sagenhaften  Erinnerungen  des  Skandinaviers  und  Angel- 
sachsen heute  noch  ebenso  fortdauert,  wie  beim  Schwaben,  Hessen  und 
Bayern.  Weil  der  Longobarde  und  Gote  in  Italien  seßhaft  wurde,  und 
der  Franke  in  Gallien,  darum  gleicht  selbst  in  diesen  gallischen  und 
italienischen  Landstrichen  noch  mancher  einzelne  Kinderreim  nach  Inhalt  und 
Form  dem  unseligen2)." 

Hierher  gehören  die  Keime  und  Lieder,  welche  die  Kinder  sagen  oder 
singen,  wenn  sie  Weidenflöten  und  Weidenpfeifchen  machen,  vielleicht 
Nachklänge  alter  Zauber-  und  Kunenlieder,  die  in  Bast  und  Kinde  geritzt 
wurden;  sie  sollen  den  Bast  vom  Holze  lösen. 

Ein  Liedchen  dieser  Art  lautet: 

,.Zapf,  zapf,  Pfeife! 

Auf  dem  Mühlendeiche 

Da  steht  ein  Manu, 

Der  heißt  Johann, 

Der  hat  so  rote  Strümpfe  an  " 

Rochholz  erinnert  bei  diesen  Versen  an  den  rotstrümpfigen  Wassermann  der 
Sage,  der  auf  den  Mühlendeich  heraufsteigt,  Regen  bringt  und  den  Mühlbach 
schwellt,  sobald  man  ihn  mit  der  Pfeife  lockt3). 

Auch  im  folgenden  Liedchen,  das  die  Kinder  im  Vogtlande  singen, 
wenn  sie  mit  ihrer  Messerscheide   die  Rinde  losklopfen,  haben  wir  wohl  eine 

alte  Überlieferung  vor  uns: 

,.Pfietsch  o,  pfeif  o, 

Laß  dein  Teich  o. 

Wenn's  Katzcrl  wiederkimmt, 

Is  mei  Pfeif  rn." 

In  Schlesien  sagen  die  Knaben,  wenn  sie  ihre  ,.Weidentuten''  und  Bast- 
pfeifen  inachen: 

„feifla.  feifla  gib  mir  säft, 

bis  der  pauer  a  hoaber  rafft, 

bis  die  l'rau  de  kiche  (Küche)  kehrt. 

bis  die  moid  a  schwäfi  nausträet. 

raff-ock  ni  zu  lange, 

suste  werd-mr  bange: 

do  kumma  de  tolla  fleescherhunde, 

ziehn-drsch  fäl  vinn  puckl  runder.  — 

räff-ock  ni  alaene, 

de  kätze  hot  vier  baene, 

de  katze  hotu-n  langa   schwänz: 

feifla,  feifla,  bleib  mir  ganz."         (Drechsler.) 

')  Bei  Ploß,  2.  Aufl.  II.  .'Ulf. 

Virh   Island  wurden  norwegische  Kindersprüche  getragen. 
s)  Bei  l'Ioß,  2.  Aufl.  II,  312.  —  Vgl.  Grimm.  Mythol.  1190;  Hocltholz,  Alemann.  Kinder- 
lied.  1 S2 ;   Firmenich,  Gennaniens  Völkerstimme  II.  102,  561. 


§258.    Kelten  und  Germanen.    Europäische  sog.  Urbevölkerung.    Seitenstücke  bei  Slawen.      261 

Ploß  führt  in  der  2.  Auflage  auch  die  folgenden  zwei  Spruche  an: 
„Niklos,  mach  mir  meine  Pfeife  los!"  Und:  „Anne  Gret,  mach,  daß  meine 
Pfeife  geht."  — 

Eine  andere  Reihe  deutscher  Kinderlieder  bezieht  sich,  wie  in  Frank- 
reich, auf  das  Marienkäferchen  (coccinella  septempunctata)  unter  seinen 
vielerlei  Benennungen;  ferner  auf  Maikäfer,  Schmetterlinge,  Schnecken  usw.1). 

In  Schlesien  z.  B.  fordern  die  Kinder  das  ihnen  auf  einer  Hand  sitzende 
„Marienschäfle'",  „Mai-  oder  Sommerkälble"  auf: 

„Sommerkälbe  fleij  aus, 
fleij  bes  eis  summerhaus, 
lüß-de  Uwe  sonne  raus." 

Auch  die  erste  Schnecke  setzen  sie  sich  auf  die  Hand  und  beschwören  sie: 

„Sehnecke  becke  recke 

deine  eins,  zwei,  drei,  vier  hörndl  raus; 

da  bäckt  dir  meine  mutter  a  scheues  wäechbrotl  aus; 

wenn-de-sie  nie  rausreckst, 

stech  ich  dir  deine  scheuen  goldeigel  aus.-'     (Drechsler.) 

In  Pommerellen  singen  nach  Mannhardt,  der  in  diesen  Kinderreimen 
mythische  Elemente  vermutet,  die  Kinder  die  Marienkäferchen  an:  „Heergotts- 
peerdke,  --  diue  Kinderke  schriee,  --  din  Huuske  brennt,  —  Fleeg  weg!:'2). 

Der  Maikäfer  wird,  von  kleinen  Dialektformen  abgesehen,  in  der 
Gegend  um  Leipzig  und  im  bayrischen  Schwaben  ganz  gleich  an- 
gesungen : 

..Maikäfer  fliege. 

Dein   Vater  ist  im  Kriege, 

Deine  Mutter  ist  im  Engelland  (oder  Pommerland), 

Engelland  ist  abgebrannt, 

Maikäfer  fliege!"3)  — 

Den  Schmetterling  singt  der  Knabe  in  Nord-England  an:  „Le,  la. 
let,  my  bonnie  pet!"  und  ladet  ihn  damit  ein,  sich  niederzulassen,  damit  er  ihn 
fangen  kann,  wie  dies  der  Junge  iu  Nord-Deutschland  tut:  „Molketewei 
sett  di,  -  -  kömmt  e  Pogg  de  frett  di!''  -  -  Oder  in  anderer  Lesart:  „Molke- 
tewer  sett  di,  —  Gew  di  e  Stökke  Botterbrod!  —  Botterbrod  verlang  öck 
nich,  —  Dusend  Dahler  gew  öck  nich!"  •  Dagegen  rufen  die  Kinder  im 
Vogtlan  d,  wenn  sie  einen  Schmetterling  über  sich  flattern  sehen:  „Schmetterling 
setz  dich,  —  Wenn  du  dich  nicht  setzen  tust,  —  Reiß  ich  dir  dei  Häusel 
ein,  —  Kannst  du  net  mer  nein!'' 

Ein  den  englischen,  italienischen  und  polnischen  Schnecken- 
liedchen  entsprechendes  lautet  im  Mund  der  bayrischen  Schwabenkinder: 

„Schneck,  Schneck, 

Ströck  deine  Hoara  raus, 

Oder  i  schlag  dr  a  Loch  ins  Haus." 

In  der  2.  Auflage  hat  Ploß  bemerkt,  daß  die  deutsche  Jugend  Schnecken- 
lieder in  mannigfachen  Variationen  kenne.  Eine  davon  lautet:  „Schnecken- 
haus (?),  kriech  heraus,  —  Strecke  deine  vier  Hörner  heraus.  —  Sonst  werf 
ich  dich  in  Graben,  —  Fressen  dich  die  Raben!"  — 

Verschiedene,  mit  der  Herkunft  des  Kindes  zusammenhängende,  Storch - 
liedlein  sind  im  Kapitel  XXX  zusammengestellt.  Der  Storch  wird  aber 
auch  ohne  diesen  Zusammenhang  besungen,  z.  B.  in  Westfalen,  wo  die  Kinder 
ihm  zurufen,  indem  sie  von  einem  Bein  auf  das  andere  hüpfen: 


')  Vgl.  die  früher  angeführten  Schneckensprüche  aus  England,  Italien  und  Polen. 
2)  Englische  Verse  an  das  Marienkäferchen  (Ladybird)  sind  in  diesem  Kapitel  schon 
mitgeteilt   worden. 

3p  Französische  Maikäferliedchen  siehe  auf  S.  2.VJ. 


262  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

„Stork,  Stork,  Langebeen, 

Hest  din  Vater  wohl  hangen  sehn'/" 

Tüsken  de  glönigen  Tangen 

Süste  din  Yaar  wohl  hangen. 

Da  hängt  din  Vaar.  da  hangt  din   Vaar."  — 

Oder: 

„Stork,  Stork.  Langebeen, 

Wann  wirst  du  wier  ut  den  Lande  gehn'f 

..Wenn  de  Roggen  riepet. 

Wenn  de  Wagen  quiek  seggt."  — 

Im  bayrischen  Schwaben  spielt  der  Fuchs  eine  Rolle:  „Schau  nicht 
um,  der  Fuchs  geht  um"  beginnt  ein  Spiel,  bei  welchem  die  Mitspielenden 
nicht  umsehen  dürfen.  Ihm  entspricht  das  Kinderspiel  bei  den  Tschechen 
in  Mähren:  „Seht  euch  nicht  um,  der  Brummsack  geht  um." 

In  den  uns  bereits  aus  anderen  Ländern  her  bekannten  Reihen-  oder 
Ringeltänzen,  womit  sich  auch  in  Deutschland  an  warmen  Tagen  und 
Abenden  hauptsächlich  die  Mädchen  im  Freien  unterhalten,  sah  Ploß1)  Reste 
von  Kultformen,  welche  sich  auf  personifizierte  Jahreszeiten  bzw.  bestimmt  ^ 
Gottheiten  unserer  Altvordern  bezogen.  Reste  jener  Tänze  und  Lieder,  deren 
Gebrauch  Bonifaeins  und  kirchliche  Konzilien  den  neubekehrten  Deutschen 
untersagten.  Eines  der  zu  solchen  Ringeltänzen  gesungenen  Lieder  aus  der 
Umgegend  von  Leipzig  lautet: 

„Ringel,  Ringel,  Rosenkranz, 
Fuchsschwanz, 

Saß  auf  einer  Weide, 
Spann  so  klare  Seide, 
So  klar  wie  ein   Haar, 
Spann  wohl  über  sieben  Jahr. 
Sieben  Jahr  gesponnen ; 
Sieben  Jahr  sind  um  und  um. 
Alte  Hexe,  dreh  dich  am."  — 

Bei  den  letzten  Worten  dreht  sich  ein  Mädchen  um. 

Nach  Haupt'1)  ist  auch  in  der  Lausitz  ein  ähnliches  Lied  heimisch. 
Unter  den  im  Liede  erwähnten  sieben  Jahren  seien  die  sieben  Wintermonate 
zu  verstehen. 

Fast  gleichlautend  mit  einem  bayrisch-schwäbischen  Ringelspiel-Lied 
ist  ein  schlesisches,  wie  aus  der  Xebeneinanderstellung  der  beiden  hier 
folgenden  hervorgeht: 

Schlesisch  (Liebenthal):  Schwäbisch  (Altenstadt  a.  d.  Hier): 

„Ringel  ringel  rei-e,  „Ringle,  ringle  reia 

wir  sind  der  kinder  dreie,  Kinder  simmer  zweia, 

wir  sitzen  um'n  Holunderpusch  M'r  sitzat  hinterm  Holderbusch 

und  machen  alle  husch  husch  husch."  —  Und  schreiat  alle  husch  husch  husch."  — 

(Drechsler.) 

Vielleicht  hängt  dieser  „Holderbusch"  mit  dem  Kult  der  altgermanischen  Frau 
Holle  zusammen. 

Eine  merkwürdige  Übereinstimmung  weist  das  folgende  Ringelreihen- 
lied  der  bayrischen  Schwabenkinder  mit  einem  von  den  Kindern  des 
nördlichen  Vogtlandes  und  der  Kaschuben,  Slawen  am  Lebasee3).  auf, 
welches  im  schwäbischen   Dialekt  lautet: 


i)  2.  Autl.  II,  316. 
i   Nachtrag    zu    seinem    Sagenbuch:     Lausitzer    Magazin.    41.    1.    Hd..    S.  91.   -     ^  gl. 
v.  Schulenburg,  Wend.  Volksthum.     1882.    S.  178. 

3)  An  der  Küste  der  Ostsee.     Siehe   Telzner  im  ülob.,  Bd.  70,  S.  271. 


§258.    Kelten  und  Germanen.    Europäische  sog. Urbevölkerung;.   Seitenstüeke  bei  Slawen.      263 

„Eisenklar  (oder  sonnenklar)  wie  ein  Haar 
Hat  gesponnen  sieben  Jahr; 
Sieben  Jahre  rumbumbum, 
Fräulein  N.  N.  dreht  sich  um. 
Fräulein  N.  N.  hat  sich  umgedreht, 
Hat  der  Katz  den  Schwanz  verdreht. 
Eisenklar  usw."  — 

Im  nördlichen  Vogtland  steht  für  den  ersten  Vers  des  schwäbischen  Textes: 
..Har  und  klar  wie  ein  Schar".  Statt  Vers  6  des  schwäbischen  hat  jenes  im 
nördlichen  Vogtlande: 

„Ihr  Schatz  hat  ihr  ein'  Kranz  beschert 

Von  veilchenblauer  Seide; 

Ihr  Schatz  ist  nicht  gescheite."  — 

Ein  anderes  derartiges  Lied  aus  dem  Vogtland  lautet: 

„Ringele,  Ringele,  Rosenkranz, 

Wer  sitzt  drin? 

Der  alte   Kaiser. 

Was  macht  er? 

Federn  schleißt  er, 

Kielen  beißt  er; 

Trägt  die  Magd  das  Wasser  ein, 

Fällt  der  ganze  Kessel  ein."    — 

Dazu  bemerkte  Floß1)-.  Hier  tritt  die  alte  Mythologie  sehr  bestimmt 
hervor.  Odhin  erscheint  hier  „als  der  alte  Kaiser  in  seiner  Wolkenburg, 
ohnmächtig  und  schwach  geworden,  da  des  Winters  Herrschaft  angegangen  (?) 
isl  er  ist  im  Kinderspiele  zur  weibischen  Beschäftigung  des  Federschleißens 
herabgewürdigt  worden;  die  Federn  aber  sind  die  Schneeflocken,  welche  er 
herabstreut;  und  der  Schluß  des  Liedes  mag  das  Gewitter  andeuten.  Solche 
Auslegungen  sind  den  Männern  von  Fach  geläufig,  doch  muß  man  wohl  auf 
diesem  Gebiete  ziemlich  vorsichtig  sein.  Vielleicht  hielten  (sich)  sonst  die 
Jungfrauen  bei  gewissen  feierlichen  Reigen  an  einer  Kette  oder  Blumengirlande. 
Wenigstens  weist  darauf  folgender  Brauch  hin:  In  der  Schweiz  wird,  wie 
Rochhob  berichtet,  bei  diesen  Ringeltänzen  der  Kinder  aus  den  Hohlstengeln 
des  Löwenzahns  (Taraxacum  pratense)  eine  der  Ausdehnung  des  Kreises  in 
ihrer  Länge  entsprechende  Kette  gewunden;  wer  sie  zerreißt,  wird  pfand- 
pflichtig.    (Dazu  singen  die  Kinder:) 

„Trettet  zue.  trettet  zue, 
Sparet  nit  die  nüe  Schueh! 
Trettet  uf  das  chettemli, 
Dass  es  soll  erklingale, 
Wer  die  schönste  Jumfer  sig 
I  dem  ganze  Ringele." 

In  den  Harzer  Bergstädten,  wo  der  Johannistag  noch  kirchlich  be- 
gangen wird,  schmückt  man  große  Tannenbäume  mit  Blumen  und  bemalten 
Eiern  und  führt  um  sie  einen  Tanz  auf,  dessen  begleitender  Text  lautet: 
Die  Jungfer  hat  sich  umgedreht  —  So  rar  —  Wie  ein  Haar,  —  So  klein  — 
Hühnerlein;  —  Dreißig,  vierzig,  fünfzig  Jahr  —  Die  Jungfer  wandt  sich  um  — . 
Diese  Harzer  Sitte  beweist,  daß  wir  es  hier  in  der  Tat  mit  einem  auf  den 
Frühling  oder  Sommer  bezüglichen  Spiele  zu  tun  haben. 

Ploß  wies  ferner  auf  die  Übereinstimmung  unserer  Mädchenringeltänze 
mit  dem  von  Müllenhoff  geschilderten  alten  Springel-  und  Langtanz  der 
Dithmarschen  hin. 


x)  2.  Aufl.  II,  316  f.  —  Mir  scheint  die  oben  folgende  Pasche  Erklärung  des  vogt- 
ländischen  Liedes  doch  zu  gewagt. 


264  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

WCniger  Stoff  als  über  die  Ringeltänze  liegt  mir  über  die  Brückenspiele 
vor.  Immerbin  weist  die  schon  in  einem  früheren  Paragraphen  dieses  Kapitels 
erwähnte  Tatsache,  daß  ein  Brückenspiel  bereits  in  Rabelais'  Gargantua 
(lö.  Jahrhundert)  angegeben  ist.  auf  ein  relativ  hohes  Alter  auch  dieses  Spieles 
hin,  und  ein  noch  höheres  läßt  sich  aus  der  Übereinstimmung  eines  Northumber- 
länder  Brückenspiels  mit  dem  folgenden  schwäbischen  vermuten.  Es  ist  im 
bayrischen  Schwaben  auf  dem  Lande,  eines  der  beliebtesten  Spiele  der  Kinder 
beider  Geschlechter.  Dabei  reichen  sich  zwei  Kinder  mit  wagerecht  gehobenen 
Armen  die  Hände,  d.  h.  sie  bilden  eine  Brücke,  während  sich  die  andern  in  einer 
Reihe  aufstellen,  indem  jedes  seinen  Vormann  am  Kleide  hält.  Der  Anführer 
oder  die  Anführerin  der  Reihe  spricht  die  ersteren  zwei  Kinder  an:  „Wir 
wollen  über  die  goldene  Brücke  fahren."  —  Antwort:  „Sie  ist  zerrissen. "  - 
..Wir  wollen  sie  machen  lassen  mit  Dreck  und  Speck."  —  „So  fahren  Sie, 
so  fahren  Sie  ..."  Diese  letzten  "Worte  werden  von  den  beiden  brückebildenden 
Kindern  so  lange  wiederholt,  bis  das  letzte  der  Reihe  unter  ihren  Armen  ist. 
Dieses  wird  festgehalten  und  nach  seinem  Reiseziel  gefragt.  Das  ist  der 
Himmel,  oder  die  Hölle.  Je  nach  der  Antwort  kommt  es  hinter  den  einen 
oder  andern  Brückenpfeiler. 

Ganz  ähnlich  hat  JBalfour-Northcote  das  Brückenspiel  der  Beiford-Kinder 
in  Northumberland  beschrieben:  nur  bietet  hier  der  Text  mehr  Abwechslung1 1. 
Ein  sizilianisches  Brückenspiel  ist  in  diesem  Kapitel  schon  erwähnt  worden, 
und  eines  litauischen   wird  am  Schluß  dieses  Kapitels  gedacht.  - 

Das  Spiel  der  Schweizer  Kinder  ..es  chunut  en  Her  mit  eim  Pantoffel" 
hat  nach  Ploß  sein  Seitenstück  in  einem  Tanz,  der  auf  den  Faröer-Inseln 
(Dänemark)  vom  Volk  noch  in  der  2.  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  getanzt 
wurde.  Die  Kinder  im  bayrischen  Schwaben  führen  das  Spiel  so  auf, 
daß  sie  sich  zunächst  in  zwei  gegenüberstehenden  Reihen  derart  aufstellen. 
daß  zwischen  beiden  ein  Abstand  von  mehreren  Metern  liegt.  Dann  nähern 
und- entfernen  sich .  die  Reihen  abwechselnd  gegenseitig,  wobei  in  abwechseln- 
den Chören  gerufen  wird:  ,,Es  kommt  ein  Herr  mit  eim  Pantoffel";  (beim 
Rückzug:)  „Ade.  ade,  ade."  (Hinbewegung:)  „Was  will  der  Herr  mit  eim 
Pantoffel";  (Rückzug:)  „Ade.  ade,  ade".  —  „Er  will  ein  kleines  Brieflein  schrei- 
ben." —  „Ade,  ade,  ade."  —  „Was  soll  in  diesem  Brieflein  stehn?"  —  „Ade, 
ade.  ade."  —  Nun  folgt  der  Inhalt,  d.  h.  daß  dieses  oder  jenes  mitspielende 
Mädchen  verheiratet  werden  soll.  - 

Auf  vorchristliche  Zeiten  geht  nach  Friedi  ich  Schön  das  folgende  Nornen- 
lied  der  Ensheimer  Kinder  in  der  Pfalz  zurück. 

„Hopple,  hopple  Rößchen, 
Droben  steht  ein  Schlößchen, 
Droben  steht  ein  Glockeohaus, 
Gucken  drei  Jungfern  r;ius. 

Die  eine,  die  spinnt  Seide, 

Die  andre   wickelt   Weide. 

Die  dritte  schneidt  den    Faden   ab. 

Sinket  jemand   in   das  Grab."   — 

Friedrich  Schön  bemerkt  zu  diesem  Liedchen,  die  Anschauung,  daß  die 
drille  der  Schicksalsfrauen  den  ..Faden  abschneide",  sei  römisch  und  könne 
im  rheinfränkischen  Ensheiin  schon  zu  fränkischer  Zeit  in  die  deutsche 
Mythologie  übergegangen  sein.  Das  Seidenspinnen  faßt  Schiin  als  die  Tätig- 
keit der  guten  Norne  auf.  Der  Weidenstrick,  auf  welchen  das  Wickeln  der 
Weide  hinweise,  ist  nach  seiner  Anschauung  das  Schicksalsseil,  das  die  Nomen 
führen  und  welches  verschiedenen  Zwecken  dient.  — 


i  Country  Folk-Lore  IV .  London   1904,  pp.  1131'. 


§258.    Kelten  und  Germanen.    Europäische  sog.  Urbevölkerung.    Seitenstücke  bei  Slawen.      265 

Wiederum  die  drei  Nomen,  darunter  eine  als  Seidenspinnerin,  die  andere 
als  Weidenwicklerin,  suchte  Floß  mit  einem  Hinweis  auf  Simrock  und  Panzer1) 
in  den  „drei  schönen  Puppen",  welche  in  den  folgenden  Versen  eine  Rolle 
spielen,  und  zwar  ihre  Rolle  als  Schicksalsgöttinnen  des  Kindleins,  welches 
noch  ungeboren  im  Brunnen  liegt'2).  Die  dritte  Norne  schneidet  hier  nicht, 
wie  im  Ensheimer  Liedchen  den  Faden  ab,  sondern  geht  an  das  Brünnelein 
und  findet  hier  das  goldene  Kindlein;  sie  steht  also  hier  dem  Leben,  dort 
dem  Tode  vor. 

..Sonn,  Sonn,  scheine! 
Fahr  über  Rheine, 
Fahr  über's  Glockenhaus, 
Gucken  drei  schöne  Puppen  raus; 
Eine,  die  spinnt  Seide, 
Die  .andere  wickelt  Weide, 
Die  dritte  geht  an's  Brünnchen, 
Find't  ein  goldig  Kindchen, 
Wer  soll's  haben?  (hebeu?) 
Die  Tochter  aus  dem  Löwen ; 
Wer  soll  die  Windeln  waschen? 
Die  alte  Schneppertaschen."  — 

Ploß  vermutete3),  daß  dieses  Kinderlied,  welches  schon  Panzer  mit 
ähnlichen  Liedern  verglichen  habe,  als  Abzählreim  gedient  habe.  Weit 
verbreitet  ist  ja  der  Kinderbrauch,  die  Spielrollen  gewissermaßen  durch  das 
Orakel  zu  verteilen,  indem  ein  Kind  zählt,  oder  Reime  aufsagt,  wobei  es  mit 
dem  Finger  bei  jeder  Zahl,  bzw.  jedem  Wort,  je  ein  mitspielendes  Kind  der 
Reihe  nach  bezeichnet.  Solche  Abzählverse  teilte  Hans  Leuß  von  den  Frie- 
sischen Inseln  mit: 

„Eener  mener,  miener  mu, 
Well  stinkt  im, 
Datt  deihst  du."  — 

Auf  wen  das  „du"  kam,  der  war  der  erste  Sucher  beim  Versteckspiel 
in  den  Dünen. 

Aus  Leipzig  und  Umgegend  hat  Kurt  Müller  Abzählreime  veröffentlicht, 
welche  aus  der  Franzosenzeit  stammen: 

„Eins,  zwei  usw.  zwanzig, 

Die   Franzosen  hatten  einen  Tanz, 

Der  Tanz  fing  an  zu  brennen, 

Die  Franzosen  mußten  rennen, 

Ohne  Strumpf  und   ohne  Schuh 

Kannten  sie  nach  Frankreich  zu. 

In  Frankreich  war  ein  wildes  Schwein, 

Das  biß  den  Hauptmann  in  das  Bein. 

Der  Hauptmann  schrie:  „0  weh!  o  weh! 

Mir  tut  mein  linkes  Bein  so  weh."  — 

In  Liebenthal  und  Jauer,  Schlesien,  wird  das  Kind,  welches  beim 
Fangspiel  die  andern  erhaschen  soll,  durch  die  folgenden  Verse  gewählt: 

„1,  2,  3,  4,  5,  6,  7, 

komm,  wir  wollen  Kegel  schieben, 
Kegel  rum,  Kegel  num, 
bitsche,  batsehe,  bum  bum  bum, 
und  die  alte  Häringsgrete 
saß  auf  einem   Baum  und  nete, 
hängt  die   Beine  beide  rab, 
und   das  eine  Bein  war  ab. 


')  Panzer,  Bayrische  Sagen  und  Bräuche,  2.  Bd.  S.  545.    München  1855. 

*)  Vgl.  §  192.     Das  feuchte  Element  als  Ursitz  des  Kindes.     Kap.  XXX.   Bd.  I. 

3)  2.  Aufl.  II,  315. 


•2ß6  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

Kommt  der  Schneider  Zappelmann, 
net  das  Bein  ihr  wieder  an, 
kommt  der  Schneider  Alexander, 
reißt  das. Bein  ihr  auseinander, 
i  a  u,  i  a  u, 
aus  bist  du!"    —  (Drechsler.) 

Andere  Abzählverse  finden  sich  unter  den  von  W.  J.  Hoffman-Washingtm 
mitgeteilten  Kinderreimen  \). 

,.Ens,  tswe,  drei, 

Ilikka,  hokka,  hei, 

Hikka,  hokka.  hawersehtrö, 

Der  milier  hot  sain  frä  ferlöra, 

Der  greklo  hot  si  gfunna. 

Die  mais  di  kärä  schtuwa  aus, 

Die  ratta  draga  drekk  anaus. 

Hokt  en  maisl  uf  em  Dach 

Urt  hot  sich  schir  gar  dot  gelacht."  •)  — 

Zur  Unterhaltung  der  Kinder  dienen  ferner  bekanntlich  die  Rätsel, 
deren  Alter  gleichfalls  zum  Teil  ein  ganz  ansehnliches  ist.  Nach  Ploß3)  waren 
ja  viele  unserer  volkstümlichen  Scherzrätsel  schon  im  9.  Jahrhundert  bekannt. 
Eines  vom  Schnee  und  von  der  Sonne  linde  sich  in  lateinischer  Fassung 
in  einer  Reichenauer  Handschrift  aus -dem  Anfang  des  10.  Jahrhunderts. 
Auf  deutsch  lautet  es: 

,,Es  kam  ein  Vogel  federlos,  -  -  Saß  auf  dem  Baume  blattlos.  —  Da 
kam  die  Jungfer  mundlos  —  Und  aß  den  Vogel  federlos  —  Von  dem  Baume 
blattlos."  —  Müllenhoff  sagte  von  diesem  Rätsel:  ,,Man  braucht  es  nur  Wart 
für  Wort  in's  Althochdeutsche  oder  Angelsächsische  umzuschreiben  und 
das  Wort  „Jungfer"  mit  „magad"  oder  „niagath"  zu  vertauschen,  so  erhält,  man 
eine  Strophe  von  regelmäßig  gemessenen  und  alliterirenden  Versen;  jeder  Vers 
hat  vier  Hebungen  und  je  zwei  Liedstäbe."  —  Daher  darf  man  nach  Ploß 
das  Alter  dieses  Rätsels  weit  über  das  zehnte  Jahrhundert  zurückdatieren. 

Wie  die  englische  Jugend,  so  hat  auch  die  deutsche  ihre  scherz- 
haften Zungenübuugen,  von  denen  Simrort;  Rochhole,  Frischbier  und  andere 
eine  gute  Anzahl  sammelten4).  Sie  sollen  so  schnell  als  möglich,  ohne  Atem 
zu  holen,  und  fehlerfrei  aufgesagt  werden.  Hier  möge  zunächst  die  schon  in 
der  2.  Auflage  unseres  Werkes5)  enthaltene  hochdeutsche,  dann  zwei  im 
schwäbischen  Dialekt  folgen: 

„Wenn  mancher  Mann  wüßte,  wer  mancher  Mann  war'. 
Gab'  mancher  Mann  manchem  Mann  manchmal  mehr  Ehr'. 
Da  mancher  Mann  nicht  weiß,  wer  mancher  Mann  ist, 
Drum   mancher  Mann  manchen  Mann  manchmal  vergißt." 

Schwäbisch:  „Hinter  Hasa  Hansa  Haus 
fläiin'   i  hundert   Hasa 
Höara  hüasta."   — 

„Zwua  Zwitschga, 
Zwiiä  Zwetschga, 
Zwüa  Zwiezwitsehige  Zwetschga."  — 


')    In.   Globus  67.  S.  -18. 

'')   tjber  Zeppelin   als  Gegenstand  moderner  Abzahlreime  später. 

»)  2.   Aufl.  11.  :il5. 

■ii  Ploß  wies  hin  auf  Simrock:  Das  deutsche  Kinderbuch.  3.  Aufl.  Frankfurt  a,  M.  1857 ; 
Rochholz:  Üemannisches  tinderlied  und  Kinderspiel  aus  der  Schweiz,  Leipzig  1857;  Frischbier: 
Preußische   Volksreime  und   Volksspiele,  Berlin   1867. 

5)  II,  285. 


§  258.    Kelten  und  Germanen.   Europäische  sog.  Urbevölkerung.    Seitenstücke  bei  Slawen.      267 

Nach  Floß  gibt  es  Zungenübungen  für  die  meisten  Buchstaben  des 
Alphabets.     Als  Beispiele  führte  er  an: 

„Boll,  Boll,  Boll,  Boll,  Boll.  Boll."  —  „De  dönne  Diewel  drog  den  dicke 
Diewel  dorch  den  dicke  Dreck."  —  „Fritz,  Fritz,  friß  frische  Fische,  Fritz!" 
—  ...Tene  graue  Gans  ging  jenes  grüne  Gras  grasen."  —  „Hans  haut  Holz, 
hinter  Hackers  Hinterhaus  haut  Hans  Holz."  —  „Jung,  säd  de  Jung,  dat  de 
Jung  dem  Junge  seggt,  dat  de  Jung  de  Schwien  utjegt."  -  -  „Kein  klein  Kind 
kann  keinen  kleinen  Kessel  Kohl  kochen."  — 

Außer  Abzählversen,  Zungeniibungen,  Rätseln  usw.  verfügen  unsere  Kinder 
bekanntlich  über  Reime,  die  sich  auf  ihre  härteste  Arbeit,  das  Lernen  in  der 
Schale,  beziehen.  Ein  derartiges  Beispiel  hat  Kamill  von  der  Schulbank  in 
der  Bukowina  und  in  Galizien  mitgeteilt: 

„6  mal  6  ist  36, 

Ist  der  Schüler  uoch  so  fleißig, 

Ist  der  Lehrer  aber  dumm, 

Macht  das  Staberl  bum,  bum,  bum."  — 

Ein  etwas  derbes  Seitenstück  dazu  ist  mir  aus  Schwaben  bekannt: 

„6  mal  R  ischt  sexadreiß'g 
.Friß  d'r  was  der  Pudel  seh  .  .  . 
Dr  Pudel  seh  .  .  .  Bolla, 
Kaüseht  x  Jaur  dräu   nolla."   — 

Im  Böhmerwald  necken  sich  die  Knaben: 

„Raufangkihra,  Suppenstiera, 
Bandlbeissa,  Hosenschei  ..."  — 

Auf  die  modernen  Spiele  der  deutschen  Kinderschar  einzugehen,  ist, 
wie  schon  früher  bemerkt,  in  diesem  Werke  kein  Raum.  Doch  möge  hier 
erstens  daran  erinnert  werden,  daß  das  Diavolospiel  auch  die  Neger  auf 
dem  ostafiikanischen  Makonde-Plateau  und  südamerikanische  Indianerkinder 
ergötzt,  worauf  das  nächste  Kapitel  zu  sprechen  kommt;  zweitens  mögen  hier 
einige  Abzählverse  und  andere  Reime  aus  deutschem  Kindermund  folgen, 
in  welchen  Zeppelin  eine  Rolle  spielt.  Der  Schlesischen  Volkszeitung1)  zu- 
folge sind  sie  von  einer  Volksschullehrerin  (schlesischen?)  Kindern  abgelauscht 
worden: 

„Eins,  zwei,  drei,  vier,  fünf,  sechs,  sieben, 
Wo  ist  denn  der  Zepp'  geblieben? 
Nach  Berlin,  nach  Berlin 
Kommt  niemals  der  Zeppelin!''  — 

Ihr  Fang-  und  Versteckspiel  leiteten  diese  Kinder  mit  den  Versen  ein: 

,. Flieg'  Zeppel.  fliege! 

Dein  Vater  ist  im  Kriege; 

Du  selber  fährst  ins  Frankenland, 

Dein  Luftballon  ist  abgebrannt. 

Flieg',  Zeppel,  fliege!"2) 

Erwischte  der  Knabe,  welcher  die  mitspielenden  Kinder  zu  fangen  hatte, 
niemanden,  dann  riefen  seine  Spielgefährten  ihm  lachend  zu:  „Abgebrannt! 
Abgebrannt!"  — 

Die  uns  schon  früher  bekannten  Reime: 

„Schaut  nicht  um, 
Der  Fuchs  geht  um" 


i)  41.  Jahrg.  Nr.  291. 

2)  Es  liegt  hier  also  nur  eine  Umschreibung  des  „Maikäfer  flieg 


268  Kapitel  XXXIX.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug. 

travestierten  die  Kinder: 

..Dreht  euch  nicht  um, 
Der  Zeppel  geht  um."  — 

Diese  beiden  Verse,  im  Chor  gesungen,  galten  als  Antwort  auf  die 
folgenden,  welche  von  einer  andern  Chorabteilung  vorgetragen  wurden: 

„Der  Zeppel  kam  gezogen, 
Von  weit  kam  er  geflogen. 
Zeppel  hin.  Zeppel  her, 
Zeppel  ist  ein  Zappelbär!"  — 

Ob  sich  diese  Verse  einstens  auch  des  hohen  Alters  werden  rühmen 
können,  welches  so  manche  erlebt  haben,  die  wir  in  diesem  Kapitel  kennen 
lernten?  — 

§  259.     Lettoslawen.     Seitenstücke  bei  Germanen,  Tibetanern  und  alten 

Indern. 

Auf  die  Verschmelzung  germanischer  und  slawischer  Völkerstämme  und 
infolgedessen  auch  ihrer  Anschauungen  und  Bräuche  durch  Jahrhundert! 
hindurch  ist  in  diesem  Werke  wiederholt  aufmerksam  gemacht  worden.  \  iel 
Neues  läßt  sich  also  von  den  lettoslawischen  Kinderspielen  kaum  sagen. 
Eajacsich  schrieb  von  jenen  der  Kroaten^Slawoniern  und  Syrmiern:  Die 
Spiele  der  Jugend  sind  hier  die  in  allen  anderen  Gegenden  bekannten  Unter- 
haltungen, d.  h.  Laufen,  Ballspiel,  Schleifen  auf  dem  Eise  usw. 

Ein  Pflockspiel  der  Tschechen  in  Böhmen,  Spacek  genannt,  ist  schon 
mit  dem  deutschen  (und  magyarischen)  Seitenstück  erwähnt  worden. 

Mehr  Aufmerksamkeit  verdient  ein  Waffentanz,  welcher  noch  im 
Jahre  189H  in  Sträni  (Mähren)  gebräuchlich  war  und  von  fünf  halbwüchsigen 
Burschen  aufgeführt  wurde.  Man  brachte  diesen  Tanz  mit  dem  sagenumwobenen 
Berg  Javofina  in  den  mährischen  Karpathen  in  Zusammenhang.  Die  Tänzer 
waren  mit  einem  weiß-rot-grünen  Band  umgürtet  und  mit  hölzernen  Säbeln 
ausgerüstet,  auf  denen  viele  gelbe  Ringe  an  eingeschlagenen  Nägeln  so 
angebracht  waren,  daß  durch  die  Bewegungen  der  Tänzer  auch  sie  in  Bewegung 
versetzt  wurden.  Auf  dem  Kopf  trugen  die  Knaben  Hüte,  welche  mit  roten 
Bändern  schopfartig  aufgeputzt  waren.  Die  Tanzbewegungen  bestanden  in 
Gesten,  Schritten  und  Fußbewegungen.  Sie  hatten  einen  Führer  und  einen 
Sackpfeifer,  der  zu  ihren  Wendungen  und  Gesängen  brummte  und  quiekte. 

Zu  diesem  von  Doufalik  mitgeteilten  slawischen  Waffentanz  gab  L. 
von  Schroeder  ein  Seitenstück  in  einem  tibetanischen  Waffentanz,  welchen 
George  Bogle  im  Jahre  1774  als  Gast  des  Teshu  Lama  in  Teshu  Lumbo 
(Tashilhumpo)  sah.  Dieser  Tanz  wurde  von  fünfzehn  Knaben  zwischen 
7  und  12  Jahren  an  einem  großen  Feste  aufgeführt.  Die  Knaben  waren  in 
verschieden  gefärbte  Kattune  und  Goldbrokate  gekleidet,  hatten  weiße  Turbane 
auf  und  trugen  kleine  Äxte  in  der  rechten  Hand.  Von  Zeit  zu  Zeit  tanzten 
sie  vor  dem  Lama  zu  einer  mit  Hoboen,  Flöten,  Kesselpauken  und  Glocken 
gespielten  .Musik,  indem  sie  den  Takt  mit  ihren  Äxten.  Sprüngen.  Umdrehungen 
und  anderen  Bewegungen  angaben,  welche  Bogle  nur  andeutete,  nicht  beschrieb. 
Man  habe  ihm  gesagt,  daß  es  die  Nachahmung  eines  Sadok ^-Tanzes  sei. 
M.  v.  Brandt  erwähnte  derartige  Tänze  aus  Bockhill  (Tibet),  wo  sie 
der  Dalai  Lama  am  Xeujahrstage  vor  den  chinesischen  und  tibetanischen 
Beamten  ausführen  läßt.  Die  zehn  oder  mehr  Knaben,  welche  tanzen,  tragen 
grüne  Kleider  und  sind,  wie  die  von  Bogle  beschriebenen,  mit  Turban  und 
Axt    versehen.     Außerdem   werden   Fußschellen   erwähnt.     Vor   ihnen   stehen 


1 1  Sa.lok  sull   ein  Titel  des  Mundschenks  oder  Günstlings  des  Teshu  Lama  sein. 


§  259.  Lettoslawen.     Seitenstücke   bei  Germanen,  Tibetanern  und  alten  Indern.      269 

Trommler  in  der  gleichen  Tracht,  nach  deren  Takt  sich  die  Tänzer  bewegen. 
Der  Tanz  beginnt,  nachdem  den  Gästen  der  Wein  ausgeschenkt  worden  ist. 
An  Regelmäßigkeit   soll  diese  Musik  jede  andere  alte  Tanzmusik  übertreffen. 

L.  v.  Schroeder  meint,  ungefähr  so  ein  Bild  hätten  wohl  im  alten 
Indien  die  festlichen  Tänze  der  „Maruts"1)  geboten,  welche  gleichfalls 
mit  Äxten  bewaffnet  waren.  L.  v.  Schroeder  hält  es  daher  auch  nicht  für 
ausgeschlossen,  daß  die  tibetanischen  Waffentänze  mit  dem  Buddhismus  aus 
Indien  eingeführt  wurden. 

Sehr  mannigfaltig  sind  nach  Tetener-JuschMewitsch  die  Kinder-  und 
Jugendspiele  der  Litauer.  Iltis-,  Bär-,  Kranich-,  Kater-,  Affen-  und  Hirsch- 
spiele werden  erwähnt;  ferner  Teerbrennen,  Pflügeschmieden,  Sternezählen, 
Häckselfressen  und  Flachsbrechen;  Himbeerchen,  Fee,  Häschen,  Kuckuck  usw. 
usw.  —  Das  litauische  „Schweinchentreiben"  entspricht  dem  schwäbischen 
„Sautreiba".  denn  Tetener  schildert  jenes  folgenderweise:  Man  gräbt  neun 
Löcher  in  der  Ordnung  in  die  Erde,  daß  je  drei  in  gleichen  Entfernungen 
über  je  drei  kommen.  Das  mittlere  ist  größer  als  die  übrigen  und  heißt 
Dwaras  (Bauerngut).  Die  kleineren  sind  „Putra"  (Mehlsuppe).  Au  jedem 
Loch  steht  ein  Knabe  mit  einem  Stock  und  sucht  die  von  einem  außen 
stehenden  Knaben  geworfene  Kugel,  das  Schwein  ( Kaule),  zurückzuschlagen, 
damit  sie  nicht  in  die  Dwaras  kollert.  Kommt  sie  aber  doch  hinein,  dann 
muß  der  Hüter  des  Dwaras  ans  neunte.  Loch,  und  der  erste  Knabe  beginnt 
das  Spiel  aufs  neue.  —  Sehr  niedlich  lautet  das  beim  Spiel  „Häschen  in  der 
Grabe"  gesungene  Liedlein:  „Du  mein  Häschen,  du  mein  blaues,  du  mein 
liebes  blaues  Häschen,  darfst  noch  nicht,  darfst  noch  nicht  im  Gärtchen 
hüpfen.  Denn  wie  Eisen  sind  die  Pförtchen,  und  aus  Silber  sind  die  Schlüssel; 
darfst  noch  nicht,  darfst  noch  nicht  im  Gärtchen  hüpfen."  -  -  Aus  der  Reihe 
anderer,  von  T<  tzner  angeführten  Spiele  sei  liier  nur  noch  das  „Sperling- 
rupfen" erwähnt,  bei  welchem  ein  Knabe  mit  verbundenen  Augen  von  den 
umstehenden  Spielkameraden  gezupft  wird  und  er  den  Täter  erraten  muß, 
um  diesen  an  seine  Stelle  treten  zu  lassen.  —  Dem  deutschen  Blindekuh- 
spiel entspricht  nach  Tetener  das  litauische  Hasenfangen.  Hingegen  sei 
unser  Such-  und  Fangspiel  dort  nicht  bekannt,  wohl  aber  unsere  „Goldne 
Brücke".  Ebenso  erinnere  das  russisch-litauische  „Schafweiden''  an  unser 
„Katze  und  Maus"  oder  „Fuchs  und  Gans";  ihr  Hängespiel  an  unsere  Mühle.  — 
Den  Spielen  gehen,  wie  bei  den  deutschen  Kindern,  Abzählreime  voraus. 
Ferner  ist  auch  bei  den  litauischen  Kindern  das  Aussprechen  schwieriger 
Wortverbindungen  mit  Pfändergeben  verbunden,  und  Rätselaufgaben 
sind  bei  ihnen  noch  häufiger  als  bei  uns.  Auch  vergnügt  sich  in  Litauen  die 
Jugend,  wie  in  Deutschland,  mit  Wassermühlen -und  Dammbauten,  mit  Puppen, 
Bildern,  Pfeifen  u.  dgl.  —  Das  Beilegen  von  Spitznamen  sei  an  der 
Tagesordnung.  — 


')  Sturmgötter,  deren  Harn  als  befruchtender  Regen  auf  die  Erde  rauscht.  Vgl.  auch 
■den  Reigentanz  um  das  „Regenmädcheu"  (Dodolo)  bei  Magyaren,  Raizen  (Serben)  und 
Rumänen  im  folgenden  Kapitel,  sowie  die  zu  Regengöttern  erhobenen  Rinder  der  Cora- 
Indianer  in  Kap.  XXX.  Vielleicht  spielten  bei  ihrer  Apotheosierung  nicht  nur  ihre  vielen 
frönen,  sondern  auch  ihr  vieler  Harn  mit. 


Kapitel  XL. 

Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug'  bei  Nicht- 
Indoeuropäern. 

§  260.     Orientalische  Mischvölker.     Semiten  und  Hamiten. 

Wie  schon  im  vorigen  Kapitel  angedeutet  worden  ist.  war  Ploß  der 
Ansicht,  daß  die  Griechen  und  Römer  ihr  Astragali-  (Knochen-  oder  Würfel-) 
Spiel  dem  Orient  entlehnten,  wo  es  unter  den  Spielen  der  Kinder  und  Er- 
wachsenen vor  den  Häusern,  auf  freien  Plätzen  und  in  den  Höfen  eine  bevor- 
zugte Stellung  einnimmt,  und  wo  die  dabei  benutzten  Lämmerknöchel  „Kaal>". 
d.  h.  Würfel,  genannt  werden,  wie  denn  auch  die  damit  ausgeführten  spiele 
„Spiele  mit  Würfeln"  heißen.  Je  naclT  ihrer  Verschiedenheit  tragen  die 
einzelnen  Spiele  verschiedene  Namen,  z.  B.  „drei  Schritt-',  „Festung",  „Schlag 
an  die  Wand-'1),  „Sultan  und  Vezier"  usf. 

Das  erste  dieser  Spiele,  „drei  Schritt",  hat  H.  Petermann*)  beschrieben. 
Es  werden  Knochen  oder  Würfel  in  einer  Linie  aufgestellt.  Auch  jeder  Mit- 
spielende hat  einen  solchen.  Diese  werden  von  einem  Knaben  in  die  Hände 
genommen,  geschüttelt  und  auf  die  Erde  geworfen.  Der,  dessen  Würfel  (oder 
Knochen)  zuerst  auf  die  hohe  Kante  zu  stehen  kommt,  fängt  das  eigentliche  Spiel 
an;  die  anderen  folgen  nach  der  Reihe,  nach  welcher  ihre  Knochen  aufrecht 
stehend  hingeworfen  werden.  Dann  treten  sie  in  die  Linie,  welche  die  auf- 
gestellten Knochen  bilden,  und  werfen  die  ihrigen  in  der  vorhin  festgesetzten 
Reihenfolge  von  da  weg.  Der,  dessen  Knochen  am  weitesten  fällt,  schnellt 
ihn  mit  dem  Zeigefinger  von  der  Stelle  aus,  wohin  jener  fiel,  auf  die  auf- 
gestellte Linie,  um  einen  oder  mehrere  von  den  Knochen  dieser  Linie  drei 
oder  mehrere  Schritte  fortzuschleudern,  welche  er  dadurch  „ißt",  d.  ii.  gewinnt. 
Gelingt  ihm  dies,  so  schnellt  er  wieder  von  der  stelle  aus.  wohin  sein  Würfel 
gefallen  ist.  und  wiederholt  dies  so  oft,  als  er  Würfel  die  bestimmte  Strecke 
weit  weggeschleudert.  Vermutet  der  letzte  Knabe,  daß  die  anderen  nichts  treffen 
würden,  dann  stellt  er  seinen  Würfel  dicht  vor  die  Reihe  und  sagt  dabei 
„darin".  Wenn  dann  die  Reihe  an  ihm  ist.  so  schnellt  er  von  diesem  Stande  aus 
auf  die  Linie,  und  wenn  er  von  dieser  aus  die  Knochen  drei  oder  mehrere  Sehritte 
weggeschleudert  hat.  immer  wieder  von  dem  Orte  aus,  wohin  der  seinige  gefallen 
ist.  Sind  alle  Knochen  der  Linie  „gegessen",  d.  h.  weggenommen,  so  ist  das  Spiel 
zu  Ende,  und  der.  welcher  den  letzten  gewonnen  hat.  beginnt  es  aufs  neue. 
Die  Knochen  der  Spielenden  können  nicht  gewonnen  werden,  da  jeder 
den  seinigen,  nachdem  er  geworfen  hat.  ohne  zu  treffen,  wieder  weg- 
nimmt. Isi  aber  beim  Schnellen  der  Knochen  eines  Spielers  auf  die  hohe 
Kante    zu    stehen   gekommen,    so    tritt    sein    Hintermann   schnell    hinzu,    sagt 


l)  Wohl  dem  deutschen  Spiel  „Anmauern"  und  den  entsprechenden  Spielen  in  Italien, 
China   u.  a.   0.   ähnlich. 

■'}  Ploß,  '-'  Aufl.  II,  301  f.  Der  Anfang  dieses  Spieles  wurde  da  leider  nicht  klar  ge- 
schildert, und  Petermanns  Text  liegt  nur  nicht  vor,  weshalb  ich  eine  kleine  Abänderung  in 
den  ersten  zwei  Linien  vornehmen  zu   müssen  glaubte. 


§  2G0.     Orientalische  Mischvölker.     Semiten  und  Hamiten.  271 

..1100  Schritte  weg",  und  schnellt  ihn  so  weit  als  möglich  fort;  bleibt  dieser 
wieder  stehen,  so  wiederholt  er  das,  bis  der  Knochen  zu  liegen  kommt.  Der 
Inhaber  des  auf  diese  Weise  so  weit  weggeschleuderten  Knochens  muß  ihn 
dann,  wenn  die  Reihe  wieder  an  ihm  ist,  von  der  Stelle  aus,  wohin  er  ge- 
schleudert wurde,  auf  die  Linie  werfen.  Trifft  einer  die  Knochen  der  Linie 
so,  daß  keiner  drei  Schritte  weggeschleudert  wird,  so  beginnt  das  Spiel 
von  neuem. 

Im  Spiel  „Festung"  wird  die  Reihenfolge  nach  ähnlichen  Regeln  wie  bei 
„drei  Schritt"  bestimmt,  aber  die  Knochen  bilden  in  ihrer  Aufstellung  eine 
Festung,  auf  welche  die  Knaben  der  Reihe  nach  aus  gleicher  Entfernung 
einen  Knochen  schnellen,  um  sie  zu  zerstören.  Wer  trifft  und  zerstört,  ißt. 
d.  h.  gewinnt  alle  jene,  welche  auf  die  gleiche  Weise  wie  der  seinige 
gefallen  sind,  und  schnellt  so  lange  fort,  als  er  einnehmen  darf  oder  sein 
Knochen  auf  die  hohe  Kante  zu  stehen  kommt. 

Aus  Bagdad1)  führte  Ploß  ein  Würfelspiel  an,  in  welchem  zwei  Knöchel 
in  die  Höhe  geworfen  werden.  Kommen  beide  beim  Herunterfallen  auf  die 
eine  der  beiden  schmalen  Kanten  zu  liegen,  und  zwar  auf  eine  und  dieselbe, 
so  gewinnt  der  Werfer  doppelt;  kommen  sie  auf  verschiedene,  so  verliert  er 
doppelt;  liegen  beide  auf  der  gleichen  breiten  Seite,  so  gewinnt  und  verliert 
er  nichts,  liegt  der  eine  auf  der  hohen  schmalen,  der  andere  auf  der  hohen 
breiten  Seite,  so  verliert  er  einfach  usw.  —  Auch  mit  drei  Knöcheln  wird 
das  gleiche  Spiel  nach  den  obigen  Gesetzen  gespielt,  die  Knöchel  aber  dann 
an  die  Wand  geworfen. 

Ferner  haben  die  Kinder  in  Bagdad  ein  Spiel  mit  zwei  Kugeln,  die 
entweder  gegeneinander  oder  nach  einem  Loch  in  der  Erde  geworfen  werden. 
Außerdem  gibt  es  Kreisel,  Schleudern  und  Ballspiele.  Der  Ball  wird  z.  B. 
je  nach  Verabredung  hundertmal,  oder  weniger  oder  öfter,  an  eine  Wand 
geworfen  und  aufgefangen,  oder  die  Knaben  werfen  im  Freien  nacheinander. 
Wenn  einer  sein  Ziel  verfehlt  hat,  wirft  der  Gegner  den  Ball  möglichst  weit 
fort  und  setzt  sich  auf  den  Rücken  seines  Gegners,  der  ihn  bis  zu  dem  Orte, 
wo  der  Ball  liegt,  tragen  muß.  Das  gleiche  geschieht,  wenn  die  Knaben  den 
Ball  auf  die  Erde  werfen  und  wieder  auffangen  wollen,  aber  verfehlen.  Auch 
teilen  sie  sich  in  zwei  Parteien  und  werfen  einander  den  Ball  mit  einem 
Stock  zu.  Auf  beiden  Seiten  wird  ein  Zeichen  gemacht;  wirft  einer  den  Ball 
über  das  entgegengesetzte  Zeichen  hinaus,  so  hat  seine  Partei  gesiegt.  — 
Außerdem  gibt  es  ein  Spiel  mit  zwei  Messingblechen  mit  einer  Vertiefung 
in  der  Mitte.  Diese  Bleche  werden  in  die  Höhe  geworfen,  und  wenn  beide 
auf  die  flache  Seite  fallen,  gewinnt  der  Werfer  doppelt;  wenn  auf  die  ent- 
gegengesetzte Seite,  einfach;  fallen  sie  auf  verschiedene  Seiten,  so  verliert  er. 

E.  Lovett,  der,  wie  im  Kapitel  XXXIX  erwähnt,  dem  Astragalispiel  ver- 
gangener Zeiten  und  der  Gegenwart  nachforschte,  teilte  aus  Syrien  ein 
Knöchelspiel  mit,  bei  welchem  die  Kinder  auf  der  Erde  einen  Ring  zeichnen, 
einen  kluckerförmigen  Knöchel  hineinlegen  und  diesen  mit  einem  anderen, 
bisweilen  mit  Blei  beschwerten,  hinausstoßen. 

Ein  dem  (englischen)  Kluckerspiel  ähnliches  Spiel  sah  John  F.  Keane 
in  Mekka  bei  5 — 15jährigen  Schulknaben.  Andere  Knaben  unterhielten  sich 
mit  dem  Abschießen  von  Kapseln  aus  alten  Pistolen. 

Bekannt  ist,  daß  die  nomadisierenden  Araber,  wie  andere  Nomadenvölker, 
z.  B.  die  Kirghisen  und  Patagonen,  ihren  Kindern  das  Reiten  spielend  bei- 
bringen, indem  sie  sie  schon  im  zarten  Alter  auf  ein  Pferd  setzen2). 


*)  Die    Bevölkerung    von    Bagdad    besteht    bekanntlich    der    Hauptsache    nach    aus- 
Semiten, Türken  und  Armeniern. 

*)  Vgl.  Erziehung.     Kapitel  XLIV   und  XLV. 


272  Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Nicht-lndoeuropäern. 

In  Arabia  Petraea  spielen  die  Knaben  nach  Alois  Musil,  abgesehen 
von  Stock-  und  Steinschleudern,  gern  „Darüh",  „Hibe"  und  ,.Höma'\  Beim 
Darüli  bilden  sie  zwei  parallele  Reihen,  halten  die  Hände  an  den  Leib  und 
versuchen,  den  Gegenüberstehenden  mit  den  Füßen  Stöße  zu  versetzen,  indem 
sie  „diremh,  dem!"  rufen.  Gelingt  es  einem,  auf  diese  Weise  seinen  Gegner 
auf  die  Erde  zu  bringen,  so  wirft  er  sich  auf  ihn;  flieht  jener,  so  verfolgt  er 
ihn   mit   dem  Siegesgeschrei   „jiih,   jüh".  Beim  Spiele  „Hibe"  zeichnet  ein 

Knabe  einen  Kreis  in  den  Sand,  innerhalb  dessen  sich  die  eine  Hälfte  der 
Spieler  in  einem  Halbkreis  aufstellt.  Dann  hüpft  von  der  andern  Hälfte 
außerhalb  einer  auf  dem  linken  Fuß  herein  und  sucht  mit  dem  rechten  einen 
Knaben  zu  stoßen.  Berührt  er  dabei  mit  diesem  Fuß  den  Boden,  so  muß  er  sich 
außerhalb  des  Kreises  niedersetzen.  Aber  auch  der  von  ihm  getroffene  Knabe 
muß  heraus  und  sich  zu  ihm  setzen.  Das  Spiel  endet-  mit  dem  Sieg  der  einen 
Hälfte.  —  Beim  „Höma"  setzt  sich  ein  Knabe  nieder;  ein  zweiter  stellt  sich 
zu  ihm  und  legt  ihm  die  Rechte  aufs  Haupt.  Die  übrigen  Mitspielenden  haben 
nun  die  Aufgabe,  den  Sitzenden  zu  berühren,  während  der  Stehende  mit  dem 
Fuß  nach  ihnen  stößt.  Wer  getroffen  wird,  muß  die  Stelle  des  Sitzenden  ein- 
nehmen. —  Außer  diesen  Spielen  führt  Musil  den  von  Gesang  begleiteten 
Raza'tanz  an,  welchen  bei  den  Stämmen  Teräbiu  und  'Azäzme  je  zwei  Reihen 
Knaben  tanzen,  wobei  sie  sich  gegeneinander  neigen,  den  Körper  nach  rechts 
und  links  wiegen,  mit  den  Füßen  stampfen  und  in  die  Hände  klatschen.  Von 
-den  chorweise  gesungenen  Liedern,  welche  Musil  im  arabischen  Texte  mit 
deutscher  Übersetzung  gibt,  wählte  ich  die  zwei  folgenden  Strophen  aus: 

,.(Die  Ruine)  ar-Rabijje  hat  ihren  Mann  entlassen, 
sie  wird  (das  Gebiet)  ad-Donkür  nicht  nehmen, 
sie  nimmt  jedoch  (den   Brunnen)  es-Senek, 
der  bringt  ihr  rote  Korallen." 

„Habe  ich  dir.  o  Gazelle,  nicht  gesagt: 
setze  dich  und  wandere  nicht; 
wir  werden  trinken  Milch  von  unseren  Ziegen 
und  den  Lebensunterhalt  Gott  anheimstellen." 

In  der  westlichen  Sahara,  bei  den  räuberischen  Uled  De  lim1)  fand 
( 'amille  Douls  ein  bei  den  Knaben  sehr  beliebtes  Spiel,  welches  darin  bestand, 
daß  sie  einen  aus  ihnen  in  ihre  Mitte  nahmen  und  ihn  durch  Zurufe  und 
Schläge  so  lange  reizten,  bis  er  ausbrach  und  einen  anderen  zwang,  an  seine 
Stelle  zu  treten.  Bei  diesem  Spiel  sei  hochgradige  Gewandtheit  und  Wildheit 
entfaltet  worden. 

Unsern  alten  Bekannten,  das  Astragalispiel,  finden  wir  wieder  bei  Juden- 
kindern im  südlichen  Rußland,  wo  es  nach  S.  Weißenberg  hauptsächlich 
von  den  Mädchen  gern  gespielt  wird.  Viel  Zeit  zum  Spiel  sei  aber  den  süd- 
russischen Judenkindern  nicht  gegeben.  Nur  an  den  Feiertagen  sei  es  ihnen 
vergönnt,  sich  ein  wenig  auszutoben;  doch  sollen  gerade  diese  Spiele  dazu 
dienen,  die  jüdischen  Kinder  mit  der  Bedeutung  der  Feste  vertraut  zu 
machen.  So  bewerfen  sie  sich  und  die  Erwachsenen  z.  B.  auf  Tyschebow 
(Tempelzerstörung)  mit  den  stacheligen  Früchten  verschiedener  Dornkräuter, 
die  an  den  Kleidern  und  an  den  Haaren  stecken  bleiben.  Zu  Simchas  Thora 
(Thorafreude)  verfertigen  sich  die  Knaben  Fahnen  aus  Papierstreifen  mit 
daraufgedruckten  Bildern  und  Inschriften  passenden  Inhaltes.  Oben  steckt 
ein  Apfel,  und  in  diesem  eine  Kerze,  welche  am  Vorabend  in  der  Synagoge 
angezündet  wird. 

Überhaupt  tragen,  nach  S.  Weißenberg,  die  Spiele  der  südrussischen 
Judenkinder    einen    ganz    eigentümlichen    Charakter,    da   ihnen   ausgelassene 


')  Semiten? 


§  260.     Orientalische  Wischvölker.     Semiten  und  Hamiten.  273 

Fröhlichkeit  fast  ganz  fehle.  Zwar  nehmen  sie  nicht  selten  an  den  orts- 
üblichen Spielen  der  russischen  Kinder  teil,  doch  werde  das  von  den  Eltern  und 
Beben  nicht  immer  gut  geheißen.  Ihre  eigenen  Spiele  seien  stille  Zimmerspiele, 
an  denen  sich  meistens  nur  zwei  beteiligen  können.  Doch  beziehen  sich  jeden- 
falls die  folgenden,  von  Weißenberg  mitgeteilten  Abzählverse  auf  mehrere 
Mitspieler.     Weißenberg   bezeichnet   sie  als  einen  Wirrwarr  sinnloser  Worte: 

..Une  bene  ress 
Quinter  quinter  shess 
Une  bene  rabe 
Quinter  quinter  shabe." 

,.Eins  zwei  drai 
Ruscher  ruscher  rai 
.Ruscher  ruscher 
Rlatzer  tuscher 
Eins  zwei  drai." 

„Eins  zwei  drai 
Oder  lider  lai 
Oken  boken 
Zwei  die  loken 
Zirl  Perl 
Duks  arois.'-  — 

Von  der  Gegenwart  wieder  auf  längst  vergangene  Zeiten  zurückblickend 
sehen  wir  die  altägyptische  Schuljugend  mit  Vorliebe  ihre  freie  Zeit  mit 
gymnastischen  Spielen  zubringen.  Ähnlich  ihren  griechischen  Altersgenossen 
übten  sie  sich  mit  Lust  im  Eingen,  Wettlaufen,  Springen,  Speerwerfen, 
Scheibenschießen,  Fechten  u.  dgl,  wie  ./.  Wolf  schreibt.  Als  Kraftübung  galt 
ferner  das  Auflichten  gefüllter  Sandsäcke.  —  Auch  Gesellschaftsspiele  gab 
es.  Da  saß  z.  B.  eiue  Anzahl  Knaben  nebeneinander;  einer  aus  ihnen  streckte 
plötzlich  so  oder  so  viele  Finger  der  rechten  Hand  aus  und  zog  sie  schnell 
wieder  zurück.  Die  andern  hatten  die  Zahl  der  ausgestreckten  Finger  zu 
erraten.  Wolf  ist  der  Ansicht,  daß  die  Köm  er  ihr  micare  digitis  von  hier 
entlehnt  haben.  —  Ferner  unterhielten  sich  schon  im  alten  Ägypten  die  Kinder 
mit  Katen.  Ein  Knabe  ließ  z.  B.  raten,  ob  er  in  seiner  mit  Gerstenkörnern 
gefüllten  Hand  eine  gerade  oder  ungerade  Zahl  habe.  —  Oder  ein  mit  dem 
Gesicht  zur  Erde  liegender  Knabe,  der  sich  zudem  die  Augen  mit  den  Fingern 
bedecken  mußte,  hatte  zu  erraten,  wer  ihm  den  Rücken  berührte,  oder  wie 
viele  Finger  seine  Spielkameraden  über  ihm  ausgestreckt  hatten. 

Als  altägyptisches  Spielzeug  führte  Champollion  Figeac  an:  Eine  hölzerne 
Puppe  mit  beweglichen  Armen,  mit  natürlichem  Haar  auf  dem  Kopf,  ein 
winziges  Püppchen  aus  Elfenbein,  einen  Schmied  aus  Elfenbein  mit  beweg- 
lichen Armen,  roh  gearbeitet;  ferner  Bälle  aus  zusammengenähten  Leder- 
stückchen, mit  Häcksel  gefüllt;  einen  hölzernen  Ball  mit  rot  und  blau  gemalten 
Abteilungen;  Knöchelchen  aus  Elfenbein,  Kreisel  aus  Holz,  welche  gepeitscht 
wurden  usw. 

Aus  der  ägyptischen  Abteilung  des  Louvre  zu  Paris  erwähnte 
Floß')  insbesondere  eine  Klapperpuppe,  deren  Arme  im  Schultergelenk  be- 
weglich sind  und  deren  Hände  einen  Holzklotz  halten,  der  beim  Schütteln 
aufschlägt. 

Wilkinson  und  Birch  brachten  unter  andern  Abbildungen  altägyptischer 
Spielzeuge  einen  Wäscher  und  ein  Krokodil,  welche  durch  entsprechendes 
Ziehen  an  Schnüren  bewegt  werden.  Das  Krokodil  bewege  die  untere  Kinn- 
lade, was    WilMnson-Birch  besonders  betonen,   da   dieses   Spielzeug   dadurch 


i)  2.  Aufl.  II,  294. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  18 


274  Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Nicht-Indoeuropäern. 

beweise,  daß  Herodots  Ansicht,  das  Krokodil  bewege  die  untere  Kinnlade  nicht, 
von  den  Ägyptern  nicht  herrühren  könne l). 

Bei  den  Berabra,  einem  äthiopischen  Zweig  der  Hamiten  im  Niltal 
südlich  von  Assuan,  sah  Hartmann,  wie  Kinder  sich  selbst  ein  Spielzeug 
fertigten,  indem  sie  je  zwei  kurze  Taubenfedern  in  ein  Reis  steckten.  Vom 
Wind  bewegt,  sei  dieses  einfache  Spielzeug  ein  täuschendes  Bild  der  hurtig 
über  den  Wüstenboden  dahineilenden  Gespenstheuschrecke  gewesen. 

Auch  der  Somali-Knabe  fertigt  sich  selbst  sein  Spielzeug:  kleine  Bogen. 
Pfeile  und  Lanzen;  auch  baut  er  sich  ein  Schifflein  aus  einem  Brett  und  einem 
Fetzen  Leinwand  und  läßt  es  auf  einem  Wassertünipel  am  Meeresstrande 
schwimmen  (G.  Bevoil). 

§  2(51.     Sudan-  und  Bantuneger.     Busehleute. 

Die  Ringelspiele2)  sind  keine  Eigentümlichkeit  der  europäischen  Kinder; 
wir  finden  ihresgleichen  auch  im  nordwestlichen  Afrika:  H.  Klose  erwähnt 
ein  Kinderspiel  aus  dem  Atyutiland  in  Togo,  das  ihn  sehr  an  unser  „Ringel- 
Ringel-Rosenkranz"  erinnert  habe.  Kinder  von  <i — 9  Jahren  tanzten  singend 
im  Kreis  um  ein  Kind  herum.  Beim  letzten  Ton  des  Liedes  stob  der  Kreis 
auseinander,  das  Kind  in  der  Mitte  suchte  einen  der  Flüchtlinge  zu  erhaschen, 
und  dann  begann  das  Spiel  aufs  neue.  —  Bewundernswert  fand  Klos,'  das 
Nachahmungstalent  der  Togo-Kinder  im  Sojdatenspiel.  „Als  ich  einmal," 
schreibt  er,  „in  dem  Dorfe  Kollern  in  der  Danyi-Ebene  rastete,  hörte  ich 
eine  Truppe  unter  Trommelschlag  heranrücken.  Nicht  wenig  waren  wir  abei 
erstaunt,  als  bald  darauf  die  Dorfjugend  stramm  in  Reih  und  Glied,  mit  Holz- 
säbel  und  Holzgewehren  bewaffnet,  unter  Führung  eines  älteren  Jungen  aut- 
marschierte und  zum  Gaudium  meiner  Soldaten  ihre  Kriegskünste  vorführte 
Mit  einem  Ernst  und  einer  Würde  wurden  die  nachgeahmten  deutschen 
Kommandos  abgegeben  und  ausgeführt,  daß  man  Tränen  lachen  mußte.  Jedes 
Versehen  wurde  mit  einer  Kopfnuß  von  dem  Kommandierenden  geahndet,  dir 
der  Unglücksvogel  hinnahm,  ohne  eine  Miene  zu  verziehen.  Die  ganze  Gesell- 
schaft war  aus  Knaben  von  15  bis  herunter  zu  5  Jahren  zusammengesetzt, 
Kinige  größere  Knabeu  trugen  sogar  alte  Uniformen  der  Polizeitruppe,  während 
andere  nur  mit  ihrer  schwarzen  Naturmontur  ausgerüstet  waren." 

Mit  Vorliebe,  so  schreibt  K.  Fies  aus  Deutsch-Togo,  versammelt  sich 
die  heranwachsende  Jugend  der  Hoer  zu  fröhlichem  Spiel  auf  der  Dorfstraße. 
Die  Soldaten-,  Mühlen-  und  Didadaspiele  gehören  zu  ihren  Lieblingen.  An 
den  letzteren  beiden  ergötzen  sich  auch  die  jungen  Männer.  Beim  Mühlen- 
spiel werden  die  Spielbretter  durch  Linien  ersetzt,  welche  man  im  Schatten 
eines  Baumes  auf  die  Erde  zeichnet;  als  Steine  dienen  Holzstäbchen,  die 
schief  geneigt  nach  ihrem  Eigentümer  in  der  Erde  stecken.  -  Am  Didada- 
spiel  können  sich  zehn  und  noch  mehr  Personen  beteiligen.  Man  scheidet 
sich  in  zwei  Parteien,  jede  legt  vor  sich  auf  die  Erde  zwei  Keinen  kastanien- 
großer Kerne,  welche  von  der  Gegenpartei  weggeschossen  oder  -geworfen 
werden  sollen.  Als  Kugeln  dienen  gleichfalls  Kerne  obiger  Art.  Man  spielt 
bockend,  auf  ca.  4  m  Entfernung,  und  entwickelt  erstaunliche  Geschicklichkeit 
und  Ordnung.  Mit  einer  Kugel  beginnt  das  Spiel;  trifft  sie,  so  wird  sie 
sinnt  dem  getroffenen  Kern  dem  Schützen  zurückgegeben,  und  auch  dieser 
Kein  darf  nun  von  seiner  Partei  als  Kugel  benützt  werden.  Die  Schützen 
wechseln  der  Reihe  nach.  Alle  fehlgegangenen  Kugeln  werden  von  der 
Gegenpartei  aufgefangen  und  von  ihr  verschossen.  Sieger  bleibt,  wer  dem 
Feind  sämtliche   Kerne  weggeschossen  hat.  — 


')  Der  Beweis  dürfte  indessen  mangelhaft  sein. 

-'     Si     ■■■     •  origes    Kapitel. 


§  261.     Sudan-  und  Bantuneger.     Buschleute. 


275 


C.  Spieß  sah  in  Togo  Kinder  der  Eingebornen.  welche  mit  Leimruten- 
Vögel  fingen.  Zu  den  Leimruten  hatten  sie  Harz  vom  Dzabaum  genommen.  — 
Ein  dort  beliebtes  Spiel  besteht  nach  Spieß  ferner  darin,  daß  die  Kinder  einen. 
Faden  durch  die  roten  Blüten  des  Kpöntsitsri-  oder  Kpotigiabaumes  ziehen, 
den  Faden  sich  dann  um  die  Füße  binden  und  den  Vorübergehenden 
zurufen:  ..Akoka!     Akoka!"     Wir   haben   einen  Papageienschwanz,  wir  haben 

einen   Papageienschwanz!   —    Aus    der    äußeren   Frucht-     

schale     des    Affenbrotes    machen    sich    die    Togo-Kinder 
Trommeln.    — 

Da  das  Kinderspiel  zum  großen  Teil  im  Nachahmen 
der  Handlungen  und  Verhältnisse  der  Erwachsenen  besteht, 
ist  es  fast  selbstverständlich,  daß  Puppen  auch  dem  Neger- 
kind, wenigstens  mancher  Stämme,  bekannt  sind.  So  er- 
wähnt beispielsweise  Felix  von  Luschan  in  seinen 
„Beiträgen  zur  Völkerkunde"  Puppen  aus  den  Haussa- 
iändern  im  inneren  West-^Sudän1),  wozu  er  bemerkt. 
daß  sie  eine  überraschende  Ähnlichkeit  mit  alten  myke- 
ni sehen   Figürchen  haben. 

Mit  Puppen  spielen  ferner  die  Kinder  der  Bakundu 
im  nordwestlichen  Kamerun  (Fig.  315).  Auch  im  franzö- 
sischen Kongo  sind  sie  nicht  unbekannt, 
wie  die  hier  als  Figur  316  folgende  Holz- 
puppe aus  Loango  beweist.  Allerdings 
scheinen  europäische  Puppen  am 
unteren  Kongo  befremdend  zu  wirken. 
Wenigstens  schreibt  Weeks,  daß  die  dor- 
tigen kleinen  Mädchen  für  Puppen,  welche 
er  ihnen  gab,  kein  Verständnis  hatten, 
sie  sogar  fürchteten,  und  bald  habe  man 
sie  auf  dem  Markt  als  Fetische  und  Zauber 
zum  Verkauf  angeboten.  Dafür  banden 
sich  die  kleinen  Mädchen  eine  Kassave- 
wurzel  auf  den  Kücken  und  spielten  so 
Kinderträgerin.  —  Kleine  Knaben  spielten 
Soldaten,  musizierten  mit  alten  Konserven- 
büchsen europäischer  Abkunft,  bauten 
Hütten  aus  Gras,  Ruten  und  Stöcken.  — 
Ferner  ahmten  die  Kinder  beider  Ge- 
schlechter die  Erwachsenen  in  gegen- 
seitigen Besuchen  und  Einladungen  zu 
Festen,  im  Haushalt  usw.  nach2). 

Bemerkenswert  ist  wohl  ferner,  daß 
die  Kinderklapper  auch  bei  den  Ein- 
gebornen  des  Kongostaates  und  am  Nyassasee  gefunden  wird  (Fig.  317). 

Am  Kassai,  einem  linken  Zufluß  des  Kongo,  sah  Wißmann  Negerknaben 
auf  stelzen  gehen. 

Daß  das  Bafiote-Kind  an  der  Loangoküste,  wie  seine  kleinen  Alters- 
genossen in  Europa,  spaßhafte  Zungenübungen3)  macht,  hat  Pechuel-Loesche 
mitgeteilt.     Die    Mütter    bringen    sie   ihren    Kindern    schon    früh    bei.      Die 


I 


Fig.  315.  Puppen  der  Bakun  du.  nordwestliches 
Kamerun;  die  eine  links  aus  Holz,  die  andere 
rechts  aus  Mark;  beide  mit  buntem  Kattun  be- 
kleidet. Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


J)  Sammler:  Staudinger  und  Flegel. 

2)  Andere  Spiele  siehe  John  H.    Weeks:   Notes  od  some  customs  of  the  Lower  Corjgo 


People.     In  Folk-Lore  XX  (1909),  pp.  457  ff. 
3)  Siehe  voriges  Kapitel. 


18* 


276 


Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Xicht-Indoeuropäern. 


Fig.  316.  Holzpuppe  aus 
Loango.  Im  Museum  für 
Völkerkunde   in    Leipzig. 


(„es   ist  nicht   tot"). 


Übungen  bestehen,  wie  bei  uns.  im  schnellen  Hersagen  meist  sinnloser  Verse 
mit  schwieriger  Wortverbindung.  Das  „kluge"  Kind  muß  dann  seine  Kunst 
vor  Besuchern  zeigen,  um  Bewunderung  und  Heiterkeit  zu  erregen. 

Größere  Kinder  entfalten  bei  ihren  Spielen  gelegentlich  musikalische  und 
dramatische  Talente.  Fig.  318  führt  uns  beispielsweise  drei  konzertierende 
Knaben  der  Bena  Kanioka  vor,  und  einer  drama- 
tischen Vorstellung  in  Equateurville  am  Kongo  haben 
die  Missionare  Comber  und  OrenfeU  im  Jahre  1884 
beigewohnt.  Diese  Vorstellung  wurde  den  Weißen  zu 
Einen  gegeben  und  dauerte  einige  Stunden.  Ein  hübscher 
Tanz  leitete  die  Opernvorstellung  nach  griechischer  Art 
ein.  wie  ich  dem  Globus1)  entnehme.  Der  Chor  wurde 
durch  Mädchen  im  Alter  von  8 — 12  Jahren  sehr  gut 
ausgeführt.  Die  dramatische  Handlung 
nahm  folgenden  Verlauf:  Auf  einer  Bahre 
lag  ein  mit  rotem  Tuch  bedecktes,  schein- 
bar totes  Mädchen,  und  am  Ende  der 
Bahre  saß  eine  hübsche  Kleine  mit 
trauriger  Miene.  Eine  Frau  an  der  Seite 
stimmte  einen  Klagegesang  an,  zu 
welchem  kleine,  die  Bahre  umgebende 
Mädchen  den  Chor  sangen.  Oft  und  oft 
wiederholte  sich  der  Kefrain:  Ka-wa-ka 
Nach  einiger  Zeit  bewegte  sich  das 
Mädchen  unter  dem  roten  Tuch,  man  entfernte  letzteres,  und 
nun  lag  es  wie  von  Krämpfen  ergriffen  da.  Zwei  Personen 
kamen  heran  und  richteten  es  bei  den  Armen  auf.  — 

Als  Keith  Johnston  zum  Xyassa  reiste,  versammelten 
sich  zu  Nyamba  die  Kinder  des  Orts.  Knaben  und  Mädchen, 
am  Abend,  stellten  sich  in  zwei  Reihen  einander  gegenüber 
auf  und  unterhielten  die  Reisenden  mit  ihren  Tänzen  bis 
in  die  Nacht  hinein,  während  die  übrigen  den  monotonen 
Gesang  anstimmten:  ..Xyambo-yambo".  worauf  die  anderen 
antworteten:  „oi,  oi". 

Über  die  Spiele  der  Kinder  in  Unjanjembe,  Zentral- 
afrika, schrieb  Livingstone  in  sein  Tagebuch:  „In  manchen 
Teilen  des  Landes  ist  es  auffällig,  daß  die  Kinder  so  wenig 
Spielzeug  haben;  das  Leben  scheint  für  sie  schon  eine  ernste 
Aufgabe  zu  sein,  und  ihre  Vergnügungen  bestehen  darin,  daß 
sie  die  Arbeiten  der  Erwachsenen  nachahmen,  indem  sie 
Hütten  bauen,  kleine  Ciärten  anlegen.  Bogen  und  Pfeile.  Schilde 
und  Speere  machen.  An  anderen  Orten  trifft  man  wiederum 
Kinder,  die  außerordentlich  erfindungsreich  sind  und  allerlei 
hübsches  Spielzeug  haben;  auch  schießen  sie  Vögel  mit  ihren 
kleinen  Bogen  und  richten  gefangene  Hänflinge  zum  Singen 
all.  Sie  sind  sehr  geschickt.  Sprenkel  und  Fallen  für  kleine 
el  anzufertigen,  wie  in  der  Bereitung  des  Vogelleims.  Ebenso 
machen  sie  .ins  Schilf  kleine  Spielflinten  mit  Halm  und  Lauf 
und  stellen  den  aus  letzterem  kommenden  Rauch  durch  Asche 
dar,  ja  sie  versteigen  sich  sogar  zur  Herstellung  von  Doppel- 


Fig.  317.  Zwei  Kinder- 
klappern. Die  eine, 
oben,  ausLeopold- 

v  i  1 1  e ,  belgischer 
Kongo;  die  andere 
mihi  Nyassa.  Im 
Museum  für  Völker- 
kunde  in    Leipzig. 


')  Bd.  -18.  S.  79. 


§  261.     Sudan-  und  Bantuneger.     Buschleute. 


277 


Hinten  aus  Ton,  bei  denen  der  Rauch  durch  Baumwollflocken  nachgeahmt 
wird." 

Puppen  wiederum  fand  Cameron  in  Makakira,  Zentralafrika.  Diese 
Puppen  waren  freilich  nichts  anderes  als  mit  Perlen  geschmückte  Pombe- 
flaschen,  welche  die  Mädchen  sich  auf  den  Rücken  banden. 

Von  den  Waschamba  in  Deutsch-Ostafrika  besitzt  das  Museum  für 
Völkerkunde  in  Leipzig  eine  Kinderrassel,  deren  Abbildung  hier  als  Fig.  319 
folgt.     Daneben,  rechts,  ist  ein  Strohgewehr  als  Kinderspielzeug. 

Die  halbwüchsigen  Kinder  der  Wapogoro  in  Deutsch-Ostafrika  schlagen 
den  Kreisel  oder  schleudern  und  fangen  mit  einer  an  zwei  Stöcken  befestigten 
Schnur  ein  in  der  Mitte  eingekerbtes  länglich-rundes  Holzklötzchen,  wie  Fabry 
schreibt,  Beide  Spiele  seien  nach  Aussage  der  Eingebornen  eigene  Erfindung, 
nicht  Nachahmungen  aus  Europa.     Offenbar   schildert  Fabry  mit  dem  ersten 


Fig.  318.    Knaben  der  Bein  Kanioka,  Bantuneger  iin  belgischen  Kongo,  auf  einem  „Mvex"  spielend. 
Nach  V.  H.  Trittes  im  „Anthropos"  IV,  950. 

dieser   beiden   Spiele   das   afrikanische   Diäbolospiel,   welches   Weide  auf  dem 
Makondeplateau  fand. 

Weule  fand  auf  dem  Makondeplateau  ferner  vier  Arten  von  Kreisel. 
Eine  dem  europäischen  Kegelkreisel  genau  entsprechende  Form,  die,  wie  der 
europäische  Kreisel,  mit  der  Peitsche  angetrieben  wird;  ferner  einen  Kreisel, 
welcher  aus  einem  runden  oder  quadratischen  Stück  Flaschenkürbis  an  einem 
kurzen,  derben  Holzstift  als  Rotationsachse  besteht.  Bei  einem  dritten  war 
der  obigen  Scheibe  von  der  Größe  eines  Fünfmarkstückes  noch  eine  kleinere 
Scheibe  untergeschoben,  um  den  Schwerpunkt  zu  verstärken.  Dieser  und  der 
vorhergehende  Kreisel  wurden  nicht  mit  der  Peitsche,  sondern  mit  Daumen 
und  Mittelfinger  angetrieben.  Der  vierte  Kreisel  „benötigt  eines  Abzugs- 
rahmens in  Gestalt  eines  der  Länge  nach  durchbohrten  Stückes  von  einem 
ausgesogenen  Maiskolben,  durch  den  die  Abzugsschnur  schnell  zurückgezogen 
wird"1). 

')  Negerleben,  350f.     Hier  auch  Abbildungen  dieser  Spiele. 


278  Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Meht-Indoeuropäern. 

Auf  dem  Gebiete  der  Musik  nennt  Weide  die  Jugend  des  Makonde- 
plateaus  ganz  unselbständig  ob  sie  auf  der  Sese  dem  geigenartigen  Mono- 
chord, fiedelt,  oder  die  „Ulimba",  die  afrikanische  Universalklimper,  mißhandelt, 
jenes  kastenartige  Gerät,  auf  dessen  Oberfläche  sieben  hölzerne  oder  eiserne 
Tasten  angebracht  sind,  die  mit  den  Fingerspitzen  geschlagen  werden;  ob 
sie  das  Mgoromondo,  jenes  vorsintflutliche  Xylophon,  bei  dem  die  Tasten  auf 
einem  »Strohlager  ruhen,  mit  flinken  Stäbchen  hämmert,  oder  das  Lugombo, 
jenes  weit  über  Ost-  und  Südafrika  verbreitete  Bogeninstrument,  bei  dem  die 
Sehne  den  durch  einen  Flaschenkürbis  als  Resonanz  verstärkten  Ton  gibt, 
stets  sind  diese  Instrumente  mehr  oder  minder  plumpe  Nachahmungen  des  In- 
strumentariunis der  Großen.  Selbständig  ist  nur  die  Natura  ein  Wald- 
teufel. Dieser  besteht  aus  einem  der  Quere  nach  halbierten  Flaschenkürbis 
oder  einer  halben  Baobafrucht,  die  mit  feiner  Tierhaut  trommelartig  über- 
spannt ist.  Von  der  Mitte  der  Membran  geht  ein  Grashalm  durch  das  Gefäß, 
aus  dem  er  weiterhin  noch  weit  nach  unten  hängt".  Die  Töne,  welche  die 
Knaben  mit  dem  Durchziehen  dieses  Halmes  durch  die  angefeuchteten  Daumen 
und  Zeigefinger  hervorbringen,  seien  furchtbar. 

Groß  nennt  Weule  sein  Erstaunen  über  die  Entdeckung,  da  Li  unter  dem 
Spielzeug  der  Makonde-Neger  auch  Wurfstock  und  Wurfschlinge  zu  finden 
waren.  Bis  dahin  habe  man  den  Wurfstock  ja  nur  iu  Australien,  in  einigen 
Teilen  der  westlichen  Südsee,  bei  den  Hy4)erboräern  und  liier  und  da  in 
Amerika  gefunden.  —  Maspero  führte  AVurfstöcke  (Bumerangs),  manchmal  in 
Schlangenwindung  gebogen,  schon  aus  dem  alten  Ägypten,  d.  h.  aus  der 
Zeit  des  Ramses  II.  (14.  Jahrhundert  v.  Chr.)  an1). 

Erwähnenswert  ist  ferner,  daß  Weule  unter  dem  Spielzeug  kleiner 
Makondeknaben  auch  Ipiviflöten  und  Stäbe  (Kakalle),  Attribute  der  Mannbar- 
keit, fand,  welche  bei  den  Pubertätsfesten  (Unyago)  ihre  Rollen  spielen. 
Die.  kleinen  Knirpse  übten  sich  auf  den  Flöten  schon  für  die  Zukunft  ein. 
schreibt  er. 

Das  Spiel  auf  Weules  „Mgoromondo"2)  ist  wohl  mit  dem  von  C.  Wehr- 
meister beschriebenen  „Spiel  mit  Holzstäbchen"  identisch,  welches  auf  Fig.  320 
aber  von  zwei  Knaben  gleichzeitig  gespielt  wird,  während  Weides  Illustration 
uns  einen  Solisten  vorführt.  Wehrmeister  erläutert  seine  Abbildung  folgender- 
weise: „Auf  zwei  Bambusstangen  ist  eine  Schicht  Gras  gelegt  und  über  beide 
hinweg  eine  Reihe  Brettchen  von  verschiedener  Länge,  die  unter  sich  durch 
eingesteckte  Stäbchen  getrennt  sind.  Zwei  Knaben  hämmern  mit  einem 
Stück  Holz  auf  diese  Brettchen  und  erzeugen  so  ein  ähnlich  melodisches 
Spiel,  wie  unser  Glockenspiel  oder  das  Läuten  der  Kuhglocken  in  den  Alpen3)." 

Bei  den  Wakamba  in  Britisch-Ostafrika  unterhalten  sich  die  Kinder, 
wie  bei  uns,  mit  Fang-  und  Versteckspielen;  ferner  tragen  sich  die  Kleinen, 
ganz  wie  unsere,  Huckepack,  oder  Rücken  an  Rücken  mit  verschränkten 
Armen  und  schaukeln  sich  in  dieser  Stellung  hin  und  her.  Kleine  Mädchen 
pflücken  sich  manchmal  einen  Strauß  grellfarbener  Blüten.  Die  Jungen  machen 
sich  den  Spaß,  einen  frischgrünen  Sorghumhalm  in  der  Asche  eines  Feuers 
zu  erhitzen.  Wenn  dadurch  die  Luft  in  den  inneren  Zellenräumen  desselben 
in  Spannung  versetzt  ist,  schlagen  sie  den  Halm  auf  einen  Stein,  wodurch  er 
mit  starkem  Knall  zerplatzt  {Hildebrandt). 


l)   Maspero:   Ägypten  und  Assyrien,  Deutsch.     Leipzig  1891,  S.   104  IT. 

2i  Abbildung  dazu  in  dessen  „Negerleben",  S.  353. 

')  BLlapperkörbchen  sowie  Tier-  und  Monschonformen  aus  Ton  als  ostafrikanische 
lvinderspielsachen  aus  dem  Museum  St.  Ottilien  bei  München,  wurden  mit  Fig.  27ü  in 
K..p.  XX.W'II  vorgeführt. 


§  261.     Sudan-  uud  Bantuneger.     Buschleute. 


279 


Die  Kinder  der  Makololo,  Basuto  und  anderer  Betscliuanenstämme 
im  britischen  Südafrika  vertreiben  sich,  wie  es  scheint,  besonders  beim 
Viehhüten  die  Zeit  mit  der  Herstellung:  von  Tonfiguren,  welche  Binder  u.  a.  m. 
darstellen  (Hartmann).  —  Nach  Ch.  Stech  kann  man  den  Basuto-Knaben 
im  Nachbilden  von  Ochsen  und  Kälbern  in  Ton  ein  gewisses  Geschick  nicht 
absprechen.  Ferner  bauen  die  Basuto-Knaben  kleine  Viehkraale,  wenn  sie 
einen  freien  Sandplatz  finden,  die  sie  mit  kleinen  Pflöckchen  einzäunen,  und 
in  welche  sie  die  tönernen  Ochsen  paarweise  in  längeren 
Zügen  einwandern  lassen,  so  wie  das  lebende  Vieh  abends  in 
den  Kraal  einwandert.  Ihr  Hauptspiel  aber  ist  das  Kriegs- 
und Jagdspiel.  —  Nie  geht  ein  Junge  ohne  einen  Schild,  der 
entweder  kreisrund  oder  (bei  anderen  Stämmen)  oval  ist, 
wozu  auch  ein  kleiner  Köcher  mit  kleinen  vergifteten  Pfeilen 
und  ein  kleiner  Assagai  (Spieß),  ein  Stock  und  ein  Knopf- 
kirri  (kurzer  Wurfstock  mit  sehr  dickem  Knopf  aus  festestem 
Eichenholz)  gehört.  Ist,  so  bewaffnet,  ein  Haufen  versammelt. 
so  beginnen  die  Knaben  bald  allerhand  Sprünge,  ähnlich  dem 
Wilde,  das  vom  Jäger  gejagt  wird:  ilarauf  folgen  (Testen,  die 
dem  spürenden  Jäger  gelten.  Plötzlich  verkriechen  sich  einige 
hinter  Klippen  und  Büschen,  bis  einer  in  Schuß-  oder  Wurf- 
weite des  vorgeblichen  Wildes  wirft,  worauf  er  hervorspringt 
und  auf  jene  Stelle  zustürzt,  von  allen  anderen  unter  lautem 
•lubel  gefolgt.  Dann  entsteht  ein  wechselseitiger  Tanz,  begleitet 
mit  Gesang  und  Hüft-  und  Luft- 
sprüngen.  —  Ähnlich  geht  es  beim 
Kriegs  spiel  zu.  Freunde  und 
Feinde  verstecken  sich  erst;  dann, 
nachdem  Fühlung  gewonnen,  stürzt 
man  aufeinander  los,  und  wehe  dem. 
der  seinen  Schild  nicht  geschickt  zu 
handhaben  weiß,  um  die  Schläge  des 
Kirri  richtig  zu  parieren.  Denn  es 
fallen  harte  Schläge,  bei  denen  Blut 
fließt.  Kleinere  Knaben  bekämpfen 
sich  wohl  erst  noch  mit  Buten  und 
grünen  Büschen.  Der  Feigling, 
Flüchtling  oder  gar  Schreihals  wird 
verlacht  und  verachtet.  —  Endemann 
erwähnt  neben  den  Scheingefechten 
und  Scheinjagden  der  Basuto-Jugend 
wirkliche  Jagden,  welche  zum  Zeit- 
vertreib auf  Hasen  und  anderes 
Kleinwild  angestellt  werden;  den 
Vögeln  stellen  die  Knaben  mit 
Sprenkeln   und  Leimruten   nach.   — 

Die  Mädchen  springen  über  geschwungene  Riemen,  tanzen,  bauen  aus  Sand 
Kraale,  im  Sommer  Hütten  aus  hohem  Kraut,  machen  Töpfe,  bebauen  Gärtchen. 
sammeln  Gräser,  um  daraus  Körbchen  zu  flechten  usw. 

Fast  sämtliche  Spiele  begleiten  die  Basuto-Kinder  mit  Gesang.  Der 
Takt  wird  durch  Händeklatschen  und  Stampfen  mit  den  Füßen  gegeben,  und 
der  chor  oder  die  Brummstimmen  pflegen  höchst  präzis  einzufallen.  Gehen 
mehrere  Kinder  auf  das  Wasser,  was  täglich  vorkommt,  so  stimmt  eines 
davon  einen  Gesang  an,  und  wie  auf  ein  verabredetes  Zeichen  fallen  ganz 
von  selbst  die  anderen  ein  und  klatschen  den  Takt  mit  den  Händen  dazu.  — 


"■-4»  /v  ■ 


Fig.  319.  Spielzeug:  Links  eine  Kinderrassel  der 
Waschamba  (Deutsch-Ostafrika)  aus  Mtamahalmen 
und  Hirsekörnern:  rechts  ein  Strohgewehr  für  Kinder 
der  Wabunga.  Im  Museum  für  Völkerkunde  in 
Leipzig. 


280 


Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Nicht-Indoeuropäern. 


Sehen  sie  abends  das  Vieh  in  den  Kraal  zurückkommen,  so  sind  bald  zwei 
oder  drei  Kinder  beisammen,  von  denen  eines  beginnt:  „Kchomo,  kchomo, 
kchomo  no  nödi".  was  immer  wieder  und  wieder  kehrt,  und  zwar  nach  dem 
folgenden  Rhythmus: 


Das  „no  nödi"  gehöre  in  die  Kindersprache  der  Basutos  und  komme 
etwa  dem  nachklingenden  Jodel  eines  Liedes  gleich.  Der  Sinn  des  ganzen 
Reimes  sei  etwa:  „Das  Vieh,  das  Vieh,  das  Vieh,  es  kommt,  es  kommt!"1)  — 
Oder  die  Kinder,  Knaben  wie  Mädchen,  sehen  einen  Reiter  dahin  galoppieren: 
sogleich  erklingt  das  stereotype:  ea  kabök'i,  ea  kabölä  (es  galoppiert,  es 
galoppiert).  —  Geht  das  Pferd  im  Schritt,  dann  heißt  es:  „a  e  kaböle,  a  e 
kaböle  (laß  es  doch  galoppieren,  laß  es  doch  eilen!),  denn  Galoppieren  sehen 
die  Kinder  gerne.  — 


Fig.  320.    Kuabeu  aus  der  Missionsstation  Lukuledi,  Dentsch-Ostafrika,  bei  einem  Spiel  mil  Holzstabeben. 
Aus  C.    Wehrmeisltr:  „Vor  dem  Sturm",  S.  85. 


Ein  eigenartiges,  hübsch  verziertes  Spielzeug  eines  Häuptlingskindes  aus 
dem  Betschuanenland  haben  wir  in  Fig.  321  vor  uns.  — 

Mit  kleinen  Bogen  und  Pfeilen  spielen  auch  die  Kinder  der  Auin- 
Buschleute  der  Kalahariwüste.  Ferner  unterhalten  sie  sich  mit  einem 
Vexierspiel,  welches  Hans  Kaufmann  folgenderweise  beschrieben  hat.  Die 
Partner  hocken  einander  gegenüber.  Beide  klopfen  sich  gleichzeitig  unter 
unartikulierten  Lauten  mit  beiden  Händen  auf  die  Oberschenkel.  Dann  streckt 
der  eine  Partner  überraschend  die  rechte  oder  linke  Hand  gegen  den  andern 
aus,  oder  macht  irgendeine  andere  Handbewegung.  Imitiert  der  andere  nicht 
sogleich  genau,  dann  hat  er  gewissermaßen  verloren,  was  der  Gegner  dadurch 
markiert,  daß  er  eine  wegwerfende  Handbewegung  macht  oder  mit  dem  rechten 
Zeigetinger  auf  seine  linke  Faust  schlägt,  womit  er  sagen  will:  „Ich  schlage 
meinem  Gegner  den  Kopf  entzwei."  Unterbrochen  wird  das  Spiel  dadurch 
aber  nicht.  Nach  Kaufmann  haben  auch  die  Hereros  und  Bergdamara 
ein  ähnliches  Spiel,  doch  soll  es  ursprüngliches  Buschmannspiel  sein.    Es  wird 


')   Nach  Ploß  in  der  2.   Aull. 


§  2t>2.     Matay'.seh-polynesische  Völker. 


281 


nicht  nur  von  den  Knaben,  sondern  auch  von  den  Erwachsenes  gespielt,  — 
Den  Auin  sind  Stelzen  bekannt,  die  von  Knaben  und  Männern  gebraucht 
werden.  —  Ferner  unterhalten  sich  Knaben  und  Männer  stundenlang  unter 
großem  Jubel  mit  Rutenwerfen,  wobei  Ruten  bis  zu  2  m  Länge  mit  Anlauf 
in  sausendem  Schwung,  an  einem  Ende  gefaßt,  vorwärts  geworfen  werden. 
Die  damit  verbundene  Anstrengung  verlange  guten  Ernährungszustand.  Dieses, 
wie  alle  andern  Spiele,  verlegen  die  Auin  aus  diesem  Grund  auf  die  Regenzeit. 
Auch  das  Rutenwerfen  wird  von  Kaffern  und  Hereros  gespielt;  es 
sei  kein  ursprüngliches  Buschmannspiel.  —      


262.     Malayisch-polynesische  Völker. 


Missionar  Paul  Camboue,  dessen  wert- 
volle Mitteilungen  über  die  Howa  auf 
Madagaskar  in  unserem  vorliegenden 
Werke  bereits  wiederholt  verwertet  worden 
sind,  hat  seitdem  im  ..Anthropos"  (September- 
Oktober-Heft  1911)  auch  über  die  Spiele 
der  Howa-Kimler  geschrieben.  Diese  Spiele 
sind  von  einer  außerordentlichen  Mannig- 
faltigkeit und  deshalb  ein  beredter  Ausdruck 
einer  kräftigen,  lebensfrohen  Kindesseele. 
Selbstverständlich  können  hier  nur  einige 
aus  ihnen  zur  Sprache  kommen. 

Im  zartesten  Alter  spielt  das  Howa- 
Kind  mit  einer  Blume,  einem  Zweig  oder 
einer  Frucht,  mit  den  Haarzöpfen  seiner 
Mutter  oder  Wärterin;  später  gibt  man  ihm 
eine  Heuschrecke  oder  einen  Maikäfer  an 
einem  Rofiafaden  (Sagus  raphia),  welchen 
das  Kind  in  seinen  Händchen  hält  (vgl.  die 
Maikäferliedchen  im  vorigen  Kapitel). 

IM  i t  dem  Heranwachsen  des  Kleinen  ver- 
vielfältigen sich  seine  Spiele.     Da  verdienen 
zunächst  gewisse  Einzelheiten  im  Puppen- 
spiel der  Mädchen  unsere  Aufmerksamkeit. 
Zwar    sind    es    keineswegs    kunstvoll    her- 
gestellte kostspielige  Puppen;  vielmehr  muß 
einfach  die  Frucht  der  Physalis  peruviana 
den  Kopf,  die  Hülle  dieser  Frucht  den  Rumpf. 
und     ein     darum     gewickeltes    Blatt    das 
Nationalkostüm,  das  ,.lamba''  bilden.     Aber 
die    kleine    Mama    der    Puppe,    d.    h.    das 
spielende   Mädchen,   macht   ihr   einen   Tragstnhl 
grases  (Andropögon  sp.),   damit   ihre  Puppe,   wie 
Landes,   darin   herumgetragen  werden  kann.     AI 
ferner  einen  Sonnen-  und  Regenschirm,   den  ihr 


mit   Perlen    umwundene 

Pulverbüchse     als    Spielzeug     des     Sohnes 

eines  Bet sehn a neu- Häuptlings  (südliches 

Afrika).     Im   Museum   I.   K.  H.  Prinzessi7i 

Therese  Ulm  Bayern. 


aus  den  Halmen  des  Bart- 
die  vornehmen  Damen  des 
;  solche  braucht  die  Puppe 
die  kleine  Mama  fabriziert, 
indem  sie  das  Gewebe  der  großen  Spinne  Nephila  madagascariensis  über  einige 
Reiser  steckt,  Ein  Wohnhaus  baut  sie  ihr  aus  Erde  oder  Lehm,  und  damit 
ein  hervorragender  Zug  aus  dem  Howa-Leben  nicht  vergessen  sei,  macht  sie 
ihr  noch  zu  deren  Lebzeiten  das  Grab  aus  Stein  und  Erde,  sowie  das  obligate 
Leichentuch.  —  Das  ist  ..das  Gräbchenspiel".  —  Fast  selbstverständlich  ist 
es,  daß  die  kleine  Mama  als  solche  ihre  Puppe  nach  Landesbrauch  auf  dem 
Rücken  trägt. 


282  Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Xicht-Indoeuropäern. 

1  >ie  kleinen  Knaben  machen  Gehege  und  Gräben,  um  darin  nach  Art 
der  Erwachsenen  Ochsen  zu  mästen;  nur  sind  ihre  Ochsen  selbstgemachte 
Lehmfiguren,  oder  Heuschrecken,  oder  auch  nur  eine  Hülse  der  Cassia  laevigata, 
oder  ein  Stein.  -  -  Beim  „Gräbchenspiel"  ersetzen  die  Knaben  die  Puppen  der 
Mädchen  durch  einen  Lehmmann,  oder  einen  Frosch,  oder  eine  Heuschrecke.  — 
Ferner  legen  die  Knaben  kleine  Reis-.  Maniok-  und  Patatenfelder  an.  zeichnen 
auf  Fußwege  und  Hüttenwände  die  Umrisse  von  Menschen  und  Tieren  und 
formen  solche  aus  Lehm. 

Camboue  zählt  dann  eine  Reihe  primitiver  Musikinstrumente  auf.  welche 
von  den  Howa-Knaben  angefertigt  und  gespielt  werden:  Trompeten  aus  Reis- 
halmen  und  Blättern  des  Cyperus  latifolius,  Rohrflöten,  eine  Art  Gitarre 
und  Trommeln,  wovon  er  die  Queckengrastrommel  die  originellste  nennt1!. 

Besonders  interessant  erscheinen  mir  unter  den  von  Camboue  beschriebenen 
Spielen  der  Howa-Kinder  die  Grillen-,  Spinnen-  und  Chamäleonkämpfe. 
Ferner  verdienen  die  fingierten  Zehnkämpfe  als  ein  Seitenstück  zu  den 
fingierten  Stierkämpfen  bei  der  spanischen  und  spanisch-mexikanischen  Jugend 
unsere  Aufmerksamkeit. 

Einen  Grillenkampf  veranstaltet  der  kleine  Howa  folgenderweise:  Er 
nimmt  ein  Grillenpaar,  Männchen  und  Weibchen,  aus  ihrem  Loch  und  tötet 
zunächst  das  Weibchen,  hebt  aber  dessen  Kopf  und  ein  Bein  auf.  Dieses 
Bein  wird  an  dem  einen  Ende  eines  Strohhalmes  befestigt  und  so  an  die 
( >ffnung  eines  Loches  gesteckt,  worin  ein  anderes  Grillenpaar  lebt.  Beim 
Anblick  dieses  Grillenbeins  stürzt  der  Herr  des  Grillenheims  aus  seiner  Tiefe 
an  die  Öffnung,  und  nun  läßt  der  Knabe  seinen  gefangenen  Grillenwitwer 
los.  der  sich  sofort  dieses  Grillenlochs  bemächtigen  will,  damit  aber  sich  mit 
dem  Hausherrn  in  einen  Kampf  verwickelt.  Ermüden  die  beiden  Kämpfer, 
dann  zeigt  ihnen  der  Knabe  den  Kopf  des  getöteten  Grillenweibchens,  um  die 
beiden  Männchen  zu  neuer  Wut  anzuspornen. 

spielend  machen  sich  größere  Knaben  ihren  Eltern  nützlich,  indem  sie 
Vögel,  Krabben  und  Frösche  fangen.  Die  dazu  nötigen  Instrumente  und 
Lockspeisen  verfertigen  bzw.  verschaffen  sie  sich  selbst.  -  Die  größeren 
Mädchen  erhaschen  sich  Heuschrecken  zum  Dessert  und  zur  Würze  ihres 
Reises.  —  Besonders  gern  aber  erlisten  sich  Knaben  und  Mädchen  Schmetter- 
linge aus  der  Familie  der  Sphingidae,  welche  in  der  Abenddämmerung  in 
großer  Anzahl  die  Blumen  umschwärmen,  um  deren  süßen  Saft  zu  bekommen. 
I»a  nimmt  dann  das  Howa-Kind  eine  solche  Blume,  geht  einem  dieser  Schmetter- 
linge nach,  streckt  sie  ihm  vorsichtig  hin  und  zerdrückt  ihn  in  dem  Augenblick, 
in  welchem  der  getäuschte  Schmetterling  seinen  Saugrüssel  in  den  Blumen- 
kelch senkt.     Dann  wird  der  Gefangene  als  Leckerbissen  verspeist. 

Zu  den  verschiedenen  Gesellschaftsspielen  beider  Geschlechter  gehören 
auch  gymnastische  Übungen,  welche  Camboue"  teilweise  illustriert,  sowie 
ein  Wettstreit  der  Schönheiten  anter  den  .Mädchen. 

Auch  eine  Art  Schlitten  machen  sich  die  Kinder,  auf  denen  sie  von 
grasigen  Hügeln  hinuntergleiten,  usw.  usw.  — 

Die  Knaben  der  Minkopier,  ein  Zwergvolk  auf  den  Andaman-Inseln 
im  Meniralischen  Meerbusen,  üben  sich  spielend  in  der  Handhabung  von  Bogen 
und  Pfeilen. 

Die  Kinder  der  Batak  auf  Sumatra  zeigen  schon  in  frühester  .lugend 
einen  ausgesprochenen  Hang  zum  Hasard  und  ähnlichen  Spielen.  Man  kann. 
schreibt  Frhr.  v.  Brenner,  kaum  ein  Dorf  der  Hochebene  betreten,  ohne  dies 
Schauspiel  zu  erleben,  wobei  man  von  der  Lebhaftigkeit  und  Aufgewecktheit 


>i   I ) i r-«-   Beschreibung  and  Abbildung  findet  der  Leser  im  Anthropos  VI  (1911),  S.  669. 


§  262.     Malayisch-polynesische  Völker.  285 

Mit  dem  plötzlichen  Auftauchen  der  Fadenspiele  will  jedoch  Raymund 
keineswegs  sagen,  daß  es  vorher  auf  Palau  nicht  existiert  habe;  vielmehr  teilt 
er  uns  mit,  daß  es  alte  Palauerspiele  sind,  die  sich  von  Mutter  auf  Kind,  von 
Generation  zu  Generation  vererben,  und  deren  Ursprung-  die  Eingebornen  auf 
die  ..Chalid"  zurückführen,  d.  h.  auf  jene  Geister  oder  höhere  Wesen,  die  über 
dem  heutigen  Palau  ein  herrliches  Land  bewohnen,  und  denen  der  Paktier 
auch  das  einheimische  Geld,  das  Feuer,  Land  und  Meer,  kurz  alles,  dessen 
Ursprung  ihm  dunkel  ist,  zuschreibt.  Die  Fadenspiele  (chalidebaol) l)  der 
Kinder  repräsentieren  nach  Raymund  nur  die  einfachsten  Formen;  die  feineren 
und  abwechslungsreicheren  seien  nur  noch  einigen  alten  Häuptlingen  und 
vielleicht  dessen  Frauen  und  Kindern  bekannt.  In  einzelnen  Bezirken  scheine 
das  Spiel  schon  ausgestorben  zu  sein.  Andererseits  werde  das  Fadenspiel 
auch  auf  verschiedenen  Nachbarinseln,  z.  B.  auf  Bur  (bei  Sonsorol)  uud  Yap, 
auf  den  Marianen  und  Pönape  gespielt2).  Die  Formen  des  Fadenspiels 
stellen  teils  Gegenstände  in  der  Natur,  z.  B.  Wellen,  Fische  und  Früchte,  dar ; 
teils  beziehen  sie  sich  auf  Palaus  Geschichte  und  Sage.  Einzelne  Formen 
und  Reden  werden  den  Chalid  selbst  in  Hand  und  Mund  gelegt,  als  ob  einer 
aus  ihnen  selbst  die  Fäden  schlänge  und  die  Worte  spräche.  Manche  seien 
neuerer  Erfindung  und  wenig  sinnreich3). 

Faden-  und  Schnurspiele  nannte  G.  Thilenius  die  Lieblingsspiele 
von  aroß  und  klein  auch  auf  Yule  Island  an  der  Südküste  von  Britiseh- 
Neuguinea  und  iu  Nord-Queensland  (nordöstliches  Australien).  Es 
wurden  hier  unter  anderem  sitzende,  stehende  und  fliegende  Vögel,  auf  Yule 
Island  Papageien  oder  Tauben  dargestellt. 

Von  denPapua-Kindern  in  Kaiser-Wilhelms-Land  schrieb  Maximilian 
Krieger:  Wie  unsere  Kinder,  so  sind  auch  sie  groß  im  Erfinden  verschiedener 
Spiele.  Sie  spielen  „schwarzer  Mann"  und  Ball,  haben  auch  ein  unserem 
Barrlauf  ganz  ähnliches  Spiel.  Besonders  bevorzugt  sind  Kriegs-  und 
Jagdspiele;  sogar  unser  „Zeck-'  und  „Kettenreißen"  scheint  bei  ihnen  ver- 
treten zu  sein.  —  Das  gilt  hauptsächlich  bei  Knaben,  während  die  Mädchen 
nur  als  ganz  klein  sich  im  Dorfe  herumtummeln,  dann  aber  bald  an  die 
Arbeit  müssen. 

Zu  den  Knabenspielen  in  Holländisch  Neuguinea  gehören,  außer  den 
von  Kaiser- Wilhelms-Land  erwähnten.  Peitschen-  und  Reifenspiele. 

Von  den  Mo tu'-mo tu- Kindern  in  Britisch-Neuguinea  erwähnte  „Die 
Natur"4)  unter  den  von  den  Kindern  selbst  verfertigten  Spielsachen  kleine 
Windmühlen  aus  Kokosblättern,  Kreisel  und  fliegende  Blasen.  Knaben 
warfen  Kokosschalen  am  Boden  hin,  welche  die  andern  unterdessen  mit  ihren 
Speeren  zu  treffen  suchten5);  oder  sie  tummelten  sich  im  Wasser  und  suchten 
dabei  mit  Speeren  und  Pfeilen  Fische  zu  erlegen,  um  sie  am  Strand  auf 
Kohlen  zu  braten. 

Die  Spiele  der  männlichen  Jugend  von  Laur.  dem  mittleren  Teil  der 
Insel  Neumecklenburg-,  Bismarck- Archipel,  hat  Missionar  Abel  beobachtet 
und  eingehend  beschrieben.  Knaben  und  Jünglinge  versammeln  sich  am 
liebsten  beim  Voll-  und  Neumond  abends  auf  den  großen  Sandflächen,  welche 
bei  Ebbe  am  Meeresstrand  erscheinen.  In  den  Bergdörfern  haben  die  Burschen 
ja   nur   den   engen  Platz   vor  der  Männerhütte  zur  Verfügung;   im  warmen, 


J)  Nach  Raymund  bedeutet  dieses  Wort  ..Geschenk,  Gabe  der  chalid",  also  der  Geister. 

2)  Vgl.fr.  Thilenius  Mitteilung  über  Fadeuspiele  auf  Yule  Island  und  in  Australien  w.u. 

3)  Näheres   in  Text    und  Bild   siehe    Raymund:   Die   Faden-   und   Abnehmespiele   auf 
Palau.     Im  „Anthropos"  VI,  40ff. 

4)  1879,  S.  280. 

6)  Auf  den  Salomo-lnseln  schießen  die  Knaben  mit  kleinen  Speeren  nach  aufgehängten 
Kokosschalen.     (3/.  Eckardt,  Glob.   39,  365.) 


286  Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Kicht-Indoeuiopäern. 

weichen  Ufersand  aber  können  sie  nach  Herzenslust  Purzelbäume  schlagen, 
rennen,  rollen  und  kugeln.  -  Von  den  Gesellschaftsspielen  nennt  Abel 
das  „Mattehalten"  (a  kapkap-ben),  das  „Strickziehen'-  (a  särsarat-hinäu)  und 
eine  Art  Fangspiel  (a  hunuläga)  als  besonders  bevorzugte  Spiele1). 

Beim  ..Mattehalten"  bilden  die  Knaben  zwei  numerisch  möglichst 
gleiche  Parteien,  die  sich  auf  einen  Abstand  von  20 — 30  m  trennen  und  mit 
Vorliebe  Stellen  suchen,  die  vom  Mondlicht  wenig  beleuchtet  sind.  Eine  der 
Parteien  nimmt  dann  eine  Matte  zu  sich,  während  die  andere  in  sehr  schnellem 
Tempo  ein  Lied  singt,  dessen  Text  und  Melodie  Abel  im  Anthropos  veröffent- 
lichte, dessen  Sinn  er  aber  nicht  weiß,  da  er  auf  seine  Frage  nur  die  Antwort 
bekam:  „I  ra  tuara  diet  qa  inge  man  huo!"  (,.Die  Alten  haben  auch  so 
gesungen".)  Während  dieses  ziemlich  melodischen  Gesanges  treten  die  Knaben 
der  ersten  Partei  dicht  zusammen,  einer  aus  ihrer  Mitte  ergreift  die  Matte. 
hält  sie  vor  sich,  damit  er  vor  den  Blicken  der  zweiten  Partei  geschützt 
ist,  und  schreitet  so  dem  feindlichen  Lager  etwa  bis  zur  Hälfte  der  Distanz 
entgegen,  wo  er  stehen  bleibt. 

Im  feindlichen  Lager  verstummt  der  Gesang  und  man  beginnt  zu  raten, 
wer  der  Träger  der  Matte  sei.  Schnell  und  aus  vieler  Munde  ertönt  die 
Frage:  „Sige  ngu,  si  ngu,  si  ngu?"  Wer  bist  du,  wer,  wer  bist  du?"  Hierauf 
beobachtet  jeder  scharf  den  Ankömmling;  man  beratet  sich  im  stillen  unter- 
einander, und  schließlich  ruft  einer  den  vermutlichen  Namen  aus.  War  die 
Vermutung  richtig,  so  läßt  der  versteckteTräger  die  Matte  fallen  und  kehrt, 
etwas  beschämt,  zu  seiner  Partei  zurück,  während  die  Sieger  ihm  nachjauchzen, 
die  Matte  zu  sich  nehmen,  ihrerseits  das  gleiche  Spiel  wiederholen,  uud  die 
besiegte  Partei  im  Galgenhumor  jenes  Lied  singt,  mit  welchem  das  erste  Spiel 
eingeleitet  worden  war. 

Errät  der  Feind  den  Mattenträger  nicht,  dann  ruft  man  ihm  zu,  daß  et 
falsch  geraten,  und  er  hat  das  Lied  zum  zweitenmal  zu  singen,  sein  Rateglück 
nochmal  zu  versuchen2).    Bei  wiederholtem  Mißgeschick  wird  er  verhöhnt.  - 
Nach  Abel  entwickeln  die  Knaben  bei  diesem  Spiel,  das  nicht  selten  2 — .S  Stunden 
daure,  viel  Witz,  Schlauheit  und  kräftigen  Humor. 

Beim  „Strickziehen"  teilen  sich  die  Knaben  gleichfalls  in  zwei  Gruppen. 
Die  einen  legen  sich  dann  alle  rücklings  so  auf  den  Boden,  daß  die  Füße  je 
eines  Knaben  (oder  Jünglings)  dem  Kopf  seines  Vordermannes  naht,  und  daß 
die  ganze  Mannschaft  mit  Köpfen  und  Füßen  in  einer  geraden  Linie  liegt. 
Seine  Füße  stemmt  dabei  jeder  in  einem  selbst  gegrabenen  Sandloch  an.  Zum 
Ersten  der  Reihe  wählt  man  einen  kräftigen  Burschen,  da  der  Sieg  seiner 
Partei  vor  allem  von  seiner  Widerstandsfähigkeit  abhängt.  Denn  von  ihm 
aus  läuft  ein  zu  einem  Kranz  geschlossenes  Kotangseil  über  die  andern 
Burschen  der  Reihe  nach  hin,  deren  jeder  das  Seil  freilich  auch  seinerseits 
mit  beiden  Händen  und  gestreckten  Armen  dicht  an  seinen  Körper  halten 
muß.  Die  Aufgabe  der  Gegenpartei,  welche  sich  in  Reih  und  Glied  aufstellt, 
ist  es  nun.  die  Liegenden  an  dem  Rotangstrick,  welchen  auch  sie  ergreift, 
zum  Sitzen  zu  bringen.  Die  Liegenden  fordern  die  Stehenden  mit  einem 
kräftigen  Lied  auf.  die  Kraftprobe  zu  beginnen.  Bei  der  Schlußnote  fallen 
die  Stehenden  mit  voller  Brust  ein  und  ziehen  dabei  mit  Leibeskräften  an 
dem  Rotangkranz.  Gelingt  der  Ruck,  geben  die  Sandgrübchen  nach  und 
kommt  die  liegende  Reihe  ins  Rutschen,  dann  ist  der  Sieg  bereits  entschieden; 
denn  die,  Liegenden  müssen  den  Rotang  auslassen,  um  nicht   von  dem  rück- 

')  Doch  schreibt  er  (Anthropos  II.  7oS),  kein  Spiel  werde  so  andauernd  gepflegt,  wie 
das  Lanzen-  oder  Speerspiel,  auf  dessen  eingehende  Beschreibung  bin-  aber  nur  hin- 
gewiesen werden  kann. 

i   Man  kann  also  dieses  Spiel  ein  Ratespiel  nennen. 


§  262.     Malayiseh-polynesische  Völker.  287 

yit-htslos  fortstürmenden  Gegner  geschleift  zu  werden.  Ein  unbeschreibliches 
Siegesgeheul  erschallt,  und  das  Spiel  beginnt  aufs  neue.  Diesesmal  ist  das 
Ziehen  an  den  Besiegten. 

Mißglückte  aber  der  Ansturm,  dann  bekommt  die  Zugpartei  ein  Trutz- 
lied zu  hören.  —  Nicht  selten  reißt  der  Rotang,  und  die  Zugpartei  wird  in 
den  Sand  geschleudert,  was  den  Liegenden  unbändige  Freude  macht.  -  In 
schwierigen  Fällen,  wenn  der  beiderseitige  Widerstand  zu  lange  anhält,  benützt 
der  Anführer  der  Zugpartei  den  Kniff,  seine  Leute  etwas  zur  Seite  zu  schieben, 
so  daß  das  Tau  einen  stumpfen  Winkel  bildet,  dessen  Scheitelpunkt,  in  der 
Hand  des  Ersten  von  der  liegenden  Partei  gebildet  wird.  Dadurch  werden 
die  Kräfte  der  Liegenden  zersplittert;  sie  lassen  bald  das  Seil  los,  einer  nach 
dem  andern  fliegt  auf  die  Seite,  und  der  Widerstand  ist  gebrochen. 

Kuhigere  Spiele  werden  auch  in  der  elterlichen  Hütte  gespielt.  Hierzu 
gehört  ein  Ratespiel,  bei  welchem  der  Anführer  des  Spieles  einem  der 
Knaben,  welche  ihn  umstehen,  einen  Splitter  von  der  Größe  eines  Zündholzes 
in  die  Hand  lest,  was  dann  von  einem  andern  Knaben  erraten  werden  muß1).  — 
Mit  ähnlichen  Spielen  ergötzen  sich  bekanntlich  ja  auch  deutsche  Kinder. 

Von  Spielen  auf  den  Hawaii-Inseln  hat  Stewart  Culin  nicht  weniger 
als  91  aufgezählt,  zu  denen  allerdings  auch  die  der  Erwachsenen  gehören. 
Die  Knaben  reiten,  wie  die  unsrigen,  auf  Steckenpferden;  die  Mädchen 
spielen  mit  Puppen,  oder  vielmehr  mit  Steinen,  welche  sie  in  Bananenblätter 
wickeln.  Es  werden  kleine  Kähne  aus  Palmblättern  gemacht,  die  man  auf 
dem  Wasser  schwimmen  läßt.  Aus  Papier  und  Baumrinde  verfertigen  die 
Kinder  Windräder,  Schachteln,  Vögel  u.  a.  m.  Wie  unsere  Jugend,  so  hat 
auch  die  hawaiische  ihre  Abzählverse,  Versteck-,  Fang-  und  Blindekuh - 
spiele,  springt  über  Stangen  und  Seile,  schaukelt  sich,  schlägt  Purzelbäume, 
steht  auf  dem  Kopf  und  läßt  Drachen  aus  Rindenstoff  steigen.  Ferner  üben 
sich  die  Knaben  im  Speerwerfen,  Pfeilschleudern.  Laufen,  Schwimmen,  Rudern 
und  in  verschiedenen  Ballspielen.  —  Wie  deutsche  Kinder  Maikäfer,  so  fangen 
die  hawaiischen  AVasserjungfern  und  lassen  sie  wieder  frei  oder  angebunden 
fliegen;  statt  unseren  Gluckern  (Schussern,  Marbeln)  haben  die  hawaiischen 
Kinder  zum  entsprechenden  Spiel  Samenkörner.  Auch  unser  Paradies-,  Himmel- 
und  Höllespiel  ist  ihnen  wohl  bekannt.  Wie  die  indischen  Kinder,  so  be- 
nützen die  hawaiischen  dabei  nicht  die  Hand,  sondern  stoßen  mit  dem  Fuß 
den  Stein  vor  sich  her  (Karutz,  nach  Culin). 

Von  Neuseeland  hat  Polal2)  ein  Fingerspiel  „ti"  erwähnt,  Ein  Mit- 
spielender ruft  eine  Zahl,  wobei  er  schnell  den  richtigen  Finger  zu  berühren 
hat.  Diesem  Spiel  entspricht  ein  samoanisches,  in  welchem  einer  eine 
Anzahl  Finger  in  die  Höhe  hält,  worauf  der  Gegner  sofort  die  entsprechenden 
auch  in  die  Höhe  heben  muß.  Mißglückt  das,  dann  verliert  er  einen  Punkt. 
—  Nach  Tylor  besteht  das  Lieblingsspiel  der  Neuseeländer  darin,  das 
Zischen  einer  Säge,  einer  Axt,  einer  Flintenkugel  und  anderer  Instrumente 
nachzuahmen,  wie  die  englische  Jugend  sich  mit  der  Nachahmung  von  Tier- 
stimmen erfreue.  Tylor  sah  in  diesem  Nachahmungstrieb  einen  wichtigen 
Faktor  bei  der  Entwicklung  der  Sprache. 

Übersprudelnde  Lebenslust  tritt  nach  E.  Jung  im  australischen  Spiel 
zutage.  Kaum  haben  die  Kinder  den  Magen  angefüllt,  so  heißt  es  „Tscbupadu!'' 
(laßt  uns  spielen!),  und  nun  geht  es  entweder  ans  Verstecken  (Kulkuri)  oder 
Ball  spielen  (tschubu  tschubu),  oder  an  die  Nachahmung  der  Erwachsenen  im 
Kampf,  im  Werfen  oder  in  Tänzen,  und  dann  ist  ein  Kreischen  und  Lachen, 

*)  Näheres  über  dieses  und  andere  Spiele  siehe  Abd,  „Knabenspiele  auf  Neu- Mecklenburg", 
im  „Anthropos"  I.  818ff.,  II,  219 ff.  und  708 ff. 
2)  Bei  Ploß,  2.  Aufl.  II,  310. 


288  Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  uud  Spielzeug  bei  Nicbt-Indoeuropäern. 

daß  es  weit  durch  den  Busch  hallt,  bis  einer  der  älteren  sein  Kulu  (genug!) 
ertönen  läßt,  Hierauf  kehrt  alles  ohne  Zögern  zu  den  Hütten  zurück.  — 
Während  des  Spiels  sehen  die  Alten  mit  unverhohlener  Freude  zu  und  geben 
-dieser  häufig  ebenso  lauten  Ausdruck,  wie  ihre  Sprößlinge. 

Lubboek  erwähnte  ein  Tauspiel  der  australischen  Kinderwelt,  welches 
Ähnlichkeit  mit  dem  englichen  „Cat's-cradle"  habe.  Die  liebste  Unterhaltung 
der  dortigen  Kinder  sei  aber  das  Erlernen  der  Jagd  und  Fischerei.  Miniatur- 
Bumerangs  (Wurfhölzer)  und  Lanzen  gehören  zu  ihrem  Spielzeug,  und 
ebenso  wie  sie  in  diesem  Spiel  die  Praxis  der  Erwachsenen  nachahmen,  so 
auch  im  ,. Brautraub",  der  in  ihren  Spielen  ebenso  häufig  vorkomme,  wie  im 
Leben  der  Erwachsenen  (Oldfield,  Dumont,  d'Urviile  und  Ada  Janet  Peggs). 

§  263.     Yölker  mit  isolierenden  Sprachen.     Japaner  und  Koreaner. 

In  der  2.  Auflage1)  zitierte  Floß  die  folgende  Stelle  aus  Gustav  Kreitner*), 
in  welcher  dieser  die  vermeintliche  Armut  des  Chinesenkindes  an  Spielen  und 
Spielsachen  beklagt.  Zwar  scheint  sich  die  Klage  Kreitners  hauptsächlich 
auf  das  Gebiet  zwischen  Lan-t schon  und  Liang-t schou  zu  beziehen 
aber  sie  umfaßt,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  doch  wiederholt  auch  das  ganze 
chinesische  Reich.     Die  Stelle  lautet  nach  PIoßs): 

,.Die  armen  Kinder!  Schon  im  zartesten  Kindesalter  soll  sich  das  Köpfchen 
mit  den  unverständlichen  Aussprüchen  der  größten  Landesphilosophie  plagen. 
Anstatt  umherzuspringen  und  herumzujagen  auf  dem  freien  Hofe  vor  dem 
Hause,  wie  es  hoffnungsvollen  Knaben  geziemt,  klammern  sich  die  jüngsten 
in  lebloser  Resignation  an  die  Hand  der  Mutter,  und  die  entwickelteren  unter- 
stützen bereits  den  fleißigen  Vater  bei  der  Bebauung  der  Felder.  Die  Jugend 
kennt  keinerlei  Spiele,  welche  sie  zur  gemeinsamen  Unterhaltung  im  Freien 
vereinigen4).  Ohne  Erheiterung  und  Zerstreuung,  ohne  Freude  und  Vergnügen 
ist  die  ..glücklichste  Zeit"  in  China  nur  ein  vorbereitendes  Stadium  für  die 
Zeit  der  Arbeit  und  Plage.  Und  doch  steckt  in  den  Kindern  auch  der  an- 
geborne  Trieb,  sich  in  irgendeiner  Weise  zu  zerstreuen.  Wie  oft  bemerkte 
ich  solche  Kleinen,  die,  wenn  sie  sich  unbeholfen  und  unbewacht  vor  der  Haustür 
langweilten.  Versuche  machten,  in  den  Lößlandschaften  aus  der  gelben  Erde 
kleine  Pagoden  und  in  den  Wüstenstrichen  aus  den  Geröllsteinen  niedliche 
Ilauser  zu  bauen.  Das  einzige  Spielzeug,  welches  nicht  allein  bei  den 
Kindern,  sondern  auch  bei  Erwachsenen  im  ganzen  Reiche  Anwendung 
rindet,  ist  der  Federball.  Er  besteht  aus  einem  aus  Stoffabfällen  zylindrisch 
geformten  kleinen  Ball,  dessen  verlängerte  Achse  nach  einer  Seite  durch  einen 
niedlichen  Federbusch  geziert  wird.  Das  Spiel  ist  nichts  anderes,  als  das  Empor- 
schnellen und  Wiederauffangen  des  Balls  mit  der  Fußspitze.  Hat  der  rechte 
Fuß  hundertmal  seine  Schuldigkeit  getan,  so  wird  hierauf  in  gleicher  Weise 
der  linke  geübt.  Beteiligen  sich  zwei  Personen  an  der  Unterhaltung,  so  siegt 
diejenige,  welche  nach  langweiliger,  aus  einem  Fehler  entspringenden  Ab- 
wechslung zuerst  zweihundert  zählt5)." 

Dazu  bemerkte  Floß:  „Man  sieht  aus  diesen  und  ähnlichen  Berichten. 
wie  sehr  der  Mensch  in  seinem  ganzen  Tun  und  Treiben,  wie  sehr  aber  auch 
insbesondere  das  Kind  in  seiner  Spieltätigkeit,  in  seiner  ganzen  pädagogischen 
Richtung    von   der   äußeren   Umgebung   der    Natur   abhängig   ist.     Der   arme 


•)  II,  298. 

»)  ..Im  fernen  Osten".     Wien  1881.     S.  607. 

3)  kreitner  liegt  mir  nicht  vor. 

»)   Vgl.  damit   Walter  Medhursts  Bild  eines  chinesischen  Dorfplatzes  auf  S.  290. 

6)  Vgl.  das  von  Medhurst  beschriebene  Ballspiel  auf  S.  290. 


§  263.     Völker  mit  isolierenden  Sprachen.     Japaner  nud  Koreaner. 


289 


produktionsunfähige  Boden ')  erzeugt  eine  Bevölkerung,  deren  geistige  Produk- 
tionskraft  in  der  Jugend  durch  freies  kindliches  Gebaren  in  Spiel  und  Unter- 
haltung kaum  geweckt  und  gefördert  werden  kann." 

Nun  ist  aber  Lan-tschou  die  Hauptstadt  der  Provinz  Kan-su,  und 
auch  Liang-tschou  ist  eine  wichtige  Stadt  dieser  Provinz,  von  deren  Kindern 
Dols  schreibt,  daß  sie  mit  Pferdchen  und  Gliederpuppen  aus  Papier.  Holz  und 
gebranntem  Ton  spielen.  Als  ein  weiteres  Spielzeug  der  dortigen  Kinder 
erwähnt  Dols  Götterfigürchen  mit  Glöcklein,  welche  den  Kleinen  an  die  Arme 
gehängt  werden2).  Manchmal  unterhalten  sich  die  Kinder  auch  damit,  Figuren 
aus  Schmutz  herzustellen. 

Was  dann  die  Kinderspiele  und  Spielsachen  in  China  überhaupt  betrifft, 
so  braucht  mau  nur  unsere  Museen  für  Völkerkunde  zu  besuchen,  um  sich 
von  ihrer  Mannigfaltigkeit  zu 
überzeugen.  Abbildungen  sol- 
cher Spielsachen  haben  bereits 
Kap.  XI  und  Kap.  XXXII  ge- 
bracht; andere  folgen  hier.  Sie 
beweisen,  daß  nicht  nur  dem 
Geschmack  des  Kindes  aus  dem 
gewöhnlichen  Volke,  bzw.  dessen 
Eltern,  sondern  auch  einem  in 
Spielsachen  sehr  verwöhnten 
Geschmack  Rechnung  getragen 
ist.  Man  vergleiche  nur  den 
„Stehauf"3)  (Fig.  323)  mit  der 
chinesischeu  Puppenstube  und 
dem  chinesischen  Puppenbett 
(Fig.  324  u.  Fig.  325);  auch  der 
Holzsäbel,  die  Lauze,  der  Drache, 
der  Diavolo4)  (Fig.  326)  und 
andere  Illustrationen  beweisen, 
daß  in  China  auf  die  Anfertigung 
von  Spielsachen  großer  Fleiß 
verwendet  wird,  daß  die  Spiele 
mannigfaltig  sind,  und  daß  also 
keineswegs  alle  „vom  Handels  - 
geiste  gleichsam  durchschwän- 
gert" sind,  wie  Ploß  nach  dem 
,.Globus"(1874,Nr.l7)zitierte5). 

übrigens  schrieb  Ploß  auch6):  Die  Spielwaren  der  Chinesen  und  Japaner 
sowie  anderer  asiatischer  Völker  sind  in  vieler  Beziehung  den  unseligen  ganz 
ähnlich,  nur  sind  manche  bei  ihnen  mehr  ausgebildet,  z.  B.  die  Papierdrachen, 
die  Kreisel  usw.,  da  sich  mit  ihnen  dort  auch  gern  die  Erwachsenen  belustigen. 

Ploß  wies  ferner  auf  das  Steckenpferd  und  die  kleine  Wind- 
mühle, mit  welcher  die  Kinder  gegen  den  Wind  laufen,  als  einen 
gemeinsamen  Besitz  der   europäischen,  chinesischen  und    japanischen  Kinder- 


Fis 


323.     Chinesisches    Spielzeug.      Hund    als    Stehauf. 
Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


')  Ploß  meint  hier  offenbar  das  von  Kreitner  als  Wüste  bezeichnete  Gebiet  zwischen 
Lan-tschou  und  Liang-tschou. 

-)  Wohl  als  Schutzmittel.  Vgl.  die  Syrenen  mit  Glöcklein  gegen  den  bösen  Blick  in 
Spanien  u.  a.    Kap.  V. 

3)  Meines  Wissens  ist  uns  der  Stehauf  eine  neue  „Errungenschaft". 

4)  Ob  wohl  der  Diavolo  unserer  Kinder  den  Chinesen  entlehnt  ist? 
6)  2.  Auflage  II,  296. 

«)  2.  Aufl.,  Bd.  II,  293  f. 

Plo  ß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  19 


290 


Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Xicht-Indoeuropäern. 


weit  hin.  In  Deutschland  sei  beides  durch  Holzschnitte  schon  für  das  16.  Jahr- 
hundert nachgewiesen. 

Ein  den  verschiedenen  europäischen  und  polynesischen  Katespielen  mit 
den  Fingern  entsprechendes  Spiel  in  China  war  in  Auflage  21)  als  ,,tsoe,y-moey' 
erwähnt,  und  das  Bild,  welches  L.  V.  Fischer  (nach  Walter  Medhurst)  von  einem 
chinesischen  Dorfplatz  mit  darauf  spielenden  Knaben  entworfen  hat.  war 
folgenderweise  wiedergegeben  worden: 

„Ein  Knabe  unterhält  sich  mit  einem  Wollhall,  der  so  fest  gedreht  ist. 
als  wäre  er  aus  Gummi.  Er  schleudert  ihn  weder  einem  anderen  Knaben 
zum  Fangen  zu,  noch  benutzt  er  ein  Schlagbrett,  um  ihn  in  die  Höhe  zu 
treiben.  Das  Fangen  und  Schlagen  des  Balls  sind  hier  unbekannt;  er  stößt 
den  Ball,  wenn  derselbe  vom  Boden  zurückprallt,  mit  flacher  Hand  in  die  Höhe 
und  wiederholt  die  Stöße,  so  oft  ihm  dies  möglich  ist,  ohne  den  Ball  zur 
Erde  fallen  zu  lassen.     Wenn  er  es  fertig  bringt,  sich  auf  der  Ferse  herum- 


Fig.  H24.     Chinesische   Puppenstube.    Im  Museuni  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 

zudrehen,  während  der  Hall  im  Kluge  ist,  und  wenn  er  den  Stoß  mit  ab- 
gewendetem Gesicht  auszuführen  vermag,  so  wird  er  um  so  mehr  bewundert. 
Fehlt  er  den  Ball,  so  nimmt  ihn  der  zunächst  stehende  Knabe  auf,  und  so 
fort,  bis  die  Reihe  an  alle  Spielenden  gekommen  ist. 

Hart  nebenan  sehen  wir  eine  andere  Gruppe  von  Knaben.  Einer  von 
ihnen  ist  damit  beschäftigt,  ein  kleines  rundes  Ziegelstück,  auf  einem  Bein 
hüpfend,  mit  dem  Fuße  nach  einer  Richtung  zu  treiben.  Ein  Stück  des  Bodens 
ist  in  gleichmäßige  Felder  geteilt,  die  ganz  genau  abgemessen  sind  und  uns 
an  ein  ähnliches  Hüpfespiel  unserer  Jugend  erinnern.  (Vgl.  unser  Paradies-. 
Himmel-  und  Höllespiel.) 

Einige  Schritte  weiter  spielen  zwei  Knaben  mit  einem  kleinen,  an  beiden 
Enden  zugespitzten  Stückchen  Holz,  welches  so  auf  einem  Steine  liegt,  daß 
die  eine  Spitze  frei  schwebt.  Der  eine  der  beiden  Spielenden  schlägt  nun 
mit  einem  Stäbchen  auf  dieselbe,  wodurch  das  Hölzchen  in  die  Höhe  fliegt. 
(Auch  dieses  Spiel  ist  bei  uns  wohlbekannt.) 

Dort  drüben  hantieren  einige  Jungen  mit  Kupfermünzen  und  einem  Dach- 
ziegel:   sie   lehnen   den   Ziegel   gegen   eine   passende  Stütze,   so   daß   er   eine 


')  Bd.  II,  311. 


§  263.     Völker  mit  isolierenden  Sprachen.     Japaner  und  Koreaner. 


291 


geneigte  Stellung  bekommt,  und  nun  wirft  ein  Junge  nach  dem  andern  mit 
einer  Münze  derart  nach  seiner  Fläche,  daß  das  Geldstück  einige  Schritt 
weit  abspringt.  Nachdem  jeder  der  Spielenden  seinen  Wurf  getan  hat,  kommt 
das  Spiel  zur  Entscheidung:  Jede  einzelne  Münze  wird  von  ihrem  Eigentümer 
nach  der  ihr  zunächst  liegenden  Münze  geworfen,  und  der,  welcher  glücklich 
genug  ist,  das  gegnerische  Stück  zu  treffen,  steckt  es  ein.  Dies  ist  ein  sehr 
beliebtes  Spiel  der  kleinen  Chinesen,  verleitet  jedoch  die  größeren  Knaben 
zur  Übervorteilung  ihrer  schwächeren  Kameraden.  (Vgl.  das  deutsche  „An- 
mauern".) 

Schreiten  wir  weiter.    Dort  unterhalten  sich  Kinder  mit  der  Peinigung 
lebender    Zikaden.      Die    unglücklicheu    Geschöpfe     sind     an    Zwirnfäden 


Fig.  3-25.    Ciii uesiscbes  Puppenbett.    Im  Mnseum  für  Völkerkunde  iu  Leipzig. 

gebunden,  an  welchen  sie  von  ihren  Peinigern  mit  der  größten  Unbarmherzigkeit 
herumgeschwungen  werden.  -  -  Der  Mißbrauch,  Kindern  lebende  Insekten  zum 
Spielen  zu  g-eben,  ist  unter  deu  Chinesen  nur  zu  sehr  verbreitet. 

Die  Kinder,  die  sich  solchergestalt  unterhalten,  stehen  zwischen  sechs 
und  zwölf  Jahren  und  sind  durchgehends  Knaben.   Die  Erwachsenen  sehen  zu."  — 

Der  weiter  oben  angedeutete  Handelsgeist  der  chinesischen  Knaben 
kommt  in  ihrem  Lieblingsspiel,  offene  Buden  und  Pfandhäuser  zu  halten,  zum 
Ausdruck.  Möglichst  früh  gewöhnen  sie  sich  die  Handelssprache  und 
Schacherausdrücke,  an  welchen  das  Chinesische  sehr  reich  sei,  an1). 

Auch  John  Antenorid  erinnert  an  diesen  Charakterzug:  „Alles  Spiel  ist 
ohne  Gewinn-',  lautet  ein  Schlußwort  der  chinesischen  Bibel.    Doch  macht  auch 


')  2.  Aufl.  II,  296  (nach  Globus  1874.  Nr.   17). 


19* 


292 


Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei   Xicht-Indoeuropäem. 


er  darauf  aufmerksam,  daß  das  chinesische  Spielzeug  dessenungeachtet  mannig- 
faltiger sei,  als  der  eine  und  andere  Forscher  zugegeben  habe.  Auf  chinesischen 
Aquarellen  belustigen  sich  Kinder  im  Sommer  mit  Seifenblasen,  im  Winter 
mit  Schneelöwen;  auf  Schaukelpferden  saßen  chinesische  Knaben  schon 
um  950  n.  Chr..  und  Schaukeln  für  chinesische  Mädchen,  welche  von  den 
Knaben  getrennt  spielen  müssen,  sind  seit  Anfang  des  15.  Jahrhunderts 
n.  Chr.  bekannt, 

.4.  B.  Wright  macht  uns  mit  den  Spielen  der  Chinesenkinder  mit  Bau- 
steinen bekannt.  Er  führt  eines  daraus  mit  7  Blöcken,  ein  anderes  mit 
15  an.  Aus  jenen  setzen  die  Kinder  Männer,  Frauen.  Vierfüßler,  Vögel  und 
Fische,  allerdings  mit  künstlerisch  unschönem  Erfolg,  zusammen.     Feiner  und 


Fig.  32  i.    Japanisches 
Spielzeug: 

Verschiebbare  Stäbehen. 


Chinesisches  Sjpielzeug: 
Steckenpferd,  Drache, 

Bolzsäbel,  Si-hwingscheibe, 

I.anze,  ■    Diavolo. 

Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


spannender    ist   das    zweite  Spiel,    welches  in   den    chin<esj 
-Uten  unter  dem  Titel  „Die  fünfzehn  Zauberblöcke"  bekari'nt 


'esischen   Kinder- 

it  ist.    Aus  diesen 

Blöcken  können  über  20(>  Bilder  hergestellt  werden,  welche    sjch  auf  die  drei 

Nationalreligionen :  Konfmrianismus,  Buddhismus  undTaoismus  beziehen.  Mythus, 


der  auswendig 

und   schon    im 


Geschichte.  Moral  und  Stellen  aus  Gedichten,  welche  die  Kii 
zu  lernen  haben,  werden  auf  diese  Weise  vor  Augen  gefühlt 
Kindergarten  dem  Gedächtnis  eingeprägt. 

Stern  erwähnt  neben  Gesang1).  Ball-  und  Knickerspiel,  steigenlassen 
von  Papierdrachen,  Nachahmung  der  Soldaten  und  .Mandarinen.  Klc  „e  Studenten 
üben  sich  in  Schach  oder  Dame,  bestehen  spielweise  Prüfungen  |a„a  erlangen 
hohe  Ämter.     Auch  ein  „Quartettspiel"  sei  sehr  beliebt. 


'l   Vgl.  das  Schulliedchen  in  Kap.  XLVI. 


§  263.     Völker  mit  isolierenden  Sprachen.     Japaner  und  Koreaner. 


293 


Ein  anderer  Zeitvertreib,  welcher  bereits  im  Knabenalter  beginnt,  ist 
der  Theaterbesuch.  — 

Die  Mädchen  der  ärmeren  Volksklassen,  besonders  auf  dem  Lande,  wissen, 
wie  es  scheint,  vom  Spielen  nicht  viel  aus  eigener  Erfahrung;  denn  sie  müssen 
nach  Stern  schon  früh  im  Haushalt  helfen,  statt  einer  toten  Puppe  ein 
lebendiges  „Uaua"  in  Gestalt  eines  kleinen  Brüderleius  oder  Schwesterchens 
überwachen,  schon  mit  8—10  Jahren  spinnen  und  in  der  Küche  helfen. 
Hingegen  lerne  das  Stadtmädchen  (wohl  nur  der  vermöglichen  Kreise)  nicht 
viel  mehr  als  Spielen.  —  Für  sie  also  werden  wohl  jene  künstlichen  Puppen- 
zimmer sein,  von  welchen  Fig.  324  ein  Bild  gab,  und  denen  die  hier  folgende 
japanische  Zimmereinrichtung  zum  Puppenfest  (Fig.  327)  würdig  zur  Seite  steht. 

Zwei  japanische  weibliche  Puppen  sehen  wir  in  Fig.  328;  eine  männliche 
in  Fig.  329. 

Nach  Isabella  Bird  geben  in  Japan  die  Kinder  ihre  „Kindergesellschaften'-. 
zu  denen  sie  ordentlich  einladen,  und  bei  welchen  sie  Szenen  aus  dem  sozialen 


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Japanisches  Spielzeug 


Zimmeieinrk'htini;;    zum 
Museum  in  München. 


Puppellfest.     Im   K.   Ethnographischen 


Leben  mit  allen  Gewohnheiten  und  Gebräuchen  der  Erwachsenen  aufführen, 
z.  B.  eine  Vorstellung,  bei  der  der  Arzt  zum  Kranken  gerufen  wird.  Er  gibt 
Verordnungen;  man  behandelt  den  Patienten;  dieser  stirbt;  schließlich  folgt 
das  Begräbnis.  So  werden  Hochzeiten.  Gastereien  usw.  aufgeführt;  dabei 
zeigen  die  Kinder  auch,  daß  sie  schon  die  Umgangsformen  der  Erwachsenen 
kennen. 

Außer  diesen  Spielen  kennt  das  japanische  Kind  eine  Reihe  anderer. 
Unsere  ethnographischen  Museen  besitzen  auch  von  japanischen  Spielsachen 
hübsche  Sammlungen.  Ein  Instrument  zu  einem  Stäbchenspiel  haben  wir 
z.  B.  in  diesem  Kapitel  auf  Abb.  320  kennen  gelernt;  bewegliche  Schildkröten, 
einen  Ball  mit  Becher  zum  Auffangen  und  einen  Kreisel  sehen  wir  auf  Ab- 
bildung 330;  Figuren,  welche  von  dem  spielenden  Kind  so  ineinander  hinein- 
geschoben werden,  daß  aus  sieben  eine  einzige  wird,  auf  Abbildung  331;  ein 
japanisches  Steckenpferd  auf  Abbildung  332,  welche  uns  zugleich  chinesisches 
und  koreanisches  Spielzeug  zeigt,  Auf  der  dortigen  Trommel  links  ist 
eine  Zeichnung,  welche  einer  von  Bor/seh ma rm  veröffentlichten1)  Zeichnung 
entspricht,   d.  h.  die  heilige  Zahl  3  (Trias)  darstellt,  aus  welcher  der  Chinese 

')  In  Ztschr.  f.  Ethnol.  42.  Jahrg.  (1910),  S.  399. 


294 


Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Nicht-Indoeuropäern. 


alles  Seiende  entstehen  läßt.  Diese  Zahl  3  umschließt  das  männliche  und 
das  weibliche  Prinzip,  welche,  beide  als  lischartige,  kongruente  Flächen,  zu- 
gleich den  Kreis  (das  ,.Tao'\  das  Höchste)  bilden. 

Was  die  Spiele  der  koreanischen  Kinder  betrifft,  so  dürften  sie.  nach 
der  Gesamtkultur  Koreas  zu  urteilen,  den  chinesischen  und  japanischen  sehr 
ähnlich  sein.    Verschiedene  Spielsachen  aus  Korea  sind  im  Museum  für  Yölker- 


Fig.  328.    Japanische  Puppen.    Im  K.  Ethnographischen  Museum  in  München. 


künde  in  Leipzig  vorhanden.  Die  Abbildung  eines  Knabentigiiichens  ist  dem 
Kap.  XX.XI11  eingereiht  worden;  eine  Kindertrommel  und  einen  Vogel  haben 
wir  auf  Abi».  332,  „Katze  und  Maus"  auf  Abb.  333.  Diese,  sowie  die  Schlange 
aus  Birma  und  die  Eidechse  aus  China  (Fig.  334)  sind  im  Original  beweglich. 
Der  Kinderpfeife  (Fig.  335)  nach  zu  schließen,  gibt  es  auch  in  Birma  nied- 
liches Spielzeug. 

Das  gleiche  ist  in  Siam  der  Fall,  wo  man  die  Augen  der  Kinder,  schon 
ehe  diese  gehen  können,  mit  hübschen  Gegenständen  zu  erfreuen  sucht,  zumal 
die  Kleinen  oft  stundenlang  allein  in  der  Wiege  bleiben  müssen,  wählend  die 
Mutier  auf  dem  Krefeld  oder  sonst  beschäftigt  sind,  wie  H.  Hillmann  schreibt. 


ij  263.     Volker  mit  isolierenden  Sprachen.     Japaner  und  Koreaner. 


295 


der  seinem  Text  „Kinderspiele  in  Siam"1)  einige  Illustrationen  beigefügt  hat. 
Unter  diesen  ist  ein  fliegender  Fisch  mit  seinen  Jungen.  Die  Siamesin 
befestigt  diese  Fische  an  dem  Vereinigungspunkt  der  vier  Stricke,  an  welchen 
die  Wiege  an  der  Decke  des  Wohnraumes  aufgehängt  wird.  Der  große  Fisch 
ist  nach  Hillmanns  Schilderung  aus  dünnen  Palmblattstreifen  geflochten, 
hohl  und  so  leicht,  daß  er  mit  den  unter 
ihm  befestigten  kleineren  Fischen 
und  herzförmigen  Figuren  vom  gering- 
sten Luftzug  bewegt  wird.  Ein  schär- 
ferer Luftzug  bringt  ein  Geraschel 
hervor,  dem  das  Kind  gerne  lauscht. 
Die  gelbe  und  hellrote  Bemalung  der 
Fische  mit  grünen  Flecken,  schwarzen 
Linien  und  Augen  zieht  gleichfalls  die 
Aufmerksamkeit  des  Kindes  auf  sich. — 
Mehr  Geschick  noch  als  bei  Herstellung 
der  fliegenden  Fische  verwendet  man 
auf  die  Anfertigung  „fliegender  Vögel". 
ein  anderes  Spielzeug  der  siamesischen 
Kinder.  Der  Körper  ist  aus  Papier 
und  mit  Federn  bedeckt,  die  Füße  aus 
bemaltem  Draht,  die  Augen  aus  Perlen 
und  die  im  Innern  des  Körpers  mit 
Blei  beschwerten,  aber  losen  Flügel 
flattern,  wenn  man  an  dem  Gummi- 
band zieht,  an  welchem  der  Vogel 
hängt. 

Die  größeren  Kinder  machen  in 
Siam  ebensogern  Lärm  wie  anderswo. 
Diesem  Bedürfnis  nachzukommen,  gibt 
man  ihnen  solide  Trommeln,  d.  h.  aus- 
gehöhlte, mit  dickem  Leder  überzogene 
Holzklötze,  welche,  um  zugleich  das 
Auge  zu  befriedigen,  hellgrün  oder 
rot  bemalt  werden.  Ferner  erwähnt 
Hillmann  leicht  zerbrechliche  Ton- 
püppchen,  teils  nach  europäischer 
Mode,  teils  nach  der  Landestracht  ge- 
kleidet. Die  ersteren  werden  auch 
nach  europäischem  Brauch  auf  Stühl- 
chen gesetzt;  die  letzteren  stellen,  mit 
ihren  nach  innen  gedrückten  Ellbogen, 
Typen  höchst  entwickelter  siamesischer 
Geschmeidigkeit  dar.  Zwei  Puppen  sind  von  ihren  Dienern  in  schwarzer  Jacke 
begleitet. 

In  der  Nachahmung  Erwachsener  spielen  die  siamesischen  Kinder  ferner 
Kaufmann,  kochen  und  gehen  auf  den  Markt.  Deshalb  macht  der  Vater 
seinem  Söhnchen  ein  kleines  Traggestell  für  Früchte,  eine  genaue  Nachahmung 
seines  eigenen,  das  aus  einer  halbierten  Bambusstange  mit  zwei  Körben  an 
beiden  Enden  in  Rotangringen  besteht.  Die  Stange  wird  auf  der  Schulter 
getragen.  —  Die  kleinen  Mädchen  bekommen  Körbchen,  welche  sie  gegen 
die  Hüften   stemmen   und   mit   der  Hand   am  Rande   halten,   genau   wie  ihre 


Fig.  329.     Japanische   Spielngur.    Im    K.  Ethno- 
graphischen Museum  in  München. 


»)  Im  Globus  78,  191  ff. 


296 


Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Nicht-Indoeuropäern. 


Mütter  es  machen,  wenn  sie  zu  ihren  Einkäufen  auf  den  Markt  gehen.  Auch 
kleine  Reisschwingen  und  Kochgeschirr  bekommen  sie.  —  Als  ein  beliebtes 
Spielzeug  der  siamesischen  Kinder  erwähnt  Hillmann  ferner  den  aus  Rotang 
geflochtenen  Fußball,  den  sie,  in  einem  Kreise  stehend,  durch  Stöße  mit  den 
Füßen,  Knieen.  Hüften,  Köpfen  und  Schultern  in  der  Luft  zu  erhalten  suchen. 
Mit  der  Hand  darf  der  Ball  nicht  gefaßt  werden.  — 

Waffentänze    der    tibetanischen   Jugend    sind,    zusammen   mit    den 
mährischen  "Waffentänzen,  im  vorigen  Kapitel  erwähnt  worden. 


Fig.  3.10.    Japanisches  und   chinesisches  Spielzeug.     Linl.s  japanische  kleine  Schildkröten,  die  hei 
leichter  Erschütterung  bewegt  werden:  dann  ein  chinesischer  Hund,  der  bellen  kann,  ein  japanischer 
Ball  zum  Auffangen  in  den   daneben    liegenden   Becher,    ein  japanischer  Kreisel   und   ein   Chinesen- 
Knabe  mit  Peitsche.    Im  .Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


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Fig.  331,    Japanisches  Spielzeug.     Sieben  Figuren,   welche    so    ineinander   hineingeschachtell    werden, 
daß  zuletzt  alle  in  der  größten  verborgen  sind.     Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 

Bei  der  mit  den  Tibetanern  verwandten  Bevölkerung  von  Sikkim.  einem 
britischen  Schutzstaat  des  Himalaja,  sah  HooJcer  ein  Kind  mit  einer  Knall- 
büchse aus  Bambus  spielen. 

§  264.    Nichtarische  Inder  und  Crnlaltaiun.     Ungarisch-schwäbische  Ver- 
gleiche. 

Aus  Madras  im  südlichen,  also  vorzugsweise  nichtarischen  Indien,  hat 
bereits  das  vorige  Kapitel  die  Abbildung  einer  Kinderklapper  gebracht. 
In  der  2.  Auflage  erwähnt  Floß1)  aus  Südindien:  Tierfiguren,  Zappel- 
männchen und  Kugeln. 

Kinderlieder  mit  Alliteration  finden  sich  bei  den  Dravida  in  der  vorder- 
indischen Landschaft  Croog,  von  denen  W.  Gallenkamp  die  folgenden  Über- 
setzungen mit  der  Bemerkung  veröffentlicht  hat,  daß  sie  durch  den  Verlust 


')  II.  293    \m.i. 


§  264.     Nichtarische  Inder  und  Uralaltaien.     Ungarisch-schwäbische  Vergleiche.      297 

des  Wortspieles  inj  Deutsehen  halb  unsinnig  erscheinen,  weshalb  er  zur  Über- 
setzung einige  Verse  im  Urtext  beigefügt  habe. 

(lvak,  kakeka 

Käkera  mangalekek  .  .  .) 
..Ruf  des  Raben  Schwester! 
Wann  ist  denn  die  Hochzeit? 
Morgen  oder  Sonntag(?)  früh. 
All  die  jungen  Geier 
Ertranken  im  Strom. 
All  die  jungen    Raben 
Suchen  nach  Käse."  — 


Fig.  332.    Spielzeug.    Chinesische  und  koreanische  Trommeln,  japanisches  Steckenpferd  und  kore- 
anischer   Vogel."    Im   Museum   für  Völkerkunde  in    Leipzig.      Erläuterung  zu    der   Zeichnung   auf    der 

Trommel  links  siehe  Text. 


„Chemba  nahm  den  "Wassertopf, 

Ohembas   Frau  ein   Tani-tam. 

Der  Ochse  nahm  ein  (jlöckehen, 

Jung  Kopla  nahm  ein  Hörn, 

Und  Eyappa  'neu  Stock. 

Das  Mädchen  muß  ein  Kleidchen  haben, 

Und  ich  'nen  Löffel  Mehl." 

(Beginnt  im  Urtext:) 

..Chemb,  chenib.  ehemb,  yodet 
Chembanda  mandi  duddi  yedet 
Manika  mand  mani  yedet.'-  — 

Die  Kinder  der  Golden,  einem  Tungusenstamm  an  der  asiatischen  Ost- 
käste, spielen  mit  Vögeln  aus  Fischknochen  und  mit  Puppen  aus  Fischhaut. 
Ferner  gehören  zu  ihren  Spielsachen  hölzerne  Ratten  oder  andere  kleine 
Tiere  aus  Holz,  karikierte  russische  Soldaten  aus  dem  gleichen  Material 
u.  a.  ra.  Die  Karikaturen  der  russischen  Soldaten  sind  nach  Jdkdbsen- Genest 
eiu  Ausdruck  der  Abneigung,  welche  die  Golden  gegen  die  Russen  hegen. 


-298 


Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Nicht-Indoeuropäern. 


Mit  selbstverfertigten  Puppen  (Agan)  vergnügen  sich  die  Töchterchen 
■der  Ostjaken.  Statt  des  Kopfes  haben  die  nach  Landestracht  in  Pelz  ge- 
hüllten Puppen  Enten-  oder  Schwanenschnäbel.  Die  Knaben  unterhalten  sich 
mit  Pfeil  und  Bogen.  An  der  Soßwa  und  Sygwa  verfertigt  man  den 
Kindern  auch  andere  kleine  Werkzeuge  sowie  Hausgeräte  zum  Spielen.  Ferner 
■erwähnt  Kondratowitsch  von  dort  ein  Spiel  mit  sechs  Stäbchen,  bei  dem  je 
drei  in  einer  Reihe  in  die  Erde  gesteckt  werden.  Die  Knaben  suchen  dies« 
Stäbchen  aus  einiger  Entfernung  mit  Pfeilen  zu  treffen. 


Fig.  333.    Spielzeug. 
Korea.  China. 

Katze  und  Maus.  Ein  Mensch  im  Kampf  mit  einem  Tier. 

Ein  Akri'lut. 
Kim-  Pfeife. 
Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


Fig.  334.     Killderspielzeug 

Birma:   Bewegliche  Schlange.  China:  Bewegliche  Eidechse. 

Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


Ball  iiiid  Würfel  (Astragali)1)  als  Kinderspiel  beiden  Teke- Türkin  ene  n 
fand  der  Chefarzt  Heyfelder  im  Jahre  1881  in  der  erstürmten  Festung  G  ök- 
Tepe. 

Eine  Reihe  angarischer  Kinderspiele  und  Spielsachen  hat  Franz 
von  Odbnay  mitgeteilt.  Unter  ihnen  befinden  sich  Kreisel.  Klucker  and 
Drachen,  das  Anschlagen  mit  Geld  oder  Knöpfen  an  die  Wand  (Anmauern). 
das  ..Eiertitschcii"  <  Kierspicken),  das  „Schulspiel  mit  acht  Klassen"  (indisches. 
deutsches   usw.    Paradies-    oder   Himmel-  und   Höllespiel).   Knallbüchsen,   aus 


]i   Vgl.  das  vorige  Kapitel. 


§  264.     Nichtarische  Inder  und  Uralaltaien.     Ungarisch-schwäbische  Vergleiche.      299 

denen  Wergpfropfen  geschossen  werden  usw.  Besonders  erwähnenswert  scheint 
mir  die  Übereinstimmung  gewisser  ungarischer  Spiele  mit  bayrisch  - 
schwäbischen  Spielen  bis  zu  deren  kleinsten  Einzelheiten.  Hierhergehört 
das  „Schnapperl",  wofür  das  bayrische  Schwabenkind  zwar  keinen  Namen 
hat.  es  aber  doch  besitzt.  Man  nimmt  hierzu  die  Hälfte  einer  Nußschale, 
schneidet  am  Band  einen  kleinen  Splitter  heraus,  spannt  ein  Zündhölzchen 
oder  sonst  ein  entsprechend  kleines  Stäbchen  mittels  eines  Zwirnes  derart 
über  die  Hohlseite  der  Schale,  daß  das  eine  Ende  des  Hölzchens  an  der  Kante 
der  Schale  aufliegt,  während  man  mit  den  Fingern  auf  das  andere  Ende 
trommelt.  — 

Ein  anderes  Spiel,  welches  im  bayrischen  Schwaben  und  in  Ungarn  auf 
die  gleiche  Weise  gespielt  wird,  ist  ein  Papierspiel,  ..Himmel  und  Hölle" 
genannt1).  Hierzu  wird  von  einem  quadratförmigen  Stück  Papier  eine  Hälfte 
mit  Tinte  geschwärzt  (Hölle):  die  andere  bleibt  weiß,  worauf  das  Papier  nach 
bestimmten  Regeln  gefaltet  wird. 

Auch  der  gleichfalls  aus  Papier  gefaltete  Blasebalg  hat  einen  Bruder 
im  bayrischen  Schwaben,  und  das  „Scherenspiel"  weist  nur  den  Unterschied 
auf.  daß  das  Schwabenkind  sagt:  „Schneider,  leih'  m*r  dei  Scher",  während 
das  Bndapester  Kind  etwas  höflicher  erscheint  mit  dem  Spruch: 
„Bitt  Frau  Main  (Muhme)  leihn  S'mir  die  Scher"-)."  — 

Das  schwäbische  Spiel  ..Schau  dich  um.  der  Fuchs  geht  um" 
findet  sich  bei  den  von  Gabnay  aufgeführten  ungarischen  Spielen 
in  veränderter  Form,  hat  auch  im  ersten  Teil  seines  Titels  eine 
Verneinung,  d.h.  dieser  lautet:  „Schau  dich  nicht  um..."  Der 
Grund  dieses  Verbotes  erklärt  sich  aus  dem  Laufe  des  Spiels:  | 
Der  Budapester  Fuchs  drückt  nämlich,  indem  er  die  Spielgefährten 
umkreist,  einem  Knaben  eine  Karbatsche  in  die  hinten  gehalteneu  Fig.  335.  Eine 
Hämle.  womit  dieser  unversehens  auf  seine  Nachbarn  einhaut.  —    lu^weife  zum 

In  Budapest  kleiden  Mädchen  aus  dem  Volk  abgenagte  Mais-  ^tenjn  %^]\ 
kolben.  oder  stücke  Brennholz,  oder  abgebrochene  Zweige  als  ma.  im  Muse- 
Puppen  an:  am  Plattensee  und  im  Arader  und  Pester  Komitat  kUndehiLe?i>- 
veifertigen  sie  sich  Puppen,  indem  sie  im  Sommer  die  roten  ziK- 
Blütenblätter  des  wilden  Mohns  von  der  Fruchtkapsel  abwärts 
streichen  und  mit  einem  Grashalm  umwinden,  wodurch  oberhalb  die  Taille 
und  unterhalb  der  Bock.  bzw.  Unterleib,  einer  Puppenfigur  entsteht.  Das 
Saniengehäusi'  entspricht  dem  Kopfe.  Manche  zupfen  die  Staubfäden  weg; 
andere  lassen  sie  als  Spitzenkrause  stehen,  wie  von  Gabnay  (nach  Arnold  Eutin 
schreibt.  Was  nun  diese  Mohnpuppen  betrifft,  so  werden  sie  von  den 
bayrischen  Schwabenmägdlein  im  Illerthal  ganz  genau  so  hergestellt. 
wie  sie  eben  aus  Ungarn  geschildert  worden  sind.  —  (Über  andere  ungarische 
Puppen  primitivster  Art  siehe  von  Gabnay3),  der  seinem  Text  auch  mehrere 
Abbildungen  beigefügt  hat.) 

Ein  den  lokalen  Verhältnissen  entsprungenes  Spiel  fand  von  Gabnay 
in  der  ruthenischen  Gemeinde  Ljuta  im  Komitat  Ung,  nordöstliches  Ungarn. 
Hier  stehen  die  Häuser  fast  alle  an  2(S  Nebenbächen  der  Ljutyanka.  Da 
bewaffnet  sich  denn  eine  Kinderschar  mit  611 — 70  cm  langen  und  4—5  cm 
dicken  Holunderstäben,  welche  als  Wasserspritzen  dienen,  teilen  sich  in  zwei 
feindliche  Parteien  und  stellen  sich  an  zwei  Bächen  auf.  Abwechselnd  stürzt 
man  daun  aufeinander  los,  wobei  man  sich  spritzt,  und  zieht  sich  wieder 
zurück,  um  neue  Munition  (Wasser)  zu  holen. 

')  Nicht  zu  verwechseln  mit  dem  gleichnamigen,  oben  erwähnten,  welches  auch  „Para- 
diesspiel1' heißt. 

*)  Es  handelt  sich  also  um  die  Spiele  deutseh  sprechender  Kinder. 
»)  Im  Glob.  81,  205  ff. 


300  Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Xickt-Indoeuropäera. 

Ferner  machen  sich  die  Kinder  in  Ljuta  aus  Weichholzschindeln  Geigen 
mit  Saiten  aus  Hanfschnur,  den  Bogen  aus  einem  mittels  Roßhaar  gebogenen 
Stabe.  Ferner  binden  sie  eine  Hanfschnur  an  einen  Stock,  schultern  ihn  und 
exerzieren  damit  wie  mit  einem  Gewehr. 

Die  Mädchen  dieser  Gemeinde  halten  sich  ganz  an  die  Spiele  der  Knaben, 
haben  nicht  einmal  Puppen. 

Beinahe  gar  keine  Kinderspiele  fand  von  Gabnut/  in  Tschornoholowa 
an  der  Ljutyanka.  — 

Erwähnt  sei  hier  ferner  das  ungarische  Spiel  „Räuber  und  Pandur". 
welches  auch  unter  den  Titeln  „Ungar  und  Österreicher",  „Ungar  und  Türke",. 
in  neuerer  Zeit  ..Bur  und  Engländer"  aufgeführt  wird.  Jeder  will  bei  diesem 
Spiel  Ungar  oder  Bur,  niemand  Pandur,  Österreicher,  Türke  oder  Engländer 
sein,  so  daß  diese  Truppe  mit  Gewalt  zusammengebracht  werden  muß.  Die 
Räuber  verstecken  und  verteidigen  sich,  die  Panduren  müssen  sie  auffinden 
und  fangen,  worauf  die  Rollen  vertauscht  werden.  Meistens  nehmen  die 
Truppen  einen  Sandhaufen  bei  einem  Neubau  ein,  wobei  die  einen  Angreifer» 
die  andern  Verteidiger  sind. 

Endlich  sei  hier  noch  eines  ungarischen  Reigentanzes  gedacht,  welcher 
schon  in  der  2.  Auflage  dieses  Werkes1)  beschrieben  wurde,  und  der  wohl, 
wie  seine  Seitenstücke  im  vorigen  Kapitel,  in  die  vorchristliche  Zeit  zurück- 
zuführen ist.  Dieser  ungarische  Reigen  unterscheidet  sich  indessen  von  den 
uns  bisher  bekannten  dadurch,  daß  er  nichj,  zu  jeder  beliebigen  Zeit,  sondern 
nur  nach  anhaltender  Dürre  aufgeführt  wird.  Er  scheint  den  gleichen 
Titel  wie  die  dabei  beteiligte  Hauptperson  zu  führen,  d.  h.  „Dodolo"  (Regen- 
mädchen),  ist  nach  Floß  in  ganz  Ungarn  verbreitet,  wird  aber  hauptsächlich 
unter  den  dortigen  Raizen  und  Rumänen,  also  unter  der  slawischen,  bzw. 
mit  slawischen  Elementen  stark  durchsetzten  Bevölkerung  aufgeführt.  Er 
verläuft  folgenderweise:  Ein  armes  Mädchen  hüllt  sich  in  grünes  Reisig  und 
erscheint  so  in  Begleitung  einer  oder  mehrerer  Spielgefährtinnen  als  ,,Dodolo" 
im  Hofe  oder  vor  dem  Hause  eines  Bauern,  wo  es  singt:  „Dodolo,  Dodolo, 
Dodolo!"  Die  Kinder  der  Umgebung  sammeln  sich  und  umtanzen  das  Mädchen 
im  Reigen  mit  dem  eintönigen  Gesang  „Dodolo".  Dann  erscheint  der  Haus- 
herr mit  einem  Eimer  Wasser,  den  er  dem  Mädchen  auf  den  Kopf  oder  grünen 
Wighel  gießt.  Das  Dodolo  nimmt  die  Erfrischung  mit  Heiterkeit  und  lustigen 
Sprüngen  an.  Das  geschieht  dreimal,  und  der  Hausherr  sendet  dabei  seine 
Wünsche  um  Regen  zum  Himmel.  Dann  sammelt  ein  Mädchen  der  Umgebung1 
bei  den  Hauseinwohnern  Gaben:  kleine  Münzen.  Eier,  Kinn.  Mehl,  Schmalz. 
Diese  Geschenke  werden  von  den  armen  Kindern  mit  nach  Hause  genommen 
und  geben  gute  Tage  in  den  armen  Hütten.  Der  Bauer  aber  hofft  nun  sicher 
auf  Regen2). 

§  2(55.     Hyperboriier  und  Indianer. 

Nach  den  bisherigen  Mitteilungen  über  die  Spielsachen  der  Kinder  i>t 
es  fast  selbstverständlich,  daß  auch  zu  jenen  der  Hyperboräer  und  Indianer 
die  Puppe  gehört.  Wir  finden  sie  zunächst  bei  den  Tschuktschen  oder 
Tschautschu  im  nordöstlichen  Sibirien  und  bei  den  Eskimos.  Die  letzteren 
schnitzen  für  ihre  Töchterlein  Puppen  aus  Walroßzähnen  und  bekleiden  sie 
mit  Fellen3).  Auch  kleine  Tierfiguren  und  lebende  Hunde  werden  den  Eskimo- 
kindern zum  Spielen  gegeben.  Die  Hunde  sollen  in  dieser  Eigenschaft  unter 
der  Grausamkeil    ihrer  kleinen  Gebieter  viel  auszustehen  haben.  —  Größere 


II.  317. 
-    Krinni'it  an  die  früher  erwähnten  altindischen  Sturmgötter  und  an  die  als  Regen- 
götter  gedachten    verstorbenen  Corakinder,   noch   mehr  aber  an   die   Regenpuppen  des  S;  286. 
'i   Floß  (nach   Bessels  Polar-Expedition,  S    :J66). 


§  2^5.     Eyperboräer  und  Indianer. 


301 


Kinder  bauen  spielend  Schneehütten,  welche  sie  mit  einem  Stück  erbetenen 
Lampendochts  erleuchten,  oder  fahren  auf  ihren  zierlichen  Schlitten,  welche 
ihnen  von  ihrem  Vater  gemacht  worden  sind,  wie  Eivind  Astrup,  Pearys 
Begleiter,  am  Smith-Sund  sah.  Hier  sah  Astrup  auch  ein  Kinderspiel,  das 
dem  norwegischen  „Letztes  Paar  herbei"  entspricht.  Dazu  bemerkte  Astrup, 
die  „rührend  süßen  Knirpse"  hätten  sich  bei  ihren  Spielen  nie  geschlagen  und 
sich  nur  in  der  mildesten  Form  gezankt.  Schimpfworte  gebe  es  unter  diesen 
Kindern  nicht.  — 

Figur  336,  ein  ,.säugendes  Weib",  möge  die  Reihe  der  Spielsachen  bei 
Indianer-Kindern  eröffnen.  Sie  ist  zugleich 
ein  deutlicher  Beweis  dafür,  daß  die  Kwakiul- 
Indianer  aus  der  Ernährung  des  Kindes  an 
der  Mutterbrust  vor  dem  Kind  durchaus  kein 
Geheimnis  machen.  Das  gleiche  Sujet  eines 
Kinderspielzeugs  sahen  wir  ja  auch  schon 
früher  bei  den  Chinesen  in  Kapitel  XXXII. 

Das  Töchterlein  der  Flach kopf- 
(Flathead-)Indianer  spielt  nicht  minder  als 
das  deutsche  Mädchen  Mama  bei  ihrer  Puppe. 
Diese  muß  geschaukelt  und  getragen  werden 
wie  ein  kleines  lebendiges  Kind,  und  des- 
halb braucht  die  Puppe,  wie  das  Indianerkind, 
einen  Tragapparat,  eine  sogenannte  Indianer- 
wiege, wie  Fig.  337  zeigt. 

In  Sault  de  St.  Marie  im  Norden 
des  Huronsees  beobachtete  Th.  L.  Ale 
Kenney  das  folgende,  von  Chippeway- 
Kindern  beider  Geschlechter  ausgeführte  Ball- 
spiel, das  sie  bag-gat-iway  nannten,  und 
welches  Mc Kenney  mit  dem  englischen  bandy- 
Spiel  verglich.  Wir,  schreibt  er,  schlagen 
den  Ball  mit  einem  Stöckchen,  das  an  einem 
der  beiden  Enden  gebogen  ist;  sie  haben 
statt  dieses  gebogenen  Endes  ein  ungefähr 
zwei  Zoll  tiefes  Täschchen  aus  Hirschleder- 
riemen, welche  ein  netzförmiges  Geflecht  von 
der  doppelten  Größe  des  Balls  bilden.  Mit 
diesem  Täschchen  schlagen  sie  den  im  vollen 
Lauf  befindlichen  Ball,  fassen  ihn  geschickt 
auf,  und  schleudern  ihn  über  den  Köpfen 
weg,  worauf  die  ganze  Spielgruppe  flink  wie 
der  Wind  ihm  vorauszueilen  sucht,  um  ihm 
eine  andere  Richtung  zu  geben1). 

Mit  Tonpuppen  spielten  schon  die  Kinder 
ausgestorbenen  Moundbuilders  in    der   Ohiogegend,  südliche 
Irokesen.     Man    fand  solche  in  ihren  Mounds  oder  Grabhügeln. 

Die  Maskoki-Indianerin  läßt  die  von  ihr  angefertigte  Puppe,  ehe  sie 
ihrem  Töchterlein  gibt,  sogar  vom  Schamanen  weihen.  Die  Puppe  wird 
dann  von  dem  Kinde  sorgsam  gepflegt,  bei  Tag  herumgetragen,  bei  Nacht  in 
Wollendecken  eingewickelt.  —  Außer  den  Puppen  erwähnt  A.  Owen  Hunde 
als  Lieblinge  der  Maskoki-Kinder,  die  für  ihre  Vierfüßler  kämpfen  und  kräftig 
heulen,  wenn  andere  Hunde  ihnen  das  Fressen  wegnehmen  wollen.     Gewöhn- 


der 
der 

sie 


Fig.  330.    Ein  säugendes  Weib  als  Einder- 
spielzeug auf  Hope  Island.    Kwakiul- 
Indianer.     Im    K.    Museum   für   Völker- 
kunde in  Berlin. 


Zweige 


')  Eine  Abbildung  eines  Kinderspielzeugs  bei  den  Sioux  brachte  Kapitel  XXXI. 


302 


Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Xieht-Iudoeuropäern. 


lieh  gelinge  es  deu  Kindern,  bei  solchen  Zusammenstößen  die  Hundsschüssel 
vor  den  fremden  Gästen  in  Sicherheit  zu  bringen. 

Große  Vorliebe  der  Kinder  für  Hunde  fand  Missionar  von  Murr  auch 
bei  den  Pirnas  in  Mexiko.  Hier  schleppten  die  Kinder  den  ganzen  Tag 
junge  Hunde  auf  den  Armen  herum,  küßten,  drückten  und  fütterten  sie.  Jedes 
besaß  so  einen  Vierfüßler  als  persönliches  Eigentum  und   war  stolz  auf  ihn. 


Fig.  337.    Puppenwiege  bei  den  Fiat  he  ad -In  <li  an  ern  in  Montana.     Im  Museum  I.  K.  H.  Prinzessin 

Thvrese  ton  Bayern. 


Frederick  Starr  erwähnt  „Naguales"  als  eines  der  merkwürdigsten 
„Spielzeuge"  der  mexikanischen  Kinder.  --  „Naguales"  kennen  wir  aus 
Kapitel  111  (£  34)  und  Kapitel  V  (§  46)  als  mexikanische  Schutzgeister  und 
Vampyre.  Bei  Starr  handelt  es  sich  aber  um  eine  Figur,  um  ein  künstliches 
Bild  des  Nagual.  welches  nach  der  Auffassung  dieses  Wesens  hergestellt  wird, 
und   zwar   als   ein    vierfiißiges.   schwanzloses  Tier1)  mit  Menschengesicht  und 


')  Abbildungen  hiervon  gab  Starr  in  seinem  Catalogue.  p.  28. 
rige  Kugel  gedacht  ist,  wurde  in  §  4ti  mitgeteilt. 


Daß^der  Xagual  auch 


§  265.     Hyperboräer  und  Indianer.  303- 

wollenem  Fell.  Gewöhnlich  stattet  man  es  mit  einer  Art  Kappe  ans  und  gibt 
ihm  auf  den  Kücken  die  vermeintliche  Beute,  welche  der  Nagual  aus  einem. 
Haus  gestohlen  haben  soll.  — 

Von  den  Choctaw-Indianern  am  See  Pontchartrain  (Staat  Louisiana) 
erwähnt  Bushneil  ein  Männern  und  Knaben  früher  gemeinsames  Spiel, 
welches  darin  bestand,  daß  sie  mit  verbundenen  Augen  über  einen  breiten 
Fluß  nach  einem  bestimmten  Punkt  schwammen.  Bei  einem  anderen  Spiel 
rollten  sie,  in  Decken  oder  Felle  gebunden,  einen  Hügel  oder  die  Bayouufer- 
abhänge  hinunter.     Sieger  war,  wer  zuerst   eine  bestimmte  Linie  erreichte1). 

Von  der  indianischen  Jugend  in  Oalifornien  berichtete  Powers  mit  einem 
Hinweis  auf  deren  Benehmen  beim  Spiel:  „Sie  verbringt  den  größten  Teil  des- 
Tages mit  Spielen,  Jagen  und  Fischen.  Es  ist  eine  sehr  bemerkenswerte 
Eigenschaft  des  Indianers,  daß  er  bei  seinen  Spielen  keine  Eifersucht  kennt. 
Stets  findet  man  ihn  beim' Spiel  heiter,  fröhlich  und  gut  gelaunt.  Niemals 
vergessen  die  Knaben,  daß  das  Spiel  zur  Erheiterung  da  ist,  und  niemals 
haben  die  Schwachen  unter  dem  Übermut  der  Starken,  oder  die  Besiegten 
unter  der  Erbitterung  der  Sieger  zu  leiden.  Die  rote  Jugend  kennt  keine 
Spielverderber." 

Altperuanisches  Spielzeug  fanden  Evu/i  und  Stiibel  neben  Kinder- 
leichen auf  dem  Totenfeld  von  Ancon.  Es  waren  Holzpuppen  mit  Wiegen 
und  eine  kleine  Tonfigur  als  Wickelkind2).  Die  letztere  war  auf  ein  Holz- 
gestell gebunden. 

Bei  den  Käua  am  oberen  Aiary,  nordwestliches  Brasilien,  sah  Koch- 
Grünberg  Knaben  Stelzen  laufen,  d.  h.  die  Knaben  hatten  sich  Stücke  von 
hohlem  Ambaüvaholz  oben  zur  Hälfte  gespalten,  mit  Stricken  an  die  Beine 
gebunden  und  stolzierten  so  einher.  —  Ferner  hatten  die  Knaben  Knallbüchsen 
aus  Ambaüva-Bohr,  wozu  eiu  glatter  Stab  und  ein  Pfropfen  aus  gekauter 
Rinde  kam.  Vor  dem  Laden  bliesen  die  Knaben  heftig  in  das  Rohr.  — 
Kleinere  Knaben  spielten  oft  mit  einfachen  Kreiseln  und  Brummkreiseln. 
Jene  bestanden  aus  einer  runden  Scheibe  aus  schwarzem  Bienenwachs  oder 
aus  gebranntem  Ton,  durch  die  ein  Holzstäbchen  getrieben  war,  und  wurden 
durch  Quirlbewegungen  mit  beiden  Händen  zu  2 — 3  zusammen  in  einem  großen 
flachen  Korb  in  Schwung  gesetzt.  Bei  den  Brummkreiseln  war  die  Scheibe 
durch  eine  hohle  Tucumäfrucht  mit  einem  Loch  an  der  Seite  ersetzt,  wodurch 
der  Tou  ermöglicht  wurde.  Den  Gebrauch  dieses  Kreisels,  sowie  Faden-  oder 
Abhebespiele,  ferner  eine  Reihe  von  Wachsfiguren,  welche  Knaben  spielend 
modellierten,  hat  uns  Koch-Grünberg  mit  seinen  Abbildungen  68,  69  und  70 
im  2.  Band  seines  Werkes  „Zwei  Jahre  unter  den  Indianern"  vor  Augen 
geführt3).  Hier  sei  nur  noch  erwähnt,  daß  die  Figuren  der  Fadenspiele 
Namen  wie  „Bogen",  „Mond",  „Plejaden",  „Gürteltier",  „Spinne",  „Raupe"  usw. 
hatten,  und  daß  die  Wachsfiguren  Menschen  und  Tiere  darstellen. 

Bei  den  Kobeua  am  Rio  Cuduiary  spielen  die  kleinen  Kinder  mit 
Bambusstäbchen.  Das  von  Koch-Grünberg  abgebildete4)  Spielstäbcheu  ist  mit 
einer  hübschen  Zeichnung  verziert. 

Von  den  Caraja-Kindern  am  Xingu  und  Araguay,  zentrales  Brasilien, 
erwähnte  von  Koenigswald  „allerlei"  Spielzeug  aus  Holz  und  Federn,  sowie 
Tonpuppeu,  welche  von  den  Müttern  hergestellt  werden5). 


J)  Siehe   auch   die   mit   südamerikanischen  Spielen  verglichenen  Spiele  nordameri- 
kaniseher  Indianer  gegen  Schluß  dieses  Paragraphen. 

2)  Vgl.  die  Hülle  des  Säuglings  im  Inkareich,  Bd.  I,  S.  232  und  245. 

3)  S.  119ff. 
*)  II.  150. 

6)  Vgl.    auch    Steffens:    Die    Iudianerpuppeiisammlung   von    Frau    A.    L.    Dickermann. 
Im  Glob.  75,  S.  354. 


304  Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Xicht-Indoeuropäern. 

Den  Spielen  der  Indianerkinder  in  Guayana,  südlich  vom  Orinoco, 
hat  F.  im  Thurn  seine  Aufmerksamkeit  zugewandt.  Das  Spiel  sei  hier  gleich- 
bedeutend mit  Erziehung.  Als  erstes  Spielzeug  der  kleiueren  Knaben  nennt 
F.  im  Thuni  Pfeil,  Bogen,  Lötrohr (P)1)  und  anderes  Handwerkszeug  in 
kleinem  Format.  Je  grüßer  dann  der  Knabe  wird,  desto  grüßer  auch  sein 
Spiel-  oder  vielmehr  Handwerkszeug  und  seine  Waffen. 

Ebenso  verhält  es  sich  mit  dem  Mädchen.  Dieses  fertigt  aus  Lehm 
kleines  Kochgeschirr  in  der  landesüblichen  Form,  flicht  Körbchen,  mit  denen 
es  spielend  Lasten  trägt,  fertigt  Gestelle  zum  Anbringen  von  Hängematten, 
kurz,  tut  spielend  im  kleinen,  was  ihr  später  im  großen  Pflicht  ist. 

Doch  gibt  es  nach  F.  im  Thurn  in  Guayana  auch  eine  Art  drama- 
tischer Spiele,  welche  von  Knaben  und  Jünglingen  gemeinsam  aufgeführt 
werden  und  ihnen  gewissermaßen  das  sind,  was  unserer  Jugend  Erzählungs- 
bücher und  Naturgeschichte. 

Ein  Spiel  dieser  Art,  von  der  männlichen  Macusi- Jugend  der  Savannahs 
an  den  westlichen  Abhängen  der  Pacaraima-Berge  aufgeführt,  stellt  das 
seltene  und  wichtige  Ereignis  einer  Eeise  zur  nächsten  Stadt,  die  hier  zu 
machenden  Einkäufe  und  die  Rückkehr  zur  Heimat  dar.  Um  die  Reise  auf 
einem  langen,  gut  bemannten  Boot  zum  Ausdruck  zu  bringen,  hocken  die 
Knaben  in  einer  langen  Reihe  so  hintereinander,  daß  vom  zweiten  angefangen, 
jeder  seinen  Vormann  umfaßt.  Dieses  lebendige  Fahrzeug  bewegt  sich  ab- 
wechselnd vorwärts  rollend  und  nach  beiden  Seiten  schwankend,  wozu  die 
Knabeu  ihre  Füße  und  Beine  in  entsprechender  Weise  gebrauchen.  (F.  im 
Thurn  hat  dieses  Spiel  und  die  folgenden  Tierspiele  illustriert.)  Unterdessen 
treten  zwei  andere  Spieler  auf,  welche  die  Daheimgebliebenen  daisteilen,  er- 
fassen der  Reihe  nach  jeden  der  Reisenden  bei  einem  Fuß.  und  der  Eigentümer  des 
Fußes  hat  für  jede  Zehe  einen  Gegenstand  zu  nennen,  den  er  kaufen  und  heimbrin- 
gen soll,  z.  B.  ein  Rasiermesser,  eine  Fliute,  ein  Kleid,  Haarül.  einen  Zylinder  usw. 
Je  reicher  sich  dabei  die  Phantasie  entwickelt,  desto  lauter  erschallt  das 
Gelächter  der  Zuschauer.  Die  Rückreise  in  die  Heimat  muß  viele  Hindernisse, 
darunter  einen  Sturm  überwinden,  welcher  dadurch  versinnbildet  wird,  daß 
ein  „Daheimgebliebener"  das  lebendige  Boot  mit  einer  Stange  auf  die  Seite 
und  zu  Boden  drückt. 

Dann  soll  dargestellt  weiden,  wie  Kanoe  und  Waren  über  Land  getragen 
werden.  Die  beiden  „daheim  gebliebenen"  Spieler  halten  deshalb  ihre  Stange 
horizontal  über  je  einen  der  auf  dem  Boden  liegenden  Reisenden,  welcher 
sich  mit  Fingern  und  Zehen  daran  klammert,  so  fortgetragen  und  an  einem 
andern  Platz,  abermals  längsgestreckt,  auf  den  Rücken  gelegt  wird.  Ein 
drittes  Hindernis  auf  Reisen  ist  in  der  trockenen  Jahreszeit  das  seichte  .Strom- 
bett mit  seinen  Felsblöcken.  Das  wird  dramatisiert,  indem  die  beiden  „Daheim- 
gebliebenen"  im  schnellen  Lauf  zwischen  den  Beinen  der  dicht  nebeneinander- 
liegenden Reisenden  durch-,  oder  vielmehr  hinüberzukommen  suchen,  was  diese 
durch  Strampeln  möglichst  erschweren.  -  Kie  Kanoes  stoßen  aber  auch  ofl 
auf  gefallene  Bäume  und  diese  müssen  aus  dem  Wasserweg  entfernt  werden, 
soll  die  Fahrt  weitergehen.  Die  beiden  Burschen  heben  also  ihre  sich  steif- 
haltenden Spielkameraden  mit  dem  Kopf  von  der  Erde  auf  und  stellen  sie  auf 
die  Füße.  -  Um  endlich  den  Weg  eines  Kanoes  durch  einen  von  Bäumen 
überwölbten  Wasserarm  zu  bezeichnen,  stellen  sich  die  Spielenden  auf  alle 
Viere,  einer  dicht  neben  dem  andern,  und  der  Beihe  nach  schlüpft  jeder  von 
einem  Ende  der  Reihe  zum  andern  durch,  wo  er  wieder  die  Stellung  der 
andern  annimmt,  so  daß  der  letzte  dieselbe  Länge  durchzukriechen  hat  wie 
der  erste. 


')  Blow-pipe. 


§  265.     Hyperboräer  und  Indianer. 


305 


Andere,  gleichfalls  sehr  interessante  Spiele  der  Guayana-Jugend,  speziell 
der  Macusi,  schildert  F.  im  Thurn  als  Jaguar-Spiel  oder  kaikoosi,  in  welchem 
ein  den  Jaguar  vorstellender  Bursche  stets  den  letzten  der  Spielerreihe 
packt,  bis  ihm  alle  zum  Opfer  gefallen  sind. 

In  einem  Affenspiel  ahmen  die  Knaben  die  Behendigkeit  dieser  Tiere, 
ihre  Gesten,  ihr  Zähneflet sehen  und  Schleien  bei  unliebsamen  Überraschungen . 
oder  überhaupt  im  Zustand  der  Gereiztheit  nach. 

In  einem  andern  Spiel  wieder  wird  ein  Schwann  Enten  dramatisiert, 
der,  durch  die  führende  Ente 
vor    einer     Gefahr    gewarnt, 
pfeifend  in  gerader  Linie  vor- 
und  rückwärts  fliegt. 

Oder  ein  Ameisenfres- 
ser holt  sieh  unter  einer  Schar 
Ameisen  seinen  Schmaus;  oder 
ein  Habicht  schießt  auf  eine 
junge  Brut  und  holt  ein  Küch- 
lein nach  dem  andern;  oder 
ein  Schwärm  Insekten  be- 
lästigt einen  Affen,  dem  end- 
lich die  Geduld  ausgeht,  wo- 
rauf er  einem  nach  dem  andern 
den  Garaus  macht. 

Das  uns  von  der  alten 
AVeit  her  bereits  wohlbekannte 
Astragali-Spiel  findet  sich 
auch  in  der  neuen  \Yelt.  und 
zwar  in  Argentinien,  wo 
es  als  „Taba"  gespielt  wird 
(Boman).  Ein   sehr    ähn- 

liches Spiel  sei  den  nord- 
amerikanischen P a p a go  s 
bekannt.  Ob  die  beiden  auf 
spanischen  Einfluß  zuriiekführ- 
bar  sind,  scheint  noch  zweifel- 
haft zu  sein. 

Von  den  Chane  am  Rio 
Parapiti  im  Chaco  er- 
wähnt Erland  NorctensMöld 
zwei  Spiele,  die  sich  gleich- 
falls in  Nordamerika  wieder- 
finden, und  welcheNordensMöld 
folgenderweise  beschreibt:  Das 

erste  heißt  Söuki,  ist  ein  Knabenspiel  und  wird  mit  Maiskolben  p  feilen 
gespielt.  Zuerst  wirft  ein  Knabe  seinen  Pfeil  2 — 3  m  vor  sich  auf  die  Erde. 
Dann  sucht  der  zweite  seinen  Pfeil  jenem  möglichst  nahe  zu  werfen.  Kommt 
er  eine  Handspanne  oder  noch  näher  an  ihn  heran,  so  wird  ihm  ein  Strich 
auf  die  Erde  gemacht,  d.  h.  er  gewinnt  ein  Auge.  AVer  zuerst  sechs  Striche 
hat.  während  der  andere  keinen  besitzt,  hat  gewonnen.  Nur  jene  Augen  zählen, 
welche  der  eine  mehr  hat  als  der  andere. 

Ballspiele,  von  Knaben  allein  ausgeführt,  erwähnt  Nordenskiöld  von 
den  Chiriguano;  vom  männlichen  Geschlecht  aller  Altersstufen:  bei  den 
Choroti,  Asluslay,  Toba,  Tapiete  und  Mataco  (sämtlich  im  Gran 
Chaco).     Bei  diesen  Spielen  bedient  man  sich,  je   nachdem  sie  von  Knaben 

Floß-Rene.  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  20 


Fig.  33S.    Rassel   aus  Hirschhufen   bei   den  Toha-Indianern, 

Argen tinischer  Chaco.    Dient  bei  religiösen  Gesängen,  aber 

auch  als  Spielzeug  der  Kinder;   letzteres  jedoch  nie  im  Chaco 

Boreal.     Im  Museum  I.  K.  H.  Prinzessin  Therese  von  Bayern. 


306  Kapitel  XL.     Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Nicbt-Indoeuropäem. 

oder  Männern  ausgeführt  werden,  kürzerer  oder  längerer  Spielkeulen,  oder 
einer  Art  Kacket,  oder  des  Blattstiels  einer  Palme.  Das  Spiel  beginnt,  indem 
der  Ball  zwischen  die  Spielenden  geworfen  wird,  die  ihn  dann  in  das  Mal  des- 
Gegners, regelmäßig  ans  ringförmig  in  den  Boden  gesteckten  Zweigen,  oder 
in  einem  Loch  bestehend,  hineinzubekommen  suchen.  Dieses  Ballspiel,  welches 
in  Südamerika  nur  im  Chaco  bekannt  sei,  habe  Culin  in  Nordamerika  bei 
vielen  Stämmen  gefunden.  Ferner  berichtet  Nordenskiöld  ..Buzz"  und  „Bean- 
shooter'  als  Spiele,  die  sowohl  in  Nordamerika  wie  im  Chaco  und  bei  den 
Yuracar e  gefunden  werden,  welche  mit  den  Chac  o  s  vieles  gemeinsam  hätten. 
Die  Bean-shooter  sind  eine  Art  Flinte,  welche  z.  B.  von  den  Chane-Knaben 
mit  Fruchtkernen  geladen  werden;  die  „Buzz",  von  den  Chane  „Mou-mou" 
genannt,  bestehen  aus  einer  Scheibe  au  einer  Fadenschleife,  welche  einen 
summenden  Ton  (mou-mou)  von  sich  gibt,  wenn  sie  durch  das  Drehen  der 
Fäden  in  schwingende  Bewegung  versetzt  wird.  Nordenskiöld  bezieht  die 
Gleichheit  dieser  Spielsachen  auf  einen  früher  bedeutenden  kulturellen  Aus- 
tausch zwischen  Nord-  und  Südamerika  zurück.  Stelzen.  Kreisel  und 
Seh  wirr  holz  kommen  nicht  nur  im  Chaco.  sondern  auch  in  andern  Teilen 
Südamerikas  vor.  — 


Kapitel  XL1. 

Kleidung-,  Schmuck  und  Haartracht  des 
heranwachsenden  Kindes 1}. 

§  21)6.  Wenn  wir  die  Bräuche  der  §§  2H7  und  268  überblicken,  so 
sehen  wir,  daß  nur  eine  verschwindende  Minderheit  der  hier  erwähnten  Völker 
ihre  Kinder  in  deren  ersten  Lebensjahren  bekleidet.  Ist  das  Kind  imstande, 
zu  gehen,  ist  es  also  der  Hülle  ledig,  in  welcher  es  als  Säugling  gewisser- 
maßen an  seine  Mutter  gebunden  war,  dann  läuft  es  bei  den  weitaus  meisten 
Völkern  nackt  herum,  wenn  nicht  die  Winterkälte  zur  Bedeckung  zwingt. 
Sogar  im  alten  Ägypten  und  bei  den  kulturell  gleichfalls  hochstehenden  Mayas, 
Hindus.  Arabern  und  Chinesen  gingen  bzw.  gehen  die  Kinder  teils  aller,  teils 
nur  der  ärmeren  Klassen  der  Bevölkerung  bis  zu  einem  gewissen  Alter  völlig 
unbekleidet,  insoweit  eben,  wie  gesagt,  nicht  das  Klima  sie  zeitweise  zur 
Bedeckung  zwingt. 

Welche  Motive  die  vornehmen  Klassen  der  alten  Ägypter,  der  Hindus, 
Chinesen  und  Araber,  aber  auch  der  Dualla-Neger  zur  dauernden  Bekleidung 
ihrer  Kinder  bewegten,  geht  aus  den  mir  vorliegenden  Mitteilungen  nicht  hervor. 
Sittlichkeit  dürfte  es  kaum  sein;  denn  hätten  z.  B.  die  Vornehmen  unter 
den  alten  Ägyptern  in  der  Blöße  der  Kinder  eine  sittliche  Gefahr  gefürchtet, 
so  hätten  sie  die  ärmere  Bevölkerung  wohl  gezwungen,  wenigstens  die  Scham- 
teile  zu  bedecken.  Ein  Lappen  oder  ein  Blatt  hätte  genügt.  Vielmehr 
dürfte  das  ästhetische  und  hygienische  Moment  in  diesen  Gesellschafts- 
klassen hierfür  maßgebend  gewesen  sein  '-').  Nachgewiesen  sind  gesundheitliche 
Rücksichten  eo  ipso  bei  jenen  Völkern  und  Klassen  einer  Bevölkerung,  welche 
ihre  Kinder  nur  zur  warmen  Jahreszeit  oder  innerhalb  der  erwärmten 
Wohnung  nackt  gehen  lassen,  sie  aber  außerhalb  des  Hauses  gegen  die  Kälte 
mit  mehr  oder  weniger  wirksamen  Mitteln,  vom  armseligen  Lappen  angefangen 
bis  zu  mehrfachen  Pelzen  hinauf,  schützen.  Hierher  gehören  die  Batak  auf 
Sumatra  und  die  arme  Bevölkerung  Chinas;  ferner  in  Hinterindien  die  Tongki- 
nesen  und  Thai;  in  Sibirien  die  Burjäten  und  Tschuktschen;  dann  die  Ainos 
und  Carrier-Indianer. 

Die  Zeitdauer  der  Nacktheit,  sei  sie  durch  die  Rauheit  des  Winters 
unterbrochen  oder  nicht,  ist  bei  den  verschiedenen  Völkern  verschieden:  Bei 
manchen  sind  es  drei  Jahre;  bei  anderen  ein,  wieder  bei  anderen  fünf,  sechs, 
sieben  Jahre  usw.  bis  zur  Pubertät. 


!)  Vgl.  Kap.  XII  und  XXXV  sowie  jene  Illustrationen  des  1.  und  2.  Bandes,  welche 
Kinder  mit  oder  ohne  Kleidung  und  Schmuck  aufweisen.  Auch  deren  Haarfrisuren  mögen 
beachtet  werden. 

*)  Vgl.  die  Eingebornen  auf  Kuba  und  den  Bahama-Inseln  in  §  268,  bei  denen 
der  ästhetische  Zweck  der  einzig  maßgebende  zur  Bekleidung  gewesen  zu  sein  scheint. 

20* 


308     Kapitel  XLT.     Kleidung,  Schmuck  und  Haarfracht  des  heranwachsenden  Kindes. 

Vom  Eintritt  der  Pubertät  an  werden  bei  den  weitaus  meisten 
Völkern1)  wenigstens  die  Geschlechtsteile  verhüllt.  Das  dürfte  ein 
Wahrscheinlichkeitsbeweis  dafür  sein,  daß  die  Verhüllung  der  Geschlechtsteile 
bzw.  die  Kleidung  trotz  mancher  gegenteiligen  Behauptung  im  allgemeinen 
doch  sittliche  Gründe  und  Zwecke  hat.  Die  Mehrzahl  der  Völker  scheint 
eben  den  Anblick  der  entwickelten  Geschlechtsorgane  in  der 
Öffentlichkeit  vermeiden  zu  wollen,  wie  sie  ja  auch  den  ehelichen  Akt 
der  Öffentlichkeit  entzieht.  Völker,  bei  welchen  weder  diese  noch  jene 
Diskretion  zu  finden  ist.  sind  meines  Wissens  Ausnahmen.  Allerdings  ist  die 
Verhüllung  der  Genitalien  bei  manchen  Völkern  derart,  daß  die  Ansicht  des 
einen  oder  anderen  Forschers,  es  handle  sich  hier  eher  um  ein  Hervorheben, 
als  um  ein  Verbergen,  eine  gewisse  Berechtigung  hat.  Ob  es  sich  in  solchen 
Fällen  um  sogenannte  Urvölker,  oder  um  kulturell  gesunkene  Völker  handelt, 
kann  hier  nicht  entschieden  werden.  Das  gleiche  gilt  für  Völker,  die  gar 
keine  Bedeckung  gebrauchen  und  selbstverständlich  auch  die  heranwachsende 
Generation  zeitlebens  ohne  eine  solche  lassen.  Mehr  als  ein  Forscher  hat 
persönlich  erfahren,  daß  gereichte  Kleidungsstücke  bei  solchen  Menschenkindern 
an  ganz  anderen  Teilen  ihres  Körpers  als  auf  den  Geschlechtsteilen  Verwen- 
dung fanden,  ein  Beweis,  daß  hier  ein  Schamgefühl  in  unserem  Sinne  nicht 
vorhanden  war2). 

Früher,  als  mit  Kleidungsstücken,  behängen  die  meisten  Völker  ihre 
Kinder  mit  Schmuck  im  engeren  Sinne.  .Auch  das  sonst  ganz  nackte  Kind 
trägt  bei  ihnen  schon  einen  Gegenstand  an  sich,  der  nach  der  Auffassung 
seines  Volkes  schön  oder  kostbar  ist.  oder  die  Schönheit  des  Kindes  hervor- 
hebt, oder  alle  diese  Bullen  zugleich  spielt.  Die  allgemeine  Kulturstufe  eines 
Volkes  nach  unserem  ästhetischen  Empfinden  seines  Kinderschmuckes  zu 
beurteilen,  ist  nicht  angängig.  Denn  das  mit  Ketten  und  Spangen  behängte 
kleine  Hindumädchen  und  das  noch  schwerer  belastete  Töchterchen  des  nord- 
afrikanischen  Sultans  Mukni  befriedigen  unseren  ästhetischen  Sinn  weit 
weniger  als  die  schlichte  Reihe  Glasperlen  am  Hals  der  kulturell  tiefer  stehenden 
Völker  des  deutsch-ostafrikanischen  Makonde-Plateaus.  Merkwürdig  ist  auch 
der  Kontrast  zwischen  dem  mit  Zierat  überladenen  Chinesenmädchen  und  der 
schlicht  und  doch  zierlich  gekleideten  kleinen  Japanerin,  wenn  wir  von 
„Ehrenwachen"  der  Halbweltdamen  absehen.  Der  allgemeine  Kulturstand 
beider  Völker  zeigte  aber  wenigstens  noch  vor  wenigen  Jahrzehnten,  d.  h.  in 
der  Zeit  der  noch  allgemeinen  ,.altjapanischen"  Nationaltracht,  solch  tiefgehende 
Unterschiede  nicht.  --  Der  Schönheitssinn  der  Völker  scheint  eben  oft,  abseits 
vom  übrigen  Kulturgrad,  seine  eigenen  Wege  zu  gehen. 

Andere  Leitgedanken  für  dieses  Kapitel  dürften  wegen  des  leichten  Über- 
blickes über  die  §§  269  und  270,  bzw.  wegen  des  noch  recht  mangelhaften 
Materials,  nicht  erforderlich  sein.  — 

§  267.     Die   Kleidung   des   heranwachsenden   Kindes   bei   Indoeuropäern, 

Semiten,  Hamiten,  Sudan-  und  Bantnvölhern,  Buschleuten 

und  Hottentotten. 

Die  Hindumädchen  der  ärmeren  Klassen  gehen  meist  nackt,  schrieb 
seinerzeit    Wilhelm  Hoff'mann. 

Von  Ceylon  berichtet  in  neuester  Zeit  (1<)08)  Aldobrandino  Malvezzi: 
In  den  Straßen  Colombos  scharen  sich  nackte  Kinder  um  den  Fremden  und 

')  Ich  vorstehe  darunter  nicht  nur  die  in  diesem  Knpitel  angeführten,  sondern  die 
Völker  im  ganzen  genommen. 

'i  Dafür  schämten  sich  solche  Menschen  aber  nicht  selten  über  Dinge,  Zustände  und 
Verhältnisse,   welche  unser  Schamgefühl   völlig  unberührt    lassen. 


§  267.    Die  Kleidung  des  heranwachsenden  Kindes  bei  Indoeuropäern,  Semiten  usw.      309 


bieten  Blumen  und  wohlriechende  Zimmetzweige  zum  Verkaufe  an.  Darunter 
sah  Malvezzi  Mädchen,  die  als  einziges  Kleidungsstück  ein  um  die  Taille 
laufendes  Kettchen  mit  einem  silbernen  Blatt  trugen1). 

In  den  Dörfern  Farsistans,  südwestliches  Persien,  gehen  die  Kinder, 
selbst  im  Winter,  völlig  nackt.  Nur  der  Kopf  wird,  nach  Art  der  Weiberköpfe, 
mit  einer   schweren   Last   von  Lumpen,   Glasperlen   und   Amuletten   behängt. 

Die  gesetzlich  vorgeschriebene  Kleidung  der  spartanischen  Knaben 
bis  zum  12.  Jahre  bestand,  schon  aus  Abhärtungsgründen,  für  Sommer  und 
Winter  nur  in  einem  Kuck  (/ltujv),  zu  dem  vom  12.  Jahr  an  ein  kurzer  Mantel 
(■:pi|5tuv)  kam.  der  ein  Jahr  lang  halten  mußte.  Kopf  und  Füße  waren  unbe- 
deckt (Wuehsmuth). 

Ebenso  primitiv  sind  heutzutage  noch  die  Kinder  der  Ruthenen  in 
Ljuta,  Komitat  Ung,  gekleidet,  von  denen  Franz  von  Oabnay  schreibt:  Sie 
tragen  bis  zu  ihrem  sechsten  Lebensjahre  nur  ein  hausgewobenes  starkes 
Hemd,  und  kommt  dieses  einmal  in  die  Wäsche, 
so  laufen  sie,  bis  es  wieder  trocken,  ganz  nackt 
herum.  Im  Winter  müssen  sie  sich  in  diesem 
Falle  auf  das  Haus  beschränken.  Das  Hemd  wird 
auch  nicht  nach  den  verschiedenen  Größen  an- 
gefertigt sondern  ist  vielmehr  dem  Kleinen  an- 
fangs so  lang,  daß  es  stolpert;  später  wächst  das 
Kind  hinein,  und  noch  später  wächst  es  heraus. 
Werden  die  Kinder  schulpflichtig,  dann  ist  es  oft 
Mangel  an  Kleidung,  was  ihre  vielen  Schul- 
ver>;mmnisse  erklärt.  Oft  haben  6  —  7  Schul- 
kinder nur  eine  gemeinschaftliche  Jacke,  sehr 
selten  auch  Botschkoren,  d.  h.  eine  Fußbekleidung 
aus  Leder,  mit  Riemen  zusammengezogen. 

Lane  schrieb  von  den  Arabern  der  mittleren 
und  höheren  Stände  des  arabischen  Ober- 
ägypten, daß  sie  ihre  Kinder  nach  Art  der  Er- 
wachsenen kleideten.  Die  Kinder  der  ärmeren 
Bevölkerung  trugen  ein  Hemd  und  eine  baum- 
wollene Mütze  oder  einen  Turban,  wenn  sie  nicht 
bis  zu  sechs  oder  mehr  .fahren  überhaupt  nackt 
gingen.  Letzteres  war  der  Brauch  in  den  Dörfern. 
Kleine  Mädchen,  die  nicht  so  viel  Stoff  hatten, 
um  Kopf  und  Rumpf  zu  bedecken,  zogen  es  vor,  nur  den  ersteren  zu  ver- 
hüllen; sie  waren  manchmal  auch  kokett  genug,  einen  Teil  jenes  Stoffes  als 
Schleier  über  das  Gesicht  zu  ziehen,  wenngleich  der  Rumpf  ganz  nackt  war. 
Vier-  und  fünfjährige  Dämchen  trugen  meist,  wie  ihre  Mütter,  einen  weißen 
Gesichtsschleier. 

Maurische  Kindertrachten  zeigt  uns  Fig.  339. 

Nackt  gingen  meistens  die  heranwachsenden  Kinder  der  niederen  Stände 
im  alten  Ägypten.  Ebenso  fehlte  ihnen  Fußbekleidung.  Die  vornehmeren 
waren  vielfach  nach  Art  der  Erwachsenen  gekleidet,  d.  h.  sie  trugen  ein  bis 
zu  den  Knöcheln  reichendes  Gewand  und  Sandalen. 

Viele  Kinder  der  Fellah,  Nachkommen  der  alten  Ägypter,  tragen  bis 
zum  7.,  andere  bis  zum  10.  Lebensjahr  nichts  anderes  als  eine  Schnur  aus 
den  Fasern  der  Dattelpalme  um  die  Hüften. 

Die  Kinder  der  Barabra  am  Nil  gehen  bis  zum  5.  oder  6.  Lebensjahr, 
auch  noch  länger,  nackt  (R.  Hartnnmri). 


Fig.   33«.      Maurische    Kinder   aus 
Algier.     Im  K.  Museum  für  Völker- 
kunde in  München. 


l)  Vgl.  Fig.  259  in   Kap.   XXXIV, 


310     -Kapitel  Xlif.     Kleidung,  Schmuck  und  Haartracht  des  heranwachsenden   Kindes. 


den 


Auch  die  Lega-Galla  am  oberen  Nil  lassen  ihre  Kinder  bis  hinauf  zu 
heiratsfähigen  Töchtern   völlig   nackt  gehen,   während    die   benachbarten 


Koma-Neger   ihre   Töchterlein 
männliche  Geschlecht  verachtet 

riert  es  sich  mit  Baumwollstoff 
Bis    zum    8.    Jahr    gehen 

{Saggenmacher). 

Einen   Kabylen -Knaben 

Kindl.    mit    Mantelkragen,   losem 
stellte   uns   M.  Schönhärl   in    der 


im   zartesten   Alter   züchtig    verhüllen.      Das 
aber  auch  da  jede  Kleidung;  höchstens  deko- 
die  Schultern  (Schuver). 
ferner   die    Kinder    der    Somäl    anbekleidet 


mit  zurückgestülpter  Kapuze  ä  la  Münchner 
weitem  Untergewand  und  nackten  Füßen 
„Völkerschau"    vor.     Die  von  ihm   aufge- 


Fig.  340.  Hüftschnur  für  Mäd- 
chen aus  einer  Schlangen  Wirbel- 
säule aus  Os  t-  Käbure  ,  To^o. 
1  im  Museum  für  Völkerkunde  in 
,     Leipzig. 


Fig.  341.  Schamgürte]  für 
Mädchen :  aus  Leder  mit  Kann 
besetzi.  fahle.  Im  Museum 
für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


nommenen  kleineren  Kinder  tragen  Henidchen;  eins  hat  auch  eine  Mütze  auf 
dem  Kopf '). 

Bei  den  Negern  der  Goldküste  tragen  die  Mädchen  bis  zu  5  oder  6 
Jahren  ein  Lendentüchlein;  doch  sieht  man  auch  noch  12  — 18jährige  so  be- 
kleidet (//.    Vortisch). 

Die  Kinder  der  Bassari,  Deutsch -Togo,  laufen  vollkommen  nackt 
umher,  berichtet  H.  Klose. 

Die  Kinder  der  Adelibevölkerung  im  Togohinterlande  laufen  nackt, 
oder  mit  einer  Perlenschnur  bekleidet,  herum,  und  auch  die  größereu  Mädchen 
begnügen  sich  mit  dem  „ogo",  einem  schmalen  Zeugstreifen,  der  vorn  über 
die  Hüftenschnur  ans  Perlen  hängt  und  hinten  mit  ihr  verknotet  ist.  daß  die 
Enden  „kokett"  herabhängen.     Die  beliebteste  Farbe  des  ,.ogo"  ist  rot. 

Die  Kinder  der  Ephe-Neger  gehen  in  den  nordwestlichen  Grenzbezirkeu, 
wo   es    infolge    fremder   Elemente   mit   der   Ehrbarkeit    schlecht   bestellt   sei, 


')  Bd.  III.     München    L904.     S.  133,  14of.  u.  155. 


ij  267.    Die  Kleidung  des  heranwachsenden  Kindes  bei  Indoeuropäern,  Semiten  usw. 


311 


durchweg'  nackt'),  während  tiefer  landeinwärts  nur  einzelne  Kinder  bis  zu 
4  oder  5  Jahren  ohne  alle  Bekleidung  umherlaufen   (H.  Seidel  und  Senrid). 

Bei  den  Dualla  gehen  nach  der  Beschneidung,  die  im  4.  oder  5.  Jahre 
stattfindet,  alle  Knaben  mit  einem  Lendentuch  bekleidet,  während  vorher  nur 
einzelne,  günstiger  situierte  Knaben  im  Besitz  eines  solchen  sind  (Pauli). 

Die  zu  den  Fangvölkern2)  gehörigen  Yaunde  in  Kamerun  lassen  ihre 
Kinder  bis  zu  G  oder  8  Jahren  völlig  nackt.  Dann  bedecken  sich  die 
Mädchen  die  Scham  mit  einem  dreieckigen  Stück  Pisangblatt  und  legen  einen 
Lendengürtel  an.  an  dem  ein  starker  Büschel  zerschlitzter  Pisangblätter,  oder 
junger  Blätter  der  Weinpalme  wie  ein  gestutzter  Pferdeschweif  rückwärts 
hinunterhängt.     Er  ist  teils  rot.  teils  schwarz  gefärbt   (Zenker). 

<>.  Lenz  schrieb  von  den  Fan(g),  daß  sie  ihre  Kinder  bereits  in  einem 
Alter  von  5 — G  Jahren  etwas  bedecken. 

Hingegen  sollen  in  mehreren  Bergdörfern  der  afrikanischen  West- 
küste   nur   die   älteren   Männer    und   Weiber    Lendenschürzen   tragen,    alles 


1 .'.     Kimlerhm  aus 
Strou.     Togo.     1  m  Mu- 
seum   für    Völkerkunde 
in  Leipzig. 


Fig.  343.     Hiuissa-Kiiider").    Dittie  pliot.    Im 
Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


andere  in  „Adamskostüm"  gehen.  Unter  15  Jahren  sei  niemand  bekleidet, 
schreibt  Jan  Palawertrommel- Greestemünde,  welcher  einer  besonders  zutrau- 
lichen Scheinen  ein  seidenes  Tuch  schenkte,  damit  sie  sich  einen  Lendenschurz 
daraus  mache.     Sie  band  sich  das  Tuch  aber  um  den  Hals. 

Die  Knaben  der  Herero  bekommen  vom  3.  Jahr  ab  einen  kleinen 
Hüftenschurz;  später  nehmen  sie  die  Kleidung  der  Männer  an.  Die  Mädchen 
werfen  ein  in  Fett  getränktes  Ochsenfell  togaartig  über  die  linke  Schulter 
und  knüpfen  es  zwischen  den  Brüsten  zusammen.  Um  die  Hüften  ist  ein 
Gürtel  mit  herabhängenden  Ochsenriemen,  dicht  aneinander  gesetzt,  geschlungen. 
Die  hintere  Partie  der  Hüften  ist  frei. 

Bei  den  Bergdamara,  die  sich  selbst  „Haukoin",  d.h.  ..Menschen"  oder 
,. wahre  Menschen-'  nennen,  besteht  die  Kleidung  der  Kinder  meist  aus  einein 
kleinen  Lappen  als  Ynrderschurz.  Später  kommt  ein  mehr  oder  weniger 
vollständiger  Hinterschurz  dazu. 

Aus  dem  Südosten  von  Deutsch-Ostafrika  hat  Weide  uns  mit  ver- 
schiedenen Kindertrachten  in  Bildern  bekannt  gemacht.    Von  zwei  Matambwe- 


i)   Hier  wird  also  Nacktheit  im  Zusammenhang  mit  sittlicher  Verkommenheit  berichtet. 

*)  Mach  Scobel  ist  der  französische  Kongo  der  Hanptsitz  der  Fang-Völker. 

"5   Die  Haussa  sind  ein  mit  Fulbeblut  stark  gemischtes  Negervolk  im  inneren  Westsudan. 


319      Kapitel  XL1.     Kleidung,  Schmuck  und  Haartracht  de';  heranwachsenden  Kindes. 


Kindein  ist  das  eine  zirka  3  Jahre  alt.  nackt,  das  andere,  vielleicht  fünf- 
jährige, hat  bereits  einen  Schamfleck  umgebunden.  In  einer  Gruppe  von  sechs 
Makon  de- Kindern  haben  fünf  je  ein  Tuch  um  die  Hüften  geschlagen,  welches 


bis   unter   die  Kniee   reicht: 


Fig.    344.      Negerniadcuen    vom    untern 

Kongo.    Im  Museum  für  Völkerkunde  in 

Leipzig. 


das  sechste,  vielleicht  ein  Mädchen,  trägt  ein 
hemdartiges  Gewand  mit  Ärmeln,  welches  die 
Figur  vom  Hals  bis  gleichfalls  unter  die  Kniee 
bedeckt.  Weide  führt  uns  auch  einen  dick- 
bauchigen  Knaben  vor,  dessen  einzige  Be- 
kleidung ein  zirka  2  cm  breites  Hüftentuch 
ist.  Von  seinen  „drei  Vegetariern"  vom  Makua- 
Stamm  scheint  der  mittlere  und  zugleich  größte 
der  drei  Knaben  noch  weniger  Bedürfnis  nach 
Verhüllung  zu  haben.  Unter  der  um  den 
Phonographen  sich  scharenden  Menge  [Weide 
S.  385)  ist  dann  wieder  ein  völlig  nacktes 
I    Kind  von  zirka  3  Jahren. 

Ein  Lendenschurz  aus  Bastschnüren  für 
Knaben  ans  Deutsch-Ostafrika  ist  auf  Ab- 
bildung 279,  Kap.  XXXVII.  zu  sehen.  — 

Aus  Lukuledi  an  der  Küste  schrieb 
Wehrmeister:  Die  Bekleidung  der  Kinder  ist 
sehr  einfaah  und  oft  mangelhaft,  Xach  dem 
3.  Jahr  wird  ein  Stückchen  vom  abgetragenen 
Kleid  des  Vaters  oder  der  Mutter  abgerissen, 
um  dem  kleinen  Knaben  als  Kleidungsstück  zu 
dienen.  Das  Mädchen  bekommt  von  der  Mutter 
schon  früher  ein  Stück  Zeug  um  den  Leib, 
das     an     einer    Perlenschnur    befestigt    ist1). 

Aus  Peramiho,  Post  Sougea.  im  Innern 
des         südlichen 


Deutsch  -  Ost- 
afrika, lautet 
eine  briefliche  Mitteilung  des  Missionars  F.  Hai 'irr: 
Zur  Zeit,  wenn  die  Kinder  das  Gehen  lernen,  läßt 
man  sie  noch  ganz  nackt;  höchstens  daß  ihnen  eine 
Schnur  oder  ein  Band  aus  (ilasperlen  um  die  Hüfte 
gebunden  wird.  Die  Mädchen  tragen  dieses  Band 
am  Hals.  Auch  dann,  wenn  die  Kinder  schon 
so  weit  sind,  daß  sie  mit  ihren  Altersgenossen 
tagelang  nach  Gutdünken  umherstreichen,  ist  ihre 
Kleidung  meist  so  mangelhaft,  daß  kaum  das 
Geschlechtsglied  bedeckt  ist.  Dieser  Mangel  ist 
schuld,  daß  die  Kinder  vielen  Krankheiten,  nament- 
lich Erkältungen,  ausgesetzt  sind,  die  zur  Regen- 
zeit oft  tödlich  verlaufen. 

Einen  Schurz  als  einzige  Bekleidung  der 
deutsch -ostafrikanischen  Wasagara-Kinder  er- 
wähnte Andree. 

Ein  Gesäßschurz  istnachJBernnarm  dieeinzige 
Bekleidung  bis  zum  mannbaren  Alter  der  YVagogo, 
ein  deutsch-ostafrikanischer  Bantu-Stamm  nörd- 
lich und  nordwestlich  von  den  Wasagara. 


Fig.  34n.    Kinder  aus  Deutsch -Ost- 
afrika.   Mission  der  Vater  vom  hl. 
Geist. 


■i   über  Schmuck  siehe  §  269. 


§268.    Die  Kleiduug  des  heranwachs.  Kindes  bei  malayisch-polynesischen  Völkern  usw.      313 

Die  AV a h im a- Kinder  in  Mpororo  an  der  Nordwestecke  von  Deutsch- 
Ostafrika  tragen  bis  zu  fünf  oder  sechs  Jahren  keine  Kleidung;  nach  dieser 
Zeit  ein  kleines  Fell  oder  einen  Zeugstreifen,  wie  Weiß  schreibt.  —  NiJco.  Fisch 
berichtet  von  den  Bahima1)  und  Baziba"-')  in  Kiziba,  daß  ihre  Kinder 
beiderlei  Geschlechtes  bis  zu  zehn  Jahren  nackt  herumlaufen,  und  nach 
Hermann  Fabry  lassen  die  Wapogoro  ihre  Kinder  bis  zu  zirka  vier  Jahren' 
unbekleidet;  höchstens  legen  sie  ihnen  eine  Hüftschnur  um. 

Ein  PerlenÜeck  ist  in  den  ersten  Jahren  das  einzige  Kleidungsstück  des 
Zulu-Knaben  in  Natal.  Erst  achtjährig  vertauscht  er  ihn  mit  einer  aus- 
giebigen Bedeckung,  dem  „umutsha",  welches  um  die  Lenden  gehängt  wird 
und  aus  einem  Hinter-  und  einem  Vorderteil  besteht.  Das  Hinterteil,  ibetshu 
genannt,  ist  ein  viereckiger  Fleck  aus  Ziegenfell;  das  Vorderteil,  isenene,  ein 
Bündel  Schafschwänze  oder  Riemen  aus  Ziegenleder.  Die  Mädchen  tragen  bis 
zum  Eintritt  der  Reife  einen  Fransengürtel  mit  Perlenrand,  isiheshe  genannt,, 
oder  die  „umayidika"  mit  Perlenfransen.  Mit  eintretender  Reife  folgt  eine 
ausgiebigere  Bekleidung. 

In  der  2.  Auflage  hatte  Floß  als  Bekleidung  der  Kaffer-Kinder  beider 
Geschlechter  (Stämme  wurden  nicht  angegeben)  ein  Stück  gefärbter  und  be- 
malter Haut  erwähnt,  das  nicht  ganz  bis  an  die  Kniee  reichte.  Statt  diesem 
gebe  es  auch  einen  Schurz  aus  schmalen  Lederstreifen. 

Die  Auin-Buschleute  bekleiden  ihre  Töchter  etwa  im  fünften  Jahr 
mit  Schamschürze  und  Mantel;  ihre  Söhne  mit  Schamlappen  und  Mantel. 

Bei  den  Nama-Hottentotten  geht  das  Mädchen  bis  zur  ersten 
Menstruation  völlig  nackt.  — 

§  268.  Die  Kleidung  des  heranwachsenden  Kindes  bei  malayisch-poly- 
uesischeu  Völkern,  Japanern,  Koreanern  und  Völkern  mit  isolierenden 
Sprachen,   sowie   bei   niehtarischen   Indern,   Urnl-A  Union,   Hyperboräern 

und  Indianern. 

Von  den  Batak  auf  Sumatra  berichtete  Frh.  von  Brenner,  daß  sie  ihre 
Kinder  etwa  bis  zum  siebenten  Jahr  nackt  lassen.  Kleider  sind  während 
dieser  Zeit  nur  dann   und  wann   zum  Schutz  gegen  die  Kälte  im  Gebrauch. 

Auch  auf  der  Sunda-Insel  Flores  laufen  die  größeren  Kinder  ge- 
wöhnlich noch  ebenso  nackt  umher  wie  die  kleinen. 

In  Holländisch-Neuguinea  gehen  beide  Geschlechter  etwa  bis  zum 
6.  Jahre  nackt,  worauf  das  Mädchen  einen  Schurz  oder  Kattun-Sarong,  der 
Knabe  eine  Tapabinde  erhält. 

In  Britisch-Neuguinea  erhalten  die  Mädchen  ihr  erstes  Kleidungs- 
stück, einen  Schurz,  im  4.  Jahr,  die  Knaben  gewöhnlich  erst  im  achten. 

Die  Kinder  der  Tauata  auf  der  Yule-Insel  (Britisch-Neuguinea) 
gehen  bis  zum  12.  oder  13.  Jahre  wie  die  Natur  sie  geschaffen  hat.  Aber 
auch  dann  verdient,  was  sie  umhängen,  nicht  den  Namen  Kleid.  F.  V.  Jf, 
Egidi  berichtet  nämlich,  daß  die  Frauen  bis  zu  wohl  vorgerückten  Jahren 
sich  mit  einem  1  cm  breiten  Stoffstückchen  begnügen.  Die  Männer  tragen 
zwei  Flecke  in  der  Größe  einer  halben  Kokosnuß,  von  denen  der  eine  nach 
vorn,  der  andere  nach  hinten  zu  hängen  kommt.  Ein  aus  feinem  Bindfaden 
gestrickter  Gürtel  hält  sie  zusammen.  Nur  außerhalb  ihres  Dorfes  tragen  die 
Frauen  einen  gestrickten  Sack,  der  ihnen  rückwärts  (?)  vom  Kopf  bis  zu  den 
Knieen  herabfallt.  Begegnet  ihnen  ein  Fremder,  dann  ziehen  sie  ihn  nach 
vorn,  um  sich  zu  bedecken. 


'i   Wohl  nur  andere  Schreibweise  für  Wahima(?).     Fisch   zählt  die  Bahima  allerdings 
zu  den  Semiten;  nach    Weiß  sind  die  Wahima  Hamiten. 
2)  Nach  Fisch  sind  die  Baziba  Neger. 


314      Kapitel  XLL     Kleidung,  Schmuck  und   Haartracht  dec  heranwachsenden  Kindes. 

Auf  Nauru  erhalten  die  Kinder  ihr  erstes  Kleidungsstück,  ein  Palm- 
röckchen,  im  6.  oder  7.  Lebensjahr.  Nach  Eintritt  der  Pubertät  kommt  zu 
diesem  ersten  Röckehen  ein  zweites  von  dem  gleichen  Material.  Durch  die 
Missionäre  werden  jetzt  solche  Röckchen  teilweise  durch  Kattunkleider  ersetzt. 

Nackt  seht  ferner  die  heranwachsende  Jugend  auch  bei  jenen  Völkern, 
bei  welchen  die  Erwachsenen  völlig  nackt  sind,  z.  B.  bei  dem  Ost-Stamm 
der  Gazellen-Halbinsel  im  Bismarck-Archipel,  wo  beim  Eintreffen  der  ersten 


Fig.  346.    Ualayenmädchen.    Im  K.  Ethnographischen  Muteuui  in  München. 


Weißen  Schürzen  aus  Plättern  oder  Blattfasern  nur  beim  Tanzen  umgelegl 
wurden,  und  wo  sonst  nur  noch  die  Säuglinge  von  ihren  Müttern  in  einem 
Basttuch  herumgetragen  wurden. 

Ken  Kindern  auf  Tahiti  genügt  (wie  den  dortigen  Männern)  ein  Hemd. 
oft  nur  ein  Lendengurt,  als  Bekleidung. 

Aul  Samoa  besteht  die  Kleidung  der  Knaben  und  Mädchen  bis  zu  elf 
oder  zwölf  Jahren  in  einem  Lendentuche,  welches  bei  Knaben  vorn,  bei  Mädchen 
an  der  linken  Seite  gebunden  wird1). 


'i    Kleinere   Kinder  ^ehen   auch   nackt. 


§  268.    Die  Kleidung  des  heranwachs.  Kindes  bei  malayisch-polynesiscben  Völkern  usw.      315 


Unbekleidet  sitzt  die  kleine  Ballandella  anf  Abbildung'  347  im  Nacken  ihrer 
gleichfalls  völlig  nackten  Mutter  Turandurey,  einer  Australierin  am  Lachlan. 


■ 


Fi?  317.    Eine  Australierin  (Turandurey)  am  Lachlan  mit  ihrem  Töchterlein  (Ballandella).    Aus 
T.  L   Mitchells  „Three  Expeditione  into  the  Iuterior  of  Eastern  Austialia".    London  1838,  Vol.  II. 

Das  Kind  des  Japaners  wird  mit  vier  Jahren  nach  Art  der  Erwachsenen 
bekleidet.  Die  Söhne  der  Samurai  erbalten  in  diesem  Alter  von  ihren  Paten 
auch  einen  Zeremonienanzug  mit  den  Bildern  von  Kranichen  und  Schildkröten, 
Symbole  eines  langen  Lebens. 


316      Kapitel  XLI.     Kleidung,  Schmuck  und  Haartracht  dej  heranwachsenden  Kindes. 

Auf  Korea  laufen  die  Kinder  bis  zum  9.  oder  10.  Lebensjahre,  öfters 
noch  läuger,  nackt  oder  höchstens  mit  einer  kurzen  Jacke  bekleidet,  herum, 
welche  die  Hälfte  des  Oberkörpers  frei  läßt.  Nur  die  Kinder  der  Getauften 
sind  bekleidet,  doch  versicherten  die  Missionäre  nach  H.  G.  Arnous  in  Fusang. 
die  Erfüllung  dieses  Wunsches  mache  besondere  Schwierigkeiten. 

Bei  den  Tschinivan  auf  Formosa  tragen  die  Kinder  auf  der  Brust  ein 
Stückchen  Tuch,  sind  aber  sonst  ganz  nackt  (Kisah  Tamai). 

Die  Kinder  vornehmerer  Chinesen  sind  iu  Seide  gekleidet,  jene  der 
gewöhnlichen  Bauern  in  Kattun,  die  ärmsten  aber,  deren  es  sehr  viele  gibt, 
gehen  im  heißen  Sommer  bloß1)  und  sind  im  kalten  Winter  nur  mit  einigen 
schmutzigen  Lappen  behangen.  Da  der  Chinese  das  Bunte  liebt,  so  hat  jedes 
Kleidungsstück  auch  schon  der  Kinder  eine  andere  Farbe.  Besonders  erinnern 
die  kleinen  Mädchen  an  schöne  bunte  Schmetterlinge.  Aber  auch  die  Knaben 
tragen  rot,  blau,  grün  oder  bunt,  Nach  Stern  sind  die  Mädchen  wie  die 
Frauen  in  weite  Pumphosen  und  weiten  Oberrock  gehüllt, 

Nach  dem  „Globus"  (Bd.  55,  S.  381)  gehen  viele  Chinesenmädchen, 
besonders   in   Peking,   bis   zum    10.  Jahr   in   Knabenkleidung:    Das   sei  in 


Fig.  3»s.     Japanische  Schnitzereien  aus  Elfenbein.    Im  K.  Ethnographischen  Museum  in  München.,; 

Familien,  denen  Knaben  versagt  sind,  allgemeiner  Brauch.  —  Ein  vollständiger 
Anzug  wird  dem  Chiuesenkind  der  Provinz  Kan-su  schon  nach  dem  ersten 
Lebensmonat,  d.  h.  nach  seiner  Anerkennung  durch  seinen  Vater-),  gemacht. 
Dieser  Anzug,  welcher  aus  Beinkleid,  .lacke,  Mütze  und  Schuhen  besteht,  ist 
ein  Geschenk  der  Großeltern  des  Kindes  mütterlicherseits. 

Auch  bei  den  prä-chinesischen  Miao,  deren  Frauenkleider  die  Chinesen 
wegen  des  ausgeschnittenen  Halses  und  der  freilassenden  Waden  ärgern,  sind 
die  Kinder  schon  vom  zartesten  Alter  an  nach  Art  der  Erwachsenen  ge- 
kleidet (A.  Schotter). 

Wie  die  ärmere  Bevölkerung  in  China,  so  lassen  die  Tongkinesen  ihre 
Kleinen  im  Sommer  meist  nackt,  oder  nur  mit  einem  bis  zu  den  Knieen 
reichenden  Hemdchen  bekleidet  uniherlaufen  (//.  Seidel). 

Auch  in  Kambodja  laufen,  nach  K  Aymonier,  die  Kinder  den  ganzen 
Tag  völlig  nackt  umher,  die  Kleinen  unter  der  Aufsicht  der  Größeren. 

Die  Thai  bekleiden  ihre  kleinen  Kinder  zur  Winterszeit  mit  einem 
Hemdchen,  welches  so  lange  getragen  wird,  bis  es  in  Lumpen  am  Leibe  hängt. 


'>    Dols  berichtet  aus  der  Provinz  Kan-su,  daß  dort  die  Kinder  iu  der  heißen  Jahres- 
zeit bis  zu  zehn  Jahren  unbekleidet  gehen. 
*)  Vgl.  Kap.  IV. 


§  268.    Die  Kleidung  des  lieranwachs.  Kindes  bei  malayisch-polynesischen  Völkern  usw.      317 

Während  der  schönen  Jahreszeit  aber  durchlaufen  die  Kinder  die  Wälder, 
bekleidet  nur  mit  dem  Hauch  des  Zephirs  und  dem  Sonnenlicht,  wie  Bourlet 
sich  so  hübsch  ausdrückt.  Hat  jedoch  ein  Mädchen  das  sechste  Lebensjahr 
hinter  sich,  dann  macht  ihm  die  Mutter  einen  weiten  Rock,  der  wulstig  um 
die  zarten  Hüften  geschlungen  und,  damit  er  nicht  abgleite,  mit  einem  weißen 
Gürtel  zusammengehalten  wird.  Bourlets  Abbildungen  im  „Anthropos1)  zeigen 
uns  (auch   kleine  Knaben   in   weiten  Beinkleidern2)  und  Jacken,   wie  sie  von 


Fig.  349.    Cuiuesenkind.    Im  K.  Etluiograpkisclieii  Museum  in  München. 


Männern  getragen  werden;  ebenso  stehen  schon  kleine  Mädchen  in  der  Tracht 
der  Erwachsenen  vor  uns.  Als  Kopfbedeckung  haben  einige  Mädchen  ein  über 
die  Ohren  und  unter  dem  Kinn  durchgeführtes  Tüchlein,  wie  unsere  Bauern- 
mädchen; einige  Knaben  ein  turbanartig  um  den  Kopf  geschlungenes  Tuch; 
andere  wieder  lassen  diesen  unbedeckt.  Graziös  nimmt  sich  ein  Studentlein 
in  seinem  weißen  losen  Gewand  aus,  das  dem  Rochette  der  katholischen 
Priester  gleicht,  und  unter  welchem  die  dunklen  weiten  Beinkleider  mehr  als 
einejHandbreite  hervorsehen.     Die  Füße  sind  bloß. 


»)  Bd.  IL 

')  Vgl.  Fig.  350. 


318      Kapitel   XLI.     Kleidung.  Schmuck  und  Haartracht  des  heranwachsenden  Kindes. 


Die  Tracht  eines  Mädchens   aus   den  Bergstämmen  der  Laos  im  nörd- 
lichen Siam  sehen  wir  in  Fig.  351. 

Über  die  Kinder  der  Katschin  in  Birma  schreibt  Gilhodes:  Sie  werden 
früh  bekleidet.  Zunächst  legt  der  Knabe  freilich  nur  seinen  Säbel  und  seine 
Tasche  (havre-sac),  ein  unumgängliches  Anhängsel  der  Katschin.  um.  Das 
kleine  Mädchen  legt  sich  vor  allem  Perlhalsbänder,  Binsenarmbänder  und  erst 
danu  eine  Weste  an.  Allmählich  vervollständigt  sich  hierauf  das  Kostüm. 
Zwischen  fünf  und  sechs  Jahren  gehört  sich 
eine  Bekleidung  für  alle.  Wohlhabende 
Familien  verschaffen  eine  solche  ihren 
Kindern  eher  als  arme.  Die  Tracht  ist  von 
da  an  für  die  kleinen  Mädchen  die  gleiche 
wie  für  die  Erwachsenen,  d.  h.  eine  dunkel- 


Fit 


360.     Sianiesenknabe.     Modell   im   K.    Mu- 
seum für  Völkerkunde  in  Berlin. 


Fi«. 


361.      Lao-  M  ;>  d  c  hen,    s  i  d  m. 
Kimningera  phot. 


Josef 


blaue  Weste,  welche  vorn  übereinandergeht  und  etwas  noch  unter  dem  Gürtel 
herunterhängt.  Um  die  Hüften  wird  ein  buntes,  bis  zu  den  Knieen  reichendes 
Tuch  geschlungen.  Auch  der  Ausputz  dieser  beiden  Kleidungsstücke  ist  im 
allgemeinen  für  groß  und  klein  gleich;  nur  ersetzt  man  die  Weihe  silberner 
Knöpfe,  welche  den  Halsausschnitt  der  Erwachsenen  zieren,  bei  den  kleinen 
Mädchen  durch  Hemdknöpfe ')• 

Nackt  lassen  wieder  die  Todas,  Nichtarier  im  südlichen  Indien,  ihre 
Kinder  bis  zu  einem  gewissen  Alter.  HarJcneß  führt  uns  eines  auf  dem  Titelblatt 
seines  Buches  ,.The  Neilgherry  Hills"  vor.  — 

»)  Die   Katschin  sind  nach  Ch,  Gilhodes  wahrscheinlich  aus  Tibet  eingewandert. 


§  2ti8.    Die  Kleidung  des  heranwuchs.  Kindes  bei  iralajiseh-polynesisehen  Völkern  usw.      319 


Zu  den  Ural-Altaien  übergehend,  sehen  wir  die  Kinder  der  Kalmücken 
bis  zum  siebenten  Jahr  ..fast-  nackt  umhergehen  wie  Ploß  in  der  2.  Auflage 
schrieb.  Nur  bei  Kälte  wirft  man  ihnen  Schafpelze  um  und  zieht  ihnen  Filz- 
Strümpfe  an.  —  Auch  die  Burjaten  hüllen  ihre  Kinder  nur  im  "Winter  in  Schaf- 
pelze; während  der  warmen  Zeit  lassen  sie  sie  bis  zum  fünften  oder  sechsten 
Jahre  nackt  gehen. 

Das  Kirghisen-Kind  erhält,  sobald  es  gehen  kann,  statt  des  früheren 
Hemdchens.  die  Kleidung  der  Erwachsenen.  Das  gleiche  berichtete  De  Dobbeler 
von  den  Samojeden. 

Von  einem  fünfjährigen  Tungusen -Knaben,  den  Middendorf  im 
Winter  in  Pelz  gehüllt  sah,  schrieb  dieser:  Kr  erscheint  breiter  als  hoch. 
Seine  Pelzverpackung  hindert  ihn,  die  Arme  niederznklappen;  sie  stehen  hori- 
zontal ausgespreizt,  einer  Erbsenseheue  täuschend  ähnlich.  Die  Mütze  ließe 
einen  minimalen  Teil  des' Gesichtes  frei,  wenn  nicht  auch  dieser  hinter 
einer  Eichhorn-Boa   versteckt  worden   wäre. 

Die  Kinder  der  Tschuktschen  gleichen 
in  ihrer  reichlichen  Kleidung  nach  Nordi  n- 
shiöld  einer  Fellkugel.  Im  Zelt  aber  sind  sie 
völlig  nackt,  und  von  hier  aus  laufen  sie 
bisweilen  auch  so  hinaus,  um  sich  zwischen 
den  Zelten  herumzutummeln.  selbst  bei  einer 
Temperatur  unter  dem  Gefrierpunkt.  —  Von 
den  Kindern  der  Kenntier-Tschuktschen  im 
sibirischen  Anadyrbezirk  schrieb  Cremat: 
Sie  tragen  die  gleiche  Kleidung  wie  die  Er- 
wachsenen. Man  verfertigt  sie  aus  Kenntier- 
fellen  mit  dem  Haar  nach  innen.  Sie  besteht 
aus  einer  Jacke  mit  Baschlik  und  Ärmeln, 
Hosen  und  Stiefeln.  Für  die  Exkremente  läßt 
man  in  der  Hose  einen  Einschnitt.  Bei 
kleinen  Kindern  befestigt  man  zwischen  den 
Beinen  eine  Art  Sack  aus  Renntievhaut. 
Infolgedessen  können  die  Kinder  nur  mit 
gespreizten  Beinen  gehen  und  nicht  mehr 
allein  aufstehen,  wenn  sie  fallen. 

Die  Ainos  lassen  ihre  Kinder,  wenig- 
stens in  der  wärmeren  Jahreszeit,  bis  zum 
achten   Jahre   nackt    gehen,    worauf    auch   sie    sie   wie   Erwachsene    kleiden. 

Die  zur  Tinneh-Familie  gehörigen  Carrier-Indianer,  die  zu  Harmons 
Zeit  während  des  Sommers  selbst  oft  ganz  nackt  gingen,  und  unter  denen 
heutzutage  noch  alte  Männer  so  gefunden  werden,  ließen  früher  auch  ihre 
Kinder  nackt  umhergehen.  Jetzt  tragen  die  Knaben  schon  unter  5 — 6  Jahren 
Beinkleider.     Diese  sind  kuopflos,  vorn  und  hinten  offen  (Morice). 

Nackt  gingen  die  kleineren  Kinder  wohl  auch  anderer  nordamerikanischer 
Stämme,  bei  denen  die  Erwachsenen  sich  in  Felle  oder  Matten  kleideten. 
Wenigstens  finden  wir  in  der  für  Schulen  bestimmten  Egglestonschen  „History 
of  the  United  States  and  its  People"  zehn  nackte  Indianer-Kinder  beim  Wild- 
und  Wolf-Spiel. 

Jedenfalls  war  das  bei  den  Indianern  in  „Neu-Niederland"  (jetziger 
Staat  New  York  ?)  der  Fall.  Denn  von  deren  Töchtern  schrieb  Dapper,  sie 
seien  zu  Heinrich  Hudsons  Zeit  bis  zum  13.  Jahre  nackt  gegangen. 

Die  Töchter  der  alten  Mayas  in  Zentral-Amerika  hatten  nach  Ploß') 
eiuen    langen   Streifen    weißen   Baumwollstoffes    über    die   Schultern    hängen, 

')  2.  Aufl.  I,  260  f. 


Fig.    152.     Kleiner  Prinz  aus  Si am.     Im  K. 
Ethnograph.  Museum  in  München. 


320      Kapitel  XLT.     Kleidung,  Schmuck  und  Haartracht  der  heranwachsenden  Kindes. 

welcher  vorn  und  hinten  durch  eine  Hüftenschnur  gezogen  wurde,  so  daß  die 
Mädchen  ganz  anständig  bedeckt  waren.  -  -  Bei  dieser  Mitteilung  handelt  es 
sich  aber  wahrscheinlich  um  gereifte  Mädchen;  denn  Bancroft  schrieb,  daß 
die  Kinder  in  Yukatan  bis  zu  vier  oder  fünf  Jahren  nackt  gingen,  worauf 
■die  Knaben  ein  „breech-clout"  (Beinkleid  ?)  und  die  Mädchen  ein  Röcklein 
•erhielten.  In  Guatemala  habe  man  die  Kinder  bis  zu  acht  oder  zehn  Jahren 
unbekleidet  gelassen.  --  Guatemala  und  Yukatan  waren  aber  meines  Wissens 
mit  Mayas  bevölkert. 

Ein  hübsch  gemustertes  Kinderhemdchen  hat  Walter  Lehmann  aus 
Guatemala  gebracht.     Eine  Abbildung  folgt  hiermit  als  Fig.  353. 

Was  die  Bekleidung  der  Kinder  der  Azteken  (Mexikaner)  betrifft,  so 
hat  im  Codex  Mendoza  bereits  ein  dreijähriges  Kind  um  den  Hals  ein  Tuch 


1 4p  <S*  <&•  ^jQ&zi 


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»Fig.  353.     Kimlerhenidchen   aus  Guatemala.     Sammlung  Walter  Lehmann  im   K.  Ethnograph.  Museum   in 

M  u  ii  f  li  e  li. 


gebunden,  das  den  vorderen  Teil  des  Rumpfes  bedeckt.  Auch  ein  vierjähriges 
hat  diese  Hülle,  während  zwei  fünfjährige  ihre  Blöße  nicht  bedeckl  haben. 
Zwei  dreizehnjährige  tragen  als  einzige  Bekleidung  bei  der  Arbeit  Scham- 
gürtel. Ganz  entblößt  sind  Kinder  im  Alter  von  8 — 11  Jahren,  welche  eben 
gezüchtigt  werden.  Die  Entblößung  bezweckt  hier  wohl  eine  Verschärfung 
•der  Strafe. 

Nach  Doypper  gingen  zur  Zeit  der  Entdeckung  die  Mädchen  auf  Cuba 
und  den  B a h am a -Inseln  bis  zum  Eintritt  der  Reife,  das  männliche  Geschlecht 
auch  nachher  nackt;  nur  bei  ihren  Festen  und  zum  Krieg  bekleideten  und 
schmückten  sie  sich. 

Bei  den  jetzigen  Toba-Indianern  gibt  es  Kinderjacken  aus  Wildkatzen- 
fell, wie  Abbildung  354  zeigt. 

Die  .lugend  der  Guarayos  und  Siriones  in  Bolivia  fing  erst  um  die. 
Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  an,  sich  in  baumwollene  talarartige  Gewänder 
zu  hüllen.     Früher  ging  groß  und  klein  nackt  (Cortes). 

Zum  Schluß  sei  noch  der  Kinder  der  feuerländischen  Onas  gedacht, 
welche  nach  Ifrederick  a  Cooles  Ausdruck  „nackt  oder  fast  nackt"  im  Schnee 


§  2ö'J.     Schmuck  des  heranwachsenden  Kindes. 


321 


herumlaufen.  Der  von  Cook  in  seiner  „ersten  Südpolarnacht"  auf  Seite  28 
abgebildete  Knabe  ist  indes  in  einen  Pelz  gehüllt,  der  vom  Hals  bis  unter  die 
Kniee  reicht.  Seite  12  des  gleichen  Werkes  zeigt  uns  drei  ganz  nackte 
Burschen,  und  ihnen  zur  Seite  sitzen  ein  vierter  und  fünfter,  die  von  den 
Hüften  abwärts  einen  bis  zu  den  Knöcheln  reichenden  Stoff  sackartig  um- 
schlungen tragen.  Auch  diese  fünf  Knaben  sind  als  „feuerländische"  be- 
zeichnet. — 


Fig.  354.    Vorderansicht  einer  Kimlerjacke  aus  Wildkatzenfell  bei  den  Toba-Indianern  am  Vermejo 
ond  Pilcomayo,   argentinischer  Chaco   und   Paraguay.     Im  Museum  I.   K.  H.  Prinzessin  Therese 

von  Beyern- 


§  2(i9.    Schmuck  des  heranwachsenden  Kindes '). 

Katharina  Zltelmann  erzählt  in  ihrem  ..Indien'-,  es  sei  ihr  ein  kleines 
Hindu-Mädchen  vorgeführt  worden,  das  mit  Ketten  und  Spangen  behängt  war. 
Solchen  Schmuck  erhält  das  Hindu-Mädchen  schon  am  sechsten  Tag  nach 
seiner  Geburt.  Wo  es  an  den  hinreichenden  Mitteln  zum  Ankauf  eines  silbernen 
fehlt,  begnügt  man  sich  mit  einem  Schmuck  aus  Messing  oder  Eisen,  zumal 
er  ja  auch  böse  Geister   fernhalten  soll  und  das  Eisen,  wie  schon  in  einem 


')  Vgl.  Nasen-,  Lippen-  und  Ohrenschmuek  in  Kap.  XXX VII. 
Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.     Bandit. 


21 


322     Kapitel  XLI.     Kleidung,  Schmuck  und  Haartracht  des  heranwachsenden  Kindes. 

früheren  Kapitel  erwähnt  worden  ist,  im  Aberglauben  der  Vergangenheit  und 
Gegenwart  bei  Juden  und  anderen  Völkern  eine  gewichtige  Rolle  spielt.  — 
Zitehnann  erwähnt  feiner  ein  dreijähriges  Kind  mit  gefärbten  Augenlidern 
und  einem  Rock  und  Käppchen  aus  Goldbrokat.  Der  Schmuck  eines  kleinen 
Hindu-Mädchens  bildet  bereits  eineu  Teil  seiner  späteren  Aussteuer.  Bei  wohl- 
habenden Familien  vermehrt  er  sich   mit  den  Jahren  immer  mehr  und  mehr. 


Fig.  356.    Halskette  für  Kinder  bis  zu  einem  Jahr.    Aus  dem  Gorakhpur-Distrikt ,  nördliches  Indien. 
Im  K.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 


Fig.  856.     Hölzernes  Armband  für  Kinder  in  Bengalen.     Im  K.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 


Zitehnann  versichert  uns,  sie  habe  in  ihrem  Leben  keine  größere  Fülle  an 
Schmuck  gesehen  als  in  dem  Haus  eines  indischen  Muselmannes,  der  Rechts- 
anwalt war  und  eine  einzige  Tochter  hatte:  Eine  Menge  Halsketten,  Arm- 
and Ohrringe,  Fuß-  und  Haarspangen,  alles  von  edelstem  Gold  und  reich  mit 
Edelsteinen  verziert. 

Einen  weniger  kostbaren  Schmuck  aus  Tndien  sehen  wir  in  den  Figuren 
355,  356  und  -">57  abgebildet,  von  denen  355  auch  noch  andere,  als  nur  ästhe- 
tische Zwecke  haben  dürfte,  was  vielleicht  einerseits  aus  der  für  das  Kind 


§  269.     Schmuck  des  heranwachsenden  Kindes. 


323 


festgesetzten  Altersgrenze,  und  anderseits  aus  der  kleinen  Muschel  und  der 
länglichen  Figur  an  der  Halskette  gefolgert  werden  darf. 

Ein  geschmücktes  Singhalesen-Kind  aus  Ceylon  führte  uns  Emil 
Selenka ')  vor.  Es  trägt  ein  Perlenhalsband  und  eine  Halsschnur  mit  Amulett2). 
In  den  Rändern  der  Ohrmuscheln  sowie  in  den  Nasenflügeln  sind  silberne 
Zierate  befestigt.  —  Glasperlen  und  Amulette  am  Kopftuch  der  Kinder  in 
Farsistan  sind  in  §  267  erwähnt  worden. 

Aus  Algier  veröffentlichte  Selenka  das  Bild  einer  kleinen  geschmückten 
Aristokratin3).  Das  Mädchen  trägt  einen  Brustschmuck  aus  zahlreichen  münzen- 
artigen Scheibchen,  die  wohl  aus  Edelmetall  gefertigt  sind.  Das  hübsche 
Gesichtchen  ist  durch  eine  an  beiden  Seiten  herabfallende  Kette  und  durch 
Perlenfransen  umrahmt,  die  wie  jene  an  der  Kopfbedeckung  befestigt  sind. 


Fig.  357 


Indische  Perlenschnur  aus  Dschaipur,  Radschputana,  von  beiden  Geschlechtern  getragen. 
Im  K.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 


Die  Perlenfransen  fallen  auf  die  Stirne  herab.  Die  Kopfbedeckung  selbst 
besteht  in  einem  über  den  Rücken  und  die  Schultern  herabwallenden  Schleier 
mit  geschmackvoller  Zeichnung. 

In  Mursuk,  der  Hauptstadt  von  Fessan,  sah  Lyon  zwei  Töchterchen 
des  Sultans  Mukni  mit  barbarischer  Pracht  gekleidet  und  geschmückt.  Um 
die  zarten  Hand-  und  Fußgelenke  der  eineinhalb-  bzw.  dreijährigen  Mädchen 
waren  so  schwere  Goldreife  geschlungen,  daß  deren  Gewicht  an  den  auf- 
liegenden Stellen  schwielige  Ringe  gezogen  hatte.  Kostbarer  noch  war  der 
vierjährige  Prinz  beladen.  Dieser  Schmuck  sollte,  wie  bei  dem  früher  erwähnten 
Hindu-Mädchen,  zugleich  vor  bösen  Mächten  schützen.  Der  Knabe  trug  nämlich 
zahlreiche   goldgefaßte  Talismane;  seine  Mütze  war  mit  Edelsteinen  besetzt, 


')  In  „Der  Schmuck  des  Menschen'-.  Berlin  1900,  S.   19. 

2)  Die    Amulette   sind   wohl    nicht   zugleich   als   Schmuck,    sondern    ausschließlich    als 
Schutzmittel  aufzufassen. 

*)  Der  Sehmuck  des  Menschen,  S.  39. 

21* 


324     Kapitel  XLI.     Kleidung.  Schmuck  und  Haartracht  des  heranwachsenden  Kindes. 


deren   Goldfassung   in   Gestalt   offener  Hände   die   schlimmen   Wirkungen   des 

„Bösen  Auges"  abhalten  sollte  (vgl.  Kap.  VI). 

Die  halbwüchsigen  Burschen  der  Bambara,  französischer  Sudan,  welche 

J.  M.  Henry  uns  als  Illustration  zu  ,.Le  Culte  des  Esprits  chez  les  Bambara"1) 
vorführt,  haben  Perlen-  und  andere  Schnüre  um  den  Hals,  an 
denen  bei  einem  eine  Quaste  und  ein  Bing  befestigt  sind;  die 
Arme  sind  mit  einem  oder  mehreren  Reifen  geschmückt;  ein 
Knabe  trägt  einen  Kopfreif;  zwei  haben  ihre  Lendentücher 
verziert. 

Kopfreife  mit  kleinen,  auf  der  Stirn  aufliegenden  An- 
hängseln haben  ferner  die  beiden  Pen  hl,  welche  Brun  in  seinem 
Gruppenbild      aus      dem 


Fig.  358.  Hals- 
schmuck im 
Hinterland  von 
Togo.  Im  Mu- 
seum fiir  Völker- 
kunde in  Leip- 


2)  aufgenommen 
hat.  Einer  der  beiden 
Knaben  ist  mit  einer  über 
die  Brust  herabhängenden 
Schnur  mit  Amuletten  und 
einer  etwas  kürzeren 
Perlenschnur,  beide  außer- 
dem mit  einem  enger  an- 
liegenden Halsreif  ge- 
schmückt. 

Die    Togonegerin 
beladet     ihr     Kind     mit 
Schmucksachen,  wie  Klose 
berichtet.    Nach  R.  Bütt- 
ner  besteht  der  Schmuck 
eines  zirka  zwölfjährigen 
Backfisches    aus    Adeli, 
Togohinterland,    aus 
folgendem:   Zwei   Perlen- 
reihen trägt  das  Mädchen 
um  den  Hals;  eine  andere 
Doppelreihe  um  die  Huf- 
enganschließende     Perlenschnüre 
den  Knieen    und    oberhalb    der 
eine  Anzahl   blank  geputzter 


ten; 
unter 
Knöchel 

Messingringe  um  einen  Oberarm  und  um 
die  Armgelenke;  ein  Lederband  (Fetisch- 
zeichen?) um  den  linken  Oberarm  und,  als 
neue,  von  der  englischen  Küste  eingeführte 
.Mode.  Stahlketten  um  den  rechten  Ann 
und  die  Hüften.  Das  eine  Ende  der 
Hüftenkette  hängt  bis  zum  Knie  herab. 
Eine  andere  Art  Halsschmuck 
aus  dem  Togohinterland  ist  auf 
Figur  358  zu  sehen,  während  uns 
Figur  359  Schmuck-  und  Kleidungs- 
stücke für  Kinder  an  derSklavenküste, 
in  den  Haussa-Staaten  und  im  eng- 
1  chen  Ostafrika  irkamba)3)  vorführt. 

I)   Im   ...\iitliK.|Mis-   III.  710. 
'•'i  Im  „Anthropos'-  II.  722. 
aJ  Bewohner  „Wakamba". 


Fig.  3r>9.  Schmuck  und  Kleidung  für  Kinder: 
Links  Schmuck  beiden  Bell  an  der  Sklavenküste ; 
rechts  oben  ein  Kinderschurz  aus  blauer  Baum- 
wolle bei  den  Haussa;  darunter  ein  Schurz  für 
Wakamba- Mail  chen  im  Alter  von  1—4  Jahren. 
Im  Museum  fiir  Völkerkunde  in  Leipzig. 


§  269.     Schmuck  des  heranwachsenden  Kindes. 


325 


Im  südlichen  Kamerun  schmücken  die  jungen  Mädchen  der  Yaunde 
Finger.  Zehen,  Füße  und  Arme  mit  dünnen  Spangen  aus  Messing  und  Kupfer, 
oft  auch  mit  mehreren  Pfund  schweren  Eingen,  die  aber  jetzt  europäischem, 
hohlem  und  leichtem  Fabrikat  weichen  müssen  (Zenker). 

Die  Herero- Mädchen  tragen  um  Handgelenk  und  Hals  Ketten  aus  Eisen- 
perlen oder  bukhu- Wurzeln. 

Halsketten  als  Mädchenschmuck  finden  wir  auch  bei  den  Bergdamara. 

Über  den  Schmuck  der  Wa h im a-  Kinder  in  Mpororo, 
Nordwestecke  von  Deutsch-Ostafrika,  bemerkte  Weiß,  daß 
sie  Perlenketten  um  Hals  und  Handgelenk,  bisweilen  auch 
eiserne  und  kupferne  Ringe  um  Hand-  und  Fußgelenke 
haben. 

Die  Negerin  in  Madibira,  südliches  Deutsch-Ost- 
afrika, schmückt  schon  ihrem  »Säugling  die  Füßchen  mit 
kleinen  geschmiedeten  Schellen  und  die  Haare  mit  Glas- 
perlen (Häf liger.     Vgl.  Fig.  41,  Kap.  V). 

Mit  einer  Schnur  Glasperlen  schmückt  auch  die  ost- 
afrikanische Makua-Mutter  bereits  ihren  Säugling. 

Auch  am  Hals  der  Matambwe-Kinder  schimmert 
bereits  eine  Schnur  von  Glasperlen,  wenn  sie  sich  noch 
nackt  herumtummeln. 

DieKaffern-Kinder  behängt  man,  von  Amuletten  ab- 
gesehen, mit  Ringen,  Halsketten,  Arm-  und  Beinspangen. 
Wurzeln,  Zähnen  u.  a.  m.  — 

Die  Ho  wa- Kinder  auf  Madagaskar  haben  um  Hals 
und  Arme  Schnüre  aus  Glasperlen. 

Die  nackten  Kinder  der  Batak  tragen  Schmuck 
verschiedener  Art,  welcher  hauptsächlich  aus  Silber  gearbeitet 
ist  und  nach  Frhr.  ron  Brenner  auf  der  braunen  Haut 
recht  vorteilhaft  wirkt.  Je  vermöglicher  die  Eltern,  desto 
kostbarer  und  mannigfaltiger  der  Schmuck.  Oft  sieht  man 
dickbäuchige ')  Knaben  mit  Halsreifen,  Armbändern.  Fuß- 
spangen und  spanischen  Dollars  behangen  herumlaufen. 
Einzelne  Kinder  haben  goldene  Hüftenketten  (vgl.  Fig.  atSl). 

Wenig  Schmuck  siehtman  an  der  japanischen  Jugend. 
Höchstens  eine  Papierblume  oder  eine  glänzende  Nadel 
tragen  die  Mädchen  im  Haar.  Von  der  „ganzen  Sonne 
funkelnder  Haarnadeln",  abgesehen  durch  welche  die  Damen 
der  Halbwelt  sich  als  käufliche  Ware  kennzeichnen,  ist 
nach  Seierika  in  Japan  überhaupt  kein  Halsgehänge,  kein 
Ringschmuck  weder  des  Kopfes  noch  der  Arme,  kein  Finger- 
ring und  keine  Agraffe  zu  entdecken.  —  Selenicas  „Schmuck 
des  Menschen'-  zeigt  uns  auf  Seite  50  zwei  Kinder  als 
„Ehrenwache'1  einer  Kurtisane,  von  denen  das  eine  allerdings  einen  aus- 
giebigen Kopfputz  trägt;  ob  die  Blumen  daran  aus  Papier  oder  aus  einem 
andern  Material  sind,  läßt  das  Bild  nicht  unterscheiden.  Seierika  meinte, 
Japan  huldige  in  seiner  kleidsamen  talarähnlichen  Nationaltracht  ohnehin  einem 
Behangschmuck. 

Um  so  mehr  Zierat  hängt  man  in  China  an  die  Mädchen.  Auf  dem  Kopf 
eine  Art  Diadem  mit  Behängen,  welche  zu  beiden  Seiten  bis  auf  die  Schultern 
reichen;  um  Hals  und  Schultern  einen  prächtig  gearbeiteten  Kragen,  der  in 
mehrfachen   Reihen   gestickter   Halbkreise   vorn   bis   unter   die   Brust   reicht, 


Sri 

1 

i 

Fig.     3<jü.  Oberarm- 

schmuck  aus  Perlen  bei 
deu  Wakamba,  Bri- 
tisch-Ostafrika.  Ira 
Museum  fürVölkerkunde 
in  Leipzig. 


')  Infolge  der  Überfiitterung  mit   Reis. 


326      Kapitel  XLI.     Kleidung,  Schmuck  und  Haartracht  des  heranwachsenden  Kindes. 

sowie  reich  gesticktes  Ober-  und  Unterkleid.  So  steht  die  Kleine  in  Ab- 
bildung 349,  wie  zur  Schau,  vor  uns.  Ohrringe,  Armbänder  und  Ringe  der 
Töchter  wohlhabender  Eltern  sind  aus  Silber  und  Gold;  ärmere  müssen  sich 
mit  dem  entsprechenden  Schmuck  aus  Glas  oder  Blech  begnügen  (Stenz). 

Die  Tongkinesen  hängen  ihren  kleinen  Kindern  ein  paar  Münzen  um 
den  Hals  (H.  Seidel). 

In  K  am  b  od  ja  sah  E.  Aymonier  kleine  nackte  Mädchen  mit  einem  herz- 
förmigen Silberschmuck  auf  dem  Bauche. 

Mit  Schmuck  beladen  beschreibt  GUhodes  die  beiden  Geschlechter  bei 
den  Katschin  in  Burma.  Anfangs  trägt  das  Mädchen  Armbänder  nur  aus 
Binsen  und  Halsbänder  aus  gewöhnlichen  Perlen;  dann  folgen  aber  silberne 
Halsringe,   deren  Anzahl    mit   ihren  Jahren   zunimmt,   bis   es  5 — 6  geworden 


Fig.  861.    Hüftenkette  für  kleine  Hatak -Madchen  von  2—4  Jahren,  die  im  übrigen  nackt  gehen.    Sumatra. 
IniJK.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

sind,  welche  teils  massiv,  teils  hohl,  teils  gewunden  sind.  Armbänder  schmücken 
ihre  Handgelenke,  reiche  Behänge  ihre  Ohren  usw.  usw. 

Dil'  Ainos  hängen  ihren  Kindern  gleich  nach  der  Geburt  ein  kleines 
Silber-  oder  Zinnornament  um  den  Hals.  Nach  PilsudsJn  schmücken  die 
Mütter  bei  den  Bärenfesten  ihre  Kinder  mit  japanischen  und  mandschurischen 
Goldgewändern  und  Umhängen  aus  moderner  Seide,  worauf  sie  sie  in  der 
Nähe  des  zum  Tod  bestimmten  Festbären  aufstellen.  — ■ 

Die  Kinder  der  alten  May a  in  Yukatan  trugen  bis  zu  ihrer  Taufe,  also 
bis  wenigstens  zum  dritten,  längstens  bis  zum  zwölften  Lebensjahr  einen  Haar- 
schmuck aus  Glasperlen.  (Über  die  Abnahme  dieses  Schmuckes  und  der  von 
den  Knaben  getragenen  Kopfbinden  vgl.  Kapitel  XV.) 

Koeh-Orwnberg schreibt  von  den  Kobeua  im  nordwestlichen  Brasilien, 
daß  die  Mütter  aus  zärtlicher  Liebe  zu  ihren  Kindern  diese  mit  allem  möglichen 
Schmuck  behängen.  Die  schönsten  Halsketten  aus  aufgereihten  Tierzähnen 
and  Pflanzensamen  und  mühsam  durchbohrten  Steinperlen  sehe  man  an  kleinen 
Kindern.     ..Durch  nichts  kann  man  sich  die  Eltern  und  besonders  die  Mütter 


§  270.     Haarfrisuren. 


327 


rascher  zu  Freundeu  machen,  als  wenn  man  ihr  Kind  mit  Perlen  beschenkt, 
die  sofort  auf  einen  Faden  gereiht  und  dem  Kleinen  um  den  Hals  gehängt 
werden,  was  stets  die  ganze  Familie  zu  lauten  Ausrufen  der  Bewunderung 
hinreißt."  Bei  jeder  Gelegenheit  wird  das  Kind  von  der  Mutter  bemalt;  teils, 
zum  Schmuck,  mit  Urucurot;  teils,  als  prophylaktisches  Mittel  gegen  den  bösen 
Katarrh  und  andere  Krankheiten,  mit  dem  Purpurrot  des  Cara3Turu. 

Die  Carajä -Indianerin  webt  ihren  Kindern,  wenn  diese  einige  Monate 
alt  geworden,  baumwollene  Knie-  und  Knöchelbänder;  etwas  später  Manschetten, 
um  die  Glieder  zu  stärken  und  zierlicher  zu  machen.  Auch  schmückt  sie  sie 
mit  Halsketten  und  sonstigem  Zierat  (vo>i  Koenigswald).  — 

§  270.     Haarfrisuren. 

Kapitel  XXXV  dieses  Bandes  hat  sich  mit  Haaropertionen  beschäftigt, 
denen  vorzüglich  religiös-soziale  Auffassungen  zugrunde  liegen.  Der  vorliegende 
Paragraph    hat   eine   weniger   wichtige  Aufgabe.     Er  will   das  Haar  nur  als 


«£%& 


■    V..  *'K    *    v 


Fig.  363.     Mailchen  auf  Korreor,   Deutsche  Karolinen,   beim  Frisieren.    Vom  Missionssekretariat  der 
rheinisch-westfälischen  Kapuzinerprovinz  Ehrenbreitstein  a.  Rh. 

Material  zum  Ausdruck  des  Modegeschmackes  ins  Auge  fassen.  Ob  diese 
Scheidung  möglich  ist  bei  Völkern,  deren  Seelenleben  wir  noch  immer  viel 
zu  wenig  kennen,  ist  freilich  eine  schwer  zu  beantwortende  Frage,  welche 
hier  lieber  unterbleibt.  Zudem  kamen  mir  bisher  verhältnismäßig  wenig  Mit- 
teilungen über  die  Frisuren  der  Kinder  als  Mode  oder  doch  rein  ästhetische 
Formen  unter  die  Augen.  Der  vorliegende  Abschnitt  fällt  also  kurz  aus;  eine 
Ergänzung  zu  ihm  wolle  sich  der  geschätzte  Leser  mit  der  Beachtung  der 
einschlägigen  Abbildungen  des  1.  und  2.  Bandes  verschaffen.  — 

Die  Töchter  der  Herer o  haben  fast  ganz  glattrasierten  Kopf.  Nur  am 
Hinterkopf  lassen  sie  einige  Haare  stehen,  an  denen  ca.  10  cm  lange,  dünne 
geflochtene  Ochsenschwanzhaare  befestigt  werden. 

Im  Süden  Deutsch-Ostafrikas  reiben  die  Wakisi,  Manda  und  andere 
Stämme,  welche  selbst  ihr  Haar  mit  Lehm  zu  kleineren  oder  größeren  Klößen 
ballen,  schon  ihren  kleinen  Kindern  ein  Gemisch  von  Lehm  und  Fett  in  die 
Haare  und  belasten  somit  die  kleinen  Köpfchen  (H.  Seidel). 

Die  Wahimakinder,  welche  uns  Weiß  im  ,,Globus"  (Bd.  91,  S.  165) 
vorführt,  tragen  das  Kopfhaar  teils  kurz,  teils  länger.     Im   letzten  Falle  ist 


328      Kapitel  XLI.     Kleidung.  Sehmuck  und  Haartracht  des  heranwachsenden  Kindes. 

es  in  kleine  Zöpfchen  geflochten,  die  rings  um  den  Kopf  herabfallen  und  (mit 
Muscheln  ?)  verziert  sind. 

In  Mombassa  sah  Wehrmeister  Mädchen,  die  ihre  Haare  mit  peinlichster 
Sorgfalt  in  Röllchen  gewickelt  hatten.  Wehrmeister  fügt  bei,  die  Schönheits- 
pflege scheine  bei  vielen  Schwarzen  weiblichen  Geschlechts  die  Lebensaufgabe 
zu  sein. 

Bei  den  Auin- Buschleuten  der  Kalahari-Wüste  flechten  die  Mädchen 
und  verheiratete  Frauen  gerne  Glas-  und  Eisenperlen  in  die  Haare  und  wenden 
eine  Art  Pomade  aus  verschiedenen  pulverisierten  Pflanzenteilen  an,  welche 
mit  Antilopenfett  gebunden  werden.  Auch  färbt  man  die  Haare  häufig  rot. 
Ob  sich  diese  Mitteilung  Hans  Kaufmanns  auch  auf  das  Mädchenalter  vor 
der  Pubertät  bezieht,  weiß  ich  nicht. 

Wenn  auf  Madagaskar  das  Howa-Kind  ungefähr  zwei  Jahre  alt  ge- 
worden ist  und  ohne  Hilfe  zu  gehen  beginnt,  dann  läßt  man  vielen  Knaben 
über  der  Stirne  einen  Haarschopf  wachsen.  Diese.  Frisur  hat  kein  Mädchen. 
Aber  es  gibt  auch  eine  Frisur,  welche  beiden  Geschlechtern  gemeinsam  ist. 
und  das  ist  ein  Haarschopf  auf  dem  Scheitel1)  (Camboue). 

Nach  Ernst  von  Hesse- Wartegg  tragen  auf  Samoa  Knaben  und  Mädchen 
bis  zu  elf  oder  zwölf  Jahren  die  Haare  mit  Ausnahme  einzelner  Haarbüschel 
kurz  geschoren.  —  Die  Kinder  der  im  Sommer  1910  in  Breslau  anwesenden 
Samoaner  hatten  wohl  kurz  geschorene  Haare,  aber  einzelne  Haarbüschel 
waren  nicht  vorhanden  (siehe  Fig.  131,  Kap.  XX). 

In  Korea  flicht  man  den  Kindern  beiderlei  Geschlechts  das  Haar  in 
einen  Zopf  und  läßt  diesen  über  den  Kücken  herunterhängen.  Sie  gehen 
immer  barhaupt  ( W.  G.  Arnous). 

Zöpfe  trägt  auch  die  chinesische  Kinderschar  beider  Geschlechter;  die 
Mädchen  bis  zum  15.  Lebensjahr,  worauf  die  schwarze  Haarfülle  eine  der 
wunderlichen  chinesischen  Haartrachten  annehmen  muß,  wie  wir  im  Globus 
(Bd.  65,  S.  382)  lesen.     Die  Knaben  behalten  ihren  Zopf  lebenslänglich2). 

In  Kambodja  rasiert  man  den  Kindern  die  Kopfhaare  bis  auf  eine  Locke 
auf  dem  Scheitel  (Äymonier). 

In  Tongkin  läßt  man  entweder  ein  dünnes  Scheitellöckchen,  oder  zwei 
Löckchen  über  den  beiden  Schläfen  unrasiert,  welche  dann  über  diese  herab- 
hängen (//.  Seidel). 

Bei  den  Katschin  in  Burma  tragen  die  kleinen  Kinder  ihre  Haare 
gewöhnlich  kurz.  Bald  aber  läßt  man  den  Knaben  auch  hier  einen  Schupf 
am  Wirbel  stehen,  den  sie  zeitlebens,  geschürzt  und  mit  einem  Kberzahn  ver- 
ziert, tragen.  Gekämmt  wird  er  selten.  —  Das  übrige  Kopfhaar  rasieren  sie 
bisweilen  ab.  --  Bei  den  Mädchen  wird  das  Haar  des  Vorderkopfes,  um  die 
mittlere  Stirne  herum,  geschnitten;  die  übrigen  Haare  läßt  man  lose  und  über 
die  Schultern  herunterfallen.  Erst  mit  25  —  30  Jahren  läßt  das  weibliche 
Geschlecht  das  ganze  Haupthaar  wachsen,  um  es  auf  dem  Scheitel  aufzuschürzen 
und  eine  Art  Turban  darüber  zu  tragen.  — 


')  Soramet  de  la  tete. 

i  Die  chinesischen   I  imvülzungeu  des  ausgehenden  Jahres  1911   erstrecken  sich   sogar 
auf  den  Zopf  des  Chinesen,  welcher  nun  bald  schwinden   wird. 


Kapitel  XLII. 

Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christliche  und 
vorchristliche   Erinnerungen.     Fruchtbarkeitskulte 

und  Verwandtes. 

§  27],  Wie  fremdartig  es  auch  klingen  mag,  es  ist  doch  so:  Die  Fest- 
freuden des  Christenkindes,  insofern  sie  nicht  absolut  religiösen  Inhaltes 
im  Geiste  Christi  sind,  gehen  heute  noch  zum  weitaus  größten  Teil  auf 
einen  vorchristlichen  Fruchtbarkeitskult  zurück.  Das  wird  durch 
dieses  und  das  folgende  Kapitel  bewiesen. 

Der  Inhalt  des  Festes  ist  durch  das  Christentum  ein  wesentlich  anderer 
geworden;  die  Form  ist  häufig  die  alte  geblieben  oder  hat  sich  doch  nicht 
wesentlich  verändert. 

Fassen  wir  z.  B.  den  Christbaum  ins  Auge,  unser  Symbol  des  geistigen 
Lebensbaumes,  Christi  selbst:  Er  ist  als  Baum  das  altheidnische  Symbol  der 
Fruchtbarkeit  und  deshalb  des  Frühlings  und  Sommers,  der  schönen  Jahres- 
zeit, deren  Ankunft  die  Menschheit  schon  vom  Tag  der  Wintersonnenwende 
an  sehnsuchtsvoll  erwartet.  Deshalb  begegnen  uns  in  §  275  Tannenzweige 
zu  Ehren  des  Gottes  Janus  beim  heidnischen  Neujahrsfest  in  Born,  und  der 
„Bechl-  oder  Weihnachtsboschen"  in  der  Salzburgischen  Waldordnung  läßt 
erraten,  daß  die  Tanne  auch  im  germanischen  Perchta-Kult  Ende  Dezember 
und  anfangs  Januar  eine  Bolle  spielte.  Formell  als  Zeichen  des  wieder- 
kehrenden Sommers  bezeichnet,  sehen  wir  Tannenzweige  in  §  280  am  Sonntag 
Lätare  in  den  Händen  der  Kinder  in  Mähren,  im  österreichischen  und  preußi- 
schen Schlesien,  und  schon  in  Kapitel  XXX IX.  §  258,  erfuhren  wir,  daß  die 
Jugend  der  Harzer  Bergstädte  am  Fest  des  hl.  Johannes  des  Täufers,  mit 
welchem  dort  und  anderwärts  Sommerfeste  mit  vorchristlichen  Bräuchen  zu- 
sammenfallen, um  große  Tannenbäume  tanzt,  die  mit  bemalten  Eiern  und  mit 
Blumen  geschmückt  sind1);  $  282  erwähnt  aus  Thüringen  einen  solchen  Oster- 
baum  mit  Frühlingsfeier. 

Doch  ist  nicht  etwa  nur  die  Tanne  das  Symbol  der  schönen  Jahreszeit, 
des  Lebens  und  der  Fruchtbarkeit,  sondern  der  Baum  überhaupt,  worauf  in 
diesem  Werk  übrigens  wiederholt  hingewiesen  worden  ist.  Daher  sehen  wir 
in  §  283  Birken,  mit  Blumen  und  Bändern  geschmückt,  als  „Pflngstquacke", 
Mädchen  als  Pappeln  verkleidet,  oder,  wie  Knaben  und  Männer,  in  Gras, 
Laub  und  Blumen  als  „Pfingstblumen"  u.  dgl.  gehüllt;  denn  nicht  nur  der 
ganze  Baum,  sondern  auch  einzelne  Teile  von  ihm.  d.  h.  Zweige  und  Blätter, 
ferner  Gras  und  Blumen  sind  Bilder  der  schönen  fruchtbaren  Jahreszeit,  Auch 
Pfähle  vertreten  den  ganzen  Baum  und  fungieren  als  .,Pfingstpfähle"  oder 
,.Pfingstbäume". 


')  Auf  das  Ei  und  den  hier  einschlägigen  Baumschmuck  überhaupt  komme  ich  später 
noch  zurück. 


330      Kap.  XLII.  Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 

Am  bekanntesten,  weil  am  meisten  gebräuchlich,  sind  die  Maibäume. 
Ihrer  ist  in  §  285  gedacht.  Hier  und  in  §  286  sehen  wir  zudem  abermals 
Kinder  und  Puppen  in  Blättern  und  Blumen  als  Personifikationen  des  Mai 
oder  der  schönen  fruchtbaren  Jahreszeit  überhaupt. 

Besonders  interessant  wirken  diese  Kinderfreuden,  wenn  wir  sie  im  Lichte 
des  Götterkultes  der  Mordwinen  bei  deren  Sommerfest  zu  Ehren  der  Göttin 
der  Fruchtbarkeit  und  ihres  Sohnes  (§  286)  betrachten.  Da  steht  der  hl. 
Baum  der  Göttin,  die  Birke,  auf  der  Opferstätte;  Birkenbäumchen  werden  mit 
dem  Gürtel1)  der  jungfräulichen  Führerin.  mit  Schärpen  und  Tüchlein  ge- 
schmückt, beim  Sammeln  der  Opfergaben  in  Prozession  herumgetragen;  die 
dem  Opfer  eines  Schafes,  des  Bildes  der  Fruchtbarkeit,  beiwohnenden  Mädchen 
halten  während  dieses  feierlichen  Aktes  der  versammelten  Gemeinde  bänder- 
geschmückte  Birkenzweige;  der  die  Opferzeremonie  leitende  Mann  befindet 
sich  auf  der  hl.  Birke,  von  wo  aus  er  mit  dem  Munde  Zweige  zur  Bekränzung 
der  Mädchen  wirft;  eine  Birke  am  fließenden  Wasser  ist  es.  die  von  Mädchen 
zuerst  geschmückt,  dann  von  ihnen  wieder  des  Schmuckes  beraubt  und  in  die 
Opferflamme  geworfen  wird2):  Alles  in  allem  ein  Kult  der  Birke,  ein  Baum- 
kult, ein  Kult  der  apotheosierten  Fruchtbarkeit. 

Diese  Tatsache  wird  durch  eine  Reihe  anderer,  teils  mit  den  obigen  eng 
verbundenen,  teils  ihnen  mehr  oder  weniger  fernstehenden  Bräuche  in  noch 
helleres  Licht  gestellt.  Unter  ihnen  ragt  das  Beschenken  der  Kinder  mit 
Eiern,  die  mannigfachen  Spiele  mit  dieser?  Eiern,  bzw.  deren  Verwendung, 
hervor.  Heuser  meinte  allerdings :!),  es  sei  nicht  klargestellt,  ob  unsere  Oster- 
eier an  einen  vorchristlichen  Brauch  anknüpfen;  allein  andererseits4)  zählte 
er  doch  die  Umzüge  der  Kinder  zum  Einholen  von  Eiern  und  anderen 
Gaben  zu  den  Festlichkeiten,  welche  „sich  aus  der  alten  Feier  vom  Siege 
des  Sommers  über  den  Winter  erhalten  haben".  —  Dieses  und  das  folgende 
Kapitel  erweisen  nun  beide  Bräuche  als  vorchristlich,  und  zwar  sind  es  wieder- 
um .  hauptsächlich  die  Mordwinen,  welche  uns  in  den  §§  277  und  285  den 
Schlüssel  zur  Lösung  beider  Fragen  bieten.  Das  Ei  als  Sinnbild  der  Frucht- 
barkeit ist  uns  allerdings  schon  in  früheren  Kapiteln  wiederholt  begegnet, 
doch  nicht  mit  der  in  §  286  ausgesprochenen  Deutlichkeit:  Das  Ei  kommt 
von  der  Henne  und  diese  ist,  wegen  ihrer  Fruchtbarkeit,  eben  wegen 
ihres  fleißigen  Eierlegens,  der  Liebling  der  Göttin  Ange  Patyai,  der  Göttin 
der  Fruchtbarkeit.  Deshalb  bilden  die  Eier  einen  so  wichtigen  Bestandteil 
der  Opfergaben,  welche  die  Töchter  der  Mordwinen  bei  ihrem  Umzüge  am 
Vorabend  ihres  Sommerfestes  sammeln;  deshalb  werdeu  diese  Eier  mit  dem 
bei  dieser  Gelegenheit  gesammelten  Mehl  und  Butter  zu  Opferkucheu  ver- 
wendet, diese  zuerst  dem  Birkengott  angeboten  und  dann  beim  gemeinsamen 
Opfermahl  verzehrt.  Auch  am  Vorabend  des  mordwinischen  Weihnachten 
gehören  Pfann-  d.  h.  Eierkuchen  zu  den  Gaben,  welche  von  den  Kindern 
nebst  Schweinshaxen,  Pasteten  in  der  Form  von  Schafen,  Schweinen  und 
Hühnern  (Sjmibole  der  Fruchtbarkeit)  u.  a.  m.  gesammelt  werden. 

In  diesem  Lichte  behandelt,  verstehen  wir  den  Ursprünglichen  sinn 
der  im  Fasching  und  am  Aschermittwoch  (§  379),  am  Sonntag  Lätare  (§  280), 
am  Gregoriustag  (§  281),  in  der  Karwoche  und  hauptsächlich  in  der  Oster- 
zeit  (§  282),  an  Pfingsten  (§  283)  und  im  Mai  (§  285)  üblichen  Geschenke 
vnii  Eiern,  die  mit  Eiern  ausgeführten  Spiele,  die  Eier  an  den  Frühlings-, 
Sommer-  und  Maibäumen  usw.  usw. 


'■    Der  Sinn  eines  Mädehengürtels   in   diesem  Zusammenhang   ist   unschwer   zu  erraten. 
Vor   und   während  der   Prozession   beten  die  Mädchen   um   Bräutigame. 

')   Vgl.   Das  Schicksal  der  altgewordenen  Erdgöttin  im  alten  Mexiko,  §  280. 
s)    Wetzer  und   Weites  K.-L..  2.  Aufl.,  4.  Bd.,  Sp.  1418. 
')  Sp.   1417  f.,  ebenda. 


§  271.     Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.     Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw.      331 

Eigentümlich  ist  das  Eierlegen  der  Osterhasen  in  der  deutschen 
Kindessprache,  eine  Verbindung  zweier  Fruchtbarkeitssymbole,  da  auch  der 
Hase  ein  solches  ist.  Ploß  hatte  den  Hasen  in  der  2.  Auflage  (II,  370)  das 
heilige  Tier  der  germanischen  Frühlingsgöttin  Ostara  genannt.  Die  neuere 
Forschung  scheint  aber  keine  germanische  Göttin  dieses  Namens  anzuerkennen. 
Ostern  soll  etymologisch  nicht  mit  „Ostara",  sondern  mit  der  im  Osten  wieder  - 
gebornen  Frühlingssonne  erklärt  werden. 

Das  gemeinsame  Sammeln  und  Verzehren  der  Eier  und  anderen 
Gaben,  wie  es  in  den  vorliegenden  zwei  Kapiteln  mehrfach  bei  den  Christen- 
kindern  europäischer  Völker  nachgewiesen  ist,  erinnert  lebhaft  an  den  gleichen 
Akt  der  Mordwinenjugend,  welcher  hier  den  Charakter  der  Opfergemeinschaft 
trägt.  Auf  die  altgermanische  und  keltische  Opfergemeinschaft  als  Urbild 
unserer  Kinderbräuche  haben  Heuser,  Hofler  u.  a.  hingewiesen.  —  Diese  Opfer- 
gemeinschaft umschloß  im  germanischen  Perchta-  und  Seelenkult  und  im 
mordwinischen  Patyai-Kult  nicht  nur  die  Menschen,  sondern  auch  deren  Haus- 
tiere. Alle  Lebewesen,  bei  den  Mordwinen  sogar  auch  die  Saaten,  sollten  den 
Segnungen  des  Opfers  teilhaftig  werden  (§§  277  und  278). 

Auf  jede  einzelne  der  Gaben,  welche,  mit  oder  ohne  Eier,  den  Christen- 
kindern an  den  im  folgenden  behandelten  Festen  gereicht  werden,  möchte  ich 
hier  nicht  eingehen.  Vielmehr  möge  die  Vorbemerkung  genügen,  daß  auch 
sie  zum  großen  Teil  Überreste  vorchristlicher  Opfergaben  sind.  Näheres  findet 
der  geschätzte  Leser  an  den  hier  einschlägigen  Stellen  der  folgenden  Paragraphen. 

Besonders  paradox  erscheinen  Akte  heidnischer  Fruchtbarkeitskulte  an 
den  christlichen  Festen  der  unschuldigen  Kinder  und  am  Aschermittwoch. 
Und  doch  sind  solche,  freilich  in  ihrem  ursprünglichen  Sinne  nicht  mehr 
bekannt,  mit  diesen  Festen,  so  gut  wie  mit  Ostern  und  mit  weltlichen  Früh- 
lings- und  Sommerfesten,  verknüpft.  Die  §§  276,  279,  282  und  285  machen 
lins  nämlich  mit  dem  Brauch  bekannt,  christliche  Mädchen  und  Ehefrauen  an 
den  genannten  Festen  mit  Riemen,  Ruten  und  Zweigen  zu  schlagen,  oder 
ihnen  doch  mit  solchen  nachzusetzen,  ein  Überrest  aus  römischer  Zeit,  ein 
Seitenstück  auch  zu  einem  Mordwinenbrauch.  Die  Mordwinenmutter  bezweckt 
mit  den  Rutenstreichen,  welche  sie  ihren  Kindern  am  Weihnachtsmorgen  gibt, 
Wachstum  und  Glück;  die  römischen  Priester  (luperci)  wollten  mit  ihren 
Peitschenhieben  den  Weibern  Kindersegen  verschaffen.  Also  hier  und  dort 
Fruchtbarkeitskult. 

Auf  einen  alten  Fruchtbarkeitskult  geht  ferner  der  weit  verbreitete 
Brauch  zurück,  am  Sonntag  Lätare,  oder  an  einem  späteren  Frühlingstag, 
z.  B.  im  Mai,  Puppen  aus  Stroh,  Lumpen  oder  dergleichen  Material 
zu  verbrennen  oder  zu  ertränken,  zu  enthaupten,  entzwei  zu  sägen,  über  die 
Flurgrenze  zu  werfen  —  kurz,  sich  ihrer  zu  entledigen.  §  280  gibt  uns  mit  dem 
blutigen  Ende  eines  alljährlich  geopferten  alten  Weibes,  der  Repräsentantin 
der  Erd-  und  Fruc.htbarkeitsgöttin  im  alten  Mexiko,  den  Schlüssel  zum  Ver- 
ständnis auch  jener  Bräuche. 

Ein  zarteres  Siegesbild,  doch  immer  den  gleichen  Grundgedanken,  bieten 
Pfingstkrone,  Pfingstkönig,  Pfingstkönigin,  Maikönig  und  Maikönigin  usw., 
welche  wir  teilweise  bereits  kennen.  Winter  und  Sommer  sind  im  Kampfe 
gedacht,  und  alles  verherrlicht  die  sehnsüchtig  erwartete  schöne,  fruchtbare 
Jahreszeit,  die  man  als  Siegerin  oder  Sieger  umjubelt.  Niemand  steht  dem 
unterliegenden  sterilen  Winter  helfend  zur  Seite. 

Überraschende  Aufschlüsse  über  den  Sinn  unseres  Johannisfeuers  und 
der  am  gleichen  Tag  manchenorts  unter  Christen  noch  gebräuchlichen 
Waschungen  in  fließenden  Gewässern  bieten  uns  die  entsprechenden  Bräuche 
bei  den  heutigen  und  vorislamischen  marokkanischen  Berbern  und  Arabern  in 
§  284.   Reinigung,  Sühne  und  Fruchtbarkeit  will  damit  in  Afrika  bewirkt  werden, 


332      Kap.  XLII.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 

und  der  Schluß  liegt  nahe,  daß  so  ähnliche  Zeremonien  am  gleichen  Tag  auch 
ähnliche  Ziele  bei  unsern  Vorfahren  hatten. 

Ähnlich  dürfte  es  sich  mit  den  in  §  279  beschriebenen  Bräuchen  am 
Funkensountag  und  mit  den  übrigen  sogenannten  Freudenfeuern  dieses  und. 
des  folgenden  Kapitels  verhalten,  die  schon  durch  das  gemeinsame  Einsammeln 
des  dazu  nötigen  Materials,  durch  das  Umspringen  und  Umtanzen  des  Feuers 
auf  eine  frühere  Opfergemeinschaft  und  eine  Apotheosierung  des  Feuers  hin- 
weisen, sei  nun  die  wiederkehrende  Sonne  oder  ein  anderes  feuriges  Prinzip  ge- 
meint, was  wiederum  in  letzter  Instanz  mit  dem  Fruchtbarkeitskult  identisch  ist.  — 

Richtlinien  zu  §  272  und  anderen  Paragraphen  von  leichter  Übersicht 
zu  geben,  dürfte  nicht  nötig  sein.  — 

§  272.     Allerseelen. 

Kapitel  XVII  hat  unter  den  mannigfachen  Geschenken,  welche  die  Tauf- 
paten ihren  Patenkindern  bei  gewissen  Gelegenheiten  machen,  Gebäck  erwähnt, 
welches  als  ,.Seelenzöpfe",  „Seelenwecken"  oder  unter  anderen  Benennungen 
bekannt  ist.  Es  wurde  dort1)  auch  bereits  auf  den  nach  neuesten  Forschungen 
vorchristlichen  Ursprung  solcher  Gebäcke  hingewiesen.  Deutlicher  geschah 
das  in  Kapitel  XXXV,  §  223,  wo  die  Ansicht  wiedergegeben  worden  ist, 
daß  die  „Seelenzöpfe"  und  derartige  Gebäcke  in  Formen  von  Frauenhaar, 
welche  an  Allerseelen  den  Kindern  geschenkt  werden,  auf  altgermanische  Opfer 
von  Frauenhaar  bzw.  lebendiger  Frauen  au  den  Gräbern  ihrer  Männer  zurück- 
gehen sollen.  Als  Opferspeise  für  die  Ahnengeister  wirft  man  nach  Höfler 
in  Schweden  und  Norwegen  noch  heutzutage  bei  versammelter  Familie 
unter  Kniebeugung  Gebäck  in  den  Ofen,  den  Stellvertreter  des  alten  Herdes 
und  Ahnenaltars.  Das  geschieht  allerdings  am  katholischen  Lichtmeßtag.  soll 
aber  auf  ein  nordgermanisches,  vorchristliches  Totenfest,  das  „Seelen-Lichterfest" 
zurückgehen,  welches  im  Februar  gefeiert  wurde'2).  —  Daß  in  Athen  anfangs 
November  ein  Ernte-  und  Totenfest  zu  Ehren  des  scheidenden  Sonnen-  und 
Sommergottes  Apollo  gefeiert  wurde,  ist  bekannt.  Auf  die  bei  diesem  und 
anderen  Festen  von  Knaben  herumgetragenen  Öl-  und  Lorbeerzweige  (Eiresione) 
mit  bunten  Bändern,  Gebäck  und  Früchten  kommen  wir  bei  Besprechung  des 
Weihnachtsbaumes  zurück.  Ob  die  Knaben  dabei  Gaben  einforderten,  ist  nach 
Plofi8)  ungewiß.  Weder  Plutareh  noch  Suidas  erwähnen  das  ausdrücklich; 
doch  erzähle  Suidas,  Homer  habe  sich  als  blinder  Greis  auf  Samos  von  Knaben 
vor  die  Häuser  der  Reichen  führen  lassen  und  dabei  ein  als  Eiresione  be- 
zeichnetes Bettlerlied  gesungen.  Das  von  Floß  zitierte  lautet:  ..Feigen  bringt 
Eiresione  und  reichlich  nährende  Brote,  Honig  dazu  in  die  Schüssel  und  Ol, 
die  Glieder  zu  salben,  Feurigen  Weins  einen  Becher,  der  Rausch  und  Schlummer 
dir  spendet." 

Fast  ebensowenig  als  in  diesem  Liedchen  wird  der  Toten  in  dem  folgen- 
den Bettlerliedchen  gedacht,  welche  im  heutigen  England  die  Knaben  singen, 
welche  am  Vorabend  von  Allerseelen  und  manchmal  auch  an  Allerseelen  selbst 
in  Stoffm  dshire,  Cheshire  und  North  Shropshire  von  Haus  zu  Haus 
gehen  und  dabei  um  Apfel,  Kuchen,  Wein  oder  Bier  (ale),  (ield  u.  a.  m.  bitten, 
liier  wie  im  alten  Athen  dominiert  vielmehr  der  Gedanke  des  Krntefestes, 
\v;is  bei  der  griechischen  Auffassung  vom  sterbenden  Sommer  (beides  fällt  ja 
zeitlich  zusammen)  auch  leicht  erklärlich  ist.     In  dem  englischen  Bettlerliedchen 


')  Bd.  J,  s.  339. 

"i   Ein  nordgermui  iisch< 's  Sonnenkult  lest  hol  nach  Höfler  gleichfalls  auf  anfangs  Februar. 
Höfler,   Lichtmeßgebäoke.     In  Ztschr.  d.   V.  f.  V.,  15,  310. 

-      \iill.   II.  369.     Floß  zitierte  hier  den   Glob.   1877,  S.  285. 


§  272.     Allerseelen.  333 

erinnert  nur  die  Benennung-  des  Brauches  „souling",  was  vielleicht  mit  „Seelen" 
als  Verbum  übersetzt  werden  kann,  und  die  Bitte  um  einen  ,.Seelenkuchen" 
daran,  daß  die  Kinder  beim  Betteln  von  Erntegaben  nebenbei  auch  der  Toten 
gedenken.     Einige  dieser  Bettlerliedchen  lauten: 

Soul,  soul,  for  an  apple! 

Pray,  good  missis,  a  eouple! 

One  for  Peter,  two  for  Paul, 

And  three  for  Him  as  made  us  all! 

Allaby,  allaby,  ceby  ce! 

Chris traas')  comes  but  onoe  a  year, 

When  it's  gone  it's  never  the  near! 

The  cock  sat  np  in  the  yew-tree, 
Then  he  came  chackling  by, 
I  wish  you  all  good  morning, 
And  a  good  fat  pig  in  the  sly. 
A  good  fat  pig  in  the  sty! 

The  lanes  are  very  dirty, 

My  shoes  are  very  thin, 

I  pray  good  missis  and  master 

To  drop  a  penny  in! 

To  drop  a  penny  in! 

Here  comes  one,  two,  three  jolly  bcys. 

All  in  a  mind. 
We  are  eome  in  a  souling 

For  what   we  can  find, 
Both  ale.  beer,  and  brandy. 

And  all  sorts  of  wine. 
Would  ye  be  so  kind,  would  ye  be  so  kind? 

We'll  have  a  jug  of 

Your  [best  old  Jlarch]  beer, 
And  we'll  come  no  more  souling 

Till  this  time  next  year. 
With  Walking   and   talking 

We  get  very  dry, 
I  hope  yow  good  neighbours 

Will  never  deny. 

For  goodness  sake, 

A  soul  eake! 

Up  with  your  kettle  and  down  with  your  pan, 

Give  me  an  apple  and  Pll  be  gone! 

Put  your  band  in  your  pocket, 

And  pull  out  your  keys, 
Go  down  in  your  cellar 

And  draw  what  you  please'). 

Der  Brauch,  Allerseelen-Brote  zu  backen,  der  uns  Deutschen  so  ge- 
läufig ist,  war  um  1817  auch  in  der  englischen  Grafschaft  York  noch  zu 
verzeichnen,  wie   Young  schreibt.  — 

Das  allerdings  noch  sehr  spärliche  Material,  welches  mir  über  die  Kinder- 
freuden an  Allerseelen  einstweilen  vorliegt,  weist  nach  dem  Gesagten  immerhin 
mit  ziemlicher  Sicherheit  darauf  hin,  daß  sich  in  diesen  Kinderfreuden  christliche 
und  vorchristliche  Auffassungen  und  Bräuche,  und  innerhalb  dieser  zwei 
verschiedene  Gedanken  miteinander  verknüpft   haben:     Ernte   und  Tod.  — 


')  Die  Gaben  werden  demnach  schon  für  Weihnachten  gesammelt. 
2)  2.  Aufl.  II,  B83. 


33-t     Kap.  XLII.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Frinnerungen  usw. 

§  2?3.     Sankt  Nikolaus  und  Sankt  Martin. 

Mehrgestaltiger  und  deutlicher,  als  durch  die  Kinderfreuden  am  Aller- 
seelentag, blickt  das  alte  Heidentum   durch  die  Nikolausfreuden. 

Heuser  schreibt1)  über  die  am  Nikolausfest  (6.  Dezember)  den  Kindern 
gereichten  Gaben:  Sie  sind  „wohl  christianisierter  Überrest  von  dem 
alten  germanischen  Feste  der  Wintersonnenwende,  welches  einen 
Monat  (6.  Dezember  bis  6.  Januar)  dauerte".  —  Den  Schimmel  oder  weißen 
Esel,  auf  welchen  Nikolaus  von  den  Kindern  reitend  gedacht  wird,  bezog 
Heuser  auf  Wodan  zurück. 

Mit  dieser  Erklärung  stimmt,  was  Floß  schon  in  der  2.  Auflage  des 
vorliegenden  Werkes,  und  was  in  neuerer  Zeit  noch  eingehender  Max  Hofier 
geschrieben  hat.  Hören  wir  zunächst  diesen:  Der  Kult  des  hl.  Nikolaus  hat 
sich  seit  dem  11.  Jahrhundert  ausgebreitet.  Nach  der  Legende  gilt  dieser 
Heilige,  der  Episcopus  puerorum,  als  kinderliebender  Bischof,  der  auf  Ab- 
bildungen 1  —  3  Kinder  in  einem  kleinen  Schaff  (auch  Taufbecken)  vor  ..sich 
hat;  oft  trägt  er  ein  Buch  in  der  Hand,  auf  dem  1 — 6  Brote  oder  Apfel 
liegen;  Brote  angeblich  deshalb,  weil  er  die  Stadt  Myra  vor  Hungersnot  er- 
rettete. Auf  einzelnen  Abbildungen  hat  er  einen  Geldbeutel,  den  er  drei 
armen  Jungfrauen  als  Mitgift  durchs  Fenster  reicht,  um  sie  durch  die  Heirat 
vor  Schande  zu  bewahren.  Durch  die  stets  tätige  Volkslegende  wurde  Niko- 
laus nach  und  nach  der  Patron  verschiedener  Stände,  ohne  aber  die  heidnischen 
Elemente  aus  seinem  Kulte  zu  verdrängen.*"  So  stellen  die  Knappen  im  Rau- 
riser  Goldbergwerke  in  der  Nacht  vom  St.-Nikolaus-Tag  jetzt  noch  Speise  und 
Trank  auf  den  Tisch  der  großen  Stube  des  Berghauses  für  die  „Bergmannl"; 
in  der  Schweiz  heißt  diese  Nacht  die  „Schleick-Nacht",  in  der  die  „Seelen- 
geister" heimlich  eine  Gabe  einlegen  (schleicken).  Auch  heißt  sie  dort  die 
Eißgrint-Nacht,  in  der  das  Schreckgespenst  des  Eiß-Grint  umzieht.  Dem 
„Samichlaus"  (St.  Nikolaus)  setzt  das  Schweizer  Kind  eine  Schüssel  voll  Rahm 
(Opferspeise)  samt  einem  neuen  Löffel  vor  und  erhält  dafür  vom  hl.  Bischof 
Weckenbrot,  Birnwecken,  Lebkuchen.  Nüsse,  Äpfel  usw. 

Das  unter  den  Nikolaus-Gaben  überwiegende  Brot  wird  nach 
Hofier  unter  verschiedenen  Namen  und  Formen  meist,  in  süßer  Qualität  her- 
gestellt, als  Klausen-,  Hutzel-,  Klötzen-,  Birnbrot.  Lebzelten,  Klausenzelten 
usw.,  ist  aber  nach  dessen  Ausführungen  in  all  diesen  Formen  nur  ein  Über- 
rest der  flachen,  fladen-  oder  zeltenförmig  ausgebreiteten,  aus 
Honig  bereiteten  heidnischen  Opferkuchen  (Lebkuchen  =  libetum  = 
Opferkuchen). 

Nach  einem  weitverbreiteten  Volksglauben  zieht  in  der  Nacht  vor  St. 
Nikolaus  die  Spinnerin.  Frau  Perchta,  deren  Namen  Hofier  in  dem  Knecht 
Ruprecht  Mitteldeutschlands  wiederfindet,  durch  die  Luft;  ebenso  der  Schimmel- 
reiter Wode  (vgl.  Fig.  363  u.  Fig.  365),  der  Gaben  verteilt.  Opfergaben  er- 
heischt, die  Seelengeister,  die  wilde  Jagd,  anführt2). 

Diesen  altgermanischen  Göttergestalten  entsprechen  am  christlichen  Niko- 
lausfest der  kettenklirrende  Klaubauf  in  Oberbayern,  der  Packauf  in  der 
Schweiz,  die  weiße  Pudelfrau  in  Niederösterreich,  die  Buzi-Percht  in 
der  Gegend  von  Augsburg,  diePerchtel  im  schwäbischen  Deffingen  usw. 

Plofi3)  leitete  den  Namen  „Ruprecht"  nicht,  wie  Höfler  es  später  tat. 
von  „Perchta"  her,  sondern  von  „Hruadperaht",  d.  h.  „dem  Ruhmglänzenden", 
also    von   Wodan   selbst,    den   der  germanische   Mythus  in   den  zwölf  Rauch- 

')  In    Wetzer  und    Weites  Kirchenlexikoii.  2.  Aufl.,  Bd.  4.  Sp.  1427. 
»)  Höfler,  St.-Xikolnus-Gebäck  in  Deutschland,  S.  80f. 
Aufl.  II.  383. 


§  273.     Sankt  Nikolaus  und  Sankt  Martin. 


335 


nachten1)  oder  Loostagen  auf  weißem  Eoß  durch  die  Lüfte  reiten  und  sich 
jagend  ergötzen  ließ.  „Als  Knecht  Ruprecht  nahm  Wodan  christliche  Formen 
an.''  Die  Namen  Bartel,  Bärdel  oder  Eärtel,  wie  St,  Nikolaus  im  süd- 
deutschen und  Lausitzer  Kindermund  auch  heißt,  führte  Phß  auf  deu 
langen  Bart  zurück,  mit  welchem  er  vielfach  seine  Bolle  bei  den  Kindern 
spielt,  bzw.  mit  welchem  Wodan  im  Mvthus,  aber  auch  der  heilige  Nikolaus 
als  Bischof  ausgestattet  gedacht  ist.  In  Mecklenburg  habe  man  diesen 
früher  geradezu  Wode  geheißen;  in  Norddeutschland  komme  er  als  Klas. 
Bullerklas,  und  Aschenklas,  in  Schlesien  als  „der  alte  Joseph'"  vor.  —  Ganz 
das  heidnische  Wesen  hat  nach  Phß  der  Begleiter  des  heiligen  Nikolaus,  der 
österreichische  „Grampus"  (Krempus)  in  Pelz,  mit  Hörnern,  roter  Zunge  und 
mit  einem  Tragkorb  auf  dem  Rücken  beibehalten  (Fig.  129  in  Kap.  XVII), 
der  in  Kärnten  übrigens  auch  als  „Bartel"  also  mit  dem  gleichen  Namen 
bekannt  ist,  den  St.  Nikolaus  selbst  in  anderen  Gegenden  trägt.  — 


Fig.  363.    Sankt  Nikolaus  als  Schimmelreiter.     Figur  vom   Niederrhein.   —   In   den   Schuhen  ist  Futter 
für  den  Schimmel  des  Heiligen,  oder  vielmehr  für  Wodans  Schimmel -'i.     In  der  K.  Sammlung  für  deutsche 

Volkskunde  in  Berlin. 


Fassen  wir.  das  bisher  Gesagte  zusammen,  so  wird  es  uns  klar,  daß  sich 
um  den  christlichen  Heiligen,  auf  dessen  Fest  sich  die  Kinder  schon  lange  vorher 
freuen,  ein  bunter  Kranz  vorchristlicher  Auffassungen  und  Bräuche  geschlossen 
hat.  Bergmännchen,  Seelengeister,  Eiß-Grint,  Perchta  und  Wodan  haben  dem 
heiligen  Nikolaus  teils  schaurige,  teils  erfreuende  Züge  ihrer  Persönlichkeit 
und  ihres  Wirkens  abgetreten.  Später  taucht  er  wieder  als  Weihnachts- 
mann auf. 

Indessen  mögen  hier  einige  Nikolausbräuche  in  ihren  Einzelheiten  er- 
wähnt werden. 

In  Altenstadt  an  der  Hier,  bayrisches  Schwaben,  bringt  der 
St. -Nikolaus-Tag  den  Kindern,  hauptsächlich  der  Landbevölkerung,  eine  drei- 
fache Freude.  Die  erste,  mit  Furcht  gepaart,  erleben  sie  am  Vorabend. 
Wenn  es  draußen  dunkel  geworden  ist  und  die  kleineren  Kinder,  welche  noch 
an  den  „Klaus  glauben",  bei  der  Mutter  in  der  beleuchteten  Wohnstube  sind, 


')   Vom  25.  Dezember  bis  5.  Januar. 

2)  Vgl.  einen  ähnlichen  Brauch  in  flämischen  Gegenden. 


336     Kap.  XLIL.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw- 

■dann  verkleidet  sich  draußen  der  Vater  (oder  eines  der  größeren  Geschwister), 
indem  er  einen  Sack  über  sich  wirft  und  Kopf  und  Gesicht  mit  Flachs  oder 
Stroh  verhüllt.  Um  den  Hals  legt  er  sich  einen  jener  mit  Schellen  besetzten 
Eiemen.  welche  unter  Tags  deu  Pferden  an  den  Schlitten  umgehängt  werden, 
versieht  sich  mit  kleinen  Geschenken  und  einer  Rute,  und  so  schreitet  er 
heftig  schellend  über  den  Hof  gegen  das  Haus  heran.  Die  Kinder  ziehen 
sich  erschreckt  vom  Fenster  zurück,  an  welchem  der  Stroh-  oder  Flachskopf 
•des  Klaus  erscheint.  Mit  tiefer  Stimme  fragt  dieser  durch  das  von  der  Mutter 
geöffnete  Fenster,  wer  im  verflossenen  Jahr  brav  oder  böse  gewesen  sei,  worauf 
er  eine  aus  Birkenreisig  zusammengebundene  Rute,  aber  auch  Nüsse,  Äpfel 
und  gedörrtes  Obst  in  die  Stube  wirft,  -  -  Der  zweite  Festakt  vollzieht  sich 
am  Nikolaustag  selbst,  in  aller  Frühe,  wenn  die  Kinder  noch  im  Bette  sind. 
Die  Vorbereitungen  müssen  sie  vor  dem  Schlafengehen  teilweise  selbst  treffen, 
d.  h.  jedes  Kind  stellt  einen  Teller  in  der  Stube  auf  und  betet  dem  Klaus 
ein  Vaterunser.  Am  nächsten  Morgen  braucht  es  nicht  der  üblichen  Mahnung 
zum  Aufstehen.  Sie  können  die  Morgenstunde  ja  kaum  erwarten  und  stürmen 
die  Treppen  herunter  in  die  Wohnstube  hinein,  jedes  zu  seinem 

t     Teller.     In    der  Ecke,   wo   die   beiden   langen  Stubenbänke   zu- 
sammenlaufen,   steht    abermals    eine    Rute.      Sie   ist   mit   einer 
künstlichen  Myrte  oder  Blume  geziert,  aber  immerhin  eine  Knie, 
eine   verzierte  Drohung.     Doch,   das  geniert  so   sehr  nicht    für 
den  Augenblick.     Jedes  Kind  Jiat  ja    seinen  Teller    voll  Apfel. 
Nüsse,  Dörrobst,  Lebkuchen  und  dabei  einen  „Klausazopf",  d.  li. 
einen  auf  Nikolaustag  eigens  gebackenen,  zopfartig  verschlungenen 
Kuchen.     (Vgl.  die  Allerseelenzöpfe  im  vorigen  Paragraphen.) 
Felsenfest  glauben  die  Kinder,  bis  ihnen   ein  größeres  das  Ge- 
Fig.  364.     Ein     heimnis  verrät,  daß  der  heilige  Nikolaus,  dessen  Legende  sie   ja 
„pflaumen-        kennen,  die  Gaben  in  stiller  Nacht  beschert  habe.  --  Der  drilte 
eS'r'  ;ies  ht     Festakt  erfolgt  gegen  Mittag.     Da  kommt  je  eine  Tochter  der 
Nikolaus  ge-       beiden  Taufpaten  und  bringt  noch  viel  schönere  Lebkuchen  als 

dacht.  Q-eschenK       ,  ..   ,  ,,.   f      TT.  .         ,       ,    ,  .  •  T-i  j?  i         i 

für  Kinder  am  der  nachtliche  Klaus  beschert  hat;  dazu  einen  „Klausazopf  und 
Ska°«™!samnv  Nüsse,  jedem  Kind  seine  eigene  Portion.  Kein  Wunder,  daß 
lung  für  deut-     „Klausatag"    dem    sonst   sehr    sparsam    gehaltenen    bayrischen 

M'llt'  \  Ol  KSK  11  ml  e  * 

in  Beii in.    '     Schwabenkind    bis    vor   zirka    oO  Jahren    der    begehrteste   Tag 

im    ganzen    Jahre    war.      Seitdem    freilich    tritt    diese   Freude 

immer  mehr  und  mehr  hinter  der  Clrristbaumfreude  an  Weihnachten  zurück.  — 

Aus  dem  Fränkisch-Hennebergischen  hat  Plu/i1)  einen  Besuch  des 
st.  Nikolaus  oder  „Knecht  Ruprecht"  am  Abend  des  Nikolaustages  erwähnt, 
Er  erscheint  hier  mit  einer  Gerte  oder  Rute  in  der  Hand,  in  einem 
Pelz  vermummt,  läßt  die  Kinder  ein  Gebet  hersagen  uud  droht  den  Un- 
gezogenen, worauf  er  auch  hier  aus  seinem  Sack  Nüsse  und  Äpfel  unter 
die  Kinder  wirft.  —  In  der  Meininger  Gegend  heißt  diese  Schreckgestalt 
„Herscheklo-es". 

In  Eisfeld  im  Thüringer  Wald  wickelt  sich  am  „Klausmarkt"  das 
junge  Volk  in  Erbsenstroh,  oder  verkleidet  sich  von  oben  bis  unten  in 
Federn,  oder  in  Linnentroddeln  u.  dgl,  setzt  eine  Larve  und  eine  Mütze 
aus  Pappe  oder  Stroh  auf,  legt  ein  Schellengeläute  um  und  springt 
unter  Juhgeschrei  und  Peitschenknall  von  Lichtstube  zu  Lichtstube,  von 
Haus    zu    Haus,    läßt    die    Kinder    und    erwachsenen    Mädchen    beten,    teilt 

\pfel    und   Nüsse    aus,    nimmt   Geschenke   entgegen   und   sagt    Sprüche    auf, 

Li  runter  den  folgenden: 


')  2.  Aufl.  II,  327. 


§  273.     Sankt  Nikolaus  und  Sankt  Martin.  337 

.,Ich  bin  der  Hans  von  Flederwisch, 

kann  die  Kinder  schon  erwischen  hinterm  Tisch, 

vor  dem  Tisch, 

in  den  Ecken 

wo  sie  stecken. 

und  schreien  sie   alle  mordjo, 

so  rufen  wir  doch  nur  ho!  ho!"  —     (F.  Kunze  nach  Möbius.) 

Aus  dem  Liebauer  Tal  in  Niederschlesien  schreibt  Patschovsky: 
Hier  kommt  der  Nickel,  auch  Ruprecht  genannt,  an  einem  Abend  der  Advents- 
zeit, hauptsächlich  am  Vorabend  vom  Feste  des  hl.  Nikolaus.  In 
einen  umgekehrten  Pelz  gekleidet,  mit  großem  Bart,  einer  Pelzmütze  und 
Ketten,  trägt  er  einen  Sack  voll  Äpfel,  Nüsse  usw.,  sowie  eine  Rute  und 
spricht  in  die  Stube  stolpernd: 

„Holla,  Holla,  ich  kurame  rei  gefalla! 

Hirt  ihr  ne  a 'Sack  schun  knalla? 

Will  sahn,  ob  die  Kinder  schin  fleißig  bata  und  singa. 

Do  will  ich  a  ne  große  Bürde  briuga! 

Thun  se  aber  ne  bata  und  singa, 

Do  wird  a  de  Kutte  um  a  Hintern  rumspringa. 

Wenn  Ihr  ei  de  Schule  thut  gihn. 

Bleibt  Ihr  uf  alla  Wega  stihn, 

Beißt  de   Blätter  aus  a  Büchern 

Und  zieht  a  Leuten  a  schief  Gesieht. 

Oll  das  unartige  Pack 

Stecke  ich  ei  diesen  Sack."  — 

Manche  verspotten  den  Nikolaus  auf  diesem  Gang,  indem  sie  ihm  zurufen: 

., Vater  unser,  der  du  bist, 
Schmeiß  a  Nickel  uf  a  .Mist  usw." 

Dafür  bekommen  sie  aber  die  Rute  zu  fühlen.  — 

Im  polnischen  Oberschlesien  gehen  nach  Nehring  am  Vorabend  von 
St.  Nikolaus  Knaben  als  Priester  M  und  Engel  verkleidet  umher,  erkundigen 
sich  nach  dem  Betragen  der  kleinen  Kinder,  fragen  sie  im  Katechismus  aus, 
schlagen  die  Unartigen  mit  Ruten  und  beschenken  die  Braven  mit  gedörrtem 
Obst.     Sie  selbst  erhalten  am  Schluß  etliche  Pfennige  geschenkt. 

In  den  vläinischen  Bezirken  Belgiens  kommt  St.  Nikolaus  am  Vor- 
abend seines  Festes  auf  einem  Esel  geritten  und  hat  zwei  große  Körbe  an 
seinem  Sattel.  Die  Kinder  stellen  für  ihn  ein  Körbchen,  einen  Teller  oder 
einen  Schuh,  den  sie  vorher  selbst  geputzt  haben,  mit  Heu,  Brot  und  Mohrrüben 
gefüllt,  unter  den  Schornstein2),  damit  der  Heilige  ihnen  aus  seinen  Körben 

!)  Wohl  als  Bischof,  da  St.  Nikolaus  Bischof  war,  als  welcher  er  auch  auf  Abbildung 
365  erscheint. 

2)  Hier  reitet  also  St.  Nikolaus,  wie  Wodan,  in  der  Luft.  Ahnliche  Vorstellungen  und 
Bräuche  knüpfen  sich  an  das  Martinifest.  Nach  Heuser  reitet  dei  hl.  Martin  in  Ypern 
nachts  über  die  Schornsteine,  weshalb  die  Kinder  bei  den  Eltern  und  Paten  am  Vorabend 
für  dessen  Schimmel  einen  Strumpf  mit  Heu  in  den  Kamin  hängen.  Am  folgenden  Morgen 
ist  er  mit  Geschenken  gefüllt.  In  Belgien,  Norddeutschland  und  am  Niederrhein 
gehen  an  diesem  Tag  die  Kinder  von  Haus  zu  Haus,  um  übst  und  Backwerk  zu  erbitten; 
in  Westfalen  betteln  sie  Schinken,  Speck  und  Würste,  am  Rhein  auch  um  ein  Stückchen 
Holz.  (Über  das  Martinsfeuer  später.)  —  Vor  der  Obstbeseherung  springen  die  Kinder  an 
diesem  Tag  über  einen  ausgehöhlten  Kürbis  mit  einer  brennenden  Kerze  im  Innern  und 
singen  dabei  ein  Lied.  Auch  gibt  es  Kinderumzüge  mit  solchen  Kürbissen  oder  Papier- 
laternen, wie  Heuser  im  Hinweis  auf  von  Reinsberg-Diiringsfi'hl  schreibt.  Nach  Heuser  unter- 
liegt es  keinem  Zweifel,  daß  auch  diese  und  andere  Volksbräuche  am  Martinstag  Überreste 
vorchristlicher,  und  zwar  keltischer  und  germanischer  Erntefeste  und  Ernte- 
opfer sind.  In  Gallien  habe  man  an  Stelle  der  keltischen  Gottheiten,  in  den  germanischen 
Ländern  an  Stelle  Wodans,  den  vielverehrten,  wohltätigen  hl.  Martinus  treten  lassen.  Schimmel 
und  Mantel  des  Heiligen  erinnern  au  Wodan;  desgleichen  die  Martinsgans;  denn  dem  Wodan 
wurden  Gänse  geopfert.  Ebenso  seien  die  an  Martinitag  geschlachteten  Schweine,  die  her- 
umgeschickten Würste,  der  Martinswein  usw.  Erinnerungen  an  vorchristliche  Opfer  und 
Opfergemeinschaft.  — 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  22 


338     Kap.  XLII.    Feste  uud  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 

Leckereien  und   Spielsachen  hernnterwerfe.    Vor  dem  Schlafengehen   singen 
die  Kinder  ein  Lied,  welches  Ploß1)  in  folgender  Übersetzung  gab: 

..St.  Xiklas,  mein  guter  Mann, 

Wollt  Ihr  mir  wohl  was  geben? 

Dann  dien'  ich  Euch  mein  Leben  lang. 

Gebt  Ihr  mir  Nichts,  dann  dien'  ich  Euch  nicht. 

Dann  seid  Ihr  mein  St.  Nikläs'chen  nicht."  — 

Den  Unfolgsamen  bringt  Nikolaus  auch  hier  eine  Ente,  welche  zur 
Warnung  im  Schornstein  aufgehängt  wird.  — 

Eine  andere  Art  Nikolausfreude  hat  die  Straßenjugend  iu  einem  der 
Kirchenspiele  der  portugiesischen  Stadt  Porto,  welches  St.  Nikolaus  als 
Schutzpatron  hat.     Hier  wird  dem  Abt  der  Kirche,  nach  altem  Brauch,  am 


Fig.  866.  Der  hl.  Nikolaus  mit  Gefolge.  Links  ein  Engel,  dann  der  Reihe  nach,  von  links  nach  rechts: 
Nikolaus.  Teufel  i  Krampus),  der  sogenannte  Klilma,  eine  Stutenmaske  mit  Reiter,  nnd  der  ..Kozlik"  /.iegen- 
bockmaske)';).      In    der   K.    Sammlung   für    deutsche    Volkskunde   in    Berlin.     iAus    dem    Tm- hech  isch- 

Ethnographisohen  Museum  in  Prag.) 

6.  Dezember  ein  Maß  Kastanien  gebracht,  vor  der  Kirche  gebraten  und  von 
der  Straßenjugend  verzehrt  (M.  Abehing  nach  Theophilo  Braga).  — 


§  274.     Advent. 

Nur  vier  Bräuche  liegen  mir  über  diese  Zeit  vor,  bei  denen  die  Kinder- 
welt eine  Rolle  spielt3).  Drei  tragen  einen  ausgesprochen  christlichen  Cha- 
rakter; der  vierte  dürfte  auf  vorchristliche  Zeiten  zurückgehen.     Jene  bilden 


')  2.  Aufl.  II,  386. 

'-)  Nach  Heuser  i  Wetzer  und    Weites  Kit 
der   Bock   an    einzelnen   Orten    Böhmens   die 
Hörner.   worauf  der  Teufel  ihnen  einige  Schlag 

ai   Allerdings  liegt  auch   der  Nikolaustag 
da   St.    Nikolaus   in   manchen  Gegenden   mit   dei 
vorchristliche  .lullest    seine   Vorfeier   bis    in    d 
dem   6.  Januar  abschloß,   andererseits  aber  auch 
maßen   ein    in   sich  geschlossenes  Ganze   bildet, 
bis  278  nur  durch  bestimmte  Eigentümlichkeiten, 


ehenlexikon  2.  Aufl.,  4.  Bd..  Sp.  1427)  nimmt 
Kinder,  welche  nicht  beten  können,  auf  die 
e  mit   der   Rute  versetzt. 

und   Martini   innerhalb  der  Adventzeit,   und 

Weihnachtsmann  identisch  ist;  da  ferner  das 
en   November    hinein    erstreckte  und    ersl    niil 

der  christliche  Festkreis  dieser  Zeit  gewisser- 
so  rechtfertigt   sich  die  Abteilung  der  S,S,  273 

welche  dadurch  deutlicher  hervortreten  sollen. 


§  275.     Weihnachten.  339 

eine  Vorbereitung  auf  Weihnachten,  sind  also  ein  Ausdruck  der  liebevollen 
Erwartung  des  Christkindleins  im  eigentlichen  Sinn  des  Wortes. 

In  Alnwick,  Northumberland,  brachten  früher  die  Knaben  am 
lf>.  Dezember  (.,0  Sapientia")  Hörner  mit  zur  Schule,  auf  denen  sie  im  Heim- 
gehen süße  Weisen  (auf  das  Christkind?)  spielten. 

Über  Adventsbräuche  in  den  Münchener  Vorstädten  Giesing  und 
Au  schrieb  Adolphine  Freiin  von  Reichlin-Meldegg:  Früher  war  hier  das 
„Ansingen"  ein  beliebter  Adventbrauch.  Kinder  und  junge  Leute  zogen 
scharenweise  vor  die  Häuser  ihrer  Bekannten  und  sangen  vor  den  Fenstern 
oder  in  der  Hausflur  allerlei  Adventlieder.  Dafür  bekamen  sie  getrocknete 
Trauben  u.  dgl.  Leckereien,  manchmal  auch  einige  Pfennige  an  Geld. 

Ein  anderer  Brauch  war  ebendort  das  ,,Ins  Herbergen  gehen",  woran 
gleichfalls  neben  den  Erwachsenen  Kinder  teilnahmen.  Abends  gegen  sieben 
Uhr  versammelten  sich  in  der  Adventzeit  benachbarte  Familien  bald  in  diesem, 
bald  in  jenem  Haus,  wo  neben  brennenden  Wachskerzen  zwei  Figuren,  Maria 
und  Joseph,  auf  dem  Tisch  standen.  Alles  kniete  nieder,  betete  den  Rosen- 
kranz und  sang  hierauf  die  „Herbergslieder",  welche  über  die  Härte  der 
Betblehemiten  klagten,  die  Joseph  und  Maria  von  ihren  Häusern  gewiesen 
hätten.  Auch  Hirtenlieder  wurden  beim  „Herbergen"  gesungen.  Am  Schluß 
bot  man  Joseph  und  Maria  das  eigene  Herz  als  Heiberge  an.  — 

In  Oberbayern  und  im  bayrischen  Schwaben  war  es  in  der  2.  Hälfte 
des  19.  Jahrhunderts  auf  dem  Lande  noch  Brauch,  daß  die  Kinder  im  Advent 
..Klöpfeln".  bzw.  „Klopferla"  gingen,  d.  h.  sie  klopften  mit  einem  hölzernen 
Hammer  an  die  Türen  der  Häuser  und  sagten  oder  saugen  Bettelverse  dazu, 
wofür  man  ihnen  getrocknetes  Obst  und  Nüsse  hinauswarf.  -  Ein  christ- 
liches Element  scheint  diesem  Brauch  nicht  zugrunde  zu  liegen.  Vielmehr 
dürfte  der  Brauch  mit  jenen  in  §  272  und  §  273  erwähnten  verwandt  sein. 
Die  Kinder  erbitten  Gaben  von  der  Fülle  des  Eingeheimsten.  Wir  haben 
also  wohl  auch  hier  einen  Best  alter  Erntefestbräuche.  — 

§  275.     Weihnachten. 

Am  meisten  freut  sich  das  deutsche  Kind  beim  Herannahen  des  V\  eih- 
nachtsfestes  heutzutage  wohl  auf  den  Weihnachts-  oder  Christbaum,  sei  es 
nun  von  seinen  Eltern  oder  Lehrern  auf  die  wesentliche  Festfreude  des 
gläubigen  Christen  hingewiesen  oder  nicht.  Der  Baum  ist  schön  und 
mit  Leckerbissen  beladen,  und  das  genügt,  um  ein  Kind  in  freudige  Stimmung 
zu  versetzen. 

Woher  nun  stammt  dieser  Weihnachtsbaum,  und  was  bedeutete  er, 
ehe  er  das  Bild  Christi,  des  ewigen  Lebens,  die  an  ihm  prangenden  Lichter 
das  Bild  Christi  als  das  Licht  der  Welt,  und  die  an  ihm  hängenden,  später 
zu  verteilenden  Gaben  das  Bild  der  gegenseitigen  Liebe  und  allgemeinen 
Freude  der  Christeumenschen  geworden  ist? 

Ploß  schrieb1):  „Man  nahm  bisher  an,  daß  der  mit  Lichtern  besteckte 
Weihnachts-  oder  Christbaum  den  romanischen  Völkern  völlig  unbekannt, 
und  daß  er  ziemlich  spät  erst  in  Deutschland  aufgetreten  sei.  da  Luther 
und  andere  ihn  noch  gar  nicht  erwähnen.  Dagegen  erfahren  wir  durch  die 
Nachforschungen  von  Alwin  Schulte  („„Das  höfische  Leben  zur  Zeit  der  Minne- 
singer""), daß  man  schon  im  zwölften  und  dreizehnten  Jahrhundert  den 
Christbanm  recht  wohl  gekannt  habe,  wobei  Schultz  noch  hinzufügt:  „„wenig- 
stens in  Frankreich''";  denn  in  zwei  Gedichten  jener  Zeit  wird  ein  Lichter- 
baum erwähnt,  auf  dessen  Spitze  ein  nacktes  Kind,  das  Christkind,  sichtbar 
ist.     Entstanden  aber   ist  die  Sitte,  einen  Lichterbaum  zum  Weihnachtsbaum 

')  2.  Aufl.  IL  385. 

22* 


340      Kap.  XLII.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorehrisÜ.  Erinnerungen  usw. 

anzuzünden,  vielleicht  auf  deutschen  Boden  aus  heidnischen  Bräuchen;  so  be- 
hauptet unter  anderen  Albert  Freybe  (in  seinem  Buche:  „„Weihnachten  in 
deutscher  Dichtung'""):  ,.,,In  Deutschland  wurden  die  Jul-Feuer  zum  Weih- 
nachtsbaum."" — 

„Eine  gründliche  Untersuchung  dieser  vielumstrittenen  Frage."  fuhr  Plo/i 
weiter,  „nahm  Mannhardt1)  vor,  wobei  er  zu  folgender  Entscheidung  kam: 
Die  all  heidnische  Natursymbolik  der  nordischen  Völker  und  die 
christliche  Poesie  trafen  in  mehreren  Punkten  zusammen,  in  der 
Idee  des  Lebensbaumes,  wie  in  der  Zeit  seiner  Darstellung  ...  Jene 
altheidnische  Natursymbolik  findet  sich  noch  hie  und  da  in  einigen  Spuren, 
doch  stellt  sie  auf  dem  Aussterbeetat.  So  fand  Birlinger-)  in  manchen  Orten 
Schwabens  den  Brauch,  zur  Weihnachtszeit  die  Obstbäume  des  Gartens  mit 
einem  Strohseil  zu  umwinden,  angeblich  um  die  Fruchtbarkeit  derselben  zu 
erhöhen.  Dagegen  erobert  sich  der  Christ-  oder  Tannenbaum  immer  mehr 
Terrain.  Aus  Oldenburg  schreibt  Stracherjan*):  ....Der  Tannenbaum  ist  erst 
gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  hier  eingeführt,  verbreitet  sich  aber 
mehr  und  mehr.""    In  unserm  Jahrhundert  *)  hielt  er  seinen  Einzug  in  England." 

Plo/i  wies  auch  auf  Weinhold5)  hin,  der  im  Tannenbaum  der  Weihnachts- 
zeit ein  Symbol  der  wiedererwachenden  Natur  sah.  indem  er  schrieb:  ..So  wird 
also  zu  Weihnachten  mitten  im  winterlichen  Schnee  der  grüne  Tannenbaum 
als  Andeutung  der  wieder  nahenden  AUj cht  des  Frühlingsgottes  auf- 
gepflanzt." — 

Fnt:  Ortwein  und  Ernst  H.  L.  Krause  scheinen  den  „Lichterbauni" 
des  12.  und  13.  Jahrhunderts  nicht  gekannt  zu  haben:  denn  Ortwein  glaubte 
den  Weihnachtsbaum  nur  bis  auf  das  Jahr  IG 0*4  zurückverfolgen  zu  können"), 
und  zwar  sei  er  zum  erstenmal  in  Straßburg  erwähnt  worden.  Bis  zum 
15.  .Jahrhundert  gehe  der  auch  jetzt  noch  teilweise  überlebende  Brauch  zurück, 
im  November  Zweige  von  Kirsch-  und  Apfelbäumen  abzuschneiden  und  sie 
ins  Wasser  zu  stecken,  damit  sie  an  Weihnachten  aufblühten.  Lichter  waren 
,in  den  Straßburger  Tannenbäumen  des  Jahres  L604  nicht,  wohl  aber  bunte 
Papierrosen,  Äpfel,  Oblaten.  Rauschgold  und  Zucker.  Noch  im  Jahre  lt>57 
von  Dannhauer  als  abgöttisch  bekämpft,  habe  bereits  1737  Kissling  in 
Zittau  den  Weihnachtsbaum  mit  seinen  Lichtern  und  den  darunter  liegenden 
Geschenken  als  schönen  Brauch  empfohlen.  — 

Haben  wir  schon  in  Dannhauers  Bezeichnung  des  Weihnachtsbaumes 
als  „abgöttisch"  einen  deutlichen  Fingerzeig  auf  den  heidnischen  Ursprung 
des  Weihnachtsbaumes,  so  sehen  wir  einen  zweiten,  noch  deutlicheren  in 
der  folgenden  Mitteilung  Krauses1),  dessen  vermeintlich  „älteste"  Nachricht 
über  den  Weihnachtstannenbaum  vom  Jahre  1508  allerdings  auch  noch  zu 
neu  ist,  wenn  der  erwähnte  „Lichterbaum"  ein  Tannenbaum  war.  obgleich. 
wie  wir  sehen.  Krauses  Datum  für  die  gleiche  Stadt  Straßburg  fast  um  ein 
Jahrhundert  weiter  als  Ortweins  zurückseht.  Nach  Krause  hat  nämlich  im 
Jahre  I5<H  der  volkstümliche  Kanzelredner  Oeiler  von  KaiserbeTg  auf  den 
heidnischen  Charakter  der  Straßburger  Weihnachtsbräuche  hingewiesen  und 
betont,  sie   müßten   abgeschafft   werden.     Die  Heiden  hätten  um  Neujahr 


')    Wilhelm    Mannhardt,    Der   Baumkultus    der  Germanen    und  ihrer  Nachbarstämme 
Berlin   L875. 

*)  Antun   Birlinger,  Sitten  und  Volksbräuche.     Wiesbaden   1  KT  > .     II.   S.  12. 

,   /.,   Strackerjan,  Aberglaube  und  Sagen  usw.     Oldenburg  1876.     II.  S.  26. 
l)   Es  ist  das  V.>    Jahrhundert  gemeint. 

i   Weihnachts-Spiele  und   Lieder.  S.  17. 

i  Bei   /.'.  Andree.     Im  Globus  62,  380. 
■i  Globus,  Bd.  70.  388. 


§  275.     Weihnachten.  341 

den  Janus1)  mit  Tanzen,  Springen,  Stechen,  mit  Tannenreislegen 
in  den  Stuben,  sowie  mit  gegenseitigen  Geschenken  in  Lebkuchen, 
Wein  und  mit  „beeilten-1  geehrt.  Dieses  letztere  Wort  weist  nach  Krause 
auf  den  alten  süddeutschen  Berchtakultus  hin.  Die  Salzburgische  Wald- 
ordnung kenne  noch  im  Jahre  1755  „Bechl-  oder  Weihnachtsboschen-'. 
Die  katholische  Kirche  habe  um  ltiUO  gegen  den  Tannenbaum  nichts  mehr 
eingewandt,  wohl  aber  habe  ein  reformierter  Straßburger  Münsterpfarrer  noch 
1654  aufs  neue  zur  Abschaffung  dieser  „Lappalien-'  gemalmt. 

Nicht  mit  dem  römischen  Janus-  und  dem  germanischen  Berchtakult, 
aber  mit  dem  griechischen  Apollokult  hat  schon  Konrad  Zacher  den  Vor- 
gänger unseres  Weihnachtsbaumes  in  Verbindung  gebracht'2).  An  verschiedenen 
Festen,  teils  im  Frühjahr,  teils  im  Herbst,  haben  im  alten  Griechenland  Knaben 
Öl-  und  Lorbeerzweige,  mit  bunten  Bändern  geputzt,  mit  Früchten  und  mannig- 
fach geformtem  Backwerk  behangen,  umhergetragen3),  worauf  die  Zweige 
(Firesione)  vor  dem  Tempel  des  Apollo  aufgestellt,  oder  über  der  Türe  von 
Privathäusern  aufgehängt  worden  seien,  „ganz  wie  unsere  Pfingstkrone 
oder  in  Rom  die  Corona  spicea". 

Andere  Vorgänger  unserer  Weihnachtsgeschenke  glaubte  Ploß4^)  in  den 
Geschenken  gefunden  zu  haben,  welche  die  Römer  am  Feste  der  Sigillaria 
sich  gegenseitig  und,  wie  es  scheint,  auch  den  Kindern  machten.  Die  Ge- 
schenke bestanden  hauptsächlich  in  Wachskerzchen  und  Figürchen,  auch 
Wachs,  Ton  u.  dgl.,  wie  sie  den  Kindern  als  Spielsachen  gegeben  wurden.  — 
Der  gegen  Ende  des  4.  Jahrhunderts  lebende  Grammatiker  Maerobiusb)  be- 
merkte, dieses  Fest  gewähre  der  noch  kriechenden  Jugend  Spiel  mit  irdenem 
Geschirr.  Demnach  gehörte  zu  den  Saturnaliengeschenken  auch  eine  Art 
Puppengeschirr. 

Was  die  Zeit  betrifft,  so  feierte  man  die  Sigillarien  nach  den  Satur- 
nalien, also  in  der  zweiten  Hälfte,  des  Dezember,  in  welcher  auch  das  germa- 
nische erste  große  Opferfest  des  Jahres,  Jul,  fiel,  dessen  Name  heute  noch 
im  nördlichen  Europa  das  christliche  Weihnachten  bezeichnet,  wie  dieses 
letzte  Wort  den  Deutscheu  noch  stets  an  die  heiligen  zwölf  Nächte  erinnert, 
die  im  germanischen  Mythus  mit  der  Nacht  des  25.  Dezember  begannen. 
Und  wie  die  Germanen,  Römer  und  Griechen,  so  feierten  die  alten  Ägypter 
um  die  Zeit  unseres  Weihnachtsfestes  die  Wintersonnenwende6). 

Ein  bevorzugter  Anteil  der  altgermanischen  Jugend  an  der  Feier  dieser 
Zeit  dürfte  bisher  kaum  nachgewiesen  worden  sein.  Ploß  vermutete  jedoch 
eine  solche.  Jedenfalls  war  nach  Grupp  das  Mittwinterfest  unserer  Vor- 
fahren ebensowenig  allgemein  verbreitet  wie  ihr  Mittsommerfest  am  2\.  Juni, 
auf  welches  ich  später  zurückkomme.  Aber  einige  hier  folgende  Bräuche, 
bzw.  dabei  gebrauchte  Ausdrücke,  scheinen  doch  zu  dem  Schluß  zu  berechtigen, 
daß  die  Kinder  schon  am  altgermanischen  Julfest,  oder  um  diese  Zeit 
herum,  beschenkt  wurden. 


')  Bekanntlich  ist  Janus  ein  altitalischer  Gott,  unter  dessen  Schutz  die  Türen  (januae) 
der  Häuser,  aber  auch  der  Anfang  (initium)  aller  Unternehmungen  und  Dinge,  somit  auch 
der  Anfang  des  neuen  Jahres  (Januarius),  der  Anfang  des  Lebens,  die  Zeugung  usw.,  ge- 
stellt wurden. 

2)  Hier  wäre  wohl  Apollo  als  Besieger  der  Dämonen  des  Winters  und  der  Finsternis, 
somit  auch  als  Hott  des  wiedererwachenden  Lebens  aufzufassen. 

3)  Vgl.  die  sich  hierher  beziehenden  Mitteilungen  bei  Plutarch  und  Suidas  in  §  272. 
Bei  Ploß.  2.  Aufl.  II.  368  f. 

«)  2.  Autl.  IL  382. 

*)  Saturnal.  eonviv.     Bei  Ploß.  ebenda. 

«)  Heuser  in  Wetzer  und  'Weites  K.  L,  2.  Aufl.,  4.  Bd..  Sp.  143?.  —  Wie  wir  am 
Schluß  dieses  Paragraphen  erfahren,  feiern  auch  Indianervölker  die  Wintersonnenwende. 
Ebenso  die  Chinesen. 


342      Kap.  X  LH.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorehristl.  Erinnerungen  usw. 

Auf  Shetland  galt  der  Vorabend  vom  Thomastag.  der  fünfte  Abend 
vor  Weihnachten1),  für   besonders  heilig.     Auf  ihu  beziehen  sich  die  Verse: 

..The  verv   babe   unborn 

eries  oh  dul!  dul! 

For  the  breaking  o'  Thoraas'  night. 

Five  nights  afore  YuTe."  — 

Am  Vorabend  von  Weihnachten  knetete  und  buk  man  in  den  Familien 
für  jedes  Kind  einen  runden,  am  Rand  gezackten  (Bild  der  Sonne?)  Haberkuchen, 
den  sogenannten  Yule-cake,  dessen  Größe  sich  nach  dem  Alter  der  Kinder 
richtete.  Am  Weihnachtsmorgen  wurde  das  gemeinsame  Frühstück  in  den 
Familien  bei  künstlichem  Licht  eingenommen,  wobei  von  den  Kindern  mancher 
Kerzenstummel  zum  Vorschein  kam.  den  sie  seit  Monaten  für  diese  Gelegenheit 
verborgen  hatten  (vgl.  die  Lichter  in  den  ausgehöhlten  Kürbissen  am  Martini- 
tag S.  337.  Ainii.  2,  welche  Heuser  auf  einen  vorchristlichen  Brauch  zurückbezieht). 

Aus  Northumberland  teilt  Balfour-Northcote  mit,  man  habe  dort  früher 
den  Kindern  an  Weihnachten  ein  „Jule-Baby".  d.  h.  einen  aus  süßem  Teig 
gebackenen  Kuchen  in  Kindleinform,  geschenkt.  In  Kindesgestalt  war  auch 
der  Jule-Teig,  welchen  die  Bäcker  zur  Weihnachtszeit  ihren  Kindern  gaben. 
Das  Kind  sollte  an  das  Jesukind  erinnern,  schreibt  Balfour-Northcote,  was 
unter  dem  Christenvolk  freilich  zweifellos  ist.  Aber  sehr  wahrscheinlich  dünkt 
es  mich,  daß  sich  in  den  obigen  zwei  Bräuchen  nicht  nur  der  Name,  sondern 
auch  die  Gabe  aus  altgermanischer  Zeit  ertialten  hat. 

.Tule-Kerzen  in  der  Länge  von  einer  halben  Elle  und  Jule-Klötze 
zündete  man  früher  in  Yorkshire  an,  um  die  heilige  Weihnacht  taghell  zu 
erleuchten,  wie  Mrs.  Gutch  berichtet.  — 

Vorchristliche  Bräuche  dürften  auch  die  nächstfolgenden  drei  aus  England 
und  Schottland  sein: 

In  Suffolk  County  ist  es  auf  dem  Lande  vielfach  Brauch,  daß  die 
Knaben  und  größeren  Burschen  an  Weihnachten  in  den  Wald  auf  die  Eich- 
hornjagd gehen.  Sie  treiben  die  Tierchen  mit  Stöcken.  Steinen  und  Geschrei 
von  Baum  zu  Baum  (Wodans  Jagd?). 

In  Northumberland  gehen  die  Knaben,  teils  am  Christabend,  teils  am 
letzten  Tag  des  Jahres,  von  Haus  zu  Haus  mit  der  Bitte  um  ,,Hogmonay" 
oder  „Hogmena".  Im  nördlichen  Northumberland  versteht  man  darunter  einen 
kleinen  Kuchen   oder   gewürztes  Brot.    Käse    und   Likör  (Balfour-Northeote). 

In  Lerwick,  Hauptort  der  Shetland-Inseln.  gehen  die  Kinder  am 
Christabend2)  maskiert  durch  die  Straßen,  fallen  in  die  Privathäuser  und 
Kaufläden  ein  und  fordern  Gaben  für  Weihnachten  {Black).  — 

Auch  in  den  vlämischen  Bezirken  Belgiens  gehen  die  Kinder  am 
Weihnachtsabend  von  Haus  zu  Haus,  um  Gaben  zu  sammeln.  „Ist's  erlaubt?" 
fragen  sie  zuerst,  und  singen  hierauf  Kers-  oder  Weihnachtslieder,  wofür  sie 
Pfefferkuchen,  Äpfel  und  Nüsse  erhalten.  — 

Statt  Gaben  für  sich  zu  erbitten,  verteilt  in  Fröhden.  Kreis  Jüterbog- 
Luckenwalde,  die  größere  Jugend  solche  hauptsächlich  an  kleinere  Kinder, 
allerdings  nachdem  sie  sie  selbst  zuvor  von  den  Eltern  der  Kinder  in  Empfang 
genommen  haben.  Am  ersten  Christmarkt  verkleiden  sich  zu  diesem  Zweck 
Burschen  und  Mädchen;  diese  mit  weißen  Kleidern,  jene  als  Ruprecht8).  Die 
Gaben  werden  ihnen  von  den  Eltern  der  Kinder  im  Hausflur  zugesteckt. 


')  Da  Thomastag  auf  den  21.  Dezember  füllt,  dieser  aber  der  Wintersonnenv  i'inl  - 
tag  i^t,  so  ist  es  wahrscheinlich,  daß  die  Shetländer  heute  noch  deshalb  den  Vorabend 
vom  21.   Dezember  für  besonders  heilig  halten. 

m  Dieser  soll   dort    auf  den   4.  Januar  fallen,     (f'owie  bei  Black,   C.  K.  L.  III,  203.) 
»)   Vielleicht    handelt    es    sieh   hier   um  Nikolaus-Geschenke.      Doch  vgl.  den   Etupi  ich! 
<lcs   Liebauer  Tales  am  Christabend. 


§  275.     Weihnachten.  343 

In  der  Eliön  ist  am  zweiten  Christtag  das  „Höckeltragen"  Brauch.  In 
großen  weißen  Bündeln  (Höekeln)  bringen  die  Paten  an  diesem  Tag  ihren 
Patenkindern,  je  nach  der  Entfernung  stundenweit  her,  das  Christgeschenk. 
d.  h.  große  Wecken  oder  Brezeln  und  kleineres  Backwerk,  z.  B.  Eeiter  oder 
..Docken"  aus  Marzipan '). 

In  Ostfriesland  und  Jeverland  bäckt  man  aus  Semmelteig,  der  mit 
Korinthen  gemischt  wird.  8 — 10  Zoll  lange  und  entsprechend  hohe  Schweine, 
Hirsche.  Hasen  und  Pferde.  —  Ein  Vergleich  dieser  Geschenke  mit  der 
Bedeutung  der  Weihnachts-,  St.-Nikolaus-  und  St.-Martinus-Geschenke  erklärt 
die  Bedeutung  wohl  auch  dieser  Tierfiguren  aus  heidnischen  Vorstellungen 
und  Opfern. 

Ähnliche  Weihnachtsgaben,  deren  gemeinsame  Eigenschaft  „süß"  ist, 
werden  wohl  in  allen  Ländern  deutscher  Zunge  verteilt.  Diese  Süßigkeit 
wird  teils  auf  vorchristliche  Götterspeisen,  wie  Höfler  nachwies,  teils  aber 
doch  auch  auf  die  Vorliebe  der  Kinder  für  Süßigkeiten  zurückzuführen  sein. 

Bei  der  schwäbisch-bayrischen  Landbevölkerung  gab  es  um  das 
Jahr  1870  in  der  Regel  nur  ein  Weihnachtsgeschenk,  d.  h.  den  „Zelta",  ein 
großes  Früchtebrot.  Auch  seine  vorwiegende  und  am  meisten  geschätzte 
Eigenschaft  war  das  ..Süße"  der  gedörrten  Birnen,  welche  in  möglichst  großer 
Anzahl  mit  dem  Teig  gemischt  wurden.  Jedes  Kind  und  jeder  Erwachsene 
erhielt  einen  eigenen  Laib. 

Neben  diesem  materiellen  Genuß  brachte  Weihnachten  dem  katholischen 
Schwabenkind  einen  religiösen:  Die  Krippe.  Wochen-,  ja  monatelang 
bereitete  man  sich  in  besser  situierten  Familien,  die  einen  ..Kripplisberg" 
in  größerem  Maßstabe  erbauten,  dazu  vor.  Denn  wenn  die  Hauptartikel 
auch  von  Jahr  zu  Jahr  aufgehoben  wurden,  so  gab  es  doch  immer  wieder 
vieles  zu  erneuern,  umzugestalten  oder  ganz  neu  zu  schaffen.  An  den 
langen  Winterabenden  halfen  die  erwachsenen  Brüder  mit,  wenn  sie  den 
kleinen  Geschwistern  hold  und  nicht  eben  im  üblichen  ..Heimgarten"  bei 
Nachbarn  waren.  Da  wurden  aus  weichem  Wachs  und  aus  Holz  Köpfe  und 
Pumpte  gebildet.  Drahtglieder  durch  entsprechende  Fmwicklung  mit  Stoff 
hergestellt  und  jenen  einverleibt:  die  größeren  Mädchen  fertigten  Kleider  für 
die  Figuren  und  verputzten  sie  mit  alten  Silberspitzen  aus  früheren  Trachten 
der  Mütter  und  Großmütter  usw.  usw.  Besonders  geschickte  Brüder  arbeiteten 
an  der  Mechanik,  welche  einen  Teil  des  „Krippiisberges"  in  Bewegung  ver- 
setzen, das  Wasser  eines  kleineu  Teiches  am  Fuß  dieses  Berges  springbrunnen- 
artig auftreiben  sollte  usw. 

Einige  Tage  vor  Weihnachten  gings  in  den  Wald,  um  lebende  und  tote 
Baumstämme  ihrer  prächtigen  Moosbekleidung  zu  berauben  und  diese  samt 
bemoosten  Baumstrünken  und  Tannenzweigen  zu  sammeln.  All  das  brauchte 
man  zum  „Kripplisberg".  Gewöhnlich  wurde  dieser  in  der  Tischecke  aufgebaut. 
Am  Fuße  des  Berges  war  die  Höhle  mit  dem  Christkindlein  auf  Stroh;  Maria, 
Joseph  und  die  Hirten  mit  ihren  Schaf  lein  daneben,  ein  lieblicher  Anblick.  In 
einiger  Entfernung  sah  man  Bethlehem,  und  noch  weiter  weg  Jerusalem  aus 
Papier-  oder  Holzhäuschen.  Auf  der  Spitze  des  Berges  erschien  auch  schon 
die  Karawane  der  heiligen  drei  Könige.  Der  „ganze  „Kripplisberg"  und  die 
Ebene  au  dessen  Fuß  war  mit  Menschen,  Vierfüßlern,  Vögeln,  Springbrunnen, 
kleinen  Teichen  mit  Fischen  und  Wasser  vögeln  usw.  belebt  —  kurz:  der 
„Kripplisberg"  war  eine  Welt  im  kleinen,  ein  Paradies  im  Kinderauge,  das 
in  einzelnen  Häusern,  die  auf  Zuschauer  aus  weiteren  Kreisen  rechneten,  die 
ganze  Wohnstube  einnahm. 


*)  Vgl.  ..Patengesehenke"  in  Kap.  XVII. 


344      Kap.  XLII.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 

Der  Reiz  solcher  Darstellungen  wurde  erhöht  durch  den  Wechsel  der 
Szenerien.  Jedes  Fest  im  Weihnachtszyklus  brachte  Veränderung.  Schon  am 
2.  Weihnachtstag  kniete  der  erste  Märtyrer  der  christlichen  Kirche.  Stephanus, 
in  einiger  Entfernung  von  der  Geburtshöhle  des  Jesuskindes,  umgeben  von 
seinen  Steinigern.  Am  4.  Weihnachtstag  wurde  der  Bethlehemitische  Kinder- 
mord durch  entsprechende  Figuren  dargestellt:  am  Neujahrstag  folgte  die  Be- 
schneidung; am  6.  Januar  knieten  die  heiligen  drei  Könige  vor  der  Krippe. 
Ferner  gab  es  entsprechende  Figuren  für  die  Flucht  nach  Ägypten;  dann 
kam  der  12jährige  Jesusknabe  im  Tempel  und  endlich  die  Aufopferung  des 
Jesuskindes  an  Maria  Lichtmeß.  Nach  diesem  Tag  wurde  der  „Kripplisberg" 
abgebrochen  l). 

In  Oberbayern  gab  es  Gegenden,  wo  die  Kinder  ihrer  Freude  über  die 
Geburt  des  Christkindleins  durch  Reigentänze  in  den  Kirchen  Ausdruck  gaben, 
wie  A.  von  Reichlin-Meldegg  schrieb.  Die  Erwachsenen  klatschten  dazu 
Beifall  (und  sangen?): 

..Süllen  pfeiffa,  sullen  geiga. 
Süllen  singa,  sullen  springa, 
Sullen  all  lusti  sei  . 
Weil  uns  heut  geboren. 
Ganz  rein  auserkoren. 
Ein  Kindelein  fein.-'  — 

In  Lothringen  geht  am  heiligen  Ab_end  ein  weißgekleidetes  Mädchen 
als  Christkind  zu  Kindern  unter  10  Jahren.  Vor  dem  Mitternachtsgottes- 
dienst schellt  es  vor  den  Häusern  und  wirft  zunächst  Apfel.  Nüsse  und  Zucker- 
werk hinein.  Die  Kinder  knieen  nieder  und  beten.  Dann  verläßt  die  Mutter 
die  Stube  mit  der  allerdings  wenig  christlich-pädagogischen  Mahnung,  die 
Kinder  sollen  nicht  zur  Tür  hinausschauen,  weil  sie  sonst  vom  Christkind 
mit  feuriger  Hand  ins  Gesicht  geschlagen  würden.  Sie  selbst  wolle  nun  dem 
Esel  des  Christkindes  Futter  bringen.  Draußen  reicht  sie  dem  Mädchen  die 
Gaben,  und  so  erhält  jedes  brave  Kind  ein  Christbäumchen  von  20 — 40  cm 
Hölie.  das  mit  Zuckersachen  und  Nüssen  verziert  ist  (Bruno  Stehle). 

In  Tyrol  finden  wir  wieder  die  uns  vom  bayrischen  Schwaben  her 
bereits  bekannten  Zelten  als  Weihnachtsgahen.  Ob  sie  hier  gar  ein  Beweis 
von  Religiosität  sind,  wie  aus  der  folgenden  Mitteilung  Oswald  Menghins  zu 
schließen  ist.  muß  ich  dahingestellt  lassen.  Menghin  schreibt  Dämlich:  Der 
Weihnachtszelten  spielt  bei  der  Tiroler  Weihnachtsfeier  eine  große  Rolle. 
Jeder  Bauer,  der  noch  etwas  auf  Religion  und  alten  Brauch  hält,  leistet  sich 
dieses  Früchtebrot.  Das  Anschneiden  des  Zeltens  findet  in  vielen  Gegenden 
unter  feierlichen  Zeremonien  statt.  Nicht  nur  die  Kinder  sehnen  sich  danach, 
sondern  auch  unter  Erwachsenen,  besonders  unter  Liebenden,  ist  dieses  t-iebäck 
ein  gern  gesehenes  Geschenk.  Ärmere  Leute,  die  sich  nicht  selbst  einen  Zelten 
backen  können,  suchen  ihn  von  Hauern  durch  Aufführung  eines  Spieles  zu 
erlangen. 

Ein  solches  Spiel,  dessen  Autor  der  Bauerndichter  S.  Klocker  bei  Inns- 
bruck war.  hat  Menghvn  im  Jahre  1910  in  der  ,.Zeitschrift  des  Vereins  für 
Völkerkunde"-)  veröffentlicht.  Da  das  Spiel  indessen  von  Erwachsenen  auf- 
geführt wurde,  braucht  hier  nicht  darauf  eingegangen  zu  werden. 

Aus  dem  Liehauer  Tal  in  Niederschlesien  schreibt  PatscKowsky:  Am 
Weihnachtsabend  kommt  zu  den  Kindern  das  weißgekleidete  Christkind,  bis- 
weilen auch  der  vermummte  Ruprecht  mit  Sack  und  Rute.  In  keiner  Familie 
fehlt  ein  Christhaum.     Oft  wird  auch  noch  „eine  Geburt"  oder  „Klippel"  ge- 


'i   Bekannt    ist    die  künstlerisch    und   kulturhistorisch  sehr  wertvolle  Krippensammlung 
im  K.  Bayrischen  Nationalmuseum  in  München. 
«)  20.  Jahrg.,  :is7  ff. 


§  275.     Weihnachten.  345 

baut  und  mit  Lichtern  beleuchtet.  Vor  der  Bescherung  beten  die  Kinder 
und  singen  ein  Weihnachtslied.  In  Schlesien  werden  ferner  von  den  Kindern 
auf  ihren  Gängen  von  Haus  zu  Haus  Weihnachtsspiele  aufgeführt1).  Ein 
derartiges  Spiel  verläuft  nach  Drechsler  in  Liebental  wie  folgt: 

Zuerst  tritt  der  heilige  Joseph  herein  mit  Samthosen,  Dreispitzhut, 
niedern  Schuhen  und  einem  Wieglein,  das  er  auf  den  Boden  stellt  und  wiegt, 
wobei  er  spricht: 

„Holla,  Holla, 

war  bäl  zur  tire  reigefalla, 

auf  meine  alten  Tage 

muß  ich  noch  kleine  Kinder  tragen."  — 

Darauf  kommt  ein  weißgekleideter  Engel  mit  einem  Zepter  und  rezitiert: 

..Hin- schön  guten  Abend!     In  dieser  Frist 
schickt  mich  der  heilige  Jesu  Christ. 
Er  ist   geschmückt  mit  schönen  Gaben 
für  Mädchen  und  für  kleine  Knaben."  — 

Nun  tritt  das  weißgekleidete,  sterngeschmückte  Christkindlein  herein. 
eine  Krone  auf  dem  Kopf,  eine  Rute  und  Gaben  in  der  Hand  und  erkundigt 
sich  in  einem  Spruch  nach  gehorsamen  Kindern.  Zum  Schluß  ruft  es  St.  Peter 
mit  dem  Schlüsselbund  in  der  Hand  und  einer  Krone  auf  dem  Kopf  herbei, 
der  dem  Christkind  sagen  soll,  ob  die  Kinder  gehorsam  seien.  Diese  müssen 
beten  und  werden  beschenkt.  Vor  dem  Verschwinden  der  Gruppe  gehen  das 
i  'hristkind.  Petrus  und  der  Engel,  ein  Weihnachtslied  singend,  um  den  eifrig 
wiegenden  Joseph  herum2).  — 

Echt  heidnische  Weihnachtsbräuche  berichtet  F.  Tetzner  von  den 
Mähren  und  Tschechen  in  Schlesien:  Am  24.  Dezember  früh  gehen  nämlich 
bei  ihnen  die  Kinder  mit  Holzscheiten  von  Haus  zu  Haus  und  singen  die 
Obstbäume  an: 

„Bäumehen,  steh  auf! 
Gib  Obst,  gib  Frucht! 
Wasch  dich  ab.  zieh  dich  an, 
Christabend  ist  da."  — 

Ferner  erscheint  bei  diesen  Tschechen  und  Mähren  an  Weihnachten  ein 
Schimmelreiter  und  ein  Bärenführer. 

Vorchristliche  Auffassungen  liegen  wohl  auch  den  folgenden  Bräuchen 
der  Serben  im  Banat  zugrunde.  Hier  achtet  man  nach  Riehard  von  Strele 
allgemein  auf  den  ersten  Fremden,  der  am  ersten  Weihnachtstag  ins  Haus 
kommt.  Gewöhnlich  freilich  schicken  d'e  Nachbarn  sich  gegenseitig  ihre 
Kinder  zu.  Man  führt  das  Eintretende  in  die  Stube,  wo  es  sich  auf  den 
Boden  setzt.  Dann  wirft  ihm  der  Hausherr  oder  die  Hausfrau  etwas  Korn, 
mit  Gerste  und  Hafer  gemischt3),  über  den  Kopf,  worauf  es  wieder  aufstehen 
darf.  Nun  heißt  es  „Polaschenik",  d.  h.  Bringer  des  Glückes.  Ist  der  Pola- 
schenik  ein  Glückskind,  so  wird  die  Familie,  welche  er  am  Weihnachtstag 
besucht,  das  ganze  Jahr  glücklich  sein.  Gewöhnlich  bleibt  der  Polaschenik 
am  gleichen  Tag  zu  Gast,  oder  er  wird  am  2.  Feieitag  geladen.  Meist  be- 
schenkt wird  er  abends,  oft  sogar  mit  Musik,  heimbegleitet. 


')  Weihnachtsspiele  in  Instituten  usw.  kommen  wohl  in  allen  Gegenden  mit  christ- 
licher Bevölkerung  vor.  Oben  sind  aber  solche  Spiele  gemeint,  welche  die  Kinder  aus  dem' 
Volk  ohne  kunstgerechte  Anleitung  aufführen. 

-'i  Es  sei  hier  auf  die  von  Wilhelm  rtttschovalty  in  „Mitt.  d.  Schi.  Gesellseh.  für  Volks- 
kunde," Bd.  II,  Breslau  1897  veröffentlichten  Weihnachtslieder  und  Weihnachtsspiele  hingewiesen. 

3)  Offenbar  haben  wir  hier  Symbole  der  Fruchtbarkeit.  Daher  wird  sich  wohl  auch 
der  „Bringer  des  Glückes"  erklären. 


346      Kap.  XL1I.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 

Im  Banat  gehen  ferner  bei  Beginn  der  Weihnachtsfeier  die  Eltern,  und 
hinter  ihnen  drein  ihre  Kinder,  in  alle  Zimmer  des  Hauses  und  streuen  Stroh 
zur  Erinnerung-  an  das  Stroh  in  der  Klippe,  wobei  dann  und  wann  gesungen 
wird.  Dann  zündet  man  auf  dem  Herd  ein  Feuer  an  und  wirft  in  die  Glut 
einen  Strauß  von  Tannenzweigen,  wie  Richard  von  Streb  schreibt.  —  Auch 
dieser  Brauch  gehl  allem  Anschein  nach  auf  das  Heidentum  zurück. 

Besonders  deutlich  schaut  dieses  noch  durch  die  Weihnachtsbräuche  der 
Mordwinen,  einem  Zweigder  finnischen  Völkergruppe  amSurä,  einem  rechten 
Nebenfluß  der  Wolga.  Ihr  letztes  öffentliches  Opfer  nach  heidnischem  Ritus 
feierten  sie  ja  noch  im  Jahre  1813.  Daher  ist  es  nicht  zu  verwundern,  daß 
sie  sich  ihrer  alten  Göttermutter  Ange  Pat3^ai,  der  Quelle  der  Zeugung  und 
des  Lebens  und  zugleich  ewige  .lungfrau,  noch  immer  lebhaft  erinnern.     Ihr 


Fig.  S60.    Walachisches  WeihnaHitsspiel.     Darstellung  aus  Ost-Mähren.    Die  Figuren  sin.l  von  links 

nach  rechts:  Der  Teufel,  drei  Hirten    und  ein  Engel   mit   der  Krippe.  —  In   der  K.  Sammlung  für  deutsche 

Volksk le,  Berlin.    (Aus  dem  Tschechisch-Ethnographischen  Museum  in  Prag.) 

war  anter  anderen  Zeiten  des  Jahres  auch  jene  Zeit  gewidmet,  welche  mit 
unserem  Weihnachten  und  Neujahr  zusammenfällt.  Kinder,  Jungfrauen,  ver- 
heiratete Frauen  und  Witwen  beteiligten  sich  in  ganz  besonderer  Weise  an 
solchen  Festen.  Half  doch  die  Göttermutter  bei  den  Entbindungen  und  schützte 
Leben  und  Gesundheit  der  Neugebomen.  Daß  ihr  Kult  ein  Fruchtbarkeits- 
kull war,  gehl  schon  daraus  hervor,  daß  die  Mädchen  das  große  Fest,  welches 
alljährlich  ihr  zu  Ehren  am  7.  Donnerstag  und  Freitag  nach  dem  russischen 
Ostern  veranstaltet  wurde,  zum  Teil  an  einem  Wasser  feierten,  und  daß 
an  dem  von  den  Witwen  gefeierten,  welches  auf  den  Donnerstag  nach  dem 
Dreifaltigkeits-Sonntag  fiel,  die  Hebamme  eine  Hauptrolle  spielte.  Das  Fest 
der  Kinder  und  verheirateten  Frauen  am  2.  Weihnachtstag  ..fand  gleich  im 
Hause  der  Hebamme  selbst  statt  (hieß  auch  Hebammenfest  ').    Übrigens  scheint 

später  mehr.    Ange  Patyai  hatte  auch  den  Titel  „Bulaman  Patyai", 
d.  b.  [eba   tmen". 


347 

das  Christentum  an  diesen  Festen  der  Mordwinen  noch  wenig  geändert  zu  haben; 
denn  Abercromiy,  welcher  sie  nach  dem  russischen  Texte  des  Mßlnikof  im 
Jahre  1889  schilderte,  bemerkte  an  einer  Stelle,  auf  welche  ich  später  zurück- 
komme, daß  die  christlichen  Mordwinen  in  gewissen  Gebeten  einfach  die  heid- 
nischen (Hitternamen  durch  „Gott  in  der  Höhe"  und  andere  christliche  Aus- 
drücke ersetzen,  wenn  es  auch  nicht  immer  passe. 

Die  "Weihnachtsbräuche  der  Mordwinen  schildert  Abereromby,  nach 
Melnikof,  wie  folgt: 

Am  Weihnachtsabend  versammeln  sich  die  Knaben  und  Mädchen  bis 
zu  14  oder  15  Jahren  zu  einem  gemeinsamen  Umzug.  Die  Mädchen  tragen 
Badwische  aus  Birkenreisig1),  an  welche  sie  Schleifen  und  Taschentücher 
geknüpft  haben,  und  die  so  als  ..Kyol  Kyolyada"2)  bekannt  sind.  Die  Knaben 
haben  Stöcke,  große  und  kleine  Schellen 3)  und  Ofenplatten.  Den  Zug  führt 
«in  Mädchen  an,  das  einen.  Stock  mit  einer  Laterne  am  oberen  Ende  trägt4). 
Ihr  folgt  ein  anderes  Mädchen  mit  einem  Sack.     Alle  Kinder  singen: 

„Kyol.  Kyolyada, 

Gold-Bärtiger8), 

Für  ihn  gehen  wir  um: 

Kyolyada  ist  da. 

Offne  das  Tor, 

Gib  Kyolyada 

Würste,  Füße 

Und  alte-Weiber-Kuchen. 

Kyol.  Kyolyada 

Golden-Bärtiger."8)  — 

Während  dieses  Gesanges  läuten  die  Knaben  mit  ihren  Glocken,  schlagen 
auf  ihre  Ofenplatten  und  erfüllen  das  ganze  Dorf  mit  mächtigem  Lärm. 
Kommen  sie  einem  Fenster  nahe,  so  singen  sie: 

„Ho!  Kyolyada! 

Sieh  diese  roten  Pfosten. 

Ho!  Kyolyada!     (Nach  jedem  Vers  wiederholt.) 

Dies  goldne  teste  Tor, 

"Wie  Silber  glänzt  der  Zaun. 

Wo  schläfst  du.  Bruder  Vasyai,  nachts? 

Auf  dem  Ofen  ist  es  heiß, 

Auf  der  Ofenbank  Geruch. 

Bei  dem  Ofenloch  ein  Rauch. 

Auf  der  Bank  —  ,.a  tight  fit",  (?) 


])  „Bath-switches  of  birch"  übersetzte  Abereromby,  was  wohl  nichts  anderes  als  ein 
Büschel  aus  Birkenreisig,  also  eine  deutsche  Rute  ist. 

-I  Nach  Abereromby  bedeutet  ..Kyol-'  „Birke".  „Kyolyada"  sei  auch  der  Schutzgott 
des  Viehes  und  der  Birkengott.  —  Offenbar  unterliegt  hier  wiederum  der  Grundgedanke  der 
Fruchtbarkeit,  was  aus  dem  ganzen  Patyai  Pas-Kult  hervorgeht.  Die  Birke  ist  ja  der 
heilige  Baum  dieser  Fruchtbarkeitsgöttin.  —  Besonders  interessant  dünkt  mich  die  ähnliche 
Rolle,  welche  obige  Birkenrute  im  Verlauf  der  mordwinischen  Weihnachtsfeier  und  in 
der  deutschen  Weihnachts-  und  Nikolausfeier  spielt.  Vgl.  auch  das  Streichen  mit  Birken- 
ruten Xeugeborner  bei  Russen  und  Esten  in  früheren  Kapiteln,  sowie  der  Mordwinen- 
kinder am  Weihnachtsmorgen,    welche    im  Verlauf   der   obigen    Schilderung   erwähnt   wird. 

3)  Erinnern  an  die  Schellen  unseres  Nikolaus,  Knecht  Ruprecht  usw. 

4)  Erinnert  an  die  Umzüge  unserer  Kinder  mit  beleuchteten  Kürbissen  und  Papier- 
laternen  an   Martini. 

6)  Dieser  Titel  „Gold-Bärtiger"  seheint  hier  der  mit  Schleifen  usw.  geschmückten 
Birkenrute  zuzukommen.  „Goldner  Bart"  wird  aber  auch  das  rote  Garn  genannt,  welches 
die  Mordwinen  bartförmig  unter  den  gebratenen  Ferkelkopf  legen,  welchen  sie  an  Weih- 
nachten feierlich  zubereiten,  umhertragen  und  verspeisen,  wie  wir  gleich  erfahren  werden. 
Auch  dieser  Ferkelkopf  hängt  nach  meinem  Dafürhalten  mit  dem  Fruchtbarkeitskult 
zusammen;  denn  Ange  Patyai  Pas  ist  als  Göttin  der  Fruchtbarkeit  begrifflich  identisch  mit 
der  deutschen  Frau  Holle,  der  nordischen  Frigg  und  der  griechischen  Demeter,  denen 
Schweineopfer  gebracht  wurden.    Vgl.  auch  den  Brauch,  an  Martini  Schweine  zu  essen  (§273). 

8)  Rotbärtig  ist  auch  Rübezahl  und  Donar  gedacht. 


348      Kap.  XLII.    Feste  und  Festtreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 

An  dem  Platz  in  der  Ecke, 
Alte  Weiber  waren  dort, 
Alte  Weiber  tranken  dort, 
Auch  Männer  waren  dort; 
Ehefrauen   tranken  dort. 
Bruder  Vasyai  ist  reich. 
Sammelt  Geld  mit  der  Schaufel, 
Pfannkuchen  und  Würste, 
Kyolyangemen-Pasteten."  — 

Nur  jung  verheiratete  Frauen  reichen  an  diesem  Tage  den  Kindern 
Gaben,  und  zwar  mit  Knoblauch1)  verzierte  Eier1).  Schweinswürste  mit 
Hirsengrütze '),  süße  Pfannkuchen  aus  Milch,  Butter,  Eiern  usw.:  ferner  den 
sogenannten  Kyolyangemen,  d.  h.  Pasteten  in  Schaf-.  Schwein-  oder  Huhn- 
form  l),  welche  mit  Hirse,  Grütze  und  Eiern  gefüllt  sind.  Die  Kinder  stecken 
die  Gaben  in  ihren  Sack  und  verzehren  sie  nach  dem  Kundgang  im  Dorf 
gemeinsam  in  einer  Stube  (Opfergemeinschaft! i.  nachdem  sie  eine  brennende 
Kerze  und  die  geschmückte  Birkenrute  in  die  vordere  Stubenecke  gestellt 
haben'2).     Nach  dem  Essen  gehen  sie  heim. 

Am  Weihnachtsmorgen  weckt  die  Mutter  ihre  Kinder  mit  Birkenruten, 
über  welche  das  Blut  eines  drei  Wochen  alten  Ferkels  beim  Schlachten  ge- 
Hcissen.  Sie  gibt  ihnen  einen  tüchtigen  Schlag  mit  den  Worten:  .,Ange  Patyai 
Kasines:  Kvolchanvan  Kasines;  Kyolkvolyada  Kasines".  was  nach \.  Äbercromby 
heißt: 

..Ange  Patyai  hat  gegeben; 

das   Birkenfest   hat   gegeben; 

der  Birkengott3)  hat   gegeben."  — 

Der  Schlag  mit  der  Birkenrute  soll  den  Kindern  gesundheitlich  gut  tun: 
je  lauter  sie  schreien,  desto  besser  ist  es. 

Mittags  kocht  die  Mutter  den  schon  erwähnten  Kopf  eines  Ferkels,  steckt 
ihm  dann  ein  rotes  Ei  und  ein  ziu'or  geweichtes  Birkenreis  in  den  Russe] 
und  legt  unter  den  Kopf  rote  Garnfasern,  daß  sie  wie  ein  Bart  herausschauen. 
Hierauf  zündet  der  Hausvater  eine  Kerze  an  und  ladet  mit  seiner  ganzen 
Familie  und  sämtlichen  Hausgenossen,  am  offenen  Fenster  knieend.  die  Götter- 
nmtter  Ange  Patyai  und  andere  Götter  zu  sich  (wohl  zum  Opfennahl?).  Auf 
die  Einladung  der  Himmlischen  folgt  eine  Aufforderung  an  die  Hausgenossen, 
zum  Mittagtisch  herzurichten,  und  nun  reicht  die  Hausfrau  ihrem  Mann  den 
Schweinskopf  auf  einer  Platte,  welche  er  hinausträgt.  Alle  seine  Kinder 
begleiten  ihn  auf  diesem  Gang;  das  jüngste  geht  voran.  Man  begibt  sich 
zuerst  zum  ,,Kardo  syarko",  dem  in  der  Mitte  des  Hofes  gelegenen  Opferstein, 
hierauf  in  die  Pferde-  und  Kuhställe,  zur  Schafhürde,  zum  Hühnerhaus,  in 
den  Keller,  in  die  Scheune  und  zum  Brunnen,  wobei  jedesmal  (iebete  an  Ange 
Patyai,  ihren  Sohn  Nishki  Pas  und  die  Gottheit  (Dämon  oder  Genius?)  des 
betreffenden  Platzes  gerichtet  werden.  Nach  der  Bückkehr  in  die  Stube 
folgen  abermals  Gebete. 

Hier  bemerkte  Abercromby,  daß.  wie  schon  früher  angedeutet,  die  christ- 
lichen Mordwinen  in  ihren  Gebeten  „Gott  in  der  Höhe"  und  andere  christliche 
Begriffe  an  Stelle  ihrer  vorchristlichen  Götter,  wenn  auch  nicht  immer  glück- 
lich, setzen. 


-  ehe  den  Knoblauch  teils  als  Götterspeise,  teils  als  Schutz-  und  Vertreibungsmittel 
gegen  Dämonen  in  früheren  Kapiteln.  —  Fi.  Hirse.  Schaf.  Schwein  und  Huhn  als  Bilder 
der  Fracht  barkeit  sind    uns  gleichfalls  schon   bekannt;   ebenso  Süßigkeiten   als  Götterspeisen. 

•'  In  die  vordere  Stubi  ecke  lehnt  bei  den  bayrischen  Sehwaben  der  Nikolaus 
bei  escherung  die  geschmückte  Birkenrate. 

s)   Oder  auch   der  Schulzeott    des   Viehes. 


§  275.     Weihnachten.  349 

Nun  folgt  das  Opfermahl,  d.  h.  der  Schweinskopf  wird  verzehrt.  Die 
Kinder  erhalten  dabei  gewöhnlich  Rüssel  uud  Ohren. 

Am  Tag  nach  Weihnachten,  am  26.  Dezember,  folgt  abermals  ein  Fest 
zu  Ehren  der  Auge  Patyai,  an  welchem  jene  Kinder,  welche  das  7.  Jahr  noch 
nicht  überschritten  haben,  mit  ihren  Eltern  und  den  Hebammen  teilnehmen. 
Die  Feier,  ..Bulaman  molyair  oder  das  Hebammenfest  genannt,  findet  am 
Abend  statt.  Frauen,  die  im  Laufe  des  verflossenen  Jahres  geboren  haben. 
bringen  ihrer  Hebamme  schon  eiuige  Tage  vor  dem  26.  Dezember  Hirse  und 
Butter,   damit   sie   einen   dicken   und   einen  dünnen  Brei  (?) ')   daraus  mache. 

Die  Kinder  feiern  diesen  Tag  als  die  „Enkel  der  Hebammen",  welche 
bei  ihrer  Geburt  halfen,  und  als  die  Enkel  der  „Bulaman  Patyai",  Göttin  der 
Hebammen.  Jedes  Kind,  welches  fähig  ist,  eine  Gabe  selbst  zu  tragen,  bringt 
seiner  Hebamme  eine  Hirsenpastete,  einen  Honigkuchen  und  einen  Brotlaib 
ans  feinem  Mehl;  sein  Vater  eine  Flasche  Bier'-)  oder  Branntwein.  Dieser 
muß  aber  heimlich  getrunken  werden,  damit  die  Göttermutter  Ange  Patyai 
das  ihr  verhaßte  Getränk  nicht  sieht.  Von  den  Müttern  der  Kinder  bringt 
jede  als  ihre  persönliche  Gabe  eine  ellenlange  Hirsenpastete  und  zwei  eben- 
so lange  Kuchen.  Jene,  deren  Kinder  noch  zu  klein  sind,  um  ihr  offizielles 
Geschenk  selbst  zur  Hebamme  zu  tragen,  bringen  auch  dieses.  Größere  Kinder 
überreichen  außerdem  gekochte  Schweins-  oder  Kalbsrücken. 

Im  Haus  der  Hebamme  angekommen,  werden  die  Leute  von  dieser  unter 
verschiedenen  Zeremonien  bewillkommt.  zu  welchen  das  Abküssen  der  „Enkel" 
gehört,  denen  sie  ihre  Last  abnimmt  und  einen  Topf  mit  dem  von  ihr  bereiteten 
dünnen  Hirsenbrei  (groats)  vorstellt,  während  die  Erwachsenen  den  dicken 
erhalten.  Nach  Bereitlegung  der  übrigen  mitgebrachten  Lebensmittel  auf  dem 
gedeckten  Tisch  fällt  auf  den  Ruf  der  Hebamme  „Sakmede!"  (Still!)  alles  beim 
Fenster  auf  die  Kniee,  worauf  die  Hebamme  betet:  „0  Cham  Pas3),  Herr 
Savagoth,  erbarme  dich  unser.  0  Ange  Patyai,  liebe  Mutter,  heiligste  Mutter 
Gottes,  gib  Gesundheit  deinen  Enkeln,  deinen  kleinen  Kindern,  ihren  Vätern 
und  Müttern.  0  Bulaman  Patyai.  beschütze  deine  Enkelkinder,  daß  sie  wohl, 
fröhlich  und  gesund  seien.  0  Ange  ozais,  schütze  deine  Kinder  vor  dem  bösen 
Blick,  vor  Hexen  und  jeder  unreinen  Macht,  0  Ange  Patyai  Pas,  steige  oft 
herunter  von  deinem  goldenen  himmlischen  Heim,  um  deine  Enkel,  die  kleinen 
Kinder,  zu  trösten.  Gib  ihren  Müttern  Milch  in  Fülle,  daß  sie  deine  Enkel 
nähren.  Gib  Überfluß  an  Kindern  und  gewähre,  daß  sie  stark  und  gesund 
aufwachsen."  — 

Ein  anderes  Gebet  für  Mütter  und  Kinder  verrichtet  die  Hebamme  bei 
der  Opferung  des  Bieres,  von  dem  sie  einen  Schöpflöffel  voll  durch  das 
offene  Fenster  dreimal  gegen  deu  Himmel  hebt.  Dabei  betet  sie:  „0  Cham 
Pas,  Herr  Savagoth  selbst,  erbarme  dich  unser.  0  Ange  Patyai  Pas,  Bulaman 
Patyai  Pas,  liebe  Mutter,  heiligste  Mutter  Gottes,  gib  deinen  Enkeln,  den 
kleinen  Kindern,  Gesundheit;  gib  ihren  Vätern  und  Müttern  Gesundheit,  daß 
die  Kinder  gedeihen,  daß  die  Mütter  milchreiche  Brüste  haben."  —  Auch  die 
Hebamme  ist  es,  welche  den  Kindern  einen  Löffel  voll  von  dem  dünnen  Hirsen- 
brei reicht,  nachdem  sie  selbst  den  ersten  Löffel  von  dem  dicken  Brei  genommen 
und  die  anwesenden  Männer  und  Weiber  nach  ihr  das  gleiche  getan  haben. 
Erst  dann  wird  ein  gemeinsames  Mahl  eingenommen,  wobei  die  mitgebrachten 
Lebensmittel  teilweise  verzehrt  werden.  — 


')  Äbercromby  übersetzte  „groats". 

2)  Vielleicht  haben   auch    die  vordringlichen  Bitten  der  englischen  Kinder  um  Bier 
bei  ihren   Weihnächte-  und  Neujahrsumzügen  Beziehung  zu  alten  Opfergetränken. 

3)  Nach   Äbercromby   der  höchste  Gott.     Das   folgende   „Lord   Savagoth"   ist   offenbar 
jüdisch-christliche  Entlehnung. 


350     Kap.  X.L1I.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 

Am  27.  Dezember  finden  sich  die  Kinder  ohne  ihre  Eltern  abermals  bei 
der  Hebamme  ein.  Diese  setzt  ihnen  Reste  vom  gestrigen  Mahl  aufgewärmt 
vor  und  führt  hierauf  die  Kinder  von  Haus  zu  Haus,  wobei  diese  das  folgende 
Lied  an  Auge  Patyai  singen: 

„Laß  uns  gehen,  liebe  alte  Frau, 
Laß  uns  gehen,  liebe  alte  Mutter: 
Der  Vater  hat  Bier  gebraut, 
Die  Mutter  kochte  Hirse: 
Besuche  uns,  liebe  alte  Frau. 
Besuche  uns,  o  liebe  Mutter."  — 

Die  hiermit  abgeschlossene  Schilderung  legt  uns  den  Schluß  nahe,  daß 
die  Mordwinen  so  hervorragende  Feste  zu  Ehren  ihrer  Göttin  der  Frucht- 
barkeit  auf  die  Zeit  der  Wintersonnenwende  wohl  deshalb  verlegten,  weil 
ohne  Sonne ')  irdische  Fruchtbarkeit  überhaupt  nicht  möglich,  ihre  Wiederkehr 
also  eine  wesentliche  Bedingung  auch  der  menschlichen  Zeugung  ist.  — 

Weniger  deutlich  als  bei  den  Mordwinen  tritt  der  Gedanke  der  mensch- 
lichen Fruchtbarkeit  beim  Sonnenwendfest  der  Hopi-  oder  Moki -Indianer 
in  Arizona  auf;  aber  ein  Fruchtbarkeitskult  ist  es  dennoch,  eben  weil  es  ein 
Sonnenwendfest  ist.  an  dem  überdies  Schlangen  als  Boten  an  die  Regengöttei 
u.  a.  m.  eine  Rolle  spielen,  Feuchtigkeit  und  Schlange  aber,  wie  ich  wiederholt 
nachgewiesen  habe,  im  Fruchtbarkeitskult  bzw.  in  der  Generationssymbolik 
der  Völker  eine  bedeutende  Rolle  spielen.  Allerdings  stellt  sich  bei  den  mit 
dem  Sonnenwendfest  der  Hopi'2)  oder  Mo-ki  verbundenen  Festspielen  eine 
gekrönte  Schlange  (aztekischen  Ursprungs)  der  Wiederkehr  der  Sonne  ent- 
gegen: aber  andererseits  nennt  Willi/  F.  Fischer  den  bei  diesem  Fest  auf- 
geführten Schlangentanz  „dramatisierte  Gebete  für  Regen".  Tod  und  Leben 
finden  wir  ja  vielfach  durch  ein  und  dasselbe  Symbol  dargestellt. 

Da  Fischer  von  einer  Teilnahme  der  Kinder  am  Sonnenwendfest  der 
Hopi  nichts  erwähnt,  möge  hier  die  Bemerkung  genügen,  daß  der  Sonnen- 
priester den  Anfang  des  Freudenfestes  am  21.  Dezember  verkündet,  und  daß 
gegenseitiger  Austausch  von  Geschenken,  Verkleidungen  und  Dar- 
stellungen übernatürlicher  Erscheinungen  die  Hauptrollen  spielen3). 

Nach  Fischer  ergab  übrigens  eine  vom  ethnologischen  Bureau  der  Ver- 
einigten Staaten  angestellte  Untersuchung,  daß  „viele  der  eingebornen 
Stämme  (Amerikas)  um  die  Zeit  des  25.  Dezember  Feste  zu  feiern  pflegten, 
welche  unserem  vorchristlichen  Julfest  entsprachen".  — 

S  276.    Fest  der  unschuldigen  Kinder. 

Wie  an  den  bisher  besprochenen  Festen  dieses  Kapitels,  so  sind  auch 
an  dem  der  unschuldigen  Kinder  noch  manche  Spuren  alten  Heidentums  neben 
christlichen  Festesformen  zu  erkennen. 

In  Kärnthen  gehen  die  Kinder  am  „unschuldigen  Kindertag"  mit  einer 
Rute  von  Haus  zu  Haus  um:  ..frisch  und  gesund  z'  göb'n".  Dafür  heimsen 
sie  kleine  (iahen  in  (Seid,  Nüssen.  Äpfeln.  Kietzenbrot  usw.  ein.  —  Im  Möll- 


')  Mit   Unrecht  wird  der  Sonnen-  und  Mondkult  so  häufig   als  reiner  Astralkult 

aufgefaßt.     Man  vergleiche  nur  die  Sonnen-  und  Mondfiguren  unter  den  sich  paarenden  Tier- 

figuren   bei   der  Pubertätsfeier  in  Madibira.   Kap.  ">8.  sowie   eine   Reihe  anderer  Tatsachen 

in   verschiedenen   Kapiteln  dieses   Werkes,    um  sich  um  der  sexuellen  Bedeutung  dieser 

irne  m  der  Völkersymbolik  zu  überzeugen. 

lioki",    d.   h.   (nach    Willy  F.    Fischer)    „die    Toten"    wurden   diese   Indianer  von 
anderen    Stämmen    zu   einer  Zeit   genannt,   als   die   von   den   Weißen   eingeschleppten  Pocken 

ä    .nun  zur  Hälfte  dahinraffte.     „Hopi",  d.h.   „die  Friedlichen-'  nennen  sie  sich  selbst. 
In  Benz,  „Völkerschau",  II,  258f.  — 

3i   Näheres  über  die  Erwartung  der  wiederkehrenden  Sonne  durch  den  Sonnenpriester, 
sowie  über  die  dramatischen   Marstellungen  siehe  Fischer,  1.  c. 


§  27ti.     Fest  der  unschuldigen  Kinder.  351 

und  Lavanttale  nennt  man  diesen  Brauch  „Schappen",  und  die  Eute  heißt 
„Schappruafn".  —  Im  Liesertale  heißt  mans  „plissner  gean".  Da  man  hier 
keine  Rute,  sondern  ein  Fichten-  oder  Tannenästchen  zum  „Wixen"  ver- 
wendet, so  heißt  mans  „Plissenastl",  weil  man  die  Tannen-  und  Föhrennadeln 
„Plissen"  zu  nennen  pflegt.  Während  des  Schappens  oder  Plissens  sagen  die 
Kinder  folgendes  Sprüchlein:  „Plisse  lustig,  frisch  und  g'sund,  lang  löb'n, 
g'sund  bleib'n,  gern  liab'n."  Oder:  „Frisch  und  g'sund!  Frisch  und  g'sund! 
Wünsch  a  glückselig  neus  Jahr  und  a  Christkindl  mit  krausem  Haar!"  (Rud. 
Walzer). 

In  Bayern  binden  am  „Kindstag-'  Dienstbuben  und  Knechte  mehrere 
Besenreiser  in  Büschel  und  hauen  damit  die  Frauen  um  die  Füße  herum  — 
das  nennen  sie  „kindeln".  —  In  der  Goldenen  Aue  tun  das  die  Kinder  ihren 
Paten  mit  Rosmarinstengeln.  —  Letzterer  dürfte  wohl  ein  Bild  des  Lebens 
sein,  da  sein  Grün  dauernd  ist.  Vgl.  den  Trinkbecher  aus  Rosmarinholz  beim 
Neujahrwünschen  in  Yorkshire.  (Auch  an  den  Bayrischen  Brauch,  bei  Hoch- 
zeiten Rosmarinzweige  an  die  Kleider  und  in  Zitronen  zu  stecken,  sei  hier 
erinnert.) 

Aus  dem  Tal  der  Geisel,  einem  Nebenfluß  der  Saale,  berichtet  Max 
Adler:  In  dem  nördlich  von  Schlachten-Roßbach  gelegenen  Dorf  Brauns- 
dorf gehen  am  dritten  AVeihnachtstage  Kinder  unter  neun  Jahren  zum  Pastor, 
zu  Verwandten  und  Bekannten,  wobei  sie  eine  Gerte,  womöglich  mit  einer 
Klingel  an  der  Spitze,  tragen.  Sie  suchen  die  Leute  zu  überraschen,  klingeln 
ihnen  mit  der  Gerte  zwischen  den  Beinen  herum  und  rufen:  „Heute  morgen 
ist  Klingeltag."  —  Dafür  erhalten  sie  Pfefferkuchen  und  dergleichen  Geschenke.  — 

Ähnliche  Branche  am  Unschuldigen  Kindertag.  Neujahrstag,  Ascher- 
mittwoch usw.  sind  bei  Germanen  und  Nichtgernianen  ziemlich  häufig. 
Mit  der  Erinnerung  an  den  Bethlehemitischen  Kindermord,  wie  man  schon 
annahm,  haben  sie  allem  Anschein  nach  nichts  zu  tun.  Vielmehr  sind  auch 
sie  Reste  einer  alten  Fruchtbarkeitssymbolik,  bzw.  einer  alten  Anschauung, 
daß  dadurch  Fruchtbarkeit  und  animalisches  Gedeihen  befördert  werde.  Ferd. 
Frhr.  ron  Reitzenstein  macht  mit  einem  Hinweis  auf  Tertullian  (ad  Nat.  II) 
und  Arnobius  (III,  30)  darauf  aufmerksam,  daß  bei  den  römischen  Luperkalien 
die  luperci  (Priester)  die  nackt  umherlaufenden  Frauen  mit  Riemen  aus  Ziegen- 
fell1) schlugen,  und  daß  man  nach  dem  römischen  Mythus  den  geraubten 
Sabinerinnen  den  Rücken  mit  Riemen  aus  Bocksfell  schlagen  ließ,  damit 
sie  schwanger  würden  '). 

Reste  dieser  Auffassung  fand  von  Reitzenstein  bei  romanischen  und 
germanischen  Völkern  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit;  nur  sind  die 
Bocksriemen  durch  Zweige  verschiedener  Bäume  ersetzt,  was  teilweise  schon 
aus  den  bisher  angeführten  Bräuchen  ersichtlich  ist.  Andere  gibt  von  Reitzen- 
stein*)  an:  für  Mittelfranken:  Wacholderzweige;  für  Oberfranken  und 
Schwaben:  Rosmarin;  für  die  Oberpfalz  und  Koburg:  Haselnuß  und 
Schlehen;  für  das  Vogtland  und  Thüringen:  Birken4);  für  Kulmbach, 
Hof  und  Bayreuth:  Buchs;  für  das  Donaumoos:  Weide. 


!)  Gemeint  sind  wohl  .Riemen  aus  Fellen  geopferter  Böcke. 

2)  An  die  sexuelle  Bedeutung  des  Bockes  wurde  in  diesem  Werke  wiederholt  erinnert. 

3)  Kausalzusammenhang,  679  ff. 

*)  Vgl.  in  §  277  die  Birkenruten,  mit  denen  die  Mordwinenmütter  am  Neujahrstag 
ihre  Kinder  wecken.  Seitenstücke  hierzu  finden  sich  noch  an  gewissen  Orten  Deutschlands 
und  im  früheren  England,  wo  man  gleichfalls  als  Festbrauch  die  Kinder  mit  Ruten  aus 
dem  Bette  treibt.  Nur  der  Tag  ist  verschieden:  Bei  den  heidnisch-christlichen  Mordwinen 
ist  es  der  Tag  des  Schweinefestes  (Neujahr);  in  Deutschland  und  England  der  Tag  der 
Unschuldigen  Kinder.  Man  nenne  das  „aufkindeln",  wie  von  Üeinsberg-Düringsfehl  bemerkte. 
(Vgl.    Wetzer  und    Weites  Kirchenlexikon,  2.  Aufl.,  4  Bd.,  Sp.  1435  ) 


352      Kap.  XLII.    Feste  ud<1  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 

Ferner  weist  von  Reitzenstein  auf  einen  Bericht  des  im  Jahre  1518 
gestorbenen  Karmelitergenerals  Spagnoli  hin,  zu  seiner  Zeit  seien  in  Italien 
verborgene  Korperteile  geschlagen  worden.  Auch  die  Polizeiverordnung  von 
Lauenstein  vom  Jahre  1599  erwähne  einen  derartigen  Brauch:  Große  starke 
Knechte  seien  den  Leuten  in  die  Häuser  gelaufen,  hätten  die  Weiber  und 
Mägde  entblößt  und  sie  mit  Gerten  und  Euten  gepeitscht.  Schon  für  das 
8.  Jahrhundert  sei  dieses  Peitschen  bezeugt. 

Die  Ansicht  Aigremonts,  dessen  ..Volkserotik  und  Pflanzenwelt"1) 
noch  mehr  derartige  Belege  enthalte,  diese  Rute  sei  ein  Symbol  des  Penis, 
teilt  von  Reitzenstein  nicht,  sieht  aber  immerhin  in  diesem  Peitschen  Reste 
früherer  Fruchtbarkeitsfeste2),  welche  sich  nach  dem  bisher  Gesagten  durch 
die  Peitschzeremonie  bei  romanischen,  germanischen  und  finnischen 
Völkern  ähnlich  gewesen  sein  dürften.  — 

Andere  Rollen  sehen  wir  die  Jugend  am  Unschuldigen  Kindertag  in 
den  folgenden  Bräuchen  spielen.  Vorchristliche  Reste  sind  auch  hier  zu 
finden,  und  zwar  vor  allem  im  „Kinderbischof". 

Abeking-Braga  teilt  nämlich  mit,  es  sei  früher  am  27.  Dezember,  dem 
Tage  der  Unschuldigen  Kinder,  in  der  Kathedrale  von  Lissabon  ein  Knabe 
zum  ..unschuldigen  Bischof"  gemacht  worden.  Wenn  bei  der  Vesper  im 
„Magnifikat"  der  Vers  „Deposuit  potentes  de  sede"  gesungen  wurde,  dann 
übergab  der  Kantor  den  Bischofsstab  dem  jüngsten  Chorknaben,  «1er  nun 
24  Stunden  Erzbischof  spielte,  indem  er  mieden  bischöflichen  Insignien  ver- 
sehen in  feierlicher  Prozession  „sämtliche  Kirchen  seines  Erzbistums  besuchte"  (?) 
und  den  Segen  spendete.  — 

Solche  ..unschuldige  Bischöfe",  oder  wie  sie  im  Kirchenlatein  heißen, 
„episcopus  puerorum".  gab  es  im  Mittelälter  und  bis  in  die  zweite  Hälfte  des 
L8.  Jahrhunderts  an  vielen  Orten.  Da  und  dort  wurden  sie  schon  auf  das 
Fest  des  hl.  Nikolaus  mit  ihrer  kurz  dauernden  Würde  bekleidet  und  hießen 
dann  „Apfelbischof".  Nach  Andreas  Seider9)  wurzelte  auch  diese  Sitte  „zweifels- 
ohne" in  den  römischen  Kaienden-  und  Saturnaliengebräuchen,  wurde  aber  vom 
naiven  mittelalterlichen  Humor  eigenartig  ausgestaltet. 

In  Mainz  machte  der  am  Vorabend  von  St.  Nikolaus  gewählte  ..Schul- 
bischof", ein  Knabe  aus  der  Domschule,  mit  seinen  gleichfalls  aus  den  Knaben 
der  Domschule  gewählten  Kaplänen  und  sonstigem  Gefolge  bei  den  Kurfürsten, 
den   Domherren  und  anderen  Honoratioren  seine  Besuche. 

In  England,  wo  die  Wahl  am  6.  Dezember  stattfand,  und  der  ..boy- 
bishop"  mit  seinem  Gefolge  auch  „Nicolas  and  bis  Clerks"  hieß,  fand  die  Feier 
nicht  nur  in  den  großen  Kirchen,  sondern  auch  am  königlichen  Hof  und  auf 
den  Schlössern  des  hohen  Adels  statt.  Am  Tag  der  Unschuldigen  Kinder 
regierte  der  „boy-bishop"  im  Elton-College. 

Ähnliche  Bräuche  herrschten  in  den  Frauenklöstern*),  wurden  aber  wie 
die  obigen  später  von  der  Kirche  verboten.  — 

Angeblich  zur  Erinnerung  an  den  Bethlehemitischen  Kindermord  wird 
ferner  an  verschiedenen  Orten  am  Rhein  und  in  Belgien  der  Jugend  cmc 
gewisse  Autorität  im  elterlichen  Hause  zugestanden,  indem  man  den  Kindern 
die  Schlüssel  übergibt,  oder  durch  sie  am  Tag  der  Unschuldigen  Kinder  den 
Speisezettel  machen  läßt  usw.  --  In  den  vlämischen  Bezirken  Belgiens  sind 
sie  an  diesem  Tage  die  ..Herren  im  Hause".  ./.  v.  Düringsfeld  schrieb:  Schon 
am  Morgen  verkleiden  sich  die  Knaben  mit  Weste  und  Schlafmütze  des  Vaters 

•)  Balle   1908. 

-i  Vgl.  di     bier  einschläfrige  Pubertätsfeier  in  Kap.  LVI1. 

>)  Bei    Buchher ger:  Kirchliches   Handlexikon,  Lief.  26.     München  1907.  S.  3öti. 

')  Wetzer  und    Weites  Kirchenlexikon.  2.  Aufl.,  4.  Bd.,  L899f. 


§  277.     Neujahr.  353 

und  Großvaters,   die  Mädchen  mit  .Tacke  und  Haube  der  Mutter,  und  gehen 
truppweise  von  Haus  zu  Haus,  wobei  sie  rufen: 

„Ich  bin   Väterchen,  ich  bin  Mütterchen, 
Habt  Ihr  nichts  zu  geben?"  etc. 

Pfeffernüsse,  Pfennige  und  was  sie  bekommen,  stecken  sie  in  einen  großen 
Sack,  den  sich  die  Mädchen  dazu  umgebunden  haben.  Zu  Hause  wird  dann 
gekocht  und  gebraten,  was  die  Kinder  bestellen.  — 

§  277.     Neujahr. 

Welcher  Deutsche  wüßte  nichts  von  dem  Brauch,  daß  Kinder  am  Neu- 
jahrstag von  Haus  zu  Haus,  oder  doch  in  die  Häuser  ihrer  Bekannten  gehen, 
um  ihre  Glückwünsche  auszusprechen  und  dafür  Gaben  zu  erhalten?  Spezifisch 
tili  istliche  Färbung  sieht  man  an  den  Kinderfreuden  auch  dieses  Tages  wenig. 
Die  Beschneidung  des  Jesusknaben  dramatisch  vorzuführen,  geht  nicht,  und 
die  mit  der  Beschneidung  verbundene  Erteilung  des  Namens  Jesu  hat  mit 
den  Neujahrswünschen  und  dem  Einsammeln  von  Gaben  keinen  ursprünglichen 
Zusammenhang.  Vielmehr  gehen  Gaben  und  Wünsche  wiederum  auf  vor- 
christliche Zeiten  zurück,  und  wiederum  ist  es  der  Fruchtbarkeitskult  im 
weitesten  Sinn,  welcher  hier  eine  hervorragende  Rolle  spielt.  Zum  Beweis 
hierfür  sei  vor  allem  das  Neujahrsfest  der  Mordwinen  und  der  von  ihnen 
beeinflußten  Bewohner  der  russischen  Gouvernements  Ryazan.  Wladimir, 
Tambow,  Saratow,  Pensa  und  Samara  geschildert.  Ihr  Neujahrsfest  trägt 
den  Titel  „Taunsyai",  d.  h.  Schweinefest  (taun.  Schwein).  Das  Schwein 
als  Bild  der  Fruchtbarkeit  ist  uns  ja  hinlänglich  bekannt. 

Am  Vorabend  dieses  Tages,  welcher  mit  dem  Vorabend  des  russischen 
Neujahrs  zusammenfällt,  gehen  die  Knaben  und  Mädchen,  wie  am  Weihnachts- 
abend1), von  Haus  zu  Haus.  Diesesmal  tragen  sie  aber  weder  Birkenruten 
noch  Laternen,  uud  ihre  Lieder  haben  einen  andern  Inhalt  als  bei  dem  Weih- 
nachtsumgaug.  Bei  den  Ersa,  einem  Mordwinen-Stamm,  singen  die  Kinder 
in  Sergachk.  Ardatof,  Arsamas  und  Simbirsk: 

„Tannsyai ! 
Öffne  dich,  Erde, 
Laß  die  Saat  gedeihen, 
Die  Ähren  schwellen, 
Körner  wie  Pfriemen  (?); 
Laß  Stroh  auch  wachsen 
Wie  eine  Wagen-Deichsel." 

„Taunsyai! 
Wirf  Samen  heraus, 
Back  deine  Pastete. 
Leg  sie  ans  Fenster; 
Eine  Taube  fliegt  her. 
Nimmt  weg  den  Samen, 
Doch  mir  die  Pastete." 

..Taunsyai! 
Geh  nicht  zu  der  Thüre: 
Zum  Fenster  sie  kommen: 
Schweinshaxen,  Kuchen, 
Die  lagen  im  Ofen, 
Die  schauten  auf  uns. 
Taunsyaü"  — 


')  Siehe  §  275. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.     Band  II.  23 


354     Kap.  XLII.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorehristl.  Erinnerungen  usw. 

Wird  nicht  bald  eine  Gabe  gereicht,  dann  schlagen  die  Knaben  auf  ihre 
Ofenplatten,  läuten  mit  ihren  Schellen1)  und  singen: 

„Gib  uns  eine  Pastete! 

(übst  du  keine, 

Brechen  wir  durchs  Thor. 

Gibst  du  nicht  einen  Topf  voll  Grütze, 

Treiben  wir  eine  Mistgabel  durch. 

Gib  uns  einen  Kuchen, 

Ein  Töpfchen  Hirsengrütze. 

Taunsyai!" 

Hat  man  ihnen  aber  Pfannkuchen,  Schweinshaxen  und  Hirsengrütze 
durchs  Fenster  gereicht,  dann  singen  sie  ein  Loblied  auf  das  Haus  und  seine 
Insassen,  z.  B. 

„Denyan  Lasunyas's  (oder  einen  anderen  Namen) 
Wohnhaus  ist  hell. 
Seine  Fenster  weiß, 
Das  Thor  geziert, 
Die  Pfosten  rot. 
Taunsyai!-' 

„Denyan   Lasunyas 
Ist  ein  leuchtender  Mond, 
Masai.  sein   Weib, 
Eine  glänzende  Sonne, 
Denyans  Kinder 
Wahre  Sterne. 
Taunsyai!"' 

„Mögen  Denyans  Saaten  sich  mehren. 
Bis  die  Thüren  sie  nicht  mehr  fassen, 
Mögen  seine  Ferkel  sich  mehren, 
Seine  Kälber  und  Lämmer, 
Seine  (iänse  und  Schwäne 
Und   seine  grauen   Enten. 
Taunsyai!"  — 

Nach   diesem  Gesaug   gehen   die  Kinder   in   das  Haus   hinein,   und   das 
älteste,  welches  den  Sack  trägt,  nimmt  aus  seinem  Handschuh  einige  Samen- 
körner verschiedener  Art  und  wirft  sie  den  Hausbewohnern  mit  dem  Wunsche 
zu'2):  „Möge  Pas,  die  fürsorgende  Gottheit,  euch  (reiche)  Ernte  verleihen!-'   - 
Die  Leute  heben  diese  Körnchen  bis  zur  Zeit  der  Saat  auf. 

Die  Kinder  verzehren  nach  ihrem  Umgang  einen  Teil  der  gesammelten 
Gaben;  den  Rest  behalten  sie  für  die  Hühner,  Enten,  Gänse,  Kälber,  Ferkel 
und  Lämmer  auf.     Bejahrte  Tiere  erhalten  nichts. 

Am  Neujahrstag  Mittag  trägt  der  Hausvater,  wie  an  Weihnachten,  den 
Kopf  eines  geschlachteten  Ferkels  in  Begleitung  seiner  Kinder  in  einer  Art 
Prozession  herum.  Doch  geht  diesesmal  nicht  sein  jüngstes,  sondern  sein 
ältestes  Kind  voran,  welches  im  Mund  den  von  der  Mutter  hineingesteckten 
Schweif  des  Ferkels  und  in  der  Hand  einen  Handschuh  voll  verschiedener 
Sämereien  trägt.  Wie  an  Weihnachten,  so  geht  der  Zug  auch  an  Neujahr 
vorerst  zum  Kardo  syarko,  d.  h.  zu  dem  in  der  Mitte  des  Hofes  befindlichen 
Opferstein;  von  da  zu  den  Schweine-  und  Kuhställen  und  zur  Schafhürde, 
wobei  das  älteste  Kind  seine  Sämereien  umherstreut  und  der  Vater  um  Segen 
tüi-  das  Vieh  und  die  Saaten  betet,  —  Am  12.  Tag  (nach  Neujahr?)  ziehen  sich 
die  Kinder  und  die  erwachsene  Jugend  in  Handschlitten  durch  das  Dorf.  Auf 
diesen  Schlitten  sollen  alle  bösen  Geister,  welche  dem  „Shaitan"3),  dem  Wider- 
sacher des  höchsten  Herrn,  Chan  Pas,  ihr  Dasein  verdankeu,  die  Beine  brechen.  — 

'l   Vgl.  Weihnachten  und  Nikolauslag. 

2i  Vgl.  den   Weihnachtsbrauch  der  Serben  im  Banat,  S,  275. 

3)  Satan. 


§  277.     Neujahr.  355 

Deutlicher  und  vielfältiger  als  in  dieser  Neujahrsfeier  kann  der  Gedanke 
der  menschlichen,  tierischen  und  vegetativen  Fruchtbarkeit  kaum 
ausgedrückt  werden.  Schwein,  Hirse  und  Samenkörner  überhaupt  sind  ihre 
Bilder.  Alles  Geflügel,  alle  Vierfüßler  der  Haushaltung,  insofern  sie  noch  jung, 
also  fruchtbar  sind,  erhalten  von  den  Gaben,  welche  den  Kindern  für  den  auf 
das  Schweinefest  angestimmten  Gesang,  gewissermaßen  als  Opfergaben,  geschenkt 
worden  sind.  Bejahrte  Tiere  erhalten  nichts,  offenbar,  weil  von  ihnen  keine 
Fruchtbarkeit  mehr  zu  erwarten  ist.  — 

Mit  christlicher  Färbung,  aber  dem  Wesen  nach  vorchristlich,  tritt  uns 
der  englische  Neujahrsgedanke  in  den  folgenden  Versen  entgegen,  welche 
die  Kinder  noch  im  Jahre  1888  in  fast  ganz  Yorkshire  sangen,  wenn  sie  in 
der  Woche  zwischen  Weihnachten  und  Neujahr  von  Haus  zu  Haus  gingen 
und  das  Neujahr  anwünschten.  Zwei  Figuren,  Jesus  und  Maria  darstellend, 
welche  sie  in  einer  Schachtel  trugen,  erscheinen,  wenn  mit  dem  Inhalt  des 
Liedes  verglichen,  tatsächlich  als  Fremdkörper;  dreht  sich  doch  fast  das  ganze 
Lied  um  materiellen  Genuß.  Besonders  auffallend  ist,  daß  sich  die  Bitte  der 
Kinder  hauptsächlich  auf  das  Trinken  bezieht.  Zwar  ist  der  Trinkbecher  nach 
Mrs.  Gutch,  welche  dieses  Lied  veröffentlichte,  das  Zeichen  der  Freude;  aber 
von  religiöser  Freude  im  christlichen  Sinn  ist  eben  in  dem  Lied  sehr  wenig 
zu  entdecken.  Gottes  Segen  erscheint  nur  so  nebenbei  herabgewünscht,  wenn 
man  damit  das  Opfer  der  Mordwinen  und  die  Teilnahme  aller  vernünftigen 
und  unvernünftigen  Wesen  am  Opfermahl,  bzw.  den  Festgaben,  vergleicht. 

Das  Lied  lautet: 

„Here  we  come  a  wassailiug, 

Among  the  leaves  so  green; 
Here  we  come  a  wandering, 

So  fair  to  be  seen.  — 

Nun  fällt  der  Chor  ein: 

Love  and  joy  come  to  you, 

And  to  your  wassail  too; 

And  God  send  you  a  happy  new  year: 

A  new  year; 
And  God  send  yon  a  happy  new  year. 
Aur  wassail  cup  is  made  of  the  rosem  ary  tree, 
So  is  your  beer  of  the  best  barley. 

We  are  not  daily  beggars, 

That  beg  from  door  to  door, 
But  we  are  neighbours'  children, 

Whom  you  have  seen  before. 

Call  up  the  butler  of  this  house, 

Put  on  his  golden  ring; 
Bid  bim  bring  up  a  glass  of  beer 

The  better  that  we  may  sing. 

We  have  got  a  litt le  purse, 

Made   of  shining  leather  skin; 
We  want  a  little  of  your  money 

To  liue  it  well  within. 

Bring  us  out  a  table, 

And  spread  the  table-cloth; 
Bring  us  out  a  mouldy  cheese, 

And  some  of  your  Christmas  loaf. 

God  bless  the  master  of  this  house, 

Likewise  the  mistress  too, 
And  all  the  little  children, 

That  around   the   table  go. 

23* 


356      Kap.  XL1I.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 

(iood  master  and  mistress. 

\\  hile  you're  sitting  by  the  fire, 
l'ray  think  of  us  poor  children, 

Wlio  are  wandering  in  the  niire."  — 

Hier  möge  auch  eines  mit  Neujahr  verbundenen  Aberglaubens  gedacht 
werden,  welchen Mrs.  Gutch  in  Yorkshire vorfand,  und  der  an  den  serbischen 
Aberglauben  erinnert,  welcher  sich  im  Banat  an  den  ersten  Weihnachtsbesuch 
(§   275)  knüpft. 

In  Yorkshire  wünscht  man  nämlich,  daß  ein  dunkelhaariger  Knabe 
(oder  Mann)  das  erste  menschliche  Wesen  sei,  welches  beim  Schlage  der 
Mitternachtsstunde,  die  das  alte  Jahr  vom  neuen  scheidet,  über  die  Schwelle 
ins  Haus  komme.  Das  bringt  Glück.  Blonde  läßt  man  nicht  ein.  da  sie 
Unglück  brächten.  — 

Deutlich  blickt  der  vorchristliche  Ursprung  der  Neujahrsfeier  auch  im 
heutigen  Griechenland')  noch  durch.  Nicht  das  Weihnachtsfest,  sondern 
der  Neujahrstag  ist  hier  der  eigentliche  Freudentag.  an  dem  sich  Kinder  und 
Erwachsene  beglückwünschen  und  beschenken.  Allerdings  hat  diese  Neujahrs- 
freude insofern  ein  christliches  Gewand  bekommen,  als  die  armen  Kinder,  wenn 
sie  scharenweise  am  Sylvesterabend  die  Straßen  durchziehen,  den  hl.  Basilius, 
'Agios  ^'assilios,  als  Neujahrspatron  feiern.  Auf  diesem  Umzug  singen 
die  Kinder  vor  den  Türen  der  Bemittelten  ihre  unrhythmischen  Lieder,  las 
man  ihnen  eine  kleine  Geldspende  reicht.  — 4n  den  Häusern  versteckt  man 
am  Sylvesterabend  Geschenke  in  Schränken,  Kommoden  und  Betten,  und  die 
kleineren  Kinder  erhalten  Leckereien  und  Spielzeug  (0.  Ernst).  - 

Ein  bedeutender  Tag  ist  der  Neujahrstag  ferner  für  das  Chinesenkind. 
Das  chinesische  Neujahrsfest  wird  nach  Kreitner  an  dem  Tag  gefeiert,  welcher 
auf  den  zweiten  Neumond  nach  unserem  Winteranfang  folgt. 

Am  Vorabend  hört  man.  hauptsächlich  in  den  Provinzen  Kwangtung, 
Hunam  und  Hupeh,  zwischen  6  und  9  Uhr  abends  ö — L4 jährige  Knaben 
in  den  Straßen  rufen:  „Ich  verkaufe  meine  Torheit  und  meine  Trägheit  jemand 
anderem,  damit  ich  im  nächsten  Jahre  weiser  sei."    (Leopold  Katscher) 

Nach  Kreitner  nehmen  sich  die  ungezogenen  Chinesenknaben  am  Neujahrs- 
tag zusammen  und  begrüßen  sich  wie  die  Alten.  Einige  tragen  au  diesem 
Tag  einen  eisernen  Ring  wie  eine  Fessel  um  den  Hals,  zum  Zeichen,  daß  sie 
viiii  ihrem  Vater,  oder  ihrer  Mutter  infolge  eines  Gelübdes  Buddha  geweiht, 
d.  h.  zum  Lamastand  bestimmt  worden  sind.  Derartige  Gelübde  werden 
gemacht,  um  von  Krankheiten  befreit  zu  werden,  oder  um  einem  Geschäft 
einen  »lücklichen  Ausgang  zu  sichern  und  dergleichen  mehr. 

obgleich  die  erwachsenen  Chinesen  beider  Geschlechter  an  sich  selbst 
einen  autfallenden  Putz  nicht  lieben,  kleiden  sie  doch  ihre  Kinder  zur  Neu- 
jahrsfeier  in  (iold-,  Silber-  und  buntdurchwebte  Stoffe,  schminken  ihnen  das 
Gesicht  mit  grellen  Farben  und  hängen  ihnen  um  den  Kopf  einen  Kranz  von 

')  Im  vorchristlichen  Griechenland  scheint  ein  Neujahrsfest  nicht  gefeiert  worden 
zu  sein,  wohl  aber  im  vorchristlichen  Rom,  und  zwar  in  den  ältesten  Zeilen  um  1.  März,  seit 
Julius  Caesar  aber  an  den  Kaienden  des  Januar.  Es  fand  bekanntlich  zu  Ehren  des  Janus 
statt  und  war  mit  ausschweifenden  Gelagen  und  unsittlichem  Mummenschanz  verbunden.  Auch 
unter  den  italienischen,  gallischen,  afrikanischen  und  orientalischen  Christen 
nahmen  diese  Ausschweifungen  neben  verschwenderischen  Neujahrsgeschenken  immer  mehr 
und  mehr  überhand,  so  daLS  Kirchenväter  und  Konzilien  dagegen  auftraten.  —  Innerhalb  der 
Christenheil  wurde  Neujahr  je  nach  Zeit  und  Ort  an  verschiedenen  Daten  gefeiert:  Am 
1.  September,  an  Weihnachten,  am  1.  Januar,  an  Maria  Verkündigung  und  an  Ostern.  Eine 
einheitliche  Annahme  des  t.  Januar  als  Neujahrstag  im  Abendland,  also  der  Neujahrstag  nach 
dem  Julianischen  Kalender,  geht  nicht  weiter  als  auf  das  18.  Jahrhundert  zurück.  In 
England  datiert  sie  nach  K.  Schrod  (in  Wetzer  und  Weites  Kirchenlexikon,  9.  Bd.,  186) 
erst  vom  Jahre    1773.  — 


§  278.     Das  Fest  der  heiligen  drei  Könige.  357 

schwarzen  Seidenfransen,  welcher  ringsum  in  einer  Länge  von  10  ein  herab- 
fällt (Kuntee).  — 

Zu  den  Neujahrsbräuchen  läßt  sich  auch  der  folgende  in  Korea  rechnen. 
In  Söul,  der  Hauptstadt,  gehen  nämlich  am  14.  und  15.  Tag  des  ersten  Monats 
im  Jahre  Knaben  und  Männer  in  einer  Keihe  über  drei  bestimmte  Brücken, 
um  sich  für  das  künftige  Jahr  vor  Bein-  und  Fußleiden  zu  schützen  {Watters).  — 
Auf  das  am  15.  des  gleichen  Monats  gefeierte  Ahnenfest  kommt  Kap.  XLVIII 
zu  sprechen.  — 

§  278.     Das  Fest  der  heiligen  drei  Könige. 

Bei  Matthäus  2,  1  und  2  lesen  wir:  ..Da  nun  Jesus  zu  Bethlehem  in 
Judäa,  zur  Zeit  des  Königs  Herodes.  geboren  war,  siehe!  Da  kamen  Weise  aus 
dem  Morgenlaude  nach  Jerusalem  und  sprachen:  Wo  ist  der  neugeborne  König 
der  Juden?  Denn  wir  haben  seinen  Stern  im  Morgenlande  gesehen  und  sind 
gekommen,  ihn  anzubeten."  —  Nach  Vers  11  des  gleichen  Kapitels  fanden  die 
Weisen  das  Jesuskind,  fielen  vor  ihm  nieder,  beteten  es  an  und  schenkten  ihm 
Gold,  Weihrauch  und  Myrrhen. 

Wie  Bellesheim1)  schreibt,  ist  die  Zahl  dieser  Weisen  schon  in  den  Ge- 
mälden der  Katakomben  durchgehends  mit  drei'2)  angegeben:  wo  der  Künstler 
nur  zwei  angebracht,  seien  die  Raumverhältnisse  maßgebend  gewesen.  Auch 
Origenes  und  Leo  der  Große  führen  sie  als  drei  an.  Als  Kaspar.  Melchior 
und  Balthasar  seien  sie  aber  erst  seit  dem  7.  Jahrhundert,  als  Könige  erst 
seit  dem  9.  Jahrhundert  bekannt. 

Der  6.  Januar  ist  nach  Bellesheim  in  der  christlichen  Kirche  seit  den 
ältesten  Zeiten   der  Gedächtnistag   der  Anbetung  Jesu  durch  die  Weisen.  — 

Wie  den  christlichen  Festen  der  vorhergehenden  Paragraphen  dieses 
Kapitels,  so  hängen  indessen  auch  dem  Feste  der  heiligen  drei  Könige  noch 
so  manche  vorchristliche  Reste  an,  welche  je  nach  der  Gegend,  mehr  oder 
weniger  in  den  Vordergrund  treten.  Nikolaus,  Knecht  Ruprecht,  Weihnachts- 
mann, <  'hristkind  und,  wie  die  Geschenkspender  in  den  vorigen  Paragraphen 
dieses  Kapitels  alle  hießen,  weichen  in  diesem  Paragraphen  den  heiligen  drei 
Königen  oder  vielmehr,  wo  jene  nicht  waren,  kommen  diese.  Der  vorchristliche 
Geschenktag  hat  sich  einfach  verschoben,  die  christliche  Kirche  hat  diese 
Verschiebung  geduldet  und  sich  damit  begnügt,  auf  den  wesentlich  verschiedenen 
Grundgedanken  des  Festes  in  der  christlichen  Ära  hinzuweisen.  Dieser  Grund- 
gedanke wird  denn  auch  durch  entsprechende  Darstellungen  selbst  von  deu 
Kindern  mancherorts  zum  Ausdruck  gebracht.  Einige  Beispiele  mögen  liier  folgen: 

In  Bedano  im  Kanton  Tessin  ziehen  die  Knaben  am  Vorabende  vom 
Dreikönigstag  scharenweise  im  Dorf  herum  und  läuten  mit  Kuhschellen,  sie 
erwarten  die  Gaben  der  heiligen  drei  Könige,  die  mit  ihren  Kamelen  von 
Osten  herkommen  sollen.  Die  Lasten  der  Tiere,  denkt  sich  die  Jugend,  bestehen 
aus  Spielzeug  und  Zuckerwerk,  wovon  der  größte  Teil  den  bravsten,  gehor- 
samsten Kindern  zukommen  soll.  Die  weniger  braven  erhalten  weniger,  die 
unartigen  gar  nichts,  oder  doch  nur  eine  Rute,  mit  der  die  Eltern  sie  züchtigen 
sollen.  Nun  verspricht  alles  Besserung  und  fleißige  Verrichtung  des  Morgen- 
und  Abendgebetes.  Ehe  die  Kinder  sich  an  diesem  Abend  zur  Ruhe  legeu, 
stellen  sie  auf  das  Fensterbrett  ihres  Schlafzimmers  ein  Körblein,  welches  die 


')  In  Wetzer  und  Weites  Kirchenlexikon,  2.  Aufl.  3.  Bd.,  Freiburg  i.  Br.  1884,  Sp.  2038. 

2)  .t/n.)-  Höfters  Ansicht,  die  Dreizahl  der  heiligen  drei  Könige  sei  auf  die  Dreizabl  der 
Schicksalsfraueu  (unter  ihnen  die  schwarze  Hei)  zurückzuführen,  ist  demnach  nicht  unan- 
fechtbar. Siehe  dessen  ,,<Tebäcke  des  Dreikönigstnges'1  in  „Ztschr.  d.  Vereins  für  Volkskunde" 
J.  14,  Berlin  1904,  S.  257  ff.  Allerdings  erwähnt  Bellesheim  selbst  (2039i  auch  vier  Weise, 
und   gibt   als  Beispiele   die  Darstellung   in   S.  Doniitilla  an. 


358     Kap.  XLII.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 

Gaben  der  heiligen  drei  Könige  aufnehmen  soll,  und  vor  die  Haustür  einen 
Eimer  mit  Kleie  zur  Erfrischung  der  Kamele  (Vittore  Pellandini). 

Auch  in  Catalonien,  nordöstliches  Spanien,  ziehen  die  heiligen  drei 
Könige  gabenspendend  umher.  Der  Christbaum  ist  hier  nicht  bekannt,  wie 
Frau  Julita  Michael  mir  mitteilt.  Zum  Empfang  der  Dreikönigsgabeu  stellen 
die  Kinder  am  Vorabend  ihre  Schuhe  vor  die  Fenster1),  und  in  diese  legen 
die  drei  Könige  für  artige  Kinder  Bälle,  Fächer,  Bilderbücher  und  anderes 
Spielzeug;  für  unartige  Kohlen.  Die  mit  Kohlen  Beschenkten  machen  dafür 
den  drei  Königen  eine  lange  Nase.  Übrigens  gibt  es  auch  Kohlen  aus 
schwarzem  Zncker. 

Dreikönigsgeschenke  mit  entsprechenden  Darstellungen  sind  ferner  bei 
vielen  spanischen  Familien  im  Tal  von  Mexiko  gebräuchlich.  In  Morelia 
werden  z.  B.  drei  Knaben  als  die  drei  Könige  mit  Barten  versehen,  bemalt, 
gekleidet  und  mit  Geschenken  in  eine  Kirche  geschickt,  wo  die  heilige  Familie 
dargestellt  ist,  Mit  dieser  Zeremonie  ist  sogar  ein  besonderer  Gottesdienst 
mit  Gebet  und  Gesängen  verbunden  (1  redend;  Starr). 

Von  den  Tschechen  und  Mähren  in  Schlesien  berichtet  F.  Tetzner, 
daß  am  Dreikönigstag  drei  vermummte  Kinder  singend  umherziehen  und,  wenn 
von  der  Polizei  nicht  verhindert,  ein  Lied  singen,  welches  Tetzner  im  Globus  78, 
322  veröffentlichte.     Die  Verse  des  schwarzen  Königs  lauten  auf  Deutsch: 

,.Hier  bin  ich  Schwarzer  und  trete  zu  euch, 

Ein  glückliches  neues  .Jahr  wünsch  ich  euch. 

Die  Sonne  ist  ein  teurer  Stein, 

Es  ward  geboren  das  Christkindlein. 

Borgt  die   Windeln  der  Mutter  Marie, 

Wir  wollen  das  Kleine  einbinden  für  sie. 

Wir  haben  es  oft  schon  gebunden  und  gepflegt 

Und  haben  es  in  die  Krippe  gelegt. 

Jesulein,  schlafe  in  Gottes  Namen 

Von  heut?  bis  in  alle  Ewigkeit.     Amen."  — 

Als  ostpreußischen  Brauch  erwähnt  J.  ro>i  Medem,  daß  Knaben  am 
Dreikönigstag  weiße  Hemden  über  ihre  Kleider  werfen,  spitze  Mützen2)  aus 
Goldpapier  aufsetzen,  einen  drehbaren  Stein  auf  einem  hohen  Stock  anbringen, 
von  Haus  zu  Haus  ziehen  und  dabei  singen: 

„Wir  wünschen  dem  Herrn  einen  reichen  Tisch, 

An  allen  vier  Ecken  gebratenen  Fisch  — , 

Wir  wünschen  der  Frau  eine  gold'ne  Krön', 

Und  übers  Jahr  einen  jungen  Sohn  — , 

Wir  wünschen  dem  Sohn  einen  weißen  Schimmel. 

Daß  er  kann  reiten  bis  in  den  Himmel. 

Wir  wünschen  der  Tochter  ein  gold'nes  Geschnür, 

Und  iiber's  Jahr  einen  blanken  Offizier  — . 

Wir  wünschen  der  Köchin  den  Besen  zur  Hand, 

Daß  sie  kann  kehren  die  Diel'  und  die  Wand."  -- 

Von  christlicher  Festesfreude  ist  in  diesen  Wünschen  nicht  viel  zu 
merken.     In   solche  Dreikönigswünsche   kann    auch   jeder   Heide   einstimmen. 

Dreikönigskinder  vom  Niederrhein  hat  0.  Schell  in  der  „Zeitschrift  des 
Vereins  für  Volkskunde"  1897,  S.  90 f.,  veröffentlicht.  Sie  wurden,  schrieb 
Schell,  noch  vor  wenigen  Jahren  von  Kindern  aus  den  ärmeren  Gegenden  von 
Gevelsberg  gesungen,  wenn  sie  nach  Neujahr  auf  einige  Wochen  in  das 
Wuppertal  kamen,  wo  sie  von  Haus  zu  Haus  zogen.  Meist  sonderten  sich 
die  Knaben  zu  je  drei  ab  und  trugen  einen  Stern. 


'i   Erinnert  an  die  Schuhe  der  vlämischen  Kinder  in  fc;  21'3. 

-t   Dieser    Brauch    dürfte  also    älter   sein    als    die    Auffassung   der  Weisen    als    Könige, 
d.  h.  über  das  9.  Jahrhundert  hinausgehen.     Vgl.  S.  357. 


§  278.     Das  Fest  der  heiligen  drei  Könige.  359 

Mit  einem  Stern  ans  buntem  Papier  ziehen  am  Vorabend  vom  Drei- 
königstag auch   vlämische   Kinder    in   Belgien   umher,    wobei   sie   singen: 

„Wir  kommen  hier  mit  nnserm  Stern, 

Wir  suchen  den  Herrn,  wir  halten  ihn  gern; 

Stern,  ihr  müßt  so  still  nicht  stehn, 

Ihr  müßt  mit  uns  nach  Bethlehem  gehn, 

Nach  Bethlehem  der  schönen  Stadt, 

Wo  Maria  mit  ihrem  Kindchen  saß."  —  (J.  v.  Düriiigsfeld.) 

In  der  katholischen  Schweiz  stellen  die  Kinder  am  Dreikönigsabend 
leere  Körbchen  hin,  damit  die  hl.  drei  Könige  nachts  Früchte  und  Zucker- 
werk hineinlegen  (Max  Höffer). 

Aus  Steiermark  schrieb  Rosegger  über  die  Dreikönigsfeier  der  Kinder: 
Ein  sonderbarer  Aufzug  bewegt  sich  durch  die  Straßen  des  Dorfes.  Voran 
hüpft  ein  Junge  und  trägt  auf  einer  langen  Stange  einen  großen  , .goldenen 
Stern";  diesem  folgt  die  Schuljugend  in  buntem  Anzug,  zuletzt  gar  drei  große 
Herren  in  goldenen  Gewändern.  Das  sind  die  ,.Könige  aus  dem  Morgenlande". 
Sie  singen  vom  falschen  Herodes.  vom  holden  Jesuskindlein,  von  Gold.  Weih- 
rauch und  Myrrhen.  —  Es  sind  die  Ärmsten  der  Gemeinde,  die  vor  den  Türen 
der  Wohlhabenden  ein  Stückleiu  Brot  erbitten. 

Nach  Rosegger  gilt  in  Steiermark  die  Dreikönigsnacht  als  die 
wichtigste  unter  den  heiligen  Nächten  des  ganzen  Jahres. 

Das  ist  von  zwei  Standpunkten  aus  erklärlich,  d.  h.  vom  christlichen 
und  vom  vorchristlichen:  Von  jenem,  weil  das  Fest  der  hl.  drei  Könige  in 
der  Kirche  als  jenes  gilt,  weiches  daran  erinnert,  daß  die  Heidenwelt  Jesus 
durch  die  drei  nichtisraelitischen,  also  heidnischen,  Weisen  kennen  lernte. 
Heiden,  nicht  aaserwählte  Kinder  Israels,  waren  aber  auch  die  Römer  und 
Griechen,  überhaupt  alle  Nicht-Israeliten.  Deshalb  die  hervorragende  Feier 
des  Dreikönigstages  in  der  römischen  und.  noch  in  hervorragenderem  Maße, 
in  der  griechischen  Kirche.  —  Die  steirische  Auffassung  der  Dreikönigsnacht 
als  die  „wichtigste"  unter  den  heiligen  Nächten  hat  aber  auch  eine  vor- 
christliche Grundlage.  --  Sie  hängt  nach  Max  Hofier  mit  dem  Kult  der 
germanischen  Göttin  Perchta  und  ihrer  Seelenschar  (Perchteln)  zusammen, 
wie  die  „Perchtennacht"  oder  „oberste  Nacht"  zeitlich  mit  der  Dreikönigsnacht 
zusammenfällt.  Als  „Oberste  Nacht"  und  „Reichenmahlnacht"  sei  die  Drei- 
königsnacht in  Steiermark  noch  bekannt. 

Die  „Perchtennacht"  oder  „Oberste  Nacht'  bildete  nach  Höfler  den  Schluß 
der  germanischen  Wintersonnenwende.  Dieser  Nacht  waren  die  schaurigen 
..zwölf  Rauch-  oder  Zwischennächte",  also  die  Nächte  vom  25.  Dezember  bis 
5.  Januar  vorangegangen,  in  welchen  Perchta  mit  den  Seelen  der  verstorbenen 
.Ahnen  und  Sippengenossen,  den  glückspendenden  Seelengeistern,  den  seligen 
Schicksalsgeistern,  über  das  Land  gezogen  war.  In  der  Perchtennacht  nun, 
der  Neujahrsnacht  unserer  Vorfahren,  wurde  ihr  und  ihrer  Seelenschar, 
auch  Dunkeleiben  genannt,  ein  Festessen  mit  bestimmter  Speise- 
ordnung auf  dem  Glücks-  oder  Perchtentisch  gegeben.  Auf  diese  Ab- 
fütterung der  Seelen  folgte  „das  reiche  Mahl"1)  für  die  überlebenden 
Sippengenossen,  von  dem  alles:  Kinder,  Gesinde,  Gäste,  selbst  die  Haustiere 
ihren  Teil  erhielten2),  und  zwar  mußte  man  recht  viel  essen,  um  sich  vor 
dem  Tritte  der  stampfenden  Perchta  im  Albtraume  zu  sichern.  Auch  durften 
nur  die  festgesetzten  Speisen  vorgelegt,  und  diese  mußten  nach  einer  be- 
stimmten Ordnung  verspeist   werden,   wollte   man   sich   nicht   der  Rache  der 


')  Daher    nach    Hofier    die    steirische    Benennung   „Reichenmahlnacht'*    für   die   Drei- 
königsnacht. 

2)   Wie    heim   Neujahrs-   und   Weihnachtsmahl    der  Mordwinen    in  den  §§  275  uud  277. 


360     Kap.  XLII.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 

Geister  im  Alptraum  aussetzen,  oder  doch  ihre  Gunst  verscherzen.  Daher  nach 
Höfler,  die  jährlich  konstant  wiederkehrenden  charakteristischen  Gebäcke 
des  Dreikönigstages:  Fladen,  Zelten,  Klöße,  Brei,  Brezeln  usw.  usw. 

Mit  dem  Anbruch  des  neuen  Jahres  verließ  Perchta  das  Land,  dem  sie 
Wohlstand  und  Fruchtbarkeit  verlieh,  um  sich  bis  aufs  nächste  Jahr  in  ihr 
Heiligtum  zurückzuziehen.  Sie  war  das  weibliche  Gegenstück  zum  „Schimmel- 
reiter' oder  „wilden  Jäger-'  Wodan'). 

An  diese  Auffassung  erinnert  Kärnthen,  wo  der  „Dreikönigstag" 
„Perchtentag"  genannt  wird,  und  wo  am  Vorabend  die  „wilde  Gjad"  die 
Spinnstuben  besucht  und  nebenbei  die  „Sternsinger"  in  ihren  Lodenmänteln 
von  Haus  zu  Haus  ziehen,  ihre  Hirten-  und  Dreikönigslieder  singend2). 

Hier  halten  wir  also  ein  auffallendes  Gemisch  heidnischer  und  christlicher 
Vorstellungen. 

Nach  Höfler  hieß  der  Dreikönigstag  auch  in  der  Schweiz  noch  1501 
„Pechteli-Tag";  in  Tirol  war  er  als  „Brechentag",  die  Nacht  als  „Gstam- 
panacht"  (von  der  stampfend  auftretenden  Perchta)  bekannt. 

Der  Perchta  entspricht  in  Mitteldeutschland  ..Frau  Holle",  welche  als 
Totengöttin  gleichfalls  Anführerin  der  Seelen  war.  Daher  hieß  der  jetzige 
Dreikönigsabend  in  Mitteldeutschland  früher  „Frau  Holleabend". 

Frau  Holle  führte  aber  auch  den  Namen  ,.Hel",  wovon  der  deutsche 
Name  „Hölle"  kommt.  Daher  die  frühere  westfälische  Benennung  „Höllen- 
tag" für  den  jetzigen  Dreikönigstag. 

Ferner  lebte  der  altgermanische  Neujahrstag,  bzw.  Perchtentag  im 
christlichen  Dreikönigstag  unter  den  Benennungen  „Großneujahr",  „Hohes 
Neujahr"  und  „hoher  Tag"  in  Bayern  und  Tirol  fort,  wo  er  zudem 
„Göbnächttag"  (von  „Göb-Gabe")  hieß. 

Aus  Tirol  erwähnt  Höfler  das  Perchtelmus,  welches  als  „Bachlkoch' 
auch  jetzt  noch  am  Dreikönigstag  gekocht  wird.  An  manchen  Orten  werde 
aus  diesem  Brei  (Mus)  Brot  gebacken,  dieses  in  Schnitten  geteilt  und  die 
Schnitten  in  Milch  öder  süßer  Klötzenbrühe  genossen  —  eine  uralte  Seelen- 
speise. 

In  Oberösterreich  stellt  man  nach  Höfler  noch  am  Dreikönigsabend 
eine  Schüssel  Milch  (Milchbrei),  mit  einem  Löffel  darin,  auf  den  Tisch,  damit 
..Frau  Percht",  wenn  sie  mit  ihrer  Seelenschar  kommt,  davon  genieße.  Wer 
in  der  Früh  an  seinem  Löffel  angesetzten  Rahm  findet,  erhofft  Glück  und 
Segen,  weil  Perchta  diesen  Löffel  benützt  habe. 

Zu  diesen  und  anderen  Mitteilungen  bemerkt  JTöfler,  was  am  Perchten- 
abend  nach  heidnischer  Sitte  den  Seelen  der  Ahnen  und  Sippegenossen 
hingestellt  worden  sei,  erhalten  nun  an  manchen  Orten  die  Kinder, 
unter  den  hier  einschlägigen  Bräuchen  erwähnte  er  den  folgenden  aus 
Herdersen  in  Flandern:  In  Herdersen  kommen  am  hl.  Dreikönigs-  oder 
am  Neujahrsabend8)  alle  Kinder  der  Gemeinde,  reich  und  arm.  auf  den  Hüten 
von  3 — 4  der  angesehensten  Bauern  zusammen  und  empfangen  eine  Münze. 
An  anderen  Ilandrischen  Orten  erbitten  sie  sich  an  diesem  Abend  den  „Gottes- 
teil", d.  h.  einen  Teil  von  dem  Bohnenkuchen,  der  ehedem  für  die  armen 
Seelen  bestimmt   war.4)   -      Der  Ausdruck   „Gottesteil"   ist   nach   Ho/fer  viel- 


')  Max  Höfler:  Die  Gebäcke  des  Dreikönigstages.  In  Ztsehr.  d.  Vereins  für  Volks- 
kunde. Jahrg.   II.   Berlin  l'.tO-l,  257  ff. 

-i  Nach  /'/.»/;.  ->.  Aufl.  II.  :(si. 

3)  Da  ja  der  christliche  Dreikönigstag  mit  dem  altgermanischen  Neujahrs-  oder  Perchten- 
tag zusammenfällt. 

*)  Bohnen  und  andere  Hülsenfrüchte  brachten  bekanntlich  auch  die  Griechen  ao 
ihrem  Toten-  und  Erntetest,  den  ..l'yanepsien"  (Pyanos,  die  Bohne),  zum  Opfer  dar  und 
verzehrten  aie  dann  gemeinschaftlich. 


§  279.     Fastnacht,  Aschermittwoch  und  Funkensonntag.  361 

leicht  eine  Wanderung  des  niedersächsischen  „Vergoden-deel",  d.  h.  Frau  Goden- 
oder  Holle-Teil,  und  die  in  den  flandrischen  Bohnenkuchen  gebackene  Münze 
das  Symbol  der  Kauf  münze  des  Totennachlasses.  — 

§  27i).     Fastnacht,  Aschermittwoch  und  Funkensonntag.  -  -  Lichtmeß  in 

Armenien. 

..Fastnacht"  oder  ..Fastenabend",  ,,Fastelabend"  usw.  bezeichnet  bekannt- 
lich im  engsten  Sinn  des  Wortes  nur  den  letzten  Tag  vor  Aschermittwoch, 
den  Vorabend  vor  den  vierzigtägigen  Fasten.  Je  nach  Ort  und  Zeit  hat  das 
Wort  aber  eine  weitere  Bedeutung.  So  wurde  z.  B.  früher  der  vorhergehende 
Sonntag  mancherorts  „großer  Fastelahend"  genannt,  und  im  bayrischen 
Schwaben  hält  es  hauptsächlich  die  ländliche  Jugend  gewissermaßen  für  ihr 
Becht.  vom  „gumpiga"  Donnerstag,  d.  h.  vom  6.  Tag  vor  Aschermittwoch  an, 
jeden  Tag  maskiert  zu  gehen,  sei  es  auf  den  Straßen,  sei  es.  um  Gaben  zu 
sammeln,  in  den  Häusern.  Am  Freitag  schmiert  man  sich  gegenseitig  mit 
Kohlen  oder  Büß  (Pfraum)  an;  der  Tag-  heißt  der  „pfraumige"  Freitag;  am 
Samstag,  dem  „schmalziga",  erwartet  man  fette  Kücheln  oder  sonst  in  reich- 
lichem Schmalz  oder  Butter  gekochte,  geröstete  oder  gebackene  Mehlspeisen. 
Der  „Fasnachtssonntig"  wird  in  hervorragender  Weise  von  maskierten  Kindern 
und  Erwachsenen  ausgenützt  und  ebenso  der  ,,laufige"  Montag1)  und  ,.d"Fasnacht" 
im   eigentlichen   Sinne   des  Wortes,   d.  h.   der  Dienstag   vor  Aschermittwoch. 

Die  Ausdehnung  der  Faschingsfreuden  durch  die  Erwachsenen,  haupt- 
sächlich der  Städter,  auf  Wochen  und  Monate  ist  bekannt. 

Einen  zeitlich  einheitlichen  Anfang  und  einen  zeitlich  einheitlichen  Ab- 
schluß der  Fastnacht  gab  es  ja  auch  damals  nicht,  als  die  noch  ungetrennten 
Christen  der  abendländischen  Kirche  mit  ihrer  Faschingslust  vor  der  Fasten- 
zeit halt  machten;  denn  auch  damals  ging  man  teilweise  schon  in  der  Weih- 
nachtswoche maskiert,  und  dehnte,  wo  die  kirchlichen  Fasten  erst  mit  dem 
ersten  Fastensonntag  begannen,  die  Faschingsfreuden  bis  eben  zu  diesem  Zeit- 
punkte aus. 

Ein  Beispiel  letzterer  Art  haben  wir  in  Mailand.  —  In  Süddeutsch- 
land wurde  der  erste  Fastensonntag  („Funkensonntag")  noch  im  18.  Jahr- 
hundert ..die  alte  Fastnacht-'  genannt,  und  in  der  Schweiz  hieß  er  Ende  des 
19.  Jahrhunderts  noch  so'2). 

Damit  sind  die  Volksbelustigungen,  welche  mancherorts,  selbst  unter 
Katholiken,  mich  am  Aschermittwoch  und  ersten  Fastensonntag  stattfinden, 
zeitlich  bereits  teilweise  erklärt.  Der  tiefere  Grund  liegt  freilich  auch  für 
die  Faschingsfreuden  in  altheidnischen  Festen,  d.  h.  in  den  römischen 
Luperkalien  und  Saturnalien,  sowie  in  einer  altgermanischen  Vor- 
feier des  Frühlings.  Im  alten  Born  kleideten  sich  am  Faunusfest.  welches 
am  17.  Februar  gefeiert  wurde,  die  Luperci  in  die  Felle  der  geopferten  Böcke 
und  umliefen  so  das  Weichbild  der  alten  Stadt.  Daß  sie  bei  dieser  Gelegen- 
heit die  ihnen  begegnenden  Frauen  mit  Biemen  aus  Bocksfellen  schlugen,  um 
sie  fruchtbar  zu  machen,  ist  in  §  276  erwähnt  worden.  Erinnerungen  daran 
finden  wir  auch  im  vorliegenden  Abschnitt.  —  Der  wochenlangen  ausgelassenen 
Festesfreuden  der  römischen  Saturnalien  wurde  gleichfalls  schon  früher  ge- 
dacht. —  Die  germanische  Vorfeier  des  Frühlings  ehrte  nach  Ploß3)  den 
Donar,  hauptsächlich  aber  die  Frigg.  war  also  in  einem  gewissen  Sinn  aber- 
mals ein  Fruchtbarkeitskult. 


')  In  früheren  Zeiten  mancherorts  als  ..Xarrenkirchweih'-  bekannt. 

2)  Vgl.    Wetzer  und    Weites  Kirchenlexikon,  2.  Aufl.  4.   Bd.,  1409. 

3)  2.  Aufl.  H,  388. 


362      Kap.  XL1I.   Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.   Christi,  und  voreliristl.  Erinnerungen  usw. 

Über  die  Teilnahme  der  Kinder  an  den  genannten  drei  Festen  vor- 
christlicher Zeiten  liegt  mir  kein  Material  vor. 

Da  aber  Andreas  Seider  den  mittelalterlichen  und  neuzeitlichen  „Kinder- 
bischof "')  in  seinen  Wurzeln  „zweifelsohne"  auf  die  römischen  Kaienden-  und 
Saturnaliengebräuche  zurückbezieht'-),  so  ist  damit  indirekt  ausgesprochen,  daß 
bei  den  römischen  Saturnalien  Kinder  eine  aktive  Rolle  spielten. 

Übrigens  wurde  bereits  in  früheren  Kapiteln  darauf  hingewiesen,  daß 
gewisse  vorchristliche  Kultakte  Erwachsener  in  der  christlichen  Ära  als 
Kinderspiele  i  weiterleben,  und  das  gilt  wohl,  mutatis  mutandis.  auch  für  die 
Faschingsfreuden  der  Kinder  unserer  Zeit.  Zu  diesen  Freuden  gehört,  haupt- 
sächlich auf  dem  Lande,  vor  allem  das  Ausrufen  oder  Absingen  von  Fastnachts- 
versen. 

In  Altenstadt  a.  d.  Hier,  Bayrisches  Schwaben,  rufen  die  Kinder, 
wenn  sie  in  den  letzten  Tagen  vor  Aschermittwoch  Masken  auf  den  Straßen 
sehen,  oder  selbst  maskiert  gehen: 

„Holla,  holla  insgemein, 

Morgen  geht  die  Fasnacht  ein, 

Fasnacht  ist  eine  lustige  Zeit. 

Wo  man  alle  G'sehpäßla3)  treibt."  — 

In  Dillingen  a.  d.  Donau,  gleichfalls  Bayrisches  Schwaben,  singen  sie: 

., Hörig,  hörig,  hörig4)  ist  die  Katz. 
L  ml   wenn  die  Katz   nit  hörig  ist, 
So  fangt  sie  keine  Maus."  — 

In  Ellwangen  in  Württemberg: 

„Fastnacht,  du  alte  Kuh, 
Steck  dein  —  mit  Lumpen  zu! 
Fastnacht  komm  morgen  z'Nacht, 
Wenn  mei  Mueter  Küechle  bacht. 
D'  Küechle  sind  verbronna: 
Wärst  bälder  komma!" 

Im  Saterland,  Oldenburg,  hielten  früher  die  Schulkinder  in  der 
Woche  vor  Fastnacht  ihre  Sammlungen  mit  Vorsänger,  Judas.  Eierkülk  (Eier- 
träger) und  Wurstberend  (Wurstträger).  Damit  verbanden  sie  "Wettgesänge 
und  Ringkämpfe. 

Auch  in  manchen  Gegenden  Belgiens  zieht  die  Jugend  singend  von 
Haus  zu  Haus.  Plo/i  führte  aus  dem  Volkslesebuch  von  Dautzeriberg  und 
Van  Dyse  das  folgende  Liedchen  an,  welches  bei  solchen  Gelegenheiten  ge- 
sungen wird.  Aus  den  zwei  ersten  Versen  ersieht  man  die  Gaben,  um  welche 
die  Kinder  bitten. 

„Ein   Klößchen  und  ein  Kohlkopf, 
Etwas  Brennholz  dabei! 
Hier  wohnt  auch  noch  ein  reicher  Mann. 
Her  uns  noch  etwas  geben  kann. 
Gebt  uns  was,  und  laßt  uus  gehn, 
Laßt  uns  nicht  so  lang  hier  stehn, 
Wir  müssen  heut  noch  weiter  gehn." 


i)  Siehe  §  276. 

2)  In    „Kirchliches   Handlexikon",    herausgegeben    von    Michael    liuclibcrger,    26.    Lief. 
München   1907,  356. 
:,i   Spaße. 
4)  Haarig. 


§  279.     Fastnacht.  Aschermittwoch  und  Funkensonntag. 


363 


Die  Limburger  Jugend  singt1): 


,.Fastabeuü  kommt  heran, 

Laßt  die  Mädchen  früh  aufstehn. 

Sie  gucken  hier,  sie  gucken  da, 

Sie  gucken  um  und  um. 

Mutter,  steht  mein  Mützchen  nett? 

Mein  Liebster  soll  heut  Abend  kommen. 

Kommt  er  diesen  Abend  nicht, 

Dann  kommt  die  ganze  Fasten  nicht. 

Setz  die  Leiter  an  die  Wand 

Und  schneid'  den  Speck  drei  Ellen  lang, 

Laß  das  Messer  sinken, 

Trag'  auf  den  fetten  Schinken! 

Vokka,  Vokka,  Rommelpot  (Lärm topf)!" 


Fig.  307.    Serben-Fasching  in  Ungarn.     In    der  K.  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde  in   Berlin. 
<Aus  dem  Tschechisch-Ethnographischen  Museum  in  Prag.i    Näheres  unbekannt.  —  Vgl.  indessen  die  Ver- 
kleidung der  altrömischen  Luperci  mit  Bocksfellen,  S.  361. 

Unter  diesem  „Rommelpot"  ist  das  musikalische  Instrument  gemeint, 
auf  welchem  die  Begleitung  zu  dem  Lied  gespielt  wird.  Es  besteht  aus  einem 
irdenen,  mit  einer  Blase  überspannten  Topf,  in  deren  Mitte  ein  Stroh-  oder 
Binsenhalm  befestigt  ist.  Fährt  man  mit  dem  angefeuchteten  Daumen  und 
Zeigefinger  an  dem  Halm  auf  und  ab,  so  entsteht  ein  schnarrender  Ton,  ähn- 
lich dem  Ton  eines  Waldteufels2).  --  Als  Lohn  erhalten  die  Kinder  von  frei- 
gebigen Bäuerinnen  Klöße.  Kohlköpfe,  Speck  und  Eier,  was  sie  aber  nicht 
selbst  behalten,  sondern  samt  Brennholz  einer  armen  Frau  schenken.  Nach 
diesem  ziehen  sie  ihre  Kleider  umgekehrt  an,  springen  und  tanzen.  - 

Wir  kommen  nun  zu  einigen  Aschermittwoch  brauchen:  Der  ursprüng- 
liche Sinn  des  ersteren,  aus  Anhalt  berichteten,  ist  allem  Anschein  nach  der 


•)  Xach  Ploß,  2.  Aufl.  II,  :J89f. 

2)  Ein  ähnliches  Instrument  fand  Weide  auf  dorn  jlakonde-Plateau.  wie  in  einem  früheren 
Kapitel  bereits  erwähnt  wurde. 


364      Kap.  XLII.   Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 

gleiche,  den  wir  von  den  altrömischen  Luperkalien  und  dem  mord- 
winischen Schweine-  oder  Neujahrsfest  kennen,  und  welcher  sich  unter 
verschiedenen  Formen  auch  an  das  christliche  Fest  der  unschuldigen  Kinder  ge- 
hängt hat.  Oskar  Härtung  schreibt  nämlich:  In  Anhalt  schlagen  die  Kinder  am 
Aschermittwoch  sich  gegenseitig,  oder  auch  Erwachsene  auf  den  Straßen  und 
in  den  Häusern,  mit  Ruten  aus  Birkenreis  oder  grünem  Wacholder.  Das 
nennen  sie  „einäschern".  Von  den  Geschlagenen  erhalten  sie  Brezeln  oder 
andere  kleine  Geschenke.  Speziell  in  der  Z  erbst  er  Gegend  sangen  sie  noch 
gegen   Knde  des  vergangenen  Jahrhunderts  dazu: 

„Ascher- Aschermittwoch, 

Eine  Brezel  gieb  mir  doch! 
Thust  du  mich  'ne  Brezel  geben, 
Wünsch  ich  dich  'n  langes  Leben."  — 

Und  in  Vockerode: 

„Ist  der  Peter  schon  dagewesen? 

Ein  paar  Eier, 

Ein  paar  Dreier, 

Ein  .Stückchen  Speck! 

Gleich  bin  ich  wieder  weg."  — 

Wie  hier  das  „Einäschern",  so  soll  in  Leobschütz,  Oberschlesien, 
offenbar  der  „Judas"  einen  alten  Heidenbrauch  zudecken.  In  Leobschütz  laufen 
nämlich  die  Knaben  am  Aschermittwoch  bei  eingetretener  Dunkelheit  auf  den 
Feldern  umher,  „um  Judas  zu  suchen".  Sie  schwingen  dabei  in  Teer  getauchte, 
brennende  Besen  in  den  Händen.  --  In  der  Trachenberger  Gegend,  Mittel- 
schlesien, sammelt  die  Dorfjugend  schon  viele  Wochen  vor  Aschermittwoch 
alte  Besen  zum  „Sauerbrennen".  An  diesem  Tage  selbst  fahren  sie  mit 
einem  Wagen  von  Hof  zu  Hof  und  sammeln  Holz,  Stroh,  Teertonnen  und  anderes 
Brennmaterial,  das  man  ihnen  überläßt,  und  schichten  es  an  einem  bestimmten 
Orte  auf.  Abends  bringt  dann  jeder  möglichst  viel  Besen  oder  Teerfackeln 
mit,  von  denen  er  zunächst  einen  am  Haufen  anzündet,  nachdem  dieser  vom 
ältesten  in  Brand  gesteckt  worden  ist.  Hierauf  ziehen  sie  im  Gänsemarsch 
oder  in  doppelter  Reihe  über  die  Felder,  wobei  sie  die  brennenden  Besen  in 
die  Luft  schleudern.  Der  Haufen  wird  von  zurückbleibenden  Burschen 
brennend  erhalten,  und  nachdem  die  anderen  wieder  hierher  zurückgekehrt 
sind,  beginnt  ein  tolles  Treiben.  .Man  wirft  einander  brennende  Besen  nach, 
springt  über  das  Feuer,  zündet  schließlich  die  letzten  Besen  an  und  zieht  mit 
diesen  vors  Dorf,  wo  sie  ausgelöscht  werden. 

Was  liier  am  Aschermittwoch  von  altheidnischem  Brauch  geblieben  ist. 
finden  wir  mit  einiger  Abänderung  an  anderen  Orten  schon  am  Martinitag1), 
dann  am  ersten  Fastensunntag  (Funkensonntag),  an  welchem  die  Jugend 
bekannterweise  vielerorts  im  Freien  Feuer  anfacht  und  sich  dabei  in  alther- 
gebrachter Weise  belustigt;  ferner  an  Ostern,  Pfingsten  und  Johanni. 

Fassen  wir  zunächst  das  „Scheibenschlagen"  oder  „Scheibentreiben", 
d.  h.  das  Schleudern  brennender  Holzscheiben  ins  Auge,  so  erfahren  wir  von 
Friedrich  Vogt,  daß  das  älteste  geschichtliche  Datum  für  diesen  Brauch  einst- 
weilen allerdings  nur  bis  auf  das  Jahr  1090  zurückgeht. 

In  diesem  Jahre  sei  am  21.  März  die  prächtige  Kirche  und  ein  großer 
Teil  der  übrigen  Gebäude  des  Klosters  Lorsch  durch  eine  brennende  Scheibe 
in  Klammen  aufgegangen.  Nach  Vogt  ist  das  Scheibentreiben  auch  nur  in 
germanischen  Ländern  nachweisbar,  obwohl  Fastnachts-  und  .Johannisfeuer 
außerhalb,  z.  B.  in  Frankreich,  „genugsam"  vorkommen.    Die  Feuerscheibe 


')  Nach  Heuser  ist    das  Martinsfeuer  wahrscheinlich  auf  eine  Vorfeier  des  Julfestes 
zurückzubeziehen,  hängt  also  mit  der  Sonnenwende  zusammen. 


S  279.  Fastnacht,  Aschermittwoch   und   Futikensonntag.  365 

stehe  in  Beziehung  zum  Glücksrad,  was  aus  einer  von  „Gaidoz  zitierten 
Verhandlung  der  Äbtissin  Jolanda  von  Bassompierre  mit  dem  Rate  von  Epinal 
(1665)  hervorgehe.  Gaidoz  habe  auf  den  sakralen  Charakter  des  Glücks- 
nnd  Lebensrades  im  Mittelalter  und  in  der  Neuzeit  hingewiesen.  Noch  jetzt 
sei  bei  dem  Rollen  des  Johannisrades  in  Niederkonz,  Lothringen,  dem 
auch  der  Bürgermeister  beiwohne,  der  Geistliche  zugegen1). 

Meine  Vermutung,  daß  der  21.  März  als  Datum  des  Lorsclier  Scheiben- 
schleuderns  auf  eine  Beziehung  dieses  Brauches  zum  germanischen  Frühlings- 
fest.  bzw.  Fruchtbarkeits-,  Sonnen-  und  Feuerkult  hinweise,  wird  durch  die 
folgenden  Verse  bestärkt,  welche  die  Oberinntaler  Jugend  in  Tirol  singt, 
wenn  sie  die  Scheibe  ins  Tal  schleudert,  nachdem  sie  sie  im  Feuer  (Holepfann) 
glühend  gemacht  hat: 

,.Holepfann,  Holepfann! 

Korn  in   der  Wann! 

Schmalz  in  der  Pfann! 

Pflueg  in   der  Erd ! 

Schau,  wie  die  Schein  aussirert."  — 

In  Illereicheu,  Bayrisches  Schwaben,  rufen  die  Burschen,  wenn  sie 
die  glühende  Scheibe  vom  Sandberg  ins  Illertal  schleudern: 

„Scheib  aus, 

Scheib  ein. 

Scheib  über  da  rein  (Grenzstreifen?) 

Dia  Scheib  soll  N.  N.  sein." 

Meistens  ist  es  ein  Liebespaar,  welchem  die  Scheibe  gilt.  Ist  das  Liebes- 
verhältnis anrüchig,  so  nennt  man  die  darauf  geschlagene  Scheibe  „Schand- 
scheilr.  -  Auch  „Ehrenscheiben"  gibt  es,  z.  B.  auf  den  Herrn  Pfarrer,  den 
Herrn  Lehrer  usw. 

Aus  dem  schwäbischen  Algäu  stammt  wohl,  dem  Dialekt  nach  zu 
urteilen,  das  folgende  Scheibenlied,  welches  Floß  in  der  2.  Auflage,  als  aus 
..einigen  Orten  Schwabens"  stammend,  einverleibt  hat. 

..Schib,  Schib,  Schib, 

Schib  mol  über  de  Rhu 

Weam  soll  denn  die  Schib  si? 

Die  Schib  got  krumm, 

Die  Schib  got  grad. 

Got  reacht,  got  schleacht. 

Sie  got  dem  N.  N.  eaben  reacht, 

Got  sie  nett,  so  gilt  sie  nett!-'  — 

Nicht  unter  dem  Bild  feuriger  Scheiben,  aber  unter  dem  Bild  feuriger 
Kreise  und  Räder  erscheint  uns  der  vorchristliche  Feuerkult  in  den  folgenden 
zwei  Bräuchen  in  der  Rhön  und  in  der  Gegend  von  Fulda,  wo  der  erste 
Fastensonntag.  ,.Huitzelsonntag'-,  bzw.  „Hutzeltag-  genannt  wird.  (Vgl.  die 
ursprüngliche  Bedeutung  der  Hutzelzelten,  Früchtebrot,  in  den  vorhergehenden 
Paragraphen  dieses  Kapitels.) 

In  der  Rhön  ziehen  nämlich  die  Schulknaben  an  diesem  Tag  mit  Stangen, 
welche  sie  vorher  mit  Stroh  umwanden,  auf  den  nächstgelegenen  Berg  und 
zünden  das  Stroh  mit  einbrechender  Dunkelheit  an.  Dann  laufen  sie  ins  Dorf 
hinunter,  bald  in  langer  Reihe,  bald  in  Windungen  und  kreisförmig,  oder  die 
Fackeln  um  sich  schwingend,  so  daß  ein  feuriger  Kreis  gezogen  wird.     Hier 


!)  Näheres   bei    Vogt:    Beiträge   zur   deutschen    Volkskunde    aus    älteren   Quellen.      In 
Ztschr.  d.  Vereins  f.   Volkskunde.     J.  3  (1893),  S.  349. 


368      Kap.  XIjII.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  rorchristl.  Erinnerungen  usw. 

gehen  sie  nun  von  Haus  zu  Haus  und  „haischen"  Eier,  Fleisch  und  Hutzel, 
d.  h.  gedörrte  Zwetschgen,  Birnen  und  Äpfelschnitte,  indem  sie  Bettellieder 
singen. 

Im  Fuldaischen  sammeln  an  diesem  Tag  die  Knaben  in  den  Häusern 
des  Dorfes  Stroh,  binden  es  in  Bündel  und  verbrennen  diese  unter  unbändigem 
Gejauchze  auf  den  Höhen,  indem  sie  damit  hin-  und  herlaufen  und  funken- 
sprühende Räder  schlagen,  ähnlich  den  „Osterlichteln"  am  „fränkischen  Land- 
rücken". Nach  diesem  bewegt  sich  der  Zug  der  Knaben  jubelnd  und  lärmend 
ins  Dorf  zurück.     Von  Haus  zu  Haus  gehend,  singen  sie: 

„Silier')  kale  Erwes2) 

Mit  Hutzelbrüh'  verschmelzt. 

Wenn  d'r3)  uns  kei'  Hutzel  gat4). 

Soll  der  Baum  kei'  Birna  troa5), 

Schäba11)  hie,  Schäba  her, 

(iat  uns  die  besten  Hutzeln  her"  usw. 

Ist  dieses  Lied  abgesungen,  so  werden  die  Knaben  mit  Hutzeln  und 
Krapfen,  wohl  auch  mit  einem  Trunk  Bier  regaliert,  und  sie  setzen  dann 
ihren  Marsch  fort.  — 

Es  ist  wohl  kaum  daran  zu  erinnern,  daß  diese  Fuldaer  Verse  im 
Grunde  den  gleichen  Gedanken  ausdrücken,  wie  das  Tiroler  Scheibenlied: 
Die  Hoffnung  auf  ein  ebenso  fruchtbares  Jahr  als  das  vergangene  war,  von 
dessen  reichen  Gaben  die  vagierende  Jugend  ihren  Anteil  haben  möchte. 

Freudenfeuer  am  Funkensonntag  gab  es  früher  in  Estavayer,  Kanton 
Freiburg.  Die  dortigen  Knaben  entwickelten  bei  Errichtung  der  Holzstöße 
einen  gewissen  Kunstsinn;  denn  Volmar  schrieb:  Nachdem  sie  mit  einer  Hacke 
oder  einem  Pfahl  ein  der  Holzmenge  entsprechendes  Viereck  auf  die  Erde 
gezeichnet  hatten,  rammten  sie  an  jeder  Ecke  einen  ungefähr  1'/°  Meter  hohen 
jungen  grünen  Baumstamm  ein,  dessen  gestützte  Äste  Gabeln  bildeten,  und 
die  sie  durch  eingeschobene  Stangen  miteinander  verbanden.  Auf  die  Stangen 
legten  sie  netzförmig  Prügel  kreuz  und  quer.  Prügel  wie  Stangen  mußten 
von  grünem  Holze  sein,  damit  sie  so  lange  Staud  hielten,  bis  das  auf  dem 
Prügelnetz  angehäufte  dürre  Material  verbrannt  war.  Angezündet  wurde  das 
Feuer  unter  dem  Gerüste,  wo  mit  Petroleum  getränktes  Stroh  angehäuft  war. 
Ein  kräftiges  Hurra  begleitete  das  erste  Aufprasseln,  und  unter  wildem  Geschrei 
umsprangen  die  Knaben  das  Feuer,  welches  sie  mit  langstieligen  Gabeln  an- 
schürten. Waren  die  Bürger  besonders  freigebig  gewesen,  dann  bildete  ein 
„Glas"  den  Schlußakt. 

In  Bedano,  Kanton  Tessin,  sind  Freudenfeuer  am  Fankensonntag  noch 
jetzt  gebräuchlich.  Nach  V.  Pcllandini  holen  sich  die  Knaben  aus  den  Häusern 
des  Dorfes  Bündel  von  Reisig,  Stroh  oder  Weinreben,  welche  sie  auf  einem 
Platz,  um  einen  Pfahl,  kegelförmig  aufschichten  und  mit  einbrechender  Nacht 
anzünden.     Das  ganze  Dorf  erscheint  am  Freudenfeuer.  — 

Endlich  sei  noch  der  Freudenfeuer  gedacht,  welche  in  Egin  und  Pirvan, 
Armenien,  am  Lichtmeß-Fest  auf  den  Dächern  jener  Häuser  angezündet 
werden,  in  welchen  im  vorhergehenden  Jahr  eine  Ehe  eingegangen  worden 
war7).  Um  diese  Freudenfeuer  trägt  man  die  unter  einem  Jahr  alten  Kinder 
und  singt  ihnen  vor.  —  Die  Eingebornen  von  Pirvan,  welche  an  Lichtmeß 
gleichfalls  Freudenfeuer  auf  den  Hansdächern  machen,  geben  an.  der  Brauch 
stamme  von  der  Zeit  her,  als  sie  Feueranbeter  waren8).  — 


')  Silber;    ■)  Erbsen;  3)  ihr;  4)  gebt;   '•)  tragen;  ")  Schaub,  Strohbündel. 
')  Auf  den    Dächern   der  übrigen   Häuser  werden   nur  Kerzen   angezündet. 
"J  J.   Rendel   Harris.    Notes   fnmi   Armenia,  p.  4ii7. 


§  280.     Sonntag  Lätare.  367 

§  280.     Sonntag  Lätare. 

In  der  Lausitz  ist  es  Brauch,  daß  man  im  Frühling  einer  Strohpuppe 
ein  weißes  Hemd  anzieht,  sie  dann  an  die  Grenze  trägt  und  hier  zerreißt,. 
worauf  man  das  Hemd  an  einen  schönen  Waldbaum  hängt,  diesen  abhaut  und 
heimträgt. 

Ähnlichen  Bräuchen  begegnen  wir  in  dem  vorliegenden  Paragraphen  in 
verschiedenen  Gegenden  Europas.  Sie  stellen  die  Überwindung  des  Winters 
durch  die  schönere  Jahreszeit  dar  und  sind  Beste  alter  Frühlingsfeste  und 
Fruchtbarkeitskulte,  wie  schon  Floß  im  Hinweis  auf  Grimm,  Seih,  Kamp, 
Zacher,  Lechner,  Dobrynkina  u.  a.  in  der  2.  Auflage  des  Kindes  festgestellt 
hat.  Seitdem  lieferte  Ä'.  Th.  Preuß  zu  diesen  europäischen  Bräuchen  drastische 
Seitenstücke  aus  dem  alten  Mexiko,  welche  zugleich  auf  die  ursprünglichen 
Formen  der  hier  einschlägigen  europäischen  Bräuche  einen  Schluß  gestatten 
dürften. 

Im  alten  Mexiko  wurde  nämlich  alljährlich  40  Tage  vor  dem  Erntefest 
eine  40—45  Jahre  alte  Frau  gewählt  und  ihr  die  Bolle  der  Erdgöttin  Teteoinnan 
oder  Toci  („unsere  Ahne")  übertragen.  Man  kleidete  sie  in  die  vorschrifts- 
mäßige Tracht  dieser  Göttin  und  verehrte  sie,  wie  wenn  sie  diese  selbst  wäre. 
Am  Erntefest  wurde  sie  als  die  nunmehr  alt  gewordene  Göttin  des  Wachstums 
und  der  Fruchtbarkeit,  die  zum  Weitergebären  nicht  mehr  tauglich  sei,  als  die 
alte  „Maismutter-'  geopfert.  Ein  großer  und  besonders  kräftiger  Priester  nahm 
sie  derart  auf  den  Bücken,  daß  ihr  Gesicht  nach  oben  gerichtet  war;  an  den 
Armen  hielt  er  sie  fest.  Dann  packte  der  Opferpriester  die  Frau  bei  den 
Haaren  und  schnitt  ihr  den  Kopf  ab,  wobei  ihr  Blut  sich  wie  ein  Bad  über 
den  Priester  ergoß,  der  sie  trug.  Den  noch  warmen  Körper  häutete  man 
sofort  ab  und  bekleidete  den  Priester  mit  der  Haut.  Er  übernahm  nun  die 
Bolle  der  Göttin.  Durch  das  Blut  und  die  Haut  wurde  die  Kraft  der  alten 
Göttin  auf  die  neue  übertragen. 

Ende  Februar  tötete  man  Gefangene,  häutete  sie,  und  bekleidete  mit 
diesen  Häuten  Überlebende,  damit  in  diesen  der  Frühlings-  oder  Wachstums- 
dämon verjüngt  werde:  deshalb  hieß  der  Fiiihlingsdämon  ..Xipe",  d.  h.  „der 
Geschundene". 

Preuß  bemerkt  zu  diesen  Mitteilungen:  In  den  deutschen  Bräuchen 
stirbt  der  Dämon  des  Winters  meist  eines  friedlichen  Todes  und  wird  als 
Puppe  hinausgetragen,  begraben,  oder  ins  Wasser  geworfen.  Doch  fehlt  auch 
die  blutige  Zeremonie  des  Enthauptens  nicht.  Eine  Blutwurst  oder  Blutspritze 
täuscht  die  einstige  grausige  Wahrheit  vor. 

Die  Lausitzer  Puppe  ist  also  nach  Preuß  der  alte  Vegetationsdämon, 
dessen  Kräfte  durch  das  Hemd  auf  seinen  Nachfolger,  den  neuen  Geist  des 
Wachstums,  auf  den  schönen  Waldbaum,  übertragen  wird1). 

Vielfach  bilden  ähnliche  Bräuche  wie  der  Lausitzer  die  Festesfreude 
der  Kinder  am  Sonntag  „Lätare",  also  am  vierten  Fastensonntag  oder  dritten 


')  Frazer  allerdings  meinte,  bei  den  hier  einschlägigen  europäischen  Bräuchen  kämen 
Zeremonien  vor,  welche  sich  mit  dem  Tod  und  dem  Wiedererwachen  der  Vegetation  nicht 
vereinen  lassen.  Wohl  verstehe  man  das  Wehklagen,  die  Trauerkleider  und  das  feierliche  Be- 
gräbnis, aber  was  solle  man  von  der  Fröhlichkeit  sagen,  mit  welcher  die  Puppe  oft  umher- 
getragen werde,  was  von  den  Mißhandlungen  mit  Stock  und  Stein,  von  den  auf  sie  geschleu- 
derten Flüchen  und  Verhöhnungen,  wenn  die  Puppe  nicht  auch  das  Bild  eines  öffentlichen 
Sündenbockes  ist,  auf  den  die  Übel  geladen  werden,  die  das  Volk  im  verflossenen  Jahre 
belasteten?  (Nach  W.  Thomas:  The  Scape-Goat  in  European  Folklore,  Folk-Lore  XVII, 
London  1906,  258  ff.)  —  Floß  erinnerte  daran,  daß  die  Franken,  Sachsen  und  Thüringer 
sowie  die  Serben  und  Wenden  am  25.  März  ihr  neues  Jahr  antraten.  —  Vielleicht  hängt 
also  ihr  Brauch  des  „Todaustragens"  zunächst  mit  diesem  zusammen.  Da  jedoch  ür  Neu- 
jahrsanfang mit  dem  Beginn  des  Frühjahrs  zusammenfällt,  so  ist  der  Grundgedanke  wohl 
wieder  der  gleiche:  Tod  des  Winters,  Aufleben  des  Frühlings,  d.  h.  ein  Fruchtbarkeitskult, 


368      Kap.  XLII.   Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.   Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 

Sonntag  vor  Ostern.  Seltener  finden  sie  am  Sonntag  „Judica"  statt,  welcher 
auf  jenen  folgt.  Der  Grundbedeutung  des  Brauches,  d.  h.  dem  Sterben  des 
Winters  und  dem  Aufblühen  des  Frühlings  und  Sommers  entsprechend,  heißt 
in  den  betreffenden  Gegenden  der  Sonntag  Lätare,  bzw.  der  Sonntag  „Judica" 
im  Volksmund:  ..Rosen-  oder  Todsonntag";  auch  als  „Sommersonntag"  kennt 
man  den  Sonntag  Lätare. 

Das  Schicksal  der  Winterpuppe  ist,  wie  angedeutet  und  wie  aus  den 
folgenden  Bräuchen  verschiedener  Gegenden  hervorgellt,  mannigfach. 

Nach  Ploß1)  kleidet  die  Jugend  in  Mähren  und  im  österreichischen 
Schlesien  am  Sonntag  Lätare,  eine  Puppe,  welche  den  Tod  darstellen  soll, 
in  weiße  Weiberkleider'2).  Mädchen  tragen  sie  dann  hinaus  und  werfen  sie 
ins  Wasser.  —  Dieser  Sonntag  heißt  hier  „Todsonntag".  -  Auf  dem  Heim- 
weg haben  sie  geschmückte  Tannenzweige3)  und  singen: 

..Den  Tod  haben  wir  ausgetragen; 
Den  Sommer  bringen  wir  wieder, 
Den  Sommer  und  den  Mai, 
Der  Blümlein  allerlei." 

Den  Mai,  welchen  die  Mädchen  somit  schon  am  Sonntag  Lätare  an- 
kündigen, feiern  sie  auch  bereits  an  diesem  Tag  und  singen  ihn  als  „Pate"  an: 

,/Potli  Mai,  Poth  Mai, 

Gebt  mir  ein  Kreuzer  und  ein  Ei  !" 

Als  weibliches  Wesen  ist  nicht  nur  deT  zu  Grab  getragene  Winter,  sondern 
auch  die  heranziehende  schöne  Jahreszeit,  und  zwar  diese  als  Jungfrau  gedacht. 
Wenigstens  bezog  Ploß  die  folgende  Strophe  von    VernoUeken  darauf. 

„Die  goldnc  Kett  liegt  um  das  Haus, 
Die  schönste  Jungfrau  geht  heraus, 
Sie  geht  in  ihrem  Rocke, 
Als  wie  die  schönste  Docke." 

In  Böhmen  wird  die  den  Tod  darstellende  Strohpuppe,  in  Gestall  eines 
alten  häßlichen  Weibes,  am  Sonntag  „Judica"  unter  Gesängen,  Liedern  und  lautem 
Jubel  zuerst  in  den  Straßen  herumgetragen  und  dann,  wie  in  Mali  reu  und 
im  österreichischen  Schlesien,  ins  Wasser  geworfen.  -  Wie  hier  der 
Sonntag  Lätare,  so  heißt  in  Böhmen  der  Sonntag  „Judica"  „Totensonntag". 

In  Kroatien  und  Slawonien  sägt  man  an  „Mittfasten"4)  eine  Puppe 
entzwei  (Fr.  Huber). 

Die  Kleinrussen  verbrennen  die  weibliche  Puppe  (Mara),  welche  sie  bei 
ihrer  Friihlingsfeier  zuerst  durch  Gassen  und  Felder  tragen,  auf  einer  Anhöhe. 

Aus  dem  Kreise  Murom,  Gouvernement  Wladimir,  berichtete DobrynMna 
im  Jahre  1874 5),  daß  die  männliche  und  weibliche  Jugend  bei  ihrer  Frühlings- 
feier eine  weibliche  Strohpuppe  „Kostroma"  anfertigen,  bekleiden,  unter  Gesang 
und  Scherz  wieder  ausziehen  und  dann  in  den  Fluß  Oka,  oder  in  ein  anderes 
Wasser  werfen.  -  An  anderen  Orten  wird  die  Puppe  begraben.  -  Ferner 
komme  es  vor,  daß  man  ein  junges  Mädchen  in  einen  Kasten  lege,  als  „Kostroma" 
in  den  Wald  trage  und  unter  einer  Birke")  absetze.   —    Diese  und  ähnliche 


')  2.  Aufl.   II.  378  f. 

*)  Der  Tod  ist  hier  weiblichen  Geschlechts. 

3i  Vgl.  den  Christbaum  als  Lebeosbaum, 

')  „Mittfasten"  ist  im  eigentlichen  Sinn  der  Mittwoch  vor  Sonntag  Lätare;  doch  wird 
auch  letzterer  als  „Mittfasten"  bezeichnet. 

6)  In  der  Sitzung  der  Kais.  Huss.  (lesellsch.  der  Freunde  der  Naturkunde,  Anthropologie 
und    Ethnologie  (bei   Floß.  2.   Aufl.   II,  380). 

e)  Vgl.  die  Hirke  als  heiligen  Baum  der  mordwinischen  Göttiu  der  Fruchtbarkeit  in 
§  275  und  an  anderen  Stellen   des  vorliegenden    Werkes. 


§  280.     Sonntag  Lätare.  369 

Gebräuche  nenne  man  „die  Bestattung  oder  Beerdigung  der  „Kostroma";  ihre 
Bedeutung  sei,  „dem  Frühling  das  Geleit  zu  geben":  denn  die  Kostroma  sei 
der  Frühling  selbst  und  stelle  eine,  von  den  finnischen  Stämmen  Merja  und 
M uro m  verehrte  Gottheit  dar.  Vielleicht  sei  es  die  Friihlingsgöttin  Simzerla 
oder  deren  Tochter  Merzana.  was  mir  allerdings  unwahrscheinlich  dünkt,  da 
an  einer  Frühliugsfeier  die  Frühlingsgöttin  kaum  beerdigt  wird.  Es  wird 
wohl  auch  hier  der  Winter  beerdigt,  oder  ertränkt  usw.  Das  „junge"  Mädchen, 
welches  an  einzelnen  Orten  statt  der  Puppe  hinausgetragen  wird,  erklärt  sich 
vielleicht  damit,  daß  an  dem  Spiel  eben  nur  die  Jugend  teilnimmt,  und  eine 
alte  Frau  sich  kaum  zum  Mitspielen  hergeben  dürfte,  oder  aber,  es  handelt 
sich  hier  um  einen  anderen,  noch  unaufgeklärten,  Brauch. 

In  Schlesien,  Sachsen  und  Thüringen  belustigten  sich  früher  die 
Kinder  am  Sonntag  Lätare  mit  „Tod  vertreiben"  oder  „Tod  austragen"'.  Eine 
Puppe  wurde  aus  Holz,  Stroh  und  Lumpen  hergestellt  und  unter  Gesang  aus 
dem  Dorfe  getragen,  wo  man  sie  entweder  ins  Wasser  warf,  oder  unter  Narren- 
possen und  Gaukelspiel  verbrannte,  oder  unter  Flüchen  und  Verwünschungen 
über  die  Flurgrenze  warf1).  Die  Jugend  der  benachbarten  Flur  litt  die  Puppe 
aber  nicht  auf  ihren  Ackern,  was  nicht  selten  Zank  und  Streit  zur  Folge  hatte. 

Streckten  die  Kinder  bei  ihren  Umzügen  die  Puppe  an  das  Fenster  eines 
Hauses,  dann  galt  das  für  ein  böses  Omen:  Im  Laufe  des  Jahres  kehrte  hier 
der  Tod  ein.  Man  gab  ihnen  deshalb  Geld,  um  sie  von  einem  solchen  Streich 
zurückzuhalten. 

Bei  ihrer  Rückkehr  ins  Dorf  erhielt  die  Jugend  außerdem  Brezeln  und 
gekochte  Bohnen,  was  wohl  abermals  als  Best  eines  vorchristlichen  Frucht- 
barkeitskultes anzusehen  ist.  Denn  die  Bohnen  sind  ein  Fi  uchtbarkeitss3Tmbol  und 
über  die  Brezeln  bemerkte  Ploß2):  Sie  waren  anfänglich  das  Bild  der  wieder- 
kehrenden Sonne;  später  sollten  sie  den  gekreuzigten  Heiland  darstellen  und 
wurden  zur  gebräuchlichen  Fastenspeise. 

Bei  ihrem  Umzug  sangen  die  Kinder: 

„Nun  treiben  wir  den  Tod  hinaus, 
Den   alten    Weibern  in   das   Haus. 
Den  reichen  in  den  Kasten. 
Morgen  wollen  wir  fasten."  — 

Im  Liebauer  Tal  verquickten  sich  beim  Todaustragen  am  Sonntag  Lätare 
christliche  und  vorchristliche  Gedanken,  Tod  und  Leben  in  dem  folgenden 
Brauch:  Der  Lehrer  wählte  fünf  Knaben  aus,  die  von  Haus  zu  Haus  gingen. 
Der  erste  trug  die  den  Tod  darstellende  Strohpuppe  auf  einer  Stange  über 
Haushöhe;  der  zweite  einen  Maien  oder  „Sommer",  ein  geschmücktes  Bäumehen3); 
der  dritte  eine  Geldbüchse;  der  vierte  eine  Peitsche,  mit  der  er  beständig 
knallte4);  der  fünfte  einen  Sack.     Sie  sangen  bei  den  Häusern: 

„Was  Fleisch  ist.  muß  verderben, 

Der  Tod  läßt  keinen  aus, 

Allein  die  Zeit  zum  Sterben 

Weiß  keiner  im  voraus. 

Die  Bösen  gehn  zur  Pein, 

Zur  Hölleuglut  hinein, 

Die  Frommen  aber  werden  im  Himmel  selig  sein." 


')  Mit  diesem  Brauch  wäre  allenfalls  Frazers  Hypothese  vom  „Sündenbock"  zu  stützen, 
obgleich  das  Verfluchen,  Verwünschen  und  Hinauswerfen  des  verhaßten  Winters  gar  nichts 
Widersinniges  enthält. 

2)  2.  Aufl.  II,  378. 

3)  Vgl.  den  Friedemoster  Sonnenbaum,  Fig.  368. 

4)  Man  vergleiche  das  Peitschen  mit  Ruten  usw.  in  den  vorhergehenden  Paragraphen, 
sowie  das  „Aperschnalzen",  Fig.  37,  in  Kap.  V;  dann  das  Peitschen  und  Anspritzen  der 
Mädchen  (auch  „Schmaekostern")  in  Leobschütz,  Breslau  usw.  am  Ostersonntag 
und  Ostermontag  in  §  282:  Alles  Reste  eines  vorchristlichen  Fruchtbarkeitskultes. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    s.  Aufl.     Band  II.  24 


370     Kap.  X.L1I.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 


Wurde  ihnen  in  einem  Hause  nichts  geschenkt,  so  lehnten  die  Kinder 
den  Tod  an  die  Mauer,  was  auch  liier  den  Tod  eines  Bewohners  zur  Folge 
haben  sollte.  Nachmittags  verbrannte  man  die  Puppe  und  begrub  die  Asche 
(Patschovsky). 

Jetzt  scheint  das  Herumtragen  einer  Puppe  im  Libauer  Tal  nicht  mehr 
gebräuchlich  zu  sein,  wohl  aber  das  „Sommersingen",  das  auch  in  Breslau 
üblich  ist. 

Aus  dem  Liebauer  Tal  hat  PatschovsJcy  in  seinen  „Jahreslieder"  einen 
solchen  Sommergesang  veröffentlicht.     Die  ersten  zwei  Strophen  davon  lauten: 

„Ich  komm'  zu  euch  zum  Summer, 
Ich  bin  a  kiener   I'mnnier, 
Lot  mich  ne  zu  lange  stihn. 
Ich  muß  a  Häusla  weiter  gihn. 

Ich  bin  a  kiener  Pummer, 
Gabt  mer  wos  zum  Summer. 
Ich  bin  a  kiener  Kenig. 
Gabt  mer  nich  zu  wenig. 
Läßt  mich  ne  zu  lange  stihn. 
Ich  muß  a  Häusel  weiter  gihn." 

Als  Tageszeit  werden  die 
Morgenstunden  gewählt.  —  Der 
Sonntag  Lätare  heißt  im  Lie- 
bauer Tal  sowohl  „Todsonn- 
tag" als  auch  „Sommersonn- 
tag". — 

Ein  Breslau  er  „Sommer- 
singen" lautet: 

„Rote  Rosen,  rote  Kosen1). 

Die  blühen  auf  dem  Stengel. 

Der  Herr  ist  schön, 

Der   Herr  ist  schön, 

Die  Frau  ist  wie  ein  Engel."  — 


Fig.  368.  Ein  sogenannter  Soinmeruaum,  der  in  Friedemost, 
Kr.  ßlogau  (Schlesien)  am  Sonntag  Lätare  zur  Begrüßung 

des  Sommers  von  Kindern  herumgetragen  wird.     In   der  K. 
Sammlung  für  deutsche  Volkskunde  in  Berlin. 


Ein  drittes: 


Ein  anderes: 

..'S'   Fräulein  hat  'ne  Schürze  um 

Mit  dem  laugen  Bande. 

Die  ist  die  schönste  im  Lande."  — 


„Rot  Gewand,  rot  Gewand. 

Schöne  grüne  Linden 

Suchen  wir,  suchen  wir, 

Wo  wir  etwas  finden. 

Gehen  wir  in  den  grünen  Wald, 

Da  singen  die  Vögel  jung  und  alt. 

Sie  singen   ihre  Stimme. 

Frau  Wirthin,  sind  Sie  d'rinne? 

Sind   Sie  d'rinne,  kommen   Sie  raus. 

Bringen  Sie  mir  ein  Trinkgeld  raus, 

Ich  kann  nicht  länger  stehen, 

Ich  muß  noch  weiter  gehen.'' 

Diese   Lieder   werden    in   den   Morgenstunden   vor   den   Türen   der   Be- 
sitzenden gesungen,  und  es  versteht  sich  von  selbst,  daß  die  Loblieder  auf 

'!  Es  sind  hier  wohl  zunächst   die  Papierrosen  auf  dem  Stab  in  der  Hand  des  Kindes 
gemeint. 


§  280.     Sonntag  Lätare.  371 

die  schöllen  Insassen  der  Häuser  Gaben  bezwecken.  Die  Kinder  tragen  dabei 
teils  Tannenbäumchen,  mit  bunten  Blumen  aus  Seidenpapier  geschmückt, 
teils  Stäbe,  welche  mit  buntem  Papier  umwickelt  und  oben  mit  einer  Blume 
aus  Papier,  sowie  mit  papiernen  oder  seidenen  Fähnchen  verziert  sind.  Stäbe 
und  Bäumchen  versinnbüden  nach  Aussage  der  Kinder  den  Sommer. 

In  der  Pfalz  nennt  man  die  entsprechenden  Stäbe  „Sommertags- 
stecken". Sie  werden  hier  mit  Brezeln,  Bändern  und  anderen  Gegenständen 
verziert,  wie  Ludwig  Frärikel  schrieb.  Der  Tag,  an  welchem  die  Jugend  sie 
herumträgt,  ist  wiederum  der  Sonntag  Lätare,  im  Pfälzer  Volksmund  „Sommer- 
tags- oder  Staubausfest"  genannt,  welches  um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts 
an  einzelnen  Orten  noch  großartig  begangen  wurde.  In  dem  kleinen  Städtchen 
Lamprecht  seien  Teilnehmer  und  Zuschauer  nicht  nur  aus  der  ganzen  Pfalz, 
sondern  auch  aus  Elsaß-Lothringen,  Baden,  Hessen  und  andereu  Ländern  zu- 
sammengeströmt. Hingegen  wurde  das  Fest  in  den  letzten  zwanziger  Jahren 
des  19.  Jahrhunderts  nur  noch  von  der  Jugend  gefeiert.  Die  Kinder  durch- 
zogen die  Festorte  mit  Fahnen,  Schärpen  und  den  erwähnten  „Sommertags- 
stecken".  Im  Jahre  1899  aber  wurde  die  alte  Volksfeier  in  einzelnen  Orten 
wiederum  durch  die  Erwachsenen  aufgefrischt.  Dabei  trug  man  in  Neu- 
leiningen einen  10  Meter  hohen  Strohmann  singend  und  jubelnd  umher 
und  verbrannte  ihn  hierauf  feierlich. 

Somit  hat  auch  die  Pfalz  ihr  „Todaustragen". 

Ferner  findet  sich  dieser  Brauch  in  Oberfranken,  und  zwar  in  der 
Kronacher  Gegend,  wie  A.  Schuster  und  A.  Ziegelhöfer  im  Jahre  1908 
schrieben.  Die  Zeremonie  wird  von  der  dortigen  Jugend  als  „Todaustragen" 
schon  am  Vorabend  des  Sonntags  Lätare  vorgenommen,  worauf  sie  singt: 

„Hab'u  mer'n  Tod   nausgetragu, 
Hab'n  ma  a  Veichela  gfunna 
Mit  seiner  blauen  Bluma. 

So,  Leut,  der  Tod  ist  draus. 

Hab'n  mer'n  tragn  bis  über  die  Länder. 
Behüt  euch  Gott,  ihr  (Ortsname  N.)  Manne. 
So,  Leut,  der  Tod  ist  draus. 

Hab'n  mer'n  getragn  bis  über  die  Weiher, 
Behüt  euch  Gott  ihr  .  .  .   Weiber. 
So,  Leut,  der  Tod  ist  draus. 

Hab'n  mer'n  tragn  bis  übern  Forst, 
B'hüt  euch  Gott  ihr  .  .  .  Borscht. 
So,  Leut,  der  Tod  ist  draus. 

Hab'n  mer'n  tragn  bis  über  die  Rum, 
B'hüt  euch  Gott,  ihr  ...   Buben. 
So,  Leut,  der  Tod  ist  draus. 

Hab'n  mer'n  tragn  bis  über  die  Haadla, 
B'hüt  euch  Gott,  ibr  .  .  .  Maadla. 
So,  Leut,  der  Tod  ist  draus. 

So,  Leut,  der  Tod  is  draus, 

Langt  uns  a  paar  frische  Eiela  raus."  — 

Auch  in  der  rhätisch-romanischen  Schweiz  kamen  in  der  2.  Hälfte 
des  19.  Jahrhunderts  noch  ähnliche  Bräuche  vor,  zwar  nicht  am  Sonntag 
Lätare,  aber  immerhin  am  „Frühlingsfest"  der  Kinder,  am  1.  März  (Calendae 
Martii),  welches  die  dortige  Gegend  freilich  noch  tief  im  Schnee  findet. 

Lechner  schrieb  im  Jahre  1874,  daß  an  diesem  Tag  die  Knaben  im 
Bergell-Tal,  Kanton  Graubünden,  in  militärischer  Ordnung  durch  die  Dörfer 

24* 


372      Kap.  XLII.    Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorchristl.  Erinnerungen  usw. 

ziehen.  Die  größeren  mit  Soldatenmützen,  Säbeln  und  Fahnen:  die  kleineren 
mit  Glöckchen  oder  mächtigen  Kuhschellen.  Mit  ihrem  Lärm  wollen  sie  den 
Frühling  verkündigen.  Deklamierend  sammeln  sie  von  Hans  zn  Haus  Natu- 
ralien oder  Geld,  was  hierauf  entweder  untereinander  verteilt,  oder  für  ein 
Nachmittagsfest  aufbewahrt  wird,  zu  welchem  die  Mädchen  eingeladen  werden. 

Ähnliche  Bräuche  gab  es  vom  Como-See  bis  zum  Engadin.  Nach 
Caviezrt  fertigte  die  Engadiner  Schuljugend  bei  ihrer  Frühlingsfeier  einen 
Strohmann  an,  Pop  Tschütsehaiver,  d.  h.  Fastnachtspopanz,  genannt. 
Diesem  setzten  sie  einen  grell  bemalten  Holzkopf  auf  und  zogen  ihm  Militär- 
uniform  an.  welche  ihre  Vollendung  in  einem  breitkoppigen  Tschako  und 
einem  langen  Säbel  fand.  Dieses  Monstrum  zogen  Schulknaben  auf  einem 
kleinen  Schlitten  von  Haus  zu  Haus.  Während  der  eine  Teil  der  bewaffneten 
Schar  in  das  Haus  stürmte,  blieben  die  anderen  als  Wache  auf  der  Straße 
zurück.  In  der  Wohnstube  angelangt,  verlangte  der  älteste  Knabe  Lebens- 
mittel, indem  er  unter  anderem  rezitierte: 

.. Kis,  salziz  e  murtadellas 
F  chastagnas,  scha  sun  beilas, 
Cham,  liagias  e  charn  d'püerch. 
Chor:  Vin  ais  il  pii  grand  confüert."   — 

Die  Hausmutter  beantwortete  die  Verse  mit  einem  aus  Würsten,  Kastanien, 
Reis  usw.  bestehenden  Geschenk,  das  gemeinsam  verzehrt  und  zu  welchem 
auch  die  Mädchen  und  Lehrer  eingeladen  wurden.  Nachmittags  versammelte 
sich  alles  auf  einem  Eauptplatze,  wo  der  Pop  von  den  militärisch  ausge- 
statteten Knaben  auf  die  Armesünderbank  gestellt  und  ihm  ein  langes  Ver- 
brecherregister vorgehalten  wurde.  Der  Entscheid  lautete  stets  auf  Tod.  Das 
urteil  wurde  durch  Enthauptung  des  Pop  vollzogen.  Den  Holzkopf  bewahrte 
man  für  das  nächste  Jahr  auf. 

Caviezel  setzte  diese  Behandlung  des  Engadiner  Strohmannes  mit  der 
Vertreibung  der  einstigen  Burgvögte  und  mit  der  rächenden  Volksjustiz  in 
Verbindung.  Hingegen  sah  Plo/s  darin  „lediglich"  einen  Überrest  der  alten 
Frühjahrsfeier  mit  der  bildlichen  Tötung  des  Winters.  —  Vielleicht  hat  sich 
aber  in  den  Engadiner  Bräuchen  beides  miteinander  vereint.  Auch  Frazers 
Hypothese  kann  hier  eine  Stütze  suchen,  obgleich  die  militärische  Uniform 
zum  ..Sündenbock"  nicht  paßt. 

Aus  der  Vorderschweiz  teilt  Karl  Storch  mit.  daß  die  Kinder  am 
vierten  Fastensonntag,  also  Lätare,  nach  beiden  Geschlechtern  abgeteilt,  von 
Haus  zu  Haus  ziehen,  um  Eier,  Mehl  u.  dgl.  zu  erbitten.  Früher  sei  das  all- 
gemein gewesen;  jetzt  ginnen  nur  noch  die  Kinder  der  Armen.  Auf  diesem 
Gang  singen  die  Knaben: 

„Stüret,  stüret1)  em  e  alte  Mieschma-) 
Hingerem   Bütteneloch 3)  e  HusJ)  gka. 
Siebe  Johr  im  Chönii6)  ghonge, 
Erst  nachte6)  abegfalle. 
Bolle,  Bolle,  so  ehalt7)."  — 

Gibt  man  den   K nahen  kein  Ei,  so  wünschen  sie: 

..Wenn  d'r  mit  weit  (wollet)  gbii. 
Mueß  eck  der  Iltis  d'Hühner  näh 
Met  samt  em  Ciggel  (Hahn) ."  — 


'i  Nach  Storch:  Steuert,  d.  h.  gebet:  ■)  Moosmann.  d.  h.  einer  der  so  arm  ist,  daß  er  sich 
nur  mit  Moos  kleiden  kann.  —  (Vgl.  aber  auch  den  in  Moos  gehüllten  Winter  in  dem  früheren 
deutschen  Krauch.  S.  373.)  3)  Fine  wilde  Kluft  bei  Ettingen.  hinter  welcher  kein  Haus  Platz 
hat:   »)   Haus;    ')   Kamin;  •)  letzte  Nacht;   7I  kalt. 


Sj  281.     St.  Gregorius-  und  St.  Georgstag.  373 

Wie  schon  in  meiner  Anmerkung-  zu  dem  alten  „Mieschma"  oder  Moos- 
mann angedeutet,  scheint  mir  dieser  der  Winter  selbst  zu  sein;  denn  nach 
Ploß1)  gab  es  früher  in  Deutschland  am  Sonntag  Lätare  und  auch  an  anderen 
Tagen  ein  ländliches  Kampfspiel  zwischen  zwei  Personen,  die  Winter  und 
Sommer  darstellten.  Der  Sommer  war  in  grünes  Laub'2),  der  Winter  in  Stroh 
oder  Moos  gehüllt.  Immer  war  er  es.  der  unterlag.  Man  riß  ihm  dann  seine 
Hülle  ab,  während  die  Jugend  jubelte: 

.,Stab  aus!  Stub  aus! 

Stecht  dem   Winter  die  Augen  aus!"  — 

Im  Viamischen  heißt  der  Sonntag  Lätare  „Zonierdag".  —  In  Brabant 
setzen  die  Kinder  am  Vorabend  Körbchen  mit  Heu  und  Brot  für  das  Pferd 
des  sinte  Greef  (des  (Trafen  von  Halbfasten)  auf.  der  in  dieser  Nacht  über 
die  Dächer  reitet  und  für  die  artigen  Kinder  Leckereien,  für  die  bösen  eine 
Rute  durch  den  Schornstein  fallen  läßt.  —  In  Antwerpen  zog  früher  der 
Graf  von  Halbfasten  feierlich  durch  die  Stadt;  jetzt  bildet  er  als  Pfeffer- 
kuchen ein  beliebtes  Geschenk. 

In  diesen  Bräucheu  erscheint  also  die  Frühlingsfreude  ohne  Winteraus- 
treibung, und  der  über  die  Dächer  hinreitende  Graf  erinnert  lebhaft  an  St. 
Nikolaus  und  an  St.  Martin  in  :<  273.  — 

Als  eine  Feier  „hohen  Alters"  an  ..Mittfasten"  wird  der  „Mothering 
Sunday"  in  Bristol  in  County  Folk-Lore  (I,  1895,  p.  19)  beschrieben.  Die 
Benennung  „Mothering  Sunday  soll  von  dem  Brauch  herrühren,  daß  an  diesem 
Tag  jedes  Kind  seiner  Mutter  ein  Geschenk  macht.  Doch  fordert  diese  Er- 
klärung selbstverständlich  die  Frage  nach  dem  Grund  heraus,  warum  diese 
Geschenke  an  diesem  Tag  gemacht  Averden.  Höchstwahrscheinlich  haben'  wir 
eben  auch  liier  wieder  einen  Best  vorchristlichen  Frühlings-  bzw.  Fruchtbar- 
keitskultes. Schon  der  Weizenbrei,  welcher  an  diesem  Tag  von  sämtlichen 
Mitgliedern  jeder  Familie  aus  den  Yolkskreisen  gegessen  wird,  weist  darauf 
hin.  Man  nimmt  ihn  in  einem  benachbarten  Dorf  ein,  nachdem  man  dem 
Gottesdienst  in  der  Kirche  beigewohnt  hat.  Die  Vornehmen  feiern  diesen 
Tag  daheim.  Abends  werden  künstlerisch  verzierte  „Mothering  cakes"  und 
Wein  aufgetragen.  —  Der  hier  beschriebene  Brauch  scheint  früher  im  ganzen 
westlichen  England  geübt  worden  zu  sein.  — 

Ploß  erwähnte  in  der  2.  Aufl.  (II,  378)  im  Hinweis  auf  K.  Zacher  den 
Brauch,  am  Sonntag  Lätare  eine  Puppe  zu  binden,  auch  als  italienisch  und 
spanisch.  Die  Puppe  stelle  das  älteste  Weib  im  Dorfe  dar,  werde  von  den 
Kindern  hinausgeführt  und  mitten  entzwei  gesägt.  —  Auf  Seite  379  schrieb 
er,  in  Barcelona  seien  die  Kinder  in  hellen  Scharen  durch  die  Stadt  gelaufen; 
„die  einen  trugen  Sägen,  andere  Holzklötze  und  noch  andere  sammelten  Gaben; 
dazu  sangen  sie  ein  Lied,  daß  sie  das  älteste  Weib  suchten,  um  es  entzwei 
zu  sägen. 

In  italienischen  Städten  hingegen  veranstaltete  die  Straßenjugend  die 
sogenannte  Scampauata,  d.  h.  sie  lärmte  herum,  zerbrach  alte  Töpfe,  läutete 
mit  alten  Glocken 3),  schrie  und  lärmte,  bis  sie  schließlich  eine  Puppe,  welche 
sie  das  älteste  Weib  nannten,  zersägte.  — 

§  281.    St.  Gregorius-  und  St.  Georgstag. 

Ploß  schrieb4):  „Ein  Kinder-  und  Schulfest.  das  fast  überall  in  Deutsch- 
land  bis   noch   vor  kurzem  gefeiert  wurde,  ist  das  Gregoriusfest,  welches 

')  2.  Aufl.  II,  377. 

2)  Siehe  das  Thüringer  Laubmännchen  in  Kap.  XL1II. 

3!  Das  Schellengeläute,  welches  wir  in  diesem  Kapitel  so  oft  hören,  erinnert  an  das 
Rasseln  bei  Pubertäts festen. 
4)  2.  Aufl.  U.  382. 


374     Kap.  XLII.   Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.    Christi,  und  vorehristl.  Erinnerungen  usw 

ebenfalls  aus  frühesten  Zeiten  stammt,  doch  wohl  nicht  germanischen,  viel- 
mehr wahrscheinlich  griechischen  Ursprunges  ist:  es  scheint  eine  Nachahmung 
der  griechischenPanathenäen  (Volks-  und  Freudenspiele)  und  der  römischen 
Quinquatrien  (Fest  der  Minerva)  zu  sein;  beim  Übergänge  heidnischer  Völker 
zum  Christentum  mußte  selbstverständlich  dem  Feste  ein  anderer  Name  ge- 
geben werden  und  es  mußten  ihm  auch  andere  Zwecke  untergeschoben  werden: 
Papst  Gregor  IV.  wandelte  828  das  große  Minervafest  in  das  Gregoriusfest  um. 
Eigentümlich  wurde  noch  bis  vor  kurzem  unter  Auswählung  eines  Bischofs 
aus  der  Zahl  der  Knaben  das  Fest  an  mehreren  Orten  des  Fränkisch- 
Hennebergischen  begangen1).  In  Meiningen  wurde  dieses  alte  Bischofsfest 
mit  seinen  Umzügen  erst  im  Beginn  unseres  Jahrhunderts  ganz  abgeschafft."  — 

Die  Verwandlung  des  heidnischen  Schulfestes  der  von  Suetonius  (Vita 
Domit.  4)  erwähnten  Minervalia  in  das  Gregoriusfest  wurde  nach  Wetzer  und 
Weites  Kirchenlexikon'-)  auch  dem  Papste  Gregor  dem  Großen,  d.  h.  Gregor  I. 
zugeschrieben.  Ebenso  sei  Gregor  III.  mit  der  Einsetzung  dieses  Kinder-  und 
Srlml festes  am  Gregoriustag  in  Verbindung  gebracht  worden.  Doch  wüßten 
alte  Quellen  nichts  davon.  —  Wahrscheinlich  sei  jenes  mit  diesem  verbunden 
worden,  weil  Gregor  I.  selbst  sechs  Klosterschulen  gestiftet  und  eine  Sänger- 
schule  gegründet  habe.  Wegen  der  im  März  oft  ungünstigen  Witterung, 
welche  die  öffentlichen  Umzüge,  das  Vogelschießen  und  ähnliche  Vergnügen 
der  Kinder  ungünstig  beeinflußten,  sei  das  Schulfest  an  manchen  Orten  erst 
um  Pfingsten  gefeiert  worden. 

Die  Visitationsakten  der  Diözese  und  "Erzdiözese  Bamberg  erwähnen 
nach  Max  Lingg  vom  Jahre  1708  ein  ..Umsingen"  der  Knaben  von  Neun- 
kirchen a.  Br.,  welches  um  das  Fest  S.  Gregorii  in  der  Fasten  gebräuchlich 
war.  Auch  von  einer  Büge  ist  die  Rede,  welche  der  Schulmeister  erhielt. 
Er  hätte  die  Knaben  „nicht  gleich  nach  Weihnachten  umherspringen  lassen 
sollen".  -  -  Die  beim  „Umsingen"  erhaltenen  Gaben  waren  Eier,  welche  der 
Schulmeister  dann  in  Gegenwart  des  Pfarrers  unter  die  Kinder  verteilte. 
Außerdem  erhielt  jedes  Kind  am  Gregoriustag  eine  Brezel3). 

Mit  dem  Gregoriustag  waren,  wie  aus  dem  gleichen  Aktenstück  aus  dem 
Jahre  1783  hervorgehe,  auch  „Schulhochzeiten"  verbunden.  Diese  werden 
als  böser  Mißbrauch  gerügt.  Der  Schulmeister  halte  die  Kinder  an.  zu  solchen 
Hochzeiten  bald  dieses,  bald  jenes  mitzubringen,  und  die  unschuldigen  Kinder 
bekämen  Anlaß  zum  Tanzen  und  andern  bösen  Dingen.  Sie  seien  deshalb 
völlig  abzustellen.  — 

Ein  lebhaft  an  das  ungarische  „Begenmädchen"  (dodoloi  erinnernder  Brauch 
ist  der  folgende,  für  den  mir  leider  der  Beleg  abhanden  gekommen  ist. 

Am  St.  Georgstag  hüllt  man  in  Carinthia  einen  Knaben  vom  Kopf 
bis  zu  den  Füßen  in  belaubte  Birkenzweige.  Der  Bursche  heißt  „Grüner 
Georg".  Man  trägt  auch  einen  Baum  in  Prozession  umher,  und  nach  dieser 
wirft  man  sein  Bild  oder  auch  ihn  selbst  ins  Wasser,  um  Regen  zu  bekommen.  — 


'l    I'hß  wies  hier  auf  Baltlt.   Spieß,  Volkstümliches   usw.  S.   110  hin. 

2)  2.  Auf)    4.  Bd..   1411. 

3)  In  Wetzer  und  Weites  Kirehenloxikon  wird  die  Brezel  mit  „pretiolum",  ..Preislein 
für  die  Kinder"  in  Verbindung  gebracht.  Vber  die  Bedeutung  der  Brezel,  nach  Floß  und 
Höfler,    siehe  die   betreffenden  Stellen  in    den    vorhergehenden   Paragraphen  dieses  Kapitels. 


Kapitel  XLII1. 

Festfreuden  des  Kindes.    Christliche  und  vorchrist- 
liche Erinnerungen.    Frucktbarkeitskulte  und  Ver- 
wandtes.   Fortsetzung  und  Schluß. 

§  282.     Karwoche  und  Ostern. 

Zu  den  feierlichsten  Momenten  des  religiösen  Lebens  gehört  zweifellos 
die  in  die  Osterzeit  fallende  erste  heilige  Kommunion  des  katholischen, 
und  die  Konfirmation  des  protestantischen  Kindes.  Auf  das  Wesen 
dieser  Festesfreuden  einzugehen,  ist  selbstverständlich  nicht  die  Aufgabe  des 
vorliegenden  Werkes.  Nicht  einmal  die  äußeren  Bräuche  mit  ihren  lokalen 
Färbungen  bei  diesen  religiösen  Akten  können  hier  berücksichtigt  werden. 
Nur  zwei  Illustrationen  Fig.  369  und  Fig.  370 a),  sowie  ein  Nord-Thüringer 
Konfirmandenbrauch  mögen  darauf  hinweisen,  daß  auch  dieses  Gebiet  der 
Volks-  und  Völkerkunde  eine  lohnende  Ernte  in  Aussicht  stellt. 

In  Immenrode,  Grafschaft  Höllenstein  in  Nord-Thüringen,  fand 
Rudolf  Reiehhardt  den  Brauch,  daß  die  Konfirmanden  den  Katechumenen  am 
Tage  ihrer  Entlassung  aus  dem  Unterricht  auf  dem  Wege  nach  Hause  Saug- 
läppchen  in  den  Mund  steckten,  um  anzudeuten,  daß  die  Katechumenen  noch 
«in  Jahr  Pflege  und  Unterricht  nötig  haben,  bis  sie  so  weit  sind,  daß  sie  zur 
Konfirmation  gehen  könnten.  Denn  der  Konfirmationsunterricht  ist  dort  ein 
zweijähriger. 

Am  Palmsonntage  schmückt  man  Pfarrhaus,  Kirche  und  Schule,  sowie 
die  Häuser,  aus  denen  Konfirmanden  hervorgehen,  mit  Tannengrün  und  buntem 
Papier.  Die  Knaben  tragen  in  manchen  Gegenden  einen  bunten  Strauß  am 
Rock,  in  der  Hand  eine  Zitrone;  die  Mädchen  einen  Kranz  auf  dem  Kopfe. 
Den  Strauß  erhalten  die  Knaben  von  den  Konfirmandinnen,  ihren  „Straußmäd- 
chen" oder  „Abendmahlsschwestern",  wofür  sie  den  Mädchen  auf  dem  nächsten 
Jahrmarkt  in  der  Stadt  ein  Geschenk  kaufen.  — 

In  der  Karwoche  beginnen  für  die  Kinder  verschiedener  Orte  schon 
die  Osterfreuden. 

In  der  englischen  Grafschaft  York  ist  es  am  Gründonnerstag  wie  an 
Ostern  selbst  gebräuchlich,  daß  die  Kinder  Ball  spielen.  Daß  dieser  Brauch 
nur  körperliche  Bewegung  bezwecke,  wie  Mrs.  Gutch  bemerkte,  ist  wohl  für 
die  jetzige  Auffassung  zutreffend;  für  die  ursprüngliche  erscheint  es  mir 
zweifelhaft. 

Ebenso  dürfte  dem  folgenden  Gründonnerstagbrauch  in  Leobschütz 
ein  tieferer  Sinn  zugrunde  liegen.  Hier  erhalten  nämlich,  nach  P.  Dittrich, 
die  Kinder  am  Gründonnerstag  Houigsemmeln,  oder,  wo  Honig  zu  kostspielig, 
Sirup-  oder  Leinölsemmeln.  Letztere  gibt  man  ihnen  in  der  ganzen  Fasten- 
zeit. — 


')  Fig.  370  stellt  übrigens  Erstkummunikanten  von   Weihnachten  1910  dar. 


376     Kap.  XLII1.    Festfreuden  des  Kindes.    Christliche  und  vorchristliche  Erinnerungen  usw. 


Im  Liebauer  Tal.  Niederschlesien,  gehen  die  Kinder  schon  am 
Gründonnerstag  im  Dorf  herum  und  erbitten  Gaben,  indem  sie  rufen: 
„Seid  gebaten,  gabt  mer  was  zum  Gründornschtich."  Bereits  an  diesem  Tag 
versteckt  man  hier  früh  hart  gesottene  und  gemalte,  oder  Zucker-  und  Choko- 
laden-Eier  in  künstlichen  Nestern,  welche  die  Kinder  nach  dem  Aufstehen 
suchen.  Am    Karfreitag   gingen   früher   die   größeren   Schulknaben    mit 

„Schnarren"   im   Dorf  herum,  um  Eier  und  andere  Gaben  zu  erbitten  (Pat- 
schovsJc//).  — 

Einen  ähnlichen  Brauch  berichtet  Otto  Heilig  aus  dem  nördlichen 
Baden,  wo  die  „Karrbuben"  im  Dorf  herumgehen  und  rufen:  „Karre.  Karre, 
Hutzel  raus,   Schickt  den  Marder  ins  Hühnerhaus." 

Nicht  um  Gaben  zu  erbitten,  sondern  um  die  Katholiken  zum  Gebet 
aufzufordern,   ..rutschen"   bekanntlich  am  Karfreitag  Knaben  den  „englischen 

Gruß".  Dabei  sagen  sie  an  verschiedenen 
Orten  Süddeutschlands:  „Wh"  ratschen, 
wir  ratschen  den  englischen  Gruß,  den 
jeder  katholische  Christ  beten  muß.  Fallt 
nieder,  fallt  nieder  auf  eure  Knie  und 
betet  fünf  Vaterunser  und  Avemarie 
(Richard  Andree)lu 

Den   deutschen  Kutschen,  Ratschen 
usw.  entspricht  wohl  das  „paltik-e-paltek", 
welches    wir    im    folgenden    Karfreitag- 
brauch   in    Bedano,    Kanton     Ticin  o, 
finden.  Pellandini  schreibt  nämlich:  Hier 
versammeln   sich    die    Knaben   am   Kar- 
freitag um  einen  großen  alten  Kastanien- 
baum im  oberen  Dorfe  und  bereiten  sich 
da    Polenta    (Brei    aus  Kastanien-    oder 
Maismehl),    die   sie   mit  Stockfisch   oder 
Fröschen    verzehren.      Tagsüber    durch- 
streifen   sie   das  Dorf   unter   dem   Lärm 
ihrer    „re-re"    oder   „raganelle".   Bocks- 
hörner, Seemuscheln  und  gewisser  Instru- 
mente  mit    Holzhiimmerchen,   von   ihnen 
paltik-e-paltek    genannt,    wobei    sie    in 
ihrem  Dialekte  singen:  L'e  mort  ul  Signur, 
l'e  mort  in  crus,  par  nüm  pecatür.     (Es 
der   Herr,   er   ist   gestorben   am  Kreuze  für  uns  Sünder.) 
folgenden    Tages    (Karsamstag)     wird,    wie    überall   vor 
Pfarrkirchen,    aus    einem    Stein    neues   Feuer  zum   Zeichen 
geschlagen,   nachdem   am    Karfreitag   das    „ewige 
Todes    Christi    aus    der   Kirche    entfernt    wurden 
der   Küster   dieses  neue  Feuer  mit   Reisig  und 


Fig.  369.   Mädchen  von  Ulandorf  in  Kommunion- 
tracht.  Aus  Jostes  „Westfälisches  Trachtenbuch". 


ist  gestorben 
Morgen    des 
katholischen 
Auferstehung 
Zeichen    des 
nun  in   Bedano 


Am 
den 
der 
zum 


Licht - 

war.     Wenn 
Weinranken 

angefacht,  und  der  Priester  es  außerhalb  der  Kirche  geweiht  hat  zum 
Zeichen,  daß  der  Heiland  außerhalb  Jerusalem  gestorben  und  auferstanden 
ist,  dann  zünden  mehrere  Knaben  Zunder  daran  an.  gehen  damit  von  Haus 
zu  Haus  und  werfen  ein  Stückchen  Zunder,  das  von  dem  geweihten  Feuer 
verzehrt  wird,  in  das  Herdfeuer.  Als  Geschenke  für  diesen  frommen  Dienst 
erhalten  sie  Eier,  Welsch-  und  Haselnüsse  oder  etwas  Geld. 

In  Malschenberg  bei  Heidelberg  legen  am  Karsanistag  die  Knaben 
je  einen  Pfahl  in  das  „Osterfeuer",  zu  welchem  tags  vorher  alte  Kreuze  und 
Kränze  aus  dem  Kirchhof  geholt  wurden.  Den  Pfahl  läßt  der  Knabe  ankohlen 
und  bewahrt  ihn  dann  bis  zum  nächsten  Karsanistag  im  Keller,  oder  auf  dem 


§  282.     Karwoche  und  Ostern. 


377 


Speicher,  oder  im  Stall  auf;  denn  der  Pfahl  soll  das  Haus  gegen  Feuer  und 
sonstiges  Unglück  schützen.  —  Während  des  Zusammenläutens  aller  Kirchen- 
glocken')  schütteln   die  Kinder  die  Bäume,   damit   diese  viel  Obst  geben.  - 
Ferner   gehen    hier    am   Karsamstag   die   Ministranten    von    Haus    zu    Haus, 
holen  ihre  Ostergeschenke  und  singen  dabei: 

„Wir  haben  geklappert  zum  heiligen  Grab. 

Gebt's  uns  Eier.  Gottes  Gab, 

Nicht  so  klein,  nicht  so  groß, 

Daß  das  Körblein  nicht  zerstoß! 

Glück  ins  Haus.  Unglück  naus. 

Sechzig  Eier  müssen   raus, 

Snnscht  schicke  mer  de  Marder  ins  Hühnerhaus. "  — 


Fig. 


Knaben    and   Mädchen   aus   Madibira,   Deutsch  Ostafrika,   im  Sehmuck   für 
Komnnmiou.    P.  Haßiger  phot. 


heilige 


Auch  in  manchen  Gegenden  Englands  besteht  der  Brauch,  daß  Knaben 
am  Karsamstag  in  den  Dörfern  herumgehen  und  Eier,  Bier  und  Geld  erbitten. 
Dabei  führen  sie  eine  Art  Drama  auf,  welches  sich  in  der  Umgegend  von 
York  noch  vor  wenigen  Jahren  folgenderweise  abspielte:  Ein  Knabe  betrat 
als  „Captain"  ein  Haus  und  sang: 

,.Here's  two  or  three  jolly  boys  all  o'one  mind, 

W'e've  conie  a  pace-egging,  and  hope  you'U  be  kind; 

I  hope  you'll  be  kind  with  your  eggs  and  your  beer, 

And  we?ll  come  no  more  pace-egging  until  the  next  year."   — 

Auf  dieses  hin  erschien  der  alte  „Toß-pot",  und  der  „Captain"  wies  auf 
ihn  mit  den  Worten: 

„The  first  that  comes  in  is  old  Toß-pot  you  see, 
A  valiant  old  blade  for  his  age  and  degree; 
He  is  a  brave  fellow  on  hill  or  in  dale. 
And  all  he  delights  in  is  a-drinkiug  of  ale."  — 

M  Nach  einem  dortigen  Spruch  gehen  die  Glocken  am  Gründonnerstag  nach  Koni  und 
kehren  am  Karsamstag  wieder  heim. 


378      Kap.  XLIII.    Festfreuden  des  Kindes.    Christliche  und  vorchristliche  Erinnerungen  usw. 

Der„Toß-pot"  nahm  nun  einen  tüchtigen  Zug  aus  einer  mächtigen  Flasche1), 
taumelte  umher  und  warf  dabei  möglichst  viele  Knaben  über  den  Haufen. 
Dann  trat  ein  altes,  zerlumptes  Weib  mit  geschwärztem  Gesicht,  d.  h.  ein 
verkleideter  Junge,  auf.  Das  Weib  spielte  die  Geizige,  und  der  „Captain" 
führte  es  mit  den  Versen  ein: 

..An  old  miser's  the  next  that  comes  in  with  her  bags, 
And  to  save  up  her  mouey  wears  nothing  but  rags!-;  — 

Hierauf  fiel  der  Chor  ein: 

Whatever  you  give  us  \ve  claim  for  our  right, 

Then  bow  with  our  heads,  and  wish  you  good  night. 

Nach  zweimaliger  Wiederholung  dieser  beiden  Verse  schrie  die  ganze 
Knaben-Gruppe  aus  Leibeskräften: 

..Now,  ye  ladies  and  geutlemen,  who  sit  by  the  fire, 

Put  your  hands  in  your  pockets,  'tis  all  we  desire; 

Put  your  hands  in  your  pockets,  and  lug  out  your  purse, 

We  shall  be  the  better,  you'll  be  none  the  worse."     (Halliwell.) 

Diese  ganze  Aufführung  verrät  so  wenig  christliche  Festesfreude,  daß 
mau  wohl  auch  hier  an  heidnische  Reste  zu  denken  hat,  wenn  mau  sich  nicht 
für  eine  Ausartung  christlicher  Festesfreude  entscheidet.  Ähnliches  gilt  von 
dem  folgenden  Brauch  in  der  gleichen  Grafschaft  York: 

Am  Nachmittag  und  Abend  des  Ostertages  fielen  früher  in  Whitby 
die  Knaben  über  die  Mädchen  her,  um  von'lhnen  Geld  zu  bekommen.  Wurde 
ihnen  das  verweigert,  dann  zogen  sie  ihuen  die  Schuhe  aus.  Am  Osterdienstag 
revanchierten  sich  die  Mädchen,  indem  sie  den  Knaben  die  Hüte  entrissen, 
welche  gegen  Geld  wieder  ausgelöst  wurden.  —  Außer  diesen  eigentümlichen 
Oster-Unterhaltungen  findet  sich  in  'Whitby  eine,  welche  wir  gleich  auch  in 
anderen  Gegenden  und  bei  anderen  Völkern  antreffen  werden.  Es  ist  dies 
das  Eierrollen.  Am  Ostermontag  und  Osterdienstag  belustigen  sich 
nämlich  die  Kinder  von  Whitby,  indem  sie  hart  gesottene,  gefärbte  Eier  auf 
den  Feldern  rollen.  Man  wolle  mit  diesem  Spiel,  wie  mit  dem  Ballspiel, 
welches  die  Kinder  von  Gründonnerstag  und  Ostern  vornehmen,  nur  körper- 
liche Bewegung  bezwecken  (Qutch). 

Daß  mich  dieser  Zweck  nicht  der  ursprüngliche  dünkt,  habe  ich  schon 
früher  bemerkt.  Es  ist  nicht  wahrscheinlich,  daß  man  gerade  (iründonnerstag 
und  Ostern  nur  wegen  körperlicher  Bewegung  als  konstante  Ballspieltage 
ausgewählt  hätte.  Meine  Vermutung  wird  ferner  durch  einen  Brauch  in 
Neudorf  auf  dem  Harze  bestärkt.  Hier  gehen  nämlich  die  Kinder  an  Ostern 
in  die  Häuser  der  im  vergangenen  Jahre  Neuverheirateten  und  erbitten  sich 
als  Geschenk  einen  Ball2)  (Oskar  Härtung). 

In  auderen  Gegenden  Englands,  z.  B.  in  Alnwick,  Northumberland, 
gehen  die  Kinder  am  Ostertag  herum,  um  „Paste  Eggs",  d.  h.  Pascha-Eier, 
zu  erbitten.  Wo  sie  solche  nicht  erhalten,  bekommen  sie  wenigstens  Süßig- 
keiten (Balfour-Nbrthcote). 

\\,is  dann  das  Eierrollen  betrifft,  so  schrieben  Sarland  und  Wilkinsm, 
der  Brauch,  gemalte  und  vergoldete  Ostereier  auf  dem  Rasen  zu  rollen,  finde 
sich  nicht  nur  im  ganzen  nördlichen  England,  sondern  auch  in  Deutsch- 
land und  Rußland.  Honderso»  bezeichnete  im  nördlichen  England  allerdings 
eine  Ausnahme,   nämlich  West    Riding,  wo  Ostereier   überhaupt   unbekannt 

J)  Auffallend  in  den  Umzügen  der  englischen  Jugend  bei  verschiedenen,  in  diesem 
und  dem  vorigen   Kapitel  geschilderten,  Gelegenheiten  ist  das  Trinken. 

•'i  Vgl.  die  früher  üblichen  Hallspiele  an  Ostern  sogar  beim  Klerus  in  Wetzer  und 
Weites  Kirchenlexikon.  2.  Aufl.  4.  Bd.,  Sp.  1414  f.  Ks  hänge  nach  Simrock  und  lieinsberg- 
Diiringsfeld  wahrscheinlich  mit  dem  (vorchristlichen?)  Frühiiogsfesl  zusammen. 


§  282.     Karwoche  und  Ostern.  379 

seien.  —  In  Lancashire  findet  das  Eierrollen  in  der  Weise  statt,  daß  man 
ein  Ei  nach  dem  andern  auf  dem  Felde  dahinrollt,  bis  sie  brechen. 

In  Kurland  bedeckt  man  den  Boden  mit  weichen  Tüchern  und  stellt 
auf  diese  ein  Brett  in  schräger  Richtung.  Von  diesem  läßt  man  die  Eier 
der  Beihe  nach  rollen.  Trifft  eines  die  1 — 3  schon  drunten  liegenden,  so  gehören 
diese  dem  Besitzer  des  Treffers  (Th.  Hermann). 

In  Ostfriesland  läßt  man  die  Eier  von  natürlichen  oder  künstlichen 
Erhöhungen  im  Freien  rollen  und  sich  treffen.  Das  Verletzte  fällt  dem  Gegner 
zu.     Mädchen  und  Knaben  treiben  dieses  Spiel. 

In  der  Lausitz  ist  das  Eierrollen  als  ..Wäleien"  bekannt.  Jung  und 
Alt  belustigt  sicli  damit,  Ostereier  auf  einer  abschüssigen,  5 — 6  Fuß  langen, 
obeu  drei  Hand  breiten  und  unten  sich  herzförmig  erweiternden  Bahn  (Wälei) 
herunterrollen  zu  lassen.  Das  getroffene  Ei  wird  herausgenommen  und  sein 
Besitzer  hat  an  den  Besitzer  des  Treffers  einen  Pfennig  oder  eine  Stecknadel 
zu  zahlen.  Lübben,  wo  dieses  Spiel  besonders  eifrig  betrieben  wird,  hat 
dazu  einen  eigenen  dänenartig  aus  reinem  Sand  gebildeten  Spielberg  (F.  Weineck). 

Wahrscheinlich  ist  das  von  Köhler1)  erwähnte  „Eierwalzen"  aus  einigen 
Orten  des  bayrischen  Vogtlandes  bei  Bayreuth  mit  dem  Eierrollen  identisch. 

Auf  die  interessante  Tatsache,  daß  die  Länder  der  dem  finnischen  Völker- 
Stamm  ungehörigen  Wotjäken.2)  in  Rußland  gleichfalls  zu  Ostern  Eier  rollen, 
und  daß  hier  an  Ostern  Eier  mit  dem  Korn  auf  das  Feld  gesät  werden, 
wo  sie  von  den  Kindern  aufgesucht  werden,  hat  schon  Ploß  hinge- 
wiesen3). ■  Klarer  als  hier  kann  das  Ei  als  Bild  der  Fruchtbarkeit 
kaum  erscheinen;  doch  siehe  auch  Ei  und  Henne  auf  S.  330. 

Diesem  Aufsuchen  der  Eier  bei  den  Wotjäken  entspricht  einigermaßen 
das  „Eierlesen"  in  der  schwäbisch-fränkischen  Kolonie  Riebensdorf  im 
russischen  Gouvernement  Woronesch.  Hier  sammeln  an  Ostern  zwei  Burschen 
im  Dorfe  150  Stück  Eier,  die  sie  auf  die  Straße,  je  einen  Meter  voneinander 
entfernt,  legen.  Hierauf  hebt  der  eine  sie  auf,  während  der  andere  barfuß 
an  den  Fluß  läuft,  um  jenem  das  dort  bereitgehaltene  Pferd  zuzuführen.  Wer 
seine  Aufgabe  am  schnellsten  löst,  siegt  und  wird  mit  einem  Kranz  gekrönt, 
den  er  zwei  Tage  tragen  darf  (Bruno  Adler). 

Für  Augsburg,  die  Hauptstadt  des  bayrischen  Schwaben,  ist  das 
„Eierklauben"  durch  ein  altes  Schriftchen  „das  Augsburgische  Jahr  einmal" 
erwiesen4),  in  welchem  es  heißt: 

„Kommt  Ostern,  so  legt  Eier  der  Has 
Sowohl  in  Häusern  als  im  Gras. 
Am   Osterdienstag,  man  darf's  glauben, 
Ist's  eine  Freude  um's  Bierklauben."  — 

Auf  dem  Lande  macheu  die  jetzigen  Schwabenkinder  in  Altenstadt 
a.  d.  Hier  am  Karsamstag  „Hasengärtchen",  damit  der  Hase  in  der  Oster- 
nacht die  bunten  Ostereier  hineinlege.  Diese  „Hasengärtchen"1  sind  nichts 
als  kleine,  mit  Gerten  von  ca.  15  cm  Höhe  umfriedete  Plätzchen,  etwa  20  cm 
im  Durchmesser,  mit  Moos  ausgepolstert  und  mit  den  schönsten  Frühlings- 
blumen, welche  die  Kinder  ausfindig  machen  können,  bedeckt.  Sie  werden 
im  Garten  des  Elternhauses  gemacht.  —  Am  Ostermorgen  eilen  die  Kinder, 
womöglich  direkt  vom  Bett,   zu  den  „Hasengärtchen"  und  finden  die  lebhaft 


')  Bei  Ploß,  2  Aufl.  II,  372. 

*)  Sie  gehören   religiös   seit   dem    18.  Jahrhundert  teilweise  der  russischen  Kirche  an, 

teilweise  sind  es  Heiden. 

3)  Xach  Max  Buch  im  Glob.  XL  (1881)  S.  285. 

l)  Floß.  2.  Aufl.  II,  372. 


380      Kap.  XL11I.    Festfreuden  des  Kindes.    Christliche  und  vorchristliche  Erinnerungen  usw. 

gefärbten  Eier  zwischen  Blumen  und  Moos  —  ein  Jubel  für  die  wenig  anspruchs- 
vollen Kleinen.  — 

In  Kurland  ist  das  „Schlagen"  mit  Ostereiern  gebräuchlich.  Beim 
Verteilen  der  Eier  sieht  jedes  Kind  darauf,  daß  es  Eier  mit  einer  möglichst 
scharfen  Spitze  bekommt;  denn  diese  gelten  für  besonders  tanglich,  um  das 
gegnerische  Ei  zu  verletzen.  Streitigkeiten  sind  dabei  nicht  selten.  Beim 
Schlagen  hält  das  eine  Kind  sein  Ei  in  der  Faust,  mit  der  Spitze  nach  oben. 
während  das  andere  das  seine  mit  der  Spitze  darauf  schlägt.  Das  eingeschla- 
gene Ei  muß  dem  Gewinner  abgetreten  werden. 

Im  sächsischen  Vogtland  heißt  das  entsprechende  Spiel  „Eierhärten". 
Schon  vier  Wochen  vor  Ostern  sehen  sich  die  Knaben  nach  harten  Eiern  um 
und  bezahlen  ein  solches,  das  eine  recht  feste  Schale  hat.  ziemlich  teuer. 
Erscheint  nun  Ostern,  so  versammelt  sich  die  ganze  Jugend,  und  das  Härten 
beginnt.  Ehe  jedoch  der  eine  mit  dem  anderen  härtet,  nimmt  er  das  Ei  des 
Gegners  und  pocht  damit  gegen  die  Zähne,  indem  er  dabei  mit  der  einen 
Hand  das  Ohr  zuhält,  um  die  Stärke  der  Schale  zu  prüfen.  Glaubt  er  nun. 
sein  Ei  sei  härter,  so  härtet  er  mit  dem  Gegner  „auf  Rück  und  Spitz",  oder 
bloß  „auf  Rück  oder  Spitz",  d.  h.  sie  schlagen  entweder  sowohl  mit  der  Spitze 
als  mit  der  unteren  Seite  der  Eier,  oder  nur  mit  der  oberen  und  unteren 
spitze  zusammen.  Der,  dessen  Ei  zerbricht,  hat  verloren.  Wer  dabei  betrügt, 
z.  B.  sein  Ei  mit  Pech  ausgegossen  hat,  wird  jubelnd  vom  Platze  vertrieben, 
.letzt  ist  dieses  Vergnügen  allerdings  nicht  mehr  so  häutig,  da  die  Polizei 
den  Lärm  nicht  mehr  in  der  Öffentlichkeit  duldet  [Spieß). 

Im  Saterland  fand  das  „Bicken",  d.  h.  das  Aneinanderschlagen.  der  Eier 
beim  Osterfeuer  statt  und  wurde  von  je  zwei  Personen  verschiedenen  Ge- 
schlechtes vorgenommen.  Häufig  diente  es  dazu,  Bekanntschaften  anzuknüpfen 
und  alte  zu  erneuern.  —  Ein  anderer  Brauch  im  Saterland  ist  das  Werfen 
mit  Eiern  auf  den  Wiesen,  was  auch  im  Jeverland  zu  den  Osterfrenden 
gehört.  Wer  hier  sein  Ei  am  weitesten  wirft,  bekommt  die  Eier  der  übrigen 
(Strackerjari). 

„Gekickt"  wird  in  Ostfriesland.  Es  ist  dieses  wiederum  nichts  anderes 
als  das  Aneinanderschlagen  der  Ostereier. 

Auf  der  Insel  Borkum  suchen  Mädchen  und  Knaben  eine  moosreiche, 
und  deshalb  weiche  Stelle  der  Gemeindewiesen  aus  und  werfen  hier  die  Eier 
mit  einer  Schleuder  hoch  in  die  Luft,  wobei  sie  singen: 

„Gele  Dole  (gelber  Dotter)",  gele  Dole,  Kiewitsei, 

War  is  mien   Ei? 

War  blilt  mien   Ei? 

AVar  is  mien  Pinkster-  un  Paaske-  (Ostern)  Ei?"     (.ff.  Meyer.) 

Kierwerfen  an  Ostern  meldete  Birlinger  auch  aus  Schwaben.  Hier 
kam  es  darauf  an.  daß  das  Ei  beim  Fallen  auf  der  Spitze  ankam  und  nicht 
zerbrach.  Spielplatz  wai  auch  hier  eine  Wiese.  —  Das  Aneinanderschlagen 
der  Ostereier  ist  in  Schwaben  als  „Eierspicken"  und  ..Klopfein"  bekannt. 
Das  unverletzte  Ei  gewinnt. 

In  der  „Oberpfalz"  gibt  es  außer  dem  ..Härten"  ein  „Ringeln"  der 
Ostereier.  Bei  diesem  Spiel  stellt  jedes  Mitspielende  ein  Ei  in  einiger  Ent- 
fernung von  den  Eiern  seiner  Spielgefährten  auf.  Dann  läßt  eines  einen  Ring 
von  einem  flachgehaltenen  (?)  Brett  aus  gegen  die  Eier  los.  Die  getroffenen 
darf  es  behalten  (Albert  BirrUng). 

In  vielen  Gegenden  Deutschlands  erhalten  die  Kinder  Ostereier  auch 
von  ihren  Paten  (vgl.   Kap.  XVII). 

Gefärbte  Eier  wurden  in  der  2.  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  in 
Gerstungen  bei  Eisenach  an  den  Osterbaum  gehängt,  welcher,  dem  Mai- 
baum anderer  Orte  entsprechend,  dort  und   auch   an   einigen   anderen  Orten 


§  282.     Karwoche  und  Ostern.  381 

des  Thüringer  Waldes  am  Karsamstag'  aufgepflanzt  wurde.     Man  feierte  an 
diesem  Tag-  eine  Art  Frühlingsfest,  welches  Fr.  Schmidt  beschrieb l). 

„Die  Schuljugend  stellt  sich  in  drei  oder  vier  Kolonnen,  teils  vor  der 
Wohnung  des  Försters,  teils  auch  vor  der  des  Oberholzhauers  auf,  von  wo  sie 
durch  abgesandte  Deputationen  die  betreffenden  Personen  begrüßen,  mit  Jubel 
in  ihre  Mitte  aufnehmen  und  sodann  mit  diesen  nach  dem  Walde  ziehen.  Hier 
angekommen,  benutzen  sie  nach  altem  Herkommen  das  Recht,  sich  einen 
besonders  hohen  Fichtenstamm  zu  ihrem  Osterbaum  auszusuchen.  Unentgeltlich 
wird  er  vom  Förster  abgetreten,  dann  umgeschlagen,  jubelnd  in  den  Ort  ge- 
tragen, auf  dem  Marktplatz  niedergelegt,  geschält  und  bis  zum  äußersten 
Gipfel  mit  gefärbten  Eiern,  bunten  Bändern.  Schneckenhäusern  usw.  behangen. 
Gegen  Abend  wird  er  in  der  Mitte  des  Platzes  aufgerichtet,  und  am  Oster- 
feiertag  beginnt  unter  ihm  der  Frühlingstanz  mit  dem  Liede: 

Tro  ri  ro,  der  Sommer  is  nu  do! 
Wir  woll'n  nu  raus  in  Garten 
Un  woll'n  des  Sommers  warten; 
Jo,  jo,  jo!  der  Sommer  is  nu  do!  usw. 

Am  nächsten  Sonntag  wird  der  Baum  umgeworfen  und  seiner  Bänder, 
Eier  usw.  beraubt." 

Ein  merkwürdiger  Osterbrauch  ist  ferner  das  Labyrinthlaufen.  In 
der  2.  Auflage  fand  sich  die  hier  einschlägige  Stelle: 

„Nach  Friede!  in  Berlin  findet  sich  auf  dem  Hausberg  bei  Eberswalde, 
Kreis  Oberbarnim,  eiu  sonderbarer  Irrgang  aus  verschlungenen  Basenstücken 
gebildet,  auf  denen  früher  Steine  gelegen  haben.  Um  Ostern  laufen,  oder 
besser  hüpfen  Kinder  durch  ihn;  wer  sich  herausfindet,  ohne  überzutreten  oder 
sich  zu  verwirren,  bekommt  ein  Ei  zur  Belohnung.  Solche  aus  Hecken  oder 
Basen  gebildete  Irrgänge  (Labyrinthe)  scheinen  in  heidnischer  Zeit 
mit  dem  Naturgottesdienst  zusammengehangen  zu  haben;  darauf 
deutet  ihre  Benutzung  an  bestimmten  Festtagen,  z.  B.  an  Oster- 
tagen."  —  Hierzu  möchte  ich  bemerken,  daß  nach  Bach ofen2)  die  Labyrinthe 
der  nordischen  und  italienischen  Cimmerii,  der  asiatisch-pontischen 
Hypogaei  und  der  afrikanischen  Troglodyten  wahrscheinlich  mit  dem 
Geschlechtsleben  in  Beziehung  standen. 

Zur  Genüge  bekannt  ist  uns  aus  dem  vorigen  Kapitel  das  Peitschen, 
Schlagen  oder  Berühren  usw.  mit  Riemen,  Zweigen,  Ruten  und  dergleichen.  - 
Auch  als  Osterbrauch  finden  wir  dieses  Symbol  des  sexuellen  Lebens  oder 
der  Fruchtbarkeit3). 

In  Schlesien  ziehen  die  Kinder  an  Ostern  mit  „Sehmackostern"  umher. 
F.  Vogt  erwähnt  ..Schmackostern"  aus  zusammengeflochtenen  Weiden.  — 
Nach  P.  Dittrich  gehen  die  Kinder  auch  am  Ostersonntag  herum,  wobei  er, 
wie  es  scheint,  Leobschütz  im  Auge  hat.  Ihm  zufolge  benützte  man  früher 
statt  der  Schmackostern  (Schmicken)  Peitschen4),  welche  vom  Sattler  ge- 
fertigt wurden  und  einer  Reitpeitsche  nicht  unähnlich  waren.  Man  versetzte 
damit,  oder  mit  Weidenruten,  den  Mädchen,  oder,  wenn  solche  nicht  da  waren, 
der  Hausfrau,  einige  Hiebe.     Dazu  sang  man  auf  dem  Lande: 

„Mädla,  Mädla,  laß  dich  peitscha. 
Daß  dich  nie  die  Fleelan  beißa."6) 


')  Nach  Ploß,  2.  Aufl.  II,  370. 

2)  Mutterrecht,   16. 

3)  Die  Meinungsverschiedenheit  hierüber  wurde  im  vorigen   Kapitel  angedeutet. 

4)  Schlesien  hatte  also  noch  die  ursprüngliche  Art  der  Peitschen,  wie  sie  von  den 
Luperei,  den  Priestern,  an  den  altrömischen  Luperkalien  zum  Peitschen  der  Frauen  gebraucht 
wurden  (vgl.  diese  im  vorigen  Kapitel). 

5)  Der  Grundgedanke  des  Peitschens  war  demnach  damals  schon  aus  dem  Bewußtsein 
geschwunden. 


382      Kap.  XLIII.    Festfreuden  des  Kindes.     Christliehe  und  vorchristliche  Erinnerungen  usw. 

Später  trat  nach  Dittrich  dafür  „allgemein"  das  Spritzen  ein1).  Nun 
wurden  die  Kinder  der  besseren  Kreise  von  Verwandten  und  Bekannten  ein- 
geladen; die  anderen  gingen  von  Haus  zu  Haus,  oder  doch  in  solche  Häuser, 
wo  sie  sicher  auf  etwas  rechnen  konnten.  —  Verwendet  wurde  zum  Spritzen 
reines  Wasser,  oder  sehr  stark  verdünntes  Eau  de  Cologne.  oder  andere  Par- 
fümerien.  Als  Instrumente  nahm  man  Blechspritzen,  Kannen,  Zuber  (?),  oder 
Flaschen,  in  deren  Korke  Federkiele  eingelassen  waren,  oder  eigens  konstru- 
ierte Flacons.  Knechte  nahmen  auch  die  Feuerspritze;  denn  das  Spritzen 
erstreckte  sich  auf  groß  und  klein.  —  Der  Hauptspaß  war,  die  Mädchen  noch 
im  Bett  zu  erwischen  und  gründlich  naß  zu  machen.  War  das  vorbei,  so 
erhielt  man  gemalte  Eier  mit  oder  ohne  Sprüche;  auch  mit  Filigranfäden 
umsponnene  Eier  gab  es;  später  Zitronen,  Apfelsinen,  Geld,  Spielsachen,  meist 
Gummibälle2);  ärmere  begnügten  sich  mit  einem  Stück  Strietzel,  Wurst  usw.  — 
Wenn  es  Zeit  war,  in  die  Kirche  zu  gehen,  dann  mußte  in  anständigen  Fami- 
lien der  Spaß  zu  Ende  sein.  —  Am  Osterdienstag  gab  es,  obwohl  in  selte- 
neren Fällen,  ein  Revanche-Spritzen  seitens  der  Mädchen.  — 

Des  Osterf  euers  im  Saterland  wurde  bereits  gedacht.  Einige  andere 
einschlägige  Bräuche  mögen  hier  folgen: 

In  Oldenburg  schleppen  die  Knaben  schon  wochenlang  vorher  das 
Holz  zum  Osterfeuer  zusammen,  indem  sie  Zäune  plündern  und  unter  Absingen 
von  Osterbettelliedern  verkleidet  von  Haus  zu  Haus  gehen  und  um  Holz- 
scheite bitten. 

Auf  der  Insel  Marken  im  Zuider-See  gibt  es  gewisse  Kinderfeste, 
an  denen  die  Jugend  auf  allen  Deichen  große  Feuer  anfacht  und  diese  um- 
tanzt.    Zu  dieseu  Tagen  gehört  der  30.  April  {De  Coster)*). 

In  Radisleben  im  Harz  stecken  die  Knaben  an  Ostern  Strohwische 
oder  Fackeln  (wohl  dazu  geeignetes  Material?)  an  lange  Stangen,  brennen  sie 
am  Osterfeuer  an  und  laufen  damit  auf  „der  Höhe",  wie  der  dortige  Feuer- 
platz heißt  (Oskar  Härtung).  — 

Ein  Brauch  in  Epinal,  Lothringen,  möge  die  Osterbräuche  dieses 
Paragraphen  abschließen.  Auch  er  bezeichnet  den  Sieg  der  schönen  Jahres- 
zeit über  den  unbeliebten  Winter.  Nach  Otto  Kamp  ließen  nämlich  hier  die 
Kinder  noch  in  der  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  am  Osterfest  Schiffchen  in 
den  Gossen  der  Hauptstraßen  schwimmen  und  sangen  dazu: 

„Oster  erscheint, 

Winter,  sein  Feind. 

Flieht  aus  dem  Feld; 

Freue  dich,  Welt! 

Ostern  erscheint, 

Alle  vereint 

Grüßen  den  Gast ;   Katze  und  Hund. 

Menschen  und  Vieh  l'reu'n  sich    rar  Stund."    — 

§  283.     Pfingsten. 

Heuser  erwähnt  unter  den  Festlichkeiten,  welche  sich  als  Reste  der 
vorchristlichen  Frühjahrsfeier,  des  Sieges  des  Sommers  über  den  Winter, 
auch   an   das  christliche  Pfingstfest  geknüpft  haben,  unter  anderem  abermals 


M  Das  trifft  für  jene  Gegenden  Schlesiens,  z.  B.  für  Breslau,  wo  heutzutage  noch 
■  In'   Kinder  mil  den  „Schmackostern"  gehen,  nicht  zu. 

8)   Vgl.  die  früheren  Mitteilungen  über  Ballspiel  und  Geschenke  von  Bällen  an  Ostern. 

;i  In  der  2.  Aufl.  II,  373.  J'hiß  wies  hier  auf  eine  Abbildung  des  Kindertanzes  auf 
der   [nsel   Marken   im  Globus  1880.  24,  S.  373  hin. 


§  283.     Pfingsten.  383 

Umzüge  der  Kinder  zum  Einholen  von  Eiern  und  anderen  Gaben, 
sowie  „das  Königspiel"  und  die  Errichtung-  von  Maibäumen1). 

Diese  drei  Formen  von  Pfingstfreuden  linden  wir  neben  anderen  auch 
unter  den  folgenden  Bräuchen.  Gaben  und  Baum,  mögen  sie,  je  nach  den 
Gegenden,  so  oder  so  genanut  werden,  sind  Symbole  der  schönen,  fruchtbaren 
Jahreszeit  und  auf  den  gleichen  Grundgedanken,  auf  den  Sieg  der  schönen, 
fruchtbaren  Jahreszeit  über  den  Winter,  ist  allem  Anscheine  nach  auch  die 
Pfingstkrone,  der  Pfingstkönig  oder  Pfingstkaiser  und  -Kaiserin  zurück- 
zuführen, welche  wir  in  den  zwei  hier  zunächstfolgenden  Bräuchen  finden, 
obgleich  sie  auf  den  Azoren  innig  mit  einer  kirchlichen  Feier  verknüpft 
sind  und  in  ihrer  Gesamtheit  den  christlichen  Titel  „Emperios  do  Espisito 
Santo"  tragen.  Der  siegende  Frühling,  der  zu  krönende  König,  scheint  hier 
durch  das  Bild  des  heiligen  Geistes  vertreten  zu  sein,  wie  aus  der  Schilderung 
von  M.  Longworth  Dames  und  E.  Seemann  hervorgeht. 

Allerdings  schreibt  man  die  Einführung  des  Festes  sowohl  auf  den  Azoren 
als  in  Portugal  der  Königin  Isabella  (13U0)  zu,  aber  diese  Einführung  wird 
sich  eben  von  der  vorchristlichen  Frühjahrsfeier  nicht  trennen  lassen.  Der 
christliche  Gedanke  suchte  den  vorchristlichen  zu  veredeln,  die  Apotheosierung 
der  materiellen  Fruchtbarkeit  durch  den  heiligen  Geist  zu  überwinden,  und 
ersetzte  deshalb  auch  einen  großen  Teil  vorchristlicher  Formen  durch  christliche. 

Das  jetzt  nur  noch  auf  den  Azoren  gebräuchliche  Fest  fällt  auf  einen 
der  zwei  ersten  Sonntage  nach  Christi  Himmelfahrt,  also  entweder  auf  das 
Pfingstfest  oder  den  vorhergehenden  Sonntag.  Die  erste  Vorbereitung  dazu 
wird  schon  ein  Jahr  vorher  getroffen,  insofern  der  „Kaiser"  oder  die  „Kaiserin", 
d.  h.  der  Held  oder  die  Heldin  des  Festes,  für  das  kommende  Jahr  bereits 
am  Fest  des  vorhergehenden  Jahres  durch  das  Los  gewählt  wird.  Ebenso 
lost  man  den  Sonntag,  an  welchem  das  Fest  gefeiert  werden  soll,  schon  ein 
Jahr  vorher  aus.  Es  wird  ferner  ausgelost,  wer  die  zum  Feste  nötige  Fahne, 
Krone  und  Zepter  bis  dahin  in  seinem  Haus  aufbewahren  darf.  Das  Los  trifft 
mehrere,  und  man  wechselt  deshalb  vom  Ostersonntag  bis  zum  Krönungstag 
wochenweise  ab.  Fahne,  Krone  und  Zepter  bringen  dem  Hause  Glück  und 
werden  hochgeehrt.  Jeder,  der  sie  aufzubewahren  hat,  errichtet  in  einem 
Zimmer  seines  Hauses  eine  Art  Altar,  auf  welchen  die  silberne  Krone  und 
das  Zepter  mit  einer  Taube  (offenbar  das  bekannte  Symbol  des  hl.  Geistes) 
gelegt  wird.  An  der  Seite  des  Altars  bringt  man  die  aus  karmasinrotem 
Brokat  hergestellte  Fahne  an,  welche  eine  in  Gold  gearbeitete  Taube  mit 
einer  Krone  darüber  trägt.  Mehrere  Leute  werfen  unter  sich  das  Los,  um 
zu  bestimmen,  wer  Fleisch,  Brot,  Wein  und  andere  Lebensmittel  zum  Feste 
liefern  soll.  Diese  Gaben  werden  am  Freitag  vor  dem  Krönungssonntag 
vom  Priester  gesegnet,  worauf  man  mit  ihnen  auf  blumengeschmückten  Ochsen- 
wagen bei  den  Vornehmen,  welche  zum  Feste  beigesteuert  haben,  vorfährt 
und  ihnen  davon  mitteilt.  Manchmal  fügt  man  auch  eine  Zuckerpuppe2)  bei. 
AYas  von  den  Gaben  überbleibt,  wird  in  der  Speisekammer  auf  geschmückte 
Tische  gelegt;  die  Kammer  wird  beleuchtet,  mit  Flaggen,  Blumen  und  grünen 
Zweigen  geschmückt.  Die  rote  Fahne  mit  der  Taube  nimmt  einen  hervor- 
ragenden Platz  ein.  Die  Leute  eilen  scharenweise  herbei,  um  alles  zu  be- 
sichtigen. 

Tags  darauf,  also  am  Samstag  vor  der  Krönungsfeier,  schmückt  man 
die  Straßen,  stellt  darin  weißgedeckte  Tische  auf  und  legt  auf  diese  je  zwei 
Pfund  Fleisch  und  je  zwei  Laib  Brot,  beides  für  die  Armen.     Man  nennt  diese 


!)  In  Wetzer  und  Weites  Kirchenlexikon,  2.  Aufl.  4.  Bd.,  Sp.  1417.  Heusers  Ansicht 
über  den  Ursprung  des  Ostereies  wurde  in  der  Einleitung  zu  Kap.  XL1I  angeführt.  Sie 
stimmt  mit  seiner  obigen  nicht  überein. 

8)   Vgl.  die  Puppen  bei  Frühlingsfesten  anderer  Völker  in  diesem  Kapitel. 


'384     Kap.  XLIU.    Festfreuden  des  Kindes.    Christliche  und  vorchristliche  Erinnerungen  usw. 

Gaben  pensoes.  Am  Nachmittag  spielt  eine  Kapelle  einen  Hymnus  auf  den 
hl.  Geist,  und  nun  kommt  der  ..Kaiser"  oder  die  ..Kaiserin",  ein  8-  bis 
12  jähriges  Kind,  von  seinem  Vater,  nahen  Verwandten  und  Freunden  begleitet, 
und  teilt  jenes  Fleisch  und  Brot  aus.  — 

Am  folgenden  Sonntag  findet  in  der  Kirche  ein  Hochamt  statt,  und  der 
Priester  krönt  den  „Kaiser",  oder  die  „Kaiserin",  worauf  eine  Prozession 
folgt.  Mit  der  Krone  auf  dem  Kopf  und  dem  Zepter  in  der  Hand  zieht  das 
Kind  unter  Musik  und  Feuerwerke?)  durch  die  Straßen.  „Fulioes",  vier  Männer 
mit  einer  Art  Mitra  auf  dem  Kopf  und  in  langwallenden,  hellfarbigen  Ge- 
wändern, schreiten  der  Prozession  voran,  tragen  die  Fahne,  eine  Trommel,  ein 
Tamburin  und  eine  Geige  und  singen  Hymnen  auf  den  hl.  Geist.  —  Nach  der 
Prozession  findet  ein  Mahl  statt,  und  nach  diesem  setzt  sich  der  Kaiser  oder 


Fig.  371.    Die  Dorfjugend  in  Elten  bei  Haselünne  (Reg. -Bez.  Osnabrück)  mit  dem  Pfingstkröuchen. 

Aus  J.'sffs  ..Westfälisches  Trachtenbuch". 


die  Kaiserin  für  den  Nachmittag  ins  „Theater".  Jedes  Dorf  auf  den  Azoren 
hat  nämlich,  nach  Dames  und  Seemann,  einen  oder  mehrere  Steinbauten,  ge- 
wöhnlich von  10  Fuß  Länge  bei  8  Fuß  Breite,  die  vorn  und  an  den  Seiten 
offen,  auf  Säulen  ruhen  und  3 — 4  Fuß  über  dem  Niveau  der  Straßen  liegen. 
Diese  Gebäude  nennt  man  Theater,  und  hier  sitzt  jedes  Jahr  das  am  Fest 
Imperios  do  Espiritu  Santo  gekrönte  Kind  hinter  einem  Tisch,  auf  welchem 
Krone  und  Zepter  liegen.  Daneben  ist  die  heilige  Fahne  aufgepflanzt.  Auch 
einige  andere  auserwählte  Kinder  dürfen  sich  dazu  setzen.  Wie  schon  er- 
wähnt, wirft  man  an  diesem  Tage  die  Lose  für  das  gleiche  Fest  im  folgenden 
Jahre.  Das  Resultat  wird  von  den  Fulioes  durch  Trommelwirbel  und  Schütteln 
der  Tamburine  angekündigt.  Flaggen,  belaubte  Zweige  und  Blumen  überall. 
wohin  das  Auge  blickt.  — 

Keinen   Pfingstkönig,  wohl  aber  eine  Pfingstkrone  finden  wir  in  der 
schwäbisch-fränkischen   Kolonie  Riebensdorf  im  russischen  Gouverne- 


§  283.     Pfingsten.  385 

ment  Woronesh.  Hier  stellt  man  zu  Pfingsten  vor  der  Kirche  eine  Erle  mit 
einer  Krone  aus  Kirschzweigen  auf  (Adler).  -  -  Der  Frühjahrs-  und  Sommer- 
kult tritt  hier  also  in  doppelter  Form  auf.  —  Den  Brauch  der  „Pfingstkrone" 
haben  die  Eiebensdorfer  wohl  aus  ihrer  deutschen  Heimat  mit  nach  Rußland 
genommen  (vgl.  Fig.  371). 

Eine  Art  Pfingstkrone  scheint  es  auch  in  Weisweil,  nördliches  Breis- 
gau, zu  geben.     Denn  Otto  Heilig  schreibt: 

Am  Sonntag  vor  Pfingsten  nehmen  die  dortigen  Knaben  vier  Stecken, 
legen  drei  dichte  Binsenstroh-Beife  darum  und  schmücken  das  Geflecht  mit 
Kränzen  und  Blumensträußen.  Dann  ziehen  sie  damit  von  Haus  zu  Haus,  um 
„Pfingstkäs".  d.  h.  Gaben  zu  erbitten.  In  einem  dabei  aufgesagten  Spruch 
wird  um  1 — 2  Eier  gebeten.  Ein  anderer  Spruch  älteren  Datums,  d.  h.  aus 
der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts,  verlangt  außerdem  Butter  und  Speck. 
Er  lautet: 

„Holeho,  der  Pfingschkäs ')  isch  do, 

Der  Pfingsehkäs  het  Hidilia, 

's  Müllers  Mohr  hat  Jungi  ka  (gehabt), 

Siebzehn  in  äre  (einer)  Nacht. 

Hopp,  hopp,  nomol  hopp. 

Gämer  an  e  Ei  oder  zwei 

Oder  e  Löffel  voll  Anke  (Butter). 

Mer  dien  is  schön   bedanke. 

Oder  e  Stückli  Speck  —  oder  i  gang  uimmi  vorem  Fenster  weg." 

Von  christlichen  Pfingstfreuden  ist  in  diesen  Versen  sicher  nichts  zu  finden. 

In  der  Saargegend  tritt  der  singende  Frühling  als  „Pfingstquak"  2) 
auf.  In  den  Städten  ist  der  Brauch  seit  ungefähr  der  Mitte  des  19.  Jahr- 
hunderts zwar  verschwunden,  aber  in  einzelnen  Dörfern  lebt  er,  wenigstens 
teilweise,  noch  fort. 

Nach  Lohmeyer  ritten  in  Dudweiler  die  jungen  Burschen  mit  Bändern 
geschmückt  durch  den  Ort  und  sammelten  Eier,  Butter,  Speck  und  Mehl  ein, 
was  dann  zu  einem  Picknick  verwendet  wurde.  Wahrscheinlich  stamme  von  da 
der  folgende  Gesang,  welchen  jetzt  noch  die  Kinder  am  ersten  Pfingsttag  singen: 

„Quak,  Quak,   Quak, 

Eier.  Butter,  Mehl  und  Speck, 

Eheder  gehn  ioh  net  vor  der  Dier  ewegg 

Oder  der  Bese  muß  met."  — 

In  Hirzweiler  bestand  der  noch  um  IS78  vom  Vorreiter  getragene 
<^uak  in  einem  Birkenbäumcheu  ''■),  das  mit  Bändern  verziert  war.  -  In  der 
Stadt  Ottweiler  wurde  sowohl  an  Pfingsten  als  auch  am  1.  Mai  ein  mit 
blühendem  Ginstc  geschmückter  Mann  zu  Pferd,  von  einer  Kinderschar  um- 
geben, durch  die  Stadt  geführt;  dabei  rief  man  von  Zeit  zu  Zeit  „quakauf.  — 
An  andern  Orten  wieder  gab  es  Quaken  zu  Fuß  und  zu  Pferd;  erstere  waren 
Kinder,  letztere  größere  Burschen.  Die  Hauptperson  war  aber  der  eigentliche 
Quak,  welcher  gewöhnlich  mit  Blumen  und  Laubwerk  unkenntlich  gemacht 
worden  war.  In  St.  Ingbert  im  Pfälzischen  war  der  Quak  durch  eine 
Birke  dargestellt,  welche,  auf  eiuem  zweiräderigen,  niedrigen  Karren  befestigt, 
mit  Blumen  und  Bändern  geschmückt,  unter  Peitschenknallen  und  dem  Ruf 
„quak,  quak':  möglichst  rasch  von  Burschen  durch  alle  Gassen  und  Gäßchen 
des  Städtchens  gezogen  wurde.  —  In  Ettingen  bei  Saargemünd  wurde  ein 
in  Gras  gewickelter  Knabe  von  Haus  zu  Haus  getragen.  — 


')  Der  Pfingschkäs  ist,  nach  dem  Zusammenhang  dieses  Spruches  zu  urteilen,  nicht  die 
Gabe,  sondern  der  Bittende,  bzw.  das  mit  Blumen  usw.  verzierte  „Geflecht". 

.*)  Lohmeyer  weist  darauf  hin.  daß  Weinhold  „Pfingstquack"  als  „Pfingstfrosch''  deutete. 
3)  Vgl.  die  Birke  im  Kult  der  Mordwinen  in  §  286. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.     3.  Aufl.    Band  II.  25 


386     KftP-  XLIIL    Festfreuden  der  Kinder.    Christliche  uud  vorchristliche  Erinnerungen  usw. 

Überall  war,  bzw.  ist  noch  das  Einsammeln  von  Eiern  und  andern 
Gaben  mit  diesen  Umzügen  verbunden  {Karl  Lohmeyer). 

Nach  Floß1)  singen  die  elsässischen  Kinder,  während  sie  dem  Pfingst- 
quak  von  Tür  zu  Tür  folgen: 

.,En   Ei  heraus,  en  Ei  heraus! 

Oder  i  schick  de  Marder  ins  Hühnerhaus!"  — 

Im  Tecklenburgischen  heißt  der  Knabe,  welcher  mit  einer  duftigen 
Blumenkrone  auf  dem  Haupt  und  am  ganzen  Leib  mit  belaubten  Zweigen 
und  Blumen  bedeckt,  mit  Kindergefolg  von  Hof  zu  Hof  zieht,  ,,Pfingstblume"   i. 

An  andern  Orten  Nord-  und  Süddeutschlands  mit  ähnlichen  Bräuchen 
kommen  statt  des  Titels  „Pfingstblume"  die  Benennungen  „Pfingstküäm",  „Kauder- 
nest", oder  „Füstge  Mai"  vor.  — 

In  Molschieben,  Thüringen,  gibt  es  am  Pfingstmontag  ein  Kinderfest, 
welches  zwar  jetzt  mit  dem  dreißigjährigen  Krieg  in  Verbindung  gebracht 
wird,  ursprünglich  aber  wohl  auch  ein  Frühlingsfest  gewesen  sein  wird,  worauf 
schon  die  geringelten  Weidenruten  und  die  Benennung  des  Festes  als  „Ptingst- 
reiten"  hindeuten.  Im  dreißigjährigen  Krieg,  so  geht  die  Sage,  wollte  ein 
feindlicher  General  durchaus  das  ihm  verhaßte  Dorf  zerstören  und  verlangt 
deshalb  ein  unerschwingliches  Lösegeld,  d.  h.  200  Buntschecken,  die  von  einer 
einzigen  Mutterstute  abstammen  sollten.  Da  ließen  die  klugen  Molschieber 
200  Kinder  auf  geringelten  Weidenruten,  welche  man  bei  ihnen  auch  Bunt- 
schecken nannte,  zum  Lager  des  Generals  reiten,  der  durch  diese  List,  und 
mehr  noch  von  der  Unschuld  der  Kinder,  zur  Milde  gestimmt  wurde  und 
Molschieben  verschonte.  Zur  Erinnerung  an  dieses  Ereignis  reiten  die  kleineren 
Knaben  beim  „Pfingstreiten",  d.h.  bei  dem  am  Pfingstmontag  alljährlich  statt- 
findenden Kinderfest,  heutzutage  noch  auf  geringelten  Weidenruten.  Die 
größeren  Knaben  tragen  teilweise  Helme,  Spieße,  Säbel  und  andere  Waffen, 
oder  auch  Fahnen.  Vor  dem  Pfarrhofe,  dem  Schulhause,  der  Bürgermeister- 
wohnung, der  Wassermühle  und,  wie  es  scheint,  auch  noch  vor  andern  Häusern 
angesehener  Einwohner,  wird  Halt  gemacht  und  ein  Hoch  ausgebracht.  Nach 
dem  Umzüge  erhalten  die  Pfiugstreiter  am  Backhause  Kuchenschnitte;  sie  zer- 
schlagen jubelnd  ihre  Buntschecken  und  beginnen  hierauf  Tänze,  bei  denen 
Lust  und  Freude  ihren  Höhepunkt  erreichen. 

In  St.  Georgenberg  bei  Kolbnitz.  Schlesien,  tanzten  früher  die 
Kinder  an  Pfingsten  um  den  Pfingsttopf.  Auf  dem  Dorfanger  grenzte  man 
zu  diesem  Zweck  einen  Kreis  durch  eine  an  Pfählen  befestigte  Blumenkette 
ab.  In  der  Mitte  stand  ein  bekränzter  Pfahl,  der  den  Pfingst-  oder  Maibaum 
vertrat.  Auf  ihm  war  ein  mit  Blumen.  Pfingströschen  und  Buchsbaumzweigen 
bedeckter  Topf  befestigt,  der  einen  Blumenstrauß  enthielt.  Am  zweiten  Pfingst- 
tag  nachmittags  versammelten  sich  hier  die  Kinder  aus  Georgeuberg, 
Kolbnitz  und  Ratschütz  mit  ihren  Eltern  und  Lehrern;  ein  Knabe  stellte 
sich  in  die  Mitte  des  Kreises  und  die  andern  Kinder  tanzten  singend  einen 
Reigen  um  ihn  herum :i).     Das  Lied  lautete: 

„Grünes  Gras,  grünes  Gras  unter  meinen  Füßen. 

Ich  hab'  verloren  mein  feines   Lieb,  ich  hab'   mir's  suchen  müssen 

Hier  und  dort  uud  anderswo 

Unter  diesen  allen; 

Die   ich   mir  jetzt   nehmen  soll. 

Tut  mir  Wohlgefallen."  — 


')  2.  Aull.  II,  375. 

8)  Die  gleiche  Benennung  treuen   wir  später  in  Holland. 
1.  die  Reigentänze  in  den  Kap.  XXXIX  und  XL. 


§  284.     St.  .Johannes  in  der  Sonnenwende.  ;}S7 

Hierauf  ging  der  Knabe  auf  ein  Mädchen  im  Reigen  zu  und  forderte 
es  durch  eine  Verneigung  zum  Tanze  auf.  Während  beide  tanzten,  sangen 
die  übrigen  Kinder: 

„Es  gibt  gar  schöne  Leute  hier. 

Ei  ja  freilich. 

Wer  ich  bin,  der  bleib'  ich. 

Ich  bleibe  wer  ich  bin. 

Leb  wohl,  mein  Kind.'-  — 

Hierauf  begann  das  Spiel  aufs  neue,  bis  alle  an  die  Reihe  gekommen 
waren.  Zuletzt  folgte  das  ..Topfschlagen",  wobei  ein  Knabe  zum  Pfingst- 
könig  und  ein  Mädchen  zur  Pfingstkönigin  ernannt  wurden  (Drechsler).  - 
Religiöse  Zeremonien,  nach  Art  der  uns  von  Portugal  und  den  Azoren  be- 
kannten, scheinen  demnach  mit  der  Wahl  des  St.  Georgenberger  Pfingstkönigs 
nicht  verbunden  gewesen  zu  sein. 

In  Fricktal  im  Aargau  stellt  sich  an  Pfingsten  ein  Knabe  zur  Vesper- 
zeit im  Pfingstkorb  am  Dorfbrunnen  auf.  Hier  wird  er  von  seinen  Gefährten 
gegen  die  Angriffe  der  Knaben  aus  den  benachbarten  Dörfern  verteidigt,  welche 
ihm  den  Korb  zu  rauben  suchen.  -  -  Auch  Herbert  M.  Bower,  der  diese  Mit- 
teilung macht,  ist  der  Ansicht,  daß  hinter  diesen  Bräuchen  der  Glaube  an 
einen  wohltätigen  Geist  der  Vegetation  stecke. 

In  Holland  fuhr  man  früher  ein  mit  Blumen  geschmücktes  Mädchen 
als  „Pinxter  blooem"  (Pfingstblume)  in  einem  Wagen  durch  die  Straßen. 
Bettelude  Frauen  begleiteten  sie.  -  Im  nördlichen  Brabant  war  ein  ähnlicher 
Brauch;  dort  sang  man  beim  Umzug: 

„Pfingstblume, 

Dreh  dich  einmal  um."  — 

In  Rußland  hüllt  man  im  Pin sk- Distrikt  am  Pfingstmontag  ein  Mädchen 
in  Birken-  und  Ahornlaub  und  trägt  es  so  durch  das  Dorf.  —  In  einem  Distrikt 
von  Kleinrußland  schmückt  man  einem  Mädchen  das  Haar  mit  Blumen  und 
führt  es  als  „Pappel"  umher.  — 

§  284.     St.  Johannes  in  der  Sonnenwende. 

Nach  dem  bisher  Gesagten  erweckt  schon  der  obige  Titel,  welchen  das 
Fest  Johannes  des  Täufers  früher  trug,  die  Vermutung,  daß  wir  auch  hier 
Spuren  vorchristlicher  Kulte  finden.  Und  in  der  Tat  bezieht  man  das  Johannis- 
feuer,  ferner  die  an  diesem  Tag  geschlagenen  Feuerscheiben  und  Feuerräder, 
sowie  die  in  der  vorhergehenden  Nacht  üblichen  Waschungen,  das  Schmücken 
der  Brunnen  u.  ?.  m.  auf  das  Sonnenwendfest  unserer  heidnischen  Vorfahren 
zurück1). 

Nach  Heuser  sah  Petrarca  in  Köln  noch  im  Jahre  1330  Frauen  und 
Mädchen  in  der  Johannisnacht  die  Arme  im  Rhein  waschen. 

Das  Verbrennen  eines  Strohmannes,  in  Steiermark  „Tatennann"  (Toten- 
mann)2) genannt,  ist  nach  Heuser  eine  Erinnerung  an  den  Erntegott  Thor, 
dem  zu  Ehren  die  Feuer  des  Sonnenwendfestes  loderten,  und  dessen  Bild  man 
nun  den  Flammen  überlieferte.  Daß  dieses  geschehen  sei  „um  sich  gleichsam 
für  die  frühere  Furcht  zu  rächen",  wie  Oberle  erklärt  habe,  erscheint  mir 
nicht  wahrscheinlich.  Vielmehr  dürfte  das  Verbrennen  des  altgewordenen 
Fruchtbarkeitsgottes  hier  so  gut  wie  im  alten  Mexiko  (vgl.  dieses  in  §  280) 
ein  jugendliches  Wiederaufleben  für  das  nächste  Jahr  bezweckt  haben. 


')  Hemer  in   Wetzer  und  Weites  Kirchenlexikon,  2.  Aufl.  4.  Bd.,  Sp.  1419. 
2)  Vgl.  das  „Todaustragen"  und  das  Verbrennen  von  Strohpuppen  am  Sonntag  Lätare 
in  §  280. 

25* 


388      Kap.  XL1II.    Festfreuden  der  Kinder.    Christliche  und  vorchristliche  Erinnerungen  usw. 

Einen  Greis  stellt  die  mit  Hobelspänen  gefüllte  Puppe  dar,  welche  die 
Burschen  in  Jauer,  Mittelschlesien,  am  Johannisabend  auf  einer  Stange 
zu  einem  großen  Platz  außerhalb  der  Stadt  tragen,  in  der  Mitte  dieses  Platzes 
anzünden  und  mit  brennenden  Besen  umtanzen,  wie  Anna  Partuschke  schreibt. 
Brennende  Besen  werden  an  diesem  Abend  auch  in  der  Stadt  herumgetragen. 
Partuschke  schätzte  die  an  dieser  Feier  beteiligten  Kinder  auf  ca.  2U0. 

Zahlreich  sind  die  Feuersäulen,  welche  in  Schlesien,  z.  B.  im  Riesen- 
gebirge, heutzutage  noch  am  Vorabend  vom  Johannisfest  auflodern. 

Auch  Englaud  hatte  früher  seine  .Tohannisfeuer.  J.  E.  EUiot  Bates 
teilte  in  den  „Denham  Tracts"  mit,  in  Whalton  und  Umgebung  habe  froher 
alt  und  jung  am  Vorabend  zusammengeholfen,  um  eine  große  Wagenladung 
von  Stechginster1)  und  anderes  Brennmaterial  zusammen  zu  bekommen.  Der 
Wagen  wurde  von  den  Leuten  selbst  ins  Dorf  gezogen;  oben  saß  ein  Geiger. 
Am  Abend  errichtete  man  aus  dem  Brennstoff  einen  Haufen  und  steckte  ihn 
in  Brand.  Die  Jugend  tanzte  um  ihn  herum;  die  älteren  Leute  sahen  zu, 
schmauchten  ihr  Pfeifchen  und  tranken  Bier. 

Von  ganz  besonderem  Interesse  ist  es,  daß  auch  die  Araber  und  Berber 
in  Marokko  am  24.  Juni,  also  an  unserem  Johannistag,  oder  am  Vorabend, 
Feuer  anfachen.  Ihr  Name  für  den  24.  Juni  ist  „l-'änsära".  oder,  im  Schluh- 
Dialekt  „l-'änsart".  Edward  Westermarck  berichtet  hierüber:  Männer,  Weiber 
und  Kinder  hüpfen  über  dieses  Feuer,  um  von  allem  ihnen  anhängenden  Un- 
glück (1-bäs)  befreit  zu  werden.  —  Die  Beni  Mgild.  ein  Berberzweig  der 
Bräberstämme  in  den  Bergen  von  Zentfäl-Marokko  und  dem  östlichen  Teil 
des  Großen  Atlas,  verbrennen  bei  derselben  Gelegenheit  drei  Garben  von 
ungedroscheuem  Weizen  oder  Gerste;  eine  davon  für  ihre  Kinder.  Ebenso 
verbrennen  sie  das  Zelt  einer  Witwe,  die  nie  ein  Kind  geboren,  um  dadurch 
das  Dorf  von  Unglück  zu  befreien.  --  In  Tazerwalt.  einem  Distrikt  in  Süs, 
baden  die  Kinder  der  dortigen  Schluh  in  Quellen;  in  Aglu,  gleichfalls  im 
Distrikt  Süs,  baden  sie  am  gleichen  Tag  mit  Männern  und  Weibern  in  Quellen, 
im  Fluß  oder  im  Meere,  um  während  des  folgenden  Jahres  vor  Krankheiten 
bewahrt  zu  bleiben.  Doch  sind  nach  Westermarck  viele  fromme  Marokkaner 
und  alle  Schriftgelehrten  gegen  diese  Bräuche,  deren  Ursprung  mythisch  ist, 
und  so  müssen  denn  die  Knaben  auch  an  diesem  Tage  die  Schule  besuchen, 
wenn  sich  die  Lehrer  nicht  mit  Geld  bestechen  lassen,  was  allerdings  meistens 

der  Fall  sei. 

Westermarck  weist  ferner  auf  den  Kirchenlehrer  Augustvn  hin,  der  in 
einer  seiner  Predigten  den  Libyschen  Brauch,  am  24.  Juni  im  Meer  zu 
baden,  als  heidnischen  Überrest  bezeichnet  habe.  Westermarck  selbst  faßt 
Feuer  und  W asser  in  diesen  Bräuchen  sowohl  als  auch  in  den  entsprechenden 
europäischen  als  Reinigungszeremonien  auf  und  sieht  in  der  auffallenden 
Übereinstimmung  derselben  einen  Beweis  für  die  Rasseneinheit  der  Berber 
und  der  ineisten  europäischen  Völker  unserer  Zeitrechnung2).  Daß  aber  das 
marokkanische  Feuer  des  24.  Juni  auch  Fruchtbarkeitskult  ist.  gehl  aus 
einer  Mitteilung  Westermarck^  hervor,  welche  in  Kap.  [,  §  7  des  vorliegenden 
\\  erkes  referiert  worden  ist.  — 

Johannisbränche  anderer  Arten  ersehen  wir  aus  dein  folgenden: 
In  Spanien  und  im  spanischen  Amerika  wurde  der  24.  Juni  im 
18.  Jahrhundert  mit  Reiten  und  Wettrennen  gefeiert.  In  Mexiko  mußten 
an  diesem  Tag  alle  Pferde  und  Maultiere  herhalten.  Kleine  Knaben,  Weiber 
und  Männer  ritten.  Das  Fest  fing  lustig  an,  nahm  aber  jedesmal  ein  trauriges 
Ende,  da  viele  Kinder  verletzt  winden,  viele  stürzten,  Schlägereien  und  Tot- 
schlag vorkam  (Christoph   (rottlieb  von  Murr). 

>)   (?)    Wliins. 

*)  Siehe  die  Anmerkung  am  Schluß  des  vorliegenden  Kapitels. 


§  285.     Maibräuche.  389 

Im  nördlichen  England  war  es  noch  in  der  ersten  Hälfte  des 
19.  Jahrhunderts  an  vielen  Orten  Brauch,  daß  die  jungen  Leute  beider  Ge- 
schlechter in  der  Zeit  vom  Johannistag  bis  zum  Magdalenentag  sich  an  den 
meist  frequentierten  Platz  ihres  Dorfes  setzten  und  die  Vorübergehenden  mit 
einer  bestimmten  Formel  um  kleine  Geldgeschenke  baten.  Sie  hielten  dabei 
ein  Kissen,  welches  sie  mit  buntem  Baumwoll-  oder  Seidenstoff  bedeckt  und 
mit  den  schönsten  Blumen  aus  den  Gärten  ihrer  Eltern  und  Nachbarn  verziert 
hatten. 

§  285.     Maibräuche. 

Der  Jubel  über  die  Wiederkehr  der  schönen,  fruchtbaren  Jahreszeit 
will  kein  Ende  nehmen.  Vom  Tage  der  Wintersonnenwende  bis  zur  Sommer- 
sonnenwende haben  wir  ihn  einerseits  in  mancherlei  Formen  ausgedrückt 
gesehen,  anderseits  aber  in  diesen  Formen  wiederholt  überraschende  Ähnlich- 
keit gefunden. 

Beide  Seiten  zeigen  sich  uns  wieder  in  den  Maifesten,  welche  ich  mit 
dem  hier  zunächst  folgenden  in  der  schottischen  Grafschaft  Roß  auf  den 
nördlichen  Hebriden  eröffne.  Sie  sind  wohl  ein  Best  keltischen  Götter- 
kultus. 

Walter  Gregor  schreibt  nämlich:  In  Achterneed  bei  Strathpeffer, 
Rosshire  bekam  (früher)  jedes  Kind  am  ersten  Mai  ein  Ei  und  einen  Kuchen. 
Dieser  wurde  zwischen  neun  und  zehn  Uhr  morgens  auf  einem  Stein  vor  dem 
Torffeuer  des  Herdes  gebacken :).  Der  Teig  dazu  durfte  nicht  auf  einem  Tisch 
oder  Brett,  sondern  mußte  in  der  Hand  geknetet  werden.  Der  fertige  Kuchen 
mußte  dem  Kind  in  die  Hand  gegeben,  und  durfte  weder  auf  einen  Teller 
noch  auf  einen  Tisch  gelegt  werden;  sonst  hätte  er  nur  noch  als  gewöhnlicher 
Kuchen  gegolten.  Weil  er  in  der  Hand  gemacht  wurde,  hieß  er  Handkuchen 
(„tcharnican").  —  Auf  einem  Hügel  zündeten  die  Kinder  an  diesem  Tag,  bis- 
weilen 20— 30  an  der  Zahl,  ein  Feuer  an,  wozu  sie  das  Brennmaterial  selbst 
sammelten.  Dann  zeichnete  jedes  sein  Ei,  um  es  wieder  zu  erkennen,  legte  es 
in  die  Asche  dieses  Feuers  und  ließ  es  braten.  — 

In  der  englischen  Grafschaft  Lincoln  legen  die  Kinder  am  ersten 
Mai  einen  Korb  mit  Moos  und  Primeln  aus,  schmücken  ihn  auch  sonst  so  gut 
sie  können,  spannen  ein  schönes  Schutzdach  darüber  und  legen  die  schönste 
Puppe2),  welche  sie  auftreiben  können,  hinein.  Ihr  hängen  sie  eine  Schnur 
Yogeleier  um  den  Hals  (Dorothea  Townshend). 

In  Bampton-in-the-Bush,  einem  Städtchen  an  der  Thames  in  der 
Grafschaft  Oxford,  zogen  noch  um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  am  1.  Mai 
weiß  gekleidete  und  mit  rot-weiß-blauen  Bändern  geschmückte  Kinder  in  der 
Stadt  umher.  Ein  Knabe  trug  als  „Lord"  einen  mit  Bändern  und  Blumen 
verzierten  Stab,  „das  Schwert"  genannt,  und  eine  Sammelbüchse.  Zwei 
Mädchen  als  „Lady"  und  „Maid"  trugen  an  einem  Stock  zwei  sich  kreuzende  (?), 
mit  Moos,  Blumen  und  Bändern  umwundene  Reifen.  Die  „Lady"  trug  außer- 
dem wohlriechende  Kräuter  unter  einer  Musselindecke s)  auf  einem  viereckigen 
Brettchen,  das  an  einem  kurzen  Stab  befestigt  war.  Auch  der  Stab  war  mit 
rot-weiß-blauen  Bändern  geschmückt.  „Lord"  und  „Lady"  wurden  von  einem 
„Jack-in-the-Green"  (Laubmännchen?)  begleitet.  Von  Zeit  zu  Zeit  sang  die 
Lady: 


x)  „In  front  of  the  peat  fire  on  the  hearth  supported  by  a  stone." 

2)  Vielleicht  als  Personifikation  des  Mai.     Vgl.  die  Maigöttin  in  Niedersachsen,  ferner 
einen  ähnlichen  Maibrauch  in  Frankreich. 

3)  Vgl.  das  mit  Blumen  und  Decken  geschmückte  Kissen  als  Johannisbrauch  im  nörd- 
lichen England,  oben  §  284. 


390     Kap.  XLIIL    Festfreuden  der  Kinder.    Christliche  und  vorchristliche  Erinnerungen  usn  . 

„Ladies  and  gentlemen, 

I  wish  you  a  happy  May; 

Plcase  smell  ruy  ruace  (nämlich  die  Kräuter  auf  dem  Brettchen) 

And  kiss  my  face. 

And  then  we'll  show  our  garland1)."  — 

Nach  den  Worten  ,,Kiss  my  face"  hatte  der  Lord  die  Lady  zu  küssen 
und  die  Geldbüchse  herumzureichen  (Percy  Manning). 

Aus  der  Grafschaft  Gloucester  ist  mir  ein  Maibaum  bekannt.  In 
Randwick  wird  er  von  Kindern  umtanzt,  welche  dabei  singen: 

..Round  the  Maypole,  trit-trit-trot! 

See  what  a  Maypole  we  have  got; 

Eine  and  gay, 

Trip  avvay, 

Happy  is  our  new  May-day."   — 

Die  Goten  und  Schweden  feierten  den  ersten  Mai  mit  einer  Darstellung 
des  Kampfes  zwischen  Winter  und  Sommer,  welche  Ol.  Magnus'1)  folgender- 
weise schilderte:  In  den  Städten  läßt  „die  obrigkeit  den  ersten  tag  meiens 
zwei  geschwader  reuter  von  starken  jungen  gesellen  und  männern  versammeln, 
nicht  anders,  als  wolt  man  zu  einer  gewaltigen  Schlacht  ziehen.  Das  ein 
geschwader  bat  einen  rittmeister,  welcher  unter  dem  namen  des  winters  mit 
pelzen  und  gefütterten  kleidern  angethan  und  mit  einem  winterspiess  gewapnet 
ist:  der  reitet  hoffertiglich  hin  und  wieder,  wirft  schneeballen  und  eisschemel 
von  sich,  als  wollte  er  die  kälte  erlängern,  macht  sich  ganz  unnütz.  Hergegen 
hat  das  andere  geschwader  auch  einen  rittmerster,  den  heißt  man  den  blumen- 
graveu,  der  ist  von  grünem  gezweig,  laub  und  blumen  bekleidet,  auch  mit 
andern  Sommerkleidern  angethan  und  nicht  fasst  wehrhaft,  reitet  mit  samt 
dem  Winterhauptmann  in  die  stadt  ein,  doch  ein  jeder  an  seinem  besondern 
ort  und  Ordnung,  halten  alsdann  ein  öffentliches  stechen  und  furnier,  in  dem 
der  sommer  den  winter  überwindet  und  zu  boden  rennt.  Der  winter  und  sein 
gefolge  werfen  um  sich  mit  Asche  und  Funken,  das  sommerliche  gesinde 
wehrt  sich  mit  birkenmeien  und  ausgeschlagenen  lindeuruten;  endlich  wird 
dem  sommer  von  dem  umstehenden  volke  der  sieg  zugesprochen". 

Dazu  bemerkte  Plofi:  „Gleiches  war  in  Niederdeutschland  von  altere 
her  Sitte;  so  erwähnt  Sastrow  in  seiner  Lebensbeschreibung  im  Jahre  1628 
eines  Mairittes  zu  Greifswalde,  und  den  Schülern  zu  Pasewalk  wurde 
im  Jahre  1563  eine  „Maigrafenfahrt"  gestattet,"  -  -  Vielleicht  haben  wir  hier 
aber  Reste  der  ehemals  slawischen  Bevölkerung;  denn  daß  auch  slawische 
Völker  den  Kampf  zwischen  Winter  und  Sommer  dramatisierten,  wissen  wir 
aus  früheren   Paragraphen. 

In  mehreren  Gegenden  Deutschlands,  z.  B.  in  Niedersachseu,  besteht 
das  Maifest,  wie  in  der  englischen  Grafschaft  Gloucester,  im  Aufrichten 
eines  Maibaumes,  um  welchen  man  tanzt.  Im  Städtchen  'Wolfhagen  (Nieder- 
sachsen) versammeln  sich  die  Maijungen  als  Zimmerleute  mit  Schurzfell  und 
Tornister  auf  dem  Markte.  Unter  Musik  bewegt  sich  der  Zug  nach  dem 
Walde.  Hier  weist  der  Magistrat  junge  Birken  an,  die  gefällt  werden.  Diese 
„Maibäume"  werden  dann  mit  Sang  und  Klang  durch  den  Ort  getragen  und 
an  den  einzelnen  Häusern  aufgepflanzt.  Dem  Zuge  voran  fährt  ein  Wagen, 
auf  dem  eine  symbolische  Figur,  die  Maigöttin,  sitzt;  hinter  ihr  marschieren 
militärisch  gekleidete  Knaben. 

Die  Überwindung  des  Winters  durch  den  Frühling  war  nach  lliland'-') 
ursprünglich  der  Sinn  auch  des  „Walperzuges",  welchen  die  Erfurter  Bürger 

')  Die  obigen  Blumenreifen. 

-)   2.    Aull.    II.    377.      l'luß    wies    bei    diesem   Zitat    auch    auf   Grimm.    Mythol.   73."..    und 
auf   Sdlo.   Eriihlihgsl'este   (..Im    neuen    Reich".    1  SM    S     S'Jl  I    hin. 
:1)  Bei   Ploß,  2.  Aufl.   II.  375  f. 


§  285.     Maihräuche.  .  .  391 

früher  am  ersten  (?)  Mai  in  den  Wald  machten,  wo  sie  unter  Klang  und 
Sang  Maien  abschnitten,  die  sie  nach  Hause  trugen.  Auf  der  Rückkehr  ließen 
sie  dem  Zug  zwei  mit  Goldketten  und  anderem  Geschmeide  behängte  Knaben 
voranreiten.  Allerdings  habe  mau  deu  Ursprung  dieses  Brauches  mit  verschie- 
denen Sagen  zu  erklären  gesucht,  unter  denen  die  folgende  war:  Die  Edelleute 
eines  Schlosses  der  Umgegend  seien  Räuber  gewesen,  welche  im  Jahre  1289 
von  den  Erfurtern  unter  Kaiser  Rudolf  erschlagen  und  deren  Schloß  zerstört 
worden  sei.  Nur  zwei  Knaben  seien  auf  die  Bitten  ihrer  Mutter  verschont 
geblieben  und,  mit  ihrem  Geschmeide  behängt,  auf  Pferden  nach  Erfurt  gebracht 
worden.  Seitdem  hahe  man  jährlich  den  Walperzug  als  Erinnerung  an  die 
Einnahme  des  Schlosses  veranstaltet. 

Höchstwahrscheinlich  verhält  es  sich  aber  mit  diesem  „Walperzug'' 
wie  mit  dem  „Pfingstreiten"  in  Molschieben,  d.  h.  der  „Walperzug"  wird 
älter  sein  als  die  obige  Sage;  sonst  hieße  er  kaum  so.  Der  erste  Mai,  der 
Tag  der  Heiligsprechung  der  vom  christlichen  Volk  hochverehrten  Äbtissin 
Walpurga  (779),  welche  sich  in  ihrem  Leben  hervorragende  Verdienste  um 
die  Christianisierung  des  mittleren  Deutschland  erworben  hatte,  war  ja  auch 
unsem  heidnischen  Vorfahren  ein  heiliger  Tag,  ja  nach  Grimm,  Mannhardt, 
Orohmann  und  Wutke1)  einer  der  heiligsten  Tage  des  Jahres.  Der  erste 
Mai  war  nämlich  dem  Donar  geweiht,  ein  Opfer-  und  Gerichtstag  der  Mai- 
versammlung. In  der  vorhergehenden  Nacht  waren  alle  Zaubermächte  los- 
gebunden, wie  denn  auch  heutzutage  noch  in  dieser  Nacht  die  Hexen  auf 
Besenstielen  und  Böcken  zu  ihrer  Zusammenkunft  mit  dem  Teufel  auf  den 
Blocksberg  reiten. 

Die  zwei  Knaben  beim  Erfurter  „Walperzug"'  sollen  freilich  keine 
Hexen  darstellen,  sondern  den  einziehenden  Frühling,  welcher  den  „Raubrittern", 
d.  h.  nach   TJhland  den  Winterunholden,  abgerungen  worden  ist.  — ■ 

Vom  Niederrhein  erwähnte  Ploß'2)  den  Brauch,  daß  Kinder  am  Maifest 
mit  belaubten  Zweigen  uud  Blumensträußen  von  Haus  zu  Haus  zogen  und 
sangen : 

„Guten  Tag-,  guten  Tag  in's  Haus! 
Hier  bringen  wir  den  Mai  ins  Haus. 
Wir  haben  heute  Maie, 
Der  gibt  uds  unsere   Weihe." 

Dafür  erhalten  sie  in  der  Regel  Eier  und  Kuchen;  manchmal  werden 
sie  aber,  statt  beschenkt,  von  neckischen  Leuten  mit  Wasser  bespritzt.  - 

Vorchristlichen  Ursprung  hat  allem  Anschein  nach  auch  das  Brunnen- 
kranzfest in  Bacharach  am  Rhein,  von  welchem  Ploß  schrieb3):  Im  Mai 
werden  die  vier  großen  Brunnen  gereinigt.  Bei  der  damit  verbundenen 
Festivität  bilden  die  sämtlichen  Kinder  des  Dorfes  hinter  dem  jugendlichen 
Träger  des  Brunnenkranzes  einen  Zug,  sammeln  Speisen  und  Delikatessen  und 
veranstalten  schließlich  einen  Kiuderschmaus. 

In  Schwaben  zogen  früher  die  Kinder  am  1.  Mai,  mit  Baumzw eigen 
und  Bändern  geschmückt,  auf  die  Felder  hinaus  (Birlinger). 

In  Thann,  Elsaß,  trägt  ein  Mädchen  als  Mairöschen  (Maienreesele) 
das  mit  Bändern  und  Girlanden  geschmückte  Maibäumchen  im  Dorf  herum. 
Audere  Mädchen  begleiten  es,  sammeln  Gaben  uud  singen: 

„Mai-Röschen,  wende  dich  drei  mal. 
Zeig  dich  uns  ringsherum"  usw. 


')  Bei  Ploß,  2.  Aufl.  II,  374. 

2)  Ebenda. 

»)  2.  Aufl.  H,  375. 


6 


392     Kap.  XLIII.    Festfreuden  der  Kinder.    Christliche  und  vorchristliche  Erinnerungen  usw. 

Von  den  Gaben,  welche  man  diesen  Kindern  spendet,  hängt  es  ab,  ob 
das  Jahr  fruchtbar  werde  (Percy  Manning).  —  Demnach  waren  diese,  jetzt 
Kindern  gereichten,  Gaben  ehemals  wohl  Opfergaben. 

In  der  deutschen  Schweiz  sind  die  Maibäumchen,  welche  die  Kinder 
singend  von  Haus  zu  Haus  tragen,  mit  bunten  Eiern  und  Blumen  verziert '). 

In  Bedano,  Kanton  Tessin,  pflanzen  die  Mädchen  mit  Hilfe  eines 
Mannes  am  Vorabende  des  1.  Mai  eine  lange  Stange,  mit  einer  Fahne  an  der 
Spitze,  auf  einem  öffentlichen  Platze  auf,  gruppieren  sich  hierauf  um  diesen 
Maibaum  herum  und  singen  ein  vielstrophiges  Frühlingslied 2).  aus  dessen  Inhalt 
PeUandini  schließt,  daß  die  Mädchen  es  früher  nicht  am  Fuß  des  Maien, 
sondern  während  ihres  Dorfumganges  sangen,  wobei  sie  einen  Lorbeerzweig 
von  Haus  zu  Haus  trugen  und  dafür  Salami,  Trockenfleisch.  Eier  und  der- 
gleichen erhielten.  Am  Abende  des  1.  Mai  werden  die  Mädchen,  welche 
am  Vorabende  um  den  Maienbaum  gesungen  hatten,  zu  einem  großen  Eier- 
kuchen eingeladen;  Eier  dazu  werden  von  einem  als  Eremit  verkleideten  Mann 
unter  dem  Klange  der  Dorfmusik  von  Haus  zu  Haus  gesammelt. 

In  Estavayer,  Kanton  Freiburg,  dauerten  anfangs  des  19.  Jahr- 
hunderts die  Maifeste  einen  ganzen  Monat.  Jeder  Sonntag  hatte  seine  eigenen 
Freuden.  Heutzutage  werden  nur  noch  der  1.  Mai  und  der  erste  Sonntag 
dieses  Monats  gefeiert,  jener  als  „la  fete  des  maientses''3),  dieser  als  .Ja 
fete  de  la  poutta". 

Am  1.  Mai  kamen  noch  vor  zirka  ,J5  Jahren  ganze  Truppen  Knaben 
(sauvages)  und  Mädchen  (maientses)  vom  Land  in  die  Stadt,  um  von  Haus  zu 
Haus  das  Frühlingserwachen  zu  besingen.  —  Jetzt  gibt  man,  wie  Vdknar 
schreibt,  der  Schuljugend  am  1.  Mai  keine  Ferien  mehr  und  verbietet  in 
gewissen  Dörfern  des  Kantons,  daß  sie  an  diesem  Tage  zum  „Betteln"  komme, 
so  daß  die  hübsche  Sitte  des  Maiansingens  am  Aussterben  ist.  Schon  jetzt 
kennen  die  wenigen  ,,sauvages"  und  „maientses"  die  Gesänge  ihrer  Vorgänger 
nicht  mehr,  sondern  stimmen  „Salut  glaciers  sublimes"  oder:  „J'avais  un 
camarade"  oder  ähnliches  an.  —  Die  Mädchen  tragen  bei  diesen  Gängen 
Sonntagskleider,  sind  mit  Bändern  geschmückt  und  mit  Blumen  bekränzt.  Die 
Knaben  tragen  alle  an  kreuzweise  übereinandergehenden  Riemen  Glöckchen 
oder  Schellen,  die  sie  gewöhnlich  nach  jeder  Strophe  schütteln,  einige  einen 
alten  Säbel,  alle  aber  die  unvermeidliche  alte  Dienstmütze.  Dem  maientso  und 
der  maientsetta  (Maienkönig  und  Maienkönigin)  hängt  zudem  an  einem  farbigen 
Gürtelband  eine  Lederbörse:  die  Dienstmütze  des  Königs  ist  mit  künstlichen 
Blumen,  die  Brust  der  Königin  mit  Broschen,  Perlenschnuren  und  ähnlichem 
Schmuck  gezielt. 

Zur  Königin  wählt  man  eines  der  kleinsten  und  hübschesten  aus  der 
Mädchenschar.  Sie  wird  von  den  zwei  größten,  deren  eine  einen  Korb  zur 
Aufnahme  der  in  Eiern,  Obst  oder  Kuchen  bestehenden  Gaben  trägt,  an  der 
Hand  geführt. 

Am  ersten  Maisonntag  früh  hängt  man  große  Kränze  von  gelben  oder 
weißen  Blumen  auf  die  Dachgiebel  oder  aus  den  Dachfenstern,  oder  auf  die 
höchsten  Balkone.  Gewöhnlich  baumelt  innerhalb  des  Kranzes  eine  Flasche 
oder  ein  alter  Topf.  Früher  befestigte  man  sie  sogar  auf  der  Spitze  des 
Kirchturmes  und  auf  den  Wetterfahnen.  Nach  Beendigung  des  vor-  oder 
nachmittägigen  Gottesdienstes  fahren  dann  die  Knaben  auf  zweiräderigen,  mit 
ilililiilieiiileii  Zweigen  geschmückten  Wagen   in  den  Straßen  spazieren,  oder 


!.  Aul!    II.  375. 
he  dieses  im  Schw.  Arch.  8.  Jahrg..  S.  249. 
i    Volmar    übersetzt,    wie    oben    folgt.     „mafentse"    mit    ..Mädchen",    „maientso"     mit 
„Maienkönig"  und  „maientsetta"  mit  „Maienkönigin". 


§  286.     Frühlings-  und  Sommerfeste  verschiedener  Arten. 


393 


sie  setzen  mit  einem  blühenden  Zweig  in  der  Hand  den  Mädchen  nach *),  indem 
sie  ihnen  zurufen:  „Poutta!  poutta  la  bala.-'  Die  Mädchen  bewerfen  die  Knaben 
mit  gelben  Blumensträußen,  legen  sich  die  Hände  so  an  den  Kopf,  daß  sie 
wie  Hörner  aussehen,  und  rufen:  „Bovirons!  —  Bovirons!"  Die  Bedeutung 
dieser  Ausdrücke  kennen  die  Leute  jetzt  nicht  mehr.  Yolmar  erhielt  auf  seine 
Frage  zur  Antwort:  „Die  Knaben  reizen  die  Mädchen  mit  der  poutta.  und 
die  Mädchen  die  Knaben  mit  den  bovirons.  Die  weißen  Kränze  sind  poutta- 
Kräuze  und  die  gelben  sind  bovirons-Kränze." 

Die  Knaben  begnügen  sich  indessen  mit  der  Verfolgung  der  Mädchen 
nicht,  sondern  sie  steigen  auf  langen  Leitern  oder  Stangen  auf  die  Dachgiebel, 
zu  den  Dachfenstern  und  wo  immer  ein  Kranz  angebracht  ist.  Haben  sie 
einen  erobert,  so  hängen  sie  ihn  als  Trophäe  an  ihren  Wagen  und  setzen  ihre 
Fahrt  jubelnd  fort.  -  -  In  mehreren  Dörfern  der  romanischen  Schweiz  hing 
nach  Josef  Yolmar  das  Recht,  den  Lenz  zu  feiern,  von  der  Zeit  ab,  in  welcher 
das  Laub  sproß.  Geschah  es  im  Mai,  so  durften  die  Knaben  ihn  besingen; 
sonst  die  Mädchen.  In  Bochefort,  Neuchätel,  hatten  die  Knaben,  wenn  sie 
..gewonnen",  das  Recht,  die  Mädchen  zu  küssen;  hatten  die  Mäd- 
cheu  gewonnen,  dann  machten  sie  den  Knaben  eine  lange  Nase.  — 

In  Brie,  Isle  de  France,  finden  wir  dann  wieder  den 
von  Mädchen  umtanzten  Maibaum.  Während  dieses  Tanzes  wird 
ein  in  Blätter  gehüllter  Knabe  als  Vater  Mai  umhergeführt 
(Percy  Manning). 

In  Lons-le-Saunier  und  Chäteau-Chalon  (Jura)  tragen 
am  1.  Mai  die  jungen  Mädchen  ein  mit  Blumen  geschmücktes  Kind, 
„die  Neuvermählte",  im  Triumphe  umher  und  singen  dabei: 

..Beschenkt  zur  Hochzeit  unsre  Braut, 

Sie  bringt  den   Mai  und  Jubel  überlaut; 

Beschenkt  zur  Hochzeit  unsre  Braut 

Mit  Gaben  reich. 

Es  ist  der  Mai.  deu  hier  ihr  vor  euch  schaut. 

Drum  gebet  gleich."     (Aus  Champfleurys  Sammlung.) 

Die  Kinder  von  Salles  an  der  Marne  sammeln  Mehl  und 
Eier  am  Anfang  des  Mai  (Marienmonat),  backen  Waffeln  davon, 
kaufen  aus  deren  Erlös  eine  Kerze,  die  sie  zu  Ehren  der  Mutter  Gottes  an- 
zünden, und  singen: 

,,Frau,  gebt  mir  ein  kleines  Ei 

Und  ein  wenig  Mehl  dabei; 

Nicht  für  mich  allein 

Soll  die  Gabe  sein. 

Eine  Kerze  kauf  ich  gern 

Für  die  Mutter  unseres  Herrn."  —      {Otto  Kamp.) 

Zum  Abschluß  dieses  Paragraphen  sei  noch  eines  japanischen  Volks- 
festes gedacht,  welches  am  5.  Mai  gefeiert  wird.  Man  wünscht  den  Knaben 
an  diesem  Tag  zu  ihrer  zukünftigen  Karriere  Glück  (AnesaH). 

§  280.     Frühlings-  und  Soniuierieste  verschiedener  Arten. 

Schon  im  vorigen  Kapitel  ließen  wir  verschiedene  Festbräuche  unserer 
Jugend  sich  im  Spiegel  der  heidnischen,  bzw.  heidnisch-christlichen  Mordwinen- 
bräuche beschauen.  Das  gleiche  möge  auch  jetzt  geschehen,  nachdem  wir  die 
Festesfreuden  der  Christenkinder  hauptsächlich  bei  Slawen,  Germanen,  Romanen 
und  Kelten  an  Ostern,  Pfingsten  und  Johannistag,  sowie  ihre  Maifreuden  be- 
obachtet haben.  Dann  wird  uns  der  ursprüngliche  Sinn  der  Birken-  und  iiai- 
bäumchen,  die  Gaben  an  Eier  und  Kuchen,  das  gemeinsame  Backen  der  letzteren 


Fig.  37ü.  Wird  bei 

japanischen 
Knabenfesten  an 
einem  Stock  ge- 
tragen. Im  Mu- 
seum für  Völker- 
kunde in  Leip- 
zig. 


')  Vgl.  die  schlesischen  Schmackostern  und  dessen  Seitenstücke  in  früheren  Paragraphen. 


394     Kap.  X.LIIT.    Festfreuden  der  Kinder.    Christliche  und  vorchristliche  Erinnerungen  usw. 

aus  den  gesammelten  Gaben  und  noch  manches  andere  immer  klarer  werden, 
d.  h.  wir  werden  in  manchen  Festbräuehen  unserer  Kinderwelt  immer  deutlicher 
und  deutlicher  Überbleibsel  eines  alten  Götter-  bzw.  Fruchtbarkeitskultes 
erkennen. 

Wie  schon  früher  erwähnt,  spielte  bei  den  Mordwinen  die  Jugend  im 
Dienste  der  Göttermutter  Ange  Patyai1),  der  Göttin  der  Fruchtbarkeit,  eine 
wichtige  Rolle.  Das  geht  auch  aus  der  folgenden  Schilderung  ihres  Sommer- 
festes  durch  MebiiJcof-Avercromby  hervor.  Zwar  handelt  es  sich  bei  diesem 
Fest  auch  um  andere  Gottheiten,  die  aber,  nach  dem  Zusammenhau»-  der 
Schilderung  zu  schließen,  in  euger  Beziehung  zu  Ange  Patyai  stehen. 

Schon  am  Vorabend  dieses  Festes  schmücken  die  .Mädchen  Hof  und 
Wohnraum  mit  Grün,  besonders  mit  Birkenzweigen,  und  pflanzen  Birkenbäumchen 
vor  die  Häuser.  Auch  flechten  sie  sich  Kränze  aus  Blumen  und  Zweigen,  die 
sie  teils  vor  den  Wohnstuben-),  teils  über  dem  Kopfende  ihrer  Betten  auf- 
hängen, wobei  sie  beten:  ..Cham  pas  (Schöpfer)  erbarme  dich  unser;  Ange 
Patyai,  liebe  Mutter,  hilf  deiner  Tochter  (hier  der  Name  des  Mädchens)  be- 
scheiden leben  und  gib  ihr  einen  Bräutigam."  Nachdem  sie  die  Kränze 
über  dem  Bett  aufgehängt  haben,  wenden  sie  sich  auch  an  den  Sohn  der  Ange 
Patyai  mit  der  Bitte:  „Svyet  Nishki  Pas3),  schicke   mir  einen    Bräutigam." 

An  diesem  Abend  wird  von  bekränzten  Mädchen  eine  Prozession  von 
Haus  zu  Haus  gehalten.  Männer  dürfen  nicht  daran  teilnehmen4).  Wagt 
sich  ein  Bursche  doch  in  die  Reihen,  dann  «wird  er  so  lange  gestoßen  und 
gekitzelt,  bis  er  ein  Dutzend  Eier  zu  spenden  verspricht. 

Die  Bedeutung  des  Eies  bei  diesem  Sommerfest  wird  uns  klar, 
wenn  wir  bei  Avercromby  lesen,  daß  die  Hühner,  wegen  ihrer  großen 
Fruchtbarkeit  im  Eierlegen,  Lieblinge  der  Ange  Patyai  waren  (vgl. 
S.  330).  Damit  ist  der  Schlüssel  zu  den  weitverbreiteten  Eier- 
bräuchen an  unseren  Frühlings-  und  Sommerfesten  gegeben. 

Nur  ein  Musikant,  ein  Pulämanspieler  kann,  wenn  eingeladen,  sich  an 
der  Prozession  beteiligen,  an  deren  Spitze  die  von  den  übrigen  Mädchen  ge- 
wählte Führerin  (Pryavt  tevtyar)  mit  ihr  vorangehenden  kleinen  Mädchen 
schreitet.  Diese  tragen  ein  mit  Schärpen,  Tüchlein  und  dem  Gürtel  der 
Führerin  behängtes  Birkenbäumchen  i  Kyölu).  Unmittelbar  hinter  der  Führet  in 
tragen  drei  Mädchen  (parindyaits)  Körbe  aus  Bast  und  Birkenrinde  und  mit 
Birkenzweigen  verziert,  Vor  jedem  Haus  wird  der  folgende  „Birkensang" 
(kyöl-morö)  angestimmt.  In  den  Gouvernements  Samara  und  Simbirsk,  wo 
die  Mordwinenjugend  ihre  Muttersprache  nicht  mehr  kennt,  singen  die  Mädchen 
auf  russisch: 

„Beil!  Du  weiße  Birke, 
Heil!  Du  großes  Ahornblatt, 
Heili    Wächter  der  Linde  (?)■), 
Heil!  Ihr  lieblichen  Mädchen, 
Heil!   Li  userer  teuren   Frau, 
Zu  dir,  o  teure  Frau. 
Kommen  liebliche  Mädchen, 
Wollen  gelbe  Bier  (von  dir), 
Pfannkuchen  und  auch  Pasteten." 


')   Die  jetzt  christlichen  Mordwinen  haben,  nach  Melnikof- Avercromby,  ihren  früheren 

Kult   der  Ange  Patyai    (hoffen  wir  imi   entsprechender  Modifikation)   auf  Maria  übertragen. 

.  i    dieKräi    e  am  Maifest  inEstavayer,   Kt.  Freiburg,  im  vorigen  Paragraphen. 

3)  Sem  Kuli  vurde,  nach  Melnikof,  von  den  christianisierten  Mordwinen  auf  Jesus 
übertr.i 

4i   Über  eine   Ausnahme  später. 

6|  „Guardian  oi   the  lime"  gibt   Avercromby  in  seiner  englischen  LTbersetzung. 


§  286.     Frühlings-  und  Sommerfeste  verschiedener  Arten.  395 

Die  Herrin  des  Hauses  reicht  nun  Eier,  Hirse,  Mehl  und  Butter l)  durch 
das  Fenster,  wovon  die  Fahrerin  des  Zuges  aber  nur  die  Eier  in  Empfang 
nimmt,  während  es  einer  Tochter,  Nichte  oder  sonstigen  Verwandten  der 
Geberin  zukommt,  das  Mehl  und  die  Butter  zu  nehmen.  Beim  Darreichen  der 
Gaben  betet  die  Frau:  ..Ange  Patyai  Pas,  liebe  Mutter,  bewahre  dein  teures 
Kind-'),  daß  kein  böser  Mann  sich  in  sie  verliebe  und  ihr  den  grünen  Kranz 
(Jnngfrauschaft ?)  wegnehme." 

Die  Gaben  werden  in  die  Körbe  der  parindyaits  gelegt;  die  Mädchen 
bilden  einen  Kreis  und  singen  der  Tochter  des  Hauses  zu  Ehren  ein  Dankes- 
lied, wozupulaman  gespielt  wird,  und  zwar  ist  in  Saransk  uudKrasnoslovodsk 
der  Text  der  Hauptsache  nach  mordwinisch,  obgleich  die  Sängerinneu  ihn 
nicht  mehr  ganz  verstehen.  -  -  Doch  kommen  auch  russische  "Wolter  und  Spuren 
finnischer  Ällitratioii  und  finnischen  Versmaßes  vor. 

Ich  übersetze  hier  aus  dem  Englischen  Avererombys  eines  dieser  Lieder: 

„Kleine  Herrin.  Kitty,  Rätchen, 

Stolz  hat  Kitty  sich  gekleidet. 

Stolz  und  vornehm  ist   ihr  Gang8). 

0!  Welch  (schöne)  Strümpfe  von  Sarätof! 

0!  Der  hohe  Absatz  auf  den  Schuhen! 

Auf  dem  Hemd  hat  sie  sechs  Streiten. 

Auf  dem  Kaftan  zehn   Volants, 

Das  Hemd  gestickt  mit  zartem  Kot 4)."  — 

Der  Text  lautet: 

„Käti  Katerka  materka, 
Katerka  yaköi  shchogolsta. 
Kati  shchogolsta,  chuvansta. 
Yai  Saratovskoi  chyulkasi. 
Seri  kochkeri  bäshmaksa, 
Köta  kvälmasa  palyasa. 
Kern  kaftova  rutsyasa. 
Yai.  päli  sarva  shtofnoisa."  — 

Während  der  Prozession  wiederholen  die  bekränzten  Mädchen  singend 
die  Bitte  an  Ange  Patyai  und  Nishki  Pas  um  Bescheidenheit  und  um  einen 
Bräutigam,  welche  sie  beim  Aufhängen  der  Kränze  über  ihren  Betten  und  vor 
den  Wohnstuben  ausgesprochen  hatten. 

Nachdem  die  Mädchen  genügend  Gaben  gesammelt  haben,  begeben  sie 
sich  gegen  Abend  mit  ihren  geputzten  Birkenbäumchen  singend  an  eine  Quelle 
oder  an  irgendein  fließendes  "Wasser.  Das  auf  diesem  Gang  gesungene  Lied  ' 
ist  halb  heidnischen,  halb  christlichen  Inhalts  und  wird  nach  Avercromby  auch 
von  der  russischen  Landbevölkerung  gesungen,  und  zwar  am  Vorabend  von 
Semik,  dem  siebenten  Donnerstag  nach  Ostern.  Ich  übersetze  aus  dem  Eng- 
lischen nur  die  erste  Strophe: 

„Segne  uns.  o  Dreifaltigkeit'/: 
Auch  du,  Gottes  Mutter. 
Da  in  den   Wald  wir  gehen. 


')  Nach  einer  anderen  Stelle  hei  Avercromby  wird  an  diesem  Abend  auch  Malz,  Honig 
und  Getreide  gesammelt,  und  die  Mädchen  entblößen  sich  beim  Keichen  dieser  Gaben  die 
Schultern. 

2)  Nach  dem  Obigen  scheint  unter  diesem  teuren  Kind  die  Tochter  der  Geberin  gemeint 
zu  sein,  die  Gabe,  von  Avercromby  auch  „Opfer-  genannt,  für  das  Wohl  dieser  Tochter  ge- 
reicht zu  werden.     Daß  es  eine  Opfergabe  ist,  geht  auch  aus  dem  obigen  Gebet  hervor. 

3)  Ein  Hauptvorzug  in  den  Augen   der  Mordwinen. 

*)  Rose  of  dawn:  Nach  Avercromby  gehört  all  das  zur  wirkungsvollen  Erscheinung 
eines  Mordwinen-Mädchens. 

6)  Avercromby  meint  wohl  nicht  mit  Unrecht,  daß  früher  statt  der  Dreifaltigkeit  des 
christlichen  Glaubens  der  Cham  Pas  (Schöpfer).  Nishki  Pas  und  Ved  Pas  des  Mordwinen- 
Glaubens  augerufen  worden  waren.  (N.  P.  als  Sohn  und  V.  P.  als  Enkel  der  Göttermutter 
Auge  Patyai.) 


396     Kap.  XLI1I.    Festfreuden  der  Kinder.    Christliche  und  vorchristliche  Erinnerungen  usw. 

Kränze  zu  flechten 

Aus  Zweigen  der  Birke. 

Oi  Did  Lado! 

Mein  winzig  Birkenbäumchen .'•  — 

Am  Wasser  angelangt,   pflanzen   die  Mädchen   ihre   geschmückte  Birke 

auf  oder  berauben  sie  ihres  Schmuckes,  um  diesen  einer  dort  wurzelnden  Birke 
anzulegen.  Hierauf  bilden  sie  um  den  Baum  einen  Kreis,  und  eine  der  parindyait 
fordert  zum  Schweigen  auf.  „Sakmede!"  ruft  sie,  und  alles  schweigt.  Nun 
betet  die  Zugführerin:  ..Kyolu  Bas!  viuiman  mon  (Birkengott,  erbarme 
dich  unser).  -  -  Ange  Patyai  Pas,  gib  uns  Gesundheit!"  —  Nun  verneigen  sich 
die  Mädchen  dreimal  tief  vor  der  Birke,  nehmen  sich  die  Kränze  von  den 
Häuptern  und  werfen  sie  ins  Wasser.  Schwimmt  der  Kranz  eines  Mädchens, 
so  bedeutet  das  dessen  baldige  Verheiratung;  sinkt  er.  dann  stirbt  das  Mädchen 
bald.  Hierauf  entkleiden  sich  die  Mädchen,  waschen  im  Wasser  die  Füße, 
lösen  von  der  Birke  die  Bänder  und  den  andern  Schmuck  ab  und  werfen  den 
Baum  in  ein  angefachtes  Feuer,  auf  welchem  nun  die  Opferpfannkuchen  für 
Kyol  ozais,  den  Birkengott,  bereitet  werden.  Sind  diese  fertig,  so  ertönt 
abermals  der  Ruf  der  Führerin  „Sakmede!"  Dann  betet  sie  zuerst  zu  Cham 
Pas,  dem  Schöpfer,  hierauf  zu  Ange  Patyai  um  Gesundheit  und  gute  Bräutigame, 
und  schließlich  zu  Kyol  ozais,  dem  Birkengott,  welchem  die  Pfannkuchen  mit 
einem   dreimaligen  Emporheben  der  Pfanne  als  Opfer1)   dargebracht   werden. 

Dann  folgt  das  Mahl,  welches  nach  dem  Gesagten  eine  Opfermahlzeit  ist. 

Wenn  alles  aufgezehrt  ist,  winden  die  Mädchen  einen  großen  Kranz 
aus  Birkenzweigen  und  küssen  sich,  nachdem  sie  ein  Lied2)  gesungen,  gegen- 
seitig durch  diesen  Kranz.  Sie  nennen  das  „Pathinnen-Machen".  Nach  dieser 
Zeremonie  kehren  sie  singend  in  ihr  Dorf  zurück. 

Auch  an  dem  tags  darauf  stattfindenden  Fest  der  ganzen  Gemeinde 
spielten  früher  die  Mädchen  eine  bedeutende  Eolle.  Wenn  jung  und  alt, 
.Männer  und  Weiber  sich  zu  der  Ange  Patyai  geheiligten  Opferstätte  i  Keremet)3) 
begaben,  führten  drei  Mädchen  das  einjährige  Opferschaf,  das  sie  in 
einem  Bach  gereinigt  hatten,  und  welchem  sie  bisweilen  Birkenzweige  an  die 
Hörner  banden.  --  Bei  zahlreicher  Teilnahme  am  Opfer  wurden  auch  zwei,  drei 
und  mehr  Schafe  gekauft.  Immer  aber  mußte  der  Kaufpreis  von  den  parindyaits 
und  yanbeds(?)  gesammelt  werden.  -  Am  östlichen  Tor  des  Keremet  an- 
gelangt, übergaben  die  Mädchen  das  Schaf  den  „posanbunaveds"  zur  Schlach- 
tung. Sie  selbst  gingen  mit  den  anderen  Mädchen  zur  heiligen  Birke,  die 
etwas  nördlich  vom  Mittelpunkt  der  Opferstätte  stand,  und  stellten  sich  vor 
ihr  auf,  indem  sie  mit  Tüchern  geschmückte  Birkenzweige  in  den  Händen  hielten4). 
Hinter  den  Mädchen   standen  die  Frauen,  und  hinter  diesen  die  Männer.  - 

Die  Mädchen  wählten  an  diesem  Feste  drei  aus  ihrer  Mitte,  die  aus 
gesammelten  Eiern  Pfannkuchen  zu  backen  hatten,  und  wiederum  waren  es 
die  Mädchen,  welche  an  dieser  Opferstätte  zuerst  pure  (Bier),  Schaffleisch, 
Suppe   und    Pfannkuchen  erhielten.     Der   vosatya   warf  ihnen   vom   hl.  Baum 

x)  Der  Vorabend  dieses  Sommerfestes  scheint  also  in  erster  Linie  den  Birki 
geehrt  zu  haben.  Da  aber  die  Birke  der  heilige  Baum  der  Ange  Patyai  war,  ist  wohl  ein 
wesentlicher  Unterschied  zwischen  beiden  Gottheiten  überhaupt  nicht  anzunehmen.  Die  Opfer 
dieses  und  des  folgenden  Tages  kommen  jetzt  nicht  mehr,  oder  wohl  nur  im  geheimen 
vor.  Wie  schon  früher  erwähnt,  fand  ja  das  letzte  öffentliche  Opfer  der  Mordwinen  nach 
heidnischem   Ritus  im  Jahre   1813  statt. 

-i  Dieses,  sowie  das  auf  dem  Heimweg  gesungene  Lied  siehe  Averoromby,  The  Beliefs 
usw.  in:  -Lore  Journal,  Vol.   VII.  p.   112. 

s)  Hier  handelt  es  sich  offenbar  nicht  um   die  Opferstätte   einer  Familie,   sondern    um 
die  der  ganzen  Gemeinde,  also  um  ein  öffentliches  Opfer,  wie  es  vor  1813  dargebracht  wurde. 
B  n    und.   wie  früher  mitgeteilt,   mit   dem    Gürtel   der   Zugführerin 

geschmückten  Birkenzweige  sind   wohl  das  Urbild    unserer  Maibäume:   Bilder  der  Frucht- 
barkeit !  lis 


§  286.     Frühlings-  und  Sommerfeste  verschiedener  Arten.  397 

aus.  auf  den  er  zur  Leituug  des  Opferfestes  gestiegen  war,  mit  dem  Mund 
Birkenzweige  zu,  welche  von  den  Mädchen  gesammelt  und  zu  Kränzen  für 
ihre  Häupter  gewunden  wurden.  Singend  gingen  sie  nach  dem  Opfer  der 
Männer  und  Frauen  zu  einem  fließenden  Wasser,  entkleideten  sich,  wuschen 
sich  die  Füße,  „machten  Pathinnen",  indem  sie  sich  durch  Kränze  küßten,  und 
warfen  schließlich  ihre  Kränze  und  Zweige  ins  Wasser ')  (Melnihof-Avercromby).  - 

Zu  den  Sommerbräuchen  lassen  sich  auch  die  folgenden  in  Armenien, 
Mesopotamien  und  Trapezunt  rechnen;  denn  sie  sollen  Regen  zur  Folge 
haben.  Wenn  nämlich  in  Egin  in  Armenien  Eegen  gewünscht  wird,  dann 
fertigen  die  Knaben  aus  zwei  kreuzweise  gelegten  Stöcken,  alten  Kleidern 
und  einer  Mütze  eine  Regenpuppe,  die  sie  „Chi-Chi-Mama"  (eingeweichte 
Mutter)  nennen  und  in  der  Stadt  herumtragen,  während  das  Volk  von  den 
Dächern  Wasser  auf  die  Puppe  heruntergießt.  Unterwegs  entspinnt  sich  das 
folgende    Zwiegespräch:    ,,Was    will    Chi-Chi-Mama?"  „Sie    will   Weizen, 

Boulgour  usw."  —  „Sie  will  Weizen  in  ihren  Kasten,  Brot  an  ihren  Haken 
und  Regen  von  Gott."  -  -  Auf  diesem  Umzug  sammeln  die  Knaben  in  den 
Häusern  der  Reichen  Gaben  ein. 

In  Orfa.  Mesopotamien,  nennen  die  Kinder  die  von  ihnen  bei  Trocken- 
heit gemachte  Puppe  „Chiuche-gelin",  was  „Schaufelbraut,"  bedeutet.  Auf  dem 
Umzug  mit  ihr  lautet  die  Antwort  auf  die  Frage  nach  ihren  Wünschen:  „Sie 
wünscht,  von  Gott  Barmherzigkeit;  sie  wünscht  Lämmer-  und  Widderopfer." 
Das  Volk  erwidert  auf  dieses:  „Gib,  mein  Gott,  gib  Regen,  gib  eine  Flut."  — 
Dann  wirft  man  die  Regenbraut  ins  Wasser. 

In  Trapezunt  wird  die  von  den  Kindern  gemachte  Regenpuppe  bräutlich 
verschleiert  und  gekleidet2)  (J.  Bendel  Harris).  — 

Als  ein  Erlöser  vom  bösen  Zauber  erscheint  der  Lenz  in  einem  alten 
Kinderliedchen  in  cttmani scher  Sprache3),  welches  Gejza  Kuun  veröffent- 
lichte, Jones  und  Kropf  ins  Deutsche  übersetzten,  und  welches  in  dieser  Über- 
setzung lautet: 

,,Wolan,  wolan,  ich  löse  das  Gelübde, 

Der  Lenz  ist  da! 

Mit  Gebeten,  Zauberzeichen 

Mache  ich  den  Zauber 

Unschädlich.     Ich  preise  dich! 

Es  ist  nur  ein  Gott. 

Mit  Gebeten  preise  ich  dich."  — 

„Dem  Frühling  jubeln  die  Kinder  allenthalben  entgegen"  schrieb  P/o/;'4). 
„AVie  noch  heute  bei  Beginn  dieser  schönen  Jahreszeit  die  Kinder  die  ersten 
Veilchen  suchen,  so  geschah  es  auch  im  Mittelalter.  Das  erste  Veilchen 
wurde  jubelnd  ins  Dorf  getragen;  der  glückliche  Finder  rief: 

„,,ir  sult  alle  wesen  fro, 

ich  han  den  summer  fanden  "" 

Dann  ward  es  auf  eine  Stange  gesteckt  und  umjubelt  und  umtanzt5).  Noch 
im  Mittelalter  galt  der  Brauch:  „„die  Zeit  empfangen"",  oder  den  „„Sommer 
empfahn"".  —  Ebenso  wurde  der  erste  Maikäfer  eingeholt,  die  erste  Schwalbe 
und  der  Storch  begrüßt.     Die  Türmer  der  Städte  hatten  die  Pflicht,  die  An- 


»)  Die  auffallend  ähnlichen  Bräuche,  welche  wir  in  diesem  und  dem  vorhergehenden 
Kapitel  bei  den  Mordwinen,  Germanen  und  andern  europäischen  Völkern  fanden,  legen 
eine  gegenseitige  innige  Berührung  dieser  Völker  in  früheren   Zeiten  nahe. 

2)  Vgl.  das  Regenmädchen,  Dodolo,  der  Rumänen  in   Ungarn  in  Kap.  XL. 

3)  Die  alte  Sprache  der  Magyaren.  Nach  Gejza  Kuun  war  das  Cumanische  ein 
türkischer  Dialekt. 

4)  2.  Aufl.  II,  379.  Anm. 

8)  Nach  J.  Grimm  taten  das  auch  erwachsene  Bauern. 


398     -Kap.  XLIII.    Festlieuden  der  Kinder.    Christliche  und  vorchristliche  Erinnerungen  usw. 

kunft  dieser  Vögel  anzublasen,  wofür  sie  einen  Ehrentrunk  aus  dem  Rats- 
keller erhielten1). 

Auch  Schwalbe  und  Lerche  waren  und  sind  als  Boten  des  Frühlings  in 
Kinderhänden.  Fr.  Huhn-  schrieb"):  Wie  die  Kinder  von  Rhodos,  ziehen  auch 
heutzutage  in  Kleinrußland  und  Bulgarien  im  Anfang  des  März  die  Kinder 
von  Haus  zu  Haus,  besingen  den  Frühling  und  tragen  eine  hölzerne  Schwalbe 
oder  Gebäck  in  Form  von  Lerchen  herum.  —  Die  Schwalbe  steht  bei  den 
Slawen  wie  bei  den  übrigen  Völkern  in  hohem  Ansehen;  sie  heißt  bei  den 
Tschechen  der  „Vogel  der  Jungfraud  Maria",  bei  den  Russen  „der  heilige" 
oder  „göttliche",  in  Deutschland  oer  Herrgottsvogel,  bei  den  Franzosen 
„La  poule  de  Dieu".  — 

Andere  Frühling sbräucke  wieder  lernen  wir  aus  folgendem  keimen: 

Die  oberdeutsche  Dorfjugend  legt  Haselgeschosse  auf  den  Weidenbogen, 
um  sie  als  „Blitzpfeile  bis  über  das  Beckenhaus  hinüber"  zu  schießen.  Sie 
sollen  das  Märzgewölke  durchbohren  und  der  Sonne  den  Weg  bahnen,  daß  sie 
die  Saaten  wieder  erwärmen  und  den  „Beckerwecken''  reifen  lasse.  —  Rochholz 
und  ühland  brachten  diesen  Brauch  mit  der  altnordischen  Sage  vom  Ober- 
wandil,  d.  h.  dem  mit  dein  Pfeil  Arbeitenden,  bzw.  dem  aufschießenden  Frucht- 
keim, in  Verbindung3). 

[m  Rhöngebirge  ziehen  in  den  Dörfern  zur  Zeit  des  Frühlingsanfanges 
Knaben  von  Haus  zu  Haus  und  bieten  ein  aus  Buchs  geschnittenes  primitives 
Modell  eines  Pfluges  an,  wobei  sie  ein  'Sträußchen  tragen,  das  Glück  ver- 
heißen soll  (Aug.  Schmidt). 

Bekannt  ist  das  Hussiten-  oder  Kirschfest  in  Naumburg  a.  d.  Saale, 
welches  die  Sage  damit  begründet,  daß  bei  der  Belagerung  der  Stadt  durch 
die  Hussiten  sich  deren  Anführer  Prokop  von  559  weinenden  Kindern  zum 
Abzug  habe  bewegen  lassen  und  die  Kinder  mit  Kirschen  bewirtet  habe. 
Seitdem  hatten  die  Kinder  das  Recht,  am  28.  Juli  in  einen  Buchenwald  zu 
ziehen,  sich  daselbst  Laubhütten  zu  machen  und  Obst  in  einem  bestimmten 
Umkreise  abzupflücken.  Abends  kehren  sie,  grüne  Zweige  schwingend,  unter 
Musik  heim.  -  -  Nach  neueren  Forschungen  kamen  aber  die  Hussiten  Dicht 
nach  Naumburg.  —  Vielleicht  geht  das  Fest  auf  ein  älteres  Sommerfest  zurück, 
nach  Art  jener,  die  wir  in  diesem  Kapitel  zur  Genüge  kennen  gelernt  haben. 

Ähnliches  wie  von  Naumburg  teilt  Floß  von  Camenz  mit,  wobei  er 
wohl  die  Stadt  Kamenz  in  der  Kreishauptmannschaft  Bautzen  im  Auge  hatte. 

Er  schrieb:  „Ähnliches  wird  von  einer,  Forstfest  genannten,  zu  Camenz 
gebräuchlichen  Schulfeierlichkeit  erzählt;  auch  hier  sollen  die  Schulkinder 
durch  Bitten  den  Feind  abgehalten  haben,  die  Stadt4)  zu  plündern;  deshalb 
habe  ein  Fleischer  zum  Andenken  an  das  abgewendete  Unglück  als  Vermächtnis 
den  ihm  gehörenden  Forst  dazu  bestimmt,  daß  sich  die  Kinder  in  ihm  während 
der  Bartholoinäuswoche  vergnügen. 

„Den  noch  an  manchen  anderen  Orten"  von  Schulkindern  ausgeführten 
„Rutenzug",  bei  dem  sie  grüne  Reiser  aus  dem  Wald  holen,  nannte  Plo/i6) 
„entschieden"  einen  Rest  altdeutscher  Frühlingsfeier.  —  Im  Mittelalter  ver- 
anstalteten nämlich  die  Lehrer  mit  ihren  Schülern  im  Frühling  Rutenzüge  in 


'i  ./.  Grimm,    Deutsche  Mythologie.     L885,  4:«.     (Nach   Floß,  ebenda,   315f.)  —  Der 

Unterschied    zwischen    jetzt    und    früher   ist    der,    daß    früher    die   Erwachsenen   vielfach    die 
Hollen  unserer  jetzigen  Kinder  spielten. 

-)  Die  Erühlingsfeier  der  Slawen.     Im  Glob.  1880.  Bd.  38,  S.  326. 

:ii  Bei   Floß,  -     \i.il    II.  374. 

'i   Das     i-hlesisehe  Camenz  ist  ein  Dorf. 
i   II.  382. 


§  28H.     Frühlings-  und  Sommerfeste!  verschiedener  Arten.  399 

den  Wald,  damit  die  Knaben  ihre  eigenen  Straf  Werkzeuge  holten1).     Ob  auch 
dieser  Brauch  sich  auf  einer  vorchristlichen  Frühlingsfeier  aufbaute?  — 

Laubmännchen  als  Symbole  des  Frühlings  lernten  wir  in  diesem  Kapitel 
bei  verschiedenen  Kinderfesten  verschiedener  Völker  kennen. 

Hier  möge  nochmals  seiner  in  Wort  und  Bild  (Fig.  373)  gedacht  werden, 
und  zwar  als  Brauch  in  Thüringen. 

Wenn  die  Bcäume  zu  grünen  anfangen,  gehen  in  Ruhle,  Thüringen, 
die  Kinder  an  einem  Sonntag  in  den  Wald  und  wählen  aus  ihrer  Mitte  das' 
„Laubmännlein"  aus.  Der  Knabe  wird  über  und  über  mit  Zweigen  bedeckt, 
so  daß  nur  noch  die  Schuhe  herausschauen.  Damit  er  sehen  kann,  macht 
man  Löcher  in  seinen  Laubmantel,   und   nun   führen  ihn  zwei  Kinder  unter 


Fig.  373.    Ein  „Lauhniänncheu"  aus  Thüringen.    Postkarte  in  der  K.  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde 

in  Berlin. 

Gesang  und  Tanz  von  Haus  zu  Haus,  wobei  um  Geschenke  in  Eßwaren  ge- 
beten wird  (Herbert  M.  Bower).  — 

In  der  Bretagne  feiert  die  Jugend  das  aus  der  Druidenzeit  stammende 
Junifest.  Jünglinge  und  Mädchen  versammeln  sich  an  einem  Samstagnach- 
mittag um  ein  altes  keltisches  Steindenkmal.  Die  Burschen  tragen  grüne 
Ähren  an  den  Hüten;  die  Mädchen  himmelblaue  Leinblüten  am  Busen,  die  sie 
bei  ihrer  Ankunft  auf  einen  Druidenstein  niederlegen.  Diese  Blumen  sollen 
so  lange  frisch  bleiben  als  die  Treue  der  Liebenden  währt.  Dann  folgen 
geheimnisvolle  Zeremonien,  worauf  um  den  Druidenstein  getanzt  wird.  Dazu 
singen  sie  das  Junifestlied: 

„Da  kommt  der  Juni  wieder,  bald  wird  es  Sommer  sein, 
Da  überall  mit  Knaben  lustwandeln  Mägdelein  usw." 

Nach  Sonnenuntergang  zieht  die  Jugend  unter  Absingung  der  letzten 
Strophen  des  Liedes  heim,  indem  sie  sich  bei  den  Fingerspitzen  halten 
(Heinrich  Schoeri).  — 

])  Heuser  in   Wetzer  und   Weites  K.  L.     2.  Aufl.     4.  Bd.,  Sp.  1411. 


400     Kap.  XLIII.    Festfreuden  der  Kinder.    Christliche  und  vorchristliche  Erinnerungen  usw. 

§  287.     Herbstfeste. 

Verschwindend  wenig  Material  liegt  mir  von  Kinderfesten  vor.  welche 
auf  die  durch  ihren  Erntesegen  so  willkommene  Jahreszeit  des  Herbstes  fallen. 

Die  Beteiligung  der  Knaben  am  altgriechischen  Ernte-  und  Totenfest. 
sowie  die  mit  den  Weihnachtsfreuden  unserer  Kinder  vielfach  eng  verwandten 
Bräuche  au  St.  Nikolaus  und  im  Advent  sind  im  vorigen  Kapitel  behandelt 
wurden.  Hier  sei  nur  zweier  Herbstfeste  gedacht,  von  denen  das  eine  in 
Wintert  hur  bereits  in  der  2.  Auflage  erwähnt  war.  Es  trug  nach  Rochhole1) 
einen  kriegerischen  Charakter.  Unter  Trommelwirbel  und  Pfeifen  zogen  die 
Knaben  der  Stadt   mit  ihren  Lehrern  und  dem  Stadtrat   auf   den  Lhnberg-'i. 

Ähnliche  Knabenfeste  habe  es  in  der  Schweiz  und  im  südlichenDeuts<  li- 
la n  d  mehrere  gegeben.  Die  Kadettenfeste  der  Schweiz,  das  sogenannte  Dätsch- 
Schießen  in  Memmingen  und  andere  kriegerische  Übungen  nach  bestimmten 
Regeln  sollen  sich  daraus  entwickelt  haben. 

In  England  fälltauf  den  5.  November  ein  Knabenfest,  der  Guy-Fawkes- 
1  >av.  welches  zur  Erinnerung  an  die  Emtdeckung  der  geplanten  Pulverexplosion 
im  Parlament  am  5.  November  1605  gefeiert  wird.  An  manchen  Orten,  wo 
diese  ursprüngliche  Bedeutung  vergessen  ist,  begnügt  sich  die  Jugend  mit 
Freuden  teuer,  künstlichen  Feuerwerken  und  Maskeraden.  Wo  aber  der  Gedanke 
daran  lebendig  geblieben  ist,  wird  Guy-Fawks  heutzutage  noch  in  Gestalt 
einer  Strohpuppe  verbrannt.  In  Ilfracombe  sah  C.  S.  Bv/rne  am  5.  Novem- 
ber 1859  gar  einen  lebendigen  Mann  mit  geschwärztem  Gesicht  herumtragen. 
Andere  gingen  mit  Bildern  von  Haus  zu  'Haus  und  bettelten  Geld.  Wahr- 
scheinlich waren  das  Abbildungen  von  Fawks  und  seinen  Mitverschwörern, 
denn  nach  Burne  wurden  die  Bilder,  welche  Knaben  an  der  Südostküste 
von  England  im  Jahre  1894  an  diesem  Tag  siugend  herumgetragen,  danach 
verbrannt.  Übrigens  verbrannten  Schulknaben  in  Kirton  an  einem  5.  Novem- 
ber eine  Puppe,  welche  einen  ihnen  verhaßten  Lehrer  darstellte.  Auch  Bilder 
anderer  unbeliebter  Persönlichkeiten  endeten  auf  diese  Weise.  Von  Guy  und 
Pulverexplosion  scheine  man  da  nichts  mehr  zu  wissen,  obgleich  ein  Lied  der 
südöstlichen  Küste  gegen  das  Vergessen  des  Attentats  mit  den  Versen  protestiert: 

..I  see  no  reason, 

\vh\   Gunpowder  Treason 

should  ever  be  forgot."  — 

Ein  Herbstfest  für  Kinder  in  der  Bretagne  schilderte  neuestens  Heinrich 
Schoen.  Es  wird  den  Kindern  gegeben,  weil  diese  die  meisten  Herden  weiden, 
weshalb  es  auch  „Hirtenfest"  heißt.  Es  findet  gegen  Ende  des  Herbstes  statt. 
Man  führt  dann  die  Knaben  und  Mädchen  von  8 — 13  Jahren  auf  die  schönste 
Weide  des  Kirchspiels,  läßt  sie  liier  spielen  und  tanzen,  bewirtet  sie  mit 
Kuchen,  Obst  und  andern  Lieblingsspeisen  und  mit  einem  reichlichen  Abend- 
brot. Am  Ende  des  Mahles  erhebt  sich  ein  Greis  und  trägt  den  Kindern 
eine  Art  Katechismus  (?)  in  Versen  vor,  ein  ausführliches  Gedicht,  an  welchem 
Jahrhunderte  gearbeitet  haben  und  aus  welchem  auch  den  kleinen  Kindern 
manche  Strophen  eingeprägt  werden.  Auf  dieses  Gedicht  folgen  wieder  Tänze 
bis  nach  Sonnenuntergang.  Dann  zieht  alles  heim.  Auf  diesem  Gang  singen 
die  ältesten  Kinder  ein  beliebtes  Hirtenlied,  dessen  erste  vier  Verse  nach 
Schoens  Übersetzung  lauten: 

,,Sonntag  morgens,  als  ich  aufstand  und  hinaus  die  Kühe  trieb, 

Hört   ich  —  gleich   die  Stimme   kann!   ich  —  singen  schön  mein  trautes  Lieb. 

Ich   vernahm  den  Sang  der  Süßen,  der  vom   Berge  klang  so  hell. 

Und  sogleich  zu  ihrem   Preise  macht  ich  dieses  Liedchen  schnell." 


')   Rochhol  .  Alemann.  Einderlied,  S.  180  (bei  Ploß  II,  382). 

2)  In  diesem  Berg  wurden  nach  Ploß  Opfergeräte  und  Götterbilder  gefunden. 


§  288.     Geburtstage  und  ähnliche  Feste.     Religiöse  und  profane  Bräuche.  401 

§  288.    Geburtstage  und  ähnliche  Feste.    Religiöse  und  profane  Bräuehe. 

Etwas  mehr  Material  als  über  Herbstfeste  der  Kinder  liegt  mir  über 
Geburtstagsfeiern  vor.  Der  modernen  Geschenke  und  Bräuche  in  unserem 
Kulturmilieu  wird  hier,  was  fast  selbstverständlich  ist.  nicht  gedacht.  Leider 
sind  mir  aber  bisher  auch  von  den  altherkömmlichen  nur  sehr  wenige  zur 
Kenntnis  gelangt. 

Was  zunächst  christliche  Geburtstagsfeierlichkeiten  betrifft,  so  schrieb 
Adolph  Franz1),  im  Mittelalter  habe  es  in  der  lateinischen  Kirche  eigene 
Messen  für  den  Jahrestag  der  Geburt  eines  Kindes  gegeben. 

Als  schlesischen  Volksbrauch  erwähnt  Drechsler,  daß  das  Kind  am 
Jahrestag  seiner  Geburt  von  seinen  Paten  das  Jahrkleidchen  erhalte;  die 
eiste  Jungferpate  müsse  diesem  „Jahrkledla"  einen  Myrtenkranz  und  ein 
Häubchen  beifügen.  So  geschmückt,  werde  das  Kind  in  die  Kirche  um  den 
Altar  getragen,  wobei  das  Kindermädchen  eine  myrtenumwundene  Kerze  halte 
und  Opfergeld  niederlege. 

Dieser  Brauch  in  der  Kirche  scheint  jedoch  in  Schlesien  nicht  allge- 
mein zu  sein.  Wenigstens  sah  ich  ihn  in  Breslau  nicht:  wohl  aber  ist  mir 
bekannt,  daß  in  Waidenburg  das  Kind  an  diesem  Tag,  auf  obige  Weise 
beschenkt,  in  die  Kirche  getragen  wird.  Das  Myrtenkränzchen  befestigt  man 
ihm  für  diese  Begebenheit  an  das  Kleidchen'-).  — 

Nach  Drechsler  legt  man  dem  schlesischen  Kiud  an  diesem  Tag  Geld, 
Brot  und  Gebetbuch,  bei  Katholiken  auch  einen  Rosenkranz  vor,  und  beurteilt 
seine  Zukunft  je  nach  dem  Gegenstand,  welchen  das  Kind  zuerst  ergreift3). — 
Kuchen  und  andere  Geschenke  werden  dem  Kind  in  der  Grafschaft  Glatz 
vom  2.  Lebensjahre  an  gegeben.  Dabei  ist  es  vielerorts  Brauch,  auf  den 
Geburtstagskuchen  ein  größeres,  und  um  dieses  so  viel  kleinere  Lichter  zu 
stellen,  als  das  Kind  Jahre  hinter  sich  hat.     Das  größere  ist  das  „Lebenslicht". 

Interessant  ist  der  gleichfalls  von  Drechsler  mitgeteilte  Brauch,  daß  in 
Schlaupitz,  Mittelschlesien.  Schulknaben  an  ihrem  Geburtstag  von  ihren 
Kameraden  tüchtig  Prügel  bekommen,  damit  „das  Fleisch  im  Grab  besser 
faule". 

Am  Namenstag  wurde  man  in  Schlesien  früher  „gebunden".  In  Ober- 
schlesien (Leobschütz,  Ratibor  und  Rybnik)  schlingt  man  heutzutage  noch 
dem  Namenstagskinde,  sei  es  Beamter  oder  Gutsherr,  einen  Strick  oder  ein  Stroh- 
seil um  die  Füße.  Man  löst  sich  durch  ein  Geldstück  von  diesen  Banden  los.  — 
Das  Binden  am  Geburtstag  wurde  nach  Drechsler  wahrscheinlich  vom  Namens- 
tag entlehnt,  — 

Geburtstagsbräuche  gibt  es  auch  in  Indien.  Helene  Niehus  erwähnt 
eine  dortige  Geburtstagsfeier,  aber  nur  für  die  Knaben.  Die  Hindufrauen 
feiern  jede  Begebenheit  im  Leben  ihrer  Söhne,  schreibt  sie,  weil  sie  nur  durch 
ihre  Söhne  zu  Ansehen  gelangen.  Der  Tag  der  Geburt,  der  Tag  der  Namen- 
gebung,  der  Tag,  an  welchem  der  Sohn  zuerst  feste  Speisen  genießt,  der  erste 
Haarschnitt4)  und  der  erste  Schultag  werden  gefeiert.  Große  Eßgelage,  reiche 
Opfer  an  die  Brahmanen  und  Vorführungen  von  Tänzerinnen  sind  die  Haupt- 
ereignisse an  solchen  Festen. 

Aus  Mungeli  Tehsil  im  Bilaspur-Distrikt  teilt  E.  M.  Gordon 
folgende  Feier  nichtarischer  Eingeborher  mit:  Ungefähr  ein  Jahr  nach  der 
Geburt  des  Erstgebornen  eines  Mannes,  der  seinerseits  gleichfalls  Erstgeborner 


>)  D.  Kirchl.  Bened.  2,  209. 

2)  Das  Jahrkind,   welches   bereits   selbst   um   den  Altar  geht,   bleibt  klein,   heißt  es  in 
.Ratibor  (Drechsler). 

3)  Wir  erfahren  später  einen  ganz  ähnlichen  Aberglauben  aus  China. 

4)  Solche  Festtage  wurden  in  früheren  Kapiteln   beschrieben. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  26 


402     Kap.  XLIII.    Festfreuden  der  Kinder.    Christliche  und  vorchristliche  Erinnerungen  usw. 

war.  bereiten  sich  die  Mitglieder  der  Familie,  abgesehen  von  den  außerhalb 
des  Hauses  verheirateten  Töchtern,  doch  einschließlich  der  hereingeheirateten 
Schwiegertöchter,  durch  einen  Fasttag  auf  ein  Opfer  vor.  Dieses  wird  in 
der  folgenden  Nacht  in  Gestalt  einer  schwarzen  Ziege  (bei  den  Gonds  oder 
Ghassians  eines  Schweines)  dargebracht.  Ist  das  Tier  einmal  im  Hause,  dann 
darf  es  nicht  wieder  hinaus,  es  darf  aber  auch  kein  Teil  von  ihm  hinaus 
kommen.  Alle  Fastenden  sind  beim  Opfer  gegenwärtig.  Man  tötet  das  Tier 
in  der  Nacht,  kocht  und  verzehrt  es.  Die  Reste  begräbt  man  in  einem  Loch, 
das  man.  ehe  das  Tier  getötet  wird,  innerhalb  des  Hauses  neben  dem  Haupt- 
eingang gräbt,  —  Gordon  weist  auf  die  Ähnlichkeit  dieses  Opfers  mit  dem 
jüdischen  Osterlamm  hin,  bemerkt  aber  auch,  daß  die  Brahmanen  von  diesem 
der  „Mutter  Nacht"  (Rät  Mai)  gebrachten  Opfer  verächtlich  sprechen. 


Fig.  37-t.    Kirgis-Kaisuken.    Schvan  phot.    Im  K.  Ethnograph.  Museum  in  München. 


Der  Geburtsgöttin  Ts'  oei-cheng-gniang-gniang  bringt  der  Chinese  der 
Provinz  Kan-su  ein  Opfer  dar,  wenn  sein  Kind  ein  Jahr  alt  geworden  ist. 
Außerdem  zündet  er  vor  den  Seelentäfelchen  seiner  Ahnen  Weihrauch  an, 
stellt  eine  Getreideschwinge  auf  einen  Tisch,  setzt  das  kleine  Kind  darauf  und 
legt  ringsum  verschiedene  Gegenstände,  z.  13.  ein  Buch,  eine  Geldwage,  ein 
Rechenbrett,  Pinsel,  Schmucksachen  u.  dgl.  Alle  Anwesenden  beobachten 
nun  das  Kind  genau,  um  zu  erkennen,  was  aus  diesen  Gegenständen  dessen 
Aufmerksamkeil  erregt.  Daraus  glauben  sie  dann  einen  Schluß  auf  seine 
Zukunft  ziehen  zu  können.  Greift  das  Kind  nach  dem  Buche,  so  wird  es  ein 
großer  Gelehrter,  greift  es  nach  dem  Rechenbrett,  ein  reicher  Mann  usw.  (Dols).— 

W  ir  haben  hier  also  den  gleichen  Aberglauben  wie  in  Schlesien. 

\ndere  Feste  feiert  man  in  Peking  am  Abschluß  des  ersten  Lebens- 
monates und  am  hundertsten  Tag.  An  jenem  Tag  bringt  man  dem  Kinde 
Geschenke  and  wird  dafür  zu  einem  Mahl  geladen,  mit  welchem  oft  Gesangs- 
vorträge und  Theatervorstellungen  verbunden  sind.  Ähnlich  verläuft  der 
huii  Pag.     Festgäste  sind  die  Eltern  und  Geschwister  der  Mutter  und 

die  Verwandten  des  Vaters  (Stern,  nach  Qrube). 


Geburtstage  und  ähnliche  Feste.     .Religiöse  und  profane  Bräuehe. 


403 


Die  Papuas  in  Kaiser-Wilhelms-Land  erneuern  nach  Zurücklegung 
des  10.  Jahres  des  Erstgebornen  das  Festmahl,  welches  die  Dorfweiber  den 
männlichen  Verwandten  des  Kindes  bei  seiner  Geburt  bereitet  hatten.  Diesesmal 
schließt  sich  dem  Mahl  auch  ein  Tanz  an  (Krieger). 

Bei  den  Mongolen  sind  religiöse  Zeremonien  und  Gebete  mit  dem 
„Mengeia  dsasal",  d.h.  mit  der  alle  neun  Jahre  wiederkehrenden  Erinnerungs- 
Eeier  der  Geburt  und  mit  dem  alle  zwölf  Jahre  wiederkehrenden  Geburtsjahr 
im  mongolischen  Jahreszyklus  verbunden  (M.  von  Beguelin,  nach  Posdnäjew). 

Die  Kirgisen  im  Gebiet  Semipalatinsk  feiern  ein  Fest,  wenn  das  Kind 
drei  Jahre  alt  ist  und  zum  erstenmal  feierlich  auf  ein  Pferd  gesetzt  wird. 
Zu  dieser  Zeremonie  werden,  wie  bei  jeder  Festlichkeit,  mehrere  Stück  Vieh 


Fis 


Kara-Kirgisen-Familie.    Schwan  phot.    Im  K.  Ethnograph.  Museum  in  München. 


geschlachtet,  die  Nachbarn  geladen,  und  eine  Bewirtung  findet  statt,  bei 
welcher  die  Männer  getrennt  von  den  Frauen  essen.  Nach  dem  Mahle  be- 
lustigt man  sich  mit  Scherzen  und  AVettläufen,  worauf  die  Männer  bis  auf 
einen  einzigen  gehen,  der  bei  den  Frauen  zurückbleibt.  Dieser  Mann  ist  der  ange- 
sehenste des  Auls.  -  -  Die  Frauen  holen  nun  das  Kind  aus  der  Jurte;  die  Eltern 
übergeben  es  dem  Mann,  und  dieser  reicht  es  einem  Dschigit  (Reiter)  aufs 
1  'ferd.  welcher  mit  dem  Kind  durch  den  ganzen  Aul  reitet.  Jedermann  schenkt 
dem  Kind  bei  dieser  Gelegenheit  etwas.  Gewöhnlich  erhält  es  (von  seinem 
Vater?)  einen  Hengst,  welcher  von  der  Lieblingsstute  in  dem  gleichen  Jahr, 
wie  das  Kind,  geboren  ist.  Beide  werden  gemeinschaftlich  aufgezogen.  Zu 
dieser  Mitteilung  bei  Plofs'1)  möge  hier  noch  beigefügt   werden,   daß  Brehm 


i)  2.  Aufl.  I,  73. 


L'C* 


40-1      Kap.  XLIII.    Festfreuden  der  Kinder.    Christliche  und  vorchristliche  Erinnerungen  usw. 

als  Alter  des  Bandes  vier  Jahre  angab.  Nach  Brehm  gibt  es  für  diesen 
feierlichen  Akt  eigene   Kindersättel,  die  sieh  in   den  Familien  forterben.   — 

Im  alten  Amerika  war  der  jährliche  Geburtstag-  eines  Maya -Kindes  ein 
Freudenfest,  wie  Banerofi  schreibt.  Nach  Torquemada  wurde  in  Guatemala 
der  Geburtstag-  bis  zur  Vollendung  des  7.  Lebensjahres  jährlich  mit  Gastereien 
gefeiert. 

Die  zur  X ah ua- Gruppe  gehörigen  Mixteken  feierten  nur  den  ersten 
Jahrestag  der  Geburt  ihrer  Kinder  (Bancroft).  — 

§  289.     Kinderrollen  bei  Hochzeiten. 

Einen  rätselhaften  Hochzeitsbrauch,  an  dem  Knaben  beteiligt  sind,  hat 
Missionar  OttoMeyeryon  der  Insel  Vuatom  im  Bismarck- Archipel  mitgeteilt: 


Fig.  S76.     Kling-  K  Inder 


Dravida  im   südlichen  Vorderindien,   einen   Hochzeitstanz  aufführend.    Im  K. 
Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 


Hier  werden  nämlich  vor  der  Hochzeit  eines  Paares  zwei  Knaben  an- 
gefangen und  versteckt,  und  zwar  geschieht  das  durch  die  Partei  des  Bräutigams, 
welche  die  Frau  zu  kaufen  hat.  Dann  baut  man  eine  Hütte,  verziert  sie  mit 
wohlriechenden  Blättern  und  Kräutern  und  umzäunt  sie.  Von  diesem  um- 
zäunten Platz,  auf  welchem  die  Hütte  steht,  dürfen  die  Knaben  sich  nicht 
entfernen.  Ebensowenig  dürfen  sie  von  Frauen  gesehen  werden:  sonst  würden 
erkranken.-     Miese  [solierung  der  Knaben  scheint  mehrere  Wochen  zu  dauern. 

An  der  Verherrlichung  einer  Hochzeit  beteiligt  sehen  wir  auf  Fig.  376 
Kinder  der  Kling  (Telugu  oder  Telinka). 

Rolle  des  Liebesgottes  scheint  ein  Knabe  bei  den  Hochzeiten  der 
Rumänen  in  Siebenbürgen  zu  spielen.  "Wenn  nämlich  am  Hochzeitstag 
der    Bräutigam    seine    Braut    mit    feierlichem    Geleite    von    ihrem    Elternhaus 


§  289.     Kinderrollen  bei  Hochzeiten.  405 

zur  Kirche  abholt,  dann  tritt  ein  Knabe,  womöglich  ein  Sohn  des  Beistandes, 
als  Bogenschütze  auf.  Er  trägt  einen  mit  Blumen  und  Bändern  geschmückten 
Bogen,  zielt  in  der  Stube  der  Braut  zuerst  nach  dem  Herzen  des  Bräutigams, 
dann  nach  jenem  der  Braut,  und  haben  sich  hierauf  die  beiden  schweigend 
die  Rechte  gereicht,  schießt  der  Knabe  seinen  Pfeil  zur  offenen  Tür  hinaus 
zum  Zeichen,  daß  die  Brautleute  mit  der  Schnelligkeit  eines  Pfeiles  zur  Kirche 
aufbrechen  sollen  (?).  ..In  alten  Zeiten,"  schreibt  Robert  Prexl,  ..erschienen  bei 
der  Beschenkung  der  Braut  durch  die  Gäste  drei  Knaben  mit  den  Gaben  der 
Beistände.  Der  eine  brachte  drei  Stritzel  an  einem  Stock,  der  andere  einen 
Lungenbraten  in  der  Hand  und  ein  Gefäß  mit  Wein  auf  dem  Kopfe,  der  dritte 
ein  Lamm  oder   Schaf  auf  dem  Rücken1)."    — 


l)  Es  sei  hier  zu  den  Kapiteln  XLI,  XLII  und  XL1II  noch  folgende  Bemerkung  ge- 
stattet: Xeuestens  (1912)  beweist  Aufliauser,  daß  das  christliehe  Weihnachten  an  Stelle  des 
ägyptischen  Geburtstages  der  Sonne  (25.  Dezember)  getreten  ist.  Das  älteste  Zeugnis 
für  dieses  Sonnenfest  in  Ägypten  finde  sich  im  Kalendarium  des  Antiochus  (herausgegeben 
und  erläutert  von  Fr.  Boll)  für  zirka  200  nach  Chr.  —  Der  römische  Staatskalender  ver- 
bürge das  gleiche  Fest  für  Rom  als  Geburtstag  des  „Invictus",  wie  hier  der  Sonnengott 
genannt  ist,  und  zwar  für  den  25.  Dezember  354  nach  Chr.  Die  Römer  verbanden  mit  diesem 
Ifest  Zirkusspiele.  Auch  Feuer  wurden  von  den  ..Heiden"  angezündet;  ob  nur  in  Rom, 
oder  auch  in  Ägypten  bezeichnet  Aufhausen  nicht  näher.  Wahrscheinlich  war  es  hier  und 
d<>rt.  Angezündete  Feuer  zur  Zeit  der  Sommersonnenwende  bei  Hamiten,  Semiten  und 
Indogermanen  haben  wir  ja  in  diesem  Kapitel  ohnehin  schon  kennen  gelernt,  uud  auch  in 
anderen  Zeitmonaten  und  bei  anderen  Völkerfamilien  sind  uns  Feuer  uud  Sonne  als  Symbole 
der  Fruchtbarkeit,  bzw.  als  deren  apotheosierte  Prinzipien  oft  entgegengetreten.  Die  Ägypter 
verlegten  zweifellos  den  Geburtstag  des  Sonnengottes  auf  ein  der  Sonnenwende  so  nahes 
Datum  aus  dem  gleichen  Grunde,  aus  welchem  diese  selbst  bei  Völkern  verschiedener  Rassen 
gefeiert  wird.  d.  h.  weil  sie  in  der  wiederkehrenden,  also  neugebornen  Sonne,  die 
Quelle,  bzw.  das  personifizierte  Prinzip,  des  Lebens  für  Mensehen,  Tiere  und  Pflanzen 
sahen.  Der  vorchristliche  Grundgedanke  der  in  diesem  und  dem  vorigen  Kapitel  behandelten 
Feste,  d.  h.  der  Gedanke  der  Fruchtbarkeit  bleibt  also  auch  nach  der  Tatsache  besteben, 
daß  bei  der  Fixierung  des  christlichen  Weihnachtsfestes  der  ägyptisch-römische  Ge- 
burtstag der  Sonne  eine  hervorragendere  Rolle  spielte,  als  der  germanische, 
oder    irgend    ein    anderer    Kult    der    Fruchtbarkeit. 


Kapitel  XLIV. 

Pflege,  Abhärtung,  Charakterbildung  und  körper- 
liche Züchtigung  des  heranwachsenden  Kindes. 

§  290.     Die  Kapitel  XI— XIV,  XXV.  XXVI.  XXVIII,  XXXIII.  XXXIV 

und  XLI  behandelten  die  erste  Hautpflege  und  die  Hülle  des  Säuglings. 
sein  Lager,  sein  Schaukeln,  Wiegen  und  Tragen  und  seine  Ernährung,  di< 
Pflege  des  kranken  und  die  sympathetische  Behandlung  des  gesunden  Kindes, 
die  mit  dem  Zahnen  verbundenen  Anschauungen  und  Bräuche,  sowie  die 
Bekleidung  des  heranwachsenden  Kindes1).  Viele  und  wichtige  Momente  der 
Kindespflege  bzw.  Kindesabhärtung'  haben—wir  also  bereits  kennen  gelernt. 
Andere,  welche  in  den  Rahmen  jener  Kapitel  nicht  paßten,  mögen  hier  eine 
Stelle  finden,  zumal  die  körperliche  Pflege  des  größeren  Kindes  kein  un- 
wichtiger Faktor  bei  dessen  Charakterbildung  und  Erziehung  ist.  Wir  dürfen 
auch  nicht  vergessen,  daß  der  ganze  bisher  und  in  der  Folge  noch  zu  behan- 
delnde Stoff  des  vorliegenden  Werkes  einer  Fülle  von  pädagogischen  Faktoren 
gleichkommt,  insofern  das  Kind  mit  seinen  äußern  und  innern  Sinnen  das 
Leben  seiner  Umgebung  mitlebt  und  dadurch  zu  einem  Menschen  wird,  der 
in  seine  Umgebung  hineinpaßt  und,  wenn  selbst  einmal  Vater  oder  Mutter, 
sein  Kind  in  der  gleichen  Weise  großzieht  und  bildet,  in  welcher  es  selbst 
großgezogen  und  gebildet  worden  war.  Deshalb  unterscheidet  sich  z.  B.  die 
„Dämonenfurcht-'  in  §  296  als  pädagogischer  Faktor  nicht  wesentlich  von 
Dämonenglauben  seiner  erwachsenen  Umgebung,  den  die  Kapitel  V  und 
VI  so  ausgiebig  nachgewiesen  haben,  /war  wirken  die  dem  kleinen  Kind 
angehängten  Amulette  und  andere  Schutzmittel  gegen  Dämonen  und  den  bösen 
Blick  im  kleinen  Kind  nicht  furchterweckend,  wie  manche  der  in  §  296  ange- 
führten Auffassungen  und  direkten  Drohungen,  aber  sie  verwachsen  sozusagen  mit 
der  Psyche  in  dem  Maße,  daß  das  zu  Vater  oder  Mutter  gewordene  Kind  auch 
in  dieser  Hinsicht  wieder  tut.  wie  ihm  getan  worden  war. 

Ob  die  Erscheinungen,  welche  unter  den  Begriff  „Abhärtung"  des  Kinde-. 
fallen,  auf  zielbewußte  Pädagogik  oder  aber  auf  Stumpfsinn  und  Vernach- 
lässigung seitens  der  Eltern  znrückführbar  sind,  dürfte  bei  manchen  Völkern 
schwer  zu  entscheiden  sein.  Fast  scheint  das  letztere  vorzuwiegen,  was  aller- 
dings größtenteils  mit  hochgradiger  Unwissenheit  auf  hygienischem  Gebiet 
entschuldigt  werden  kann.  Somit  braucht  es  uns  nicht  zu  wundern,  daß  in 
dem  folveiidrii  Paragraphen  die  Bemerkung  „große Kindersterblichkeit"  so  oft 
wiederkehrt8).  Wir  linden  sie  bei  den  alten  Ägyptern  so  gu1  wie  bei  ihren 
Nachkommen,  den  heutigen  Fellachen,  und  bei  den  Somal  in  Ostafrika,  den 
anthropophagen  Batak  auf  Sumatra,  den  Chinesen  der  niederen  Volkskreise. 
den  Ostjaken,  Eskimos  und  Pima-Indianern,  also  unter  sehr  verschiedenen  kli- 


rner  das  ..Ordnen"  des  kindlichen  Organismus  in  Kap.  X XXVII. 
»)  Vgl.   Kap.  X\Y  und   XXVI 


§  890.     Pflege,  Abhärtung,  Charakterbildung  u.  körperl.  Züchtigung  des  heranw.  Kindes.     407 

matischen  und  auch  kulturell  verschiedenen  Verhältnissen.  Man  liebt  die 
Kinder  instinktiv,  läßt  sie  aber  in  Schmutz  und  Insekten  verkommen,  über- 
läßt sie  tagelang  sich  selbst,  nährt  sie  schlecht,  setzt  sie  aller  Unbill  der 
Witterung  aus  usw.  Einzelne  Völker,  z.  B.  die  transsylvanischen  Zeltzigeuner 
und  die  Somal.  verweigern  ihren  größeren  Söhnen  direkt  Obdach  und  Nahrung. 
Hier  allerdings  scheint  bewußter  Zweck  vorzuliegen:  Bis  zur  Verliebung  bzw. 
Verheiratung  hat  der  junge  Mann  unstet  zu  sein. 

Andern  Völkern  wieder  wird  sorgliche,  liebevolle  Kinderpflege  nach- 
gerühmt. Es  sind  keineswegs  nur  kulturell  hochstehende  Völker.  Die  Neger 
der  Loango-Küste  und  die  Papua  sind  darunter. 

Wieder  andere  verweichlichen  ihre  Sprößlinge,  schließen  sie  in  Haus  und 
Hof  ab,  versagen  ihnen  dadurch  die  zu  einer  kräftigen  physisch-psychischen 
Entwicklung  nötigen  Vorbedingungen  und  ziehen  so  launische  und  von  sich 
selbst  eingenommene  Menschen  heran.  Beispiele  hierfür  sind  die  städtischen 
Muselmanen  in  Persien,  im  arabischen  Ägypten  und  in  der  Türkei  mit  ihrer 
auf  Harem  und  Hof  beschränkten  Kindererziehung. 

Eine  Reihe  von  Völkern  hingegen,  darunter  unsere  Vorfahren,  die  alten 
Germanen,  welche  an  Peinlichkeit  zwar  nicht  hervorleuchteten,  ferner  die 
alten  Römer,  Griechen  und  Perser  halten  ihre  Söhne  bzw.  auch  ihre  Töchter 
zur  Gymnastik,  zum  Tanz,  zum  Ringen,  Schwimmen,  Jagen,  Reiten  usw.  an 
(vgl.  S  300),  wobei  nicht  nur  ästhetische  und  bewegungsfrohe  Gefühle  auf 
ihre  Rechnung  kommen  sollen,  sondern  auch  Tüchtigkeit  im  späteren  Erwerb 
und  im  Kampf  für  Familie  uud  Stamm  oder  Staat  bezweckt  wird. 

Zweifelsohne  beeinflußt  all  das  auch  die  Charakterentwicklung  des 
Kindes,  an  welcher  aber  außerdem  soziale  und  sittlich  religiöse  Begriffe  und 
Taten1)  mitwirken.  An  die  Untersuchung  individueller  Charaktere  und 
individueller  pädagogischer  Endziele  kann  das  vorliegende  Kapitel  selbstver- 
ständlich nicht  herantreten;  vielmehr  muß  es,  der  Anlage  des  ganzen  Werkes 
entsprechend,  Völkercharaktere  bzw.  bewußte  Endziele  in  der  Völker- 
pädagogik im  Auge  haben,  und  selbst  diese  Charakterisierung  kann  kaum 
mehr  als  ein  Versuch  genannt  werden,  da  sich  die  Berichte  nicht  selten  wider- 
sprechen, wo  überhaupt  mehr  als  einer  vorliegt. 

Trotz  all  diesem  Mangel  ist  es  von  hohem  Interesse,  das  Wesentliche 
wenigstens  dieser  Berichte  mit  einem  zusammenfassenden  Blick  zu  streifen. 
Ein  solcher  Überblick  macht  zunächst  den  Eindruck,  daß  nur  ein  Teil  der 
Menschheit  (allerdings  der  überwiegende)  Gehorsam,  diese  Grundlage  aller 
Pädagogik,  in  seinen  Erziehungsplan  aufgenommen  habe.  Bei  manchen  dieser 
Völker  artet  die  Erziehung  zum  vermeintlichen  Gehorsam  infolge  einer  un- 
moralischen Übei  treibung  der  Vater-  und  Herrschergewalt,  hauptsächlich  auf 
den  mittleren  Kulturstufen,  z.  B.  im  bisherigen  China,  in  Knechtung  aus. 

Das  andere  Extrem  scheinen  auf  den  ersten  Blick  jene  Völker  zu  bilden, 
welchen  in  den  mir  vorliegenden  Berichten  jede  Kinderzucht  abgesprochen 
wird,  was  aber  wohl  mit  Vorsicht  aufzunehmen  ist,  da  keinem  Volk  traditionelle 
Vorstellungen  und  Bräuche  fehlen,  in  welche  die  juuge  Generation  eingeführt, 
also  nach  herkömmlicher  Weise  unterrichtet  und  herangezogen  wird.  Vielleicht 
ist  für  eine  solche  Erziehung  der  Begriff  „Stammerziehung"  zulässig,  welche 
bei  der  verhältnismäßigen  Freiheit  der  Stammesmitglieder  freilich  nicht  so 
straff  ist  wie  die  staatliche  Erziehung  in  Sparta  oder  im  alten  Persien,  oder 
aber  auch  unter  dem  Afrikaner  Umzilikazi  (§  298)-).  Die  Hauptrolle  bei  jener 
Erziehung  fällt  dem  Nachahmungstrieb  des  Kindes  selbst  zu,  was  auch  Floß 


')  Vgl.  die  folgenden  vier  Kapitel. 

8)  Gemeinsame  Erziehung  der  Knaben  eines  Stammes  wird  auch  von  den  alten  Kellen 
berichtet  (§  300). 


408     Kap.  XLIV.    Pflege,  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

betonte,  als  er  schrieb,  daß  die  auf  tiefster  Stufe  stehenden  Völker  sich  um 
die  moralische  und  intellektuelle  Ausbildung  ihrer  Kinder  nicht  sorgen,  und 
daß  somit  der  Nachahmungstrieb  des  Kindes  frei  zur  Geltung  komme.  „Alles 
Gute  und  alles  Schlechte,  das  die  Kinder  um  sich  her  von  menschlichen  Hand- 
lungen sehen,  wird  ohne  Auswahl  je  nach  Lust  und  Belieben  von  letzteren 
nachgeahmt.  Das  unterscheidende  Urteil,  ob  das  und  jenes  gut  oder  schlecht 
ist.  ob  man  dies  oder  jenes  tun  oder  lassen  darf,  wird  dem  Kinde  nie  oder 
nur  selten  beigebracht.  Eine  Besserung  durch  Strafen  suchen  die  Eltern 
nur  insofern  zu  erzielen,  als  ihnen  selbst  die  Untertänigkeit  unter  den  elter- 
lichen Willen,  die  häusliche  Disziplin,  nützlich  erscheint"1). 

I  lieser  ungezügelte  oder  mißbrauchte  Nachahmungstrieb  zeitigt  bei  Völkern, 
welche  das  Weib  entwürdigt  haben,  ein  rohes  Benehmen  der  Söhne  gegen 
ihre  Mütter,  wie  das  z.  B.  den  neuzeitlichen  Indern,  den  früheren  Yiti- 
Ensulanern  und  gewissen  Indianerstämmen  nachgesagt  wird. 

Nächst  dem  Verhältnis  des  Kindes  zu  seinen  Eltern  steht  jenes  zu 
seinen  Geschwistern,  Verwandten  und  Bekannten.  Die  moslemische 
Erziehung  sucht  dieses  Verhältnis  dadurch  zu  regeln,  daß  dem  Kinde  Unter- 
würfigkeit gegen  ältere  Brüder,  Anstand  und  Würde  gegen  die  Gäste  im 
elterlichen  Haus,  aber  auch  fanatischer  Haß  gegen  die  Christen  eingepflanzt  wird. 
Bescheidenheit  und  äußeren  Anstand  hatte  ferner  der  junge  Athener  und 
Römer  im  Umgang  mit  der  Mitwelt  zu  beobachten;  einfach,  frei  und  doch 
züchtig  wollte  man  den  Germanenknaben;  wahrhaft  die  Söhne  der  alten  Perser; 
allgemeine  Menschenliebe  steht  auf  dem  chinesischen  Erziehungsprogramm, 
Beobachtung  der  hergebrachten  Umgangsformen,  darunter  ehrfürchtiges  Be- 
nehmen gegen  Vornehme  und  gegen  alte  Leute  hier  und  auf  jenem  der  hinter- 
indischen Laos;  traditionelle  Höflichkeit  verlangen  sogar  die  Ainos  von  ihren  Söhnen, 
und  die  Negervölker  der  Makua  und  Wayao  in  Deutsch-Ostafrika,  welche  ihre 
Kinder  so  selten  züchtigen,  werden  handgreiflich,  wenn  ein  Bursche,  der  das 
Pubertätsalter  erreicht  hat,  jemanden  beleidigt.  Viel  hielten  auch  die  .Mexi- 
kaner auf  gesellige  Formen.  Ehrfurcht  vor  dem  Alter  verlangen  die  Ngyunba- 
Neger  und  so  manche  Indianervölker  von  ihren  Kindern,  während  wieder  andere 
Völker  sowohl  in  Afrika  als  in  Amerika  alte,  arbeitsunfähige  Leute  Dach 
traditionellem  Brauch  aussetzen  oder  direkt  töten.  —  Ehrfurcht  vor  dem 
Gesetz  war  ein  Grundsatz  der  spartanischen  Erziehung  und  ist  es  noch  bei 
allen  Völkern,  die  an  ihren  Überlieferungen  festhalten;  denn  diese  gelten  ihnen 
als  menschliches  bzw.  als  göttliches  Gesetz. 

Gottesfurcht  spielt  tatsächlich  eine  wichtige  Rolle  in  den  Erziehungs- 
plänen  der  Völker.  Wir  finden  sie  im  vorliegenden  Kapitel  ausdrücklich  er- 
wähnt nicht  nur  für  die  alttestamentlichen  Juden,  sondern  auch  für  die  alten 
Ägypter  und  Mexikaner,  für  die  Delaware-  und  Kanada-Indianer,  für  die 
Ostjaken  usw.,  und  mehr  noch  werden  wir  der  religiösen  Erziehung  in 
Kapitel  XL VIII  nachgehen,  während  die  Erziehung  zur  Keuschheit  in 
Kapitel  NLV1I  zur  Sprache  kommt. 

Hier  dürfte  nur  noch  ein  Überblick  über  die  körperliche  Züchtigung 
des  Kindes  nötig  sein.  Da  fällt  die  so  oft  wiederkehrende  Mitteilung  auf. 
daß  nur  im  Zorn  gezüchtigt  wird.  Einer  rein  instinktiven  Liebe  zum  Kind 
entspricht  ja  auch  dieses  niedere  Strafmotiv;  es  fehlt  den  Pädagogen  da  wie 
dort  an  einer  maßhaltenden  Geisteskraft,  oder  vielmehr  diese  wird  nicht 
kultiviert.  Eine  zweite  unangenehm  hervortretende  Erscheinung  ist,  daß  die 
meisten  der  sog.  höheren  Kulturvölker  der  §£  292—  295  roher  in  der  Züchtigung 
der  Kinder   sind   als  viele  niederstehende,  und   daß   gerade  deren  Schulen2), 


')  2.  Aufl.  II,  323. 

4)  Die  Schulen  als   Bildungsstätten  siehe  Kapitel  XI/VI. 


§  291.     Abhärtung  und  Pflege  des  heranwachsenden  Kindes.  409 

welche  Bildungsanstalten  sein  sollen,  gewissermaßen  Folterstätten  der  Jugend 
sind.  Die  barbarischen  Strafen  deutscher  Lehrer  der  Neuzeit  (§  292),  die 
Prügel  auf  den  bloßen  Hintern  bei  südrussischen  Juden  und  alten  Indern,  die 
Peitschen-  und  Stockschläge  auf  Hände  und  Füße  im  arabischen  Nordafrika, 
die  Puten-  und  Geißelstreiche  im  alten  Griechenland,  die  Putenstreiche  auf 
die  Schienbeine  in  Japan,  das  Fesseln  und  Peitschen  in  China,  die  ausgesuchten 
42  Arten  von  Peinigung  im  heutigen  Indien,  das  Schlagen  und  Prügeln  mit 
eisernen  Ketten  in  der  Mongolei,  das  Durchbohren  der  Lippen  mit  Dornen, 
sowie  das  Fesseln  und  Prügeln  usw.  im  alten  Mexiko  sticht  eigentümlich  ab  von 
der  Ansicht  der  grönländischen  Eskimos,  jene  Eltern,  die  ihre  Kinder  schlagen, 
verdienen  nicht.  Kinder  zu  haben,  sowie  von  den  Australiern,  welchen  die 
körperliche  Züchtigung  eines  Kindes  als  Grausamkeit  gilt,  von  den  deutsch- 
et afrikanischen  Makua  und  Wayao,  die  sich  über  die  ihnen  geschilderten 
(früheren)  Schulstrafen  in  Deutschland  ähnlich  äußerten  usw.  usw. 

Allerdings  dürfte  die  Schularbeit  für  viele  Kinder  die  anstrengendste 
Arbeit  sein,  welche  ihnen  aufgebürdet  werden  kann,  weshalb  zu  ihrer  An- 
spornung starke  Mittel  nötig  sind,  und  da  Schularbeit  auf  den  niedersten 
Kulturstufen  nicht  vorhanden  ist,  erklärt  sich  der  obige  Gegensatz,  wenigstens 
zum  Teil.  Ganz  kann  er  aber  von  diesem  Standpunkt  aus  schon  deshalb  nicht 
erklärt  werden,  weil  nicht  nur  die  Vereinigten  Staaten  Nordamerikas,  sondern 
auch  die   Baschkiren  körperliche  Strafen  in  den  Schulen  nicht  anwenden. 

Die  Lösung  der  Frage,  ob  der  Mittelweg  nicht  auch  hier  der  beste 
sei,  ist  nicht  die  Aufgabe  des  vorliegenden  Werkes.  — 

§  291.     Abhärtung  und  Pflege  des  heranwachsenden  Kindes. 

Das  Söhnchen  des  transsylvanischen  Zeltzigeuners  wird  schon  in 
seinem  achten  Lebensjahr  vor  das  Zelt  gesetzt  und  kann  dann  auf  eigene 
Faust  leben  und  tun  oder  lassen,  was  ihm  beliebt.  Abgesehen  von  den  Bissen, 
die  ihm  seine  Mutter  dann  und  wann  heimlich  zusteckt,  erhält  er  von  den 
Eltern  nichts  mehr,  auch  nicht  einmal  nächtlichen  Unterschlupf.  Somit  teilt 
er  im  Freien  das  harte  Lager  der  Pferde,  Hunde  und  SchwTeine.  Nur  wenn 
er  einmal  eine  Geliebte  hat,  findet  er  in  ihrem  und  ihrer  Eltern  Zelt  Unter- 
kunft; denn  die  Mädchen  bleiben  bis  zu  ihrer  Verheiratung  im  elterlichen 
Heim  und  haben  das  Recht,  ihre  Liebsten  zu  beherbergen  (H.  v.  IVlislocki). 

In  den  Dörfern  der  persischen  Provinz  Farsist an  fanden  Bieulafoy  und 
seine  Frau  die  Kindesptlege  im  argen  liegen.  Infolge  der  naturwidrigen  Be- 
handlung und  der  herrschenden  Unreinlichkeit  stirbt  ein  großer  Prozentsatz,  was 
die  Mütter  aber  keineswegs  auf  ihr  eigenes  Konto  zu  nehmen  scheinen.  Sonst 
würden  sich  nicht  jene  Mütter  für  „gottbegnadigt"  halten,  welchen  von  zwölf 
Kindern  auch  nur  drei  bis  vier  am  Leben  bleiben.  -  -  Nach  Polali  bringt  das 
persische  Kind  die  ersten  sieben  Jahre  seines  Lebens  bei  seiner  Mutter, 
ihren  Mägden  und  Sklavinnen  im  Harem,  bzw.  im  Hof,  unter  freiem  Himmel 
spielend,  zu.  ,,Das  Gemisch  der  sich  tummelnden  Kinder,  verschieden  an  Alter, 
Geschlecht  und  Hautfarbe,  und  des  zahlreichen  Hausgeflügels  macht  auf  den 
Besucher  den  Eindruck  einer  kleinen  Menagerie.  Nicht  selten  fällt  das  Kind 
in  das  offene  Bassin,  welches  die  Mitte  des  Hofraumes  einnimmt,  und  kommt 
auch  wohl,  wenn  nicht  Hilfe  bei  der  Hand  ist,  darin  um.  Kinder  der  ärmeren 
Klasse  bewegen  sich  ohne  alle  Aufsicht  vor  den  Häusern  oder  auf  den  Mist- 
haufen in  den  engen  Straßen.  Die  Kinder  begleiten  oft  die  Mutter  in  die 
öffentlichen  Bäder.  Im  siebenten  Jahre  verläßt  der  Knabe  den  Harem,  um 
sich  von  nun  an  im  Birun  (Männergemach)  zu  bewegen."  — 

Daß  die  alten  Perser  ihre  Kinder  in  den  ersten  Lebensjahren  nicht 
verzärtelten,  darf  wohl   aus  der  späteren  Behandlung   derselben   geschlossen 


410      -Kap.  XLIV.    Pflege.  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

werden.  Ploß  schrieb'):  „Die  alten  Perser  lebten  in  einem  Kriegerstaat;  ihre 
Erziehung  war  eine  öffentliche,  eine  Nationalerziehung,  denn  bei  ihnen  ging 
die  Idee  der  Familie  in  der  Idee  des  Staates  auf.  Ihr  König  war  Vertreter 
des  Ormuzd.  des  guten  Prinzips.  Weil  nun  Ormuzds  Keich  Ausbreitung  des 
Guten  und  Bekämpfung  des  Widerstrebenden  forderte,  so  mußte  das  Volk  die 
Jugend  zu  kräftigen,  kriegsgeübten  Leuten  erziehen;  der  Staat  nahm  deshalb 
die  Erziehung  seiner  Söhne  selbst  in  die  Hand;  sein  Ziel  war  dabei  Wehr- 
haftigkeit  und  Wahrhaftigkeit.  —  Herodot  berichtete:  Die  persischen  Knaben 
lernten  Reiten.  Bogenschießen  und  die  Wahrheit  reden.  —  Näheres  erzählt 
Xenophons  Cyropädie,  die  älteste  Erziehungsgeschichte,  die  allerdings  Dichtung 
und  Wahrheit  mischt2).  Ein  vom  Geräusche  der  Welt  entfernt  liegender  Platz 
war  der  Erziehungsort  für  die  Perser.  Er  war  in  vier  Abteilungen  geteilt: 
die  eine  für  die  Knaben  vom  6. — 16.  Jahre,  die  andere  für  die  Jünglinge  vom 
16. —  26.  .Iahte,  die  dritte  für  die  Männer  vom  26. — 50.  Jahre,  die  vierte  für 
die  Alten.  Hier  versammelten  sich  die  Knaben  und  die  Männer  jedesmal  vor 
Tagesanbruch.  Die  Jünglinge  schliefen  in  ihren  Waffen  vor  den  obrigkeitlichen 
Gebäuden,  um  diese  zu  bewachen.  Jede  Abteilung  hatte  zwölf  Vorsteher;  zu 
Vorstehern  der  Knaben  wurden  diejenigen  Alten  gewählt,  welche  die  wohl- 
geratensten Kinder  in  dieser  Abteilung  hatten.  Hier  lernten  nun  die  Knaben 
Bogenschießen.  Wurfspieße  werfen,  auch  erhielten  sie  Unterricht  in  der  prak- 
tischen Rechtspflege." 

Sprichwörtlich  ist  die  spartanische  Abhärtung.  Kreta  soll  übrigens 
Sparta  in  dieser  Hinsicht  nicht  nachgestanden  sein.  Genau  kennt  mau  nach 
Wachsmuth  allerdings  nur  die  spartanische  Erziehung.  Die  Diät  war  für  alle 
Knalien.  den  unmittelbaren  Thronerben  ausgenommen,  vom  7.  Lebensjahr  an 
gesetzlich  geregelt,  und  zwar  war  die  Kost  so  kärglich,  daß  zur  Stillung  des 
Hungers  Speiseraub  geübt  werden  mußte.  Das  Nachtlager  bestand  aus  schilt 
mit  erwärmendem  Kraut  für  den  Winter.  Warme  Bäder  und  Salben  gab  es 
nicht,  wohl  aber  täglich  ein  kaltes  Bad  im  Eurotas.  Alle  vierzehn  Tage 
wurden  die  Knaben  untersucht,  wobei  man  Fettwerden  als  Untugend  bestrafte. 
Geißelung  war  ein  Abhärtungsmittel  gegen  körperliche  Schmerzen,  das  man 
am  Altar  der  Artemis  Orthia  zur  Anwendung  brachte.  Wachsmuth  meint 
übrigens,  daß  diese  Geißelung  ursprünglich  religiöse  Bedeutung  hatte,  vielleicht 
ehemalige  Menschenopfer  vertrat. 

Floß  schrieb'1)  im  Hinweis  auf  0.  H.  Jager,  Lykurg  habe  in  der  Ge- 
wöhnung das  Hauptmittel  der  sittlichen  Kräftigung  des  Bürgers  und  eben 
damit  die  sicherste  Bürgschaft  für  den  Bestand  des  Staates  erkannt.  Schon 
das  Kind  vor  Verzärtelung  und  Furchtsamkeit  zu  bewahren  und  ihm  doch 
möglichst  viele  Freiheit  zu  gestatten,  war  spartanischer  Grundsatz.  Die 
Säuglinge  wurden  gewöhnt,  allein  im  Dunkeln  zu  bleiben.  Auch  suchte  man 
bei  ihnen  das  Weinen  zu  verhindern,  weil  es  als  Schande  galt,  Schmerz  oder 
unangenehme  Gefühle  auf  diese  Weise  kund  zu  tun.  Wenngleich  noch  in 
mütterlicher  Pflege,  wurden  die  Knäblein  doch  schon  bisweilen  von  ihren  Vätern 
zum  gemeinsamen  Kssen  der  Männer  mitgenommen,  wo  sie  neben  ihrem  Vater 
auf  ein. an  Sessel  ihre  halbe  Portion  Suppe  verzehrten.  Leicht  gekleidet 
und  barfaß  wuchs  der  Knabe  heran. 

')  2.   Aufl.   H.  347. 

,   Rawlinson  siehl  sowohl  in  Herodots  als  in  Xenophons  Mitteilungen  über  die  persische 
Erziehung  eher  griechische  Spekulation  als  historische  Tatsachen.     Es  sei  hier  übrigens  noch 
t.  daß   nach  Herodot  di<    Blinder  der  alten  Perser  vor  ihrem  fünften  Lebensjahr 
ihren   Vätern  nicht  die  A  igen  kommen  durften,  damit  ihr  allenfallsiger  Tod  das  Vater- 

r   i  tchten  deshalb  ihre  ersten  fünf. lahre  bei  den  Frauen.    Hi . 
rschrift.     (Rawlinsons  Herodot  I.  262f.  n.  Anm.  1,  2.) 
I.   II.  9. 


§  291.     Abhärtung  und  Pflege  des  heranwachsenden  Kindes.  41  1 

Inwieweit  Solans  Gesetzgebung'  die  diätetische  Körperpflege  der  Knaben 
Athens  beeinflußte,  weiß  man  nach  Wachsmuth  nicht  genau.  Zweifellos  seien 
zur  Entwicklung  körperlicher  Tüchtigkeit  schon  zu  Sohns  Zeit  Gymnasien 
auch  hier  gewesen.  Aber  das  Maß  der  Diätetik  und  Gymnastik ')  überließ  man 
dem  Gutdünken  der  Familienväter.  In  der  Blütezeit  Athens  kam  hier  jeden- 
falls die  körperliche  Ausbildung  zu  vollster  Geltung.  —  Unkenntnis  des 
Schwimmens  galt  ebenso  als  Schande  wie  die  Unkenntnis  der  Buchstaben,  und 
kalte  Bäder  nahmen  die  Knaben  in  Athen  ebenso  wie  in  Sparta.  — 

Spartanische  Strenge  kennzeichnet,  nach  D.  Ernesto  Cozzi,  die  Kinder- 
pflege auch  der  heutigen  Bergbewohner  von  Albanien.  Die  Kindersterblich- 
keit sei  trotzdem  unter  ihnen  geringer  als  unter  der  dortigen  italienischen 
Bevölkerung.  Allerdings  ist  hier  auch  der  Unterschied  zu  beachten,  daß  diese 
ihre  Kinder  künstlich  ernährt,  während  die  Albanesiunen  den  ihren  lange  Zeit 
ausschließlich  Muttermilch  zukommen  lassen. 

In  Born  riet  im  2.  Jahrhundert  n.  Chr.  der  Arzt  Soranns,  man  solle  die 
Kinder  zeitig  an  Wärme  und  Kälte  gewöhnen.  Immerhin  war  die  Verweich- 
lichung zur  Zeit,  als  die  Römer  mit  den  germanischen  Sitten  bekannt  wurden, 
schon  so  weit  vorgeschritten,  daß  römische  Schriftsteller  die  germanische 
Abhärtung'  der  Kinder  ihren  Landsleuten  als  Vorbild  vorführten.  Bemerkens- 
wert ist,  daß  der  ältere  Cato  beim  Waschen  und  Wickeln  seiner  Kinder,  wenn 
möglich,  selbst  zugegen  sein  wollte  (Mommsen).  Man  kann  daraus  schließen, 
wie  wichtig  ihm  die  Kindespflege  erschien. 

Über  die  Pflege  und  Erziehung  der  altgermanischen  Kinder  schrieb 
Floß2):  ..Man  erzog  sie  streng  und  mäßig.  Alle  lernten  von  Jugend  auf 
schwimmen,  ringen.  Kälte  und  Hitze  ertragen.  Alle  (?J  körperlichen  Übungen 
wurden  neben  der  Jagd  und  den  Waffenspielen  getrieben.  Die  Kinder  der 
Freien  und  der  Knechte  wuchsen  untereinander  auf,  halb  nackt  und  schmutzig 
mit  dem  Vieh." 3)  -  -  Mit  der  Verfeinerung  nach  römischem  Muster  begann 
auch  die  Verweichlichung.  An  Stelle  der  kalten  Bäder  traten  sowohl  bei  den 
Germanen  als  bei  den  keltischen  Galliern  warme  Bäder,  und  diese  Um- 
wandlung ging  durch  die  Kenntnisnahme  orientalischer  Bräuche  während  der 
Kreuzzüge  nur  noch  allgemeiner  vor  sich.  Überall  wurden  nun  private  und 
öffentliche  Badestuben  angelegt;  warme  Bäder  waren  ein  Bedürfnis  und  ein 
Vergnügen  aller  Stände  geworden,  wovon  sich  die  Christen  zur  Zeit  der  Fasten 
und  der  Trauer  als  Akt  der  Buße  enthielten4). 

In  württembergischen  Preis-Regulativen  für  die  Stadtbäder  von 
Eßlingen,  Sindelfingen  und  Stuttgart  wurde  anfangs  des  16.  Jahrhunderts 
den  Kindern  unter  zehn  Jahren  das  Baden  noch  unentgeltlich  erlaubt.  Aber 
mit  dem  Schwinden  der  Wälder  stiegen  die  Holzpreise  und  die  Unkosten  fin- 
den Unterhalt  der  Badestuben,  was  den  Kindern  das  warme  Freibad  entzog. 
Übrigens  haben  wir  in  Kap.  XI,  S.  217,  schon  aus  dem  16.  Jahrhundert  die 
Mahnworte  W.  H.  Ryffs  gehört,  man  solle  die  Kindlein,  „die  Tag  und  Nacht 
in  ihrem  Harn  und  Kot  liegen  müssen",  baden.  —  Die  Erwachsenen,  welche 
,.die  Wasserbäder  mehr  zur  Wollust  des  Leibes"  brauchten,  dachten  wohl  vor 

l)  Auf  die  Gymnastik  kommt  §  300  zurück. 
-)  2.  Aufl.  II,  8. 

3)  Auf  S.  351  übersetzte  Ploß  aus  Tarif  us:  „Durchweg  im  Hause  nackt  und  dürftig 
wächst  die  Jugend  heran  zu  dem  Gliederbau,  zu  der  Leibesgesta'.t,  die  wir  anstaunen.  Jeden 
nährt  der  eigenen  Mutter  Brust,  nicht  Ammen  und  Mägden  werden  sie  ausgeliefert.  Keine 
feinere  Erziehung  scheidet  den  Herrn  vom  Knechte.  Auf  dem  gleichen  Boden  wachsen  beide 
zwischen  den  Tieren  des  Hauses  auf,  bis  das  Alter  den  Freigebornen  absondert,  der  innere 
Adel  ihn  hervorhebt."  —  Daß  aber  nicht  nur  der  „innere  Adel",  sondern  tatsächlich  und 
wohl  ganz  besonders  die  Erziehung  die  Kinder  der  höheren  und  niederen  Stände  auch  bei 
unsern   Vorfahren  sonderte,  werden  wir  später  erfahren. 

4)  Pleß,  2.  Aufl.  II,  23  f.  Enthaltung  vom  Bad  soll  uach  Ploß  damals  auch  als  Kirchen- 
buße auferlegt  worden  sein. 


412     Kap.  XLIV.    Pflege,  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

allem  an  sich  selbst.  Doch  dürften  damals,  so  gut  wie  in  unserer  Zeit,  an 
verschiedenen  Orten  verschiedene  Bräuche  geherrscht  haben.  Während  es 
z.  B.  im  heutigen  bayrischen  Schwaben  Bauern  gibt,  deren  Söhne  und 
Trichter  im  Sommer  womöglich  jeden  Abend  ein  Bad  im  nächsten  Bach  oder 
Fluß  nehmen,  gibt  es  wieder  andere,  die  man  wasserscheu  nennen  könnte. 
Sie  baden,  wenn  größer,  niemals  mehr,  sondern  halten  das  Baden  für  einen  Luxus.  — 
Zur  letzteren  Sorte  gehört  nach  Hoffmann-Krayers  Mitteilung  auch  das  ge- 
wöhnliche Volk  im  Kanton  St.  Gallen.  Hier  waschen  sich  die  kleineren 
Kinder  in  der  Früh  mit  den  erwachsenen  Mädchen  und  Frauen  in  einem 
Waschbecken.  Tagsüber  genügt  es,  wenn  die  Mutter  ihre  Schürze,  oder  ihr 
Taschentuch  mit  Speichel  benetzt  und  damit  dem  Kind  über  Gesicht  und  Hände 
f'iihit.  Mädchen,  die  dem  „Badgelteli"',  d.  h.  der  Badewanne,  entwachsen  sind, 
klimmen  in  ihrem  Leben  nicht  mehr  dazu,  den  ganzen  Körper  zu  waschen. 
Die  Knaben  baden  nach  Feierabend,  was  als  Zeitvertreib  gilt  und  mit  dem 
17. — 18.  Lebensjahr  für  immer  aufhört.  — 

Was  die  spätmittelalterliche  Kindespllege  bei  den  Deutschen  betrifft,  so 
möge  hier  noch  erwähnt  werden,  daß  zur  Zeit  der  Minnesänger  die  Kinder 
bis  zum  siebenten  Jahr  unter  dem  Schutz  der  Frauen  in  der  Kemenate  blieben 
Nach  dem  Gesetze  sollte  das  Kind  bis  zu  diesem  Zeitpunkt  seines  Lebens 
die  mütterliche  Pflege  haben.  Vor  dein  siebenten  Jahre  durften  die  Kinder 
auch  nicht  am  Tisch  ihres  Vaters  erscheinen1).  — 

Unter  Abhärtung  gegen  Hitze  und  Ejost  und  unter  körperlichen  Ent- 
behrungen wachsen  die  Kinder  der  Rumänen  in  Siebenbürgen  auf.  Ohne 
Schaden  zu  leiden,  laufen  sie  bis  zum  ersten  Schneefall  bloßfüßig  im  Dorf 
und  auf  den  Feldern  umher  und  freuen  sich  der  freien  Natur,  bis  sie  die 
Schule  besuchen  müssen.  —  Prexl,  der  dieses  mitteilt,  berichtet  gleichzeitig  den 
dortigen  Volksglauben,  daß  die  lange  Hilfsbedürftigkeit  des  Kindes  eine  Strafe 
von  Gott  sei.  Der  Schöpfer  habe  nämlich  im  Anfange  der  Welt  als  Beweis 
des  Gehorsams  von  allen  lebenden  Geschöpfen  verlangt,  sie  sollen  ihre  Erst- 
geburt über  ihre  Wohnstätte  werfen.  Alle,  die  menschliche  Mutter  ausgenommen, 
haben  gehorcht,  diese  aber  habe,  erzürnt  über  einen  solchen  Befehl,  ihr  Kind 
ängstlich  an  die  Brust  gedrückt  und  den  Gehorsam  versagt.  Deshalb  legte 
ihr  der  Herr  die  Strafe  auf,  daß  sie  ihre  hilflosen  Kinder  jahrelang  am  Hals 
herumtrage,  während  die  Tiere  ihrer  Jungen  bald  los  sind. 

Aus  dem  arabischen  Ägypten  schrieb  Laue,  die  Hochschätzung  der 
Ehefrauen  seitens  ihrer  Männer  hänge  großenteils  davon  ab,  ob  die  Frauen 
ihren  Männern  Söhne  schenken  und  erhalten,  oder  nicht,  Deshalb  liege  es, 
von  der  natürlichen  Mutterliebe  ganz  abgesehen,  im  Interesse  der  Mutter,  ihre 
Kinder  gut  zu  behandeln.  Die  Frauen  der  armen  Bevölkerung'  freilich  sollen 
ihnen  wenig  Sorgfalt  zuwenden,  kaum  mehr,  als  absolut  notwendig  ist.  Sie 
haben  wohl  auch  nicht  die  Zeit  dazu.  Hingegen  werden  die  Kinder  der 
Wohlhabenden  sehr  verzärtelt.  An  einer  gesundheitlich  klugen  Pflege  fehlt 
es  freilich.  Den  Kindern  geht  eine  abwechselnde  körperliche  Bewegung  im 
Freien  ab;  sie  leben  fast  nur  im  Frauengemach,  oder  doch  innerhalb  des 
Hofes.  Nur  wenn  die  Mütter  auf  ihren  Eseln  ausreiten.  um  frische  Luft  zu 
schöpfen,  oder  um  Besuch  zu  machen,  nehmen  sie  gewöhnlich  ihre  Kinder  mit, 
indem  diese  von  reitenden  Sklavinnen  oder  sonstigen  Dienerinnen  vor  sich  auf 
den  Esel  gesetzt  werden.  Solche  Ausritte  sind  aber  verhältnismäßig  selten, 
und  somil  entbehrt  das  Kind  der  nötigen  Luft  und  Abwechslung,  was  auf  sein 
sisches  und  psychisches  Leben  ungünstig  wirkt.  Laune.  Selbstsucht  und 
Stolz  sind  nach  Lane  Früchte  dieser  verkehrten  Erziehung. 


M  Vgl.   ähnliche  A  ischauungen   und   Bräuche   im  alten  Griechenland  und  im  heutigen 

l  'i  i   icn. 


§  291.     Abhärtung  und  Pflege  des  heranwachsenden  Kindes.  413 

Ton  der  Kinderpflege,  wenigstens  der  ärmeren  Bevölkerung-,  von  Port 
Said  kann  man  sich  einen  Begriff  aus  der  Bemerkung  H.  Morins  machen, 
daß  dort  die  kleinen  Kinder  vor  den  Häusern  hocken,  das  Gesicht,  haupt- 
sächlich die  Augenlider,  schwarz  von  Fliegen.  Die  Kinder  selbst  versuchen 
es  gar  nicht,  das  Ungeziefer  wegzujagen. 

Den  Araberinnen  in  Yemen  wiederum  rühmt  Manzoni  Zärtlichkeit. 
Nachsicht  und  Aufmerksamkeit  gegen  ihre  Söhne  nach.  —  Da  ihre  Töchter 
ihr  Ansehen  bei  ihren  Gatten  nicht  erhöhen,  kümmern  sich  diese  selbstsüchtigen 
Weiber  auch  nicht  sehr  um  sie,  wie  das  ja  in  Arabien  und  anderen  Ländern 
vielfach  wahrgenommen  ■wird. 

Von  den  alten  Ägyptern  schreibt  J.  Wolf:  Sie  verwandten  auf  ihre 
Kinder  große  Sorgfalt  und  hingen  voll  Zärtlichkeit  an  ihnen.  —  Diese  „große 
Sorgfalt"  dürfen  wir  aber  wohl  nicht  nach  unserer  Auffassung  bemessen;  denn 
nach  Gastoii  Maspero,  der  die  ägyptischen  Verhältnisse  hauptsächlich  unter 
Eamses  IL,  also  im  14.  Jahrhundert  v.  Chr..  schilderte,  wurden  die  Kinder 
schlecht  genährt  und  blieben  tagelang  sich  selbst  überlassen,  so  daß  die 
schwächeren  unterlagen  und  viele  früh  starben.  Die  überlebenden  freilich  gaben 
abgehärtete  Leute  ab.  —  Nach  Wilkinson-Birch  kostete  den  alten  Ägyptern 
die  Ernährung  ihrer  Kinder  kaum  Nennenswertes.  Zu  Dlodors  Zeit  buken  sie 
ihnen  das  Mark  der  Papyrusstengel  in  heißer  Asche.  Außerdem  gab  es  rohe, 
gesottene  oder  geröstete  Wurzeln  und  Stengel  von  Sumpfgräsern.  Die  ganzen 
KnsTen  für  die  Ernährung  und  Bekleidung  eines  Kindes  sollen  20  Drachmen 
(zirka  13  Mark)  nicht  überstiegen  haben.  --  Ploß  hatte  mit  einem  Hinweis 
auf  Baas  die  Kosten  etwas  höher,  d.  h.  auf  16  Mark,  berechnet. 

Nicht  besser,  vielleicht  noch  schlimmer,  ist  es  mit  der  Kindespflege 
der  jetzigen  Fellachen,  Nachkommen  der  alten  Ägypter,  in  der  Provinz 
Scharkiyeh  (altes  Gosen)  bestellt.  In  einem  mit  R.  T.  K.  gezeichneten 
Artikel  im  ..Globus"  (Bd.  791).  S.  106)  heißt  es:  Wenn  man  Zeuge  gewesen 
ist,  wie  da  die  Kinder  erzogen  werden,  so  wundert  man  sich  nicht  mehr  über 
die  yo°/o,  welche  dort  die  Kindersterblichkeit  erreicht.  Die  Fellah-Kinder 
Gosens  werden  von  Geburt  an  vernachlässigt  und  schlecht  genährt:  sie  sehen 
alt  aus  und  werden  schon  früh  mit  den  Sorgen  des  Lebens  bekannt. 

Wenig  Pflege  wird  ferner  dem  ostafrikanischen  Somali- Kind  zuteil: 
Sobald  der  Knabe  entwöhnt  ist,  kümmert  sich  seine  Mutter  nicht  mehr  viel 
um  ihn.  Sie  läßt  ihn  sich  ruhig  im  Sande  wälzen,  wo  die  Sonne  ihre  glühenden 
Strahlen  auf  ihn  herabsendet,  ihn  wärmt  und  kräftigt  und  sein  Wachstum 
beschleunigt  (G.  Be'voil).  —  Härter  geht  es  den  größeren  Knaben  auf.  wenn 
sie  von  ihren  Vätern  nicht  mehr  zum  Viehhüten  gebraucht  werden.  Dann 
jagt  man  sie  unter  irgendeinem  Vorwand  aus  der  Hütte  ihrer  Mutter,  und 
nun  treiben  sich  die  Burschen  in  der  Welt  herum  und  schlafen  unter  freiem 
Himmel;  denn  nur  verheiratete  Männer  und  kleine  Knaben  dürfen  die  Nächte 
in  Hütten  zubringen.  Auf  den  Hochebenen  des  Somalilandes  sind  manche 
Nächte  aber  empfindlich  kühl,  was  unter  den  jungen  Vagabunden  große  Sterb- 
lichkeit verursacht  (P.  Moses).  Und  doch  sind  die  Somali,  so  gut  wie  die 
alten  Ägypter,  auf  eine  zahlreiche  Nachkommenschaft  stolz. 

Viele  Erkrankungen  an  Durchfall  usw.  infolge  allzu  mangelhafter  Kinder- 
pflege meldete  B.  Hartmann  von  Sennär.  einer  Provinz  des  angloägyptischen 
Sudan  mit  teils  reiner  Negerbevölkerung,  teils  gemischter  Bevölkerung. 

Aus  Uganda  in  Britisch -Ostafrika  schrieb  eine  Missions- 
schwester im  „Afrika-Boten"2):  Hier  leben  die  Kinder,   wenigstens  jene  der 


')  Unter  den  Fellachen  Gosens. 
2)  8.  Jahrg.,  S.  77. 


414     Kap.  XLIV.    Pflege.  Abhärtung.  Charakterbild,  u.  körper).  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

Heiden,  nach  dem  Prinzip  der  uneingeschränktesten  Freiheit.  Sobald  der 
kleine  Tropf  den  Ann  der  Mutter  verlassen  hat  und  imstande  ist.  allein 
zu  laufen,  kennen  weder  Vater  noch  Mutter  weitere  Pflichten  gegen  das 
Kind.  Es  wird  schon  heranwachsen,  wie  es  Lust  hat.  Die  Christen  haben 
noch  nicht  ganz  vermocht,  diese  Gewohnheiten  zu  ändern.  —  Zu  diesen 
Ausführungen  bemerkte  allerdings  die  Eedaktion.  hier  liege  wohl  eine 
Verallgemeinerung  eines  einzelnen  Falles  vor.  Denn  in  Uganda  stelle 
man  die  Kinder  nach  alter  Landessitte  schon  früh  in  den  Dienst  eines 
Vornehmen. 

Schlimm  sieht  es  nach  Weules  Schilderung  mit  der  Kinderpflege  bei  den 
Völkern  des  Makonde-Plateaus  im  Südosten  von  Deutsch-Ostafrika  aus. 
Daß  der  Kucksack  der  Yao- Negerin,  in  welchem  diese  ihr  kleines  Kind  den 
ganzen  Tag  herumtragt,  eine  hygienisch  keineswegs  einwandfreie  Behausung 
ist.  wurde  bereits  in  einem  früheren  Kapitel  erwähnt.  Einzelheiten  hierüber 
mögen  jetzt  mit  Weules  Worten  folgen:  „Die  Schärfe  des  Urins  und  der 
Schmutz  der  Fäkalien,  für  deren  Aufsaugung  keine  Windel  sorgt,  beizen  tiefe 
und  lange  Bisse  in  die  Epidermis  der  Gelenkbeugen;  die  schrecklichen  afrika- 
nischen Fliegen  legen  wahre  Brutherde  an  den  Augenrändern  der  unglücklichen 
Kleinen  an,  ohne  daß  Vater  oder  Mutter  auch  nur  eine  Hand  zum  Verjagen 
der  Quälgeister  erhöbe  —  sie  sind  ja  für  sich  selbst  schon,  ach!  so  tolerant 
yegen  jene  kleinen  Bestien.  Triefend  und  trüb  schaut  denn  auch  das  Kinder- 
auge, das  wir  bei  unsern  europäischen  Kleinen  mit  Recht  als  das  Wunderbarste 
und  Schönste  im  organischen  Leben  der  EFde  bezeichnen  dürfen,  in  die  Welt 
hinaus;  Schwämme  und  Pilze  wuchern  in  dichter,  weißbläulich  schimmernder 
Masse  aus  Mund  und  Nase  heraus.  Dazu  die  ewigen  Katarrhe,  sie  sind  die  Folge 
des  starken  Temperaturwechsels  zwischen  Tag  und  Nacht.  Vater  und  Mutter 
können  sich  durch  ihr  nächtliches  Feuer  und  ihre  Matten  schützen:  das  Kind 
benäßt  sich,  bleibt  unberührt  und  unbeachtet  liegen,  verliert  eine  große  Menge 
Wärme  und  erkältet  sich."  —  Ähnliches  erlebte  Weide  bei  den  Makua, 
Matambwe  und  Makonde.  Aber  auch  ein  des  Lesens  und  Schreibens 
kundiger  Suaheli  aus  Daressalam  und  dessen  Weib  vernachlässigten  ihr 
über  ein  Jahr  altes  Kind  derart,  daß  es  vom  Auge  bis  zur  Zehe  wund  und 
angefressen  war. 

Hingegen  rühmte  PechueLLösche  den  Negerinnen  der  Loango-Kiist  e 
im  afrikanischen  Westen  nach,  daß  sie  ihre  Kinder  mit  großer  Liebe  und 
Sorgfalt  pflegen.  — 

Von  den  Kindern  der  „Malayen"  schrieb  I'Io //'):  Sie  bleiben  sich  selbst, 
überlassen,  gehen  nackt,  brauchen  gegen  Kälte  nicht  geschützt  zu  werden, 
entwickeln  sich  in  der  Begel  bald  und  lernen  frühzeitig  gehen. 

Eine  .Mitteilung  W.  Köddings  über  die  gleichfalls  zu  den  Malayen  ge- 
hörigen Batak  auf  Sumatra  lautet:  Trotz  ihrer  Affenliebe  zu  den  Kleinen  lassen 
sie  ihnen  doch  wenig  sorgsame  Pflege  angedeihen.  Einmal  entwöhnt,  werden 
die  Kinder,  die  bis  dahin  gut  gediehen,  sich  selbst  überlassen  und  verkommen 
im  Schmutz,  indem  bei  ihnen  nun  allerlei  Haut-  und  andere  Krankheiten 
entstehen.  Infolge  dieser  Unreinlichkeit  sterben  sehr  viele  Kinder  zwischen 
zwei  und  sieben  Jahren.  Ist  die  Zeit  aber  überwunden,  dann  geht  die  Ent- 
wicklung lasch  voran.  Wir  haben  hier  also  ein  ähnliches  Bild  wie  auf  dem 
ifrikanischen  Makondeplateau. 

Aus  der  Kinderpflege  der  Andaman-Insulanerinnen  fand  sich  in  der 
2.  Auflage2)  die  Bemerkung,  daß  die  Mütter,  um   ihre  nackten  Säuglinge  zu 


')  2.  Aufl.  II.  7. 

■>    1! 


§  291.    Abhärtung  und  Pflege  des  heranwachsenden  Kindes.  415 

erwärmen,  eine  Hand  ans  lodernde  Feuer  halten  und  dann  mit  der  wannen 
Hand  die  Haut  des  frierenden  Kindes  überfahren1). 

Bei  den  Marschall-Insulanern  sah  Chamisso  „viele  aufwachsende  Kinder 
bei  einer  geringen  Menschenzahl".  Den  Vätern  rühmte  er  zärtliche  Sorgfalt 
für  jene  Kinder  nach,  welche  nicht  dem  üblichen  Schicksal,  lebendig  begraben 
zu  werden,  anheimfallen.  —  Carl  Hager  gab  zu,  daß  die  dortigen  Eltern  ihre 
Kinder  lieben,  bemerkte  aber,  daß  man  bei  ihnen  vergebens  nach  Erziehung 
suche. 

Die  Kinder  der  Papua  in  Britisch -Neuguinea  werden  nach  Krieger 
liebevoll  gepflegt.  Wenn  die  Mutter  anderweitig  zu  tun  hat,  nimmt  der  Vater 
sich  des  Kleinsten  an,  wickelt  es  in  eine  Matte,  trägt  es  vor  dem  Haus  umher, 
legt  seine  Wange  liebkosend  an  die  des  Kindes  und  unterhält  sich  mit  ihm. 
Das  Kind  macht  seinem  Vater  den  Wartedienst  durch  ruhiges  Verhalten 
auch  leicht. 

Nicht  weniger  Aufmerksamkeit  schenken  die  Samoauer  ihren  kleinen 
Kindern.  Kahm;/  nennt  deren  Liebe  geradezu  übermäßig.  Dennoch  gehen 
diese  nicht  bis  zur  Verweichlichung.  Vielmehl'  nehmen  die  Mütter  ihre  Kleinen 
mit  ins  Wasser,  ziehen  und  recken  ihnen  die  Glieder,  was  auf  deren  Behendig- 
keit und  Gesundheit  nur  die  beste  Wirkung  haben  soll. 

Ähnlich  den  Papua  in  Britisch-Neuguinea,  verschmähen  es  die  Neusee- 
länder nicht,  in  Abwesenheit  ihrer  Frauen  die  kleinen  Kinder  zu  warten 
(Polack);  verzärtelt  werden  diese  aber  auch  hier  nicht  (Brown).  Als  Beweis 
hierfür  mag  wohl  die  Tatsache  gelten,  daß  sie  das  Schwimmen  vor  dem  Gehen 
lernen2). 

In  China,  wie  in  jedem  Kulturstaat,  hängt  die  Kindespflege  vielfach  mit 
dem  Stand  der  Eltern  zusammen.  Arme  Kinder,  von  Stein;  „die  welken  Blumen 
im  blumigen  Reich"  genannt,  sterben  jährlich  zu  Tausenden  an  Frost,  Hunger 
und  Entbehrungen.  Der  finanzielle  Verdienst  der  armen  Chinesen  ist  ja  auch 
bei  angestrengtester  Arbeit  so  gering,  daß  eine  zahlreiche  Familie  kaum  er- 
nährt werden  kann.  Vom  zartesten  Alter  an  müssen  daher  die  Kinder  der 
Armen  Entbehrung  leiden;  in  den  Windeln  schon  werden  sie  mit  dem  Ernst  des 
Lebens  bekannt,  und  das  gilt  von  den  Mädchen  noch  mehr  als  von  den  Knaben, 
die  bekanntlich  den  Chinesen  weitaus  lieber  sind  als  die  Mädchen3).  Aber 
auch  die  Knaben  der  Armen  kennen  keine  Verzärtelung,  keine  Verweichlichung. 
Der  harte  Boden  ist  ihr  Bett,  einfache  Nahrung  ihre  Kost;  sich  selbst  über- 
lassen, laufen  sie  halbwild  umher  solange  sie  noch  nicht  arbeiten  müssen, 
was  sehr  früh  der  Fall  ist,  Mit  diesem  Bericht  bei  Stenz  stimmt  jener  bei 
J.  Dok,  speziell  aus  der  chinesischen  Provinz  Kansu,  überein.  Das  Kind 
aus  dem  Volk  erhält  eine  rauhe  Erziehung.  Die  Mutter  wickelt  es  in  eine 
schmutzige  Windel,  läßt  aber  Kopf  und  Füße  selbst  im  Winter  unbedeckt. 
So  bindet  sie  sich  das  Kleine  mit  einem  Gürtel  auf  den  Rücken  und  trägt 
es  überall  mit  sich  herum.  Ob  sie  mahlt,  oder  Wasser  schöpft,  ob  sie  einen 
Berg  erklimmt,  um  Brennholz  zu  sammeln,  oder  auf  dem  Feld  arbeitet,  das 
Kind  ist  stets  in  der  gleichen  Lage  auf  ihrem  Rücken  befestigt4).     Die  Mutter 


l)  Eine  eigentümliche  Abhärtung  der  Knaben  der  An  dam  an -Insulaner  (Minkopi) 
erwähnte  Ploß  in  der  2.  Aufl.  (II,  7):  „Da  diese  Mensehen  nackt  gehen  und  viel  durch  den 
dornigen  Urwald  streifen,  so  müssen  sie,  um  ihre  Gliedmaßen  einigermaßen  vor  den  Ver- 
wundungen durch  Dornen  zu  schützen,  ein  Mittel  anwenden:  Sie  schneiden  in  die  Haut  eine 
Menge  kleiner  Wunden  dicht  nebeneinander  ein,  welche,  sobald  sie  heilen,  harte  Narben 
bilden,  und  in  dieser  Weise  bereiten  sich  die  Knaben,  welche  jahrelang  diese  Operation  an 
sich  vollziehen  lassen,  für  ihre  späteren  Strapazen  vor."  —  Floß  wies  bei  dieser  Mitteilung 
auf  Ad.  de.  B,i'n,storff  in  Ztschr.  d.  Gesellsch.  für  Erdkunde  zu  Berlin  1879,  XIV.  I.  S.  10  hiu. 

2;  Ploß,  2.  Aufl.  II,  6. 

3)  Vgl.   Kap.   1.  IX  u.  a. 

*)   Vgl.  Kuntze  in   Bd.  I,  S.  273  und  die  Kap    XIII  und  XIV. 


416     Kap.  XL1V.    Pflege.  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

kümmert  sich  nicht  darum,  ob  ihr  Kind  lacht  oder  weint  oder  schläft.  Ent- 
ledigt sie  sich  seinei-.  dann  übergibt  sie  es  einem  größeren  Kind,  Knabe  oder 
Mädchen,  die  das  Kleine  meistens  auf  den  Boden  legen,  wo  es  sich  im 
Schmutze  rollt. 

Ein  ganz  anderes  Schicksal  wartet  der  Söhne  vornehmer  Eltern  in  China. 
Sie  werden  als  Stammhalter  von  Anfang'  an  verhätschelt  und  verzogen.  Kein 
hartes  Wort  bekommen  sie  nach  Stern  zn  hören;  mit  Zuckergebäck  beruhigt 
man  sie.  wenn  sie  weinen,  alle  Wünsche  erfüllt  man  ihnen,  insofern  es  nur 
möglich  ist.  Werden  sie  größer,  dann  haben  allerdings  auch  sie  bisweilen 
ernste  Zurechtweisungen  hinzunehmen  (vgl.  §  294). 

Wenig  Pflege  lassen  die  Ao-Nagas  in  Assam  ihren  Kindern  zukommen. 
Molz  schreibt:  Hie  verlieren  nicht  viele  Zeit  mit  ihren  Kindern  und  lassen 
ihnen  ein  freies  Leben. 

Abhaltung  von  frühester  Jugend  an  berichtete  Krebel  von  den  Kal- 
mücken. Doch  scheint  ihre  Abhärtung  wenig  gegen  Krankheit  zu  schützen. 
Denn  Ploß  zitierte  aus  Krebel:  „Die  Abhärtung  ihres  Körpers  von  frühester 
Jugend  an  müßte  sie  mehr  gegen  Krankheiten  schützen,  wären  sie  nicht  durch 
Lebensweise  und  Wohnung  den  nachteiligsten  Einflüssen  und  der  Witterung 
bloßgegeben." 

Bemerkenswert  ist  die  folgende  Vorsichtsmaßregel,  welche  die  Kalmücken 
nach  H.  Meyerson  bei  ihren  kleinen  Kindern  anwenden.  Fängt  ein  Kind  zu 
kriechen  an,  dann  binden  sie  es  mit  eineiig  Strick  an  die  Kibitke,  so  daß  es 
zwar  frei  herumkriechen,  aber  nicht  bis  zum  Feuer  gelangen  kann,  welches 
beständig  in  der  Mitte  der  Kibitke  brennt1). 

Von  den  Kirgisen  des  Kreises  Saissansk  schrieb  P.  von  Stenin:  Sic 
gewöhnen  ihre  kleinen  Kinder  an  alle  Widerwärtigkeiten  der  Witterung.  — 
Nach  Tronoff  und  andern  Beobachtern  verlassen  kleine  Kinder,  die  auch  bei 
starker  Kälte,  wie  die  Erwachsenen,  ganz  nackt  schlafen,  öfters  ihr  dürftiges 
Lager,  um  ihre  erstarrten  Glieder  am  Herdfeuer  zu  erwärmen. 

Von  den  Ostjaken  schrieb  Castren,  daß  sie  ihre  Kinder  sorgfältig  und 
liebevoll  pflegen.  Auch  Brehm  betonte  die  warme  Zärtlichkeit,  mit  welcher 
die  auf  ihre  Kinder  stolzen  Ostjaken  diese  behandeln.  Mit  unverkennbarem 
Glück  in  Blick  und  Gebärde  legt  die  junge  Mutter  ihre  Erstgeburt  an  ihre 
Brust  oder  auf  das  weiche  Wassermoos  in  der  niedlichen,  unten  mit  zer- 
stückeltem Weidenmulm  und  geschabten  Holzfasern  ausgebet  teten  Wiege  aus 
Birkenrinde;  sorglich  schnürt  sie  die  Decken  zu  beiden  Seiten  der  Wiege  zu- 
sammen und  bedachtsam  umhüllt  sie  das  Kopfende  des  kleinen  Bettleins  mit 
dem  an  ihm  angebrachten  Miiekenvorhange'-). 

Neben  diesen  Lichtseiten  in  der  Kindespflege  gibt  es  bei  den  Ostjaken 
aber  auch  tiefe  Schattenseiten:  Patkanov  schrieb:  In  ihrer  häutigen  Trunken- 
heit lassen  sie  ihre  Säuglinge  halb  verhungern,  erfrieren  oder  sonst  zugrunde 
gehen.  Er  berichtet  von  einer  Familie  Laptyehev,  die  von  15  Kindern  noch 
ein  einziges  besaß,  und  dieses  ertrank  mit  zehn  Jahren  während  einer  Orgie 
seiner  Eltern.  Die  Kinder  der  Familie  Taildkov  starben  infolge  schlechter 
Behandlung  bis  auf  das  letzte,  welches  von  seiner  betrunkenen  Mutter  auf 


')  Dir  gleiche  Vorsichtsmaßregel  erwähnte  Herodot  (V.  c,  16)  von  den  Päoniern, 
welche  Pfahlbauten  bewohnten.  Hut  band  man  die  Kinder  an.  damit  sie  nicht  ins  Wasser 
fielen.  Ich   selbst    sah    in   der   Berliner   Kolonialausstellung  im   Summer   1907,   daß  eine 

Negerin,    ehe   sie    ihr   zirka  Sjähriges   Töchterchen    allein   ließ,   dieses   mit   einem   ziemlich 
n   Strick    an    einen   Pfahl  band,   su  daß  das  Kind  sich  wohl  Bewegung  verschaffen,  aber 
nicht  davonlaufen  konnte. 

'i  Die  jetzige  Einreihung  dieser  und  einiger  anderer  Mitteilungen,  welche  hesser  den 
Kapiteln  Ml.  Xlll  und  XIV  einverleibt  worden  waren,  möpe  damit  entschuldigt  werden. 
daß  sie  mir  erst   nach  Abschluß  dieser  drei  Kapitel  in  die  Hände  fielen. 


§  291.     Abhärtung  und  Pflege  des  heranwachsenden  Kindes.  417 

«ine  Bnnk  geworfen  und  ein  Krüppel  wurde,  als  welcher  es  später  starb. 
Auch  die  von  Brehm  und  andern  Forschern  beobachtete  Unreinlichkeit  der 
Ostjäkinnen  dürfte  zu  der  häufigen  Sterblichkeit  der  Kinder  beitragen. 

Über  die  Kindespflege  der  Samojeden  erfahren  wir  von  De  Dobbeler: 
sie  müssen  sich  sehr  früh  an  Unannehmlichkeiten.  Geduld  und  Ausdauer  ge- 
wöhnen. Wenn  nicht  allzu  strenge  Kälte  herrscht,  werden  die  Kleinen  beim 
Abnehmen  und  Umbauen  eines  Zeltes  halb  nackt  in  den  Schnee  gesetzt,  und 
niemand  kümmert  sich  trotz  ihres  Schreiens  um  sie.  ehe  das  neue  Zelt  fertig 
ist.  Wenn  etwas  größer,  wälzen  sie  sich  stundenlang  zu  ihrem  Vergnügen  im 
Schnee. 

In  der  2.  Auflage')  nannte  Plo/s  die  Kindespflege  der  Tungusen  im 
Kolyma-Gebiet,  Sibirien,  „sehr  nachlässig".  Ohne  jede  Aufsicht  halten 
sich  die  Kleinen  auch  im  Winter  fast  nackt  im  Freien  auf. 

Sorgfältige  Behandlung  ihrer  kleinen  Kinder  rühmte  L.  DahJ-)  den 
Lappen  nach;  den  Kwänen  oder  Finnen  stellt  er  in  dieser  Hinsicht  ein 
«eniger  günstiges  Zeugnis  aus.  — 

Aus  Kamtschatka  im  nordöstlichen  Sibirien  schrieb  seinerzeit  Georg 
Steiler:  ..Wenn  ich  im  Winter  in  meinem  Bette  unter  meinen  Pelzdecken  am 
Morgen  fror,  sah  ich.  daß  die  „Itelmen"  (Kamschadalen)  sogar  ihre  kleinen 
Kinder,  in  ihrer  Kuklanka.  die  nicht  einmal  den  Körper  vollständig  einhüllte, 
ohne  Decken  und  Betten  da  lagen  und  wärmer  anzufühlen  waren  als  ich." 

Die  Kiudespflege  der  Eskimo  (Inuit)  vom  Standpunkte  der  Peinlichkeit 
charakterisierte  Plofi3)  wie  folgt:  Das  neugeborne  Kind  wird  von  der  Mutter 
trocken  geleckt;  bis  zum  siebenten  Jahr  werden  die  Kinder  gesäugt,  in  der 
Kapuze  getrauen  und  von  der  Mutter  nur  durch  Ablecken,  nie  durch  Ab- 
waschen, gereinigt.  Auch  das  Putzen  der  Nase  wird  von  der  Mutter  lediglich 
mit  dem  .Munde  besorgt.  -  -  An  Zärtlichkeit  für  ihre  Kinder  fehlt  es  den 
Eskimo -Weibern  wie  so  vielen  andern  Weibern  höherer  und  niederer  Kultur- 
stufen nicht,  wohl  aber  an  Verständnis.  Und  so  ist  denn  die  Sterblichkeit 
unter  ihren  Kindern,  wenigstens  in  Cumberland-Sund,  außerordentlich  groß, 
wie  Abbes  bezeugt. 

Über  die  Abhärtung  der  Kinder  bei  den  nordamerikanischen  India- 
nern schrieb  Floß:4)  ,.Da  der  Stolz  des  nordamerikanischen  Indianers  vor- 
zugsweise darin  besteht,  daß  er  die  Mühseligkeiten  des  Lebens,  Hunger,  Schmerz 
usw.  tapfer  aushält,  so  sucht  er  die  Tugend  der  Entsagung  und  einen 
hohen  Grad  von  Kräftigung  des  Körpers  seinem  Kinde  bald  nach  der 
Geburt  zu  verschaffen.  Bei  diesem  Bestreben,  die  armen  Kleinen  sofort 
und  möglichst  schnell  abzuhärten,  anstatt  sie  nur  allmählich  an  Ertragung 
gewisser  Einwirkungen  zu  gewöhnen,  gehen  natürlich  viele  derselben  zugrunde. 
....Beaucoup  de  petits  Indiens,""  sagt  Abbe  Domenech,  „„suecombent  en  bas 
äge.  Leurs  parents,  pour  les  endurcir  ä  la  souffrance  et  fortifier  leur  tem- 
perament,  ne  leur  donnent  pas  les  soins  necessaires.  Les  intemperies  des 
saisons  repandent  egalement  parmi  ces  etres  chetifs  un  grand  nombre  de 
maladies  mortelles."" 

Diese  Darstellung  ist  meines  Erachtens  nicht  ganz  richtig.  Ich  habe 
bereits  in  meinem  Buch  „Des  Indianers  Familie,  Freund  und  Feind"  an  ver- 
schiedenen Stellen  nachgewiesen,  daß  die  Kindespflege  und  Kindererziehung 
der  Indianer  keineswegs  immer  eine  von  Gründen  und  Zwecken  eingegebene 
und  geleitete  ist,  sondern  daß  Zorn,  Trunk-  und  Spielsucht,  sowie  Nachlässigkeit, 

1)  n,  4. 

2)  Bei   Ploß,  ebenda  S.  22. 

3)  2.  Aufl.  II,  339. 
*)  Ebenda  S.  4. 

Ploß-Renz.  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  27 


418     Kap-  XLIV.    Pflege.  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

natürliche  Eoheit  und  andere  Schattenseiten  im  Charakter  der  Indianer  zum 
Teil  jene  Erscheinungen  in  der  Kindespflege  hervorrufen  und  auch  schon 
früher  hervorgerufen  haben,  welche  gewisse  Optimisten  als  bezweckte  Ab- 
härtungen des  Kindes  bezeichnen.  So  beobachtete  z.  B.  Boiler  im  Winter- 
lager der  Gros  Ventres.  einem  Sioux-Stamm.  daß  die  kleinen  Kinder  oft 
lange  im  Freien  auf  dem  Eis  liegen  bleiben  mußten,  weil  ihre  Mütter  oder 
Wärterinnen  eben  in  ein  Spiel  vertieft  waren,  das  Stunden  in  Anspruch  nahm.  — 
Ein  Beweis  gegen  die  instinktive,  vielfach  bezeugte  Liebe  der  Indianer  zu 
ihren  Kindern  ist  das  freilich  nicht,  will  es  auch  gar  nicht  sein.  Ebensowenig 
soll  damit  die  Tatsache  angezweifelt  werden,  daß  die  Liebe  vieler  Indianer 
so  weit  geht,  daß  sie  bei  Hungersnot  lieber  selbst  hungern,  als  daß  sie  ihre 
Kinder  hungern  ließen.  —  Von  den  Potowatomie  schrieb  Floß1),  daß  sie 
scllisi  blödsinnige  und  arbeitsunfähige  Kinder  „wohl  verpflegen".  Selbstver- 
ständlich müssen  wir  auch  dieses  „wohl  verpflegen1'  von  dem  tiefen  Stand- 
punkt  der   hygienischen   Kenntnisse    der   Indianer    beurteilen'-'). 

Sehen  wir  uns  nach  den  alten  Kulturvölkern  von  Mittel-  und 
Südamerika  um,  so  erfahren  wir  von  Bancroft,  daß  die  Mayas  ihre  Säuglinge 
reichlich  nährten,  im  übrigen  aber  ihre  Kinder  früh  an  Abhärtung  gewöhnten. 
Man  ließ  sie  unbekleidet  und  wies  ihnen  den  bloßen  Boden  als  Nachtlager  an. 

Die  Azteken  (Nahua)  scheinen  ihre  Kinder  nach  festgesetzten  Regeln 
ernährt  zu  haben.  Nach  Bancroft  war  jedem  dreijährigen  Kind  pro  Mahlzeit 
ein  halber  Brotkuchen  zugemessen;  Kinder_mit  vier  oder  fünf  Jahren  erhielten 
einen  ganzen.  Von  sechs  bis  dreizehn  Jahren  gab  es  eineinhalb  Kuchen:  dann 
folgten  zwei.  — 

Ein  Bild  ähnlich  jenem,  das  Weule  von  der  Kinderpflege  auf  dem  ost- 
afrikanischen Makondeplateau  entwarf,  lieferte  im  18.  Jahrhundert  der  Missionar 
Josef  Och  von  den  Pima-Indianern  in  Mexiko,  welche  jetzt  zu  den  kulti- 
viertesten Indianern  gehören.  Halbe  Tage  ließen  sie  ihre  Kinder  an  der  Sonne 
liegen  und  von  Hunderten  von  Stechmücken  quälen.  Besonders  waren  es  die 
Mädchen,  welche  unter  der  Nachlässigkeit  ihrer  Eltern  zu  leiden  hatten,  wes- 
halb sehr  viele  im  zartesten  Alter  starben. 

Der  Abhärtung  der  Kinder  durch  kalte  Bäder  im  alten  Peru  wurde 
schon  früher  gedacht.  Nach  Picard*)  bekamen  die  Kleinen  zu  dem  gleichen 
Zweck    in   den   ersten   drei  Monaten   auch   keine  Hülle.  Damit    stimmen 

freilich  andere  Berichte  nicht  überein.  welche  uns  das  Kind  der  Inka-Peruaner 
von  seiner  ersten  kalten  Waschung  nach  der  Geburt  bis  zum  Beginn  des 
zweiten  Jahres  in  Windeln  verführen  (vgl.  Bd.  1,  S.  245). 

I  »ie  jetzt  ausgestorbenen  Abiponer  in  Brasilien  und  Paraguay  suchten 
nach  Dobrizhoffer*)  von  ihren  Kindern  alle  schädlichen  Einflüsse  des  Klimas 
durch  sorgfältige  Vorkehrungen  abzuhalten. 

Von  den  brasilianischen  Coroados  hingegen  berichtete  Prinz  .1/" 
Neuwied,  daß  sie  ihren  Kindern  wenig  Pflege  angedeihen  ließen5). 

Damit  stimmt,  was  n>n  Martins  aus  Brasilien  schrieb:  ..Zur  Sorge  tili 
die  Kinder  scheint  das  der  Khe  analoge  Bündnis  unter  den  Wilden  nicht  zu 
verpflichten.  Nicht  selten  erliegen  die  unmündigen  Kinder  dem  Hungertode, 
oder  sterben  aus  anderen  l'rsachen  unmenschlicher  Vernachlässigung0)". 


\ml.  II.  337. 
-\  Zweckmäßig  erscheint   die  Erziehung  des  Sioux-Knaben  Ohiyesa  in  §  295.     Es 
wird  rl.cn  auch  unter  den  Indianern  mil  der  Individualität  der  Väter  und  Mütter  zu  rechneu  sein. 
»)  Bei  Ploß.  2.  Aufl.  II,  9 
*)  Bei   Ploß,  2.  Aufl.   II.  6. 
6)   Bbem 
s)  I  -     t09 


§  292.     Charakterbild,  u.  Züchtig,  d.  Kindes  b.  ludo- Europäern,  Semiten  u.  Hamiten.     419 

Einen  Einblick  in  die  Kindespfiege  der  Feuerländer  gestattet  Dartoins 
Mitteilung,  ein  Weib  habe  sieb  mit  ihrem  Kind,  das  kaum  einige  Wochen  alt 
sein  konnte,  unter  starkem  Hagel  aus  lauter  Neugierde  auf  dem  Schiffsverdeck 
herumgetrieben,  während  die  Schlössen  ihr  und  ihrem  Kind  auf  der  Haut 
schmolzen1). 

§  292.    Charakterbildung2)  und  Züchtigung  des  Kindes  bei  Indo-Europäern, 

Semiten  und  Hamiten. 

Liebe  und  Ehrfurcht  gegen  die  Eltern.  Heldenmut,  Berufstüchtigkeit, 
häuslicher  Sinn.  Weisheit  und  Klugheit  im  öffentlichen  Leben  und  ein  auf  den 
Vater  zurückstrahlender  Ruhm:  das  war  das  Ideal,  welches  der  alte  Inder 
bei  der  Charakterbildung  seines  Sohnes  im  Auge  hatte.  Ein  solcher  Sohn 
war  Gottes  Geschenk  und  wurde  dem  zuteil,  der  Gott  huldigte.  „Ein  Beter 
verneigt  sich,  wie  ein  Knabe  vor  seinem  herannahenden  Vater,  dem  er  seine 
Ehrfurcht  bezeigt",  schrieb  Ploß3)  im  Hinweis  auf  ein  altindisches  Dichterwort 
und  machte  uns  damit  mit  einer  altindischen  Form  kindlicher  Pietät  bekannt.  - 
Buddhistische  Legenden  lassen  die  Söhne  bei  der  Begrüßung  ihrer  Väter  diesen 
zu  Füßen  fallen.  —  Das  Gesetz  selbst  schärfte  den  Kindern  Ehrfurcht  vor 
ihren  Eltern  ein  und  berechtigte  die  Väter  und  Lehrer,  ihre  Kinder,  wie  ihre 
Frauen  und  Diener,  mit  Schlägen  zu  züchtigen,  wozu  Bambusrohr  benutzt 
werden  durfte.     Aber  nur  auf  den  Hinteren  waren  die  Schläge  erlaubt. 

Daß  die  Strenge  gegen  die  Kinder  nicht  übermäßig  war,  dürfte  aus  einer 
anderen,  von  Ploß  zitierten4),  Dichterstelle  geschlossen  werden,  nach  welcher 
die  lustige  Kinderschar  sich  im  Hause  tummelte,  „gleich  den  schmucken  Füllen 
oder  spielenden  Kälbern  im  Stalle,  solange  sie  Milch  trinken". 

Ein  weniger  anmutiges  Bild  der  Kindererziehung  bietet  das  neuzeitliche 
Indien,  auf  welches  §  294  und  §  301  zurückkommt.  Hier  sei  nur  eine  Form 
barbarischer  Züchtigung  in  Madras  erwähnt,  welche  wir  später  auch  in  Afrika 
und  Amerika  antreffen  werden,  d.  h.  das  Einreiben  der  Augen  mit  Pfeffer5). 
Das  Mittel  soll  übrigens  nicht  nur  züchtigen,  sondern  auch  die  Sehkraft  stärken. 

Zu  den  Zielen  der  altpersischen  Charakterbildung  gehörte  nach  Herodot 
Unerschrockenheit  und  Wahrheit.  —  Im  neuzeitlichen  Persien  sieht  man 
vor  allem  darauf,  daß  die  Knaben  frühzeitig  die  äußeren  Anstandsformen 
kennen  und  beachten.  Dazu  gehört,  daß  sie  sich  in  Gegenwart  älterer  Leute 
ruhig  verhalten  und  keine  kindische  Frage  an  sie  richten.  Überhaupt  sollen 
sie  nicht  widersprechen  und  von  Jugend  auf  eine  gewisse  Würde  behaupten. 
Kindlicher  Mutwille  und  kindliche  Lebhaftigkeit,  welche  uns  an  den  Knaben 
gefällt,  wird  in  Persien,  besonders  in  Gegenwart  von  Fremden,  streng  getadelt. 
Man  verbietet  den  Kindern  auch  jede  rasche  Bewegung  und  erzieht  sie  zum 
Phlegma.  -  Dank  dieser  Methode  sieht  man  nach  Polak  bereits  achtjährige 
Knaben  in  Abwesenheit  oder  nach  dem  Ableben  ihrer  Väter  den  Ehrenplatz 
in  der  Familie,  als  deren  Haupt,  einnehmen,  die  Eintretenden  begrüßen,  sie 
nach  ihrem  Befinden  fragen  und  die  Diener  anweisen,  den  Gästen  Kaffee  und 
Pfeifen  zu  reichen. 

Der  Charakter  beider  Geschlechter  wird  zweifellos  stark  beeinflußt 
durch  deren  Absonderung  vom  siebenten  Lebensjahr  an,  wie.  Pohl-,  oder  vom 

')  Ebenda  S.  4. 

2)  Da  selbstverständlich  auch  die  intellektuelle  Bildung  sowie  die  praktische  Arbeit, 
die  Erziehung  zur  Keuschheit,  zum  Ahnen-  und  Götterkult  usw.  wichtige  Faktoren  bei  der 
Entwicklung  des  Charakters  sind,  so  möge  der  Leser  die  folgenden  Kapitel  zur  Ergänzung 
des  vorliegenden  heranziehen. 

a)  2.  Aufl.  II,  350. 

4)  Ebenda  S.  351. 

5)  Ploß,  ebenda  S.  332.  —  Wie  es  übrigens  im  alten  Indien  mit  der  Erziehung  in  der 
Praxis  aussah,  weiß  ich  nicht.     Diese  weicht  bekanntlich  meist  von  der  Theorie  ab. 

27* 


420      Kap,  XLIV.    Pflege.  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

achten.  meMla  C.  SyJces  schreibt.  Bis  dahin  verbringen  Knaben  und  Mädchen 
ihre  Zeit  im  „Anderun",  dem  Frauenabtei]  des  Hauses;  aber  dann  werden  sie 
mehr  oder  weniger  streng  von  einander  geschieden,  eine  Erziehungsmethode. 
welche  ja  auch  manchen  anderen  Völkern  gemeinsam  ist,  bzw.  war. 

Hierher  gehören  die  alten  Hellenen,  deren  Töchter  bis  zu  ihrer  Verheiratung 
der  mütterlichen  Obhut  in  häuslicher  Zurückgezogenheit  unterstanden,  während 
die  Söhne  vom  G.  Lebensjahre  an  eine  Erziehung  genossen,  die  sie  für  das 
öffentliche  Leben  und  Virken  vorbereitete.  Von  diesem  Alter  an  bekamen 
die  Knaben  Haussklaven  als  Pädagogen  an  die  Seite.  Diese  mußten  ihre  Zög- 
linge in  die  Gymnasien  und  Didaskalien  (musikalisch-literarische  Schulen)  be- 
gleiten, was  auch  in  anderen  hellenischen  Staaten  üblich  war.  Auf  der  Straße 
hatte  der  Knabe  mit  gesenktem  Haupt  zu  gehen,  älteren  Leuten  auszuweichen, 
in  ihrer  Gegenwart  zu  schweigen,  die  Gewänder  schicklich  zu  tragen  usw. 

Die  Erziehung  der  Söhne  armer  im  Krieg  gefallener  Bürger  beauf- 
sichtigte der  athenische  Staat  selbst  in  öffentlichen  Bildungsanstalten. 

Bei  der  Gemütsbildung  des  jungen  Atheners  legte  man  viel  Gewicht  auf 
die  Musik;  technische  Fertigkeit  auf  den  von  ihnen  gespielten  Instrumenten: 
Kythara,  Lyra  und  Flöte  war  weniger  bezweckt.  In  Sparta  glaubte  Lykurg, 
durch  die  Pflege  der  Musik  in  den  jungen  Leuten  heroische  Gesinnungen 
hervorrufen  zu  können1).  - 

Wie  wenig  der  Hellene  den  günstigen  Einfluß  einer  vernunftgemäßen 
Geistesbildung  auf  den  Charakter  des  Mädchens  und  der  Frau  kannte,  gehl 
daraus  hervor,  daß  bei  ihnen  höhere  Bildung  fast  nur  bei  Hetären  zu  finden 
war.  Das  übrige  weibliche  Geschlecht  war  auf  ein  verborgenes  Hausleben, 
auf  Spindel  und  Webstuhl  angewiesen.  Was  solch  mangelhaft  gebildete  Frauen 
ihren  Männern   nicht  bieten  konnten,  suchten  diese  bei  geistreichen  Hetären. 

Auf  die  intellektuelle  Ausbildung  der  Mädchen  im  engeren  Sinne  legte 
zwar  auch  Sparta  wenig  Gewicht;  aber  hier  genossen  wenigstens  beide  Ge- 
schlechter eine  ähnliche  Erziehung,  d.  h.  die  Mädchen  nahmen  an  den  gym- 
nastischen Übungen  der  Knaben  teil  und  erfreuten  sich  einer  den  Athenerinnen 
unbekannten  Freiheit,  was  ihnen  allerdings  eine  gewisse  Derbheit  des  Körpers 
und  Charakters  verlieh2). 

Die  Erziehung  trug  in  Sparta  vorherrschend  staatlichen,  nicht,  wie  in 
Athen,  privaten  Charakter.  Die  Knaben  überließ  der  Staat  nur  bis  zum 
siebenten  Lebensjahr  der  häuslichen  Zucht.  Dann  ordnete  er  sie.  nach  Alters- 
stufen in  Scharen  mit  Vorgesetzten,  denen  sie  Gehorsam  schuldig  waren. 
Ehrfurcht  gegen  das  Gesetz  sollte  ja  auch  die  Bürger  beseelen. 

Eine  ähnliche  Organisation  fand  sich,  nach  Wachsmuth,  auch  auf  Kreta, 
wo  sie  aber  eher  den  Charakter  eines  aristokratischen  Freundschaftsbundes 
trug.  Hier  waren  es  die  Söhne  reicher  und  angesehener  Bürger,  welche  jüngere 
siebzehnjährige  Jünglinge  um  sich  sammelten.  Bis  zu  17  Jahren  blieb  hier 
die  männliche  .lugend  im  väterlichen  Haus  unter  Pädonoinen. 

Der  männlichen  .lugend  fehlte  es  im  alten  Griechenland  nicht  an  Schlägen. 
Nach  Wachsmuth  gab  es  eigene  Geißelträger 8).  Jeder  ältere  Bürger  hatte 
das  Recht  und  die  Pflicht,  sich  in  die  Erziehung  zu  mischen,  konnte  die  ihm 
begegnende  Jugend  zur  Bede  stellen,  tadeln  und  strafen,  ja,  war  bei  Unter- 
lassung dieser  Pflicht  selbst  straffällig.  Floß*)  wies  auf  Pouquevillea 
mälde  von  Griechenland"   hin,  unter  welchem  Tafel  Hü  eine  altgriechische 


')  Vgl.  §  300. 

-i  Ploß,   -'    Autl.   II.  349.     Nach  Josef  Müller   hatten    die  spartanischen  .Mädchen  ge- 
BOnderte  I   bungsplätze.  —  Das  c'ilTontliehe  Leben  der  Mädchen  hörte  mit  ihrer  Verheiratung 

3)  Das    gilt    auch    für  Sparta,   wo   die  Mastigophoren   den    Erziehern  (-»iöov<Sjj.o;)   zur 
Vollziehung  di  r  Strafen  zugewiesen  waren  iPIoß.  '2.  Aufl.  II,  349). 

4)  Ebenda.   Anm 


§  292.     Charakterbild,  u.  Züchtig,  d.  Kindes  b.  Indo-Europäern,  Semiten  u.  Hamiteu.      421 

Schule  darstelle,  in  welcher  ein  Knabe  mit  der  Rute  gezüchtigt  werde;  ferner 
auf  eine  kleine  Terracotta-Gruppe  im  Berliner  Archäologischen  Museum, 
die  einen  altgriechischen  Pädagogen  vorstelle,  der  eben  einen  Knaben  züchtige. 
In  Rom  hingegen  hielt  es  der  ältere  Cato  bei  aller  Strenge  für  sünd- 
haft. (Frau  und)  Kinder  körperlich  zu  züchtigen,  wie  Mommsen  schrieb.  Die 
Lehrer  allerdings  sparten,  nach  den  folgenden  Versen  aus  Plautus  zu  urteilen, 
die  Schläge  nicht.  Freilich  meinte  Mommsen,  es  sei  zweifelhaft,  ob  diese 
Verse  sich  auf  römische  Verhältnisse  beziehen. 

„.  .  .  Wenn  nun  du  darauf  nach  Hause  kamst, 
In  dem  Jäckchen  auf  dem  Schemel  saßest  du  zum  Lehrer  hin ; 
Und  wenn   dann  das  Buch  ihm  lesend  eine  Silbe  du  gefehlt, 
Färbte  er  dir  deinen  Buckel  bunt  wie  einen  Kinderlatz."  — 

Ganz  ideal  hört  sich's  an,  was  Tacitus  über  die  Kindererziehung  zur 
Zeit  der  römischen  Republik  schrieb.  In  Wirklichkeit  mag  sie  wohl  auch 
ihre  Schattenseiten  gehabt  haben.  Es  ist  ja  die  Schwäche  des  Menschen, 
zeitlich  und  örtlich  Entferntes  zuungunsten  des  Gegenwärtigen  zu  preisen. 
Auch  dürfte  Tacitus  einerseits  den  von  ihm  angeführten  mustergültigen 
Müttern  der  Gracchen.  Cäsars  und  Augustus  doch  zu  großen  Anteil  am 
Ruhm  und  an  der  Genialität  dieser  Männer  zugesprochen  und  zugleich  diese 
Fälle  verallgemeinert  haben.  Genies  verdanken  eben  ihre  Genialität  nicht 
wesentlich  ihrer  Erziehung.  -■  Immerhin  möge  hier  das  Lob  des  Tacitus1) 
auf  die  altrömische  Kindererziehung  folgen: 

...Man  verbarg  damals  die  von  tugendhaften  Müttern  gebornen  Kinder 
nicht  in  der  abgelegenen  Wohnung  einer  gedungenen  Amme.  Sie  wurden  in 
den  Armen  und  an  der  Brust  ihrer  Mutter  auferzogen,  deren  größter  Ruhm 
darin  bestand,  ihrem  Hauswesen  vorzustehen  und  sich  ihren  Kindern  zu  widmen. 
Man  wählte  damals  immer  ältere,  durch  Sittenreinheit  ausgezeichnete,  Ver- 
wandte, denen  man  die  junge  Familie  anvertraute;  vor  einer  solchen  wägte 
man  weder  etwas  zu  sagen,  noch  zu  tun,  was  gegen  die  guten  Sitten  verstieß. 
Eine  solche  bewährte  Erzieherin  überwachte  nicht  bloß  die  Beschäftigungen, 
auch  die  Erholung  und  die  Spiele,  bei  denen  Bescheidenheit  und  Anstand 
nie  fehlte.  Auf  diese  Weise  leiteten  Cornelia,  die  Mutter  der  Gracchen,  Aurelia, 
die  Mutter  Cäsars,  und  Atia,  die  Mutter  des  Augitstus,  die  Erziehung  ihrer 
Kinder  und  bildeten  aus  ihnen  die  größten  Männer  ihres  Jahrhunderts.  Durch 
diese  weise  Erziehungsart  nahm  die  Natur,  die  sich  in  ihrer  Reinheit  und 
Unverdorbenheit  erhielt,  die  keine  unsittlichen  Eindrücke  empfing,  ohne  alle 
und  jede  Zerstreuung  die  nützlichen  Erziehungsmittel  in  sich  auf,  die  man  ihr 
bot,  und  sie  widmeten  sich  ausschließlich  den  gewählten  Wissenschaften,  sie 
mochten  den  Krieg,  das  Recht  oder  den  Rednerstuhl  betreffen.  Jetzt  ist  das 
ganz  anders!  Sobald  ein  Kind  geboren  ist,  überläßt  man  es  der  Dienerschaft, 
etwa  irgend  einer  Griechin,  der  man  einen  oder  zwei  Sklaven  zugibt,  nur  zu 
oft  die  schlechtesten  der  Haushaltung,  die  zu  keinem  ernsten  Geschäft  geschickt 
sind.  Die  Tollheiten  und  Irrtümer  derselben  sind  nun  die  ersten  Keime,  die 
in  den  weichen  Köpfen  sprossen,  und  kein  Mensch  im  ganzen  Hause  hält  es 
der  Mühe  wert,  auf  das  zu  achten,  was  von  dem  jungen  Kinde  gesprochen 
wird  und  geschieht.  Ja  noch  mehr.  Die  Väter  selbst,  anstatt  ihre  Kinder 
von  frühester  Zeit  an  an  gute  Sitten  und  an  Bescheidenheit  zu  gewöhnen, 
sinl  vielmehr  die  ersten,  welche  die  Zerstreuungen  derselben  gut  heißen,  ja 
wohl  gar  anordnen,  die  dann  nach  und  nach  den  Rest  der  Scham  und  der 
Achtung  vor  sich  selbst  und  anderen  entfernen."  — 

Ein  eigenartiges  Zuchtmitte],  nämlich  Kl3Tstierspritzen,  finden  wir  bei 
einem  romanischen  Volk  unserer  Zeit.     Julita   Michael  teilte  mir  aus  ihren 


x)  Nach  der  Übersetzung  aus  der  2.  Aufl.  lt.  350. 


422      Kap.  XL1V.    Pflege,  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  herauw.  Kindes. 

Erfahrungen  in  Catalonien  mit,  daß  dort  in  jeder  Kinderstube  eine  solche 
Spritze  hänge,  wie  die  Rute  unter  uns  Deutschen.  Das  sei  das  wirksamste 
Schreckmittel.  — 

Die  alten  Nord-Germanen  hatten,  wie  die  alten  Kelten,  den  Brauch. 
ihre  Kinder  Verwandten  und  Freunden  zur  Erziehung  zu  geben,  und  zwar 
mit  Vorliebe  solchen,  die  geringeren  Standes  waren,  woraus  man  vielleicht 
schließen  darf,  daß  sie  ihren  Kindern  von  klein  auf  Einfachheit  einprägen 
hissen  wollten,  wenn  nicht  anzunehmen  ist.  daß  Vornehmere  sich  nicht  die 
Mühen  der  Erziehung  aufbürden  ließen.  So  übergab  Eiriek  von  Hordaland 
seine  Tochter  Gydha  einem  reichen  Bauern,  der  damit  sowohl  die  leihliche 
Pflege  als  auch  die  sonstige  Ausbildung  des  Kindes  übernahm1). 

Von  den  Südgermanen  ist  ähnliches  bekannt.  Die  Fürstentochter 
Gudrun  wurde  zur  Zucht  ihren  Verwandten  nach  Dänemark  gesandt  und 
ihr  Bruder  Ortunn  dem  Alten  von  Sturmland  übergeben.  -  -  Im  Mittelalter 
kamen,  zunächst  wohl  nur  in  den  Familien  der  Könige,  Fürsten  und  übrigen 
Edeln,    Zuchtmeister    (althd.    Magaczogo.    inhd.    magezoge)    auf.  „Hoher 

Herren  Kinder."  sagte  der  volkstümliche  Prediger  Berthold  von  Regensburg 
im  13.  Jahrhundert,  „erhalten  Zuchtmeister,  die  .Jungfrauen  Zuchtmeisterinnen, 
die  allzeit  bei  ihnen  sind  und  sie  Zucht  und  Tugend  lehren."  —  Die  armen 
Leute,  welche  solche  Zuchtmeister  und  Zuchtmeisterinnen  nicht  halten  konnten, 
ermahnte  Berthold,  sie  sollten  selbst  ihren  Kindern  Zucht  und  Tugend  bei- 
bringen; denn  sie  und  ihre  Kinder  hätten  das  Himmelreich  eben  so  nötig  wie 
die  Vornehmen.  Wie  das  geschehen  solle,  gibt  er  in  folgendem  au:  „In  der 
Zeit,  da  das  Kind  zu  sprechen  anfängt,  sollt  Ihr  ein  kleines  Rüthelein  bei  Euch 
haben,  das  jederzeit  in  der  Diele  oder  in  der  Wand  steckt,  so  sollt  Ihr  ihm 
ein  Schnitzlein  geben  auf  die  bloße  Haut.  Ihr  sollt  es  aber  nicht  auf  das 
bloße  Haupt  schlagen,  wenn  Ihr  es  nicht  wollt  zu  einem  Toren  machen.  Tut 
Ihr  nicht  also,  so  werdet  Ihr  Kummer  an  dem  Kinde  erleben-)." 

Im  17.  Jahrhundert  schrieb  J.  A.  Comenius*):  „Mit  vernünftigem,  zeit- 
lichem Schelten  und  Loben  kann  man  viel  bei  Kindern  ausrichten,  ebenso  wie 
auch  bei  anderen  Leuten.  Hilft  das  nicht,  so  folgt  der  andere  Grad  der  Strafe. 
nämlich  mit  der  Kuthe  schmeißen  oder  mit  der  Hand  klopfen,  zu  dem  Ende, 
daß  das  Kind  in  sich  schlage,  sich  schäme  und  künftig  besser  acht  auf  sich 
gebe.  Hier  muß  ich  billig  eifern  über  die  Affen-  und  Eselsliebe  etlicher  Eltern, 
welche  ihren  Kindern  alles  nachsehen  und  sie  ohne  alle  Zuchtruthe  aufwachsen 
lassen  etc.  Es  hat  ein  verständiger  Mann  weislich  gesagt,  daß  wenn  gleich 
ein  Kind  ein  Eingel  wäre,  so  bedürfe  es  doch  der  Rute.  I>r.  Geiler  (von  Kaysers- 
berg),  der  alte  berühmte  Straßburger  Prediger,  hat  von  solchen  Eltern,  die 
ihre  Kinder  nicht  züchtigen,  nicht  übel  eine  Figur  gestellt,  da  sich  die  Kinder 
raufen  (in  den  Haaren),  schlagen,  mit  Messern  stechen,  und  der  Vater  dabei 
mit  zugebundenen  Augen  steht." 

Floß,  der  dieses  Zitat  der  2.  Auflage  einverleibte,  schrieb:  Die  Pute  war 
von  jeher  ein  rechtes  deutsches  Erziehungsmittel:  so  erklärt   denn   auch   der 


gl.  §  300.  Ähnlichen  Bräuchen  begegnen  wir  in  dein  vorliegenden,  sowie  in 
Kapitel  LIY.  noch  bei  verschiedenen  anderen  Völkern.  Die  modernen  Pensionate  bilden  ein 
A  aalogon  _ 

•i  Über  die  körperliche  Bewegung  der  Kinder  im  deutschen  Mittelalter  schrieb 
Plop  (II,  862):  „Ohne  Zweifel  wurden  die  Kinder  der  Deutschen  in  der  Zeit  bis  ins  Mittel- 
alter hinein  so  erzogen,  daß  die  freieste  Entfaltung  ihrer  jugendlichen  Kraft  möglich  war. 
Die  Kinder  waren  nicht  in  dumpfe  enge  Stuben  eingeengt,  denn  in  den  großen  Städten  waren 
die  Gemächer  weit  und  hoch  und  der  Marktplatz  breit.  Anger  und  Trift  boten  sich  zu  Lauf 
und  Spii  dai  ;  auch  i  dei  B  en  nahm  der  Burghof,  draußen  der  Wallgraben,  die  spielende 
Ju  gen 

3)  Hin  geborner  Mähre,  Siehe  dessen  ausgewählte  Schriften,  Ausg.  Beeger  und 
Leutbecher,   Leipzig,  II.  8.   is. 


^  292      Charakterbild,  u.  Züchtig,  d.  Kindes  b.  Indo- Europäern,  Semiten  u.  Hamiten.     423 

Volksmund:  Frische  Ruten,  fromme  Kinder;  Rut  macht  böse  Kinder  gut;  kein 
Streich  verloren,  als  der  daneben  fällt;  mit  den  Ruten  schlägt  man  dem  Hintern 
kein  Bein  entwei  usw.  Wenn  es  dann  noch  heißt:  Allzu  gelind,  zieht  böse 
Kind  —  so  begreift  man,  daß  das  Rutenküssen  eine  ganz  übliche  Erziehungs- 
sitte  war.  welche  Grimm  aus  Geiler  von  Kaysersberg  (Christi.  Bilder)  nach- 
wies: „Wenn  man  ein  Kind  houwt,"  sagt  Geiler,  „so  muß  es  dann  die  ruoten 
küssen  und  sprechen: 

Liebe  ruot,  true  ruot, 

werestu  (nieht?),  ich  thet  nierner  guot; 

sie  küssen  die  ruot  und  springen  darüber,  jo  sie  hupfen  darüber."  Noch  in 
unseren  Tagen  hat  die  Kinderwelt  dieses  alte  Sprüchlein  als  Reminiszenz 
aus  früher  Zeit  aufbewahrt:  A.  Schleicher  fand  in  der  Umgegend  von  Sonne- 
berg  in  Thüringen,  daß  die  Kinder  sangen: 

,. Liiwa  ruut, 

Mach  mich  guut. 

Jlach  mich  frum, 

Daß  ich  nei  is  himela  kum."    — 

Welche  Ungeheuer  es  übrigens  unter  den  Erziehern  der  deutschen  Jugend 
gab.  geht  aus  folgendem  hervor: 

Erasmus  Alberus,  geb.  um  1500  in  der  Wetterau.  sah  als  Schulknabe 
oft.  daß  man  den  armen  Kindern  die  Köpfe  an  die  Wand  schlug.  Er 
selbst  hatte  noch  Ärgeres  zu  erdulden.  Wenn  sein  Schulmeister  zu  Xidd 
betrunken  war.  dann  zog  er  den  Knaben  vom  Strohsack,  auf  dem  dieser  schlief. 
herab,  und  bei  den  Füßen  auf  dem  Boden  herum.  Auch  ließ  er  ihn  an  einer 
Stange  hinaufklettern,  die  er  dann  umfallen  ließ.  „Das  sollte  gute  ingeiiia 
machen."  Zum  Alischluß  dieses  grausen  Spieles  wurde  der  Knabe  in  einem 
Sack  vor  das  Fenster  gehängt.  —  Johann  Jacob  Haeberle  soll  noch  in  der 
ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  während  seiner  51  jährigen  und  7  monat- 
lichen Amtsführung  an  seine  Schüler  ausgeteilt  haben: 

911517  Stockschläge, 
24  010  Rutenhiebe, 

20  989  Pfötchen  und  Klapse  mit  dem  Lineal, 
136  715  Handschmisse, 
10  235  Maulschelle:!. 
7  905  Ohrfeigen, 
1115  800  Kopfnüsse  (Puff,  Schlag  auf  den  Kopf), 
12  763  Notabenes  mit  Bibel  und  anderen  Büchern. 
777  mal  ließ  er  auf  Erbsen  knipen. 
613  mal  auf  dreikantiges  Holz; 
5  001   Schüler  hatten  den  Esel  tragen  und 
1  707  die  ßute  hochhalten  müssen. 

Unter  seinen  3000  Schimpfwörtern  waren  ein  Drittel  eigene  Erfindung, 
schreibt  Rudolf  Eclart. 

Einen  wohltuenden  Gegensatz  zu  diesen  Roheiten  bilden  zwei  Sdiul- 
reglements  für  das  Herzogtum  Cleve  und  die  Grafschaft  Mark  aus  dem 
Jahre  1782.  welche  vom  Lehrer  Maßhaltung  im  Gebrauch  von  Stock  und 
Rute.  Vermeidung  bäurischen  Scheltens  und  Vertiefung  in  die  Eigenart  des 
Kindes  verlangten.  — 

Die  alttestamentlichen  Juden  suchten  ihre  Kinder  vor  allem  zur 
Gottesfurcht  und  zur  Ehrfurcht  vor  den  Eltern  heranzuziehen.  „Gott  will, 
daß  die  Kinder  ihren  Vater  ehren,  und  will  und  bestätigt  das  Ansehen  der 
Mutter  über  die  Kinder."  heißt  es  bei  Sirach  3.  3;  ferner:  „Wie  einer,  der 
Schätze  sammelt,  so  ist.  wer  seine  Mutter  ehret.  Wer  seinen  Vater  ehret. 
Wird  Freud  an  seinen  Kindern  haben,  und  an  dem  Tage,  da  er  betet,  erhöret 
werden.     Wer   seinen  Vater   ehrt,   wird  lange   leben,   und   wer   seinem  Vater 


424      Kap.  XLIV.    Pflege,  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

gehorsam  ist.  wird  Trost  seiner  Mutter  bringen.  Wer  den  Herrn  fürchtet, 
ehrt  seine  Eltern  und  dienet  ihnen  als  seinen  Gebietern,  die  ihn  erzeugt  haben. 
Mit  Wort  und  Tat,  und  in  aller  Geduld  ehre  deinen  Vater,  damit  sein  Segen 
über  dich  komme  und  sein  Segen  bis  ans  Ende  daure"  (Sirach  3,  5 — 10). 

Die  zeitliche  Wohlfahrt  hing  also  nach  der  Auffassung  Stretch*  mit  der 
kindlichen  Pietät  innig  zusammen,  und  der  gleiche  Gedanke  ist  schon  in  dem 
von  Moses  gegebenen  vierten  Gebot  ausgedrückt. 

Züchtigung  des  Kindes  galt  im  alten  Testament  als  ein  notwendiges 
Erziehungsmittel:  „Rute  und  Strafe  geben  Weisheit;  der  Knabe  aber,  dem 
sein  Wille  gelassen  wird,  macht  seiner  .Mutter  Schande,"'  lautet  der  15.  Vers 
des  29.  Kapitels  der  Salomon  zugeschriebenen  Sprüche. 

Über  die  Kindererziehung  der  jetzigen  südrussischen  Juden  bemerkte 
S.  Weißeriberg:  Kindlicher  Übermut,  lustige  Streiche.  Herumtreiben  im  Freien 
und  dgl.  werden  scharf  gerügt.  Früh  schon  wird  ihnen  der  Ernst  des  Lebens 
klar  gemacht,  wenn  man  im  allgemeinen  auch  wenig  Strafe  anwendet,  sondern 
mehr  durch  gutes  Beispiel  und  eindringliche  Ermahnungen  wirken  will,  wobei 
man  hauptsächlich  die  Liebe  zu  den  Eltern  und  das  Streben  nach  geistiger 
Entwicklung  zu  fördern  sucht. 

Allerdings  erwähnt  Weißenberg  als  pädagogisches  Schulmittel  der  süd- 
russischen Juden  „häufige  Prügel".  Den  Knaben  werden  solche  auf  den 
Hintern  bei  herabgelassener  Hose  appliziert. 

Ein  ..Erziehungsmotiv  von  großer  Wirkung"  ist  nach  Weißenberg  der 
unermüdliche  Hinweis  auf  den  Gegensatz  zwischen  „Jid"  und  „Goi".  was  in 
der  Gemeinheit  der  niederen  Schichten  der  russischen  Bevölkerung  gründe.  — 

In  Arabia  Petraea  sah  Musil  nie,  daß  ein  Kind  geschlagen  wurde: 
dennoch  haben  die  Kinder  ihren  Eltern  auf  jeden  Wink  gehorcht.  —  John 
F.  Keane  fand,  daß  die  Kinder  in  Mekka,  wie  die  von  ihm  beobachteten 
Kinder  des  Orients  überhaupt,  durch  ihr  gerades  freies  Benehmen  vor  Fremden 
wohltuend  abstechen  gegen  ihre  schüchternen,  zimperlichen  Altersgenossen  in 
England.  Die  mohammedanischen  Kinder,  so  meint  er,  verdanken  das  einer 
„primitiven  Unschuld"1);  in  ihrer  Sprache  finde  sich  kaum  ein  Wort,  das  sie 
nicht  ungeniert  aussprechen  dürfen.  Dabei  zeichne  die  Kinder  weibliche  Anmut 
in  Wort  und  Benehmen  aus,  was  schon  vor  ihm  „viele  Reisenden"  bezeugt 
hätten.  Diese  Anmut  verdanken  die  Kinder  ihrer  Erziehung  im  Harem,  wo 
sie  ihre  ersten  7 — 8  Jahre  zubringen.  —  Einen  weniger  günstigen  Charakter- 
zug erwähnt  Keane  mit  dem  religiösen  Fanatismus,  welcher  den  kleinen 
Muselmanen  in  Mekka  und  anderswo  eingepflanzt  wird.  Das  gefalle  den  Kindern 
übrigens  ganz  gut,  was  bei  der  natürlichen  Disposition  kräftiger  Burschen 
ja  auch  fast  selbstverständlich  ist.  Heulend  verfluchen  sie  den  Ungläubigen, 
während  ihr  Gesicht  froh  aufleuchtet,  wenn  sie  Allah  bekennen.  —  In  einer 
Straße  Mekkas  war  Keane  einmal  nahe  daran,  von  Schulknaben  zu  Tode 
gesteinigt  zu  werden.  Sie  hatten  in  ihm  den  Christen  erkannt.  Dazu  kam  die 
Rachelust,  weil  er  einem  von  ihnen  einen  Fußtritt  versetzt  hatte. 

Aber  auch  abgesehen  von  ihrem  religiösen  Fanatismus  gehören  die 
orientalischen  .hingen  im  sogenannten  Flegelalter,  d.  li.  in  der  Zeit  des  Über- 
ganges vom  Knaben  zum  Mann.  ..zu  den  unangenehmsten  Geschöpfen",  wie 
Keane  sich  ausdrückt.  Der  Umgang  mit  den  rohen  Männern  benimmt  ihnen 
bald  alle  ihre  frühere  Anmut. 

Ken  günstigen  Kindruck,  welchen  dieser  Forscher  von  der  Kindererziehung 
im  Harem  gewann,  hatte,  wie  wir  schon  erfuhren.  PolaJc  in  Persien  nicht. 
Eb<  i        enig   teiH   ihn   //.  /•'.  von  Behr  nach  seinen  Erfahrungen  im  arabisch- 


1     Wohl  „Ungeniertheit"  gemeint,  was  schon   aus  dem  ..ungeniert  aussprechen*'   folgt. 
Zwischen   „unscl  I  Qiert"   ist   freilich   ein   Unterschied. 


§  292.     Charakterbild,  u.  Züchtig,  d.  Kindes  b.  Indo-Europäern,  Semiten  u.  Hamiten.     425 

suahelischen  Ostafrika,  von  Behr  schreibt  nämlich:  Von  einer  Frau,  die 
in  den  Haremsanschauungen  groß  geworden  ist.  kann  eine  Kindererziehung 
über  die  körperliche  Pflege  hinaus  nicht  erwartet  werden,  und  da  auch  der 
Vater  sich  in  den  seltensten  Fällen  um  seinen  Sprößling  kümmert,  wachsen 
die  Knaben  in  ungezügelter  Freiheit  auf.  wenn  man  nicht  etwa  die  arabischen 
Schulen,  in  denen  Araber-  und  Suahali-Knaben  den  Koran  lesen  und  etwas 
Schreiben  lernen,  als  ein  erziehliches  Mittel  betrachten  will.  —  Die  Mädchen 
verlassen  den  Harem  erst  bei  ihrer  Verheiratung. 

Um  Araber  handelt  es  sich  wohl  auch  in  der  folgenden  Notiz  über 
Oberägypten,  welche  Plofi  mit  einem  Hinweis  auf  Klunzinger  der  2.  Auf- 
lage1) einverleibte:  „Die  Kinder  werden  in  Ehrfurcht  erzogen,  die  uns  oft 
despotisch  erscheint.  In  Gegenwart  des  Vaters  zu  rauchen,  zu  sitzen,  mehr 
als  notwendig  ist  zu  sprechen,  wäre  frevelhaft.  Sind  Gäste  da,  so  ißt  der 
Sohn  nicht  mit,  sondern  bedient;  nur  auf  besonderes  Verlangen  des  Gastes 
darf  er  teilnehmen.  Der  jüngere  Bruder  hat  sich  ebenso  gegen  seineu  älteren 
zu  benehmen.-'  —  Damit  stimmt,  was  Lyon  von  den  Arabern  in  Fessan 
schrieb:  Die  Kinder  müssen  ihren  Vätern  tiefe  Ehrfurcht  erweisen.  In  vor- 
nehmeren Familien  dürfen  die  Söhne  in  Gegenwart  ihres  Vaters  weder  sitzen, 
noch  essen.  Ärmere  Leute  sind  in  dieser  Hinsicht  mit  ihren  Kindern  weniger 
streng.  -  Cromer  rühmt  den  arabischen  Kindern  des  heutigen  Ägyptens  im 
allgemeinen  Hochachtung  vor  ihren  Eltern  und  Gehorsam,  den  Eltern  selbst 
alier  gute  Behandlung  ihrer  Kinder  nach.  Nur  in  sehr  hohen  Kreisen  bestehe 
Mißtrauen  zwischen  Eltern  und  Kindern. 

Die  Schulzucht  ist  im  arabischen  Fessau  und  Ägypten  ebenso  barba- 
risch, wie  sie  früher  bei  uns  war,  und  wie  sie  bei  vielen  Halbbarbaren  ist2). 
Lyon  schrieb:  Die  Fessaner  schicken  ihre  Söhne  gerne  zu  einem  Figi  (Lehrer), 
der  ihnen  unter  Butenstreichen  und  Stockschlägen  auf  Hände  und  Füße  die 
Kunst  des  Schreibens  beibringt  und  sie  zum  Auswendiglernen  des  Korans 
zwingt.  —  Nach  Hartmann  helfen  die  Figi  des  aiabischen  Ägypten  einem 
langsamen  Leser  mit  Peitschenhieben  nach.  - 

Das  altägyptische  Erziehungsideal  war,  nach  den  folgenden  Grund- 
sätzen des  Philosophen  Ptah-Hotep  zu  urteilen,  nicht  weuiger  hoch,  als  jenes 
der  Israeliten.  Freilich  wird  es  sich  bei  einer  Beurteilung  des  endgültigen 
Wertes  der  Erziehung  bei  diesen  beiden  Völkern  um  den  Begriff  des  Gottes 
handeln,  zu  dessen  Liebe  das  Kind  erzogen  weiden,  und  dem  zu  Liebe  es 
seinen  Eltern  gehorchen  sollte.  Die  angedeuteten  Grundsätze  lauten  nach 
.7.    Wolf: 

„Wenn  du  ein  verständiger  Mensch  bist,  so  erziehe  deinen  Sohn  in  der 
Liebe  zu  Gott.  Wenn  er  redlich  ist  und  sich  abmüht  für  dich  und  dein 
Besitztum  im  Hause,  so  gib  ihm  den  besten  Lohn.  Ist  aber  der  Sohn,  den 
du  erzeugt  hast,  ein  schlechter  Mensch,  so  wende  dein  Herz  nicht  von  ihm, 
denn  du  bist  sein  Vater;  vermahne  ihn.  Wenn  er  aber  lasterhaft  wird,  dein 
Gebot*  übertritt,  alle  Beden  in  den  Wind  schlägt  und  sein  Mund  von  bösen 
Beden  überläuft,  so  schlage  ihn  auf  den  Mund,  wie  er  es  verdient.  Besser 
ist  Gehorsam,  denn  alles,  was  lieb  und  gut  ist.  Herrlich  ist  der  Sohn,  der 
aufnimmt  die  Bede  seines  Vaters.  Er  wird  alt  werden,  denn  es  liebt  Gott 
den  Gehorsamen,  aber  den  Ungehorsamen  haßt  Gott/' 

Liebe  und  Ehrfurcht  gegen  Eltern,  Vorgesetzte  und  alte  Leute  brachte 
man  den  Kindern  auch  in  der  Schule  bei.  Wolf  entnimmt  einem  Papyrus 
die  Vorschrift:  ..Bleibe  nicht  sitzen,  wenn  ein  anderer  steht,  der  älter  oder 
höherer  Stellung  ist,  als  du."     Ferner:  ..Antworte  niemals  einem  Hochgestellten, 

')  II,  358. 

e)  Vgl.  die  bisherige   Krziehung  in  f'hinn. 


426     -Kap.  XLIV.    -Pflege,  Abhärtuug,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kiades. 

wenn  er  erregt  ist.  Zeige  dich  ihm  in  Demut,  und  was  zu  sagen  ist,  sei 
angenehm  .  .  ." 

Damit  stimmt  überein,  was  Herodot  schrieb,  nämlich,  daß  die  ägyptischen 
Jünglinge,  wenn  sie  älteren  Männern  begegneten,  ihnen  Platz  machten:  wenn 
ein  älterer,  als  sie  waren,  ihr  Haus  betrat,  standen  sie  vor  ihm  auf. 

Träge  Schüler  durften  von  den  Lehrern  gezüchtigt  werden  (•/.  Wolf).  - 

Einem  eigentümlichen  Erziehungsideal  begegnen  wir  bei  den  Brebern 
oder  Beräbir  in  Zentral-Marokko.  Dieser  Berberstamm  soll  Opfer  dar- 
bringen und  Gebete  verrichten  lassen,  damit  Gott  aus  ihren  Söhnen  tüchtige 
Räuber  und  Diebe  werden  lasse  (Quedenfeldt).  Übrigens  wurde  auch  der 
junge  Spartaner  so  erzogen,  daß  er  sein  Essen  unbemerkt  stehlen  konnte1). 

Wenig  Erziehung,  aber  harte  Strafen  mit  Ruten  und  Fußtritten  bekommen 
die  Söhne  der  Somäl.  Ihre  Nahrung  müssen  sie  betteln,  borgen  oder  stehlen 
{Burton  und  Paulitschke). 

Hingegen  schrieb  Schüret-  von  deu  Enkelkindern  des  greisen  Galla- 
Häuptlings  Tulu:  Sie  waren  so  wohlerzogen,  sauber  und  niedlich,  daß  ich  mich 
nicht  enthalten  konnte,  meine  Perlensäcke  in  bedenklicher  'Weise  zu  plündern. 
Als  Lohn  erhielt  Schuver  von  den  Kindern  einen  sanften  Händedruck,  oder 
einen  keineswegs  furchtsamen  Kuß  auf  beide  Wangen.  -  -  Daß  diese  Kinder 
eine  andere  Erziehung  genossen  als  die  bei  den  Somäl  augedeutete,  dürfte 
ohne  weiteres  klar  sein.  — 

§  293.     Charakterbildung   und   Züchtigung   des   Kindes   hei   Sudan-   und 
Bantuvölkern,  Hottentotten  und  malayisch-polynesischen  Völkern. 

Ploß  schrieb2):  Vou  einer  eigentlichen  Erziehung  ist  unter  den  Negern 
nicht  viel  zu  bemerken;  doch  kommen  einige  pädagogische  Elemente  zum 
Vorschein.  Nach  Mungo  Park  soll  bei  den  Mandingos  die  Mutter  ihre 
Kinder  zur  Wahrhaftigkeit  anleiten,  was  freilich    Wilson  nicht  fand. 

Körperliche  Züchtigung  der  Kinder  variiert  je  nach  Stamm  und  Laune. 
Ploß  hatte  allerdings  geschrieben,  sie  sei  „selten".  —  Nach  Isert  werden  die 
Kinder  vielfach  nur  zu  nachsichtig  behandelt;  wenn  aber  der  Zorn  die  Eltern, 
denen  es  an  Selbstzucht  fehle,  hinreiße,  dann  gehe  es  auch  dem  Negerkind 
schlecht.  —  Damit  hat  Isert  wohl  das  Richtige  getroffen.  So  berichtete 
Caillie'3),  daß  die  Neger  in  Senegambien  bisweilen  sogar  ihren  bereits  er- 
wachsenen Kindern  furchtbare  Schlage  austeilten,  welche  geduldig  aufgenommen 
wurden.  In  der  Regel  sollen  übrigens  die  Kinder  die  Befehle  ihres  Vaters 
pünktlich  ausführen.  — 

Ein  uns  von  Indien  her  bekanntes  barbarisches  Zuchtmittel  fand  Wilson 
bei  deu  Kru-Negern,  östlich  und  westlich  von  Kap  Palmas.  Auch  diese 
rieben  nämlich  ihren  ungehorsamen  Kindern  Pf eff er  in  die  Augen.  Die  Kinder 
schrien  dabei  fürchterlich,  doch  blieb  ihnen,  soweit  Wilson  es  beobachten 
konnte,  kein  nachhaltiger  Schaden  davon. 

Von  den  Negern  der  Goldküste  schreibt  //.  Vortisch:  die  Erziehung 
liegt  bei  ihnen  „sehr  im  argen".  Man  läßt  die  Kinder  tun,  was  sie  wollen 
und  züchtigt  sie  höchstens  im  Zorn. 

Das  Einreiben  der  Augen  mit  Pfeffer  als  Zuchtmittel  für  die  Kinder 
fand  Zündel  auch  bei  den  Ewe,  der  Eauptbevölkerung  von  Togo.  Eine  andere 
strafe  bestellt  bei  diesen  Negern  darin,  daß  sie  (größere?)  ungehorsame  Kinder 
in  einen  mit  roten  Ameisen  gefüllten  Korb  stecken,  um  sie  ordentlich  verbeißen 
zu   lassen.     Die   Kinder  sollen   übrigens   hier   sehr  eigensinnig  und  verwildert 


*ev 


'i   Ploß.  2.  Aufl.   II.  349 

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§  293.     Charakterbild,  u.  Züchtigung   des  Kindes   bei  Sudan-    und  Baütuvölkern   usw.     4^7 

sein,  weil  man  sie  als  klein  nicht  zielte.  Es  heiße,  sie  seien  „ja  noch  nicht 
gewachsen".  Der  Zweck  der  Erziehung  sei.  aus  dem  Kind  und  seiner  Arbeit 
möglichst  viel  Nutzen  zu  ziehen.  Die  Ewe-Sprache  habe  gar  kein  Wort  für 
Erziehung1). 

Etwas  günstiger  lautet  eine  Mitteilung  L.  Conradts  über  die  Ngumba 
im  südlichen  Kamerun:  Hier  wird  dem  Kinde  schon  früh  Gehorsam  gegen 
ältere  Verwandte  und  Ehrfurcht  vor  dem  Alter  beigebracht.  Schon  nach  dem 
■ersten  Lebensjahr,  welches  das  Kind  unter  der  mütterlichen  Pflege  zubringt. 
fängt  auch  der  Vater  an.  sich  um  seinen  Sprößling  zu  kümmern. 

Gehorsam  verlangt  auch  der  Neger  am  unteren  Kongo.  Wenn  das 
Kind  diesem  Verlangen  nicht  nachkommt,  wenn  es  böse  und  eigensinnig  ist. 
dann  wird  es  unter  Umständen  von  seinen  Eltern  verflucht.  Das  geschieht, 
indem  der  Vater  einen  Fetzen  von  seinem  eigenen  Kleid  schneidet,  etwas  vom 
eigenen  Haar  hineinwickelt  und  das  mit  dem  Fluch  verbrennt:  Du  sollst  niemals 
Kinder  bekommen  und  nie  reich  werden.  -  Wenn  dann  das  Kind  sein  Be- 
nehmen ändert,  zu  seinem  Vater  zurückkehrt  nnd  um  Aufhebung  des  Fluches 
bittet,  legt  der  Vater  (sich  selbst?)  drei  Häuflein  Erde  auf  jedes  Knie  und 
spricht  zu  dem  vor  ihm  knieenden  Kind:  Ich  vergebe  dir,  ich  fluchte  dir  nicht 
in  meinem  Herzen,  sondern  nur  mit  der  Zunge,  und  von  nun  an  sollst  du  viele 
und  starke  Kinder  haben  und  reich  werden.  Das  Kind  bläst  oder  schüttelt 
den  Staub  von  den  Knieen.  und  der  Fluch  ist  weg.  Ist  der  Vater  nicht  mehr 
am  Leben,  dann  nimmt  ein  überlebender  Namenskollege,  der  mit  dem  Toten 
befreundet  war.  diese  Zeremonie  vor.  wofür  er  vom  Kind  ein  Huhn  erhält 
{John  H.   Weeks). 

Die  Her ero -Weiber  kümmern  sich  um  die  Fehler  ihrer  Kinder  nicht. 
Sie  lassen  ihnen  frei  die  Zügel  schießen,  und  ..schnell  ist  der  kleine  Kobold 
zum  Quälgeist  und  verlogenen  Teufelchen  herangewachsen--,  wie  H.  v.  Franqois 
schreibt. 

Hingegen  werden  die  Kinder  der  Wapogoro  in  Deutsch-Ostafrika 
häufig  genug  mit  Prügeln  bedacht,  wenn  sie  ungehorsam  oder  bei  der  Arbeit 
unaufmerksam  sind  (Fabry). 

Besser  wieder  halten  es  die  Kinder  in  dieser  Hinsicht  bei  den  Makua 
und  Wayao  im  südlichen  Deutsch-Ostafrika.  Aus  Lukuledi  schrieb  C.  Wehr- 
11,.  ister:  Mit  Schlägen  kann  der  Missionar  bei  den  freien  Negerkindern  nicht 
viel  ausrichten;  dann  würden  die  Jungen  gar  nicht  mehr  zur  Schule  kommen. 
An  Züchtigung  ist  das  freie  Negerkind  eben  wenig  gewöhnt,  weil  Vater  und 
Mutter  die  Rute  nicht  gebrauchen;  ja  nicht  einmal  mit  der  Hand  wird  das 
Kind  geschlagen.  Die  Eltern  machen  großen  Lärm,  wenn  der  schwarze  Lehrer 
der  Missionsschule  eines  ihrer  Kinder  auch  nur  ein  bißchen  schlägt,  und  zu 
der  Erzählung  des  Missionars  von  den  Strafen  der  weißen  Kinder  im  Eltern- 
haus und  in  der  Schule  in  Europa  meinten  die  schwarzen  „Wilden--,  das  sei 
barbarisch.  Nicht  einmal  die  Versicherung,  daß  Gott  selbst  den  Eltern  das 
Züchtigungsrecht  über  ihre  Kinder  gegeben  habe,  konnte  die  Schwarzen  ganz 
beruhigen.  IT'  hrmeister  fügt  dann  bei:  Ganz  ohne  Strafmittel  ist  indes  der 
Neger  nicht;  er  legt  eben  alles  in  seine  Worte  und  kommt  mit  dem  bloßen 
Tadel  aus2).  Die  Neger  sind  hierin  sehr  empfindlich,  und  die  Kinder  fühlen 
auch  diese  Art  Zurechtweisung  von  seilen  ihrer  Eltern,  welche  aber  seihst 
diese  viel  zu  wenig-  anwenden.  Eigentliche  Prügelstrafen  bekommen  die 
Jungen  erst,  wenn  sie  die  Unyago-Zeit  durchgemacht,  d.  h.  die  Pubertäts- 
feier hinter  sich  haben3);  erst  von  da  an  sollen  sie  Anstand  wissen.  Der  katholische 


*)  Bei  Ploß,  2.  Aufl.  II,  343. 

*)  Also  ganz  wie  die  modernen  Amerikaner,   die  ihre  Pädagogik  in  dieser  Hinsicht 
ien  Indianern  entlehnt  zu  haben  scheinen. 
»)  Kgl.  Kap.  XXXVIII  und   LVIII. 


- 


428     Kap.  XLIV.    Pflege,  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

.Missionar  läßt  die  Kinder  ob  kleinerer  Vergehen  niederknieen  und  ein  oder 
zwei  Vaterunser  beten.  Dazu  kommt  unter  Umständen  noch  Entziehung  eines 
Teils  oder  der  ganzen  Speise,  bei  einer  Mahlzeit.  Diese  Strafen  verfehlen  ihre 
Wirkung  nicht  leicht:  denn  mit  dem  Fasten  machen  die  Kinder  gar  nicht 
gerne  Freundschaft.  Indessen  unterziehen  sie  sich  der  Strafe,  ohne  Miene  zu 
machen,  ohne  fortzulaufen,  oder  sich  bei  ihren  Eltern  zu  beklagen.  —  Nach 
dem  I  nyago  besorgt  der  Mkubwa  (Art  Pate)  das  Durchprügeln  seines  Schütz- 
lings, den  er  zu  diesem  Zweck  in  die  Wildnis  nimmt,  wo  er  das  Geschäft 
unter  vier  Augen  abwickelt.  ..Leider  werden  aber  fast  nur  Vergehen  wegen 
Beleidigungen  so  gezüchtigt,  während  es  bei  Diebstahl  und  Dllsittlichkeit 
ohne  Prügelstrafen  abgeht;  bei  Diebstahl  wird  nur  Schadenersatz  gefordert." 
schreibt   Wehrmeister. 

Blinde  Elternliebe  und  Herrschsucht  der  ungezogenen  Söhne  bemerkte 
llnlnh  bei  den  Makololo  und  anderen  Stämmen  im  Süden  vom  Sambesi, 
wo  bereits  zwölfjährige  Knaben  ihren  Eltern  befehlen.  —  Nicht  ohne  Einfluß 
auf  die  Charakterbildung  der  freigebornen  Knaben  dürfte  es  sein,  daß  diese 
Sklavenkinder  zu  Genossen.  Spielgefährten  und  zu  ihrem  künftigen  Troß 
erhalten. 

Den  Kindern  der  Kaffern  und  Betschuanen  rühmten  Alhn-Ii  und 
Lichtenstein  Gehorsam  gegen  ihre  Eltern  nach1). 

Bei  den  Basutos  fand  Chr.  Stech  eine  Art  Religionsunterricht,  der  mit 
..eindringlichsten"  Schlägen  begleitet  war._ 

Die  Xama-Hottentotten  freuen  sich,  wenn  ihre  Kinder  einmal  stark 
genug  sind,  um  ihre  eigenen  Eltern  prügeln  zu  können;  denn  dann  wissen  sie, 
daß  sie  auch  im  Kampf  mit  Feinden  und  wilden  Tieren  bestehen.  So  schrieb 
Ploß  in  der  2.  Auflage2).  —  Ganz  anders  lautet  die  folgende  Mitteilung  des 
H.  v.  Francois:  Die  Hottentotten  halten  ihre  Kinder  zur  Arbeit  an  und  strafen 
Ungezogenheiten  handgreiflich,  von  Francois  führt  einen  Mann  an.  der  seinem 
arbeitsscheuen  Sohn  die  Oehsenpeitsche  zu  fühlen  gab,  ihn  aber  auch  gleich 
darauf,  als  der  Bursche  sich  dienstbereit  zeigte,  einen  ..guten  .hingen"  nannte. 

Gehen  wir  nun  zu  einigen  malayisch-polynesischen  Völkern  über. 
Da  schreibt  z.B.  Ködding  von  denBatak  auf  Sumatra:  Hier  ist  von  einer 
eigentlichen  Erziehung  keine  Rede.  Die  Kleinen  behaupten  ihren  Willen 
gegen  die  Alten,  und  ebensowenig  denkt  man  an  Unterricht  und  Einführung 
ins  Leben.  Früh  sich  selbst  überlassen,  werden  die  Kinder  bald  selbständig 
und  in  der  Nachahmung  der  Alten  ganz  von  selbst  wie  diese.  -  Die  Bevor- 
zugung der  Söhne  zeigt  sich  unter  anderem  darin,  daß  sie  mit  dem  Vater 
zuerst   essen,  worauf  erst  Mutter  und  Töchter  darankommen. 

Nach  Warneck  strafen  die  Batak  ihre  kleinen  Kinder  nur  im  Zorn.  Sonst 
fürchten  sie  sich,  sie  zu  züchtigen,  und  zwar  aus  Angst  vor  ihrem  eigenen 
„tondi"  (Seele)  und  vor  dem  tondi  des  Kindes.  Ein  Sprichwort  der  Batak 
lautet:  ..Sei  nicht  hitzig,  dein  Kind  zu  schlagen;  dein  tondi  könnte  gesinnt 
sein  wie  deine  Hand:  der  tondi  des  Kindes  könnte  durch  dein  Schlagen  er- 
schrecken und  fortlaufen."  -  ■  Tadel  gibt  es  häutig.  So  sagen  die  Kitern  z.  B. 
/u  einem  Sohn:  ..Ich  werde  es  Gott  sagen,  daß  mir  nicht  mehr  ein  Sohn  wie 
du  geboren  wird."  -  Die  Töchter  werden  noch  weniger  als  die  Söhne  ge- 
züchtigt, und  zwar  höchstens  von  den  Müttern.  — 

Weniger  ängstlich  sind  die  Weiber  der  Kubus  in  den  Urwäldern  des 
südlichen  Sumatra,  denen  die  Erziehung  der  Kinder  zukommt.  Sie  be- 
kräftigen ihre  Lehren  mit  Hand-  oder  Stockschlägen,  wie    Vole  schreibt. 


')  Bei  Floß.  2.  Aufl.   H.  :«3. 
')  II,  344 


■§  293.     Charakterbild,  u.  Züchtigung   des  Kindes   bei  Sudan-   und  Bantuvölkern    usw.      429 

Unter  den  Mikronesiem  der  Marianen-,  Karolinen-.  Marschall- 
und  Gilbert- Ins  ein  wuchsen  die  Kinder  vor  Ankunft  der  Missionare  so 
ziemlich  ohne  jede  Zucht  auf;  höchstens  schlugen  auch  hier  die  Eltern  zornig 
auf  sie  ein.  wenn  die  Kinder  zu  gierig  nach  den  gemeinsam  einzunehmenden 
Speisen  verlangten,  was  auf  Knsaie  oft  Anlaß  zu  ehelichem  Zwist  gegeben 
habe,  indem  das  eine  der  beiden  Kitern  sofort  die  Partei  des  wegen  seiner 
Unverschämtheit  geschlagenen  Kindes  ergriff1).  -  -  Das  wird  freilich  auch  heute 
noch  nicht  ausgeschlossen  sein.  Ein  Blick  in  den  „Jahresbericht  1911  aus 
den  Missionen  der  rheinisch-westfälischen  Kapuziner-Ordensprovinz  auf 
den  Karolinen-,  Marianen-  und  Pal  au- Inseln  in  der  deutschen  Südsee" 
belehrt  uns  zur  Genüge,  daß  es  mit  der  ethischen  Umbildung  der  Mikronesier 
nicht  leichter  geht  als  mit  jener  anderer  Völker.  P.  Corbinian  schreibt  z.  B. 
auf  Grund  seiner  Erfahrungen  in  seiner  Schule  auf  Rota:  Die  Leitung  einer 
Schule  in  der  Südsee  ist  mit  großer,  ja  geradezu  entsetzlicher  Arbeit  und 
Mühe  verbunden.  Zunächst  sind  die  Kinder  überaus  flatterhaft  und  sehr  zerstreut. 
Will  man  sie  aufmerksam  erhalten,  so  muß  man  beständig  Spektakel  machen, 
sei  es  mit  dem  Stock,  oder  sonstwie.  Die  Kinder  sind  denkfaul;  dagegen  ist 
selbst  der  Stock  kein  wirksames  Mittel.  Anfangs  kam  es  vor,  daß  14  Tage 
lang  fast  kein  einziger  seine  Lektion  lernte,  während  es  dann  wieder  drei 
Wochen  lang  flott  ging:  Südsee-Charakter!  —  Immerhin  hofft  P.  Corbinian 
auf  eine  schöne  Entwicklung  der  Schule,  zumal  viele  Männer  sich  für  sie 
interessieren,  was  aus  ihren  Bemerkungen  hervorgehe,  welche  sie  in  die  Schul- 
zeugnisse ihrer  Söhne  im  Jahre  1910  gemacht  hatten.  Die  folgenden  zwei 
ilavon  beweisen,  daß  die  betreffenden  Eingebornen  auch  mit  der  Disziplin 
einverstanden  waren.  Die  eine  lautete:  „Ich  danke  Ihnen.  Pater,  für  Ihre 
Mühe  und  freue  mich  über  die  gute  Aufführung  meines  Sohnes."  Die  andere: 
„Ich  freue  mich  über  die  gute  Aufführung  meines  Sohnes  und  danke  Ihnen 
sehr.  Strafen  Sie  meinen  Jungen  noch  mehr,  damit  er  sich  noch  mehr  bemüht 
und  noch  größere  Fortschritte  macht." 

„Unbarmherzige  Strafe"  drohte  P.  Sixtus  den  Knaben  auf  Jap  an  im 
Falle  sie  ohne  Entschuldigung  die  Schule  schwänzten.  Das  half,  und  die 
Häuptlinge  sprachen  ihre  Zustimmung  zu  diesem  Vorgehen  mit  „kafel"  (es  ist 
gut)  aus.  „Nur  wer  energisch  auftritt,  hat  Ansehen  bei  den  Japleuten",  konstatiert 
dieser  Missionar,  während  P.  Plaridus  an  der  Schule  von  Korror,  einer 
Palau-Insel,  im  Jahre  1911  schrieb:  ,,Ein  besonderes  Mittel,  die  Schüler  zu 
regem  Eifer  und  Fleiß  anzuspornen,  sind  Lob  und  Tadel.  Der  Paktier 
besitzt  nämlich  einen  sehr  stark  ausgeprägten  Ehrgeiz.  Für  alles,  was  er  tut, 
will  er  gelobt  werden  und  strengt  sich  noch  mehr  an,  wenn  man  seine  Leistungen 
anerkennt.  Übersieht  man  seine  Leistungen,  so  legt  er  gleich  die  Hände 
müßig  in  den  Schoß.  Wird  er  getadelt,  so  ist  er  niedergeschlagen  und  verliert 
leicht  den  Mut.  Darum  bin  ich  im  Tadeln  vorsichtig  und  karg,  im  Loben 
mäßig.  Ist  die  Interesselosigkeit  mal  allgemein,  dann  erzähle  ich  von  den 
fleißigen  und  braven  Schülern  in  Deutschland.  Natürlich  wollen  dann  die 
Palauer  alle  den  Deutschen  gleichkommen." 

Arno  Senff't,  Bezirksamtmann  auf  den  Karolinen,  schrieb:  die  Japleute 
züchtigen  ihre  Kinder  kaum  je  schmerzlich  und  lassen  ihnen  die  größte  Frei- 
heit. Die  Väter  nehmen  ihre  Söhne  schon  im  Knabenalter  zu  Familien-  und 
öffentlichen  Verhandlungen  mit,  wenn  diese  auch  derartigen  Inhalt  haben, 
daß  in  Europa  die  Gegenwart  selbst  erwachsener  Kinder  ausgeschlossen  wäre. 

Allzuwenig  Strafen  für  Kinder  fanden  Seemann,  Williams,  Turner, 
MeinicJce,  Krieger  und  andere  bei  den  Papuas  auf  Neuguinea  und  in  Mela- 
nesien überhaupt. 


')  Ploß  (nach  Sprengel  und  Le  Gobicn),  2.  Aufl.  II,  337. 


430     Kap.  XLIV.    Pflege,  Abhärtung.  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

Die  Papuas  in  Kaiser  Wilhelmsland  verziehen  ihre  Kinder  in  jeder 
Weise,  sehrieb  Maximilian  Krieger.  Deshalb  sind  die  größeren  in  der  Kegel 
unfolgsam  und  zu  sehr  mu  sich  selbst  eingenommen.  Besonders  nachsichtig 
ist  mau  gegen  die  Erstgebornen.  —  Ähnlich  sieht  es  nach  Krieger  in  Bri- 
tisch- und  Holländisch-Neuguinea  aus.  Man  gibt  den  Kindern  in  allem 
nach:  Vater  und  Mutter  strafen  selten,  und  dann  höchstens  in  der  Leidenschaft. 
wobei  es  häufig  vorkommt,  daß  sich  die  Kinder  widersetzen,  besonders  der 
Mutter  gegenüber.  Schlägt  dann  das  Kind  die  Mutter,  dann  freut  sich  nicht 
selten  der  Vater  über  seinen  tapferen  Sohn.  Deshalb  sind  altkluge,  frühreife 
Kinder  unter  den  Papuas  nur  zu  oft  zu  finden.  —  Der  Knaben  Los.  meinte 
Krieger,  ist  ein  heitereres  als  das  der  Mädchen,  weil  jenen  viel  länger  Zeit 
zu  Spiel  und  Muße  gelassen  wird. 

Von  den  Motu-Motu,  einem  hellfarbigen  Stamm  auf  Neuguinea,  schrieb 
Floß1):  „Betrug  und  Lüge  scheinen  einen  wesentlichen  Teil  ihrer  Existenz 
auszumachen.  Kinder  fangen  an  zu  stehlen,  sobald  sie  laufen  können;  es  gilt 
für  kein  Verbrechen;  nur  fassen  lassen  dürfen  sie  sich  nicht'-)." 

Stärke  und  Mut  sind  zwei  Hauptziele  der  Knabenerziehung  bei  einem 
andern  Stamm  in  Britisch-Neuguinea,  nämlich  bei  den  Komi.  Zur  Erreichung 
dieser  Ziele  lassen  sie  ihren  noch  nicht  mannbar  gewordenen  Söhnen  einen 
guten  Teil  von  ihren  kannibalischen  Mahlzeiten  zukommen  (Egidi). 

Hei  J.  J.  Atkinson  lesen  wir  über  Neu-Caledonien,  französisches 
Ozeanien:  Die  Eingebornen  sind  gut  gegen  ihre  Kinder;  Züchtigung  ist  auch 
hier  selten.  —  Nur  zweimal  sah  Atkirtstm  während  seines  mehrjährigen 
dortigen  Aufenthaltes  eine  solche  vornehmen.  Es  geschah  auf  eine  der  in 
Buropa  üblichen  Weisen.  Das  Verschulden  der  Bestraften  bestand  in  dem 
einen  Fall  in  der  rauhen  Behandlung  kleiner  Mädchen,  im  andern  in  Diebstahl. 
Hier  fügte  der  strafende  Vater  hinzu:  ..Solche  Knaben  wachsen  zu  Weiber- 
Stehlern  heran." 

Auf  den  Loyalty-Inseln  uud  den  Hebriden  sollen  die  Kinder  überhaupt 
nie  gestraft  werden,  wie  Plofi3)  nach  Cheyne  und  Turner  schrieb. 

Auf  den  Viti-  (Fidschi-)  Inseln  haben  wir  dann  wieder  die  wohlbekannte 
Erscheinung,  daß  die  Eltern  nur  im  Zorn  strafen,  hauptsächlich  wenn  sich 
die  Kinder  widersetzen.  Auch  hier  sehen  es  die  Väter  gern,  wenn  die  Knaben 
in  solchen  Fällen  ihre  eigene  Mutter  schlagen.  Sie  sehen  darin  ein  Vorzeichen 
künftiger  Tapferkeit.  Ja,  Williams  schrieb:  „So  ziemlich  das  Erste,  was  ein 
Kind  lernt,  ist.  seine  Mutter  schlauen.  Von  einer  moralischen  Erziehung  ist 
keine  Rede"4).  Zu  Williams  Zeit  gewöhnte  man  die  Kinder  früh  daran,  den 
Mord  eines  Menschen  für  etwas  Geringes  zu  halten.  Wiüiams  sah.  wie  eine 
Mutter  ihre  Kinder  anleitete,  auf  den  Leichen  der  Feinde  herumzutreten.  — 
Sehen  wir  uns  nach  polynesischen  Völkern  um: 

Von  den  Maori  auf  Neuseeland  berichtete  Taylor*),  sie  ließen  ihre 
Knaben  in  ungebundener  Freiheil  autwachsen  und  behandelten  sie  wie  Männer. 
I  >ie  Folge  war.  daß  sie  im  Knabenalter  bereits  halbe  Männer  waren. 

Aul  Tahiti  dachten  die  Eingebornen  zu  Försters  und  Mörenhouts  Zeit 
an  eine  Kindererziehung  gar  nicht,  was  selbstverständlich  wieder  in  unserem 
Sinne  zu  verstehen  ist.  ..Von  früh  an  sind  die  Kinder  bei  allem  Unanständigen 
dabei",   schrieb  Floß")   im   Hinweis   auf  jene   beiden    Forscher.     Die  .lugend 


Aufl.  II,  336. 

ich   hier   werden    wir   wieder   an    ein    ähnliches  Moment    in    der    spartanischen 
Erziehung  erinnert. 

..     Autl.   II.   <\. 
*)  Ebenda  S.  336. 

5)  Ebenda. 

6)  Ebenda.   —  Vgl.  auch  ..Gegenseitige  Liebe  zwischen  Ehern  und  Kindern"  in  Kap.  LiX. 


§  294.     Charakterbildung  und  Züchtigung  bei  Japanern,  Koreanern  usw.  431 

wurde  eben  auch  in  dieser  Hinsicht  zur  Praxis  der  Erwachsenen  herange- 
zogen. — 

„Sich  selbst  und  der  Natur  überlassen"  wachsen  die  Kinder  auf  den  Tonga-, 
Samoa-  und  Marquesas -Inseln  ..roh"  auf1). 

Ähnlich  verhält  es  sich  mit  den  Eingebornen  des  australischen  Kon- 
tinents, von  denen  Freyeinet'11)  mitteilte:  Von  Erziehung  ist  bei  ihnen  nicht  die 
Rede;  Kinder  züchtigen  gilt  ihnen  als  Grausamkeit;  die  Väter  stehen  den 
Kindern  gegen  ihre  Mütter  bei,  und  so  wachsen  diese  in  Ungebundenheit  und 
Übermut,  ja  in  Gewalttätigkeiten  heran.  -  Nach  K.  E.  Jung  werden  die 
Kinder  auch  dann  nicht  gezüchtigt,  wenn  sie  sich  an  fremdem  Eigentum  ver- 
greifen. —  Im  „Globus"  (Bd.  56,  S.  123)  heißt  es:  Die  Mutter  zankt  ihre 
Kleinen  wohl  bisweilen,  schlägt  sie  aber  niemals.  Überhaupt  geschieht  zur 
Erziehung  der  Kinder  so  gut  wie  nichts.  Dennoch  sollen  sie  viel  besser 
geartet  sein,  als  man  erwarten  sollte.  —  Mit  neun  Jahren  benehmen  sich 
die  Kinder  schon  ganz  wie  Erwachsene.  — 

Der  spanische  Missionar  Salvado  schrieb  aus  seinem  Missionsgebiet  am 
Moore-Fluß  freilich,  daß  die  Knaben,  wenn  ihnen  ein  Wunsch  nicht  erfüllt 
wird,  weinen,  Vater  und  Mutter  beißen  und  schlagen.  Als  nächsten  Grund 
dieser  Roheit  nennt  auch  er  die  allzu  große  Nachsicht  der  Eltern.  Die  Kinder, 
schrieb  er.  dürfen  anfangen  was  sie  wollen;  die  Eltern  entschuldigen  sie  stets 
unter  dem  Vorgeben,  die  Kinder  verständen  es  nicht  besser.  Höchstens  schreit 
man  sie  an,  und  auch  das  erst  dann,  nachdem  man  ihre  Wünsche  erfüllt  hat:!).  — 

§  294.  Charakterbildung  und  Züchtigung  bei  Japanern,  Koreanern,  Völkern 
mit  isolierenden  Sprachen  und  vorderindischen  Nichtariern. 

Aleoeh  nannte  Japan  das  Paradies  der  Kinder.  Ihm  zufolge  wird  hier 
die  Erziehung  mit  großer  Ruhe  und  Milde  geleitet.  „Heftige  Affektsäußerungen 
und  körperliche  Züchtigungen  sind  gesellschaftlich  verpönt.  Wenn  eine  Nation 
in  diesem  Punkte  es  weit  gebracht  hat,  so  ist  es  die  japanische.  Hier  werden 
die  Eltern  zu  Kindern  und  freuen  sich  ebenso  am  Kreiselschnurren.  Drachen- 
steigen usw.  wie.  diese.  Es  ist  ein  schöner  Anblick,  an  sonnigen  Nachmittagen 
Scharen  des  Volkes,  festlich  geschmückt,  familienweise  heranrücken  zu  sehen, 
um  sich  des  schönen  Anblicks  zu  erfreuen,  den  ihnen  etwa  eine  bei  schön 
gelegenen  Teehäusern  zur  Blüte  gekommene  Lieblingspflanze  gewährt.  Welch 
friedliche,  glückliche  Stimmung  spiegeln  nicht  die  Gesichter  ab  bei  jung  und 
alt!  Wie  unablässig  bemüht  sind  nicht  die  Eltern,  den  Kindern  Freude  zu 
machen,  an  ihren  Spielen  teilzunehmen,  sie  mit  Süßigkeiten  zu  versehen4)!"  — 
Nach  Seite  360  der  2.  Auflage  des  vorliegenden  Werkes5)  unterscheidet  sich 
die  japanische  Erziehungsmethode  von  der  unsrigen  „wesentlich".  „Nie  sah 
man  jemand  ein  Kind  züchtigen."  -  Aber  auf  der  gleichen  Seite  zitierte 
Floß  Isabella  Bird:  ..Strafen  (in  der  Schule)  bestehen  in  Rutenschlägen  gegen 
den   Vorderteil   des   Beines,    oder   darin,   daß   man   den   Zeigefinger  mit    dem 

')  Floß,  ebenda.  —  Vgl.  damit  das  jetzige  Mädehenpensionat  auf  Samoa  in  §  303. 

2)  Bei  Ploß,  ebenda  S.  334. 

3)  Ich  kann  es  mir  nicht  versagen,  hier  darauf  aufmerksam  zu  machen,  was  Brix-Förater 
im  Hinweis  auf  John  Foster  Fräser  über  die  Jugendfürsorge  der  weißen  Bevölkerung  in 
Australien  schreibt:  Er  nennt  die  dortige  staatliche  Jugendfürsorge  eine  geradezu 
väterliche.  Besonders  bemerkenswert  sei  die  Fürsorge  für  verwahrloste  Kinder  in  Süd- 
australien. Fortwährend  sehen  sich  staatliche  Inspektoren  in  den  Familien  um,  die  jene 
Kinder,  welche  roh  behandelt  werden,  oder  in  sittenloser  Umgebung  aufwachsen,  ihren  Eltern 
wegnehmen  und  sie  anständigen  Leuten  zur  Erziehung  geben.  Besonders  begabte  erhalten 
unter  Beihilfe  von  Stiftungen  eine  höhere  Bildung.  In  Neusüdwales  haben  alle  Schul- 
kinder freie  Eisenbahnfahrt.  Auch  Jugendgerichte  finden  sich  bereits  in  Australien  (Globus, 
Bd.  97.  S.  348).  — 

*)  Bei  Ploß,  2.  Aufl.  II,  361. 
")  Bd.  II. 


432      üap.  XLIV.    Pflege.  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

beißendes  Moxakraut  berührt."  Nacb  Bird  ist  Gehorsam  die  Grundlage  der 
Erziehung  in  und  außer  der  Schule,  „wie  überall  in  Japan".  Ein  peinlicher 
Ernst  herrscht  auf  allen  Gesichtern  der  Schulkinder.  Fast  traurig  und  alt 
sehen  die  langen  Reihen  der  aufmerksam  über  die  Bücher  gebeugten  Kinder- 
gesichter aus.  Her  strikte  Gehorsam,  an  den  die  Kinder  in  Japan  von  früh 
an  gegen  ihre  Eltern  gewöhnt  sind,  und  der  auch  das  ganze  spätere  Leben 
hindurch  ihr  Verhältnis  zu  ihnen  charakterisiert,  macht  dem  Lehrer  leichte 
Arbeit. 

Ein  größerer  Kontrast  als  der  dieser  beiden  Schilderungen  ist  kaum 
möglich.  Man  ist  versucht,  die  eine  auf  optimistische,  die  andere  auf  pessimistische 
Beobachtung  zurückznbeziehen,  oder  aber,  man  hat  in  der  iJmüschen  Schilde- 
rung den  deprimierenden  Einfluß  der  Schularbeit  auf  das  Gemüt  des  Kindes. 
welches  in  der  ÄlcocJcschen  in  der  freien  Natur,  bei  Spiel  und  Fest  so  sonnig 
erscheint '). 

Wenig  Günstiges  hat  uns  H.  <•'.  Arnous  über  die  Kindererziehung  in 
Korea  mitgeteilt: 


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•— -i  )  -k  **  jTn 

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Fig.  377.     Koreanisches  Fuhrwerk  als  Spielzeug.     Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 

Die  Kinder  haben  meist  ihren  eigenen  Willen,  besonders  wenn  es  Söhne 
sind.  Man  lacht  über  alles,  was  sie  tun.  freut  sich  sogar,  wenn  sie  sehen 
jung  1  Bister  und  Leidenschaften  zeigen.  Sie  zu  bessern,  versucht  man  nicht. 
Eine  Erziehung  zur  Moral  kennt  der  Koreaner  nicht.  Die  Kinder  wachsen 
unerzogen  und  onbelehrt  auf.  bis  ihre  Zänkereien  in  laute  Ausbrüche  wilder 
Wut  und  Leidenschaft  ausarten,  wenn  sie  zu  Männern  und  Frauen  geworden 
sind.  Die  den  Koreanern  eigentümliche  Gefräßigkeit  wird  schon  dem  Kinde 
anerzogen. 

In  China  linden  wir,  wenigstens  auf  dem  Papier,  ein  sehr  beachtenswertes 
Erziehungsideal:  Im  ,.Lun  Yu".  einem  chinesischen  Klassiker  aus  dem  4.  Jahr- 
hundert v.  Chr..  wird  Ergebenheit  gegen  die  Eltern.  Ehrfurcht  vor  altern 
Leuten,  Ernst  und  Wahrheitsliebe,  die  Freundschaft  mit  Guten  und  überfließende 
Liebe  zu  allen  über  die  Wissenschaft  gesetzt  (James  Legge).  -  Das 
mutet  einen  fast  au  wie  das  Paulhtisvlic  Wort:  ..Las  Höchste  aber  ist  die 
Liebe."  Luch  hindert  die  chinesische  Erziehung  die  Entfaltung  der  freien 
Persönlichkeit,  welche  der  väterlichen  und  der  behördlichen  Gewalt,  bzw.  dem 
Althergebrachten,  zum  Opfer  fällt.     Floß  schrieb  im  Hinweis  auf  L.  Kutscher:2) 

In  China  ist  das  Verhältnis  zwischen  Kindern  und  Kltern  das  Erste  und 
Wichtigste,  welches  die  Gesetze  feststellen,  und  das  Gesetz  ist  dort  der  un- 


i|   Vgl.  Kap    XLVI. 


§  294.     Charakterbildung  und  Züchtigung  bei  Japanern,  Koreanern  usw. 


433 


mittelbare  Ausfluß  des  kaiserlichen  Willens.  Als  die  Grundlage  aller  häuslichen 
und  bürgerlichen  Tugend,  als  Wurzel  des  Staatswohls  wird  die  kindliche  Liebe 
betrachtet,  und  die  väterliche  Gewalt  ist  unbeschränkt.  —  Die  Pflichten 
der  Kinder  gegen  die  Eltern  sind  durchgängige  Aufmerksamkeit,  völlige  Hingabe 
an  den  Vater  mit  Verleugnung  aller  Selbständigkeit  und  Selbstheit. 
Dagegen  sind  die  Eltern  verpflichtet,  ihre  Kinder  zu  Menschen,  d.  h.  echten 
Chinesen,  zu  erziehen.  Aber  unter  dieser  Erziehung  ist  im  Grunde  nichts 
anderes  zu  verstehen  als  mechanische  Nachahmung,  gesellige  Höflichkeit  und 
pedantisches  Zeremoniell.  Überall  ist  das  Bestreben  zu  bemerken,  in  der  Er- 
ziehung alles,  bis  ins  Kleinste  hinein,  vorher  zu  bestimmen  und  die  genaueste 
Gliederung  der  Bildungsstufen  herzustellen. 

Man  hält  sich  an  den  Spruch:  „Wer  die  Rute  schont,  verdirbt  sein 
Kind."  Ihre  sonstige  Liebe  zu  den  Kindern  hindert  die  Eltern  nicht,  sie 
im  Zorn  barbarisch  zu  schlagen.  Stirbt  ein  Kind  an  der  erlittenen  Strafe, 
so  werden  die  Eltern  nicht  zur  Verantwortung  gezogen.  Unter  der  Fluß- 
bevölkerung ereignet  es  sich  oft.  daß  aufgebrachte 
Mütter  ihre  Kinder  ins  Wasser  werfen  und.  wenn 
dieselben  sich  an  die  Boote  klammern,  wütend  zurück- 
stoßen, bis  sie  ertrinken.  Selbst  den  Söhnen 
vornehmer  Bürger  werden  zu  Hause  zuweilen  Fesseln 
angelegt,  wenn  sie  spielsüchtig  sind,  oder  anderen 
schlimmen  Neigungen  frönen.  Eine  andere  Bestrafung 
besteht  darin,  daß  man  dem  Knaben  seinen  Anteil 
an  dem  Schweinefleisch  vorenthält,  das  alljährlich  unter 
die  Familienmitglieder  verteilt  wird,  wenn  sie  von 
der  Anbetung  der  Gräber  der  Vorfahren  zurückkehren. 
Viel  strenger  noch  werden  die  Kinder  bestraft,  die 
ihre  Eltern  schlagen;  zuweilen  werden  solche  ent- 
hauptet '). 

Als  Züchtigung  in  der  Schule  bekommen  Knaben, 
die  ihre  Lektion  nicht  kennen,  10 — 30  Streiche  mit 
einem  gespaltenen  Bohr  in  die  Handflächen  '-'>. 

Nach  dem  Missionar  Stenz  holt  die  Schule  etwas 
nach,  was  vornehme  Eltern  versäumen.  Die  von 
Kutscher  erwähnten  Strafen  der  Söhne  solcher  Eltern 
scheinen  nämlich  nach  Stern  sehr  selten  zu  sein.  „Kein  hartes  Wort''  wird 
den  von  frühester  Kindheit  an  verhätschelten  Söhnchen  der  Vornehmen  gesagt, 
„und  die  Rute  ist  unbekannt",  schrieb  dieser  Missionar,  nachdem  er  das  harte 
Los  der  Kinder  armer  Leute  geschildert  hatte 3).  Nach  Stenz  liegt  die  chinesische 
Kindererziehung  überhaupt  sehr  im  argen.  Seine  Schilderung  zeigt  uns  die 
Praxis  von  der  im  „Lun  Yu"  aufgestellten  Theorie  durch  einen  Abgrund  ge- 
trennt. „Von  Kindererziehung  ist  keine  Rede,"  schreibt  er,  „und  das  ist  kein 
Wunder."  Die  Mutter,  die  natürliche  Erzieherin  der  Kinder,  weiß  ja  selbst 
nichts  davon.  Oft  heiratet  sie  schon  mit  10  —  14  Jahren,  und  wie  es  ihre 
Eltern  mit  ihr  gemacht,  so  macht  sie  es  meist  wieder.  Das  Schlechte  lernen  die 
Kinder  zuerst  von  ihren  Eltern.  Stenz,  der  doch  in  seinen  Urteilen  im  all- 
gemeinen milde  ist,  nennt  es  „ein  wirklich  teuflisch  idyllisches  Bild",  eine 
chinesische  Mutter  mit  ihrem  Kleineu  auf  dem  Schöße  zu  sehen  und  zu  hören, 
wie  sie  ihm  Schimpfen,  Fluchen  und  Schlechtigkeiten  beibringe.  Und 
solche  Bilder  seien  nicht  selten.     „Schimpfe  den  Vater!"  so  scherze  das  Ehe- 


Fis- 37s.  Koreanische  Stroh- 
schuhe für  Kinder.  Im  Museum 
für  Völkerkunde   in  Leipzig. 


')  Ebenda 

2)  Vgl.  Kap.  XLVI. 

s)  Vgl.  §  291. 

Ploß-Renü,  Das  Kind.    8. 


Aufl.    Band  II. 


28 


434     Kap.  XL1V.    Pflege,  Abhärtung.  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heran«-.  Kindes. 

paar  mit  dem  Kinde,  das  dann  alle  die  zotigen,  schlechten  Ausdrücke,  welche 
es  eben  von  der  Mutter  lernte,  herunterleiere1). 

Als  eine  gute  Mutter  wird  die  gepriesen,  deren  Tochter  einen  recht 
kleinen  Fuß  und  künstliche  Haarfrisur  hat.  —  Die  Putzsucht  der  jungen 
Mädchen  ist  groß.  Auch  Grausamkeit  wird  mit  dem  Chinesenkind  aufge- 
zogen. Das  Kind  quält  jedes  Tierchen,  das  ihm  in  die  Hände  fällt.  Es  lernt 
die  Grausamkeit  von  den  Erwachsenen.  Kein  Huhn  wird  geschlachtet,  ehe 
es  gequält  wird,  und  die  Verbrecher  werden  öffentlich  gefoltert,  was  dem 
Publikum  zur  wahren  Herzensfreude  gereicht, 

Trotz  all  diesen  Erfahrungen  betont  doch  auch  Stenz,  daß  die  Pietät 
der  chinesischen  Kinder  gegen  Eltern  und  Vorgesetzten  für  uns  oft  beschämend 
sei.  Sie  betätigt  sich  allerdings  mitunter  in  einer  "Weise,  die  nach  unserer 
Auffassung  barbarisch,  oder  lächerlich,  oder  geradezu  unmoralisch,  weil  unver- 
nünftig und  unnatürlich  ist.  So  schnitten  sich  z.  B.  nach  einem  Bericht  in 
der  chinesischen  Presse  zwei  Söhne  Stücke  Fleisch  vom  eigenen  Leib,  um 
ihren  kranken  Eltern  damit  eine  Suppe  zu  machen.  Sie  hatten  gehört,  daß 
das  ein  wirksames  Heilmittel  sei.  Für  diese  Tat  wurden  sie  vom  Kaiser 
öffentlich  belobt,  Ferner:  Um  von  den  Göttern  die  Verlängerung  des  Lebens 
seiner  alten  Mutter  zu  erlangen,  beging  ein  Sohn  Selbstmord,  indem  er  sich 
auf  dem  heiligen  Berg  Taingan  von  einem  Felsen  herunterstürzte.  Diese  Tat 
wurde  dadurch  geehrt,  daß  man  dem  ..guten  Sohn"  an  der  gleichen  Stelle 
ein  Denkmal  errichtete. 

In    einem   chinesischen  Schulbuch   fand    Stern   die   folgende   Erzählung: 

Ein  kleiner  Chinesenknabe  hatte  von  seiner  Mutter  Schläge  erhalten 
und  weinte  fürchterlich.  Auf  die  Frage,  ob  denn  die  Prügel  so  sehr  geschmerzt 
hätten,  erwiderte  er:  Nein,  ich  weine  vielmehr,  weil  sie  mich  nicht  schmerzten. 
denn  daraus  sehe  ich,  daß  mein  Mütterchen  alt  und  schwach  geworden. 

Daß  eine  solche  Erziehungsmethode  Heuchler  hervorbringen  muß.  ist 
klar.  Die  Ende  1911  ernstlich  begonnene  Umwälzung  wird  hoffentlich  auch 
der  Jugend  Chinas  zugute  kommen,  von  der  Frh.  von  Biehthofen  schrieb:  „Es 
ist  in  ihr  ein  Keim  zu  etwas  Besserem,  als  sie  in  China  erreichen  kann,  wo 
die  jungen  Leute  bald  indolente  Opiumraucher  werden  wie  alle  anderen,  und 
wo  in  ihnen  alles  Interesse  außer  jenem  für  Handel  und  Silber  erstickt  wird." 
—  Die  ..vaterländische  Gefahr",  welche  die  Chinesen  nach  einem  Artikel  im 
„Globus"-')  fürchteten,  liegt  freilich  zunächst  darin,  daß  die  abendländische 
Kultur  eine  Umwälzung  in  China  hervorgerufen,  tiefer  aber  gründet  sie  in 
den  bisherigen,  naturwidrigen  Rechtsverhältnissen  des  „blumigen  Reiches". 
Ungestraft  durften  bisher  die  Eltern  ihre  Kinder  töten;  aber  pietätlose 
Kinder  wurden  von  jedermann  verachtet;  wer  Vater  oder  Mutter  tötete,  wurde 
gevierteilt,  und  der  ganze  Kreis,  in  welchem  die  Tat  vorgekommen  war.  wurde 
bestraft,  indem  man  z.  B.  eine  Ecke  der  Stadtmauer  schleifte").  —  Solche 
Rechtsverhältnisse  können  freilich  vor  der  jetzt  frisch  eindringenden  Kultur 
des  christlichen  Westen  nicht  Stand  halten.  — 

Ehrfurcht  und  Liebe  gegen  ihre  Eltern  sucht  man  den  Kindern  auch  i» 
Annam  frühzeitig  einzupflanzen,  aber  Despotismus  scheint  hier  nicht  zu 
herrschen.     Vielmehr  wird  den  Annamiten   eine  verhältnismäßig  vernünftige 


i)  Ahnliches  kann  man  leider  auch  unter  uns  Deutschen  sehen  und  hören.  Ebeoso 
ist  die  Drohung  der  chinesischen  Mutter:  ..Ich  schlage  dich  tot!-  keine  Seltenheit  im  Munde 
deutscher  Mütter  aus  dem  Volke.  Hier  hört  man  noch  Schlimmeres:  .,üer  Teufel  soll  dich 
holen  1",  oder  ..Verreck'!"  —  Stenz  sah  in  China  Weiber,  die  ans  Wut,  weil  ein  Sohn  oder 
Schwiegertochter  nicht  gehorchte,  sich  selbst  den  Kopf  auf  Steine,  oder  an  eine  Wand 
stießen. 

■'    Bd.   is.  S.  207:   Soziale  Beziehungen  in  China. 

3i  Vgl.  damit  die  Tausende  und  Hunderttausende  von  Mädchen,  welche  bisher  in  China 
ungestraft  aus  dem   Leben  geschafft   werden   durften,   in   Kap.  JX. 


§  294.     Charakterbildung  und  Züchtigung  bei  Japanern,  Koreanern  usw. 


4  35 


Kindererziehung  nachgerühmt,  —  Körperliche  Züchtigung  gibt  es.     Sie   wird 
mit  einem  Rohr  vorgenommen '). 

Von  den  Kindern  der  Thai-Völker  in  Siam  schreibt  Bourlet:  Wenn 
noch  klein,  beeilt  sich  schon  das  Kind,  jedem  Wink  des  Vaters  zu  folgen.  Es 
hat  ja  hierin  an  der  sklavisch  gehorchenden  Mutter  ein  -wirksames  Beispiel. 
Der  Einfluß  der  letzteren  auf  die  Erziehung  nennt  Bourlet  gering.  Hiermit 
meint  er  aber  wohl  nur  einen  guten  Einfluß;  denn  er  berichtet  gleich  darauf, 
daß  die  Mütter  ihre  Kinder  allzu  oft  verziehen,  indem  sie  ihnen  in  allem 
nachgeben.  Im  allgemeinen  könne  man  sagen,  daß  die  Kinder  aufwachsen  wie 
der  Bambus  und  die  Liane  im  Wald.  Das  dauert  jedoch  nicht  allzu  lange; 
denn  bald  beginnt  für  sie  die  Arbeit,  wie  wir  im  folgenden  Kapitel  erfahren! 


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T,i              'Jk:-*'\\                          tob»,. 

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L    J 

Fig.  379.    Birmanische  Puppe  aus  Papiermasse.    Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 

Im  nördlichen  Siam  leben  die  Bergstämme  der  Laos.  Sie  halten  viel 
darauf,  daß  ihre  Kinder  recht  höfliche  Menschen  werden  und  sich  nicht  gegen 
die  landesüblichen  Umgangsformen  verfehlen.  Hierbei-  gehört  folgendes:  Nie 
ohne  \erbeugung  und  Entschuldigung  an  einem  andern  vorbeigehen;  einen 
\  ornehmen  begrüßen,  indem  man  sich  auf  die  Fersen  niederläßt,  die  gefalteten 
Hände  über  den  Kopf  hält  und  ausruft:  „Dein  Sklave  grüßt  dich",  oder  ,.das 
Haar  grüßt  dich",  oder  „das  Tier  grüßt  dich".  Gleichalterige  und  Standes- 
genossen  hat  man  als  „mein  älterer  Bruder"  oder  „meine  ältere  Schwester" 
anzusprechen;  alte  Leute  als  mein  Vater,  meine  Mutter,  mein  Onkel,  meine 
lante,  mein  Großvater,  meine  Großmutter.  —  Der  Unterricht  in  diesen  Höf- 
lichkeitsformen   beginnt   jedoch   erst   um   die   Zeit   der   Pubertät.     In   seinen 


J)  Globus  58,  266. 


28* 


43fj      Kap.  XLIV.    Pflege.  Abhärtung,  Charakterbild,  u   körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 


ersten  Lebensjahren  wälzt  sich  das  Kind  des  Lao  im  Freien  unbeaufsichtigt 
in  Staub  und  Schmutz,  oder  ruht  sich  auf  der  Hüfte  seines  Vaters,  seiner 
Mutter,  eines  älteren  Bruders,  oder  einer  älteren  Schwester  von  dieser  An- 
strengung aus.  Bald  auch  muß  es  seinen  Eltern  durch  Überwachung  der 
Herden  nützlich  sein. 

Über  die  Kindererziehung  bei  den  Birmanen  bemerkt  Pilate:  Die 
Kinder  werden  nie  geschlagen,  nie  schlecht  behandelt.  Daß  sie  auch  „nie" 
weinen  und  schreien,  wie  Pilate  angibt,  ist  freilich  schwer  zu  glauben.   — 

Ungünstige 
Nachrichten  liegen 
mir  über  die  Er- 
ziehung des  Kindes 
im  südlichen,  also 
vorzugsweise  nicht- 
arischen  Vorder- 
indien vor:  Das 
Kind  wird  hier  nach 
Wilhelm  Hoffmanns 
Schilderung  einer- 
seits mit  Affenliebe 
geliebt,  andererseits, 
je  nachdem  bei  seinen 
Eltern ')  die  Leiden- 
schaft ausbricht, 
mit  barbarischen 
Sehlägen    traktiert. 

Man  überläßt  die  Kinder  gewöhnlich 
Kindermädchen,  oder  Knechten,  die  sie 
mit  ihren  unsittlichen  Redeu  und  Ge- 
bärden verderben.  Haben  sie  einmal 
«■in  bestimmtes  Alter  erreicht,  dann 
beginnt  für  die  Söhne  der  Vornehmen 
der  intellektuelle  Unterricht,  und  auch 
einzelne  Töchter  der  höheren  Kasten 
weiden  jetzt  durch  europäischen 
Einfluß  eines  Schulunterrichtes  teil- 
haftig, oder  beschäftigen  sich  mit  Hand- 
arbeiten. Aber  im  allgemeinen  bringen 
die  Mädchen,  da  es  ihnen  an  Besserem 
gebricht,  ihre  Zeit  mit  eitlem  Ge- 
schwätz und  ebenso  törichten  Beschäf- 
tigungen zu.  1  )er  unabänderliche  Gegen- 
stand ihrer  Unterhaltungen  ist  die  Ehe. 

Die  Eltern  selbst  geben  ein  schlechtes  Beispiel.  Gerade  von  den  höheren 
Ständen  schrieb  Hoffmann,  daß  sonst  ganz  vernünftige  Väter  nicht  selten  in 
Gesellschaft  ihre  kleinen  Knaben  auf  den  Schoß  nehmen  und  ihnen  zum  Zeit- 
vertreib alle  möglichen  Schimpfwörter  gegen  ihre  Mutter  beibringen.  Das 
behalten  die  Knaben  wohl  im  Gedächtnis  und  setzen  es  in  l'iaxis  um.  Die 
Krau  des  Missionars  Mault  schrieb  im  Jahre  1834  von  der  Coromandel- 
Küste.  sie  habe  es  oft  mit  angehört  und  erlebt,  wie  Knaben  ihren  Müttern 
barsche   Befehle   erteilten,   und,   wenn   später   erwachsen,   sie   aus   dem  Haus 


Fig.  38u.    Spielzeug  nus  Birma:  Figur  mit  Balan- 
cierstange.     Ball.      Im  Museum  für  Völkerkunde  in 
Le  ipzig. 


1 1   Nach    einer    anderen   Stelle   bei  Hoffmann  is.  f.  S.)  dürfen   die   Mütter   ihre  Söhne 
nicht  züchtigen. 


§  295.     Charakterbildung  und  Züchtigung  des  Kindes  bei  Ural-Altaien  usw.        437 

vertrieben.     Da  die  Seligkeit  der  Mütter  nach  Hinduauffassung  gewissermaßen 
von  ihren  Söhnen  abhängt,  dürfen  die  Mütter  diese  nicht  züchtigen. 

Diesem  Barbarismus  nach  Hoffmanns  Schilderung  entspricht,  wenn  auch 
in  anderer  Hinsicht,  was  im  ..Globus''  (Bd.  91,  S.  100)  über  die  Züchtigung 
in  den  ..Hindu-  und  Tamilenschulen"1)  zu  lesen  war:  In  diesen  Schulen 
gibt  es  nämlich  nach  Thurston  42  Arten  von  Körperstrafen.  Der  Stock  aus 
Rotangrohr  mit  silbernen  Knöpfen  ist  das  untrennbare  Zeichen  des  Schul- 
meisters, mit  dem  er  Hinterteil  und  Handflächen  bearbeitet.  In  einigen  Schulen 
müssen  die  Schüler  der  schnelleren  Strafmöglichkeit  wegen  den  Hintern  stets- 
entblößt  halten.  Andere  Strafen  sind:  Zupfen  am  Ohrläppchen,  sowie  Backen- 
streiche, womit  sich  Knaben  Auf  Befehl  des  Lehrers  auch  gegenseitig  selbst 
strafen.  Ferner:  Auf  den  Zehen  stehen,  auf  scharfen  Gegenständen  knieen, 
Peitschen  mit  Nesseln,  wobei  dem  Sträfling  die  Hände  gebunden  werden,  damit 


Fig.  381.     Tamil-Kinder  von  Siugapore.    Im  K.  Ethnograph.  Museum  in  München. 

er  sich  nicht  kratzen  kann;  Begießen  mit  süßem  Wasser,  um  dadurch  Ameisen 
und  andere  Insekten  anzulocken,  die  den  Entkleideten  und  Gefesselten  peinigen; 
Aufhängen  an  den  Händen,  Exposition  an  der  Tropensonne  usw.  -  -  Außerdem 
läßt  es  der  Lehrer  an  gemeinen  Schimpfwörter  auf  die  Eltern  und  Verwandten 
der  Sträflinge  nicht  fehlen.  —  Trotzdem  werde  der  Lehrer  von  seinen  Zög- 
lingen geachtet  und  geliebt. 

Den  Todas  in  den  Nilgiri-Bergen  des  südlichen  Vorderindien  rühmte 
Harlcneß  nach,  daß  sie  ihren  Kindern  von  frühester  Jugend  an  Ehrfurcht  vor 
den  Rechten  ihrer  Mitmenschen  einpflanzen.  — 

§  295.     Charakterbildung  und  Züchtigung  des  Kindes  bei  Ural-Altaien, 
Hyperboräern  und  Indianern. 

Wie  wenig  bei  manchen  Völkern  Herzens-  und  Gemütsbildung  mit  der 
Schulbildung  zusammenhängt,  haben  wir  bereits  in  den  §§  292—294  wiederholt 

')  Unter  diesen  „H'nclusehulea''  sind  wohl  Schulen  der  arischen  luder  gemeint.  Die 
Tamilen  sind  Nichtarier. 


438     Kap.  XLLV.    Pflege,  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 


erfahren.  Audi  der  vorliegende  Paragraph  beweist  dies  durch  einige  Beispiele, 
deren  erstes  uns  in  der  Mongolei  begegnet,  Hier  gelten  die  Lamaklöster 
als  die  berufensten  Bildungsanstalten,  oder  vielmehr  als  jene  Stätten,  an  denen 
am  meisten  zu  lernen  ist.  Die  Züchtigung  geschieht  hier  aber  mit  Prügeln 
und  eisernen  Ketten.  Diese  und  andere  barbarischen  Strafen  kamen,  wenigstens 
zu  Ruc-Gabets  Zeit,  also  um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts,  „häufig"  vor. 

Hingegen    soll    es    in    den   Schulen    der   Baschkiren    an    der   unteren 
Wolga  keine  Strafen  geben. 

Ein   Turkestaner  Sprichwort   lautet:    „Ein   Kind   erziehe   von   jungen 

Jahren  an."  Und  ein  anderes: 
„Entziehe  deine  Gunst  dem  Kind, 
das  vor  dem  Vater  redet"  (X. 
v.  Seidlitz).  —  Während  diese 
beiden  Sprichwörter  darauf  hin- 
deuten, daß  das  Kind  nach  dem 
Grundsatz  der  Turkestaner  von 
früh  an  zur  Ehrfurcht  vor  dem 
Vater  angehalten  werden  soll,  er- 
laubt das  folgende,  gleichfalls  dort 
übliche  Sprichwort  den  Schluß,  daß 
man  mit  der  natürlichen,  vom 
Vater  ererbten  Xaturanlage  und 
mit  dem  Beispiel  des  Vaters  rech- 
net: „Wird  der  Sohn  nicht  vom 
Vater  erzeugt?  Geht  er  nicht  auf 
des  Vaters  Wegen?"  —  Übrigens 
wird  es  mit  der  turkestaner  Er- 
ziehung in  der  Praxis  kaum  besser 
stehen  als  mit  der  türkischen, 
welche  in  der  2.  Auflage  des  vor- 
liegenden Werkes  folgenderweise 
charakterisiert  worden  ist:  Das 
linkische  Erziehungswesen  ist 
durch  das  Haremsleben  bedingt, 
daher  wesentlich  vom  europäischen 
verschieden.  Während  bei  uns  die 
Erziehung  des  Kindes  von  dem 
Augenblicke  an  beginnt,  wo  es  das 
Licht  der  AVeit  erblickt,  zuerst 
unter  Leitung  der  Mutter,  dann 
des  Vaters,  später  der  Schule,  der 
Lehrmeister  und  Professoren, 
durch  Reisen  und  durch  Umgang  mit  dem  andern  Geschlechte, 
in  der  Türkei  die  Mehrzahl  dieser  Bildungsmittel  in  Wegfall.  Die 
meist  eine  auf  dem  Markte  gekaufte  Sklavin,  hat  weiter  nichts 
als  die  Künste   der  Koketterie,  und  ist   also   unfähig,  die  Erziehung 


Edelknabe   aus   üaudi,   Ceylon.     Im  K.  Etlmo 
graphischen  .Museum  in  München. 


endlich 
kommt 

Mutter, 

gelernt, 

des  Kindes  zu  leiten1),  während  der  Vater  durch  seine  Geschäfte  des  Tags 
über  von  dem  Wohnhause  abwesend  ist.  Die  ersten  6  bis  8  Lebens- 
jahre bringt  also  das  Kind  in  den  Händen  von  Negerweibern  und  Eunuchen 
zu.  und  während  das  Kind  des  Europäers  in  derselben  Periode  in  den  Gewohn- 
heiten der  Ordnung,  des  Gehorsams,  der  Nacheiferung,  der  Ehrliebe,  der 
Achtung    vor    dem    Alter,    der   Pünktlichkeit    erzogen   wird,    wächst  das  Kind 


')  Vgl.  von  liehn  Urteil  über  die  Erziehung  in  ostafrikanischen  Harems,  S.  424  f. 


§  295.     Charakterbildung  und  Züchtigung  des  Kindes  bei  Ural-Altaieu  usw.        439 

des  Türken  in  absoluter  Zuchtl'osigkeit  auf;  von  einer  Bändigung  des  Eigen- 
willens ist  nie  die  Rede,  im  Gegenteil,  der  Wille  des  Kindes  ist  unter 
allen  Umständen  Gesetz  für  seine  Eltern  und  Diener,  und  wenn  ein  Europäer 
als  Zeuge  der  täglich  vorkommenden  Auftritte  dem  Vater  darüber  seine  Bemer- 
kungen macht,  so  heißt  es:  „Nejapeim?  Tchodschukistior;  jazykdyr",  d.h.,  was  soll 
ich  machen?  Das  Kind  will  es  so  haben;  es  wäre  doch  schade!  —  Diese 
Grundsätze  herrschen  in  allen  türkischen  Familien  ohne  irgendeine  Ausnahme, 
und  so  erklärt  es  sich  für  den  Pädagogen  auf  ganz  natürliche  Weise,  daß 
selbst  der  beste  Unterricht  bei  der  türkischen  Jugend  wenig  anschlägt,  ohne 
daß  man  nötig  hätte,  eine  physische  oder  intellektuelle  Inferiorität  der  Kasse 
anzunehmen.  Das  einzige,  was  dem  Kinde  in  diesen  Jahren  beigebracht  wird, 
ist  eine  grenzenlose  Verachtung  gegen  alle  Gjauren  (Ungläubigen)  und  eine 
glänzende  Idee  von  der  Überlegenheit  der  türkischen  Rasse  über  alles  andere 
Menschengesindel. 

Auch  die  sozial-politische  Korruption  wirkt  auf  die  Charakterbildung 
des  kleinen  Türken  ungünstig  ein.  Floß1)  führte  in  diesem  Sinn  das  türkische 
Kleinasien  als  Beispiel  an  und  meinte:  Wenn  bei  uus  das  Kind  auf  den 
Bürgermeister,  Pastor  oder  Lehrer  mit  heiligem  Respekt  schaut,  sagt  es  sich: 
„Wenn  ich  fleißig  und  ordentlich  bin  und  etwas  Tüchtiges  lerne,  so  kann  ich 
es  auch  vielleicht  noch  so  weit  bringen."  So  wird  das  junge  Geschlecht  von 
einem  Ideal  geleitet.  Im  Orient  aber  erhebt  sich  auf  der  einen  Seite  die 
Furcht:  „Der  Mann  kann  uus  schaden;"  auf  der  andern  Seite  der  Haß: 
„Der  Mann  hat  uus  schon  viel  Unrecht  getan."  Da  tritt  denn  in  der  Kinder- 
seele die  Vorstellung  hervor:  Um  ein  solcher  Mann  zu  werden,  brauche  ich 
nicht  Fleiß,  nicht  Tüchtigkeit,  nur  Geld,  nur  Geld. 

Auf  die  alte  Türkei  wird  endlich  auch  zutreffen,  was  Rieche  über  den 
Orient  überhaupt  schrieb: 

„Dort  kann  der  einzelne  zu  einem  hohen  Grad  von  Körperkraft  und 
Seelenstärke  gelangen;  er  kanu  zu  mancherlei  geschickt  werden;  aber  immer 
wird  ihn  die  Erziehung  nur  als  Mittel  gebrauchen  und  daher  in  geistiger 
Unfreiheit  und  Abhängigkeit  zu  erhalten  suchen.  Dies  finden  wir  bei  allen 
orientalischen  Nationen  als  das  Gemeinsame  ihrer  Erziehung2)."  Ploß  ergänzte 
diese  Charakterisierung  mit  den  Worten:  Die  Völker  des  Orients  erziehen  die 
einzelnen  Staatsmitglieder  als  Mittel  zum  Staatszweck.  Der  bei  ihnen 
herrschende  Despotismus  läßt  das  menschliche  Selbstbewußtsein  nicht  wahr- 
haft erwachen;   der  einzelne  ist   bei   ihnen  nur  um  des  Ganzen  willen  da.  — 

Über  die  Erziehung  bei  den  Ostjaken  bemerkte  Brehm,  daß  die  Frauen 
ihre  Mutterpflichten  wohl  erfüllen,  und  ihren  Kindern  vor  allem  Ehrfurcht 
vor  Gott  und  Friedfertigkeit  im  Verkehr  mit  den  Nachbarn  einprägen3). 

Bei  den  Giljaken  im  Amur-Gebiet  nahm  L.  von  SchrencJc  nicht  wahr, 
daß  man  die  Kinder  zu  Gehorsam  und  Ehrfurcht  vor  den  Eltern  anhielt. 

Hingegen  schreibt  H.  von  Siehohl  von  den  Ainos:  Das  „ungezogene" 
Kind  scheint  bei  ihnen  ebenso  unbekannt  zu  sein  wie  bei  den  Japanern. 
Hier,  wie  dort,  kann  ein  williger,  von  Furcht  freier  Gehorsam  der  Kinder 
gegen  die  Eltern  hervorgehoben  werden.  —  Nach  Isahella  L.  B'ird  verlangen 
die  Ainos  von  ihren  Kindern  schon  in  den  ersten  Lebensjahren  strengen, 
unbedingten  Gehorsam,  von  den  Knaben  außerdem  die  Beobachtung  der  herge- 
brachten Höflichkeitsformen.  Einen  höchst  sonderbaren  Anblick  soll  es 
gewähren,   wenn  auch  die  kleinsten  dieser  nackten,   braunen  Geschöpfe,   die 


')  Ploß  wies  hier  auf  „Stambul  und  das  moderne  Türkentum  .  .  •"  von  einem  Osmanen 
(Lpzg.  1877)  hin;  ferner  auf  Murad  Efendis  „Türkische  Skizzen".  Lpzg.  1877.  2  Bde.  und 
auf  das  „Ausland"   1877. 

z)  Bei  Ploß,  2.  Aufl.  II,  354  f. 

»)  Ebenda  S.  404. 


440     Kap.  XLIV.    Pflege.  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

sich  noch  kaum  auf  den  Füßen  zu  halten  vermögen,  beim  jedesmaligen  Verlassen 
oder  Betreten  des  Hauses  alle  Anwesenden,  nur  die  Mutter  ausgenommen, 
der  Reihe  nach  mit  den  bestimmten  Handbewegungen  begrüßen. 

Ganz  anderes  wieder  erfahren  wir  von  den  Kamtschadalen  des  18.  Jahr- 
hunderts, von  denen  Steller  schrieb:  Gehorsam  und  Ehrfurcht  gegen  die  Eltern 
gab  es  ebensowenig  wie  Zurechtweisung  und  Züchtigung  der  Kinder.  Diese 
baten  um  nichts,  sondern  nahmen  was  sie  wollten.  —  Hingegen  lernte  K.  von 
Ditmar  auf  seinen  Reisen  gegen  Ende  des  19.  Jahrhunderts  einen  vornehmen 
Kamtschadalen  kennen,  der  von  seinem  zehnjährigen  Enkel  sagte,  er  müsse 
sich  früh  bemüheu,  seine  heldenmütigen  Vorfahren  nachzuahmen.  Hier  handelt 
es  sich  also  offenbar  um  Charakterbildung. 

Die  Kinder  der  Eskimo  im  hohen  amerikanischen  Norden  wachsen  wie 
die  Schoßhunde  auf,  schrieb  Bessels ').  Das  einzige  Strafverfahren,  welches  dieser 
Forscher  wahrnahm,  bestand  darin,  daß  die  Mütter  kleine  Schreihälse,  welche 
noch  kaum  gehen  konnten,  nackt  auf  den  Schnee  setzten,  bis  sie  zu  weinen 
aufhörten.  Das  geschah  öfters  bei  einer  Temperatur  von  einigen  dreißig 
Graden  unter  dem  Gefrierpunkt.  —  Nach  Sadbye  hielten  die  grönländischen 
Eskimos  die  Europäer,  welche  ihre  Kinder  züchtigten,  für  unwürdig,  Kinder 
zu  haben  (vgl.  Gegenseitige  Liebe  in  Kap.  L1X).  Nansen  hörte  niemals,  daß 
ein  Eskimo  einem  Kind  ein  hartes  Wort  sagte.  Er  fügt  dieser  Mitteilung 
aber  auch  bei,  daß  die  Knaben,  wenn  noch  klein,  gewöhnlich  das  ganze  Haus 
tyrannisieren;  wenn  einmal  größer  und  verständiger,  dann  genüge  jedoch  eine 
freundliche  Aufforderung,  um  sie  zum  Gehorsam  zu  bringen.  Eivinä  Astrup 
schreibt  von  den  Eskimos  am  Smith-Sund  gar,  Züchtigung  der  Kinder 
sei  bei  ihnen  gar  nicht  nötig,  da  man  sich  keine  Kinder  denken  könne, 
die  von  Natur  artiger  seien,  als  jene.  Daher  komme  hier  Züchtigung  so 
gut  wie  nie  vor.  Die  Erziehung  falle  der  Mutter  zu.  —  Nach  Garde 
werden  die  Eskimos  im  östlichen  Grönland  von  Jugend  auf  dazu  erzogen, 
ihren  Gefühlen  möglichst  wenig  Ausdruck  zu  geben.  „Man  kann  manchmal 
fast  ärgerlich  auf  die  Grönländer  werden  wegen  der  außerordentlichen 
Kühe,  mit  welcher  sie  alles  hinnehmen.  Viel  davon  ist  aber  sicher  Komödie," 
schrieb  er. 

H.  Rinh  suchte  die  Erziehungsmethode  der  Grönländer,  oder  vielmehr 
den  Mangel  an  einer  solchen,  von  ihrem  eigenen  Standpunkt  aus  zu  recht- 
fertigen, indem  er  schrieb:  Man  hat  die  Kindererziehung  als  ein  Beispiel  des 
niedrigen  Standpunktes  der  Grönländer  hervorgehoben;  aber  es  ist  eine  Frage, 
ob  die  ungebundene  Freiheit,  namentlich  für  Knaben,  nicht  für  ihre  Ausbildung 
zum  Jagdwerk  notwendig  war,  wozu  ein  Mut  erfordert  wurde,  der  nicht 
gebrochen  werdeu  darf;  und  ob  nicht  der  Vater  richtig  handelte,  die  Mutter 
zu  strafen,  wenn  sie  Härte  gegen  die  Kinder  zeigte.  Der  Vater  hatte  hin- 
sichtlich seiner  Söhne  nur  einen  Gedanken,  und  dieser  war,  sie  von  frühester 
Kindheit  an  in  dem  Gebrauche  der  Kajake  und  der  Waffen  zu  üben;  ihre 
übrige  Ausbildung  zu  nützlichen  Bürgern  führten  die  gesellschaftlichen  Ver- 
hältnisse mit  sich,  unter  welchen  sie  aufwuchsen.  Auf  diese  Weise  wurden 
die  Söhne  von  den  Vätern  erzogen,  die  Töchter  später  von  ihren  Männern, 
und  in  beiden  Hinsichten  war  die  Erziehung  zweckmäßig,  und  es  war  also 
die  häusliche  Zucht  vorhanden,  deren  man  bedurfte.  Seit  der  Berührung  mit 
den  Europäern  hat  sich  dies  geändert.  — 

Auch  Petitot  meinte:  Die  Kinder  der  Tschiglit,  Eskimo  am  Mackenzie- 
und  Anderson-Fluß,  wachsen  zwar  ohne  alle  Zucht  auf,  aber  man  merkt 
an  ihnen  nicht  jene  Koheit  und  Gewalttätigkeit,   welche  bei  anderen  Rassen 


Bi  i   Floß  11.  339f. 


§  295.     Charakterbildung  und  Züchtigung  des  Kindes  bei  Ural-Altaien  usw.        441 

so  oft  vorzutreten  pflegen.  In  der  Kegel  befleißigen  sich  die  Jungen  gegen- 
über deu  Alten  eines  sittsamen,  bescheidenen  Betragens1). 

Einer  ganz  besonderen  Begünstigung  erfreuen  sich  schließlich  die  Kinder 
jener  grönländischen  Eskimos,  welche  das  einzige  Überlebende  von  ihren 
Geschwistern  sind.  Floß  schrieb4):  Gelingt  es  in  Grönland  einem  Elteinpaare, 
dem  mehrere  Kinder  starben,  eines  aufzuziehen,  so  gilt  dieses  für  ein  sonder- 
lich begabtes  Geschöpf,  dem  kein  böser  Zauber  schaden  kann;  es  heißt 
Piarkuflak,  darf  in  allen  Dingen  seinen  Launen  folgen  und  wird  durch  eine 
besondere  Kleidung  vor  allen  anderen  Kindern  ausgezeichnet.  — 

Wir  kommen  zur  sogenannten  roten  Rasse:  Auch  hier  tritt  uns  die 
schon  von  der  alten  Welt  her  bekannte  Tatsache  entgegen,  daß  die  Züchtigung 
der  Kinder  bei  den  kulturell  höher  stehenden  Völkern  im  allgemeinen  auf- 
fallend schärfer  ist,  als  bei  niederer  stehenden. 

Floß  meinte  in  der  2.  Auflage3)  des  vorliegenden  Werkes  mit  einem 
Hinweis  auf  Waitz:  Die  Nachsicht,  welche  die  Indianer  gegen  ihre  Kinder, 
besonders  gegen  die  Knaben,  bei  der  Erziehung  walten  lassen,  hat  die  natürliche 
Folge,  daß  die  Kinder  nicht  bloß  schon  früh  im  höchsten  Grade  ungehorsam 
und  zügellos  werden,  sondern  daß  auch  der  wilde  Unabhängigkeitssinn  und 
der  Abscheu  gegen  jeden  Zwang,  die  dem  Indianer  so  charakteristisch  sind, 
schon  in  der  ersten  Jugend  in  seinem  Herzen  festwurzelt.  Die  Kinder  werden 
von  den  Eltern  sehr  selten  gezüchtigt;  besonders  verdienen  die  den  Knaben  auf- 
erlegten Strafen  kaum  diesen  Namen:  Man  begnügt  sich,  das  Kind  zur  Rede 
zu  stellen,  oder  mit  kaltem  Wasser  zu  begießen.  Man  sieht  es  gern,  wenn 
die  Kleinen  frühzeitig  die  Neigung  der  Erwachsenen  äußern,  läßt  sie  mit  den 
Schädeln  erschlagener  Feinde  spielen  und  unterrichtet  sie  im  regelrechten 
Skalpieren.  Die  Knaben  zeichnen  sich  frühzeitig  durch  Ungehorsam  gegen 
ihre  Eltern,  durch  Zügellosigkeit  und  Übermut  gegen  ihre  Altersgenossen 
aus  und  wachsen  zu  einem  unbändigen,  stolzen  und  gewalttätigen  Geschlecht 
heran,  welches  jeden  Zivilisationsversuch  der  Weißen  als  einen  Eingriff  in 
seine  Freiheit  betrachtet  und  sofort  zu  Bluttaten  bereit  ist.  Der  Indianer 
fordert  von  jedem  als  Beweis  der  Mannhaftigkeit  stilles  Ertragen  von 
Schmerz  und  Krankheit  mit  vollständiger  Selbstüberwindung.  Er  stellt  sich 
aber  auch  selbst  die  Aufgabe,  in  seinem  ganzen  Benehmen  Ruhe  und 
Gleichmäßigkeit  zu  zeigen;  durch  Selbstbeherrschung  hat  er  seine 
Gemütsbewegungen  so  vollständig  in  seiner  Gewalt,  daß  selbst 
die  stärksten  Leidenschaften  nur  selten  an  ihm  äußerlich  sich  dar- 
stellen. Ohne  Zweifel,  so  meinte  Floß,  ist  auch  dieser  Charakterzug  Wirkung 
der  eigentümlichen  Indianer-Erziehung.  — 

Daß  diese  Ploßsche  Charakterisierung  des  Indianers  als  ein  Mensch,  der 
seine  Leidenschaften  so  hochgradig  bezähmt,  viel  zu  optimistisch  ist,  habe  ich  in 
„Des  Indianers  Familie,  Freund  und  Feind"  durch  mehrfache  Zitate  bewiesen. 
Übrigens  ist  eine  so  hochgradige  Beherrschung  nach  der  eben  geschilderten 
Erziehung  überhaupt  schwer  denkbar.  Dem  Feinde  gegenüber  gebietet 
dem  Indianer  allerdings  sein  Stolz  und  sein  Haß,  keinen  Schmerz  zu  ver- 
raten, auch  w7enn  er  die  schauerlichsten  Qualen  auszuhalten  hat,  und  darauf 
zielt  in  der  Tat  die  Charakterbildung  der  männlichen  Indianerjugend 
ab.  Je  nach  dem  Stamm  werden  auch  Ausbrüche  von  Zorn  innerhalb  der 
Familie,  sowie  ehelicher  Streit  möglichst  vermieden,  indem  man  lieber  die 
Ehe  auflöst,  wie  z.  B.  HecJcewelder  seinerzeit  von  den  Lenni  Lenape 
schrieb,  unter   denen   er  jahrelang   als  Missionar  lebte  und  wirkte,   und  wie 


')  Bei  Ploß   II,    340,   mit    einem  Hinweis   auf  F.  Müller,   Allg.  Ethnogr.  Wien    1873 
S.  204. 

2)  I,  105. 

3)  II,  337  f. 


442      Kap.  XLIV.    Pflege,  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

De  Lahontan  von  den  Kanada-Indianern  mitteilte.  Aber  bei  andern  Stämmen 
sind  Zornaiisbriiche  und  Handgreiflichkeiten  innerhalb  der  Familie  und  des 
Stammes  häufig  genug.  Ich  verweise  nur  auf  die  Erlebnisse  des  als  kleiner 
Knabe  geraubten  und  später  mit  einer  Indianerin  verheirateten  Tanner  in 
dessen  „Denkwürdigkeiten"1):  „Keife  nur,  Alte,  ich  höre  dich  jetzt  zum  letzten 
Male!-'  waren  die  Abschiedsworte  des  Odjibwayhäuptlings  Tabusch-schisch 
an  die  ältere  seiner  beiden  Ehegesponse,  als  er  gegen  die  Sioux  in  den  Kampf 
zog,  wo  er  tatsächlich  umkam2).  Von  den  südamerikanischen  Botokuden 
schrieb  Prinz  zu  Wied:  Sie  behandeln  brave  Kinder  mit  großer  Liebe.  Schreien 
diese  aber,  dann  erfaßt  man  sie  zornig  beim  Ärmchen,  schlägt  sie  mit  der 
Hand  oder  einem  Stock  und  schleudert  sie  fort.  Belästigen  die  hungrigen 
Kinder  mit  ihrem  Weinen  die  Mutter,  während  diese  das  Fleisch  brät,  dann 
schlägt  der  Vater  zu,  die  Mutter  aber  verteidigt  die  Kinder  gegen  ihn.  Die 
häufige  Folge  ist  eine  Schlägerei  mit  Stangen,  woran  oft  ganze  Horden  teil- 
nehmen3). 

Auch  sind  die  Botokuden  keineswegs  der  einzige  Stamm,  welcher  der 
weit  verbreiteten  Ansicht,  daß  die  Indianer  ihre  Kinder  nicht,  schlagen,  mit 
Tatsachen  entgegentritt.  —  Die  nordamerikanischen  Comanches  schlagen 
und  mißhandeln  ihre  Töchter,  wenn  noch  kleiu,  häufig  grausam.  Auf  die 
Knaben  freilich  verwendet  man  große  Sorgfalt4). 

Eine  ungleiche  Behandlung  der  Kinder  je  nach  dem  Geschlecht  bei  ge- 
wissen Stämmen  hat  übrigens  auch  Ploß  erwähnt,  als  er  schrieb: 

„Bei  den  Irokesen  wurden  in  ältereF  Zeit  die  Kinder,  besonders  die 
Töchter,  sehr  gut  von  der  Mutter  erzogen,  hauptsächlich  durch  freundliches 
Zureden  (La  Potherie);  die  Zucht  war  meist  äußerst  nachsichtig.  Harte 
Schläge  galten  meist  für  eine  Barbarei  und  scheinen,  wie  Schoolcraft  anführt, 
fast  nur  von  den  Chippeway  und  den  Dacota  (Sioux),  doch  von  diesen  bloß 
den  Mädchen,  nicht  den  Knaben  erteilt  worden  zu  sein.  Man  freute  sich 
vielmehr  über  die  Zügellosigkeit  und  Wildheit  der  Knaben,  weil  man  in  diesen 
Eigenschaften  einen  Beweis  von  Kraft  sah.  Nach  Runter  ging  man  sogar 
so  weit,  daß  Knaben,  die  sich  feig  gezeigt  hatten,  zu  Hause  von  der  Mutter 
auf  jede  Weise  gereizt  wurden,  und  daß  diese  sich  gern  den  Schlägen  und 
Stößen  der  Kinder  preisgab,  in  der  Hoffnung,  sie  dadurch  zu  Mut  und  Kühn- 
heit zu  erziehen." 

Freilich  darf  man  sich  diese  „Zügellosigkeit"  auch  bei  den  Sioux  nicht 
ohne  jede  Einschränkung  denken.  Gerade  der  bezweckte  Leidensmut  dem  Feind 
gegenüber  legte  auch  dem  sioux- Knaben  schon  früh  stramme  Zügel,  wenigstens 
in  dieser  Hinsicht,  an.  Das  erfahren  wir  von  K.  Woltereck,  der  die  Erziehung 
des  Sioux-Knaben  Ohiyesa,  späteren  Schriftstellers  Dr.  Charles  A.  Eastman, 
durch  seine  Großmutter  übrigens  ganz  ähnlich  schildert,  wie  Longfellow  die 
großmütterliche  Erziehung  Hiaivatha*  im  Lied  besungen  hat.  Der  Großmutter 
half  Ohiyesas  Onkel  in  der  Charakterbildung  des  Knaben,  indem  er  in  ihm 
die  stoischen  Eigenschaften  der  Indianer  früh  zu  entwickeln  suchte, 
welche  nach  Eastman  nicht  angeboren  sind,  sondern  durch  fortwäh- 
rende Übung  erworben  werden.  Hierzu  gehören  die  häufigen  und  langen 
Fasten,  welche  Ohiyesa  schon  als  Kind  durchzumachen  hatte;  dann  Ankämpfung 
gegen  die  Furcht  durch  Ausführung  häufiger  Aufträge  im  Dunkeln;  über 
neu  Kopf  hinweg  mußte  er  Flinten  abschießen  lassen;  stets  mußte  seine 
Waffe  neben  ihm,  wenn  er  schlief,  bereit  liegen,  und  furchtlos  mußte  er  auf- 
springen, sobald   er  den   nachgeahmten    K'riegsruf   von   Feinden   hörte.     Spott 


')  D    Obers.  Lpzg.  1840. 

-i    rannet'   l»i    Benz,   Des   Indianers   Familie,  Freund   und   Feind.  S.   153. 

:'i  Prinz  zu    Wied,  ebenda  S.  41. 

'i   Marcy,  ebenda  S.  100. 


§  29")      Charakterbildung  und  Züchtigung:  des  Kindes  bei  Ural-Altaien  usw.         4.4  3 

und  Verachtung  hätten  ilin  getroffen,  wenn  er  nicht  Folge  geleistet  hätte. 
Aber  mit  körperlichen  Strafen  drohte  man   ihm   nicht. 

Von  dem  Sioux-Stamm  der  Gros  Ventre  (Dickbänche)  berichtet  Boller: 
Das  vierjährige  Söhnchen  des  Noc-pitts-ee-topish,  d.  h.  des  ..Vier  Bären", 
erschoß  seine  Mutter.  Diese  Tat  bewies  den  Stammgeuossen,  daß  der  Junge 
einen  unbezähmbaren  Geist  besitze,  weshalb  sie  große  Hoffnungen  auf  ihn 
setzten  und  von  seinen  späteren  Kriegstaten  viel  von  ihm  erwarteten1). 
Dieser  Knabe  war  der  Liebling  seines  Vaters. 

Mooney  schrieb  nach  Lederer:  Die  östlichen  Sioux-Stämme  des 
17.  Jahrhunderts  straften  ihre  Kinder  niemals,  noch  gaben  sie  ihnen  Befehle, 
sondern  leiteten  sie  durch  Überzeugung.  —  Daß  hier  die  auf  S.  443  erwähnte 
Züchtigung  der  Mädchen  bei  den  westlichen  Sioux  oder  Dakotah  nicht 
zu  vergessen  ist,  ist  klar.  — 

Nach  Floß-)  pflanzten  die  Sioux  Grausamkeit  gegen  ihre  Feinde  schon  den 
Herzen  ihrer  Kinder  ein,  indem  sie  diese  an  den  Quälereien  ihrer  Gefangenen 
teilnehmen  ließen.  —  Die  Takhali  sollen  ihren  Kindern  hierin  förmlich  Unter- 
richt gegeben  haben. 

Ein  Seitenstück  hierzu  bildet  jenes,  wahrscheinlich  dem  (Jhippeway- 
Stamm  angehörige  Weib,  welches  einem  englischen  Gefangenen  ihres  Mannes 
einen  Arm  abhieb  und  ihren  Kindern  das  herausströmende  Blut  zu  trinken 
gab,  damit  ihre  Kinder,  „mit  Männern  gefüttert",  Krieger  würden,  wie  wir 
bei  Long  lesen. 

Hingegen  liest  sich  Heckewelders  Schilderung  der  Kindererziehung  bei 
den  schon  erwähnten  Lenni  Lenape  oder  Delaware  fast  zu  ideal  für  vorchrist- 
liche Indianerverhältnisse.  Hier  sollen  religiös-caritative  Momente  eine  wichtige 
Bolle  gespielt  haben,  d.  h.  nach  Heekewelder  prägten  hier  die  Eltern  ihren 
Kindern  von  klein  an  ein.  daß  ein  großer  guter  Geist  ihnen  das  Leben  geschenkt 
und  sie  für  Großes  bestimmt  habe;  ihm,  der  ihnen  alles  gebe,  was  sie  brauchten, 
müßten  sie  dankbar  sein,  ihn  müßten  sie  verehren  durch  Gebet,  Rechtschaffen- 
heit usw.  -  -  Man  erzog  die  Kinder  aber  auch  zur  'Wohltätigkeit  gegen 
arme  und  alte  Leute  des  Stammes,  indem  man  sie  z.  B.  mit  einer  Schüssel 
voll  Speisen  zu  ihnen  schickte,  oder  sie  ermahnte,  altersschwache  Leute  auf 
dem  Weg  zu  führen.  Solche  Liebeswerke  wurden  von  den  Umstehenden 
gelobt,  und  die  Kinder  dadurch  zu  neuen  Liebestaten  aufgemuntert.  Man 
fragte  das  Kind  nach  dem  Namen  seines  Vaters  und  sagt  dann:  „Ei,  hat  der 
X.  (z.  B.  der  „kleine  Bär")  ein  so  gutes  Kind?"  oder  „seht  doch  dieses  Kind 
an.    wie  brav  es  ist!"  u.  dgl.  m.3). 

Im  übrigen  stellte  Heekewelder  den  Delaware  insofern  ein  ähnliches 
Zeugnis  aus.  wie  Lederer  den  östlichen  sioux  ausgestellt  hatte,  d.  h.  Heekewelder 
schrieb:  Die  Delaware  vermieden  in  der  Kindererziehung  jedwede  Barschheit 
in  Wort  und  Tat.  —  Damit  meinte  er  aber  nicht,  daß  hier  die  Kinder  ebenso 
zügellos  und  wild  aufwuchsen,  wie  von  anderer  Seite  die  der  Sioux  geschildert 
worden  sind:  im  Gegenteil  schrieb  er:  Wollte  ein  Vater  einen  Auftrag  voll- 
zogen haben,  so  sagte  er  zu  seinen  Kindern:  „Ich  möchte,  daß  eines  von  euch 
dies  oder  das  tue,  da  oder  dort  hingehe;  wollen  wir  doch  sehen,  wer  so  brav 
ist!"      -  Dann  wollte  jedes  so  brav  sein  und  jedes  den  Auftrag  ausführen. 

Ein  anderes  schönes  Ziel  der  Delaware-Erziehung  war  nach  Heekewelder: 
Ehrfurcht  der  Kinder  vor  dem  Alter. 

Das  gleiche  Zeugnis  stellte  Baron  de  Lahontan  den  Kanada-Indianern 
aus.  Die  Ratschläge  und  Anordnungen  der  Väter  wurden  in  Kanada  nicht 
immer  befolgt,  wohl  aber  die  der  Großväter. 


'>   Boller,  ebenda  S.   127. 

*)  II.  »:<8 

3;   Heckeicelder  bei   Rem,  Des   Indianers    Familie,   S.   170  und    17lil 


444     Kap.  XLIV.    Pflege,  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

Freilich  scheinen  sowohl  Heckewelder  als  auch  De  Lahontan  mit  Vorliebe 
ihren  Lesern  die  Lichtseiten  der  ihnen  lieb  gewordenen  Indianerstänime  gezeigt 
zu  haben;  denn  daß  es  z.  B.  bei  den  Delaware  nur  Musterkinder  gegeben 
habe,  wie  sie  oben  augedeutet  sind,  ist  nicht  wahrscheinlich.  Tanner  dürfte 
die  Ottawa,  unter  denen  er  siebenundzwanzig  Jahre  lebte,  naturgetreuer 
gezeichnet  haben;  wenigstens  stellen  diese  Ottawa  nach  seiner  Schilderung 
psychologisch  wahrer  vor  uns,  als  das  Idealvolk  der  Delaware  bei  Heeheweldi  r. 
So  schrieb  z.  B.  Tanner,  er  sei  als  weißer  Knabe1)  von  seiner  Adoptivmutter, 
einer  <  Ittawa-Indianerin  namens  Net-no-kwa,  bisweilen  „so  gut  wie  ihre  eigenen 
Kinder  geprügelt  worden",  aber  sie  sei  trotzdem  gut  gegen  ihn  gewesen.  Von 
der  gleichen  Frau  sagte  er  aber  auch,  sie  habe  einmal  im  Zorn  ein  von  ihr 
gekauftes  Mädchen  totschlagen  wollen,  weil  durch  dessen  Nachlässigkeit  ihre 
Hütte  samt  ihrer  ganzen  Habe  verbrannt  sei.  —  Der  eigene  Sohn  dieser 
Xet-no-kwa  mißbrauchte  ihre  Nachgiebigkeit,  setzte  immer  seinen  Willen 
durch  und  verlachte  seine  Mutter,  wenn  sie  nach  Indianerart  von  ihren 
prophetischen  Träumen  sprach  2). 

Nach  Sehoolcraft3)  gab  es  bei  den  Indianerstämmen  des  „fernen  Nord- 
westen" eigene  Einladungen  für  die  männliche  Jugend,  bei  denen  der  Gast- 
geber, oder  dessen  Vertreter,  seine  jungen  Gäste  ermahnte,  sie  sollen  Greise, 
Krüppel  und  Blinde  nicht  verspotten,  sollen  ihren  Eltern  gehorchen,  bescheiden, 
wohltätig  und  gastfreundlich  sein,  den  Großen  Geist  als  Spender  des  Lebens 
und  alles  Guten  lieben  und  fürchten.  —  Solche  Ermahnungen  durchflocht  der 
Redner  mit  Beispielen  von  guten  und  bösen  Menschen,  worauf  er  gewöhnlich 
fragte:  „Wollt  ihr  wie  diese  sein?".  — 

Als  Züchtigungsmittel  bei  den  nordamerikanischen  Cr eek -Indianern 
erwähnte  Floß*)  im  Hinweis  auf  Keating  Nadelstiche  ins  Bein,  „sonst 
aber"  (?)  nur  Schwarzmachen  des  Gesichts  und  damit  verbundenes  Fasten. 
Wer  nicht  zeitig  aufstehen  wollte,  wurde  mit  kaltem  Wasser  begossen. 

Äußerst  selten  werden  nach  J.  A.  Spring  die  Söhne  der  Apachen 
bestraft.  Schon  in  frühester  Jugend  wird  ihnen  beigebracht,  daß  sie  zur 
Beherrschung  des  weiblichen  Geschlechtes  bestimmt  seien.  —  Damit  ihre 
Kinder  tapfer  würden,  gaben  ihnen  die  Apachen  am  Bio  Gila  das  Blut  von 
Tieren  zu  trinken,  welchen  sie  vorher  das  Fleisch  vom  lebendigen  Leibe 
geschnitten  hatten.  Erst  nach  dieser  Marter  schnitt  man  den  Tieren  die 
Halsader  durch,  worauf  das  zu  trinkende  Blut  von  den  Weibern  in  großen 
Kürbisflaschen   aufgefangen  und  den  Kindern  gereicht   wurde  (S.  W.  Cozzeri). 

Von  den  Inselkaraibeu  schrieb  Dapper,  daß  sie  ihre  zärtlich  und 
sorgfältig  gepflegten  Kinder  (es  sind  wohl  nur  die  Knaben  gemeint)  zur  Strafe 
hungern  ließen,  wenn  sie  beim  Bogenschießen  das  Ziel  verfehlten.  - 

Einen  scharfen  Gegensatz  zur  Erziehung  der  meisten  dieser  bisher 
behandelten  Stämme  Amerikas  bildet  jene  der  Mayas  und  Nahuas,  insofern 
diese  alten  Kulturvölker  Zentralamerikas  geradezu  barbarisch  straften. 

Nach  Baneroft  hatten  manche  Kinder  der  Mayas  ihren  Ungehorsam 
und  ihre  Widerspenstigkeit  mit  dem  Tod  zu  büßen  (vgl.  die  Chinesen). 

Die  Azteken  (Nahua)  wurden  am  Tage  ihrer  Hochzeit  vom  Priester 
ermahnt,  sie  sollen  ihre  künftigen  Kinder  in  ihrer  Nähe  zu  einem  Berufe 
erziehen,  sie  nach  ihren  Anlagen  unterrichten  und  zu  nützlichen  Gliedern 
der  Gesellschaft  machen.     Sobald  das  Kind  zugehen  anfing,  wurde  mit  dessen 


e  S    ii-  oben. 
2)  ZVi  :   Ren       S.  1  T-t. 

»)   Ebenda  S    im 

♦1   11.  :;  :s 


§  296.     Dämonenfurcht  als  Zuchtmittel  und  Verwandtes.  445 

Erziehung  begonnen.  Eltern  und  Priester  suchten  die  Kinder  mit  Abscheu 
vor  dem  Schlechten  und  mit  Liebe  zum  Guten  7.11  erfüllen'). 

Vor  dem  achten  Lebensjahr  bekam  das  Kind  die  Strafwerkzeuge  nur 
zu  sehen,  und  man  begnügte  sich,  sie  ihm  für  den  Fall  der  Not  anzudrohen. 
Aber  dann  folgten  harte  Strafen:  Zehnjährige  unbändige  Knaben  wurden  an 
allen  Vieren  gefesselt  und  an  verschiedenen  Körperteilen  mit  Agavedornen 
gestochen.  —  Mädchen  stach  man  in  die  Hände  und  Handgelenke:  wirkte 
das  nicht,  dann  gab  man  ihnen  Stockschläge.  Lügnern  bohrte  man  Dornen 
in  die  Lippen  und  schlitzte  diese  bei  häufigem  Rückfall  auf.  Elfjährige  Kinder 
hielt  man  über  brennenden  spanischen  Pfeffer  und  ließ  sie  den  quälenden 
Rauch  einatmen;  zwölfjährige  Burschen  setzte  man  einen  Tag  lang  nackt,  an 
Händen  und  Füßen  gefesselt,  auf  feuchtem  Boden  aus;  zwölfjährige  Mädchen 
mußten  zur  Strafe  nachts  aufstehen  und  das  ganze  Haus  auskehren2).  — 
Mangel  an  Fleiß  wurde  mit  mehr  Arbeit  und  weniger  Nahrung  bestraft 
t  Hancrofl)*).  Als  gewöhnliche  Strafen  für  Ungehorsam  erwähnte  Plo/i4) 
Peitschen  der  Kinder  mit  Nesseln  und  das  eben  erwähnte  Beräuchern  der 
Nasen  und  Augen  mit  rotem  amerikanischen  Pfeffer5),  und  Stechen  mit  Dornen. 
—  Auch  Zwicken  war,  nach  Bancroft,  eine  mexikanische  Kinderstrafe. 

Die  Mädchen  wurden  streng  zu  Fleiß  und  Reinlichkeit  angehalten. 
Ihren  Vater  durften  sie  nur  selten  sprechen  und  sehen,  und  zwar  nur  auf 
di  ssen  Wunsch.  Sie  wurden  in  diesem  Fall  von  ihrer  Erzieherin")  zu  ihm 
geführt  und  hörten  schweigend  und  mit  dem  Ausdruck  der  Demut  auf  seine 
Worte.  —  Höflichkeit,  wie  überhaupt  gewisse  Umgangsformen  gehörten  zur 
mexikanischen  Erziehung.  — 

Die  auffallende  Nachsicht  vieler  kulturell  niederstehender  Völker  gegen 
ihre  Kinder  finden  wir  dann  wieder  bei  den  von  Koch-Grünberg  besuchten 
Stämmen  im  nordwestlichen  Brasilien.  Hier  sah  Koch-Grünberg  niemals, 
daß  man  an  Kindern  seinen  Zorn  ausließ.  Mißhandlung  der  Kleinen  gab  es 
nicht.  Als  das  zweijährige  Söhnchen  des  Tukanohäuptlings  einmal  einem 
prächtigen  Schmetterling,  den  Kochs  Diener  gefangen  hatte,  die  Flügel  zer- 
brach, und  Koch  das  Kind  dafür  erzürnt  auszankte,  erhielt  dieser  von  der 
Mutter  des  weinenden  Knaben  die  Zurechtweisung,  es  sei  unrecht,  ein  kleines 
Kind  wegen  eines  unbewußt  beaangenen  Fehlers  zu  zanken 7).  — 

Unbedingten  Gehorsam  gegen  ihre  verwitweten  Mütter  und  Großmütter 
rühmte  Hyades  den  Kindern  der  Feuerländer  nach,  wo  es  Sitte  ist.  daß 
ältere  Witwen,  im  Falle  sie  nicht  ihrer  eigenen  Familie  vorstehen,  ein  paar 
Kinder  oder  Enkel  zu  sich  nehmen.  — 

§  296.     Dämoiieni'urclit  als  Zuchtmittel8)  und  Verwandtes. 

Ein  beliebtes  Volksmittel  in  der  Kindererziehung  ist  die  Furcht  vor 
Gespenstern,  schrieb  Floß').  Die  mannigfachsten  Schreck-  und  Spnkgeister 
hat  dabei  die  Phantasie  und  der  Witz  des  Volkes  erfunden.     Wir  Deutschen 


')  Vgl.  §  306. 

'1    Vgl.  die  Schulbildung  der  Azteken  (Mexikaner)  in  Kapitel  XLVI. 

n)  Siehe  Figur  396,  Feld  1  und  2.  von  oben  nach  unten  gezählt. 

4)  II,  346. 

'1   Vgl.  ähnliche  Strafen  in  Afrika  und  Indien  in  früheren  Paragraphen. 

8)  Ploß,  der  dieses  schrieb  (11,  346f.).  hatte  hier  augenscheinlich  nur  die  Tochter  der 
Vornehmen  im  Auge. 

'1  Vgl.  indessen  die  harten  Mannbarkeitsproben  auch  südamerikanischer  Stämme  in 
Kapitel  LVIII,  sowie  die  Zornausbrüche  der  in  diesem  Paragraphen  schon  angeführten 
Botokuden  gegen  ihre  Kinder. 

8)  Vgl.  „Das  Kind  und  die  Däraonenwelt",  Kap.  V,  sowie  St.  Nikolaus,  Weilmachten 
usw.  in  den   Kapiteln   XL11  und  XLIII. 

»)  2.  Aufl.  II,  326. 


446      Kap.  XLLV.    Pflege.  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

selbst  sind  an  solchen,  teilweise  im  germanischen  Mythos  wurzelnden,  Gestalten 
tiberreich.  Da  gibt  es  neben  gutmütigen  munteren  Lichtelben  böse,  auf  Wiesen 
tanzende  Schwarzeiben,  welche  die  Menschen  an  sich  ziehen  und  zerreißen; 
Zwerge  und  ihnen  verwandte  Kobolde.  Wichtelmännchen,  Bergmännchen,  Hoje- 
männl,  Grieschel,  Unterirdische  usw.  treiben  nachts  ihr  neckisches  Spiel.  Als 
Kinderschrecken  kennen  wir  sie  unter  den  Namen  Popanz,  Pozelmann. 
Pögel,  Grau-  oder  Erd  männle,  auch  Scherremändle.  Butze,  Heinzelmännchen. 
Rumpelaeister,  Hütchen,  Gütel,  Kolbuk  usw.  In  den  Getreidefeldern  banst 
ein  weiblicher  Korndämon,  Kornweib,  Korn-  oder  Roggenmutter,  Roggenmuhme. 
Rockertsweibel.  Erbsenmutter  oder  wilde  Frau  genannt. 

p]ine  solche  „Kornmuhme"  lauert,  nach  Drechsler,  neben  dem  Boggenwolf 
und  dem  Nillemön  in  den  Getreidefeldern  Schlesiens.  Die  Kinder  werden 
vnr  ihnen  gewarnt,  wenn  sie  in  die  Getreidefelder  gehen  wollen.  —  Im 
Riesengebirge  haust  Rübezahl,  den  die  Sage  übrigens  vielfach  als  Kinder- 
freund  auffaßt.  —  Im  preußischen  Schlesien,  wie  in  vielen  andern  Gegenden 
Deutschlands,  streut  ferner  der  „Sandmann"  den  Kindern  Sand  in  die  Augen. 

.,Der  Sandmann  kommt,  der  Sandmann  kommt, 

Der  Sandmann   ist  schon   da! 

Kr  hat  gar  schonen,  weißen   Sand, 

Ist  allen   Leuten   wohlbekannt, 

Der  Saudmann  ist  da!-' 

So  neckt  man  die  schläfrigen  Kinder,  wenn  sie  ihre  Augen  kaum  mehr 
aufzuhalten  vermögen  {Drechsler).  —  Nach  Ploß1)  sagt  man  in  andern  Gegenden 
„der  Sandmann  kommt"  zu  jenen  Kindern,  die  sich  nicht  zu  Bett  bringen 
lassen  wollen.  Da  es  nach  Drechsler  in  Schlesien  auch  heißt:  ..Der  Sandmann 
kommt;  er  streut  dir  wohl  schon  Sand  in  die  Augen!"  scheint  man  liier  mit 
diesem  Spruch  die  schläfrigen  Kinder  aufrütteln  zu  wollen,  während  sie  dort 
zu  Bett  gehen  sollen. 

Im  Spreewald  schreckt  die  slawische  Bevölkerung  ihre  Kinder  mit 
dem  Sserp  oder  Scerpel,  ein  menschenähnliches  Gespenst  mit  langem  Kopf, 
der  den  Kindern  den  Kopf  abschneidet,  wenn  sie  an  den  Ort  kommen,  wo  er  ist. 

In  Oldenburg  ist  der  schwarze,  im  Dunkel  hausende  Bumann  eine 
Kinderscheuche2);  bei  Röttingen.  Unterfranken,  „der  Bereif  mit  ungeheurem 
Bauch  und  Maul.  —  Vielleicht  haben  wir  hier  eine  Erinnerung  an  die  Berchta. 
wie  im  folgenden  an  Wodan.  In  Baden  schreckt  man  nämlich  die  Kinder 
mit  dem  gespenstischen  Schimmelreiter  oder  Hardtreiter.  Ferner  gibt  es  hier 
einen  kopflosen  kleinen  Schimmel,  sowie  eine  Nachtfrau.  Diese  holt  die  Kinder. 
wenn  sie  abends  nicht  heim  wollen8). 

In  Altenstadt  im  bayrischen  Schwaben  droht  man  den  Kindern  im 
gleichen  Fall:  ..Die  Nachteule  holt  dich." 

In  der  Schweiz  schreckt  man  die  Kinder  mit  der  menschenfressenden 
Riesin  Strägele,  nach  Floß*)  eine  lokale  Variation  der  Hulda  oder  Berchta.  - 


')  II,  327. 

•|  In  Meiningen  droht  die  Mutter  ihrem  ungehorsamen  Kind:  „Do  kömmst  in  die 
Betterbeil  on   muhst  stäneroe   Hutes  on  Steeknoedelsbrüh  eß." 

:'i  Die  Wald-  oder  Hartweiblein,  Lohiungfern.  Holzweibel,  die  nach  Birlinger  an  ver- 
schiedenen Orten  Badens  auch  Gilzen-,  Gestandener-,  Mauerholz-.  Baure-.  Sohleier-  und 
Falkcnhofor  Weible  heißen,  weisen  nach  Wolf  im  allgemeinen  als  Waldfrauen  auf  Genien 
der  Bäume  lim.  1  las  Banreweible  sitzt  in  den  höchsten  Gipfeln  der  Waldbäume,  hängt  dort 
unter  Seufzen   und   Klagen    Windeln  auf.   bei   deren    Waschen   es  ein  Klagliedleiu  singt: 

„Wässserle,   Wasserle,  wasche  rein. 
Getötet    hab'   ich   mein   Kindelein." 

*)  II.  326. 


§  296.     Dämonen  furcht  als  Zuchtmittel  und  Verwandtes.  44.7 

Andere  Kindergespenster  der  Schweiz  sind  der  Butzenmann,  der  im  bayrischen 
Schwaben  als  „Butzaman"  und  „Butzaraule"  gefürchtet  ist;  er  frißt  liier  die 
Kinder.  Ferner  droht  man  in  der  Schweiz  mit  dem  Klaubauf,  den  wir  schon 
vom  Nikolausfest  her  kennen,  mit  dem  Böggel  und  dem  Wauwau,  der  die 
bösen  Kinder  holt. 

Im  Aargau  holt  der  Hoggemann  das  Kind,  welches  allein  auf  dem  Abort 
sitzt;  Kinder,  die  grünes  oder  gedörrtes  Obst  naschen,  werden  vom  Erdmännchen 
geholt;  Kinder,  welche  Tauben  stehlen,  werden  eine  Beute  des  Trübelhundes, 
des  Trübeis,  des  Bölimäs  (wohl  Beerenmannes),  oder  des  Rebhansels.  Die 
schwäbische  „Nachteule"  tritt  hier  als  ,,Xachtheuel  auf,  hat  aber  die  gleiche 
Aufgabe  wie  jene,  tl.  h.  sie  holt  die  Kinder,  welche  nach  dem  Abendläuten 
noch  im  Freien  herumlaufen.  Das  tut  im  Aargau  übrigens  auch  das  Nacht- 
tier, der  Dorfpudel  und  das  Gwiggsi'). 

In  Tirol  holt  die  mit  einem  Pferdekopf  ausgestattete  Stampa  (Frigg, 
Berchta)  Kinder  (und  Wöchnerinnen).  Auch  der  Teufel  selbst  ist  als 
Argsmann,  Taxenhacker  oder  Grünäugel,  eine  Kinderscheuche. 

Mancherorts  ziehen  Nixen,  Wasserweiber,  Seejungfern,  Wassermännchen 
und  Nickel  oder  Neck  Kinder,  welche  dem  Wasser  zu  nahe  kommen,  in  die 
Tiefe  (vgl.  Kap.  V).  Damit  warnt  nicht  nur  die  deutsche  Mutter,  sondern 
auch  die  Esthin  ihr  Kind.  Ein  altesthnisches  hier  einschlägiges  Kinder- 
niärchen  lautet: 

Etwa  zwanzig  Werst  von  der  Stadt  Peru  au  lebte  in  alter  Zeit  ein 
wackerer  Fischer  namens  Kuusepää  (Fichtenkopf).  Dieser  hatte  einen  einzigen 
Sohn  namens  Pihlakas  (Sperberbaum).  Die  Eltern  verzärtelten  das  einzige 
Kind  gar  sehr,  weshalb  es  tun  konnte,  was  ihm  beliebte.  Eines  Tages  ver- 
langte er  von  seinem  Vater  dessen  Pferd  zum  Spazierritt,  was  der  Vater  nicht 
gestatten  wollte.  Der  Sohn  brauste  auf,  stampfte  mit  den  Füßen  und  sagte: 
„Papa!  ich  nehme  das  Pferd  mit  eigener  Erlaubnis,  denn  ich  will  reiten!" 
Der  Vater:  „Reite  nicht,  mein  Sohn,  du  wirst  den  Hals  brechen."  Aber  der 
Sohn  achtete  des  Vaters  Verbot  nicht,  führte  das  Pferd  aus  der  Koppel  und 
tollte  auf  ihm  so  lange  herum,  bis  das  Tier  zu  Boden  stürzte  und  verendete. 
Am  Abend  kam  er  nach  Hause  und  erzählte  lachend  sein  heutiges  Ereignis. 
Der  Vater  fluchte,  bestrafte  aber  den  Sohn  nicht.  Des  andern  Tages  ging- 
der  Knabe  am  Strand  spazieren  und  sah  ein  sehr  schönes  Pferd  grasen.  Er 
trat  näher,  bestieg  es  und  wollte  es  reiten.  Da  hörte  er  seines  Vaters  Stimme, 
die  ihn  anflehte,  herunter  zu  springen  und  zu  fliehen;  allein  der  Sohn  war  an 
des  Pferdes  Rücken  wie  mit  Nägeln  befestigt.  Das  Pferd  sprengte  davon  und 
stürzte  sich  schließlich  mit  seinem  Reiter  ins  Meer.  Des  Meeres  Neck  hatte 
den  Knaben  fortgetragen.  Noch  heutigen  Tages  soll  Neck  oftmals  mit  ihm 
auf  dem  Rücken  den  Strand  entlang  jagen  und  ungehorsamen  Kindern  Schrecken 
einflößen. 

Eine  Schreckgestalt  für  Kinder  sind  jetzt  noch  die  Werwölfe  (Wehr- 
oder Wärwölfe) 2),  welche  im  Mittelalter  die  Phantasie  auch  der  Erwachsenen 
sowohl  bei  germanischen  und  slawischen  als  auch  bei  romanischen 
und  keltischen  Völkern  beherrschte.  Man  konnte  nach  germanischer  Vor- 
stellung durch  Überwerfen  eines  Wolfshemdes  oder  Wolfsgürtels  oder  eines 
Gürtels  aus  Menschenhaut  auf  Jahre  hinaus  Wolfsgestalt  annehmen.  Schon 
in  Kapitel  III  des  ersten  Bandes  begegneten  wir  dem  Glauben  an  Werwölfe. 
Wie  aus  der  dortigen  Mitteilung  hervorgeht,  war  es  auf  den  Azoren  der 
siebente  Sohn,  welcher  je  einer  Familie  nach   einer  ununterbrochenen  Reihe 


')  2    Aufl.  I,  115. 

8)  ,.Wer"  d.   h.  „Mann". 


448      Kap.  XLIV.    Pflege,  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körpevl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

von  sechs  Söhnen  geboren  wurde,  der  sich  in  einen  Werwolf  (lobis-homem) 
verwandeln  konnte.  Auch  die  Gestalt  eines  Hundes  konnte  er  annehmen.  — 
Nach  germanischen  Vorstellungen  gingen  die  blutgierigen  Werwölfe  haupt- 
sächlich in  den  zwölf  Rauchnächten,  also  in  der  Zeit  zwischen  den  christlichen 
Weihnachten  und  Dreikönige  um,  raubten  Knaben  und  Mädchen  und  gruben 
Leichen  aus1).  —  Nach  dem  französischen  Arzt  George  Surbled  verstand 
man  unter  „Werwolf"  ein  wunderbares  Wesen,  welches  die  Straßen  und  das 
freie  Land  unsicher  macht.  Bald  erschien  es  als  ein  mit  Ketten  beladener 
Wolf,  der  die  kleinen  Kinder  auffraß,  bald  als  ungeheurer  weißer  Hund,  oder 
als  schwarze  Ziege.  Zuweilen  war  es  unsichtbar,  körperlos  und  machte 
sicli  nur  durch  ein  dumpfes,  dem  Rollen  eines  Rades  ähnliches  Geräusch 
bemerkbar. 

Surbled  bringt  den  Glauben  an  den  Werwolf  mit  der  Wolfssucht  in 
Verbindung,  welche  früher  die  menschliche  Phantasie  erhitzte.  Man  habe 
Schlafenden  suggeriert,  sie  seien  Vögel,  Katzen  oder  AVölfe,  welche  die  Kinder 
verfolgten.  Solche  Suggestionen  hätten  sich  im  Gehirn  festgesetzt  uud  seien 
durch  die  Manipulationen  der  Hexenmeister  bestärkt  worden.  ..Die  Hexen- 
meister," schreibt  er,  „verfehlen  nicht,  die  passende  Verkleidung  vorzunehmen'-'). 
Es  steht  fest,  daß  die  Werwölfe  sich  auf  ihren  Wanderungen  in  eine  Tier- 
haut einhüllten.  Sie  rieben  sich  mit  einer  bestimmten  Salbe  ein  oder  ver- 
schluckten ein  geheimnisvolles  Pulver,  welches  ihre  Selbsttäuschung  noch  ver- 
mehrte und  bestärkte.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  sowohl  der  Hexen- 
meister selbst,  als  auch  seine  leichtgläubigen  Opfer  nach  vorgenommener 
Verwandlung  ihre  Bolle  durchaus  ernsthaft  auffaßten,  zumal  wenn  sie  geistig 
minderwertig  waren.  Die  Wolfssucht  artete  zuweilen  in  Wahnsinn  aus,  zu- 
weilen ...  in  unheilbare  Schwermut."  Möglicherweise  seien  die  Wolfssüchtigen 
von  jeher  geisteskrank  gewesen3).  — 

Daß  der  Glaube  an  Werwölfe  ein  Deckmantel  für  manches  Verbrechen 
war,  dürfte  aus  der  Tatsache  geschlossen  werden,  daß  es  auf  Haiti  auch 
jetzt  noch  den  Werwolf en  zugeschrieben  wird,  wenn  alte  Neger  Kinder  stehlen 
und  sie  dem  Götzen  Vaudoux,  oder  direkt  ihren  eigenen  kannibalischen  Ge- 
lüsten opfern  (Metzger,  nach  Spenser  St.  John). 

Die  dortige  Benennung  „loups  garrous"  läßt  vermuten,  daß  der  Werwolfglaube 
auf  Haiti  durch  die  Franzosen  eingeführt  wurde,  wenn  es  auch  keineswegs 
ausgeschlossen  ist,  daß  die  französische  Benennung  auf  bereits  vorhandene, 
verwandte  Negervorstellungen  übertragen  wurde,  zumal  bei  Negern  auch 
Vampyrvorstellungen  nachgewiesen  sind4),  welche,  wie  schon  angedeutet,  den 
Werwolfvorstellungen  nahe  verwandt  sind.  Übrigens  war  schon  den  alten 
Griechen  ein  „Lykanthropos"  und  den  alten  Römern  ein  „Vertipellis" 
bekannt. 

Andere  Schreckgestalten,  speziell  für  die  Kinder,  waren  im  alten 
Griechenland  die  Akku  und  Alphito;  der  kohlengeschwärzte  Merkur  und 
der  Arges  Steropes  holten  ungezogene  Kinder;  sehr  gefährlich  war  die 
kinderfressende  Lamia,  welche  im  Epirus  heute  noch  eine  Kinderscheuche 
ist  (Bernh.  Schmidt). 


')  Vgl.  die  Vampyre  in  früheren  Kapiteln. 

2)  Ks  gab  auch  geborne   Werwölfe. 

s)  Surbled.  Die  Moral  in  ihren  Beziehungen  zur  Medizin  und  Hygiene.  II.  Bd.:  Das 
geistig-sinnliche  Leben.     Übersetzung   nach   der  zehnten  Auflage,   Hildesheim  1909,  S.   155) f. 

'i  Siehe  Bd.  I,  S.  11 'it.  —  Den  Kannibalismus  und  Vaudoux-  oder  Wodukult  der 
Haiti-Neger  hat  Kapitel   VIII  gestreift. 


§  296.     Dätnonenfurcht  als  Zueutniittel  und  Verwandtes.  449 

Die  Maronitin  am  Libanon  sucht  ihr  Kind  dadurch  zum  Gehorsam  zu 
bringen,  daß  sie  ihm  mit  dem  Wolf,  der  Hyäne,  dem  gehörnten  Teufel,  dem 
„bo'bo",  einer  schauerlichen  Bestie,  uud  derartigem   mehr  droht  (Chemali). 

Die  Söbakijje,  ein  Stamm  in  Arabia  Petraea,  schrecken  ihre  Kinder 
mit  den  Worten:  „al-gänijje  bihodak".  d.  h.  die  Gänijje  (ein  weiblicher  Geist) 
nimmt  dich  (ilusil). 

An  der  nordwestlichen  Küste  Afrikas  halten  die  Krn-Neger  ihre 
Kinder  mit  Gespenstergeschichten  und  Fetischglauben  im  Zaum.  Sie  hängen 
ihnen  Fetische  um  den  Hals  und  schärfen  ihnen  ein,  daß  diese  jedes  Vergehen 
mit  jähem  Tod  bestrafen1). 

Den  gleicheu  Brauch  referierte  Plo/i2)  von  den  Ewe. 

In  Washington  D.  C.  suchen  alte  Negerinnen  ungehorsame  Kinder 
mit  der  Drohung  zu  bändigen,  daß  die  „night- doctors"  kommen  und  sie  fangen. 
Darunter  verstehen  sie  Männer,  die  nachts  umhergehen,  verlorne,  böse  Kinder 
mitnehmen,  zerschneiden  und  kochen.  Charles  Oriffith  Hoffmann,  der  das 
berichtet,  sucht  den  Ursprung  dieses  Aberglaubens  in  den  Geschichten  von 
Grabräubern  und  dem  Gerüchte,  daß  Medizinstudierende  sich  kleiner  Kinder 
bemächtigen,  um  sie  zur  Vivisektion  zu  gebrauchen. 

In  Australien  fürchtet  man  Wesen,  die,  ähnlich  unsern  Nixen,  halb 
Mensch,  halb  Fisch,  in  den  Gewässern  leben,  Schwimmer  zu  sich  hinunter 
ziehen  und  Kinder,  die  am  Ufer  spielen,  in  die  Finten  locken.  —  Im  Dunkel 
der  Eukalypten  halten  sich  die  gefürchteten  Dämonen  Melapi.  Karungpe  und 
l'epe  auf  (Karl  Emil  Jung). 

Ein  eigentümliches  Moment  aus  der  Koreanischen  Kindererziehung 
finden  wir  in  der  in  Seoul  erscheinenden  „Korea  Revue"3)  verzeichnet:  Die 
Koreaner  prägen  ihren  Kindern  ein,  beim  Betreten  oder  Verlassen  des  Hauses 
ja  nicht  auf  die  Schwelle  zu  treten,  .sondern  dieselbe  zu  überschreiten,  und 
sie  bestrafen  die  Übertretung  dieser  Vorschrift.  In  dem  koreanischen  Elementar- 
buch  So-hak,  d.  h.  „Kleines  Lernen",  fordert  eine  Anstandsregel,  daß  man 
des  Gastgebers  Türschwelle  nie  mit  den  Füßen  berühren  solle,  weil  die  Türe 
das  Mittel  sei,  durch  welche  der  Eigentümer  aus-  und  eingehe,  und  schon  dieser 
Nützlichkeit  wegen  eiues  der  ehrwürdigsten  Teile  des  Hauses  sei.  Zudem  ist  nach 
koreanischem  Glauben  die  Türschwelle  dem  Schutzgütte  des  Hauses,  dem 
Sung-ju,  heilig.  Wer  auf  sie  tritt,  tritt  diesem  Dämon  auf  den  Nacken,  oder 
die  Kehle  und  entgeht  seiner  baldigen  Bestrafung  nicht. 

Im  alten  Mexiko  drohte  man   unartigen  Kindern  mit  den  Naguales4). 

Wenn  die  Kinder  der  Aymara-Indianer  (Bolivia)  das  Wort  ..lari"  hören, 
fürchten  sie  sich,  und  wenn  sich  die  Mutter  Ruhe  verschaffen  will,  sagt  sie: 
Der  lari  kommt,  worauf  die  Kinder  wie  erschreckte  Rehe  den  Atem  anhalten 
uud  sich  verstecken,  schreibt  Chr.  Nusser.  Dieser  lari  ist  allerdings  kein 
Gespenst,  sondern  ein  leibhaftiger  Kirchendiener,  der  jedes  Jahr,  am  Abend 
des  Rosenkranz-Sonntags,  von  Hütte  zu  Hütte  wandert,  um  die  nötigen  Mittel 
zu  dem  eigenartigen  Chilinchilifest  zusammenzubringen.  „Lari"'  bedeutet 
„Seele",  und  so  antworten  diese  kollektierenden  Kirchendiener  auf  die  Frage, 
•wer  sie  seien:  „Ich  bin  der  Lari",  d.  h.  sie  weisen  auf  das  bevorstehende 
Allerseelenfest  hin.  Groß  und  Klein  hat  vor  ihnen  eine  ehrfurchtsvolle 
Scheu  und  hält  sie  als  unantastbar,  insofern  sie  die  Menschen  an  die  Ewigkeit 


')  Pfoß,  II,  341  nach  Lighton   Wilson. 

*)  II,  'di'i  mit  einem  Hinweis  auf  Ziindel. 

*)  Vol.  I,  Januar  1901,  p.  20. 

*)  Vgl.  Bd.  I,  S.  77  und  121. 

Ploß-RenK.  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  29 


450     Kap.  XLIV.    Pflege.  Abhärtung,  Charakterbild,  u.  körperl.  Züchtigung  d.  heranw.  Kindes. 

erinnern,  während  der  Einsammlungstage  sich  ihrer  Weiber  enthalten,  alle 
Ausschreitungen  vermeiden  müssen  und  kaum  die  nötigste  Nahrung  genießen 
dürfen. 

Die  K  ob  eua -Indianer  am  Rio  Cuduiary,  nordwestliches  Brasilien, 
weisen  nach  Koch- Grünberg  unartige  Kinder  mit  ermahnenden  Worten  zurecht, 
oder  drohen  ihnen,  hauptsächlich  wenn  sie  durch  Weinen  die  Nachtruhe  stören, 
mit  dem  „bösen  Geist",  der  komme.  „Obähakö,  aböxökö  daibi."  —  „Sei  still, 
der  böse  Geist  kommt!" 

Bei  den  Feuerländern  am  Kap  Hörn  fand  Ryades  eine  große  Furcht 
vor  dem  Ualapatu,  und  Bridge  erwähnte  Ähnliches  vom  Beagle-Kanal,  wo 
der  Catchpick  gefürchtet  wird.  Hyades  verglich  diesen  Aberglauben  mit  dem 
Werwolf glauben;  denn  auch  diese  feuerländischen  Dämonen  bilden  den  Gegenstand 
des  Schreckens  nicht  nur  für  Kinder,  sondern  auch  für  Erwachsene.  Sie  sind 
als  böse  Wesen  gedacht,  die  für  gewöhnlich  unsichtbar  sind  und  sich  nur 
zeigen,  um  Unheil  zu  stiften.  Wer  sie  sieht,  ist  verloren.  Wenn  man  ihre, 
dem  Bobbenlaut  ähnliche,  Stimme  hört,  wird  alles  von  grausiger  Angst  erfüllt; 
man  verrammelt  die  Hütten  und  wartet  bewaffnet  und  zitternd  den  Morgen 
ab,  worauf  das  Lager  nach  einer  andern  Insel  verlegt  wird.  Aber  das  Gespenst 
verfolgt  die  Leute  oft  auch  da  noch  nächtelang.  — 


Kapitel  XLV. 

Die  Heranziehung  des  Kindes  zu  körperlicher  Arbeit1), 

§  297.     Mädchenarbeit. 

Wilhelm  Hoffmann  schrieb  den  jetzigen  intellektuellen,  sittlich-religiösen 
und  sozialen  Tiefstand  des  weiblichen  Geschlechtes  in  Indien  hauptsächlich 
dem  Einfluß  des  Islams  zu.  In  der  Blütezeit  der  tamilischen  Kultur  habe 
es  in  Indien  gelehrte  Frauen  gegeben,  deren  literarische  Produkte  teilweise 
heutzutage  noch  in  den  Knabenschulen  der  Tamilen  Gegenstand  des  Unter- 
richtes seien.  -  -  Damit  stimmt  überein,  was  Josef  Dahlmann  von  den  adligen 
Frauen  des  indischen  Mittelalters  schrieb,  deren  hochgradige  Geistesbildung 
das  folgende  Kapitel  streifen  wird. 

Auf  diese  Glanzperiode  der  Inderin,  wenigstens  der  aristokratischen 
Kreise,  folgte  eine  Ära  tiefer  Erniedrigung,  aus  der  sie  jetzt,  durch  den 
Einfluß  des  christlichen  Abendlandes,  wieder  gehoben  werden  soll.  Aber  noch 
sind  jene  Inderinnen,  auf  die  ein  solcher  Einfluß  bereits  ausgeübt  werden 
konnte,  Ausnahmen.  Die  Regel  ist,  daß  das  indische  Mädchen  ohne  Bildung 
aufwächst,  und  daß  das  Weib  ihr  Leben  in  Sklavenhalter  Unterwürfigkeit 
gegen  ihren  Mann  zubringt.  Dahin  zielt  im  allgemeinen  die  indische  Mädchen- 
erziehung, wenn  man  überhaupt  von  einer  solchen  sprechen  kann.  Hoffmann 
schrieb  im  Jahre  1873:  Sechsjährig  wird  das  Mädchen  an  ihren  zukünftigen 
Mann  verkauft2),  doch  bleibt  sie  noch  einige  Jahre  im  väterlichen  Hause, 
beständig  unter  dem  Sklavenjoch  der  häuslichen  Arbeit. 

Häusliche  Arbeiten  verrichten  ist  nun  allerdings  durchaus  keine  Sklaverei. 
Auch  schrieb  Hoffmann  selbst,  daß  die  Mädchen  der  höhereu  Kasten  ihre 
Zeit  im  allgemeinen  mit  eitlem  Geschwätz,  „manche"  davon  mit  Nähen  und 
Sticken3)  zubringen.  Katharina  Zitelmann  sah  während  ihres  Aufenthaltes 
in  Indien  um  das  Jahr  1900  im  Haus  eines  mohammedanischen  Rechtsanwaltes 
in  Lahor e,  wo  allerdings  europäischer  Einfluß  stark  bemerkbar  war,  insofern 
die  Tochter  z.  B.  vorzüglich  englisch  sprach,  daß  diese  in  ihren  Mußestunden 
Prachtgewänder  für  Hochzeiten  anfertigte,  wobei  sie  eine  erstaunliche  Phan- 
tasie entfaltete.  Demnach  wird  den  Töchtern  der  vornehmeren  Stände  nicht 
allzuviel  körperliche  Arbeit  aufgetragen,  und  das  Elend  ihrer  Erziehung  dürfte 
vielmehr  im  Nichtstun  bestehen.  Allerdings  gehört  Kochen,  Wasserholen 
und  Aufwarten  bei  Tisch  zu  den  Pflichten  der  verheirateten  Frauen,  selbst 
der  angesehenen  Brahmauinnen,  wie  Hoffmann  schrieb.  Es  werden  also  wohl 
schon  die  Mädchen  in  diese  Beschäftigungen  eingeführt  werden.  - 

Was    das   Nähen    betrifft,    so   darf    man   der   Schneiderzunft    nicht    ins 


')  Ein  Überblick  über  dieses  und  das  nächste  Kapitel  folgt  als  Abschluß  dieses  letzteren. 
*)  Siehe  Kapitel  LVI:   Verlobung  und  Verheiratung  im  Kindesalter. 
*)  Das  Sticken  ist,  nach  den  in  Deutschland  zur  Schau  gestellten  Indern  zu  urteilen, 
eine  Beschäftigung  und  Einnahmequelle  auch  der  Männer. 

29* 


452  Kapitel  XLV.     Die  Heianz.el.u  ig  des  Kindes  zu  körperlicher  Arbeit. 

Handwerk  greifen;  auch  wirft  man  die  Baumwolltücher  ungesäumt  um  Lenden, 
Schulter  und  Kopf;  Bett-  und  Tischzeug  gibt  es  nicht.  Ahnlich  verhält  es 
sich  mit  dem  Waschen,  welches  der  Wäscherkaste  zukommt,  infofern  nicht 
jeder  seine  Baumwolltücher  beim  täglichen  Bad  selbst  reinigt.  Hingegen 
gehört  das  Spinnen  zu  den  Pflichten  des  weiblichen  Geschlechtes  der 
ärmeren  Bevölkerung,  der  es  ja  nirgends,  auch  nicht  in  Indien,  an  Arbeit 
fehlt.  Die  Inderinnen  der  niederen  Stände  bebauen  das  Feld,  besorgen  die 
Küche  reinigen  das  Haus,  gehen  auf  den  Markt  und  besuchen  scharen- 
weise'die  Tempel,  während  die  Frauen  der  Vornehmen  sich  schmücken, 
intriguieren  und  über  die  Fehler  benachbarter  Familien  schwatzen,  bisweilen 
ihre  ebenso  vereinsamten  weiblichen  Verwandten,  oder  die  Pagode,  oder  das 
Badehaus  besuchen.  — 

Mit  dieser  Schilderung  stimmt  freilich  nicht,  daß  die  Frauen  „auch 
der  Reichsten"  die  „gemeinsten  Geschäfte"  verrichten,  z.  B.  den  Dünger 
in  einem  Korb  auf  dem  Kopf  aufs  Feld  tragen,  wie  Hoffmann  an  einer  andern 
Stelle  mit  einem  Hinweis  auf  Massie  schrieb.  Und  doch  scheint  das,  wenigstens 
in  gewissen  Teilen  des  Landes,  der  Wahrheit  zu  entsprechen;  denn  auch 
Motte1)  berichtete:  „Ich  habe  Männern  von  Bang  meine  Aufwartung  gemacht, 
deren  Frauen  ich  selbstgehauenes  Holz  nach  Hause  tragen  sah,  so  viel  sie 
nur  schleppen  konnten,  um  es  an  mich  für  einen  Penny  zu  verkaufen." 

Ein  Schluß  auf  die  indische  Mädchenarbeit  ist  nach  dieser  Kenntnisnahme 
der  Beschäftigung  der  verheirateten  Indierin  um  so  Leichter,  als  das  indische 
Mädchen  aller  Kasten  bis  zur  neuesten  Zeit  herauf,  wie  bereits  erwähnt,  schon 
im  Kindesalter  verlobt  wird. 

Im  heutigen  Persien  verbringen  die  Mädchen  ihre  Zeit  mit  Schwätzen, 
sticken  und  Zubereitung  süßer  Speisen  und  (ieträuke,  wie  Ella  C.  Sykes 
schreibt.  —  Sie  hat  dabei  wohl  nur  die  Töchter  vornehmerer  Kreise  im  Auge. 
Die  Töchter  der  alten  Germanen  lernten  frühzeitig  Spinnen.  Weben 
und  Nähen  (Grwpp)-  —  Das  bildete  einen  Teil  der  Beschäftigung:  der  Töchter 
auch  Karls  des  Großen  {WemhoU).  --  Ebenso  schrieb  Alwin  Schultz  über  die 
Zeil  der  .Minnesänger,  daß  die  deutschen  Mädchen  vornehmer  Kreise  Nahen. 
Spinnen  und  die  übrigen  weiblichen  Handarbeiten  von  früher  Jngend  an  lernten. 
Die  Vorbereitung  auf  den  Hausfrauenberuf  wurde  neben  dem  Unterricht  im 
Lesen  und  Schreiben  nicht  vernachlässigt.  —  Daß  die  Töchter  der  Land- 
bevölkerung damals,  so  gut  wie  jetzt,  auch  Stall-,  Garten-  und  Feldarbeit 
verrichteten,  versteht  sich  wohl  von  selbst.  — 

Die  Beduinen-Frau  der  arabischen  Halbinsel  lehrt  ihre  Tochter 
Wasser  holen,  Holz  und  Dorngestrüpp  schneiden,  den  Mist  von  Kamelen, 
Pferden.  Schafen  usw.  als  Brennmaterial  sammeln.  Reis  aushülsen,  Korn  mahlen. 
Brot  backen  und  was  sonst  zur  materiellen  Wohlfahrt  der  Familie  dienlich 
ist.  Überhaupt  beschränkt  sich  hier  die  Mädchenbildung  fast  ausschließlich  auf 
den  Unterricht  in  körperlicher  Arbeit  (.1.  M.  d,  St,  Elie).  -  In  Genien 
Innen  die  Mädchen  neben  den  gröberen  Hausarbeiten  auch  ^  eben.  Nahen 
und  Sticken  (Eenzo  Manzoni).  ■-  Belehrung-  in  den  häuslichen  Arbeiten  er- 
wähnte /,'.  Fitzner  als  den  einzigen  Unterricht,  welchen  die  arabischen  Mädchen 
auch  an  der  tunesischen  Ostküste  erhalten. 

Die  ostafrikanischen  Somal-Mädchen  lernen  Stroh  flechten,  Wasser-  und 
Milchschläuche  nähen,  Kochen,  Hütten  bauen,  das  Baumaterial  selbst  her- 
stellen (?),  Gerben  und  andere  schwere  Arbeiten  {Haggenmacher).  - 

Einführung  der  Töchter  in  die  häuslichen  Arbeiten  meldete  Rohlfs  von 
den  Berberfrauen. 

'i  Hei  Hoffmann,  S.  56. 


§  297.     Mädchonarbeit. 


453 


Weüle  schrieb:  „In  der  Völkerkunde  ist  oft  zu  lesen,  daß  die  Naturvölker 
die  Geburt  von  Mädchen  aus  rein  mammonistischen  Gründen  freudig  begrüßen; 
brächten  doch  die  erwachsenen  Mädchen  dem  Elternpaar  bei  der  Heirat  den 
Kaufpreis  ein.  Bis  zu  einem  gewissen  Grade  mögen  derartige  Momente  auch 
hierzulande  (d.  h.  auf  dem  Makondeplateau)  mitspielen,  im  allgemeinen  aber 
sind  Mädchen  schon  deswegen  gern  gesehen,  weil  sie  der  Mutter  bei  den 
mannigfachen  Arbeiten  im  Haus  und  Feld  frühzeitig  an  die  Hand 
gehen  können ')." 


Fig.  383.    Mädchen  mit  kleinen  Kindein   auf  dem  Rücken.     Lukuledi.   südliches    D  eutsch-Ostaf  l'ika. 

Aus  Wehrmeister,  „Vor  dem  Sturm",  S.  83. 

Wehrmeister  stellt  das  Dienstbarseiu  der  Makua-  und  Wayao-Mädchen 
in  der  Lukuledi-Mission  der  großen  Freiheitslust  der  dortigen  Knaben  gegen- 
über. Beides  lasse  einen  regelmäßigen  Schulbesuch  schwer  aufkommen.  — 
Zu  den  Arbeiten  der  Mädchen  in  jungen  Jahren  gehört,  wie  bei  uns,  die 
Überwachung  und  das  Herumtragen  ihrer  kleinen  Geschwister  (siehe  Fig.  383, 
384  und  385). 

Fig.  386  zeigt  uns  Mädchen  der  deutsch-ostafrikanischen  Mission 
der  Väter  vom  hl.  Geist  in  Kiboscho  bei  der  Wäsche. 


')  Dennoch  sind  nach  Weule  die  Mädchen  auch  auf  dem  Makondeplateau  nicht  überall 
so  gerne  gesehen  wie  die  Knaben. 


454 


Kapitel  XLV.     Die  Heranziehung  des  Kindes  zu  körperlicher  Arbeit, 


Von  den  Makololo  und  andern  Stämmen  südlich  vom  Sambesi  schrieb 
Emil  Holub:  Sie  halten  die  Mädchen  tüchtig  zur  Arbeit  an.  Die  Mutter  sieht 
in  jedem  eine  Erleichterung,  und  der  Vater  möchte  bei  dem  Zuwachs  der 
Familie  durch  ein  Mädchen  ein  größeres  Stück  Feld  bebaut  sehen.  Bis  zu 
10  oder  12  Jahren  haben  sie  das  Wasser  zu  holen  und  häusliche  Arbeiten  zu 
verrichten. 

Wenn  bei  den  Basutos  in  Britisch-Südafrika  das  Kind  kaum  den  Rücken 
seiner  Mutter  verlassen  hat,  muß  es  schon,  gleichviel  ob  Knabe  oder  Mädchen, 
Wasser  tragen,  Holz  holen,  die  kleinen  Geschwister  beaufsichtigen  und  andere 
kleine  Dienste  leisten.  Bald  müssen  die  Mädchen  auch  zum  Jäten.  Pflanzen 
und  Picken  auf  das  Feld. 


Kit:.  S84.  Mädchen  mit  einem  Brüderlein  auf 
dem  Rücken.  Peramiho,  südliches Deutsch- 
Ostafrika.  Aus  Wehrmeister,  „Tor  demSturiu", 

S.   146. 


Fig.  SM.     Kinder  mit  kleinen  Geschwistern  auf  dem 
Bücken.    Mission  der  Väter  vom  heiligen  Geist  in 
Deutsch-Ostafrika. 


Bei  den  Bantu  am  untern  Kongo  bestehen  die  Arbeitspflichten  der 
Mädchen  nach  Weeks  im  folgenden:  In  der  Frühe  Wasser  holen,  da  übernächtiges 
Wasser  immer  ausgeschüttet  wird,  das  Haus  auskehren,  das  Feuer  anmachen,  wenn 
es  ausgegangen,  und  das  Frühstück  kochen;  dann  begleiten  sie,  mit  Hacke,  Korb, 
Kalabasse  usw.  ausgerüstet,  ihre  Mütter  auf  das  Fehl,  wo  sie  nach  deren  Anweisung 
und  der  Saison  entsprechend  hacken,  anpflanzen  und  ernten.  Vor  ihrer  Rückkehr 
haben  sie  je  einen  Büschel  Holz  zu  sammeln,  das  sie  heimtragen  müssen.  Zur 
/tit  der  Ernte  ist  es  ferner  ihre  Pflicht,  für  ihren  Vater,  der  im  Dorf  oder  in  der 
Stadt  bleibt,  Erdnüsse,  Kassava  oder  Vams  zu  rösten. 

Von  den  Töchtern  der  Ngumba  im  südlichen  Kamerun  berichtet 
/..  Conradt:  Sobald  sie  gehen  können,  müssen  sie  der  Mutter  im  Hauswesen 
helfen.  Wasser  und  Brennholz  holen,  Fische  fangen  uud  von  der  Mutter  lernen, 
wie  man  Netze  und   Matten  macht. 


§  297.     Mädchenarbeit. 


455 


Die  Mandingo-Mädchen  im  westlichen  Sudan  lernen  von  ihren  Müttern 
neben  den  häuslichen  Arbeiten  auch  Baumwolle  spinnen  {Mungo  Park). 

Bei  den  Howa,  Malayen  auf  Madagaskar,  beginnt  die  Arbeitsteilung 
für  die  Kinder  beiderlei  Geschlechts  ungefähr  mit  dem  neunten  Jahr.  In 
diesem  Alter  kommt  auch  hier  den  Mädchen  das  Sammeln  des  Brennmaterials 
und  das  Wasserholen  zu  (Camboue). 

Kaum  kann  das  Töchterlein  der  Batak-Mutter  auf  Sumatra  gehen, 
so  begleitet  es  diese  schon  auf  das  Fehl.  Wenn  einmal  größer,  haben  die 
Mädchen  die  Schweine  zu  besorgen,  die  sie  morgens  und  abends  mit  hell- 
klingender Stimme  unter  den  Lockrufen  „Ndrawandwana"  zum  Flittertroge 
rufen,  wo  sie  dann  als  treue  Hüterinnen  mit  einem  Stock  ungebetene  Mitfresser 
abwehren.     Auch   die  Hühner   sind  ihrer  Obhut   anvertraut   und  werden  mit 


Fi«.  3S^.  Madcheu  aus  KiboscUo,  Deutsdi-Üstafrika,  bei  der  Wäsche. 


schrillem  „Grrrrrr  .  .  .  ne-he"  zu  den  Beis-  oder  D jagung-Näpfen  gelockt  und 
mit  „si-a"  verscheucht  (Frhr.  von  Brenner). 

Von  früher  Jugend  an  werden  die  Mädchen  auch  auf  Neuguinea  und  Neu- 
kaledonien  von  ihren  Müttern  mit  auf  die  Pflanzungen  genommen  und  hiei 
zur  Arbeit  angehalten. 

Auch  auf  Samoa  führt  man  sie  bald,  d.  h.  vom  5.,  6.  oder  7.  Lebensjahr 
an,  in  ihre  Berufspflichten  ein.  Die  Töchter  helfen  nun  ihren  Müttern  die 
kleinen  Kinder  pflegen,  flechten  feiue  Matten.  Fächer  und  Taschen,  suchen 
eßbare  Muscheln  usw.  (Turner  und  Kuhary). 

Sehr  beachtenswert  sind  die  kunstgewerblichen  Leistungen  der 
japanischen  Mädchen  auf  verschiedenen  Gebieten.  Die  japanischen  Stickereien 
sollen  auf  der  Pariser  Weltausstellung  1900  alle  übrigen  derartigen  Leistungen 
übertroffen  haben  (vgl.  die  Schulbildung  der  japanischen  Mädchen  in  Kap.  LVI). 
Dabei  wird  der  Hausfrauenberuf  nicht  vernachlässigt.  — 


456 


Kapitel  XLV.     Die  Heranziehung  des  Kindes  zu  körperlicher  Arbeit. 


„Man  kann  nicht  umhin,  den  Fleiß  und  die  Tatkraft  der  Koreanerin 
zu  bewundern."  schreibt  A.  Hamilton.  „Trotz  der  Geringschätzung:,  mit  der 
man  ihr  begegnet,  ist  sie  die  große  wirtschaftliche  Triebfeder  im  Hauswesen 
und  im  Leben  der  Nation.  Die  Macht  der  Verhältnisse  hat  sie  zu  einem 
Lasttier  gemacht,  sie  plagt  sich,  damit  ihr  Herr  und  Meister  sich  in  aller 
Kühe  einem  bequemen,  ja  verhältnismäßig  üppigen  Leben  hingeben  kann.';  — 
Die.  Arbeit  der  Mädchen  spezifiziert  Hamilton  nicht,  aber  aus  der  Skizze, 
welche  er  von  der  Frauenarbeit  entwirft,  ist  ein  Schluß  auf  die  Arbeit  der 
Mädchen  erlaubt.  Die  Koreanerinnen  der  Mittel-  und  Unterklassen  der 
Bevölkerung  verrichten  in  Haus  und  Feld  alle  körperlichen  Arbeiten,  die  man 

bei  uns  gewöhnlich  Männer- 
arbeit nennt,  oder  aber 
durch  Tiere  ausführen  läßt; 
so  z.  B.  ackern  sie  und  be- 
bauen das  Feld.  Außerdem 
kochen. waschen. plätten  und 
nähen  sie.  Brechen  schwere 
Zeiten  herein,  denen  der 
träge  Mann  unterliegt,  so 
sind  sie  es,  die  das  Hauswesen 
zusammenhalten,  zumal  sie 
auch  Geschäfte  führen,  z.  B. 
Schenken  und  Hotels  leiten, 
das  Schuhmacherhandwerk 
ausüben,  Fischnetze  stricken 
können  usw.  — 

Die  hier  genannten 
Geschäfte  dürfen  jedoch  nur 
von  den  Frauen  des  mitt- 
leren und  untersten  Standes 
betrieben  werden;  die 
Frauen  des  obersten  Standes 
hingegen  können  sich  der 
Bienen-  und  Seidenraupen- 
zucht widmen.  Bastschuhe 
fertigen1),  eine  Weinhand- 
lung leiten  und  Lehrerin 
werden.  Außerdem  beschäf- 
tigen sich  die  vornehmen 
Koreanerinnen  mit  Sticken. 
Kleidermachen,  Nähen  und 
Weben.  —  Auf  ihre  in- 
das   folgende    Kapitel    zu 


Fig.  887. 


Koreanische  Familie.    Im  K.  Ethnographischen  Kus 

in  M  ü  n  chen. 


tellektuelle    und    künstlerische   Ausbildung    kommt 
sprechen. 

Über  ilii'  Beschäftigung  der  Mädchen  in  China  bemerkte  Slmz:  Während 
das  kleine  Stadtmädchen  seine  Zeit  mit  Spielen  verbringt,  schleppt  das  Töchter- 
lein des  Bauern  und  Handwerkers  seine  noch  kleineren  Geschwister  herum. 
Mit  K  — lo  .Iahten  lernt  es  Spinnen  und  hilft  in  der  Küche,  mit  14  Jahren 
Wehen,  Sticken   und  Nähen.     In   diesem  Alter  müssen   sich  manche  Mädchen, 

in  in  ihren  Familien  lebend,  selbst  unterhalten,  wobei  sie  sich  oft 
noch     etwas    Mitgift     ersparen.     —     Die    Töchter    der    Vornehmen    werden 


int   als   höherer  Ueruf  angesehen   zu  werden,  als  gewöhnliche  Schuhe   und  Stiefel 
zu   artigen. 


§  297.     Mädchenarbeit.  457 

nach  Plath  angehalten,  ..langsam  Yü"  (ja)  zu  sagen,  während  ihre  Brüder 
das  schnell  tun  müssen;  man  lehrt  sie  sauft  reden,  freundliche  Gesichter 
machen,  sich  artig  benehmen  und  gehorchen,  Seidenkokons  abwickeln,  Nähen, 
Weben,  Quasten  machen  u.  a.  m. 

Der  Thai  oder  Siamese  macht  seinem  Töchterchen,  wenn  dieses  sechs 
Jahre  alt  geworden,  einen  Tragkorb  für  die  kleinen  Schultern;  denn  schon  in 
diesem  Alter  beginnt  für  das  Mädchen  die  Arbeit.  Sie  begleitet  ihre  Mutter 
in  den  Wald,  um  Reisig  zu  holen,  und  stolz  auf  die  Last  in  ihrem  Korb  hebt 
sie  bei  der  Rückkehr  ihren  Kopf  hoch,  um  dessen  Stirne  ein  Rindenband  als 
Halt  für  den  Tragkorb  geht.  Die  Kleine  hülst  auch  schon  Reis  aus  und  trägt 
ihr  jüngeres  Brüderlein  auf  dem  Bücken  spazieren.  Mit  den  Jahren  mehrt 
sich  dann  ihre  Arbeit:  sie  handhabt  den  Stößel  des  Reismörsers,  tritt  die 
Mühle,  sorgt  für  das  Geflügel  und  die  Schweine  und  hilft  auch  sonst  ihrer 
Mutter  wo  immer  es  geht.  Später  lernt  sie  mit  großer  Freude  das  Weben 
und  Färben;  hingegen  zeigt  sie  wenig  Vorliebe  für  das  Nähen  (Bourlet). 

Die  Mongolen-Mädchen  lernen  den  Haushalt  besorgen,  Stiefel,  Hüte. 
Männer-  und  Frauenkleider  anfertigen.  Sticken  und  Reiten.  Huc  und  Gäbet 
schrieben,  daß  die  Stickereien,  welche  sie  in  der  Mongolei  gesehen,  alles  über- 
trafen, was  sie  in  dieser  Branche  je  in  Europa  sahen. 

Die  Ainn- Mutter  unterweist  ihre  Töchter  in  der  Hausarbeit,  im  Sticken 
und  Weben  (H.  v.  Siebohl). 

Die  Töchter  der  Eskimo  am  Mackenzie-  und  Aderson-Fluß  helfen 
von  ihrem  14.  Lebensjahr  an  ihren  Müttern  beim  Kochen,  Nähen  und  Gerben, 
beim  Bauen  der  Boote  und  Häuser,  wie  Plo/s  nach  F.  Müller  schrieb.  —  Garde 
erwähnte  aus  dem  östlichen  Grönland  einen  Eskimo,  der  keinen  Sohn  sein 
eigen  nannte  und  deshalb  seine  Töchter  im  Seehundfang  unterrichtete. 

Der  Nordindianer  Matonabbi  sagte  zu  Hearne:  Die  Weiber  sind  zur 
Arbeit  wie  geschaffen.  Eine  einzige  aus  ihnen  trägt  und  zieht  so  viel  wie 
zwei  Männer.  Sie  schlagen  unsere  Zelte  auf  und  machen  unsere  Kleider.  — 
Auch  hier  ist  ein  Schluß  auf  die  Arbeit  im  Mädchenalter  unschwer  zu  ziehen, 
und  ähnlich  verhält  es  sich  mit  der  Arbeitsleistung  bei  den  Algonkin-Stämmen, 
bei  denen  dem  weiblichen  Geschlecht  gleichfalls  die  Pflicht  zukam,  die  Hütten 
zu  bauen,  ferner  das  Brennholz  zu  sammeln  und  heim  zu  tragen,  sowie  das 
allerdings  ziemlich  leichte  Material  der  abgebrochenen  Hütten  bei  den  häufigen 
Umzügen  der  Stämme  zu  tragen.  Außerdem  hatten  die  Frauen  das  Feld  zu 
bestellen,  die  Saat  im  guten  Stand  zu  erhalten,  die  Früchte  einzuernten,  die 
Jagdbeute  ihrer  Männer  heim  zu  schleppen  und  diese  mit  Hummern  zum 
Ködern  der  Fische  zu  versehen.  Diese  Hummern  verschafften  sie  sich  im 
Tauchen.  Auch  das  Pelzwerk  von  der  Jagdbeute  ihres  Mannes  hatte  das 
Weib  zu  verkaufen,  was  aber  wohl  nicht  ausschließlich  ihr  zukam.  Selbst- 
verständlich hatte  sie  außer  all  diesem  den  Haushalt  und  die  Kinder  zu 
besorgen  (Long,   Wood  und  Schooleraft).  — 

Im  alten  Mexiko  zeigte  die  Mutter  ihrem  4 — 5  Jahre  alten  Töchterlein 
die  Spindel  und  lehrte  sie  deren  Gebrauch.  Vom  13.  Jahr  an  wurden  die 
Mädchen  im  Kochen,  Weben  und  Kornmahlen  unterwiesen  (Bancroft).  —  In 
den  Klöstern  stickten  die  Mädchen  Tücher  für  die  Tempel,  bücken  die  Opfer- 
speisen usw.  (vgl.  §  320). 

Im  heutigen  Kolumbien  fällt  den  Töchtern  der  Goajiros-Indianer  die 
Besorgung  des  Viehstandes  zu  (Regel). 

Die  Juri-Mütter  im  nordwestlichen  Brasilien  unterweisen  ihre 
Töchter  im  Anfertigen  von  Hängematten  und  Töpfergeschirr  und  im  Spinnen; 
Kuchen  und  Feldarbeit  lernen  die  Mädchen  von  selbst.  Überhaupt,  schreibt 
Koch- Grünberg,  fangen  die  Mädchen  bald  an,  ihren  Müttern  an  die  Hand  zu 


458 


Kapitel  XLV.     Die  Heranziehung  des   Kindes  zu  körperlicher  Arbeit. 


gehen.  Auch  die  kleinste  kann  Kassavawurzeln  schälen,  den  Wassertopf  auf 
dem  Feuer  überwachen  und  Brennholz  sammeln. 

Über  die  Töchter  der  Kobeua-Indianer  bemerkt  derselbe  Forscher: 
Spielend  lernen  sie  die  Hausarbeit;  sie  beaufsichtigen  bald  die  jüngeren  Ge- 
schwister und  gehen  überhaupt  ihren  Müttern  frühzeitig  an  die  Hand. 

Unterricht  im  Kochen  und  allen  anderen  häuslichen  Arbeiten  geben 
ferner  die  brasilianischen  Caraya-Indianerinnen  ihren  Töchtern,  wie  G.  von 
Korn  igswald  schrieb. 

Die  Art  der  Mädchenarbeit  bei  den  Feuerländem  folgern  wir  wiederum 
aus  der  Arbeit  der  verheirateten  Frauen,  welche  nach  Hyades  und  Cool 
folgendes  umfaßt:  Besorgung  der  Kinder  und  des  Haushaltes,  Sammeln  der 
zum  Lebensunterhalt  wichtigen  Schnecken  und  Muscheltiere,  Flechten  von 
Binsenkörben  und  Binsenstricken,  Fisch-  und  Seeigelfang  mit  Angeln,  bzw. 
langen  Gabeln,  Rudern  der  leichten  Piroguen,  Transport  der  Kinder  und  des 
allerdings  spärlichen  Hausrates  auf  den  tagelangen  Märschen.  —  Nach  Hymh  s 
halten  die  Feuerländer  ihre  Kinder  beiderlei  Geschlechtes  schon  früh  zur 
Arbeit  an.  — 


Fig.  3Ss.    Missionszögliuge  bei  der  Gartenarbeit.    Apostolisches  Yikariat  Dar-es-Salaaw. 


§  298.     Knabenarbeit. 

Die  Heranziehung  der  nordgermanischen  Knaben  zur  Arbeit  finden 
•wir  in  der  älteren  Edda,  im  Bigsmal  (Lied  von  Rigr)  skizziert.  Tliräl.  als 
Repräsentant  des  untersten  Standes,  lernt  „in  kurzem  die  Kräfte  brauchen, 
mit  Bast  binden  und  Bürden  schnüren.  Heim  schleppt'  er  Reiser  den  heilen 
Tag".  Karl,  der  Bauernsohn,  „begann  zu  wachsen  und  wohl  zu  gedeihn. 
Da  zähmt'  er  Stiere,  zimmerte  Pflüge,  schlug  Häuser  auf,  erhöhte  Scheuern, 
fertigte  Wagen,  bestellte  das  Feld".  —  Auch  .Tarl.  der  Edelknabe,  auf  dessen 
Unterricht  im  Gebrauch  der  Waffen  usw.  ein  späterer  Paragraph  zurückkommt, 
mußte  einige  Handfertigkeiten  erlernen: 

„Daheim  erwuchs 
Der  Jarl   in   der  Halle, 
Mit  Linden  schälen. 
Sehnen  winden."  — 

Die  Seranziehung  der  Litauer-Knaben  zur  Arbeit  im  17.  Jahrhundert 
skizziert  F.  Teener  (nach  Brand):  Ihre  Zeit  vom  7. — 12.  Lebensjahr  ver- 
brachten die  Knaben  zum  größten  Teil  beim  Vieh,  das  sie  auf  die  Weide 
trieben.     Auch   lehrte   man   sie  Gras   und   Wiesen   kennen,   damit   sie  unter- 


§  298.     Knabenaibeit. 


459 


scheiden  konnten,  was  dem  Vieh  nützlich  oler  schädlich  war.     Vom  12.  bis 

14.  Jahr  lehrte  man  sie  Eggen;  um  das  16.  Jahr  Pflügen  und  Mähen1). 


Zum   Ackerbau  und  zum   Viehhüten  verwenden   auch  die  Berber  ihre 
Söhne  (Rohlfs). 

>i   Die   Litauer-Burschen    mußten   sich   bereits   mit    17  — 18  .Jahren   verheiraten.      Man 
hielt  sie  in  diesem  Alter  schon  für  fähig.   Weib  und  Kind  zu  ernähren  (F.  Tezner). 


460 


Kapitel  XLV.     Die  Heranzi  ;'iung  des  Kindes  zu  körperlicher  Arbeit. 


Für  den   eigenen  Magen  entwickeln  'manche  Negerkuaben   nach    Wehr- 
meisters Schilderung  eine  rege  Tätigkeit.  {Makua-  und  Wayaoknaben  suchen 


sich  im  Dezember  und  Januar  eßbare  Kräuter  und  kochen  sie.  im  Februar 
und  März  Waldfrüchte;  in  den  Monaten  April,  Mai  und  Juni  suchen  sie  sich 
ihre  Nahrung  auf  den  Schamben,  wo  der  Muhindie  um  diese  Zeit  reif  geworden 
ist,  und  wo  eine  Sorte  Matama  weiches  süßes  Mark,  eine  Leckerei  des  Negers, 


§  Ü8,     Knabenarbeit.  461 

in  seinem  Stengel  birgt. \  Im  Juli  und  August,  wenn  das  dürre  Gras  der  Wildnis 
verbrannt  wird,  graben  die  Knaben  Ratten  aus,  oder  erjagen  sie  zu  einer 
beliebten  Mahlzeit.  — 

Umzilikazi.  der  Eroberer  des  jetzigen  Matabele-Landes,  führte  bei 
•den  von  ihm  unterworfenen  Abanyai  eine  Art  staatliche  Sh-ziehung  ein: 
Sobald  ein  Knabe  gehen  konnte,  mußte  er  in  der  Überwachung  von  Ziegen 
und,  Schafen  eine  Lehrzeit  durchmachen,  was  seinen  Gesichtssinn,  sein  Auf- 
fassungsvermögen in  der  Natur  schärfen  und  in  ihm  die  Liebe  zum  Schwärmen  (?) 
erwecken  sollte.  Mit  zwölf  Jahren  mußte  er  zur  Überwachung  von  Groß-Vieh 
fähig  sein  und  wurde  in  dieser  Eigenschaft  der  einen  oder  andern  aus  den 
zahlreichen  königlichen  Herden  zugewiesen ')  (Prestagc). 

Die  Söhne  der  Basutos  werden  im  zarteren  Alter  angehalten,  zur  Zeit 
■der  Ernte  die  Vögel  zu  verscheuchen  und  Ähren  abzubrechen,  welche  man 
abends  in  Kellen  oder  Körben  nach  Hause  bringt.  Die  größeren  Knaben 
haben,  je  nach  dem  Alter,  die  Ziegen  und  Schafe,  oder  die  Kälber,  oder  die 
Kühe  und  Ochsen  zu  hüten.  —  'Wir  haben  hier  also  ein  ähnliches  Aufsteigen 
in  den  Hirtenpflichten  wie  bei  den  Abanyai. 

Von  den  Retschuanen  überhaupt,  zu  denen  ja  bekanntlich  die  Basutos 
gehören,  schrieb  Ploß2):  Während  die  Mädchen  bis  zu  ihrer  Verheiratung 
bei  der  Mutter  bleiben,  übernimmt  der  Vater  die  Knaben  vom  6.  Lebensjahr 
an,  um  sie  zu  Jägern,  Viehhirten  oder  Ackerbauern  auszubilden'). 

Am  untern  Kongo  lernen  die  Bantuknaben  von  ihrem  Vater,  wie  man 
den  Buschratten,  Vögein  und  wilden  Tieren  Fallen  stellt;  auch  unterrichtet 
dieser  sie  im  Handel  und  im  Lasten  tragen.  Die  Knaben  lernen  ferner  Häuser 
bauen  und  Kleider  für  ihre  zukünftigen  Frauen  machen,  weil  das  weibliche 
Geschlecht  durch  die  harte  Feldarbeit  ungelenke  Hände  bekommt  und 
deshalb  die  Nähnadel  nicht  gut  handhaben  kann  ( Weels). 

Über  die  Ngumba  im  südlichen  Kamerun  lesen  wir  bei  L.  Conradt: 
Der  Ngumbaknabe  lernt  bald  von  älteren  Jungen  kleine  Vögel  und  andere 
Tiere  in  Schlingen  fangen  und  Fische  angeln.  Später  lernt  er  mit  den  vom 
Vater  verfertigten  Waffen4),  Armbrust  und  Rohrpfeil,  kleine  Vögel,  Eidechsen 
und  sonstiges  Getier  schießen,  größere  Beute  mit  Netzen  umkreisen  und  fangen. 
Einmal  erwachsen,  muß  er  seinem  Vater  auf  der  Jagd  und  im  Feld  helfen 
und  ihm  überhaupt  in  allem  zu  Diensten  sein.  Mit  der  Zeit  gibt  ihm  sein 
Vater  etwas  Salz,  ein  Stück  Stoff  oder  dergleichen,  damit  der  Sohn  von  be- 
nachbarten Stämmen  Gummi  und  Elfenbein  eintausche  und  so  den  Grundstock 
zu  eigenem  Besitz  lege. 

In  Deutsch-Togo  führt  der  Ho-Neger  sein  sechsjähriges  Söhnchen  in 
die  Pflanzungsarbeiten  ein. 

Einführung  der  Knaben  in  die  Feldarbeit  wurde  auch  von  den  Maudingos 
im  westlichen  Sudan  berichtet  (Mungo  Pari). 

Eine  eigentümliche  Erwerbsquelle  hauptsächlich  der  ärmeren  Hova- 
Knaben  auf  Madagaskar  hat  P.  Cambouc  mit  folgendem  erwähnt:  Wenn 
auf  dem  Markt,  oder  im  Dorf  ein  Hammel,  Schwein,  Ochse,  oder  ein  anderes 
Tier  geschlachtet  wird,  dann  eilen  jene  Knaben,  welche  ungefähr  das  neunte 
Jahr  erreicht  haben,  herbei  um  dem  Metzger  zu  helfen.  Dafür  erhalten 
sie  von  diesem  die  Erlaubnis,  Fleischstückchen  für  sich  abzuschneiden.  Man 
nennt  diese  Knaben  mpanombi-kenä,  d.  h.  Fleischstücke-Hascher. 

')  Über  die  darauf  folgende  militärische  Erziehung  später. 

2)  It,  407 

3)  Hut  dann  der  junge  Mensch  im  Dienst  seines  Vaters,  oder  eines  anderen,  einiges 
Vermögen  erworben,  dann  kauft  er  sich  Ochsen  und  ein   Weib. 

l)    Vgl.  §  300. 


462 


Kapitel  XLV.     Die  Heranziehung  des  Kindes  zu  körperlicher  Arbeit. 


Auf  den  And  am  an -Inseln  spionieren  die  kleinen  Knaben  im  Wald  Bienen- 
schwärme auf  und  vertreiben  sie,  wohl  damit  der  Honig  von  den  Erwachsenen 
genommen  werden  kaun;  auch  das  Holzsammeln  gehört  zu  ihrer  Beschäftigung 
(Ad.  de  Röpstorff). 

Einen  erwerbstätigen  Knaben  von  den  Philippinen-Inseln  sehen  wir 
auf  Abbildung  391. 

Die  Beschäftigung   der  Knaben    im   deutschen  Schutzgebiet   in   der 

Südsee  charakterisierte  M.  HoJl- 
rung  mit  den  Worten:  Die  Knaben 
üben  sich  im  Fischen,  .Jagen, 
Klettern,  Rauchen,  Betrügen  und 
Nichtstun.  Doch  spricht  er  ihnen 
auch  eine  überraschende  Kenntnis 
der  Natur  zu '). 

Auf  den  Marschall-Inseln 
sah  <  'arl  Hager  nie.  daß  ein  Kind 
zur  Handhabung  eines  Handwerks- 
zeuges oder  einer  Waffe  angeleitet 
wurde,  horte  auch  nie,  daß  mau 
Kinder  zur  Arbeit  aufforderte,  oder 
daß  man  sie  belehrte,  wie  sie 
essen,  trinken  oder  baden  sollten. 
Unland  sehrieb -)  von  den  Mikro- 
nesiern  überhaupt:  Wer  etwas 
lernen  wollte,  sah,  wie  es  der 
tat  ige  Arbeiter  machte,  und  bildete 
sich  so  durch  Übung,  Nachahmung 
und  Erfahrung.  --  Später  kamen 
spanische,  und  jetzt  sind  deutsche 
Einflüsse  vorhanden,  welche  die 
Jugenderziehung  fördern. 

In  Kaiser-Wilhelmsland 
auf  Deutsch-Neuguinea  haben 
die  Erstgebornen  der  Papuas  das 
Privilegium,  bis  zu  ihrem  zehnten 
Jahr  gar  nichts  zu  arbeiten.  — 
ÜberdieBeschäftigung  der  Papua- 
Knaben  in  Britisch-Neuguinea 
bemerkte  M.  Krieger: 

Sind  die  Knaben  einmal  so 
weit,  daß  sie  gehen  können,  dann 
verbringen  sie  ihre  ersten  Jahre 
mit  fröhlichen  Spielen  und  Tänzen, 
welche  sie  schon  im  zarten  Alter 
von  den  Männern  lernen,  helfen 
aber  auch  bald  ihren  Vätern, 
ihnen  Schnitzen  und  das  Anfertigen 
und  Fischfang. 


Fig     301       Ein    Milchverkäufer   in   Manila,    auf   I.uzon 
Philippinen-Insel.     Im   K.    Ethnographischen    Museum    ii 

M  ü  liehen. 


Netze    und  Körbe  flechten,  lernen    von 
von  Waffen  und  begleiten  sie  zu  Jagd 

Wenn  auf  Samoa  ein  Knabe  etwa  sieben  Jahre  alt  geworden,  wird  auch  er 
in  seine  sputeten  Berufspflichten  eingeführt.  Er  kommt  nun  unter  die  Aufsicht 
seine    Vaters,  begleitet  ihn  nach  den  Pflanzungen,  lernt  dasTarofeld  bebauen, 

Einführung  der  Papua-Knaben   in   ihre   spätere 


')  Vgl.  I\i  i  gers    Mitteilung  über  die 
Berufsarbeit;  ferner    ähnliches  auf  Samoa 
2)  Bei  Boß,  II,  337. 


§  298.     Knabenarbeit. 


46$ 


Bananen  und  Yams  pflanzen,  übt  sich  auf  dem  Wasser  in  der  zweckmäßigen 
Handhabung  von  Ruder,  Speer  und  Netz,  lernt  im  Walde  die  nützlichen  Pflanzen 
und  Kräuter,  die  gesunden  Stämme  für  Hauspfosten  und  Boote  kennen  und 
die  Axt  zum  Behauen  und  Aushöhlen  führen.  Daheim  lernt  er  das  Korbflechten, 
Schnüre  drehen,  Speere  schnitzen,  Angeln  herstellen  usw.  (Turner  und  Kubary). 
In  China  müssen  die  Söhne  armer  Leute,  nachdem  sie  kaum  gehen  ge- 
lernt haben,  schon  Stroh  und  Reisig  zum  Herdfeuer  und  Futter  für  das  Vieh 
sammeln,  Schafe  und  Ziegen  hüten.  —  Da  der  Staat  Volksschulen  nicht  unter- 
hält, arme  Väter  Privatlehrer  aber  nicht  bezahlen  können,  so  werden  die  Söhne 
der  ärmeren  Bevölkerung  eben  das,  was  ihre  Väter  sind,  d.  h.  Bauern,  Hand- 
werker usw.,  wie  Stern  bemerkt.  —  Nach  Frhr.  von  Bichthofen  besuchen  aber 
auch  Knaben,   welche   später   sich   dem  Feldbau,   einem  Handwerk   oder  dem 


III 


Byt-£-««g[ 


Fig.  392.    Chinesische  Jugend  in  einer  Missionsweberei.     Im  K.  Ethnograph.  Museum  in  München. 


Handel  widmen,  vorher  eine  Schule,  denn  er  schreibt:  In  den  wenigen  Schul- 
jahren sitzen  sie  von  Tagesgrauen  bis  Sonnenuntergang  über  ihren  Büchern; 
die  andern  Jahre  vergelten  mit  Hilfe  im  Feld,  im  Kaufladen,  beim  Handwerk 
usw.,  oder  im  Nichtstun. 

Die  Thai  oder  Siamesen  lassen  ihre  Söhne  nicht  lange  müßig  gehen, 
schreibt  Bourlet  Die  Knaben  hüten  die  Felder  vor  gefräßigen  Vögeln,  fischen 
und  fangen  nach  der  Ernte  die  Frösche  aus  dem  Schlamme  der  Reisfelder; 
wenn  einmal  kräftiger,  legen  sie  die  Hand  an  den  Pflug,  die  Karste  und  das  Beil. 

Bei  den  Laos  im  nördlichen  Siam  setzt  man  den  kleinen  Knaben  auf 
einen  Büffel,  und  schickt  ihn  so  mit  einem  älteren  Bruder  und  mit  der  Herde 
Vieh  auf  die  Weide.  Bald  muß  der  Kleine  dann  diese  Aufsicht  allein  führen. 
Den  ganzen  Tag  verbringt  er  mit  dieser  Aufgabe;  denn  er  hat  seinen  Reis, 
Fisch  und  Tabak  in  einem  Körbchen  bei  sich,  so  daß  er  zur  Stillung  dieser 
Bedürfnisse  nicht  heimzukehren  braucht.  Den  Tabak  braucht  der  kleine  Knirps 
zum  Rauchen   und  Kauen.     Selbstverständlich   wird   der   Lao-Knabe   mit   der 


4G4 


Kapitel  XLV.     Die  Heranziehung  des  Kindes  zu  körperlicher  Arbeit. 


Zeit  auch  in  andere  Berufspflichten  eingeführt;  Fig.  393  zeigt  uns  einen  solchen 
beim  Bambusspalten.  — 

Jeder  Samojede  muß  sich  die  nötige  Fertigkeit  aneignen,  um  Zelte, 
Schlitten,  Kähne,  Jagd-  und  Fischereigeräte  zu  verfertigen.  Jeder  muß  ferner 
Hirte,  Fischer  und  Jäger  sein  und  sich  die  tausenderlei  hier  einschlägigen 
Kunstgriffe  und  Kenntnisse  aneignen.  Die  zur  Existenz  der  Samojeden  nötige 
Geschicklichkeit  umfaßt  vieles,  wie  De  Ddbbeler  bemerkt,  und  so  müssen  denn 
die  Kinder  ihren  Eltern  möglichst  bald  bei  der  Arbeit  helfen.  Dieser  Forscher 
sah,  wie  etwa  sechsjährige  Knaben  schon  versuchten,  Renntiere  mit  dem  Lasso 
anzufangen,  obgleich  sie  jedesmal  der  Länge  nach  in  den  Schnee  fielen. 

Der  Eskimo-Knabe  am  Mackenzie- und  Anderson-Fluß  wird,  wenn 
er  kaum  gehen  kann,  von  seinem  Vater  bereits  unterrichtet,  wie  er  die  Waffen 
handhaben  und  das  Boot  rudern  soll.  Mit  15  Jahren  muß  er  selbständig  auf 
den  Seehundsfano;,  mit  dem  20.  Jahr  eigenhändig  Waffen  und  Boot  anfertigen. 
Dann  darf  er  heiraten. 


Fig.  :;fo.    Ein  Lao-Knabe  beim  Bambusspalten.    Ing.  Josef  Kienningera  pbot. 

Was  die  Berufspflichten  des  Indianers  unter  den  Jägerstämmen  betrifft, 
sii  schrieb  Schooleraft,  Pflicht  des  Mannes  ist  es.  für  Nahrungsmittel  zu  sorgen; 
Pflicht  des  Weibes,  diese  zum  Essen  herzurichten.  Deshalb  hat  jener  auch 
für  die  Herstellung  der  Waffen  und  Kähne  zu  sorgen.  Er  muß  ferner  die 
Seinen  vor  dem  Feinde  schützen  und  sein  Besitztum  vor  feindlichem  Überfall 
bewachen.  Auch  rodet  er  Bäume  und  Gesträucher  ans.  wenn  es  sich  um  An- 
legung eines  neuen  Feldes  handelt,  dessen  Bebauung  aber  Weiberarbeit  ist. 
Hausarbeit  galt  bei  den  von  Long  besuchten  Stämmen  im  Norden  des  Oberen 
Sees  unter  der  Würde  eines  Kriegers.  —  Von  den  Karaiben  in  Guayana  be- 
richtete Schomburgh,  daß  sie  die  Rodung  übernahmen,  wenn  es  sich  um  die  An- 
legung eines  neuen  Feldes  handelte,  dessen  Bebauung  auch  hierWeiberarbeit  war.  — 

Auch  der  Feuerländer  übernimmt  nach  Hyades  die  schwereren  Arbeiten, 
d.  h.  er  fallt  das  Bauholz  und  bringt  es  heim,  baut  die  Hütte  und  die  Pirogue, 
erlegt  Rubben  und  Ottern,  wobei  ihm  seine  Hunde  helfen,  und  tötet  Vögel 
mit  der  Schleuder.  —  Der  Schluß  auf  die  Arbeit  der  heranwachsenden  männ- 
lichen Jugend  ist  auch  hier  leicht;  denn  was  der  Verheiratete  an  praktischer 
Arbeit  kennen   muß.  dazu  wird   wohl   der  Unverheiratete  vorbereitet  werden. 


§  299.     Gemeinsame  Arbeiten  beider  Geschlechter. 


465 


Wenn  im  alten  Mexiko  der  Azteken-Knabe  sein  4.  oder  5.  Jahr 
erreicht  hatte,  fing  man  an,  ihn  an  leichte  körperliche  Arbeit,  z.  B.  an  das 
Tragen  kleiner  Lasten,  zu  gewöhnen;  mit  6  —  7  Jahren  begleitete  der  Sohn 
seinen  Vater  mit  einer  leichten  Bürde  auf  den  Markt,  wo  er  sich  nützlich 
machte,  indem  er  z.  B.  das  auf  dem  Markt  Verschüttete  auflas.  —  Abbildung  396 
führt  uns  einen  dreizehnjährigen  Knaben  vor,  der  eine  Last  Holz  zu  einem 
Kahn  trägt,  aus  welchem  bereits  drei  andere  Holzbündel  ragen,  und  der  von 
einem  zweiten  Knaben  gerudert  wird.  Im  4.  Feld,  von  oben  uach  unten 
gezählt,  wird  ein  vierzehnjähriger  Knabe  im  Fischfang  unterwiesen.  —  Ban- 
croft  schrieb:  Die  Arbeit  bestand  für  Knaben  im  Alter  von  13 — 15  Jahren  im 
Fischen  und  Holzholen.  — 

Bei  Stämmen  mit  mehr  oder  weniger  entwickeltem  Handel  und  Industrie 
werden  die  Knaben   in  diese  Erwerbstätigkeit  eingeführt,   so   z.  B.  bei  den 


Fig.  394.    Knabe  als  Fischverkäufer 
in  Valparaiso.    Im  K.  Ethnograph. 
Museum  in   München. 


Fig.  39:..    Knalien  aus  San  Luis  Potosi,  Mexiko.    Friedrich  phot. 
i  Im  K.  Ethnographischen  Museum  in  München. 


Aurohuacos  im  nördlichen  Columbia,  wo  sie  ihren  Vätern  beim  Weben  von 
Hängematten,  Mänteln,  Säcken,  Taschen  und  Gürteln  helfen.  Die  kleinsten 
reinigen  und  entwirren  die  Baumwolle;  die  größeren  ziehen  die  Fäden  für  die 
Gewebe  (Sievers,  nach  Xicolas  de  Ja  Bosa). 


§  299.     Gemeinsame  Arbeiten  beider  Geschlechter. 

In  den  vorhergehenden  §§  297  und  298  ist  der  Versuch  gemacht  worden, 
die  Arbeitsteilung  der  Kinder,  je  nach  dem  Geschlecht,  bei  einer  Reihe  von 
Völkern  zu  skizzieren.  Eine  reine  Scheidung  wird  kaum  gelungen  sein,  da 
mancher  Forschungsreisende  in  seinem  Bericht  über  die  Arbeitsleistung  der 
Kinder  diese  im  allgemeinen  anführt,  d.  h.  ohne  das  Geschlecht  zu  unter- 
scheiden. Freilich  kann  man  in  solchen  Fällen  meistens  nach  dem  Vater, 
oder  nach  der  Mutter,  die  das  Kind  in  die  Arbeit  einführen,  mit  Wahr- 
scheinlichkeit schließen,  daß  das  Kind  ein  Knabe,  bzw.  ein  Mädchen  ist. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  30 


466 


Kapitel  XLV.     Die  Heranziehung  des  Kindes  zu  körperlicher  Arbeit. 


Die  Differenzierung  der  Arbeit  je  nach  dem  Geschlecht  findet  auch  nicht 
überall  gleich  von  Anfang  an  statt,  sondern  man  gibt  bei  manchen  Völkern 
den  Knaben  und  Mädchen  im  zarteren  Alter  noch  eine  gleichartige  Beschäftigung. 
Andere  Arbeiten  wieder  bleiben  sich,  wie  bei  uns,  für  beide  Geschlechter  auch  im 
späteren  Leben  gleich. 


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Fig.  39C.     Kindererziehung  bei  den  Azteken,   altes   Mexiko.   —  Aus  Bancroß    „The  Native   Races  of  the 

Pacifio  States  of  North  America",  Vol.  II.  Nach  dem  Codex  lltndoia.  — 
Die  mit  1,  in,  19  und  20  bezeichneten  Kreise  in  den  Feldern  1,  2,  :i  und  4,  von  oben  nach  unten  gezählt, 
geben  das  Alter  des  Kindes  an,  also  11,  18,  18  und  14  Jahre.  Die  mit  2,  s,  n,  10,  20,  24,  30  und  34  be- 
zeichneten Gegenstände  sind  Kuchen,  welche  dem  betreffenden  Kind  als  dessen  Kost  pro  Mahlzeit  zukommt 
(vgl.  §  2!U);  3,  6,  12  und  16  bezeichnen  Männer,  bzw.  Flauen,  die  ihre  Söhne,  bzw.  Tochter  züchtigen  (vgl. 
8  296);  18  und  31  Männer,  welche  ihre  Söhne  beim  Holztragi'ii  und  Uudern  beaufsichtigen;  22  und  33  Frauen, 
die  ihre  Töchter  in  der  Küche  und  im  Weben  unterrichten  (vgl.  §  297).  — 

In  \inliia  Petraea  müssen  die  Kinder  beider  Geschlechter,  so  lange 
sie  noch  relativ  klein  sind,  der  Mutter  bei  der  Arbeit  helfen  (Musil). 

Im  alten  Ägypten  (14.  Jahrb.  v.  Chr.)  dauerte  das  bis  zum  6.  oder 
8.  Lebensjahr,  worauf  sie  in  die  Schule  geschickt  wurden,  oder  ein  Handwerk 
lernten  (Maspero).  -      Vielleicht   bezieht  sich  das  aber  nur   auf  die  Knaben. 


§  300.     Gymnastik,  Tanz,  Vaffenübungen,  Reiten,  Schwimmen  u.  a.  m.  467 

Im  heutigen  Oberägypten  beschäftigen  die  Araber  niederer  Stände 
ihre  fünf-  und  sechsjährigen  Kinder  mit  der  Überwachung  der  Herden;  später 
verwenden  sie  sie  im  Feldbau  (Laue). 

Bei  den  Somali  in  Mogduschu  sah  Revoil  Kinder  bereits  in  der 
Industrie  ihres  Landes,  in  der  Baumwollweberei,  tätig.  Ihnen  und  den  Männern 
fiel  es  zu.  die  gereinigte  und  geklopfte  Baumwolle  in  Strähne  zu  teilen,  welche 
von  den  Frauen  gesponnen  wurden.  Das  Kind  hielt  dabei  die  Spule  in  der 
Hand  und  wickelte  den  Faden  mittels  einer  kleinen  hölzernen  Gabel  in  Form 
einer  S  auf1). 

Die  Wapogoro  in  Deutsch-Ostafrika  nehmen  ihre  Kinder  schon  mit 
zur  Feldarbeit,  wenn  diese  erst  fünf  Jahre  alt  sind.  Unterricht  gibt  es  nicht. 
Die  Kleinen  müssen  es  ihren  Eltern  einfach  absehen,  wie  sie  zu  pflanzen 
haben.  Daß  sie  für  etwaige  Unaufmerksamkeit  Prügel  bekommen,  ist  bereits 
im  vorigen  Kapitel  angedeutet  worden.  Die  Eltern  wollen  ihren  Kindern  die 
lästige  Feldarbeit  baldmöglichst  überlassen  (JFabry). 

Das  Ho va -Kind  auf  Madagaskar,  gleichviel  ob  Knabe  oder  Mädchen, 
fängt  schon  mit  vier  Jahren  an,  seinen  Eltern  bei  der  Arbeit  zu  helfen.  Seine 
Hauptbeschäftigung  ist  in  dieser  Zeit,  den  noch  ungeputzten  Beis  zu  überwachen. 
Der  Hova  bewahrt  nämlich,  nach  CamJiour,  den  Beis  in  diesem  Zustand  in 
großen  Löchern  in  der  Erde  auf,  denen  er  das  Nötige  immer  erst  vor  dem 
Gebrauch  entnimmt,  worauf  der  Beis  auf  Matten,  oder  auf  einem  Felsen  an  der 
Sonne  getrocknet  und  dann  ausgehülst  wird.  Da  tritt  nun  der  Wachdienst  der 
Kinder  ein  -).  —  Gegen  sechs  Jahre  vertraut  man  den  Kindern  die  Überwachung 
der  Enten,  Gänse  und  Truthühner,  später  auch  des  Kleinviehes,  besonders  der 
Schweine,  an;  neunjährigen  das  Austreiben  und  Hüten  der  Ochsen  auf  der  Weide. 
Mit  zehn  Jahren  helfen  die  Kinder  auf  den  Reispflanzungen  und  bei  den  übrigen 
Feldarbeiten,  und  beginnen  Lasten  zu  tragen3)  Von  nun  an  ist  das  Hova- 
Kind  das  Lasttier  der  ganzen  Familie,  wenn  nicht  ein  jüngeres  Geschwister 
nachkommt;  denn  nach  Hovabrauch  kommt  es  dem  Jüngsten  der  Familie  zu, 
zu  tragen  was  zu  tragen  ist.  Ein  dortiges  Sprichwort  lautet:  „Dem  Jüngsten 
die  Bürde,  dem  Ältesten  das  Wort,"  — 

Von  den  Kindern  der  Monumbo-Papua  in  Deutsch-Neuguinea 
schreibt  Franz  Vormann,  daß  sie  zur  Zeit  der  Ebbe  zusammen  mit  den 
Frauen  kleine  Fische,  Krabben,  Muscheln  usw.  auf  dem  Riff  suchen.  —  Somit 
tragen  auch  sie  zum  Unterhalt  der  Familie  bei. 

Auf  den  Salomo-Iuseln  nimmt  man  die  Kinder,  sobald  sie  gehen  können, 
mit  zum  Fischfang  und  auf  die  Jagd  (M.  EeJcardt). 

Die  Kinder  der  Katchin  in  Barma  übernehmen  im  Notfall  das  Kochen, 
welches  sonst  zu  den  Pflichten  der  Frauen  gehört  (GUhodes).  — 

§  301».     Gymnastik,  Tanz,  Waffenübungen,  Reiten,  Schwimmen  u.  a.  m. 

Die  Kelten  legten  in  der  Periode  ihrer  politischen  Selbständigkeit  bei 
der  Erziehung  ihrer  Söhne  das  Hauptgewicht  auf  Kriegstüchtigkeit,  Kein 
Sohn  durfte  seinem  Vater  unter  die  Augen  kommen,  ehe  er  die  Waffen  zu 
führen  verstand,  schreibt  Orupp.  Diese  Kunst  wurde  den  Knaben,  wie  es 
scheint,  von  anderen  Männern  beigebracht.  Denn  Orupp  bemerkt,  daß  die 
Kinder   je    eines   Stammes    möglichst    gemeinsam    erzogen    wurden:    Die    der 

')  Vgl.  die  Aurohuacos  im  nördlichen  Columbia,  §  298. 

s)  Die  deutschen  Bauernkinder  werden  bekanntlich,  wenn  noch  klein,  zu  ähnlichen 
Diensten  herangezogen,  z.  B.  zur  Überwachung  des  Kleesamens,  wenn  dieser  in  den  Höfen 
getrocknet  wird,  was  von  den  Hühnern  gern  ausgenützt  wird.  Da  dieser  Wachdienst  lang- 
weilig ist.  und  die  lebhaften  Kinder  ihm  deshalb  abhold  sind,  heißt  es  im  schwäbischen 
Sprichwort:  ..Liaber  feura  as  d' Henna  hüata",  d.  h.  lieber  faullenzen,  als  die  Hühner  hüten. 

*)  Vgl.  die  Azteken-Knaben  in  §  298. 

30* 


468  Kapitel  XLV.     Die  Heranziehung  des  Kindes  zu  körperlicher  Arbeit. 

Häuptlinge  zuerst  in  den  Familien  der  Untergebenen,   später  mit   allen  zu- 
sammen am  Hofe  des  Häuptlings. 

In  der  griechischen  Erziehung  bildeten  Gymnastik  und  Musik  die  beiden 
Hauptfaktoren  derKnabenerziehung,  wie  Wachsmuth  ausführte.  Jene  bezweckte 
hauptsächlich  physische,  diese  ethische  Entwicklung.  Von  der  Gymnastik 
erwartete  man  nicht  nur  Gliederkraft,  sondern  auch  körperliche  Schönheit  und 
Anmut,  weshalb  sie  als  „Vorhalle"  zur  Tanzkunst  galt.  Diese  wieder  war 
aufgefaßt  als  die  Kunst,  physische  Zustände  in  körperlichen  Gebärden  und 
Bewegungen  auszudrücken.  Die  Gymnastik  hatte  nach  griechischer  Anschauung 
ferner  ethischen  und  politischen  Wert;  denn  die  Gymnasien  waren  die  besten 
Schulen  zur  Handhabung  der  Waffen  und  Cbungsstätteu  zur  Ertragung  von 
Beschwerden  und  Entbehrungen.  Allerdings  waren  sie  auch  als  Schärstätten 
der  Tumulte  verrufen.  Speziell  von  den  Böotern  hieß  es,  daß  bei  ihnen  die 
Vernunft  von  der  Körperkraft  überholt  werde '). 

Als  älteste  Kraftübung  der  Gymnastik  gibt  Wachsmuth  den  Lauf  an; 
dazu  kam  der  Sprung,  das  Diskos-  und  Speerwerfen,  das  Schleudern  und  Bogen- 
schießen und  das  Ringen.  Der  von  den  spartanischen  Knaben  kunstlos 
geübte  Faustkampf  und  das  Pankration  (Verbindung  von  Ringen  und  Faust - 
kämpf)  gehörten  nicht  zur  bildenden  Gymnastik.  Ebenso  wurde  weder  Reiten 
noch  Wagenlenken-  in  den  Gymnasien  gelehrt.  -  -  Nach  Floß2)  wurde  Reiten 
und  Handhabung  der  Waffen,  als  Vorbereitung  zum  Kriegsdienst,  dem  Knaben 
im  Epheben-Alter  beigebracht.  Als  Anfangsstufe  des  gymnastischen  Unter- 
richtes nannte  Ploß  das  Ballspiel.  Dann  ging  es  stufenweise  vom  Leichteren 
zum  Schwereren:  Laufen,  Springen  usw.  Den  Unterricht  in  der  Gymnastik 
leiteten  die  Paidotriben;  die  Sophronisten  sahen  auf  Anstand  und  Ordnung; 
die  Alcipten  hatten  die  diätetische  Aufsicht  und  besorgten  das  Einreiben  mit 
Öl.  Die  Zuclit  war  streng,  und  auf  Anstand,  edle  Haltung  und  Sitte  wurde 
ein  besonderes  Augenmerk  gerichtet. 

Auf  Kreta  erstrebte  man,  nach  Wachsmuth,  mit  der  Gymnastik  weniger 
kunstgerechte  Ausbildung  der  Glieder,  als  Übung  in  leichten  Waffen  und 
Geschick  auf  der  Jagd. 

Daß  die  Spartaner  ihre  Töchter  an  den  gymnastischen  Übungen  ihrer 
Söhne  teilnehmen   ließen,   wurde  in   §  292  erwähnt.  — 

Im  alten  Rom  war  Cato  der  Altere  der  Lehrer  seines  Sohnes  nicht  nur 
auf  dem  intellektuellen  Gebiet  im  engeren  Sinn3),  sondern  auch  in  den  Leibes- 
übungen, welche,  wie  die  geistige  Bildung,  in  Rom  immer  mehr  und  mehr 
griechischen  »  liarakter  annahmen,  indem  man  vom  Ballspiel,  Laufen  und  Fechten 
zu  den  kunstgemäßer  entwickelten  Turnkämpfen  in  den  privaten  Palästen  der 
Vornehmen  überging  (Mommsen).  — 

Was  den  Sohn  des  alten  Germanen  seinem  Vater  ebenbürtig  machte, 
das  war  körperliche  Kraft  und  Wafüentüchtigkeit,  schreibt  Orupp.  Deshalb 
winde  auch  hier  in  der  Erziehung  auf  die  körperliche  Ausbildung  das  Haupt- 
gewichl  gelegt.  Aber  nicht  nur  ihre  Söhne,  sondern  auch  ihre  Töchter 
wollten  unsere  Vorfahren  zu  kräftigen  Menschen  heranziehen,  und  deshalb 
machten  sie  es.  wie  die  Spartaner,  d.  h.  sie  ließen  ihre  Töchter  an  den  Leibes- 
übungen  der  männlichen  .Tugend  teilnehmen,  wie  denn  die  Erziehung  der  beiden 
Geschlechter  überhaupt  nicht  weit  auseinander  ging.  Von  dem  westger- 
manischen Stamm  der  Tenkterer  schrieb  Tacitus  (c.  32):  Die  Reitkunst 
isl    bei   ihnen  ein  Kinderspiel,  ein  Wettstreit  der  Männer  und  noch  eine  Be- 


>i  AU   Pflanzstätten  der  Knabenliebe  begegnen  uns  die  Gymnasien  in  Kap.  XLVII. 
-i  2.    A.i'l     II,   348. 
»J  Vgl.  Kap.  xLvr. 


§  300.     Gymnastik,  Tanz,  Waffenübungen,  Reiten,  Schwimmen  u.  a.  m.  469 

schäftigung  der  Greise.  —  Die  ältere  Edda  (Lied  von  Rigr)  läßt  den  nord- 
germanischen  Edelknaben  Jarl 

„Bogen  spannen 

Und  Pfeile  Schäften, 

Spieße  werfen, 

Lanzen  schwingen, 

Hengste  reiten, 

Hunde  hetzen, 

Schwerter  ziehen. 

Den  Sund  durchschwimmen."  — 

Die  körperliche  Elastizität  jener  Inder,  groß  und  klein,  welche  ans  in 
europäischen  Großstädten  gelegentlich  als  Luftkünstler  und  dgl.  vorgeführt 
werden,  ist  bekannt.  —  Ihnen  stehen  die  Zigeuner  als  Seiltänzer  usw.  wenig 
nach.     Man  zieht  die  Kinder  vom  zartesten  Alter  dazu  heran. 

Gymnastische  Übungen  eigentümlicher  Art  sind  die  Täuze  des  weiblicheu 
Geschlechtes  in  Indien  und  bei  zahlreichen  anderen  Völkern,  insofern  es  sich 
bei  solchen  Tänzen  weniger  um  ein  lokales  Fortbewegen,  als  um  Drehungen 
und  Wendungen  gewisser  Körperteile  handelt.  Was  den  Orient  und  speziell 
Indien  betrifft,  so  schreibt  Zitelmann :  „Im  Orient  gehört  das  Tanzen  nicht, 
wie  bei  uns,  zu  den  Vergnügungen,  an  denen  jeder,  der  Lust  hat,  teilnehmen 
kann,  sondern  es  ist  eine  Kunst,  die  berufsmäßig  gegen  Bezahlung  ausgeübt 
wird."  Die  Künstlerin  selbst  wird  zwar  von  den  Männern,  deren  Festesfreuden 
sie  erhöhen,  bewundert,  aber  gesellschaftlich  ist  sie  nicht  geachtet;  sie  gehört 
einer  niederen  Kaste  an.  —  Die  charakteristischen  Züge  solcher  Tänze  sind 
die  gleichen  in  Indien,  Birma,  China,  Japan1)  und  im  Orient  überhaupt. 
Auch  die  Negerinnen  haben  ähnliche  Tänze.  — 

Bedeutende  Sorgfalt  auf  die  körperliche  Ausbildung  ihrer  Kinder  ver- 
wandten die  Guanchen  auf  den  Kanarieninseln,  wenn  auch  kaum  anzu- 
nehmen ist,  daß  ihre  Erziehung  ausschließlich  im  Ringen,  Laufen  und 
Werfen  bestand,  wie  Plofi  schrieb2).  Ein  Hauptzweck  ihrer  körperlichen 
Übungen  war  wohl  ein  geschicktes  Ausweichen  vor  feindlichen  Geschossen; 
denn  in  der  2.  Auflage  lesen  wir:  „Ganz  junge  Kinder  mußten  anfangs  den 
aus  weicher  Erde  gemachten  Kugeln  auszuweichen  suchen;  dann  nahm  man 
Nüsse  zu  demselben  Zweck,  dann  folgten  kleine  Kugeln,  dann  stumpfe,  und 
endlich  spitze  Pfeile.  Sie  wurden  durch  solche  Übungen  so  gewandt,  daß  sie 
den  kräftigsten  und  schnellsten  Steinwürfen  ausbeugen  konnten.-' 

Die  Somali  lehren  ihre  Söhne  die  Lanze  werfen  und  mit  dem  Schild 
parieren  {Haggenmacher). 

Die  Bedja  oder  Bischarin  in  der  nubischen  Wüste  lehren,  insoweit  sie 
der  nomadisierenden  Bevölkerung  des  Landes  angehören,  ihren  Kindern 
frühzeitig  das  Reiten  auf  Pferden  und  Dromedaren,  sowie  die  Handhabung 
der  Waffen  für  Jagd  und  Krieg  (B.  Hartmann). 

Einführung  der  Kinder  in  die  Handhabung  der  Waffen  bei  den  ost- 
afrikanischen Wagogo  und  Wanyika  ist  durch  Fig.  397  erwiesen;  Ring- 
kämpfe der  Jugend  bei  den  dortigen  Massai  und  Wadschagga  durch  Fig.  293, 
Kap.  XXXVIII. 

Mit  Pfeil  und  Bogen  machen  sich  die  Makua-  und  Wayao-Knaben, 
hauptsächlich  in  den  Monaten  September  und  Oktober,  auf  die  Vögel-Jagd 
(Wehr  meist  er). 

Weide  schreibt  von  den  Völkern  des  Makondeplateaus,  zu  denen  auch 
die  obigen  zwei  gehören:  Für  den  Knaben  siud  Bogen  und  Pfeil  unerläßlich; 


')  Über  japanische  Tänze  später. 
2)  II,  344. 


470 


Kapitel  XLV.     Die  Heranziehung  des  Kindes  zu  körperlicher  Arbeit. 


hätte  ich  alle  die  mir  angebotenen  Kinderbogen  aufkaufen  wollen,  es  wäre 
eine  kleine  Schiffslast  geworden.  —  Allerdings  seien  diese  Waffen  bei  den 
dortigen  Negervölkern  kein  Kriegsgerät  mehr,  sondern  vorwaltend  Spielzeug 
und  höchstens  Jagdgerät,  weshalb  die  Erwachsenen  ebenso  schlechte  Bogen- 
schützen seien  wie  die  Knaben. 

Frühzeitigen,  meist  gegenseitigen,  Unterricht,  der  Knaben  im  Gebrauch 
der  Waffen  und  im  Harpunieren  der  Fische  meldet  Holub  von  den  Makololo 
und  anderen  Negerstämmeu  südlich  vom  Sambesi1). 

Die  Söhne  der  von  Umsilikazi  unterworfenen  A  b  a  n  y  a  i 
im  jetzigen  Matebele-Land  wurden  mit  15  Jahren 
militärpflichtig.  Mit  Assegai  und  Speer  bewaffnet  hatten 
sie  nun  im  königlichen  Kraal  zu  erscheinen,  wo  sie  mehrere 
Tage  lang  in  Kriegstänzen  und  Kriegsliedern  unterrichtet 

yl  wurden2)  (Prestage). 

Die  Jagdübungen  der  Ngumba- Knaben  im  süd- 
lichen Kamerun  wurden  in  §  298  erwähnt. 

Hat  bei  den  Hoern  in  Togo  ein  Bursche  das  15. 
oder  16.  Lebensjahr  erreicht,  dann  kauft  ihm  sein  Vater 
eine  Flinte,  die  der  Bescheukte  hocherfreut  seineu  Ver- 
wandten zeigt  und  ihnen  Beweise  von  seiner  Fähigkeit, 
als  Schütze  gibt.  Fallen  diese  gut  aus,  dann  bekommt  er 
etwas  Geld  für  Pulver.  Der  Bursche  beginnt  mit  der 
Erlegung  von  Vögeln;  später  wagt  er  sich  an  Hochwild, 
wozu  ihm  der  Vater  genaue  Regeln  und  Vorschriften  gibt. 
Nach  Erlegung  des  ersten  großen  Tieres  wird  der  Junge 
unter  mysteriösen  Zeremonien  in  den  Verband  der 
Jäger  aufgenommen3). 

Auf  den  Andaman-Inseln  sah  Jagor  die  kleinen 
Knaben  der  Minkopies  sich  üben,  Pfeile  wie  Wurfspieße 
in  Bananen-Stämme  zu  schleudern4). 

Bei  den  Aetas  auf  den  Philippinen  üben  sich 
sowohl  die  Knaben  als  auch  die  Mädchen  von  frühester 
Jugend  auf  im  Gebrauch  des  Pfeiles  und  Bogens,  weshalb 
Weiber  und  Männer  vorzügliche  Schützen  sind  (A.  Br. 
I'nlder). 

Einführung  der  Kinder  (beider  Geschlechter?)  in  den 
Gebrauch  der  Waffen  erwähnte  Finseh1)  von  den  Papuas 
an  einigen  Orten  Neuguineas,  und  über  die  Fidschi- 
Insulaner  bemerkte  Erskine"):  Die  Kuaben  weiden  im 
Schwimmen,  Kahnfahren  und  Kämpfen  unterrichtet  und 
auf  die  Naturerscheinungen  aufmerksam  gemacht. 

Bei  den  Polynesiern  auf  den  Tonga-,  Samoa- 
und  Marquesas-Inseln  lernen  die  Kinder  ..beinahe  eher 
schwimmen  als  laufen";  das  Gleiche  wurde  in  der  2.  Auf- 


Fig.  S97.  Waffen  für  Kin- 
i.i  Speer  bei  den  ffa- 
■ ..  :■  I. ;  Bogen  bei  den 
wanyika,  Osl  afrika. 
im  Miistiim  für  Völker- 
kunde in  Leipzig. 


läge  von  den  Kindern  der  Tahiter  und  Neu-Seeländer 
bemerkt T). 

'i  Ilni-  erbauen  sich  die  Knaben  bald  ihre  eigenen  Hütten  und  machen  sich  von  den 
Eltern  unabhängig. 

-i  Heiraten  durften  Umsilikazi's  Krieger  in  der  Regel  erst  mit  35 — 40  Jahren,  nachdem 
sie  sich  tapfer  erwiesen   halten. 

3)  Hier,  wie  im  Matebele-Land,  wird  der  Bursche  also  wohl  an  der  Grenze  zwischen 
Knabenalter  und   Mannbarkeit    in  den    Waffengebrauch  eingeführt. 

«)  Floß  II.  337. 

6)  Bei    Floß,  ebenda,  335. 

«)  Ebenda,  336. 

h  Ebenda,  6  und  336. 


§  300.     Gymnastik,  Tanz,  Waffenübungen,  Reiten,  Schwimmen  u.  a.  m.  471 

Auf  Tahiti  führt  man  die  Knaben  ferner  in  die  Handhabung  der  Waffen, 
in  die  Schiffahrt  und  andere  praktische  Fertigkeiten  ein  (Förster  und  MSren- 
hont)  l). 

Die  Schwimmstanden  auch  mancher  australischer  Kinder  beginnen 
schon,  ehe  die  Kleinen  geheu  können.  Sie  werden  einfach  von  der  Mutter  auf 
den  Schultern  ins  Wasser  genommen.  Hier  taucht  die  Mutter  plötzlich  unter, 
und  nun  arbeitet  das  Kind  wie  ein  schwarzer  Pudel  im  Wasser  umher.  Lassen 
seine  Kräfte  nach,  dann  wird  es  von  der  aufmerksamen  Mutter  wieder  auf 
den  Rücken  genommen.  —  Die  Knaben  nimmt  man,  sobald  sie  gehen  können, 
auf  die  Jagd  mit,  unterrichtet  sie  in  der  Handhabung  der  Waffen  und  macht 
sie  überhaupt  mit  allem  bekannt,  was  zu  ihrem  Fortkommen  dient.  Im  Alter 
von  8 — 9  Jahren  müssen  sie  imstande  sein,  sich  selbst  zu  helfen;  denn  von 
diesem  Zeitpunkt  an  werden  sie  sich  selbst  überlassen2). 

In  Japan  sind  Kriegsspiele,  Jagen,  Reiten,  Ringen,  Schwimmen  und 
anderer  Sport  seit  Jahrtausenden  zu  Hause,  wie  neuestens  (1911)  der  Japaner 
Mishima  schreibt.  Solange  das  japanische  Reich  besteht,  galt  die  körperliche 
Ausbildung  dort  als  ein  unentbehrliches  Kraftmittel  gegen  den  Feind.  Sie 
sollte  auch  den  Nationalgeist  fördern,  unter  dem  der  Japaner  „absolute 
Treue  und  Gehorsam  gegen  die  Majestät"  und  die  Bereitschaft  versteht,  das 
Leben  für  das  Reich  einzusetzen.  Das  alte  Japan  habe  in  der  körperlichen 
Entwicklung  vor  allem  ein  Mittel  zur  Charakterbildung,  nicht,  wie  das  jetzige, 
Gesundheitspflege  gesehen.  Auch  die  Mädchen  lernten  fechten,  reiten, 
jagen  und  die  übrigen  japanischen  „Ritterkünste",  wie  sich  Mishima  ausdrückt. 
Er  wie  Hirai  machen  darauf  aufmerksam,  daß  bis  zur  neuen  Umgestaltung 
der  japanischen  Verhältnisse,  also  bis  in  die  2.  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts, 
die  Töchter  und  Frauen  der  Ritter  mit  in  die  Schlacht  zogen  und  wie  die 
Männer  fochten,  „manchmal  mit  besserem  Erfolg"  als  diese,  wie  Hirai  bemerkt3). 

Das  jetzige  Japan  hat  seit  1881  in  seinen  Schulen  das  Turnen  einge- 
führt. —  An  Stelle  der  Ritterkünste  sind  in  der  Erziehung  der  Mädchen  der 
gebildeten  Kreise  Tanzübungen  getreten,  wie  Mishima  schreibt.  —  Der 
Tanz  wird  also  im  jetzigen  Japan  nicht,  wie  in  Indien,  als  professionelle  und 
zugleich  sozial  erniedrigende  Kunst  aufgefaßt.  -  -  Der  in  der  Gegenwart 
beliebteste  und  am  meisten  verbreitete  japanische  Tanz  ist  der  „Odori",  was 
Mishima  mit  „Hüpfen"  übersetzt.  Bei  diesem  Tanz  werden  alle,  auch  die 
feinsten,  Muskeln  der  Tänzerin  in  anmutige  Bewegung  versetzt. 

Das  moderne  Japan  verwendet  auf  die  körperliche  Ausbildung  auch 
deshalb  so  viele  Sorgfalt,  weil  sich  in  den  letzten  paar  Jahrzehnten,  wohl 
infolge  der  gesteigerten  geistigen  Anstrengung,  eine  Verschlimmerung  des 
Gesundheitszustandes  in  den  höheren  Schulen  bemerkbar  machte.  — 

Auch  in  Kambodscha  gewöhnt  man  die  Kinder  schon  früh  an  Körper- 
übungen, speziell  an  den  Gebrauch  der  Lanze,  des  Stockes  und  Bogens,  an 
Schwimmen  und  Reiten,  wie  E.  Aymonier  schreibt.  -  Das  gilt  wohl  von 
beiden  Geschlechtern;  denn  die  Frauen  sind  hier,  wie  bei  den  Aetas,  mutige 
Jäger. 

Daß  die  Töchter  der  Mongolen  reiten  lernen,  ist  in  §  597  erwähnt 
worden.  Was  die  Knaben  betrifft,  welche  zu  Hause  aufgezogen  werden4),  so 
setzt  man  sie  schon,  ehe  sie  gehen  können,  aufs  Pferd.  Auch  an  Bogen  und 
Flinte  müssen  sie  sich  früh  gewöhnen  (Huc  und  Gäbet). 


')  Ebenda,  336. 
*)  Ebenda,  334  f. 

3)  Bekannt  ist  die  frühere  weibliche  Leibgarde  des  Königs  in  Dahome,  nordwestliches 
Afrika. 

*)  Die  meisten  kommen  in  ein  Lamakloster.     Hierüber  im  folgenden  Kapitel. 


47-2 


Knpitel  XLV.     Die  Heranziehung  des  Kindes  zu  körperlicher  Arbeit. 


Unterricht  der  Knaben  im  Reiten  in  einem  Alter  von  4 — 5  Jahren 
meldete  Peter  von  Stettin  von  den  Baschkiren,  einem  turk-tatarischen  Volk 
an  der  unteren  Wolga.  Siebenjährige  verwegene  Reiter  seien  hier  keine  Seltenheit. 

Die  Söhne  der  Ai'nos  erlernen  von  ihren  Vätern  in  früher  Jugend  die 
Kunst  des  Bogenschießens  und  des  Fischfanges,  schrieb  H.  von  Siebold.  Sie 
begleiten  ihre  Väter  in  den  Wald,  auf  die  reißenden  Flüsse  und  das  offene  Meer.  — 


Fig.  998.  Kinderpfeil  der  Bororö, 
M.iiin  Grosso,  Brasilien.  Arara- 
llefiederung.  Pfeilsohaft  ohne  Spitze. 
Im  Museum  I  K.  H.  Prinzessin  Thercse 
von  Bayern. 


Fi;?.   S88.     Bogen    und   Pfeile   als    Rinderspielzeup  (?)  im 
Beni-Gebiet,  Bolivia.    Im  Museum  I.  K.  II.  Prinzessiu 

Therese  WMI  Xayern. 


Daß  die  Jägerstämme  der  roten  Rasse  ihre  Söhne  gleichfalls  in  noch 
zartem  Alter  mit  den  Waffen  bekannt  machten,  bzw.  machen,  braucht  nach 
dem  bisher  Gesagten l)  kaum  erwähnt  zu  werden.  Doch  mögen  immerhin 
einige  Belege  folgen: 

Als  Lederer  bei  den  Sara-Sioux  weilte,  schoß  ein  kleiner  Knabe  zwei 
Pfeile  nach  ihm  und  seinem  Pferd.  — 

Von  den  Irokesen  bemerkte  Floß2),  daß  säe  ihre  Kinder  zeitig  im 
Schießen  mit  dem  Blasrohr  üben,  und  Spring  schrieb:  Hie  Apachen  unterrichten 
ihre  Söhne  in  frühester  Jugend  im  Gebrauch  der  Waffen. 


')   Vgl.  den  kleineu  Gros-Ventres-Knaben,  der  seine  Mutter  erschoß,  t;  205. 
*)  II,  888. 


§  300.     Gymnastik.  Tanz,  Waffenübungen,  Reiten,  Schwimmen  u.  a.  m.  473. 

Zu  den  Unterrichtsgegenständen  der  jungen  Caraya  am  Schingu  und 
Araguay  in  Brasilien  gehört  die  Anfertigung  von  Waffen,  Schießen,  Jagen 
und  Kämpfen,  wie  G.  v.  Koenigswald  mitteilt.  Außerdem  lernen  sie  Tanzenr 
Fischen,  die  Anfertigung  von  Federschmuck  u.  a.  m.  —  Hier  scheint  der 
Unterricht  ziemlich  spät,  d.  h.  erst  mit  Eintritt  der  Pubertät  anzufangen. 
Die  Burschen  kommen  dann  in  das  Junggesellenhaus,  wo  der  Unterricht  statt- 
findet, und  wo  sie  auf  Kosten  der  Gemeinde  leben. 

Reiten  lehren  'die  Krähen -Indianer  ihre  Kinder  schon  im  dritten 
Jahr,  wie  Irving  schrieb,  und  von  den  „halbwilden  Hirten  spanischer  Abkunft",. 
also  wohl  von  den  Gauchos  oder  Pampashirten,  schrieb  Ploß1):  Wenn  ihre 
Kinder  acht  Tage  alt  sind,  so  nimmt  sie  „ihr  Vater  oder  ein  älterer  Bruder 
auf  den  Arm,  setzt  sich  mit  ihnen  zu  Pferde  und  jagt  so  lange  im  Feld  herum, 
bis  das  Kind  anfängt  zu  weinen,  worauf  sie  es  der  Mutter  zurückbringen, 
die  ihm  zu  trinken  gibt.  Diese  Spazierritte  werden,  wie  v.  Azara  beobachtete, 
fast  täglich  und  so  lange  wiederholt,  bis  das  Kind  imstande  ist,  auf  alten 
und  ruhigen  Pferden  ganz  allein  zu  reiten".  — 

Auch  bei  den  Indianern  ist  die  Reitkunst  nicht  ein  Privilegium  des 
männlichen  Geschlechtes.  Ein  mir  bekannter  nordamerikanischer  Missionar 
verdankte  einmal  sein  Leben  dem  mutigen  Pitt  einer  Häuptlingstochter,  und 
von  den  Töchtern  der  Goajiros -Indianer  in  Columbia  wissen  wir,  daß  sie 
in  Begleitung  ihrer  Familien  ausreiten.  — 

')  U,  8. 


Kapitel  XL  VI. 

Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

§  301.     Das  Kiud  und  das  Schulwesen  bei  Itido-Europiiern  und  vorder- 
indischen  Nichtariern. 

„Bei  den  alten  Indern",  schrieb  PJoß1),  „gab  es  verschiedene  Lebens- 
stufen;  die  erste  Stufe  waren  die  Lehrjahre,  die  zweite  die  Hausjahre,  die 
dritte  die  Waldjahre.  Die  erste  Lebensstufe  für  den  Sohn  eines  Arja,  sei  er 
nun  ein  Brahmana2),  Kshatryia3)  oder  Vaisya4),  beginnt  mit  dem  7.  bis  11.  Jahre. 
Er  wird  dann  vom  Hause  weggeschickt  und  einem  Lehrer  übergeben.  Der 
Hauptzweck  der  ganzen  Erziehung  in  Indien  ist  das  Lernen  des 
Veda.  Da  der  Veda  auch  das  Brahman"  heißt,  so  nennt  man  den  Lehrling 
einen  Brahmakärin,  einen  Brahma-Studenten.  Die  kürzeste  Frist  für  ein 
Studium  des  Veda  ist  12,  die  längste  48  Jahre.  Während  der  Schüler  im 
Hause  seines  Lehrers  wohnt,  muß  er  sich  der  strengsten  Ordnung  fügen. 
Zweimal  des  Tages,  beim  Sonnen-Aufgang  und  -Untergang,  hat  er  seine  Gebete 
zu  sagen.  Jeden  Morgen  und  Abend  muß  er  die  Bunde  im  Dorfe  machen, 
und  alles,  was  man  ihm  gibt,  hat  er  seinem  Meister  zu  übergeben.  Er  darf 
selbst  nichts  essen,  außer  was  ihm  sein  Meister  gibt,  Er  muß  Wasser  holen, 
Brennholz  sammeln,  den  Boden  rings  um  den  Herd  rein  halten  usw.  Dafür 
lehrt  ihn  sein  Meister  den  Veda,  so  daß  er  ihn  auswendig  ohne  Fehler  her- 
sagen kann,  und  was  sonst  noch  notwendig  ist,  um  ihn  zu  befähigen,  in  den 
zweiten  Stand  zu  treten  und  ein  Hanshalter,  ein  grihastha,  zu  werden.  Der 
Schüler  darf  Extrastunden  bei  anderen  Lehrern  nehmen,  aber  seine  Konfirmation 
oder  was  man  seine  zweite  Geburt  nennt,  kann  er  nur  von  seinem  Meister 
und  Lehrer,  dem  Akarya,  erhalten.  Wenn  die  Lehrzeit  vorüber  ist,  darf  der 
Schüler  in  sein  väterliches  Haus  zurückkehren." 

Massie  schrieb  von  den  vornehmen  Indern  der  Neuzeit,  daß  sie  ihre  Söhne 
sorgfältig  unterrichten  lassen,  damit  ihr  Geist  sich  erweitere  und  ihr  grübelnder 
Verstand  sich  in  die  ansichtbare  Welt  versenke. 

Immerhin  wird  man  sich  von  dem  indischen  Schulwesen  der  Gegenwart 
keine  allzu  hohen  Vorstellungen  machen  dürfen;  denn  E.  Schröder  bemerkt 
z.  B.  über  den  Teedistrikt  von  Kumaon  im  nördlichen  Vorderindien,  es 
befinde  sich  dort  in  je  einem  Polizeidistrikt,  der  8 — lü  Dörfer  umfasse,  nur 
eine  Schule,  und  da  gehe  es  zu,  „wie  in  der  Judenschule".  Der  Lehrer  sei 
Bralimine.  Die  Knaben  lernen  schreiben,  lesen  und  ein  wenig  zählen.  Aller- 
dings fügt  Schröder  bei:  „Nur  wenige  Knaben  der  höheren  Schulen  besuchen 
diese  Schulen.-'  Wir  werden  es  also  hier  mit  einer  jener  Volksschulen  zu 
tun   haben,  welche  Jagor5)  bei  den  Naür,  einer  dravidischen  Militärkaste 

1  -2    Aufl.  II,  363. 

8)  Priester. 

3)  Krieger. 

4)  Ackerbauer 

6)  Bei  Floß  II,  359. 


§  301.     Das  Kind  u.  das  Schulwesen  bei  Indo-Europäern  u.  vorderindischen  Nichtariern.     475 

in  Malabar,  vorfand.  In  diese  Schulen  wird  das  Kind  schon  im  5.  Lebens- 
jahr geschickt  und  lernt  „malayisch"  lesen  und  schreiben.  Rechnen  gilt  für 
höheren  Unterricht  und  wird,  wie  Sanskrit,  gewöhnlich  in  besonderen 
Schulen  gelehrt.  Das  Schreiben  lernen  die  Kinder,  indem  sie  die  Buchstaben 
zuerst  mit  dem  Zeigefinger  in  unausgehülsten  Reis  (Paddi)  zeichnen,  der  auf 
•den  Boden  gestreut  wird;  später  schreiben  sie  in  den  Sand,  und  nach  diesem 
mit  einem  eisernen  Griffel  in  Palmenblätter,  oder  (jetzt)  auf  Papier.  —  Manche 
Söhne  reicher  Nair  gehen  bis  zum  16.  Jahr  in  die  Schule.  -  -  Der  Lehrer 
erhält  als  Honorar  Reis,  Bananen  u.  a.  m. 

Die  intellektuelle  Bildung  der  Mädchen  weist  in  Indien  starke  Schwan- 
kungen auf:  Nach  Josef  Dahlmann  machen  uns  die  ältesten  Urkunden  der 
Philosophie  (scholastische  Epoche  des  indischen  Mittelalters)  mit  Königstöchtern 
bekannt,  welche  mit  den  brahmanischen  Philosophen  wetteiferten  und  diese 
durch  die  Tiefe  und  Erhabenheit  ihrer  philosophischen  Spekulationen  in  Staunen 
versetzten.  Damals  nahmen  auch  nicht  nur  die  Töchter  der  Könige,  sondern 
des  indischen  Adels  überhaupt,  die  Töchter  und  Frauen  der  Ritter,  regen 
Anteil  an  den  geistigen  Strömungen  ihrer  Zeit.  Lieder  der  ausgezeichnetsten 
Gattung  werden  Frauen  zugeschrieben.  Draupadi,  dieser  „dichterisch  ver- 
klärte" Frauentypus  des  alten  Indien,  wurde  als  ein  Weib  von  hoher  Bildung 
und  tiefer  Kenntnis  aller  Fragen  über  Religion  und  Recht  geschildert1). 

Dieser  Glanzperiode  der  vornehmen  Inderin  ging  nach  Dahhnanns  Ver- 
mutung eine  weniger  günstige  voraus.  „Mochte  die  älteste  Zeit  vielleicht 
jenen  patriarchalischen  Absolutismus  vertreten  haben,  welcher  die  Frau  in 
die  Gewalt  des  Mannes  gab  und  ihr  jegliche  Selbständigkeit  entzog,  die 
erstickende  Macht  des  Rittertums  zerbröckelte  den  Absolutismus  und  eröffnete 
dem  Individuum  eine  freiere  Sphäre  des  Wirkens."  Einem  solch  kraftvollen 
Aufstieg  folgte  eine  Periode  tiefer  Erniedrigung,  welche  für  die  Inderin  im 
allgemeinen  heute  noch  fortdauert.  Wilhelm  Hoffmann  schrieb  im  Jahre  1873 : 
In  Indien  sind  Erziehung  und  Unterricht  für  die  Töchter  gar  nicht  da;  es 
gilt  für  verwerflich,  sie  die  heiligen  Bücher  lesen,  anrühren  und  hören  zu  lassen. 
Fragt  man  nach  dein  Grunde,  so  ist  es  noch  mehr  das  Mißtrauen  in  die  Frauen, 
denen  mit  der  Schrift  ein  Mittel  zu  verderblichen  Zwecken  in  die  Hände 
gelegt  würde,  als  die  Heiligkeit  der  Bücher,  was  zu  jener  Anschauung  geführt 
hat.  —  Bis  in  die  neueste  Zeit  herein,  welche  durch  europäischen  Einfluß  teil- 
weise modifiziert  ist,  galten  Mädchen,  die  lesen  konnten,  für  unmoralisch,  da 
man  voraussetzte,  daß  sie  die  unflätige  Mythologie  lasen.  Die  Tänzerinnen, 
welche  diese  Kunst  innehaben,  sind  ohnehin  öffentliche  Dirnen,  wie  Hoffmann 
schreibt2).  —  Auch  die  Furcht  der  Männer,  durch  eine  intellektuelle  Ausbildung 
des  weiblichen  Geschlechtes  diesem  gegenüber  ihr  Ansehen  und  ihre  Autorität 
zu  verlieren,  ist  ein  Motiv,  daß  man  den  Mädchen  den  gebührenden  Unterricht 
entzieht.  Dieses  Motiv  wird  von  verschiedenen  Seiten  gemeldet,  darunter 
Hoffmann  und  E.  Schröder.  Letzterer  schrieb:  Ein  intellektueller  Fortschritt 
der  weiblichen  Bevölkerung  liegt  nicht  im  Interesse  der  Brahminen.  Schröder 
führt  auch  einen  Fall  an,  in  dem  tatsächlich  ein  gebildetes  Mädchen  sich  im 
Jahre  1888  gegen  Althergebrachtes  auflehnte.  Dem  Mißbrauch  ihres  Volkes 
gemäß,  war  sie  als  Kind  verheiratet  worden.  Als  sie,  die  mit  der  Erlernung 
des  Englischen  auch  eine  andere  Auffassung  der  Ehe  gewonnen  hatte,  ihrem 


1)  Über  diese  Draupadi,  als  polyandrisch  aufgefaßt,  in  Kap.  L,  §  333. 

2)  Hoffmann  übersetzte  aus  Dadoba  Pandicranj,  einem  Inder:  „Indien,  das  einst  andern 
gesitteten  Nationen  Lehren  in  allem  geben  konnte,  was  die  Zivilisation  betraf,  besonders 
aber  in  der  rechten  Behandlung  der  Frau,  ist  während  der  letzten  zehn  Jahrhunderte,  seit 
dem  Einfall  der  Kanaden  (Muselmanen),  langsam  so  traurig  herabgesunken,  daß  es  jetzt  nur 
noch  einen  großen  Trümmerhaufen  des  weiblichen  Geistes  darbietet,  über  den  ein  mitleidiges 
Herz  nur  weinen  kann." 


476  Kapitel  X.LVI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

aufgedrungenen  Mann  in  dessen  Haus  folgen  sollte,  sich  weigerte,  erregte  das 
ein  großes  Aufsehen  und  die  Angelegenheit  kam  vor  Gericht. 

Europäischem  Einfluß  ist  es  zu  danken,  daß  iu  neuester  Zeit  wenigstens 
jene  Inder,  die  im  Dienste  der  englischen  Eegierung  stehen,  besser  unterrichtete 
Frauen  wünschen  und  deshalb  ihren  Töchtern  eine  geistige  Ausbildung  zukommen 
lassen.  —  Auf  die  intelligenteren  Mädchen  und  Frauen  macht  die  abendländische 
Kultur  starken  Eindruck,  wie  Katharina  Zitelmann  im  Jahre  1905  berichtete. 
Zitelmann  lernte  in  Lahore  eine  indische  Zeitungsredakteurin  kennen, 
welche  ein  kleines  Fraueiiblatt  in  Urdusprache  herausgibt,  das  erste  Frauen- 
blatt im  nördlichen  Indien.  Lehrer  dieser  jungen  Frau  war  ihr  eigener  Vater, 
ein  Muselmann,  gewesen.  Trotz  dieser  Emanzipation  hat  sich  diese  Frau 
anderseits  noch  nicht  über  die  dortige  Einschränkung  ihres  Geschlechtes  erhoben, 
d.  h.  noch  findet  sie  es  unerlaubt,  daß  ein  fremder  Mann  sie  auch  nur  im 
Bild  erblicke. 

Immerhin  gibt  es  in  Indien  nun  Mädchenschulen  mit  eingebornen  Lehrerin- 
n.ii,  wohin  man  die  muselmanischen  Schülerinnen  zu  Wagen  bringt,  wenn  sie 
nicht,  wie  ihre  Lehrerinnen,  dicht  verhüllt  zu  Fuß  gehen.  Auch  Hauslehrerinnen 
werden  gehalten.  Schon  im  Jahre  1S73  schrieb  II*.  Hoff  mann,  daß  Eingeborne 
ihre  Töchter  in  die  christlichen  Töchterschulen  schicken  und  derart  ausgebildet 
als  Erzieherinnen  in  die  Familien  aufnehmen.  —  Die  Inderin  sei  bildungsfähig 
und  für  den  Unterricht  dankbar.  — 

Wie  die  alten  Inder,  so  schickten  auch  die  alten  Kelten  ihre  Söhne 
in  die  Schulen  ihrer  Priester  und  Gelehrten.  Die  Druiden  hatten  interne 
und,  in  Britannien,  auch  externe  Schüler.  Jene  waren  für  den  Priester- 
stand bestimmt.  Unter  den  vielen  Kandidaten  verbrachten  manche  20  Jahre 
als  Schüler;  denn  die  Druiden  gestatteten,  teils  aus  Geheimtuerei,  teils  um  das 
jugendliche  Gedächtnis  zu  üben,  kein  schriftliches  Aufzeichnen  des  Unterrichts- 
stoffes, welcher  in  fremden  Sprachen,  in  Grammatik  und  Rhetorik,  im  Memo- 
rieren zahlreicher  Verse  und  in  gewissen  Verhaltungsmaßregeln  bestand.  Die 
Druiden  hielten  nämlich  viel  auf  eine  geheimnisvolle  Haltung  und  andere 
Äußerlichkeiten.  Geschrieben  wurde  wenig;  dem  Gedächtnis  half  man  durch 
bestimmte  Formeln  nach.  —  Externe  Schüler  waren  jene  Knaben,  welche  dem 
Geheimbund  der  Druiden,  also  dem  Priesterstand,  nicht  beitreten  wollten  und 
infolgedessen  auch  nicht  so  eingehenden  Unterricht  erhielten.  Zu  dem  geistigen 
Gemeingut  aller  gehörte  die  Lehre  von  der  Unsterblichkeit  der  Seele.  Im 
übrigen,  meinte  Qnvpp,  sei  hinter  der  Geheimlehre  der  Druiden  kaum  viel 
gesteckt:  smist  hätten  ihnen  die  Römer  mil  ihrem  7erbot  der  Menschenopfer 
nicht  beinahe  den  Garaus  machen  können.  — 

Daß  die  alten  Griechen  der  Gymnastik  und  Musik  in  der  Bildung, 
hauptsächlich  der  männlichen  Jugend,  eine  hei  vorragende  Bedeutung  zuschrieben, 
hat  Kap.  XLIV  erwähnt.  Auf  wissenschaftlichen  Unterricht  gab  Lykurg 
nicht  allzuviel.  Er  habe  sogar  die  Fragelust  der  spartanischen  Jugend  nach 
Gründen  unterdrücken  wollen.  —  In  Athen  sah  man  zu  Sohns  Zeit  wenigstens 
ein,  daß  es  not  tue,  die  Knaben  im  Lesen  und  Schreiben  zu  unterrichten,  wie 
Wachsmuth  bemerkt;  doch  verlangten  Solons  Gesetze  nur,  daß  die  Väter  ihre 
Söhne  erwerbsfähig  machen  sollten.  Nach  den  Perserkriegen  wurden  in  den 
athenischen  Schulen  auch  Rechnen  und  Zeichnen  als  Unterrichtsfächer  auf- 
genommen1).  Ein  diesbezügliches  Gesetz  oder  eine  staatliche  Fürsorge  durch 
Anstellung  und  Besoldung  von  Lehrern  gab  es  aber  damals  in  Athen  noch 
nicht,  ünterrichtsanstalten  und  Lehrer  waren  rein  privat.  Um  so  über- 
raschender wirkt  es,  daß  auf  Sizilien  bereits  im  siebenten  Jahrhundert  v.  Chr. 


')  Vgl.  Ploß  w.  u. 


§301.     Das  Kind  u.  das  Schulwesen  bei  Indo-Europäern  u.  vorderindischen  Nichtariern.     477 

die  obigen  Unterrichtsfächer  staatliche  Verordnung  waren.  Diodor  habe  eine 
solche  aus  den  dortigen  Gesetzen  des  Charandas  erwähnt. 

Ploß  unterschied  in  der  Schulbildung  der  altgriechischen  männlichen 
Jugend  einen  Elementar-  und  einen  höheren  Unterricht.  Jener  sei  trotz  des 
privaten  Charakters  der  Schule  fast  allen  Kindern  zugekommen.  „Es  mochte," 
schrieb  er,  „vielleicht  in  einzelnen,  wiewohl  sehr  seltenen  Fällen  vorkommen, 
daß  Kinder1)  ganz  ohne  Unterricht  blieben."  Jedenfalls  war  nach  Ploß  der 
Schulunterricht  für  viele  Kinder  der  ärmeren  Bürger  auf  kürzere  Zeit  beschränkt, 
als  für  jene  der  wohlhabenden,  da  sie  früh  zu  einem  Handwerk  übergehen 
mußten.  Der  höhere  Unterricht,  welcher  sich  für  die  übrigen  als  Fortsetzung 
an  den  Elementarunterricht  anschloß,  habe  im  Lesen,  Auswendiglernen  und 
Vortragen  von  Dichtungen  bestanden.  „Grundlagen  dieses  ganzen  Unterrichts 
waren  neben  ethischen  Gedichten  und  Fabeln  die  Gesänge  des  Homer,  dessen 
Ansehen  und  Herrschaft  in  der  Schule  die  abweichenden  Ansichten  einiger 
Philosophen,  die  ihn  wegen  leichtfertiger  Ansichten  von  den  Göttern  aus  der 
Schule  verbannt  wissen  wollten,  nicht  zu  erschüttern  vermochte.  Homer  blieb 
die  Quelle  und  der  Mittelpunkt  hellenischer  Bildung."  In  die  Musik  wurde 
der  Knabe  nach  Ploß  erst  im  13.  Jahr  eingeführt.  Was  aber  die  mathema- 
tischen Fächer  betreffe,  so  seien  sie  „von  anfang"  an  den  Jünglingen  von 
Philosophen  und  Sophisten  vorgetragen  worden;  als  Unterrichtsgegenstand 
für  die  Knaben  im  allgemeinen2)  erscheinen  sie  aber  erst  im  5.  Jahrhundert 
v.  Chr.,  also  zur  Zeit  der  Perserkriege.  -  -  Die  höhere  intellektuelle  Bildung 
des  Hellenen  schloß  mit  dem  Unterricht  in  der  Rhetorik,  Philosophie  und 
Staatswissenschaft  ab. 

Lesen,  Schreiben,  Kenntnis  des  Homer  und  Musik  gehörte  auch  in  Sparta 
zur  geistigen  Ausbildung,  wie  Ploß  im  Hinweis  auf  Fr.  Lübker,  Lor.  Grasberger 
und  Fr.  Gramer  schrieb.  Doch  war  hier  alles  primitiver  als  in  Hellas,  und 
man  verschmähte  Neuerungen.  — 

Eingreifender  und  wirksamer  als  vielleicht  in  irgendeinem  andern  Land 
der  alten  Welt  war,  nach  Mommsen,  die  allgemeine  Schulbildung  in  Klein- 
asien unter  den  Attaliden,  also  vor  der  Besitznahme  des  Landes  durch  die 
Römer  (129  v.  Chr.).  In  der  Stadt  Teos  in  Lydien  vermachte  damals  schon 
ein  reicher  Bürger  eine  Geldsumme  zu  dem  Zwecke,  daß  neben  dem  Turn- 
inspektor auch  das  Ehrenamt  eines  Schulinspektors  eingerichtet  und  drei 
besoldete  Schreiblehrer  angestellt  würden,  damit  alle  freien  Knaben  und 
Mädchen  im  Schreiben  unterwiesen  würden.  Ferner  zwei  Turnmeister,  ein 
Musiklehrer,  der  die  Knaben  der  beiden  letzten  Schul  jähre  und  der  aus 
der  Schule  entlassenen  Jünglinge  im  Lautenschlag  und  Zitherspiel  unterweise, 
ein  Fechtlehrer  und  ein  Lehrer  für  Bogenschießen  und  Speerwerfen.  Jähr- 
lich sollten  die  Schüler  im  Rathaus  im  Schreiben  und  in  der  Musik  öffent- 
lich geprüft  werden.  — 

Übrigens  gibt  Mommsen  selbst  für  Rom  die  Zeit  von  266  bis  146  als 
jene  Periode  an,  in  welcher  Lesen,  Schreiben  und  Rechnen  ein  Gemeingut 
aller  römischen  Stände  war.  Es  möge  hier  seine  Schilderung  des  römischen 
Unterrichtswesens  in  gedrängter  Kürze  folgen: 

Schon  in  der  Zeit  zwischen  der  Abschaffung  des  Königtums  und  der 
Einigung  Italiens  (510—266)  gab  es  lateinische  und  griechische  Schreiblehrer. 


')  Daß  hier  für  Athen  nur  die  Knaben  gemeint  sind,  geht  aus  einer  anderen  Stelle 
bei  Floß  hervor,  wo  wir  lesen:  „Die  Ausbildung  des  weiblichen  Geschlechts  geschah  aus- 
schließlich im  Hause  und  wurde  wohl  nur  von  den  Müttern  und  Wärterinnen  besorgt,  daher 
höhere  Bildung  beim  weiblichen  Geschlecht  fast  immer  mit  sittlicher  Leichtfertigkeit  und 
Zügellosigkeit  verbunden  ist  und  sich  fast  nur  bei  Hetären  findet." 

2)  Als  solchen  faßte  allem  Anschein  nach  auch  Wachsmuth  das  Rechnen  in  der  von 
ihm  angeführten  Stelle  auf. 


478  Kapitel  XLVI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

Das  Griechische  war  ja  damals  bereits  ein  Bedürfnis  der  römischen  Staats- 
männer und  Kaufleute  geworden.  Elementaren  Schulunterricht  gab  es 
vielleicht  noch  früher;  seine  wesentliche  Grundlage  war  das  Zwölf tafelgesetz. 
Mit  der  Entwicklung  der  Jurisprudenz  und  der  Grammatik  entwickelte  auch 
er  sich  immer  mehr  und  mehr. 

Höhere  Schulen  gab  es  in  jener  Periode  Eoms  noch  ebensowenig,  als  eine 
wesentliche  soziale  Abstufung  zwischen  dem  unterrichteten  und  dem  nicht  unter- 
richteten Kömer.  Ebensowenig  gab  es  staatliche  Schulen.  Die  Lehrer  waren 
teils  Hofmeister  und  unterrichteten  als  solche  im  Elternhaus  ihrer  Schüler,  oder 
es  waren  Privatlehrer  und  unterrichteten  in  ihrer  eigenen  Wohnung.  Caio,  der 
Altere,  war  selbst  der  Lehrer  seines  Sohnes,  und  derartige  Fälle  habe  es  wohl 
mehrere  gegeben.  C.  lehrte  seinen  Sohn  Lesen  und  Schreiben,  machte  ihn  mit 
dem  römischen  Landrecht  und  mit  hellenischer  Bildung  bekannt,  insofern  er 
diese  für  einen  römischen  Bürger  gut  fand.  Für  seinen  Sohn  schrieb  Cato  sein 
ganzes  Geschichtswerk  eigenhändig  mit  großen  deutlichen  Buchstaben  ab. 

Im  Jahre  272  v.  Chr.  kam  der  Grieche  Andronil-os,  der  spätere  römische 
Bürger  Lucius  Livius  Andronicus,  kriegsgefangen  nach  Korn,  wo  er  die  Kinder 
seines  Herrn  und  anderer  wohlhabender  Bürger  in  der  lateinischen  und 
griechischen  Sprache  unterrichtete,  indem  er  die  Odyssee  teils  im  Text,  teils 
nach  seiner  eigenen  lateinischen  Übersetzung  zugrunde  legte. 

Was  in  dieser  Epoche  begonnen  wurde,  setzte  sich  in  der  folgenden 
fort:  In  der  Zeit  von  der  Einigung  Italiens  bTs  auf  die  Unterwerfung  Karthagos 
und  der  griechischen  Staaten  (266 — 146)  war.  wie  schon  bemerkt,  nicht  nur 
Lesen,  Schreiben  und  Rechnen  ein  Gemeingut  aller  Stände,  sondern  der 
empirische  Sprachunterricht  gestaltete  sich  unter  griechischem  Einfluß  zu  einem 
höheren  Literaturunterricht  aus.  Eine  römische  Literatur  war  aber  noch  nicht 
vorhanden,  und  so  war  man  wiederum  auf  die  Griechen  angewiesen.  Wie 
kein  Kömer  zuvor,  ließ  der  politische  Besieger  der  hellenischen  Nation.  Lucius 
Aemilius  Paullus.  seine  Kinder  in  den  hellenischen  Geist  einführen,  bei  deren 
Unterricht  sich  die  griechische  Sprache  und  Literatur  mit  der  griechischen 
.Mythologie,  Geschichte,  Rhetorik  und  Philosophie  verbanden.  Seinem  Beispiel 
folgten  die  Vornehmen  Roms  und  Italiens,  und  nun  strömten  griechische  Lehrer 
scharenweise  nach  Rom.  Von  jetzt  an  war  der  höhere  Unterricht  in  der 
griechischen  Sprache  und  den  übrigen  griechischen  Bildungsfächern  ein  wesent- 
licher Teil  der  italienischen  Bildung.  Daneben  erblühte  eine  einheimische 
Literatur  und  auf  Grund  dieser  auch  ein  höherer  lateinischer  Unterricht. 

In  der  Zeit  der  Begründung  der  Militärmonarchie  nahm  die  griechi- 
sche und  lateinische  Bildung  an  Umfang  und  an  Schulstrenge  zu,  aber  an 
Reinheit  und  Feinheit  ab. 

Die  Umwandlung  des  allgemeinen  Bildungskreises  der  Römerwelt  inner- 
halb eines  Jahrhunderts  beweist  Mommsen  mit  einem  Vergleich  der  catoni- 
schen  Encyclopädie  mit  Yarros  Schrift  „Von  den  Schulwissenschaften". 
Während  die  allgemeine  Bildung  bei  Cato  die  Redekunst,  Ackerbau-,  Rechts-. 
Kriegs-  und  Arzneikunde  umschließe,  verlange  Varro  Grammatik.  Logik  oder 
Dialektik.  Rhetorik,  Geometrie,  Arithmetik,  Astronomie,  Musik,  Medizin  und 
Architektur.  -  ■  Die  Kriegs-,  Rechts-  und  Ackerbaukunde  waren  nun.  d.  h. 
im  7.  Jahrhundert  der  Stadt  (letztes  Jahrh.  v.  Chr.),  bereits  Fachwissen- 
schaften. Mit  Cäsar  beginnt  die  Beförderung  der  Jugendbildung  von  oben 
herab,  insofern  er  sämtlichen  Lehrern  der  freien  Wissenschaften  der  Haupt- 
stadt das  römische  Bürgerrecht  verlieh.  Später  sorgte  der  Staat  für  die 
höhere  zwiesprachige  Bildung  der  Jugend  in  eigenen  Anstalten.  — 

Viel  bescheidener  sah  es  damals  noch  mit  der  Schulbildung  der  Ger- 
manen  aus.     Ihre  Kinder  lernten  nach    (hupp  die  traditionellen  Sagen  und 


§  301.     Das  Kind  u.  das  Schulwesen  bei  Indo-Europäern  u.  vorderindischen  Nichtariern.     479 

Sprichwörter;   dazu  kam  Harfenspiel,  Hornblasen,  Pfeifen  und  Gesang,  womit 
wohl  die  Allgemeinbildung  ihren  Abschluß  fand. 

Die  ältere  Edda,  deren  älteste  Lieder  bis  auf  das  9.  Jahrhundert 
nach  Chr.  zurückgehen,  läßt  den  isländischen  Edelknaben  Jarl,  dessen  Kraft- 
übungen und  Geschicklichkeit  in  körperlicher  Arbeit  wir  bereits  kennen  ge- 
lernt haben,  Runen  lernen.     Rigr  ist  sein  Lehrer. 

„Da  kam  zu  dem  Hause 
Rigr  daher: 
Rigr  lehrt'  ihn 
Runen   kennen."  — 

Unterricht  in  den  Runen  genossen  auch  die  Mädchen,  welche  nach  Ploß1} 
„überhaupt  in  die  geheimen  Künste"  eingeführt  wurden. 

Große  Verdienste  um  die  Volksbildung  der  Franken  erwarb  sich  Karl 
der  Große,  der  zunächst  den  Klerus  reformierte  und  ihn  hierauf  mit  dem 
Unterricht  der  Jugend  beauftragte.  Siebengartner2)  weist  in  dieser  Hinsicht 
auf  die  Pastoralinstruktion  Theodulfs  von  Orleans  hin,  wo  es  in  c.  20  heiße  i 
„Die  Pfarrer  haben  in  den  Dörfern  und  Flecken  Schule  zu  halten,  und 
wenn  einer  der  Gläubigen  ihnen  seine  Kinder  zum  Unterrichte  in  den  Wissen- 
schaften anvertrauen  will,  so  sollen  sie  dieselben  nicht  zurückweisen,  sondern 
mit  größter  Liebe  unterrichten." 

Nach  A.  Hauch  sind  aus  der  damaligen  Zeit  aus  Bayern  Aufzeichnungen 
eines  Bischofs  erhalten,  nach  welchen  dieser  bei  der  Kirchenvisitation  mahnte, 
daß  alle  Familien  ihre  Kinder  zur  Schule  schicken  sollen. 

In  diesen  „Pfarrschulen"  handelte  es  sich,  wie  es  scheint,  fast  aus- 
schließlich um  religiösen  Volksunterricht  für  alt  und  jung.  Höherer  Unterricht 
wurde  den  Kindern  vieler  Vornehmen  in  den  Klosterschulen,  oder  daheim 
durch  Hofkapläne3)  erteilt.  So  leitete  am  Hof  Karls  des  Großen  ein  "Welt- 
priester, oder  ein  Mönch  den  wissenschaftlichen  Teil  des  Unterrichtes  der 
Prinzen  und  Prinzessinnen,  welche  in  alle  Wissenszweige,  die  Karl  selbst  zu 
besitzen  wünschte,  eingeführt  wurden. 

Der  Unterricht  begann  gewöhnlich  mit  sieben,  ausnalimsweise  schon  mit 
vier  oder  fünf  Jahren..  Sehr  weit  brachte  man  es  damals  mit  dem  Schul- 
unterricht durchschnittlich  nicht;  man  war  froh,  wenn  man  lesen,  höchstens 
auch  noch  schreiben  konnte.  Zur  höheren  Bildung  gelangten  eben  nur  die 
allerdings  zahlreichen  Ausnahmen4),  zu  denen  nicht  wenige  gelehrte  Frauen 
gehören. 

Im  12.  Jahrhundert  wurde  in  Deutschland  neben  dem  Latein  bereits 
Französisch  als  Umgangssprache  gepflogen,  und  deshalb  wurden  damals  schon 
französische  Hauslehrer  und  Hauslehrerinnen  engagiert,  Außerdem  unter- 
richtete man  die  Kinder  der  Vornehmeren  in  Musik,  in  gewissen  Spielen  und 
äußeren  Umgangsformen. 

Mit  der  Entwicklung  des  Bauern-  und  Bürgerstandes,  sowie  des  gesamten 
Wirtschaftslebens  schritt  auch  die  Volksbildung  voran.  Im  13.  Jahrhundert 
entstanden  Elementarschulen  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes.  Ihre  Zu- 
nahme muß  rapid  gewesen  sein;  denn  nach  Specht5)  gab  es  schon  um  die 
Mitte  des  genannten  Jahrhunderts  solche  Schulen,  Stadt-  oder  Ratschulen 
genannt,  in  allen,  selbst  den  kleinsten,  Städten  Deutschlands.  Auch  zahlreiche 
Landschulen   existierten    nach   B.   Kaisser6)   gegen   Ende   des   Mittelalters 


-)  Volksschule.     In    Wetzer  und   Weites  K.-L.,  2.  Aufl.   12.  Bd..  1048. 

3)  Zuchtmeister  und  Zuchtmeisterinnen  für  die  Erziehung   im   weiteren  Sinne  sind   in. 
Kapitel  XLIV  erwähnt  worden. 

4)  Universitäten  gibt  es  seit  dem  13.  Jahrhundert. 
6)  Bei  Siebengartner.  ebenda,  1049. 

')  Bei  Siebengartner,  ebenda. 


480  Kapitel  XLVI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

Um  diese  Zeit  entwickelte  sich  in  den  Städten  zudem  das  Privatschulwesen, 
und  in  Niederdeutschland  breiteten  sich  die  Schulen  der  Fraterherren  aus.  — 

Bezeichnend  für  die  damalige  Zeit  ist  es,  daß  man  in  der  griechischen 
Kirche  für  angehende,  besonders  aber  für  schwer  lernende  Studenten,  eigene 
•Gebete  einführte.  A.  Franz  erwähnt  solche  aus  dem  13.  und  16.  Jahrhundert. 
In  einem  im  16.  Jahrhundert  eingeführten  Offizium  wurden  die  24  Ältesten 
■der  Apokalypse  angerufen,  nach  deren  Anbetung  vor  dem  Lamme  das  ver- 
siegelte Buch  geöffnet  werden  konnte  ').  -  -  Ein  anderer  abergläubischer  Brauch 
war,  daß  man  während  der  Feier  der  Liturgie  ein  mit  Wasser  und  Wein 
gefülltes  Glasgefäß,  welches  die  Namen  jener  Ältesten  an  der  Innen-  und 
Außenseite  trug,  auf  den  Altar  stellte,  worauf  man  es  dem  Kind  zum  Trinken 
reichte.     Dabei  rief  man  Maria  und  die  Ältesten  an. 

Auch  die  lateinischen  Christen  ersannen  Gebete  und  andere  Mittel 
zum  leichten  Erwerb  der  Wissenschaft.  Eine  Admonter2)  Gebetsformel  aus 
dem  14.  Jahrhundert  mußte  am  Morgen  der  ersten  Monatstage  nüchtern  und 
andächtig  gesprochen  werden  und  gewährte  in  diesem  Fall  leichtes  Studium, 
geschärften  Geist  und  Redegabe.  Sogar  die  gelehrte  hl.  Hildegard  war  im 
Aberglauben  ihrer  Zeit  so  befangen,  daß  sie  eine  Gebrauchsanweisung  zur 
Erlangung  eines  scharfen  Verstandes,  reichen  Wissens  und  gesunden  Magens 
gab,  d.  li.  sie  empfahl  zu  diesem  Zweck,  des  Morgens  beim  Aufstehen  einen 
Saphir  in  den  Mund  zu  nehmen  und  den  Speichel,  womit  der  Stein  benetzt 
wurde,  zu  verschlucken;  ferner  den  Saphir  über  den  Dunst  von  kochendem 
Wein  zu  halten  und  dann  abzulecken.   — *~ 

Diesen  Darlegungen  fügt  Franz  bei:  „Die  gewöhnlichen  Mittel  zur 
Erlangung  von  Wissenschaft  waren  und  blieben  (aber)  Unterricht  und 
eigener  Fleiß  der  Schüler.  In  der  Schule  regierte  freilich  der  Stock  in  unge- 
bührlicher Weise."  — 

Einen  Einblick  in  die  Schulbildung  Philipps,  des  zweiten  Sohnes  Georgs  I. 
von  Pommern,  gewährt  uns  Martin  Wehrmann3).  Der  elfjährige  Knabe  wird 
am  Hofe  seines  Oheims  Ludwig  V.  von  einem  Hofmeister  in  der  Grammatik, 
in  Latein,  Literatur,  Philosophie,  Rhetorik  und  Geschichte  unterrichtet. 

Interessant  wäre  nun  die  Verfolgung  der  staatlichen  Fürsorge  für  die 
Schule  innerhalb  der  europäischen  Kulturwelt,  doch  geht  das  über  den  Rahmen 
dieses  Werkes  hinaus.  — 

$  302.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Semiten  und  Hamiten. 

In  Assyrien  gehörte  zur  Zeit  Assiirbanipah  (7.  Jahrh.  v.  Chr.)  zur 
höheren  Mädchenbildung  geläufig  schreiben  und  lesen,  singen,  Harfe  spielen, 
tanzen  und  ohne  Vorzeichnung  sticken.  Diese  Mitteilung  bei  Maspero  läßt 
mit  ziemlicher  Sicherheit  schließen,  daß  die  Knabenbildung  zum  mindesten 
auf  der  gleichen  Höhe  stand.  -  -  In  den  Priester-  und  Gelehrtenschulen  be- 
schäftigte man  sich  mit  dem  Studium  und  der  Übersetzung  sumero-akkadischer 
Texte,  sowie  mit  dem  Studium  babylonisch-assyrischer  Keilschriften,  mit  Astro- 
logie, Mathematik  u.  a.  m. 

Ob  bei  den  alttestamentlichen  Juden  der  Unterricht  ursprünglich 
über  die .Belehrung  im  Gesetz  und  in  der  hl.  Geschichte  hinausging,  weiß  man 
nicht.  Öffentliche  Schulen  für  den  niederen  Unterricht  gab  es  neben  den 
Prophetenschulen  erst  später,  und  auch  dann  durften  sie  nicht  von  den  Mädchen 

')  Offenbarung  Johannis  5. 

)  Ailmuiit,    ein    Marktflecken    in  Steiermark,    mit   einer   im    Jahre    1074    gestifteten 
{Benediktinerabtei. 

-1)  Archiv  für  Kulturgeschichte,  1.  Bd.,  Berlin  1903,  S.  268 f. 


§  302.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Semiten  und  Hamiten.  481 

besucht  werden.  Der  Unterricht  der  Töchter  lag  in  den  Händen  der  Mütter, 
unter  deren  Aufsicht  sie  bis  zu  ihrer  Verheiratung  abgeschlossen  lebten 
(König). 

Interessant  ist  nun  ein  Vergleich  der  jetzigen  Schulverhältnisse  zweier, 
kulturell  nicht  hervorragender,  Zweige  der  jüdischen  Nation,  d.  h.  der  Juden 
in  der  Bukowina  und  der  südrussischen  Juden.  Von  jenen  berichtet 
Kaindl:  Schon  mit  dem  angehenden  vierten  Jahr  wohnen  Knaben  und 
Mädchen  dem  Unterricht  eines  jüdischen  Lehrers  (Belfer,  Malämet)  in  einer 
Privatschule  (Glieder)  bei.  Um  die  Kinder  zu  diesem  frühen  Unterricht 
körperlich  zu  kräftigen,  werden  sie  von  klein  an  sorgsam  und  kräftig  ernährt. 
Ein  Gehilfe  des  Lehrers,  Behelfer  genannt,  holt  die  Schulkinder  täglich  früh- 
morgens vom  Elternhaus  ab  und  bringt  sie  abends  wieder  dahin  zurück.  An 
manchen  Orten  holt  er  ihnen  auch  den  Mittagstisch  aus  dem  Elternhause.  — 
Dieser  Schulbesuch  währt  für  beide  Geschlechter  bis  zum  12.  Lebensjahr  und 
soll  die  Kinder  vor  allem  befähigen,  Gebete,  das  alte  Testament  und  den 
Talmud  hebräisch  lesen  zu  können.  Für  die  Knaben  gibt  es  noch  ein  weiteres 
Schuljahr.  Fängt  ein  solcher  die  fünf  Bücher  Mose  zu  studieren  an,  dann  wird 
ein  Familienfest  veranstaltet,  zu  dem  man  die  Lehrer  und  Verwandten  ein- 
ladet. Auf  einem  Tisch  wird  ein  seidenes  Tuch  ausgebreitet,  auf  das  sich 
der  Knabe  stellt,  um  von  hier  seinen  wissenschaftlichen  Fortschritt  in  einer 
Unterredung  mit  seinem  Lehrer  zu  beweisen. 

Außer  den  eigenen  Schulen  stehen  den  Juden  die  öffentlichen  Schulen 
zur  Verfügung;  auch  halten  sich  einzelne  Eltern  Privatlehrer.  Vor  höherer 
Bildung  im  modernen  Sinn  scheuen  sich  aber  die  streng  Orthodoxen;  sie  be- 
schränken sich  auf  das  Studium  ihrer  hl.  Schriften. 

Bei  den  südrussischen  Juden  beginnt  der  Unterricht  im  Glieder1)  mit 
5 — 6  Jahren.  Von  8  Uhr  früh  bis  8  Uhr  abends  halten  sich  die  Kinder  in 
„dem  gesundheitswidrigen"  Raum  auf,  schreibt  S.  Weißenberg.  Das  Lokal 
besteht  aus  einem,  höchstens  zwei  schmutzigen,  niedrigen,  schlecht  beleuchteten 
Zimmern,  die  zugleich  dem  Lehrer  und  seiner  Familie  zur  Privatwohnung  dienen. 
In  neuerer  Zeit  bekämpfen  die  intelligenteren  Juden  mit  Beihilfe  der  russischen 
Begier u n g  den  Glieder,  haben  aber  bisher  nichts  Besseres  geschaffen.  Viel- 
mehr ist  der  Elementarunterricht  jetzt  nicht  mehr  obligatorisch,  wie  denn  die 
russische  Regierung  sich  nicht  einmal  um  die  Bildung  der  niederen  Schichten 
ihres  eigenen  Stammvolkes  viel  kümmere.  Deshalb  seien  jetzt  Analphabeten 
unter  den  südrussisclien  Juden  nicht  mehr  selten.  —  Was  den  Lehrplan  im 
Cheder  betrifft,  so  wird  Altes  und  Neues,  allgemeine  und  jüdische  Fächer,  je 
nach  dem  Wissen  des  Lehrers  und  dem  Wunsche  der  Eltern,  vorgetragen. 
Bezeichnend  ist  Weißenbergs  Mitteilung,  daß  der  „Rebe"  in  den  ersten 
Unterrichtsstunden  Zuckerwerk,  Nüsse  oder  kleine  Münzen  unbemerkt  auf 
den  Tisch  legt,  die  als  Geschenke  eines  Engels  für  fleißige  Schüler  aus- 
gegeben werden.  —  Gut  talentierte  Kinder  kommen  mit  8 — 10  Jahren  in 
die  für  die  Juden  bestimmten  Regierungsschulen,  deren  es  in  den  größeren 
Städten  gibt. 

Interessant  ist  auch  die  folgende  Mitteilung  bei  Weißenberg:  Am  Vor- 
abend der  christlichen  Weihnachten  haben  die  südrussisclien  Judenkinder  frei, 
damit  ihr  Lernen  nicht  etwa  dem  Allmächtigen  als  ein  Gebet  zu  Jesus  gelte. 

Der  vorige  Paragraph  machte  uns  mit  den  starken  Schwankungen 
der  indischen  Frauenbildung  bekannt.  Der  Niedergang  dieser  Bildung 
nach  ihrem  historisch  ersten  Aufstieg  wurde  dort  dem  Islam  zugeschrieben. 
Im   folgenden    zeigen    sich    uns    ähnliche    Schwankungen   bei   den  Arabern. 


')  S.    Weißenberg  übersetzt  „Cheder'"  mit  „jüdische  Volksschule''. 

PloG-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  31 


482  Kapitel  XLVI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

Hier  sah  aber  die  Geschichte  eine  hochgradige  Frauenbildung  mitten  im 
Islam.  Gustav  Oiektel  charakterisiert  den  Bildungsgrad  einer  arabischen  Braut 
in  der  Blütezeit  der  arabischen  Wissenschaften  folgenderweise: 

Sie  hatte  Propädeutik,  Philosophie,  Medizin,  den  Kommentar  des  Galenits 
über  die  Sektionen  des  Hippohrates  studiert,  hatte  Tezkire  gelesen  und  den 
Burhän  kommentiert,  hatte  die  Mufarradät  des  Ihn  el-Beitär  durchgenommen 
und  konnte  über  den  Kanon  des  Avicenna  disputieren,  Rätsel  lösen  und  über 
Geometrie  reden.  Nebenher  hatte  sie  die  Bücher  der  Schafiiten,  eine  der 
vier  orthodoxen  mohammedanischen  Schulen,  gelesen,  dazu  die  Tradition  von 
Mohammed  und  die  Syntax;  disputieren  konnte  sie  mit  den  Ulema  und  ver- 
traut war  sie  mit  Logik,  Rhetorik,  Arithmetik  und  Dialektik,  und  zum  Schluß 
kannte  sie  die  Spiritualia  und  heiligen  Zeiten.  — 

Auf  diese  Blütezeit  folgte  auch  hier  eine  Ära  intellektuellen  Tiefstandes, 
hauptsächlich  des  weiblichen  Geschlechtes,  welche,  wie  in  Indien,  für  die  Allge- 
meinheit bis  in  unsere  Zeit  hereindauert.  Ausnahmen  sind  dem  Einfluß  der  nun 
eindringenden  europäischen  Kultur  zuzuschreiben.  Anfangs  der  70  er  Jahre  des 
19.  Jahrhunderts  begannen  die  ägyptischen  Prinzessinnen  sich  zu  emanzipieren, 
wie  Mustafa  Bei  berichtet,  indem  sie  sich  zunächst  nach  der  neuesten  Pariser 
Mode  kleideten  und  in  der  Öffentlichkeit  erschienen.  Ihre  Vorläufer  und 
Eunuchen  durften  die  Neugierigen  nicht  mehr  zurückdrängen.  In  den  90  er 
Jahren  schrieb  Mustafa  Bei,  daß  jede  ägyptische  Prinzessin  ..jetzt",  neben 
dem  Unterricht  im  Arabischen,  ,.in  alle  Zweige  des  europäischen  Unterrichtes" 
eingeweiht  werde.  Er  dachte  hier  wohl  nur  an  die  sogenannte  höhere  Mädchen- 
bildung in  Europa.  —  Weitere  Kreise  aber  waren  für  eine  Schulbildung  des 
weiblichen  Geschlechtes  ziemlich  schwer  zu  gewinnen.  Cromer,  der  bekanntlich 
in  den  öffentlichen  Angelegenheiten  Ägyptens  eine  so  mächtige  Rolle  spielt, 
und  der  es  also  wissen  muß,  schrieb  im  Jahre  1908:  Die  ersten  Versuche  der 
Engländer,  die  Bildung  des  weiblichen  Geschlechtes  in  Ägypten  zu  fördern, 
fanden  wenig  Sympathie.  Yaeoub  Pascha  Artiu  war  der  einzige  Ägypter,  der 
sich  für  die  Sache  etwas  interessierte,  während  die  meisten  der  höheren  Klassen 
ihr  nicht  nur  indifferent,  sondern  geradezu  feindlich  gegenüberstanden.  Sie 
wollten  keine  gebildeten  Frauen.  Als  Mädchenschulen  eröffnet  wurden,  schickten 
daher  die  Eltern  ihre  Töchter  anfangs  mit  Widerstreben  hin  und  nahmen  sie 
bald  wieder  heraus.  Die  Engländer  erachteten  es  daher  für  nötig,  zum  Schul- 
besuch durch  Zulassung  zahlreicher  Schülerinnen  ohne  finanzielle  Verpflichtung 
zu  ermutigen.  Die  meisten  von  jenen,  die  diesen  Vorteil  ausnutzten,  waren 
aus  den  ärmeren  Klassen.  Aber  auch  sie  verließen  die  Schule  bald,  sei  es 
um  sich  zu  verheiraten,  sei  es,  weil  man  es  für  unpassend  hielt,  daß  Mädchen 
nach  den  Kinderjahren  noch  die  Schule  besuchten. 

Seitdem  hat  sich  aber  nach  Cromer  abermals  vieles  zum  Bessern  geändert. 
Der  Widerwille  der  Eltern  gegen  den  Schulbesuch  ihrer  Töchter  ist  zum 
großen  Teil  überwunden.  Immer  häufiger  werden  die  Gesuche  um  Eröffnung 
von  Schulen  in  verschiedenen  Teilen  des  Landes.  Die  jüngere  Generation, 
insofern  sie  männlichen  Geschlechtes  ist,  fängt  an,  in  der  Frau  andere  Fähig- 
keiten, als  die  bisher  im  Harem  erworbenen,  zu  suchen  und  zu  schätzen,  was 
mit  ihrer  eigenen  höheren  Bildung  in  Mittel-  und  Hochschulen1)  zusammen- 
hangt, wie  ja  die  Wechselwirkung  der  beiden  Geschlechter  überall  unabwendbar 
ist.  Immerhin  wird  es  auch  in  Ägypten  noch  einige  Zeit  dauern,  ehe  das 
weibliche  Geschlecht  sich  bewußt  ist,  daß  es  von  Natur  aus,  so  gut  wie  der 
Mann,  das  Recht  zur  freien  Bewegung  in-  und  außerhalb  des  Hauses  hat. 
Noch   leben   in  Ägypten   die   weitaus   meisten   Mohammedanerinnen,   wie   ihre 


')  Die   sehr  minderwertige  Schulbildung   nach   der   Methode   der   Eingebornen  s.  f.  S. 


§  302.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Semiten  und  Hamiten.  483 

Glaubeusgenossiunen  in  Indien,  streng'  abgeschlossen.  Selbst  unter  den  nach 
europäischem  Lehrplan  Gebildeten  sind  es  nur  wenige,  welche  sich  aus  der 
Abgeschlossenheit  emanzipieren.  Solange  die  wissenschaftliche  Bildung  der 
ägyptischen  Araber  auf  jener  Stufe  steht,  welche  sie  nach  der  folgenden,  im 
Jahre  1910  in  der  deutscheu  Presse  veröffentlichten  Schilderung  Hamilton  Fyfes 
einnimmt,  ist  ein  weiterer  Gesichtskreis  auch  gar  nicht  zu  erhoffen.  Fyfe 
schrieb  nämlich  aus  Ägypten:  „In  einer  kleinen,  kegelförmigen  Lehmhütte 
in  Luksor  hält  ein  ernster  Mann  im  Turban  Schule.  Es  ist  fast  dunkel,  und 
man  sieht  kaum  die  Körper  der  Kinder,  die  in  mechanischem  Rhythmus  die 
Lektion  nachbeten.  Kleine  schwarze  Hände  kopiereu  die  arabischen  Zeichen 
des  Lehrers  auf  ihre  Tafeln.  Sie  lernen  das  ABC,  und  wie  man  es  entdeckt, 
daß  zweimal  zwei  vier  sind.  Sie  haben  auch  schon  angefangen,  Teile  des 
Korans  auswendig  zu  lernen.  Sie  werden  das  heilige  Buch  vollkommen  aus- 
wendig lernen  müssen,  Sure  um  Sure;  dann  aber  ist  ihr  Bildungsgang  ab- 
geschlossen." Nur  die  Begabtesten  von  ihnen  werden  auf  die  berühmte 
mohammedanische  Universität  von  Kairo  gesandt;  sie  gehen  zur  Gamia 
El  Ashar.  Hier  werden  sie  in  einer  Reihe  von  Kursen  lernen,  daß  seit  der 
Zeit  des  Korans  die  Wissenschaft  keine  Fortschritte  mehr  gemacht  hat,  sie 
werden  lernen,  daß  die  Erde  flach  ist  und  auf  den  Hörnern  und  auf  dem 
Rücken  eines  Stieres  ruht:  von  Bergen  ist  die  Erde  umkreist,  wo  die  Dschius 
hausen,  die  bösen  Geister,  die  mit  den  guten  Engeln  um  die  Herrschaft  über 
die  Menschheit  kämpfen.  Das  ist  die  „geistliche  Wissenschaft",  auf  Grund 
deren  Gesetzeskunde  studiert  wird,  und  durch  die  man  die  Kunst  erlernt,  den 
Koran  vorzutragen.  —  Hamilton  Fyfe  schildert  einen  Besuch  in  dieser  Hochburg 
ägyptischen  Wissens.  „Beim  Überschreiten  der  Schwelle  legt  man  große 
Pantoffeln  an,  ohne  die  man  den  heiligen  Ort  nicht  betreten  darf.  Hinter 
einem  bleiben  Gegenwart  und  Leben.  Man  kommt  zuerst  in  einen  großen, 
offenen  Hof,  wo  unzählige  Menschen  im  Turban  und  in  wallenden  Gewändern 
versammelt  sind.  Einige  lesen  und  begleiten  ihre  Lektüre  mit  rhythmischen 
Schwingungen  des  Körpers,  andere  unterhalten  sich.  Hier  haben  sich  einige 
um  den  Alim,  den  Professor,  gruppiert  und  notieren  sich  einzelne  Punkte  aus 
seiner  Rede.  Andere  essen,  andere  schlafen.  Der  Hof  liegt  im  heißen  Sonnen- 
schein gebadet.  Man  schreitet  durch  die  Säulengänge,  wo  Kinder  mit  ge- 
kreuzten Beinen  am  Boden  sitzen  und  mechanisch  die  Tageslektion  wiederholen. 
Dahinter  liegt  ein  zweiter  Hof;  er  ist  gedeckt  und  kühl;  auch  hier  drängen 
sich  die  Studenten.  Über  Schlafende,  oder  mitten  durch  einzelne,  am  Boden 
hockende  Klassen  schreitet  man  hindurch.  Die  Lehrer  sitzen  auf  niedrigen 
breiten  Stühlen.  Überall  ist  das  Summen  und  Rauschen  von  Gesprächen, 
überall  ist  ein  ewiges  Gehen  und  Kommen.  Wie  schwer,  meint  der  Europäer, 
muß  es  sein,  hier  zu  denken!  Aber  das  ist  auch  nicht  die  Aufgabe  der 
Studenten  von  El  Ashar.  Denken  Ayerden  sie  nicht  gelehrt."  Die  Wissen- 
schaft um  ihrer  selbst  willen  ist  dem  Ägypter  ein  fremder  Begriff.  Höchstens, 
daß  eine  kleine  Minderheit  durch  sie  einen  Fortschritt  ihrer  Nation  bezweckt; 
die  weitaus  meisten  der  ..Studierenden"  erstreben  mit  ihrem  Lernen  nur  eine 
Anstellung  im  Staatsdienst  mit  regelmäßigem  Gehalt. 

Mit  der  Fyfesdien  Charakterisierung  der  arabisch-ägyptischen  Schul- 
bildung der  Neuzeit  stimmt  überein,  was  Hartmann  im  Jahre  1860  schrieb: 
Man  schickt  in  Ägypten  die  Kinder  frühzeitig  zur  Kettäb  (Schule),  woselbst 
sie  von  einem,  oft  sehr  rohen  und  unwissenden  Figi  oder  Schullehrer  im 
Lesen,  Hersagen  des  Koran  und  im  Rechnen,  schon  seltener  im  Schreiben, 
unterrichtet  werden.  Ein  Knabe,  welcher  Lesen  lernt,  muß,  auf  dem  Boden 
hockend,  seine  mit  Buchstaben  oder  Koransprüchen  beschriebene  Holztafel  vor 
sich  auf  den  Knieen  halten  und  seine  Lektion  laut  herschreien,  wobei  er  mit 
seinem  Oberkörper  pagodenmäßig  hin  und  her  zu  wackeln  pflegt;  geht  es  zu 

31* 


484 


Kapitel  XLVI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 


langsam,  so  saust  die  Peitsche  des  Figi  dazwischen  *).  Töchter  erhalten  eine 
nur  dürftige  Geistesbildung;  sie  lernen  selten  lesen  und  schreiben  und  kaum 
je  mehr,  als  das  Aufsagen  einiger  Koranstellen.  Eugene  Gelliow-Danglar 
hielt  es  sogar  für  erwiesen,  daß  der  ägyptische  Semite,  also  der  Araber,  nach 
dem  15.  oder  16.  Lebensjahr  einer  intellektuellen  Weiterentwicklung  unfähig 
sei,  was  nach  den  mittelalterlichen  Leistungen  der  Araber  auf  den  Gebieten 
der  Kunst,  Poesie  und  Wissenschaft  aber  doch  nicht  haltbar  ist2).  Vor  dem 
15.  oder  16.  Lebensjahr,  meinte  Gelliow-Danglar,  sei  der  ägyptische  Semite 
freilich  bildsam  und  intelligent. 

John  F.  Keane  behauptete  von  den  arabischen  Knaben  in  Mekkah,  sie 
seien  bis  zu  ihrem  14.  Lebensjahr  den  europäischen  gleichaltrigen  Kindern  in 
intellektueller  Hinsicht  voraus.  Sie  lesen  und  schreiben  mehr  als  eine  Sprache 
gut,   sind   in  der  Arithmetik   zu  Hause,   kennen   ihre  religiösen  Pflichten   aufs 

genaueste  und  besitzen  einen  gewaltigen  Vorrat 
religiösen  Wissens  (?)3).  Damit  sind  sie  an  der 
Grenze  der  muselmanischen  Durchschnittsbildung 
angelangt,  und  auf  sie  sind  sie  stolz. 

Die  Mädchen  brauchen  nach  der  Auffassung 
der  Araber  auch  auf  der  Halbinsel  keine  Schul- 
bildung. In  Yemen  fand  Benzo  Mansoni  keine 
einzige  Frau,  die  lesen  oder  schreiben  konnte.  — 
Aus  der  Erziehung  des  Beduinenmädchens  sind 
Literatur  und  Wissenschaft  ebenso  ausgeschlossen 
wie  sittliche  Unterweisung  und  Gebet,  schreibt 
A.  M.  de  St.  Elie.  Da  aber  jede  Arbeit  von 
einem  entsprechenden  Gesang  begleitet  wird, 
haben  die  Mädchen  verschiedene  Lieder  zu  er- 
lernen, z.B.  zum  Getreidemahlen  Lieder  elegischen, 
erotischen  oder  epischen  Inhaltes  mit  melancho- 
lischer, schmachtender  Melodie,  während  zum 
Reisstampfen  in  kurzen  Strophen  aneifernden 
Inhaltes  der  Takt  gesungen  wird  usw.*) 

In  Arabia  Petraea  lernen  die  Knaben 
und  Mädchen  viel  beim  Lagerfeuer5),  wo  die 
Männer  die  Überlieferungen  des  Stammes  oder 
Geschlechtes  immer  wieder  und  wieder  hersagen, 
die  Genealogien  aufzählen,  die  Heldentaten  der 
Stammesgenossen  preisen,  oder  sich  über  feindliche 
Stämme  lustig  machen.  Alles  hört  da  mit  größter  Spannung  zu,  die  Knaben 
hinter  den  Männern  hockend,  die  Mädchen  sich  in  der  Frauenabteilung  zusammen- 
drängend. Was  sie  am  Lagerfeuer  gehört  haben,  wiederholen  sie  auf  der  AVeide 
oder  auf  dem  Weg  zur  Tränke,  lernen  es  so  auswendig,  und  damit  auch  die  „Ge- 
schichte"   ihres  Stammes  oder  Geschlechtes.     Auch   in   Versform   werden   die 


Fig.  400.     Knalie  als  Derwisch.     Port 

Said.     Im  K    Museum  für  Völkerkunde 

in  München. 


')  Vgl.  Züchtigung  in  Kapitel  XLIV.  —  In  der  2.  Auflage  (II.  358)  verglich  Ploß 
di''  Lehrmethoden  gewisser  asiatischer  und  nordafrikaniseher  Völker  mit  der  im  alten  Rom 
üblichen.  Da  wie  dort  sei  das  Lehren  ein  Einpauken  gewesen  Auch  in  Kom  habe  der 
Ludimagister  seinen  Bakul  über  die  Häupter  der  plärrenden  und  buchstabierenden  Kinder- 
schar geschwungen.  „Das  Lehren  ist  da  noch  keine  Aufgabe  einer  gesunden  Pädagogik, 
lern  nur  ein  handwerksähnlicher  Berul".  setzte  Ploß  hinzu. 

-i  Die  Empfänglichkeit  für  höhere  Erkenntnis  hängt  bekanntlich  mit  gewissen  inneren 
LuBeren  Verhältnissen  zusammen,  welche  vorerst  geordnet  werden  müssen,  ehe  der  Verstand 
sich  höher  entwickeln  kann,  und  das  scheint  den  heutigen  Arabern  zu  fehlen. 

3)   An  immense  stock  of  religious  lore. 

4i   Damit  ist  also  doch  eine  primitive  Literatur  im  weitesten  Sinne  gegeben. 

'J  Es  handelt  sich  also  hier  wieder  um  Beduinen. 


§  302.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Semiten  und   Hamiten.  485 

Ruhmestaten  des  Stammes  und  Häuptlings  gefeiert  und  Schlachten  geschildert, 
die  indes  meist  nur  von  zeitgenössischem  Interesse  sind  und  nach  dem  Tode 
der  Helden  wieder  vergessen  werden.  —  Fast  jeder  Knabe  kann  die  Rbäba 
und  Makrün  spielen.  Erstere  ist  unserer  Geige  ähnlich;  letztere  besteht  aus 
zwei  nebeneinander  befestigten  Pfeifen  aus  Schilfrohr  mit  C  — 8  Löchern  (Musil). 

Von  den  räuberischen  Uled  Delim,  Nomaden  der  westlichen  Sa- 
hara, schreibt  Camille  Douls,  ihre  Jugenderziehung  zu  beobachten  sei  inter- 
essant. Die  Kinder  nehmen  in  den  Zelten  an  den  ernstesten  Gesprächen  teil. 
Die  Kenntnis  der  arabischen  Schrift  ist  ganz  allgemein  verbreitet,  und  der 
Unterricht  steht  in  hohen  Ehren,  wenn  es  sich  auch  vorwiegend  um  das 
Studium  und  die  Interpretation  des  Koran  handelt.  Die  vielfache  Übung  in 
theologischen  Gesprächen  macht  die  Leute  zu  wirklichen  Rednern.  Dies  trifft, 
nach  Douls,  auch  bei  andern  Nomaden-Stämmen  der  westlichen  Sahara  zu. 
Gewisse  Stämme,  wie  die  Filahi,  machen  aus  dem  Jugendunterricht  einen 
eigenen  Beruf.  Erscheint  einer  dieser  Schriftgelehrten  (Tolbas)  im  Lager, 
dann  versammelt  sich  abends,  nachdem  die  Zelte  aufgeschlagen  sind,  die 
Jugend  beiderlei  Geschlechtes  mit  großem  Eifer,  um  von  ihm  die  Kunst  des 
Schreibens  und  Koranverse  zu  lernen,  wobei  sie  die  Buchstaben  mit  Holzkohle 
auf  Brettchen  malen.  In  Abwesenheit  des  Lehrers  unterweisen  die  Älteren 
die  Jüngeren.  — 

Von  den  Sukkot-  und  Mahass-Nubiern  schicken  viele  ihre  Söhne  zu 
den  Sheygya-Arabern  in  die  Schule,  wo  sie  unentgeltlich  zehn  Jahre,  oder 
unter  Umständen  noch  länger,  ernährt  und  unterrichtet  werden  {Burekkardt). 

In  El-Bedjah  am  Nil  lassen  die  seßhaften  Eingebornen  (Bisharin) 
ihre  Söhne  vom  Faghi  im  Lesen,  seltener  im  Schreiben,  unterrichten.  In  den 
Dörfern  wird  der  Unterricht  häufig  erst  nach  Sonnenuntergang,  beim  Schein 
einiger  Feuerbrände,  erteilt.  Den  Nomadeukindern  kommt  selbst  dieser 
geringe  Unterricht  nicht  zu  (JR.  Hartmann). 

Den  intellektuellen  Unterricht  der  Somäl-Kinder  charakterisierte  Burton 
mit  den  Worten:  Sie  lernen  aus  der  Unterhaltung,  nicht  aus  Büchern.  — 
Nach  Vanutelli-Citerni  genießen  die  Knaben  etwas  Schulunterricht,  was  ja 
bei  ihrer  Zugehörigkeit  zum  Islam  vorauszusetzen  ist.  —  Gabriel  Ferrand 
erwähnt  Koranschulen  in  Zejla  und  Berbera. 

In  Abessinien  hat  Kaiser  MeneliJc  im  früheren  „Hotel  zum  Löwen" 
in  Harar  ein  „Gymnasium"  unter  dem  Titel  „Kaiserliche  Abessinische  Schule" 
eröffnet.  Zwei  Kopten  wurden  als  Lehrer  angestellt.  Der  Unterricht  verteilt 
sich  auf  zwei  Klassen  und  umfaßt  Lesen  und  Schreiben  in  arabischer,  franzö- 
sischer und  englischer  Sprache,  sowie  Rechnen.  Ferner  war  „für  später" 
Landesgeschichte  und  Geographie  geplant.  Für  die  Lehrmittel  kam  finanziell 
der  Kaiser  auf,  der  auch  die  Lehrer  monatlich  mit  100  Talern  honorierte. 
Die  Zahl  der  Schüler  gab  Friedrich  J.  Bieber  im  Globus  (Bd.  97) ')  auf 
vierzig  an.  —  Neben  der  kaiserlichen  Schule  existiert  in  Harar  eine  Schule 
der  französischen  Kapuziner.  — 

Bei  den  Kabylen  am  afrikanischen  Nordrand  hat  die  französische 
Regierung  seit  1893  nicht  weniger  als  achtzig  Elementarschulen  eröffnet,  in 
denen  die  französischen  und  die  kabylischen  Kinder  gemeinsam  unter- 
richtet werden.  Jede  Schule  hat  zwei  Klassen  und  zwei  Lehrer,  einen  Kabylen 
und  einen  Franzosen,  die  in  Bouzarea  bei  Algier  in  einem  Lehrerseminar 
in  beiden  Sprachen  ausgebildet  werden.  Die  kabylischen  Kinder  kommen 
gern  zur  Schule,  obschon  viele  3  km  weit  her  haben,  sind  sehr  gelehrig  und 
lernen  daher  bald  französisch  lesen,  schreiben  und  rechnen,  werden  auch  in 
die  Elemente  der  Naturwissenschaften  eingeführt,   um  dem  Aberglauben  der 

')  S.  72f. 


4gß  Kapitel  XL  VI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

Kabylen  entgegen  zu  wirken.  Die  Regierung  zahlt  zu  jeder  Dorfschule  eine 
Subvention  von  80  %;  das  übrige  wird  von  der  Gemeinde  bestritten.  Die 
kabylischen  Schulkinder  zeichnen  sich  vor  ihren  „wild"  aufgewachsenen 
jugendlichen  Landsleuten  nicht  nur  durch  ihre  Kenntnisse,  sondern  auch  durch 
ihr  gesittetes  Benehmen  sehr  vorteilhaft  aus,  wie  A.  Lissauer  schreibt. 

Überraschend  wirkt  die  im  alten  Ägypten  übliche  Allgemeinbildung. 
Die  Volksschulen  wurden  nach  J,  Wolf  von  Kindern  der  hohen  und  niederen 
Stande  besucht.  Die  Schüler  hatten  hier  vor  allem  das  Schreiben  zu  lernen. 
Diese  Kunst  war  Gemeingut  der  Ägypter;  die  Zahl  der  Analphabeten  war 
äußerst  gering;  denn  nicht  schreiben  können  galt  für  schimpflich.  Auf  diesen 
Unterricht  folgte  die  Einführung  in  die  verschiedenen  Wissenszweige.  Nach 
Wolf  gab  es  jedoch  nur  in  den  Städten  Schulen,  weshalb  entfernt  lebende 
Eltern  ihre  Kinder  in  Pension  gaben.  Auch  die  Tagesschüler  verließen  mittags 
das  Schulgebäude  nicht,  sondern  nahmen  das  ihnen  von  Eltern  oder  Geschwistern 
gebrachte  Essen  im  Hofe  oder  in  den  Säulengängen  der  Schule  ein.  Nach 
dem  Essen  wurde  der  Unterricht  wieder  aufgenommen.  Beim  Schreiben  saßen 
die  Kinder  auf  einer  Matte  mit  untergeschlagenen  Beinen;  auf  einem  Tischchen 
vor  ihnen  lag  Papyrus,  oder  Leder,  auf  welches  sie  mit  einer  aus  Ruß  und 
Gummi  hergestellten  Tinte  schrieben. 

Was  die  Unterrichtsmethode  betrifft,  so  legte  man  auf  das  Memorieren 
großes  Gewicht,  erkannte  aber  auch  dem  Verstand  eine  bedeutende  Rolle  zu, 
was  schon  aus  dem  folgenden  Grundsatz~hervorgeht:  Ohne  Wert  ist  eine 
Wiedergabe  der  Worte,  wenn  diese  so  geschieht,  daß  der  Sprechende  nicht 
weiß,  ob  er  etwas  gelernt  hat  oder  nicht. 

Wilkinson  und  Birch  scheinen  für  die  altägyptischen  Kinder  aus  dem 
gewöhnlichen  Volk  nur  Privatunterricht  anzunehmen,  wobei  sie  auf  Diodor 
hinweisen:  Der  gewöhnliche  Ägypter,  so  schreiben  sie,  unterwies  seine  Kinder 
oder  Verwandten  nur  in  dem  für  den  späteren  Beruf  Nötigen.  Wenige  Kinder 
der  niederen  Klassen  wurden  auch  etwas  mit  Literatur  bekannt.  Hingegen 
lernten  die  Kinder  der  Priester  zwei  Schriftarten:  Die  heilige  und  die  profane 
(mehr  allgemeine).  Auch  wandten  sie  der  Arithmetik  und  Geometrie  große 
Aufmerksamkeit  zu,  letzterer  schon  deshalb,  weil  der  Nil  jährlich  die  Grenzen 
benachbarter  Güter  modifizierte.  Astronomische  Studien  seien  von  frühesten 
Zeiten  her  bei  den  Ägyptern  ein  Gegenstand  nationalen  Ehrgeizes  gewesen. 
Ebenso  wurde  der  Einfluß  der  Planeten  auf  die  Lebewesen  beachtet  und  die 
Kunst  gepflegt,  das  Horoskop  zu  stellen   und  die  Zukunft   vorauszusagen.  — 

Die  christlichen  Kopten,  Nachkommen  der  alten  Ägypter,  hatten  zu 
I.nites  Zeit  zahlreiche  Knabenschulen.  Hier  lernten  die  Schüler  die  Psalmen 
Davids  in  arabischer  Sprache,  die  Evangelien  und  apostolischen  Episteln  in 
arabischer  und  in  koptischer  Sprache  kennen.  Diese,  obwohl  die  Sprache  ihrer 
Vorväter,  wurde  nicht  grammatikalisch  studiert;  sie  wird  vielmehr  seit  der 
Einnahme  Ägyptens  durch  die  Araber  immer  mehr  und  mehr  von  der  Sprache 
der  Eroberer  überwuchert.  Zu  Laues,  Zeit  soll  es  nicht  einen  Kopten  gegeben 
haben,  der  seine  Sprache  richtig  und  mit  Leichtigkeit  las  und  schrieb.  Sogar 
für  Bücher  in  koptischer  Sprache  verwendete  man  vielfach  arabische  Lettern; 
hingegen  verrichteten  alle,  welche  Schulbildung  genossen  hatten,  ihre  privaten 
und  öffentlichen  Gebete  in  Koptisch.  —  Mädchenschalen  gab  es  nicht,  und 
auch  zu  Hause  war  ein  Unterricht  im  Lesen  und  Schreiben  nur  sehr  wenigen 
Mädchen  gegeben  (Lane). 

S  303.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Sudan-  und  U;int uiiegern, 
Buschleuten  und  roalayisch-polynesischen  Völkern. 

In  den  vorhergehenden  §§  301  und  302  hatten  wir  es  größtenteils  mit 
Völkern  zu  tun,  welche  auf  eine  alte,  zum  Teil  hohe  geistige  und  materielle 


§  303.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Sudan-  und  Bantunegern  usw.  487 

Kultur  zurückblicken  können.  Mehr  oder  weniger  Schulbildung'  verstand  sich 
also  bei  ihnen  von  selbst.  Anders  ist  es  mit  den  im  vorliegenden  Paragraphen 
zu  behandelnden,  insofern  sie  nicht  dem  Islam  angehören.  Allerdings  hatte 
die  materielle  Kultur,  welche  ja  von  der  geistigen  im  weiteren  Sinn  un- 
trennbar ist,  bei  manchen  aus  ihnen  schon  vor  ihrer  Berührung  mit  unserer 
Kultur  eine  beträchtliche  Höhe  erreicht,  aber  jene  geistige  Bildung  im  engeren 
Sinn,  deren  Grundlage  vor  allem  mit  einer  systematischen  Entwicklung  des 
abstrahierenden  Denkvermögens  und  des  Gedächtnisses  gelegt  wird,  ist  diesen 
Völkern  unseres  Wissens  im  großen  und  ganzen  fremd  geblieben,  bis  sie  von 
christlichen  Missionaren,  oder  europäisch-amerikanischen  Kulturträgern  über- 
haupt, mit  ihr  bekannt  gemacht  wurden.  Wie  nie  zuvor,  entstehen  und  ge- 
deihen im  19.  und  20.  Jahrhundert,  durch  die  Bemühungen  der  Missionare 
und  Kolouialregierungen.   Schulen    zur    intellektuellen    und    sittlich-religiösen 


Fig.  401.    Deutsch-Ustafrikanisehe  Missionsschule  der  Vater  vom  heiligen  Geist. 

Sekretariats  in  Kneehtsteden. 


Mit  Erlaubnis  des 


Hebung  von  Völkern,  die  aus  eigener  Initiative  sich  nicht  dazu  befähigt  er- 
wiesen haben.  Mitteilungen  aus  den  Kolonien  und  Missionsberichte  über  diese 
Lichtseite  unserer  Zeit  sind  jedermann  zugänglich.  Hier  mögen  einige  An- 
deutungen und  Illustrationen  genügen. 

Wenn  man  an  die  langsame  Entwicklung  des  Schulwesens  und  des 
Geisteslebens  überhaupt  bei  unseren  eigenen  Vorfahren,  den  Germanen,  denkt, 
dann  erwartet  man  keine  plötzliche  Umwandlung  jener  Völker,  welchen  jetzt 
europäische  und  amerikanische  Kulturwerte  zukommen.  Jahrhunderte  mögen 
ebensogut  dort  vergehen,  wie  sie  bei  uns  vergingen,  ehe  wir  auf  unsere  jetzige 
Höhe  gelangten,  und  es  ist  mehr  als  wahrscheinlich,  daß  manches  aus  den 
hier  folgenden  Mitteilungen  ein  Spiegel  dessen  ist,  was  ursprünglich  in  den 
Schulen  unserer  Vorfahren  vor  sich  ging. 

Humorvoll  schildert  Josef  Roos,  Missionar  in  Galula,  apostol.  Vikariat 
Tanganyka,  die  Art  und  Weise,  wie  die  Kinder  der  Eingebornen  sich  beim 
täglichen  Schulunterricht  einfinden  und  ihm  beiwohnen:  Wird  des  Morgens  das 


488 


Kapitel  XLVI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 


Tor  geöffnet,  so  stürmen  sie  gleich  einem  erzürnten  Bienenschwarm  in  alle  Räume 
des  Hauses.  Sie  kommen  in  mein  armseliges  Zimmer,  jeden  Tag  von  neuem 
die  wenigen  unentbehrlichen  Wunderdinge,  die  ich  noch  aus  der  alten  Zivili- 
sation besitze,  anzustaunen.  Einer  erklärt  einem  Neuling  mit  komischer  Miene 
die  Natur  eines  Weckers:  „Schau,  in  dem  Ding,  das  so  schön  glänzt,  sitzt  ein 
Geist!"  —  In  der  Schule,  so  fährt  Roos  dann  fort,  ringen  sie  mir  manchen 
Seufzer  ab.  Sie  möchten  alles  Mögliche  und  Unmögliche  wissen,  aber  selten 
das,  was  ich  zum  hundertstenmale  in  ihre  Köpfe  zu  bringen  suche.  Der  eine 
schaut  nach  den  Ziegen  aus,  die  einige  Kameraden  eben  auf  die  Weide  treiben; 
ein  anderer  versucht  immer  wieder  und  wieder  seinen  Nachbarn  mit  einem 
Dorn  zu  stechen  und  lacht  schadenfroh  auf,  wenn  es  ihm  gelungen  ist,  während 
dieser  unwillig  in  die  Höhe  schnellt  usw.  —  Einige  Kinder  lobt  Roos  wegen 
ihres  Eifers,  wenigstens  im  Religionsunterricht. 

Über  unregelmäßigen   Schulbesuch   wegen  der  großen  Freiheitslust   der 


Fig.  402.    Missionszoglingi'  von  Nonl-  Uso  li  a  m  ii  ;i  r;i .  I>  »•  ut  seh-Ost  af  rika,  im  Sonntagsstaat. 
Nünneke  phot.    Im  Uuseuin  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


Knaben  und  der  Hausarbeiten  der  Mädchen  klagte  Wehrmeister  unter  den 
Makua  und  Wayao  im  südöstlichen  Deutsch-Ostafrika.  Um  in  der  heran- 
wachsenden männlichen  Jugend  das  Verständnis  für  die  Schulbildung  auch 
der  Mädchen  zu  wecken,  wurden  die  Lehrer  der  Missionsschulen  beauftragt, 
den  jungen  Burschen  zu  sagen:  „Wenn  ihr  einmal  heiratet,  dann  wollt  ihr 
doch  eine  Frau,  die  gebildet  ist  wie  ihr,  und  etwas  versteht."  —  Bemerkens- 
wert ist  der  Einwand  eines  dortigen  Negerknaben  gegen  den  gemeinsamen 
Unterricht  beider  Geschlechter:  „Wenn  du  eine  neue  Schule  baust,'-  sagte 
dieser  Knabe  einem  Missionar,  „so  baue  doch  ein  eigenes  Haus  für  die  Mädchen, 
oder  wenigstens  ein  eigenes  Zimmer:  denn,  wenn  wir  nichts  können,  müssen 
wir  uns  ja  schämen." 

Was  intellektuelle  Anlagen  und  Lerneifer  in  der  Missionsschule  von 
Kurasini  bei  Dar-es-Salaam  betrifft,  in  welcher  im  Jahre  1900  170  Knaben 
im  Lesen,  Schreiben,  Rechnen,  Deutschen  und  Religion,  sowie  in  der  Land- 
wirtschaft, im  Garten-  und  Hausbau  unterrichtet  wurden,  schrieb  Wehrme  ister: 


303.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Sudan-  und  Bantunegern  usw. 


489 


..Anlagen  und  Lerneifer  sind  hier  ebenso  verschieden  wie  bei  europäischen 
Kindern1)." 

In  Deutsch-Südwestafrika  sollen  die  Wirkungen  der  Schulbildung 
auf  die  eingebornen  Bergdamara  oder  Klippkaffer,  Herero  und  Bastard 
sehr  günstig  sein.  Aug.  Nachtwey  schrieb:  Die  früher  als  Viehräuber  ver- 
schrieenen Bergdamara  nehmen  seit  Jahren  an  der  Post  und  Eisenbahn,  in 
Geschäfts-  und  Privathäusern  schöne  Stellen  ein,  die  sie  nur  ihrer  Arbeit- 
samkeit uud  Gelehrigkeit  zu  verdanken  haben.  Speziell  von  jenen  in  Swa- 
kopmund  teilt  er  uns  mit,  daß  sie  nach  des  Tages  schwerer  Arbeit  die 
Abendschule  der  Mission  besuchen.  •  In  Windhuk  bilden  die  Missionäre 
begabtere  Herero-Knaben  zu  Katecheten,  andere  zu  Handwerkern  heran;  der 
Schulunterricht,  inklusive  Hand-  und  Hausarbeiten  für  Mädchen,  wird  von 
Schwestern  erteilt.  —  In 
Klein-Windhuk  ist  eine 
Bastard-Schule,  deren  Erfolg 
von  Nachtwey  gekennzeichnet 
wird,  indem  er  bemerkt,  daß 
mehrere  Schüler  mit  Erfolg 
einen  Wettkampf  mit  ihren 
deutschen  Altersgenossen  auf- 
nehmen künnteu.  Zwar  seien 
sie  im  Rechnen  schwächer  als 
diese,  überflügeln  sie  aber  da- 
für durch  Geschick  in  der 
praktischen  Arbeit,  Die  Hoff- 
nung, aus  den  Kindern  der 
Bastard  brauchbare  Men- 
schen zu  machen,  sei  berech- 
tigt. Als  ein  Muster  von  Fleiß 
und  Ausdauer  führte  Nachtwey 
einen  Betschuanen  in  Swa- 
kopmund  an,  der  jeden  freien 
Augenblick  zu  seiner  Aus- 
bildung verwende  und  stunden- 
lang über  seinen  in  Herero 
und  Deutsch  geschriebenen 
Büchern  sitze. 

Weniger   günstig  lautet 
die  folgende  Mitteilung  einer 

Missionsschwester  aus  Rhodesia,  Britisch-Südafrika,  über  den  dortigen  Schul- 
besuch, wodurch  sie  mit  Wehrmeister  (S.  488)  übereinstimmt:  „Während  der 
Regenzeit,"  schreibt  sie,  „kommen  die  Kinder  nicht  fleißig,  und  in  der  Ernte- 
zeit sind  sie  zu  Hause  beschäftigt."  —  Hingegen  meldete  Francis  Rhodes,. 
Administrator  von  Rhodesia,  nach  einem  Besuch  der  Knabenschule  in 
Fort  Salisbury  der  Kommission  der  Britisch -Südafrika -Gesellschaft  in 
London:  „Diese  Knaben  zeigten  erstaunliche  Intelligenz  und  fröhliche  Bereit- 
willigkeit in  der  Erfüllung  ihrer  Pflichten."  —  Der  Bildungsgang  umschließt 
hier  Theorie  und  Praxis,  d.  h.  Schularbeiten  im  engeren  Sinne  des  Wortes 
und  nützliche  Handwerke. 

-4.  Lehoeuf  nennt  die  Kinder  der  Matebele,  ein  Zweig  der  Zulur 
intelligent.     In  der  Regel  seien  sie  zwar  nicht  sehr  auf  Fortschritt  bedacht, 

')  Wehrmeister  betont  den  ausgeprägten  Korpsgeist  dieser  Schüler.  Lieber  hält 
einer  eine  Strafe  aus,  als  daß  er  den  Schuldigen  verrät.  Ferner  lobt  er  die  Dienstfertigkeit 
der  Knaben  gegen  kranke  Kameraden. 


Fig.  403.     Deutsch-Ostafrikanische  Schulmädchen.     Hof- 
mann  phot.      Im   Museum   für   Völkerkunde    in  Leipzig.     Die 
beiden    links:    Suaheli;    die    dritte    Wakaniba,    die    vierte 
Massai. 


490 


Kapitel  XLVI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 


finden  aber,  wenn  die  ersten  Schwierigkeiten  überwunden,  an  ihren  Schul- 
aufgaben doch  viele  Freude.  Vom  Religionsunterricht  abgesehen,  bringen  sie 
täglich  zwei  Stunden  in  der  Schule  zu,  wo  die  unterrichtenden  Schwestern 
freilich  immer  mit  Geschenken  nachhelfen  müssen,  um  dem  Lerneifer  aufzu- 
helfen. Im  Gebiete  Empandeni  am  Embakwe  River,  das  im  Jahre  1904 
zwischen  1300 — 1400  Eingeborne  zählte,  waren  im  gleichen  Jahre  auf  der 
Hauptstation  ungefähr  160  Kinder  in  der  Schulliste  eingetragen,  von  denen 
täglich  etwa  100  zum  Unterricht  kamen.  Eine  Schule  am  Embakwe  zählte 
50—60  Kinder.  -  -  Während  aber  die  Eltern  in  der  Regel  nichts  gegen  diesen 
Schulbesuch  haben,  gestatten  sie  nur  in  sehr  seltenen  Fällen,  daß  die  Kinder 
als  Pensionäre  bleiben,  und  wo  das  auf  einige  Zeit  geschieht,  haben  sie  bald 
den  einen  oder  andern  Vorwand,   um  sie  wieder  zurückzubekommen.     Lieber 


Fig.  -104     Mädchenschule  in  Peramiho,  südliches  Deutsoh-Ostafrika.    Von  Jen  Missionaren  0.  S.  H, 

St.  Ottilien. 


lassen  sie  sie  täglich  10—12  englische  Meilen  hin-  und  zurückgehen,  was  die 
Kleinen  übrigens  nicht  verdrieße.  Leboeuf  erwähnt  einen  Knaben,  der  trotz 
einei  solchen  Entfernung  während  mehrerer  Monate  auch  nicht  einen  Tag 
wegblieb. 

Von  der  Mädchenschule  des  gleichen  Gebietes  entwirft  eine  Missions- 
schwester folgendes  Bild:  Gravitätisch  sitzen  die  Mädchen  da  und  schreiben 
und  lesen,  während  ihnen  ein  jüngeres  Geschwister  auf  dem  Rücken  kauert. 
Die  Kleinen,  hier  festgebunden,  verhalten  sich  gewöhnlich  sehr  ruhig.  Bricht 
eines  in  Weinen  aus,  dann  steht  die  Trägerin  auf  und  wiegt  sich  selbst  hin 
und  her,  bis  das  Baby  beruhigt  einschläft.  — 

Für  Musik  zeigen  die  Matebele-Kinder  mehr  Veranlagung  als  für  irgend 
einen  anderen  Lehrgegenstand1). 


i|  PTeufc,  der  für  die  übrige  Schulung  der  deutsch-ostafrikanischen  Kinder  wenig 
Anerkennung  aussprach,  beurteilte  die  „Knabenkapelle"  in  Tanga  mit  den  Worten:  „Gespiell 
wurde  von  den  kleinen   Kerlen  gut,  das  laut   sich  nicht  leugnen." 


§  3Qy.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Sudan-  und  ßautunegein  usw.  49 1 

Die  Zulu  des  Angoni-Landes,  südlich  vom  Njassasee,  nannte  Living- 
stone  wilde  Bestien.  „Jetzt",  schreibt  Hiller,  „sind  sie  zahme  Haustiere  ge- 
worden; alle  wollen  nun  lesen  und  schreiben  lernen." 

In  der  Kap-Kolonie  dachte  man  im  Jahre  1900  bereits  an  die  Ein- 
führung des  Schulzwanges  für  die  Kinder  „aller  Farben",  wenigstens  in  den 
Städten  und  Dörfern.  Die  übrige,  weit  zerstreute  Bevölkerung  sollte  dieser 
Verpflichtung  nicht  unterstellt  werden.  Die  hierher  gehörigen  Farmer,  welche 
Schulen  für  sich  und  ihre  Nachbarn  wünschen,  werden  von  der  britischen 
Regierung  dadurch  unterstützt,  daß  diese  dem  Lehrer  den  Gehalt  bezahlt.  Dem 
Farmer  kommt  es  zu,  für  dessen  Logis  und  Kost  zu  sorgen.  In  den  Städten 
gibt  es  staatliche  und  private,  konfessionelle  und  paritätische  Elementar-  und 
höhere  Schulen  für  beide  Geschlechter.  Für  die  Kinder  der  weißen  und  farbigen 
Eisenbahnbeamten  unterhält,  die  Regierung  außerdem  eigene  Handels-  und 
Industrieschulen  an  den  betreffenden  Verkehrslinien  (J.  Byan). 


Fig.  405.    Missionszöglinge  aus   Uschambara.   Deutseh-Ostafrika,  bei  einem  Ausflug. 

Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


Nünneke  phot.     Im 


Aus  Calabar  berichtet  Jos.  Kraft,  die  Prüfung  von  360  Knaben  und 
150  Mädchen  der  dortigen  Missionsschule  sei  im  Juli  1908  zur  hohen  Be- 
friedigung des  Schulinspektors  ausgefallen.  — 

Der  AVettbewerb  benachbarter  Völker  erregt  wohl  auch  den  Wunsch 
nach  Schulen.  So  verlangten  die  Aluru  im  östlichen  Sudan  von  Fr.  Xav. 
Geyer  schon  bei  dessen  erstem  Besuch  Unterricht  im  Lesen  und  Schreiben, 
und  die  Häuptlinge  boten  ihre  Kinder  als  Schüler  an,  was  Geyer  mit  der 
Schulbildung  im  benachbarten  Uganda  erklären  zu  können  glaubte.  — 

Ob  dieser  Lerneifer  in  Afrika  anhält  und  bessere  Früchte  zeitigt,  als 
die  Schulbildung  in  der  Negerrepublik  Haiti  bisher  gezeitigt  hat?  Hier  gab 
es  nach  Metzger  im  Jahre  1875  165  Elementarschulen  mit  11784  Schülern, 
abgesehen  von  den  200  ländlichen  Schulen  mit  5939  Kindern.  Auch  höhere 
Unterrichtsanstalten  waren  damals  schon  in  beträchtlicher  Anzahl  vorhanden. 
Vier  Lyceen  mit  543,  sechs  höhere  Mädchenschulen  mit  563,  fünf  Sekundär- 
schulen mit  530,  eine  medizinische  Fachschule  mit  25,  eine  Musikschule  mit 
46  Zöglingen.  Aber  ein  Schulzwang  bestand  nicht,  und  so  kam  es,  daß 
nur  ein  Zehntel  der  Kinder  elementare  Schulbildung  erhielt,  und  daß  die  meisten 
Eltern  nicht  imstande  waren,  ihren  eigenen  Kindern  auch  nur  den  Anfangs- 
unterricht zu  erteilen. 


492  Kapitel  XL  VI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

Ebenso  ohnmächtig  sind  die  ungebildeten  Eltern  gegenüber  den  stark 
hervortretenden  sittlichen  Fehlern  ihrer  Kinder,  unter  denen  Lug  und  Trug, 
Eitelkeit  und  Prahlsucht,  sowie  sexuelle  Neigungen  besonders  vorherrschen. 
Wurde  doch  Geffrard,  bis  zum  Jahre  1867  Präsident  der  Republik,  selbst, 
allerdings  nur  von  seinen  politischen  Gegnern,  verdächtigt,  Mädchenschulen  in 
Häuser  der  Verführung  umgewandelt  zu  haben,  was  nach  Metzger  aber  mit 
großer  Vorsicht  aufzunehmen  ist,  da  der  gleiche  Präsident  von  anderer  Seite 
als  Förderer  des  Unterrichtswesens  gefeiert  wurde  und  ähnliche  Widersprüche 
in  der  Beurteilung  der  von  Ordensleuten  geleiteten  Schulen  auf  Haiti  nicht 
fehlen.  — 

Sehr  spärliche  Nachrichten  liegen  mir  über  Schule  und  Schulbildung 
vor,  welche  sich  aus  der  eigenen  Kultur  der  Neger  herausentwickelten. 

In  Borna  am  untern  Kongo  (Zaire;  fand  der  französische  Abbe  Durand 
eine  Art  Eingebornen-Seminar,  in  welchem  Knaben  von  früher  Kindheit  an 
untergebracht  wurden.  Sie  lernten  hier  eine  Sprache,  welche  in  Borna  sonst 
nicht  gesprochen  wurde,  trugen  eine  besondere  Kleidung  und  lebten  bis  zum 
Abschluß  ihrer  Ausbildung  von  den  übrigen  Kindern  getrennt.  Floß  fügte 
diesem  Berichte  bei:  Offenbar  ist  dies  eine  Schule  der  Fetischpriester,  wo 
Kinder  ihre  Bildung  erhalten,  die  sich  dem  Dienste  des  Fetisch  widmen  wollen1)- 
Dergleichen  Anstalten  gibt  es  auch  an  der  Küste  des  Golfes  von  Benin. 

Von  den  Wai- Negern  in  Liberia  berichtete  Oscar  Baumami,  daß  sie 
im  19.  Jahrhundert  selbst  eine  Silbenschrift  erfanden.  Väter  und  Freunde 
unterweisen  die  Knaben  im  Lesen  und  Schreiben  dieser  Schrift,  welche  über 
50  Zeichen  umfaßt.  Schulen  haben  sie  für  diesen  Zweck  nicht.  Fast  alle  Wai, 
mit  denen  Baumann  bekannt  war,  beherrschten  die  Schrift.  Manche  seiner 
Leute  führten  ein  Tagebuch  und  waren  so  schreibselig,  daß  sie  jeden  Zettel, 
den  Baumann  liegen  ließ,  beschrieben.  Aber  das  weibliche  Geschlecht  scheint 
man  in  dieser  Schrift  nicht  allgemein  unterrichtet  zu  haben;  denn  nur  wenig 
Mädchen  und  Frauen  konnten  lesen.  (Ein  Faksimile  der  Wai-Schrift  ver- 
öffentlichte Baumann  im  Globus  Bd.  52,  S.  239.)  — 

Wo  der  Islam  Fuß  gefaßt,  findet  sich  auch  unter  den  Negern2)  mehr 
oder  weniger  Schulunterricht.  Ein  Beispiel  hierfür  sind  die  Mandingo  am 
oberen  Senegal  und  Niger,  von  denen  Wilson  schrieb:  Sie  geben  ihre  Kinder 
3 — 4  Jahre  den  Marabus  in  die  Lehre.  Hier  leinen  sie  einige  Sätze  aus  dem 
Koran  lesen  und  schreiben,  memorieren  einige  Gesetze  und  verrichten  gewisse 
Dienste.  Dafür  erhalten  die  Lehrer  von  den  Eltern  ihrer  Zöglinge  von  Zeit 
zu  Zeit  Geschenke,  und  am  Abschluß  des  Bildungstermins  werden  die  Söhne 
reicher  Männer  vom  Lehrer  durch  einen  Sklaven  oder  einen  anderen  Wert- 
gegenstand losgekauft. 

Die  Auin-Buschleute  geben  Söhne,  die  sie  zum  „Doktor-Beruf"  be- 
stimmen, einem  Doktor  jahrelang  in  die  Lehre  (Kaufmann).   — 

Gehen  wir  zu  den  malayisch-polynesischen  Völkern  über,  so  sehen 
wir  zunächst  bei  den  Howa  auf  Madagaskar  abermals  einen  rapiden  Um- 
schwung durch  die  Christianisierung  der  Insel  im  19.  Jahrhundert.  Während 
vorher  der  Unterricht  in  der  mündlichen  Überlieferung  von  Sagen  und  Sprich- 
wörtern bestand,  und  mau  Finger  und  Zehen  benutzte,  um  eine  bestimmte 
Anzahl  von  Gegenständen  zu  bezeichnen  (Camboue),  zählte  man  Ende  des 
19.  Jahrhunderts  bereits  1176  Schulen  unter  christlichen  Lehrern  (('.  Keller). 

Auf  den  eisten  Blick  überraschend  ist  die  Tatsache,  daß  die  Batakr 
deren  Anthropophagie  hinlänglich  bekannt  ist,   eine  Schrift  besitzen,  in  deren 

')  Korrekter  wohl  ..sollen";  denn  da  sie,  wenn  noch  klein,  in  dieser  Anstalt  untergebracht 
werden,  kann   von  einer  Selbstbestimmung  nicht   die   Rede  sein. 

2)  Vgl.  die  Schulbildung  der  muselmanischen  llaniiten  und  Semiten  im  vorigen 
Paragraphen. 


§  303.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Sudan-  und  Bantunegern  usw.  4y3 

Kenntnis  zwar  nicht  alle,  aber  doch  etwa  die  Hälfte  des  männlichen  Geschlechts 
eingeführt  wird,  wie  Frhr.  von  Brenner  schrieb.  Nach  Heyners  d' Estray 
sind  es  nur  die  Häuptlinge  und  die  Reichen,  welche  ihre  Söhne,  sobald  als 
möglich,  von  Männern  im  Schreiben  unterrichten,  in  die  Kenntnis  einiger 
Gesetze  und  in  die  Handhabung  der  Waffen  einführen  lassen1).  Die  Schrift 
der  Batak  hat  nach  Frhr.  von  Brenner  ein  ganz  charakteristisches  Gepräge 2) 
und  könnte  ihrem  Aussehen  nach  eine  Hakenschrift  genannt  werden.  Sie 
stammte  jedoch  von  den  Hindus,  worauf  schon  das  Sanskritwort  „pustaka"  (Buch) 
hinweise.  Die  Eingebornen  allerdings  behaupten,  die  Schrift,  sowie  alle  Wissen- 
schaft, von  einem  Bambus  erhalten  zu  haben,  der  eines  Tages  in  Timor  em- 
porwuchs. Die  Schrift  besteht  aus  Lautzeichen,  die  entweder  von  links  nach 
rechts,  oder  von  unten  nach  oben  geschrieben  werden,  jenes  für  den  Fall, 
daß  mit  einem  Stift  und  schwarzer  Farbe  geschrieben  wird;  dieses,  wenn 
man  die  Lautzeichen  mit  einem  Messer  in  einen  Bambus  ritzt.  Die  erwähnten 
Pustaka  oder  Bücher  gehen  auf  eine  ältere  Zeit  zurück.  Man  schrieb  sie  auf 
die  geglättete  und  mit  Reiswasser  präparierte  Rinde  des  Kaju-alim-Baumes 
in  Streifenform.  Die  Streifen  wurden  dann  gefaltet  und  mit  einem  Holzdeckel 
auf  beiden  Seiten  versehen,  wie  das  auch  bei  den  chinesischen  Büchern  der 
Fall  ist,  bemerkte  Frhr.  von  Brenner.  Zum  Schreiben  dieser  Bücher  ver- 
wendete man  schwarze,  im  Hidjuk  vorkommende  Stiele  und  eine  schwarze 
Farbe,  welche  auch  als  Zahnfirnis  diente,  oder  Damaraharz.  Der  Inhalt  ist 
hauptsächlich  aus  dem  Gebiet  der  Zauberei,  Medizin,  Religion  oder  Gnosis; 
häutig  sind  auch  Anweisungen  zum  Gebrauch  der  Feuerwaffen.  Die  einzelnen 
Abschnitte  sind  durch  Linien  von  einander  getrennt,  Zur  Erläuterung  des 
Textes  dienen  Figuren  von  nicht  selten  überraschend  feiner  Ausführung,  wie 
die  Tafelu  V  und  VI  bei  Frhr.  von  Brenner  beweisen. 

Die  Kulturarbeit  der  Missionäre  umfaßt  selbstverständlich  auch  bei  den  Batak 
die  Schule.  Im  Jahre  1880  betrug  die  Zahl  der  Kinder  in  elf  Missionsschulen  1057. 

Bedeutende  Erfolge  hatten  die  Missionäre  ferner  bei  den  Anthropophagen 
auf  Flores.  A.  Jakobsen  und  //.  Kühn,  die  im  Jahre  1888  die  Schule  der 
Missionsschwestern  im  dortigen  Larantuka  besuchten,  setzten  die  Zahl  der 
eingebornen  Schülerinnen  dieser  Schule  auf  ca.  160  an,  und  bemerken:  „Es  war 
interessant  zu  sehen,  was  die  Kinder,  deren  Väter  vor  einigen  Jahrzehnten 
noch  Menschenblut  tranken,  für  Fortschritte  in  der  Kultur  gemacht  hatten." 

Gute  Erfolge  hatten  die  Missionäre  ferner  im  portugiesischen  Teil 
von  Timor;  hingegen  konnten  sie  im  holländischen  Teil  sich  bis  in  die 
neueste  Zeit  nur  wenig  entfalten,  so  daß  sich  hier  einstweilen  auch  nur  einzelne 
Schulen  vorfinden. 

Auch  auf  Java  soll  das  Unterrichts wesen  betreffs  der  Eingebornen  noch 
vieles  zu  wünschen  übrig  lassen.  Zwar  ist  nach  Emil  Metzger  von  der  nieder- 
ländischen Kolonialregierung  in  dieser  Hinsicht  manches  geschehen,  leider  aber 
nicht  immer  mit  der  nötigen  Einsicht 8).  „Wenn  man  sieht,"  so  schreibt  er, 
„wie  gute,  aufmerksame  Schüler  Eingeborne  —  namentlich  in  jüngeren  Jahren 
—  sind,  wie  leicht  sie  dagegen  in  Jünglingsjahren  erschlaffen,  wie  sie  aber 
auch  wieder  jahrelang  als  Diener  eines  europäischen  oder  eingebornen  Beamten 
sich  abquälen,  in  der  Hoffnung,  durch  seinen  Einfluß  irgend  eine  kleine  An- 
stellung zu  erhalten;  dann  scheint  es  beinahe  unbegreiflich,  daß  die  Regierung 
diesen  Umstand  nicht  lange  schon  benutzt  hat,  um  den  Besuch  einer  Schule 


')  Weit  höher   war  die  Kultur   der  alten  Mexikaner,  die  dennoch  Kinder  als   leckere 
Opferspeise  verzehrten. 

2)  Siehe   das  ßataksche   Alphabet   und  Stellen    aus   den  Pustaka  (Büchern)   der   Batak 
bei  Joachim  Frhr.  von  Brenner,  Besuch  bei  den  Kannibalen  Sumatras.    Würzburg  1894,  S.  294 ff. 

3)  Vgl.  die  Reform  zum  Bessern  bei  Chaüley  Bert,  Java  et  ses  habstants.     Paris  1900, 
S.  249-322. 


494 


Kapitel  XLYJ.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 


oder  den  Nachweis  einer  gewissen  formellen  Bildung  als  Vorbedingung  für 
eine  Ernennung  im  Staatsdienst  für  alle  Eingebome  zu  stellen."  —  Einzelne 
Eingeborne  schicken  ihre  Söhne  zur  Erziehung  nach  Europa,  während  andere 
große  Opfer  bringen,  um  ihren  Kindern  im  eigenen  Land  guten  Unterricht 
zu  verschaffen. 

Auf  den  östlichen  Karolinen  sollen  die  Eingebornen  eines  jeden 
Distriktes  zwei  „öffentliche  Erziehungshäuser"  gehabt  nahen,  von  denen  das 
eine  für  die  Mädchen,  das  andere  für  die  Knaben  bestimmt  gewesen  sei.  Man 
habe  da  die  Jugend  in  der  Astronomie  unterwiesen.  Als  Lehrmittel  habe 
eine  Kugel1),  mit  meist  roten  Zeichen  für  die  Sterne,  gedient  {Sprengel  nach 
<  'antova*). 

M.  Solbrung  stellt  den  Knaben  der  deutschen  Schutzgebiete  in  der 
Südsee  das  Zeugnis  aus,  daß  sie  über  eine  erstaunliche  Kenntnis  der  Natur 
verfügen3);  12  — 14jährige  Knaben  seien  bereits  imstande,  jede  Pflanze  ihrer 
Umgebung  bei  ihrem  Namen  zu  nennen. 

In  Kaiser  Wilhelmsland  und  in  Britisch-Neuguinea  schicken  die 

Papuas  ihre  10 — 12  jährigen  Kinder 
auf  Jahre  hinaus  zu  befreundeten 
Nachbarstämmen,  um  ihren  geistigen 
Gesichtskreis  zu  erweitern  und  ihnen 
Gelegenheit  zur  Erlernung  der  be- 
treffenden Sprache  zu  geben.  Zurück- 
gekehrt, erfreuen  sich  solche  Kinder 
einer  gewissen  Achtung  im  heimat- 
lichen Dorf  und  dienen  gelegentlich 
als  Dolmetscher.  Krieger  nennt  die 
Papua-Kinder  in  Kaiser  Wi  1  heims  - 
1  a  n  d  und  Britisch-Neuguinea  klug  und 
gelehrig.  Die  Schwierigkeiten  im 
Unterricht  in  den  auch  hier  eröffneten 
Missionsschulen  besteht  im  un- 
regelmäßigen Schulbesuch 4).  Lesen 
geht  auch  hier  leichter  als  schreiben. 
Am  liebsten  würden  die  Kinder  ein 
nützliches  Handwerk  lernen,  wozu 
s  Zeit  noch  nicht  angehalten  worden 


Fig.  4oij.   Missionszöglinge  auf  Jap.    Mir  Erlaubnis  des 
MissiHiissekri'tnriats  in  E  h  renbreitstein. 


sie  aber  von  den  Missionären  zu   Krieger. 
seien5).  (?)  — 

Weiter  oben  wurde  eine  Art  Eingebornenschule  auf  den  vorchristlichen 
Karolinen  erwähnt.  Mit  Einführung  des  Christentums  erhielten  die  Ein- 
gebornen selbstverständlich  auch  Missionsschulen.  Ebenso  erging  es  auf  den 
Mari  an  en. 

Im  Jahre  1908  zählte  die  Missionsschule  auf  Palau  über  LOO  Schüler. 
Auch  in  Arkolong  bat  der  Häuptling  um  eine  Schule. 

Auf  Jap  hatten  die  Spanier  Schulzwang  eingeführt,  aber  dieser  war 
den  Eingebornen  verhaßt.  Die  Missionäre  mußten  die  säumigen  Kinder  bei 
der  Kegierung  anzeigen,  die  dann  den  Häuptling  der  Kinder  bestrafte,  was 
so  hochgradige  Abneigung  gegen  Mission  und  Schule  erzeugte,  daß  von  dem 


'i  Demnach  hätten  diese  Mikronesier  bereits  Kenntnis  von  der  Kugelform  unserer  Erde 
gehabt  (?)    — 

2)  Bei  Flofl  II,  337. 

»)   Vgl.  g  L«»8. 

'i   Dieselbe  Schwierigkeit  kennen   wir  bereits  von  Deutsch-Ost  afrika  her. 

6i  Vgl.  die  deutsch-ostafrikanischen  Missionszöglinge  in  der  Schmiede-  und  Schreiner- 
werkstätte,  sowie  beim  Gartenbau  in  Kapitel  XLV,   Fig.  388- 


-390. 


§  303.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Sudan-  und  Bantunegern  usw.  495 

Tag  au,  an  welchem  die  deutsche  Regierung  den  Schulzwang  aufhob,  kein 
einziges  Kind  mehr  zur  Schule  kam.  Doch  gelang  es  den  deutschen  Missionären, 
das  Interesse  für  die  Schule  in  Eltern  und  Kindern  etwas  zu  wecken, 
und  seit  der  Sohn  des  Häuptlings  von  Kanif  selbst  Lehrer  ist,  geht  die 
Jugend  schon  ihm  zu  Ehren  in  dessen  Schule  in  Ar  in  gel,  obgleich  dieses  Dorf 
nicht  zu  den  sozial  höchststellenden  gehört,  was  an  und  für  sich  ein  Abhaltungs- 
grund  für  die  Jap-Aristokraten  wäre. 

Durch  das  Interesse  der  Kanifer  zum  Wettstreit  angeregt,  eröffneten  die 
Inufer,  unter  dem  Einfluß  des  Häuptlings  von  Rul,  ein  Jahr  darauf  (1908) 
eine  Schule.  Gleich  am  ersten  Tag  meldeten  sich  27  Mädchen.  Knaben  sind 
es  durchschnittlich  30,  welche  hier  lernen. 

Auch  in  andern  Dörfern  sind  seitdem  Schulen  eröffnet,  was  besonders 
auf  die  Mädchen  günstig  wirkte,  insofern  sie  dadurch  der  Unsittlichkeit  ent- 
risseu  werden. 

Auf  Ponape  leisten  die  Knaben  im  Auswendiglernen  geradezu  Erstaunliches, 
während  der  Kopf  im  selbständigen  Denken  leicht  versagt.  Lesen  und  Schreiben 
geht  leicht,  Rechnen  sehr  schwer  und  schwerer  noch  der  Religionsunterricht, 
zumal  die  Ponapensprache  keine  Ausdrücke  für  Übersinnliches  hat. 

Nach  einem  Bericht  des  P.  Corlnnian  vom  Jahre  1910  bringen  fast  alle 
Eingebornen  der  Insel  Rota  der  Schule  lebhaftes  Interesse  entgegen.  Es 
werden  Noteu  in  Religion,  Deutsch.  Lesen,  Schreiben,  Rechnen,  Fleiß  und  Be- 
tragen ausgegeben. 

Auf  Korror  interessieren  sich  die  Schüler  am  meisten  für  Geographie. 
Im  Deutschen  haben  es  viele  bereits  so  weit  gebracht,  daß  sie  den  Regierungs- 
beamten,   Reisenden   u.   a.   Dolmetscherdienste   leisten    können   (P.   Placidus). 

Auf  den  deutschen  Marianen  ist  Schulzwang;  der  Unterricht  liegt 
hier,  vom  religiösen  Gebiet  abgesehen,  in  Händen  von  Lehrern,  die  von  der 
Regierung  angestellt  sind.  Nur  der  Religionsunterricht  ist  freigestellt.  Er 
wird  außerhalb  der  Schule  von  Missionären  erteilt. 

Vor  etwa  einem  Vierteljahrhundert  charakterisierte  Kubary  Erziehung 
und  Unterricht  der  weiblichen  Jugend  auf  Samoa  noch  wie  folgt:  Das  Mädchen 
lernt  singen  und  tanzen,  um  zu  gefallen  und  von  einem  Tapferen  geliebt  zu 
werden;  es  lernt  weinen,  um  ihn  jeden  Augenblick  beweinen  zu  können1).  — 
Um  das  Jahr  1900  schrieb  aber  Deelcen  nach  seinem  Besuch  der  Papauta- 
Schule,  eines  Mädchenpensionats  der  London  Mission  Society  unter  der  Leitung 
einer  deutschen  Dame,  bereits:  „Die  Ausbildung  der  jungen  Mädchen  ist  mehr 
als  zufriedenstellend  und  ist  derjenigen  auf  unseren  Volksschulen  ganz  gewiß 
ebenbürtig."  Die  zum  Schluß  der  „Sohulinspektion"  ausgeführten  gymnastischen 
Übungen  der  jungen  Samoanerinnen  wurden  nach  Deelcen  mit  bewunderns- 
werter Eleganz  ausgeführt.  — 

Im  Tahiti-Archipel,  wo  zu  Forsters  und  MÖrenhouts  Zeit  die  Einführung 
der  Knaben  in  die  Sagen  der  Vorfahren  das  Einzige  war,  was  an  eine  Schul- 
bildung in  unserem  Sinn  erinnerte2),  zählten  im  Jahre  1910  die  katholischen 
Missionsschulen  allein  790  Schüler  und  Schülerinnen. 

Einen  kurzen  Überblick  über  das  moderne  Schulwesen  auf  Neuseeland 
ermöglicht  uns  Bob.  von  Lendenfeld:  Im  Jahre  1896  gab  es  dort  74  öffentliche 
Volksschulen  für  Maoris,  mit  136  Lehrern  und  2459  Schülern.  (Der  Census 
von  1891  ergab  für  die  neuseeländische  Bevölkerung  41  993  Köpfe.)  Zudem 
existierten  für  die  Eingebornen  7  Privatschnlen  mit  16  Lehrern  und  275  Schülern, 
und  1118  Maorikinder  besuchten  die  Volksschulen  für  Europäer.    Schulzwang 


')  Die  Einführung  in  Hausfrauenpflichten  siehe  §  297. 
2)  Bei  Ploß  II,  336. 


49  G 


Kapitel  XLVI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 


besteht  für  die  Kinder  von  7— 13  Jahren.  —  Der  Unterricht  ist  unentgeltlich. 
Der  Lehrplan  umschließt  Lesen,  Schreiben,  Rechnen,  englische  Grammatik, 
•Geographie.  Geschichte,  Naturgeschichte,  Zeichnen  und  Singen;  ferner  für  Knaben 
Exerzieren,  für  Mädchen  Nähen.  Die  öffentlichen  Volksschulen  sind  nicht  konfes- 
sionell, wohl  aber  die  meisten  Privatschulen.  Als  Mittelschulen  gibt  es  auf  Neusee- 
land verschiedene  „Grammar-schools",  in  denen  allerdings  mehr  Prüfuugs-Drill, 
als  Unterricht  und  Erziehung  herrschen  soll,  und  „technical  Colleges",  die 
teilweise  für  die  Hochschule  vorbereiten. 

Schulen  gibt  es  jetzt  sogar  für  die  Jugend  des  australischenKontinents. 
So  hatten  z.  B.  im  Jahre  1911  die  Pallottiner  in  ihrem  Missionsbezirk  im 
nordwestlichenAustralien,  der  eine  einheimische  Bevölkerung  von  5000  Seelen 
umschließt,  bereits  vier  Elementarschulen  mit  57  Knaben  und  82  Mädchen, 
sowie    ein    Knabeninternat    mit    27    Zöglingen.  Im    Jahre    1870    schrieb 

F.   Christmann  '):   Der  Kreis  der  intellektuellen   Entwicklung  der  Australier 


Fig.  10".    Schule  für  die   eingeborne  Jueerjd   von   Tahaa,   „Ins.-ln  unter  dem  Winde",  Tahiti-Gruppe. 

Oslerroth  phot.     Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 

ist  zu  klein,  als  daß  nicht  ein  halberwachsenes  Kind  ebenso  weit  fortgeschritten 
sein  könnte,  wie  der  Älteste  im  Stamme.  Sie  zählen  z.  B.  nicht  weiter  als 
bis  vier,  alles  andere  ist  „viel".  Die  Zeitrechnung  wird  bei  vielen  Stämmen 
nur  „nach  Schläfen"  gemacht,  so  daß  bei  ihnen  nicht  einmal  von  Mondnächten 
und,  noch  viel  weniger,  von  Jahreszeiten  die  Rede  ist.  — 


§  304.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  hei  Japanern,  Koreanern,  Chinesen, 

Khmer  und  Thai'. 

„Wir  Japaner  besitzen  seit  vielen  Jahrhunderten  Schulen  jeder  Art 
und  jeden  Grades,  und  die  Masse  des  Volkes  wird  gründlich  und  allgemein 
unterrichtet,  lud  wenn  ja  jemand  einmal  existiert,  den  man  bei  uns  für 
,i„ ohne  Schulbildung""  erklären  könnte  (und  jetzt  findet  man  kaum  solche  Leute, 
denn  unser  Unterrichtssystem  ist,  sehr  streng),  so  bedeutet  dies,  daß  er  chine- 
sische  Schriftzeichen  und  Literatur  nicht  kennt;  es  bezieht  sich  aber  nicht 
auf  die  japanischen."  So  schrieb  um  das  Jahr  1900  der  japanische  Buddha- 
priester Kinea  Riug6  M.  Bxrai.    Das  eigentlich  japanische  Alphabet,  „Iroha- 


i)  Bei  Ploß  II,  334. 


§  304.     Das  Kind  u.  das  Schulwesen  bei  Japanern,  Koreanern,  Chinesen,  Khmer  u.  Thai'.     497 

Alphabet"  genannt,  sei  ja  so  leicht,  daß  jedermann  es  lernen  könne.  Aber 
auch  die  schon  lange  vorher,  d  h.  im  dritten  Jahrhundert  vor  Christus,  ein- 
geführten chinesischen  Buchstaben  haben  in  Japan  so  tiefe  Wurzeln  geschlagen, 
daß  ihre  Aussprache  vollständig  japanisiert  worden  sei,  und  daß  die  Japaner 
sich,  je  nach  Umständen,  der  einen,  oder  der  anderen  Sprache,  oder  aber  eines 
Mischstils  aus  beiden  zusammen  bedienen.  —  Nach  J.  J.  Rein  begann  die 
Schulerziehung1)  des  Knaben  im  alten  Japan,  d.  h.  vor  der  Restauration  im 
Jahre  1868,  am  (3.  Tag  des  6.  Monates  seines  6.  Lebensjahres,  an  welchem 
er  unter  den  landesüblichen  Förmlichkeiten  seine  erste  Stunde  im  Schön- 
schreiben erhielt.  Er  präsentierte  sich  seinem  Lehrer  mit  einem  Tuschkasten, 
einem  Stück  Tusche,   einem  Pinsel,   einer  Taschschale,   einem   kleinen   Gefäß 


■IHMBBi 


Fig.  408.    Ein  Blatt  aus  einem  japanischen  Schulbuch.     Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


mit  Wasser  und  Bastpapier.  Der  Lehrer  zeichnete  ihm  nacheinander  einfachere 
und  kompliziertere  Zeichen  vor  uud  half  dem  meist  gutwilligen  und  aufmerk- 
samen Schüler  beim  Nachschreiben.  Vom  6. — 8.  Jahr  hatte  dieser  die  ein- 
heimischeSilbenschrift,  aber  auch  ca.  1000  chinesische  Wortzeichen  zu  erlernen. 
Den  Eindruck,  welchen  ein  Engländer  bei  seinem  Besuch  einer  japa- 
nischen Knabenschule  erhielt,  hat  Ploß'1)  folgenderweise  wiedergegeben: 
„Die  Intelligenz  der  Knaben  spricht  sich  schon  in  ihren  schwarzen,  fast 
übergroßen  Augen  recht  lebhaft  aus,  und  ihr  anmutiges,  niedliches  Wesen 
dürfte,  im  allgemeinen  betrachtet,  durch  einen  Vergleich  mit  der  europäischen 
Jugend  mindestens  keine  Einbuße  erleiden.  Man  kann  sagen,  daß  sie  eher 
singen,  als  sprechen,  und  nichts  ist  ergötzlicher,  als  das  Geplauder  einer  ganzen 

')  In  der  japanischen  Kinderstube  werden,  wie  bei  uns,  die  Phantasie  und  der  Verstand 
des  Kindes  durch  Märchen  und  Heldensagen  geweckt  (Ploß  II,  861). 
2)  Ebenda,  3fi0. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  32 


498  Kapitel.  XLYI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

Schule.  Einer  unserer  Begleiter  hatte  ein  illustriertes  japanisches  Buch  in 
der  Hand;  um  sich  zu  überzeugen,  ob  die  Kinder  lesen  könnten,  winkte  er 
das  kleinste  der  munteren  Schar  herbei  und  forderte  es  auf,  die  Erklärung 
eines  Bildes  zu  lesen.  Das  Kind  tat  unverzüglich  mit  der  größten  Artigkeit, 
was  man  von  ihm  verlangte,  und  keines  von  den  Übrigen  zögerte  einen  Augen- 
blick, sich  dieser  Prüfung  zu  unterwerfen,  die  sie  ohne  Ausnahme  glücklich 
bestanden."  — 

Isabella  Bird  erklärte  nach  ihrem  Besuch  der  japanischen  Dorfschule 
Irimichi,  Nikko,  daß  jener  Knabe,  welcher  die  vom  Lehrer  gestellten  Fragen 
am  besten  beanwortete,  der  Erste  wurde.  Gehorsam  sei  die  Grundlage  in  der 
Schule  wie  überall  im  Land.  —  Die  japanischen  Schulhäuser  stehen  nach  Bird 
den  englischen  keineswegs  nach. 

Auch  schon  im  alten  Japan  genoß  das  weibliche  Geschlecht  Schulbildung. 
„Von  Beginn  unserer  Geschichte  an  war  ihnen  Gelegenheit  geboten,  ihre  Aus- 
bildung in  jeder  Art  Schulen.  Instituten  oder  Universitäten  (?)  des 
Landes  zu  vollenden,  ebenso  wie  in  besonderen  Mädchenschulen,"  schreibt 
Kinza  Riuge  21.  Hirai.  „Die  Tatsache,  daß  wir  viele  Schriftstellerinnen  und 
Dichterinnen  von  höchstem  Ruf  .  .  .  besitzen,  bezeugt,  daß  bei  uns  der  weib- 
lichen Erziehung  keine  Vorurteile  oder  Hindernisse  entgegenstehen,  wie  dies 
in  den  Ländern  des  Westens  herkömmlich  ist.  Was  besonders  die  japanische 
Literatur  betrifft,  so  zögere  ich  nicht,  anzuerkennen,  daß  sie  hauptsächlich 
durch  die  Hände  (?)  unserer  Frauen  erhalten  worden  ist;  denn  die  Männer 
wandten  sich  allgemein  der  chinesischen  zu  und  verhielten  sich  ihrer  ein- 
heimischen schönen  Literatur  gegenüber  ziemlich  gleichgültig."  Hirai  weist 
ferner  auf  die  vielen  Ärztinnen,  Künstlerinnen,  Rednerinnen,  Forscherinnen  und 
Lehrerinnen  aller  Grade  auf  allen  Wissensgebieten,  auf  die  weiblichen  Kauf- 
leute, auf  Vorsteherinnen  religiöser  Sekten  und  Priesterinnen  des  alten  und 
heutigen  Japan  hin ').  —  Daß  es  auch  japanische  Schauspielerinnen  gibt, 
wissen  wir  Deutsche  aus  eigener  Anschauung,  da  japanische  Theatertruppen 
ja  auch  schon  deutsche  Städte  bereist  haben.  Die  Truppe  auf  Figur  409 
umschließt  auch  Kinder. 

Die  Durchschnittsbildung  der  Mädchen  im  alten  Japan  bestand  wohl 
in  dem,  was  Floß  in  der  2.  Auflage2)  mit  einem  Hinweis  auf  „Das  Ausland" 
1881  (S.  1G7)  „eine  gute  Erziehung"  nannte,  d.  h.  lesen,  schreiben,  rechnen, 
etwas  Musik3),  Geschmack  in  den  landesüblichen  Blumenarrangements,  worüber 
ganze  Bücher  geschrieben  wurden,  sowie  Verständnis  und  Geschick  zur  Er- 
füllung der  Haushaltungspflichten.  Besonderes  Augenmerk  richtete  mau  auf  die 
Erziehung  der  Mädchen  zur  Reinlichkeit.  Auch  Handarbeitsunterricht  wurde 
und  wird  noch  immer  in  den  Schulen  gegeben4).  Im  Jahre  1885  besuchte 
Ph.  Leheen  in  Kioto  eine  Schule  für  Mädchen  höherer  Stände  bis  zum  Alter 
von  16  Jahren.  Hier  wurde  im  Weben,  in  der  Seidenmalerei,  im  Sticken, 
Kochen  und  Zubereiten  des  Tees,  sowie  in  den  Umgangsformen  unterrichtet.  — 

Befremdend  wirkt  nach  der  Aussage  des  Japaners  Hirai,  dem  weiblichen 
Geschlechte  Japans  seien,  neben  den  besonderen  Mädchenschulen,  jede  Art  Schulen 
Japans  offen  gestanden,  wenn  man  damit  vergleicht,  was  Wernich6)  schrieb, 
nämlich,  daß  die  Mädchen  schon  lange  vor  der  Menstruation  ihren  Unterricht 
von  den  Knaben  abgesondert  erhielten.  Die  Mädchen  durften  dann  auch  nicht 
mehr  mit  diesen  zusammen  spielen  und  traten  unter  die  Obhut  ihrer  Mütter, 
Tanten  und  sonstigen  Verwandten  des  Hauses.    Diese  unterrichteten  die  Mädchen 

')   Weibliche  Krieger  und  ihre  Vorbildung  sind  in  Kapitel  XLV  erwähnt  worden. 

8)  JJ,  360. 

*)   Musikinstrumente  waren   das  „Samisen"   und   das  „Koto". 

<>   Vgl.  §  297. 

<■>  Bei  Floß  II,  361. 


§  304.     Das  Kind  u.  das  Schulwesen  bei  Japanern,  Koreanern,  Chinesen,  Khraer  u.  Thai.     499 

unter  anderem  über  die  Bedeutung  der  bevorstehenden  Menstruation  und  gaben 
ihnen  Verhaltungsmaßregeln  für  deren  Eintritt.  — 

Was  den  Unterricht  der  Knaben  vom  8.  Lebensjahr  im  alten  Japan 
betrifft,  der  sich  an  den  schon  erwähnten  vorhergegangenen  zweijährigen 
Unterricht  im  Schreiben  anschloß,  so  hatten  die  Knaben  bereits  eine  Anzahl 
chinesischer  Werke  zu  lesen,  was  teils  von  je  einem  Knaben,  teils  von  allen 
zusammen,  in  singendem  Ton  geschah.  Chinesische  Sprache  und  Philosophie 
galten  damals  dem  Japaner  noch  für  unentbehrlich,  obgleich  die  chinesische 
Philosophie  aus  einem  engherzigen  Feudalismus  entsprungen  war  und  diesen 
zu  fördern  suchte,  wie  Rein  sich  ausdrückt,  Sie  habe  wohl  gehorsame  Söhne 
und  Untertanen  und  Bewunderer  des  Altertums  gebildet,  aber  das  Individuum 


Fig.  4u9.    Japanische  Schauspielertrappe  mit  Kindern.    Im  K.  Ethnographischen  Museum  in  München. 


in  die  hergebrachten  Bräuche  gezwängt,  die  Intelligenz  wenig  geweckt  und 
die  sittlich-religiöse  Entwicklung  verhindert. 

Mit  dem  unerwartet  raschen  Aufschwung  Japans  seit  1868  änderte  sich 
das.  Jetzt  werden  zirka  3  Millionen  Kinder  in  mehr  als  30  000  Schulen  nach 
dem  Geiste  des  christlichen  Abendlandes  unterrichtet,  obgleich  die  Religion 
als  Privatsache  gilt.  Die  Schulen  werden  von  den  Kindern  beider  Geschlechter 
aller  Klassen  der  Bevölkerung  besucht.  Die  Lehrkräfte  sind  teils  männlich, 
teils  weiblich.  —  Zu  den  Volksschulen  kommen  die  verschiedenen  Arten 
höherer  Bildungsanstalten,  wie  wir  sie  in  Deutschland  haben,  ausgenommen 
die  Gymnasien  {Rein).  Die  japanische  Jugend  studiert  nun  auch  abendländische 
Sprachen,  sei  es  im  eigenen  Vaterland,  oder  in  Europa,  oder  in  Amerika.  Die 
im  Ausland  Gebildeten  sind  nach  ihrer  Heimkehr  wenig  geneigt,  sich  den 
alten  Bräuchen  der  Nation  wieder  anzubequemen,  wie  Hugnes  Krafft  bemerkt, 

32* 


50U  Kapitel  XLVI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

und  so  ist  jeder  heimkehrende  Japaner  ein  neuer  Faktor  bei  der  Umgestaltung 
seiner  Nation. 

Seit  Anfang  der  70  er  Jahre  des  19.  Jahrhunderts  ist  in  Japan  der 
Schulzwang  eingeführt.  „Die  Schulzeit,"  schreibt  Max  Jacobi,  „ist  nach 
preußischem  Muster  auf  das  6.  bis  14.  Lebensjahr  festgesetzt.  Verlangt  wird 
mindestens  die  Absolvierung  der  vier  unteren  Elementarklassen,  an  die  noch 
zwei,  auch  drei  oder  vier  höhere  angegliedert  sind.  In  den  unteren  Klassen 
sind  Lehrfächer:  Morallehre,  japanische  Sprache,  Rechnen,  Singen,  Zeichnen, 
und  für  Mädchen  auch  jetzt  wieder  Handarbeitsunterricht."  Die  nächsthöhere 
Stufe  nehmen  die  Mittel-  oder  Bürgerschulen  ein,  welche  zum  bürger- 
lichen Mittelstand  und  für  höhere  Schulen  vorbereiten  sollen.  Ihr  fünfjähriger 
Kursus  umschließt,  neben  den  obigen  Fächern,  Chinesisch,  Geschichte,  Geographie, 
Mathematik,  Physik  und  Chemie  sowie  elementare  Volkswirtschaft  und  Rechts- 
pflege. Dazu  kommt  eine  europäische  Sprache,  gewöhnlich  Englisch.  —  Nach 
erfolgreichem  Besuch  der  Elementar-  und  Mittelschule  und  nach  Vollendung 
des  17.  Lebensjahres  kann  der  Japaner  die  höhere  Schule  mit  dreijährigem 
Lehrkursus  besuchen,  wo  er  sich  hauptsächlich  mit  europäischen  Sprachen  und 
Literaturen  beschäftigt,  Altklassische  Sprachen  werden  nur  in  den  Abteil- 
kursen für  Juristen  und  Mediziner  gelehrt,  —  Nach  erfolgreichem  Besuch  der 
höheren  Schule  steht  dem  Studenten  die  Universität  offen.  Der  Weg  zur 
technischen  Hochschule  geht  durch  technische  Mittelschulen,  deren  im 
Jahre  1902  bereits  392  vorhanden  waren.  "Jene  Mädchen  und  Knaben,  welche 
sich  dem  niederen  Lehrberuf  widmen  wollen,  werden  in  staatlichen  Lehrer- 
seminarien  ausgebildet.  Jede  der  47  Provinzen  verfügt  mindestens  über  ein 
Seminar  dieser  Art.  Die  Lehrgegenstände  sind  für  beide  Geschlechter  gleich 
mit  der  Ausnahme  nur,  daß  die  Mädchen  statt  einer  fremden  Sprache  Haus- 
haltungslehre  haben.  Letztere  ist,  wie  schon  früher  erwähnt,  auch  an  den 
höheren  Mädchenschulen  ein  Hauptfach.  Andere  Fächer  der  letzteren  Bildunos- 
anstalten sind  seit  ihrer  Reform:  Moral,  japanische  Sprache,  eine  europäische 
Sprache,  Geschichte,  Geographie,  Naturkunde,  Mathematik.  Musik,  Zeichnen  und 
Turnen1).  Den  Absolventinnen  steht  die  nunmehr  verstaatlichte  „Frauen- 
Universität"  in  Tokio  und  Privatinstitute  offen.  An  dieser  „Universität" 
wird  jedoch  nur  Haushaltungslehre,  japanische  und  englische  Literatur  doziert 
und  in  die  Kunst  eingeführt.  Die  Religion  wird,  wie  gesagt,  im  Unterrichts- 
System  des  modernen  Japan  stiefmütterlich  behandelt;  man  begnügt  sich  mit  der 
„indifferenten"  Moral  der  herrschenden  Shintöreligion,  wie  Jacobi  bemerkt8).  — 

Einen  Aufschwung  nach  europäisch-amerikanischem  Muster  nehmen 
zunächst  die  sozialen  Verhältnisse  seit  187G  auch  in  Korea,  dessen  Haupt- 
stadt übrigens  um  das  Jahr  1000  nach  Chr.  einer  der  geistigen  Mittelpunkte 
Asiens  gewesen  war,  und  dessen  König  CMn-heung  bereits  im  6.  Jahrhundert 
nach  dir.  das  erste  Geschichtswerk  des  Landes  in  100  Bänden  anlegen  ließ. 
Die  Arbeit  nahm,  nebenbei  bemerkt,  mehrere  Historiker  auf  ein  halbes  Jahr- 
hundert in  Anspruch,  wie  das  Januarheft  1901  der  „Korean  Review"  mitteilt. 
Dem  späteren  Niedergang  der  Nation  folgt  jetzt  ein  frisches  Erwachen,  das 
sich  auch  im  Unterrichtswesen  bemerkbar  macht.  Nach  ,1.  Hamilton  haben 
die  öffentlichen  Schulen  der  jetzigen  Hauptstadt  Söul  erstaunliche  Verbesse- 
rungen aufzuweisen.  Auch  hat  die  Regierung  Fachschulen  für  fremde  Sprachen 
unter  Leitung  ausländischer  Lehrer  eröffnet.  Der  Lehrplan  umfaßt  außer  den 
Sprachen:  Rechnen,  Geographie  und  Geschichte.  —  Außerhalb  der  Hauptstadt 
scheint  es  mit  der  Koreaniseben  Jugendbildung  freilich  mich  nicht  günstig  zu 


'i   Vgl    die  Gymnastik  im  alten  Japan,  §  300. 

")  Vgl.  die    Ansichten  des  mehrmals  zitierten  ßuddhapriesters  Hhn'i  über  Ueligii  n   in 
Kap.  XI, VIII. 


§  304.     Das  Kind  u.  das  Schulwesen  bei  Japanern,  Koreanern,  Chinesen,  Khmer  u.  Thai.      501 

stehen,  denn  Hamilton  bemerkt,  daß  sich  im  Erziehimgswesen  der  Koreaner1) 
„eine  kleine  Hebung  unter  dem  Einfluß  missionarischer  Tätigkeit"  bemerklich 
gemacht  habe.  —  Die  intellektuelle  Bildung  der  dem  Ordensstand  gewidmeten 
Knaben  in  den  einheimischen  buddhistischen  Klöstern  bezeichnet  Hamilton 
nur  als  ein  Lernen  der  verschiedenen  Gesänge  und  Litaneien.  Doch  sollen  die 
Knaben  einen  klugen  Eindruck  machen.  Was  die  vom  AVesten  unbeeinflußte, 
also  einheimische,  Bildung  der  oberen  Klassen  betrifft,  so  scheinen  Hamiltons 
Darlegungen  einen  Widerspruch  zu  enthalten.  Denn  einerseits  schreibt  er  (S.  104), 
daß  „die  beiden  Geschlechter  der  Vornehmen  die  Literatur  und  Sprache 
der  Chinesen  notdürftig  beherrschen";  andererseits  (S.  105),  daß  „nur  eine 
verschwindend  kleine  Zahl  der  Frauen  aus  den  höheren  Ständen  chinesisch 
zu  lesen"  vermöge.  Homer  B.  Hulbert  habe  sogar  „konstatiert,  daß  nur  ein 
Prozent  der  Frauen  aus  den  oberen  Klassen,  die  chinesisch  lernen,  praktische 
Kenntnis  davon  haben".  Den  Frauen  der  mittleren  und  unteren  Klassen  sei 
diese  Sprache  überhaupt  fremd.  Hingegen  werde  das  Ön-mun,  die  gewöhn- 
liche Schriftsprache  der  Koreaner,  von  den  mittleren  und  höheren  Ständen 
sehr  eifrig  studiert2).  Die  Literatur  in  dieser  Sprache  nennt  Hamilton  sehr 
reichhaltig.  Sie  umfasse  Übersetzungen  aus  den  chinesischen  und  japanischen 
Klassikern,  Geschichtswerke  über  das  koreanische  Mittelalter  und  die  Keuzeit, 
Beise-  und  Jagdbeschreibungen,  Gedichte,  Briefsteller  und  zahlreiche  Bomane. 
Die  Kenntnis  eines  beträchtlichen  Teils  dieser  Literatur  gehört  zur  Bildung 
der  Frauen  der  höheren  Stände;  auch  die  der  mittleren  müssen,  obgleich  nur 
in  geringerem  Maße,  mit  einem  Teil  davon  vertraut  sein.  Unumgänglich  sei 
die  Einführung  in  „die  drei  Hauptlehreu  des  Verhaltens",  in  die  „Fünf  Bände 
über  das  Wichtigste  aus  der  Literatur"  und  in  „die  fünf  Lebensregeln",  deren 
Inhalt  die  Beziehungen  zwischen  Eltern  und  Kindern,  Herrschern  und  Unter- 
tanen, Mann  und  Frau,  Alt  und  Jung,  Freund  und  Feind  festlegt  und  zur 
Tugend  mahnt.  Einzelne  vornehme  Frauen  erhalten  ferner  musikalischen 
Unterricht.  Die  in  Frage  kommenden  Instrumente  sind  das  unserer  Zither 
ähnliche  Komungo,  dessen  melancholische  Töne  für  unser  Ohr  aber  disharmonisch 
klingen,  und  das  Nageum,  eine  kleine  Geige,  mit  „entsetzlich  schrillem  Geheul".  - 
Ärztinnen  können  nur  Frauen  von  hoher  Geburt  werden;  wer  sich  zur  Tänzerin 
ausbildet,  gehört  dem  niedrigsten  Stand  an,  für  dessen  Schulbildung  —  so 
hoffen  wir  —  wohl  auch  ein  Teil  jener  vier  Millionen  Mark  verwendet 
werden  mag,  welche  der  bekannte  Amerikaner  Rockefeiler  um  das  Jahr  1909 
für  protestantische  Schulen  in  Korea,  Japan  und  China  spendete8). 

Hier,  d.  h.  in  China,  mag  das  Schulwesen  nach  den  neuesten  politischen 
Ereignissen,  der  Revolution  1912,  nun  wohl  die  schon  früher  in  Angriff  ge- 
nommene, aber  bisher  mit  wenig  Erfolg  gekrönte,  Umgestaltung  erleben. 
Noch  um  das  Jahr  1900  unterhielt  der  chinesische  Staat  keine  Volksschulen 
(Stenz).  Die  Eltern  hatten  selbst  für  Schule  und  Lehrer  zu  sorgen,  was  nur 
Bemittelte  leisten  konnten.  Die  Armen  lernten  deshalb  weder  lesen  noch 
schreiben.  —  Nicht  selten,  so  schrieb  im  Jahre  1866  J.  Doolittle,  eröffnen 
einige  wohlhabende  Familien  eine  gemeinsame  Privatschule,  indem  eine  aus 
ihnen  ein  Zimmer  zur  Verfügung  stellt,  oder  aber  indem  sie  den  Tempel  ihres 
Städtchens  oder  Dorfes  beschla°:nehmen.  —  In  Fuh-tscheu  ermöglichte  eine 


')  Gemeint  sind  nach  Hamiltons  Urteil  über  Söul  wohl  die  Schulen  außerhalb  dieser  Stadt. 

2I  Auch  in  diesem  Punkte  läßt  uns  Hamilton  im  Unklaren,  da  er  auf  der  gleichen 
Seite  schreibt,  daß  die  von  einem  koreanischen  König  des  15.  Jahrhunderts  erfundenen  Schrift- 
zeichen dieses  Ön-mun  allmählich  der  Beachtung  der  unteren  Klassen,  der  Frauen  und 
Kinder  überlassen  worden  seien  (vgl.  übrigens  eine  ähnliche  Erscheinung  in  Japan),  und 
auf  S.  10K:  „Jeder  Koreaner  kauft  gern  Bücher  in  seiner  Landessprache,  oder  entnimmt 
sie  den  Leihbibliotheken." 

3)  Nach  einer  Notiz  in  „Uie  Kath.  Miss.",  38.  Jahrg.  1909  10,  S.  61. 


502  Kapitel  XL  VI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

Bank  längere  Zeit  die  Existenz  einiger  Freischulen.     Manche  Familien  geben 
ihren  Söhnen  auch  einen  Hauslehrer. 

Nach  Dols  ist  diese  Abhängigkeit  der  Schule,  sowohl  was  den  Lehrer,  als 
auch  das  Lokal  betrifft,  bei  dem  Mangel  an  hygieuischer  Einsicht,  schuld  an 
den  traurigen  ländlichen  Schulverhältnissen  der  Provinz  Kan-su.  Die  Knaben 
müssen  bei  schlechter  Witterung  ganze  Tage  in  kleinen,  schmutzigen  und  un- 
gesunden Räumen  zubringen.  —  Bei  guter  Witterung  wird  der  Unterricht  im 
Freien  erteilt.  --  Ferdinand  Frh.  von  Richthof en  fand  in  einem  Pensionat  der 
Provinz  Scliantung  für  Knaben  aus  „besseren  Klassen"  acht  Zöglinge  von 
«  —  14  Jahren  in  einem  mäßig  großen  Zimmer  mit  einigen  Betten.  Jeder 
hatte  einen  Stuhl  und  einen  Tisch;  ein  zweites  Zimmer  mit  einigen  Betten 
diente  zugleich  als  Speisesaal;  ein  Hofraum  von  4x5  m  vollendete  das  Eta- 
blissement. Die  Knaben  hatten  hier  den  ganzen  Tag  zu  arbeiten;  man  habe 
ihnen  weder  Zeit  zum  Spielen1),  noch  zu  andern  körperlichen  Bewegungen 
gegeben.  —  In  einer  andern  von  Richthofen  besuchten  Schule  schliefen  die 
Knaben  eben  und  mußten  vom  Lehrer  geweckt  werden.  —  Die  Schreibeproben 
der  Knaben  im  ersteren  Pensionat  nannte  von  Richthofen  ..vorzüglich".  — 
Stern,  schildert  seine  Erfahrungen  in  Schulen  der  Provinz  Scliantung  wie 
folgt:  Kleine  und  große  Studenten  sitzen  in  einem  Zimmer  paarweise  an  einem 
Tisch  und  schreien  sich,  so  laut  sie  können,  in  Sopran.  Alt  und  Baß  ihr  Pensum 
in  die  Schädel  hinein.  Jeder  lernt  sein  eigenes  Kapitel  und  jeder  schreit  seine 
eigene  Melodie.  Die  Hauptaufgabe  besteht  im  Auswendiglernen  der  „100 
Familiennamen",  des  ,.10(H>-Buchstabengedichtes,',  des  ,.3-Zeilengedichtes",  der 
„4  klassischen  und  5  kanonischen  Bücher"  usw.  —  Da  die  Sprache  dieser  Bücher 
sich  durch  ihre  Feiuheit  und  ihren  gelehrten  Charakter  von  der  Volkssprache 
unterscheidet,  versteht  der  sechsjährige  Knirps  den  Inhalt  noch  nicht  und 
lernt  rein  mechanisch.  Erst  nach  einigen  Jahren  wird  ihm  das  Gelernte  er- 
klärt. —  Unter  den  AVeisheitssprüchen,  welche  das  Studentlein  von  anfang 
an  zu  memorieren  hat,  sind  die  zwei  folgenden: 

.,Jan  bu  t'jau.  tu  tschi  kuo." 
„Tjian  bu  Jen,  sehe  tschi  t'uo." 

was  Stern  übersetzt  mit: 

„Ernähren,  nicht  erziehen,  ist  des  Vaters  Schuld." 
„Erziehen  ohne  Anstrengung  ist  des  Lehrers  Trägheit."  — 

Neben  dieser  Gedächtnisübung  hat  der  Knabe  das  Schreiben  zu  lernen. 
Anfangs  werden  die  Buchstaben  nach  Vorlagen  durchgepaust,  später  kommen 
freie  Schreibübungen.  Benutzt  wird  ein  kleine)-  spitzer  Pinsel.  Nur  Aus- 
nahmen, d.  h.  Knaben  mit  Anlagen  znm  Zeichnen,  erreichen  eine  schöne  Schrift. 
Nach  einigen  Jahren  hat  der  Schüler  Aufsätze  zu  machen,  d.  h.  Stellen  aus 
den  auswendig  gelernten  Klassikern  künstlich  zusammenzufügen '-').  Da  in 
diesen,  nach  bisheriger  chinesischer  Auffassung,  alle  Weltweisheit  enthalten  ist. 
braucht  der  Student  nicht  viel  anderes.  Rechnen  lernt  er  mechanisch  mit 
einer  Maschine3),  die  er  so  gut  zu  handhaben  weiß,  daß  er  das  Resultat  fast 
ebenso  schnell  erhält,  wie  wir  durch  Zahlen  und  Kopfrechnen.  Was  die 
Geographie  betrifft,  so  fand  Stern  noch  um  das  Jahr  1900  in  chinesischen 
Schulen  ..Weltkarten",   weiche  China    als   das   einzige   große  Reich   der  Erde 


')  Nach  Stenz  (S  11)  spielen  die  chinesischen  Studentlein  Schach,  oder  Dam.  oder 
nlien  ihr  Glück  m  einem  andern  Spiel,  bei  dem  sie  Prüfungen  bestehen  und  hohe  Ämter 
erlangen,  —  Vgl.  die  chinesischen  Kinderspiele  in  Kapitel  XL.  sowie  das  im  vorliegenden 
Paragraphen  referierte  chinesische  Schulliedchen. 

*)  Dols  schreibt  aus  der  Provinz  Kan-su,  der  „schöne  Stil",  in  den  der  Knabe  nach 
den  ersten  Schuljahren  eingeführt  werde,  erstrecke  sich  auf  das  Schreiben  von  Briefen,  Bitt- 
schriften, Kontrakten,  Aufsätzen  und  Gedichten. 

S)  Abbildung  bei  Sien:,  In  der  Heimat  des  Konfuzius.  Steyl   1902,  S.  13. 


§  304.     Das  Kind  u.  das  Schulwesen  bei  Japanern,  Koreanern,  Chinesen,  Khmer  u.  Thai.      503 

darstellten.  Dieses  große  Reich,  „das  einzigfeste  unter  dem  Himmel",  war  teils 
mit  Meer,  teils  mit  einem  Wasserdrachen  umgeben.  Nur  ganz  kleine  Insel- 
clieu,  darunter  Europa,  gab  es  noch  außer  China,  und  auch  sie,  die  im  Meer 
lagen,  waren  dem  chinesischen  Kaiser,  dem  „Drachensohn"  dein  „Sohn  des 
Himmels",  tributpflichtig.  —  Hingegen  wurde  auf  die  Kenntnis  des  eigenen 
Landes  viel  Gewicht  gelegt.  Selbst  Männer  aus  dem  Volk  kannten  die  Lage 
und  Entfernung  der  Provinzen  und  größereu  Städte  ihres  Vaterlandes  genau. 
Phantastisches  leistete  man  zu  Sternes  Zeit  in  den  Schulen  auf  dem  Gebiet 
der  Naturkunde:  Da  gab  es  im  Süden  von  China  eine  Insel  „Herzloch-Reich", 
wo  die  Menschen  statt  des  Heizens  ein  großes  Loch  hatten,  durch  welches 
man  auf  Reisen  eine  Stange  schob,  so  daß  man  getragen  werden  konnte.  - 
Im  Südosten  von  China  sollte  eine  Insel  „Kleinmensch-Reich"  liegen,  wo  die 
Menschen  nur  9  Zoll  groß  wurden.  Es  gab  ein  neunköpfiges  Tier,  einen  Löwen 
mit  Menschenkopf,  schnabellose  Hühner,  360  „haartragende"  und  360  „feder- 
tragende" Würmer.  Zu  diesen  gehören  die  Vögel.  Unter  den  haartragenden 
„Würmern"  befindet  sich  ein  Tier,  das  den  Körper  eines  Hirsches,  den  Schweif 


Fig.  410.     Ein  chinesischer  Schüler  sagt  seine  Aufgabe  her.     Ans  J.  DuoliilUs  „Social  Life  of  the  Chinese", 

London  186G. 


eines  Ochsen,  den  Kopf  eines  Wolfes,  die  Hufe  einer  Kuh  hat,  auf  der  Nase 
ein  Geweih  trägt,  von  Natur  sanft  ist,  dessen  Stimme  wie  Glocken  klingt  usw. 
An  wirklichen  Tieren  kennt  der  Chinese  nur  seine  Haustiere  und  die  in  seiner 
Heimat  wild  lebenden.  Seine  Pflanzenkunde  beschränkt  sich  auf  jene 
Kräuter,  die  er  ißt,  auf  einige  Heilkräuter  und  einige  sehr  beliebte  Zwerg- 
blumen, darunter  Rosen,  Astern  und  Lilien.  -  In  der  praktischen  Sternkunde 
hingegen  soll  das  chinesische  gewöhnliche  Volk  besser  daheim  sein,  als  das 
deutsche.  Es  kennt  verhältnismäßig  viele  Sternbilder  und  richtet  sich  in 
seiner  Zeit  und  Ortsbestimmung  danach.  In  astronomischen  Werken  aber 
fand  Stenz  Behauptungen,  welche  sich  mit  jenen  aus  der  Menschen-  und  Tier- 
kunde messen  können.  —  Ähnlich  sehe  es  mit  den  übrigen  Fachwissen- 
schaften aus.  Nach  dem  Grundsatz:  „Ein  Mann,  der  Bücher  gelesen  hat, 
muß  zu  allem  fähig  sein",  konnte  noch  um  das  Jahr  1900  jeder,  der  in  der 
Kreisstadt  das  Doktordiplom  für  allgemeines  Wissen  erhalten  hatte,  Arzt,  oder 
Richter,  oder  Offizier,  oder  Advokat  sein. 

Die  Aufgabe  des  Lehrers  besteht  darin,  daß  er  den  jüngeren  Schülern 
Aufgaben  gibt  und  das  Gelernte  dann  abhört;  die  Lektionen  der  älteren  Schüler 
kommentiert  er  auch,  während  sie  ihm  aufgesagt  werden.  Das  geschieht,  in- 
dem der  Schüler  dem  Lehrer  den  Rücken  bietet,  wie  Figur  410  zeigt.  — 


504 


Kapitel  XLVI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 


Trotz  überreicher  Züchtigung  (s.  §  294)  haben  die  Schüler  ihre  Lehrer  wie 
ihren  zweiten  Vater  zu  ehren,  und  diese  Verpflichtung  dauert  lebenslänglich, 
auch  wenn  der  Schüler  zu  hohen  Amtern  und  Ehren  emporkommt,  und  sein 
Lehrer  noch  immer  in  einer  Dorfschule  die  ersten  Anfangsgründe  lehrt  {Stern). 
Nach  Ploß1)  ist  in  China  Unterricht  in  der  Musik  verboten,  weil 
Konfuzius  lehrte,  sie  führe  zur  „Unregelmäßigkeit  der  Sitten".  Gesang  ist 
erlaubt.  Wenigstens  brachte  im  Jahre  1908  die  „Nuova  Antologia"2)  das 
folgende  chinesische  Schulliedchen.  welches  einer  kurz  vorher  erschienenen 
Sammlang  von  Schulliedern  aus  Schanghai  entlehnt  wurde.  Das  Liedchen 
drückt  die  Freude  der  im  Garten  Hand  in  Hand  wandelnden  Kinder  über  die 
dortigen  Blumen  aus,  welche  freilich  nicht  gepflückt  werden  dürfen.  Sie  seien, 
so  trösten  sich  die  kleinen  Sänger,  ja  auf  ihren  Zweigen  noch  schöner  als  in 
ihren  Händen,  und  sie  könnten  sie  auch  so  betrachten.  Noch  gebe  es  Blumen- 
duft im  Windeshauch,  noch  werden  Schmetter- 
linge und  Bienen  von  Blumen  angelockt,  und  noch 
wachsen  und  reifen  schöne  Früchte.  Das  Liedchen 
lautet  in  italienischer  Übersetzung: 


..tiuoni  amiei, 

Buoni  amici. 

Noi  ci  teniamo  per  mano 
E  lungo  il  giardiuo  andiamo  passo  passo. 
Dei  bei  fiori  iurantano  i  nostri  cuori: 
Questi  fiori  ehe  ci  incantano,  non  possiamo 

coglierli   a  nost.ro  piacere. 
Noi   li   lascianiO  in  cima  ai  rami  sui  quali 

noi  li   contempliamo. 
Cosi  vi  sono  piu  belli  che  nelle  nostre  inani."  — 

Dieser  Schlußreim  wiederholt  sich  dreimal  mit 
je  einem  der  folgenden  drei  Zeilenpaare: 

..Vi  e  ancora  il  profumo  de'  fiori 

Che  si  disperde  al  sof'fio  del  vento".  — 

..Vi  sono  ancora  farfalle  ed  api 
Che  sono  attratte  ha  i  fiori."  — 


Fig.  4ii.    Chinesischer  Schüler. 
Ans  ./.  DoolUtle,  0.  c. 


..Vi  sono  ancora  de'  bei  frutti 

Che  :i  poco  a  poco  crescono  e  maturano.''  — 

Für  die  intellektuelle  Bildung  seiner  Töchter  hat  der  Chinese  bisher 
sehr  wenig  getan3).  Stern  entdeckte  während  seines  siebenjährigen  Aufent- 
haltes in  Schantung  keine  einzige  chinesische  Mädchenschule.  J.  Dooliltl>- 
schrieb  im  Jahre  1866.  daß  in  Fu-theu  und  Umgebung  einzelne  Eltern  ihre 
Töchterchen  in  eine  Schule  schickten,  oder  sie  daheim  unterrichteten4).  Ge- 
taufte Chinesen  schicken  ihre  Töchterlein  schon  im  Alter  von  5 — 6  Jahren 
in  die  Missionsschulen,  wo  sie  die  gleichalterigen  Knaben  in  den  Prüfungen 
niiis!  überflügeln.  -  Wie  das  Negermädchen,  so  hat  auch  das  Chinesenmädchen 
in  der  Schule  vielfach  ein  kleines  Geschwister  zu  überwachen,  das  ihm  von  zu 
Hause  mitgegeben  wird  (Stenz). 

Heinerkenswert  erscheint  mir  endlich  noch  die  Beurteilung  fremden 
Einflusses  auf  das  höhere  Schulwesen  in  China  von  drei  Seiten  aus: 


')  2.  Aufl.  II,  363. 

*)  Anno  43,  p.  669. 

')  Um  so  mehr  überrascht  der  im  Jahre  1912  gestellte  Antrag  auf  Frauenstimmrecht 
in  der  chinesischen   Republik.  — 

')  .1.  Yulpert  sah  im  Jahre  1907  im  Kreise  Ssüschui  zwei  kaum  11jährige  Schau- 
spielerinnen, von  denen  das  eine  eine  Heldenrolle  spielte.  Näheres  hierüber  im  Anthrop.  V, 
370f.  und  378. 


§  304.     Das  Kiud  u.  das  Schulwesen  bei  Japanern,  Koreanern,  Chinesen,  Khmer  u.  Thai'.      505- 

Im  Jahre  1908  bis  1909  schrieb  ein  Missionär  in  den  „Katholischen 
Missionen":  Die  durch  europäischen  Einfluß  hervorgerufenen  Schulreformen 
waren  überstürzt  und  konnten  deshalb  nicht  zu  erfreulichen  Ergebnissen 
führen.  Europäische  Lehrgegenstände  treten  zu  sehr  in  den  Vordergrund, 
und  die  chinesische  Sprache  und  Literatur  werden  vernachlässigt,  was  um- 
sichtige Männer  einsehen.  Diese  treten  mit  aller  Entschiedenheit  wieder  für 
die  nationale  Literatur  ein. 

In  „Le  Tour  du  Monde"  war  im  Jahre  19101)  zu  lesen: 
In  China  hat  der  höhere  Unterricht  trotz  der  numerischen  Zunahme  an 
höheren  Schulen  seit  dem  russisch-japanischen  Krieg  keine  großen  Fortschritte 
gemacht.  Die  damals  herbeigerufenen  europäischen  und  japanischen  Professoren 
wurden  sehr  bald  wieder  durch  einheimische  ersetzt,  die  von  einer  Wissenschaft 
in  unserem  Sinn  keine  Ahnung  haben.  Man  will  Chirurgie  vor  der  Anatomie, 
Trigonometrie  vor  der  Arithmetik  studieren,  verlangt  von  einem  Juristen  auch 


Fio 


412.     Zwei  Khemer-Prinzen   in    einem   Bonzenkloster   in  Kambodscha,    Hinterindien.     Aus  An- 

thropos  I,  98.    Nach  Gueadon. 


Vorlesung  über  Physik  u.  a.  m.  —  Die  Studentenschaft  ist  undiszipliniert 
und  anmaßend,  wechselt  Schule  und  Fach  nach  Belieben,  verweigert  aus- 
ländischen Lehrern  das  Examen,  beschuldigt  sie  bei  den  unwissenden  Manda- 
rinen der  Ungerechtigkeit  und  weiß  in  ihrer  Selbstüberschätzung  alles  selbst 
am  besten2). 

Bezeichnend  ist  schließlich,  daß  die  in  King-yang  nach  „europäischem"3) 
Muster  errichtete  „Universität"  in  Sektion  I  etwa  vierzig  Kindern  Elementar- 
unterricht erteilen  läßt,  während  Sektion  II  für  die  höhere  Ausbildung  von 
15— 20  jährigen,  fast  durchwegs  schon  verheirateten,  Studenten  bestimmt  ist, 
wie  J.  Dols  schreibt.  — 

In  Kambodscha,  wo  die  Nachkommen  der  alten  Brahmanen,  die  Bakou, 
und  die  Buddhapriester,  zwei  der  fünf  Volksklassen  ausmachen,  sind  die  Bonzen- 
klöster die  Mittelpunkte  der  Schulbildung.     Die  Gelehrten  und  Schriftsteller 


')  Nouv.  Serie,   16.  annee,  p.  372. 

*)  Vgl.  die  Charakterbildung  der  chinesischen  Jugend  in  §  294. 

3)  Wohl  nach  dem  Muster  gewisser  amerikanischer  Colleges. 


goß  Kapitel  XLVI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

sind  fast  ausschließlich  Bonzen,  deren  wissenschaftliche  Leistungen,  der  be- 
deutendste Kenner  der  Khnier-  oder  Kambodscha-Literatur,  Abbe  Quesdon, 
im  Jahre  1906  mit  den  Worten  kennzeichnete:  „Man  könnte  sagen,  daß  der 
Buddhismus  in  Kambodscha  die  Literatur  getötet  (der  Brahmanismus  aber 
architektonische  Meisterwerke  geschaffen)  hat."  —  Wer  Bonze  weiden  soll, 
kommt  bereits  im  Knabenalter  in  ein  Kloster,  wo  hauptsächlich  Pali-Texte 
studiert  werden.  —  Gnesdons  Bemerkung,  daß  diese  Studien  der  direkteste 
Weg  zu  einem  Mandarinat  seien,  läßt  vermuten,  daß  nicht  alle  Studenten 
Bonzen  werden,  sondern  daß  das  Bonzenkloster  Studienanstalt  auch  für  weitere 
Kreise  sei.  Unter  den  von  ihm  veröffentlichten  Khmer-Texten1)  befinden  sich 
mehrere,  welche  der  Herausgeber  als  „manuel  d'education"  bezeichnete.  Die 
Pädagogik  scheint  also  in  der  Böhmer-Literatur  eine  bedeutende  Rolle  zu  spielen. 
Diese  umfaßt  nach  Guesdon  zwei  Gebiete:  Lehre  und  Unterhaltung  (les  ouvrages 
de  doctrine  et  les  ouvrages  d'agrement).  Zum  ersteren  gehören  „die  drei  heiligen 
Bücher",  d.  u.  der  Kodex  der  Bonzen,  Metaphysik  und  Gebete;  dann  „die  drei 
heiligen  Orte",  d.  h.  Erde,  Himmel  und  Hölle;  ferner  die  drei  Bücher  der 
Vedas  und  schließlich  die  als  „Anisang"  (Gnade?)'2)  betitelten  Bücher,  deren 
Inhalt  sich  aus  Schlüssen  zusammensetzt,  welche  aus  heiligen  Lehren  (satras) 
gezogen  werden.  Auch  die  pädagogischen  Abhandlungen  ist  Guesdon  geneigt, 
dieser  Abteilung  zuzuschreiben.  —  Die  Unterhaltungsliteratur  ist  selbst 
wieder  teils  religiöser,  teils  profaner  Art.  zum  großen  Teil  für  theatralische 
Darstellungen,  und  deshalb  für  das  Studium  der  Tänzerinnen  bestimmt,  da 
diese  fast  ausschließlich  es  sind,  welche  auf  der  Bühne  erscheinen.  —  Theatralische 
Vorstellungen  werden  täglich  gegeben.  --  Fabeln  und  Erzählungen  in  Prosa 
sind  in  der  Khmer-Literatur  schwach  vertreten;  die  letzteren  sollen  zudem 
größtenteils  einen  schlechten  Geschmack  vertreten,  und  unter  den  Abhand- 
lungen über  Magie,  Medizin  usw.  befinden  sich  direkte  Unterweisungen  im 
Laster.  — 

Guesdon  hat  zur  Drucklegung  der  Khmer-Texte  bewegliche  Typen  er- 
funden. Vor  ihm  wurde  alles  geschrieben,  und  zwar  seit  Einführung  unseres 
Schreibmaterials  mit  europäischen  Federn  und  Tinte  auf  Papier;  vor  dieser 
Zeit  mit  einer  Art  Füllfeder,  die  aus  einem  mit  chinesischer  Tinte  gefüllten 
Metallröhrchen  bestand,  und  in  noch  früherer  Zeit  gravierte  man  mit  Sticheln 
in  die  Blätter  der  Fächerpalme.  Zehn-  und  zwölfbändige  Gedichte  sind  auf 
diese  Weise  hergestellt  worden,  von  denen  jeder  Band  allerdings  nur  25 — 30 
Blätter,  auf  beiden  Seiten  graviert,  enthält.  Im  Durchschnitt  brachte  man 
täglich  8  Seiten  zustande.  Der  vom  Stichel  vorgezeichneten  Schrift  wurde 
niii  Tinte  nachgeholfen.  -  Mitteilungen  über  aligemeine  Bildung  liegen  mir 
nicht   vor. 

Auch  bei  den  halbzivilisierten  Thai  oder  Siamesen  sind  es  vor  allem 
die  Söhne  der  Vornehmeren,  welche  Lesen  und  Schreiben  lernen.  Lehrer  ist 
der  Nächstbeste,  der  selbst  Lesen  und  Schreiben  kann.  Als  Unterricbtslokal 
dient  jede  Feuerstätte,  um  welche  sich  die  Schüler  nach  dem  Abendessen 
versammeln.  Als  einzige  Produkte  der  Thai-Literatur  nennt  B'ourUt  fabel- 
hafte Romane.  Um  diese  und  die  Verordnungen  der  Häuptlinge  lesen  zu 
können,  leinen  die  Knaben  und  Jünglinge.  Die  ärmere  Bevölkerung  kümmert 
sich  wenig  darum,  ob  ihre  Söhne  lesen  und  schreiben  lernen.  Das  helfe  ihnen 
ja  weder  beim  Roden,  noch  beim  Reisbau,  noch  in  der  Handhabung  der  Armbrust. 

Ebensowenig  Schulunterrichl  läßt  man  den  Mädchen  zukommen.  Das 
einzige,  was  man   ihnen   in   dieser  Hinsicht  beibringt,  sind  Lieder  mit  haupt- 


')   Siehe  deren  Titel   im   „Antliropos"   1.  91  f. 
-\i  „gräce". 


§  305.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Ural-Altaien. 


507 


sächlich  erotischem  Inhalt,  welche  sie  später  bei  festlichen  Gelegenheiten  mit 
den  Jünglingen  um  die  Wette  zu  singen  haben.  — 

§  303.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Ural-Altaien. 

Nirgends  in  der  Welt  dürften  Priester-  und  Ordensstand  einen  so  großer. 
Teil  des  männlichen  Geschlechts  absorbieren  wie  in  der  Mongolei  und  in 
Tibet.  Hier  bestimmten  um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  die  meisten 
Familien  ihre  Söhne,  nur  den  Erstgebornen  ausgenommen,  für  den  Lamastand, 
so  daß  dieser  ein  Drittel  der 
ganzen  Bevölkerung  aus- 
machte. Ferner  holten  sich 
auch  die  Weltleute  männlichen 
Geschlechts  ihre  Schulbildung 
meist  aus  den  Lamaklöstern. 
Wer  etwas  lernen  wollte,  ging 


in  der  Regel  in  ein  Kloster: 


&&* 


**&* 


nur  ein  Teil  der  Reichen 
hielten  für  ihre  Kinder  Haus- 
lehrer. Die  durchschnittliche 
Schulbildung  stand  aber 
keineswegs  hoch,  sondern  man 
begnügte  sich,  wenn  die  Kna- 
ben lesen  und  schreiben  lernten. 
Die  Mädchen  brauchten  auch 
das  nicht  zu  können  (Huc  uud 
Gäbet). 

Eine  Jugendschule  für 
beide  Geschlechter  in 
Samarkand,  Turkestan, 
sehen  wir  auf  Abb.  414.  Auf 
sie  dürfte  passen,  was  Forsyth ') 
über  die  Schule  in  Jarkent 
bemerkte,  welche  er  auf  seiner 
Gesandtschaftsreise  nach  Tur- 
kestan besuchte,  und  was 
E.  Schlag intweit  im  „Globus" 
1 8 7 7  -)  über  ost-turkestanische 
Schulen  überhaupt  schrieb.  Die 
von  Forsyth  besichtigte  Schule 
war    ein    kleines    Lehmhaus. 

Im  Innern  standen  in  einem  20  Fuß  langen  Raum  zwei  Reihen  Bänke  (wohl 
treppenförmig)  übereinander,  den  Mauern  entlang.  Auf  diesen  Bänken  hockten 
zirka  20  Kinder  und  lernten  eine  Stelle  aus  dem  Koran  auswendig.  Alle 
repetierten  ihre  Lektion  gleichzeitig,  was  einen  ziemlichen  Lärm  verursacht 
habe.  —  Nach  Schlagintweit  schicken  die  Ost-Turkestaner  ihre  Kinder  im 
Alter  von  8  —  10  Jahren  in  die  Schule,  ein  niedriges,  schlecht  gelüftetes  Erd- 
geschoß in  einer  belebten  Straße,  wo  die  Knaben  auf  der  einen,  die  Mädchen 
auf  der  anderen  Seite,  auf  treppenförmig  sich,  erhebenden  Tritten,  kauern. 
Man  lehrt  den  Kindern  lesen  und  schreiben;  den  größten  Teil  der  Zeit  nimmt 
das  Einüben  der  Gebete  in  Anspruch.  Der  Lärm  dabei  ist  unglaublich  groß. 
Die  Schulen  sind  Privatunternehmungen,  doch  üben  Geistliche  und  Beamte  auf 


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Fig.   413. 


Ein  Thai-Knabe.    Nach  A.  Bourlets   „Les  Thay"   im 
„Anthropos"  II,  369. 


1)  Bei  Ploß  IT,  359. 

2)  Bd.   17,  S.  Ü65.     Bei  Ploß,  ebenda. 


508 


Kapitel  XL  VI.     Das  Kind  und  das  SeLuhvesen. 


die  Eltern  einen  Druck  aus,  damit  jeder  lesen  und  schreiben  lerne.  Höhere 
Lehranstalten,  Medresen1),  finden  sich  mehrere  in  jeder  größeren  Stadt; 
auch  hier  wird  das  Hauptgewicht  auf  die  Religion  gelegt.  — 

Als  Lehrgegenstände  der  Medresen  in  Kaschgar  führte  Papier  im  Jahre 
1877  Medizin,  Jurisprudenz.  Theologie,  Geschichte  und  Poesie  an,  was  zunächst 
den  Anschein  erweckt,  als  hätte  man  es  mit  einer  Universität  zu  tun.  Aber 
Papier2)  fügte  hinzu,  daß  die  dortigen  Studenten  im  Lebensalter  von  14  bis 
16  stehen,  weshalb  man  kaum  annehmen  kann,  daß  sie  bei  ihrem  Abgang 
„einen  Fonds  mannigfacher  und  solider  Kenntnisse"  nach  unsern  Begriffen 
besitzen. 

Die  Vorbereitung  zu  dieser  höheren  Schule  findet  das  Kind  in  der 
Elementarschule  (mekhtebe),  wohin  es  mit  8  Jahren  kommt.    Formeller  Schul- 


Fig.  414.    Eine  „Jugendsohnle*  in  Samarkand,  Tnrkestan. 

M  ü  liehen. 


Schwärt  phot.     K.   Ethnograph.    Museum    in 


zwang  bestehe  nicht,  doch  werde  auch  hier  die  Bevölkerung  aller  Klassen 
von  der  öffentlichen  Meinung  gedrängt,  ihre  Kinder  in  die  Elementarschule 
zu  schicken. 

Außerhalb  der  großen  Städte  wird  es  mit  dem  Schulunterricht  wohl 
weniger  gut  stehen;  denn  JaworsM  schreibt:  Bei  den  Turkmenen  ist  die 
Kenntnis  des  Lesens  und  Schreibens  wenig  verbreitet;  Schulen  bestehen  eist 
in  wenigen  turkmenischen  Orten.  Gemeinsame  Schulen  für  die  russische 
und  turkmenische  Jugend  hat  die  russische  Regierung  in  der  -2.  Hälfte 
des  19.  Jahrhunderts  eröffnet. 

Nicht  viel  besser  als  bei  den  asiatischen  Turkmenen  stand  es  mit  der 
Schulbildung  der  europäischen  Türken  noch  um  das  Jahr  1877.  Die  Er- 
ziehung   der   Kinder    im  Harem,    bzw.   deren   Charakterbildung   habe    ich   in 

''    V.ns  dem   Hebräischen  „Midräsch". 
*)  Bei  Ploß,  ebenda. 


§  305.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Ural-Altaien.  509 

Kapitel  XLIV  gestreift;  die  Schulbildung-  skizzierte  Ploß*)  nach  „einem  Osmanen" 
wie  folgt: 

„In  den  Elementarschulen  lernen  die  türkischen  Knaben  etwas  lesen 
und  schreiben,  außerdem  den  Koran  und  die  nötigen  Gebetsformeln,  jedoch  nur 
mechanisch,  ohne  den  Sinn  der  arabischen  Worte  zu  kennen;  höchstens  kommt 
dazu  noch  etwas  Rechnen,  jedoch  nicht  weiter  als  bis  zur  Kenntnis  der  vier 
Spezies,  die  sich  indes  bald  mit  den  übrigen  notdürftigen  Kenntnissen  wieder 
verliert.  In  den  Rüschdie-Schulen,  d.  h.  höheren  Bürgerschulen,  die  erst 
unter  Sultan  Abdul  Medschid  gestiftet  wurden,  wird  noch  etwas  Geographie 
und  Geschichte  gelehrt,  aber  das  Niveau  dieser  Schulen  reicht  noch  nicht 
einmal  an  dasjenige  unserer  Dorfschulen.  Für  die  moralische  Erziehung  des 
Kindes  geschieht  sehr  wenig,  für  die  physische  gar  nichts.  Reichere  Türken, 
von  der  Unzulänglichkeit  dieser  Schulen  überzeugt,  halten  ihren  Kindern  Haus- 
lehrer, meist  irgend  einen  Chodscha  aus  irgend  einer  Medrese,  der  seine 
Zöglinge  mit  Ach  und  Krach  nach  5 — 6  Jahren  dahin  bringt,  daß  sie  leidlich 
lesen  und  schreiben  können,  auch  etwas  arabisch  und  persisch  verstehen,  im 
übrigen  aber  sie  in  ihrem  Rassenhochmut  nur  noch  weiter  bestärkt;  es  kommt 
auch  zuweilen  vor,  daß  der  Chodscha  sich  widersetzt,  wenn  der  Vater  für  den 
Unterricht  seiner  Kinder  in  fremden  Sprachen,  Geschichte,  Mathematik,  Zeichnen, 
Musik  und  ähnlichen  Lehrgegenständen  noch  europäische  Lehrer  engagieren 
will."  - 

Artikel  114  der  im  Jahre  1877  verkündeten  Konstitution  setzte  Schul- 
zwang fest,  doch  scheint  dieser  zunächst  nur  auf  dem  Papier  bestanden  zu 
haben.  —  Die  Jung-Türken  dürften  damit  Ernst  machen. 

Über  den  Schulunterricht  beiden  muselmanischen  Tataren  und  Basch- 
kiren im  russischen  Gouvernement  Perm  berichtet  Peter  von  Stenin:  Im 
Jahre  1898  kam  auf  je  1000  Seelen  eine  Schule,  und  von  den  schulpflichtigen 
Knaben  genossen  79,  von  den  Mädchen  51  Prozent  den  Unterricht,  während 
unter  den  Russen  eine  Schule  nur  auf  je  4398  Seelen  kam,  und  von  den 
schulpflichtigen  Knaben  nur  36,  von  den  Mädchen  nur  9  Prozent  unterrichtet 
wurden.  Die  moslemische  Geistlichkeit  nimmt  sich  mit  großem  Eifer  des 
Unterrichtes  an.  Die  Schulen  sondern  sich  in  Elementar-  und  Mittelschulen 
ab.  Jene  (mekhtebe,  auf  baschkirisch  „muchtobi"  genannt)  besuchen  die  Kinder 
5 — H  Jahre,  worauf  sie  in  die  Mittelschulen  (medresen,  auf  baschkirisch  „mitrosi") 
aufrücken,  welche  gute  Kenntnisse  im  Lesen,  Schreiben  und  in  der  Religion, 
sowie  einige  Kenntnisse  im  Arabischen  und  Persischen  bezwecken.  Mädchen 
werden  unter  acht  Jahren  in  keiner  Schule  aufgenommen,  während  Knaben 
schon  mit  sechs  Jahren  kommen  können.  —  Die  tägliche  Unterrichtszeit 
schwankt  zwischen  3  und  8  Stunden.  Ausschließung  aus  der  Schule  kommt 
nicht  vor,  da  man  von  einer  solchen  Maßregelung  nur  Schlimmes  erwartet. 
..Wenn  wir  einen  Schüler  aus  der  Schule  entfernen,  haben  wir  ihm  nicht 
genügend  beigebracht,  und  mit  ihm  wird  es  noch  schlimmer  gehen,"  habe  ein 
Moliah  gesagt. 

In  Astrachan  gibt  es  für  Tataren,  Kalmücken  und  Armenier 
eigene  Schulen.  Hier  hat  nach  Alfred  Christoph  die  russische  Regierung 
für  das  Unterrichtswesen  in  anerkennenswertester  Weise  gesorgt,  indem  sie 
Elementarschulen  mit  russischer  Unterrichtssprache,  sowie  Gymnasien,  eine 
Realschule,  eine  Seemannsschule  und  ein  theologisches  Seminar,  gleichfalls  mit 
russischer  Unterrichtssprache,  unterhält. 

Im  südlichen  Sibirien  fand  Finsch  in  der  früheren  russischen  Grenz- 
feste Ust-Kamenogorsk,  Alatai,  eine  Schule  mit  20  lerneifrigen  Kirgisen- 
Knaben.  —  In  der  Regel  freilich  beschränkt  sich  der  Unterricht  der  Kirgisen- 


')  Ebenda,  355  f. 


510  Kapitel  XL  VI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

Kinder  auf  die  Einführung:  in  Körperliche  Arbeiten  in-  und  außerhalb  der 
Jurte  {Brehm).  Die  genannte  Schule  bezog  Finsch  auf  russischen  Einfluß 
zurück,  dem  auch  die  Landwirtschaftsschulen  für  Kirgisen  in  den  Kreisstädten 
zu  verdanken  sind.  Mollahs,  d.  h.  muselmanische  Geistliche,  die  sich  mit  dem 
Unterricht  der  Knaben  beschäftigen,  gibt  es  nur  in  wenigen  Amtsbezirken. 
Organisierte  Schulen  fehlen  den  Kirgisen  der  Steppe  ganz.  —  Zum  Besuch 
der  obigen  Landwirtsehaftsschulen  wählt  man  Knaben  aus,  deren  Eltern  merk- 
würdigerweise von  der  Gemeinde  entschädigt  werden. 

Eine  vortreffliche  Wirkung  soll  die  Errichtung  von  Schulen  seitens  der 
russischen  Regierung  bei  den  Tscheremissen  gehabt  haben.  Im  „Globus", 
Hand  ")2  (S.  47),  heißt  es:  Seit  1878  bestehen  junge  Tscheremissen  Prüfungen, 
um  bei  Leistung  ihrer  Wehrpflicht  gewisse  Vorteile  zu  erzielen.  In  neuerer 
Zeit  bauen  die  Tscheremissen  Schulen  auch  auf  eigene  Kosten.  Im  Dorfe 
Xishne  Potam  ist  jetzt   kein   Knabe   mehr,   der   nicht   die  Schule   besucht. 

Schulen  eröffnete  die  russische  Regierung  ferner  den  transbaikalischen 
Burjäten,  deren  Kinder  sich  hier  durch  Intelligenz,  Aufmerksamkeit  und 
Wißbegierde  auszeichnen  (M.  A.  Krols). 

Das  klassische  Progymnasium  in  Irkutsk  wird  nicht  nur  von  russischen 
Schülern,  sondern  auch  von  Jakuten-Knaben  besucht,  und  zwar  zu  dem  Zwecke 
weiterer  Ausbildung  im  Irkutsker  Gymnasium  (Friedrich  Müller). 

Hingegen  lernte  De  Dobbeler  unter  den  Samojeden  nur  zwei  kennen, 
die  russisch  lesen  und  schreiben  konnten.  Leute  mit  Schulbildung  waren 
Ende  des  19.  Jahrhunderts  noch  seltene  Ausnahmen. 

BemerKenswert  ist  die  Erbitterung,  welche  Castren  bei  den  OstjaKen 
im  oberen  LumpokolsK,  einem  Dorf  am  Ob,  gegen  den  von  den  Russen  ein- 
geführten Schulunterricht  fand.  Die  Leute  begründeten  ihre  Erbitterung,  unter 
anderem,  mit  der  Befürchtung,  ein  buch-  und  schreibKundiger  Mann  bleibe 
nicht  bei  der  Lebensweise  seiner  Väter;  folglich  entreiße  die  Schule  den  Eltern 
die  Stütze  des  Alters.  Auch  lehre  die  Erfahrung,  daß  russisch  erzogene 
K nahen  Feinde  ihres  eigenen  Volkes  und  nicht  selten  liederlich  werden.  — 
Der  Ostjake  Jorl-n  Mamrun  äußerte  sich  Finsch  gegenüber,  er  diene  ohne 
Lesen  und  Schreiben  treu  dem  großen  Kaiser,  und  er  wolle  seine  Kinder 
ebenso  erziehen.  — 

S  306.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Indianern. 

Bekanntlich  fanden  die  Spanier  bei  den  Maya-  und  Nahua-Völkern  von 
Zentralamerika  ein  verhältnismäßig  hoch  entwickeltes  Unterrichtswesen  vor. 
Die  Mexikaner  (Nahua)  hatten  Volks-  und  Adelsschulen  (teipochcalli  und 
calmecac).  In  jedem  Stadtviertel  von  Mexiko  war  nach  Bancrofl  ein 
teipochcalli,  also  eine  Volksschule,  wohin  die  Eltern  ihre  Kinder  bereits  mit 
4—5  Jahren  zu  schicken  hatten.  Der  „telpochtlato"  (Meister  der  Jagend) 
lehrte  sie  da  das  Heiligtum  kehren,  das  hl.  Feuer  unterhalten,  das  Schulhaus 
reinigen,  je  nach  ihrem  Alter  mehr  oder  weniger  strenge  Buße  tun  und  aus 
dem  Walde  Holz  für  den  Tempel  holen. 

Die  Kimler  schliefen  auch  im  teipochcalli,  nahmen  aber  ihre  Mahlzeiten 
zu  Hause  bei  den  Eltern  ein.  Mit  anbrechender  Nacht  versammelten  sie  sich 
im  cuicacalco  oder  ..Haus  des  Gesanges",  wo  sie  in  Tanz  und  Gesang,  sowie 
im  Gebrauch  der  Waffen  unterrichtet  wurden.  Allerdings  soll  dieses 
„Haus  des  Gesanges"  zugleich  dei  Schauplatz  von  Ausschweifungen  gewesen 
-'■in.   — 

.Mit  15  oder  lt>  Jahren  wurden  die  Knaben  dem  teipochcalli  entnommen 
und  in  einem  Handwerk,  oder  überhaupt  für  ihren  späteren  Beruf,  unterrichtet. 


§  306.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Indianern.  511 

Eine  intellektuelle  Bildung  im  engeren  Sinn  ist  aus  den  hier 
genannten  Unterrichtsfächern  freilich  nicht  herauszufinden.  Diese  scheint  für 
die  Söhne  des  Adels,  bzw.  für  die  Priesterkandidaten  vorbehalten  gewesen  zu 
sein;  denn  Bancroft  schreibt: 

Die  Söhne  des  Adels  und  jene  Knaben,  welche  zum  Priesterstand  bestimmt 
waren,  standen  im  „calmecac"  unter  priesterlicher  Aufsicht  und  wurden  in 
all  den  Fächern  der  Volksschulen  unterwiesen,  wenn  sie  auch  weniger 
körperliche  Arbeit  zu  leisten  hatten.  Zu  jenem  Unterricht  gesellte  sich 
bei  ihnen  Geschichte,  Philosophie,  Rechtswissenschaft.  Astronomie, 
Astrologie  und  Religion.  Auch  mußten  sie  Heldengesänge  und  heilige 
Hymnen  auswendig  lernen  und  die  Hieroglyphen  lesen  und  schreiben 
lernen.  —  Man  ermahnte  sie  zur  Keuschheit1)  und  zu  andern  Tugenden.  — 
Ausgänge  waren  nur  in  Begleitung  eines  Vorgesetzten  gestattet;  die  Speisen, 
welche  ihnen  ihre  Eltern  brachten,  mußten  sie  im  Seminar  einnehmen,  das  sie 
endgültig  erst  verlassen  durften,  wenn  sie  sich  mit  der  Erlaubnis  ihrer  Väter 
verheirateten,  oder  in  den  Krieg  zogen.  Wer  militärisches  Talent  zeigte, 
wurde  in  der  Gymnastik  und  im  Gebrauch  der  Waffen  unterrichtet.  Mut, 
Kraft  und  Ausdauer  wurden  harten  Proben  unterstellt,  und  früh  schon  führte 
man  die  Knaben  in  die  Strapazen  des  Lagerlebens  ein.  Sie  hatten  den 
Soldaten  Proviant  zu  bringen,  wobei  sie  scharf  beobachtet  wurden,  ob  sie 
auch  Mut  entfalteten.  War  das  der  Fall,  so  folgte  entsprechende  Beförderung 
und  Belohnung'1). 

In  Tezcuco  war  zur  Zeit  des  Königs  Nezahualcoyotl  an  der  Westseite 
des  Tempels  das  tlacoteo.  ein  Seminar  für  die  Kinder  des  Königs,  dessen 
Räume  nach  den  Geschlechtern  abgeteilt  waren.  Die  Söhne  wurden  in  allen 
damals  bekannten  Wissenschaften 3)  und  Künsten,  das  Bearbeiten  kostbarer 
Steine  nicht  ausgenommen,  sowie  im  Gebrauch  der  Waffen  unterrichtet,  und 
auch  die  Töchter  erhielten  eine  ihrem  Stande  entsprechende  Erziehung. 

In  diesem  tlacoteo  versammelte  der  König  alle  achtzig  Tage  seine  Ver- 
wandten und  Kinder  mit  deren  Lehrern  und  Aufsehern,  um  unparteiisch  Lob 
und  Tadel  auszuteilen.  Die  bei  solchen  Gelegenheiten  gehaltenen  Reden  sollen 
regelmäßig  Muster  von  Beredtsamkeit  und  auch  inhaltlich  derart  gewesen  sein, 
daß  sie  die  Zuhörer  zu  Tränen  gerührt  hätten. 

Ähnliche  Seminarien  bestanden  nach  Bancroft  für  die  Töchter  auch  des 
Adels,  bzw.  der  vornehmen  Kreise.  Er  beschreibt  sie  als  große,  mit  den 
Tempeln  verbundene  Gebäude,  in  denen  Matronen  und  Priesterinnen,  welche 
selbst  im  Tempel  erzogen  worden  waren,  sorgfältig  ihres  erzieherischen  Amtes 
walteten.  Um  jedem  Verkehr  mit  dem  andern  Geschlechte  zuvorzukommen, 
wurde  das  Seminar  außerhalb  Tag  und  Nacht  von  Greisen  bewacht.  Innerhalb 
durften  die  Mädchen  nicht  einmal  ihre  Gemächer  ohne  Begleitung  verlassen, 
und  ein  Verstoß  gegen  diese  Vorschrift  wurde  damit  bestraft,  daß  man  ihnen 
die  Füße  mit  Dornen  blutig  stach.  Gingen  sie  aus,  so  konnte  das  nur  gemein- 
sam und  in  Begleitung  von  Matronen  geschehen.  Auf  dem  Wege  durften  sie 
ihre  Augen  nicht  aufschlagen  und  niemandem  eine  Aufmerksamkeit  schenken, 
wenn  sie  sich  nicht  strenge  Strafen  zuziehen  wollten.  Sie  standen  bei  Tages- 
anbruch auf  und  schliefen  nachts  in  großen  Zimmern,  von  Matronen  strenge 
überwacht.  Waren  sie  bei  ihren  Arbeiten  lässig,  oder  in  ihrem  Benehmen 
roh,  so  folgte  abermals  Strafe.  Man  leitete  sie  zu  ehrfurchtsvollem  und  be- 
scheidenem Betragen  und  Reden,  hauptsächlich  gegenüber  älteren  Leuten,  an 
und  erzog  sie  zur  Reinlichkeit,  indem  man  ihnen  häufige  Bäder  verordnete. 


J)  Vgl.  das  „Haus  des  Gesanges",  S.  510,  sowie  „Kind  und  Keuschheit"  in  Kap.  XLVII. 

2)  Vgl.  „Charakterbildung"  in  §  295,  sowie  Gymnastik  usw.  in  §  300. 

3)  Diese  deckten  sich  wohl  mit  den  schon  aufgezählten  Lehrgegenständen  des  übrigen  Adels, 


g]^  Kapitel  XLVI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

Was  ihre  sonstige  Beschäftigung  betrifft,  so  mußten  sie  die  von  ihnen  benutzte 
Umgebung  des  Tempels  sauber  halten  und  nach  dem  hl.  Feuer  sehen,  spinnen, 
Mäntel  weben  und  Federarbeiten  machen,  welche  bekanntlich  von  hoher  kunst- 
gewerblicher Bedeutung  waren.  Endlich  führte  man  sie  theoretisch  und 
praktisch  in  ihre  Religion  ein.  Zu  letzterem  gehörte  das  Blutentziehen ').  - 
Die  Mädchen  verließen  das  Seminar  endgültig  zum  Zweck  ihrer  Verheiratung. 

Die  Jugendbildung  der  Maya- Völker  trug  einen  ähnlichen  Charakter 
wie  bei  den  Nahua.  In  Yukatan  allerdings  kam  Schulbildung  nur  den  Kindern 
des  Adels  zu;  die  Kinder  des  gewöhnlichen  Volkes  wurden  von  den  eigenen 
Eltern  zu  einem  Beruf  herangebildet. 

Als  Lehrgegenstände  in  den  Adelsschulen  zählte  Bancroft  auf:  Einführung 
in  die  Geheimnisse  und  Riten  der  Religion,  Bilderschrift,  Musik,  Dichtkunst, 
Astrologie,  Astronomie,  Medizin,  Geschichte,  Moral,  Rechts-  und  Kriegswissen- 
schaft, sowie  in  die  Kunst  zu  prophezeien  und  wahrzusagen,  d.  h.  in  alle,  den 
Maya- Völkern  bekannte  Wissensgebiete'2).  — 

In  Guatemala,  wie  überhaupt  bei  den  übrigen  Maya-Völkern,  scheinen 
-die  Kinder  auch  des  gewöhnlichen  Volkes  von  den  Priestern  erzogen  worden 
zu  sein,  denen  sie  dafür  gewisse  Dienste  leisteten.  Nach  Bancroft  waren  in 
jeder  Hauptstadt  Schulen,  von  denen  die  hervorragendste  über  ein  Lehrer- 
kollegium von  70  Köpfen  verfügte  und  5000—6000  Zöglinge  hatte,  welche 
auf  Kosten  des  Königs  unterhalten  und  erzogen  wurden. 

Den  Mädchen  gab  man,  wie  in  Mexiko,  eine  strenge  klösterliche  Er- 
ziehung, die  mit  acht  Jahren  begann  und  mit  der  Verheiratung  abschloß 
■{Bancroft). 

Hochachtung  vor  dem  Alter,  Ehrfurcht  vor  den  Eltern  und  den  Göttern 
gehörte  zum  Erziehungsideal  bei  hoch  und  nieder.  Im  Waffen-  und  Kriegs- 
spiele übte  sich  die  Maya-Jugend  so  gut  wie  die  Jugend  der  Nahua.  - 

Nach  der  Einnahme  Mexikos  durch  die  Spanier  verordnete  Cortcz  unter 
Androhung  strenger  Strafen,  daß  die  Vornehmen  des  Landes  ihre  Söhne  in 
die  spanischen  Ordensschulen  zu  schicken  hätten,  wozu  die  Vornehmen  aber 
keine  Lust  hatten;  doch  wagten  sie  keinen  offenen  Widerstand,  sondern  griffen 
zu  der  List,  statt  ihrer  eigenen  Söhne,  die  Söhne  ihrer  Vasallen  oder  Diener 
zu  schicken.  Das  rächte  sich;  denn  diese  mit  den  erforderlichen  Schnl- 
kenntnissen  ausgestattete  Jugend  rückte  später  in  hervorragende  Staatsämter  ein. 
wodurch  das  bisherige  Ansehen  der  Vornehmen  verdunkelt  wurde  (Torquemada). 

Was  die  Jugendbildung  bei  den  Inka-Peruanern  betrifft,  so  schrieb 
Floß8):  Die  Erziehung  war  dem  Vater  überlassen,  in  dessen  Gewalt  und 
Dienstbarkeit   die  Kinder  nach   Garcilasso  bis  zum   25.   Lebensjahr   standen; 

')  Vgl.  die  Blutentziehungen  in  Kap.  XLVIII.  —  Es  möge  hier  auch  angeführt 
werden,  was  Floß  über  die  altmexikanische  Erziehung  und  Schulbildung  in  der  2.  Auflage, 
II,  346  schrieb:  „Das  Kind  blieb  bis  zum  6.  oder  7.  Jahre  im  Hause  der  Mutter;  dann  erhielt 
«s  einen  oder  mehrere,  mit  Sorgfalt  gewählte,  Gesellschafter;  im  10.  Jahre  übergab  man  es  den 
Priestern  zur  Erziehung  im  Tempel.  Dies  geschah  nach  Gomara  schon  im  5.,  nach  Corte«  im 
7.-8.,  nach  anderen  im  15.  Lebensjahre.  Toriiuetiuutn  gibt  an,  daß  vom  6.-9. Jahre  alle  Kinder 
zum  Unterrichf  in  den  Tempel  geschickt  wurden.  Die  Zöglinge  dieser  Schulen  wurden  äußerst 
streng  gehalten,  durften  den  Tempel  nicht  verlassen,  mußten  fasten,  beten,  sich  an  harte  Arbeit 
ge*  öhnen,  überhaupt  asketisch  leben.  Der  Unterricht  in  diesen  Tempelschulen  umfaßte  geistliche 
und  weltliche  Gegenstände.  Auch  die  Mädchen  erhielten  eine  ähnliche  klösterliche  Erziehung 
im  Tempel  und  mußten  dazu  schon  am  40.  Tage  nach  der  Geburt  dem  Priester  angemeldet  werden. 
Sie  mußten  im  Tempel  ein  streng  religiiises  Leben  führen  und  wurden  erst  mit  ihrer  Ver- 
heiratung entlassen.  Außer  jenen  Klosterschulen  gab  es  Militärschulen,  in  welchen  die  künf- 
tigen Krieger  herangebildet  'wurden,  so  daß  der  junge  Mann  von  Stande  bei  den  Alt-Mexi- 
kanern, wie  Waitz  sagt,  eine  gelehrte  oder  eine  militärische  Krziehung  erhielt."  — 
i   Vgl.  die  Inka-Peruaner. 

')  II.  845. 


§  306.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Indianern.  513 

doch  war  er  für  sie  verantwortlich.  Für  ihre  Abhärtung  gegen  Kälte  und 
Ermüdung  wurde  Sorge  getragen.  Im  16.  Lebensjahre  wurden  die  Jünglinge 
der  Adelsgeschlechter  auf  ihre  körperliche  Geschicklichkeit  geprüft.  Die 
Kinder  der  Vornehmen  erhielten  in  den  vom  Inka  gestifteten  öffentlichen 
Schulen  Unterricht  in  der  Geschichte.  Religion  und  im  Rechtswesen,  den 
einige  Mitglieder  der  Inka-Familie  als  Lehrer  selbst  erteilten. 

Diese  Andeutung  bei  Ploß  läßt  sich  ergänzen  durch  den  Überblick, 
welchen  Frau;  Sundstral  über  den  Stand  der  Wissenschaft  der  Inka-Peruaner 
gibt: 

Die  Gelehrten  (Amautas)  und  Dichter  (Aravecus)  bildeten  die  geistige 
Elite  des  Landes.  Jene  beschäftigten  sich  mit  Astronomie,  Geometrie,  Arith- 
metik, Medizin  und  Schauspieldichtung;  die  Dichter  mit  der  gesamten  übrigen 
Poesie.     Eine  Schrift  besaßen  die  Inka-Peruaner  nicht1)- 

Welche  Grade  von  diesen  Wissenszweigen  bereits  in  der  Jugendzeit 
erklommen  wurden,  ist  wohl  kaum  festzustellen.  Sehr  hoch  stiegen  die 
Gelehrten  selbst  nicht:  Die  astronomischen  Kenntnisse  beschränkten  sich  auf 
eine  mangelhafte  Kenntnis  der  mit  dem  bloßen  Auge  wahrnehmbaren  Himmels- 
körper. Schon  ihr  Entsetzen  bei  jeder  Sonnenfinsternis  und  ihre  Auffassung 
der  letzteren  überhaupt  beweisen  eine  niedere  Stufe  ihrer  astronomischen 
Kenntnisse.  Das  gleiche  gilt  für  die  Kometen.  Immerhin  hatte  die  Haupt- 
stadt Cuzco  sechzehn  Türme  zu  astronomischen  Beobachtungen.  —  Die  Arznei- 
knnde  stand  nicht  höher  als  bei  den  meisten  der  jetzt  lebenden  sog.  Natur- 
völker. —  Ähnlich  sah  es  mit  der  Geometrie  aus.  Man  benutzte  zum  Aus- 
messen und  Abstecken  der  Bauplätze  und  Ländereien  Stäbe  und  Kieselsteine. 
Hingegen  leisteten  die  Inka-Peruaner  Erstaunliches  in  der  Arithmetik,  wenn 
man  mit  diesem  Wort  ihr  Quipu-  oder  Knotenschnüren -System  richtig 
bezeichnet,  nach  welchem  sie  alle  ihre  Einnahmen  und  Ausgaben  regelten, 
Volkszählungen  vornahmen,  Geburts-  und  Sterbetabellen  führten,  geschichtliche 
Ereignisse,  Gesetze,  Gewohnheiten  festlegten  und  der  Nachwelt  überlieferten, 
so  daß  es  ihnen  eine  Schrift  ersetzte.  AVer  in  diesem  System  ungenügend 
bewandert  war,  galt  für  unwissend,  wie  Sundstral  schreibt,  woraus 
geschlossen  werden  kann,  daß  in  diesem  Sinn  allgemeine  Bildung  im  alten 
Peru  ebenso  gefordert  wurde  wie  in  unseren  heutigen  Kulturstaaten,  deren 
Analphabeten  zu  jenen  „Unwissenden"  ein  Analogon  bilden.  Unterricht  in 
den  Schulen  im  Anlegen  und  Handhaben  der  Knotensclmüre  war  also  wohl 
selbstverständlich,  zumal  jede  Familie  ihre  eigenen  Knotensclmüre,  z.  B.  als 
Geburts-  und  Sterbetabellen,  genau  anlegte  und  sorgfältig  aufbewahrte. 

Es  gab  aber  auch  zahlreiche  Fachleute  in  dieser  Kunst,  welche  eine 
Beamtenklasse,  die  „Quipucamayir',  ausmachten.  Je  nach  der  Seelenzahl 
hatte  ein  Ort  4 — 3U  solcher  Beamten,  damit  strenge  Kontrolle  geführt  werden 
konnte.  Heranbildung  zu  diesen  Ämtern  von  .lugend  auf  war  also  auch 
notwendig. 

In  hoher  Blüte  stand  die  Schauspielkunst,  welche  im  alten  Peru  nicht, 
wie  bei  so  vielen  andern  Völkern,  von  Repräsentanten  der  niedersten  Volks- 
klassen, sondern  von  den  Aristokraten  und  hohen  Beamten,  vielfach  von  den 
Söhnen  der  Curacas,  gepflegt  und  ausgeübt  wurde. 

An  Impulsen  zu  intellektueller  Jugendbildung  fehlte  es  also  unter  den 
Inkas  nicht2). 

Klösterliche  Abgeschlossenheit  vornehmer  Töchter  finden  wir  im 
alten  Peru  so  gut  wie  im  alten  Mexiko.     Vielleicht   gibt  jene  den  Schlüssel 


')  Sie  war  durch  ihre  eigenartige   Arithmetik  vertreten.      Vgl    diese  w    u. 
2)   Bekannt   ist    auch   die    damalige    Baukunst   in   Peru;    hingegen    stand    die  Musik  auf 
primitiver  Stufe. 

Ploß-Renz.  Das  Kind.     3.  Aufl.     Band  II.  33 


514  Kapitel  XLVI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

zu  dieser.  In  Peru  war  es  eine  gewisse  Anzahl  von  Juugfrauen  königlichen 
Blutes,  welche  in  dieser  Abgeschlossenheit  lebenslänglich  und  jungfräulich 
bleiben  mußte.  Die  Überlieferung  der  Peruaner  führte  diese  Einrichtung  auf 
den  ersten  Inka  zurück,  den  eine  Sage  einen  Sohn  der  Sonne  nennt,  welchen 
diese,  als  Mann  gedacht,  mit  dem  als  Weib  aufgefaßten  Mond  gezeugt  und 
mit  seiner  Schwester  und  Gattin  auf  die  Erde  gesandt  habe.  Der  Sonne  zu 
Ehren  sollen  jene  Mädchen  lebenslänglich  keusch  bleiben  (Sundstral). 

Ähnliche  Erscheinungen,  d.  h.  Keuschheit  zu  Ehren  der  apotheo- 
sierten  Fruchtbarkeit,  sind  in  der  Religionsgeschichte  der  Menschen  nicht 
selten. 

Außerhalb  der  bisher  behandelten  alten  Kulturvölker  finden  wir  unter 
den  Indianern  keine,  aus  ihrer  eigenen  Kultur  entwickelten.  Schulen.  Hingegen 
steht  ein  großer  Teil  seit  längerer  oder  kürzerer  Zeit  unter  dem  Einfluß  des 
Unterrichtswesens  ihrer  Besieger. 

Im  Jahre  179-1  schloß  in  Nordamerika  der  Kontinentalkongreß 
mit  den  Oneida-,  Tuscarora-  und  Stockbridge-Indianern  eiuen  Vertrag 
ab,  demzufolge  die  Söhne  dieser  Völker  zu  Müllern  und  Sägern  herangebildet 
werden  sollten.  —  Ein  Vertrag  vom  Jahre  1803  verpflichtete  die  Vereinigten 
Staaten  auf  zehn  Jahre  hinaus  zu  einem  Jahresbeitrag  von  100  Dollars  zum 
Unterhalt  eiues  Missionars,  bzw.  der  von  ihm  geleiteten  Elementarschule,  für 
Indianerkinder. —  Im  Jahre  1819  gewährten  die  Vereinigten  Staaten  10000  Dollars. 
welche  teils  zu  Schulzwecken,  teils  zur  Einführung  der  Erwachsenen  in  die 
Landwirtschaft  verwendet  werden  sollten,  aber,  nach  einer  Andeutung  George 
Bin!  Grinnells,  nicht  zweckmäßig  verwendet  winden.  Spätere  Summen  scheinen 
ein  ähnliches  Schicksal  erlebt  zu  haben1).  Immerhin  konnte  man  sich  damals 
schon  von  der  hohen  Bildungsfälligkeit  eingeborner  Kinder  überzeugen. 
Mc.  Kennt'])  spendete  den  Vollblut-Kindern  und  den  Mischlingen  aus  Indianern 
und  Weißen,  welche  im  Jahre  1826  mit  weißen  Kindern  zusammen  die 
Missionsschule  auf  der  Insel  Michillimackinac  besuchten,  großes  Lob  sowohl 
wegen  ihres  Fleißes  und  ihrer  Kenntnisse,  als  auch  wegen  ihrer  Peinlichkeit 
and  ihres  guten  Benehmens.  Ein  ähnliches  Resultat  hatte  sein  Besuch  der 
.Missionsschule  in  Seneca,  wo  ihn  die  Kenntnisse  der  [ndianerkinder  im 
Schreiben  und  Lesen,  in  Grammatik.  Geographie,  Geschichte,  Arithmetik  und 
Astronomie  so  überraschten,  daß  er  schrieb:  Wenn  ein  Vergleich  der  Auf- 
fassungsgabe der  Indianerkinder  mit  jener  der  weißen  Kinder  gemacht  werden 
soll,  dann  fällt  er  zugunsten  jener  aus.  — 

Es  war  nicht  immer  leicht,  die  Rothäute  zu  bewegen,  daß  sie  ihre 
Kinder  in  die  Missions-  oder  Staatsschulen  schickten.  Bei  den  Sioux  z.  B. 
stieß  die  Regierung  auf  harten  Widerstand,  weshalb  William  Welsh  anfangs 
der  70  er  Jahre  des  19.  Jahrhunderts  der  Regierung  den  Vorschlag  machte, 
sie  möge  den  Kindern  im  Alter  von  8  —  12  Jahren  ihre  Rationeu  an  Lebens- 
mitteln vorenthalten,  wenn  sie  die  ihnen  gebotene  Schillgelegenheit  nicht  aus- 
nützten. Schulzwang  für  die  Jugend  der  Sioux  war  schon  im  Jahre  1868 
kontraktlich  festgesetzt,  was  aber  von  den  Rothäuten  nicht  beachtet  wurde. 

Freilich  waren  die  Weißen  in  ihrem  Vorgehen  keineswegs  immer  um- 
sichtig  genug.  So  glaubte  noch  Ende  des  19.  Jahrhunderts  ein  Regierungs- 
beamter (Agent),  den  Schulzwang  ohne  weiteres  bei  den  Xavajos  in  Arizona 
einführen  zu  können.  Da  überfielen  ihn  diese,  denen  Zwang  unerträglich  war. 
und  mißhandelten  ihn.  und  die  Polizei  hatte  Mühe,  ihn  den  Händen  der  auf- 
geregten Rothäute  zu  entreißen.  Vorsichtiger  ging  Missionar  A.  Weber  im 
Jahre  1902  voran:  Er  versammelte  vor  allem  die  Häuptlinge  und  andere  an- 


')  In  Brooklyn  bildete  noch  in  den  90er  Jahren  des  19.  .lahrh.  der  Betrug  der  Im'ianer 
durch  Agenten  der  Ver.  Staaten  bisweilen  dns  Tischgespräch. 


§  306.     Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Indianern.  515 

gesehene  Männer  des  Stammes,  denen  er  den  praktischen  und  sittlichen  Wert 
einer  guten  Erziehung  schilderte  und  schließlich  sagte,  wenn  sie  das  nicht 
einsähen  und  demzufolge  ihre  Kinder  nicht  freiwillig  schickten,  so  sollen  sie 
es  nur  bleiben  lassen;  dann  wolle  er  sie  gar  nicht  haben.  —  Das  wirkte: 
Schon  im  ersten  Jahr  zählte  er  in  seiner  eröffneten  Schule  57  Schüler,  deren 
Zahl  jährlich  stieg,  so  daß  er  im  Jahre  1907  bereits  127  hatte.  Der  Lehr- 
plan umfaßt  Schreiben,  Lesen,  englische  Grammatik  und  Aufsatzlehre,  Ge- 
schichte der  Vereinigten  Staaten,  Geographie.  Landkartenzeichnen,  Rechnen 
und  Eeligion,  etwas  Musik  und  Naturlehre.  —  Außerdem  werden  die  Mädchen 
im  Nähen,  Stricken,  Weben,  Kleidermachen,  Sticken,  Waschen,  Kochen,  Backen, 
Tischdecken  und  sonstigen  Hausarbeiten  unterrichtet,  während  man  die  Knaben 
in  den  Feld-  und  Gartenbau,  in  Zimmermanns-  und  Schreinerarbeiten  ein- 
führt. Die  Auffassungsgabe  der  Indianerkinder  stehe  auch  hier  jener  der 
weißen  Kinder  nicht  nach. 

Große  Verdienste  um  das  Schulwesen  unter  den  Indianern  der  Vereinigten 
Staaten  hat  sich  seit  den  80er  Jahren  des  19.  Jahrhunderts  die  „Womens 
National  Indian  Association"  erworben.  Diesen  Frauen  verdanken  die 
Kothäute  nicht  nur  die  Hebung  ihrer  früher  trostlosen  Rechtslage  durch 
Zuerkennung  des  Bürgerrechtes  (1887),  sondern  auch  die  Verstaatlichung 
und  infolgedessen  zweckmäßige  Entwicklung  privater  Industrieschulen,  sowie 
die  Eröffnung  neuer  Schulen,  die  Bildung  eines  gesonderten  Erziehungskomitees 
und  die  Einführung  eines  gewissen  Schulzwanges1). 

Erst  jetzt  fing  eine  ernste  Erziehungsreform  für  die  Indianer  an,  schreibt 
K.  WoJterecJc,  und  diese  Reform  erreichte,  daß  jetzt  von  50  000  Indianerkindern 
29  00»  in  400  Bildungsanstalten,  teils  Tagesschulen,  teils  Internaten,  unter- 
richtet werden.  Von  den  Internaten  liegen  25  außerhalb  der  Reservationen, 
meist  im  Osten.  Unterricht,  Pension,  Kleidung,  kurz  alles,  wird  von  der 
Regierung  bestritten.  Außer  diesen  400  Schulen  stehen  Missions-  und  Di- 
strikt schulen  den  Kindern  der  roten  Rasse  so  gut  offen  wie  den  Weißen. 
Sie  sitzen  da  auf  gemeinsamen  Schulbänken.  —  Das  in  Amerika  allgemein 
übliche  System  der  Koedukation  herrscht  auch  in  den  Indianerschulen. 
Woltereck  erwähnt,  unter  anderen.  Tagesschulen  bei  den  Sitka  in  Alaska, 
Internate  auf  den  Reservationen  in  Arizona,  Distriktschulen  in  Kalifornien, 
Missionsschulen  in  Neu-Mexiko.  Das  größte  Internat  außerhalb  der  Reser- 
vationen sei  die  Regierungsschule  in  Carlisle.  Überall  bilde  in  diesen  Schulen 
die  Fürsorge  für  die  kleinen  Rothäute  einen  angenehmen  Gegensatz  zu  der 
sonst  üblichen  Gleichgültigkeit  oder  Verachtung  des  Amerikaners  mit  seinem 
noch  barbarischen  Siegesgefühl. 

Nach  Bird  Grinnett  wirft  der  Kongress  in  Washington  (seit  1877  ?) 
jährlich  nicht  weniger  als  zwei  und  eine  halbe  Million  Dollars  für  die  theore- 
tische und  praktische  Bildung  der  Rothäute,  jung  und  alt,  aus. 

Den  früher  häufigen  Einwand,  daß  bei  den  Kindern  der  Indianer  nach 
ihrer  Entlassung  aus  der  Schule  bald  wieder  ihre  frühere  Ungebundenheit 
durchbreche,  weist  Grinnell  zurück.  Die  früheren  derartigen  Fälle  seien  leicht 
zu  erklären.  Damals  seien  die  numerisch  seltenen  schulentlassenen  Kinder 
unter  ihren  ungebildeten  Landsleuten  noch  vereinzelt  dagestanden  und  schon 
deshalb  ein  Gegenstand  des  Spottes  gewesen,  was  die  jungen  Leutchen  nicht 
ertragen  konnten.  Deshalb  hätten  sie  wieder  die  Sitten  und  Gebräuche 
ihrer  Umgebung  angenommen.  Aber  jetzt  sei  das  anders.  Langsam  und  den 
Indianern  selbst  unmerklich   habe  sich  die  Gesinnung  geändert.     Heutzutage 

')  Dieser  dürfte  liier,  nach  dem  oben  folgenden,  bessere  Wirkung  gehabt  haben,  als 
bei  den  Navajos.  Übrigens  bezieht  sich,  wie  wir  von  ~\Yoltereck  erfahren,  die  oben 
folgende  Schulreform  auch  auf  Arizona. 

33* 


51rj  Kapitel  XLVI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

sehe  selbst  der  konservativste  Indianer  der  Vereinigten  Staaten  die  Dinge 
von  einem  anderen  Standpunkte  an  als  früher,  und  Erziehung  und  Unterricht 
der  Kinder  finde  nunmehr  allgemeine  Anerkennung1).  — 

Über  die  Schulbildung  der  Jndianerkinder  in  Südamerika  liegt  mir 
sehr  wenig  Material  vor.  Sie  ist  hier  wohl  schon  länger  mit  der  Bildung 
der  weißen  Kinder  verschmolzen,  als  in  Nordamerika.  Nur  ein  Missionsbericht 
aus  dem  noch  wenig  zivilisierten  Bergland  an  der  Ostgrenze  von  Peru  möge 
hier  Erwähnung  finden.  Es  handelt  sich  um  die  drei  Territorien  von  Apu- 
rimac.  Chanchamayo  und  Ucayali  mit  Indianern  aus  den  Stämmen  der 
Amuesha,  Campos,  Cunibos,  Shipibos,  Piros,  Amahuacas,  Remos, 
Capanahuas  und  den  Anthropophagen  Cachibos.  Unter  ihnen  leben  deutsche 
Kolonisten.  Die  gesamte  Seelenzahl  schätzt  A.  Alemany  auf  177  000.  Darunter 
noch  öOOoo  ungetaufte  Indianer.  In  diesem  Gebiet  nun  bestehen  32  Schulen, 
von  denen  12  Missionsschulen  sind.  Die  Schüler  und  Schülerinnen  werden  auf 
ca.  20Ü0  geschätzt.  — 

§  307.  Das  Kapitel  „Die  Heranziehung  des  Kindes  zu  körperlicher 
Arbeit"'  war  abermals  ein  Beweis  für  die  sprichwörtliche  Macht  der  Gewohn- 
heit. Es  machte  uns  mit  einem  Negervolk  bekannt,  bei  welchem  die  Männer 
die  Kleidung  für  die  Weiber  nähen,  weil  die  letzteren  die  Feldarbeit  verrichten 
und  deshalb  ungelenke  Hände  haben;  wir  lernten  Völker  kennen,  deren  tradi- 
tioneller Brauch  dem  weiblichen  Geschlecht  Haus-  und  Kahnbau  zur  Pflicht 
macht;  andere  können  sich  rühmen,  daß  ihre  Weiber  ebensogute  Schützen  und 
Jäger  sind  wie  die  Männer;  wieder  andere  räumen  weiblichen  Soldaten  einen 
Ehrenplatz  in  ihrer  Armee  ein  und  heben  deren  Tapferkeit  auf  dem  Schlacht- 
feld hervor;  den  Feldbau  besorgt  bei  zahlreichen,  wohl  den  meisten  Völkern 
niederer  Kulturstufen  das  weibliche  Geschlecht,  und  selbst  in  dem  verhältnis- 
mäßig hochstehenden  Korea  sahen  wir  das  weibliche  Geschlecht  alle  körperliche 
Arbeit  verrichten,  die  man  in  europäisch-amerikanischen  Kulturstaaten  ge- 
wöhnlich als  Männerarbeit  bezeichnet,  wie  denn  das  dortige  Weil)  der  mittleren 
und  untersten  Volksklassen  überhaupt  als  die  große  wirtschaftliche  Triebfeder 
in  Haus  und  Staat  geschildert  winde.  Eine  von  der  Natur  gebotene  Arbeits- 
teilung im  absoluten  sinn  zwischen  den  beiden  Geschlechtern  ist  also  schwer 
anzunehmen. 

Anders  verhalt  es  sich  im  ralativen  Sinn.  Die  verhältnismäßige  Leichtig- 
keit der  Eheschließungen  auf  niederen  Kulturstufen  weist  die  Mutter  vor  allem 
ihren  Kindern  zu.  und  es  ist  deshalb  ein  erfreuliches  Zeichen  gesunden  Denkens. 
daß  die  in  i<  2Vi7  autgeführten  Völker  ihre  Töchter  von  klein  auf  in  deren 
späteren  Beruf  einführen. 

Ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  männlichen  Geschlecht,  das  sich  freilich 
bei  manchen  Völkern  die  Last  körperlicher  Arbeit  —  geistige  gibt  es  bei 
vielen  Völkern  wenig  —  auf  Kosten  des  andern,  bei  uns  „schwächer"  genannten, 
Geschlechtes  erleichtert. 

Die  Arbeitspflicht  der  Kinder  beginnt  bei  manchen  Völkern  im  /.arten 
Alter,  {'her  die  Grenze  des  Eskimo,  der  sein  Knäblein  schon  im  Gebranch 
der  Waffen  und  Ruder  unterrichtet,  wenn  es  kaum  gehen  kann,  ist  nicht  leicht 
hinauszugehen.  Ein  anderes  Extrem  lernten  wir  in  den  Erstgebornen  der 
Papuas  in  Kaiser  Wilhelmsland  kennen,  welche  bis  zum  10.  Lebensjahr  die 
Freude  des  Nichtstuns  genießen.  Im  allgemeinen  haben  die  Kinder  der  in 
Kap.  XLV  aufgeführten  Völker  einen  anerkennenswerten  Beitrat;'  zur  Arbeits- 
leistung  der  Menschheit    zu   liefern.     Hiervon   sind   auch   die  Waffenübungen, 


')  Ähnliches    tiprichtete    übrigens    S.    .-1.    Galpin    schon    im    Jahre   1877    von    den   Co- 
raanches   und   Caihuas.     (Siehe    Rem,  des   Indianers   Familie,  S.   100  u.  Anm.  4.) 


§  307.     Das  Kiod  und  das  Schulwesen.  517 

das  Reiten  und  .Schwimmen  nicht  auszunehmen,  da  selbst  diese  körperlichen 
Übungen  größtenteils  Einführungen  in  den  späteren  Beruf  als  Krieger,  Jäger, 
Fischer  usw.  sind,  oder  doch  Mann  und  Weib  für  ihren  Kampf  ums  Dasein 
unter  den  örtlichen  Verhältnissen  möglichst  befähigen.  Die  Gymnastik  freilich 
bezweckte  bei  ästhetisch  verfeinerten  Völkern,  z.  B.  bei  den  Hellenen  und 
alten  Japanern,  auch  höhere,  ideale  Wirkungen,  oder  wenigstens  kernige  Ge- 
sundheit, wie  es  bei  unseren  Vorfahren,  den  alten  Germanen,  der  Fall  war, 
weshalb  sie  diese  Übungen  nicht  nur  von  ihren  Söhnen,  sondern  auch  von  ihren 
Töchtern  verlangten.  — 

Ebensowenig  wie  für  die  körperliche  Arbeit,  läßt  sich  für  die  geistige 
eine  absolute,  feststehende  Grenze  zwischen  den  zwei  Geschlechtern 
ziehen.  Soweit  unsere  kulturgeschichtlichen  Kenntnisse  reichen,  finden  wir 
Frauen  auf  allen  Gebieten  der  Geisteswissenschaft  mit  Männern  in  würdigem 
'Wetteifer.  Freilich  sind  es  relativ  wenige,  was  teils  auf  den  schon  für  die 
materielle  Arbeitsteilung  angegebenen  Grund,  teils  aber  auf  widerrechtliche 
Maßregelung  seitens  des  männlichen  Geschlechtes  zurückzuführen  ist.  Das 
vorliegende  Kapitel  brachte  uns  hierfür  Beweise  aus  der  alten  und  neuen  Welt, 
aus  Europa,  Asien  und  Afrika.  Man  fürchtete  sich  vor  dem  geistig  aufgeklärten 
und  gefestigten  Weib,  weil  geistiger  Scharfblick  und  geistige  Kraft  sich  er- 
folgreich gegen  Übergriffe  stemmen  könnten  und  es  im  Falle  der  Notwendig- 
keit auch  tatsächlich  tun.  Im  alten  Hellas  und  im  neuzeitlichen  Indien  hatte 
man  es  sogar  so  weit  gebracht,  daß  intellektuell  gebildete  Frauen  fast  nur 
unter  Hetären,  bzw.  Tänzerinnen,  zu  finden  waren,  und  daß  deshalb  die  intellektuelle 
Bildung  eines  Weibes  ein  Grund  zu  seiner  sittlichen  Verdächtigung  war.  Das 
ist  um  so  bemerkenswerter,  als  diese  Tatsache  mit  zwei  sonst  ganz  verschie- 
denen Kulturperioden  in  Hellas  und  Indien  zusammenfällt,  hier  mit  der  Periode 
des  kulturellen  Tiefstandes,  dort  mit  der  Blütezeit  des  hellenischen  Staats- 
lebens, welches  freilich  mit  der  Blütezeit  des  Familienlebens  nicht  zu  identi- 
fizieren ist. 

Im  alten  Indien,  Ägypten,  Assyrien  und  Japan,  im  vorchristlichen  Lydien, 
bei  den  alten  Kulturvölkern  Amerikas,  im  mittelalterlichen  Arabien,  bei  den 
mittelalterlichen  Germanen,  im  mittelalterlichen  und  neuzeitlichen  Korea 
zeigte  sich  das  Bedürfnis  der  Männer,  wenigstens  der  höheren  Gesellschafts- 
kreise, nach  gebildeten  Frauen  im  Unterhalt  von  Schulen  oder  Erteilung 
von  Privatunterricht.  Daß  Mädchen  besserer  Stände  ihre  lugend  bis  zu  ihrer 
Verheiratung  größtenteils  in  einem  Pensionat  zubringen,  ist  nicht  etwa  eine 
der  neuesten  Zeit  entsprungene  Erscheinung;  §  30t>  wies  sie  bereits  bei  den 
alten  Mayas  in  Zentralamerika  nach,  und  was  von  manchen  Deutschen  des 
1H.  Jahrhunderts  fast  als  widernatürlich  bekämpft  worden  ist,  gereichte  im 
deutscheu  und  arabischen  Mittelalter,  im  alten  Japan  und  sogar  auf  Korea  der 
Frau  zum  Ruhm,  nämlich  ihre  Ausbildung  zu  wissenschaftlichen  Berufen  und 
deren  praktische  Betätigung. 

Auch  die  Chinesen  glaubten  bisher,  gebildeter  Frauen  nicht  zu  bedürfen. 
Weit  mehr  taten  sie  für  die  Schulbildung  des  männlichen  Geschlechtes. 
Ahnlich  steht  es  nach  dem  vorliegenden  Kapitel  ja  bei  vielen  anderen  Völkern. 
Die  Armen  freilich  können,  wo  der  Schulunterricht  bezahlte  Privatsache  ist, 
auch  ihre  Söhne  kaum  unterrichten  lassen,  was  einer  allgemeinen  Volks- 
bildung im  Wege  steht.  Deshalb  wird  selbst  bei  jenen  verhältnismäßig-  wenigen 
Völkern,  die  in  den  §§  301  —  306  mit  „Volksbildung"  angeführt  winden,  mit 
ziemlich  vielen  Ausnahmen  zu  rechnen  sein.  Ich  erwähnte  als  solche  die  alten 
Ägypter,  Assyrer.  Griechen,  Römer,  Japaner,  Koreaner,  Mexikaner  und  Inka- 
peruaner, ferner  verschiedene  buddhistische  und  muselmanische  Völker  u.a. in.  — 
Einzelne  darunter  haben  staatliche  Fürsorge,  weshalb  für  sie  die  Armut  des 
Einzelnen  kein  Hindernis  ist. 


518  Kapitel  XL  VI.     Das  Kind  und  das  Schulwesen. 

Der  Lehr  plan  für  den  niederen  Unterricht  umfaßt  bei  verhältnis- 
mäßig vielen  Völkern  nur  Lesen,  Schreiben  und  Religion.  Rechnen  gilt  sogar 
in  Indien  als  höheres  Lehrfach;  bei  anderen  Völkern  wiederum  gehört  es  zum 
Elementarunterricht,  wozu  je  nach  dem  Volksbedürfsnis  das  Memorieren  und 
Vortragen  von  Sprüchen  und  Gedichten,  elementare  Gesetzeskunde,  Gesang, 
Musik,  Tanz,  weibliche  Handarbeiten  u.  a.  m.  kommt. 

Das  Erlernen  fremder  Sprachen  geht  bei  einzelnen  Völkern  schon  mit 
dem  Elementarunterricht  Hand  in  Hand,  und  vielleicht  einer  besonderen  Er- 
innerung wert  ist  es,  daß  fremdsprachliche  Bildung  selbst  von  Negern  und 
Papuas  schon  angestrebt  wurde,  ehe  sie  mit  unserer  Kultur  in  Berührung 
kamen.  Die  Notwendigkeit  des  Verkehrs  benachbarter  Stämme  verschiedener 
Sprachen  gab  ihnen  wohl  den  ersten  Anstoß  dazu. 

Bei  andern  Völkern  wieder  gehört  das  Erlernen,  bzw.  das  Studium,  fremder 
Sprachen  in  den  Lehrplan  für  höhe-ren  Unterricht,  auf  welchem  auch 
M3'thologie,  Theologie,  Philosophie,  Literatur,  Geschichte,  Rechts-  und  Staats- 
wissenschaft, Ackerbaukunde,  Kriegswissenschaft,  Astrologie,  Astronomie, 
Geometrie,  Arithmetik  usw.  zu  finden  ist,  und  zwar,  je  nach  dem  Volk,  seit 
Jahrtausenden,  oder  erst  seit  neuester  Zeit. 

Bemerkenswert  sind  zweifellos  ferner  die  vielen  Jahre,  welche  manche 
Völker  der  Ausbildung  ihrer  Söhne  widmen.  Es  sei  hier  beispielsweise  nur 
nochmals  an  die  20  Studienjahre  mancher  jungen  Kelten,  an  die  als  kürzeste 
Frist  angegebenen  12  Jahre  und  die  als  längste  geltende  von  48  Jahren  Veda- 
Studium  im  alten  Indien,  an  die  1 1  Schuljahre  bei  den  Nai'r  und  die  etwa 
ebensovielen  Unterrichtsjahre  bei  den  alten  Mexikanern  erinnert.  — 

Schulbildung  trotz  Kannibalismus  ist  bei  den  Batak  und  —  alten 
Mexikanern  nachgewiesen. 

Der  Unterricht  liegt  vielfach  in  den  Händen  von  Priestern  und  wird  in 
Klöstern  erteilt.  Letzteres  war  bei  den  amerikanischen  Kulturvölkern  nicht 
weniger  der  Fall,  als  in  Ländern  der  alten  Welt  mit  christlicher,  oder  mit 
buddhistischer  Bevölkerung.  Ebenso  liegt  bei  den  Muselmanen  der  Unterricht 
größtenteils  in  Händen  ihrer  Geistlichen,  und  ähnlich  war  es  bei  deu  alten 
Kelten.  Was  die  Lehrkräfte  aus  dem  Laienstand  betrifft,  so  sind  es  nicht 
immer  professionell  gebildete  Leute,  sondern,  je  nach  dem  allgemeinen  Kultur- 
zustand des  betreffenden  Volkes,  irgend  einer,  der  den  Lehrgegenstand  beherrscht, 
der  eigene  Vater,  ein  Verwandter,  Freund  usw.  Die  hochstehenden  Römer 
und  Griechen  beauftragten  bekanntlich  auch  Sklaven  mit  dem  Unterricht  ihrer 
Kinder.  —  Wo  die  Frauenbildung  weitere  Kreise  umfaßt,  gibt  es  auch  weib- 
liche Lehrkräfte. 


Kapitel  XL VII. 

Kind  und  Keuschheit.  Das  Beispiel  der  Erwachsenen1), 

§  308.  Seneca  hielt  es  für  ruchlos,  vom  Weibe  Keuschheit  zu  verlangen, 
wenn  man  selbst  ein  Verderber  des  schwächeren  Geschlechts  sei2).  Dieser 
Grundsatz  gilt  mutatis  mutandis  auch  für  das  Verhältnis  des  Kindes  zu  seinen 
Eltern  und  seiner  erwachsenen  Umgebung  überhaupt.  Wie  soll  ein  Kind 
keusch  bleiben  und  zur  Keuschheit  im  gereifteren  Alter  gestählt  werden, 
wenn  es  die  gegenteiligen  Beispiele  der  Erwachsenen  sieht,  ja  von  diesen 
direkt  zum  vorzeitigen,  bzw.  zügellosen,  Geschlechtsgenuß  angeleitet  wird? 
Daß  dieses  bei  vielen  Völkern  verschiedener  Kulturstufen  der  Fall  ist,  beweist 
das  vorliegende  Kapitel,  welches  zwar  zum  Teil  über  den  Rahmen  dieses 
Werkes  hinauszugehen  scheint,  indem  es  sich  mit  der  Keuschheit  auch  der 
Erwachsenen,  d.  h.  mit  Knaben-  und  Männerliebe,  Jungfrauschaft,  Vielweiberei, 
Konkubinat,  Ehebruch,  Weibertausch  usw.  beschäftigt,  tatsächlich  aber  Ver- 
hältnisse berücksichtigt,  die  mit  der  Charakterbildung  des  Kindes  ebenso  eng 
verknüpft  sind  wie  die  in  früheren  Kapiteln  geschilderten.  Die  so  vielfach 
vertretene  Ansicht,  daß  die  sogenannten  Naturvölker  erst  durch 
den  Kontakt  mit  unseren  Lastern  lasterhaft  geworden  seien,  wird 
durch  die  §§  309 — 316  genügend  widerlegt,  wenn  diese  auch  andererseits 
beweisen,  daß  manche  Völker  tatsächlich  gewisse  Formen  des  Lasters  von 
unberufenen  Vertretern  unserer  Kultur  übernahmen. 

Sehr  beachtenswert  ist,  daß  der  christliche  Keuschheitsbegriff  sich 
keineswegs  mit  dem  der  Polytheisten,  aber  auch  nicht  mit  dem  der  alt- 
testamentlichen  Juden,  deckt.  Auf  den  letzteren  kommt  dieses  Kapitel 
nicht  näher  zu  sprechen,  da  die  Erlaubnis  nach  dem  Gesetz  Moses  zu  Viel- 
weiberei und  Konkubinat  ja  bekannt  ist.  Hingegen  sei  schon  jetzt  auf  den 
scheinbaren  Widerspruch  in  der  altmexikanischen  Pädagogik  hingewiesen, 
welche  einerseits  zur  „Keuschheit"  mahnte,  andererseits  die  Knaben  zur 
Homosexualität  in-  und  außerhalb  des  religiösen  Kultus  direkt  anleitete  und 
die  Verführung  eines  geliebten  Knaben  durch  einen  Dritten  als  „Ehebruch" 
bestrafte.  Ähnliche  scheinbare  Widersprüche  finden  sich  häufig  auch  bei 
anderen  Völkern,  was  wohl  schon  zu  manchen  irrigen  Darstellungen  ihrer 
Keuschheit  geführt  hat. 

Jungfrauschaft  und  eheliche  Treue  sind  für  die  überwiegende 
Mehrheit  der  nichtchristlichen  Völker,  welche  jene  überhaupt  beachten, 
keine  Tugend  im  christlichen  Sinn,  sondern  einfach  der  Zustand,  welchen 
der  Werber  von  seiner  Braut,   der  Ehemann  von  seinem  Weib  ver- 


')  Vgl.  die  Kapitel  Sexuelle  Operationen,  Vater-  und  sog.  Mutterrecht,  Abschluß  der 
Kinderjahre,  Hypothesen  über  die  Urgeschichte  der  Familie  (XXXVIII,  L,  LVII,  LV1II 
und  LX)   u.  a.  m. 

2)  Ep.  94.  Bei  Josef  Müller:  Das  sexuelle  Leben  der  alten  Kulturvölker.  In  Re- 
naissance II,  309. 


520  Kapitel  XLYII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

langt,  weil  er  ein  ausschließliches  Anrecht  auf  dieses  und  dessen  Frucht- 
barkeit haben  will.  Gedanken  und  Wünsche  sind  nicht  kontrollierbar,  weshalb 
der  Sittenkodex  solcher  Völker  nichts  damit  zu  tun  hat.  Noch  weniger  An- 
spruch macht  ihr  Sittenkodex  an  die  Keuschheit  des  Mannes,  der,  neben  seinem 
einen  oder  mehreren  legitimen  "Weibern,  Nebenweiber  und  Konkubinen  haben, 
mit  Prostituierten  verkehren,  die  legitime  Gattin  verstoßen  und  eine  andere 
heiraten,  bei  manchen  Völkern  zeitweise  vertauschen  kann  usw.  usw..  so  daß 
es  eine  keusche  Gebundenheit  und  lebenslängliche  eheliche  Treue  beim  Mann 
außerhalb  des  Christentums  und  den  jetzigen  unter  christlichem  Einfluß 
stehenden  Juden  im  allgemeinen  kaum  gibt,  und  es  frei  zugestanden  werden  muß, 
daß  die  nichtchristlichen  Völker  wohl  samt  und  sonders,  mehr  oder  weniger, 
einer  Doppelmoral  zugunsten  des  Mannes  huldigen,  wodurch  freilich  das 
weniger  geachtete  weibliche  Geschlecht,  wenn  auch  nur  gezwungen,  bei  vielen 
Völkern  in  der  Dämmung  seiner  unteren  Triebe  über  das  männliche  zu  stehen 
kommt.  —  Individuelle  Fälle  wollen  selbstverständlich  nicht  mit  diesen 
allgemeinen  Sätzen  beurteilt  werden. 

Die  wenigen  Völker  mit  polyandrischen  Eheformen  bieten  ein  gegen- 
teiliges Bild  dar,  insofern  hier  das  Weib  es  ist.  welches  mehr  im  Geschlechts- 
genuß aufgeht,  als  der  Mann.  Überrascheud  wirkt  jedoch  gerade  bei  solchen 
Völkern  die  zarte,  sittliche  Empfindung  in  gewissen  Punkten  und  die  strenge 
Festhaltung  an  diesbezüglichen  Auffassungen  und  Bräuchen,  die  unsern  Begriffen 
von  Keuschheit  völlig  gleichgültig  gegenüberstellen,  sowie  die  Enthaltung  vom 
geschlechtlichen  Verkehr  mit  Fremden,  wie  es  bei  den  Toda  nachgewiesen 
ist   (§  310). 

Ebenso  tief  wie  die  Sittlichkeit  des  Mannes  steht  die  des  Weibes  bei 
Völkern,  die  auf  Jungfrauschaft  und  die  eheliche  Treue  des  Weibes  nichts 
oder  nicht  viel  geben  und  also  keine,  oder  doch  nur  eine  relativ  geringe 
Strafe  auf  deren  Verletzung  setzen,  oder  aber  nur  strafen,  wenn  die  Folgen 
offenkundig  werden,  wozu,  unter  anderen,  die  §§311  und  312  Beispiele  bieten. 
Daraus  läßt  sich  wohl  schließen,  daß  das  Weib  auch  bei  anderen  Völkern 
seine  Keuschheit  ebensowenig,  wie  der  Mann,  bewahren  würde,  wenn  dieser 
ihm  nicht  Zügel  anlegte,  wozu  er  freilich  kein  Recht  hat,  solange  er  sich 
selbst  nicht  beherrscht. 

Die  Ausschweifungen  der  Prinzessinnen  in  Dahome,  Bornu  und  Wadäi, 
sowie  die  Prostituierten  sind  weitere  Beweise  dafür,  daß  das  Weib  keusch- 
heitlich  sehr  tief  sinken  kann. 

Das  keuschheitliche  Gewissen  eines  Volkes  offenbart  sich  in  den  Strafen, 
welche  es  auf  die  Verletzung  der  Keuschheit  setzt.  Das  vorliegende  Kapitel 
macht  uns  mit  Völkern  bekannt,  welche  in  dieser  Hinsicht  auffallende  Wider- 
sprüche zwischen  Theorie  und  Praxis,  zwischen  ihrem  sittlichen  Bewußtsein 
und  ihrer  tatsächlichen  Sittlichkeit,  aufweisen.  Die  Singhalesen  des  17.  Jahr- 
hunderts, welche  das  einsahen,  ohne  die  Kraft  zur  Eebuug  dieses  Widerspruches 
in  sich  zu  fühlen,  sind  unter  ihnen  (§  310).  Dieser  Widerspruch  in  Theorie 
und  Praxis  ist  übrigens  in  unserer  eigenen  Mitte  wohl  bekannt,  obschon  in 
geringerem  Umfange,  als  dort.  Bei  manchen  Völkern,  auch  auf  verhältnismäßig 
tiefen  Stufen  materieller  und  geistiger  Kultur,  führt  dieser  Zwiespalt  zwischen 
Gesetz  und  Befolgung,  zwischen  Theorie  und  Praxis  zu  regelmäßiger  Heuchelei 
oder  zur  Ungerechtigkeit  gegen  das  weibliche  Geschlecht,  dem  das  männ- 
liche ungestraft  nachstellt.  Man  sucht  wenigstens  den  Schein  zu  wahren,  scheut 
aber  vor  innerer  Fäulnis  nicht  zurück,  wenn  diese  nur  verborgen  bleibt;  man 
straft  das  gefallene  Mädchen  hart,  Läßt  ihm  aber  die  schlechten  Beispiele  der 
Alten,  und  der  Sundgenosse  oder  Verführer  kann  frei,  oder  kaum  nennenswert 
betroffen,  seine  Wege  gehen  (vgl.  Neumecklenburg  in  §  312). 


§  309.     Sogenannte  widernatürliche  Laster  (Päderastie,  Onanie  usw.)-  521 

Die  Apotheosierung  der  Unzucht,  bzw.  ihre  Zurückfährung  auf 
göttlichen  Ursprung,  ist  im  folgenden  Paragraphen  in  beiden  Hemisphären, 
auf  tiefen  und  hohen  Kulturstufen,  nachgewiesen.  Drastisch  wirkt  darunter 
das  lebenslängliche  Gelübde  der  Chippeway-Indianer  in  §  3n9. 

Über  das  unglückliche  Los  des  Sklavenkindes  und  des  Mädchens  als 
Kriegsbeute,  dem  nicht  nur  seine  Freiheit,  sondern  auch  seine  Keuschheit  ge- 
raubt wird,  liegt  mir  einstweilen  so  wenig  Material  vor,  daß  es  nicht  nötig 
ist,   hier   einen  Überblick  über  §  31(3  zu  geben.  — 

§  309.     Sogenannte  widernatürliche  Laster  (Päderastie,  Onanie  usw.). 

„Waren  die  Kelten  Päderasten?"  fragt  H.  D'Arbois  de  Jubainville  im 
Anhang  seines  Buches  „La  famille  celtique-'  und  zitiert  dann  Aristoteles, 
Diodor  von  Sizilien,  Strabo,  Athenäus  und  Claudius  Ptolomüus,  Avonach  die 
Frage  eine  bejahende  Antwort  erhält;  denn  sie  alle  erwähnen  keltische  Päderastie. 
Claudius  Ptolomäus  habe  diesen  unmoralischen  Brauch  der  Kelten  mit  dem 
Einfluß  der  Gestirne  zu  erklären  versucht,  Athaenäus  von  der  Vorliebe  der 
Kelten  für  Verbindungen  mit  kleinen  Knaben  geschrieben;  nach  Strabo  galten 
homosexuelle  Verbindungen  der  jungen  Kelten  nicht  für  schändlich;  Diodor 
nannte  den  Hang  der  Gallier  zu  homosexuellen  Verbindungen,  trotzdem  sie 
so  hübsche  Frauen  hätten,  anverständlich;  Aristoteles  aber  habe,  als  Lehrer 
Alexanders  des  Großen,  des  Verbündeten  der  Kelten,  diese  gelobt,  daß  sie  sich 
durch  ihre  Knabenliebe  vor  der  Weiberherrschaft,  dieser  Geißel  der  Staaten, 
bewahrten '). 

Trotz  alledem  hält  D'Arbois  es  für  unbewiesen,  daß  Päderastie  unter  den 
Kelten  gebräuchlich  war.  Aristoteles  habe  allem  Anschein  nach  einen  einzelnen, 
von  einem  griechischen  Reisenden  beobachteten  Fall  in  Gallien  verallgemeinert, 
und  so  sei  eine  Massenanschuldigung'  entstanden,  welche  den  späteren  griechischen 
Schriftstellern  ein  willkommenes  Mittel  war,  um  den  Schandfleck  ihrer  eigenen 
Nation  möglichst  zu  beschönigen,  nachdem  die  anfänglich  ideal  aufgefaßte 
Knabenliebe  unter  den  Griechen  zum  Laster  geworden  sei.  Caesar  habe  von 
einer  keltischen  Päderastie  nichts  erwähnt,  was  D'Arbois  aber  selbst  nicht 
als  Gegenbeweis  anerkeunt,  weil  Caesar  in  diesem  Punkte  selbst  nicht  rein 
gewesen  sei. 

Ob  D'Arbois  mit  dieser  Apologie  auf  die  alten  Insassen  Frankreichs 
Glück  hatte,  kann  ich  nicht  beurteilen.  An  einer  anderen  Stelle 2)  begnügt  er 
sich  mit  der  Bemerkung,  man  habe  (wenigstens)  keinen  Grund,  die  gallischen 
Kelten  in  dieser  Hinsicht  für  unmoralischer  zu  halten  als  die  Griechen  und 
Römer.  Denn  die  23.  Idylle  des  Theokrit  und  die  2.  Ekloge  Virgils  seien 
Hymnen  auf  die  Päderastie,  und  wenn  Pluto  in  seinem  „Gastmahl"  sie  auch 
nicht  lobe,  stelle  er  sie  doch  für  seine  Landsleute  in  ihrer  glänzendsten  Kultur- 
periode fest.  Nicht  einmal  die  strengen,  von  Aschines  erwähnten  Gesetze 
hätten  etwas  gegen  dieses  Laster  vermocht. 

Was  die  Kelten  in  Irland  betrifft,  so  kennt  deren  Literatur  wohl  Ehe- 
bruch und  Blutschande,  aber  nicht  die  Päderastie.  Keine  Spur  davon  ist  nach 
D'Arbois  in  ihr  zu  finden.  Bei  den  europäischen  Völkern  bilde  dieses  Laster 
überhaupt  eine  Ausnahme,  während  es  bei  den  Orientalen,  z.  B.  bei  den 
Semiten,  zu  den  sozialen  Einrichtungen  gehöre,  ja  einen  Teil  des  religiösen 
Kultes  ausmache.  — 

Aus  dem  Orient  kamen  nun  bekanntlich  auch  die  Kelten,  worauf  D'Arbois 
selbst,  bzw.  Johannes  Schmidt,  aufmerksam  macht.  Sie  sollen  vor  den  Er- 
oberungen der  Perser  mit  jenen  Völkern  in  Berührung  gestanden  haben,  welche 


')  Vgl.  w.  u.  Burckhardt  über  die  griechische  Knabenliebe  in  der  alexandrinischen  Zeit. 
2)  La  famille  celtique,  190  f. 


522  Kapitel  XLVII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

•das  asiatisch-europäische  Grenzgebiet  beherrschten.  Ihre  Kriegsrüstung  weise 
auf  das  westliche  Asien  hin;  ihre  Kriegswagen  glichen  den  homerischen;  der 
Name  der  irländischen  (keltischen)  Göttermutter  Anu  oder  Ana  scheine  dem 
assyrischen  Pantheon  zu  entstammen.  Es  wäre  also  nicht  zu  verwundern, 
wenn  sie  auch  orientalische  Laster  mitgebracht  hätten. 

Erwähnt  möge  indessen  werden,  daß  die  Druiden  bei  ihrem  Gottesdienst 
gewisse  Funktionen  (Ehrenrollen,  wie  sich  Josef  Müller*)  ausdrückt)  den 
Keuschesten  übertrugen,  was  aber  eo  ipso  die  Unzucht  nicht  ausschließt,  da  z.  B. 
die  Aufnahme  in  den  Geheimbund  der  Bacchanten  in  Rom  nach  zehntägigen 
Keuschheitsübungen  stattfand2).  Ob  in  der  Knabenliebe  der  Hellenen  das 
Edle  dem  Verderben  vorausging  und  auch  die  hellenische  Natur  etwa  nur 
•durch  zugebrachte  „asiatische  Schändlichkeit"  auf  Irrwege  geführt  wurde, 
läßt  Wilhelm  Wachsmuth  unentschieden.  In  den  homerischen  Gedichten 
finde  sich  keine  Spur  weder  vom  Eros,  noch  von  der  Hetäresis.  wenn  auch 
■die  späteren  Hellenen  letztere  mehr  noch,  als  ersteren,  schon  in  die  heroische 
Zeit  versetzen  wollten.  —  Daß  die  homerischen  Gedichte  eine  Knabenliebe 
nicht  erwähnen,  ist  freilich  noch  kein  Beweis,  daß  sie  nicht  vorhanden  war. 
Ebensowenig  wäre  ihre  Herkunft  aus  Kreta,  von  der  Athenäos  schrieb,  ein 
Beweis  für  ihre  ursprüngliche  „Unschuld"3);  denn  das  Edle  und  das  Laster 
grenzten  in  der  Knabenliebe  „wohl  immer  nahe  zusammen",  schrieb  Wachsmuth 
und  führte  als  Beispiele  die  Neigung  des  Tkemistokles  und  des  Aristides  zu 
einem  schönen  Knaben  an.  Sdkrates  stellt«  zuerst  die  Herrschaft  des 
Geistigen  über  den  sinnlich-ästhetischen  Trieb  dar,  von  dem  übrigens 
auch  er  nicht  frei  gewesen  sei.  Von  den  nachfolgenden  Philosophen  habe 
hauptsächlich  Plato  auf  die  Entwicklung  der  Lehre  von  einem  geistigen  Eros 
im  Unterschiede  von  der  gemeinen  Sinnenlust  hingearbeitet.  Aber  im  Volks- 
leben sei  die  Verderbnis  arg  gewesen.  Die  Bezichtigungen  notorischer  Wüst- 
linge bei  Aristophanes  seien  nicht  für  licentia  poetica  zu  halten. 

Zirka  200  Jahre  vor  Sokrates  wiesen  aber  schon  in  Athen  Sohns  Ge- 
setze über  die  Bestrafung  der  Schänder  und  Kuppler  auf  die  schlimmen  Seiteu 
der  dort  herrschenden  Knabenliebe  hin.  Ein  erst  später  eingetretener  Zerfall, 
bzw.  ein  ursprünglich  idealer  Charakter  jener  Neigung,  ist  demnach  nicht 
zu  beweisen.  Die  näheren  Bestimmungen  Solans  über  Knabenliebe  waren  nach 
Dimcker*)  die  folgenden:  „Wer  einen  freigeboruen  Knaben  verkuppelt,  der 
soll  den  Tod  erleiden.  Wer  einem  freien  Knaben  Gewalt  angetan,  den  soll 
dessen  Vater  oder  Vormund  bei  den  Thesmotheten  anklagen.  Erkennt  der 
Gerichtshof  auf  Tod,  so  soll  die  Strafe  an  demselben  Tage  vollzogen  werden; 
erkennt  er  auf  Geldstrafe,  soll  die  Buße  binnen  elf  Tagen  gezahlt  sein;  ist 
dies  nicht  geschehen,  soll  der  Verurteilte  bis  zur  Zahlung  im  Gefängnis  sitzen.'-  — 
Schon  der  Zutritt  von  Männern  in  die  Paläste  und  Schulen  der  Knaben  galt 
als  strafbar.   -      Demnach  wucherte  das  Laster  schon   zu  Sohns  Zeit  stark. 

Nach  Jakob  Burckhardt  erscheint  die  Päderastie  im  agonalen  Zeitalter8) 
fast  wesentlich  mit  dem  griechischen  Geist  verbunden,  gebärdet  sich  aber  als 
ein  „hochideales"  Element,  obgleich  sie  ihre  dunklen  Seiten  neben  der  agonalen 
Bewunderung  nicht  verbergen  konnte.  Burckhardt  machte  ferner  darauf  auf- 
merksam, daß  Athen  bei  der  Knabenliebe  nur  die  Notzucht  und  den  ge- 
werblichen Verkauf  bestrafte,  daß  die  Knabenliebe  somit  erst  als  schänd- 
liche Tat  galt,  wenn  Geld  oder  Gewalt  angewendet  wurde;  in  das  freiwillige 
Verhältnis  scheint  sich  der  Staat  also  ebensowenig  gemischt  zu  haben,  wie 


i    I  las  sexuelle  Leben  der  alten  Kulturvölker.     In  „Renaissance"  II,  309. 
«)  Ebenda,  :i26. 

n)  Vgl.  Josef  Maller,  ebenda,  272,  und    Wachsmuth  über  Kreta  f.  S. 
l)   Hi>i  Josef  Müller  ebenda,  244. 
5)  Die  gezählten  Olympiaden  beginnen  bekanntlich  mit  776  v.  Chr. 


§  309.     Sogenannte  widernatürliche  Laster  (Päderastie,  Onanie  usw.).  523 

die  heutigen  Kulturstaaten  in  ein  Liebesverhältnis  zwischen  Personen  ver- 
schiedenen Geschlechtes,  wenn  nicht  angenommen  werden  darf,  daß  ein  Knabe 
aus  eigenem  Antrieb  nicht  so  schändlich  gehandelt  hätte.  Leider  sind 
verschiedene  Mitteilungen  über  Knabenunzucht  bei  andern  Völkern  nicht  ge- 
eignet, einen  solchen  Optimismus  zu  bekräftigen  (vgl.  den  Rest  dieses  Para- 
graphen). 

In  der  alexandrinischen  Zeit  wurde  die  Knabenliebe  überhaupt  nicht 
mehr  mit  höherer  Ethik,  Politik  und  erziehender  Kraft  motiviert,  weil  es  keine 
Polis  und  keinen  gemeinsamen  Kriegsheroismus  mehr  gab.  Der  Geliebte  war 
nur  noch  ein  Werkzeug  des  Vergnügens.  Nach  Waehsmuth  war  es  auf  Kreta 
jedem  Knaben  ein  Schimpf,  keinen  Liebhaber  zu  besitzen,  und  wenn  auch  das  Band 
der  Treue  für  Gefahren  und  Kämpfe,  wenn  das  Recht  des  Knaben,  sich  über  eine 
vom  Liebhaber  erlittene  Schmach  und  Unbill  zu  beklagen,  eine  Art  Tünche 
bildeten,  so  lag  doch  auf  den  Kretern  der  Vorwurf,  sie  hätten  durch  Päderastie 
der  allzu  großen  Volksvermehrung  vorgebeugt ').  Hier,  wie  in  Sparta,  wurde 
vor  Beginn  eines  Treffens  dem  Eros  geopfert.  Auch  in  Sparta  war  das  Liebes- 
verhältnis zwischen  Älteren  und  Jüngeren  (in  jedem  der  beiden  Geschlechter) 
■ein  Erziehungsmittel.  Auch  hier  galt  es  für  schimpflich,  wenn  ein  Knabe 
keinen  Liebhaber,  wenn  ein  Bürger  keinen  Geliebten  hatte.  Knaben  durften 
sich  um  Männer  bewerben  und  waren  straffällig,  wenn  sie  finanziell  besser 
Gestellte  ärmeren  vorzogen.  Doch  scheint  in  Sparta  das  Verhältnis  zwischen 
Männern  und  Knaben  stets  keusch  geblieben  zu  sein. 

Durchaus  ungünstig  lauten  nach  Waehsmuth  die  Zeugnisse  der  Alten 
über  Elis  und  Böotien,  abgesehen  von  der  heiligen  Schar  Thebens2);  in 
Megara  war  bei  dem  Heroenfeste  Diokleia  ein  Preis  auf  den  schönsten  Knß 
des  KaXo;  gesetzt.  —  Die  einzigen  Regierungen,  welche  die  Männerliebe  ver- 
folgten, waren  die  Tyrannen,  welche  von  ihr  Verschwörung  befürchteten. 

Josef  MiUler9)  freilich  warnt  vor  einer  unvorsichtigen  Interpretation  der 
uus  von  den  Alten  überkommenen  Mitteilungen  über  die  Knabenliebe.  Die 
Verdächtigung  des  Sokrates  als  Päderast  weist  er  mit  Entrüstung  zurück. 
Damit  streite  die  erhabene  Auffassung  des  Liebhaberbündnisses  im  Symposion 
und  Sokrates'  Äußerung  bei  Xenoyhon  (Memorab.  1,  3),  wo  er  den  Mann,  der 
es  wage,  einen  Jüngling  zu  küssen,  den  Verwegensten  und  Tollkühnsten  der 
Menschen,  und  die  Schönheit  ein  giftiges  Tier,  gefährlicher  als  eine  Giftspinne, 
nenne.  Plato  singe  im  Symposion  der  idealisierten  Knabenliebe  ein  hohes 
Lied,  nenne  aber  in  den  „Gesetzen''  den  homosexuellen  Verkehr  eine  „voll- 
kommene Unnatur"  und  eine  „Ausgeburt  schrankenloser  Wollust".  Wohl  sei 
die  Gesetzgebung  später  laxer  geworden,  aber  noch  im  4.  Jahrh.  v.  Chr.  frage 
Aesclünes  in  seinen  Reden  gegen  Timarchos  mit  Entrüstung:  „Was  wird  dem 
nicht  feil  sein,  der  die  Schändung  seines  Körpers  feilgeboten  hat?"  und  wenn 
Xenophon  (Symposion  8,  34)  berichte,  daß  die  Eleer  und  Boot ier  die  Päderastie 
erlaubten,  so  bestätige  diese  Ausnahme  nur  die  Regel. 

Einen  ähnlichen  Standpunkt  nahm  Bachofen  ein,  als  er  schrieb:  Der 
Gedanke  der  Männerliebe  in  seiner  ursprünglichen  Reinheit  war  nicht  jene 
Sinnlichkeit  der  Liebe,  an  welche  Ovid  (M.  10,  83),  der  Genosse  einer  ent- 
arteten Zeit,   allein   dachte,   sondern  Erhebung   über   dieselbe,   Ersetzung   des 

')  Nach  einer  andern  Stelle  bei  Waehsmuth  (2,  11)  war  dies  nur  Sage.  Josef  Müller 
tritt,  wie  schon  angedeutet,  gerade  für  die  Keinheit  der  kretensischen  Knabenliebe 
ein  (Das  sexuelle  Leben,  272).  Wahrscheinlich  kam  er  zu  dieser  Überzeugung  durch  die 
folgende  Stelle  bei  Strabo  (10,  4),  die  er  auf  Seite  271  zitierte:  „Für  liebenswürdig  halten  sie 
(die  Kretenser)  nicht  den,  der  sich  durch  Schönheit,  sondern  wer  sich  durch  Männlichkeit 
und  Sittsamkeit  auszeichnet." 

2)  Vgl.  Bancroft  f.  S. 

3)  I.  c,  271  f. 


524  Kapitel  XLVII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

gemeinen  durch  den  höheren  Eros,  Erzeugung  der  sittlichen  Scham.  Die 
appsve?  eptote?  erscheinen  als  Gegensatz  der  auf  das  Weib  gerichteten  rein 
sinnlich-geschlechtlichen  Begierde.  Sie  nehmen  in  derGeschichte  derEeligion 
eine  wichtige  Stelle  ein1).  Die  Knabenliebe  der  Kreter,  Eleer,  Megarer, 
Thebaner,  Chalcidier  und  Phrygier  hatte  ursprünglich  wahrscheinlich 
auch  jene  Bedeutung.  Sokrates  sah  in  ihr  die  erste  Erhebung  des  Menschen, 
die  Befreiung  aus  der  Herrschaft  des  Stoffes,  den  Übergang  vom  Leib  zur 
Seele,  in  welchem  die  Liebe  sich  über  den  geschlechtlichen  Trieb  erhebe,  das 
beste  Mittel,  sich  der  Vollkommenheit  zu  nähern.  Diese  Auffassung  finde  sich 
auch  bei  Xenophon.  — 

Backofen  machte  uns  aber  auch  mit  der  Auffassung  des  Storches  als 
Knabenschänder  in  der  Alten  Welt  bekannt.  In  dieser  Eigenschaft  finde 
sich  der  Storch  auf  einem  Grabgemälde  aus  dem  Columbarium  der  Villa  Pamfili. 
sowie  auf  verschiedenen  Münzen  aus  Menda  in  der  thrakischen  Pallene. 
Der  derbsinnliche  Ausdruck  dürfe  uns  nicht  abhalten,  hierin  einen  Anschluß 
au  die  Mysterienbedeutung  der  Knabenliebe  zu  erkennen.  Gerade  diese 
Auffassung  erkläre  die  Aufnahme  einer  solchen  Szene  in  die  Gräberwelt  und 
die  Darstellung  auf  Münzen.  — 

Somit  wäre  die  Päderastie  auch  in  Rom  und  Griechenland  als  Kultakt 
bezeugt,  als  welcher  sie  bereits  weiter  oben  von  D'Arbois  für  den  Orient  eingeführt 
worden  ist.  Wie  schon  angedeutet,  ist  das  aber  kein  Beweis  für  eine  ideale  Auf- 
fassung, hauptsächlich  wenn  man  die  Berichte  über  die  alten  Kulturvölker 
Amerikas  vergleicht,  bei  deren  Schilderung  Baneroft  bemerkte:  Päderastie  be- 
herrschte die  Griechen  derart,  daß  der  Widerstand  als  Heldenmut  galt.  Plutarch 
konnte  sich  nicht  genug  tun,  in  der  Biographie  des  Ages'ilaus  dessen  Selbst- 
beherrschung in  seiner  Liebe  für  den  Knaben  Megabates  zu  rühmen,  was  nach 
Maximus  Tyrius  größeres  Lob  verdient,  als  der  Heldenmut  des  Leonidas. 
Ferner  weist  Baneroft  auf  Diogenes  Laertius  hin,  der  Zeno,  den  Begründer 
der  Stoischen  Schule,  rühmt,  weil  er  der  Päderastie  nur  wenig  ergeben  war. 
Sophokles  habe  diesem  Laster  stark  gefrönt.  „Das  freundschaftliche  Band" 
und  „die  Quelle  kriegerischer  Tapferkeit",  welche  die  griechischen  Moralisten 
in  der  Knabenliebe  rühmten,  verhinderten  nicht  das  Laster  in  ihr.  und  so 
scheint  Baneroft  auch  die  Begeisterung  der  heldenmütigen  Schar  des 
Epaminondas,  welche  man  auf  die  Knabenliebe  zurückführte,  keineswegs 
so  aufzulassen,  als  ob  sie  mit  dem  Laster  nicht  hätte  verbunden  sein  können2).  — 
Wenn  feiner  die  zentralamerikanischen  Nahuavölker  die  Berechtigung  dieses 
Lasters  in  dessen  Einführung  durch  die  Götter  selbst  fanden,  so  weist 
Baneroft  auf  zwei  Seitenstücke  bei  den  Griechen  und  Römern  hin.  Diese 
erklärten  ihre  Niederlage  durch  Hannibal  bei  Cannae  mit  der  Eifersucht  der 
•  Inno,  weil  ein  schöner  Knabe  in  den  Tempel  des  Jupiter  eingeführt  worden 
war.  und  jene  ersetzten  die  Hebe  durch  den  olympischen  Mundschenk  Ganymedes 
und  begründeten  dadurch  die  widernatürliche  Liebe  mit  Zeus' eigener  Leidenschaft. 

umgekehrt  apotheosierte  Kaiser  Hadrian  seinen  Geliebten  Antonius 
nach  dessen  Tod.  ließ  ihm  zu  Einen  einen  Tempel  erbauen  und  Opfer  dar- 
bringen. -  Der  Grundgedanke  bleibt  sich  hier  wie  dort  gleich:  Es  ist  die 
Apotheosierung  der  Lust,  in  Amerika  so  gut  wie  in  Europa  und  Asien. 
Einen  gemeinsamen  Ausgangspunkt  des  Lasters,  etwa  den  Orient,  anzunehmen, 
wie  das  gewöhnlich  geschieht,  wird  nur  dann  den  Tatsachen  entsprechen. 
wenn  man  zugleich  an  den  Orient  als  gemeinsamen  Ursitz  der  Menschheit 
denkt.     Für  Rom  dürfte  orientalischer  Einfluß  wenigstens  auf  die  Förderung 


'  i  Dadurch  ist  die  Knabenliebe  aber  nicht  keusch  geworden.  Es  handelt  sich  hier 
vielmehr  gerade  um  die  Apotheosierung  des  Lasters,  was  kaum  eher  stattfinden  konnte,  als 
die  Gemüter  davon  schon  stark  eingenommen  waren. 

-)   Vgl.    Wachsmuths  Ansicht   über  diese  „heilige"  Schar  v.  S. 


§  309.     Sogenannte  widernatürliche  Laster  (Päderaslie,  Onanie  usw.).  525 

der  Unzucht  nachgewiesen  sein.  Nach  Josef  Müller  erhielt  in  Eom  die  Ery- 
cinische  Venus,  „eigentlich  die  phönizische  Astarte",  nach  dem  zweiten 
punischen  Krieg  einen  Tempel  auf  dem  Kapital  (215),  und  der  Venusdienst 
begann  ein  Dienst  der  Unzucht  zu  werden.  Schon  Cato  habe  gesehen,  daß 
man  Lustknaben  teurer  als  Landgüter  verkaufte.  Aber  noch  in  der  lex  Julia 
(9.  n.  Chr.)  stand  der  Tod  auf  unnatürlichen  Lastern,  wie  Müller  schreibt, 
der  ferner  auf  Plutarchs  ..Denkwürdigkeiten  der  Römer"  mit  den  Worten 
hinweist:  „Nicht  Rang,  nicht  Verdienst  schützten  vor  Strafe.  Der  Volkstribun 
Scanünius  Capitolinw,  der  seinem  Sohn  unzüchtige  Zumutungen  gemacht 
hatte,  berief  sich  vergebens  auf  seine  unverletzliche  Würde;  er  wurde  ver- 
urteilt, und  zwar  nur  auf  das  Sclrweigen  des  Sohnes  hin"1).  --  Aber  Caligula 
gab  im  1.  Jahrhundert  n.  Chr.  in  seinem  Palast  die  vornehmsten  Knaben  und 
Frauen  seinen  Besuchern  preis,  wofür  er  Bezahlung  annahm.  Die  Menge  habe 
auch  keineswegs  Anstoß  daran  genommen.  Nero,  der  sich  mit  einem  Frei- 
gelassenen verheiratete,  durchstreifte  nachts  Rom  und  schändete  Knaben  und 
Weiber.  Sogar  Seneca  „hatte  Geschmack  an  Lustknaben".  Auch  Träjan 
liebte  sie.  und  Avitus,  der,  wie  Nero,  mit  einem  Mann  vermählt  war,  trieb 
sein  Unwesen  mit  Lustknaben  in  berüchtigten  Häusern,  nachdem  er  die  Dirnen 
hinausgejagt  hatte2).  — 

Die  Perser  lernten  die  Päderastie  erst  von  den  Griechen,  wenn  Herodot 
recht  hat.  Vordem  soll  sie  in  den  religiös-sittlichen  Anschauungen  der  Perser 
ein  Greuel  gewesen  sein,  und  das  gleiche  gelte  von  der  Selbstbefleckung, 
schreibt  Josef  Midier*)  und  zitiert  Arumazda:  „Ein  Mann,  der  über  fünfzehn 
Jahre  alt  ist  und  Unzucht  treibt  ohne  Gürtel  und  Band,  der  tötet  die  mit 
Körpern  begabte  Welt  der  Reinen ;  über  den  erhält  die  Daevi  Drudsch  Gewalt, 
und  die  Daeva  werden  ihn  abmagern  an  Zunge  und  Fett"4).  — 

In  den  Tempeln  von  Sodom  übte  man  Päderastie  offiziell,  wie  D'Arbois 
schreibt,  wobei  er  bemerkt:  „Jerusalem  etait  si  pres  de  Sodome"  und  auf 
verschiedene  Stellen  in  den  Büchern  der  Könige  hinweist,  nach  welchen  auch 
in  Juda.  ja  sogar  inuerhalb  des  Tempelgebietes  in  Jerusalem,  prostituierte 
Knaben  lebten.  1  Könige,  14  erzählt  nämlich,  daß  unter  der  Regierung 
Behdbeams,  des  Sohnes  Salomons  und  der  Ammonitin  Naama,  Götzendienst 
auf  Höhen  und  in  Hainen  getrieben  wurde.  „Auch  waren  feile  Knaben  im 
Lande;  sie  taten  nach  allen  Gräueln  der  Völker,  welche  Jehova  vertrieben 
hatte  vor  den  Söhnen  Israels."  Der  Sohn  und  Nachfolger  Behabeams,  Abiam, 
„wandelte  in  allen  Sünden  seines  Vaters",  doch  Asa,  Abiams  Sohn,  schaffte 
einen  Teil  der  feilen  Knaben5)  aus  dem  Lande  und  entfernte  alle  Götzen, 
welche  seine  Väter  gemacht  hatten.  Auch  Mäacha,  seine  Mutter,  entfernte 
er,  daß  sie  nicht  Herrscherin  sein  durfte,  weil  sie  ein  Götzenbild  in  den  Hain 
gemacht  hatte.  Doch  das  Opfern  und  Räuchern,  der  Götzendienst  auf  den 
Höhen,  hörte  noch  nicht  auf.  Den  Rest  der  feilen  Knaben  tilgte  Josaphat, 
Asas  Sohn  und  Nachfolger,  aus  dem  Lande. 

.Mit  dem  AViederaufleben  des  Götzendienstes  unter  Manasse  und  Amon 
scheint  die  Knabenprostitution  in  Juda  abermals  eingerissen  zu  sein;  denn 
2  Könige  23,  7  berichtet  von  der  Zerstörung  der  „Häuser  der  feilen  Knaben, 


')  J.  Müller,  323  und  325.  —  Auf  Seite  332  sehreibt  Müller,  der  in  Rom  betriebene 
Phalluskult  sei  in  all  seinen  Formen  von  Babylon  über  Kleinasien,  Griechenland 
und  den  italischen  Kolonien  nach  Rom  gekommen,  „wo  der  Boden  bereits  geebnet 
war". 

2)  Derselbe,  S.  335,  337,  338  und  341,  nach  Dio  Cassius. 

3)  Derselbe,  193. 

4)  Über  die  neuzeitlichen  Perser  siehe  §  310. 

5)  Zwar  heißt  es  1  Könige  15,  12,  „die"  feilen  Knaben.  Daß  es  aber  nur  ein  Teil 
war,  geht  aus   1   Könige  22,  47  herror. 


526  Kupitel  XLYII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

die  im  Hause  Jehovas  waren,  wo  die  Weiber  Zelte  webten   für  den  Hain", 
d.  h.  für  den  heidnischen  Kult,  mit  dem  König  Josia  gründlich  aufräumte.  — 

Die  Päderastie  stand  und  fiel  in  Juda  mit  dem  von  außen  kommenden 
Götzendienst.  Wie  sehr  dieses  Laster  in  Sodom  wucherte,  geht  aus  1  Moses 
19  hervor.  Kaum  haben  die  Leute  von  den  Gästen  Lots  gehört,  wollen  sie 
auch  schon  ihre  Leidenschaft  an  ihnen  befriedigen.  Hingegen  heißt  es  in 
3  Moses  18.  22:  „Ein  Abscheu  ist  dies",  und  in  Vers  26ff.:  „Tuet  nichts  von 
all  diesen  Gräueln,  der  Einheimische  und  der  Fremde,  der  bei  euch  sich  auf- 
hält; denn  alle  diese  Gräuel  haben  die  Einwohner  des  Landes  verübt,  die  vor 
euch  sind,  nämlich  die  Kanaaniten,  wodurch  das  Land  ist  verunreinigt  worden, 
damit  das  Land  euch  nicht  ausspeie,  wie  es  das  Volk  ausspeie,  welches  vor 
euch  ist.  Denn  jeder,  der  eins  von  diesen  Gräueln  tut,  der  soll,  wenn  er  es 
tut,  ausgerottet  werden  aus  seinem  Volke." 

Lev.  18,  22  verlangt  die  Steinigung  für  homosexuelle  Vermischung. 
„Du  sollst  dich  nicht  mit  einem  Manne  vermischen  wie  mit  einem  Weibe; 
denn  verflucht  ist  ein  solcher  Mann,  und  ihr  sollt  sie  steinigen;  denn  sie  haben 
eine  Schandtat  begangen." 

Nach  Torquemada  gab  es  damals  schon  als  Weiber  verkleidete  Männer 
und  als  Männer  verkleidete  Weiber  zu  homosexuellem  Verkehr.  Auf  diesen 
Mißbrauch  sei  Deuter.  22,  5  zu  beziehen:  „Mannes  Kleider  soll  ein  Weib 
nicht  anziehen;  und  eiu  Mann  soll  keines  Weibes  Kleider  anziehen;  denn  ein 
Gräuel  Jehovas,  deines  Gottes,  ist  jeder,  der  d~ies  tut."  Die  Verkleidung  habe 
zur  Bemäntelung  des  Lasters  gedient.  — 

Der  gleiche  Abscheu  vor  Homosexualität  beider  Geschlechter  äußerte 
sich  in  der  jungen  christlichen  Kirche.  Paulus  sah  es  als  eine  Strafe 
Gottes,  als  eine  Folge  der  vernachlässigten  Gottesverehrung  an,  daß  die  Mensch- 
heit in  dieses  unnatürliche  Laster  verfallen  war,  und  der  erste  Korinther- 
brief  droht:  „Kein  Knabenschänder  wird  Erbe  des  göttlichen  Eeiches  werden.-' 
Der  Iüiabenschäiider  lebt  nicht  in  der  Freiheit  der  Gerechten,  welche  des 
Gesetzes  nicht  bedürfen.  —  Die  sogenannten  „Apostolischen  Konsti- 
tutionen", welche  im  4.  Jahrhundert  n.  Chr.  in  der  kirchlichen  Literatur 
erschienen,  bezeichnen  die  Päderastie  als  eine  verabscheuiingswürdij>e  wider- 
natürliche Vermischung  und  stellen  sie  auf  die  Stufe  der  Sünde  mit  unver- 
nünftigen Tieren ').  — 

Stark  wucherte  die  Päderastie  im  16.  Jahrhundert  im  nördlichen  Afrika. 
Leo  Africanus  berichtete  damals  von  den  Einwohnern  der  Stadt  Azaamur 
an  der  Mündung  des  Flusses  Ommirabih,  sie  seien  diesem  Laster  so  ergeben, 
daß  ihnen  kein  Knabe  entgehe,  was  ihre  Besieger.  die  Portugiesen,  strenge 
bestraften,  noch  ehe  sie  nach  Sala  und  Fes  entfliehen  konnten. 

Im  19.  Jahrhundert  galt  dem  Volk  in  Tunis  widernatürliche  Unzucht 
als  eine  Schande;  aber  bei  entarteten  Vornehmen,  hauptsächlich  türkischer 
Abstammung,  z.  B.  in  der  Herrscherfamilie,  soll  sie  vorgekommen  sein  (B.. 
Fr/ir.  von  Maltzan). 

„Orientalische  Laster"  sagte  Oskar  Baumann  den  Maskat- Arabern 
auf  Sansibar  nach,  worunter  wohl  das  von  l>urto>i  angedeutete  „Liwat"  zu 
verstehen  ist,  das  dort  nur  als  peccadillo  gelte,  obschon  der  letzte  Sayyid 
einem  seiner  Neffen  wegen  seiner  Ausschweifungen  das  muselmanische  Begräbnis 
versagt   habe.     Die  Leiche  wurde  nackt  ins  Meer  geworfen. 

Eduard  Sahir  fand  Päderastie  in  den  höheren  Kreisen  der  Türken; 
fernei-  bei  den  Albanesen  und  Lasen.     Die  Araber  der  Halbinsel  und  die 


»)  A|,  Constit.  VI,  c.  28,  und  VII,  c.  3.  Ül.ers.  Boxler,  Kempten  1874.  —  In  cap.  28 
heißt  es  ferner:  ,.I>m'  mil  der  Bodomitischen  Sünde  sich  bellecken,  bewerkstelligen  Zerstörung 
der  Weltordnung,  indem  sie  die  Natur  zur  Widernatur  zu  verkehren  suchen." 


§  309.     Sogenannte  widernatürliche  Laster  (Päderastie,  Onanie  usw.). 


527 


andern  von  Nolde  besuchten  Völker  in  Armenien  und  Kurdistan  sprachen 
mit  Abscheu  davon. 

Bei  den  Massai  in  Deutsch-Ostafrika  treiben  besonders  ältere  Knaben, 
die  noch  nicht  mit  Mädchen  geschlechtlich  verkehren  dürfen,  Sodomie  mit 
Eseln,  wobei  das  Tier  von  vier  Knaben  gehalten  wird  (Max  Weiss). 

Den  Wasuaheli  gelten  unnatürliche  Laster  als  der  Gesundheit  zuträglich 
(Burton). 

Bei  den  Hottentotten  der  Kapkolouie  ist  Selbstbefleckung  unter  dem 
weiblichen  Geschlecht  so  häufig,  daß  sie  als  Landessitte  gilt  und  die  Leute 
davon  wie  von  einem  offenen  Geheimnis  sprechen  (Fritsch). 


Fig.  415.    Männer,  Weiber  und  Kinder  auf  Jaluit,  Marse  hal  1  -Insel.    Stolpe  phot.    Im  K.  Ethnographischen 

Museuni  in  München. 


Auf  den  Marschall-Inseln  stehen  unnatürliche  Laster  in  voller  Blüte; 
die   Jugend   kennt  auch  schon  vor  der  Reife  kein  Sittengesetz  (Carl  Hager). 

Über  die  Onanie  der  Neumecklenburger  siehe  §  312. 

Einer  Art  Homosexualität  dient  die  Subinzision  oder  Mika-Operation  in 
Australien,  welche  in  Kapitel  XXXVIII  als  jene  Operation  beschrieben 
worden  ist,  bei  welcher  die  Harnröhre  an  der  Unterseite  aufgeschlitzt  wird, 
so  daß  beim  Koitus  die  Ejakulation  außerhalb  der  Vagina  eintritt,  wodurch 
nur  selten  Befruchtung  eintritt.  Diese  Art  Verhinderung  einer  regelmäßigen 
Befruchtung,  welche  bis  in  die  neueste  Zeit  gewöhnlich  als  der  einzige  Zweck 
der  Operation  aufgefaßt  worden  war1),   ist  also   nicht   der  alleinige  Zweck, 


')  Vgl.  S.  235  des  vorliegenden  Bandes,   bei   deren  Drucklegung  ich   von   der   obigen 
Erklärung  noch  keine  Kenntnis  hatte. 


528 


Kapitel  XLVII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 


sondern  die  Suhinzision  dient  auch  der  Knaben-  und  Männerliebe1).     Klaatseh 
erfuhr  dieses  von  Missionären  bei  den  Niol-Niol  an  der  australischen  Nord- 


Fig.   4ii>.     Carpentaria-Golf.     N.-O -Australien,    Wellesley-Islandj 

wildlebenden  Horde.     KUiatsck  i.hot . 


Weiber   uinl   Kinder   einer 


Fip:  ii7.   Carpentaria-Golf.  X-  O.-Auatralien.  Weiber  nnd  Kinder  auf  einer Miasionastation  (Map oon). 

Klaatseh  jiliut. 

we-tkiiste.  Der  subinzisierte  Erwachsene  dient  dem  noch  nicht  operierten 
Knaben  als  Weib,  der  den  Koitus  in  die  künstliche  Öffnung  verrichtete.  —  Bei 
den  Boulia  in  Queensland,  also  im  nordöstlichen  Australien,  herrscht  dieser 

'i   Möglicherweise  haben  wir  hier  aber  auch  einen  religiösen  Kultakt. 


§  809.     Sogenannte  widernatürliche  Laster  (Päderastie,  Onanie  usw.).  529 

Mißbrauch  auch;  bei  ihnen  heißen  die  Operierten  „Besitzer  der  Vulva",  wie 
Roth  Klaatsch  mitgeteilt  habe  (Ferdinand  Frhr.  von  Reitzenstein). 

Aus  China,  diesem  Land  der  Förmlichkeiten,  wird  neuestens  vom  Missionar 
J.  Dols  berichtet,  daß  sich  Chinesen  nicht  schämen,  in  Gegenwart  anderer  kleine 
Knaben  und  Mädchen  zu  schänden.  „Sinenses  habent  maniam  quandam  faciendi 
masturbationem  vel  paederastiam  cum  puerulis  et  puellulis  et  uon  embescunt 
patrare  hoc  facinus  etiam  coram  aliis."  —  Dieser  Bericht  bezieht  sich  auf 
die  Provinz  Kan-su.  —  Widernatürliche  Laster  wurden  früher  auch  den  Mon- 
golen zugeschrieben.     Hue  und  Gäbet  fanden  solche  zu  ihrer  Zeit  nicht  vor. 

Aus  Kamtschatka  berichtete  Steiler  im  18.  Jahrhundert,  es  habe  nicht 
besser  ausgesehen,  als  in  Sodom.  Die  Knaben  schändeten  sich  gegenseitig  vor 
deu  Augen  ihrer  Eltern,  die  zwar  das  Abnorme  dieser  Erscheinung  einsahen, 
aber  es  nicht  verwehrten.  Nur  kleideten  sie  solche  Knaben  als  Mädchen  und 
gaben  ihnen  Weiberarbeit.  Vor  Steller  habe  es  so  viele  derart  aufgewachsene 
Männer  gegeben,  daß  fast  jeder  Verheiratete  einen  neben  seiner  Frau  gehalten 
habe,  ohne  daß  diese  etwas  dagegen  hatte.  Auch  Steller  traf  noch  den  einen 
und  andern  an.  —  Mit  der  Einführung  des  Christentums  habe  das  aufgehört. 

Auch  auf  den  Aleuten  wurden  früher  viele  Knaben  als  Mädchen  er- 
zogen. Man  zupfte  ihnen  den  sprossenden  Bart  aus  und  tätowierte  ihnen 
das  Kinu  nach  Weiberart.  Diese  als  Konkubinen  benutzten  Burschen  hießen 
Schopans.  Der  Brauch  soll  auf  die  ältesten  Zeiten  zurückgehen.  Th.  L.  Mc. 
Kenney  weist  auf  einen  sehr  ähnlichen  Brauch  unter  den  Chippeway-Indianern 
hin.  In  Amerika  gaben  sich  sogar  Häuptlingssöhne  zu  solchen  Zwecken  her, 
wie  aus  der  folgenden  Mitteilung  Tanners  hervorgeht,  aus  welcher  wir  zu- 
gleich erfahren,  daß  derartige  Mannweiber  von  einem  Stamm  zum  andern 
übersiedelten.     Tanner,  ein  Mitglied  des  Ottawa-Stammes,   erzählt  nämlich: 

„Im  Laufe  dieses  Winters  kam  zu  unserem  Lagerplatz  der  Sohn  des 
berühmten  Oschibbewayhäuptlings,  Wesch-ko-bug,  der  am  Leechsee  wohnte. 
Dieser  Mensch  gehörte  zu  denen,  welche  sich  ganz  so  betragen  wie  Weiber 
und  von  den  Indianern  auch  Weiber  genannt  werden.  Es  gibt  dergleichen 
unter  den  meisten  und  vielleicht  unter  allen  indianischen  Völkern1), 
und  insgemein  nennt  man  sie  A-go-kwas.  Dieses  Geschöpf,  genannt  Ozaw- 
wen-dib  (der  Gelbkopf),  war  damals  wohl  bald  fünfzig  Jahre  alt  und  hatte 
mehrere  Männer  gehabt.  Ich  weiß  nicht,  ob  sie'-)  mich  gesehen  hatte,  oder  ob 
nur  von  mir  gehört;  genug,  sie  sagte  mir  alsbald,  daß  sie  weither  gekommen 
sei,  um  mich  zu  sehen,  und  darauf  rechnete,  mit  mir  leben  zu  können.  Diese 
Anträge  wurden  oft  von  ihr  wiederholt;  sie  ließ  sich  durch  keine  abschlägigen 
Antworten  irremachen  oder  zurückweisen  und  wiederholte  ihre  ekelhaften 
Zumutungen  so  häufig,  daß  sie  mich  gewissermaßen  aus  der  Hütte  vertrieb. 
Die  alte  Net-no-kwa3),  mit  welcher  sie  recht  gut  bekannt  war,  lachte  über 
meine  Verlegenheit  und  schamhafte  Zurückhaltung,  wenn  die  Gelbköpfln  mich 
mit  ihren  Zumutungen  belästigte.  Ja,  es  hatte  sogar  den  Anschein,  als  würde 
diese  von  ihr  aufgemuntert,  noch  länger  in  unsere]-  Hütte  zu  verweilen.  Der 
A-go-kwa  zeigte  große  Geschicklichkeit  in  allen  Weiberarbeiten,  womit  er 
sich  auch  sein  ganzes  Leben  lang  beschäftigt  hatte.  Endlich  aber,  als  er 
wohl  sah,  daß  alle  seine  Bemühungen,  mich  anzulocken,  vergebens  waren,  und 
vielleicht  auch,  um  nicht  länger  Hunger  zu  leiden,  denn  wir  hatten  nur  wenig 


*)  Über  die  von  Bancroft  mitgeteilten  Individuen  dieser  Art  in  Kalifornien  und 
Mexiko  vgl.  Renz,  „Streiflichter  auf  Gemüt  und  Keuschheit  bei  nord-  und  zentralamerika- 
tiischen  Völkern"  in  „Die   Wahrheit",  11.  Bd.,  S.  325f. 

2)  Der  Übersetzer  Tanners,  Karl  Andree,  benützt  für  diesen  Zwitter  das  weibliche 
Pronomen. 

3)  Der  weibliche  Häuptling  der  Ottawas,  ein  sonst  tüchtiges  und  religiöses  Weib, 
dessen  Pasten  und  Gebete  zu  Ehren  des  Großen  Geistes  Tanner  mehrfach  erwähnte. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  34 


530  Kapitel  XLVII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

zu  essen '),  verließ  uns  Ozaw-wen-dib,  und  ich  hoffte  schon,  von  nun  an  seinen 
Nachstellungen  entgangen  zu  sein.  Nach  drei  oder  vier  Tagen  aber  kam  er 
wieder."  —  Tanner  erzählt  dann,  wie  dieser  Mensch  sich  bald  darauf  mit  dem 
Häuptling  Wa-ge-to-te  verheiratete.  Wa-ge-to-te  nahm  ihn  neben  seinen  zwei 
Frauen  als  Dritte  an,  was  zu  manchen  Scherzen  und  ergötzlichen  Vorfällen 
Veranlassung  gegeben  habe,  aber  es  sei  aus  dieser  Heirat  weit  weniger  Un- 
ruhe und  Zank  entstanden,  als  wenn  Wa-ge-to-te  eine  dritte  Frau  weiblichen 
Geschlechtes  genommen  hätte. 

"Wie  so  viele  Formen  der  Unzucht,  wurde  auch  diese  auf  göttlichen 
Ursprung  zurückgeführt.  Bei  den  Chi ppeway- Indianern  versicherte  mancher, 
er  sei  im  Traum  oder  durch  irgendeinen  anderen  Sinneseindruck  ermahnt 
woi'den,  seinen  Manito  dadurch  zu  besänftigen,  daß  er  nach  bestem  Wissen 
und  Können  ein  Weib  nachahme.  Dazu  gehörte,  außer  der  Verbindung  mit 
einem  Mann,  die  Nachahmung  der  weiblichen  Stimme,  die  einwärts  gerichteten 
Füße  beim  Gehen,  Weiberkleidung  und  Weiberarbeit.  Wer  diese  Lebensart, 
einmal  begonnen  hatte,  beobachtete  sie  bis  zum  Tod,  als  ein  lebenslängliches 
Gelübde,  wenn  nicht  von  vornherein  eine  Beschränkung  geplant  war,  z.  B. 
daß  das  Gelübde  durch  die  Gefangennahme  eines  Feindes  gelöst  sei  (Th.  L. 
Me.  Kenney-). 

Die  Illinois3)  und  andere  Stämme  am  Mississippi  waren  zu  De  Lahontans- 
Zeit  der  Sodomiterei  sehr  ergeben.  Viele  Individuen  männlichen  Geschlechts  gingen 
auch  hier  als  Weiber  verkleidet  und  ließen  sich  doppeltgeschlechtlich  gebrauchen. 

Bei  den  Mayas,  diesem  alten  Kulturvolk  in  Zentralamerika,  gaben 
manche  Väter  ihren  Söhnen  einen  Knaben  zum  Weib.  Verging  sich  ein  anderer 
mit  diesem  Knaben,  so  wurde  er  als  Ehebrecher  gestraft!  Die  Not- 
züchtigung eines  Knaben  war  mit  den  gleichen  Strafen  belegt,  wie  die  eines 
Weibes  (vgl.  Athen!).  —  Nach  Las  Casus  schickte  man  die  größeren  Jungen 
zum  Schlafen  iu  die  Tempel,  wo  sie  kleine  Knaben  (nifios)  verführten.  Später 
konuten  sie  dieses  Laster,  dem  hier  aus  religiösen  Motiven  gefrönt  wurde, 
nur  schwer  überwinden,  weshalb  sie  von  ihren  Vätern  mögliehst  bald  ver- 
heiratet wurden 4). 

Die  obigen  Strafen  für  die  Notzüchtigung  und  Verführung  des  Knaben 
eines  andern  sind,  wenn  nicht  im  Zusammenhang  mit  der  nach  Mayabegi  iffen 
erlaubten  Knabenliebe  berichtet,  zweifellos  sehr  geeignet,  viel  zu  optimistische 
Begriffe  von  der  Sittlichkeit  der  Mayas  (aber  auch  der  Athener)  zu  bilden,, 
und  der  gleiche  Fall  scheint  bei  den  Xahua-Völkern  vorzuliegen,  von  denen 
Bancroß  schreibt:  Der  Versuch  Clavigeros,  sie  von  dem  Laster  der  Päderastie 
rein  zu  waschen,  ist  nicht  gelungen.  Bei  den  Azteken  (Nahua)  hatte  dieses 
Laster  vielmehr  zur  Zeit  der  spanischen  Eroberung  eine  schreckliche  Verbreitung 
gefunden.  Nach  Pierre  de  Gand  hatte  eine  gewisse  Zahl  von  Priestern  keine 
Weiber,  sondern  mißbrauchten  statt  dessen  Knaben.  Aber  auch  sonst  war 
Knabenliebe  so  allgemein  im  Land,  daß  alles,  alt  und  jung,  von  ihr  angesteckt 
war.     Schon  sechsjährige  Kinder  ergaben  sich  ihr. 

Torquemada  schrieb  freilich,  man  habe  in  Nueva  Espana  den  gehängt, 
der  einen  „pecado  nefando"  begangen,  und  die  Richter  hätten  solchen  Ver- 
brechen im  Staat  eifrig  nachgespürt,  weil  sie  sie  für  vernunftwidrig  und  bestialisch 


')  Hungersnot  im  Winter  ist  bekanntlich  unter  den  Jägerstämmen  nicht  selten. 

*)  Sketches  of  a  Tour  to  the  Lakes,  Baltimore  1827,  pp.  316  f. 

3)  Zur  Algonkin-Gruppe  gehörig. 

*)  Andererseits  ließen  die  Mayas  in  Guatemala  die  Knaben  unter  der  Säulenhalle  des 
Hauses,  weil  man  es  für  unpassend  hielt,  daß  sie  die  Verheirateten  beobachteten  und  ihre 
I'ntcrhaltung  mitanhörten.  Auch  in  Yucatan  trennte  man  die  Jugend  von  den  Erwachsenen. 
Es  gab  da  in  jedem  Dorf  ein  sehr  großes  übertiinehtes  Wetterdach,  unter  dem  die  Jugend 
nachts  schlief  und  sich  am  Tage  unterhielt. 


§  310.     Verkehr  der  beiden  Geschlechter.    Theorie  und  Praxis  bei  Indoeuropäern  usw.      531 

hielten.  An  einer  andern  Stelle  geht  Torquemada  auf  diesen  „pecado  nefando" 
näher  ein  und  konstatiert  ihn  für  Vera  Paz:  Auch  hier  sei  diese  Sünde  früher 
gesetzlich  verboten  gewesen.  Aber  später  sei  ein  Dämon  in  Gestalt  eines 
jungen  Mannes  namens  Chin  (in  anderen  Sprachen  auch  anders  genannt)  er- 
schienen und  habe  sie  durch  sein  Beispiel  verleitet,  indem  er  sich  vor  ihnen 
mit  einem  andern  Dämon  verging.  Von  da  an  hätten  es  viele  nicht  mehr 
für  sündhaft  gehalten.  Vielmehr,  so  berichtet  Torquemada  weiter,  wurde  es 
nun  gebräuchlich,  daß  die  Väter  ihren  erwachsenen  Söhnen  einen  Knaben  zum 
geschlechtlichen  Verkehr  gaben.  Ja,  es  wurde  sogar  gesetzlich  festgelegt,  daß 
der  Gebrauch  solcher  Knaben  durch  andere  Männer  den  gleichen  Strafen 
unterlag  wie  Ehebruch  (vgl.  die  Mayas,  v.  S.).  Doch  gab  es  auch  in  Vera  Paz 
Leute,  welche  die  Päderastie  als  Laster  verurteilten  und  die  Knaben  ermahnten, 
sie  sollten  davon  lassen,  damit  sie  nicht  daran  stürben  (Torquemada). 

Banci-ofts,  Ansicht  über  Eunuchen  am  Hofe  Montezumas  IL,  welche  in 
ihrer  Kindheit  operiert  worden  waren,  ist  in  Kap.  XXXVII,  Abschnitt  „Varia", 
wiedergegeben  worden. 

Auch  auf  Florida  wucherte  Homosexualität  zur  Zeit  der  Entdeckung  stark. 
Viele  männliche  Individuen  gingen  auch  hier  in  Weiberkleidung  und  ließen  sich, 
je  nachdem,  als  Mann,  oder  als  Weib  gebrauchen.  Sie  verrichteten,  wie  ihre 
Standesgenossen  auf  den  Aleuten  und  in  den  nördlichen  Gebieten  Amerikas, 
Weiberarbeit.  Auf  Kriegszügen  hatten  sie  das  Gepäck  zu  tragen  (Torquemada 
und  Dapper). 

Aus  Südamerika  sind  „Mannweiber"  von  Martius  erwähnt  worden, 
der  zugleich  auf  solche  Erscheinungen  in  Mittel-  und  Nordamerika  hinwies. 

Bei  den  brasilianischen  Tupin-Imbas  hörte  Lery  die  gegenseitige  Be- 
schimpfung als  „Tyuire",  d.  h.  Knabenschänder. 

Widernatürliche  Laster  sollen  schließlich  auch  im  Männerhaus  derBororö- 
Kolonie  Therese  Christina,  Matto  Grosso,  nicht  fremd  sein  (Karl  von  den 
Steinen).  — 

§  310.     Verkehr  der  beiden  Geschlechter.     Theorie  und  Praxis  bei 
Indoeuropäern  und  nichtarischen  Indern. 

Die  Jugenderziehung  der  alten  Inder  war,  nach  Josef  Müller,  von 
keuschem  Geist  durchweht.  Über  die  Unschuld  der  Mädchen  wachte  Visch- 
wasu,  der  erst  am  Hochzeitstage,  weichen  sollte.  „Durch  keusches  Wesen 
findet  eine  Jungfrau  einen  Gatten",  heiße  es  im  Atharvaveda  (11,  5,  18).  — 
Daß  aber  der  Keuschheitsbegriff  im  alten  Indien  vom  christlichen  sehr  weit 
abwich,  geht  schon  aus  der  üblichen  öffentlichen  Entblößung  heiratsfähiger 
armer  Mädchen  hervor.     Wer  sie  bedeckte,  heiratete  sie,  schrieb  Torquemada*). 

Was  das  neuzeitliche  Indien  betrifft,  so  wurde  auf  den  Mangel  an 
sittlicher  Erziehung  schon  in  §  294  hingewiesen:  Die  Kinder  hören  von  den 
Dienstboten,  denen  sie  zur  Obhut  anvertraut  sind,  unsittliche  Beden  und  sehen 
unsittliche  Gebärden.  --  Nach  Hoffmann  werden  ferner  Hunderttausende  von 
Mädchen  als  Devadasis  (Göttermädchen)  in  die  Pagoden  zu  AVeikzeugen  der 
Schlechtigkeit  der  Brahmanen  hingegeben.  -  Ebensowenig  ist  das  durch- 
schnittliche Eheleben  geeignet,  auf  eine  keusche  Erziehung  der  Jugend  hin- 
zuwirken. Die  sogenannten  Kulinbrahmanen,  die  einen  erblichen  Adelsstand 
in  Bengalen  bilden,  werden  von  Hoffmann  geradezu  „Ehehändler"  genannt. 
Aus  Geldgier  vermehren  sie  die  Zahl  ihrer  Frauen  ins  Grenzenlose,  so  daß 
viele  Kinder  ihre  Halbgeschwister  und  Stiefmütter  nicht  einmal  der  Zahl  nach 
alle  kennen.  —  Bei  den  Nair,  Nichtariern  im  Südwesten  der  vorderindischen 
Halbinsel,    ist    von    einer    geordneten    Ehe    nicht    die    Rede,    und    ähnlich 


»)  Mon.  Ind.  II,  406  ff.  (nach  Strabo,  Geogr.  1.   15). 

34* 


532  Kapitel  XLVII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

sieht  es  in  mehreren  anderen  Gebieten  aus.  —  Die  Mythologie  ist  derart,  daß 
schon  der  Verdacht,  daß  Mädchen  oder  Frauen  sie  kennen,  genügt,  diese  der 
Unsittlichkeit  zu  verdächtigen. 

Die  Kindererziehung  der  polyandrischen  Toda  im  südlichen  Vorderindien 
zur  Keuschheit  kann  aus  folgendem  erschlossen  werden.  Man  erschauert  vor 
einer  gegenseitigen,  auch  nur  rein  äußerlichen  Berührung  zwischen  gewissen 
Verwandten  beider  Geschlechter.  Das  Weib  des  von  HarJcness  erwähnten 
Purpura  zitterte  bei  der  bloßen  Erinnerung,  daß  ihr  Pflegevater  ihr  gedroht 
hatte,  er  würde  sie  auf  seinen  eigenen  Armen  wegtragen,  wenn  sie  nicht  gut- 
willig ginge.  Schon  der  Kontakt  der  Gewänder  bedeutet  Verunreinigung. 
Marshall  rühmt  vielen  Toda- Weibern  ein  bescheidenes  Benehmen  außer  dem 
Hause  und  Zurückgezogenheit  nach,  betont  auch  die  Trennung  der  Geschlechter 
im  Bad  und  bei  privaten  Zusammenkünften  sowie  die  fast  beispiellose  Eein- 
erhaltung  des  Todabiutes  trotz  langjährigem  Verkehr  mit  den  Engländern  und 
eingebornen  Nachbarvölkern.  Andererseits  meinen  Marshall  und  Mete,  es  müsse 
bei  den  Wohnungsverhältnissen,  der  naturlichen  Veranlagung,  dem  numerischen 
Überschuß  der  Männer  usw.  ein  ekelhaftes  Geschlechtsleben  zu  den  Gewohn- 
heiten der  Todas  gehören,  ohne  daß  diese  sich  der  Unsittlichkeit  bewußt  seien 
(vgl.  Kap.  L). 

Als  Robert  Knox  in  der  2.  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  auf  Ceylon  war. 
galt  unter  den  Singhalesen  des  Wort  „Sesou"  (Hure)  als  ein  so  hochgradiger 
Schimpf,  daß  man  ihn  nur  auf  Weiber  airwandte,  welche  mit  Männern  aus 
einer  niederen  Kaste  Umgang  pflegten.  In  Wirklichkeit  aber  erlaubten  die 
Eltern  ihren  Söhnen,  von  frühester  Jugend  auf,  die  Nächte  außerhalb  des 
Hauses  zuzubringen,  und  ihren  Töchtern,  solche  Schlafgänger  aufzunehmen, 
damit  diese  untertags  zu  Dienstleistungen  herangezogen  werden  konnten.  „Un- 
sittlichkeit ist  eine  Schande  vor  Gott  und  der  Welt,"  sagten  sie,  „aber  wir 
sind  zu  schwach,  zu  entsagen,"  weshalb  Knox  schrieb:  ,.They  are  guilty  of 
the.  thing,  but  love  not  the  name."  Umsonst  ließ  damals  der  König  von 
Kandi,  Radja-Singä,  zahlreiche  Edelleute  wegen  Verkuppelung  ihrer  eigenen 
Kinder  hinrichten,  Prostituierte  peitschen  und  ihnen  Haare  und  Ohren  ab- 
schneiden. Die  Erziehung  verbesserte  sich  nicht,  und  was  Robert  Perceval 
von  der  Vielweiberei,  dem  Konkubinat,  dem  Ehebruch,  auch  seitens  der  Weiber, 
und  den  häufigen  Ehescheidungen  schrieb,  trug  auch  nicht  zur  Förderung  der 
Erziehung  der  Kinder  zur  Keuschheit  bei. 

In  Persien  hörte  Polali  die  Erwachsenen  ohne  Scheu  vor  den  Kindern 
über  Geschlechtliches  reden.  Man  mache  aus  erlaubten  geschlechtlichen  Ge- 
nüssen kein  Hehl.  —  Diesem  pädagogischen  Grundsatz  und  der  frühen  Verhei- 
ratung, oder  doch  sicheren  Aussicht  auf  baldige  Ehe  schrieb  Polak  es  allerdings 
zu,  daß  Onanie,  Dismenorrhöe  und  Amenorrhoe  sich  bei  Unverheirateten  fast  nie 
einnisteten  und  sich  nur  bisweilen  bei  Witwen  und  Frauen  fanden,  die  von 
ihren  Männern  vernachlässigt  wurden. 

In  Attika  suchte  das  Solotische  Gesetz  die  Keuschheit  zu  pflegen,  indem 
es  den  Jungfrauen  und  Frauen  nächtliche  Ausgänge  nur  im  Vagen  unter 
Vorautragung  einer  Fackel  gestattete.  Untertags  durften  die  Jungfrauen 
sich  nur  verschleiert  auf  der  Straße  zeigen.  Wer  seine  Tochter  der  Unzucht 
preisgab,  war  des  Todes  schuldig.  Mädchen,  die  bei  einem  Mann  ertappt 
wurden,  konnten  von  ihren  Vätern  oder  Brüdern  in  die  Sklaverei  verkauft 
werden.  Ehebrecherinnen  galten  als  ehrlos,  mußten  von  ihren  Männern  ver- 
stoßen werden,  durften  weder  mehr  im  Tempel,  noch  geschmückt  in  der 
Öffentlichkeil  sich  zeigen.  —  All  das  mußte  die  Erziehung  der  Mädchen  zur 
Keuschheit  stark  beeinflussen.  —  Wie  aber  bei  allen  nichtchristlichen  Völkern,  so 
wurde  dem  männlichen  Geschlecht  auch  bei  den  Griechen  in  Attika  das  Sitten- 
gesetz leichter  gemacht:    Verfehlungen  der  Ehemänner  mit  unverheirateten 


§  310.     Verkehr  der  beiden  Geschlechter.    Theorie  und  Praxis  bei  Indoeuropäern  usw.      533 

Nichtbürgerinnen1)  wurden  nicht  bestraft.  Nur  durften  sie  innerhalb  ihrer 
Häuser  keine  Hetäre  und  kein  Kebsweib  haben,  wenn  sie  nicht  wollten,  daß 
ihre  rechtmäßigen  Frauen  auf  Ehescheidung  klagten.  Während  des  pelo- 
ponnesischen  Krieges  (411 — 403)  wurde  im  Interesse  der  Volksvermehrung  auch 
die  Doppelehe  legitim  (Josef  Midier). 

Sparta  glaubte  der  Einsperrung  nicht  zu  bedürfen,  um  seine  Töchter 
bis  zur  Ehe  unverletzt  zu  erhalten.  Die  Mädchen  brauchten  sich  auf  der 
Straße  nicht  zu  verschleiern;  ihre  wollenen  Röckchen  waren  geschlitzt,  wes- 
halb sie  die  „Schenkelzeigenden"  genannt  wurden,  und  bei  gewissen  Tänzen 
erschienen  die  Mädchen  ganz  nackt.  Dennoch  waren  sie  nicht  unsittlicher 
als  ihre  Altersgenossinnen  in  Attika.  —  Ehebruch  soll  in  Sparta  wenig  oder 
gar  nicht  vorgekommen  sein.  Er  sei  im  Lykurgischen  Gesetz  gar  nicht 
erwähnt  (Josef  Müller).  .Hingegen  dürfte  das  polyandrische  Verhältnis, 
welches  bei  mehreren  Brüdern  eintrat,  von  denen  die  jüngeren  keinen  eigenen 
Herd  gründen  konnten,  auf  die  Kinder  nicht  eben  keuschheitlich  gut  gewirkt 
haben.  — 

In  Lokri  verlangte  das  Gesetz,  daß  dem  ertappten  Ehebrecher  die  Augen 
ausgestochen  würden-),  und  in  Gortyn  auf  Kreta  gehörte  zu  den  Strafen  des 
Ehebrechers,  unter  anderem,  der  Verlust  des  Bürgerrechts3). 

Merkwürdig  ist  es  freilich,  daß  die  Tugend  der  Griechen  nur  so  kurz- 
lebig war.  Wenn  man  bedenkt,  daß  das  Konkubinat  in  der  Heroenzeit  all- 
gemein üblich  war,  daß  Sohn  (7.  und  6.  Jahrh.)  selbst  einen  Aphroditentempel 
erbauen  ließ,  und  daß  im  4.  Jahrh.  v.  Chr.  Demosthenes*)  sagen  konnte:  „Wir 
haben  Dirnen  zu  unserem  Vergnügen.  Konkubinen  zum  täglichen  Gebrauch, 
Eheweiber  aber  für  das  Hauswesen  und  um  legitime  Kinder  zu  erhalten"; 
wenn  die  „Wendung"  zum  Schlechteren  schon  vor  dem  peloponnesischen  Krieg, 
also  vor  431  v.  Chr.  eintrat,  wie  Josef  Müller  schreibt,  dann  bleibt  für  die 
sittliche  Höhe,  wenn  eine  solche  überhaupt  nicht  auf  dem  Papier  allein  stand, 
etwa  ein  Säkulum.  Übrigens  sucht  man  Laster,  die  nicht  bestehen,  nicht 
durch  Gesetze  zu  beschränken,  was  auch  für  die  sogenannte  Glanzperiode 
griechischer  Keuschheit  zu  bedenken  ist8).  Die  Hetärenschule  der  Aspasia, 
aus  welcher  zwei  Mädchen  von  megarensischen  Jünglingen  entführt  worden 
sein  sollen,  hatte  wohl  schon  Vorgängerinnen  gehabt,  da  der  Umgang  mit 
Hetären  dem  historischen  Griechen  ja  nie  zur  Schande  gereicht  war.  Korinth, 
Athen,  Milet,  überhaupt  alle  größeren  griechischen  Städte  hatten  übergenug 
von  solchen  Weibern.  Die  wenigstens  beweisbare  und  erzwungene  Keusch- 
heit war  also  durchschnittlich  nicht  bei  den  griechischen  Bürgern,  sondern 
bei  deren  Frauen  zu  suchen,  und  danach  wird  wohl  auch  die  Erziehung  vor 
sich  gegangen  sein,  zumal  Solirates,  Pluto,  Aristoteles,  wie  überhaupt  eine  An- 
zahl leitender  Geister  Griechenlands,  selbst  Bewunderer  und  Anhänger  der 
Hetären  waren.  Die  Söhne  folgten  doch  dem  Beispiel  ihrer  Väter!  Daß  die 
Hetären  sich  (sämtlich  ?)  aus  fremden  Weibern  rekrutierten6),  ist  kein  Beweis 
für  die  Hochhaltung  der  weiblichen  Keuschheit  unter  den  Griechen  in  unserem 
Sinn,  sondern  kann  recht  wohl  mit  dem  griechischen  Eigentums-  und  Staats- 
gedanken erklärt  werden,  zu  denen  es  Analoga  bei  zahlreichen  andern  Völkern 
gibt.     Übrigens  hielt  man  es  in  Athen  im  5.  Jahrhundert  für  erlaubt,   frei- 


1)  Darunter  waren  alle  Ausländerinnen.  Auch  Hetären  gab  es  schon  zu  Soloiis 
Zeit.  Sie  wohnten  außerhalb  der  Stadt,  durften  aber  nach  Sonnenuntergang  hinein.  So'on 
selbst  erbaute  der  Aphrodite  Pandemos  einen  Tempel  (Jos.  Müller,  266,  nach  Athenäos  13,  25). 

2)  Aelian,  Tar.   hist.  13,  23;    Taler.  Max.  6,   5  ext.  3  bei  Josef  Müller,  ebenda,   26J. 
»)  Ebenda. 

«)  Bei  Jos.  Müller,  267. 

*)  Vgl.  die  Gesetze  gegen  die  Knabenliebe  in   §  309. 

8)  Müller,  S.  267. 


534  Kapitel  XLVII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

geborne  Mädchen  in  die  Hetärensclmle  zu  Aspasia  zu  schicken,  damit  sie 
lernten,  Männer  zu  fesseln1). 

Im  6.  Jahrhundert  hatte  Pythagoras  allerdings  den  Ausspruch  getan,  in 
Liebessachen  sei  Spätlernen  besser  als  Frühwissen.  Man  solle  deshalb  den 
Knaben  nicht  Zeit  lassen,  nach  Geschlechtsliebe  zu  verlangen,  und  sie  womög- 
lich bis  zum  20.  Jahr  in  dieser  Hinsicht  unaufgeklärt  lassen.  Besser  sei 
sterben,  als  durch  Ausschweifung  seine  Seele  schwächen2).  Aber  danach 
die  sittliche  Höhe  seiner  Zeitgenossen  im  allgemeinen,  und  infolgedessen  auch 
die  Knabenerziehung  zu  beurteilen,  ist  nach  dem  bisher  Gesagten  kaum  an- 
gängig, zumal  diese  Erziehung  zum  großen  Teil  den  Sklaven  anvertraut  war, 
von  den  entsittlichenden  Wirkungen  der  Knabenliebe  gar  nicht  zu  sprechen. 
Ähnlich  verhält  es  sich  mit  Piatos  Mahnung  im  4.  Jahrhundert,  die  Knaben 
und  Jünglinge  zur  Keuschheit  zu  erziehen3).  Das  Beispiel  der  Erwachsenen, 
darunter  Plato  selbst,  war  kein  glänzendes,  abgesehen  von  seiner  Theorie 
betreffs  Weibergemeinschaft  und  Geschwisterehe  in  seinem  Staat. 

Glänzend  ist  das  Zeugnis,  welches  Josef  Müller  der  Keuschheit  im  alten 
Rom  ausstellt:  Die  Mädchen  wurden  von  ihren  keuschen  Müttern  in  strenger 
Abgeschlossenheit  herangezogen;  um  die  Ohren  der  Jungfrauen  und  Ehegattinnen 
vor  ungeziemenden  Worten  zu  bewahren,  versagte  man  ihnen  die  Gegenwart 
bei  Gelagen  und  Schauspielen4).  Schamhaftigkeit,  Selbstbeherrschung,  Gottes- 
furcht, kindliche  Pietät  usw.  galten  als  die  beste  Ausstattung  der  Bräute.  — 
Die  Knaben  durften  nicht  mit  den  Erwachsenen  baden;  bei  den  Kampfspielen 
war  Nacktheit  nicht  gestattet,  weil  die  Entblößung  des  Körpers  als  Schande 
galt,  eine  Ansicht,  welche  auch  zur  Zeit  des  Dionysius  von  HnUkamass,  also 
um  das  Jahr  30  v.  Chr.,  noch  fortlebte5).  —  Achtung  vor  der  weiblichen 
Keuschheit  zeichnete  die  römischen  Soldaten  aus.  -  -  Ein  wirksames  Beispiel 
soll  die  Jugend  an  ihren  Eltern  gehabthaben,  wobei  mitunter  extreme  Formalitäten 
beobachtet  wurden.  So  galt  schon  das  Küssen  der  Gatten  in  Gegenwart  ihrer 
Kinder  für  unstatthaft6).  Cato  stieß  den  Konsul  Lucius  wegen  einer  solchen 
Tat  aus  dem  Senat,  und  von  Cato  selbst  schrieb  Momms&n:  Die  Unschuld  seiner 
Kinder  war  ihm  heilig;  wie  vestalische  Jungfrauen  hütete  er  sie  vor  jedem 
schändlichen  Wort:  nie  auch  umfaßte  er  vor  seiner  Tochter  die  Mutter,  außer 
wenn  diese  sich  bei  einem  Gewitter  fürchtete.  —  Andererseits  machte  sich 
Cato,  wie  es  scheint,  keine  Skrupeln,  tief  in  die  Familienbande  einzuschneiden, 
indem  er  sein  Weib  seinem  Freund  Hortensius  abtrat  und  es  nach  dessen  Tod 
wiedernahm,  während  im  alten  Rom  nur  schwere  Vergehen,  z.  B.  Ehebruch, 
die  Ehe  lösten,  wenn  nicht  gar  Pio)i;/sos  von  Halikarnass  recht  hatte,  der  die 
altrömische  Ehe  überhaupt  unauflöslich  genannt  haben  soll,  wie  Müller 
meint.  Auf  den  Ehebruch  des  Weibes  stand  im  alten  Rom  der  Tod;  das 
Konkubinat  war  bis  zur  Kaiserzeit  unerlaubt;  Bigamisten  soll  es  yor  Antonius 
nicht  gegeben  haben.  —  Der  Wendepunkt  zum  Schlimmen  trat  nach  dem 
zweiten  punischen  Krieg  mit  dem  Zuwachs  der  Macht  und   des  Luxus  ein. 

')  Müller,  268.  üb  die  in  neuerer  Zeit  versuchte  Ehrenrettung  der  Aspasia  gelungen  ist, 
kann  ich  nicht  beurteilen.     Außer  ihr  bleiben  noch  genug  berühmte  Hetären  für  Griechenland. 

8)  J.  Müller,  278  f. 

»)  Gesetze  8,  5,  bei  Müller,  280. 

4)  Daß  das  männliche  Geschlecht  sich  nicht  davor  zu  schützen  brauchte,  beweist  indessen 
auch  für  die  sittliche  Glanzperiode  Koms,  daß  eine  Doppelmoral  herrschte. 

b)  Nach  Josef  Müller  erwähnte  noch  Augustin  die  Schamgürtel  der  römischen  Jünglinge 
bei  ihren  Übungen.  Es  ist  das  besonders  bemerkenswert,  weil  Rom  damals  die  tiefsten  Lastcr- 
sümpfe  bereits  hinter  sich  hatte.  —  Eine  gewisse  äußere  Form  erhielt  sich  also  trotz  der 
inneren  Fäulnis,  wiederum  ein  Beweis,  daß  Kleidung  und  Keuschheit  nicht  immer  und  über- 
ull  im  geraden   Verhältnis  stehen. 

6)  C.  Sulpicius  Gallus  schied  sich  von  seiner  Frau,  weil  diese  mit  unbedecktem  Haupt  aus- 
gegangen war.  Die  Worte  des  Apostels  Paulus  im  ersten  Korintherbrief,  Kap.  11,  6  ff.,  über 
die  Verschleierung  der  Frauen  basierten  also  wohl  auf  einer  altrömischen  Anschauung. 


§  311.     HamiteD,  Semiten,  Xeger,  Buschleute  und  Hottentotten.  535 

Schon  gegen  Ausgang  der  republikanischen  Zeit  galt  in  Rorn  Unkeuschheit 
nicht  mehr  als  Schande,  und  der  Antrag  der  Senatoren,  dem  Caesar  freien 
Gebrauch  aller  Weiber  zuzugestehen,  eröffnet  die  Periode  jener  maßlosen  Aus- 
schweifungen der  Römer,  welche  Josef  Müller  in  seinem  mehrfach  zitierten 
Sexuellen  Leben  der  alten  Kulturvölker  geschildert  hat1).  — 

§  311.     Hamiten,  Semiten,  Neger,  Buschleute  und  Hottentotten. 

Die  alten  Ägypter  duldeten  mit  Rücksicht  auf  ihre  Kinder  bei  ihren 
Festen  und  Opfern  keine  unpassenden  Tänze  und  Gesänge.  Schon  früh  suchte 
man  die  Jugend  an  Anstand  in  Blicken  und  Bewegungen  zu  gewöhnen,  schreibt 
Wilkinson.  —  Aber  an  den  Erwachsenen  hatte  die  Jugend  das  häufige  Beispiel 
von  Geschwisterehen,  Vielweiberei  und  Prostitution s)  (Maspero  und  Bachofen). 

An  die  Schamlosigkeit  im  ägyptischen  Canopus  und  in  Carthago  zur 
Römerzeit  erinnert  Freiherr  von  Maltza>i  und  stellt  sie  Seite  an  Seite  mit 
der  Unsittlichkeit  in  Sicca  Veneria,  einer  römischen  Kolonie  in  Numidien. 
und  mit  den  verrufensten  Quartieren  des  kaiserlichen  Rom.  Die  Nachkommen 
der  alten  Numidier,  die  Berber,  fand  von  Maltean  nicht  besser.  „Im  ber- 
berischen Volkscharakter.''  schreibt  er,  „ist  und  war  von  jeher  das  Gefühl 
der  Schamhaftigkeit  nur  sehr  schwach  vertreten.  Gegen  ihren  guten  Leumund 
in  bezug  auf  sinnliche  Untugenden  zeigen  sie  sich  von  einer  auffallenden  Gleich- 
gültigkeit." Quedenfeldt  freilich  warnt  vor  der  Zusammenfassung  der  weit- 
verzweigten Berber  unter  allgemeinen  Gesichtspunkten,  und  schon  Leo  Africanus 
unterschied  den  Charakter  der  Städter  von  jenem  der  „Hirten  auf  Bergen  und 
Gefilden",  und  zwar  speziell  auch  bezüglich  der  Erziehung  der  Jugend  zur 
Keuschheit.  Die  städtischen  Berber  des  18.  Jahrhunderts  nannte  er  so 
ehrbar  und  schamhaft,  daß  sie  niemals  öffentlich  unanständige  Reden  führten. 
Nie  habe  sich  ein  Junge  erdreistet,  in  Gegenwart  seines  Vaters  oder  Onkels 
von  Liebe  zu  sprechen,  und  wenn  Kinder  zufälligerweise  von  Liebesliändeln 
reden  hörten,  gingen  sie  gleich  davon.  Bei  den  Hirten  aber  herrschte  vor 
der  Ehe  freie  Liebe,  die  von  den  eigenen  Vätern  und  Brüdern  der  Mädchen 
begünstigt  wurde,  weshalb  es  auch  keine  jungfräulichen  Bräute  gab. 

Wenn  man  übrigens  den  Spuren  Leos  durch  die  von  ihm  besuchten  Städte 
folgt,  dann  bemerkt  man,  daß  seine  eigenen  Erfahrungen  mit  seinem  obigen, 
allgemein  gehaltenen  Urteil  über  die  Städter  keineswegs  immer  übereinstimmen. 
Denn,  nach  seinen  Erfahrungen  führten  auch  bei  den  Städtern  Liebeshändel  oft 
zu  Familienzwisten,  Ehebruch,  Mord,  bürgerlichen  Unruhen.  Krieg  usw.  Die  von 
Leo  bezeugte  Knabenliebe  in  Azaamur  ist  in  §  309  erwähnt  worden,  und  der  zu 
gewissen  Zeiten  stattfindenden  Promiscuität  in  einem  Tempel  der  Stadt  Harn 
Lisnan  sei  hier  gedacht:  Verheiratete  Männer  und  AVeiber  kamen  da  zu 
nächtlichen  Orgien  zusammen.  Die  daran  beteiligten  Weiber  mußten  sich 
dann  im  Laufe  des  betreffenden  Jahres  vom  Verkehr  mit  ihren  rechtmäßigen 
Männern  enthalten,  und  die  aus  den  Orgien  hervorgegangenen  Kinder  wurden 
von  den  Priestern  des  Tempels  erzogen.  Schon  damals,  also  im  18.  Jahrhundert, 
war  nicht  einmal  ein  Zehntel  der  Bevölkerung  Marokkos  frei  von  Syphilis, 
und  in  neuerer  Zeit  erfuhren  wir  von  Eohlfs,  daß  nördlich  vom  Atlas  fast 
jede  Familie  infiziert  sei.  Das  glänzende  Sittenzeugnis,  welches  er  zugleich  den 
dortigen  Mädchen  und  Verheirateten  ausstellt,  wirkt  dadurch  etwas  auffallend. 
Äußerst  selten  gebe  sich  ein  Mädchen  vor  der  Ehe  einem  Mann  hin,  und  Ehebruch 
komme  fast  nie  vor3).  Übrigens  nennt  auch  Ch.  de  Foucauld  die  Berberinnen 
in  Tizgi  Ida  und  Balul  am  Wad  Aqqa  so  bescheiden,  daß  sie  bei  Begegnungen 

1)  Vgl.  auch  die  Ausschweifungen  in  den  römischen  Kolonien,  §  311. 

2)  Vgl.  Kap.  XL.  Abschnitt:  „Völker  mit  Promiscuitiit'-. 

3)  Die  Syphilis  müßte  demnach  durch  die  Verbindung  der  ilänner  mit  syphilitischen 
fremden  Weibern  in  die  Familien  hineingetragen  worden  sein. 


536  Kapitel  XLV1I.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen 

mit  fremden  Männern  mehrere  Schritte  vorher  an  den  Band  des  Weges  gehen, 
hier  sich  umdrehen  und  dem  Fremdling  den  Rücken  kehren.  l>is  er  vorüber  ist  *).  — 
Ganz  anders  wieder  bei  den  Schluh  in  Tazerwalt  (Taserualt)  und  weiter 
im  Osten  des  Maghreb,  wo  jeder  lüsterne  Geselle  ein  Anrecht  auf  die  Ehre 
jenes  Mädchens  hat,  welches  die  Pointe  seiner  dichterischen  Anrede  nicht 
erwidern  kann. 

Auch  bei  den  Kabylen2)  sehen  wir  einerseits  die  Syphilis  an  allen 
Ecken  und  Enden,  andererseits  eine  öffentliche  Meinung  und  ein  Sittengesetz, 
daß  man  die  Kabylen  für  das  keuscheste  Volk  unter  der  Sonne  halten  möchte: 
Keine  außereheliche  Verbindung,  kein  Konkubinat  ist  geduldet,  schreiben 
Hunoteau  und  Letoumeux;  niemals  würde  die  öffentliche  Meinung  in  Djur- 
djura  einem  Manne  verzeihen,  der  ein  Weib  mit  übler  Vergangenheit  heiratete. 
Mehrere  Kabylenstämme  belegen  den  Mann,  der  sich  mit  seiner  Zukünftigen 
verfehlt,  mit  einer  Geldstrafe;  eine  solche  trifft  auch  den  Vater  des  Mädchens, 
weil  er  die  Befleckung  seines  Hauses  nicht  verhinderte.  Bei  den  Alt  Aissa 
u  Mimun  ist  der  Verführer  eines  Mädchens  gezwungen,  es  zu  heiraten  und 
hat  zudem  eine  Strafe  von  25  Talern  zu  leisten.  Nach  dem  Aguni-n-Te- 
sellent-Kanon  ist  jeder  berechtigt,  den  Verführer  seiner  Tochter,  Schwester, 
Frau,  Tante  usw.  zu  töten.  Der  Kanon  der  Ait  Mahmud  bestimmt:  Das 
Weib,  welches  unverheiratet  schwanger  wird,  sei  des  Todes.  Widersetzen 
sich  die  Eltern  dieser  Strafe,  so  sollen  sie  fünfzehn  Realen  Geldbuße  ent- 
richten. —  Die  Ehebrecherin  muß  verstoßen  werden,  was  mancher  beleidigte 
Gatte  erst  tut,  nachdem  er  ihr  das  Kopfhaar  abrasiert  hat.  Kein  Kabyle 
vergesse  sich  so  weit,  eine  Ehebrecherin,  wie  schön  sie  auch  sei.  zum  Weib 
zu  nehmen.  Nach  den  Bestimmungen  des  Kanons  Ait  Flik  soll  die  Ehebrecherin 
von  ihrer  eigenen  Familie  getötet  werden,  wie  es  schon  die  Sitte  der  Väter 
verlangt  habe.  Gebiert  die  Ehebrecherin,  dann  kann  der  Gemeinderat  (die 
Djemäa)  Mutter  und  Kind  zur  öffentlichen  Steinigung  ausliefern.  Dieser 
Schmach  entgeht  man  durch  vorherige  Tötung  im  Haus  des  beleidigten  Gatten 
oder  der  Eltern  der  Ehebrecherin.  —  Entledigt  sich  das  Weib  seines  Kindes 
vorher  durch  Abortus,  dann  begnügt  sich  der  Gemeinderat  mit  einer  Geld- 
strafe und  überläßt  das  Weitere  ihren  Angehörigen.  Den  Buhlen  der  Ehe- 
brecherin trifft  eine  Kugel,  oder  er  wird  erdolcht,  und  mancher  Rächer  seiner 
Hausehre  geht  so  weit,  der  Leiche  den  Penis  abzuschneiden  und  ihr  zwischen  die 
Zähne  zu  stecken.  Rächt  sich  der  Gatte  nicht,  dann  verfällt  er  selbst  bei 
gewissen  Stämmen  einer  Geldstrafe,  und  rächt  er  sich,  dann  zieht  er  sich 
eine  Blutrache  zu.  — 

Daß  diese  äußere  Sittenstrenge  auf  die  Erziehung  der  Jugend  im  positiv 
keuschheitlichen  Sinn  wirken  muß,  ist  klar.  Andererseits  aber  geben  die  Väter 
ihren  Kindern  ein  schlechtes  Beispiel  durch  die  häufige  Verstoßung  ihrer 
Weiber  und  durch  ihre  ebenso  häufige  Wiederverheiratung  (Schönhärl).  Auch 
bildet  ein  gewisser  Aberglaube  und  die  damit  verbundene  Heuchelei  einen 
Deckmautel  der  Unkeuschheit.  Die  Kinder  gefallener  Mädchen  werden,  ehe 
ihre  Geburt  bekannt  wird,  aus  dem  Wege  geräumt,  worauf  die  Mädchen  von 
ihren  Eltern  als  „Freitagskinder-'  ausgegeben  und  an  den  Mann  gebracht 
werden.  Freitap,skinder  gelten  nämlich  für  jungfräulich,  auch  wenn  sie  das 
Zeichen   der  Jungfrauschaft   verloren    haben  (Sanoteau  und  Letoumeux).   — 

Die  Tochter  des  Somali  soll  keusch  in  die  Ehe  kommen;  der  enttäuschte 
Gatte   tut   die   Schande  öffentlich   kund,   woraus  der  Familie   des   gefallenen 


')  Vgl.  die  Haltung  der  Njam-N jamfrauen  f.  S. 

2)  Nach  Rohlfs  bedeutet  in  Algerien  und  Marokko  ., Kbail",  ..Kabyl"  nichts  anderes, 
als  Bergbewohner;  die  Einwohner  von  Uesan  nennen  die  umwohnenden  Leute  der  Gebirge 
„Kbail",  ob  sie  Berber  oder  Araber  sind. 


§  311.     Hamiten,  Semiten,  Neger,  Buschleute  und  Hottentotten.  537 

Mädchens  eine  Reihe  von  Verdrießlichkeiten  entsteht,  Nach  Paulitschke  zeichnen 
sich  die  Somäl-Weiber  durch  Keuschheit  aus;  Prostitution  kommt  gar  nicht, 
Syphilis  selten  vor;  auch  die  Männer  leben  in  der  Ehe  ziemlich  enthaltsam  und 
hüten  ihre  Töchter  sorgfältig,  um  einst  einen  guten  Brautpreis  herauszuschlagen.  — 
Aber  Ehescheidungen  sind  eine  gewöhnliche  Erscheinung,  und  Vielweiberei  ist 
durch  den  Islam  eo  ipso  gebräuchlich,  wo  immer  das  Vermögen  reicht,  um 
den  hohen  Brautpreis  zu  erschwingen.  Überhaupt  stellt  Burton,  im  Gegensatz 
zu  Paulitschke,  den  Somäl  kein  gutes  Sittenzeugnis  aus.  Das  weibliche  Ge- 
schlecht halte  sich  an  das  arabische  Sprichwort:  „Der  neue  Kommer  füllt 
das  Auge",  und  knüpfe  besonders  gern  mit  Fremden  au.  —  Ähnliches  be- 
richteten  Vannutelli  und  Citerni.  — 

Eine  beachtenswerte  Vorsichtsmaßregel  zur  Erhaltung  der  Keuschheit 
fand  Schweinfurth  bei  den  Njam-Njam  oder  Asande,  einem  äthiopischen 
Zweig  der  hamitischen  Völkerfamilie.  Um  nicht  vorzeitig  in  das  Geschlechts- 
leben eingeführt  zu  werden,  mußten  die  heranwachsenden  Knaben  dieser 
Kannibalen  nachts  abgesondert  von  den  Erwachsenen,  in  wohlgeschützten 
Hütten,  den  Bamogh-i,  schlafen.  Die  Frauen  sind  gegen  fremde  Männer  sehr 
zurückhaltend.  Schweinfurth  schrieb:  So  oft  mir  W eiber  auf  schmalem  Pfad 
im  Walde  oder  in  der  Steppe  entgegenkamen,  sah  ich  sie  stets  einen  weiten 
Umweg  machen,  um  in  einem  Bogen  meinen  Standort  zu  umgehen  und  weiter 
hinten  wieder  in  den  Weg  einzulenken.  Manchmal  sah  ich  sie  sogar  abge- 
wandten  Gesichts  in  einiger  Entfernung  vom  Wege  aufgestellt,  um  abzu- 
warten, bis  wir  vorübergezogen  wären ]).  Der  Fremde  begrüßt  die  schüchternen 
Frauen  nicht.  —  Ausgiebige  Vielweiberei  scheint  nur  bei  den  Vornehmen 
gebräuchlich  zu  sein.  Schweinfurth  erwähnt  einen  reich  bevölkerten  Harem 
des  Unterhäuptlings  Ssurrur.  —  Die  Untertanen  erhalten  in  der  Regel  ein 
Weib  von  ihrem  König  oder  einem  Unterhäuptling  zugewiesen,  an  den  sie 
sich  wenden.  Das  Eheleben  wird  günstig  geschildert.  Diese  Kannibalen 
hängen  mit  großer  Liebe  an  ihren  Ehefrauen,  deren  Treue  sie  eifersüchtig 
bewachen.  Unfruchtbare  Weiber  werden  aber  verstoßen  und  fristen  dann  ihr 
Leben  als  Prostituierte. 

Abgesonderte  Schlafräume  für  die  heranwachsende  Jugend  haben  auch 
die  Bongo.  —  Den  Njam-Njam  und  Bongo  sind  sprachlich  und  anthropologisch 
die  Mangbattu  oder  Monbuttu  nahe,  die  an  Sittlichkeit  jedoch  unter  den 
Njam-Njam  stehen.  Schweinfurth  schildert  die  Monbuttu- Weiber  als  höchst 
zudringlich.  Die  älteste  Schwester  des  Königs  verfolgte  mit  ihren  schamlosen 
Anträgen  die  Soldaten  und  die  Gäste  ihres  Bruders.  Vielweiberei  scheine 
unbegrenzt.  Der  König  allein  besaß  Hunderte,  die  in  der  Nähe  seiner  Residenz- 
eigene  Dörfer  bewohnten  und,  ihrem  Alter  und  ihren  Ehejahren  entsprechend, 
in  zwei  Klassen  eingeteilt  waren.  Jeder  nächtliche  Besuch  des  Königs  bei 
seinen  Weibern  wurde  von  Trabanten  begleitet,  die  dabei  die  Nationalhymne 
anstimmten  und  ihre  Pauken  und  Hörner  bearbeiteten. 

Betreffs  der  vielfach  berüchtigten  Sittenlosigkeit  der  Nubier  meinte 
Waitz,  diese  sei  wohl  nur  auf  die  Städter  zu  beziehen.  Aber  auch  die  in 
Esne  lebenden  Nubierinnen  lobte  J.  L.  Burckhardt,  nannte  sie  sogar  die 
tugendhaftesten  Frauen  des  Ostens,  was  in  der  Nachbarschaft  des  zügellosen 
Oberägypten  um  so  mehr  zu  beachten  sei.  Jeden  Morgen  kamen  ägypti- 
sche und  nubische  Milchveikäuferinnen  zu  ihm.  Die  ersteren  betraten  kühn 
den  Hof  und  euthüllten  zum  Zeichen,  daß  sie  ihre  Keuschheit  feilboten,  ihr 
Gesicht.  Die  Nubierinnen  hingegen  blieben  bescheiden  an  der  Türe  stehen 
und    waren    nicht    zum    Eintreten    zu    bringen,    lüfteten    auch    nicht    ihre 


')  Vgl.  die  Berberinnen  in  Tizgi  Ida  und  Balal  S.  535  f. 


538  Kapitel  XL VII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

Schleier1).  Prostituierte,  deren  es  in  Ägypten  zu  Tausenden  gibt,  wurden  zu 
Burckhardts  Zeit  außer  dem  Hauptort  Derr  in  Nubien  nicht  geduldet.  Ferner 
waren  es  nicht  eingeborne  Mädchen  und  Weiber,  die  sich  dieser  Profession 
hingaben,  sondern  freigelassene  Sklavinnen  von  andern  Völkern,  die  aus  mate- 
rieller Not  zum  Laster  griffen2).  Eifersüchtig  bewacht  der  Barabra-Nubier 
aus  dem  A'olk  die  Treue  seines  Weibes.  Ein  Schatten  von  Verdacht  genügt, 
daß  er  seine  Gattin  nachts  an  das  Nilufer  schleppt,  ihr  die  Brust  aufschneidet 
und  sie,  den  Krokodilen  zum  Fraß,  ins  Wasser  wirft.  .  Ein  solcher  Fall  kam 
während  Burckhardts  Anwesenheit  in  Assuan  vor.  —  Eine  Frau  kann  von 
ihrem  Manne  ihre  Scheidung  verlangen,  aber  dann  ist  dieser  berechtigt,  sie 
ihrer  Kleidung  und  ihres  Schmuckes  zu  berauben  und  ihr  das  Haupthaar  zu 
scheren.     Bis  ihr  dieses  wieder  gewachsen,  will  sie  kein  anderer  zum  Weibe. 

Nur  die  Distriktshäuptlinge  entwürdigen  die  Ehe.  indem  sie  sie  zu  einer 
Quelle  reicher  Einnahmen  machen,  da  sie  um  die  Töchter  ihrer  reichsten 
Untertauen  werben  und  diese  dann  materiell  aussaugen.  In  jedem  größeren 
Dorf  haben  sie  je  eine  Gattin.  Ein  Burckhardt  bekannter  Häuptling  zog 
seine  Söhne  zum  gleichen  Vorgehen  heran. 

Bei  der  aus  Fulbe8)  und  Haussa  gemischten  Bevölkerung  von  Adamaua 
ist  es  nicht  Regel,  daß  die  Kinder  eines  Weibes,  oder  eines  Mannes  rechte 
Geschwister  sind.  Ausnahmen  betont  man  nachdrücklich.  Die  Ehen  werden 
ebenso  schnell  gelöst  als  geschlossen.  Wer  es  vermag,  nimmt  sich  mehrere 
Weiber.  Sultan  Mamadu  ben  Issa  verfügte  "über  mehr  als  1200.  Sein  Harem 
unterstand  der  Aufsicht  eines  Direktors,  des  „Baba  ssariki"  (Passarge).  —  In 
der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  stand  aber  in  den  westlichen  Fulbe- 
staaten  der  Tod  auf  dem  Ehebruch  des  Weibes  und  des  Mannes.  Die  Todes- 
strafe wurde  allerdings  gelegentlich  dahin  abgeschwäscht,  daß  man  dem  Ehe- 
brecher oder  der  Ehebrecherin  eine  Hand  abschlug  oder  die  Missetat  mit 
Schlägen  rächte  (Waitz  nach  Hecquard).  —  Ehescheidung  durfte  auch  das 
Weib  beantragen.  — 

Die  Sittenstrenge  der  Araber  nennt  Frhr.  von  Maltean  eine  nur  schein- 
bare; sie  seien  kein  Haar  besser  als  die  Berber,  wenn  auch  ihr  tief  eingeprägtes 
Schamgefühl  öffentliche  Schandtaten  nicht  gestatte4).  —  Seit  Aufhebung  der 
Sklaverei  und  des  damit  verbundenen  Konkubinats  breite  sich  indessen  die 
Prostitution  in  Tunis  immer  weiter  aus.  —  Schlimmer  noch  charakterisiert 
J.  L.  Burckhardt  die  Sittlichkeit  der  Städtearaber: 

IhrEinspernmgssystem,  welches  die  heranwachsenden  Knaben  und  Mädchen, 
bzw.  Jünglinge  und  Jungfrauen,  keusch  erhalten  soll,  bewirke,  wenigstens  beim 


')  Bei  dieser  Mitteilung  ist  jedoch  zu  beachten,  daß  Burckhardt  als  eigentliche  Nubier 
nur  die  Barabra  anerkennt.  Die  Unsittlichkeit  der  X'ubier  in  Berber,  ein  Mischvolk, 
schildert  er  selbst  mit  diistern  Farben.  Hier  gibt  es  wenig  Privathäuser,  besonders  der  so- 
genannten angeseheneu  Kreise,  welche  nicht  im  Hof,  oder  doch  vor  dem  Tor,  ein  Zimmer 
für  Prostituierte  haben.  Den  Kindern  des  Hauses  dürfte  das  kaum  entgehen.  Als  die 
Araber- Fei  1  ah-Karawane  von  Daraui,  Oberägypten,  in  der  sich  Burckhardt  befand,  in 
Herber  ankam,  und  die  Begrüßung  seitens  der  Eingebornen  stattgefunden  hatte,  erschienen 
rl  Prostituierte,  welche  die  Ankömmlinge,  als  alte  Bekannte,  mit  lautem  Kreudengeschrei 
begrüßten  und  sie  mit  wohlriechender  Salbe  einrieben.  Fast  jeden  Abend  kamen  sie  in  die 
Quartiere,  und  ihre  eigenen  Zimmer  waren  selten  frei  von  Besuchern,  zumal  das  berauschende 
Buza  fast  nur  in  den  Wohnungen  der  öffentlichen  Dirnen  getrunken  wird,  weil  der  Trinker 
dort  vor  Mitsäufern  am  ehesten  Buhe  hat.  (Vgl.  §  316.)  Als  die  Karawane  in  Schendi, 
südliches  Xubien,  ankam,  erkundigte  sich  ein  dortiger  Prinz  sofort,  ob  in  der  Karawane  nicht 
ein  munterer  Bursche  sei,  der  mit  ihm  die  Xacht  in  einem  Bordell  verbringen  wolle.  Ein 
Ägypter  meldete  sich. 

*)  Vgl,  die  Mädchenbeschneidung  der  Xubier  in  §  253. 

3)  Somatisch  ein  Mischvolk;  sprachlich  nähert  es  sich  der  hamitischen  Völkergruppe 
(Scobrh. 

')  Ein  tief  eingeprägtes  Schamgefühl  würde  aber  doch  für  eine  höhere  Sittlichkeit 
sprechen   als   die  Schamlosigkeit.     Vgl.   indessen  Burckhardts   Schilderung  der  Araber  w.  u. 


§  311.     Härmten,  Semiten,  Neger,  ßuschleute  und  Hottentotten.  539 

männlichen  Geschlecht,  gerade  das  Gegenteil.  Die  Liebesleidenschaft  der 
Städter  sei  kaum  etwas  anderes  als  tierische  Begierde.  Hingegen  gebe  es 
bei  den  Beduinen,  welche  den  jungen  Leuten  mehr  Freiheit  gestatten,  keusche 
Jugendliebe.  —  Die  häufigen  Ehescheidungen  der  Eltern  werden  auch  hier 
auf  die  sittliche  Erziehung  der  Beduinenkinder  keine  sonderlich  gute 
Wirkung  haben.  —  Das  zügellose  Leben  der  Araber  in  den  Bordellen  Nubiens 
ist  schon  erwähnt  worden,  und  in  Tripolis  machen  sie's  nicht  besser.  Hier 
bewohnten  die  Prostituierten  schon  zu  Lyons  Zeit,  als  die  Sklaverei  noch 
nicht  abgeschafft  war1),  ein  eigenes  Stadtviertel,  Zanga  tfel  Ghaab,  wo  sie 
unter  einem  Aufseher  standen.  Ihre  Pflicht,  täglich  die  Hunde  zu  füttern, 
welche  das  Arsenal  des  Pascha  bewachten,  dürfte  eine  historisch  und  sittlich 
tiefere  Bedeutung  haben;  denn  der  Hund  war  nach  Bachofen  schon  in  der 
alten  Welt  das  Zeichen  des  Hetärentums,  und  eine  ähnliche  Bolle  scheint  er 
im  alten  Mexiko  gespielt  zu  haben.     (Vgl.  Seiers  Tierbilder2). 

Erziehung  der  Kinder  zur  Keuschheit  ist  bei  solchen  Verhältnissen  schon 
-durch  die  angeborne  Veranlagung  erschwert,  von  den  Beispielen  der  Umgebung 
gar  nicht  zu  reden.  — 

Weit  auseinandergehende  Mitteilungen  liegen  mir  über  die  Keuschheit 
der  Tibbu  (Teda  oder  Tebu)  vor:  Nach  Nachtigal  führt  die  Jugend  dieses 
Volkes  ein  sittenreines  Leben.  Selten  wird  ein  Mädchen  verführt,  und  tritt 
ein  solcher  Ausnahmefall  ein,  dann  verfällt  der  Verführer  der  Bache  des 
beleidigten  Vaters.  Keusch  sei  auch  ihr  Eheleben,  und  dieser  Sittlichkeit 
schrieb  Nachtigal  es  zu,  daß  zu  seiner  Zeit  dieses  Volk  noch  in  seltenem 
Grade  vor  der  Syphilis  bewahrt  worden  war.  Selten  mache  ein  Mann  von 
•der  muselmanischen  Erlaubnis  der  Vielweiberei  Gebrauch,  und  die  Verstoßung 
der  einen  Frau  komme  hier  seltener  vor,  als  in  anderen  mohammedanischen 
Ländern.  Rohlfs  bezieht  selbst  diese  seltenen  Fälle  auf  die  Einführung  des 
Islam,  welcher  einen  Zerfall  der  Sitten  herbeigeführt  habe. 

Nach  Aussage  der  Araber  aber  steht  die  Keuschheit  der  Tibbu  auf  tiefer 
Stufe,  ist  kaum  vorhanden.  Brüder  und  Schwestern  leben  ehelich  zusammen;  eine 
Dauerehe  ist  ihnen  überhaupt  unbekannt.  Behm,  der  dieses  mitteilt,  meint 
jedoch,  man  habe  es  hier  mit  einer  Verleumdung  zu  tun.  Die  Araber  hätten 
solche  Aussagen  zu  einer  Zeit  gemacht,  als  der  Islam  bei  den  Tibbu  noch 
nicht  eingezogen  war;  damals  wollten  die  Araber  die  „ungläubigen"  Tibbu 
möglichst  schlecht  machen.  —  In  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 
berichtete  James  Richardson  auf  die  Versicherung  eines  Quatruners  hin,  man 
wisse  ja,  daß  die  Tibbu -Männer  bei  der  Ankunft  der  Salzkarawanen  von 
Aheer,  mit  Lebensmitteln  auf  einen  Monat  versehen,  in  die  benachbarten 
Berge  fliehen  und  ihre  Weiber  für  diese  ganze  Zeitdauer  mit  den  Fremden  allein 
lassen.  Wer  zurückbleibe,  werde  von  dem  Buhlen  mit  Zustimmung  der  Ehe- 
brecherin niedergestochen.  —  Daß  die  von  Nachtigal  bezeugte  eheliche  Keusch- 
heit der  Tibbu  das  Konkubinat  mit  Sklavinnen  nicht  ausschließt,  wird 
von  ihm  selbst  bestätigt,  und  im  übrigen  meinte  auch  Rohlfs,  die  Tibbu-Frauen 
verständen  es  wohl,  ihre  Männer  hinters  Licht  zu  führen.  So  habe  eine  von 
ihm  Medizin  verlangt,  um  ein  Kind  zu  gebären,  das  seit  vier  Jahren  in  ihrem 
Leibe  ruhe8). 

Ein  ungünstiges  Sittenzeugnis  stellte  Nachtigal  der  aus  Negern,  Arabern 
und  Fulben  gemischten  Bevölkerung  in  Wadäi,  zentraler  Sudan,  aus.  Mit 
Wissen  der  Mütter  nehmen  die  Töchter  die  nächtlichen  Besuche  ihrer  Geliebten 
an.     Mütter  und  Töchter  sind   wegen    ihrer   Liebesintrigen   gleich   verrufen; 


')  Vgl.  von  Maltzan  v.  S. 

2)  In  „Ztschr.  f.  Ethnol.",  Jahrg.  42,  S.  49. 

s)  Über  einen  anderen  Erklärungsversuch  solcher  Ansuchen  siehe  Bd.  I,  S.  10. 


540  Kapitel  XL VII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

Totschlag  und  Mord  sind  die  Folgen  des  Umgangs  mit  mehreren  Männern, 
welchen  viele  Mädchen  pflegen.  Nach  Mohammed  el  Tunsy  verkuppeln  die 
Väter  ihre  Töchter,  die  Ehemänner  ihre  Weiber,  die  Brüder  ihre  Schwestern 
und  schelten  sie,  wenn  sie  bei  ihnen  Widerstand  gegen  ihre  Verkuppelung 
finden.  Zur  Verschlechterung  der  Sitten  tragen  die  Sultane  mit  ihren 
Scharen  von  Mädchen  und  Weibern  im  Harem  viel  bei,  deren  eingesperrtes 
Leben  zu  elementaren  Ausbrüchen  des  heißen  Sudanblutes  führe.  Unter  der 
weiblichen  Jugend  nennt  Nachtigal  die  Prinzessinnen  als  das  leichtsinnigste 
Element.  Sie,  wie  ihre  Standesgenossinnen,  in  Bornu,  treiben  ihre  Liebes- 
händel mit  arabischen  und  nubischen  Kaufleuten.  Nicht  einmal  der  sonst  so 
strenge  König  'Ali  in  Wadäi'  machte  diesem  Treiben  ein  Ende,  und  der  Koran 
vermochte  bisher  nichts  über  die  Wadäwa,  schrieb  Nachtigal.  'Ali  bestrafte 
allerdings  Verhältnisse,  die  ihn  persönlich  berührten,  z.  B.  das  seiner  Lieb- 
lingssklavin, die  er  hinrichten  ließ.  Im  allgemeinen  hielt  man  in  Wadäi  nur 
die  Verführung  unbescholtener  Mädchen  und  Eheweiber  für  tadelnswert.  Von 
Kuka  in  Bornu  schrieb  Josef  Müller  allerdings:  Nur  unbescholtene  Mädchen 
haben   Aussicht   auf   vorteilhafte   Partien,    während   sittlich   bemakelte,    auch 


Fig.  418.    D ah ome- Weiber  mit  Kindern  vor  einem  Eingebornenbaus  in  Abome.    Im  Museum  für  Völker- 
kunde in  Leipzig. 

wenn  sie  reich  und  vornehm  sind,  armen  Teufeln  mit  geringen  sittlichen 
Ansprüchen  zufallen. 

Nach  dem  gleichen  Verfasser  gilt  bei  den  Mandingo  in  Bambuk  jeder 
vorzeitige  geschlechtliche  Verkehr  als  abscheuliches  Verbrechen  und  wird 
bestraft.  — 

Eine  Reihe  von  Negervölkern  legt  tatsächlich  ein  großes  Gewicht  auf  jung- 
fräuliche Bräute,  was  wohl  eine  entsprechende  Erziehung  voraussetzt:  Bei  den 
Dahomeern  verursachte  die  bestandene  Jungfernprobe  einer  Braut  bei  allen 
ihr  Nahestehenden  Jubel,  während  das  gegenteilige  Resultat  die  sofortige 
Zurückgabe  der  Virgo  disrupta  zur  Folge  hatte.  Die  beschämten  Angehörigen 
boten  dann  alles  auf,  um  den  Verführer  ausfindig  zu  machen,  der  die  Ent- 
ehrte heiraten  und  außerdem  eine  schwere  Strafe  zahlen  mußte.  Nach 
Skertchley  wurde  jedes  gefallene  Mädchen,  wenn  ihr  Fehltritt  bekannt  wurde, 
öffentlich  verspottet.  Liederlichkeit  sei  auch  hier  früher  nur  bei  den  Großen 
des  Landes,  hauptsächlich  bei  den  königlichen  Prinzessinnen,  zu  Hause  gewesen, 
die,  durch  kein  eheliches  Band  gehalten,  sich  maßlosen  Ausschweifungen  hin- 
gaben (Burton).  —  Den  Umgang  des  Königs  mit  seinen  Amazonen  und  das 
Vorrecht  der  Priester  auf  alle  Mädchen  und  Eheweiber  nannte  man  nicht 
liederlich.  Auch  die  Vererbung  der  Weiber  eines  Königs  auf  dessen  Nach- 
folger, die  leibliche  Mutter  des  letztern  ausgenommen,  widersprach  dem  Keusch- 
heitsbegriff der  Dahomeer  nicht.  Wohl  aber  wirkte  der  König  durch  harte 
Strafen  und  religiöse  Furcht  auf  die  keuschheitliche  Festigung  seiner  Amazonen 


§  311.     Hamiteu,  Semiten,  Neger,  Buschleute  uud  Hottentotten.  541 

und  aller  Männer,  welche  auf  diese  ein  begehrliches  Auge  warfen.  In  jedem 
Palast  hing  über  dem  „Tor,  das  dein  Verbrechen  entdeckt",  dem  Abodewe, 
ein  Zauberbiischel,  welcher  durch  die  Kraft  der  Göttin  Demen  jeden  Fehltritt 
offenbaren  sollte,  und  so  eingewurzelt  war  dieser  Glaube,  daß  manche  ge- 
fallene Amazone  in  der  Überzeugung,  ihr  Fehltritt  werde  doch  offenbar,  sich 
selbst  und  ihren  Verführer  anklagte.  Sorgfältig  wurde  jede  Zusammenkunft 
mit  dem  andern  Geschlecht  zu  verhindern  gesucht,  es  sei  denn  auf  dem  Schlacht- 
feld, wo  manche  Amazone  lieber  ihr  Leben,  als  die  von  ihrem  König  verlangte 
keuschheitliche  und  nationale  Treue,  hingab.  Ähnlich  verhielt  es  sich  mit  der 
Schar  der  königlichen  Sklavinnen,  und  schon  vierzehnjährige  Mädchen  wurden 
in  diese  Auffassungen  eingeweiht,  indem  sie  z.  B.  den  wasserholenden  Sklavinnen 
vorausgingen  und  durch  Klingeln  oder  Rufen  ankündigten,  daß  jeder  des  Wegs 
kommende  Mann  in  einiger  Entfernung  mit  abgewandtem  Gesicht  zu  warten 
habe,  bis  die  Wasserträgerinnen  vorüber  waren.  —  Treulose  Amazonen  wurden 
durch  weibliche  Henker  enthauptet;  es  waren  einmal  unter  Gelele  (18.  Jahrb.) 
gleichzeitig  150.  —  Die  königliche  Pädagogik  feierte  also  keine  ausnahmslosen 
Triumphe.  Die  Verführer  wurden  mit  Knütteln  totgeschlagen,  oder,  wie  ihre 
Verführten,  enthauptet;  oder  aber  ins  Gefängnis  geworfen,  oder  verbannt 
{Burton  und  Forbes). 

Unter  das  Volk  scheinen  sich  die  Ausschweifungen  erst  gegen  Ende  des 
19.  Jahrhunderts  verbreitet  zu  haben,  was  allerdings  überraschend  schnell 
gegangen  wäre,  wenn  die  Keuschheit  zu  Skertchleya  Zeit  wirklich  noch  so 
viel  galt,  wie  dieser  schrieb;  denn  11  Jahre  später,  d.  h.  im  Jahre  1885, 
berichtete  Hugo  Zöller  von  der  Sklavenküste  überhaupt  und  vom  Popo- 
Gebiet  in  Dahome  im  besonderen:  „Nur  einem  kleinen  Teile  von  alle  dem, 
was  sich  hier  Brüder  nennt,  sind  beide  Eltern  gemeinschaftlich1)-'.  — 

Bemerkenswert  für  die  Erziehung  des  Kindes  zur  Keuschheit  dürfte  auch 
der  folgende  Fall  sein:  Gelegentlich  der  Berliner  Kolonialausstellung  1907 
konnte  man  unter  den  vorgeführten  Negerfamilien  ein  ungefähr  vierjähriges 
Mädchen  beobachten,  das,  auf  dem  Boden  liegend,  in  Gegenwart  aller  Zuschauer 
mit  seinen  Fingern  in  seiner  Vulva  herumarbeitete.  Offenbar  war  ihm  das 
in  Gegenwart  auch  seiner  Eltern  und  größeren  Geschwister  gestattet;  sonst 
hätte  es  sich  vor  den  Zuschauern  geniert. 

Die  Herero  bringen  ihren  Söhnen  und  Töchtern  gewisse  äußere  An- 
standsregeln  für  den  Umgang  mit  dem  andern  Geschlecht  bei,  aber  H.  von 
Franqols  nennt  das  „geradezu  komisch";  denn  es  gibt  kaum  ein  Volk,  bei 
dem  die  Keuschheit  weniger  geachtet  ist,  als  gerade  bei  den  Herero.  Die 
Männer  drängen  ihre  Töchter  und  Weiber  den  Fremden  direkt  auf.  Ihre  Un- 
sittlichkeit  rührt  auch  nicht  etwa  von  den  Europäern  her.  Schon  L.  v.  Bohden 
schrieb  in  seiner  Geschichte  der  Rheinischen  Missionsgesellschaft:  „Schamlos 
und  unzüchtig  sind  sie  in  solchem  Grade,  daß  man  es  gar  nicht  sagen 
mag."  -  -  Der  Verkehr  der  Geschlechter  von  der  Reifefeier  an  wird  durch 
das  Institut  der  „epanga"  sanktioniert.  Diese  epanga  bedeutet  aber  nichts 
anderes,  als  Weiber-  und  Gütergemeinschaft.  Sehr  oft  findet  diese  Gemein- 
schaft sogar  zwischen  Brüder-  und  Schwesterpaaren  statt.  —  Die  Besitzer  von 
Werften  begnügen  sich  nicht  mit  ihren  Haupt-  und  Nebenweibern  und  Kon- 
kubinen, sondern  beehren  auch  die  Töchter  uud  Weiber  ihrer  Diener  und  Unter- 
gebenen. —  Dem  Maherero,  Oberhäuptling,  mußten  die  Töchter  und  Weiber 
aller  von  ihm  besuchten  Werften  zu  Willen  sein.  Beim  Besuch  einer  Werft 
bezeichnete  er  sofort  das  von  ihm  gewünschte  Mädchen  oder  Eheweib.  —  Weiber, 
die  sich  gegen  ihren  Austausch  im  epanga  weigern,  werden  von  ihren  eigenen 


l)  Vgl.   die  Anpfählung   der   Mütter  von  Zwillingen,  als   des  Ehebruchs  verdächtig,   in 
Kap.  VII. 


542  Kapitel  XLVII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

Ehemännern  mit  Schlägen  dazu  gezwungen.  —  Sogar  stillende  Mütter  bieten 
sich  fremden  Männern  an.  Ein  solcher  Fall  passierte  Seiner.  Das  Weib  hatte 
einen  Säugling  an  der  Brust  und  außerdem  zwei  Knaben  im  Alter  von  etwa 
7  und  8  Jahren  bei  sich,  die  „mit  verständnisvoller  Miene"  dem  Angebot 
ihrer  Mutter  zuhörten.  —  Mit  Recht  vergleichen  die  Herero  selbst  ihr  Geschlechts- 
leben mit  dem  ihres  Rindviehes.  —  Aber  andererseits  will  man  doch  in  gewisser 
Hinsicht  den  Schein  wahren.  Der  Herero  bekommt  z.  B.  dem  Scheine  nach 
seine  Braut  vom  Tag  der  Verlobung  bis  zur  Hochzeit  nicht  zu  Gesicht,  während 
tatsächlich  die  Mutter  der  Braut  selbst  dem  Paar  eine  Hütte  für  seine  nächt- 
lichen Zusammenkünfte  anweist  (Schinz).  —  Illegitime  Mutterschaft  ist  keine 
Schande. 

Über  die  Sittlichkeit  der  Kaffern  schrieb  Josef  Müller,  der  Verfühl  er 
eines  Mädchens  dürfe  dieses  nicht  heiraten  und  müsse  überdies  eine  Geldbuße 
leisten,  speziell  bei  dem  Sulustamm  bleibe  eine  Gefallene  regelmäßig  sitzen. 

So  streng  nehmen  es  jedoch  auch  die  Kaffern  nicht;  sie  sind  dazu  zu  hab- 
gierig. Missionar  Skooter  berichtete,  daß  nächtliche  Besuche  trotz  der  damit 
verbundenen  Lebensgefahr  gemacht  werden.  Diese  Lebensgefahr  geht  aber  nicht 
auf  die  Hütung  der  Keuschheit,  sondern  auf  die  Furcht  vor  feindlichen  Über- 
fällen zurück.  Hört  man  ein  Geräusch,  so  greift  man  gleich  zu  den  Waffen, 
ohne  zunächst  an  einen  Liebenden  zu  denken.  Auch  lassen  sich  Mädchen 
überreden,  zu  ihrem  Liebsten  in  den  Kral  zu  kommen,  was  allerdings  gegen 
die  Sitte  verstößt.  Aber  wenn  der  Vater  lies  Mädchens  vom  Verführer  den 
gewünschten  Brautpreis  bekommt,  dann  gießt  er  zwar  eine  Flut  von  Schmähungen 
über  den  jungen  Mann  aus,  verlobt  aber  das  Paar  gleich  an  Ort  und  Stelle 
und  läßt  es  später  heiraten.  ■ —  Bei  den  Vornehmeren  oder  doch  Reicheren 
wirkt  die  ausgiebige  Polygamie  und  das  Konkubinat  entsittlichend  auf  das- 
Familienleben  ein.  Es  gibt  Kaffern,  die  es  bis  zu  hundert  Weibern  bringen 
(Fritsch),  und  noch  schlimmer  vielleicht,  als  diese  Einrichtung,  wirkten  die 
Köuige  Tschaka  und  Dingaan,  indem  sie  den  jüngeren  Männern  aus  militärischen 
Gründen  nur  wilde  Ehen  gestatteten,  die  nach  Belieben  aufgelöst  werden  konnten. 
In  neuerer  Zeit  entwürdigen  die  Ober-  und  Unterhäuptlinge  der  Maquamba- 
Kaffern  das  Familienleben,  indem  sie  ihre  eigenen  Weiber,  insofern  sie  noch 
jung  sind,  zwingen,  daß  sie  junge,  von  den  Gold-  und  Diamantfeldern  heim- 
gekehrte Kaffern  zum  Umgang  mit  ihnen  verleiten,  worauf  diese  von  den  gleichen 
Ehemännern  auf  Ehebruch  angeklagt  und  entsprechend  bestraft  werden.  Die 
Strafsumme  fällt  zum  Teil  diesen  selbst  zu  (Schiel). 

Von  der  Erziehung  der  Kinder  kann  man  sich  einen  Begriff  machen,, 
wenn  mau  die  von  Skooter  geschilderten  Eifersuchtsszenen  in  der  polygamen 
Kaiiernehe  uud  von  den  häufigen  Verstoßuugen  der  Weiber  liest.  Skooter  kannte 
kaum  einen  Kaffer,  der  nicht  eines  oder  mehrere  seiner  Weiber  weggeschickt 
hatte,  und  kaum  habe  es  einen  Kral  gegeben,  in  welchem  nicht  ein  Weib 
seiue  Nebenbuhlerinnen,  oder  ihren  gemeinsamen  Mann,  vergiftet,  oder  doch 
den  Versuch  dazu  gemacht  habe.  Ehebruch  begehen  nach  Barrow  die  Kaffern* 
weiber  selten.  In  flagranti  ertappt,  durfte  damals  die  Ehebrecherin  samt 
ihreni  Buhlen  vom  beleidigten  Gatten  getötet  werden.  Zur  Zeit  des  Missionars- 
Isaac,  oder  wenigstens  bei  dem  von  ihm  beobachteten  Stamm,  wurde  der  Ehe- 
bruch auch  des  Mannes  mit  dem  Tod  bestraft.  Der  beleidigte  Gatte  konnte 
der  Ehebrecherin  das  Leben  schenken,  sie  als  Sklavin  behalten,  oder  sie 
verstoßen. 

Wie  weit  der  südlichste  Kaffeinstamm,  die  Ama-Kosa,  und  die  Sulu  von 
unseren  Keuschheitsbegriffen  entfernt  waren,  bzw.  noch  sind,  geht  daraus  hervor,, 
daß  die  Ama-Kosa-Könige  früher  von  Zeit  zu  Zeit  Truppen  aussandten,  welche 
junge  .Mädchen  an  ihren  Hof  treiben  mußten,  wo  sie  den  Gästen  des  Königs 
zur  Verfügung  gestellt  uud  dann  wieder  entlassen  wurden.  —  Bei  ihren  Be- 


§  311.     Hamiten,  Semiten,  Neger,  Buschleute  und  Hottentotten.  543 

schneidungsfesten  hatte  jeder  Beschnittene  die  Wahl  unter  den  anwesenden 
Mädchen,  ohne  au  eine  Ehe  zu  denken,  und  das  gleiche  Recht  hatten  bei  den 
Sulu  die  Mädchen  auf  die  Burschen  (Fritsch).  —  Von  einer  jungfräulichen 
Braut  war  hier  also  nicht  die  Rede. 

Über  die  Wasuaheli  an  der  ostafrikanischen  Küste  gab  Burton  folgendes 
Urteil  ab:  Sinnlich  heruntergekommen,  suchen  sie  die  Befriedigung  des  un- 
vernünftigen Tieres.  Keuschheit  ist  in  diesem  Land  der  Heißblütigkeit  nicht 
bekannt;  der  Mann  sucht  sein  Paradies  in  der  Befriedigung  des  sechsten  Sinnes, 
und  das  Weib  verkauft  sich  beim  ersten  Antrag.  Die  Charakteristik  ihrer 
Tänze  ist  jene  Pantomime  sinnlicher  Liebe,  die  schon  Juvenal  geißelte.  — 
Nach  Veiten  sagen  die  Wasuaheli  selbst,  daß  der  frühe  geschlechtliche  Verkehr 
der  Jugend  die  Ursache  ihres  jetzigen  geringen  Kindersegens  sei.  Früher  sei 
es  besser  gewesen ').  Aber  noch  immer  bewahren  sie  trotz  ihrer  Verkommen- 
heit einigen  Schein  der  Schamhaftigkeit,  indem  sie  außereheliche  Geburten 
unerlaubt  nennen.  Doch,  den  Verführer  der  Tochter  ausfindig  zu  machen,  hält 
man  nicht  immer  der  Mühe  wert.  Eine  Schande  ist  eine  uneheliche 
Geburt  nur,  wenn  der  Verführer  ein  Sklave  war.  Dann  wird  sie  durch  Abortus 
verhindert,  damit  die  Sache  nicht  offenbar  werde.  -  -  Die  Zahl  der  Neben- 
weiber eines  freien  Mannes  neben  vier  legitimen  Frauen  hängt  nur  davon  ab,, 
wie  viel  er  ernähren  kann;  ist  doch  schon  der  Sklave  zu  zwei  rechtmäßigen 
und  zu  zehn  Nebenweibern  berechtigt,  und  wer  die  Pflichten  gegen  legitime 
Gattinnen  nicht  auf  sich  nehmen  will,  geht  eine  wilde  Ehe  ein,  d.  h.  nimmt 
eine  „suria"  (Kebsweib).  Die  meisten  der  häufigen  Ehescheidungen  sind  die 
Folge  gegenseitiger  Vernachlässigung  zugunsten  eines  Rivalen  oder  einer  Rivalin. 
Zu  den  Ihrigen  zurückgekehrt,  läßt  sich  das  geschiedene  Weib  für  eine  neue 
Heirat  präparieren,  die  jedoch  erst  nach  drei  Monaten  und  zehn  Tagen  ein- 
gegangen werden  darf. 

Mit  der  Sittlichkeit  der  Negersklaven  auf  den  Antillen  sah  es  im 
18.  Jahrhundert  derart  aus,  daß  Labat  meinte,  es  gebe  keine  Nation  der  Welt,, 
die  zu  Fleischessünden  so  sehr  hinneige,  wie  die  Neger.  In  seiner  Pfarrei 
auf  den  Antillen  übten  sich  Sklavenkinder  spielend  auf  das  Eheleben  ein, 
und  als  Labat  sie  dafür  durchprügeln  ließ,  warf  sich  ein  alter  Neger  als 
Verteidiger  auf.  Die  Kinder  seien  nicht  strafbar,  meinte  er,  man  müsse  doch 
in  der  Kindheit  lernen,  was  man  in  der  Ehe  als  Pflicht  zu  vollziehen  habe. 

Das  Beispiel  der  Nachkommen  dieser  Sklaven  ist  heutzutage  noch  kein 
günstiges  für  die  heranwachsende  Generation.  In  Paramaribo,  Britisch- 
Guayana,  machten  im  Jahre  1885  die  unehelichen  Geburten  78  Prozent  aus 
{Kappler).  Aus  Georgetown  erwähnte  Joest  eine  Negerbraut  im  weißen 
Atlaskleid  mit  Schleier  und  Myrtenkranz,  welche  von  ihren  fünf  illegitimen 
Töchtern  zur  Trauung  begleitet  wurde.  Uneheliche  Geburten  galten  nicht 
als  Schande.  Auf  Martinique  rechnet  man  auf  400  Geburten  eine  einzige 
legitime,  und  auf  Haiti  soll  gar  ein  legitimes  Kind  auf  1000  illegitime  kommen  (?).. 

Besser  wieder  sieht  es  mit  der  Keuschheit  der  sonst  auf  ziemlich  tiefer 
Kulturstufe  stehenden  Buschleute  in  Südafrika  aus.  Burchell  schrieb,  daß 
sich  die  von  ihm  beobachteten  Mädchen  in  KaabisKral  trotz  ihrer  völligen 
Blöße  so  eingezogen  verhielten,  als  ob  sie  die  beste  Erziehung  in  unserem 
Siune  genossen  hätten,  und  H.  v.  Francis  meinte,  die  Sittenstrenge  der  Busch- 
leute steche  wohltuend  von  dem  Libertinismus  der  Hottentotten  ab.  An- 
griffe auf  die  Keuschheit  seines  Weibes  räche  der  Buschmann  blutig. 

Den  Kap-Hottentotten  des  18.  Jahrhunderts  hatte  Kolb  nachgerühmt,  sie 
hätten  vor  Unzucht  und  Ehebruch  einen  solchen  Abscheu,  daß  sie  nur  höchst 


')  Die  schamlose  Einführung  der  Mädchen  ins  Geschlechtsleben  bei  der  ßeifefeier  siehe- 
Kap.  LVII. 


54-4  Kapitel  XL VII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

selten  davon  reden.  Auf  dem  Ehebruch  stand  die  Todesstrafe.  Prostituierte 
und  uneheliche  Kinder  habe  es  nicht  gegeben l).  Hingegen  charakterisiert 
H.  v.  Frangois  die  Keuschheit  der  jetzigen  Narna-Hottentotten  folgender- 
weise: Der  Verkehr  der  Geschlechter  ist  vom  Eintritt  der  Reife  an  völlig 
ungehindert;  niemand  achtet  auf  die  Vergangenheit  eines  Brautpaares;  auf  die 
Jungfräulichkeit  legt  man  keinen  Wert.  Diesen  Verhältnissen  entspricht  die 
fürchterliche  Ausbreitung  der  Syphilis,  ein  Geschenk  der  englischen  Händler 
vom  Kap  her.  Kinder,  kaum  entwickelte  Mädchen,  ganze  Familien  sind  von 
ihr  befallen.  —  Die  von  Kolb  als  keusch  geschilderten  Kap-Hottentotten 
führen  nach  Fritsch  tagelang  die  unzüchtigen  Topftänze  aus,  wobei  beiden 
•Geschlechtern  zügellose  Ausschweifungen  erlaubt  sind2).  —  Die  Koranna- 
Hottentotten  fand  Holub  über  alle  Begriffe  demoralisiert.  — 

§  312.     Malayisch-polynesische  Völker. 

Wie  wenig  bei  den  Javanen  die  Keuschheit  geschätzt  wird,  geht  schon 
-daraus  hervor,  daß  die  Familien  in  den  herzlichsten  Beziehungen  zu  ihren 
prostituierten  Töchtern  verbleiben,  und  daß  diese  nach  Aufgabe  ihres  Gewerbes 
sich  verheiraten  können  und  dann  als  ehrenhafte  Frauen  gelten.  —  Was  von 
zahlreichen  andern  Völkern  gesagt  werden  muß.  gilt  auch  hier.  d.  h.  die  Kinder 
haben  au  den  häufigen  Ehescheidungen  der  Eltern,  an  der  Vielweiberei  und 
dem  Konkubinat  ihrer  Väter  und  dem  keineswegs  seltenen  Ehebruch  der 
Mütter  kein  gutes  Beispiel  {Pfyffer  und  jPhailly-Bert).  In  Gegenwart  der 
andern  Ehehälfte  hält  man  sich  freilich  sehr  zurück;  da  gilt  jede  Vertraulichkeit 
als  anstößig;  aber  hinter  dem  Bücken  geht  es  um  so  freier  her. 

Sehr  verschiedene  Anschauungen  betreffs  Keuschheit  finden  sich  unter 
den  verschiedenen  Stämmen  der  Dajaken  auf  Borneo: 

Die  Sibuyaus  im  nordwestlichen  Borneo  wachen  sorgfältig  über  die 
Keuschheit  ihrer  Töchter;  voreheliche  Mutterschaft  gilt  hier  als  eine  Be- 
leidigung der  höheren  Mächte,  welche  für  ein  solches  Vergehen  den  ganzen 
Stamm  strafen.  —  Für  gefallene  Mädchen  bringt  man  Sühnopfer  dar.  und  das 
schuldige  Paar  selbst,  bzw.  dessen  Eltern,  werden  bestraft.  Doch  brauchen 
solche  Sühn-  und  Strafakte  nicht  oft  einzutreten,  da  sich  die  Jugend  von  dieser 
theoretisch-praktischen  Pädagogik  günstig  beeinflussen  läßt.  —  Häutiger  muß 
das  Sühnopfer  bei  den  Dajaken  am  Batang  Lupar  gebracht  werden,  und 
noch  viel  leichter  nimmt  es  die  Jugend  bei  den  Kayan-Dajaken,  die  ihren 
Söhnen  und  Töchtern  uneingeschränkten  vorehelichen  Verkehr  gestatten  {ßpens&r 
St.  John). 

Was  die  Keuschheit  auf  der  Karolineninsel  Jap  betrifft,  so  schreibt 
Kilian  Müller:  Herkommen  und  Sitte  befördern  unter  der  Jugend  die  Un- 
sittlichkeit.  Es  fehlen  hier  selbst  die  elementarsten  Grundlagen  eines  geord- 
neten Familienlebens.  Vom  6.  Lebensjahre  an  schlafen  die  Mädchen  zumeist 
außerhalb  der  elterlichen  Wohnung  zusammen,  wie  überhaupt  das  gemeinsame 
Zusammenliegen  auch  der  Knaben  und  Männer  in  großen  Gemeindehäusern 
gang  und  gäbe  ist.  Bis  die  weibliche  Jugend  im  14.  Lebensjahre  in  den  Stand 
der  Frauen  versetzt  wird,  hat  sie  bereits  eine  zweifelhafte  Vergangenheit 
hinter  sich.     Trotzdem  sehen  die  Kinder  harmlos,  fast  unschuldig  aus. 

Nach  gewisssen  Anstandsformen  zu  urteilen,  könnte  man  freilich  auch  die 
Karolinen-Insulaner  auf  eine  ziemlich  hohe  Sittlichkeitsstufe  stellen.  Gilt  es 
doch  auf  Mortlock  als  arger  Verstoß,  in  Gegenwart  von  Frauen  das  Wort 


')  An  einer  andern  Stelle  widerlegte  er  freilich  Boeving.  der  die  Hottentotten  des 
Mordes  illegitimer  Kinder  eingehorner  Mütter  uud  europäischer  Väter  beschuldigte  mit  der 
Behauptung,  er  habe  solche  Kinder  selbst  gesehen. 

a)  Die  daraus  folgenden  Kinder  werden  aus  dem  Wege  geräumt  (Fritsch,  D.  Eingeb. 
Sädafr.,  328). 


§  312.     Malayisch-polynesische  Völker.  547 

"Schurz  zu  gehen,  das  Leben  kosten  könnte.     Auf  den  Viti-Inseln  dürfe  keiner 

fvor  dem  18.— 20  Jahr  einem  Weibe  beiwohnen;  frühzeitige  Begattung  führe 

nach  dem  dortigen  Glauben  den  Tod  herbei.     Auch  J.  de  Marzan  stellt  in 

^neuester  Zeit  (1910)   auf  Grund  seiner  Erfahrungen  den  Viti-Insulanern  ein 

günstiges  Zeugnis  aus,  indem  er  schreibt:  Auf  Viti  verabscheut  man  Hurerei 

und  Päderastie. 

Ganz  anders  wieder  lauten  die  Mitteilungen  Pfeils  über  die  Melanesier 
im  Bismarck-Archipel  und  auf  den  Salomo-Inseln:  Vor  Fremden 
führen  sie  freilich  auffallend  anständige  Gespräche;  aber  unter  sich  tun  sie 
sich  keinen  Zwang  an.  In  Gegenwart  ihrer  Kinder  unterhalten  sie  sich  über 
die  intimsten  Vorgänge  des  sexuellen  Lebens,  und  alle  Hausgenossen  sind 
Augenzeugen  der  praktischen  Durchführung.  Besonders  krasse  Unzucht  herrscht 
auf  Neumecklenburg,  Bismarckarchipel,  wo  das  weibliche  Geschlecht, 
ledig  und  verheiratet,  frei  über  sich  verfügen  kann,  und  die  Männer  in  fast 
unglaublicher  Weise  Onanie  betreiben.  Junge  Mädchen  werden  von  Weibern 
ins  Eheleben  eingeführt  (Pfeil).  Dennoch  erleiden  gefallene  Mädchen,  wenn 
ihr  Fehltritt  offenkundig  wird,  die  Todesstrafe1).  —  Ihr  Verführer  wird 
nur  mit  Geldstrafe  (Dewara)  belegt.  —  Auf  Unzucht  zwischen  Geschwistern 
steht  die  Todesstrafe  für  beide  Teile.  —  Ein  Mädchen,  das  sich  auf  Neu- 
pommern  der  Prostitution  ergeben  will,  darf  es  mit  Zustimmung  ihrer  Eltern 
tun.  Die  Prostitution  alleinstehender  Mädchen  gilt  nicht  als  Schande  (Powell). 
Betreffs  Samoa  schrieb  Turner,  daß  schon  die  Ohren  der  Kinder  an  die 
obszönsten  Unterhaltungen  gewöhnt  wurden.  Dennoch  hielt  man,  teilweise 
freilich  nur  scheinbar,  viel  auf  die  Keuschheit  beider  Geschlechter.  Die  Taupou 
oder  Dorfjungfrauen,  welche  das  heilige  Feuer  zu  hüten  hatten,  sowie  die 
Töchter  der  Vornehmen  mußten  auch  in  der  Tat  keusch  leben.  Vornehme  Bräute, 
welche  früher  öffentlich  die  Keuschheitsprobe  nicht  bestanden,  wurden  von 
ihren  eigenen  Angehörigen  getötet,  gefallene  „Dorfjungfrauen"  schimpflich  ab- 
gesetzt. Um  einem  solchen  Unglück  vorzubeugen,  gaben  ihnen  die  Eltern 
Jugendgespielinnen  oder  ältere  Frauen  zur  Überwachung  an  die  Seite,  was 
nach  Deeken  noch  der  Fall  ist.  Aber  Indra  schrieb:  90°/0  Dorf  Jungfrauen 
sind  seit  der  Berührung  mit  unserer  Kultur  keine  reinen  Hüterinnen  des  heiligen 
Feuers  mehr,  und  schlimmer  noch  sieht  es  mit  der  übrigen  Jugend  aus. 
Mädchen  mit  13 — 14  Jahren  sind  schon  nicht  mehr  wählerisch  in  der  Art, 
wie  sie  sich  ihren  Lebensunterhalt  verdienen,  und  Eltern  verkuppeln  ihre 
eigenen  Kinder;  der  geschlechtliche  Verkehr  ist  uneingeschränkt,  und  von  der 
samoanischen  Prostitution  kann  sogar  Europa  lernen.  —  Die  „Zeitehe",  welche 
nach  Müller2)  gleichfalls  ein  Geschenk  der  Weißen  sein  soll,  war  schon  vor 
Einführung  unserer  Kultur  samoanischer  Brauch.  Man  lese  nur  die  Turnersche 
Schilderung  der  vorchristlichen  Ehe  auf  Samoa  nach! 

Auf  Neuseeland  verkauften  zu  Georg  Forsters  Zeit  Männer  ihre  Töchter 
und  Schwestern  an  europäische  Seeleute.  Europäische  Fahrzeuge,  z.  B.  Cooles 
Endeavour,  von  Krusensterns  Nadeschda  u.  a.,  seien  Schauplätze  gemeinster 
Szenen  gewesen3).  — 


!)  Nach  Müller  besteht  auf  den  Salomonen  so  gut  wie  auf  Neuguinea  und  Neu- 
kaledonien,  ferner  auf  den  Loyalty-  und  Viti-Inseln,  also  bei  Papuas  und  Melanesiern, 
die  Sitte,  daß  die  Töchter  hauptsächlich  der  vornehmeren  Familien  sehr  jung  verlobt  werden, 
was  den  Augehörigen  die  strenge  Pflicht  auferlege,  das  heranwachsende  Mädchen  sorgfältig 
zu  bewachen.  Auf  Viti  gelte  der  Fall  einer  Braut  so  viel  wie  Ehebruch  uDd  werde  tödlich 
gerächt.  Auch  halte  man  hier  und  auf  Neukaledonien  die  Jugend  durch  die  Furcht  vor  den 
physischen  Folgen  eines  frühen  Geschlechtsverkehrs  in  Schranken.  (D.  s.  L.  d.  N.,  in 
„Renaissance"  1,  S.  77  f.) 

«)  1.  c.  78. 

3)  Ebenda. 

35* 


548  Kapitel  XLVII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

Auf  Hawaii  und  anderen  Südseeinseln  bewahren  die  sog.  Tugend-  und 
Jugendwäeliter  die  Töchter  der  Eiugebornen  vor  weißen  Verführern,  wie 
Müller  im  Hinweis  auf  Schneider  schreibt1).  — 


§  313.     Koreaner,  Chinesen,  Japaner.  Katchin,  Thai'  und  Bevölkerung 

von  Kambodscha. 

In  den  höheren  Gesellschaftskreisen  Koreas  verlangt  die  Etikette,  daß 
Knaben  und  Mädchen  vom  8.  oder  höchstens  10.  Lebensjahre  an  getrennt 
wohnen.  Jene  werden  nun  in  den  äußeren  Wohnräumen  untergebracht,  wo 
die  Männer  leben,  diese  in  den  innern.     Spielen,  essen,  lernen,  alles  geschieht 

dann  separat  für  die  beiden  Ge- 
schlechter. Den  Knaben  sagt  man, 
es  wäre  eine  Schande,  mit  den 
Frauen  den  gleichen  Wohnraum 
zu  teilen,  und  den  Mädchen  prägt 
man  ein,  es  sei  unanständig,  sich 
den  Blicken  der  Männer  aus- 
zusetzen. Nach  kurzem  suchen  die 
Mädchen  auch  ganz  von  selbst. 
sich  vor  den  Männern  zu  ver- 
bergen. —  Andererseits  verstößt 
es  nicht  gegen  die  koreanischen 
Sittlichkeitsbegriffe,  daß  arme 
Eltern  ihre  Töchter  zu  Tänzerinnen 
heranbilden  und  ihre  Söhne  ka- 
strieren lassen,  damit  sie  durch 
deren  Verdienst  ein  sorgenfreies 
Alter  haben.  Die  koreanischen 
Tänzerinnen  (Gisaing)  entsprechen 
aber  den  japanischen  Geisha  und 
den  griechischen  Hetären.  Um 
diese  „Blätter  des  Sonnenlichts" 
zu  munteren  Gefährtinnen  der 
Männer  zu  machen,  werden  ihre 
intellektuellen  Fähigkeiten  mehr 
ausgebildet,  als  die  der  ehrsamen 
Mädchen  und  Frauen.  Sie  sind 
als  Klasse  einem  Departement  der 
Regierung  angeschlossen,  stehen 
unter  besonderer  Kontrolle,  werden  aus  der  Staatskasse  unterstützt  und 
erscheinen  bei  allen  offiziellen  Gastmählern  und  Hoffestlichkeiten.  Sie  lesen  und 
deklamieren,  tanzen  und  singen,  malen  und  musizieren,  bewegen  sich  anmutig, 
kleiden  sich  sehr  gut,  sind  phantasievoll  und  zärtlich.  Man  wählt  nur  Mädchen  mit 
vollkommen  regelmäßigen  Gesichtszügen,  schlankem  und  zierlichem  Wachs,  die  bei 
der  Wahl  noch  ganz  unberührt  sind.  Es  gibt  sehr  viele  ..Blätter  des  Sonnenlichts"; 
sie  kommen  aus  allen  Teilen  des  Landes,  und  da  sie  so  künstlerisch  und  anmutig 
erzogen  sind,  nehmen  sie  im  Haushalt  ihres  Beschützers  (zu  deutsch,  ihres  Buhlen 
und  Herrn)  oft  eine  viel  höhere  Stellung  ein,  als  die  legitime  (4attin.  Daher  die 
zahllosen  Schmähungen  und  Klagen  der  rechtmäßigen  Frauen  in  den  koreanischen 
Volksliedern.  Heiraten  kann  aber  ein  gebildeter  Koreaner  eine  Tänzerin  nicht. 
Hamilton,  der  dieses  mitteilt,  bemerkt,  daß  die  „Berufsklassen"  der  Dirnen 
and  Tänzerinnen  die  ältesten  Berufsklassen  in  der  Geschichte  Koreas  seien!?!. 


Fi 


422.    Vornehmes  eingeborenes  Mädchen  auf  Hawaii. 
Im  K.  Ethnographischen  Museum  in  München. 


')  Ebenda. 


§  313.     Koreaner,  Chinesen,  Japaner,  Katchin,  Tha't  und  Bevölkerung  von  Kambodscha.      549 

Die  Tänzerinnen  vertauschen  später  diesen  Beruf  mit  dem  einer  Nebenfrau; 
die  Dirnen  bleiben  bei  dem  ihrigen.  Beide  Berufe  stehen  nur  den  Mädchen 
des  dritten,  niedersten,  Standes  offen.  —  Außer  diesen  Tänzerinnen  müssen 
die  legitimen  Frauen  Nebenweiber  dulden,  eine  in  allen  Klassen  der  Bevölkerung 
anerkannte  Familienform.  In  den  unteren  Volksschichten  finden  ungesetz- 
mäßige Verbindungen  den  weitesten  Spielraum.  —  Der  Koreaner  kann  sich 
aus  verschiedenen  Gründen  von  seinem  rechtmäßigen  Weib  scheiden  lassen; 
doch  bleibt  ihm  die  Pflicht,  die  Kinder  zu  erziehen,  bzw.  erziehen  zu  lassen.  - 
Ähnlich  sieht  es  in  China  aus.  Wie  das  koreanische,  so  wird  auch  das 
chinesische  Mädchen,  hauptsächlich  der  höheren  Kreise,  bald  von  den  Knaben 
getrennt.  Bis  zum  12.  oder  13.  Jahr,  d.  h.  solange  es  als  Kind  gilt,  darf  es 
sich  auf  der  Straße  zeigen  und  seiner  Freiheit  freuen.  Dann  aber  beginnt 
für  dasselbe  eine  freudlose-  Zeit,  denn  es  wird  völlig  aus  der  Gesellschaft 
verbannt.  Daher  die  chinesischen  Bezeichnungen  „Mädchen  im  Kämmerlein" 
und    „das   im  Hause   sitzende  Mägdelein".     Es   darf   von  nun  an  mit  keinem 


Fig.  423.    Drei  Mischlinge  aus  Hawaii.     Vater:   Amerikaner.    Im  K.  Ethnograph.  Museum  in  München. 


männlichen  Wesen,  auch  nicht  mehr  mit  den  eigenen  älteren  Brüdern,  ver- 
kehren, nur  mehr  in  dicht  verschlossener  Sänfte  das  Haus  verlassen  und  muß 
sich  verbergen,  wenn  ein  Mann  dem  Hause  naht1).  —  Bei  der  ackerbau- 
treibenden Bevölkerung  auf  dem  Lande,  sowie  bei  den  niederen  Ständen  der 
Städter,  wo  die  Mädchen  arbeiten  müssen,  läßt  man  ihnen  notgedrungen  mehr 
Freiheit. 

Andererseits  erfuhren  wir  bereits  in  §  309  den  schamlosen  Mißbrauch 
chinesischer  Kinder,  und  Stern  schreibt,  daß  die  Kinder  an  ihren  Eltern  die 
„schlechtesten  Beispiele"  haben,  was  sich  nicht  nur  auf  ihr  Fluchen  und 
Schimpfen  allein,  sondern  auch  auf  Unsittlichkeit  im  engeren  Sinne  bezieht; 
denn  Stern  fährt  fort:  „Ihr  Herz  ist  einem  Sumpfe  gleich,  und  zu  Zeiteu  der 
Hitze  dringen  die  schlechten  Dünste  in  Form  schmutzigster  Schimpfreden  ans 
Tageslicht.  Wenn  sie  öffentlich  schimpfen  und  fluchen,  dann  geschieht  das 
immer  mit  schlechten  Worten  und  Anspielungen."     Feiner  erwähnt  Stenz  den 


x)  Nach  Stenz  (o.  c,   31  f.)    dürfen  die  Töchter  der   Vornehmen  sich  bei  gewissen  (ie- 
legenheiten,  die  im  Jahre  einigemal  wiederkehren,  iu  der  Öffentlichkeit  erscheinen. 


550  Kapitel  XL VII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

schwunghaften  Mädchen-  und  Frauenhandel ')  mancher  Gegenden  des  chinesischen 
Eeiches,  das  die  auf  den  Schein  so  viel  gebenden  Chinesen  freilich  nicht 
Handel  nennen,  sondern  das  Geschäft  mit  dem  Ausdruck  vertauschen  „man 
mache  der  Familie  des  Mädchens  ein  Geschenk".  Gefällt  ein  gekauftes 
Mädchen  nicht,  dann  wird  sie  häufig  wieder  verkauft.  Die  wenigsten  dieser 
Mädchen  oder  AVeiber  erkennen  die  Schmach  ihrer  Verhandlung,  weil  sie 
bereits  so  verdorben  sind,  daß  sie  nur  wünschen,  recht  bald  versorgt  zu 
werden;  das  „wie"  ist  ihnen  einerlei.  Edler  gesinnte  Chinesen  sehen  jedoch 
das  Unehrenhafte  dieses  Brauches  ein.  —  Besonders  schlimm  kennzeichnet 
Stern  die  Sittlichkeit  der  Bonzinnen,  deren  Anstalten  öffentlichen  Schand- 
häusern  gleichen  sollen  und  als  solche  auch  im  Volksmund  seien.  Er  selbst 
habe  die  polizeiliehe  Schließung  mehrerer  solcher  Anstalten  auf  Anordnung 
von  Mandarinen  erlebt.  Die  Schließung  wurde  begründet  mit  dem  Ausdruck: 
„Weil  sie  die  ganze  Gegend  verpesteten".  — ■  Zu  all  diesem  kommt  die  in 
wohlhabenden  Kreisen,  hauptsächlich  des  südlichen  China,  stark  eiugenistete 
Vielweiberei  und  das  Konkubinat.  Josef  Hoogers  nennt  das  eine  Quelle 
grenzenlosen  Elends  für  die  Familien.  Viele  Militärmandarine,  die  schon  über 
die  60er  Jahre  hinaus  sind  und  Frau  und  Kinder  haben,  kaufen  sich  noch 
junge  Konkubinen;  reiche  Männer  kaufen  sie  gleich  zu  dreien  und  fünfen, 
obgleich  chinesische  Moralisten  ihnen  vorhalten,  daß  sie  dadurch  die  Mädchen 
im  Diesseits  und  Jenseits  unglücklich  machen,  weil  diese  von  ihnen  keine 
Kinder  bekommen,  somit  ohne  Nachkommen  sterben  und  deshalb  niemand 
haben,  der  für  sie  nach  dem  Tode  opfern  kann.  —  Auf  dem  Land  und  über- 
haupt in  den  ärmeren  Kreisen  ist  Vielweiberei  jedoch  selten  und  nicht  sehr 
geachtet  {Stenz). 

Ob  es  in  China  früher  besser  aussah,  muß  ich  dahingestellt  lassen. 
Wuttke2)  nimmt  eine  Blütezeit  chinesischer  Keuschheit  an  und  weist  auf  die 
zarte  und  keusche  Gesinnung  in  den  Liedein  des  Schiking  und  auf  das  V erbot 
des  .  außerehelichen  Zusammenlebens  bei  Kong-tse  hin.  Allein  ein  Vergleich 
mit  der  Theorie  einzelner  hervorragender  Geister  und  der  Praxis  der  großen 
Mehrheit  bei  andern  Kulturvölkern  erweckt  doch  den  Verdacht,  daß  es  in 
China  auch  nicht  anders  war.  Die  schweren  Strafen  für  Unzucht,  welche 
Müller  nach  Wuttkes)  anführt,  sind  bemerkenswert,  aber  im  AT ergleich  mit  dem 
barbarischen  Strafverfahren  überhaupt  in  China  nicht  auffallend.  Sie  sind 
schon  deshalb  kein  Beweis  für  eine  hohe  Sittlichkeit  in  China,  weil  schwere 
Strafen  für  Vergehen  gegen  die  Keuschheit  auch  bei  anderen  Völkern  mit 
notorischer  Unsittlichkeit  gebräuchlich  sind.  Als  diesbezügliche  Strafen  in 
China  erwähnt  Josef  Midier:  Erdrosselung  für  die  Vergewaltigung  eines 
Mädchens  unter  zwölf  Jahren  (vgl.  die  Kinderschändung  in  §  309);  90  Hiebe 
dem  Mann,  der  seinem  Weib  Ehebruch  gestattet,  und  dem  Mandarin,  der 
liederliche  Häuser  besucht;  70  Hiebe  für  „verbrecherischen"  Briefwechsel  mit 
einem  Mädchen;  80  für  einen  solchen  mit  einer  Ehefrau;  100  für  einen  „Liebes- 
handel" und  den  Versuch  der  Entführung  einer  Jungfrau;  Todesstrafe  für 
eine  wirkliche  Entführung.  —  Nach  Klemm*)  schildern  die  chinesischen 
Romane  die  Allgewalt  der  Liebe,  aber  die  jungen  Leute  denken  niemals 
daran,  die  Freuden  der  Liebe  vor  der  Ehe  zu  genießen  (vgl.  die  Aus- 
setzung der  Kinder  gefallener  Mädchen  und  Witwen  in  Kap.  VIII,  Bd. 
I,  S.  166,  wo  allerdings  die  Furcht  vor  der  Schande  als  Beweggrund  an- 
gegeben ist).  — 


')  Ob  Stenz   hier   den  Brautkauf,    oder   einen  gewöhnlichen  Mädchenhandel  meint,   ist 
nicht  klar. 

ä)  Bei  Josef  Müller,  Das  sexuelle  Leben  der  Kulturvölker,  Benaissance  II,  197. 

»)  Ebenda,  198. 

4)  Vgl.  die  Chinesen  unter  den  Orotschen,  §  314. 


§  313.     Koreaner,  Chinesen,  Japaner,  Katehin,  Thai  und  Bevölkerung  von  Kambodscha.      551 

Trennung  der  Kinder  beider  Geschlechter  war  auch  ein  pädagogischer 
Grundsatz  im  alten  Japan,  und  A.  R.  Mitford,  ein  guter  Kenner  Japans,  nahm 
im  Jahre  1871  die  Japaner  gegen  den  ihnen  mehrfach  gemachten  Vorwurf, 
sie  hielten  nichts  auf  die  Keuschheit  ihrer  Töchter,  sehr  in  Schutz.  Noch  zu 
seiner  Zeit  waren  es  nur  die  Töchter  armer  Leute,  die  um  der  Arbeit  willen 
sich  außer  dem  Hause  frei  bewegten.  Wer  sich's  leisten  konnte,  hielt  sie 
in  der  Familie,  und  zwar  in  strenger  Abgeschlossenheit,  zurück.  Vornehme 
Mädchen  trugen  ein  Messer  an  ihrem  Gürtel,  um  Angriffe  auf  ihre  Keuschheit 
zurückzuweisen.  Eine  Zofe  der  Frau  Mitfords  stieß  einem  zudringlichen  Edel- 
mann ihren  Dolch  ins  Auge,  woran  er  starb.  Sie  wurde  für  diese  Wahrung 
ihrer  Keuschheit  gerichtlich  nicht  nur  nicht  belangt,  sondern  öffentlich  belobt. 

Das  gemeinsame  Baden  beider  Geschlechter  ist  unter  der  ärmeren  Be- 
völkerung gebräuchlich.  Als  Mitford  diesen  Punkt  mit  einem  japanischen 
Edelmann  besprach,  zuckte  dieser  mit  den  Achseln  und  meinte:  „Aber  die  im 
Westen  müssen  kitzlig  sein!"   -  -  In  Japan  denkt  dabei  niemand  Schlimmes. 

Freilich  denkt  der  Japaner  auch  nichts  Schlimmes  bei  der  Prostituierung 
unverdorbener  Mädchen,  wenn  dies  unter  gewissen  Umständen  geschieht.  Mitford 
schrieb:  Es  gilt  nicht  als  Schande,  daß  ein  Mädchen  sich  für  ihre  armen  Eltern 
an  ein  Hurenhaus  verkauft,  wo  das  Elend  so  groß  ist,  daß  mau  den  Prostituierten 
keine  Waffen  läßt,  damit  sie  in  ihrem  Ekel  am  Leben  sich  nicht  töten.  Ein 
Teil  der  Prostituierten,  deren  es  massenhaft  gibt  (Mitford  vergleicht  das 
Leben  in  den  japanischen  Teehäusern  und  schlechten  Stadtvierteln  mit  dem 
diesbezüglichen  Pariser  Leben)1),  wird  schon  in  den  Kinderjahren  kontrakt- 
lich festgenommen,  damit  die  Mädchen  für  ihren  „Beruf"  herangebildet  werden 
können.  Impresarios  erhalten  solche  Kinder  im  Alter  von  5 — 6  Jahren  von 
meist  armen  Eltern  um  den  Preis  von  35—50  Schillingen.  Waisenkinder  werden 
von  ihren  Verwandten  verhandelt.  Das  war  zu  Mitfords  Zeit  noch  nicht 
strafbar.  Die  kleinen  Mädchen  müssen  in  ihrer  neuen  Stellung  zunächst  den 
Vornehmen  unter  den  Prostituierten  (Oiron)  dienen.  Größere  Mädchen  geben 
sich  der  Prostitution  teils  aus  persönlicher  Armut  hin,  teils,  wie  schon  bemerkt, 
um  ihre  armen  Eltern  zu  unterstützen;  manche  kommen,  weil  sie  gefallen  sind, 
und  wieder  andere  werden  von  ihren  Liebhabern  verkauft;  verheiratete  Frauen 
verkaufen  sich,  um  ihre  Männer  zu  unterstützen.  Die  Prostituierten  sitzen 
in  einer  Art  Käfig  zur  Schau,  haben  vergoldete  Lippen,  schwarz  gefärbte 
Augenbrauen,  Kehle  und  Busen  weiß.  Nach  27  Jahren  sind  sie  wieder  frei, 
denn  die  Japanerinnen  altern  früh. 

In  vielen  Hotels  sind  die  Mädchen  nominell  Kellnerinnen,  tatsächlich 
aber  Prostituierte.  Wieder  andere  leben  in  ihren  eigenen  Häusern  —  tout 
comme  chez  nous! 

Das  Konkubinat  des  Japaners  ist  bekannt.  Die  Jugend  kann  es  nicht 
als  unkeusch  auffassen,  da  es  den  Erwachsenen  als  erlaubt  gilt.  Mitford 
erwähnte  einen  Anführer  der  Etas,  der  niedersten  Volksklasse,  dessen  Tochter 
die  Konkubine  eines  Adeligen  (Hatamoto)  werden  sollte,  was  den  Vater  ein 
großes  Glück  dünkte.  Das  Mädchen  selbst,  obschon  jungfräulich  eingezogen, 
teilte  ganz  die  Gesinnung  ihres  Vaters.  — 

Früher  war  auch  Vielweiberei  häufig  (Rein).  —  Ehescheidungen  kommen 
nach  Mitford  nicht  oft  vor.  Nach  Rein  kann  der  Mann  sein  Weib  aus  sieben 
Gründen,  darunter  Schwatzhaftigkeit,  verstoßen.  —  Auf  den  Ehebruch  setzten 
das  50.  und  51.  Kapitel  des  „Vermächtnisses  des  Iyeyasu"  die  Todesstrafe. 
„Wenn",  so  übersetzte  Mitford,  „ein  verheiratetes  Weib  aus  den  Ständen  der 

J)  Im  Jahre  1869  gab  es  in  dem  berühmten  Yoshiwara  in  Yedo  3289  Prostituierte 
aus  allen  Klassen  der  Gesellschaft,  abgesehen  von  anderen  Plätzen  der  Stadt.  —  Diese  Art 
Kasernierung  geht  nach  Mitford  bis  auf  das  16.  Jahrhundert  zurück.  Vorher  lebten  sie 
zerstreut. 


552  Kapitel  XLV1I.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

Bauern,  oder  Handwerker,  oder  Kaufleute  einen  geheimen  Umgang  mit  einem 
andern  Mann  hat,  dann  kann  der  rechtmäßige  Gatte  dieses  Weibes  beide  töten, 
ohne  vorher  Klage  zu  stellen.  Doch  kann  er  die  Angelegenheit  vor  Vollzug 
der  Strafe  mit  anderen  noch  beraten.  Von  den  Männern  und  Weibern  der 
Militärklasse  aber  erwartet  man,  daß  sie  das  Gesetz  besser  kennen  und  nicht 
die  Ordnung  stören.  Tun  sie  es  dennoch,  so  sollen  sie  sofort  gestraft  werden. 
Diese  Strafe  bestand  unter  der  ältesten  Kriminaljustiz  in  Kreuzigung,  welche 
später  durch  Enthauptung  ersetzt  wurde."  Zu  Mitfords  Zeit  war  der  Vollzug 
der  Strafe  aber  bereits  den  Händen  des  Gatten  entwunden,  und  der  Staal 
hatte  ihn  übernommen.  Der  Verkehr  eines  Mannes  mit  Prostituierten  und 
Konkubinen  scheint  bis  auf  den  heutigen  Tag  nicht  als  Ehebruch  zu  gelten1)- 

Auch  in  Kambodscha  glaubt  man  die  Keuschheit  der  Mädchen  durch 
Isolierung  bewahren  zu  können.  Die  Landessitte  gestattet  ihnen  nur,  bei  ge- 
wissen Festen  in  der  Pagode  sichtbar  zu  werden.  Der  Reisende  sieht  sie 
allenfalls  zur  Quelle  gehen,  ein  Tuch  über  den  Kopf  geworfen,  aus  dem  kaum 
ein  dunkles  Augenpaar  hervorleuchtet,  "Wird  er  wahrgenommen,  so  flieht  das 
Mädchen  unter  das  schützende  Dach  ihres  Hauses  zurück,  und  nichts  vermag 
sie  hervorzulocken,  solange  der  Fremde  in  der  Nähe  weilt.  —  Dazu  bemerkte 
der  Anonymus  im  „Globus"  48,  109:  Der  Orientale  muß  eben  erst  lernen,  im 
Weib  etwas  anderes  als  das  Geschlecht  zu  sehen;  dann  erst  wird  dieses,  und 
auch  schon  das  zarte  Mädchen,  sich  frei  b&wegen  können.  Dann  braucht  es 
beim  Anblick  von  Männern  nicht  mehr  die  Flucht  zu  ergreifen. 

Absonderung  des  Schlafraumes  der  größeren  Kinder  von  den  Eltern  be- 
richtet GUhodes  von  den  Katchin  in  Barma. 

Den  Thai  oder  Siamesen  wird  nachgesagt,  daß  sie  ihren  Töchtern 
erotische  Lieder  lehren,  damit  die  Mädchen  an  den  Festen  Wettgesänge  mit 
den  Jünglingen  eingehen  können  (siehe  §  304). 

§  314.     Ural-Altaien  und  Hyperboräer. 

Die  Kirghisen  lehren  ihren  Kindern,  sobald  diese  zu  sprechen  beginnen, 
unschickliche  Worte,  deren  Wiederholung  durch  den  ahnungslosen  Kindermund 
allgemeine  Heiterkeit  hervorruft  (Brehm). 

Der  Sittlichkeit  der  Tungusen-Kinder  konnte  Middendorff  kein  Lob 
spenden.  Es  sei  auch  gar  nicht  anders  zu  erwarten.  Wo  so  viele  Menschen 
beider  Geschlechter  in  einem  verhältnismäßig  kleinen  Kaum  zusammengepfercht 
seien,  und  wo  man,  schon  wegen  des  Ungeziefers,  die  Leibpelze  ablege,  so  oft 
das  Zeltfeuer  höher  aufflamme,  da  könne  von  Schamhaftigkeit  in  unserm  Sinn 
keine  Rede  sein.  Ein  Tunguse  entblößte  in  Gegenwart  zahlreicher  Männer 
seine  Tochter,  um  Middendorff  zu  überzeugen,  daß  es  ein  Mädchen,  kein 
Knabe  sei.  Knaben  besänftigen  vor  aller  Augen  weinende  Wiegenkinder 
„nach  Art  infamer  Ammen  und  Wärterinnen  Europas",  und  gegen  die  Über- 
setzung gewisser  Lieder  aus  Weibermund  sträubte  sich  Middendorffk  Scham- 
gefühl. 

Bei  den  Orotschen  oderTa-dse2)  an  den  obersten  Ussuri-Zuflüssen 
und  der  anstoßenden  Meeresküste  haben  sich  durch  den  entsittlichenden  Ein- 
fluß der  Chinesen  alle  Familienbande  gelöst,  und  überall  herrscht  die  größte 
moralische  Verkommenheit  (L.  v.  SchrencJc). 

Bei  den  Jakuten  sind  die  nächtlichen  Besuche  unter  den  Unverheirateten 
eine  allgemeine  Unsitte,  was  auf  die  Erziehung  um  so  mehr  Schatten  wirft, 
als  das  Freien  schon  bei  achtjährigen  Kindern  beginnt  (Middendorff). 


')   I  ber  den  unsittlichen  Einfluß  der  Japaner  auf  das  weibliche  Geschlecht  der  Alna 
siehe  §  314. 

2)  Tungusen-Stamm  ?. 


§  315.     Indianer.  553 

Die  Giljaken  nannte  L.  v.  Sehrenek  ein  sittenstrenges  Volk,  bei  dem 
sicli  beide  Geschlechter,  trotz  dem  der  ganzen  Familie  gemeinsamen  Schlaf- 
raum ohne  Schirme  und  Vorhänge,  durchaus  anständig  benehmen.  Besonders 
verdiene  die  Schamhaftigkeit  des  weiblichen  Geschlechtes  Erwähnung.  Nie 
kämen  jene  unanständigen  Entblößungen  vor,  welche  bei  den  Ainu  häufig 
seien.  Freilich  stellte  gerade  dem  weiblichen  Geschlecht  der  Ainu,  wenigstens 
auf  Sachalin,  Frhr.  von  Siebold  das  Zeugnis  aus,  daß  es  zu  seiner  Zeit 
„äußerst  züchtig"  gewesen  sei,  was  den  jetzigen  weiter  unten  nicht  nachgerühmt 
wird.  —  Erwähnenswert  ist,  was  PilsudsM  über  das  von  den  Giljaken  ver- 
langte Verhalten  ihrer  Töchter  mitteilt:  Sie  verbieten  den  Mädchen  streng  das 
Lachen,  wenn  von  Entbindung  oder  Wochenbett  die  Rede  ist;  ebenso  müssen 
sie  bei  einem  Geburtsakt  ernst  bleiben.  Lachen  wird,  so  droht  man  ihnen, 
dadurch  gestraft,  daß  die  Lachende  später  selbst  qualvolle  Entbindungen 
durchzumachen  hat. 

Auch  die  Ainu  auf  Sachalin  verheimlichen  ihren  Kindern  nichts;  diese 
wissen  ganz  genau,  wie  eine  Entbindung  vor  sich  geht,  so  daß  man  ihnen 
nichts  über  die  Ankunft  eines  Brüderleins  oder  Schwesterchens  vorzulügen 
braucht,  wie  PilsudsM  bemerkt.  Diese  sexuelle  Aufklärung  scheint  aber 
nicht  immer  gute  Früchte  zu  bringen;  denn  Pilsudshi  erwähnt  häufige 
geheime  Verhältnisse  des  weiblichen  Geschlechts  mit  Japanern,  deren  Ein- 
fluß auf  Sachalin  schon  fast  zwei  Jahrhunderte  währe  und  nicht  eben  kultur- 
fördernd sei,  indem  sie  auf  Befriedigung  ihres  Geschlechtstriebes  sehen.  Durch 
ihre  Schuld  bilde  sich  unter  den  Ainu-Frauen  häufig  der  Typus  einer  schwach 
verhüllten  Prostitution.  Verhinderung  der  Schwangerschaft  und  Abortus  seien 
deshalb  häufig. 

Schlimmer  noch  als  hier,  waren  die  keuschheitlichen  Verhältnisse  zu  Stellers 
Zeit  in  Kamtschatka.  Die  Eltern  vollzogen  den  ehelichen  Akt  ohne  jede 
Scham  vor  ihren  Kindern,  und  diese  ahmten  sie  in  frühester  Jugend  nach. 
Das  galt  den  Eltern  als  ein  Zeichen  frühreifen  Verstandes.  Fand  ein  Bräuti- 
gam seine  Braut  noch  jungfräulich,  dann  machte  er  der  Mutter  der  Braut 
Vorwürfe,  daß  sie  das  Mädchen  nicht  zum  Ehestand  erzogen  habe.  Die  Sprache 
kannte  keinen  Unterschied  zwischen  „Jungfrau"  und  „Prostituierte". 

Ein  glänzendes  Sittenzeugnis  stellte  Cranz  hingegen  den  grönländischen 
Eskimos  im  18.  Jahrhundert  aus:  Kein  unzüchtiger  Scherz  komme  aus  ihrem 
Mund;  herausfordernde  Gebärden  und  Gespräche  seien  unerhört;  die  jungen 
Leute  seien  einander  züchtig  begegnet,  um  nicht  ihren  guten  Namen  und  ihr 
zeitliches  Glück  zu  verlieren.  Mit  Cranz  stimmt  Sans  Egede  Saabye  überein, 
der  in  der  2.  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  unter  den  grönländischen  Eskimos 
nur  eine  einzige  illegitime  Geburt  erlebte,  insofern  es  sich  um  einen  Eskimo 
als  Vater  handelte.  Illegitime  Verhältnisse  mit  Dänen  waren  aber  schon 
damals  häufig  genug.  -  -  Das  fast  ganz  nackte  Zusammenleben  von  zwei  und 
mehreren  Familien  in  einem  Hause  ohne  Scheidewände  sah  Saabye  nicht  als 
sittlich  gefährlich  an.     Man  habe  nur  selten  von  Ausschweifungen  gehört.  — 

Ganz  anders  lautet  Nansens  Schilderung  aus  unserer  Zeit:  An  der  grön- 
ländischen Westküste  gelten  illegitime  Geburten  weder  bei  Heiden,  noch  bei 
Christen  als  Schande,  und  häufig  tauschen  hauptsächlich  die  Heiden  der  Ost- 
küste ihre  Weiber  gegenseitig  aus;  bei  dem  häufigen  Spiel  des  „Lampeu- 
auslöschens"  oder  des  „Frauenaustausches"  ist  allen  Anwesenden  völlige 
Freiheit  gestattet.  —  Daß  die  letzteren  Bräuche  von  Europäern  oder  Amerikanern 
herrühren,  ist  kaum  anzunehmen.  — 

§  315.     Indianer. 

Die  Indianer  in  Kanada  gestatteten  ihren  Töchtern,  die  unter  Tags  sich 
so  keusch  gebärdeten,  daß  man  ihnen  nichts  von  Liebe  vorsagen  durfte,  nach 


554  Kapitel  XLVII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

Belieben  nächtliche  Besuche,  und  da  illegitime  Mütter  keine  Aussicht  mehr 
auf  Ehe  hatten,  nahmen  sie  gewisse  Wurzel-Dekokten,  um  die  Folgen  solcher 
Besuche  abzutreiben.  Es  war  ein  offenes  Geheimnis.  Die  Mütter  prostituierter 
Töchter  erwiderten  auf  die  Drohungen  der  christlichen  Missionare  mit  dem 
ewigen  Feuer,  lachend:  „Da  muß  es  aber  im  Jenseits  ganze  Berge  von  Asche 
geben",  und  die  Väter  gaben  die  gewöhnliche  Antwort:  „Es  läßt  sich  hören."  — 
Solange  ein  Ehepaar  beisammenlebte,  gab  es  seinen  Kindern  ein  gutes  Bei- 
spiel von  ehelicher  Treue.  War  aber  ein  Teil  des  andern  müde,  dann  ging 
man  auseinander  (De  Lahontan). 

In  Kanada  lebten  auch  Ojibwä  (Chippewa),  von  denen  Josef  Müller 
schreibt,  daß  bei  ihnen,  sowie  bei  den  Irokesen,  Omaha,  Kansas  und 
Abenakis  die  Mädchen  im  allgemeinen  tugendhafter  lebten,  als  die  ver- 
heirateten Weiber,  schon  um  die  Aussicht  auf  eine  gute  Partie  nicht  zu  ver- 
lieren. Ferner  schreibt  Müller  mit  einem  Hinweis  auf  Hunter,  bei  vielen 
Indianerhorden  habe  es  keine  jugendlichen  Ausschweifungen  gegeben,  selbst 
wo  keine  gesonderten  Schlafstätten  vorhanden  waren.  —  Nach  Hearne  sonderten 
die  Chippewa  ihre  Töchter,  wenn  diese  8—9  Jahre  alt  geworden,  sorgfältig 
vom  männlichen  Geschlechte  ab.  Nicht  nur,  daß  sie  ihnen  von  da  an  ge- 
meinsame Spiele  mit  den  Knaben  untersagten;  sie  überwachten  sie  auch  soust 
strenge,  indem  sie  ihnen  alte  Weiber  zur  Seite  gaben,  mit  denen  die  Mädchen 
Häute  schabten,  Schuhe  ausbesserten  und  ..sonstige  Arbeiten  verrichteten.  — 
Aber  das  Leben  der  Männer  läßt  uns  ahnen,  welche  Erziehung  den  Knaben 
zuteil  wurde.  Hearne  sagt  von  den  Männern,  daß  sie  trotz  ihrem  kalten 
Klima  so  wollüstig  und  ausschweifend  waren,  wie  es  nur  südliche  Asiaten  sein 
können.  Daß  zwei  Nordindianer  ihre  Weiber  vorübergehend  austauschen,  ist 
etwas  sehr  Gewöhnliches.  Man  betrachtet  das  als  Freundschaftsdienst  und 
das  stärkste  Band  zwischen  den  beiden  Familien.  Stirbt  einer  der  beiden 
Männer,  dann  nimmt  sich  der  andere  um  dessen  Kinder  an.  Auch  Kämpfe  um 
Weiber,  selbst  zu  Lebzeiten  der  Gatten,  waren  zu  Hearnes  Zeit  häufig. 
Andererseits  stieß  der  Mann  sein  Weib  wegen  eines  sittlichen  oder  sonstigen 
Vergehens  unter  Schlägen  zum  Zelt  hinaus  mit  dem  Bemerken,  sie  könne  zu 
ihrem  Liebhaber,  oder  zu  ihren  Verwandten  zurückkehren. 

Bei  den  Athabasken  und  Neheawayen  waren  Heiraten  zwischen 
Vätern  und  Töchtern,  Brüdern  und  Schwestern  häufig.  Hearne  kannte  Männer, 
die  ihre  zu  Weibern  genommenen  Töchter  später  ihren  eigenen  Söhnen  ab- 
traten, und  niemand  nahm  Anstoß. 

Die  Mandan,  ein  Sioux-Stamm,  schützten  die  weibliche  Scham- 
haftigkeit  mit  großer  Sorgfalt  (Josef  Müller);  aber  bei  den  Nadowessiern, 
einem  anderen  Sioux-Stamm,  gab  es  „Reisfeste",  welche  von  Mädchen  ver- 
anstaltet wurden  und  bei  denen  diese  sich  einer  möglichst  großen  Anzahl  von 
Männern1)  preisgaben,  was  dem  betreffenden  Mädchen  zu  lebenslänglicher 
Ehre  gereichte.  Carver  lernte  ein  Weib  kennen,  das  noch  im  Alter  in  außer- 
ordentlicher Hochachtung  stand,  weil  es  in  seiner  Jugend  sich  bei  einem 
„Reisfest"  vierzig  Kriegern  hingegeben  hatte. 

Von  den  Indianern  im  nordwestlichen  Oregon  und  westlichen  Wa- 
shington berichtet  Gibbs:  Die  Jugend  beginnt  ihr  ausschweifendes  Leben  schon 
mit  zirka  10 — 12  Jahren.  Uneheliches  Geschlechtsleben  gilt  nur  dann  als 
Schande,  wenn  Kinder  kommen,  was  man  aber  gut  zu  verhindern  weiß.  Kohe 
Spaße  und  die  intimsten  Vorgänge  des  sexuellen  Lebens  bilden  häufig  den 
Gegenstand  der  Unterhaltung.  (Vor  Einführung  der  amerikanischen  Kleidung 
fingen  die  Männer  völlig  nackt.)  Ein  Ehebruch  des  Weibes,  aus  welchem 
ihr  eigentlicher  Mann  materiellen  Nutzen  zieht,  wird  gar  nicht  beachtet.     Der 


')  Diese  werden  von  dem  Mädchen  vorher  mit  Reis  gespeist. 


§  315.     Indianer.  555 

dortige  Indianer  darf  seine  Schwestern,  Töchter,  Sklavinnen  und  alle  ihm 
unterstehenden  weiblichen  Verwandten  zu  sexuellem  Verkehr  verleihen.  — 
Prostitution  ist  fast  allgemein.  —  Bricht  ein  Weib  aber  die  Ehe,  ohne  daß 
ihr  Mann  materiellen  Vorteil  davon  hat,  dann  wird  es  verhandelt,  oder  ver- 
kauft, oder  sonst  verstoßen.  —  Der  Mann  lebt  polygam,  wenn  die  Verhältnisse 
es  ihm  gestatten. 

Die  Pueblos  des  16.  Jahrhunderts  gestatteten  ihren  Töchtern  vor  deren 
Verheiratung  fast  keine,  oder  gar  keine  Bekleidung,  damit  ein  allenfallsiger  Fehl- 
tritt sofort  offenbar  werde,  was  an  und  für  sich  wohl  auf  eine  relativ  hohe  Sitt- 
lichkeit schließen  läßt.  Nach  Bancroft  wacht  bei  den  Pueblos  sogar  eine 
Geheimpolizei  über  die  freundschaftlichen  Verhältnisse  der  Jugend  beiderlei 
Geschlechter  und  bringt  jede  Ungebührlichkeit  zur  Anzeige.  Ein  angeschuldigtes 
Paar  muß  vor  dem  Gemeinderat  erscheinen,  wird  zur  Eheschließung  ermahnt 
und  bekommt,  wenn  es  der  Mahnung  ungeachtet  sein  Verhältnis  fortsetzt,  die 
Peitsche  zu  fühlen.  Andererseits  sollen  die  Pueblos  alljährlich  einige  Nächte 
in  krasser  Unzucht  zubringen,  und  die  Jugend  sei  hiervon  nicht  ausgeschlossen. 

Sorgsam  hüteten  die  Pirnas  in  Mexiko  zur  Zeit  des  Missionars  Och 
die  Keuschheit  ihrer  Töchter,  warfen  aber  diese  Sorge  baldmöglichst  ab,  d.  h. 
sie  verheirateten  sie  baldmöglichst  nach  Eintritt  der  Keife.  „Pater,"  so 
redeten  sie  den  Missionar  an,  welcher  um  Schwiegersöhne  sehen  sollte,  „ich 
habe  dieses  Mädchen  lange  genug  gehütet,  ich  will  nicht  mehr  sorgen;  jetzt 
kannst  Du  ihr  einen  Mann  geben."  —  13jährige  Mädchen  wurden  bisweilen 
an  50— 60jährige  Männer  verheiratet,  wenn  Och  es  nicht  hinderte.  Manche 
Mädchen,  von  den  Drohungen  oder  Schmeicheleien  ihrer  Eltern  eingeschüchtert, 
gaben  vor,   einen  solchen  Mann  freiwillig  zu  nehmen  (von  Murr,  nach  Och). 

Was  die  Erziehung  der  Kinder  zur  Keuschheit  bei  den  alten  Kultur- 
völker Amerikas  betrifft,  so  wurden  schon  in  §  306  Vorsichtsmaßregeln 
angegeben,  welche  man  in  den  adeligen  Töchterseminarien  beobachtete;  es 
wurde  dort  aber  auch  erwähnt,  daß  die  männliche  Jugend  Mexikos  sich  zu 
nächtlichen  Ausschweifungen  im  „Haus  des  Gesanges"  versammelte1),  und  daß 
man  andererseits  in  den  Schulen  auch  sie  zur  „Keuschheit"  mahnte  (vgl.  §  308). 

Den  Indianerinnen  unter  den  Tropen  sprach  A-ppun")  nur  eine  geringe 
Neigung  zur  physischen  Liebe  zu.  Ein  hoher  Schicklichkeitssinn  paare  sich 
damit,  obgleich  sie  fast  nackt  gehen.  Nur  in  stark  betrunkenem  Zustande 
verlasse  sie  der  Anstand.     Nie  höre  man  von  den  Männern  eine  Zote. 

Ähnlich  lautete  das  Zeugnis  des  Missionars  Nielutsch  über  die  sog. 
„wilden"  Indianerstämme  in  Peru,  am  Maranon,  welche  zum  großen  Teil 
viel  auf  die  Keuschheit  ihrer  Töchter  hielten  und  es  gerne  sahen,  daß  die 
Missionare  des  18.  Jahrhunderts  Schutzhäuser  errichteten,  in  welchen  junge 
Mädchen  unter  der  Obhut  von  Witwen  erzogen  und  unterrichtet  wurden  und  auch 
alleinstehende  erwachsene,  ledige  und  verheiratete,  Frauen  nachts  Schutz 
fanden,  während  die  Männer  der  letzteren  abwesend  waren;  denn  da  wußten 
die  Indianer,  daß  ihre  Töchter  und  Frauen  vor  den  Nachstellungen  der 
„Fleischteufel"  sicher  waren.  Sie  versicherten  Niclutsch,  eine  der  Haupt- 
ursachen, daß  sie  früher  im  Wald  nicht  beisammen,  sondern  zerstreut  gelebt 
hatten,  und  daß  sie  manchmal  mit  Weib  und  Kind  von  einer  Pflanzung  zur 
andern  gezogen  wären,  sei  die  Sorge  um  die  Keuschheit  ihrer  Töchter  und 
Weiber  gewesen.  Niclutsch  bemerkte,  daß  gerade  bei  diesen  Stämmen  die 
AVeiber  nur  ein  l1/»  Spanne  breites  Schürzchen  aus  „Baumfaden"  als  einzige 
Bekleidung  trugen,  wiederum  ein  Beweis,  daß  Bekleidung  und  Sittlichkeit 
«inander  nicht  bedingen. 

»)  Vgl.  §  309. 

2)  Bei  Josef  Müller,  D.  s.  L.  d.  N.,  Keuaissauce  I,  79. 


556  Kapitel  XI. VIT.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

Als  ein  außergewöhnlich  keusches  Volk  führte  Josef  MüUer,  mit  einem 
Hinweis  auf  Klemm,  die  jetzt  ausgestorbenen  Abiponer,  einen  Zweig  der 
Guaikuru')  in  Brasilien  und  Paraguay,  an.  Obwohl  die  Mädchen  nicht 
vor  dem  19.  und  die  Jünglinge  nicht  vor  dem  25.  Jahre  heirateten,  waren 
nach  Klemm  Unzucht  und  Ausschweifungen  „unerhörte"  Laster.  Doch  er- 
wähnte dieser  andernorts,  daß  die  Strafe  für  Ehebruch  öffentliche  Auspeitschung, 
Abschneidung  der  Haare  und  Verbannung  war.  Ehebruch  kam  also  vor; 
soust  wäre  keine  Strafe  darauf  gesetzt  worden.  Auch  verstießen  die  Männer 
vielfach  ihre  Frauen,  weshalb  diese  wünschten,  ihre  Männer  möchten  sich  vom 
Missionar  Dobrizhofer  taufen  lassen,  damit  ihr  eheliches  Band  unauflöslich 
würde.  Ferner  gab  es  Vielweiberei,  wenn  auch  nicht  häufig.  —  Auf  den 
Mann  ist  also  der  Ausdruck  „außergewöhnliche"  Keuschheit  auch  hier  nicht 
anzuwenden,  und  nach  dieser  Doppelmoral  der  Erwachsenen  wuchs  selbst- 
verständlich die  Jugend  auf.  Immerhin  ist  es  sehr  beachtenswert,  daß  An- 
griffe auf  die  Frauenehre  gerächt  wurden,  daß  die  Mädchen  ihre  Ehre  energisch 
verteidigten,  wenn  es  not  tat,  und  daß  die  Krieger  ihre  weiblichen  Gefangenen 
unangetastet  ließen,  was  keineswegs  bei  allen  Indianerstämmen  der  Fall  war. 

So  schrieb  Martins  von  den  Chavantes  in  Brasilien:  Sie  sind  eines 
der  wenigen  Völker  Amerikas,  welche  die  Jungfräulichkeit  der  Bräute 
hochschätzen.  Sie  bewachen  die  Keuschheit  ihrer  Töchter,  indem  sie  auf  ihre 
Söhne  ein  scharfes  Auge  haben.  Martins^  teilt  feiner  mit,  daß  in  Brasilien 
bei  kleinen,  isoliert  lebenden,  Horden  Geschwisterehen  sehr  häutig  sind.  Am 
Amazonas  und  am  Rio  Negro  kommt  Blutschande  in  allen  Graden  vor.  — 
Besonders  zu  beachten  sind  im  Hinblick  auf  die  Abiponer,  als  einem  Zweig 
der  Guaikuru,  die  folgenden  Mitteilungen  des  Martins: 

Bei  den  Guaykurus.  Mundrukus  und  anderen  Stämmen  verfügen  die 
Väter  und  Ehemänner  über  ihre  Töchter  und  Weiber,  indem  sie  sie  ihren 
Gästen  aus  Freundschaft  zur  Verfügung  stellen.  Am  Amazonas  und  Yupura 
prostituieren  Männer  ihre  Weiber,  oder  überlassen  sie  andern  Männern  auf 
eine  gewisse  Zeit.  Den  von  ihm  nicht  gewollten  Ehebruch  seines  Weibes 
straft  der  Mann  durch  Verstoßung  oder,  indem  er  es  zugleich  der  Zauberei 
beschuldigt,  mit  dem  Tod. 

Mit  Mißhandlungen  straft  auch  der  Botokude  im  östlichen  Brasilien 
den  Ehebruch  seines  Weibes,  wenn  er  seinen  Rivalen  bei  ihm  trifft;  aber  in 
Abwesenheit  der  Männer  ist  es  den  Weibern  gestattet,  zu  andern  zu  gehen 
{Prinz  zu    Wieä). 

Die  Tupin-Imbas,  ebenda,  setzten  auf  die  Keuschheit  der  Ledigen 
wenig  Wert,  aber  den  Ehebruch  der  Weiber  durften  die  Männer  rächen,  indem 
sie  diese  unter  Schimpf  und  Schande  fortjagten,  oder  abschlachteten  (Lery). 

Die  Stämme  im  Quellengebiet  des  Schingu  haben  betreff  Sexualia  gar 
kein  Schamgefühl.  Mit  Vorliebe  unterhalten  sie  sich  über  Geschlechtliches, 
und  eines  der  häufigsten  Ornamente  ihrer  Malerei  ist  das  Uluri  oder  Scham- 
tüchlein  der  Weiber  (Karl  von  den  Steinen). 

I>ie  jungen  Männer  der  Bororö  fangen  nach  dem  gleichen  Forscher 
Prostituierte  ein  und  leben  mit  ihnen  im  „Männerhaus".  Geregelte  Ehe- 
verhältnisse scheint  es  nur  in  den  Familienhütten  der  älteren  Männer  zu  geben. 
Im  „Männerhaus"  gehören  die  Kinder  allen  Männern  zusammen,  da  hier  ja 
auch  30 — 40  Männer  bisweilen  ein  gemeinsames  Weib  haben.  (Hierüber  in 
einem  späteren   Kapitel.) 

Die  Kavapn  nehmen  ihre  Töchter  und  Frauen  nach  Tonceieäo.  um 
sie  dort  den  Brasilianern   zur   Verfügung   zu   stellen.     So   wenigstens   wurde 

x)   Vgl.  die  Verleihung  der  Töchter  und  Weiber  bei  den  Guaikuru  nach  Martins  w.u. 


§  315.     Indianer.  557 

Fritz  Krause  erzählt.  Hingegen  erwähnt  dieser  die  Dezenz  der  Karaja. 
Als  Beispiel  führt  er  ein  Mädchen  von  etwa  acht  Jahren  an,  das  ihm  ihren 
Schnurgürtel  verkaufen  sollte.  Da  lief  sie  hinter  die  nächste  Mattenwand, 
legte  dort  einen  neuen  an  und  brachte  Krause  darauf  den  alten.  —  Die 
Mädchen  suchen  vor  der  Ehe  ihre  Reinheit  möglichst  zu  bewahren.  -  -  Aus 
Furcht  vor  den  jungen  Männern,  denen  volle  Freiheit  gestattet  ist,  gehen  sie 
deshalb  nicht  allein  in  den  Wald.  —  Über  harte  Strafen  für  vorehelichen 
Verkehr,  über  welche  Ehrenreich  und  Königswald  schrieben,  erfuhr  Krause 
nichts.  — 

Günstige  Erfahrungen  machte  auch  Theodor  Koch-Grünberg,  der  in 
„Womeu  of  All  Nations"  (South  America,  369)  versichert:  „Never,  during  my 
two  years'  stay  amorig  the  Indians,  din  I  see  a  shadow  of  indecency  in  the 
relations  of  married  couples." 

Um  die  Mädchen  bis  zur  Verheiratung  keusch  zu  erhalten,  ließen  die 
Antillen-Karaiben  zur  Zeit  der  Entdeckung  ihre  Töchter,  wenn  diese 
zirka  12  Jahre  alt  geworden  waren,  mit  den  Knaben  nicht  mehr  vertraulich 
umgehen.  Die  Mädchen  mußten  von  da  an  zurückgezogen  bei  ihren  Müttern 
leben  (Labat).  In  der  Ehe  war  es  auch  hier,  wie  so  ziemlich  überall  außer- 
halb des  Christentums,  d.  h.  das  Weib  allein  war  zur  Treue  für  den  einen 
Gatten  verpflichtet.  Zwar  schrieb  de  Rochefort,  Ehebruch  sei  bei  den  Antillen- 
Karaiben  vor  ihrer  Berührung  mit  den  Weißen  nicht  vorgekommen.  Daß  dieses 
jedoch  nicht  so  zu  verstehen  ist,  als  ob  die  Männer  lebenslänglich  nur  mit 
ihrer  einen  Ehefrau  geschlechtlich  verkehrt  hätten,  geht  schon  aus  de  Rocheforh 
eigener  Mitteilung  hervor,  die  eheliche  Liebe  dieser  Karaiben  sei  wie  ein 
Strohfeuer  gewesen,  und  sie  hätten  ihre  Nebenfrauen  ebenso  leicht  wieder 
verstoßen,  wie  sie  sie  genommen  hatten.  Von  ihren  Hauptfrauen  hätten  sie 
sich  aber  sehr  selten  getrennt,  besonders  wenn  sie  von  ihnen  Kinder  hatten. 
Wohl  aber  töteten  sie  sie  für  eheliche  Untreue,  indem  sie  ihnen  z.  B.  den 
Leib  aufschlitzten.  Nach  Du  Tertre  gewährte  indessen  der  eine  und  andere 
seinem  gefallenen  Weib  Verzeihung1).  Kriegsgefangene  Weiber  durften 
nach  dem  Beilager  getötet  werden.  —  Der  gleiche  Verfasser  berichtete  von 
einzelnen  Heiraten  zwischen  Vätern  und  deren  Töchtern,  zwischen  Müttern  und 
deren  Söhnen;  einzelne  Bigamisten  hatten  eine  Tochter  neben  deren  Mutter  zum 
Weib.  -  -  De  Bochefort  aber  schreibt,  daß  solche  Heiraten  als  Blutschande 
galten,  und  das  solche  Männer  das  Weite  suchen  mußten,  um  nicht  von  ihren 
Stammesgenossen  in  Stücke  zerrissen  oder  verbrannt  zu  werden.  —  Vorehelicher 
Verkehr  fand  nicht  statt. 

Bei  den  jetzigen  Karaiben  und  anderen  Indianern  in  Surinam  wirkt 
der  übermäßige  Alkoholgenuß  entsittlichend.  ..Was  die  Moral  der  Indianer- 
Mädchen  betrifft."  schrieb  Joest,  „so  ist  mir  darüber  nicht  gerade  Günstiges 
berichtet  worden;  wie  wäre  das  auch  möglich  bei  diesem  verkommenen  Ge- 
sindel? Die  Mädchen  sind  sogar  stolz  darauf,  ein  Kind  von  einem  Weißen 
zu  besitzen."  Ein  Gruppe  berauschter  Kinder,  größerer  Mädchen  und  Frauen 
sah  Joest  teils  nackt,  teils  spärlich  gekleidet  im  Zickzack  über  die  Straße 
schießen,  betrunkene  Männer  lagen  in  den  unglaublichsten  Lagen  herum.  — 
Kappler  berichtete:  Eheliche  Treue  ist  bei  den  Indianern  Surinams  selten  zu 
finden;  oft  geschieht  es,  daß  ein  Weib  sich  Monate  lang  bei  andern  aufhält 
und  dann  wieder  zu  ihrem  Manne  zurückkehrt,  ohne  von  ihm  für  ihren  Fehl- 
tritt mißhandelt  zu  werden.  Ebenso  häufig  kommt  es  vor,  daß  der  Mann 
seine  Frau  und  Kinder  verläßt   und   sich   in   einem   andern  Dorfe   ansiedelt. 


l)  Du  Tertre  meldete  ferner,  daß  die  Männer  ihre  Ehefrauen  auch  ohne  vorgefallenen 
Ehebruch  nach  Willkür  verließen.  —  Dem  Verführer  eines  Eheweibes  habe  der  rechtmäßige 
tiatte  nie  Verzeihung  gewährt. 


558  Kapitel  XL VII.     Kind  und  Keuschheit.     Das  Beispiel  der  Erwachsenen. 

Was  sich  also  der  Karaibe  zur  Zeit  der  Entdeckung  selbst  gestattete, 
tut  jetzt  auch  sein  Weib,  vielleicht,  weil  der  Mann  unter  der  holländischen 
Regierung  die  Ehebrecherin  nicht  mehr  töten  darf. 

Von  den  Patagonen  schrieb  Musters:  In  ihrer  Wildnis  beobachtete  ich 
wenig  Unsittlichkeit  an  ihnen;  aber  in  den  Ansiedlungen  werden  sie  durch 
Trunksucht  zügellos.  Übrigens  berichtet  der  gleiche  Verfasser  von  den 
gebräuchlichen  Nachtbesuchen  der  Patagonen.  Der  Besuch,  welcher  gewöhnlich 
unter  der  Decke  des  Hinter-Zeltes  hineinschlüpft,  wird  freilich  nicht  selten 
durch  die  kläffenden  Hunde  verraten.  Solche  Nachtbesuche  sind  nicht  immer 
nur  Männer.  Als  Musters  im  Zelt  des  Häuptlings  Orkele  übernachtete,  wurde 
er  von  einem  berauschten  Weib  aus  einem  Nachbarzelt  überrascht.  —  Moreno 
bemerkte  über  die  von  ihm  miterlebten  Orgien  unter  den  Patagonen,  was  er 
gesehen  und  gehört,  sei  zur  Wiedergabe  zu  unpassend.  Die  Väter  und  Brüder 
der  anwesenden  Mädchen  lachten  über  die  zudringlichsten  Männer,  statt  ihre 
Töchter  und  Schwestern  zu  schützen,  die  wenigstens  die  rohesten  Angriffe 
selbst  zurückwiesen.  Die  Vielweiberei  der  vermöglichen  Männer  zwingt  die 
ärmeren  zum  Zölibat,  was  diese  den  Prostituierten  zuführt.  Wie  bei  manchen 
andern  Völkern,  so  können  die  prostituierten  Weiber  auch  hier  heiraten  und 
gelten  dann  als  ehrbare  Frauen.  Guinnard  rühmt  ihnen  sogar  nach,  daß  sie 
dann  tatsächlich  treu  bleiben;  wie  denn  eheliche  Treue  die  Patagonierinuen 
im  allgemeinen  auszeichnen  soll.  Allerdings  ging  der  103  jährige  Häuptling- 
Calficurah,  welcher  32  Weiber  sein  eigen- nannte,  nachts  häufig,  mit  einem 
Messer  oder  einer  Wurfkugel,  bewaffnet,  auf  die  Suche  nach  seinen  Neben- 
buhlern und  treulosen  Weibern,  manchen  wohlgezielten  Stoß  und  Wurf  führte 
er  aus  (Guinnard).  —  Nach  Moreno  werden  Ehen  gelegentlich  aus  Liebe  zum 
Branntwein  gelöst.  So  wollte  aus  diesem  Grund  am  Lago  Argentiui  ein 
Weib  die  Ehe  ihrer  Tochter  mit  einem  Eingebornen  lösen,  um  sie  Moreno 
zum  Weibe  zu  geben,  und  die  Feuerländerin  Ast' eiche  ihren  eingebornen  Gatten 
verlassen  und  mit  Moreno  ziehen.  —  Ein  Schluß  auf  die  Kindererziehung 
unter  solchen  Verhältnissen  ist  nicht  schwer. 

§  316.     Die  Keuschheit  des  Kindes  in  der  Gefangenschaft. 

E.  W.  Lane  schreibt  von  den  sog.  abessinischen  jugendlichen  Sklaven 
Oberägyptens  seiner  Zeit,  die  in  Wirklichkeit  jedoch  nicht  aus  Abessinien, 
sondern  aus  den  Galla-Gebieten,  stammten.  Die  meisten  sowohl  von  diesen, 
als  von  den  schwarzen  Sklavenmädchen  werden  von  den  Gella'bs  oder  Sklaven- 
händlern aus  Oberägypten  und  Nubien,  die  sie  aus  ihrer  Heimat  wegnehmen, 
schändlich  verdorben.  Es  gibt  nur  sehr  wenige  acht-  oder  neunjährige  Mädchen, 
die  nicht  schon  in  brutaler  Weise  vergewaltigt  worden  sind.  Vergewaltigung 
scheint  auch  bei  Knaben  vorzukommen.  Denn  Lane  fügt  bei:  ,.So  tief  fühlen 
diese  Kinder,  hauptsächlich  die  abessinischen,  und  zwar  sowohl  die  Knaben 
als  auch  die  Mädchen,  die  von  den  Gella'bs  zu  erleidende  Behandlung,  daß  viele 
sich  auf  dem  Transport  im  Nil  ertränken." 

Nach  Burckhardt  versicherten  zu  seiner  Zeit  die  afrikanischen  Sklaven- 
händler, daß  sie  die  Keuschheit  der  von  ihnen  gefangenen  Mädchen  achten; 
in  Wirklichkeit  aber  beobachteten  sie  diesen  gegenüber  nicht  den  geringsten 
sittlichen  Anstand,  sondern  benutzten  die  schönsten  für  sich  und  erlaubten 
andererseits  den  gefangenen  Mädchen  Freiheiten,  welche  von  diesen  mißbraucht 
wurden.  Auf  seiner  Reise  nach  Suakin  in  Nubien  erlebte  Burckhardt  in 
dieser  Hinsicht  die  schamlosesten  Vorkommnisse,  welche  die  lachenden  Sklaven- 
händler in  Szene  gesetzt  hatten.  Wie  Lane,  so  war  auch  Burckhardt  der 
Überzeugung,  daß  sehr  wenig  Sklavenmädchen,  welche  das  10.  Lebensjahr 
überschritten  hatten,  im  jungfräulichen  Zustand  nach  Ägypten  oder  Arabien 


§  316.     Die  Keuschheit  des  Kindes  in  der  Gefangenschaft.  559> 

kamen.  Das  wußten  die  dortigen  Männer,  welche  Konkubinen  haben  wollten, 
auch  recht  gut,  weshalb  sie  zu  diesem  Zwecke  kleine  Mädchen  ankauften 
oder  irgendwie  erwarben  und  sie  ihren  Frauen  zur  Bewachung  übergaben; 
oder  aber  sie  kauften  Mädchen  auf  Probe,  die  sie  im  Fall  der  Enttäuschung 
nach  1 — 3  Tagen  wieder  zurückgaben.  Solche  Mädchen  waren  selbstverständ- 
lich in  kurzer  Zeit  aller  Scham  bar. 

In  Berber  rekrutierten  sich  die  zahlreichen  Prostituierten1)  zum  größten 
Teil  aus  den  in  der  Sklaverei  gebornen  Mädchen,  die  ihren  Gewinn  nicht 
selten  mit  ihren  Gebietern  zu  teilen  hatten.  Ihr  Leben  in  den  Buza-Hütten 
oder  Bordellen  nannte  Burckhardt  ein  leidenvolles.  Kein  Mann  kam  ohne 
Schwert  oder  Messer  zu  ihnen,  was  bei  ihrer  hochgradigen  Trunksucht  und 
der  sexuellen  Leidenschaft  zu  häufigen  blutigen  Auftritten  führte,  die  nicht 
selten  mit  einem  Mord  endigten. 

Mehrfache  Schändung  eines  kleinen  kriegsgefangenen  Mädchens  ist  mir 
aus  Nordamerika  bekannt:  General  Custer  fand  auf  seinem  Feldzug  gegen  die 
Sioux  und  Cheyenne-Indianer  auf  den  Plains2)  in  einem  Dorf,  welches  bis 
dahin  von  Leuten  dieser  beiden  Stämme  bewohnt  gewesen,  jetzt  aber  vor 
Custer  geräumt  worden  war,  ein  kleines  Mädchen,  das  von  mehreren  Kriegern 
mißbraucht  worden  war.  — 


')  Vgl.  §  311. 

2)  Custer  verwahrte  sich,  diese  Plains  mit  den  „Frärien"  zu  identifizieren.  Auf  diesen 
wachse  Gras,  daß  es  Roß  und  Reiter  überrage,  auf  jenen  nur  etwa  3  Zoll  langes  (vgl.  Renz^ 
des  Indianers  Familie,  100,  Anm.  1. 


Kapitel  XLVIII. 

Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes. 

§  317.  Religion  im  weitesten  Sinne  dieses  Wortes  blickt  durch  das 
ganze  Bild,  welches  bisher  von  dem  ,.Kind  in  Brauch  und  Sitte  der  Völker" 
gezeichnet  worden  ist,  uud  auch  der  später  noch  zu  behandelnde  Stoff  für  das 
vorliegende  Werk  ist  des  religiösen  Elementes  nicht  bar.  Doch  spielte  das 
Kind  bisher  im  religiösen  Leben  seiner  Umgebung,  von  mehr  oder  weniger 
Ausnahmen  abgesehen,  eine  hauptsächlich  passive  Bolle,  während  es  uns  in 
den  §§  318—320  als  hauptsächlich  aktiv  vorgeführt  werden  soll.  Allzuviel 
Material  liegt  mir  in  dieser  Hinsicht  noch  nicht  vor,  und  selbst  dieses  zeigt 
uns.  insofern  es  vom  Ahnenkult  handelt,  weniger  die  dem  Kindesalter,  als 
die'dem  Kindesverhältnis  zukommenden  religiösen  Pflichten. 

Der  Ahnenkult  beeinflußt  das  religiöse  Denken  und  Handeln  vieler 
Völker  in  hohem  Grad.  Er  schneidet  tief  ein  in  das  gegenseitige  soziale 
Verhältnis  der  Geschlechter  in  Familie  und  Stamm.  Die  durch  den 
Glauben  festgehaltene  Fähigkeit  eines  Sohnes,  seinen  Eltern  nach  deren  Tod 
mit  Opfern  zu  Hilfe  kommen  zu  können,  während  das  von  einer  Tochter 
nicht  zu  erhoffen  sei.  macht  jenen  zum  Gegenstand  des  sehnlichsten  V  onsches 
seiner  Eltern,  schon  ehe  er  empfangen  und  geboren  ist,  und  zeit  seines  Lebens 
verdankt  der  Mann  im  Ahnenkult  seine  Bevorzugung  vor  dem  Weib  größten- 
teils jenem  Glauben,  dessen  Ursprung  wissenschaftlich  noch  nicht  aufgeklärt 
ist,  weshalb  man  auch  noch  nicht  feststellen  kann,  ob  er  nicht  vom  Mann  als 
eines  der  wirkungsvollsten  Mittel  zur  Selbstüberhebung  über  das  Weib  er- 
funden worden  ist.  Ebensowenig  ist  es  wissenschaftlich  erwiesen,  daß  der 
Ahnenkult  dem  Götterkult,  bzw.  dem  monotheistischen  Gottesglauben, 
vorausgegangen  sei.  noch  auch,  in  welchem  Sinn  die  jetzt  im  Ahnenkult 
als  „Opfer"  bezeichneten  Akte  ursprünglich  aufgefaßt  wurden.  Ihre  in 
§  318  erwähnte  Auffassung  im  alten  China  als  Ansporn  für  die  Hinter- 
bliebenen, ihrer  Toten  zu  gedenken,  führt  zu  der  Vermutung,  daß  Ähnliches 
auch  bei  anderen  Völkern  der  Fall  gewesen  sein  könnte.  Doch  darf  auch 
nicht  vergessen  werden,  daß  der  Stammbaum  mancher  Völker  nach  deren 
(Hauben  bis  zur  Gottheit  selbst  hinaufreicht,  was  ihrem  Ahnenkult  einen 
höheren  Stempel  aufprägt,  d.  h.  ihn  zu  einer  gottesdienstlichen  Handlung 
erhebt.  Ob  die  Aufstellung  dieses  Stammbaumes  ihren  Ahnenkult  hervorge- 
rufen hat,  oder  erst  eine  Folge  des  letzteren  ist.  muß  hier  gleichfalls  unbe- 
wiesen bleiben.  Sicher  ist,  daß  viele  jetzt  lebende  Völker  glauben,  daß  die 
Geister  ihrer  Toten,  sei  es  als  Götter,  sei  es  als  sonst  mächtige  Wesen,  das 
Schicksal  der  Überlebenden  beeinflussen  können,  daß  sie  durch  die  von  den 
Überlebenden  dargebrachten  Opfer,  durch  würdige  Beisetzungen,  durch  Gebete. 
Tänze,  Leichenschmäuse,  Prozessionen  und  andere  Akte,  bisweilen  bis  zur 
Erschöpfung  des  ganzen  Vermögens,  günstig  gestimmt  werden. 

Die  Jenseits-Auffassung  mancher  Völker  führt   im   Ahnenkult   auch 
zu  Menschenopfern  fsiehe  Ibos  und  Chinesen  in  §  318).     Der  Verstorbene 


§  317.     Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes.  561 

soll  seine  liebgewordene  Umgebung,  seine  Bequemlichkeit  nicht  missen,  sondern 
die  Geister  seiner  Lieben,  oder  seiner  Sklaven,  sollen  ihm  ins  Jenseits  folgen 
und  auch  dort  ihm  zu  Diensten  sein. 

Bemerkenswert  ist  hier  ferner,  daß  der  Fruchtbarkeitskult  auch  im 
Ahnenkult  eine  wichtige  Rolle  spielt.  Man  beachte  z.  B.  die  Wasserzeremonie 
bei  der  Beisetzung  der  Bambara  (§  318),  und  deren  Auffassung  des  Wassers 
als  Ursache  jeglicher  Fruchtbarkeit.  Aber  nicht  nur  eine  wichtige  Rolle 
spielt  der  Fruchtbarkeitskult  im  Ahnenkult,  sondern  dieser  selbst  ist,  im 
Grunde  genommen,  nur  eine  Form  von  jenem,  da  die  menschliche  Fortpflanzung 
im  Fruchtbarkeitskult  der  Menschheit  den  ersten  und  wichtigsten  Platz  ein- 
nimmt, was  im  „Götterkult"  (§  319)  abermals  bewiesen  wird. 

Hier  finden  sich  die  Gegensätze  strenger  geschlechtlicher  Enthaltung  und 
Apotheosierung  des  Geschlechtslebens,  bzw.  der  Fruchtbarkeit,  mehrfach  in 
enger  Verbindung,  z.  B.  in'  Griechenland,  Rom  und  Mexiko.  Das  auf  den 
ersten  Anschein  Widersprechende  dieser  Tatsache  findet  seine  Lösung,  wenn 
mau  das  vorteilhafte  Tauschgeschäft  ins  Auge  faßt,  welches  der  Mensch  ge- 
wöhnlich mit  seiner  Gottheit  abschließt:  Er  gibt  wenig,  hofft  aber  dafür  viel 
zu  erhalten.  Zudem  gibt  er  sich  in  der  Regel  nicht  selbst,  sondern  ein  anderes, 
das  sich  nicht  freiwillig,  sondern  gezwungen  der  Gottheit  zu  Diensten  stellt. 
Um  der  Keuschheit  gezwungener  unreifer  und  reifer  Priester  und  Priesterinnen 
willen  soll  die  Gottheit  Land  und  Volk  segnen.  Denn  von  einer  freiwilligen 
Jungfräulichkeit  einer  freien  ausgereiften  Persönlichkeit  kann  bei  den  in  ihrer 
Kindheit  zum  Priestertum  bestimmten  römisch-griechischen  und  zentralameri- 
kanischen Priesterinnen  nicht  die  Rede  sein '),  und  eine  freiwillige  Jungfräu- 
lichkeit der  Priester  dieser  Kulte  scheint  es  noch  viel  weniger  gegeben  zu 
Italien  (vgl.  die  Ehen  der  mexikanischen  Priester  mit  Knaben  im  vorigen 
Kapitel).  Allerdings  sind  die  verschiedenen  Formen  von  Selbstpeinigung 
im  Götterkult  verschiedener  Völker  ein  sehr  beachtenswertes  Zeugnis  für  den 
Ernst  ihres  religiösen  Lebens.  Man  beachte  nur  die  in  §  319  erwähnte  Geiße- 
lung und  Brennung  der  in  den  Kore-Bund  eingeweihten  Bambara,  die  alt- 
mexikanischen Blutentziehuugen,  Geißelungen,  Nachtwachen  usw.  Aber  gerade 
diese  Akte  im  Kult  ihrer  Götter  (Baumgeuius,  Sonne  usw.)  dürften,  insofern 
sie  freiwillig  vollzogen  werden,  beweisen,  daß  der  Fruchtbarkeitskult  bei 
solchen  Völkern  sehr  tiefe  Wurzeln  gefaßt  hat.  Man  erkauft  sich  von  der 
Gottheit  um  diesen  Preis  den  Geschlechtsgenuß,  die  Fruchtbarkeit.  Priester 
und  Priesterinnen  müssen  das  für  den  ganzen  Stamm,  das  ganze  Volk,  besorgen. 
In  den  weitaus  meisten  Fällen  jedoch  bietet  man  der  Gottheit  nicht  das  eigene 
Blut,  Zeichen  des  Lebens,  überhaupt  kein  Menschenblut,  sondern  das  Blut 
eines  Opfertieres;  man  opfert  nicht  das  eigene  Leben,  sondern  Nahrungsmittel, 
welche,  weil  der  Mensch  ohne  sie  nicht  leben  kann,  gleichfalls  ein  Symbol 
der  Selbsthingabe  an  die  Gottheit,  und  in  vielen  Fällen  zugleich  Symbole  der 
Fruchtbarkeit  sind2). 

Am  deutlichsten  zeigt  sich  die  Apotheose  des  Geschlechtslebens  in  der 
„heiligen"  Prostitution  und  in  der  im  vorigen  Kapitel  erwähnten  Päderastie 
in  den  Tempeln,  Formen,  die  vom  Standpunkt  der  Vernunft  betrachtet,  unter 
dem  Fruchtbarkeitskult  stehen,  da  in  diesem  Freude  am  Leben  neuer  Wesen 
ausgedrückt  ist,  während  dem  Geschlechtskult  im  ersteren  Sinn  auch  diese 
Lichtseite  fehlt.  Beide  existieren  indessen  bei  manchen  Völkern  nebeneinander.  — 


')  Der  Buddhismus  allerdings  kennt  eine  der  christlichen  Keuschheit  uahverwaudte 
Entsagung. 

2)  Der  Fruchtbarkeitskult  schließt  selbstverständlich  andere  Kulte  nicht  aus.  Deshalb 
können  Selbstpeinigungen,  wie  die  obigen  der  Bambara,  sehr  wohl  zugleich  als  Mutproben 
aufgefaßt  werden.  Aber  selbst  als  solche  erscheinen  sie  eben  doch  in  enger  Verbindung 
mit  dem  Köre-,  d.  h.  Baum-  oder  Fruchtbarkeitskult. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  36 


562 


Kapitel  XLVIII.     Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes. 


§  318.     Ahnenkult. 

Schon  Kapitel  I  hat  auf  die  Pflicht  der  Söhne  der  Inder,  Osseten, 
Japaner  und  Chinesen  hingewiesen,  ihren  Ahnen  Opfer  darzubringen.  Die 
gleiche  Pflicht  hatten  auch  die  Söhne  der  alten  Germanen.  Starb  ein  Mann 
kinderlos,  dann  kam  es  aus  diesem  Grunde  vor,  daß,  wie  bei  den  Juden,  ein 
Bruder  die  "Witwe  heiratete,  um  jenem  Nachkommen  zu  erwecken  (Grupp). 

Wenn  bei  den  Jäger-  und  Hirtenvölkern  der  europäischen  Steinzeit 
ein  Familienvater  auch  schon  lange  Jahre  im  Grabe  ruhte,  durfte  er  von 
seinen  Hinterbliebenen  noch  nicht  vergessen  werden.  Die  Pflicht,  ihn  von 
Zeit  zu  Zeit  mit  Speise  und  Trank  zu  erquicken,  mit  Gesang  und  Tanz  zu 
unterhalten,  erstreckte  sich  auf  Kind  und  Kindeskinder  (Grwpp). 

Eine  Form  des  Ahnenkultes  scheint  mir  auch  der  folgende  Brauch  der 
Tscherkessen  zu  sein,  den  von  Klaproth  mitteilte:  Bei  Leichenbegängnissen 
vornehmer  Herren  deflorieren  die  männlichen  Leidtragenden  ein  junges  Mädchen.  — 

Bei  manchen  Völkern  bilden  die  Totentänze  einen  wichtigen  Bestandteil 
der  dem   Verstorbenen  dargebrachten  Huldigungen,  oder  doch  der,  in  irgend 


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Fig.  424.     Vor  dem  Totentanz.     Nordwestliches  Kamerun.  Ba wenda-Bezirk.     Mette  phot. 


einer  Weise,  aufgefaßten  Beisetzungsfeier.  Ein  solches  Volk  sind  die  Wai, 
Neger  in  Liberia,  nordwestliches  Afrika.  Wer  hier  an  den  Totentänzen 
eines  Familienvaters  teilnimmt,  hat  das  Recht,  sich  vom  Sohne  des  Verstorbenen 
reichlich  bewirten  zu  lassen.  Das  gleiche  Recht  hat  jeder,  der  zur  Totenfeier 
überhaupt  kommt.  Fehleu  dem  Sohn  die  Mittel  hierzu,  so  stehen  dessen 
Freunde  zusammen,  um  das  Nötige  aufzubringen.  -  In  Ermangelung  eines 
Sohnes  fällt  die  Pflicht  dem  nächsten  Verwandten  des  Verstorbenen  zu  (Oskar 
Baummni). 

Die  Ibos,  Neger  südöstlich  von  der  Vereinigung  des  Niger  undBenue, 
also  in  Süd-Nigeria,  geben  oft  ihr  ganzes  Vermögen  für  ihre  Verstorbenen 
hin,  um  sie  nach  hergebrachtem  Brauch  beisetzen  zu  können,  bzw.  damit  sie 
von  ihnen  keine  Nachstellungen  zu  fürchten  haben.  Diese  Furcht  ist  bei  den 
I  Dos  mit  der  Hoffnung  gepaart,  daß  die  verstorbenen  Väter.  Mütter,  Onkel, 
Tanten,  Kinder  usw.  ihnen  in  Krankheit,  Armut  und  anderen  Nöten  des  Lebens 
zu  Hilfe  kommen.  Die  Verstorbenen  werden  ja  Götter.  Man  schnitzt  ihre 
»roben  Bilder  in  Holz,  bringt  ihnen  Speise-  und  Trankopfer  und  betet  zu 
ihnen.  Die  ganze  Verwandtschaft  steuert  zusammen,  wenn  es  gilt,  einen  Ver- 
storbenen würdig  zu  beerdigen.     M.  Friedrich,  der  dieses  mitteilt,  beschreibt 


§  318.     Ahnenkult.  563 

die  Beisetzung  eines  dortigen  Häuptlings,  wobei  er  die  Solle  der  Kinder  des 
Verstorbenen  bei  dieser  Feier  folgenderweise  schildert:  Der  Erstgeborne  honoriert 
die  Imanokwa  oder  Tänzer,  welche  die  erste  Nacht  nach  der  Ankündigung 
des  Todes  durchgetanzt  haben,  mit  zwei  Töpfen  Palmwein  und  Kaurimuscheln. 
Auch  die  übrigen  Söhne  spenden  je  etwas  Palmwein  und  Muscheln  dieser  Art. 
Während  die  Dörflinge  in  derselben  Nacht  Sarg  und  Grab  herstellen,  schmückt 
sich  der  Erstgeborne  mit  seinem  Festschurz,  seinen  elfenbeinernen  Arm-  und 
Fußringen  und  seinen  Perlenhalsbändern,  worauf  er  sich  zum  ersten  Opfer 
für  seinen  Vater  vorbereitet.  Ein  hervorragender  Fetischpriester  eröffnet  den 
Ritus.  Ihm  übergibt  der  Erstgeborne  eine  Ziege,  welche  man  auf  dem  Ikengua, 
einem  Stück  Holz  mit  zwei  Hörnern,  dem  Bilde  des  Gottes  des  Reichtums, 
schlachtet.  Der  Priester  fängt  das  Blut  in  einer  Tasse  auf,  besprengt  damit 
das  rechte  Hörn  des  Ikengua,  löst  hierauf  ein  Stück  von  dem  Götzenbild  ab 
und  reicht  es  dem  ältesten  Sohne  des  Toten,  daß  er  es  mit  den  anderen  Götzen- 
bildern in  seinem  Hause  aufbewahre.  Der  Ikengua  seines  Vaters  soll  ihm 
Reichtum  und  Frauen  verschaffen.  Hinterläßt  der  Häuptling  keinen  Sohn, 
dann  schneidet  man  das  Götzenbild  entzwei  und  wirft  es  in  den  Busch  zur 
Strafe,  weil  es  seinem  Verehrer  keinen  Nachkommen  verschafft  hat.  — 

Auf  das  erste  Opfer  folgt  ein  zweites:  Die  älteste  Tochter  des  Ver- 
storbenen bringt  einen  Bock,  einen  Hahn  und  eine  Matte  herbei.  Letztere 
hängt  der  Priester  so  vor  der  Leiche  auf,  daß  die  Tochter,  obgleich  sie  das 
eine  Ende  der  Matte  halten  muß,  den  Toten  doch  nicht  sieht.  Diese  Matte 
nennt  man  agini  nkutchi,  d.  h.  die  bedeckende  Matte.  Hierauf  ergreift  der 
Priester  den  Hahn,  bindet  ihm  die  Beine  zusammen  und  schlägt  ihn,  ohne  ihn 
zu  töten,  gegen  die  Matte,  indem  er  die  Götter  anfleht,  dem  Toten  gnädig  zu 
sein  und  ihn  an  einen  günstigen  Ort  zu  versetzen,  wo  er  Häuptling  bleiben 
und  seine  Familie  beschützen  könne.  Dann  breitet  er  die  Matte  auf  die  Erde, 
legt  den  Hahn  und  einen  Lendenschurz  darauf,  betet  abermals  und  bringt 
dann  deu  Bock  dem  nun  bereits  apotheosierten  Verstorbenen  zum  Schlacht- 
opfer dar,  um  dessen  Gunst  zu  erlangen.  Alle  Kinder  des  Verstorbenen 
bringen  hierauf  Kleiderstoffe,  die  zusammen  mit  dem  oben  erwähnten  Lenden- 
schurz  als  Leichentuch  dienen,  während  der  Priester  die  Matte,  den  Hahn, 
einen  Schenkel  und  ein  Vorderbein  des  Opfertieres  als  Lohn  erhält. 

Auf  diese  Tieropfer  folgt  die  Tötung  von  mehr  oder  weniger  Sklaven 
am  Grab.  Nach  der  Beisetzung  des  Toten  eilt  der  Erstgeborne,  jetzt  Haupt 
der  Familie,  reich  geschmückt  durch  die  Straßen  des  Dorfes  und  kündet  sich 
als  würdigen  Nachfolger  seines  Vaters  an.  Seine  Brüder  und  Schwestern,  sowie 
die  Frauen  des  Verstorbenen  und  alle  Dörflinge,  eilen  ihm,  gleichfalls  möglichst 
geschmückt,  teils  voraus,  teils  nach.  Es  werden  Kaurimuscheln,  Zeichen  des 
Reichtums,  auf  den  Weg  geworfen;  groß  und  klein  tanzt  und  singt  zum  tam- 
tam,  und  alles  stimmt  in  die  Lobeserhebungen  der  hinterbliebenen  Familie  ein, 
welche  die  Tugenden  des  Verstorbenen  und  sich  selbst  rühmt,  weil  sie  ihm 
ein  würdiges  Begräbnis  verschaffte.  Dieser  Umzug.  ,,i  feillo"  genannt,  schließt 
damit  ab,  daß  man  in  der  Hütte  des  ältesten  Sohnes  einige  Züge  aus  der 
gemeinsamen  Pfeife  raucht1)  und  einige  Töpfe  Palmwein  trinkt. 

In  den  folgenden  elf  Tagen  bewirten  die  Söhne  des  Verstorbenen  dessen 
hinterbliebene  Frauen,  welche  während  dieser  Zeit  zu  Ehren  des  Toten  tanzen 
und  singen,  mit  Speise  und  Trank.  Nach  Ablauf  dieser  Tage  stellen  die  jungen 
Männer  des  Dorfes  eine  Art  Kriegszug  gegen  die  Geister  an,  die  den  Ver- 
storbenen auf  seinem  Weg  ins  Jenseits  behelligen,  wofür  die  Hinterbliebenen 
dem  ganzen  Dorf  ein  großes  Mahl  bereiten,  ihre  höchste  Huldigung  dem  Toten 
gegenüber;  denn  damit  geht  der  Rest  ihrer  Habe  auf.    Es  ist  also  dem  Familien- 


')  Erinnert  an  die  Friedenspfeife  der  Indianer. 

36* 


564 


Kapitel  XLVIII.     Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes. 


vater  alles  geopfert  winden,  um  von  ihm  die  Gnade  zu  erlangen,  daß  er  im 
Jenseits  ihrer  gedenke  und  sie  vor  Krankheit  und  Armut1)  bewahre.  — 

In  Süd-Nigeria  auch  war  es.  wo  B.  E.  Dennet  im  Jahre  19G3  dem 
Jahresgedächtnis  beiwohnte,  welches  Ogugn,  König  von  Benin,  seinem  ver- 
storbenen Vater  hielt:  Bald  nach  Einbruch  der  Dunkelheit  versammelte  sich 
eine  Volksmenge  mit  Lampen  und  Fackeln  vor  Ogugus  Residenz.  Die  Um- 
schließungsmauer dieses  Gebäudes  enthielt  mehrere  Altäre,  und  vor  einem  stand 

Ogugu  in  rotem  Gewand  und  Hut.  von 
Fackeln  umleuchtet.  Man  hielt  ihm 
eine  Ziege  hin,  damit  er  ihr  den  Kopf 
vom  Rumpfe  trenne  und  mit  dem  Blut 
den  Altar  bespritze.  Dann  wurden  fünf 
andere  Ziegen  getötet  und  damit  die 
Altäre  in  und  außer  dem  Hause  be- 
sprengt. Nach  dem  Opfer  wurden  zuerst 
vom  Könige  und  hierauf  von  Männern 
seiner  Umgebung  Tänze  aufgeführt2). 
Dann  fand  eine  Prozession  in-  und 
außerhalb  der  Residenz  statt,  welche  die 
ganze  Nacht  fortdauerte.  Die  Teil- 
nehmer trugen  Lampen  und  Fackeln 
umi  sangen  teils  in  weichen,  teils  in 
ernsten  Melodien.  Die  letzteren  sollen 
Ähnlichkeit  mit  den  Gregorianischen 
Gesängender  christlichen  Kirche  gehabt 
haben.  Am  folgenden  Morgen  erschien 
Ogugu,  von  vielen  Hunderten  seines 
Volkes  gefolgt,  wieder  vor  seinem  1 1  ause. 
Seine  Kapelle  zog  vor  ihm  her.  und 
direkt  vor  ihm  trug  ein  Mann  einePlatte 
„Igo"  (Kaurimuscheln);  hinter  ihm  kam 
sein  Schirmträger  und  seine  Höflinge. 
Im  Schatten  seines  Schirmes  zermahlte 
Ogugn  Kreide  (Orhue)  und  bestaubte 
damit  die  Kaurimuscheln,  welche  er 
später  Knalien  und  Mädchen  vorwarf. 
die  gierig  danach  haschten.  — 

Im  französischen  Sudan  betet  der 
Bambara.  dem  so  viel  an  einer  reichen 
Ernte  gelegen  ist.  hauptsächlich  zu  den 
Seelen  der  Verstorbenen,  damit  diese 
die  Geister,  welche  den  Elementen 
befehlen,  günstig  beeinflussen  und  auch 
ihre  eigene  Macht  für  die  Überlebenden 
entfalten.  Wenn  eine  Leiche  ins  Grab 
gelebt  wird,  gießt  man  iln  Wasser  auf 
n  Kopf  und  betet:  „Mögen  die  Winde  uns  günstig  sein,  ob  sie  aus  dem  Norden 
er  Süden,  vom  Westen  oder  Osten  wehen!   Gib  uns  Regen!    Verleihe,  daß  wir 


Fig.  425.   Ahnenfigur  derWavua  im  Kongostaat. 
Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


den 
od 


eine  überreiche  Ernte  haben!"  --  Bei  den  Opfern,  welche  der  Bambara  den  Nanu  n 
der  Faniilietihäupter,  der  Väter,  Mütter  und  Oberpriester  darbringt,  ist  stets  eine 

')  Ann  sind  sie  nach  dein  Gesagten  schon.  Es  wird  sich  hier  also  um  die  Gnade  handeln, 
ler  zu  Vermögen  zu  kommen. 

s)  Die  Beschreibung  dreier  Tänze  siehe  F-L.  XVI.  486,     Früher  soll  auf  jedem  Fehler 
bei  solchen  Tänzen  die  Todesstrafe  gestanden  haben. 


§  318.     Ahnenkult. 


565 


der  ersten  Bitten  diese:  „Gib  uns  Regen1),  gib  uns  Kraft  und  Gesundheit, 
verleihe  uns  eine  überreiche  Ernte"  (./.  M.  Henry). 

Der  erste  Unterricht,  welchen  der  junge  Fan  im  Kongostaat  mit  7 
oder  8  Jahren  erhält,  ist  das  „mebara",  d.  li.  die  Namen  seiner  Vorfahren. 
Jeder  Knabe,  nach  seiner  Abstammung  befragt,  sagt  sein  Stammregister  her, 
das  er  mit  der  Bemerkung  über  den  ältesten  Vorfahren  schließt:  „Und  dieser 
war  der  Sohn  des  Nzame,  d.  h.  Gottes,  und  vorher  war  weder  ich, 
noch   sonst   jemand"   (H.  Trittes). 

In  der  Landschaft  Mkulwe, 
Deutsch  -  Ostafrika,  schreibt 
man  den  Seelen  der  Verstorbenen 
großen  Einfluß  bei  Gott  (Nguluwi)2), 
ihnen  selbst  aber  keine  göttliche 
Macht  zu.  Am  einflußreichsten 
unter  ihnen  sind  die  Seelen  der 
Häuptlinge.  Manche  Eingeborne 
richten  täglich  das  folgende  Gebet 
an  ihre  verstorbenen  Eltern.  Groß- 
eltern und  an  Nguluwi  selbst: 
„Dn,  Vater  N.,  schütze  mich,  und 
du,  Mutter,  schütze  mich,  du,  Groß- 
vater N.,  ihr  Großmütter  alle, 
schützet  mich;  fallt,  für  mich 
bittend,  vor  Gott  nieder,  damit 
ich  wohl  sei;  deine  Geschöpfe 
(Kinder)  mögen  wohl  sein;  geleite 
sie  heil,  Gott!"  (Hornberger). 

Wie  das  Kind  der  Fan  im 
Kongostaat,  so  wird  auch  das 
Kind  der  Kaffern  schon  von 
frühester  Jugend  auf  in  die  Ahnen - 
verehrung  eingeführt.  Unknlnnknlu 
ist  auch  hier  als  der  erste  Er- 
zeuger und  als  gütiger  Vater  der 
Menschen  gedacht,  der  speziell  den 
Kindern  der  Sulu  gegenüber  als 
der  Spender  von  Leckerbissen 
erscheint.  Wenigstens  schrieb 
Dohne3)  in  diesem  Sinn,  daß  die 
Sulumütter,  wenn  sie  ein  leckeres 
Mahl  bereitet  haben  und  es  allein 
zu  essen  wünschen,  ihre  Kinder 
wegschicken, indem  sie  sagen:  Geht 

und  ruft  Unkulunkulu,  daß  er  euch  Gutes  gebe.  Die  Kinder  gehen  und  werden 
von  ihren  Müttern  ausgelacht.  —  Doch  ist  dieser  Unkulunkulu,  wie  schon 
bemerkt,    keineswegs   der  Gegenstand   nur  solcher  Scherze,   sondern   gilt  als 


Fig.  426.     Ahnenfigur   der  Warua  im   Kongostaat. 
Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


Im 


')  Das  Wasser  ist  dem  Bambara  ein  Geschenk  der  höchsten  Gottheit,  ist  die  Ursache 
jeder  Fruchtbarkeit.  Deshalb  betet  er  immer  und  immer  wieder  um  liegen,  um  Wasser. 
Bei  den  Opfern  wird  stets  Wasser  zuerst  gereicht,  und__  ist  einer  so  arm,  daß  er  weder  Blut, 
noch  Mehl  opfern  kann,  dann  opfert  er  Wasser  in  der  Überzeugung,  daß  das  Opfer  angenehm 
ist.     Der  Bambara  opfert  aber  auch  dem  Regen  selbst  (.7.  M.  Henry). 

J)  Dieser  Nguluwi  ist  der  Schöpfer,  der  eine,  gute,  gerechte  und  deshalb  auch  strafende 
ÖOtt  der  Mkulwe,  welcher  mit  den  Seelen  der  Verstorbenen  an  einem  glänzenden  Orte  weilt 
(Alois  Hamherger). 

3)  Döhnes  Wörterbuch  der  Zulusprache.     Bei  Phß,  2.  Aufl.  II,  330. 


566 


Kapitel  XLVI1I.     Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes. 


Urvater  der  Kaffern.  —  (Gebete  und  Opfer  im  Ahnenkult  der  Kaffern  siehe 
Kap.  LIX.)  — 

Ahnenkult  finden  wir  ferner  bei  den  Malayen:  Die  Batak  auf  Sumatra 
sind  ihren  verstorbenen  Eltern  Verehrung  schuldig  und  glauben,  daß  deren 
Geister  ihnen  Segen  oder  Fluch  bringen  können.  Der  Häuptling  von  Pordopur, 
einer  kleinen  Insel  im  Toba-See,  bewahrte  den  Schädel  seines  Vaters  auf, 
tanzte  mit  ihm  bei  Opferfesten,  die  dem  Vater  galten,  und  rief  ihn  um  Ehre 
und  Reichtum  an  (Ködding). 

Auf  Formosa  feiern  die  sogenannten  „wilden"  Stämme  der  dortigen 
Malayen  alljährlich  ein  Ahnen-  und  Hirsefest1),  ihr  größtes  Fest  im  ganzen 
Jahr.  Am  ersten  Festtag  findet  ein  Wettlaufen  der  Kinder  statt.  Der  Sieger 
erhält  eine  rote  Flagge  (TU.  Müller). 


Fig.  427.  Jap  er  auf  dem  Begräbnisplatz  ihrer  Familie.  Vom  Missionssekretariat  der  rheinisch-westfälischen 
Kapuzinerprovinz  Ehrenbreit  stein  a.  Rh.  —  Hechts  die  Vorderfront  des  Wohnhauses  dieser  Familie; 
im  Hintergrund  das  Haus  des  bösen  Kalid  (Geistes),  dem  früher  bei  Erkrankung  eines  Familienangehörigen 
geopfert  wurde.  Auf  diesem  Platz  dürfen  nur  die  in  dem  dazugehörigen  Wohnhaus  Geborenen  beerdigt  werden. 
Die  Steinerhöhungen  bezeichnen  Gräber;  daß  weiße  deckt  einen  Häuptling  und  ist,  nach  angeblicher  Jap- 
Sitte,  mit  Backsteinen  aufgemauert.  Ein  weiteres  Zeichen  eines  Häuptlingsgrabes  sind  zwei  Tarostöcke  am 
Kopf-  und  Fußende.    Der  Mann  mit  dem  weißen  Bart  ist  der  Thronfolger  Arikoko  (P.  Eilian). 

Dem  Koreaner  gilt  die  Verehrung  seiner  Ahnen  als  ein  erhabener  Kult, 
der  das  Verhalten  der  Eltern  gegen  ihre  Kinder,  und  umgekehrt,  stark  be- 
einflußt und  die  Adoption  eines  Sohnes  veranlaßt,  wo  kein  eigener  aus  legitimer 
Ehe  vorhanden  ist. 

Daß  schon  kleine  Kinder  in  diesen  Kult  eingeführt  werden,  geht  aus  der 
Beschreibung  hervor,  welche  -4.  Hamilton  von  der  um  das  Jahr  1900  statt- 
gefundenen feierlichen  Übertragung  der  vergoldeten  zwölf  „Gedenktafeln" 
der  kaiserlichen  Ahnen  in  den  neuen  Ahuentempel  in  Söul  gemacht  hat.  Die 
erste  Huldigung  geschah  während  des  Umzuges  im  Freien.  Der  Kaiser  brachte 
sie  mit  zwei  seiner  Söhne  dar,  wovon  der  eine  der  Kronprinz,  der  andere, 
noch  ein  Baby,  der  Sohn  der  ersten  Nebenfrau  des  Kaisers  war.  Dieser  und 
der  Kronprinz  vertauschten  unmittelbar  vor  diesem  Kultakt  ihre  Pracht- 
gewänder mit  gelben  Opferkleidern.     Unter  Triumphgesang  wurden  die  zwölf 


')  Diese  doppelte  Feier  an  einem  Tag  läßt  vielleicht  an  jene  Bedeutung  denken,  welche 
die  Hirse  bei  manchen  andern  Völkern  hat,  bei  denen  sie  ein  Bild  der  Fruchtbarkeit  ist, 
woran  verschiedene  Stellen  des  vorliegenden   Werkes  erinnern. 


§  318.     Ahnenkult.  567 

Tafeln  in  je  einer  gelben  Sänfte  von  je  acht  Mann  herbeigetragen.  Als  die 
erste  Tafel  erschien,  verneigten  sich  der  Kaiser  und  der  Kronprinz  bis  zur 
Erde  und  verharrten  so  einen  Augenblick  mit  gekreuzten  Händen  und  ge- 
beugten Knieen.  Das  wiederholte  sich  bei  jeder  der  zwölf  Tafeln.  Auch  das 
Baby  hatte  diese  Ehrenbezeigungen  mitzumachen,  was  mit  Hilfe  des  obersten 
Eunuchen  geschah.  Dieser  drückte  nämlich  den  Kleinen,  der  noch  nicht  ein- 
mal recht  gehen  konnte,  jedesmal  auf  die  Kniee  nieder  und  legte  ihm  seine 
beschwerende  Hand  auf  den  Kopf,  damit  dieser,  wie  der  Kopf  des  Kronprinzen 
und  des  Kaisers,  sich  neige.  Nach  der  Verbeugung  zog  der  Eunuche  das  Kind 
an  einer  Schulter  wieder  in  die  Höhe.  „Anfangs,"  so  schreibt  Hamilton, 
„verfolgte  das  Kind  alles  mit  weitgeöffneten  Augen;  dann  aber  wurde  es  müde 
und  ungeduldig;  der  Kaiser  hingegen  und  der  Kronprinz  waren  ganz  Andacht  und 
Ehrerbietung;  ihre  hingebende  Demut  habe  Hamilton  mit  Bewunderung  er- 
füllt; besonders  der  Kaiser  sei  bleich  gewesen  vor  Erregung  und  habe  seine 
ganze  Aufmerksamkeit  auf  den  Gegenstand  seiner  Verehrung  konzentriert.  — 
Nach  dieser  Zeremonie  wurden  die  zwölf  Tafeln  in  ihren  Sänften  unter 
Trommelschlag  und  Pfeifen  in  feierlicher  Prozession  nach  dem  neuen  Ahnen- 
tempel gebracht,  wohin  auch  der  Kaiser  mit  den  beiden  Prinzen  folgte.  Hier 
opferte  man  zunächst  den  Ahnen  Schafe,  welche  lebendig  verbrannt  wurden, 
und  Körbe  voll  Früchte  und  Blumen:  dann  folgte  abermals  eine  Huldigung 
der  Tafeln  durch  den  Kaiser,  worauf  sie,  in  gelbe  Seide  gehüllt  und  in  einem 
gelbseidenen  Kästchen  verschlossen,  aus  den  Sänften  in  ein  Behältnis  gebracht 
wurden,  wo  sie  verbleiben  sollten.  Keine  Hand  durfte  sie  berühren;  kein 
Auge  sie  sehen.  —  Diesem  Kultakt  im  Tempel  folgten  Tänze  in  der  Residenz, 
zu  welchen  die  Palastdamen1)  mit  ihrem  Gefolge  erschienen. 

Auch  an  dem  Ahnenfest,  welches  in  Söul  jährlich  am  15.  Tag  des  ersten 
Monates  eines  neuen  Jahres  gefeiert  wird,  nehmen  die  Kinder  teil.  Die  ganze 
Familie  versammelt  sich  zu  diesem  Fest  frühmorgens  zur  Zeremonie  des 
Weintrinkens.  Dabei  kommt  der  erste  Trunk  dem  jüngsten  Sohn  oder  der 
jüngsten  Tochter  zu.  Dieser  Truuk  soll  das  Kind  im  kommenden  Jahr  vor 
Ohrenleiden  bewahren  {Watters).  — 

„Ein  guter  Sohn  beweist  seine  Liebe  zu  seinen  Eltern,  indem  er  sie  im 
Leben  nährt,  seinen  Schmerz,  indem  er  sie  nach  ihrem  Tode  beerdigt,  und 
seine  Ehrfurcht,  indem  er  ihnen  (nach  dem  Tode)  opfert."  So  Confudus,  der 
die  Vollkommenheit  der  kindlichen  Liebe  mit  den  Sätzen  kennzeichnete: 
„Den  Eltern  nach  dem  Tode  dienen,  wie  man  ihnen  im  Leben  diente;  ihnen 
nach  ihrem  Verschwinden  dienen,  als  ob  sie  noch  sichtbar  zugegen  wären," 
darin  besteht  die  Vollkommenheit  der  kindlichen  Liebe.  —  Josef  Hoogers,  der 
diese  Grundsätze  mitteilt,  führt  dann  aus:  Die  durch  Opfergaben  bekundete 
Gedächtnisfeier  für  die  Toten  bezieht  sich  in  China  auf  die  Seelen  der 
Verstorbenen  und  findet  nicht  auf  dem  Friedhof  statt,  wo  das  Grab  nur  die 
Leiche  birgt,  sondern  im  Ahnentempel.  Die  chinesische  Geschichte  tadelt 
einen  bestimmten  Kaiser,  weil  er  die  Grabesriten  mit  den  Tempelriten  ver- 
wechselt und  die  Leiche  behandelt  habe,  als  ob  diese  mit  Verstand  begabt 
sei.  Durch  sein  Opfer  am  Grabe  habe  er  den  Schein  erweckt,  als  ob  er 
glaubte,  daß  dieser  Körper  noch  lebte,  während  er  das  Täfelchen,  den  Sitz 
der  Seele'2)  im  Ahnentempel,  vernachlässigte.  Durch  die  Unterlassung  des 
Opfers  vor  diesem  Täfelchen  habe  er  den  Anschein  gegeben,  daß  er  die  Seele 
für  tot  hielt. 


')  Die  legitime  Gattin  des  Kaisers  war  damals  schon  ermordet. 

'*)  Zu  diesem  Seelentäfelchen  bemerkt  Hoogers  übrigens,  daß  man  an  die  Gegenwart 
der  Seele  des  Verstorbenen  in  diesem  Täfelelien  (p'ai  wei)  nie  fest  geglaubt  habe;  es  diene 
als  Medium  zwischen  dem  Toten  und  den  Lebenden  (Anthropos  V,  t>89,  Anm.  1). 


568 


Kapitel  XLVIII.     Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes. 


Jeder  wohlhabende  Chinese  hat  eine  kleine  Pagode,  in  welcher  er  die 
Seelentäfelchen  seiner  Vorfahren  mit  deren  Namen  aufbewahrt.  Wo  das  fehlt, 
findet  sich  wenigstens  eine  Tafel  mit  den  Namen  der  Verstorbenen.  Vor 
dieser,  bzw.  vor  der  Pagode,  beobachtet  der  Chinese  an  den  vom  Ritus  be- 
stimmten Tagen  die  vorgeschriebenen  Zeremonien. 

Das  älteste  Datum  des  chinesischen  Ahnenkultus  geht  nach  Hoogers  auf 
das  Jahr  2597  v.  Chr.  zurück.  Damals  habe  der  Minister  Tsuo  tsch"e  die 
Erinnerung  an  seinen  toten  Kaiser  Huang  lebendig  erhalten  wollen, 
indem  er  dessen  Kleider,  Kopfputz1),  Sitz  und  Stock  in  einen  Tempel  ge- 
bracht und  ihnen  geopfert  habe. 

Im  Laufe  der  Jahrhunderte  hat  der  chinesische  Ahnenkult  manche 
Modifikationen  erlitten,  wie  derselbe  Hoogers  schreibt:  Lange  Zeit  glaubte 
man   in  China  allgemein  an  die  Fortexistenz  der  Seelen   nach  dem  Tode  und 


""*     .Vi*** 


Fig.  428.    Trauernde  Chinesen  in  Shanghai.  —  K.  Ethnograph.  Museum  in  München. 

deren  Einfluß  auf  das  Schicksal  der  Hinterbliebenen,  weshalb  man  sich  betließ, 
sie  durch  ein  gutes  Betragen,  Mäßigkeit  und  hauptsächlich  durch  Opfer  günstig 
zu  stimmen. 

Diese  Opfer  bestanden  in  Menschen,  Tieren,  Pflanzen  und  geistigen  Ge- 
tränken. Was  der  Vater  und  Großvater,  die  Mutter  und  Großmutter  im 
Leben  am  liebsten  gegessen  hatten,  das  reichte  man  ihnen  noch  nach  dem 
Tdde.  Doch  gelten  die  den  Toten  gebrachten  Speise-  und  Trankopfer  bei 
Confucius  nicht  als  deren  Speise  und  Trank,  sondern  nur  als  Mittel,  daß  die 
Toten  bei  den  Lebenden  nicht  in  Vergessenheit  geraten  *).  —  Später  fingen 
einzelne  Chinesen  an,  an  dem  Fortleben  der  Seelen  nach  dem  Tode  zu  zweifeln 
und  daraus  die  Konsequenz  zu  ziehen,  daß  die  ihnen  dargebrachten  Opfer 
widersinnig  seien.  Als  einen  derartigen  Skeptiker  gibt  Hoogers  einen  Philo- 
sophen des  1.  Jahrhunderts  n.  Chr.  an.     Der  spätere  Tschou  anerkannte  zwar 


Hure. 
«)  Hoogers  688. 


§  318.     Ahnenkult. 


56& 


die  Opfer,  aber  nur  in  dem  Sinne,  daß  sie  der  in  den  Hinterbliebenen  fort- 
lebenden Substanz  der  Verstorbenen  dargebracht  würden.  Eine  eigene  Sub- 
stanzform sprach  er  der  Seele  nach  dem  Tode  ab.  -  -  Dem  heutigen  Ahnen- 
kult unterliegt  ein  Gemisch  confucianistischer,  taoistischer  und  buddhistischer 
Lehren,  doch  beherrscht  er  immer  noch  die  Masse  des  chinesischen  Volkes, 
das  sich  nach  hunderten  von  Millionen  furchtsam  vor  unzähligen  Millionen 
Toter  beugt.  — 

Den  Söhnen   kommt   es   zu,   die  Opfer   für  die  verstorbenen  Eltern  und 
Voreltern   darzubringen,   wie   schon  im  Kapitel  I  angedeutet  wurde.     Einigen 


Fig.  429.    Altar  als  chinesisches  Kinderspielzeug.    Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


aktiven  Anteil  an  diesem  religiösen  Akt  haben  indes  auch  die  Töchter,  wie 
aus  einer  Stelle  in  der  2.  Auflage  dieses  Werkes  hervorgeht:  „Außer  der 
Anfertigung  von  Kleidern,"  so  schrieb  Ploß,  „lernen  die  Mädchen  die  Opfer 
zu  besorgen  (?) ')  und  den  Wein,  die  Keisbrühe  und  die  Bambusgefäße  mit  Opfer- 
gaben zu  präsentieren,  ebenso  Gefäße  mit  eingemachten  Früchten,  und  die 
Gebräuche,  um  bei  den  Libationen  mit  auszuhelfen.1'  — 

Täfelchen  (aus  Holz)  mit  dem  Namen  und  Todestag  des  Verstorbenen 
finden  wir  im  Ahnenkult  auch  der  Japaner.  Man  bringt  hier  solche  Täfelchen 
am  Hausaltar  (butsu-dan)  au  {Rein).  Jeder  Japaner  hat  ja,  nach  Ph.  Frhr. 
von  Siebold,  eine  kleine  Kapelle  (mija)  aus  weißem  Holz  auf  einem  erhöhten 
Platz  seines  Hauses,  in  welcher  sich  das  „Gohei",  ein  aus  Papierstreifen  be- 


J)  Soll  wohl  heißen,  die  Vorbereitung  dazu  zu  treffen  und  dabei  mitzuhelfen. 


.570  Kapitel  XLVIII.     Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes. 

.stehendes  Sinnbild  der  Gottheit  befindet,  und  die  mit  Laternen,  Sträuchern, 
Zypressen  usw.  geschmückt  ist,  und  hier  bringt  er  seinen  Ahnen  zu  bestimmten 
Zeiten  Tee,  Wein,  kleine  runde  Kuchen,  gereinigten  Eeis  u.  a.  m.  in  Gefäßen 
zum  Opfer  dar.  Außer  dieser  Hauskapelle  hat  der  Japaner  eine  Kapelle  in 
seinem  Gärtchen  als  Ehrensitz  eines  besonders  geschätzten  Vorfahren,  und 
auch  hier  zündet  er  zu  gewissen  Zeiten  Lichter  an  und  betet,  meistens  still, 
mit  seiner  Familie.  -  -  Die  Menschenseele  ist  dem  Japaner  ein  Ausnuß  der 
Gottheit.  Sie  lebt  fort,  nachdem  der  aus  nichts  entstandene  Leib  durch  den 
Tod  zum  Nichts  zurückkehrt.  Nach  Bein  muß  die  Seele  aber  ewig  in  der 
Unterwelt  hungern,  wenn  der  Verstorbene  keinen  Sohn  hinterläßt,  der  ihm 
opfert.  Mit  diesem  Glauben  sei  wenigstens  ein  Teil  der  häufigen  Adoptionen 
zu  erklären.    Der  andere  Teil  geht  auf  das  Feudalsystem  zurück  (vgl.  Kap.  LIV). 

Auch  bei  den  Thai  oder  Siamesen  hat  der  älteste  Sohn  als  Erbe  und 
Stammhalter  die  Pflicht,  den  Seelen  der  Verstorbenen  zu  gewissen  Zeiten 
Opfer  darzubringen. 

Von  den  Annamiten  schreibt  in  neuester  Zeit  (1911)  Odbrielle  .1/. 
Vassal:  Die  Liebe  der  Kinder  zu  ihren  Eltern  erstreckt  sich  über  das  Grab 
hinaus.  An  den  Todestagen  der  Eltern  müssen  alle  Mitglieder  der  Familie 
beim  Hauptritus  des  Ahnenkultes  zugegen  sein.  Abwesenheit  war  vor  der 
französischen  Okkupation  gesetzlich  strafbar.  Das  Haupt  der  Familie,  mit 
seinen  schönsten  Gewändern  bedeckt,  zündet  die  Kerzen  auf  dem  Ahnenaltar 
an  und  vollzieht  die  vorgeschriebenen  Ze'remonien  in  Gegenwart  aller  An- 
gehörigen. Diese  Zeremonien  beginnen  damit,  daß  der  Opfernde  drei  auf  dem 
Altar  stehende  Gläser  mit  Reiswein  füllt,  wobei  er  die  heilige  Formel  spricht: 
„Ehrfurchtsvoll  lade  ich  Ururgroßeltern,  Urgroßeltern,  Großeltern,  (Eltern  ?), 
Onkel  und  Tanten  zu  diesem  Fest  ein,  welches  wir,  ihre  Nachkommen,  ihnen 
in  aller  Demut  aus  dem  Grund  unseres  Herzens  darbringen"  ')•  —  Hierauf 
wirft  sich  der  Opfernde  für  einige  Minuten  auf  die  Erde  nieder;  denn  die 
Ahnen  sind  nun  auf  den  Altar  herabgekommen2),  um  an  dem  Festmahl  (festin) 
teilzunehmen.  Dann  gießt  man  abermals  Wein  in  die  (geleerten  ?)  Tassen, 
und  abermals  wirft  man  sich  zur  Erde  nieder.  — 

Die  Pflichten  gegen  die  verstorbenen  Ahnen  werden  schon  den  Kindern 
sorgfältig  beigebracht.  Wenn  der  Vater  an  den  Festtagen  den  Ritus  vor- 
nimmt, müssen  sie  aufmerksam  folgen.  — 

§  319.     Götterkult. 

Das  Kapitel  über  die  Schulbildung  hat  uns  mit  Völkern  verschiedener 
Kulturstufen  bekannt  gemacht,  welche  einen  Teil  ihrer  heranwachsenden  Söhne 
zu  Priestern  bestimmen  und  ihnen  deshalb  von  früher  Jugend  auf  eine  über 
den  Durchschnitt  hinausgehende  Bildung  zukommen  lassen.  Die  Inder  mit 
ihren  langjährigen  Studien  der  einheimischen  heiligen  Bücher  waren  darunter. 
-  Einen  Priesterzögling  neben  seinen  Lehrern  zeigt  uns  Fig.  43« >. 

')  „ä  cette  fete  que  nous  .  .  .  leur  offrons".  —  Allerdings  bringt  man  „Opfer",  nicht 
„Feste"  dar.     Das  „fete"  ist  also  wohl  mit  „Festmahl"  zu  übersetzen. 

2)  Dieses  „Herabkommen"  auf  den  Altar  ist  unklar,  da  Gabrklle  M.  Vassal  auf  der 
gleichen  Seite  schreibt,  daß  die  Seele  nach  dem  Glauben  der  Annamiten  beim  Tod  zunächst 
in  ein  Stück  Seidenstoff  übergehe,  welches  man  dem  Sterbenden  zu  diesem  Zweck  auf  die 
Brust  legt...  Von  dieser  Seide  wandere  sie  dann  in  ein  Täfelchen,  auf  welchem  die  Namen, 
Tit<-1  und  Amler  (fonetions)  gesehrieben  stehen,  und  dieses  Täfelchen,  gewöhnlich  in  einer 
roten  Lackschachte]  aufbewahrt,  sei  der  Gegenstand  der  größten  Verehrung  auf  dem  Ahnen- 
ullnr.  In  vornehmen  (grandes)  Familien  bewahre  man  die  Täfelchen  von  5 — ti  verstorbenen 
rationen  auf;  gewöhnliche  Familien  begnügen  sich  mit  Täfelchen  bis  zu  den  Großeltern 
hinauf.  •  Man  sollte  also  meinen,  die  Ahnen  seien  immer  auf  dem  Altar  und  brauchten 
nicht  erst  zum  Fest  hernieder  steigen,  wenn  nicht  auch  in  Annam  das  Täfelchen  nur  als 
Medium   zwischen   dem  Toten   und   den  Lobenden  gedacht  ist  (vgl.  China  S.  567,  Anm.  2). 


319.     Götterkult, 


571 


Den  Gottesbegriffen  eines  Volkes  entspricht  sein  religiöser  Kult.  Der 
von  W.  Hoffmann  angedeutete  sexuelle  Kultakt  in  den  indischen  Pagoden, 
wozu  Hunderttausende  von  Mädchen  als  Devadasis  von  deren  Vätern  verkauft 
werden,  hängt  wohl  mit  der  Auffassung  des  Gottes  Civa  (Schiwa)  und  dessen 
Gattin  Durga  zusammen.  Jener,  der  mit  Vishnu  und  Brahma  die  Dreieinigkeit 
der  späteren  Religionsform  Indiens  bildet,  hat  ja  als  Symbol  den  Phallus 
(Lingam),  welchem  in  allen  Tempeln  Oivas  und  auf  öffentlichen  Plätzen  gött- 
liche Verehrung  gezollt  wird,  und  neben  welchem  stets  brennende  Lampen 
erhalten  werden.  Das  zehntägige,  im  September  und  Oktober  gefeierte  Fest 
Durga's,  der  Gattin  Civas.  ist  das  Hauptfest  der  Hindus,  ein  Zeichen,  daß 
die  Apotheosierung 'des  Geschlechtslebensund  der  Fruchtbarkeit 
den  Kulminationspunkt  im  religiösen  Denken  des  neuzeitlichen  Hindu  bildet1). 


Fig.  :30.    Hiudupriester  mit  Zögling.    Ceylon.    Im  K.  Ethnographischen  Museum  in  München. 


An^ihrem  Feste  werden,  nach  Hoffmann,  junge  Mädchen  angebetet.  Es  ist 
die  Anbetung  der  Fruchtbarkeit  bei  einem  Volk,  dessen  Priester  den  Be- 
mühungen der  christlichen  Missionare,  das  Weib  sittlich,  intellektuell  und 
sozial  zu  heben,  einen  so  erbitterten  Widerstand  leisteten. 

In  Griechenland,  wo  mau  Jungfrauen  zu  Priesterinnen  der  Athene 
machte,  wurden  Mädchen  auch  schon  im  Kindesalter  diesem  Berufe  zugeführt. 
Josef  Mittler  erwähnt  im  Hinweis  auf  Pansanias  ein  noch  unentwickeltes 
Mädchen  als  Priesterin  im  Heiligtum  der  Athene  in  Tegea.  Mit  Eintritt  der 
Reife  war  ihre  Amtszeit  abgeschlossen.  Im  Tempel  der  Athene  Kronoia  in 
Elateia  verlangte  der  Brauch  einen  Knaben  als  Priester,  der  schon  vor 
Eintritt  der  Mannbarkeit  seiner  Würde  entkleidet  Avurde.     Er  wurde  in  einem 


')  Beim  Abschluß  des  Durga-Festes  wird  das  Bild  der  Göttin  in  den  Strom  geworfen, 
eine  Parallele  zu  den  entsprechenden  Formen  des  Fruchtbarkeitskultes  im  alten  Mexiko  und 
bei  einer  Reihe  anderer  Völker  in  den  Kapiteln  XLII  und  XLIII. 


572  Kapitel  XLVIII.     Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes. 

Alter  aufgenommen,  daß  er  voraussichtlich  fünf  Jahre  bleiben  konnte.  Während 
dieser  Zeit  mußte  er  sich  in  einer  Wanne  baden  und  durfte  die  öffentlichen 
Bäder  nicht  besuchen.  Midier  setzt  hinzu:  „Damit  man  ihn  nicht  nackt  sehe", 
und  führt  dann  folgendes  über  die  Verwendung-  von  Kindern  im  Kult  der 
Artemis  aus:  „In  Attika  bestand  der  Brauch,  die  gesamte  weibliche  Jugend 
der  Artemis  zu  weihen.  Alljährlich  zogen  die  Mädchen  von  5 — 10  Jahren  in 
krokusfarbenen  Gewändern  am  Jungfrauenfest  nach  Brauron  zum  Tempel 
der  Göttin  und  wurden  ihrem  Schutz  empfohlen.  Kein  Mädchen  durfte  heiraten, 
das  nicht  der  Artemis  geweiht  war.  Bei  den  Joniern  wurde  ihr  am  Fest 
der  Apaturien  das  Haar  der  Knaben  dargebracht,  und  fast  überall  verehrten 
die  Mädchen  die  jungfräuliche1)  Göttin  als  Schützerin  ihrer  Keuschheit  und 
brachten  ihr  vor  der  Vermählung  eine  Locke,  den  Gürtel,  ihr  Mädchenkleid 
usw.  dar." 

Im  Tempel  der  Demeter  zu  Phigalia  in  Arkadien  hatte  die  Priesterin 
drei  Knaben  als  Xierothyten  (Gottgeweihte)  bei  sich. 

In  Born,  wo  die  Ehe  religiöse  Pflicht  war,  wurden  nur  G — 10jährige 
Mädchen  als  Novizinnen  für  den  Vestakult  aufgenommen.  Diese  Mädchen 
wurden  zehn  Jahre  lang  auf  ihren  heiligen  Beruf  vorbereitet.  Im  zweiten 
Dezennium  waren  sie  diensttuende  Priesterinnen:  im  dritten  unterrichteten  sie 
die  Novizinnen,  worauf  sie  ihrer  priesterlichen  Würde  und  Bürde  entledigt 
wurden  und  heiraten  konnten.  Nach  JosefL  Müller,  der  das  im  Hinweis  auf 
Aulus  '■''Hins  schrieb,  redete  der  Oberpriester  die  aufzunehmende  Novizin 
folgenderweise  an:  „Zur  heiligen  Priesterin,  deren  Aufgabe  es  ist,  den  der 
Vesta  geweihten  Dienst  zu  versehen,  der  als  heiliger  Jungfrau  das  Becht  zu- 
steht, die  vestalischen  Priesterinnen  einzurichten  für  das  AVohl  des  römischen 
Volkes  und  des  ganzen  Staates,  wie  es  nach  bestem  Fug  und  Recht  gehalten 
wird,  gerade  so,  Du  Reine (?),  ergreife  ich  dich."'-)  — 

Vor  der  Kaiserzeit  soll  das  Angebot  von  Novizinnen  stärker  gewesen 
sein;  als  das  Bedürfnis;  dann  aber  mußte  das  Gesetz  für  Ergänzung  sorgen, 
(I.  Ii.  die  Mädchenwahl  wurde  durch  das  Los  entschieden,  und  während  vorher 
mir  die  Töchter  Adeliger  aufgenommen  worden  waren,  bestimmte  Augustus, 
daß  nun  auch  Töchter  Freigelassener  zugelassen  wurden;  doch  hielt  man  an 
der  alten  Satzung  fest,  daß  nur  die  Töchter  einer  univira  wählbar  seien 
{Müller). 

Wie  im  neuzeitlichen  Indien,  so  übergaben  schon  im  alten  Babylonien 
Väter  ihre  Töchter  zur  Prostitution  in  den  Tempeln  hin.  In  den  Gesetzen 
Hammurdbis  finden  sich  Bestimmungen  über  das  Erb-  und  Geschenkrecht 
solcher  Mädchen,  die  als  Weiber  Marduks  bezeichnet  sind. 

Bekannt  ist  die  Prostitution  zu  Ehren  der  babylonischen  Göttin  Istar 
(Bebt.  Mylitta),  welche  der  Ausbreitung  des  Istarkultes  zu  den  Syrern. 
Phöniziern,  Lydern.  Medern,  Kanaaniten  und  andern  Völkern  folgte. — 

')  Es  scheint,  daß  Müller  in  seinem  gewohnten  Idealismus  auch  hier  den  griechischen 
Eeuschheitsbegriff  zu  hoch  einschätzt.  Eine  hervorragende  Seite  der  Artemis  war  geschlecht- 
lich. Sic'  wiir  als  „Fernwirkende"  Mondgöttin,  also  Gegenstand  des  Geschlechtskultus;  sie 
war  die  „Geburtsmächtige"  u.  a.  m.  Wenn  man  die  Keuschheilsbegriffe  der  nichtchristlichen 
Völker,  die  der  Griechen  nicht  ausgenommen,  mit  der  obigen  Mädchenweihe  und  den  Braut- 
gaben an  Artemis  vergleicht,  so  kann  man  in  diesen  Zeremonien  doch  nur  das  Streben 
nach  einer  glücklichen  Ehe  sehen. 

8l  Ober  die  Bedeutung  des  „Amata".  welches  Müller  mit  „Reine"  gab,  scheint  man 
nichl  im  Klaren  zu  sein.  Siehe  <1fiiller  in  ..Renaissance"  II.  293,  Aum.  —  Daß  uueh  der 
Vestakult  cm  Frucht  liarkeitskult  war.  geht  schon  daraus  hervor,  daß  ihr  Feuer,  aut 
welches  so  vielfach  der  christliche  Keinheitsbegriff  übertragen  wird,  nach  dem  Erloschen 
wieder  dadurch  entzündet  werden  mußte,  daß  man  nach  Clutntcpie  (2,423)  im  Holz  eines 
Km  c  h  t  b  a  ii  in  es  bohrte,  ein  doppeltes  Symbol  menschlicher  Zeugung,  worauf  ich 
wiederholt   hingewiesen  habe. 


§  319.     Götterkult. 


573 


Die  Aufnahme  der  Bambara-Kuaben  im  heutigen  französischen  Sudan 
in  den  Geheimbund  des  „Köre-'  ist,  wenigstens  größtenteils,  eine  Einführung 
in  den  Fruchtbarkeitskult. 

Der  Köre  ist  ein  Genius  der  Fruchtbarkeit,  welcher  speziell  die  Feld- 
früchte schützt,  wie  J.  M.  Henry  schreibt.  Daß  er  aber  auch  mit  der  mensch- 
lichen Fruchtbarkeit,  bzw.  dem  menschlichen  Geschlechtsleben,  in  Verbindung 
gebracht  wird,  ja,  daß  dieses  dem  Geheimbund  der  Jünger  Kores  wohl 
wichtiger  ist,  als  der  Schutz  der  Feldfrüchte,  dürfte  aus  dem  Sitz  des  Genius, 
einem  Baum1),  den  obszönen  Gesängen  bei  der  Aufnahme  und  aus  dem  Um- 
stand hervorgehen,  daß  im  Bani-Gebiet,  wo  der  Korekult  in  höchster  Blüte 
steht,  jeder  Beschnittene  sich  auch  in  diesen  aufnehmen  läßt,  Beschneidung 
und  Korekult  also  in  gegenseitiger  Beziehung  stehen. 


4 


Fig.  431.    Batubaraknaben,   die  sich  vor  ihrer  Aufnahme  in  den  Geheimbuud  des  Köre  geißeln.    Nach 

Otto  Hayer  im  „Authropos'-  III,  710. 

Öffentlich  und  feierlich  geopfert  wird  dem  Köre  jedes  Jahr  vor  der 
Saat;  aber  nur  alle  sieben  Jahre  wird  in  den  Bund  dieses  Fetisches  auf- 
genommen, dessen  Mitglieder  „Köre  de",  d.h.  Söhne  des  Köre,  genannt  werden  und 
sieben  Gruppen  unter  einem  gemeinsamen  priesterlichen  Oberhaupt  bilden.  Zwei 
dieser  Gruppen  sind  die  Geißler8)  und  die  Feueranzünder.  Die  Aufnahme 
kann  am  Tage  geschehen,  im  oben  erwähnten  Bani-Gebiet  aber  wohnte  Henry 
ihr  bei  sinkender  Nacht  bei.  In  Prozession  und  unter  Musik  zogen  die  „Söhne 
des  Genius"  zum  heiligen  Hain  außerhalb  des  Dorfes,  in  dessen  Mitte  ein  Baobab 
(Affenbrotbaum),  der  Sitz  des  Geistes  Köre,  stand.  Ihnen  schritt  der  Priester 
mit   dem  „Kärä"   voran,   einem   durchbrochenen  schmalen  Brett,   dem  Symbol 

')  Vgl.  die  Rolle  des  Baumes  bei  der  Beschneidungsfeier  verschiedener  Völker  in 
Kap.  XXXVIII. 

8)  Vgl.  die  Geißelung  bei  den  Mexikanern  und  Griechen,  sowie  das  Peitschen  an  den 
altrömischen  Luperkalien,  am  christlichen  Aschermittwoch.  Ostern  usw.  als  Fruchtbarkeitskult 
in  früheren  Kapiteln  u.  a    m. 


574  Kapitel  XLVJII.     Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes. 

und  Altar  zugleich  des  Geistes.  Der  schon  auf  diesem  Marsch  herrschende 
Höllenlärm  von  Instrumenten.  Rasseln,  obszönem  Geschrei.  Zischen  geschwungener 
Euten  usw.  dauerte  im  Hain  fort,  bis  das  Emblem  des  Geistes  vor  dessen 
heiligem  Baum  aufgepflanzt  wurde.  Dann  trat  lautlose  Stille  ein,  und  die 
Kandidaten  warfen  sich  vor  beiden  auf  die  Erde  nieder.  Mit  der  Stinte  im 
Staub,  verharrten  sie  in  dieser  Lage,  während  die  heilige  Hymne  djante  Köre 
deou  gesungen  wurde').  Dann  sprangen  sie  mit  dem  Schrei  djante  ma2)  auf. 
und  jeder  tanzte  den  seiner  Gruppe  charakteristischen  Tanz,  welcher  mit 
einer  obszönen  Geste  vor  dem  Fetisch  und  der  großen  Trommel  endigte.  — 
Von  jetzt  an  waren  sie  „Söhne  des  Köre-'  und  konnten,  wo  immer  (in  der 
Provinz  Segu)  diesem  Fetisch  geopfert  wurde,  die  heiligen  Haine  betreten 
und  an  den  Mysterien  teilnehmen. 

Auf  die  Einweihung  folgten  Libationen,  welche  in  Hirsen-Bier  und  in 
Hirsenmehl3),  mit  Wasser  verdünnt,  bestanden,  worauf  Schafe,  Ziegen  und 
Hühner  auf  dem  Emblem  und  Altar  des  Geistes  als  Opfer  geschlachtet  wurden, 
mit  deren  Blut  man  den  Stamm  des  heiligen  Baumes  und  eine  Hyänenmaske» 
„Haupt  des  Köre"  genannt,  bestrich4).  Diese  Opfer  sollen  sowohl  den  Köre 
als  auch  die  Seelen  der  verstorbenen  Bundesmitglieder  ehren  und  deren  Gunst 
für  die  Überlebenden  erwirken.  Das  Fleisch  der  Opfertiere  wird  teils  sofort 
an  Ort  und  Stelle,  teils  später  im  Dorf  verzehrt. 

Die  Initiierten  haben  nun  14  Tage  ununterbrochen  in  diesem  heiligen 
Hain  zu  verweilen.  Täglich  kommen  die  Alten  des  Dorfes  gegen  Mittag,  um 
sie  zu  quälen.  Für  jede  der  sieben  Gruppen  des  Bundes  gibt  es  charakteristische 
Qualen.  Die  Neueingeweihten  der  „Feueranzünder"  müssen  sich  mit  Fackeln 
Bücken  und  Brust  brennen  lassen;  die  „Hirsche- (?)5)  werden  in  Dornen  ge- 
hüllt: die  „Geißler",  ..Hyänen"  u.  a.  mit  Ruten  gepeitscht,  worauf  man  ihre 
geschwollenen  und  zerrisseneu  Leiber  oft  noch  mit  gemahlenem  Pfeffer  bestreut. 

Aber  all  diese  Qualen  sind  nur  ein  Vorspiel  zum  „heiligen  Tanz  des 
Köre",  welcher  nach  Ablauf  der  14  Tage  auf  dem  Dorfplatz  getanzt  wird. 
Er  beginnt  in  der  Früh,  nachdem  die  Initiierten  den  heiligen  Hain  verlassen 
haben.  Auch  die  Weiber  sind  bei  diesem  Tanz  zugegen,  an  welchem  anfangs, 
solange  es  sich  nur  um  Tanzbewegungen  handelt,  alle  Bundesmitglieder  teil- 
nehmen; die  älteren,  bald  müde  und  durstig,  lassen  sich  dann  bei  ihren  Bier- 
kalabassen nieder,  und  nun  erst  beginnt  für  die  Neueingeweihten  das  öffent- 
liche grausige  Spiel:  2  —  3  ..Feueranzünder'1  eröffnen  es  mit  brennenden  Stroh- 
fackeln, welche  sie  so  unter  ihren  Armen  und  über  ihren  Köpfen  hin-  und 
herschwenken,  daß  sich  ein  Feuerregen  über  ihre  nackten  Körper  ergießt, 
während  eine  andere  Gruppe,  die  „Spaßmacher",  um  sie  herum  schamlose  Spaße 
brüllen,  mit  einer  Hand  ihre  Rasseln"),  mit  Steinchen  gefüllte  durchbrochene 
Kalabassen,  schütteln  und  mit  der  anderen  mittels  belaubter  Zweige  sich  gegen 
den  Funkenregen  wehren.  Um  die  beim  Bier  Sitzenden  heult  die  Gruppe  der 
„Löwen"  in  ihren  riesigen  Masken;  die  „Hirsche"  oder  „Unerschrockenen" 
zerreißen  sich  mit  Dornen  Brust,  Achselhöhlen  und  Rücken,  oder  hüllen  sich 
zum  Tanz  ganz  in  Dornen  ein;  die  Geißler  laufen  brüllend  von  einer  Gruppe 
zur  andern,  schwingen  ihre  laugen,  zischenden  Gerten   über  ihren   Häuptern 


'     Henry  übersetzt  „djante  Koro"  mit   „Kind  des  Köre''. 

•i  Nach  Henry  ..ho nunc  du  djante".  —  Sollte  es  sieh  hier  gar  um  eine  Pubertäts- 
feier handeln,  insofern  es  sich  hier  um  einen  Übergang  vom  „Kind-'  zum  „Mann"  zu  handeln 
scheint  ? 

s)  Die  Hirse  als  Symbol  der  Fruchtbarkeit  ist  genugsam  bekannt.  Vielleicht  haben 
wir  sie  auch  hier  als  solches  aufzufassen. 

4i   Vgl   die  mit  Wut  bestricheneu  Bäume  bei  Beschneidungszeremonien  in  Kap.  XXXV]  II. 

6)  Jiei  Henry  „fuuvcs". 

gl.    die    Feuerzeremonien    bei    Beschneidungsfesten.      Auf   die    sexuelle   Bedeu'  uog 
der  Hasseln  bei  verschiedenen  Völkern  ist  im  vorliegenden  Werk  wiederholt  hingewiesen  w 


§  319.     Götterkult.  575 

und  lassen  sie  dann  auf  ihr  eigenes  Fleisch  herniedersausen.  Jeder  Streich 
läßt  eine  Furche,  und  oft  fließt  das  Blut.  Bleich  und  zitternd  geißeln  sie- 
sich,  bis  die  Gerten  in  Stücke,  gehen.  Nach  jedem  Streich  eilt  einer  aus  der 
Gruppe  der  „Spaßmacher"  ')  herbei  und  frottiert  dem  Knaben  die  Glieder. 

Da  die  Eingeweihten  auch  vor  Frauen  und  Kindern  ihre  Gruppenzeichen 
tragen,  und  sogar  Frauen  in  den  Kore-Bund  aufgenommen  werden  (allerdings, 
ohne  daß  diese  an  den  Opfern  teilnehmen  dürfen  und  sich  vor  dem  Baum 
und  Emblem  des  Geistes  Köre  niederwerfen  müssen),  meinte  Henry,  dieser 
Bund  könne  kein  Geheimbund  im  strengen  Sinn  dieses  Wortes  genannt  werden, 
da   die   übrigen  Geheimbündnisse   der  Bambara   so  etwas  nicht  gestatten.  — 

Auf  die  Vorbereitung  der  Söhne  zum  Stand  eines  Fetischpriesters 
in  eigenen  Schulen  bei  einzelnen  Negervölkern  ist  in  Kapitel  XLVI  hin- 
gewiesen worden.  — 

Die  Ho,  ein  Ewe- Stamm  in  Deutsch-Togo,  weihen  viele  Kinder  gleich 
nach  der  Geburt  dem  Himmelsgott,  Spender  des  Kindersegens.  Damit  wird 
auch  hier  das  betreffende  Kind  schon  im  voraus  zum  Priesterstand  zuge- 
wiesen (Fies). 

Einführung  in  den  Geschlechtskult  haben  wir  wohl  wieder  in  den 
folgenden  Bräuchen  in  Dahome,  dessen  Schlangenkult2)  schon  von  eng- 
lischen Forschungsreisenden  des  19.  Jahrhunderts  eingehend  geschildert  worden 
ist.  In  neuerer  Zeit  berichtet  J.  Weißenborn:  In  Weida,  Hafenstadt  in 
Dahome,  greifen  zur  Zeit  der  Getreidereife  alte  Priesterinnen  an  bestimmten 
Abenden  von  den  Priestern  überredete  junge  Mädchen  im  Alter  von  10  bis 
12  Jahren  auf,  halten  sie  eine  Zeitlang  gefangen,  unterrichten  sie  in  den 
heiligen  Bräuchen  und  Tänzen  und  bezeichnen  sie  mit  Schlangenfiguren,  welche 
sie  in  die  Haut  einschneiden,  als  Eigentum  des  Schlangengottes,  über  all 
diese  Vorgänge  legt  man  den  Mädchen  Schweigen  auf  und  bringt  sie  zu  ihren 
Eltern  zurück;  doch  müssen  sie  von  Zeit  zu  Zeit  im  Tempel  zu  Ehren  der 
Gottheit  tanzen  und  weiden,  nachdem  sie  zur  Reife  gelangt,  mit  der  Gottheit, 
d.  h.  mit  den  Schlangenpriestern,  vermählt  (J.  Weißenborn). 

In  Kamerun  werden,  nach  Flad,  die  Knaben  auf  folgende  Weise  in 
den  Kult  des  mit  riesigen  Flügeln  versehenen,  mehr  tier-  als  menschenähn- 
lichen, Götzen  Mungi  eingeführt,  der  in  den  Dörfern  und  im  Busch  seine 
Hütten  hat.  Ein  mit  der  Gottheit  vertrauter  Mann  bringt  die  versammelten 
Knaben  in  die  Nähe  einer  solchen  Mungi-Hütte  im  Busch.  Hier  führt  er 
einen  Knaben  nach  dem  andern  mit  verbundenen  Augen  in  die  Hütte  hinein, 
wo  vorgeblich  Mungi  selbst,  in  der  Tat  aber  einer  seiner  Priester,  dem  Knaben 
unter  greulichen  Lauten  zwei  Kreuze  auf  die  Brust  schneidet,  Den  fürchter- 
lichen Baß  verschafft  sich  der  Priester  vorher  durch  den  Genuß  einer  gewissen 
Pflanze.  Der  Knabe  wird  hierauf  wieder  ins  Freie  geführt;  man  nimmt  ihm 
die  Binde  von  den  Augen  und  sagt  ihm,  Mungi  habe  ihn  mit  seinen  Zähnen 
gezeichnet.  Nach  Vollendung  der  Zeremonie  fliegt3)  der  Mungi  davon.  Sein 
Flügelschlag  verursacht  weithin  fühlbaren  Wind.  Hat  er  sich  entfernt,  dann 
führen  die  Knaben  Tänze  und  Spiele  auf.  —  Von  jetzt  an  können  die  Initi- 
ierten gefahrlos  die  Gebiete  des  Mungi  betreten.  Vor  ihrer  Einweihung  wären 
sie  für  das  Betreten  solcher  Orte  allenfalls  spurlos  verschwunden,  wären  von 
Mungi  und  seinen  Leuten  gefressen  worden. 

In  den  Schlangen-  bzw.  Wassergeisterkult  werden  bei  den  Bantu 
am  untern  Kongo  gewisse  Kinder  eingeführt,  die,  wenn  Knaben,  „Etoko", 

*)  Eine  Schnur  mit  roten  Bohnen  um  Hals,  Kücken  und  Brust  ist  ihr  charakteristisches 
Zeichen. 

J)  Auf  die  enge  Beziehung  des  Schlangenkultes  zum  sexuellen  Leben,  bzw.  zur  Frucht- 
barkeit, habe  ich  verschiedenenorts  hingewiesen. 

3)  Besser  wohl:  läuft  flügelschlagend. 


576  Kapitel  XL VIII.     Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes. 

■wenn  Mädchen,  „Lombo"  genannt  werden  und  selbst  als  Inkarnationen,  oder 
doch  als  Lieblinge  der  Ximbi  (Wassergeister)  gelten.  In  enger  Beziehung  mit 
diesen  Geisterkindern  stehen,  nach  dem  dortigen  Glauben,  auch  die  Schlangen, 
welche  man.  wie  jene,  als  Inkarnationen  oder  als  Schützlinge  der  Ximbi  hält, 
Würde  ein  Geisterkind  eine  Schlange  töten,  so  gälte  das  als  Verwandtenmord. 
Andererseits  darf  ein  Geisterkind  nicht  auf  den  Kopf  geschlagen  werden,  weil 
der  Kopf  der  empfindlichste  Teil  der  Schlange  ist.  Die  Geisterkinder  selbst 
genießen  eine  Art  Kult,  da  sie  von  den  Ximbi  mit  besonderen  Kräften 
ausgestattet  sind,  die  sie  zum  Segen  oder  zum  Nachteil  der  Mitmenschen 
verwenden  können,  weshalb  sie  von  Verwandten  und  Nachbarn  beschenkt 
werden,  damit  sie  ihnen  ihre  Gunst  zuwenden.  —  In  Häusern,  wo  Geister- 
kinder geboren  wurden,  darf  keine  Schlange  verletzt  oder  gar  getötet  werden, 
noch  darf  man  eine  aus  dem  betreffenden  Haus  vertreiben.  -  Die  Folge 
dieses  Glaubens  ist.  daß  in  solchen  Häusern  Schlangen  häufig  sind  (ireefo).  — 

Bei  den  Basutos,  einem  Zweig  der  Betschuanen  in  Britisch  Südafrika, 
fand  Chr.  Stech  eine  Art  Religionsunterricht,  welchen  die  Eitern  ihren  Kindern 
abends  erteilten,  und  worüber  diese  vor  ihrer  Mündigkeitserklärung  (Koma) 
eine  Prüfung  abzulegen  hatten.  Ein,  Stech  bekannter,  Basttto  pflegte  z.  li. 
seine  Kinder  über  einen  kleinen,  heilig  gehaltenen  Vogel.  Kholiocozo  genannt, 
auszufragen,  und  wehe  dem,  der  ihu  nicht  nach  Farbe,  Größe  und  Flug  kannte, 
oder  seinen  Ruf  nicht  nachzuahmen  vermochte.  Er  bekam  die  eindringlichsten 
Schläge.  Glücklich  dagegen  der  Junge,  der  einen  solchen  Vogel  erlegte  und 
sich  mit  seinen  Federn  schmückte. 

Im  Religionsunterricht  des  Kafferkindes  spielt  neben  Gott  der  Mythus 
vom  Chamäleon  und  der  Eidechse  eine  Rolle,  der  mit  dem  Glauben  an  ein 
Wiederaufleben  nach  dem  Tode  zusammenhängt,  Das  Chamäleou  soll  nämlich 
ehemals  von  Gott  mit  der  Botschaft  zu  den  Menschen  geschickt  worden  sein, 
da  Li  sie  ewig  leben,  oder  nach  dem  Tod  wieder  aufleben  würden.  Eine  Ei- 
dechse kam  ihm  zuvor  und  überbrachte  eine  entgegengesetzte  Botschaft,  und 
dieser  glaubte  die  Menschheit,  Als  endlich  das  Chamäleon  ankam,  fand 
seine  Botschaft  keinen  Glauben  mehr.  —  Kinder,  die  kaum  erst  sprechen 
gelernt  haben,  sind  in  diesem  Mythus  bereits  eingeführt,  der  sich  in  seinen 
wesentlichen  Zügen  auch  bei  mehreren  anderen  südafrikanischen  Völkern  vor- 
findet. — 

Auf  den  Andaman-Inseln  weiß  jedes  Kind,  welche  Handlungen  den 
Zorn  einer  gewissen  Spinne,  Biluku,  erregen,  die  teils  als  weibliche,  teils  als 
männliche  Gottheit  aufgefaßt  wird  und  im  Zorn  Regen  schickt  (Ä.  B.  Brown). 

Die  Teilnahme  des  japanischen  Kindes  an  den  Gebeten  seines  Vaters 
zu  Gott  und  den  Ahnen  hat  £  :?18  gestreift,  -  Der  Gedanke,  was  weiden 
die  Ahnen  sagen,  leitet  den  Japaner  von  Kindheit  auf  in  seinem  Tun  und 
Lassen.  In  der  modernen  Schule  hat  der  Religionsunterricht  jedoch,  wie 
schon  in  einem  früheren  Kapitel  erwähnt,  keinen  Platz  {Bein),  und  nach  dein 
Buddhapriester  Eirai  ist  dem  heutigen  Japaner  „Religion  nicht  Gottesver- 
ehrung im  orthodoxen  Sinne  des  Wertes,  sondern  die  Quelle  der  Weisheit  und 
Liebe,  welche  sich  praktisch  in  der  Sorge  für  die  Wohlfahrt  unserer 
Nächsten  äußern  sollen",  wobei  Hirai  freilich  nicht  zu  wissen  scheint,  daß 
ein  abstrakter  Begriff  eine  solche  Quelle  nicht  sein  kann. 

Abbildung  129.  ein  Altar  als  chinesisches  Kinderspielzeug,  bewei>t. 
daß  die  Chinesen  ihre  Kinder  schon  früh  mit  ihren  religiösen  Anschauungen 
und  Bräuchen  bekannt  machen.  —  John  Antenorid  erwähnte  ein  Spiel,  welches 
die  Chinesenkinder  in  den  Tempeln  spielen,  und  das  mit  dem  deutscheu  „A'er- 
wechselt,  verwechselt  das  Säulchen"  identisch  sei.     In  China  heiße  das  in  der 


§  319.     Götterkult, 


577 


Mitte  stehende  Kind  schoe-goei,  d.  h.  „Wassergespenst".  —  Das  Spiel  hängt 
demnach  in  China  wohl  mit  dem  Naturknlt  zusammen.  (Den  Ahnenkult,  den 
Mittelpunkt  des  religiösen  Lebens  in  China,  siehe  S.  567 — 569.) 

Die  Laos  im  nördlichen  Slam  verbinden  mit  ihren  meisten  Arbeiten 
auf  dem  Feld,  mit  Jagd  und  Fischfang,  Opfer.  Somit  werden  auch  hier  die 
Kinder,  welche  schon  früh  mitarbeiten  müssen,  bald  in  diesen  Teil  des  reli- 
giösen Kultes  eingeführt.  An  der  Ecke  eines  Feldes  errichtet  man  einen 
kleinen  Altar  aus  kreuzweis  gelegten  Bambusstücken,  welcher  mit  Gras  be- 
deckt wird.  Vor  diesem  Altar  bittet  die  Familie  den  „Genius"  mit  lauter 
Stimme,    er   möge   von   diesem   Feld    schlimme   Einflüsse    fernhalten.      Wohl- 


Fig.  432.    Priester  mit  Schüler  (rechts)  aus  Bangkok,  Siam.    Josef  Eienningers  phot. 


habende  opfern  dabei  ein  Huhn,  in  der  Hoffnung  auf  ein  ganz  besonderes 
Wohlwollen  der  Gottheit;  andere  legen  nur  einige  Reisähren  auf  den  Altar. 
Mehr  noch  kommen  mit  leeren  Händen  und  begnügen  sich  mit  Gebet  (Jean  Lau njt). 
In  Birma  gehört  eine  religiöse  Erziehung  zum  guten  Ton.  Sie  ist  in 
der  Auffassung  der  Eingebornen  das,  was  die  humanistische  Bildung  in  unseren 
Augen  ist.  Sie  verpflichtet  die  Jugend  nicht  zum  geistlichen  Stand,  der  aber 
allen  offen  steht,  da  es  in  Birma  keine  Kastenvorrechte  gibt.  In  Rangoon, 
dem  buddhistischen  Mekka,  ist  die  Shwee-Dagon,  ein  Komplex  von  Hunderten 
von  Pagoden,  mit  einem  Kranz  von  Klöstern  umgeben,  in  welchen  zahlreiche 
Söhne  der  Birmanen  ihre  religiöse  Erziehung  genießen.  Sie  tragen  bereits 
geschorenen  Kopf  und  die  gelbe  Kleidung  ihrer  geistlichen  Erzieher  (Pilate) 
(vgl.  den  Schüler  des  siamesischen  Priesters  aus  Bangkok  auf  Abb.  432).  — 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  37 


578  Kapitel  XL VIII.     Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes. 

Das  Mongolenkind  wird  angehalten,  fleißig  zu  seinem  Schutzgeist  zu 
beten  und  in  allen  Nöten  zu  ihm  seine  Zuflucht  zu  nehmen.  Dieser  Schutz- 
geist wird  ihm  schon  am  Tage  seiner  Namengebung  von  einem  Lama  bezeichnet 
(M.  von  Beguelin).  Die  vielen  Knaben,  welche  auch  hier  von  ihren  Eltern 
zum  Priesterstand  bestimmt  werden,  erhalten  gleichfalls  schon  in  früher  Jugend 
die  Tonsur,  d.  h.  man  rasiert  ihnen  das  ganze  Kopfhaar  ab  (vgl.  Abb.  432);  sie 
werden  in  rot  oder  in  gelb  gekleidet  (Prschewalski),  je  nachdem  sie  der  Sekte 
der  „Gelbmützen"  oder  der  „Rotmützen"  angehören. 

Rege  Anteilnahme  der  Jugend  am  Götterkult  haben  die  Kapitel  XLII 
und  XLIII  bei  den  Mordwinen  nachgewiesen.  — 

Sehr  frühe  Einführung  in  den  Priesterstand  linden  wir  dann  wieder  bei 
den  Eskimos  im  östlichen  Grönland,  wo  Knaben  bereits  mit  7 — 8  Jahren 
den  Angakoks  (Priestern)  zu  diesem  Zweck  übergeben  werden.  Die  Angakoks 
verkehren  mit  den  zwei  höchsten  Gottheiten  ihres  Volkes,  dem  Mond  und 
dem  alten  namenlosen  Meerweib,  wozu  aber  die  Hilfe  von  Geistern  notwendig 
ist.  Um  zunächst  diese  zu  gewinnen,  wandert  der  Knabe  in  seiner  Lehrzeit 
in  die  Berge  und  reibt  hier  stundenlang  mit  einem  kleinen  Stein  die  Oberfläche 
eines  großen,  in  der  Erwartung,  daß  der  „Seebär"  zu  ihm  komme,  ihn  auffresse. 
ihn  dann  wieder  ausspeie1)  und  wieder  davon  gehe.  Seine  Lehrer  haben 
ihm  ja  gesagt,  daß  das  so  kommen  müsse.  Er  „stirbt",  d.  h.  verliert  wohl 
von  dem  stundenlangen  Reiben  das  Bewußtsein,  erwacht  aber  nach  der  Lehre 
der  Angakoks  nach  einer  Stunde  wieder  als  nacktes  Skelett,  das  jedoch  gleich 
Avieder  Fleisch  annimmt;  seine  Kleider  rauschen  heran  zu  ihm,  und  er  steht, 
schließlich  wieder  da,  wie  vor  dem  geheimnisvollen  Ereignis.  Während  des 
Steinreibens  muß  sich  der  Knabe  jeglichen  Eingeweides  von  Tieren  enthalten.  — 
Diese  Vorbereitung  zur  Verbindung  mit  der  Geisterwelt  findet  im  Sommer 
statt  und  wiederholt  sich  mehrere  Jahre  hindurch,  wobei  die  Geister  dem 
Knaben  wiederholt  erscheinen,  die  übrigens  nur  seine  eigenen  seien,  und 
deren  Namen  nur  ihm  bekannt  sein  dürfen,  damit  auch  er  allein  nur  sie  zitieren 
kann,  wenn  immer  er  sie  braucht,  sei  es,  um  Kranke  zu  heilen,  sei  es  um  durch 
die  Lüfte  zu  fahren,  damit  er  die  beiden  höchsten  Wesen,  den  Mond  und  das 
Meerweib,  besuche.  Jener,  ein  Mann  und  Jäger,  wohnt  in  den  himmlischen 
Jagdgründen;  dieses  hat  sein  Haus  weit,  weit  fort,  auf  dem  Meeresgrund.  - 
Der  Angakok  von  Ammassalik  besucht  auch  noch  eine  dritte  Gottheit,  das 
alte  Weib  Asiak,  welches  Regen  schenkt,  indem  es  ein  mit  Urin  getränktes 
Fell  über  der  Erde  ausschüttelt.  -  -  Die  ganze  Kultur  dieser  Eskimos  und  ihr 
tägliches  Leben  ist  von  einem  religiösen  Geiste  durchweht,  schreibt  Thalbiteer.  — 

Religiöser  Geist  weht  auch  durch  das  Leben  der  Roten  Rasse.  Hier 
nur  einige  Völker  als  Beispiele:  Der  S ioux- Knabe  Ohiyesa,  später  Dr.  Charles 
A.  Eastman,  wurde  mit  acht  Jahren  von  seiner  Großmutter  angeleitet,  dem 
Großen  Geist  sein  erstes  Opfer  zu  bringen.  Sein  Liebstes,  seinen  Hund  Ohitika, 
mußte  er  opfern.  Nachdem  die  Vorbereitungen  getroffen  waren,  zog  er  sich 
mit  der  Großmutter  allein  in  die  Waldeseinsamkeit  zurück,  wo  diese  betete: 
„0  großer  Geist,  wir  hören  deine  Stimme  iu  den  brausenden  \\  assern  unter 
uns.  Unsere  Seele  ist  gestärkt  durch  den  Hauch  deiner  Nähe.  0  höre  unser 
Gebet.  Sieh  herab  auf  diesen  Knaben,  segne  ihn  und  mache  ihn  zu  einem 
tüchtigen  Krieger  und  Jäger,  wozu  du  seinem  Vater  und  Großvater  geholfen 
hast"  (K.   Woltereck). 

Die  religiöse  Erziehung  der  Delaware-Jugend  siehe  §  295,  S.  443. 

Die  (hippeway-Indianer  hatten  gewisse  Tänze  zur  Besänftigung  des 
bösen  Geistes.     Jung  und   alt.  Mann  und  Weib,  nahmen  daran  teil.     Die  Er- 


1)   Vgl.  die  Symbole  der  Wiedergeburt  bei  der  Namengebung,  Haarschur,  Beschul  idung 
usw.  verschiedener  Völker  in  früheren  Kapiteln. 


§  319.     Götterkult.  579 

Öffnung  solcher  Tänze  scheint  kleinen  Mädchen  übertragen  worden  zu  sein; 
wenigstens  war  das  bei  den  zwei  Tänzen  dieser  Art,  welchen  Me.  Kenney  im 
Jahre  1826  beiwohnte,  der  Fall. 

Tanzende  Kinder  im  Kult  des  Sonnengottes,  bzw.  seines  Sohnes,  des 
Morgensternes,  und  der  Erd-  und  Mondgöttin,  führt  uns  K.  Th,  Preuß  in 
seiner  hochinteressanten  Schilderung  des  Festes  „des  Erwachens  (Weinfest) 
bei  den  Cora-Tndianern1)",  mexikanische  Sierra  Madre  Occidental,  vor. 
Dieses  Fest,  von  Preuß  auch  Fest  der  Schlafheilung  genannt'2),  besteht  nach 
diesem  Forscher  aus  einer  Eeihe  von  Zeremonien  „für  das  Gedeihen"  der 
Knaben  und  Mädchen  im  Alter  von  ca.  2—14  Jahren,  bei  welchem  diese 
Kinder,  neben  Erwachsenen,  eine  aktive  Rolle  spielen.  Es  findet  alljährlich 
im  April— Mai,  doch  nicht  in  allen  Dörfern,  statt,  Der  Festplatz  ist  ein 
Abbild  der  Welt,  der  im  Osten  desselben  errichtete  Altar  stellt  das  Ende  der 
Welt  im  Osten  dar;  in  dessen  nächster  Nähe  ist  der  Ausgang  aus  der  Unter- 
welt; die  Altarplatte  ist  der  Himmel,  die  über  ihm  ausgespannten,  blumen- 
geschmückten Bögen  das  Himmelsgewölbe;  in  der  Mitte  des  Platzes  brennt 
ein  Feuer;  die  auftretenden  Gottheiten  sind  der  Sohn  der  Sonne,  d.  h.  der 
Morgenstern  (Tonärikan)  und  die  Erd-  und  Mondgöttin  (Nasisa).  Die  Sonne 
selbst,  „unser  Vater",  ist  im  ersten  Festgesang  so  gedacht,  daß  sie  bei  ihrem 
Untergang  die  Mondgöttin  beauftragt,  ihr  Lager  zu  verlassen,  beim  Fest  zu 
erscheinen  und  da  zu  tanzen  und  zu  singen.  Im  3.  Festgesang  bitten  die 
Festteilnehmer:  Herab  komme  das  Leben  unseres  Vaters  (der  Sonne). 
"Wir  erwarten  es  hier  auf  der  Welt3).  Herab  komme  das  Leben  unserer 
Mutter  (der  Erd-  und  Mondgöttin)  usw.  —  Während  des  4.  Festgesanges 
tanzt  der  Morgenstern4)  an  der  Spitze  der  Knaben,  die  Erd-  und  Mond- 
göttin5) an  der  Spitze  der  Mädchen,  und  hinter  den  Kindern  die  erwachsenen 
Festteilnehmer.  Nach  dem  Tanz  schneidet  Tonärikan,  der  Morgenstern,  den 
Kindern  die  Haare  an  der  linken  Schläfe  ab6),  steckt  jedem  etwas  Salz7)  in 
den  Mund  und  besprengt  alle,  auch  die  Erwachsenen,  mittels  eines  Schilfrohres 
mit  heiligem  Wasser  aus  einem  Krug  auf  dem  Altar8).  Dieses  Wasser  hat 
angeblich  ein  göttlich  verehrtes  Vöglein  aus  dem  Westen  gebracht,  Mit  ihm 
soll  auch  das  Vieh  besprengt  werden.  —  Im  5.  Festgesang  werden  die  Kinder 
von  ihren  Paten  zum  Altar  geführt,  auf  welchem  eine  Bambusstange  voll 
Kopftücher,  Kopfbinden  und  Perlenketten  aus  den  weißgrauen  Körnern  des 
Zacategrases,  als  Schmuck  für  die  Kinder,  liegt.  Die  Kopfbinden  der  Knaben 
sollen  mit  dem  Emblem  des  Morgensternes  (Falkenfedern),  die  der  Mädchen 
mit  dem  Emblem  der  Erd-  und  Mondgöttin  (Taubenfedern)   geschmückt  sein. 


1)  In:  Verhandlungen  des  XVI.  Internationalen  Amerikanisten-Kongresses.  Wien,  9.  bis 
14.  September  1908.     Wien  1910,  2.  Hälfte,  S.  489 ff. 

2)  Die  Cora  sahen  nach  Preuß  im  Schlaf  eine  Art  Krankheit. 

3)  Dieses  Gebet  scheint  mir  für  das  „Erwachen"  in  dein  von  mir  vermuteten,  später 
anzugebenden  Sinn  von  hoher  Bedeutung  zu  sein. 

*)  Bei  diesem  Fest  von  einem  alten  Mann,  bei  anderen  Cora-Festen  von  einem  kleinen 
Knaben  dargestellt. 

6J  Bei  diesem  Fest  von  einem  alten  Weib,  bei  anderen  Festen  von  einem  kleinen 
Mädchen  dargestellt. 

6)  Eine  feierliche  Haarschur  mit  der  Bedeutung,  daß  das  Kind,  an  welchem  sie  vor- 
genommen wird,  nun  einen  neuen  Lebensabschnitt  beginnt,  also  gewissermaßen  zu  einem 
neuen  Leben  erwacht,  habe  ich  in  dem  vorliegenden  Werke  bei  verschiedenen  Völkern 
nachgewiesen. 

7)  Sämtliche  Festteilnehmer  haben  sich  die  letzten  fünf  Tage  vor  dem  Fest  des  Salzes 
zu  enthalten.  —  Auch  der  mystischen  Bedeutung  des  Salzes  bei  einer  Reihe  von  Völkern 
ist  in  früheren  Kapiteln  gedacht  worden. 

8)  Vgl.  die  mystische  Bedeutung  des  Wassers  in  Kap.  XV  u.  a.  m.  —  Im  alten  Mexiko 
und  bei  einer  Reihe  anderer  Völker  wurde  es  als  Symbol  des  Lebens,  als  belebendes,  und 
somit  als  weckendes,  Element  angewendet. 

37* 


580  Kapitel  XLVIII.     Das  aktive  Kind  im  religiösen  Xult.     Verwandtes. 

Außerdem  erhalten  die  Knaben,  als  Tracht  des  Morgen-  und  Abendsternes '), 
die  erwähnten  Samenschniire  kreuzweise  über  Brust  und  Kücken,  worauf 
abermals  ein  Tanz  beginnt. 

Aus  dem  Inhalt  dieses  5.  Gesanges  scheinen  mir  für  die  Bedeutung  des 
Festes  des  Erwachens  besonders  folgende  Sätze  bemerkenswert:  „Es  denken 
die  Alten  (Paten)  der  Gebornen  (Kinder):  sie  erheben  sich  und  sprechen  zu 
ihren  Söhnen:  Stehet  auf,  bereits  haben  wir  Salz  gegessen,  wir  wollen 
uns  erheben  und  aufwachen."  —  Das  Salz  ist  demnach  auch  hier  als 
anregendes,  stärkendes,  belebendes  Element  gedacht. 

Während  des  6.  Festgesanges  nimmt  man  die  „Zeremonialpfeile"  vom  Altar 
und  tanzt  mit  ihnen,  wobei  möglichst  viel  Staub2)  aufgewirbelt  wird,  der  auf 
die  Pfeile3)  fallen  und  diese  dadurch  besonders  wirksam  machen  soll.  Die 
Pfeile  für  die  Knaben  sind  mit  Falkenfedern  (Abzeichen  des  Morgensternes), 
die  Pfeile  für  die  Mädchen  mit  Taubenfedern  (Abzeichen  der  Erd-  und  Mond- 
göttin), sowie  mit  Sternen  aus  sich  kreuzenden  Stäbchen,  Symbole  der  Himmels- 
richtungen, bzw.  der  Welt,  und  mit  Baumwoll-  oder  Wollflocken,  Bilder  der 
Wolken  und  des  Wassers,  ausgestattet.  Die  Federn  bedeuten  zugleich 
die  Kinder  selbst4);  jeder  Vater  hängt  so  viel  Federn  an  seinen  Pfeil,  als 
er  Kinder  hat,  und  diese  Pfeile  werden  am  Schlüsse  des  Festes  in  die  Höhlen 
eines  Berges  gestellt.  Zunächst  aber  werden  sie  während  des  8.  Festgesanges 
wieder  auf  den  Altar  gelegt,  und  der  Sonnengott  sowie  die  Mondgöttin  sind 
nun  so  gedacht,  daß  sie  auf  diesen  Altar,  oJer  wohl  vor  allem  auf  die  Opfer- 
gaben herniederblicken,  ja  mitten  unter  ihren  Gläubigen,  oder  doch  direkt  über 
ihnen  gegenwärtig  sind:  „Dort  spricht  unser  Vater,  die  Sonne,  mitten  über 
uns.  Hier  schaut  er  auf  den  Altar,  wo  die  Pfeile  sind,  schön  geschmückt 
mit  dem  kleinen  Falken  daran.  Auf  sie  schaut  unser  Vater.  Dort  blickt  er 
auf  die  Pfeile  herab  mit  ihrer  (der  Mondgöttin)  Taube  daran.  Er  schmückt 
sie  und  besprengt  sie  mit  Wasser  .  .  .  Auch  unsere  Mutter  (die  Mondgöttin) 
kommt,  auch  sie  blickt  herab  auf  die  Pfeile"  usw.  — 

Diese  „himmlische  Weihe  der  Opferpfeile",  wie  Preuß  den  8.  Festgesang 
betitelt,  scheint  aber  noch  einen  tieferen  Sinn  zu  haben,  d.  h.  dieser  Akt 
dürfte  die  Aufopferung  der  Kinder  selbst  symbolisieren.  Gewissermaßen 
identifiziert  mit  dem  Emblem  des  Sonnensohnes  (Morgenstern)  und  der  Erd- 
und  .Mondgöttin,  und  dadurch  auch  mit  diesen  selbst,  bilden  die  Kinder  ein 
diesen  Gottheiten  angenehmes  Opfer,  auf  welches  diese  (gerne)  blicken.  - 
Während  des  9.  Festgesanges  findet  die  „Schlafheilung"  statt.  Dabei  sitzen 
die  Kinder  vor  dem  Sänger  mit  dem  Gesichte  nach  dem  Altar  gewendet, 
während  ihnen  der  Curandero  (Medizinmann)  den  Rauch5)  aus  seiner  Pfeife 
unter  seiner  Hand  auf  die  Stirnen  bläst,  dann,  mit  Wasser  im  Mund,  an  derStirne 
jedes  einzelnen  saugt,  hierauf  die  Stirne  mit  neuem  Wasser  bespritzt,  mit  dem 
Falkenschwanz  seinen  Stab  bestreicht  und  Gebete  verrichtet. 


')  Die  Tracht  einer  Gottheit  anlegen,  bedeutet  wohl,  mit  dieser  identifiziert  zu  werden, 
bzw.  die  Rolle  der  Gottheit  so  lange  zu  übernehmen,  als  man  die  Tracht  an  sich  hat.  Vgl. 
die  alte  Frau,  welche,  nach  Preuß,  in  die  Tracht  der  altmexikauischen  Erdgöttin  und  Mais- 
mutter gekleidet  wurde  (§  280). 

s)  Vielleicht  ist  der  Staub  hier  als  ein  fruchtbares,  göttliches,  weil  von  der  Erde 
(Erdgöttin)  kommendes.  Element  gedacht. 

s)  üb  der  Pfeil  auch  in  Mexiko  ein  Symbol  der  Befruchtung  ist,  wie  z.  H.  bei  den 
Todas? 

4)  „Die  Gebornen  hängen  an  den  Pfeilen"  übersetzt  Preuß  S.  500. 

ö)  Der  Rauch  als  Vertieibungsmittel   gegen  Dämonen  usw.  bei  Indianern  und  anderen 

Rassen    ist  uns  aus  verschiedenen  Stellen  dieses  Werkes  bekannt.     Vielleicht  hat  er  hier  die 

im     Bedeutung.     Im  2.  Festgesang  bringen  der  Sonnensohn  und  die  Erd-  und  Mondgattin 

selbst  den  Tabak  herbei,  damit  die  „Alten"  ihn  rauchen.     Der  Rauch  des  Medizinmannes  ist 

also  indirekt  ein  göttliches  Geschenk. 


§  319.     Götterkult.  581 

Preuß  vermutet,  daß  durch  das  Saugen  an  der  Stirne  die  vermeintlichen 
Erreger  des  Schlafes,  der.  wie  schon  erwähnt,  als  Krankheit  aufgefaßt  wird, 
nämlich  kleine  Flußtierchen.  entfernt  werden  sollen.  —  Das  Saugen  an  kranken 
Stellen,  um  den  Errege]"  irgend  einer  Krankheit  herauszuziehen,  ist  ja  bei 
vielen  Völkern  niederer  Kulturstufen  eine  wohlbekannte  Erscheinung.  In  Ver- 
bindung mit  den  übrigen,  bisher  beschriebenen,  Zeremonien  scheint  mir  dieses 
Saugen  bei  den  Cora-Indianern  aber  doch  auch  noch  einen  tieferen  Sinn  zu 
haben,  nämlich  ein  neben  den  übrigen  herlaufendes  Symbol  zu  sein 
für  die  Befreiung  vom  mystischen  Schlaf,  für  das  Erwachen  des 
ganzen  Kindes,  des  ganzen  Menschen,  wohl  mit  der  ganzen  ihn  umgebenden 
Natur,  zum  Leben  im  weitesten  sinne.  Das  Erwachen  der  Vegetation 
an  dem  entsprechenden  Fest  „das  kleine  Wachen"  im'  alten  Mexiko,  auf 
welches  ich  später  zurückkomme,  war  nach  meiner  Ansicht  ausgedrückt  in 
dem  Aufruf  an  die  Maisstauden  als  Repräsentanten  der  Maisgöttin:  „Herrin, 
komme  schnell!"1)  Nicht  die  Heilung  von  einem  Schlaf  im  eigentlichen  Sinne 
des  Woites,  sondern  von  einem  Schlaf  im  übertragenen  Sinne,  die  Er- 
weckung zu  einem  kraftvollen  vegetativen,  animalischen  und  geistigen  Leben 
dürfte  also  der  wesentliche  Gedanke  zunächst  dieses  Cora-Festes  sein.  Sämt- 
liche Zeremonien  scheinen  mir  harmonisch  auf  ein  Erwachen  in  dem  eben 
genannten  Sinne  hinzuweisen.  In  dieser  Vermutung  bestärkt  mich  ferner  der 
10.  Festgesang,  eine  Anerkennung  der  Machtvollkommenheit  des  Sonnengottes 
und  der  eigenen  Schwäche.  ..Wir  verdrehen  die  Worte  unseres  Vaters  (der 
Sonne).  Doch  mag  es  so  sein.  Er  hat  uns  so  gelassen  (auf  der  Erde).  Er 
allein  ist  bleibend:  für  immer  besteht  er.  Machtvoll  ist  sein  Wort.  Er  hat 
keine  Mängel,  die  bei  uns  vorhanden  sind"  usw.  — 

In  dem  angedeuteten  Sinne  erfasse  ich  ferner  die  Bereitung  und  Dar- 
reichung des  „Weines"  durch  den  Sonnensohn  (Morgenstern),  im  11.  und 
letzten  Festgesang:  „Nun  erinnert  sich  Tonärikan  i Morgenstern),  daß  er  ihnen 
(allen  Festteilnehmern)  Atole'-)  geben  wird.  Das  wird  er  ihnen  geben,  damit 
sie  darin  ihr  Leben  haben"3). 

Somit  deutet  nach  meinem  Dafürhalten  das  Erwachen  der  Sonne  selbst. 
die  Erhebung  der  Eni-  und  Mondgöttin  von  ihrem  Lager,  das  Erscheinen  des 
Morgensterns,  die  Bitten  der  Festteilnehmer  um  Leben,  die  an  den  Kindern 
vorgenommene  Haarschur,  das  Salzessen,  die  Bekleidung  der  Kinder  mit  den 
Abzeichen  und  Trachten  des  Sonnensohnes  (Morgenstern)  und  der  Eid-  und 
Mondgöttin,  die  Identifizierung  der  Kinder  mit  den  Federn  der  Götter- 
vögel und  dadurch  mit  den  Göttern  selbst,  und  der  darauffolgenden  Auf- 
opferung auf  dem  Altar  (vielleicht  auch  in  den  Berghöhlen),  die  Schlafheilung 
und  das  YVeintrinken:  kurz  die  ganze  Reihe  der  Zeremonien  auf  das  Erwachen 
zu  einem  kraftvollen  neuen  Leben  hin.  welches  den  Kindern  und  Erwachsenen 
und  wohl  der  ganzen  belebten  Natur  an  diesem  Feste  der  Cora  mitgeteilt 
werden  soll,  ein  harmonisches  Lebens-  und  Fruchtbarkeitsfest  im  mate- 
riellen und  geistigen  Sinne4). 

Demnach  hätte  also  Sahagwn  die  altmexikanischen  entsprechenden 
Jahresfeste  „das  kleine  und  das  große  Wachen"  (toc;oztont]i  und  ueitocoztli)  in 
der  2.  Hälfte  des  März  und  der  1.  Hälfte  des  April  nicht  ganz  mit  Unrecht 
als  „Vegetationsfeste1'  geschildert5);  dieser  Begriff  dürfte  nach  dem  bisher 


])  Preuß,  nach  Seiet;  511  f.  u.  Anra. 

s)  Ein  Agave-Aufguß,  welcher  belebt,  im  Übermaß  genossen  aber  auch  berauscht. 

')  Preuß,  507. 

*)  Das  Tanzen  vor  dem  Feuer  bei  diesem  Fest  und  die  Tänze  der  Cora  um  das  Feuer 
bei  anderen  Festen  (Preuß  509).  also  eine  Form  des  Feuerkultes,  paßt  sehr  wohl  zu  dieser 
Auffassung  (vgl.   die  Bedeutung  des  Feuers   im    Fruchtbarkeitskult  in  früheren  Kapiteln). 

5)  Vgl.  Preuß,  509  und  511. 


582  Kapitel  XLVIII.     Das  aktive  Kind  irn  religiösen  Kult.     Verwandtes. 

Gesagten  und  dem  noch  Folgenden  nur  zu  enge  sein ]).  —  Eine  Zeremonie  der 
Schlafheilung  ist  nach  Preuß  von  diesen  zwei  altmexikanischen  Festen  nicht 
erwähnt,  wohl  aber  die  Zeremonie  des  Haarschneidens'2),  ein  Kult  der  Mais- 
gottheiten in  Gestalt  junger  Maisstauen3),  Fasten  und  Blutentziehungen  der 
beteiligten  Kinder.  Darbringung  der  Säuglinge  durch  ihre  Mütter  usw.  — 
Nach  Duran  stachen  sich,  wie  Preuß  schreibt,  am  zehnten  Tag  des  Festes 
toroztontli  (das  kleine  Wachen)  die  Kinder  bis  zum  Alter  von  12  Jahren  in 
Zunge,  Ohren  und  Waden.  Ihr  Fasten  dauerte  bis  Mittag4).  Dann  hingen 
ihnen  die  Zeichendeuter  verschiedenfarbige  Fäden  mit  heilbringenden  Schlangen- 
knöchelchen,  Steinchen  oder  Idolen  um  den  Hals,  wofür  die  Zeichendeuter 
von  den  Eltern  der  Kinder  Geschenke  erhielten.  —  Am  Fest  des  „großen 
Wachens"  (ueitocoztli),  7.  April,  „gingen  die  Mütter,  die  im  letzten  Jahre 
geboren  hatten,  des  Abends  zu  allen  Tempeln,  um  Opfergaben  niederzulegen, 
und  wurden  schließlich  im  großen  Tempel  des  Sonnengottes  Uitzilopochtli 
zeremoniell  gereinigt,  während  dort  ihren  neugebornen  Sprößlingen  Ohr  und 
spitze  der  Vorhaut  ein  wenig  geritzt  wurden,  worauf  sie  einen  Namen  er- 
hielten'1). Aber  auch  alle  Erwachsenen  stachen  sich  an  diesem  Feste  in 
die  Ohren  und  Waden  und  opferten  ihr  Blut". 

Die  Jugend  aus  den  Erziehungshäusern  legte  überall  in  den  Häusern 
Kolbenrohr  vor  den  Idolen  nieder,  das  unten  mit  Blut  aus  ihren  Waden  und 
Ohren  beschmiert  war.  Nach  Preuß  war^das  Blutentziehen  sogar  die 
Hauptsache  bei  diesen  zwei  altmexikanischen  Festen,  und  in  diesen 
Blutentziehungen  sieht  er  eine  Parallele  zu  dem  Saugen  an  den  Stirnen  der 
Cora-Kinder,  wodurch  diese  von  der  Schlafkrankheit  geheilt  werden  sollen. 
So  meint  er,  erkläre  sich,  wenigstens  zum  Teil,  das  in  Mexiko  so  häutig  geübte 
zeremonielle  Blutlassen,  dessen  Sinn  man  noch  ohne  Verständnis  gegenüberstehe. 

Dieser  Erklärung  der  letzteren  Zeremonie  dürften  sich  indessen  manche 
Schwierigkeiten  entgegenstellen.  Die  altmexikanischen  Blutentziehungen  sind 
meines  Wissens  doch  zu  eng  und  zu  vielfach  mit  dem  religiösen  Leben  dieses 
Volkes  verknüpft,  als  daß  man  sie  im  obigen  Sinn  befriedigend  erklären 
könnte;  auch  haben  sie  bei  anderen  Völkern  Parallelen  mit  ausgesprochenem 
Opfercharakter,  so  daß  ihre  Bezeichnung  als  Opfer  wohl  auch  für  das  alte 
Mexiko  zutreffend  sein  wird.  Auf  die  regelmäßig  sich  wiederholenden  Blut- 
entziehungen der  altmexikanischen  Jugend  beider  Geschlechter  in  den  Klöstern 
und  die  der  Priester  komme  ich  später  zurück.  Ob  diese  ausdrücklich  als 
Opfer  bezeichnet  wurden,  weiß  ich  allerdings  nicht;  aber  wenn,  wie  in  Bd.  I, 
S.  449,  referiert  worden  ist,  auf  Tahiti  die  Eltern  eines  Neugebornen  mit 
diesem  in  den  Tempel  gingen,  sich  hier  betend  verwundeten,  ihr  eigenes  Blut 
auffingen  und  als  ein  Opfer  auf  den  Altar  legten:  wenn  Torquemada  der 
Operation  am  Glied  der  Totonaken-Knäblein  im  Tempel  die  Bedeutung  eines 
Blutopfers  zuschrieb8);  wenn  bei  den  sich  oft  wiederholenden  Entziehungen 


l>  Daran  und  der  Florentiner  Codex  Magliaobecehia  no  beschrieben  es  (nach 
J'mtß)  „als  ein  zum  Wohle  der  Kinder  abgehaltenes  Fest",  was  zwar  unbestimmt 
lautet,  aber  das  ganze  Wohl  des  Kindes  umschließt,  und  also  im  Grunde  richtig  sein  dürfte 
(Vgl.  Preuß,  ...  e„  II,  S.  490.1 

-')  Auch  in   Mexiko  ^alt  diese  zeremonielle  Haarschnr  als  segensreich  (Preuß)- 
,    Llso    Gottheiten    der    Fruchtbarkeit.     Nach  Preuß   beweist    der  Name  Näsisa,    d.h. 
Mais,  für  die   Erd-  und  -Mondgöttin  des  Cora- Festes,  daß  die  Zeremonien  bei  dem  letzteren 
nglich  in   Verbindung  mit  einem  Feste  der  Maisgöttin  standen  (op.  c.  II.  511). 
4i   Preuß  weist  hier  auf  die  Enthaltung  der  jetzigen  Cora  vom  Salz,  als   Parallele,  hin. 
Vgl.    das    von  Bancroft    als  Fest   der    Mutter   der  Götter  Teteionau    oder  Toei 
ichnete   Fesl   in   Bd.  I.  S.  L05 f.,  sowie  die  Rolle  der  Toci  (Maismutter)  nach  Preuß  in 
Bd.  II.   S.  167;   ferner  das  Kitzen  der  Geschlechtsteile  im  alten  Mexiko  II,  214t.;  sowie  II.  L86. 
*)   Vgl.  Bd.  II,  215.    Die  Totonaken  waren  meines  Wissens  von  der  mexikanischen  Ku'tur 
stark  beeinflußt. 


§  319.     Götterkult.  583 

des  Blutes  aus  dem  Penis  auch  der  Erwachsenen  in  Mexiko  und  Nicaragua 
das  Blut  auf  Mais  gesprengt,  und  dieser  hierauf  unter  großer  Feierlichkeit 
verteilt  und  gegessen  wurde,  wie  Squier  schreibt1);  wenn  ferner  die  Erwachsenen 
am  Fest  des  „großen  Wachen"',  das  sich  aus  Ohren  und  Waden  gezogene  Blut 
„opferten"2)  usw.,  dann  scheint  eben  doch  das  Blut,  ein  Bild  des  Lebens,  wirklich 
als  Opfer  im  engereu  oder  weiteren3)  Sinn  der  Gottheit  dargebracht  worden  zu 
sein,  abgesehen  davon,  daß  die  Operation  des  zeremoniellen  Blutentziehens 
mit  scharfen  Instrumenten  von  der  des  Aussaugens  eines  Krankheitserregers 
wie  dies  von  Preuß  bei  den  Cora  geschildert  worden  ist  und  bei  so  vielen 
Völkern  vor  sich  geht,  stark  abweicht. 

Die  Frage  nach  dem  Grunde,  warum  gerade  von  den  beiden  altmexika- 
nischen Festen  des  kleinen  und  großen  Wachens  (die  doch  von  Sahagun  als 
Vegetationsfeste,  geschildert  wurden)  die  Bluteutziehungen  so  allgemein 
vorgenommen  wurden,  kann  vielleicht  dahin  beantwortet  werden,  daß  die 
Gottheit  der  Fruchtbarkeit,  oder  vielmehr  die  apotheosierte  Fruchtbarkeit 
selbst,  heiße  sie  nun  Maisgöttin,  oder  Uitzilipochtli,  oder  wie  immer  sie  wolle, 
durch  das  Blut,  das  Zeichen  des  Lebens,  aller  ihrer  Gläubigen  bewogen  werden 
sollte.  Land  und  Volk  zu  segnen,  d.  h.  ihnen  Wachstum,  Gedeihen  und  Frucht- 
barkeit zu  verleihen.  — 

Die  Zeremonien  des  Festes  des  Erwachens,  der  heutigen  Cora  werden 
nach  Preuß  einzeln  auch  von  den  Kindern  der  heutigen  Mexicano  und 
Huichol,  Nachbarn  der  Cora,  größtenteils  im  Anschluß  an  Feste,  ausgeführt. 
Ausgenommen  sei  bei  den  Mexicano  das  Haarschneiden,  und  bei  den  Huichol 
die  Schlafheilung. 

Bei  denCoras  nehmen  die  Kinder  auch  an  den  anderen  religiösen  Festen 
aktiven  Anteil.  Sowohl  an  gewissen  Kirchenfesten  der  getauften,  innerlich 
jedoch  noch  heidnischen,  als  auch  an  gewissen  Festen  der  noch  ungetauften 
Coras  tanzt  ein  3 — 10  jähriges  Mädchen  als  Erdmutter  mit  Tänzern,  die  mit 
einer  vierzinkigen  Palma,  einer  Rassel  und  einer  hohen  Federkrone  ausgestattet 
sind.  Sie  stellen  Wolkengottheiten  dar,  welche  Regen  bringen  sollen,  weshalb 
sie  besonders  an  den  Festen  im  Juni,  vor  der  Regen-  und  Saatzeit,  tanzen. 
Am  Saatfest  selbst  blasen  die  „Alten  und  Denker-'  dem  kleinen  Mädchen, 
welchem  die  Rolle  der  Erd-  und  Mondgöttin  übertragen  ist,  den  Tabaksqualm 
ihrer  Pfeifen  ins  Gesicht,  damit  reichliche  Feuchtigkeit  aus  der  Nase  und  dem 
Mund  des  Kindes  fließe,  die  sich  in  Nebel  und  Wolken  verwandeln  soll*) 
{Preuß).  —  Es  handelt  sich  also  auch  hier  wieder  um  einen  Fruchtbar- 
keitskult. 

Um  die  österliche  Zeit  herum  tritt  bei  den  Cora  Christus,  den  sie  mit 
dem  Morgenstern,  also  dem  Sohn  der  Sonne,  identifizieren,  in  den  Vordergrund 
ihrer  Festspiele.     Wie  gewöhnlich,  so   stellen  sie  den  Morgenstern  auch  bei 


i)  Vgl.  Bd.  II,  S.  215. 

')  Preuß,  510.  —  Vgl.  die  Blutentziehung  der  Insel-Karaiben  als  Vorbereitung  zum 
Priestertum  w.  u. 

3)  Als  Opfer  im  weiteren  Sinn  verstehe  ich  jede  religiöse  Handlung,  welche  mit 
Selbstüberwindung  verbunden  ist.  —  In  dem  historischen  Roman  „Hadassa"  von  E.  L.  Collins 
(D.  Übers,  von  J.  Nemo)  zieht  die  nubische  Sklavin  Tais,  welche  als  kleines  Kind  nach 
Ägypten  gebracht  worden  war,  dort  die  Gottheiten  dieses  Landes.  Sarapis  und  Seth.  anbetet 
und  deren  Namen  und  Symbole  auf  ihren  Körper  eingebrannt  trägt,  einen  scharfen  Pfriem 
aus  einem  Säckeken,  das  sie  bei  sich  trägt,  stößt  ihn  in  ihre  linke  Brust,  benetzt  mit  dem 
hervorspritzenden  Blut  zwei  Finger  ihrer  rechten  Hand  und  zeichnet  sich  damit  das  ge- 
heimnisvolle Symbol  ihres  Gottes  auf  die  Stirne  (Feuilleton  der  „Schles.  Volksztg." 
27.  März  1912).  —  Es  wäre  interessant  zu  wissen,  ob  Collins  sich  hier  auf  geschichtliche 
Tatsachen  stützte,  und  wenn  ja.  welche  Quelle  er  benutzte.  Nicht  nur  die  Entziehung  des 
Blutes,  sondern  auch  dessen  teilweise  Verwendung,  erinnert  an  Mexiko. 

*)  Über  den  Mythus  der  Cora  von  der  Verwandlung  kleiuer  Kinder  in  Wolken  und 
Wolkengötter  siehe  Bd.  I.  597. 


584 


Kapitel  XLVIII.     Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes. 


dieser  Gelegenheit  als  kleinen  Knaben  dar.  Christus  muß  als  solcher  seiner 
Mutter  entlaufen  sein,  wird  von  Soldaten,  auch  „judios"  (Juden)  genannt,  durch 
das  ganze  Dorf  verfolgt  und  an  jedem  Dorfkreuz  gekreuzigt,  während  ihn 
seine  Mutter  als  „Mondgöttin"  sucht.  — 

Endlich  sei  hier  noch  zweier  religiöser  Feste  der  Huichol,  wiederum 
nach  Preufi,  gedacht,  an  welchen  die  Kinder  teilnahmen.  Es  sind  dies  das 
„Fest  der  jungen  Kürbisse"  und  das  „Fest  der  Felderreinigung-'.  Am  ersteren 
stellen  die  festlich  gekleideten  Kinder  junge  Kürbisse  dar,  die  eine  Reise  in 
den  Himmel  unternehmen,  um  sich  den  Göttern  vorzustellen  (Fig.  433). 

Die  religiöse  Erziehung  der  Jugend  bei  den  alten  Kulturvölkern  Amerikas 
wurde  schon  in  einem  früheren  Kapitel  gestreift.  Hier  möge  weiteres  folgen: 
Viele  Mädchen  wurden  im  alten  Mexiko  von  ihren  Eltern  schon  von  Geburt 
an  für  das  Priestertuin  bestimmt.     Hatte  das  Kind  den  40.  Tag  seines  Lebens 

erreicht,  dann  trug  der  Vater  es 
in  den  Tempel  und  stellte  es.  mit 
einem  Weihrauchfaiä  und  einem 
Besen  in  den  Händchen,  einem 
Priester  niederer  Ordnung  (Teo 
pixpui)  vor.  Dieser  nahm  die  Sym- 
bole des  späteren  Berufes  desKindes 
an  und  weihte  sie.  Das  wieder- 
holte sich  jeden  Monat.  Sobald  die 
Kleine  gehen  konnte,  brachte  sie 
selbst  dem  Priester  Weihrauehfaß, 
Besen  und  einige  Geschenke.  Mit 
fünf  Jahren  kam  sie  in  das  mit 
dem  Tempel  verbundene  Seminar 
(Kloster). 

Nach  Bcoicroft  schieden  sich 
die  mexikanischen  Kloster  Jung- 
frauen in  zwei  Klassen  aus.  Die 
einen  legten  das  Gelübde  lebens- 
länglicher Jungfrauschal't  ab  und 
blieben  lebenslänglich  im  Kloster; 
die  andern  nur  auf  1—4  Jahre. 
Gelübde  der  letztern  Art  wurden 
gemacht,  um  von  einer  Krankheit 
zu  genesen,  oder  um  einen  braven 
Mann  zu  bekommen. 
Dapper  erwähnte  für  die  Stadt  Mexiko  zwei  übereinanderstehende 
Häuser  (?)  auf  einem  großen  viereckigen  Platz,  von  denen  das  eine  voll  Mönche, 
das  andere  voll  Nonnen  gewesen  sei.  Die  letzteren,  von  Dapper  „Jungfrauen" 
genannt,  waren  jedoch  erst  12 — 13  Jahre  alt,  gehörten  demnach  nicht  zur 
ersten  der  erwähnten  zwei  Klassen.  Man  nannte  sie  „Töchter  der  Buße". 
Sie  standen  unter  einer  Oberin  (nach  Baiicroft  unter  ernsten  Matronen,  also 
unter  mehreren  älteren  Frauen).  Man  hieß  sie  Cihuatlainacasque  ( Diakonissinnen?) 
oder  Cihuaquaquilli  (Pflanzenesserinnen).  Beim  Eintritt  in  das  Kloster  wurden 
ihnen  die  Haare  abgeschnitten.  —  Sie  reinigten  und  schmückten  den  Tempel 
und  bereiteten  aus  den  eingesammelten  Armensteuern  (?)  die  Priester-  und 
Götterspeisen:  Kleine  Kuchen  in  Hand-  und  Fußform,  gedrehte  Bretzeln1) 
oder  Krengeln  und  eigentümliche  Zuspeisen.    Zur  Ausschmückung  des  Tempels 


Fig 


Hui chol- Kinder  am  Feste  der  jungen  Kürbisse. 
Sa.  Barbara.  Preu/J  phot. 


Kapitel 


')  Die  Auffassung  der  Bretzel  als  Bild  der  Sonne  (nach  Ploß)  siehe  in  einem  Irin    ich 


§  319.     Götterkult. 


585 


stickten  sie  Tücher  {Dapper).  —  Nachts  stand  ein  Teil  dieser  Jungfrauen  zwei 
Stunden  vor  Mitternacht  auf,  andere  um  Mitternacht  und  wieder  andere  beim 
Morgendämmern,  spielten  auf  Flöten  und  Muschel-Hörnern,  sangen  traurige 
Weisen,  geißelten  sich  bis  aufs  Blut,  zerstachen  und  ritzten  sich  den  obersten 
Teil  der  Ohren  und  bestrichen  sich  mit  diesem  Blut  das  Gesicht ').  Ferner 
schürten  sie  das  ewige  Feuer,  legten  Weirauch  in  den  Gefäßen  nach  und 
beräucherten  die  Götterbilder.  —  Zu  diesen  Kulthandlungen  zogen  sie,  von 
einer  Matrone  angeführt,  mit  gesenktem  Blick  prozessionsweise  auf  einer 
Seite  des  Tempels  dahin,  während  die  Prozession  der  Priester  die  andere 
Seite  abschritt.  Beide  Eeihen  trafen  am  Altar  zusammen.  Nach  der  Hand- 
lung kehrten  die  Jungfrauen  in  der  gleichen  Ordnung,  wie  sie  gekommen 
waren,  in  ihren  gemeinsamen  Schlafraum  zurück.  -  -  Das  Backen  der  Opfer- 


Fig.  434.    Huichol-Familien  vom   Rancho  los  Bancos  reinigen  am  Morgen  des  Festes   der  Felder- 
reinigung, beim  Kerzenschein,  die  KUrbisschalen  der  Götter.    rreu/J  phot. 


brote  fand  in  der  Frühe  statt,  worauf  diese,  noch  wann,  in  den  Tempel  gelegt,, 
von  den  Priestern  geopfert  und  hierauf,  zum  Teil,  von  diesen  verzehrt  wurden. 

Bei  ihren  Arbeiten  im  Tempel  benahmen  sich  die  Jungfrauen  möglichst 
ehrerbietig.  So  vermieden  sie  es  z.  B.  sorgfältig,  beim  Kehren  den  Götter- 
bildern den  Rücken  zuzuwenden  (Bancroft). 

Geschlechtliche  Enthaltung  war  während  ihres  Aufenthaltes  im  Kloster 
strenge  Pflicht.  Schon  das  geringste  Vergehen  wurde  mit  einem  „abscheulichen" 
Tod  bestraft,  schreibt  Dapper.  Man  glaubte,  solche  Vergehen  dadurch  zu 
erkenuen,  daß  eine  Ratte  durch  das  Zimmer  (?)  der  betreffenden  Mädchen 
lief,  oder  eine  Fledermaus  durchflog,  oder  ein  (von  einer  Ratte  oder  Maus) 
zernagtes  Tuch  dort  gefunden  wurde;  denn  man  hielt  dafür,  daß  diese  Tiere 
unrein  seien  und  einen  heiligen  Ort  nur  besuchten,  wenn  er  durch  Unkeusch- 
heit  entweiht  sei  (Dapper), 


')  Hier   haben   wir  es  also  offenbar  mit  einem  religiösen  Akt  der  „Töchter  der  Buße" 
zu  tun.  der  häutig,  vielleicht  jede  Nacht,  vorkam. 


586  Kapitel  XLVIII.     Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes. 

War  eine  Jungfrau  so  unglücklich,  ihrem  Keuschheitsgelübde  tatsäch- 
lich untreu  zu  werden,  dann  verdoppelte  sie  ihr  Fasten  und  andere  Buß- 
übungen, in  der  Hoffnung,  dadurch  die  Götter  zu  besänftigen,  daß  sie  ihre 
Schande  nicht  aufkommen  und  ihr  Fleisch  nicht  faulen  lassen  möchten. 

Die  Kost  war  sehr  mager.  Festtage  ausgenommen,  bekamen  die  Jung- 
frauen nie  Fleisch,  und  nie  gab  es  mehr  als  zwei  Mahlzeiten:  Eine  mittags, 
die  andere  abends. 

War  die  gelobte  Frist  abgelaufen,  bzw.  die  Mädchen  heiratsfähig  geworden, 
dann  suchten  die  Eltern  für  ihre  Töchter  passende  Ehemänner,  bereiteten  zur  Hoch- 
zeit vor  und  begaben  sich  mit  Wachteln,  Kopalharz,  Blumen,  mitParfümerien  ge- 
füllten Bohren  und  einem  Weihrauchgefäß  zum  Kloster.  Hier  wusch  sich  ihre 
Tochter  das  blutbestrichene  Gesicht  mit  Wasser  in  einem  bereitstehenden  großen 
Becken  ab,  hüllte  sich  in  ein  neues  Gewand  und  begleitete  ihre  Eltern  in  den 
Tempel.  Da  lagen  bereits  die  mitgebrachten  Geschenke,  sowie  verschiedene 
Fleischgerichte  und  Backwerk  auf  dem  Altar;  die  Eltern  hielten  an  den  Ober- 
priester (Tequaquilli)  eine  Ansprache  und  nahmen  hierauf  ihre  Tochter  heim 
(Bancroft). 

In  dem  Haus  über  den  Jungfrauen  lebten  auf  je  ein  Jahr  18 — 20  Jüng- 
linge mit  „Mönchsplatten"  und  einem  geflochtenen  Zopf  über  den  Bücken 
herab  in  strenger  Armut  und  Keuschheit.  Ihrer  Obhut  waren  die  Priester- 
kleider, die  Bauchfässer  und  der  Topf  für  das  ewige  Feuer  vor  der  „Götzen- 
höhe" des  Huitzilipochtli,  anvertraut.  Ihnen  unterstanden  unmündige  Knaben1), 
welche  im  Tempel  Blumen  und  Kräuter  streuten,  den  Priestern  Handwasser 
reichten  und  ihnen  die  Instrumente  schärften,  mit  welchen  die  Priester  sich 
um  Mitternacht  Blut  aus  den  Beinen  zapften.  Die  Knaben  (und  ?  Jünglinge) 
zogen  sich  Blut  aus  den  Lippen,  mit  dem  sie  sich,  wie  die  Jungfrauen,  die 
beiden  Gesichtsseiten  von  den  Schläfen  bis  unter  die  Ohren  bestrichen"2), 
bewachten  abwechselnd  das  ewige  Feuer,  und  gingen  zu  je  vier  oder  sechs 
zum  Sammeln  der  Armensteuer  aus.  Vor  Frauen  mußten  sie  die  Augen  nieder- 
schlagen. —  Ihre  Kleider  seien  netzartig  gewesen. 

Diese  Knaben  hatten  ferner  die  Pflicht,  Spinnen,  Baupen,  Salamander, 
Nattern,  Skorpionen  und  Kröten  zu  sammeln.  Diese  wurden  dann  im  Topf 
■des  ewigen  Feuers  vor  der  Götzenhöhe  des  Uitzilipochtli  gebraten  und  in 
Mörsern  mit  Tabak,  lebendigen  Skorpionen,  Raupen,  „schwarzhaarigen  Würmern", 
schwarzer  Farbe  und  Ololuchqui-Samen  zerstoßen,  hierauf  geknetet  und  zur 
Heiligung  vor  Uitzilipochtli  gesetzt.  Diese  Salbe  teilten  dann  die  Priester 
den  Kranken  aus,  damit  diese  genasen;  auch  beschmierten  sich  die  Priester 
damit  selbst  zur  Steigerung  des  Mutes  {Dajyper). 

Aber  nicht  nur  in  den  Klöstern,  bzw.  Erziehungsanstalten,  sondern  auch 
daheim  wurde  die  Jugend  zum  religiösen  Leben  angeleitet.  Oft  führten  die 
Kitern  ihre  Kinder  in  die  Tempel  und  ließen  sie  dem  Gottesdienste 
beiwohnen.  — 

Bemerkenswert  für  den  raschen  Umschwung  und  gleichzeitigen  religiösen 
Fanatismus  der  altmexikanischen  Jugend  dünkt  mir  die  Mitteilung  Torquemadas, 
daß  schon  im  ersten  Jahre  der  Einführung  des  Christentums  Söhne  vornehmer 
Mexikaner  in  Tlaxcalla  einen  Priester  zu  Tode  steinigten,  weil  dieser,  als 
(inti  Ometochtli  (Gott  des  Weines),  das  Volk  öffentlich  aufgefordert  hatte. 
am  alten  Glauben  festzuhalten.  — 


1 1   Ks  sind  hier  wohl  jene  gemeint,  deren  sexueller  Mißbrauch  in  §  309  erwähnt  worden  ist. 

-')  Die  blutigen  Gesichter  scheinen  die  jungen  Leute  beider  Geschlechter  unter  Tugs 
herumgetragen,  erst  immer  abends  in  der  Dunkelheit  in  einem  heiligen  Wasser  abgewüs.  ien 
zu  haben. 


§  320.     Islam.  587 

Die  Mayas  widmeten  die  erste  Handarbeit  ihrer  Kinder  den  Göttern. 
Mit  sieben  Jahren  wurden  die  Kleinen  von  ihrem  Vater  zum  Priester  geführt, 
der  ihnen  ihre  Zukunft  voraussagte  und  ihnen  zeigte,  wie  man  dem  Körper 
Blut  entzog1).  Auch  in  andere  religiöse  Übungen  führte  der  Priester  sie  ein.  - 
Priestersöhne  und  Prinzen,  bei  denen  man  eine  Neigung  zum  Priestertum 
wahrzunehmen  meinte,  wurden  schon  als  Kinder  auf  dieses  vorbereitet  (Le 
Plongeon,  nach  Lancia). 

In  den  „Häusern  der  Auserlesenen"  in  Peru  mußten  zahlreiche  Mädchen 
schon  vor  ihrem  8.  Lebensjahr  ihr  klösterliches  Leben  beginnen.  Niemand 
durfte  den  Aufsehern  dieser  Häuser  eine  Tochter  versagen,  wenn  sie  sie  ver- 
langten. Wie  in  den  mexikanischen  Klöstern,  so  schieden  sich  auch  in  den 
peruanischen  die  Mädchen,  bzw.  Jungfrauen,  in  zwei  Klassen  aus,  hier  aber, 
wie  Dapper  schreibt,  in  „Hausfrauen  der  Sonne"  und  in  „Dienstmägde  der 
Sonne".  Einige  mußten  mit  14  Jahren  lebenslängliche  Jungfrauschaft  geloben. 
Auf  dem  Bruch  dieses  Gelöbnisses  stand  die  gleiche  Strafe  wie  im  alten  Rom, 
d.  h.  die  Gefallene  wurde  lebendig  begraben.  Von  den  übrigen  Klosterjung- 
frauen kamen  viele  als  Dienerinnen  an  den  Hof  der  Inkas,  und  viele  wurden 
den  Höflingen  zur  Ehe  gegeben.  —  Die  „Hausfrauen  der  Sonne"  trugen  hell- 
glänzende gestickte  Röcke.  Ihnen  kam  die  Ausschmückung  der  Tempel  zu, 
während  die  ..Dienstmägde  der  Sonne"  die  Mauern  und  den  Fußboden  des 
Tempels  rein  zu  halten  hatten. 

Blutentziehungen  waren  auch  bei  den  Inselkaraiben  üblich.  Ehe  diese 
ihre  Söhne,  welche  sie  für  das  Priestertum  bestimmt  hatten,  dem  Zauberer 
übergaben,  zapften  sie  ihnen  Blut  aus  allen  Gliedern.  Solche  Knaben  mußten 
sich  von  frühester  Jugend  an  gewisser  Speisen  enthalten  (Dapper).  — 

§  3>0.     Islam. 

Der  Muselmann  hat  nach  der  Vorschrift  des  Propheten  dafür  zu  sorgen, 
daß  seine  Kinder,  wenn  sie  sieben  Jahre  alt  geworden  sind,  beten;  zehnjährige 
sollen,  wenn  sie  das  Beten  unterlassen,  gestraft  werden.  Nach  Lame,  der  an  diese 
Vorschrift  erinnert,  gibt  es  jedoch  in  Ägypten  wenig  Araber,  welche  vor 
Eintritt  ins  Mannesalter  beten.  —  Weniger  noch  kümmert  man  sich  um  das 
religiöse  Leben  des  weiblichen  Geschlechtes.  Nur  einige  reiche  Männer  lassen 
täglich  eine  Lehrerin  (Shey'khah)  in  den  Harem  kommen,  damit  diese  ihre 
Töchter  und  Sklavenmädchen  beten  lehre  und  einige  Kapitel  aus  dem  Koran 
hersagen  lasse.  Zum  Selbstlesen  des  Koran  kommt  es  bei  den  Mädchen  sehr 
selten.  Von  solchen  Ausnahmen  abgesehen,  waren  zu  Lanes  Zeit  die  musel- 
manischen Araberinnen  aller  Stände  Ägyptens  in  einer  so  hochgradigen  reli- 
giösen Unwissenheit,  daß  sie  nicht  einmal  beten  konnten.  Die  Söhne  lernten 
die  rituellen  Waschungen  und  andere  religiöse  Übungen  gewöhnlich  von  ihrem 
Vater. 

Bessere  Erfahrungen  will  in  dieser  Hinsicht  Renzo  Manzoni  in  El 
Temen  gemacht  haben,  wo  das  Araberkind  schon  im  Harem  zur  Ehrfurcht 
vor  Gott  erzogen  werde. 

Was  dem  muselmanischen  Religionsunterricht  an  Tiefe  abgeht,  sucht  er 
duich  Fanatismus  zu  ergänzen.  Der  Haß  gegen  Andersgläubige  tritt  ja  be- 
kanntlich bei  den  Muselmanen  besonders  stark  hervor.  Er  wurde  früher,  wohl 
noch   mehr   als   in  der  Gegenwart,  besonders  durch  gewisse  Feste  geschürt. 

Ein  solches  Fest  war,  bzw.  ist,  bei  der  Sekte  der  Schiiten  die  Ge- 
dächtnisfeier auf  die  Ermordung  Alis  mit  Familie.     In  Astrachan  durchzogen 


')  Demnach  war  Blutentziehung  auch  bei  den  Mayas  üblich  und  eine  religiöse  Hand- 
lung.    Der  Beleg  für  diese  Mitteilung  ist  mir  jedoch  abhanden  gekommen. 


588  Kapitel  XL  VIII.     Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes. 

früher1)  an  diesem  Tag  die  Priester  unter  Anrufung  Alis,  schreiend,  und  mit 
gezückten  Dolchen,  die  Straßen.  Alis  jüngste  Enkelin  wurde  bei  diesen  Um- 
zügen durch  einen  als  Mädchen  gekleideten  Knaben  dargestellt.  In  Weiß 
gehüllt  und  mit  Blut  besprengt,  saß  das  Kind  auf  einem  mit  Blut  besprengten 
weißen  Boß.  —  Bei  der  Schlußszene  dieses  Festes,  der  Selbstgeißelung  in  der 
Moschee,  kauert  ein  weißgekleideter  Knabe  unter  den  an  Stangen  aufgesteckten 
blutigen  Händen  Alis  und  liest  mit  herzzerreißender  Stimme  die  Beschreibung 
der  Marter  Alis  vor.  um  den  Fanatismus  der  älteren  Stammesbrüder  anzufeuern. 
während  diese  sitzend,  oder,  mit  der  linken  Hand  am  Gürtel,  sich  langsam  im 
Kreise  drehend,  unter  Anrufung  Alis  sich  mit  der  Rechten  auf  die  entblößte 
linke  Brust  schlagen,  daß  es  oft  weit  über  die  Moschee  hinaus,  in  den  Straßen 
hörbar  ist  {Alfred  Christoph). 

Ein  Gemisch  von  muselmanischen  und  heidnischen  Bräuchen  haben  wir 
wohl  in  dem  großen,  alljährlich  wiederkehrenden  Opferfest  der  Araber  und 
Berber  in  Marokko,  an  welchem  die  Kinder  regen  Anteil  nehmen,  wie  aus 
Edward   Westermareks  Schilderung  zu  entnehmen  ist: 

Um  sich  für  das  Fest  zu  reinigen,  lassen  sich  die  Knaben  und  Männer 
das  Kopfhaar  schneiden.  Knaben  und  Mädchen  werden  ferner  mit  Henna. 
einem  sowohl  kosmetischen  als  auch  Übel  abwendenden  Mittel,  bestrichen.  Am 
Tage  vor  dem  Fest  gehen  die  Kinder  verschiedener  Stämme  in  ihren  eigenen 
oder  benachbarten  Dörfern  von  Haus  zu  Haus,  von  Zelt  zu  Zelt,  um  singend 
Almosen  zu  sammeln.  Almosengehen  gilt*~ja  neben  mehrfachen  Reinigungs- 
zeremonien gleichfalls  als  Vorbereitung  auf  das  Opferfest.  Die  Bitte  um 
Gaben  lautet  bei  diesen  Umzügen  im  Stamm  der  Uläd  Bu-Äziz:  ..' Arfa.  Arfa, 
gütige  Frau!  0  Herrin  des  Zeltes,  gib  mir  ein  Ei,  ein  Ei,  daß  ich  mein 
Schreibtäfelchen  bemalen  kann;  mein  Schreibtäfelchen  ist  beim  Schreiber;  der 
Schreiber  und  seine  Freunde  werden  sich  im  Paradies  treffen.  O'Aisa  und 
Hlima,  die  ihr  die  Schuld  wegnehmet,  welche  den  Schreibern  geschickt  worden 
war-  (?)-).  —  An  manchen  Orten  findet  diese  Spendensammlung  der  Kinder 
bereits  am  vorletzten  Tag  vor  dem  Opferfeste,  in  Fez  gar  schon  vom  ersten 
Tag  des  Monates  bis  zum  Vorabend  des  Festes,  also  neun  Tage  lang  statt. 
Hier  sind  es  kleine  Mädchen.^  welche  gruppenweis  die  Gaben  sammeln  und 
singen:  „Gesegnete,  gütige  'Ärifa,  gesegnete,  gütige  'Ärifa!  Hallo  Hännnu, 
hallo  Hammu,  sage  deiner  Schwester  oder  deiner  Mutter,  sie  soll  aufstehen 
und  mir  etwas  geben;  sonst  geh  ich  fort.  Ich  gebe  dir  am  Fest  ein  Söhncuen  ') 
mit  einem  Dolch  und  einer  spitzen  roten  Kappe  und  einem  neuen  Steigbügel." 

1  >ie  Mädchen  sind  auf  diesem  Gang  hübsch  gekleidet  und  haben  rot 
geschminkte  Wangen. 

Nach  Abschluß  der  Sammlung  finden  die  Gaben  an  verschiedenen  Orten 
verschiedene  Verwendung.  An  manchen  Orten  werden  sie  von  den  Kindern 
selbst  gemeinsam  verzehrt.  Die  Ait  Säddcn  sind  der  Ansicht,  jeder  Erwachsene, 
welcher  an  diesem  Kinderessen  teilnehme,  erwerbe  sich  ein  Verdienst4!.  — 
An  anderen  Orten  wiederum  verteilen  die  Kinder  die  Gaben  unter  sich,  WO- 

i)  Jetzt  sind  solche  Umzüge  von  der  russischen  Regierung  verboten. 

"-)  .,' Arfa, 'Arfa,  propitious  ladv!     0  mistross  of  thc  tent,  give  nie  an  egg,  an  egg 
I  mav  paint  ray   writing-tablet;  ray  writing-tablet  is  with  the  scribe,  the  scribe  and  his  t'riends 
will  find  (ach  other  in  Paradise.    'O  Aisa  and  Hlima.   who   take   away   the   guilt   which  was 
sent  to  the  scribes."     {Edward  Westermarck  in  „The  Folk-Lore,  XXII.  135.) 

■)  Ans  diesem  Versprechen  sowohl,  als  aus  der  Eiersammlung  und  der  Westemtarckachm 
Schilderung  gewisser;  auf  das  Opferfesl  Folgenden  Maskenbräuche,  sowie  aus  der  Tatsache,  daß 
die  Opfer  für  die  Eheweiber  und  Mütter  gebracht  werden,  ist  vielleicht  der  Schluß  gestattet, 
daß  es  sich  bei  diesem  Opferfest  wiederum  hauptsächlich  um  ein  Fruchtbarkeitsfest  handelt. 

'  Westermarck  bemerkt  dazu,  daß  die  Kinder  nach  Maurischer  Auffassung  halbe 
Heilige  seien,  und  daß  deshalb  Segen  (barakal  auf  den  ihnen  gereichten  Gaben  beruhe.  — 
Vielleicht  haben  wir  in  diesem  geraeinsamen  lassen  den  Kest  eines  Opfermahls  (vgl.  Kap.  WAl 
und   XU  II,. 


§  320.     Islam.  589 

rauf  jedes  seinen  Anteil  mit  nach  Hause  nimmt,  um  ihn  seinen  Eltern  zu 
geben,  oder  für  sich  selbst  zu  benutzen.  —  In  DukkäJa  und  Garbiya  legt 
man  von  dem  von  den  Kindern  gesammelten  Korn  oder  Mehl  und  Salz  etwas 
in  den  Mund  des  Opfertieres,  bevor  dieses  geschlachtet  wird. 

Auch  an  der  Opfermahlzeit  der  Erwachsenen  nehmen  die  Kinder  teil. 
Dabei  sind  gewisse  Vorsichtsmaßregeln  zu  beobachten:  Bei  den  Ait  Wäryägäl 
dürfen  die  Kinder  nichts  vom  Rachen  essen;  auch  sollen  zwei  Knaben  sich  nicht 
in  ein  Auge  des  Opfertieres  teilen,  damit  sie  nicht  Streit  bekommen;  in  Andjra 
wird  der  Schweif  des  Opfertieres1)  getrocknet  und  am  10.  Tag  von  Moharram 
den  Schulknaben  gegeben,  welche  ihn  neben  andern  Eßwaren  in  der  Moschee 
verzehren.  Diese  Gabe  bringt  dem  Geber2)  Überfluß  an  Nahrungsmitteln;  Tor- 
en thaltung  des  Schwanzes  würde  die  Schulknaben  zu  Klagen  veranlassen  und 
die  geizige  Familie  würde  mit  Not  heimgesucht  werden.  —  Bei  denAitYüsi 
gibt  man  neugebornen  Kindern  etwas  von  dem  Fett  der  Augen  des  Opfertieres, 
um  es  gegen  böse  Geister  zu  schützen.  —  Ferner  nehmen  die  Kinder  Anteil 
an  der  auf  das  Opfer  folgenden  Maskerade,  bei  welcher  ein  Knabe  oder  ein 
Mann  sich  in  das  Fell  eines  Opfertieres  hüllt,  und  bei  welcher  obszöne  Ge- 
spräche und  Handlungen  eine  hervorragende  Rolle  spielen.  — 


l)  Tadellose  Widder  gelten  bei  diesem  marokkanischen  Upferfest   als   die  geeignetsten 
Opfertiere. 

!)  Jedes  Familienhaupt  schlachtet  zum  mindesten  ein  Opfertier. 


Kapitel  XL1X. 

Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes. 

§  321.  Ähnlich  den  Kapiteln  über  Mord  und  Aussetzung  des  Kindes1) 
bringt  uns  das  vorliegende  zum  Bewußtsein,  daß  die  Menschheit,  soweit  ihre 
Kultur  zurück  verfolgt  werden  kann,  dem  Stärkeren  unverhältnismäßige 
Konzessionen  gegenüber  dem  Schwächeren  gemacht  hat,  und  es  ist 
gewiß  beachtenswert,  daß  einzelne  Zweige  unserer  eigenen,  iudo-europäischen 
Völkerfamilie  in  dieser  Hinsicht  bis  zum  Äußersten  gegangen  sind:  ij  322  zeigt 
uns  im  alten  arischen  Inder,  im  Kelten  und  im  alten  Römer  Männer,  die  von 
Rechts  wegen  nicht  nur  ihre  Kinder  töten,  aussetzen,  verstoßen,  verkaufen  und 
verschenken  können,  sondern  deren  Söhne  zeitlebens  von  ihnen  abhängen,  und 
die  ebensolange  auf  den  Ervverb  ihrer  Söhne  Anspruch  haben;  Männer,  die 
(in  Rom)  von  Rechts  wegen  in  das  Eheleben  ihrer  Töchter  so  tief  einschneiden, 
daß  diese  aller  Rechte  auf  die  Frucht  ihres  eigenen  Leibes  bar  sind. 

Die  Persönlichkeit  des  Erzeugers  absorbiert  hier  zeitlebens  die  Persön- 
lichkeit des  Erzeugten.  Jener  war  vor  diesem,  der  ihm  zudem  sein  Leben 
verdankt,  ein  doppelter  Rechtsgrund  in  einem  Staatssystem,  welchem  Macht 
das  Höchste  ist. 

In  einer  derberen  Form,  fast  als  Faustrecht  im  eigentlichen  Sinn  des 
Wortes,  drückt  sich  das  Recht  des  Stärkeren  bei  unsern  eigenen  Vorfahren, 
den  alten  Germanen,  aus:  Wenn  noch  klein  und  schwach,  kann  der  Sohn  von 
seinem  Vater  getötet,  verkauft,  ausgesetzt,  gezüchtigt  werden:  wenn  einmal 
stärker  als  sein  Vater,  darf  er  ihn  aussetzen  und  töten  (§  322).  Ganz  Ähn- 
liches finden  wir  bei  Völkern  der  Neuzeit  in  Afrika  und  Amerika  (§§  324  und  329). 

Daß  die  väterliche  Gewalt  des  Vaters  die  Menschenrechte  der  Kinder 
weiblichen  Geschlechtes  noch  mehr  als  jene  männlichen  Geschlechtes 
überwucherte,  brauchte  nach  den  bisherigen  Ausführungen  in  dem  vorliegenden 
Werk  eigentlich  kaum  mehr  angedeutet  zu  werden.  Es  sei  hier  nur  an  die  alten 
Preußen  erinnert  (§  322),  deren  Brauch,  nur  eine  Tochter  zu  Fortptlanzungs- 
zwecken  am  Leben  zu  lassen,  eine  Parallele  zu  dem  schon  früher  erwähnten 
Brauch  der  vorderindischen  Toda  ist. 

Anerkennenswert  ist  die  spartanische  Gerechtigkeit  in  dein  Gesetze, 
daß  nur  jene  Kinder  zur  Unterstützung  ihrer  Eltern  verpflichtel  sind,  welche 
von  diesen  durch  eine  zweckdienliche  Erziehung  zum  Kampf  ums  Dasein  be- 
fähigt wurden.  Aber  durch  die  gesetzmäßige  Tötung  aller  jener  Kinder,  die 
zur  Hoftinino;  auf  materielle  Kraft  und  dem  für  den  Staat  aus  dieser  Kraft 
resultierenden  Nutzen  nicht  berechtigten,  haben  sich  die  Spartaner,  wie  über- 
haupt die  Griechen,  auf  die  gleiche  niedere  Stufe  derMenschenliebe  gesetzt, 
auf  welcher  wir  in  den  Kapiteln  über  Mord  und  Aussetzung  Völker  fanden, 
die  auch  in  materieller  Hinsicht  Barbaren  genannt  werden  können.    Der  hoch- 


')   Vgl.  ferner  Kapitel  IV.  Abschnitt  , Anerkennung  durch  deu  Vater-',  sowie  die  K 
über  Erziehung,   Verlobung  und   Verheiratung. 


§  321.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes.  59 \ 

gradige  ästhetische  Sinn  der  Hellenen  ging  nicht  tief  genug,  um  eine  Schön- 
heit, auch  der  Seele,  in  dem  Sinne  zu  verstehen  und  anzustreben,  welchen 
unsere  Begriffe  von  Selbstaufopferung  für  den  hilfsbedürftigen 
Schwachen  einschließen. 

In  dieser  Hinsicht  standen  die  alt  testamentlichen  Juden  höher  als  die 
Hellenen,  während  die  tiefeinschneidende  Gewalt  des  Juden  in  die  Persönlichkeit 
seiner  erwachsenen  Töchter,  selbst  in  deren  religiöses  Leben  (§  333),  ihn  auf 
eine  Stufe  mit  dem  Hellenen  stellt.  Andererseits  gleicht  das  Verkaufsrecht 
des  alttestamentlichen  Juden  dem  des  alten  Babyloniers  (§  323).  Dieser  durfte, 
wenn  in  Geldnot,  seine  Kinder  auf  vier1),  jener  auf  sechs  Jahre  verkaufen, 
mit  dem  Unterschied  allerdings,  daß  in  Israel  und  Juda  die  Gekauften  nicht 
zu  schweren  Sklavendiensten  herangezogen  werden  durften,  was  in  Babylonien 
der  Fall  war.  Das  Extrem  der  Strafe  ungeratener  Söhne  war  aber 
hier  milder  als  dort,  wenn  lebenslängliche  Verstümmelung  weniger  hart  ist, 
als  der  Verlust  des  Lebens  durch  Steinigung. 

Deutlich  tritt  der  Grundsatz  von  der  Bevorzugung  des  Stärkeren  in  der 
Mosaischen  Bestimmung  über  das  Erstgeburtsrecht  hervor  (§  323).  Als 
Erstling  der  väterlichen  Kraft  wird  der  Erstgeborne  in  Israel  bezeichnet;  auf 
dem  gleichen  Grundsatz  beruht  das  Erstgeburtsrecht  auch  der  Kamtschadalen 
im  nordöstlichen  Sibirien. 

Die  Ausdehnung  der  väterlichen,  zum  Teil  auch  mütterlichen^ 
Gewalt  auf  die  verheirateten  Söhne  finden  wir  außerhalb  der  indo-euro- 
päischen  Völkerfamilie  im  alten  China  und  Korea,  aber  auch  auf  niedereren. 
Kulturstufen,  z.  B.  bei  den  afrikanischen  Soninke  und  den  sibirischen  Burjäten, 
Diese  Autorität  kam,  bzw.  kommt,  gelegentlich  in  scharfer  körperlicher 
Züchtigung  verheirateter  Söhne  zum  Ausdruck  (§§  324,  326  und  328). 

Diesen  Extremen  stehen  andere  gegenüber,  Völker,  deren  heranwachsende 
männliche  Jugend  sich  fast  schon  im  Kindesalter  emanzipieren  kann  und 
es  auch  tut.  Derartige  Beispiele  sind  die  Bubis  auf  Fernando  Pöo  und  die 
deutsch-ostafrikanischen  Wanyamwesi;  ihnen  stehen  in  dieser  Hinsicht  die 
Auin-Buschleute  und  die  früheren  Kap-Hottentotten  (§  324)  nahe. 

Das  V  er  kauf  sr  echt  des  Indo-Europäers  und  des  Semiten  über  seine 
Kinder  hat  bei  vielen  Völkern  Parallelen.  Das  vorliegende  Kapitel  zeigt  es 
uns  in  der  Praxis  bei  Negern,  Melanesiern,  Japanern,  Chinesen,  Thai,  Annamiten, 
Tanguten,  Mongolen  und  Indianern;  unter  den  letztern  verstanden  die  alten 
Mexikaner  dieses  Geschäft  so  gut,  daß  manche  ihre  Sprößlinge  gleich  auf 
mehrere  Generationen  hinaus  verkauften.  Aber  auch  unter  uns  Christen  hat 
gerade  dieser  Mißbrauch  des  Kindes  sich  bis  in  die  neueste  Zeit  herein  erhalten. 

Einen  Ehezwang  auf  die  Kinder,  hauptsächlich  die  Töchter,  sehen  wir 
von  den  Eltern  gleichfalls  bei  vielen  Völkern  der  verschiedensten  Kulturstufen 
ausüben.  Die  Eskimos  stehen  hier  Seite  an  Seite  mit  den  Chinesen  (vgl, 
Kap.  LVI).  Die  Erkenntnis,  daß  der  gereiften  Persönlichkeit,  Mann  oder 
Weib,  in  dieser  Angelegenheit  das  Becht  auf  Selbstentscheidung  zukomme, 
hat  sich  selbst  unter  den  Christenvölkern  nur  langsam  durchgerungen. 

Eine  Verkennung  der  Persönlichkeit  liegt  ferner  in  jenen  Gesetzen, 
bzw.  Bräuchen  verschiedener  Völker,  welche  die  Schuld  der  Väter  nicht  nur 
an  diesen,  sondern  auch  an  deren  Kindern  und  Weibern  strafen.  Hellas,  das 
alte  Mexiko  und  Guatemala,  das  heutige  Korea  und  alle  Völker  mit  dem 
System  der  Blutrache  gehören  hierher.  Die  Blutrache  ist  zugleich  eine 
Pflicht  des  Kindes  gegen  seine  Eltern.  — 


x)  Pietätslose  Söhne  auf  Lebensdauer. 


592  Kapitel  XL1X.     Hechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes. 

Die  Pflicht  des  Kindes,  seine  Eltern  im  Alter  zu  ernähren,  finden 
■wir  im  vorliegenden  Kapitel  bei  verhältnismäßig  wenigen  Völkern  gesetzlich 
festgelegt,  aber  auch  bei  verhältnismäßig  wenigen  ausdrücklich  verneint. 

DasEecht  des  jungen  Kabylen,  seine  eigene  Mutter  zu  verkaufen, 
ist  ebenso  brutal  wie  das  Recht  gewisser  Indianerstämme  in  Oregon  und 
Washington,  ihre  Eltern  zu  ihren  Sklaven  machen  zu  dürfen,  und  das 
Recht  des  Inders,  seine  verwitwete  Mutter  aus  seinem  Hause  zu  jagen.  Ihren 
Höhepunkt  aber  erreicht,  wenn  vielleicht  auch  unbewußt,  die  Brutalität  in 
der  Erhebung  der  Aussetzung  und  Ermordung  des  hilflosen  Vaters  zu 
einem  religiösen  Akt.  wie  es  bei  einzelnen  nordamerikanischen  Stämmen 
der  Fall  ist  (§  329). 

Im  allgemeinen  bietet  uns  das  Kinderrecht  im  vorliegenden  Kapitel 
mehr  Negatives  als  Positives '),  was  das  Kind  selbst  betrifft,  da  die  väterliche 
Gewalt  die  Persönlichkeit  des  Kindes  gewissermaßen  absorbiert.  Allerdings 
entspricht  dieser  Gewalt  bei  manchen  Völkern  auch  die  väterliche  Verantwort- 
lichkeit, wie  es  z.  B.  im  alten  Japan  der  Fall  war.  Aber  diese  Verantwort- 
lichkeit bedeutet  doch  wenig  gegenüber  dem  Recht  des  Vaters,  seine  Töchter 
zur  Prostitution  zu  verkaufen,  oder  seine  Söhne  zu  kastrieren  (Korea). 

Nicht  überall  kommen  jedoch  dem  Vater  so  weitgehende  Befugnisse  über 
sein  und  seines  Weibes  Kinder  zu,  wie  sie  in  dieser  Einleitung  angedeutet 
sind.  Manche  Völker  huldigen  dem  sogenannten  Mutterrecht,  welches 
freilich  bei  verhältnismäßig  vielen  Völkern~eher  Sippenrecht,  weniger,  wie 
Frazer2)  wollte,  „avunculi  potestas"  (Gewalt  des  Oheims)  genannt  werden  sollte. 
Wo  dieses  Familiensystem  in  seiner  ausgeprägtesten  Form  herrscht,  da  hat  der 
Vater  wenig  Recht  auf  seine  und  seines  Weibes  Kinder;  sie  gehören  ihm  gar 
nicht.  Die  Kapitel  L  und  LI  geben  hierfür  Beispiele,  und  auch  das  vorliegende 
streift  dieses  Rechtsverhältnis.  —  Ferner  lernen  wir  in  diesem  Kapitel  Völker 
kennen,  welche  über  die  Zugehörigkeit  des  Kindes  überhaupt  keine  rechtlichen 
Bestimmungen  zu  haben  scheinen,  da  sie  den  Kindern  die  Wahl  überlassen,  ob 
diese  bei  den  Ehescheidungen  ihrer  Eltern  zum  Vater,  oder  zur  Mutter  wollen. 
Entsprechend  verhält  es  sich  bei  Todesfällen.  Die  Kinder  können  zu  den 
Verwandten  des  Vaters,  oder  zu  denen  der  Mutter.  Beispiele  hierfür  sind  die 
Eingebornen  des  deutsch -ostafrikanischen  Kilwa-Bezirkes,  gewisse  Papua- 
Stämme,  die  Kanada-Indianer,  Sioux  und  Chippeway,  während  die  Nordindianer 
und  die  brasilianischen  Botokuden  ihren  verstoßenen  Weibern  alle  Kinder,  die 
Araber,  Kabylen,  Auin-  und  Namibuschleute  keines  überlassen.  Eine  Unter- 
suchung, inwieweit  solche  Bestimmungen  und  Bräuche  mit  der  Auffassung  des 
Kindes  als  Last,  oder  als  Reichtum,  bzw.  mit  den  ökonomischen  Verhältnissen 
der  betreffenden  Völker  zusammenhängen,  wäre  lohnenswert. 

Die  Zugehörigkeit  des  Kindes  bei  Völkern  mit  Promiskuität,  Gruppen- 
ehen und  Polyandrie,  sowie  bei  Völkern  mit  dein  sog.  Mutterrecht  kommt  in 
den  folgenden  zwei  Kapiteln  zur  Sprache.  — 

Bemerkenswert  sind  die  Anläufe  zu  einer  staatlichen  Fürsorge  für 
das  Kind,  welche  das  vorliegende  Kapitel  beispielsweise  schon  im  alten 
Babylonien,  ferner  im  mohammedanischen  Gesetz,  hier  speziell  für  das  Sklaven- 
kind, nachweist,  insofern  diesem,  wenigstens  indirekt,  die  mütterliche  Pflege 
bis  zum  siebenten  Lebensjahr  zugesichert  ist,  was  freilich  nicht  überall  ein- 
gehalten wird,  wie  aus  anderweitigen  Mitteilungen  hervorgeht.  —  §  324  macht 
uns  mit  dem  im  deutsch-ostafrikanischen  Kilwa-Bezirk  herrschenden  Brauch 
bekannt,  daß  die  Sklavenbesitzer  beim  Verkauf  ihrer  Sklaven  Eltern  und 
Kinder  überhaupt  nicht  trennen.  — 


')  Die  Kap,  LI  und  LH  bringen,  mit  dem  Erbrecht  des  Kindes,  Positives, 
*)  Bei  H.  J.  Rose,  Folk-Lore  XXII  (1911),  277f. 


§  322.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Indo-Europäern.  593 

§  322.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Indo-Europäern. 

Die  älteste  Geschichte  zeigt  uns  die  väterliche  Gewalt  in  der  indo- 
germanischen Familie  als  eine  sehr  ausgedehnte.  Der  arische  Inder  konnte 
über  seine  Kinder  unbedingt  verfügen,  sie  verkaufen,  verschenken  oder  ver- 
stoßen. Auch  nach  eingetretener  Volljährigkeit  mit  16  Jahren  blieben  die 
Söhne  von  ihrem  Vater  abhängig  so  lang  er  lebte,  und  ihr  Erwerb  fiel  im 
allgemeinen  ihm  zu  {Jolly  bei  Sehrader).  -  -  Zur  Zeit  einer  Hungersnot,  oder 
zur  hl.  Prostitution  verkauft  der  Inder  heute  noch  seine  Töchter. 

Knaben  hingegen  dürfen  von  ihren  Müttern  nicht  einmal  gezüchtigt 
werden.  —  Ehe  die  britische  Regierung  die  Witwenverbrennung  abschaffte, 
kam  dem  (erstgeborneu?)  Sohn  die  Pflicht  zu,  seiner  verwitweten  Mutter  den 
Scheiterhaufen  anzuzünden  (Hoffmann).  — 

Die  heilige  Stellung  des  Erstgebornen  wurde  in  Kap.  3,  Abschnitt 
„Horoskop"  angedeutet.  — 

Beiden  Brahminen  in  Kumaon,  nördliches  Vorderindien,  gehören 
die  Kinder  der  höheren  Kasten  nicht  von  Geburt  aus  der  Kaste  des  Vaters 
an,  sondern  müssen  erst  durch  eine  besondere  Zeremonie  in  dieselbe  aufgenommen 
werden.  Diese  Zeremonie  besteht,  wie  E.  Schröder  schreibt,  darin,  daß  man 
dem  Kinde  im  Alter  von  etwa  neun  Jahren  ein  Stück  Bindfaden,  über  welches 
ein  alter  Brahmine  betet,  um  den  Hals  hängt.  Der  Vater  des  Kindes  macht 
bei  dieser  Gelegenheit  jenen  Nachbarn,  die  seiner  Kaste  angehören,  Geschenke. 
Vor  der  Aufnahme  in  die  Kaste  des  Vaters  ist  das  Kind  an  keine  Vorschriften 
derselben  gebunden.  — 

Wie  der  Inder,  so  hatte  auch  der  alte  Römer  als  Familienvater  Frauen, 
Kinder,  Knechte  und  Mägde  in  seiner  Hand.  Die  manus  begründete  den 
Familienzusammenhang  (G.  Grupp).  Zwar  galten  die  Kinder  der  sittlichen 
Anschauung  nach  als  personae  liberae,  konnten  aber  nach  Bartseh  trotzdem  aus- 
gesetzt, verkauft  oder  getötet  werden ').  Der  Verkauf  konnte  sich  wiederholen. 
Das  XII-Tafelgesetz  bestimmte,  ein  dreimal  von  seinem  Vater  verkaufter 
Sohn  solle  von  seinem  Vater  frei  sein.  Diesem  fiel  der  Erwerb  seiner  Söhne 
zu.  Ferner  übte  er  das  Ehezwangsrecht  über  seine  Kinder  aus.  Auf  seine 
Töchter  hatte  er,  wenn  diese  eine  Ehe  ohne  manus  eingegangen  hatten,  An- 
spruch auch  noch  als  verheiratet,  d.  h.  er  konnte  eine  solche  Ehe  jeden  Augen- 
blick trennen  und  die  Tochter  zurückverlangen.  Eine  solche  Frau  hatte  auf 
ihre  eigenen  Kinder  gar  keine  Rechte.  In  der  Zeit  vom  prätorischen  Edikt 
bis  auf  Justinian  läßt  sich  aber  nach  Bartsch  eine  stetig  fortschreitende  Rechts- 
entwicklung zugunsten  der  Frauen  und  Kinder  wahrnehmen,  so  daß  die  väter- 
liche Gewalt  im  Justinianischen  Recht  nur  mehr  als  „gefallene  Größe"  erscheint. 
Das  Ehezwangsrecht  wird  zum  Ehekonsens;  durch  das  Institut  der  Emanzi- 
pation wird  die  Unterwürfigkeit  des  Kindes  aufgehoben;  die  Erziehung  wird 
regelmäßig  ein  Recht  des  väterlichen  Großvaters  mit  Ausschluß  beider  Eltern, 
obgleich  diese  tatsächlich  die  Erziehung  stark  beeinflussen.  —  Für  Eheschei- 
dungen stellte  Diocletian  die  Teilung  der  Kinder  nach  Geschlechtern  suppletorisch 
als  Regel  auf;  Justinian  wollte,  wenn  die  Schuld  auf  seifen  des  Mannes  war, 
der  Frau  alle  Kinder  zusprechen.  — 

In  der  ersten  Kaiserzeit  kam  das  Wort  Infant icidium  auf,  d.  h.  Ermordung 
der  Kinder  durch  die  Eltern.  Wenn  eine  Mutter  ihr  Kind  tötete,  so  wurde 
dieses  wohl  für  Mord  angesehen,  aber  sie  wurde  vom  Manne  als  häuslichem 
Richter  bestraft,  bis  durch  Lex  Pompeja  de  parricidiis  eine  solche  Tat  zum 
Infanticidium  erhoben  wurde.     Des  Vaters  selbständiges  Walten  in  der  Familie 


])  Zur  Zeit  der  Könige  scheint  sich  aber  die  Tötung  auf  mißgestaltete,  und  die  Aus- 
setzung auf  Mädchen  und  uneheliche  Kinder  beschränkt  zu  haben.  (Vgl.  die  Kap.  Aussetzung 
und  Kindermord.) 

PI oß -Ren z.  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  38 


594  Kapitel  XLIX.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes. 

wurde  hiermit  beschränkt,  doch  behielt  der  Vater  immerhin  das  Recht,  das 
Neugeborne  durch  die  in  Kapitel  IV  erwähnte  Aufhebung  vom  Boden  an- 
zuerkennen, oder  zu  verstoßen.  —  Ausgesetzte,  von  Privatleuten  aufgenommene 
Kinder  galten  als  Sklaven. 

Wie  die  Germanen,  so  unterschieden  auch  die  Romer  innerhalb  der 
Kindheit  einzelne  Altersperioden.  Bei  noch  unentwickelter  Sprachfähigkeit 
hieß  das  Kind  „infaus"  (qui  fari  non  potest);  dann  wurde  es  zum  redenden 
Kind  (infantia  major)  und  hieß  bis  zum  siebenten  Jahr  ..infantiae  proximus 
qui  fari  potest,  quamvis  actum  rei  non  intelligat";  vom  7.  bis  zum  hinter- 
legten 14.  war  es  „pubertati  proximus".  Ein  Mündiger  hieß  puber.  auch 
adolescens.  — 

Für  das  alte  Hellas  schließt  Sehrader  von  dem  Begriff  osaTOtr,;  (Herr) 
auf  eine  „Fülle  der  Macht,  über  welche  der  Hausherr  einst  auch  in  Hellas 
gebot".  Später  trete,  wenigstens  in  Athen,  die  familienrechtliche  Mündigkeit 
der  Sohne  zwei  Jahre  nach  erfolgter  Mannbarkeit  ein.  Die  Tötung  ver- 
stümmelter und  mißgestalteter  Neugeborner  war  in  Sparta  Gesetz,  in  Athen 
zur  Zeit  des  Aristoteles  gestattet;  Aussetzung  war  ein  vielgeübter  Brauch 
und,  wie  schon  früher  erwähnt  (vgl.  Kap.  IX  und  X),  uur  in  Theben  ver- 
boten. Hier  hatten  völlig  besitzlose  Väter  dafür  das  Recht,  ihre  Kinder  den 
Behörden  zu  bringen,  welche  sie  um  geringen  Preis  an  irgend  jemand  als 
Sklaven  verkauften.  Der  Käufer  mußte  sich  zum  Aufziehen  verpflichten  und 
durfte  sich  durch  die  Sklavendienste  der  Kindes  schadlos  halten  (J.  Bureh 
hardt).  Ausgesetzt  wurden  namentlich  Mädchen,  um  sie  später  nicht  aus- 
statten zu  müssen.  Doch  galt  die  Aussetzung  dann  für  strafbar,  wenn  man 
angefangen  hatte,  sie  aufzuziehen.  -  Gesetzlich  unterschied  man  vier  Klassen 
von  Kindern:  1.  rechtmäßige,  ron  der  Gattin  geborne  ');  2.  unrechtmäßige,  von 
einer  Beischläferin  geborne;  3.  Kinder,  deren  Vater  unbekannt  war.  und 
4.  Adoptivkinder. 

Pflicht  des  Kindes  war  es.  seine  Eltern  zu  ehren,  ihnen  dankbar  zu  sein 
und  sie  im  Alter  zu  unterstützen,  letzteres  aber  nach  den  Gesetzen  Sohns 
nur  dann,  wenn  die  Eltern  dafür  gesorgt  hatten,  daß  ihre  Kinder  etwas 
lernten,  wodurch  sie  sich  fortbringen  konnten.  Mißhandlung  der  Eltern  wurde 
nach  Sohns  Gesetzen  mit  dem  Verlust  der  bürgerlichen  Rechte  (Atimie)  be- 
straft (PnuqumUe).  In  Athen  schützte  übrigens  das  Stäatsgesetz  auch  die 
Kinder  gegen  Übergriffe  der  väterlichen  Gewalt.  Andererseits  dehnte  gerade 
Athen  zur  Zeit  der  Demokratie  die  auf  den  Vater  gelegte  Strafe  der  Atimie  auch 
auf  dessen  Kinder  aus.  damit  diesen  dadurch  das  Recht  zur  Hache  benommen 
würde.  Diese  Verfügung  hatte  zur  Folge,  daß  die  Beklagten  ihre  Kinder  dem 
Gericht  zur  Rührung  vorführten.  Burekhardt  weist  bei  Erwähnung  dieser 
Strafe  auf  Lvsias  or. "XX  pro  Polystrato  (34)  hin:  „Wenn  Einer,  ihr  Richter, 
seine  Kinder'  vorführt  und  weint  und  jammert,  so  sehen  wir,  daß  ihr  mit  den 
Kindern,  wenn  sie  um  seinetwillen  der  Atimie  verfallen  sollen,  Mitleid  habt 
und  um  der  Kinder  willen  das  Vergehen  des  Vaters  vergebt,  von  denen  ihr 
doch  noch  nicht  wißt,  ob  >ie  beim  Heranwachsen  gut  oder  böse  ausfallen 
w  erden." 

Um  ein  richtiges  Verhältnis  zwischen  Eltern  and  Kindern  herzustellen, 
wünschte  Aristoteles,  der  Staat  solle  dafür  sorgen,  daß  die  Bürger  weder  zu 
früh,  noch  zu  spät  heiraten.  Wären  die  Kinder  an  Jahren  zu  sehr  hinter  den 
Vätern  zurück,  dann  genössen  die  Eltern  weder  den  Dank  von  ihren  Kindern, 
no  b    diese   die   rechte  Unterstützung  von   den  Vätern.     Ist  aber  der  Alters* 


>,     \!  ,!,;,„    galten    „in    den    Zeiten    vorgeschrittener    Zivilisation",    wie    Floß 

\„tl.    11    II  I    ieb,  nur   jene  Kinder,   deren  Vater   und   .Mutter   Bürger  des  gleichen 

Staates  waren. 


§  322.     .Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kitides  bei  Indo-Europäern.  595 

unterschied  zu  gering,   dann  fehle  den  Kindern  die  schuldige  Ehrfurcht,   und 
auch  in  der  Vermögensverwaltung  treten  leicht  Mißhelligkeiten  ein.  - 

Ein  viel  schwächeres  Recht  als  die  römische  patria  potestas  war,  nach 
G.  Grupp,  die  germanische  Muntschaft.  Die  Germanen,  schreibt  er, 
dachten  nicht  so  starr  und  schroff  wie  die  Römer,  sondern  stellten  dem  Recht 
die  Pflicht  entgegen,  verbanden  mit  der  Vaterschaft  mehr  den  Begriff  des 
Schutzes,  der  Vogtei,  als  den  der  Gewalt.  Der  Germane  übte  die  Muntschaft 
als  Muntwalt  auch  nur,  solange  er  die  genügende  Kraft  zur  Ausführung  der 
Schutzpflicht  besaß,  während  die  römische  Manus  nicht  von  Kraft  und  Alter 
abhing.  Altersschwache  Greise  fielen  sogar  unter  die  Gewalt  des  kräftigen 
Sohnes,  der  sie  aussetzen  und  töten  konnte.  Doch  fügt  Grupp  einen  Inhalt 
des  Begriffes  „Muntschaft-'  bei,  welcher  diese  der  römischen  patria  potestas 
würdig  zur  Seite  stellt,  d.  h.  auch  die  germanische  Muutschaft  schloß  ursprünglich 
ein  Züchtigungs-,  Verkaufs-  und  Tötungsrecht  ein.  Bartsch  steht  nicht  an,  zu 
behaupten,  die  „frühere"  Annahme,  als  ob  die  Hausgewalt  der  Germanen 
eine  viel  idealere  gewesen  wäre,  als  die  römische,  sei  nichtig.  Der  Mann 
konnte  Weib  und  Kinder  züchtigen,  töten,  verkaufen,  verstoßen  oder,  wie  in 
Norwegen,  verschenken.  Allerdings  seien  auch  hier  die  Sitten  besser  ge- 
wesen, als  die  Gesetze.  —  Schröder  steht  im  wesentlichen  auf  dem  gleichen 
Standpunkte  wie  Bartsch. 

Reste  der  alten  hausherrlichen  Gewalt  erhielten  sich  teilweise  bis  in  das 
christliche,  Mittelalter  hinein.  Noch  in  der  fränkischen  Zeit  unterstanden  die 
Töchter  dem  Heiratszwang  ihres  Vaters.  In  Schweden  hatte  der  Vater  noch 
im  Mittelalter  das  Recht,  seinen  Söhnen  einen  Beruf  aufzuzwingen.  Andererseits 
galt  es  bei  den  schwedischen  Bauern  damals  als  eine  Schande,  Söhne  zu  ..ver- 
leihen-' und  fremdes  Brot  essen  zu  lassen.  Deshalb  behielten  sie  ihre  er- 
wachsenen Söhne  meist  zu  Hause. 

Die  Umgestaltung  des  germanischen  -Familienrecht.es  zum  Besseren  be- 
zeichnete Bartsch  ein  „unstreitiges  Verdienst"  der  christlichen  Kirche,  bemerkt 
aber  hierzu,  auch  Paulus,  Tertullian  und  Basilius  hätten  die  Zwangsehen  der 
Töchter  gebilligt,  und  Kinderverkauf  habe  auch  christlichen  Moralisten  erlaubt 
geschienen1).  —  Nach  deutschem  Recht  waren  Kinder  bei  Hungersnot  noch 
nach  dem  13.  Jahrhundert  verkäuflich.  Übrigens  wies  Ploß  auf  die  häufigen 
Kinderangebote  gegen  Bezahlung  noch  im  19.  Jahrhundert  hin.  Der  „Anzeiger 
zur  Gartenlaube"  habe  z.  B.  im  April  1876  ein  hübsches  Kind  gegen  einmalige 
Zahlung  von  2000  Talern  angeboten,  und  ähnliche  Inserate  seien  um  diese 
Zeit  in  gewissen  Blättern  fast  täglich  zu  lesen  gewesen. 

Die  christliche  Kirche,  welche  der  überwuchernden  Gewaltherrschaft 
des  Vaters  in  seiner  Familie  entgegentrat,  machte  selbstverständlich  auch  dem 
Aussetzungs-  und  Tötungsrecht  der  Söhne  über  ihre  altersschwachen  Väter 
eiu  Ende.  Sie  belegte  aber  auch  jede  andere  pietätlose  Behandlung  der  Eltern 
durch  ihre  Kinder  mit  Kirchenstrafen.  Die  Visitationsakten  der  Diözese 
Bamberg  verlangen  im  Jahre  1708,  „der  Pfarrer  von  Lichtenfels  soll  die 
seit  sechs  Jahren  unterbliebene,  sonst  aber  dort  gebräuchliche  Pfarrsynode 
wieder  aufnehmen  und  fleißig  auf  Kinder  sehen,  die  ihre  Eltern  nicht  in  Ehren 
halten,  und  solle  sie  zur  gebührenden  Strafe  ziehen.  In  Arnstein  sollten  der 
Pfarrsynode  getreulich  angezeigt  werden  „diejenigen  ehr-  und  gottvergessenen 
Kinder,  Söhne  und  Töchter,  die  ihren  Eltern  abscheulich  übers  Maul  fahren, 
schlecht  und  ärgerlich  von  denselben  reden,  ihren  Eltern  den  Tod  wünschen 
oder  wohl  gar,  daß  Gott,  vor  sei,  ihre  Eltern  thäten  stoßen,  raufen  und 
schlagen"  (lÄngg). 


')  Bartsch  weist  hier  auf  Laymann  1,  lib.  111.  Iract.  4,  pors  3,  e.  8,  p.  2  hin. 

38* 


596  Kapitel  XLIX.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes. 

Auch  bei  den  Germanen  beeinflußte  die  Stellung  der  Mutter  zum 
Vater  das  Kinderrecht.  Auf  das  Recht  der  als  illegitim  geltenden  Kinder 
der  Kebsen  kommt  Kapitel  LV  zu  sprechen.  Die  Kinder  polygamer  Ehen, 
welche  besonders  bei  den  Nordgermanen  und  deren  Fürsten,  sowie  bei  den 
fränkischen  Merowingern  nicht  ungewöhnlich  waren,  gelten  als  vollberechtigt, 
weil  man  diese  Ehen  als  rechte  Ehen  ansah. 

Ein  für  das  Fortleben  bestimmtes  Kind  schritt  in  bestimmten  Zeit- 
abschnitten zu  höheren  Rechten  und  Pflichten  empor.  Tom  dritten  bis  zum 
neunten  Jahr  erhöhte  sich  nach  westgotischem  Rechte  alle  drei  Jahre  das 
für  dasselbe  zu  zahlende  Wergeid  um  10  Solidi;  vom  neunten  Jahre  an  mit 
jedem  Jahre  um  ebensoviel  höher.  Das  Delbrücker  Landrecht  macht  gewisse 
Rechtsvorteile  für  das  Kind  davon  abhängig,  ob  es  eine  Lampe  auszublasen 
vermag.  -  -  Vom  siebenten  Jahr  an  werden  die  Knaben  den  Frauen  genommen, 
von  den  Männern  erzogen  und  zum  Lernen  angehalten.  Bis  zum  achten  Jahre 
hat  der  Vater  alle  Handlungen  des  Kindes  zu  verantworten;  vom  achten  Jahre 
an  nimmt  und  büßt  der  Knabe  halbes  Recht.  Kinder  unter  sieben  Jahren 
läßt  die  Volkssage  auf  folgende  Art  prüfen:  Es  wird  ihnen  ein  Apfel  und  ein 
Geldstück  vorgehalten;  greifen  sie  nach  dem  Apfel,  so  kann  ihnen  ihre  Tal 
nicht  vorgeworfen  werden  (Grimm). 

Die  deutschen  Stämme  hatten  verschiedene  Zeiten  für  die  Mündigkeit; 
mit  zehn  Jahren  wurde  bei  den  Angelsachsen  das  Kind  mündig;  ebenso  bei 
den  Westgoten;  mit  zwölf  Jahren  bei  4en  Longobarden,  mit  dreizehn 
Jahren  nach  schwäbischem  Landrecht,  mit  fünfzehn  Jahren  in  Burgund. 
Doch  war  das  nur  die  erste  Stufe.  Der  Knabe  gelangte  hiermit  „zu  seinen 
Jahren"  oder  „zu  seinen  Tagen".  Die  volle  Majorennität  trat  erst  ca.  sechs 
Jahre  später  ein.     Im  schwäbischen  Landrecht  heißt  es: 

„Wann  ein  Mann  komt  zu  aehtzehen  jaren,  so  hat  er  seine  volle  Tage." 

Dagegen  in  Lamhrechts  Alexander: 

„Nun  bin  ich  funfzehen  jar  alt 
Unde  bin  körnen  zo  minen  tagen, 
Das  ich  wol  wafen  mag  tragen." 

Wieder  bei  andern  Stämmen  wurde  der  Jüngling  mit  16,  bzw.  21,  Jahren 
majorenn  (Grimm). 

Die  Ablegung  der  Kindertracht  bestand  bei  den  Germanen  im  Scheren 
der  bis  dahin  freigewachsenen  Haare1).  — 

Die  rechtliche  Stellung  der  Kinder  in  der  altgermanischen  Familie  fand 
nach  Gützinger  ihren  Ausdruck  merkwürdigerweise  sogar  in  der  Eeihenfolge, 
in  welcher  eine  Familie  ausging.  Zuerst  kamen  die  Mädchen,  dann  die  Mutter; 
hinter  ihr  der  Vater.  Die  Söhne,  das  stehende  Heer  des  Hauses,  bildeten 
den  Schluß.    Als  ihr  Waffenmeister  und  Feldherr  schritt  der  Vater  ihnen  voran.  — 

Bei  den  Lettoslawen  finden  wir  eine  ähnliche  Wucherung  der  väter- 
lichen Gewalt  wie  bei  den  Juden,  Römern,  Griechen  und  Germanen.  Im  alten 
Preußen  hatte  der  Vater  unumschränkte  Gewalt  über  seine  Kinder,  die  er 
töten,  aussetzen  oder  verstoßen  konnte.  Meistens  traf  dieses  Schicksal  auch  hier 
die  Mädchen.  Nach  Siegfried  Waldheim  schrieb  Papst  Honorius  III.  in  einer 
Bulle  vom  .lahre  1218,  er  habe  von  der  entsetzlichen  Sitte  der  Preußen  gehört, 
immer  nur  eine  Tochter  zur  Fortpflanzung  am  Leben  zu  lassen. 


'i  l!"Mr  alter  Rechtsbräuche  finden  sich  vielleicht  in  jenen  Sitten,  welche  noch  immer 
hier  und  da,  ■/..  B.  in  der  bayerischen  Oberpfalz,  von  den  Gevattern,  bei  der  Beschaffung 
Kleidung  für  das  heranwachsende  Patenkind,  beobachtet  werden.  Das  kleine  und  das 
große  „Dodegewand"  werden  zu  bestimmten  Zeiten  und  in  gewissen  Altersperioden  übergeben. 
Den  Zeitpunkt,  wo  der  Knabe  aus  der  mütterlichen  Pflege  in  die  höhere  Stufe  der  väterlichen 
Erziehung  eintritt,  bezeichnet  die  Vertauschung  des  bisher  getragenen  Kittels  mit  den  I!  igen 
i  vgl,  Patengeschenke). 


§  323.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Semiten  und  Hamiten  597 

Das  serbische  Recht  war  nach  G.  Milovanovitseh  weniger  rigoros.  Es 
habe  nicht,  wie  das  römische,  germanische  und  russische,  in  den  familien- 
rechtlichen Beziehungen  etwas  gesehen,  was  durch  Zwang  entstanden  und 
durch  Gewalt  aufrecht  erhalten  werden  sollte.  Allein  Milovanovitseh  bemerkt 
auch,  daß  die  Serben  bis  zur  Annahme  des  Christentums  gar  kein  geschriebenes 
Recht  hatten,  und  daß  die  serbische  Rechtswissenschaft  bis  auf  den  heutigen 
Tag  noch  sehr  lückenhaft  sei.  Sicheres  über  das  älteste  Recht  dürfte  deshalb 
kaum  festzustellen  sein.  Soweit  Milovanovitschs  Quellen  zurückreichen,  darf 
der  Serbe  seine  Kinder  weder  als  Sklaven  behandeln,  noch  grundlos  verstoßen, 
verkaufen  oder  töten.  Er  hat  das  Recht  der  Züchtigung  und  Erziehung,  die 
Pflicht  des  Unterhaltes,  der  Vertretung  und  des  Schutzes.  Der  Serbe  hat 
ferner  das  Recht,  seinen  unmündigen  Sohn  (infra  aetatem  legitimam)  nach 
eigenem  Gutdünken  zu  verheiraten  und  seine  unreife  Tochter  (filiam  impuberem) 
ins  Kloster  zu  geben,  ohne  sie  um  ihre  Einwilligung  zu  befragen.  Mündigen 
Söhnen  kann  er  die  Ehe  verbieten,  solange  er  noch  unverheiratete  Töchter 
hat,  und  wie  im  römischen  Recht  die.  Vatergewalt  bis  zu  dessen  Tode  dauert, 
so  auch  im  serbischen.  Nach  dem  Ableben  des  Vaters  werden  die  verheirateten 
und  „geschäftsfähigen"  Söhne  gewaltfrei,  die  minderjährigen  Söhne  und  un- 
verheirateten Töchter  bleiben  in  der  Gewalt  der  Mutter. 

Klosterzwang  seinen  Töchtern  gegenüber  und  Heiratszwang  über  seine 
Kiuder  beider  Geschlechter  hatte,  nach  Milovanovitseh,  auch  der  Russe,  der 
sie  zudem  in  die  Sklaverei  verkaufen  durfte.  Erst  im  Jahre  1500  wurde  ihm 
dieses  letztere  Recht  benommen  (nach  Sergjewitseh). 

Von  den  gallischen  Kelten  schrieb  Caesar:  Viri  in  uxores  sicuti  in 
liberos  vitae  necisque  habent  potestatem.  —  Nach  D'Arbois  standen  hier,  sogut 
wie  im  alten  Rom.  die  Kinder  unter  der  Macht  des  Vaters,  Groß-,  Ur-  oder 
Ururgroßvaters,  solange  einer  von  diesen  lebte,  wenn  er  nicht  durch  Alter  oder 
Krankheit  unfähig  war.  In  Irland  überdauerte  diese  Gewalt  das  christliche 
Mittelalter,  während  sie  bei  den  Galliern  des  Mittelalters  stark  beschränkt, 
d.  h.  der  Sohn  bereits  vom  14.  Lebensjahr  an  für  mündig  erklärt  wurde. 

Kinderverkauf  auf  den  Märkten  erwähnte  Torquemada  von  den  zur 
westlichen  Abteilung  der  indoeuropäischen  Völkerfamilie  gehörigen  Thrakiern. 

Wie  im  alten  Athen  das  Kind  mit  seinem  Vater  der  Strafe  der  Atemie 
verfiel,  so  fällt  es  im  heutigen  Hoch-Albanien  als  ein  Opfer  der  Blutschuld, 
welche  seine  Familie  oder  weitere  Verwandtschaft  auf  sich  geladen  hat.  Im 
allgemeinen,  schreibt  E.  Cozzi,  gilt  es  ja  für  eine  Niedertiächtigkeit,  ein  Kind 
zu  töten,  aber  trotzdem  kommt  es  nicht  selten  vor.  Fälle  dieser  Art  erlebte 
er  selbst,  Die  Kinder  werden  deshalb  von  ihren  Eltern  ermahnt,  niemals  ihren 
Namen  zu  verraten,  wenn  sie  von  irgend  jemanden  darum  befragt  werden, 
ohne  daß  ein  Angehöriges  bei  ihnen  ist,  — ■ 

§  323.    Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Semiten  und  Hamiten. 

Der  Bab.ylonier  hatte,  nach  Hammurabi's  Gesetzbuch,  das  Recht,  seine 
Kinder  samt  deren  Mutter  für  Geld  zu  verkaufen  oder  zur  Zwangsarbeit  hin- 
zugeben, um  einer  Schuldforderung  nachkommen  zu  können;  doch  mußte  der 
Käufer  oder  Fronherr  Mutter  und  Kinder  im  vierten  Jahr  wieder  freigeben.  — 
Bei  unverschuldeter  Verstoßung  der  Gattin  oder  Nebenfrau  gingen  die  Kinder 
mit  ihrer  Mutter;  dem  Vater  blieb  aber  die  Unterhaltungspflicht,  bis  die  Kinder 
aufgezogen  waren.  Der  Vater  hatte  das  Recht,  seinen  Söhnen  Frauen  und 
seinen  Töchtern  Männer  zu  wählen.  Die  Verstoßung  der  Söhne  durfte  nicht 
willkürlich  geschehen.  Vielmehr  mußte  ein  Vater,  der  so  etwas  im  Sinne 
hatte,  seine  Absicht  dem  Richter  mitteilen,  und  dieser  die  Gründe  prüfen. 
Berechtigte   die   Schuld   des  Sohnes   nicht   zur  Verstoßung,   dann   erlaubte   es 


598  Kapitel  XLIX.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes. 

auch  das  Gesetz  nicht.  Selbst  wenn  die  Schuld  eine  genügend  schwere  war, 
verlangte  das  Gesetz  für  das  erste  Mal  Verzeihung  und  gestattete  erst  bei 
einer  Wiederholung  die  Yerstoßung. 

Einem  Sohn,  der  seinen  Vater  schlug,  wurden  die  Hände  abgehauen.  — 

Die  Kinder  einer  freien  Mutter  und  eines  Sklaven  sind  frei.  —  Eine 
Witwe,  Mutter  unerwachsener  Kinder,  darf  nicht  ohne  Wissen  des  Richters 
heiraten.  Der  Richter  prüft  vielmehr  die  Hinterlassenschaft  des  Verstorbenen, 
übergibt  ihr  und  ihrem  zweiten  Manne  das  Haus  des  ersten  zur  Verwaltung 
und  läßt  sich  hierüber  eine  Urkunde  ausstellen.  Beide  müssen  dieses  Haus 
in  Ordnung  erhalten,  die  Kinder  erziehen  und  dürfen  das  Hausgerät  nicht 
verkaufen. 

Nach  den  sogenannten  sumerischen  Familiengesetzen,  welche  Windeier 
als  Anhang  zu  den  Gesetzen  Hamnmrabi's  gibt,  und  welche  „zweifellos"  einer 
noch  älteren  Kulturstufe  als  diese  angehören,  kann  der  Vater  seinen  Sohn 
zum  Sklaven  machen,  als  solchen  markieren  und  für  Geld  verkaufen,  wenn 
dieser  zu  ihm  sagt:  „Du  bist  nicht  mein  Vater.4'  Und  sagt  ein  Sohn  zu  seiner 
Mutter:  „Du  bist  nicht  meine  Mutter",  dann  soll  man  ihm  seine  Marke  schneiden. 
ihn  in  der  Stadt  so  herumführen  und  aus  dem  Hause  vertreiben.  —  Wenn 
ein  Vater  zu  seiuem  Sohne  sagt:  „Du  bist  nicht  mein  Sohn",  so  muß  er  Haus 
und  Hof  verlassen.  Sagt  eine  Mutter  zu  ihrem  Sohne  so,  dann  hat  dieser 
Haus  und  Hausgerät,  d.  h.  den  mütterlichen^Wirkungskreis,  zu  verlassen. 

Der  alttestamentliche  Hebräer  hatte  kein  Recht,  seine  Kinder  aus- 
zusetzen oder  zu  töten,  wohl  aber  zu  verkaufen.  Doch  war  auch  dieses  Recht 
beschränkt,  d.  h.  er  durfte  sie  nur  an  Glaubensgenossen,  nicht  an  fremde  Völker 
verkaufen.  Auch  mußten  die  Gekauften  beider  Geschlechter  nach  sechs  Jahren 
wieder  freigegeben  werden,  wenn  sie  nicht  selbst  zu  bleiben  vorzogen.  1  »ie 
Gekauften  weiblichen  Geschlechtes  sollten  entweder  mit  dem  Käufer,  oder 
mit  dessen  Sohn  verheiratet  werden.  Geschah  weder  das  eine,  noch  das  andere, 
so  sollte  der  Käufer  der  Gekauften  „Unterhalt,  ihre  Bedeckung  und  ihre  Bei- 
wohnung nicht  verweigern.  Und  wenn  er  diese  drei  Dinge  ihr  nicht  tut,  so 
soll  sie  frei  ausgehen  ohne  Geld."  Die  gekaufte  Tochter  Israels  genoß  also 
ungefähr  das  Recht  einer  Konkubine,  die  nicht  mehr  verkauft  werden  darf1). 
ähnlich  der  Konkubine  im  Islam. 

Der  Hebräer  konnte  ferner  die  von  seiner  Tochter  ohne  sein  Wissen 
gemachten  Gelübde  auflösen. 

Das  Ansehen  der  Eltern  den  Kindern  gegenüber  war  unverletzlich.  Un- 
verbesserliche Widersetzlichkeit  galt  als  todeswürdiges  Verbrechen.  ..Wenn 
jemand  einen  widerspenstigen  und  ungehorsamen  Sohn  hat.  der  nicht  hört  auf 
die  Stimme  seines  Vaters,  noch  auf  die  Stimme  seiner  Mutter;  und  haben  sie 
ihn  gezüchtigt;  und  er  dennoch  ihnen  nicht  gehorcht;  so  sollen  ihn  sein  Vater 
und  seine  .Mutter  greifen  und  ihn  führen  zu  den  Ältesten  seiner  Stadt  und 
zu  dem  Thore  seines  Ortes  .  .  .  Dann  sollen  alle  Leute  seiner  Stadt  ihn 
steinigen,  daß  er  sterbe." 

In  Schuldsachen  der  Kitern  hatte  der  Gläubiger  ein  Recht  auf  die  Kinder, 

in  drin  alle  sieben  Jahre  wiederkehrenden  Jubeljahr  mußten  Eltern  und 
Kinder  wieder  freigegeben  werden.  Auch  war  es  gesetzwidrig,  die  Schuldner 
mit  ihren  Kindern  sklavisch  zu  behandeln.  Moses  befahl:  „Und  wenn  dein 
1 '.linier  Indien  dir  verarmt  und  sieh  dir  verkauft;  so  laß  ihn  nicht  srhweren 
Sklavendienst  tun:  wie  ein  Taglöhner,  wie  ein  Beisaß  sei  er  bei  dir."  —  Der 
Erstgeborne    nimmt   bei  Moses  eine   hervorragende  Stellung  unter  seinen  öe- 


')  Man  ersieht  hieraus  die  verhältnismäßig  tiefe  Stufe,  auf  welcher  die  Keuschheit,  b«w. 
Ehe,  sogar  des  auserwählten  Volkes  stand. 


§  32a.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Semiten  und  Hamiten.  599 

schwistern  ein.  Ihm  kommt  das  Doppelte  von  dem  zu,  was  sein  Bruder 
erhält,  weil  er  der  Erstling  der  väterlichen  Kraft  ist.  — 

Vor  Mohammed  gehörte  in  Arabien  der  Sohn  dem  Manne  der  Mutter, 
ohne  Rücksicht  auf  physische  Vaterschaft.  Heiratete  also  eine  Schwangere, 
so  gehörte  das  Kind  nicht  dem  Manne,  von  dem  sie  es  empfangen  hatte, 
sondern  dem.  der  sie  unterdessen  geehelicht  hatte.  Das  Gesetz  Mohammeds 
aber  verbietet  die  Wiederverheiratung  einer  Schwangeren  vor  ihrer  Entbindung 
und  hält  an  dem  Grundsatze  fest:  Das  Kind  gehört  zum  Bett,  Ferner  wurden 
im  vormohammedanischen  Arabien  kleine  Kinder,  welche  ein  Weib  ihrem 
neuen  Manne  mitbrachte,  oft  dem  stamme  des  letzteren  einverleibt.  Das  war 
die  Regel,  wenn  diese  Kinder  nicht  einer  vorhergehenden  ba  äl-Ehe,  d.h.  einer 
Ehe  entsprungen  waren,  welche  das  ^"eib  dem  Mann  (ba  äl-Herr,  Eigen- 
tümer) zum  Eigentum  machte.  In  dieser  Eheform  hatte  der  Mann  auch  das 
Recht,  sein  Weib  zeitweilig  einem  andern  Manne  zu  geben  und  die  aus  solchen 
Verbindungen  entsprossenen  Kinder  entweder  für  sich  in  Anspruch  zu  nehmen, 
oder   diesem  Manne   zu   überlassen.  Die  Zugehörigkeit  der  Kinder  wurde 

übrigens  mitunter  auch  durch  das  Recht  des  Stärkeren  bestimmt.  Einen 
derartigen  Fall  führt  Robertson-Smith  an:  Jil,  Sohn  des  Lojaim,  hatte  eine 
Schwangere  mit  Zustimmung  ihres  vorigen  Mannes  geheiratet  und  diesem  das 
Versprechen  gegeben,  er  werde  das  Kind  aufziehen  und  es  dann  seinem  wirk- 
lichen Vater  zurückgeben.  Es  wird  ein  Knabe  geboren  und  Jil  hält  sein 
Versprechen,  erzürnt  aber  dadurch  die  Verwandten  seiner  Frau,  die  sich  auf- 
machen, um  den  Knaben  mit  Gewalt  an  sich  zu  reißen.  Der  wirkliche 
Vater  findet  bei  seinen  Verwandten  wenig  Hilfe,  wird  von  der  andern  Partei 
tüchtig  durchgehauen  und  gibt  schließlich  mit  den  Worten  nach:  „Wer  deinen 
Morgentrank  getrunken,  ist  zweifellos  dein  Sohn." 

Im  heutigen  Arabia  Patraea  bleibt  einer  von  ihrem  Mann  verstoßenen 
Frau  ihr  Kleinstes,  bis  es  entwöhnt  ist,  worauf  es  in  das  Zelt  seines  Vaters 
zurückkommt.  -  Hier  machen  die  Beni  Sahr.  als  Stamm.  Anspruch  auf  die 
Kinder,  weshalb  es  den  Vätern  versagt  ist.  sie  zu  verpfänden  oder  zu  ver- 
kaufen (Musil). 

Hingegen  schrieb  Laue  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts,  im 
arabischen  Ägypten  sei  es  nicht  sehr  selten  gewesen,  daß  Kinder  von  ihren- 
Müttern  oder  von  andern  Weibern  öffentlich  zum  Verkauf  herumgetragen  wurden. 
Allerdings  war  in  den  meisten  Fällen  große  Armut  der  Grund.  Starb  z.  B. 
eine  Mutter  von  einem  oder  zwei  noch  nicht  entwöhnten  Kindern  weg,  und 
hatten  Vater  und  Verwandten  nicht  die  nötigen  Mitte!,  um  eine  Amme  ein- 
zustellen, dann  schritt  man  zum  Verkauf.  Lunr  erwähnt  eine  Frau  in  Kairo, 
die  von  einer  andern  ein  kleines  Kind  kaufte,  welches  diese  vor  einer  Moschee 
gefunden  haben  wollte.  Die  Käuferin  entschloß  sich,  das  Kind  um  Gottes 
willen  und  in  der  Hoffnung  aufzuziehen,  daß.  durch  dieses  Werk  der  Barm- 
herzigkeit, ihr  eigenes  einziges  Kind  am  Leben  erhalten  bleibe.  Manche 
Araber  kauften  damals  übrigens  Kinder  auf,  um  sie  als  Sklaven  zu  benutzen, 
verkauften  sie  auch  wieder,  so  daß  die  Kinder  geradezu  Handelsobjekte  waren. 
Manche  ägyptische  Mädchen  wurden  beim  Verkauf  von  ihren  Eltern  oder 
Verwandten  als  Ausländerinnen  angegeben,  wozu  die  Mädchen,  denen  man 
schöne  Kleider  und  anderen  Luxus  versprach,  ihre  Zustimmung  gaben,  und 
selbst  behaupteten,  sie  seien  als  drei-  oder  vierjährige  Kinder  aus  ihrer  fernen 
Heimat  weggeführt  worden,  und  hätten  nun  ihre  Muttersprache  verlernt. 

Der  arabische  Nomade  Algeriens  wird  als  unumschränkter  Herrscher 
in  seiner  Familie  geschildert,  dem  gegenüber  Weib,  Söhne  und  Töchter  willen- 
lose Untertanen  sind.  Zwar  werden  die  erstgebornen  Söhne  vom  Vater  ge- 
hätschelt, aber  die  weiblichen  Familienmitglieder  bekommen  seine  Herrschaft 
um  so  mehr  zu  fühlen. 


6ü()  Kapitel  XLIX.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes. 

Nach  mohammedanischem  Recht  teilt  das  Kind  die  soziale  Stellung 
seiner  Mutter.  Ist  diese  Sklavin,  dann  auch  das  Kind.  Sklavinnen  dürfen 
ohne  ihre  Kinder  nicht  verkauft  werden,  solange  diese  der  mütterlichen  Pflege 
bedürfen,  was  nach  der  vorwiegenden  Anschauung  bis  zum  7.  Lebensjahr  der 
Fall  ist.  Unterricht  und  Erziehung  sind  (beim  legitimen  Kind)  Pflicht  des 
Vaters;  doch  bleiben  die  Mädchen  meist  bis  zu  ihrer  Verheiratung,  die  Knaben 
bis  zur  Beschneidung  bei  der  Mutter  im  Harem.  Die  Mutter  ist  verpflichtet, 
ihr  Kind  zu  säugen,  kann  aber  dafür  von  ihrem  Manne  Ammenlohn  be- 
anspruchen (  Van  den  Berg).  Die  Stellung  des  orientalischen  Knaben  zu  seinem 
Vater  ist  mehr  die  eines  Untergebenen,  als  eines  Sohnes  in  unserem  Sinne; 
andererseits  vertritt  der  Sohn,  auch  schon  im  Knabenalter,  seinen  abwesenden 
Vater  im  Hause  mit  viel  Ernst,  Würde  und  Anstand1). 

Über  Recht  und  Stellung  des  Kindes  im  alten  Ägypten  siehe  die  Kapitel 
über  Mutterrecht,  Erziehung  und  gegenseitige  Liebe. 

Der  Kabyle  hat  die  Pflicht,  seine  Kinder  staudesmäßig  zu  ernähren 
und  zu  kleiden.  Das  Züchtigungsrecht,  welches  ihm  seinem  Weib  gegenüber  die 
Anwendung  von  Stein  und  Dolch  gestattet,  darf  seinen  Kindern  gegenüber 
nicht  weiter  als  bis  zur  „correction  manuelle"  gehen,  wie  Hanoteau  und 
Letourneux  schrieben.  Die  Kinder  jeden  Alters  sind  ihren  Eltern  Achtung 
und  Gehorsam  schuldig,  was  jedoch  den  Verkauf  verwitweter  Mütter  an  neue 
Werber  durch  ihre  eigenen  Söhne  nicht  ausschließt.  Alte,  dürftige  Väter 
müssen  von  ihren  erwachsenen  Söhnen  ernährt  werden.  Der  Gemeinderat 
selbst  überwacht  die  Durchführung  dieses  Gesetzes  und  pfändet  im  Notfalle 
die  pflichtvergessenen  Söhne  aus,  oder  verbannt  sie,  wenn  Pfändbares  nichl 
vorhanden  ist.  —  Da  der  Unterhalt  der  Mutter  durch  ihren  Mann,  oder,  wenn 
dieser  unfähig  ist,  von  ihrer  Familie  oder  ihrer  weiteren  Verwandtschaft,  be- 
stritten werden  muß,  fällt  sie  betreffs  der  Unterhaltungspflicht  ihren  Kindern 
nicht  zur  Last. 

Der  Ungehorsam  erwachsener  Söhne  wird  in  manchen  Kabylen-Stännnen 
mit  Geld  bestraft;  bei  den  Ait  Khalifa  verlieren  Söhne,  die  es  an  der  schuldigen 
Achtung  ihrer  Väter  fehlen  lassen,  jeden  Anspruch  auf  Unterhalt,  ohne  jedoch 
auch  ihres  Erbrechtes  nach  dem  Tode  des  Vaters  verlustig  zu  gehen.  —  Alle 
Kinder,  die  eine  Kabylin  ihrem  Manne  gebiert,  gehören  ihm,  so  daß  sie  bei 
Verstoßung  kinderlos  ausgehen  muß.  Nur  ihren  Säugling  darf  sie  bei  einigen 
Stämmen  bis  zur  Entwöhnung  mitnehmen  (Hanoteau-Letourneux  und  Schön- 
härl).  — 

$  324.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Negern,  Hottentotten 

und  Buschleuten. 

Unter  den  westlichen  Sudannegern  hatte  der  Soninke  (Sarakole) 
in  vorislamischer  Zeit  das  Recht  über  Leben  und  Tod  seiner  Kinder.  Der 
[slam  trat  hierin  mildernd  ein.  Es  blieb  dem  Soninke  aber  das  Züchtigungs- 
recht in  beliebiger  Form,  und  zwar  auch  über  seine  verheirateten  Söhne.  Seine 
Ratschläge  sind  meist  Befehle.  Bei  Ehescheidungen  fallen  ihm  alle  Kinder 
zu.  auch  wenn  es  erwiesen  ist,  daß  die  Schuld  auf  seiner  Seite  ist  (Fernand 
Daniel).  --  Die  Soninke  sind  ein  Zweig  der  Mandingo,  bei  denen  Mangel 
an   Ehrfurcht   vor  den  Eltern  mit  einer  Geldstrafe  gerügt  wird. 

Die  Bolo-Bolo  oder  Bautschi,  gleichfalls  in  Nordwestafrika,  ver- 
kaufen ihre  Kinder  an  wildfremde  Menschen,  ohne  sich  weiter  um  sie  zu 
kümmern.  Eine  Perlenschnur  genügte  um  die  Mitte  des  L9.  Jahrhunderts  einer 
Mutter,    .lall   sie   dafür   ihre   einzige   Tochter  von    sich   stieß,    als   diese   sich 


'i   Es  handelt   sich  hier  also  nicht  nur  um  Semiten  und  Hamiten. 


§  324.    Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Negern,  Hottentotten  u.  Buschleuten.      (J01 

jammernd  und  liebkosend  an  ihre  Kniee  klammerte.  Ob  solche  Fälle  häufig- 
waren, weiß  ich  freilich  nicht. 

Bei  den  Bubis  auf  der  Fernando- P6o -Insel  haben  die  Söhne  das 
Recht,  sobald  sie  zum  Gebrauch  der  Vernunft  gelangt  sind,  das  elterliche 
Haus  zu  verlassen  und  sich  von  ihren  Eltern  loszusagen.  Die  Töchter  genießen 
dieses  Recht  nicht,  soudern  müssen  sich  gefallen  lassen,  daß  sie,  wie  ihre 
Geschlechts-  und  Altersgenossinnen  bei  so  vielen  andern  Völkern  niederer 
Kultur,  an  den  meistbietenden  Werber  verkauft  werden  (Coli). 

In  Deutsch-Ostafrika  machen  sich  die  Söhne  der  Wanyamwesi 
bereits  nach  ihrem  zehnten  Lebensjahr  von  ihren  Vätern  unabhängig.  Schon 
von  früh  an  mit  dem  Hüten  der  Herden  betraut,  sind  sie  dann  selbständige 
Hirten,  bepflanzen  ein  Stück  Land  mit  Tabak  und  bauen  sich  eine  eigene 
Hütte.  —  In  Zeiten  der  Not  .werden  Kinder  von  ihren  Eltern,  oder  diese  von 
ihren  Kindern,  verkauft.  —  Andrer  führt  im  Hinweis  auf  Burton  Speke 
Wanyamwesi-Neger  an,  die  ihre  Mutter  gegen  eine  Kuh  oder  zwei  Ziegen 
beim  Spiel  einsetzten. 


Fig.  435.    Schulmadchen  in  Dar-es- Saläm.     Mit  Erlaubnis  des  dortigen  Apostolischen  Yicariates. 


Zur  Zeit  großer  Hungersnot  kommt  Kinder  verkauf  auch  in  Dar-es- 
Salaam  noch  vor.  Die  Leute  wollen  dadurch  sich  und  ihre  Kinder  vor  dem 
Hunge/tod  bewahren  (Wehrmeister). 

Aus  den  Rechtsverhältnissen  des  Kindes  bei  den  Vvasiba  am  Viktoria- 
See  liegt  mir  nur  die  Mitteilung  H.  Behses  vor,  daß  die  Kinder  stets  zur 
Familie  des  Vaters  gerechnet  werden.  — 

Im  Kilwa-Bezirk  an  der  Deutsch-ostafrikanischen  Küste  be- 
sitzt das  Kind,  so  gut  wie  der  Vater  und  die  Mutter,  sein  Sondereigentum,  sei 
es  ihm  durch  Selbsterwerb,  oder  Schenkung,  oder  Erbschaft  zugefallen.  Doch 
genießt  meist  die  ganze  Familie  den  Gewinn  gemeinsam.  —  Bei  Ehescheidungen 
bleiben  die  größeren  Kinder  da,  wo  es  ihnen  am  besten  gefällt.  Bis  zum 
siebenten  Jahr  werden  sie  von  ihrer  Mutter  oder  Tante  mütterlicherseits  auf 
Kosten  des  Vaters  erzogen.  -  -  Die  Kinder  einer  Sklavin1)  sind  Sklaven  des 
Herrn  der  Mutter,  ob  der  Vater  Sklave  oder  Freier  sei.  Die  Kinder  einer 
Suria  sind  freie  Kinder  des  Herrn  und  werden  den  Kindern  der  freien  Frau 


')  Wird  diesem  Kapitel  eingereiht,  weil  es  sich  auch  um  die  Kinder  eines  Ehepaares  in, 
der  Sklaverei  handeln  kann. 


€02 


Kapitel  XLIX.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes. 


gleichgestellt.     Die  Kinder  von  Sklaven  werden  beim  Verkauf  nicht  von  ihren 
Eltern  getrennt  I  von  Ebi  rsteiri). 

Auch  die  Kinder  der  Negersklavinnen  in  Brasilien1)  folgten  bis  zum 
Verbot  des  Negerhandels  (1831)  ausnahmslos  dem  Stande  der  Mutter.  Somit 
blieb  die  heranwachsende  Generation   auch  nach   diesem  Verbot   noch   in   der 

Sklaverei.  Erst  das  Abolitionsgesetz 
vom  Jahre  1871  erklärte  alle  von 
Sklavinnen  geborenen  Kinder  frei,  ver- 
langte aber,  daß  die  damals  heran- 
wachsenden bis  zu  ihrer  Großjährig- 
keit  bei  den  Herren  ihrer  Mütter 
blieben  (Breitenbach).  — 

Der  Kaffer  ist  berechtigt, 
seine  Kinder  zu  verpfänden.  Er  er- 
öffnet sich  ilie^e  Einnahmequelle,  wenn 
er  z.  B.  Geld  zum  Ankauf  eines  neuen 
Weibes  braucht  (FritscJi  und  Moffdf). 
Über  die  Kap-Hottentotten 
berichtete  Peter  Kolb:  Solange  die 
Kinder  ihren  Unterhalt  von  ihren 
Eltern  genossen,  durfte  sich  keines 
erlauben,  sie  mit  Schlägen  zu  be- 
drohen. ..wenn  sie  nicht  die  Straffe 
ilcs  Todtes  innerhalb  zwo  stunden 
erdulden"  wollten.  Aber  nach  ihrer 
Mannbarkeitserklärung  durften  die 
Sühne  ihre  Mütter  mißhandeln.  - 
Aus  der  von  Kolb  mitgeteilten  An- 
sprache bei  der  Trauung  der  Ehepaare 
könnte  man  schließen,  daß  die  Sühne 
zum  Unterhalt  ihrer  arbeitsunfähigen 
Eltern  verpflichtet  waren.  Doch  war 
es  zu  Moffate  Zeit  (19.  Jahrhundert) 
Brauch,  solche  Eltern  auszusetzen. 
Wenn  sie  nicht  mehr  Wurzeln  und 
Hol/,  sammeln  und  heimtragen  konnten, 
dann  gab  der  Kraal  ihren  Angehörigen 
gerne  die  Erlaubnis  zur  Aussetzung. 
Mittellose  Leute  sollten  niemandem 
zur  Last  fallen. 

.Mittellos  konnte  aber  nach  dem 
Landesbrauch  selbst  der  Reichste 
werden,  weil  Väter,  die  durch  Gebrech- 
lichkeit zur  Selbstverwaltung  ihres 
HeMt/.es  unfähig  geworden  waren. 
diesen  ihren  erstgebornen  Söhnen  übergeben  mußten.  Mii  etwas  Nahrungs- 
mitteln and  Wasser  an  der  Seite,  überließ  man  also  die  alten  Leute  in  der 
Wüste  dem  Hungertod  und  den  wilden  Tieren.  Das  flüchtige  Gehege  um  die 
Ausgesetzten  bol  keinen  Schutz.  Ein  altes  Weib,  welches  Moffat  einmal  in 
diesei  Lage  fand,  weigerte  sieh,  mit  ihm  heimzukehren,  weil  die  Aussetzung 
nin  wiederholt  winde.  Das  sei  bei  ihrem  Volk  nun  einmal  so  Brauch.  —  Lei 
Akt  wurde  vom  ganzen  Kraal  feierlich,  unter  Opfern  und  Gastmählern  vollzogen. 

'i  In  Surinam  scheinen  die   Ehen  von  Sklaven  nur  als  wilde  Ehen,  als  jederzeit 
lösl  are   Verbindungen,  gegolten  zu  haben. 


Big     i   G 


Losgekauftes  SklavenUind  der  Benediktiner- 
Mission  in  Dar-es-Saläm. 


§  325.    Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  malavisch-polynesischen  Völkern.      603 

In  neuerer  Zeit  schrieb  Schinz  jedoch,  dem  ältesten  Sohn  liege  die  Sorge 
um  die  Mutter  ob,  wenn  der  Vater  mit  Tod  abgegangen  ist.  — 

Erwähnenswert  ist  die  Stellung,  welche  die  Kinder  der  Hottentotten 
zur  Zeit  der  Leibeigenschaft  unter  den  Buren  einnahmen.  Das  Gesetz  sprach 
jenen  Buren,  welche  zur  Ernährung  von  Kindern  Leibeigener  beigesteuert 
hatten,  diese  Kinder  bis  zum  25.  Lebensjahre  zu.  "Weil  nun  aber  die  leib- 
eigenen Hottentotten  ihren  Dienstpflichten  obliegen  mußten,  erfüllte  sich  jene 
Bedingung  von  selbst. 

Ähnlich  wie  bei  den  Kap-Hottentotten,  hört  auch  bei  den  Auin-Busch- 
1  euten  die  elterliche  Autorität  über  die  Kinder  so  ziemlich  auf,  wenn  diese 
einmal  so  weit  sind,  daß  sie  sich  selbst  ernähren  können.  —  Bei  Ehescheidungen 
und  nach  dem  Tod  der  Mutter  bleiben  dem  Vater  die  Kinder  und  werden 
von  der  neuen  Frau  desselben  aufgezogen.  -  -  Die  Söhne  eines  ermordeten 
Mannes  sind  zur  Blutrache  verpflichtet,  sobald  sie  erwachsen  sind.  Diese 
Pflicht  wird  ihnen  von  der  Mutter  eingeprägt.  Die  Verpflichtung  beginnt, 
sobald  der  Jüngling  das  erste  Stück  Wild  erlegt  hat.  Seine  Sippe  steht  ihm 
zur  Erfüllung  bei  (Kaufmcmn).  — 

Auch  der  Namib-Buschmann  beansprucht  bei  seiner  Ehescheidung  die 
Kinder.  Die  Säuglinge  bleiben  zwar  solange  bei  der  Mutter,  bis  sie  heran- 
gewachsen sind,  müssen  aber  dann  dem  Vater  übergeben  werden.  —  Im 
Fall  eines  vorhergehenden  Ehebruchs  muß  der  Ehebrecher,  wenn  er  nicht 
getötet  wurde,  sondern  das  Weib  heiraten  mußte,  das  Kind  aufziehen  und 
dann  dem  ersten  Mann  überlassen  (Tenk).  — 

§  325.  Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  malayisch-polynesischen 

Völkern. 

Der  Battak  auf  Sumatra  hat  kein  Recht  auf  Leben  und  Tod  seiner 
Kinder.  Dem  Rechtszustand  seiner  Ehe  zufolge  haben  sowohl  seine  als  seiner 
Frau  Verwandten  ein  Interesse  daran.  Doch  bleiben  die  Kinder  beim  Tod 
der  Mutter  in  der  Gewalt  des  Vaters.  -  -  Hinterläßt  ein  Batak  eine  Witwe 
mit  Söhnen,  so  haben  diese  die  Pflicht,  ihre  Mutter  zu  ernähren,  aber  auch 
das  Recht,  ihr  zu  befehlen1). 

Wenn  bei  den  Iban  oder  Dayaken  in  Sarawak,  Bomeo,. Ehescheidung 
durch  Schuld  des  Mannes  vorkommt,  nachdem  dieser  von  seiner  Gattin  bereits 
ein  Kind  hat.  dann  hat  er  33  Taler  Alimentation  zu  zahlen.  Stirbt  das  Kind, 
dann  wird  er  um  30  Taler  gestraft.  —  Liegt  bei  der  Scheidung  eines  Ehe- 
paars, welches  schon  ein  Kind  hat,  die  Schuld  an  der  Frau,  dann  muß  sie 
15  Taler  Strafe  zahlen  (Leo  Nyuak).  —  Diese  Bestimmungen  dürften  mit  dem 
Kinderrecht  zusammenhängen  und  scheinen  von  der  Überzeugung  auszugehen. 
daß  beide  Eltern  zum  Gedeihen  des  Kindes  zusammenwirken  sollen. 

Bei  den  Papuas  in  Kaiser  Wilhelmsland  rechnet  man  es  dem  Vater 
zur  Schuld  an.  wenn  der  Erstgeborne  im  Kindesalter  stirbt,  weshalb  der  Vater 
in  einem  solchen  Fall  die  Brüder  der  Mutter  beschenken  muß.  Die  Kinder 
sind  hier  im  Geburtsort  der  Mutter  heimatberechtigt,  und  die  Y erwandten 
mütterlicherseits  ergreifen  bei  Todesfällen  und  Erbangelegenheiten  die  Initiative. 
Trennen  sich  Ehegatten,  dann  bleiben  die  größeren  Kinder  in  der  Regel  beim 
Vater;  die  kleineren  werden  von  der  Mutter  mitgenommen.  Stirbt  der  Mann, 
so  bleiben  die  Kinder,  abgesehen  von  den  kleinsten,  meist  nicht  bei  der  Mutter, 


*)  Die  Sakai,  ein  kulturell  niederstehendes  Volk  im  östlichen  Sumatra,  welches 
wiederholt  als  Negritos  bezeichnet  winden  ist,  nach  den  neuesten  Forschungen  Felix  Speisers 
aber  wahrscheinlich  zum  Malayischen  Stamm  gehört,  anerkannten  früher  keine  Kinder  als 
die  ihrigen,  die  nicht  die  sog.  „kurab",  eine  eigentümliche  Hautkrankheit,  durchgemacht 
hatten  (Moszkoiuski),  wohl  eine  seltene   Erscheinung  im  Kinderrecht. 


604 


Kapitel  XLLX.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes. 


sondern  gehen  zu  nahen  Verwandten.  Eine  feststehende  Bestimmung  gibt  es 
darüber  nicht.  In  Kaiser  Wilhelmsland  nennt  und  betrachtet  das  Kind  auch 
die  Brüder  des  Vaters  und  deren  Frauen,  sowie  die  Schwestern  der  Mutter 
und  deren  Männer,  als  seine  Väter  und  Mütter.  Die  Kinder  geschlechtsgleicher 
Geschwister  gelten  als  richtige  Geschwister:  jene  geschlechtsungleicher  nur 
als  Vettern  und  Basen.  Der  Altersunterschied  der  betreffenden  Eltern  be- 
stimmt die  Bezeichnung  eines  Geschwisterkindes  als  älteren  oder  jüngeren 
Bruders,  oder  als  älterer  oder  jüngerer  Schwester.  Es  gibt  weder  ein  aus- 
schließliches Vaterrechts-  noch  Mutterrechtssystem,  sondern  eine  Mittelstufe. 
insofern  die  Sippe  sowohl  des  Vaters  als  die  der  Mutter  auf  die  Kinder  An- 
sprüche erheben.  —  Daß  der  Papua  und  sein  "Weib  über  Leben  und  Tod  ihrer 
Kinder  entscheiden  dürfen,  geht  aus  den  früheren  Kapiteln  über  Kindsmord 
hervor.  Die  Kinder  können  verkauft  werden.  Als  Käuferinnen  melden  sich 
(wohl  unter  andern?)  kinderlose  Verwandte,  welche  das  gekaufte  Kind  als 
ihr  eigenes  aufziehen,  ohne  es  über  seine  eigentlichen  Eltern  aufzuklären,  so 

daß  Fälle  nicht  selten  sind,  in  denen  solche  Kinder 
im  gleichen  Dorf  mit  ihren  Geschwistern  und  unter 
den  Augen  ihrer  eigentlichen  Eltern  aufwachsen,  ohne 
sie  zu  kennen  {Krieger). 

In  Britisch  Xeu-Guinea  gehen  die  Kinder 
beim  Tode  des  Vaters  gewöhnlich  zu  dessen  Bruder, 
der  mit  dem  Bruder  der  Mutter  Aufsicht  und  Vor- 
mundschaft über  sie  teilt.  Wie  in  Kaiser  Wilhelms- 
land, so  gehören  auch  hier  die  Kinder  bald  zum  Stamme 
des  Vaters,  bald  zu  dem  der  Mutter.  Bei  Eheschei- 
dungen fallen  sie  meist  dem  Vater  zu.  sogar  die 
kleinsten,  nachdem  sie  von  der  Mutter  bis  zu  einem 
gewissen  Alter  gepflegt  worden  sind.  Nur  bei  den 
Motu-Motu  behält  die  Mutter  alle  Kinder  und 
weist  etwaige  Ansprüche  des  Vaters  mit  der  Krage 
zurück,  ob  etwa  er  die  Schmerzen  der  Geburt  aus- 
gestanden habe.  — 

Auf  Adie,  Holländisch  Xeu-Guinea.  behält 
bei  Ehescheidungen  der  Mann  die  Kinder:  an  der 
die  Mädchen    mit    der   Mutter,   die   Knaben    mit    dem 


Fig. 437.  Ein  K  a  ia- Kaia-Weib 
mit  Kind.  Niederlän  disch- 
Neuguinea.  Nach  H.  NnUen 
im  ..Anthropos"  IV,  668.  Ti- 
tel 1Y. 


Kainani- Bucht   gehen 
Vater  l  Krieger). 

Zum  Verkauf  und  zur  Tötung  der  Kinder  hält  sich  auch  der  Melanesier 
im  Bismarck-Archipel  und  auf  den  Salomo-Inseln  berechtigt  (vgl. 
Kapitel  IX).  Aussetzung  ist  nach  Joachim  Graf  Pfeil  nicht  bekannt.  Auf  der 
Salomo-Insel  Bougainville  gibt  es  einen  regelrechten  Kindermarkt,  wo  die 
Eingebornen  ihre  entbehrlichen  Sprößlinge  an  Leute  von  der  Nachbarinsel 
Choiseul  verkaufen,  ohne  sich  je  wieder  um  sie  zu  kümmern.  Nie  lösen  für 
Mädchen  etwa  7u  Mark,  für  Knaben  die  Hälfte.  Diese  gelten  ihren  Kantern 
zwar  nicht  als  regelrechte  Sklaven,  müssen  aber  für  ihre  Herren  arbeiten. 
dürfen  später  auch  nicht  nach  eigener  Wahl  freien,  erhalten  jedoch  bei  guter 
Führung  von  ihren  Herren  eine  Gattin.  Die  Mädchen  verbringen  ihr  Leben 
bis  /.um  12.  Jahr  in  den  Häuptlingsfamilien,  worauf  sie  an  Untergebene  ver- 
heiratet, eder  dem  Harem  eines  Häuptlings  einverleibt  werden. 

Auf  den  Kidschi- Inseln  hat  das  Kind  ein  Recht  auf  Fortexistenz, 
wenn  es  einen  Tag  gelebt  hat:  auf  Hawaii  hingegen  konnte  es  noch  nach 
einem  Jahr,  oder  noch  später  getötel  werden  ( J'loß  II,  408,  2.  Aufl.).  —  Auf 
den  Fidschi  scheinen  die  Kinder  bald  dem  Stamm  des  Vaters,  bald  dem  der 
Mutter  anzugehören;  denn  Morgan  schreibt,  daß  die  Kimler  die  Totem  des 
Stammes  des  Vaters  verehren,  wenn  sie  nicht  beim  stamm  der  Mutter  leb<  n 


legitimen  Kindes  bei  Japanern,  Koreanern  usw.       605 


(Diese  selbst  verehrt  die  Totem  sowohl  ihres  eigenen  Stammes,  als  auch  die 
des  Stammes,  welchem  ihr  Mann  angehört.) 

Auf  Samoa  werden  bei  Ehescheidungen  Kinder  und  Vermögen  geteilt; 
die  jüngeren  Kinder  fallen  der  Frau,  die  älteren  dem  Manne  zu.  Beim  Tod 
des  Vaters  hat  dessen  Bruder  ein  gewisses  Anrecht  auf  Witwe  und  Kinder, 
ohne  daß  jedoch  die  Witwe  zur  Ehe  mit  ihm  gezwungen  werden  kann. 

Aus  Australien  berichtete  Jung,   daß   die  Kinder   für  ihre  Vergehen 
unter  keiner  Bedingung  gezüchtigt  werden   durften,  sondern  daß  die  Verant- 
wortung auf  den  Eltern  lag.     Hatte  ein  Kind  etwas  gestohlen,  so  mußte  der 
Vater  oder  die  Mutter  dafür  einstehen  und 
sich    mit   dem   Bestohlenen   im   Zweikampf 
messen;    doch    liefen    solche   Begegnungen 
gewöhnlich   nur  mit  einigen  Beulen  ab.  — 
Ist  ein  älterer  Bruder   in-  der   Familie, 
dann    ist     dieser    für    seinen     jüngeren 
Bruder  den  Eltern  gegenüber  verantwortlich. 
Diese  Art  Haftpflicht  heißt  munmananie.  — 


§  32(>.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen 
Kindes  bei  Japanern,  Koreanern  und  Völ- 
kern mit  isolierenden  Sprachen. 

Das  jeweilige  Haupt  der  Familie  genoß 
in  der  japanischen  Familie  ebenso  viele 
Rechte,  wie  der  Pater  familias  im  alten  Rom, 
die  unbeschränkte  Macht  über  Person  und 
Eigentum  seiner  Kinder.  Den  Mißbrauch 
dieser  Gewalt  verhinderten  in  der  Regel 
die  natürliche  Liebe  und  die  sehr  einfluß- 
reiche Sitte,  wie  Ploß  schrieb.  —  Familien- 
glieder  konnten  vom  Japaner  ausgestoßen 
und  durch  Fremde  ersetzt  werden,  so  daß 
die  Familie  einer  Korporation  ähnlich  wurde. 
Nach  Mitford  war  aber  die  Enterbung  der 
Söhne  ohne  Zustimmung  der  Regierung 
nicht  erlaubt.  —  Den  Verkauf  mancher 
Töchter  in  die  Freudenhäuser  hat  Kapitel 
XLVII  erwähnt.  Ploß1)  meinte,  nur  Eltern 
von  niederer  Denkungsart  hätten  von  ihrem 
Verkaufsrecht  Gebrauch  gemacht;  vgl.  in- 
dessen die  Mitteilungen  Mitfords  in  §  313, 
nach  denen  dem  Verkauf  und  Selbstverkauf 
zur  Prostitution  nicht  selten  sogar  edle 
kommt  es  vor,  daß  Väter  ihre  Töchter  zu 
Begräbniskosten    für    den    eigenen   Vater 

gehenden  Recht  des  japanischen  Familienoberhauptes  geht  dessen  Verantwort 
lichkeit  für  die  Familienmitglieder  Hand  in  Hand  (Ploß). 

Des  Kindes  erste  Pflicht  ist  in  Japan  Ehrerbietung  gegen  seine  Eltern. 
Ein  altes  Gesetz  verlangt  eine  Strafe  von  1 00  Tagen  Gefängnis  für  jenes 
Kind,  das  sich  während  der  gesetzlichen  Trauer  um  Eltern  oder  Großeltern 
verheiratet,  und  eiu  Jahr  Gefängnis  für  gänzliche  Nichtbeachtung  dieser  Trauer.  — 

Eine  Illustration  zu  dem  Züchtigungsrecht,  welches  in  Korea  noch  Ende 
des   18.  Jahrhunderts  einer  Stiefmutter  zukam,  liefert    W.  G.  Arnous  in  der 


Fig.    438.      Knabe    von    Mioko,    hei    Neu- 

lauenburg,  Bism  arekarch  ipel.    Gode/- 

froy  phot.     Im  Museum  für  Völkerkunde  in 

Leipzig. 


Motive  unterliegen.  Nach  Rein 
diesem  Zweck  verkaufen,  um  die 
aufzubringen.  -      Mit    dem    weit- 


')  2.  Aufl.  II,  403. 


Chi; 


Kapitel  XLIW     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kimles. 


folgenden  Mitteilung:  Ein  vornehmer  Koreaner  hatte  als  Witwer  nochmals 
geheiratet,  diese  Frau  ohne  formelle  Scheidung  wieder  entlassen,  war  später 
zweiter  Minister  des  Königs  geworden,  und  stand  nun  vor  seinem  60.  Geburts- 
tag, welcher  in  der  Hauptstadt  gefeiert  werden  sollte.  Seine  Söhne  waren 
bereits  verheiratet  und  samt  ihren  Frauen  zum  Fest  erschienen.  Da  ließ  sich 
die  entlassene,  von  allen  ignorierte  Frau  aus  ihrem  Elternhaus  in  das  ihres 
Mannes  tragen,  setzte  sich  als  legitime  Gattin  auf  den  Ehrenplatz,  fing  an, 
ihren  Schwiegertöchtern  und  den  Sklaven  des  Hauses  Befehle  zu  erteilen,  ließ 
ihre  Stiefsöhne,  die  sich  nicht  freiwillig  vorstellten,  herbeiholen,  warf  ihnen 
ihre  Pflicht  Vergessenheit  vor  und  ließ  sie  durch  einen  Sklaven  peitschen  mit 
den  Worten:  ..Was  euren  Vater  betrifft,  so  bin  ich  seine  Sklavin.  Ihr  aber 
seid  meine  Söhne,  und  ich  rate  euch,  mir  gegenüber  die  gute  Sitte  nicht  mehr 


Fig.  439.    Familie  am  Carpent  aria-Golf ,  X.-O.  Australien.    Bei  Kolonisten  in  Dienst.     Kla «I seh' \>hot. 

außer  acht  zu  lassen."  Für  dieses  ..bewundernswerte"  Vorgehen  erhielt  die 
energische  Stiefmutter  eine  der  höchsten  Ehrenstellen  am  Hof  der  Königin.  — 
Seitdem  scheint  sich  aber  das  koreanische  Familienrecht  zugunsten  verheirateter 
Söhne  geändert  zu  haben.  Denn  Arnous,  welcher  diesen  Fall  erzählt,  schreibt 
auch,  und  hier  meint  er  wohl  den  Rechtsznstand  des  19.  Jahrhunderts:  Die 
Verheiratung  macht  den  Sohn  zum  Mann,  gleichviel,  in  welchem  Alter  sie 
stattfinde.  .Mit  ihr  erlischt  die  väterliche  (und  also  wohl  auch  die  mütterliche) 
Gewalt  über  den  Sohn.  -  -  Wer  nicht  heiratet,  bleibt  immer  auf  der  Rang- 
stufe eines  Kindes,  was  durch  das  Tragen  des  über  den  Rücken  hängenden 
Zopfes  ausgedrückt  ist.  wenn  man  von  emanzipierten  Ausnahmen  der  Gegen- 
wart absieht.  Solche  id.  h.  unverheiratete)  können  ungestraft  allerlei  Tor- 
heiten begehen,  da  die  Kinder  nach  koreanischer  Ansicht  zu  ernstem  Denken 
und  Handeln  unfähig  sind.  Sie  dürfen  aber  auch  nicht  an  ernsten  Verhand- 
lungen teilnehmen,  und   waren  sie  dreißi"jährii:e  .Männer.  — 


§  326.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Japanern,  Koreanern  usw.      ri(>7 


Die  Eltern  haben  in  Korea  das  Recht,  ihre  Söhne  kastrieren  zu  lassen, 
was  beim  armen  Volke  vorkommt.  Solche  Leute  wollen  durch  den  verhältnis- 
mäßig guten  Verdienst  ihrer  Söhne  als  Eunuchen  sich  selbst  ein  sorgenfreies 
Alter  sichern.  —  Aus  dem  gleichen  Grund  widmen  sie  ihre  Töchter  dem 
Beruf  der  Tänzerinnen  (Gisaing),  deren  Stellung  sich  mit  jener  der  japanischen 
Geisha  deckt1). 

Bis  zum  Jahre  1895  erstreckte  sich  die  auf  einen  schweren  Verbrecher 
verhängte  Strafe  auch  auf  dessen  Familie  und  Verwandtschaft.  Hatte  z.  B. 
ein  Familienhaupt  Verrat  begangen,  dann  wurde  er  samt  allen  männlichen 
Verwandten  bis  zum  fünften  Grad  enthauptet,  seine  Frau,  Tochter  und  Mutter 
vergiftet,  oder  zu  Sklavinnen  gemacht.  Die  gleiche  Strafe  stand  auf  Grab- 
schändung.—  Bei  Ehescheidungen  scheinen  die  Kinder  dem  Vater  zu  bleiben; 
jedenfalls  hat  dieser  nach  Hamilton  die  Erziehungs- 
pflicht. — 

Die  Tochter  einer  Sklavin  tritt  nach  koreani- 
schem Gesetz  an  die  Stelle  der  Mutter,  sobald  diese 
gestorben  ist.  Aus  diesem  Grund  sieht  ein  Sklaven- 
besitzer darauf,  daß  seine  Sklavinnen  sich  verheiraten.  — 

Mehrere,  teils  von  einander  stark  abweichende, 
Berichte  über  Kindsmord  und  Aussetzung  in  China 
sind  in  Bd.  I,  S.  190  mitgeteilt  worden.  Daß  der 
Chinese  bis  auf  die  neueste  Zeit  herauf  gesetzlich 
nicht  abgehalten  wurde,  wenigstens  seine  Töchter 
zu  töten,  steht  nach  jenen  Mitteilungen  fest.  Nun 
liegt  mir  ein  Bericht  von  Josef  Grwnzel  vor,  nach 
welchem  der  Chinese  „früher"  das  Recht  hatte,  seine 
Kinder  in  den  ersten  drei  Lebensjahren  auszu- 
setzen. Jetzt  sei  das  anders  geworden.  Wer  jetzt 
sein  Kind  aussetzen  würde,  ohne  durch  die  größte 
Armut  gezwungen  zu  sein,  oder  nachdem  es  ein  ge- 
wisses Alter  überschritten  habe,  der  würde  die  „öffent- 
liche Meinung"  gegen  sich  kehren2).  Das  Züchtigungs- 
recht gegen  Söhne  wird  durch  deren  Stellung  be- 
schränkt. Ein  Beamter  kann  von  seinem  Vater,  ohne 
eingeholte  kaiserliche  Erlaubnis,  nicht  mehr  gezüchtigt 
werden  (vgl.  Erziehung).  Hingegen  verkauft  der 
Chinese  heutzutage  noch  seine  Töchter  samt  ihrer 
Mutter,  wenn  er  von  Hungersnot  getrieben  wird,  wie 

„Die  Katholischen  Missionen"  berichten.  Oft  gehe  ein  solcher  Handel 
in  aller  Kälte  vor  sich;  doch  gebe  es  auch  Männer,  die  nach  der  Trennung 
vor  Leid  fast  vergehen. 

Plath  erklärte,  wohl  mit  Recht,  die  mangelhafte  Entwicklung  chinesischer 
Freiheit  und  Selbständigkeit  im  öffentlichen  Leben  mit  dem  Erziehungssystem 
in  der  altchinesischen  Familie,  unbedingter  Gehorsam  und  gänzliche  Un- 
selbständigkeit kennzeichnen  das  Verhältnis  des  Kindes  zum  Vater  und  größten- 
teils auch  zur  Mutter.  Die  Pietätsvorschriften  gehen  oft  in  das  Kleinlichste 
und  Abgeschmackte.  Das  bezieht  sich  hauptsächlich  auf  Knaben  und  Mädchen, 
welche  noch  nicht  den  männlichen  Hut  und  die  Haarnadel  tragen  dürfen,  die 
die  zweite  Kindheit  von  der  ersten  unterscheiden.  Täglich  haben  sie 
pünktlich   eine   Reihe   von   Höflichkeitszeremonien    zu   beobachten,   und    auch 


Fig.  440.  Eingeborene  mit  Kind 
von  der  Mor  e  ton- Bai,  0.- 
Australieil-  Oadeffroy  phot. 
Im  Museum  für  Völkerkunde  in 
Leipzig. 


!)  Vgl.  §  313. 

-)  Gesetzliehe  Bestimmungen  seheinen  also  doch  nicht  zu  bestehen,  und  wahrscheinlich 
handelt  es  sich  auch  bei  dieser  „öffentlichen  Meinung'-  nur  um  die  eine  oder  andere  Provinz. 


(508  Kapitel  XLIX.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes. 

von  den  älteren  Söhnen  und  Töchtern  fordern  die  Bücher  Li-ki,  I-li  u.  a. 
fortgesetzte  Ausdrücke  der  Ehrfurcht,  welche  uns  lächerlich  vorkommen. 

Kinder  dürfen  gegen  Eltern  und  Großeltern  keine  gerichtliche  Klage 
erheben  und  keine  Zeugenschaft  leisten.  Sie  haben  die  Pflicht,  ihre  Eltern 
im  Notfalle  zu  ernähren  und  sich  aller  Festlichkeiten  und  Gesellschaften  zu 
enthalten,  wenn  jene  im  Gefängnis  sind  (GrunzeJ). 

l'm  ihre  Eltern  aus  einer  Geldverlegenheit  zu  helfen,  haben  sich  schon 
manche  Kinder  freiwillig  in  die  Sklaverei  verkauft  (vgl.  Kap.  LIX). 

Gelübde,  welche  Eltern  im  Namen  ihrer  Kinder  machen,  müssen  diese 
selbst  lösen.  Wenigstens  schreibt  Stern:  Im  südlichen  Schantung  gehen 
viele  Kinder  der  Mandarine  und  Reichen  an  den  ersten  Tagen  des  neuen 
Jahres  betteln,  um  dadurch  die  Gelübde  zu  erfüllen,  welche  ihre  Eltern  für 
sie  gemacht  haben.  Mit  schönen  Kleidern  angetan,  ziehen  sie  von  Haus  zu 
Haus  und  fordern  singend,  oder  mit  einem  Glöckchen,  milde  Gaben. 

Wie  in  Japan,  so  müssen  die  Kinder  auch  in  China  nach  dem  Tode  ihrer 
Eltern  die  gesetzlich  festgestellte  Trauerzeit  einhalten.  Die  Leichen  sollen 
womöglich  in  der  heimatlichen  Erde  beigesetzt  werden.  .  Verstöße  gegen  diese 
Pflichten  werden  von  Staats  wegen  streng  bestraft.  Diese  gelten  sowohl  für 
die  Kinder  der  Konkubinen  als  für  jene  der  Frau,  wie  andererseits  selbst  solche 
Kinder  als  legitim  gelten,  die  ein  Mann  außerehelich  von  einem  Mädchen 
bekommt,  das  er  nicht  mehr  heiraten  konnte,  weil  der  Tod  dazwischen  trat 
(Grunzel). 

Im  Falle  des  Ablebens  des  Vaters  unterstehen  die  Kinder  der  Mutter, 
deren  Machtvollkommenheit  aber  durch  die  öffentliche  Meinung  weit  mehr 
eingeschränkt  ist  als  jene  des  Vaters,  besonders  wenn  die  Kinder  erwachsen 
sind.  -  -  Bei  Ehescheidungen  verbleiben  die  Kinder  dem  Manne.  — 

Gegen  den  Willen  der  Eltern  kann  kein  Chinese  und  keine  Chinesin 
ledig  bleiben.  Es  gilt  als  ein  Mangel  an  kindlicher  Pietät,  wenn  man  keine 
Nachkommenschaft  hinterläßt.  Doch  dürfen  verlobte  Mädchen  nach  dem  Tod 
des.  Bräutigams  in  das  Haus  des  Verstorbenen  übersiedeln,  um  dadurch  ihre 
Treue  zu  beweisen  (Masip). 

Bemerkenswert  ist  endlich  noch,  was  Friedrich  Hirth  über  die  vor- 
ehinesische  Rangordnung  in  der  Familie  auf  der  Halbinsel  Lei-tschou  schreibt. 
Hier  war  der  Sohn  des  Herrn,  ohne  Rücksicht  auf  das  Alter,  Herr.  Schon 
dem  Kinde  mußte  sein  Oheim  Ehrerbietung  erweisen.  Die  Ehrfurcht  vor  dem 
Alter  wurde  erst  durch  den  chinesischen  Einfluß  herrschend.  — 

Auch  die  Thai  iu  Hinterindien  haben  das  Recht,  ihre  Kinder  zu  ver- 
kaufen, oder  überhaupt  über  sie  nach  Willkür  zu  verfügen.  Dennoch  ist  es 
äußerst  selten,  daß  ein  Kind,  hauptsächlich  wenn  es  ein  Knabe  ist,  verkauft 
wird.  Die  Not  müßte  einen  Vater  schon  sehr  drücken,  wenn  er  sich  dazu 
entschlösse.  -  -  Bei  Ehescheidungen  gehen  die  Töchter  mit  der  Mutter,  die 
Söhne  mit  dem  Vater.  Verheiratet  sich  aber  eine  Witwe  nochmals,  so  ver- 
liert sie  dadurch  jedes  Recht  auf  ihre  Kinder  erster  Ehe,  indem  diese  der 
Familie  des  Vaters  verbleiben  (Bourlet). 

Dir  Annamiten  verkaufen  bisweilen  ihre  Kinder.  Die  Armut  vieler 
Eltern,  die  große  Kinderzahl  und  die  Tatsache,  daß  die  verkauften  Kinder 
nicht  als  Sklaven,  sondern  vielmehr  als  Familienmitglieder  der  Käufer  ange- 
sehen werden,  sind  von  der  mir  verloren  gegangenen  Quelle  als  Kntsehuldi- 
gungsgründe  angegeben  worden. 

Ihr  Verkaufsrecht  über  ihre  Kinder  üben  Inner  die  Tanguten,  und 
zwar  nicht  selten  aus.  welche  Sven  rem  Hedin  Verwandte  der  Tibetaner 
nennt,  während  sie  nach  Seobel  oft  zu  den  Mongolen1)  gerechnet  werden, 
an  welche  die  Tanguten  ihre  Kinder  verkaufen.  — 

l)   In    diesem    Kall   {reliürten    sie   zu    S,   328. 


§  328.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Ural-Altaien  und  Hyperboräern.      609 

§  327.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  den  Dravida  inklus. 

Toda1). 

Ploß'2)  kennzeichnete  die  väterliche  Gewalt  der  Dravidas,  den  sog. 
Urbewohuern  Vorderindiens,  als  unbedingt  und  schrankenlos.  —  Ein  Sohn 
kann  zu  Lebzeiten  seines  Vaters  kein  Eigentum  besitzen.  —  Grund  und  Boden 
samt  Vieh  vererbt  sich  nach  dem  Tode  des  Vaters  auf  die  Söhne;  die  Töchter 
können  kein  Land  eignen.  —  In  manchen  Bezirken  erhält  der  Erstgeborne 
einen  Extraanteil.  —  Schmucksachen,  Hausgerät,  Geld,  überhaupt  die  Immobilien, 
Vieh  ausgenommen,  fallen  den  Töchtern  zu,  die  bis  zu  ihrer  Verheiratung  von 
ihren  Brüdern  erhalten  werden  und  dann  ausgestattet  werden  müssen.  —  Ein 
Grundbesitzer,  der  ohne  Erben  stirbt,  wird  von  der  Dorfgemeinde  beerbt, 
welche  den  Nachlaß  verteilt. 

Nach  Harlneß  war  bei  den  Toda  (welche  bald  der  „reinste  Typus" 
der  Dravida  genannt,  bald  gar  nicht  zu  diesen  gerechnet  werden)  die  väter- 
liche Gewalt  nicht  uneingeschränkt,  sondern  das  Gewohnheitsrecht  wachte 
über  das  Wohl  des  Kindes.  Doch  durften  die  Töchter  vor  Harkneßens  Ankunft 
ungestraft  getötet  werden3).  Das  Gewohnheitsrecht  legte  dem  Toda  die  Pflicht 
auf.  dem  Großvater  der  zu  erwartenden  Kinder  mütterlicherseits  zu  versprechen, 
daß  er  sie  schützen,  nähren,  kleiden  und  mit  der  Zeit  verehelichen  wolle.  — 
Auch  die  Erbverhältnisse  wurden  durch  das  Gewohnheitsrecht  geregelt. 

Übertretungen  dieses  Bechtes  kamen  vor.  v  ie  aus  einer  Klage  ersichtlich 
ist,  welche  der  junge  Toda  Phairm  Phonkorr  in  seinem  und  seiner  Schwester 
Interesse  vor  Harkneß  brachte. 

Die  dem  Vater  schuldige  Ehrfurcht  der  Todakinder  ist  aus  dem  folgenden 
Erlebnis  dieses  Forschers  zu  ersehen:  Ein  Toda  kehrte  nach  Hause  zurück. 
Ihm  eilten  sein  Sohn  und  seine  Tochter  entgegen,  nahmen  ihm  seine  Bürde 
ab  und  neigten  sich  zur  üblichen  Begrüßnngsfonu  so  tief  vor  ihm,  daß  sein 
leicht  gehobener  Fuß  ihre  Stirne  berührte.  Dann  richteten  sich  die  Kinder 
wieder   auf.   und  der  Vater  legte  ihnen  segnend  die  Hände  aufs  Haupt.  — 

§  328.     Rechtsverhältnisse   des   legitimen    Kindes    bei    Ural-Altaien   und 

Hyperboräern. 

So  gut  wie  der  Tangute  Kinder  an  die  Mongolen  verkauft,  verkauft 
der  Mongole  Kinder  an  die  Tanguten.  Ein  solcher  Handel  ist  nichts  Un- 
gewöhnliches, wie  ein  Lama  Hedln  mitteilte.  Der  stehende  Preis  ist  20  Liang. 
Ein  Führer  Hedins,  Tadschinur-Mongole.  war  z.  B.  einige  Tagereisen 
südlich  vom  Kukku-nor  geboren,  mit  fünf  Jahren  aber  von  seinen  Eltern 
auf  einer  Wallfahrt  nach  Lhasa  an  ein  kinderloses  tangutisches  Ehepaar 
verkauft  worden. 

Die  väterliche  Gewalt  des  Burjäten  erstreckt  sich  auch  dann  noch  auf 
seine  Söhne,  wenn  diese  bereits  ihr  eigenes  Heim  in  der  Nähe  der  väterlichen 
Jurte  und  eine  eigene  Familie  gegründet  haben  (J.  SchendriJcowsky). 

Das  erste  und  vornehmste  Gebot  der  Ostjaken  ist  Gehorsam  und  Ehr- 
furcht gegen  die  Eltern  (Brchm). 

Von  den  Kamtschadalen  erwähnte  Steiler  ein  Becht  der  Erstgeburt, 
welches  auf  der  regelmäßig  physischen  Überlegenheit  des  Erstgebornen  fußte. — 

Von  den  Zentral-Eskimos  machte  Boas  die  interessante  Mitteilung, 
daß  es  oft  vorkomme,  daß  die  Eltern  eines  Verlobten  diesem  nicht  gestatten, 


')  Vgl;  die  Zugehörigkeit  des  Todakindes  in  Kap.  L,  S.  t>22  f. 

2)  II.  404 f. 

3)  Siehe   Kapitel   IX.     Knaben   scheinen    von  den  Toda  weder  ausgesetzt,  noch  direkt 
getötet  worden  zu  sein. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  39 


g]0  Kapitel  XLIX.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes. 

seine  Schwiegereltern  zu  ernähren,  wodurch  diese  berechtigt  sind,  dem  jungen 
Mann  den  Laufpaß  zu  geben.  —  Die  elterliche  Gewalt  erstreckt  sich  hier 
also  auch  auf  die  Gattinwahl  des  Sohnes.  — 

§  329.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Indianern. 

Die  Nordindianer  (nördliche  Chippeway)  des  18.  Jahrhunderts  über- 
ließen bei  ihren  häufigen  Ehescheidungen  ihre  Kinder  den  verstoßenen  Weibern. 
Die  Kinder  hatten,  wenn  erwachsen,  das  Recht,  ihre  arbeitsunfähigen  Eltern 
auszusetzen,  bzw.  sie  auf  ihren  Jagdzügen  liegen  zu  lassen.  Wenigstens  die 
Hälfte  aller  alten  Leute  kam  damals  bei  diesem  Volk  auf  eine  solche 
Weise  ums  Leben  (Searne). 

Der  von  Long  1  »suchte  Chippeway-Stamm  verband  mit  der  Aussetzung 
alter  Männer  Feierlichkeiten,  welche  den  Adoptionsfesten  glichen.  Dank- 
gebete an  den  Herrn  des  Lebens,  Absingen  eines  Arzneigesanges,  Rauchen 
der  Friedenspfeife  und  Schmausen  von  Hundefleisch  begleiteten  den  Akt. 
Das  Gleiche  war  der  Fall,  wenn  ein  alter  Mann  es  vorzog,  von  seinem  Sohn 
totgeschlagen  zu  werden. 

Bei  den  Tinneh-Stämmen  im  nordwestlichen  Oregon  und  westlichen 
Washington,  wo  die  Sklaverei  noch  vor  ca.  30  Jahren  üppig  blühte,  konnten 
Eltern  die  Sklaven  ihrer  eigenen  Kinder  werden  und  mußten  es  dann  auch 
bleiben.  Die  Kinder  eines  freien  Vaters  und  einer  Sklavin  gelten  als  halbfrei. 
Die  Tochter  freier  Eltern  konnten  wohl  verkauft,  aber  nicht  die  Sklavinnen 
ihrer  Käufer  werden,  sondern  mußten  von  diesen  geehelicht,  nach  deren  Tod 
wieder  freigegeben  und  ihren  Angehörigen  zurückerstattet  werden  {G'q)i>*>). 
(Vgl.  das  ganz  ähnliche  Verhältnis  der  Tochter  Israels  im  alten  Testament.) 

Von  den  Ottawa  liegt  mir  eine  Mitteilung  Tanners  vor,  daß  ihre  Blut- 
rache auch  der  unmündigen  Kinder  nicht  schonte.  Als  Tanners  Adoptivvater 
Taw-ga-weninne  von  Mörderhand  eine  tödliche  Wunde  erhalten  hatte,  über- 
legte er,  ob  er  sich  rächen,  dadurch  aber  seine  schutzlose  Witwe  mit  ihren 
Kindern  der  Blutrache  preisgeben  sollte.  Er  überwand  sich  bis  zu  den  letzten 
Augenblicken  seines  Lebens.  Da  sah  er  seinen  Mörder  vor  der  Hütte  stehen. 
und  aufs  neue  kam  ihm  die  Versuchung,  ihm  mich  eine  Kugel  durch  den 
Leib  zu  jagen.  Doch  sein  Sohn  Ke-wa-tin  stellte  ihm  vor,  daß  die  jüngeren 
Kinder  dann  sicher  der  Blutrache  zum  Opfer  fallen  würden,  worauf  der 
Sterbende  mit  den  Worten  verschied:  ..Mein  Sohn,  ich  liebe  dich  so  sehr,  daß 
ich  dir  nichts  abschlagen  kann."  —  Alterssehwache  Eltern  wurden  bei  den 
Ottawa  von  ihren  Kindern  ernährt,  und  die  Sage  verherrlicht  den  Helden 
Masswäweinini,  der  seine  verbannten  Eltern  von  weit  her  holt  und  sanft  auf 
seinen  Armen  in  sein  Lager  trägt. 

Bei  den  Delaware-Indianern  (Lenni  Lenape)  versuchte  James  Buekanan 
vergebens,  eines  ihrer  Kinder  durch  Kauf  zu  erwerben.  Kein  Vater,  keine 
Mutter  konnte  bewogen  werden,  sich  auch  nur  von  einem  einzigen  zu  trennen. 
Umgekehrt  pflegten  und  ehrten  die  erwachsenen  Kinder  ihre  erwerbsunfähigen 
Eltern  mit  aller  ihnen  möglichen  Sorgfalt.  Heilig  war  den  Eltern  die  Pflicht, 
für  ihre  Kinder,  Geschenke  des  Großen  Geistes,  zu  sorgen,  bis  diese  sich  selbst 
helfen  konnten,  und  heilig  waren  den  Kindern  die  Ratschläge  der  Alten. 

Ganz  ähnlich  wie  bei  den  Delaware  war  das  Verhältnis  zwischen 
Bitern  und  Kindern  bei  den  Kanada- Indianern  und  den  Ojibway  am 
südlichen  Ufer  des  Oberen  Sees.  -  In  Kanada  wurden  bei  Ehescheidungen 
die  Kinder  gleichmäßig  zwischen  Vater  und  Mutter  geteilt;  bei  ungerader 
Zahl  erhielt  die  .Mutter  eines  mehr.  I  >ie  unehelichen  und  in  derSklaverei  gebornen 
Kinder  genossen  so  ziemlich  die  gleichen  Rechte  wie  die  legitimen  (De  Lahontan). 


§  329.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Indianern. 


611 


Bei  Ehescheidungen,  welche  durch  Kriege  zwischen  vorher  befreundeten 
Stämmen  bisweilen  massenhaft  herbeigeführt  wurden,  weil  sich  der  dem  fremden 
Stamm  angehörige  Teil  nicht  mehr  sicher  fühlte,  oder  ohnehin  nicht  mehr 
bleiben  wollte,  gingen  die  Kinder  je  nach  Übereinkommen  mit  dem  abziehenden 
Teil  oder  blieben  bei  dem  zurückbleibenden.  Einen  solchen  Fall  berichtet 
Schoolcraft  von  der  Familie  eines  Sioux-Häuptlings,  dem  seine  Chippeway- 
Gattin  schmerzerfüllt  ihre  zwei  Söhne  mitgab,  weil  diese  bei  ihrem  Stamm 
des  Lebens  nicht  mehr  sicher  seien. 


Fig.  441.    Assin  iboin-Ki  nder.    Copyright  .F.  A.  Rinehart,  Omaha. 


Daß  die  Indianer  vieler  Stämme,  wie  wohl  die  weitaus  meisten  Völker 
außerhalb  des  Christen-  und  Judentums,  das  Recht  über  Leben  und  Tod 
ihrer  Kiuder,  wenigstens  bis  zu  einem  gewissen  Alter  haben,  ist  in  den 
Kapiteln  über  Aussetzung  und  Kindermord  erwiesen  worden.  Hier  nm\  noch 
ein  Beispiel:  Während  Bo!k>rs  Aufenthalt  unter  den  Gros-Yentres,  einem 
Zweig  der  Sioux,  machten  jene  einen  gemeinsamen  Besuch  bei  den  Assiniboin 
(s.  Fig.  441)  am  River  of  Lakes.  Ein  Weib  mit  drei  kleinen  Kindern  hatte 
sich  angeschlossen,  wurde  aber  unterwegs  zurückgelassen,  weil  sie  nicht 
schnell  genug  mitkommen  konnte.  Um  dieses  Hindernis  zu  beseitigen,  tötete 
sie  ihr  Kleinstes  auf  dem  Arm.     Niemand  hielt  sich  darüber  auf. 

39* 


G12 


Kapitel  XLIX.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes. 


Bei  den  Moki  aber,  deren  Familienleben  uns  in  den  von  Cushing  über- 
setzten Sagen  frei  von  jedem  Despotismus  entgegentritt,  scheinen  Aussetzung  und 
Kindsmord  unbekannt  zu  sein.  —  Die  Töchter  sind  schon  vom  10.  Lebensjahr  an 
berechtigt,  ihren  Zukünftigen  nach  eigener  Neigung  zu  wählen  (NordensMöld).  — 
Die  Söhne  übersiedeln  in  das  Heim  ihrer  Frauen,  bzw.  ,.in  das  Haus  ihrer 
Schwiegermutter". 

Im  alten  Mexiko  verkauften  Eltern  zur  Zeit  großer  Hungersnot  ihre 
Kinder  und  Nachkommen  auf  ungezählte  Generationen  hinaus  in  die  Sklaverei. 
Sonst  galten  in  der  Regel  die  Kinder  der  Sklaven  als  freigeboren.  Arme 
verkauften  an  Vornehme  ihre  Söhne  auch  mit  der  Verpflichtung,  „diesen 
Sklaven  lebendig  zu  erhalten",  d.  h.  ihn  im  Falle  seines  Ablebens  oder  seiner 
späteren  Unfähigkeit  durch  einen  andern  zu  ersetzen.  Die  von  ihren  Eltern 
in  die  Sklaverei  verkauften  Kinder  bildeten  eine  der  drei  Sklavenklassen.  — 


Fig.  H--    Mexikaner  aus  San  Luis  Potosi.    Friedrich  phot.     Im  K.  Ethuogiapb.  Museum  'iu  München. 

Von  Staats  wegen  wurden  die  Kinder  der  Hochverräter  in  die  Sklaverei 
verkauft  ( Baneroft). 

Bei  den  Mayas  in  Guatemala  verfielen  die  Kinder  aller  zum  Tod  ver- 
urteilter Verbrecher  samt  ihrer  Mutter  der  Sklaverei;  die  Güter  wurden  ein- 
gezogen (Torquemadd). 

Die  Karaiben  von  Guayana  verkauften  im  17.  Jahrhundert  alle 
gefangenen  Kinder  in  die  Sklaverei  (Dapper). 

Die  Goajiros  in  Columbia  verkaufen  ihre  Kinder  für  2 — 3  Ziegen, 
oder  um  einen  Sack  Mais.  Früher  brachten  sie  sie  häufig  zum  „Verkauf" 
nach  Sinamaica.  Der  Käufer  gilt  jedoch  als  Vormund,  verpflichtet  sich,  das 
Kind  in  die  katholische  Kirche  aufnehmen  und  in  der  katholischen  Religion 
unterrichten  zu  lassen,  wofür  das  Kind  bis  zum  17.  Lebensjahr  in  seinem 
Dienste  bleibt,  wie  Fritz  Regel  schreibt.  Allerdings  haben  wir  es  hier, 
wie  bei  den  alttestamentlii  heu  .luden,  eher  mit  einer  langdauernden  Verdingung, 
als  mit   einem   Verkauf  im  eigentlichen  Sinn  des  Wortes  zu  tun. 

Das  Recht,  ihre  alten  Mütter  aus  dem  Wege  zu  räumen,  hatten  die 
Caveres  und  Tapakosos  am  Orinoko.     Es  hieß,  die  alten  unbrauchbaren 


§  3L'9.     Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Indianern.  613 

Weiber  sollten  froh  sein,  wenn  sie  ihr  unnützes  Leben  verdienstvoll  schließen 
könnten.  Deshalb  zwang  man  sie  zu  der  lebensgefährlichen  Herstellung  des 
Pfeilgiftes  Curare.  Der  letzte  Sud  kostete  dem  alten  Mütterchen,  welches 
damit  beauftragt  war.  gewöhnlich  das  Leben.  Fiel  sie  um,  so  wurde  sie  sofort 
durch  ein  anderes  Weiblein  ersetzt,  diese  durch  eine  dritte  u.  s.  f.  (Nielutsch). 

In  Brasilien  scheint  es  bei  den  von  Mar/ins  besuchten  Stämmen  Ver- 
pflichtungen der  Eltern  gegen  ihre  Kinder  nicht  zu  geben.  Wie  sein  Weib, 
so  behandelt  der  dortige  Indianer  auch  seine  Kinder  willkürlich.  Manches 
unmündige  Kind  verhungere,  oder  komme  infolge  Vernachlässigung  ums  Leben, 
oder  werde  von  seinem  Vater  verkauft.  Doch  höre  die  väterliche  Gewalt 
über  die  Söhne  auf,  wenn  diese  mannbar  geworden.  Die  Töchter  hingegen 
wechseln  mit  ihrer  Verheiratung  nur  ihren  Gewalthaber.  —  Umgekehrt  kennen 
die  Kinder  weder  Ehrfurcht  noch  Gehorsam  gegen  ihre  Eltern. 

Der  brasilianische  Bötokude  vertauscht  sein  Kind  gegen  Messer  und 
Kessel  an  weiße  Händler,  haßt  aber  diese,  wenn  sie  es  hart  behandeln  (Ehren- 
reich).  —  Bei  Ehescheidungen  nimmt  die  Frau  die  Kinder  mit  sich  (Prinz 
zu  Wied). 

Vnii  den  Tupi  berichtete  de  Lud  die  gleiche  Eechtsform,  wie  sie  die  alten 
Germanen  und  andere  in  diesem  und  in  Kapitel  IV  erwähnten  Völker  hatten, 
nämlich  die  formelle  Anerkennuno'  des  Xeugebornen  durch  den  Vater  oder 
einen  seiner  Freunde,  indem  er  oder  der  betreffende  Freund  es  vom  Boden 
aufhob.  — 

Das  Kecht  des  Kiuderverkaufs  und  des  Kindermordes  ist  schließlich  bei 
den  Patagonen  nachgewiesen;  deren  blinde  Liebe  zu  ihren  Kindern  im  all- 
gemeinen nur  ein  Beweis  für  die  Tatsache  ist,  daß  jene  Rechte  keines- 
wegs die  Liebe  zu  den  Kindern  ausschließen,  wohl  aber  der  Willkür  freien 
Spielraum  lassen.  — 


Kapitel  L. 

Vater-  und  sogenanntes  Mutterrecht,  bzw.  Zugehörig- 
keit des  Kindes  bei  Völkern  mit  Promiskuität,  Gruppen- 

ehe  und  Polyandrie. 

§  330.  Das  vorige  Kapitel  handelte  von  Rechtsverhältnissen  des  Kindes 
ans  polygamen  und  monogamen  Ehen,  also  aus  Eheformen,  welche,  soweit  die 
Kulturgeschichte  reicht,  bei  den  weitaus  meisten  Völkern  üblich,  bzw.  gesetz- 
lich sind  und  der  Polyandrie1),  Gruppenelle  oder  Großfamilie  und  Promiskuität3) 
gegenüberstehen,  wie  Regeln  zu  seltenen  Ausnahmen. 

Das  Befremdende  der  beiden  letztern  Hat  sogar  zu  der  wiederholten  Be- 
hauptung geführt,  daß  es  Stämme  und  Völker  mit  Promiskuität  oder  Gruppen- 
ehen gar  nicht  gebe,  ja  daß  es  Völker  mit  der  ersteren  Form  nicht  geben 
könne,  weil  der  Mensch  doch  über  dem  unvernünftigen  Tiere  stehe,  die  höheren 
Tiere  aber  bereits  über  so  tiefe  Stufen  des  sexuellen  Lebens  erhaben  seien, 
womit  man  freilich  weder  dem  weiteren  Spielraum  des  Menschen,  noch  der 
Tatsache  genügend  Rechnung  getragen  hat,  daß  die  Mitteilungen  über  Stämme 
und  Völker  mit  Promiskuität  und  Gruppenehen,  objektiv  genommen,  nicht 
weniger  und  nicht  mehr  Glauben  verdienen,  als  irgend  eine  andere  uns 
befremdende  Mitteilung,  die  wir  über  zeitlich  oder  örtlich  Fernes  erhalten. 
Kapitel  LX  wird  auf  mehrere  solche  Völker  zurückkommen.  Das  vorliegende 
zieht  nur  jene  heran,  von  denen  mir  Mitteilungen  auch  über  die  Zugehörigkeit 
des  Kindes  zu  Vater  oder  Mutter  vorliegen,  was  leider  von  den  wenigsten 
der  Fall  ist. 

§  331.     Zugehörigkeil  des  Kindes  bei  Völkern  mit  Promiskuität. 

Nicolaus  Damascmus  schrieb  von  den  Liburnern,  einem  ausgestorbenen 
Zweig  der  Ludo-europäischen  Völkerfamilie3),  welcher  das  westliche  Kroatien, 
das  nördliche  Dalmatien  und  einige  anliegende  Inseln  bewohnte:  Die 
Liburner  haben  ihre  Frauen  gemeinschaftlich  und  ziehen  alle  Kinder  bis 
zum  fünften  Lebensjahr  gemeinschaftlich  auf.  Im  sechsten  versammeln  sie 
dieselben,  suchen  die  Ähnlichkeiten  mit  den  Männern  aus  und  teilen  danach 
jedem  seinen  Vater  zu.  Wer  so  von  der  Mutter  einen  Knaben  erhalt,  der 
betrachtet  ihn  als  seinen  Sohn4). 

Bekannl  isl  der  Vorschlag  der  Gemeinsamkeil  der  Weibei  und  Kinder 
in  Piatos  Staat.  Bei  dessen  Zurückweisung  erinnert  Aristoteles  an  völker- 
kundliche Berichte,  nach  welchen  bei  einigen  Stämmen  des  oberen  Libyiens 


')  Vielmännerei. 

[freie    Vermischung,   Weibergemeinschaft. 
,  Nach  S 

'    Nach  Bachofen,  Mutterrecht,  S.  1  u.  20.     Auf  diese  Stelle  des  Nie.  Dam.  wies  schon 
Juan  ''■    Torquemada,  Blonarchia   Indiana  11.   l-J'.W.  hin. 


§  331.     Zugehörigkeit  des  Kindes  bei  Völkern  mit  Promiskuität.  Gib 

die  Weiber  gemeinschaftlich  seien.  Die  erzeugten  Kinder  jedoch  würden  nach 
den  Ähnlichkeiten  ausgesucht '). 

Torquemada  war  geneigt,  diese  von  Aristoteles  erwähnten  Stämme  mit 
den  Gar  am  a  ntes  zu  identifizieren,  welche  von  der  neueren  Forschung  auch 
schon  als  Vorgänger  der  heutigen  Berber  in  Fessan  bezeichnet  worden  sind. 
Nach  Mela2)  wäre  die  Zuerteüung  der  Kinder  auch  bei  den  Garamanten  auf 
die  gleiche  Weise  vor  sich  gegangen,  welche  uns  bereits  von  den  Liburnern  und 
den  eben  erwähnten  Stämmen  bei  Aristoteles  bekannt  ist.  Ob  dieser  auf- 
fallend gleiche  Brauch  zur  Anzweiflung  des  Ganzen  berechtigt,  muß  ich  un- 
entschieden lassen.     Die  Stelle  bei  Mela  über  die  Garamanten  lautet: 

„Xulli  certa  uxor  est.  Ex  bis.  qui  tarn  confuso  parentum  coitu  passim 
incertique  nascuntur,  quos  pro  suis  colant,  formae  similitudine  agnoscunt3)." 

Da  Melas  geographisches  Kompendium  (De  Chorographia  libri  III)  dem 
Plinius  als  Quelle  für  seine  Naturalis  Historia  diente4),  haben  wir  vielleicht 
im  folgenden  Passus  aus  Plinius,  der  den  Garamanten  die  Ehe  abspricht  und 
ihre  vorübergehenden  Verbindungen  erwähnt,  nichts  Neues:  „Garamantes 
matrimoniorum  exsortes  passim  cum  feminis  degunt5)."  Solmus6),  der  die 
Garamanten  zugleich  als  Äthiopier7)  einführt,  was  bei  der  Unbestimmtheit 
dieses  ethnischen  Begriffes  in  der  alten  Welt  freilich  die  oben  angedeutete 
Frage  nicht  löst,  spricht,  wie  seine  Vorgänger,  den  Garamanten  die  Einzelehe 
ab  und  läßt  sie  die  Kopula  öffentlich  (vulgo  Omnibus)  ausüben.  Die  Kinder 
kennen  nur  ihre  Mütter,  nicht  die  Väter.  Die  Vaterschaft  steht  nicht  im 
Ansehen  usw.  Solinus  bemerkt  dazu,  daß  dieses  Volk  mit  Recht  als  das  ver- 
kommenste aller  Völker  gelte8).  „Garamantici  Aethiopes  matrimonia  privatim 
nesciunt,  sed  vulgo  omnibus  in  venerem  licet.  Inde  est,  quod  filios  matres 
tantum  recognoscunt,  paterni  nominis  nulla  reverentia  est.  Quis  enim  verum 
patrem  noverit  in  hac  luxuria  incesti  lascivientis?  Eapropter  Garamantici 
Aethiopes  inter  omnes  populos  degeneres  habentur:  nee  immerito,  qui  afflieta 
diseiplina  castitatis  successionis  notitiam  ritu  improbo  perdiderunt9)." 

Solinus,  der  ungefähr  zwei  Jahrhunderte  nach  Plinius  lebte,  schöpfte 
seine  „Collectanea  rerum  memorabilium"  zum  großen  Teil  aus  Plinius10).  Somit 
ist  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  er  auch  über  die  Garamanten  so  viel  aus 
Plinius  herübernahm,  als  bei  diesem  eben  zu  finden  war.  Immerhin  erfahren 
wir  durch  ihn  Neues.  Melas  Mitteilung  über  die  Verteilung  der  Kinder 
scheint  Solinus  nicht  gekannt  zu  haben. 

Im  fünften  Jahrhundert  n.  Chr.  ist  es  der  Afrikaner  Capella,  der  noch 
einmal  auf  die  Garamanten  zurückkommt  und  ihnen  öffentliche  Begattung  ohne 
Ehe  zuschreibt.     „Garamantes  vulgo  feminis  sine  matrimonio  sociantur11)." 

„Äthiopier"  waren  den  Alten  auch  die  Auser,  von  denen  Herodot12) 
schrieb:  Sie  bedienen  sich  der  Weiber  insgemein  und  begatteten  sich  mit  ihnen 
nach  Art  des  Viehes,  ohne  mit  ihnen  häuslich  zusammen  zu   wohnen.     Nach 


')  Politik,  Ausg.  u.  Übers,  von  Stahr,  1.  IL  cap.  I,  2  u.  27.     Vgl.  Backofen,  S.  16. 

2)  1.  Jahrh.  n.  Chr.     Vgl.  w.  u. 

3)  Bei  Bachofen.  11. 

4)  So  Occioni,   Storia  della  Letteratura  latina.     Koma  1891,  p.  282. 
6)  Bei  Bachofen,  11. 

6)  Ebenda. 

')  Die  Alten  kannten  Äthiopier  in  Asien  und  Afrika.     Hier  ist  aber  wohl  nur  an  letztere 
gedacht. 

8)  An  eine  Entwicklung  der  Ehe  aus  Promiskuität,  welche  in   der  Neuzeit  vielfach 
angenommen  wird,  dachten  demnach  Solinus  und  seine  Zeitgenossen  nicht. 
")  Bei  Bachofen,  ebenda. 
10)  Occioni,  309. 
»')  Bei  Bachofen,  11. 
,s)  i,  180.     Bei  Bachofen  ebenda. 


ßjß  Kapitel  L.     Vater-  und  sogenanntes  Mutterrecht  usw. 

Torquemada x)  durften  hier  und  bei  den  Agathyrsen  (Skythen?),  welche 
gleichfalls  in  Weiber-  und  Kindergemeinschaft  lebten,  die  Kinder  nach  Gut- 
dünken einen  Mann  zum  Vater  wählen,  wenn  sie  einmal  so  weit  waren,  daß 
sie  sich  selbst  ernähren  konnten.  —  Bei  Herodot2)  findet  sich  auch  eine  Be- 
gründung der  Weiber- und  Kindergemeinschaft  der  Agathyrsen:  „Sie  wohnen 
den  Weibern  gemeinschaftlich  bei,  damit  sie  alle  untereinander  blutsverwandt 
und  durch  ihren  häuslichen  Zusammenhang  dahin  gebracht  würden,  weder  Neid 
noch   Feindschaft  gegeneinander  zu  üben." 

Weiber-  und  Kindergemeinschaft  hatten  nach  den  Berichten  der  Allen 
ferner  die  „skythischen  Galactophagen" 3).  von  denen  Nicolaw  Damascenus 
schrieb4):  sie  zeichnen  sich  aus  durch  Gerechtigkeit  und  haben  Güter  und 
Weiber  gemeinschaftlich.  Daher  nennen  sie  alle  Bejahrten  Väter,  die  Jüngeren 
Söhne,  die  Altersgenossen  Brüder.  —  Auch  Strabo  schrieb  ihnen  (7,  300) 5) 
gemeinsamen  Besitz  von  Gütern,  Weibern  und  Kindern  zu:  ri:  yovaTxai;  nXaTomxcü; 
i'/ovrs:  xoivä?  xal  -rsxva.  Nur  Schwert  und  Trinkschale  seien  Privatbesitz 
gewesen.  In  der  Gemeinsamkeit  der  Güter,  Frauen  und  Kinder  suchte  Strabo 
die  Grundlage  jener  Gerechtigkeitsliebe,  welche  allgemein  als  die  Auszeichnung 
der  Scythen  und  Gethen6)  gegolten,  und  um  deretwülen  Aeschyhs  sie  eovo|M>i 
genannt  habe. 

Man  sieht  hieraus,  daß  Piatos  Vorschlag  zur  Weiber-  und  Kindergemein- 
schaft wohl  auf  eine  Entlehnung  aus  realen  Zuständen  zurückzuführen  ist. 
und  daß  er  auch  bei  Strabo  ein  Echo  fand.  -Ebenso  hallte  er  im  kaiserlichen 
Rom  wider,  da  Jusünus  (2,  2)  schrieb:  „Psorsus  ut  admirabile  videatur,  hoc 
Ulis  naturam  dare,  quod  Graeci  longa  sapientium  doctrina,  praeeeptisque 
philosophorum  consequi  nequeunt;  eultosque  mores  inculta  barbariae  collatione 
superari.  Tanto  plus  in  illis  proficit  vitioruin  ignoratio,  quam  in  bis  cognitio 
virtutis."  Justinus  sah  also  in  der  Weiber-,  Kinder-  und  Gütergemeinschaft 
einen  Zustand  der  LInschuld,  einen  Zustand,  der  ethisch  über  dem  der  Ein- 
heitsfamilie und  des  Privatbesitzes  stehe. 

sinilio  und  Biodor  wußten  ferner  von  afrikanischen  Troglodyten :) 
mit  Promiskuität  und  Kindergemeinschaft  zu  berichten.  Strabo  führt  sie  als 
Nomaden  ein.  Jeder  Stamm  habe  seinen  Beherrscher;  Frauen  und  Kinder, 
mit  Ausnahme  der  der  Tyrannen,  seien  gemeinschaftlich.  Wer  das  Weib  eines 
Tyrannen  mißbrauche,  habe  zur  Strafe  ein  Schaf  zu  zahlen.  Dio<l<>r  schrieb: 
„Sie  haben  ihre  Gemahlinnen  mit  ihren  Kindern  gemeinschaftlich.  Ausgenommen 
ist  allein  die  des  Gebieters8)".  — 

Bei  einem  Rückblick  auf  diese  alten  Völker  fragt  man  sieh,  ob  die  über 
sie  ausgesagten  Zustände  eine  Parallele  in  unserer  Zeit  haben.  Der  bejahende 
Fall  würde  zweifellos  die  Angaben  der  Alten  stützen. 

Nun  gibt  es  meines  Wissens  kein  Volk  der  Jetztzeit,  bei  dem  ein  Mann 
mit  einem  oder  mehreren  Weibern  nicht  auf  kürzere   oder  längere  Zeit  ztt- 


i)  Mon.  Indiana  II,  420  f. 

-I   1.  104  bei  Bachofen,  20f. 

a)  Es  sei  liier  daran  erinnert,  daß  Herodot  die  Skythen  Verwandte  der  Ägypter 
nannte,  und  daß  die  Versuche  RawlinSOns  und  Sayces,  ihn  zu  widerlegen,  mich  den  Darle- 
gungen in  der  Civiltä  Cattolica  (Jahrgang   1893)  nicht  gelungen  sein  dürften. 

')  Bei  Bachofen,  S.  21. 
Bei   Bachofen,  ebenda. 

'i  Fälschlich  auch  mit  den  (loten  identifiziert.  Immerhin  gehörten  die  Gethen,  als 
ein  Zweig  der  Thracier,  zur  indoeuropäischen  Völkerfamilie.  Zu  Hcrodots  Zeit  lebten  du' 
Geten  (Gethen,  Getae)  zwischen  dem  Balkan  und  der  unteren  Donau,  spater  zwischen 
Donau  und    Dnje*str.     Auch  sie  scheinen  in  Promiskuität  gelebt  zu  haben. 

')  Troglodyten    waren    den    Alten    in    Ägypten    und    an    der   abessi  nischen    Küste 
nnl       l  ber  Promiskuität   in   Ägypten  siehe  Kap.  60. 

8)  Bei  Bachofen.  15. 


§  331.     Zugehörigkeit  des  Kindes  bei  Völkern  mit  Promiscuität.  Hl  7 

sanimenlehte.  Wenn  also  dieses  Zusammenleben  mit  dem  Begriffe  „Promis- 
kuität" unvereinbar  wäre,  dann  könnte  man  behaupten,  daß  unter  den  Völkern 
der  Neuzeit  keines  bekannt  sei,  das  in  Promiskuität  lebe.  Allein  das  (äußere) 
Zusammenleben  macht  eben  die  Ehe  nicht  aus.  Ein  Zusammenleben 
(häuslicher  Zusammenhang)  ist  ja  auch  den  Agathyrsen,  ungeachtet  ihrer 
Promiskuität,  zugeschrieben,  ja  Herodot  sieht  gerade  in  dieser  die  beste  Grundlage 
für  ein  friedliches  Zusammenleben.  Die  Wahl  eines  Vaters  durch  die  heran- 
gewachsenen Kinder  eines  Weibes  läßt  sogar  vermuten,  daß  sich  innerhalb 
dieses  Stammes  Gruppen  bildeten,  welche  in  ihrer  äußeren  Form,  d.  h.  dem 
Zusammenleben  nach,  einer  Familie  glichen.  Es  ist  auch  sehr  wahrschein- 
lich, daß  bei  einem  solchen  äußeren  Zusammenleben  der  Beischlaf  zwischen  dem 
Mann  und  Weib  einer  solchen  Gruppe  häutiger  war,  als  zwischen  ihnen  und 
außer  ihrer  Gruppe  lebenden  Männern  und  Weibern.  Allein  ein  solches 
Geschlechtsleben  kann  doch  nicht  Ehe,  auch  nicht  einmal  Gruppenehe  im 
engeren  Sinne,  sondern  am  zutreffendsten  Promiskuität  genannt  werden.  Und 
solche  Verhältnisse  gibt  es,  nach  glaubwürdigen  Forschern,  tatsächlich  auch 
heute  noch.  Daß  bei  den  jetzigen  Völkern  oder  Stämmen  immerhin  bestimmte 
Grenzen  beobachtet  werden,  ändert  an  der  Tatsache  nichts,  daß  solche 
Zustände  nicht  Ehen  im  eigentlichen  Sinn  des  Wortes  genannt  werden  können, 
daß  hier  die  Kinder  ihre  Väter,  und  die  Väter  ihre  Kinder,  wie  bei  den  an- 
geführten Völkern  der  alten  Welt,  eben  nur  der  Ähnlichkeit  nach  kennen 
können,  und  daß  somit  hier  nur  Mutterrecht  herrschen  könnte,  wenn 
dieses,  wie  vielfach  behauptet,  die  ursprüngliche  Promiskuität  zur 
notwendigen  Voraussetzung  hätte. 

Im  Stamm  der  Urabunna  in  Australien  hat  wohl  jeder  Mann  ein  oder 
zwei  Weiber  in  seinem  Lager,  aber  er  verkehrt  auch  mit  den  Weibern  anderer 
Männer  ehelich,  und  zwar  mit  ihnen  als  Gatte  zweiter  Ordnung.  Umgekehrt 
hat  jedes  Weib  des  Urabunna-Stammes  einen  Mann  als  Hauptgatten  und  gilt 
anderen  Ehemännern  als  Nebenweib.  Die  Regelung  dieses  Geschlechtsverkehrs 
eines  Weibes  untersteht  direkt  dessen  älteren  Brüdern,  indirekt  den  Ältesten 
der  Stammesgruppe,  welche  einflußreichen  Männern  auch  in  dieser  Hinsicht 
mehr  Gunst  erweisen,  als  den  gesellschaftlich  unbedeutenden  Gliedern  ihres 
Gemeinwesens. 

Dem  Gesagten  zufolge  könnte  man  diesen  Geschlechtsverkehr  „Gruppen- 
ehe" nennen.  Allein  dieser  Verkehr  erstreckt  sich  auch  über  die  einzelnen 
Stammesgruppen  hinaus:  Stattet  ein  Urabunna  einer  bestimmten  Stammesgruppe,, 
einem  Verwandten  oder  Bekannten  einer  andern  Gruppe  Besuch  ab,  so  be- 
kommt er  auch  hier  Haupt-  und  Nebenweiber  seines  Gastgebers  geliehen.  — 
Innerhalb  seiner  eigenen  Stammesgruppe  kann  ein  Urabunna  sein  Hauptweib 
irgend  einem  Manne  leihen,  muß  es  aber  nicht  tun:  verweigert  er  dieses 
Hauptweib  aber  einem  aus  jenen  Männern,  welche  zu  diesem  Weib  im  Bang 
eines  Gatten  zweiter  Ordnung  (Piraungaru)  stehen,  dann  entsteht  Streit  und 
er  wird  als  Geizhals  verschrieen1). 

Wir  haben  also  bei  den  Urabunna  eine  gesetzlich  geregelte  Weiber- 
gemeinschaft,  d.  h.  Promiskuität,  die  sich  nicht  auf  je  eine  Stammesgruppe 
beschränkt,  sondern  über  diese  hinausgeht  und  in  das  Geschlechtsleben  auch 
anderer  Stammesgruppen  eingreift. 

Ähnliches  ist  bei  den  Dieri  und  andern  australischen  Stämmen  der  Fall, 
welche  bei  jeder  Beschneidung  die  in  Gruppenehen  (Pirauru)  lebenden  Männer 
und  Weiber  aufs  neue  verteilen  (vgl.  Kapitel  Beschneiduug,  §  244,  S.  139).  Ob 
es  sich  hier  aber  um  eine  Verteilung  nur  innerhalb  einer  Gruppe,  oder  um 
Austausch  verschiedener  Gruppen  handelt,  ist  mir  nicht  klar.     Ferner  ist  mir 


')  Spencer-Grillen,  The  Xative  Tribes  of  Central  Australia.  62f. 


618 


Kapitel  L.     Vater-  und  sogenanntes  Mutterrecht  usw. 


eine  Äußerung  Spencers  und  Gillens  über  die  Zugehörigkeit  der  Kinder  im 
Dieri-Stamm  nicht  bekannt,  wohl  aber  über  jene  bei  den  Urabuuna.  Die 
Abstammung  wird  hier  tatsächlich  nach  der  weiblichen  Linie  bezeichnet1). 
Die  Kinder  der  Weiber  leben  bei  jenem  Mann,  der  diesen  als  Gatte  erster 


Ordnung    beigegeben    ist. 


Es   möge   hier    ferner    beigefügt   werden,   was 


Spencer- Gitten  über  das  Gemütsleben  zwischen  diesem  Mann  und  seinen,  bzw. 
den  ihm  unterstellten,  Kindern  berichteten:  Die  Männer  halten  mehr  zu  den 
Kindern  ihrer  Hauptweiber2),  als  zu  jenen,  welche  von  Weibern  geboren  wurden, 
■die  ihnen  Neben-,  andern  Männern  aber  Hauptweiber  sind.  —  Das  Verwandt- 
schaftsverhältnis zwischen  einem  Mann  und  den  bei  ihm  lebenden,  bzw. 
seinen  eigenen.  Kindern  wird  gleich  ausgedrückt.  Er  nennt  sie  alle  „Biaka" 
und  wird  von  ihnen  allen  „Xia"  genannt.  — 

Promiskuität,  wenn  auch,  wie  in  Australien,  neben  formaler  Ehe,  dünkt 
mich  das  vom  Missionar  Dahmen  beschriebene  Verhältnis  der  Geschlechter 
bei  den  heutigen  Mannadis  oder  Kunnuvans  zu  sein.  Dahmen  stellt  die 
Sittlichkeit  dieses  Volkes  in  den  Palni-Bergen  des  südlichen  Indien8)  auf 


Fig.  443.    Maunadi-Kindnr  aus  den  Palni-Bergen.    Südliches  Vorderindien,     Nach  Dahmen, 

„Anthropos"  V,  322. 


■die  tiefste  Stufe.  —  ..Primitiv"  kann  dieser  Zustand  auch  hier  nicht  genannt 
werden,  weil  er  sich  erst  aus  der  Anschauung  der  Mannadis  heraus  entwickelt 
hat,  daß  jeder  Mann  ein  Anrecht  auf  die  Tochter  seiner  Tante  väterlicherseits 
habe.  Diese  Ansicht  und  deren  Umsetzung  in  die  Tat  sei  mehreren  dortigen 
Kasten  gemeinsam. 

Nach  W.Francis  stützt  sich  diese  Ansicht  allein  Anschein  nach  auf  den 
Grundsatz,  daß  der  Verlust,  welchen  eine  Familie  durch  das  Hinansheiraten 
einer  Tochter  erlitten,  dadurch  ersetzt  werden  müsse,  daß  dieser  Familie  eine 
Tochter  dieser  Tochter  zurückgegeben  werde4). 


1    S  and   Gillen,  The  Northern  Tribes,  H2ft\  —  Als  „primitive"  Zustände  dürfen 

die  obigen  freilich  nicht   bezeichnet  werden.     Hierzu  hat  die  exakte  Wissenschaft   noch   kein 
Recht,   weder  vom  anthropologischen,  noch  vom  linguistischen,   noch  vom  ethischen  Standpunkt 

aus.        Vgl,  auch  die  Auseinandersetzungen  BowittB,  Hartlands,  Längs  und  Thomas'  im  Polk- 
Vol.  XVI  u.  WJI. 

Daß    sie   aher   auch    hier    nicht    wissen,    ob    (las  Kind    von    ihnen    oder    einem   I.    n 
zweiter  Ordnung   dieses   Hauptweibes   gezeugt    ist,   ist    klar.     Immerhin    haben    sie   hier   eher 
igenes,  als  ein  fremdes  Kind. 
M  adras   Presidency. 
'1   Dahmen,   The    Kunnuvans   »r   Mannadis,    a    EBll-Tribe   of   the  Palnis.  South    India. 
Im  „Anthropos"   V,  320  IT. 


§  332.     Zugehörigkeit  des  Kindes  in  Gruppeneken.  Öl 9 

Bei  dem  oft  sehr  ungleichen  Alter  der  betreffenden  jungen  Leute  werden 
kleine  Knaben  mit  erwachsenen  Mädchen  verheiratet,  was  die  angedeutete 
Unsittlichkeit  zur  Folge  hat.  Ehe  der  Knabe  mannbar  wird,  verkehrt  sein 
Weib  nach  Belieben  mit  andern,  und  ist  er  einmal  so  weit,  dann  ist  ihm  sein 
Weib  zu  alt.  weshalb  viele  junge  Männer  ihren  Weibern  auf  die  gleiche  Weise 
vergelten,  wie  diese  ihnen  getan,  d.  h.  sich  mit  jüngeren  Weibern  verbinden. 
Die  Kinder,  welche  das  Weib  eines  Knaben  von  andern  Männern  hat.  und 
die  manchmal  fast  so  alt  sind  wie  der  Knabe  selbst,  gelten  als  seine  Kinder 
(Jhilimcn)1).  —  Die  Hypothese  von  einem  Zusammenhang  des  Mutterrechts 
mit  Promiskuität  findet  also  auch  hier  keine  Stütze.  — 

In  §  311  wurde  die  zu  gewissen  Zeiten  stattfindende  Promiskuität  in 
der  afrikanischen  Stadt  Hain  Lisnan  erwähnt.  Dem  religiösen  Charakter 
derselben  entspricht  die  Zuerteilung  der  Kinder  an  die  Priester  bzw.  an  den 
Tempel.     Vater-  und  Mutterrecht  werden  hier  also  ausgeschaltet. 

§  332.    Zugehörigkeit  des  Kindes  in  Gruppenelien. 

Ein  indogermanisches  Volk  mit  Gruppenelien  waren  die  britischen 
Kelten.  Je  10 — 12  Männer,  meist  Väter  und  Söhne,  hatten  gemeinschaftliche 
Frauen,  darunter  Mütter  und  Schwestern,  und  bildeten  mit  diesen  eine  Gruß- 
familie. Die  Kinder  zählte  mau  jenen  Männern  zu,  denen  die  Weiber  zuerst 
als  Jungfrauen  gefolgt  waren.  „Uxores  habent  deui  duodeniqtte  inter  se 
communes  et  maxime  fratres  cum  fratribus  parentesque  cum  liberis;  sed  qui 
sunt  ex  iis  nati,  eorum  habentur  liberi  quo  primum  virgo  quaeque  deducta  est-)." 

Nach  Strabo  (4,  201)3)  soll  bei  deu  Hibernischen  Kelten  sogar  öffentliche 
Promiskuität  geherrscht  haben:  cpavepSs  [itoYeo&ai  toi?  te  aMais  Yovaii-i  xai  [WjTpaai 
xai  aSsXcpai;.  Allerdings  war  Strabo  über  die  Tatsächlichkeit  dieser  Ver- 
hältnisse nicht  sicher,  denn  er  fügte  bei:  xal  taöxa  o^outiu  /.e-^uev  ä>?  oöx 
svovtss   iz'.'j-'.i-rjt   fiaptupac.  — 

Gruppenehen  wurden  ferner  den  Cyrenäischen  Nomaden4),  also  den 
früheren  Nomaden  des  jetzigen  Barka  im  nordöstlichen  Afrika,  zugeschrieben, 
und  zwar  im  ersten  Jahrhundert  nach  Christus.  Pomponius  Mela  schrieb 
von  ihnen5):  „Quanquam  in  familias  passim  ac  sine  lege  dispersi,  nihil  in 
■commune  consultttm:  tarnen,  qttia  singulis  aliquot  simul  conjuges.  et  plures 
ob  id  liberi  agnati  sunt,  nnsquam  pauci."  Diese  stelle  kommentiert  Bachofen: 
..Wir  sehen  hier  die  Gemeinsamkeit  der  Weiber  auf  ein  einzelnes  bestimmtes 
Geschlecht  beschränkt.  Nur  die  Verwandten  bleiben  beisammen:  diese  sind 
aber  durch  die  Mehrzahl  der  Frauen  stets  zahlreich.  Hier  erscheint  die  Frei- 
heit der  Geschlechtsmischung  als  das  erste  Band  einer  größeren  menschlichen 
Gemeinschaft.  —  Dieser  letzte  Satz  Bachofens  i>t  freilich  mehr  spekulativ. 
als  historisch.  — 

Bei  den  Todas  gibt  es  Gruppenehen  ueben  Polyandrie.  Die  Zugehörigkeit 
•des  Kindes  siehe  in  §  333. 

Als  eine  Art  Gruppenehe  könnte  das  Verhältnis  der  Bororö  im  „Männer- 
haus"  der  Kolonie  Theresa  Christina.  Brasilien,  aufgefaßt   werden.     Hier 


])  Andere  südindische  Stämme  mit  Promiskuität,  von  «leren  Kindern  mir  aber  keine 
Mitteilung  vorliegt,  folgen  in  Knp  LX.  —Sollten  die  Harkneßschev  Piney  Hills  etwa  mit  den 
Palni  Hills  bei  Dahmen  identisch  sein? 

*)  Caesars  Comm.  de  Bello  Gallico  V.  14. 

*)  Bei  Bachofen,  198. 

4)  Vgl.  die  Anmerkung  über  die  Erbauung  der  Stadt  Cyrene  durch  Minyer  und  die 
Polyandrie  der  Minver  in  §  333.  S.  624. 

5)  Bei   Bachöfen,  12  f. 


$•}()  Kapitel  L.     Vater-  und  sogenanntes  Mutterrecht  usw. 

findet  unterschiedslose  Vermischung  der  Männer  mit  den  weiblichen  Prostituierten 
statt.     Die  Kinder  sind  Gemeingut  der  Männer1). 

Über  die  Gruppenehe  der  Giljaken  und  Kodagu  siehe  Kapitel  LX. 
Vgl.  ferner  das  „Epanga",  d.  h.  die  Weiber-  und  Gütergemeinschaft  der  Hereros 
in  §  311,  sowie  den  Weiberaustausch  und  die  Kinderübernahme  bei  den  Nord- 
indianern in  Kapitel  XLVII.  — 

§  833.     Zugehörigkeit  des  Kindes  in  polyandrischen  Ehen'). 

Nach  Bachofen3)  und  E.  Jung*)  tritt  uns  im  indischen  National- 
Epos  Mahabharata  Draupadi,  die  Tochter  des  Draupada,  Königs  der  Pankala, 
als  die  gemeinsame  Gattin  von  fünf  Pandava,  den  Söhnen  des  Pandu  und 
dessen  Gemahlin  Kundi,  entgegen.  Dem  mit  der  polyandrischen  Ehe  seiner 
Tochter  unzufriedenen  Draupada  erwidert  Yudischthra.  der  älteste  der  fünf 
Männer,  daß  Dschatila  aus  der  Familie  Gautamas,  eine  vortreffliche  Frau,  sogar 
mit  sieben  Heiligen  zusammengelebt  habe,  und  Warkschi,  die  Tochter  eines 
heiligen  Gelehrten  (Muni),  sei  mit  zehn  Männern,  alle  Pradscheta,  d.  h.  Männer 
mit  bußgeläuterten  Seelen,  verheiratet  gewesen.  — 

Joseph  Dahlmann,  ein  hervorragender  Kenner  der  indischen  Verhältnisse, 
meint  allerdings,  diese  Ehe  symbolisch  auffassen  zu  können.  Draupadi  ist 
nach  ihm  kein  Weib,  sondern  die  Verkörperung  der  fünf  Vorzüge  der  Lakshml, 
das  Ideal  alles  Wünschens  und  Wollen«,  die  eine  himmlische  Qri,  welche  sich 
gleichzeitig  den  fünf  Indra  mitteilt.  Der  Dichter  gebe  den  fünf  Pandava  in 
der  Indra-Natur  eine  gemeinsame  göttliche  Natur  und  schaffe  in  den  fünf 
Eigenschaften  der  einen  Cri  gleichsam  das  Gegenstück  der  fünf  Indra.  In 
dem  gemeinsamen  Besitz  der  Cri  sei  der  gemeinsame  Besitz  des  einen  unge- 
teilten Vermögens  symbolisiert.  Zwar  möge  diese  Deutung  gesucht  erscheinen. 
aber  die  ältesten  Rechtsbücher,  die  wichtigste  Quelle  der  arischen  Sitten- 
geschichte, verrate  keine  Spur  polyandrischer  Sitten.  Man  dürfe  von  solchen 
Bräuchen  bei  südlichen,  bzw.  dravidischen,  Stämmen  nicht  etwas  für  die 
älteste  Kulturgeschichte  des  arischen   Indien  folgern. 

Auch  Ludwig  bemerkte:  „Wenn  neuere  Nachrichten  von  (einer  indischen) 
Polyandrie  berichten,  so  ist  dies  unzweifelhaft  als  eine  Verwilderung  durch  den 
Einfluß  nördlicher,  nach  Süden  vordringender  Barbaren  zu  betrachten,  nach- 
dem die  brahmanische  Disziplin  durch  Jahrhunderte  von  allen  Seiten  bedrängl 
und  erschüttert  worden  ist*).-'  — 

Nun  dürfte  es  aber  doch  zweifelhaft  erscheinen,  daß  eine  Station  die 
polyandrische  Eheform  als  Bild  einer  idealen  Verbindung  in  ihr  Epos  einfühlte, 
wenn  ihr  diese  Eheform  eines  fremden  Volkes  zum  Greuel  wäre. 

Sicherlich  ist  die  im  Kapitel  LX  zu  erwähnende  Berufung  der  neu- 
zeitlichen (dravidischen)  Kodagu  im  Dekan  auf  die  Polyandrie  der 
Draupadi  sehr  beachtenswert.  Dieses  in  Groppenehen  (Großfamilien) 
lebende  Volk  faßt  doch  wohl  die  Verbindung  der  Draupadi  mit  den  fünf  Pandava 
nicht  symbolisch,  sondern  als  Tatsache  auf.  sonst  hätte  es  sich  nicht  darauf  berufen. 

Aul  einen  „Urzustand",  wie  Bachofen  und  andere  meinten,  läßt  freilich 
auch  die  Polyandrie,  weder  bei  den  Ariern,  noch  bei  den  Dravida.  noch  bei  irgend- 
einem andern   Volke  schließen. 


i)   Karl  von    den   Steinen,   Unter  den   Naturvölkern   Zentralbrasiliens.      Volksansgabe. 
68f.  11    187. 

->   Die  Aufeinanderfolge  der  Völker  weicht  in  diesem  Abschnitt  von  der  sonst  üblichen 
i   Indien  und  Tibel   in  der  Polyandrie  eine  Hauptrolle  spielen. 
Uutterrecht,  S.  195. 
■i  Polyandrie  and  Polygamie,  Glob.  52,  S.  91. 

i  Joseph   Dahlmann:   l>;is  Alahabharata    als  Epos  und  Rechtsbuch.     Ein  Problem  ;ius 
Altindiens  Kultur-   und   Literaturgeschichte.     Berlin  lsi'ö.  S.  93ff. 


§  333.     Zugehörigkeit  des  Kindes  in  polyandrischen  Ehen. 


«21 


Was  Ludwigs  Gedanken  betrifft,  so  mag-  hier  daran  erinnert  werden,  daß, 
nach  Bachofen,  gerade  nach  dem  Norden,  und  zwar  in  die  Hochtäler  des 
Himalaya.  die  Urheimat  der  Pandava  verlegt  worden  ist.  Mit  welchem  Recht, 
kann  ich  freilich  nicht  entscheiden.  Karl  Bitter1)  nannte  die  Polyandrie 
eine  der  merkwürdigsten  S.puren  der  ältesten  Verbindung  Hoch- 
dekans mit  Hochtibet. 

Die  Beweisführung  Bachofens  bezüglich  des  Mutterrechts  in  der  Ehe 
Draupadis  scheint  mir  nicht  geglückt  zu  sein.  Bachofen  schrieb  nämlich:  „Die 
von  Draupadi  stammenden  Pandava  sind  Muttersöhne,  was  die  Polyandrie  mit 
fünf  Brüdern  notwendig  mit  sich  bringt.  Heißen  die  Kinder  Pandava,  so  muß  die 
Mutter  entsprechend  Pandaia 
genannt  werden."  —  Aber 
Draupadis  Männer,  also  die 
Väter  von  Draupadis  Söhnen, 
sind  ja  auch  Pandava.  und 
so  scheint  mir  vielmehr  die 
Übermacht  des  Mannes 
durch  die  Bezeichnung  ihres 
gemeinsamen  Weibes  als 
„Pandaia-',  und  zugleich  die 
Abstammung  in  männ- 
licher Linie  erwiesen  zu 
sein.  — 

InTibet  istPolyandrie 
von  älteren  und  neueren 
Forschern  bezeugt  worden. 
Zu  jenen  gehört  Turner2), 
zu  diesen  W.  Woodville  Rock- 
hill Als  dieser  die  Tsaidam- 
Mongolen  in  Tibet  über 
Polyandrie  befragte,  er- 
widerten sie.  sie  komme  bei 
ihnen  nicht  vor,  sei  aber  sonst 
überall  in  Tibet  gebräuchlich, 
weshalb  man  nicht  von 
Kindern  dieses  oder  jenes 
Vaters,  sondern  dieser  oder 
jener  Familie  spreche3).  — 
Nach  Michaelis*)  gibt  es 
übrigens  auch  mongolische 
Stämme  mit  Polyandrie. 

Bei  den  sprachlich  zur 
isolierenden   Völkerfamilie   gehörigen  Bhuteas  (Bhot-Tibeter)  in  Ladak  am 
obern   Indus   in   Kaschmir   ist   nach  Ritter*)  Polyandrie  unter  Brüdern  all- 
gemein; die  Kinder  fallen  dem  ältesten  zu. 

Nach  Cunninghamü)  leben  nur  die  Ärmeren  in  Polyandrie;  die  Reicheren 
in  Polygamie. 


Fig.  414.    Eine  polyandrisde  Ladak-Familie.    Drei  Männer  mit 

ihrem  gemeinsamen  Weib  und  zwei  Kindern.    Im  K.  Museum  für 

Völkerkunde  in  Berlin. 


!)  Erdkunde  1,  763,  779  und  781.     Bei  Bachofen,  S.  198. 

2)  Keise  nach  Tibet.  S.  393,  bei  Bachofen  S.   197. 

3)  Woodville   Rockhill:  Diary  of  a  Journey  through  Mongolin  and  Tibet.     Washington 
1894,  p.   193  u.   Anm. 

<)  Bei  Bachofen,  198. 

6j  Ebenda,  S.  197. 

*)  Bei  Emil  .Jianj.  Polyandrie  und  Polygamie  (ilnli.  .VJ.  S.  93. 


622 


Kapitel  L.     Vater-  und  sogenanntes  JIutte.Techt  usw. 


In  Sirimore  (Sirmur),  einem  Tributärstaat  des  Pandschab  im  Hima- 
laja, kaufen  mehrere  Brüder  zusammen  eine  Frau.  Hier  gehört  das  erst- 
geborne  Kind  dem  Ältesten,  das  zweite  dem  Nächstalten  usw. ').  — 

Gehen  wir  vom  Norden  nach  dem  Süden  mit  seiner  teils  rein  dravidischeu, 
teils  arisch-dravidischen  Mischbevölkerung,  so  finden  wir  nach  Emil  Jung 
Polyandrie  (mit  Neffenerbrecht)  in  Kanara,  Malabar  und  Travancore  bei 
den  Na'ir,  Tiyer  und  Kallady2). 

Nach  den  Quellen  Bohlens3)  gibt  es  aber  bei  den  Na'ir  Polygamie  und 
eine  Art  Promiskuität;  denn  Bohlen  schrieb:  Die  Trauung  wird  hier  im 
frühesten  Jugendalter  vorgenommen,  damit  man  der  Reinheit  der  Mädchen 
gewiß  sein  möge;  alsdann  aber  werden  die  Weiber  wieder  entlassen,  oder  mit 


Fig.  445.    Toda.    N  i  Igiri-Gebirge,   südlicliPS  Vorderindien.    Baefiler  phot. 

künde  in  Berl  in. 


K.  Museum  für  Volker 


andern  vertauscht,  und  sie  dürfen  leben  mit  wem  sie  wollen,  wenn  nur  die 
Buhlen  aus  höherem  Stande  sind4),  woher  es  kommt,  daß  die  Xair  sich  sämtlich 
als  Blutsfrainde.  betrachten,  daß  keiner  seinen  Vater  kennt,  und  jeder  die 
Schwesterkinder  als  seine  sichersten  Erben  ansieht.  -  Ein  Nair  kann 
aber  auch  die  sämtlichen  Schwestern  eines  ihm  nicht  verwandten  Hauses 
ehelichen. 

Bei  den  Todas  gibt  es  je  nach  Umständen  Gruppenehen,  oder  Polyandrie 
im  engeren  sinn.    Nach  Shorlt5)  macht  hier  ein  Weib  auf  alle  Brüder  ihres 

')  Jung,  ebenda  92. 

'-')  ./«»(/,  ebenda. 

:l)  Bei  Bachofen,  1!>8. 

'i   Höheren  Standes  müssen  auch  die  legitimen  Gatten  der  Hindufrauen  sein.    Vgl.  d.  b< 
Kapitel  über  Kindermord. 

■)  Ethnological  Society,  Transaction,  X.  S.  VIT,  240.   Bei  Herbert  Spencer:  The  Prini  pl< 
..l  Sociology,  Vol   1.  New  York  1893,  p.  642. 


§  333.     Zugehörigkeit  des  Kindes  in  polyaudrischen  Ehen.  623 

zuerst  angetrauten  Mannes  Anspruch.  Hat  sie  Schwestern,  so  werden  diese,, 
neben  ihr,  die  Weiber  ihres,  bzw.  ihrer  Männer.  Somit  kann  ein  oder  mehrere 
Weiber  mit  einem  oder  mehreren  Männern  unter  einem  Dache  in  unterschiedsloser 
geschlechtlicher  Vermischung  zusammenleben. 

Nach  den  Mitteilungen  des  Toda-„Königs"  Pinpurz  Kutan  bei  H. 
Harhieß')  sind  es  zwar  zunächst  Brüder,  welche  ein  Weib  gemeinsam  haben; 
fehlt  es  aber  an  Brüdern,  so  werden  diese  durch  andere  Männer  ersetzt,  Neben 
den  formell  angetrauten  Gatten  kann  das  Weib  mit  Erlaubnis  dieser  noch 
verschiedene  Zuhälter  haben. 

Die  Polyandrie  hängt  hier  keineswegs  von  der  freien  Wahl  des  einzelnen 
Mannes  oder  Weibes  ab,  sondern  der  Zwang  des  Herkommens  bürdet,  selbst 
wo  Monogamie  gewünscht  wird,  Polyandrie  auf.  Pinpurz  Kutan  und  seine 
Gattin  Pilluvani,  die  monogam  leben  wollten,  sind  selbst  ein  Beispiel  dieser  Art2). 

Die  Verlobung  des  Mädchens  kann  schon  in  den  ersten  Monaten  nach 
der  Geburt  stattfinden.  Pinpurz  Kutan  war  sieben  Jahre  alt,  als  ihn  sein 
Vater  mit  dem  ein  bis  zwei  Monate  alten  Töchterlein  Kinoris  verlobte.  Die 
Verlobung  zieht  relativ  bedeutende  Verpflichtungen  bis  zur  Hochzeit  nach  sich, 
und  kann  seitens  der  Braut  nur  mit  schweren  Opfern  gelöst  werden.  Der 
Verlobte  tut  sich  leichter.  Kutan  löste  nach  dem  Tod  seines  Vaters  seine 
Verlobung  durch  drei  Kühe  auf,  da  er  jetzt  zur  Selbstwahl  berechtigt  war. 
Aber  zwei  Nebenmänner  mußte  er  auch  seiner  selbstgewählten  Frau  Pilluvani 
antrauen  lassen.  Sein  Verhältnis  zu  dieser,  zu  den  Nebenmännern,  zur  Nach- 
kommenschaft und  zum  Schwiegervater  schildert  Pinpurz  selbst  folgenderweise: 
Pilluvani  hätte  den  ersten  Monat  mit  mir,  den  zweiten  mit  Khakhood  (dem 
2.  Gatten)  und  den  dritten  mit  Tumbut  (3.  Gatte)  leben  sollen.  Ich  hätte 
unser  Weib  das  erste  Jahr  gekleidet,  Khakhood  das  zweite,  Tumbut  das  dritte. 
Mir  hätten  die  drei  ersten  Kinder  gehört,  Khakhood  die  nächsteji 
drei,  Tumbut  die  folgenden  drei;  dann  wäre  die  Beihe  wieder  an  mich 
gekommen.  Zwei  oder  drei  Monate  vor  der  Geburt  eines  jeden  meiner  Kinder 
hätte  ich  vor  meinem  Schwiegervater  unter  Darreichung  eines  „Billu" 3) 
meinen  Anspruch  auf  das  kommende  Kind  gemacht  und  versprochen,  dieses  zu 
schützen  und  zu  nähren  (vgl.  S.  609).  Dabei  hätte  ich  ihm  5  —  10  Bupien  gegeben 
und  dafür  aus  seiner  Herde  die  schönsten  3 — 6  Kühe  wählen  dürfen.  Bei  der 
Geburt  eines  Knaben  hätte  er  mir  außerdem  eine  Färse  schenken  müssen, 
was  bei  einem  Mädchen  wegfällt,  weil  die  Mädchen  bald  verlobt  werden  und 
dadurch  zu  Vermögen  kommen.  Nach  der  dritten  Geburt  wären  meine  Rechte 
und  Pflichten  zuerst  auf  Khakhood  und  dann  auf  Tumbut  übergegangen.  Auch 
sonst  hätte  ich  ihnen  etwas  von  meinen  Rechten  abtreten  können.  Verpflichtet 
wären  wir  alle  drei  zum  Schutz  und  zur  Verheiratung  aller  Kinder  gewesen; 
im  übrigen  hätte  ich  immer  die  höchste  Autorität  gehabt,  — 

Wir  haben  hier  also  ein  streng  geregeltes  polyandrisches  Familiensystem, 
welches  aber,  nach  Metz,  im  allgemeinen  wenig  Sympathie  zwischen  den  Vätern 
und  Kindern  zeitigte. 

Im  Innern  Ceylons  herrschte,  nach  Tennant,  besonders  bei  (Jen  Avohl- 
habenderen  Klassen  Polyandrie,  bis  Henry  Ward  als  Gouverneur  dieser  Familien- 
form ein  Ende  machte.  Häufig  hatte  eine  Frau  3—4,  bisweilen  7  Männer. 
Ein  alter  Häuptling  ließ  die  Polyandrie  der  Feudalzeit  entstammen.     Damals 


')  A  Uescription  of  a  Singular  Aborigiual  Race  Inhabiting  the  Summit  of  the 
Neilgherry  Hills  .  .  .  London  1832.  pp.  121  ff. 

")  Pilluvani  und  Pinpurz  Kutan  lehnten  sich  gegen  den  alten  Brauch  der  Polyandrie 
auf,  was  ihnen  den  Haß  und  die  Verfolgung  der  Verwandten  Pilluvanis  und  der  Nebenmänner, 
sowie  den  Verlust  des  Vermögens  zuzog.  Pilluvani  selbst  wurde  ihrem  Gatten  während  dessen 
Abwesenheit  geraubt  und  das  Kind  beider  seinem  Schicksal  überlassen. 

3)  Ein  Stück  Holz,  jedenfalls  mit  symbolischer  Bedeutung. 


£24  Kapitel  L.     Vater-  und  sogenanntes  Mutterrecht  usw. 

seien  die  Ehemänner  häufig  zu  langer  Abwesenheit  von  zu  Hause  gezwungen 
gewesen,  um  dem  König  und  den  Großen  des  Landes  persönliche  Dienste  zu 
Leisten.  Dadurch  seien  die  Felder  unbebaut  geblieben1).  —  In  neuerer  Zeit 
entschuldige  man  die  Unsitte  damit,  daß  die  Polyandrie  die  Zersplitterung  des 
Grundbesitzes  verhindere.  Doch  komme  sie  jetzt  nur  noch  bei  den  singhale- 
sischen  Kandyern,  einer  kräftigen  Rasse  im  gebirgigen  Innern  der  Insel, 
vor.  Wie  früher,  so  sind  es  auch  jetzt  noch  Brüder,  welche  gemeinschaftlich 
eine  Frau  haben.  Der  erste  Mann  kann  auch  einen  Nichtverwandten  an  seinen 
ehelichen  Rechten  teilnehmen  lassen  und  seiner  Frau  so  viele  Männer  zuführen, 
als  sie  wünscht.  -  -  Nach  Jung  wird  nur  der  älteste  Gatte  von  den  Kindern 
Vater  genannt2).  —  Nach  BertoJacci  gehören  sie  nur  ihm,  erben  aber  dennoch 
>das  Vermögen  auch  der  übrigen  Männer  ihrer  Mutter.  — 

Polyandrie  unter  den  Lakedämoniern  als  althergebrachten  Brauch 
bezeugte  Polybius3).  Die  Kinder  gehörten  den  drei,  vier  oder  mehreren  Männern 
zusammen:  „tlotpä  uiv  ydlp  toi;  Aaxsoaiu.ovioi;  xaj  r.axpiov  t;v  xat  ouvtj&ss  tpei?  avSpa? 
eyeiv  ■yuva"w(  xai  reTrapac,  ttgtj  os  xai  TtXefouc,  aSsXcpoüc  ovrac,  xol  rexva  toutwv 
etvat    xoiva,    xal    ■yevv»jaavTa   rcalSa;    ixavou:    exSöaftai   -jUVCHy.di   tivi   töjv    <ptXa>v  xaXov 

X0tl    OUV/j&SC."     

Auch  bei  den  Minyern4)  in  Arabia  felix  war  Polyandrie  üblich. 
Sträbo5)  erwähnte  von  dort  eine  Königstochter  als  die  gemeinsame  (iattiu 
ihrer  eigenen  fünfzehn  Brüder.  Auch  meldete  Strabo  Polyandrie  nicht  nur 
in  königlichen  Familien  des  alten  Arabien,  sondern  schrieb:  ,. Alle  Bluts- 
verwandten haben  gemeinsamen  Besitz.  Herrscher  aber  ist  der  Alteste.  Eine 
Frau  haben  alle.  Wer  zuerst  kommt,  geht  hinein  und  wohnt  ihr  bei.  Er 
läßt  seinen  Stab  vor  der  Türe  stehen;  denn  alle  pflegen  Stöcke  zu  tragen8). 
Des  Nachts  weilt  sie  bei  dem  Ältesten.  So  sind  alle  untereinander  Brüder. 
Sie  wohnen  auch  ihren  Müttern  bei.  Auf  dem  Ehebruch  steht  der  Tod.  Ehe- 
brecher ist  der  eines  andern  Geschlechts." 

Die  Stellung  der  Kinder  bei  diesen  polyandrischen  Minyern  ist  nur  an- 
gedeutet: „Die  Brüder  werden  höher  geschätzt  als  die  Kinder.  Nach 
der  Erstgeburt  richten  sich  Herrschaft  im  Geschlechte  und  andere  Würden."  — 

Von  den  andern  mir  bekannten  polyandrischen  Völkern7)  liegt  mir 
betreffs  Nachkommen  nur  eine  Notiz  über  die  Neuen  Hebriden  vor:  Hier  ist 
es  „eine  Art  Übereinkommen",  daß  zwei  Witwer  mit  einer  Witwe  leben.  Sie 
und  die  Kinder  gehören  beiden8).  — 

§  334.  Ein  Überblick  über  die  §§  331—333  ergibt,  was  die  Zugehörig- 
keit des  Kindes,  bzw.  das  Vaterrecht  und  das  sogenannte  Mutterrecht  betrifft, 
folgendes: 

Von  den  Völkern,  denen  unterschiedsloser  Geschlechts  verkehr  nach- 
gesagt wird,  teilten  die  Liburner,  einige  Stämme  des  obern  Libyens  und  die 


')  Bei  Jung,  Glob.  52,  S.  92. 
»)  Ebenda,  91  f. 

3)  Nach  Bachofen  (198)  in  den  von  Mai  entdeckten,  im  2.  Band  der  Script,  vctt.  nova 

colleetio  herausg.,  von   Lucht  durchgesehenen  Vaticana  fr.  12,6  p.  16.  —  Lakonien,  dessen 

politischer  Mittelpunkt  Sparta  war.  war  eine  dorische  Kolonie.    Die  Dorier  waren,  nach 

Wilamowitz-Möllendorf  (Einleitung   in  die  attische  Tragödie,  Berlin  1889).  Illyrier,  welche 

dio  Sprache  der  unterworfenen   Hellenen  annahmen. 

'l  Minvi'r,  ein  alt-  oder  vorgriechischer  Stamm,  waren  auch  in  Thessalien  und  Böotien. 
l'in  680  v  Chr.  gründeten  Minyer  um  der  Insel  Thera  die  Stadt  Kyrene,  nach  welcher  die 
Landschaft    Cyrenaika   ihren   Namen  erhielt  (vgl.  S.  619,  Anm.    h 

i   L6,  783.     Bei   Bachofen,   13.     Vgl.  Jos.  Müller,  D.  s.  L.  d.  X..  Renaissance  I,  24. 
Der  stah  in  der   Erde    war  nicht    nur   bei    den    alten   Arabern,   sondern    auch    hei 
den  Massagoten  u.  Nas am onen  das  Symbol  des  Beischlafes.  Siehe  Bachofen^.S.  10»  l.'iu.  19. 
Vgl    Kap    LX. 

Hob.  52,  s    91. 


§  334.     Vater-  und  sogenanntes  Mutterrecht  usw.  625 

Garamanten  die  Kinder  den  Vätern  ihrer  Ähnlichkeit  nach  zu;  bei  den 
Troglodyten  und  Galactophagen  waren  die  Kinder  Gemeingut;  bei  den 
Ausern  und  Agathyrsen  durften  die  Kinder  selbst  ihre  Väter  wählen. 
Mutterrecht  ist  also  bei  diesen  alten  Völkern,  denen  Promiskuität  zugeschrieben 
wird,  nicht  nachgewiesen.  Ebensowenig  finden  wir  es  bei  den  heutigen 
Mannadis,  während  die  Urabunna  wenigstens  einen  charakteristischen  Zug 
des  Mutterrechtes,  d.  h.  Abstammung  nach  der  weiblichen  Linie,  aufweisen. 
Diese  Tatsachen  sprechen  also  in  ihrer  überwiegenden  Mehrzahl  nicht 
zugunsten  der  Theorie  Bachofens  und  späterer  Gelehrten,  welche  sich  auf 
die  Grundsätze  stützt:  Wo  der  Vater  unbekannt  ist,  herrscht  Mutter- 
abstammung, weshalb  das  Mutterrecht  ein  Rest  einer  ursprünglich 
allgemeinen  Promiskuität  ist. 

Ebensowenig  wird  diese  Theorie  durch  das  allerdings  sehr  spärliche 
Material  über  die  Zugehörigkeit  des  Kindes  in  der  Gruppenehe  oder 
Großfamilie  gestützt  (§  332). 

Die  polyandrische  Völkergruppe  des  vorliegenden  Kapitels  ergibt, 
abgesehen  von  dem  umstrittenen  Fall  im  Mahabharata.  folgendes: 

Die  angegebene  Bezeichnung  der  tibetanischen  Kinder  nach  Familien, 
nicht  nach  den  Vätern  oder  Müttern,  ist  betreff  Vater-  oder  Mutterrecht  un- 
klar; die  Bhuteas  in  Ladak  eignen  die  Kinder  dem  ältesten  Mann  der  Familie 
zu;  in  Sirmur  im  Pandschab  gehören  die  Kinder  den  Männern  der  Reihe, 
bzw.  der  Altersfolge  nach;  eine  sog.  mutterrechtliche  Erscheinung  aber  haben 
wir  im  Erbgang  der  Nai'r;  bei  den  Todas  hingegen  finden  wir  eine  ähnliche 
Zuerteilung  der  Kinder  an  die  Männer  wie  in  Sirmur.  mit  dem  Unterschiede 
nur,  daß  die  Toda-Kinder  je  drei  an  je  einen  Mann,  vom  ersten  angefangen 
abwärts,  verteilt  werden;  auf  Ceylon  gehören  die  Kinder  dem  ältesten,  beerben 
aber  auch  die  übrigen  Männer  der  polyandrischen  Familie;  bei  den  alten 
Lacedämoniern  waren  die  Kinder  Gemeingut  der  Männer;  die  Mitteilung 
über  die  Zugehörigkeit  des  Kindes  in  den  arabischen  Tyrannenfamilien  zu 
Strabos  Zeit  ist  unklar.  Die  Vorzugsstellung  der  Brüder  (der  Mutter?)  vor 
den  Kindern  deutet  auf  Mutterrecht,  die  Bezeichnung  des  Ältesten  als 
Herrscher  und  das  Recht  der  Erstgeburt  auf  patriarchalische  Verhältnisse 
hin;  auf  den  Neuen  Hebriden  sind  die  Kinder  Gemeingut  der  Männer. 

Das  Resultat  ist  demnach  auch  in  der  polyandrischen  Gruppe  ungünstig 
für  die  fpypothese,  daß  das  Mutterrecht  mit  der  Unkenntnis  des  Vaters,  bzw. 
mit  der  Promiskuität  als  Urzustand  der  Menschheit  zusammenhänge.  — 


Plo  ß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  40 


Kapitel  LI. 

Fortsetzung  über  das  sogenannte  Mutterrecht. 
Tatsachen  und  Erklärungsversuche. 

§  335.     Wer  die  Abhandlungen  über  das  „Mutterrecht"   seit  Backofen, 

wenigstens  teilweise,  verfolgt  hat1),  wird  es  begreiflich  finden,  daß  dieses  Wort 
im  vorliegenden  und  vorhergehenden  Kapitel  zwischen  Anführungszeichen, 
oder  mit  dem  vorsichtigen  Epitheton  „sogenannt"  erscheint.  Noch  hat  man 
allzuwenig  Klarheit  darüber,  ob  es  bei  jenen  Erscheinungen,  welche  man 
seit  Bachofen  als  „mutterrechtiiche"  zu  bezeichnen  gewöhnt  ist.  Rechte  des 
männlichen  oder  weiblichen  Geschlechtes  überhaupt,  ob  es  im  besonderen  Rechte 
der  Mutter,  oder  Rechte  ihres  Bruders  oder  ihrer  Sippe  sind,  wie  ich  sie  zum 
Teil  auffasse. 

Zu  diesen  Erscheinungen  gehören  vor  allem:  Vererbung  des  Namens, 
Eigentums,  Titels  und  Totems,  bzw.  der  Mitgliedschaft  der  Familie 
oder  des  Stammes  (clan)  durch  die  Mutter,  nicht  durch  den  Vater. 

Bachofen  und  manche  spätere  Gelehrte,  die  in  seine  Fußtapfen  traten, 
verbanden  mit  dem  Begriffe  Mutterrecht  im  weiteren  Sinn  auch  .Mutter- 
herrschaft (Matriarchat)  und.  noch  weiter  gehend,  die  Herrschaft  des  Weibes 
außerhalb  der  Familie,  d.  h.  im  Stamme  (G ynäkokratie). 

Wieder  andere  wandten  diese  drei  Begriffe  unterschiedslos  an, 
was  zur  Klärung  der  Frage  nach  dem  Wesen,  Grund  und  Zweck  des  ..Mutter- 
rechtes-  direkt  freilich  nichts  beitrug,  aber  immerhin  zu  neuen  Anstrengungen 
angespornt  haben  mag.  um  in  dieses  Problem  Klarheit  zu  bringen,  was  auch 
teilweise  gelungen  ist. 

In  neuester  Zeit  meinte  H.  J.  Böse  sogar,  das  Problem  sei  nun 
endgültig  gelöst,  indem  er,  mit  einem  Hinweis  auf  Fruzer,  von  einem  Recht 
der  Mutter  in  den  obigen  Erscheinungen  absah,  das  Recht  ganz  in  die  Hände 
des  Bruders  der  Mutter  legte  und  demgemäß  den  Ausdruck  „Mutterrecht" 
durch  den  Ausdruck  „avunculi  potestas"  (Gewalt,  Reiht  des  Oheims) 
ersetzte  -). 

ha-  weibliche  Geschlecht  im  allgemeinen  hat.  nach  Rose,  bei  Völkern 
mit  „Mutterrecht"  kein  Vorrecht  vor  dem  männlichen  Geschlecht  im  allgemeinen, 
obgleich  die  Ehefrau  oft  mehr  Ansehen  genießt,  als  ihr  Ehemann.  Nicht  die 
Mutter  sei  gewöhnlich  das  Haupt  der  Familie  oder  der  Sippe  (clan).  sondern 
der  älteste  Mann  auf  weiblicher  Seite.  Das  Mutterrecht  sei  also  nicht 
ti ynäkokratie,  sondern  avunculi  potestas  (Oheimrecht).  — 


'i   Kapitel    1A    •_■  < - 1 1 1    auf    Bachofens   „Mutterrecht"    und   andere   einschlägige   Arbeiten 

ein,  als  es  hier  möglich  ist. 
i    //.  .'.    Böse,   Hu   the  alleged  Kvidenee  for  Mother-Right  in  Early  (ireec«.     In  Folk- 
Lore.    Wll.    London,    September   lull.    p.  277  f.    —    liier  weist   übrigens   Rose  selbst  darauf 
hin,  daß  die  Sippe  (clan)    des   Weibes  es  ist.    welche  ihr   Etechl   auf  ihre  Töchter   und  deren 
Nachkommen  nicht  aufgeben  will.     (Folk-Lore  XXII.  L'77  I  ) 


§  336.     Das  sogenannte  Mutterreeht  bei  Indo-Europäern  usw.  627 

Nun  begegnen  uns  aber  im  vorliegenden  Kapitel  Völker,  welche  dem 
Weib,  neben  Abstammung  und  Erbgang  durch  dieses,  tatsächlich  eine  hervor- 
ragende, oder  doch  eine  dem  Mann  ebenbürtige  Stellung  in-  und  außerhalb 
der  Familie  einräumen,  so  daß  man  bei  einer  Zusammenfassung  dieser  Rechts- 
verhältnisse  eher  an  ein  Übergewicht  des  weiblichen  Geschlechtes,  als 
umgekehrt,  denkt.  Beispiele  hierfür  sind  unter  anderen  die  Palau-Insulaner, 
die  Khasis  und  Navajos  (§§  340—342). 

Ferner  ist  der  älteste  Mann  auf  weiblicher  Seite,  der  auf  das  Kind  eines 
"Weibes  Anspruch  macht,  nicht  immer  der  Oheim  des  Kindes  (avunculus), 
sondern,  wie  aus  den  folgenden  Paragraphen  hervorgeht,  bei  verschiedenen 
Völkern  mit  „Mutterrecht"  der  Vater  des  "Weibes,  also  der  Großvater  des 
Kindes;  bei  anderen  Völkern  sind  es  beide  Eltern  des  "Weibes;  bei  anderen 
„die  Verwandten"  des  Weibes;  wieder  bei  anderen  hat  das  Weib  allein  ein 
Recht  über  seine  Kinder  usw. 

Demnach  wird  die  „avunculi  potestas"  eine  allgemein  gültige  Lösung 
des  Problems  kaum  sein.  Vielleicht  ist  eine  einheitliche  Lösung  überhaupt 
nicht  zu  erwarten,  da  ja  die  Gründe  solcher  Rechtsverhältnisse  bei  verschiedenen 
Völkern  verschieden  sein  können.  Immerhin  möchte  auch  dieses  Kapitel  einen 
Lösungsversuch  machen.  Ob  er  gelingt,  möge  hauptsächlich  nach  dem  Schluß - 
Paragraphen  (§  343),  der  einen  Überblick  über  das  Tatsachenmaterial  er- 
möglicht, beurteilt  werden.  — 

§  336.     Das  sogenannte  Mutterreeht  bei  Indo-Europäern  mit  Einschluß 
einiger  ethnisch  umstrittener  Völker. 

Von  mehr  als  einer  Seite  ist  es  schon  in  Abrede  gestellt  worden,  daß 
das  sogenannte  Mutterreeht  in  historischer  Zeit  innerhalb  der  indo-  europäisch  rn 
Völkerfamilie  je  geherrscht  habe.  Diese  Negierung  ist  aber  in  neuerer  Zeit 
durch  H.  von  Wlislockis  Schilderung  der  Stamm-  und  Familienverhältnisse  bei 
den  transsylvanischen  Zeltzigeunern1)  aufgehoben.  Hier  tritt  nämlich 
regelmäßig  die  weibliche  Linie  in  den  Vordergrund,  während  die  männliche 
Linie  nur  ausnahmsweise  zur  Geltung  kommt,  z.  B.  wenn  ein  Vorfahre  des 
Vaters  mit  Vojvoden- Familien,  d.  h.  mit  Familien  der  Stammesvorstände  und 
-Bevollmächtigten,  verwandt  war.  Der  Zeltzigeuner  muß  sich  stets  der  Truppe, 
bzw.  Sippe  seiner  Gattin  anschließen,  wenn  er  auch  von  seiner  eigenen  Sippe 
noch  als  Einheit  mitgezählt  wird.  Seine  Kinder  gehören  der  Sippe  seiner 
Frau  an,  gelten  mit  seiner  Sippe  nicht  einmal  als  nahe  verwandt  und  können 
deshalb  in  diese  zurückheiraten;  nur  dürfen  die  Söhne  nicht  ihres  eigenen 
Vaters  Schwestern  ehelichen.  Der  junge  Ehemann  erhält  das  ganze  Mobiliar 
des  neuen  Hausstandes,  d.  h.  Wagen,  Zelte.  Pferde,  "Werkzeuge  usw.  von  seiner 
Frau,  deren  Anverwandte  sorgsam  über  die  Erhaltung  dieses  Vermögens  wachen 
und  den  Mann  nötigen,  mit  der  Sippschaft  seiner  Frau  zu  wandeln.  Der 
Zigeuner  kümmert  sich  nach  WlislocM  um  das  leibliche  und  geistige  Wohl 
seiner  Kinder  nicht  im  geringsten;  die  ganze  Last  liegt  auf  der  Mutter. 
Stirbt  diese,  so  fällt  die  Sorge  für  die  Kinder  nicht  ihm,  sondern 
der  Sippe  der  Verstorbenen  zu.  Der  Vater  heiratet  wieder  in  einen  anderen 
Stamm  und  gilt  der  Sippe  seines  verstorbenen  Weibes  wieder  als  Fremder. 
wenn  er  nicht  beim  ersten  Haarschneiden'2)  seines  ersten  Kindes  aus  der  neuen 
Ehe  einen  Mann  aus  jener  zum  „Beistand"  wählt.  Ein  Zeltzigeuner  darf  auch 
gar  nicht  zweimal  aus  der  gleichen  Sippe  heiraten.  „Neues  Weib,  neue  Sippe  - 
lautet das  Sprichwort.  — 

')  Über  die  Zugehörigkeit  der  Zigeuner  zur  indo-europäischen  Völkerfamilie  herrscht 
meines  Wissens  kein  Zweifel  mehr.  Ob  an  eine  Entlehnung  der  obigen  Rechtsverhältnisse 
zu  denken  ist.  muß  ich  allerdings  anderen  zur  Entscheidung  überlassen.  Siehe  auch  Assam,  S.  040. 

2j  Über  die  Wichtigkeit  dieses  Aktes  bei  vielen   Völkern  s.  Kap.  XXXV  u.  a.  m. 

40* 


(J28      Kapitel  LI.    Fortsetzung  über  das  sog.  Mutterrecht.    Tatsachen  u.  Erklärungsversuche. 

Andererseits  nimmt  die  Zigeunerin  eine  wenig  geachtete  Stellung  in  ihrer 
Sippe  ein,  ehe  sie  eine  bejahrte  Matrone  geworden  ist. 

Was  die  indo-europäischen  Völker  der  alten  Welt  betrifft,  so  glaubten 
verschiedene  Gelehrte,  die  bei  jenen  gefundenen  Einzelerscheinungen  des 
sogenannten  Mutterrechtes  auf  fremden  Einfluß  zurückführen  zu  müssen. 
Als  ein  solcher  Einfluß  galt  der  der  Pikten,  die  z.  B.  bei  0.  Schröder,  bzw. 
//.  Zimmer  und  bei  Grupp  als  ein  vorkeltisches,  vorarisches  (vorindo- 
germanisches)  Volk  eingeführt  sind1). 

Die  Gründe  dieser  Abtrennung  der  Pikten  von  den  Indo-Europäern  sind 
mir  nicht  bekannt.  Den  Alten  hat  dieses  Volk  wohl  als  ein  keltischer 
Stamm  gegolten.  Als  solcher  ist  er  wenigstens  von  den  Philologen  K.  E.  Georges2) 
und  Franz  Fügner3)  aufgeführt. 

Über  einen  Zweig  dieser  Pikten,  d.  h.  die  Pikten  in  Britannien, 
schrieb  H.  Zimmer*):  Das  Mutterrecht  stand  bei  ihnen  in  voller  Geltung. 
Es  regelte  die  Erbfolge  noch  Jahrhunderte,  als  die  Pikten  längst  christianisiert 
und  sprachlich  keltisiert  waren,  bis  zum  Untergang  ihres  Staates  im  9.  Jahr- 
hundert. Die  Frauen  nahmen  nicht  etwa  eine  besonders  hohe  Stellung  ein; 
im  Gegenteil:  Nirgend  herrscht,  soviel  wir  sehen,  eine  Frau.  Die  Mutter, 
also  die  Geburt,  bestimmt  aber  die  Stammzagehörigkeit,  das  Erb- 
recht. —  Auf  einen  Piktenherrscher  und  seine  Brüder  folgt  nicht  etwa  der 
Sohn  des  ältesten,  sondern  der  Sühn  der  Schwester;  auf  diesen  und  seine 
eventuellen  Brüder  von  Mutterseite  folgt  wieder  ein  Schwestersohn  und  so  fort. 

//.  d'Arbois  erwähnt  für  das  nördliche  Gallien  und  für  Irland  (also 
für  Gebiete  mit  keltischer  Grundlage)  ganz  besondere  Begünstigung  der 
Schwester-,  Tochter-  und  Nichtensöhne;  das  gleiche  sei  in  Indien  und  bei 
den  Osseten5)  der  Fall. 

Grupp  fand  bei  den  Kelten  mehr  Spuren  des  Mutterrechts  als  bei  den 
Griechen  und  Römern,  womit  er  in  einen  Gegensatz  zu  Bachofen  trat,  der 
das  Mutterrecht  „vorzugsweise"  bei  den  ältesten  Stämmen  der  Griechen 
gefunden  haben  wollte.  Hierbei  hatte  Bachofen  allerdings  vor  allem  die  Lykier 
im  Auge,  deren  Zugehörigkeit  zur  indo-europäischen  Völkerfamilie  Kreisch  mir 
in  Abrede  stellt,  während  S.  Bugge  an  ihr  festhält. 

Bei  diesen  Lykiern  nun  erscheint,  nach  Bachofen,  Mutterrecht  sowohl  im 
Mythus,  als  in  der  Geschichte;  Herodoi  und  Nicolaus  Damascenus  bezeugten  es. 
Aus  Serodot  übersetzt  Bachofen  die  bekannte  Stelle:  Eine  sonderbare  Gewohn- 
heil haben  sie  (die  Lykier),  die  sonst  kein  anderes  Volk  hat.  Sie  benennen 
sich  nach  der  Mutter,  nicht  nach  dem  Vater.  Denn  wenn  man  einen 
Lykier  fragt,  wer  er  sei,  so  wird  er  sein  Geschlecht  von  Mutterseite  angeben, 
und  seiner  .Mutter  .Mütter  herzählen.  Wenn  eine  Bürgerin  mit  einem  Sklaven 
sich  verbindet,  so  gelten  die  Kinder  für  edelgeboren;  wenn  aber  ein  Bürger, 
und  wäre  es  der  vornehmste,  eine  Ausländerin  oder  ein  Kebsweib  nimmt,  so 
genießen  die   Kinder  keinerlei  bürgerliche  Rechte  (<mu.ot   za  rexva). 

Aus  Nicolaus  Damascenus6)  übersetzt  Bachofen7):  Die  Lykier  erweisen 
den  Weibern  mehr  Eine  als  den  Männern;  sie  nennen  sich  nach  der  Mutter 
und  vererben  ihre  Hinterlassenschaft  auf  die  Töchter,  nicht  auf  die  Söhne. 

Keiner  glaubte  Bachofen,  Mutterrecht  bei  dem  griechischen  stamm  der 
Lnkrer  annehmen  zu  können,  welche  nach  Polybius  (XII,  16)  Muttergenealogie 


'i  Schrader,  Reallexikon,  .".elf:  Grupp,  Kultur.  117.  224  u.  a    <». 

■' i  Kleines   Lateinisch-Deutsches   Handwörterbuch.     :s.  Auf!    Lpzg.   1875. 

■■i  In  dessen   „Namensverzeichnis"  zu   (\its<n-*  Gallischem  Krieg.     Lpzg.  1904. 

'  i  Bi  i.e. 

'•)  Iranen,  gehören  also  zui  indo-europäischen  Völkerfamilie. 

i  Bei   Mittler,  fr.  Inst,  graec    5,  461. 

»)  Mutterrecht,  S,   1. 


§  337.     ..Mutterrecht"  bei  Kaukasus-Völkern  und  Semiten?  —  Spuren  in  Spanien.      Q29 

in  ihren  hundert  Adelshäusern  hatten.  In  neuester  Zeit  (1911)  meint  hin- 
gegen H.  J.  Böse,  diese  Stelle  verlange  keinen  Schluß  auf  Mutterrecht,  sondern 
drücke  aus,  daß  die  Männer  dieser  Adelshäuser  ihren  Adel  insofern  ihren 
Schwestern  verdankten,  als  diese  der  Athene  geweiht  wurden.  Aus  diesen 
hundert  Häusern  seien  die  Töchter  entsprossen,  welche  der  Athene  von  Ilion, 
als  jährlicher  Tribut,  geweiht  wurden.  Pose  weist  dabei  auf  Lykophron,  1141  ff. 
hin')  und  übersetzt  das  ,,ä-ö  t&v  fuvaixcov"  bei  Polybios  mit  ..kam  von  den 
Weibern",  womit  meines  Erachtens  immerhin  ein  bemerkenswerter  sozialer 
Einfluß  seitens  des  Weibes,  wenn  auch  nicht  im  Sinn  der  weiblichen  Ab- 
stammung, sondern  imSinu  der-BacAo/mscben  Gynäkokratie  ausgesprochen  ist. 

Umstritten  ist  ferner  die  Frage,  ob  das  Mutterrecht  bei  den  prähistorischen 
Germanen  bestand.  Grupp  läßt  die  Frage  unentschieden,  erinnert  aber  daran, 
daß  die  Haupthelden  der  Nibelungensagen  nach  ihrer  Mutter  genannt  sind, 
wie  Stuart  Uterntie  auf  die  Erzählungen  vom  Schwanenmädchen  hinweist,  in 
denen  der  Vater  eine  untergeordnete  Stelle  einnimmt,  oder  ganz  fehlt,  und 
deren  Helden  vaterlose  Kinder  sind. 

Wichtiger  als  diese  Punkte  ist  die  Mitteilung  des  Taciius  über  die  be- 
vorzugte Stellung  des  Mutterbruders  (avunculus)  und  der  mütterlichen  Ver- 
wandtschaft überhaupt  bei  den  alten  Germanen.  Die  mütterliche  Verwandtschaft 
war  bei  der  Geiselstellung  ein  sichereres  Pfand,  als  die  väterliche.  —  Ein 
Soudererbrecht  gewisser  Verwandter  von  der  Mutterseite  weist  noch  das  unter 
König  Chlodwig  abgefaßte  Volksrecht  auf  (G.  Cohii).  — 

§  3o7.     ..Mutterrecht"  bei  Kaukasus-Tölkern  und  Semiten?  —  Spuren  in 

Spanien. 

Sowohl  Backofen  als  Grupp  wiesen  auf  eine  mutterrechtliche  Erscheinung- 
bei  den  alten  Cantabrern  hin.  von  denen  Strabo*)  Klokation  und  Dotierung 
der  Brüder  durch  die  Schwestern  erwähnt  hatte,  was  wohl  weibliche  Erb- 
folge voraussetzt. 

Auch  bei  den  Basken  sollen  gewisse  Eigentümlichkeiten  des  Erbrechtes 
vorhanden  sein,  die  auf  ein  früheres  Mutterrecht  bezogen  werden  können 
(Grupp). 

Im  nördlichen  Spanien,  dem  ehemaligen  Wohnsitz  der  Cantabrer3), 
herrscht  heutzutage  noch  in  Andorra  der  folgende  Brauch:  Ist  eine  Tochter 
die  Erbin,  so  heiratet  sie  einen  jüngeren  Sohn  aus  einer  anderen  Familie, 
nimmt  ihren  Gatten  in  ihr  Haus  auf  und  überträgt  ihren  Namen  auf 
diesen.  —  Wo  Söhne  vorhanden  sind,  vererbt  sich  der  Grundbesitz  allerdings 
auf  den  erstgeborenen  Sohn,  dem  die  meist  ledig  bleibenden  jüngeren  Brüder 
unterstehen  und  welche  er  zu  ernähren  hat  (G.  Diercks). 

Daß  in  Spanien  die  Frauen  in  der  Ehe  ihren  eigenen  Namen  weiter 
führen,  ist  nach  L.  de  Pahidini  bis  ins  4.  Jahrh.  n.  Chr.  nachweisbar,  und 
„lange  Zeiten  hindurch  konnte  ein  Mann  den  Namen  seiner  Mutter  statt 
den  seines  Vaters  annehmeu".  Der  größte  spanische  Maler  ist  uns  nur  unter 
dem  Namen  seiner  Mutter,  „Velasquez",  bekannt.  —  Paladini  schreibt  diese 
Erscheinungen  dem  starken  unabhängigen  Charakter  der  Spanierinnen  zu. 
Vielleicht  ist  es  aber  iberischer  Brauch.  In  diesem  Falle  ginge  er  auf  jene 
große  Völkerfamilie  zurück,  zu  denen  nach  Heinrich  Winkler4*)  die  Cantabrer 

')  Rose,  On  the  alleged  Eridence  für  Mother-Right  in  early  Greece.  Folk-Lore  XXII. 
288  ff. 

2)  Bei  Bachofen,  Mutterrecht   VI. 

3)  Den  Alten  war  die  ganze  pyrenäische  Halbinsel  als  ..lberia"  bekannt,  und 
„Iberin"  hieß  auch  die  von  Bergen  umschlossene  Ebene  des  kaukasischen  Isthmus,  welche 
s<  il  dem   11.  Jahrhundert  Georgien  oder  Grusien  heißt. 

4)  Das  Baskische,  4. 


630      Kapitel  LI.    Fortsetzung  über  des  sog.  Mutterreeht.    Tatsachen  u.  Erklärungsversuche- 

und  Basken,  aber  auch  die  nördlichen  und  südlichen  Kaukasus-Völker 
gehören,  und  welche  sich  den  Nordküsten  des  Mittelmeeres  entlang'  bis  zum 
untern  Tigris  (Elamiten)  erstreckte  (vgl.  die  im  Kaukasus  lebenden,  jedoch 
zu  den  Ivanen  gehörenden  Osseten  in  §  33G).  — 

Eine  mutterrechtliche  Erscheinung  auf  religiösem  Gebiet  findet  sich  bei 
den  Mandäern  in  Kleinasien,  insofern  hier  der  Name  der  Mutter,  nicht 
des  Vaters,  zusammen  mit  dem  Namen  des  Kindes  bei  „allen  geistlichen 
Handlungen"  gebraucht  wird,  denen  das  Kind  untersteht  (Ploß)1). 

Da  die  heiligen  Schriften  der  Mandäer  nach  Petermann  in  aramäischer 
Sprache  verlaßt  sind,  gehören  sie  wohl  zur  semitischen  Völkerfamilie  (?).  — 

§  338.     „Mutterreclitu  hei  Hamiten. 

Im  Ägypten  des  14.  Jahrhunderts  vor  Christus  bezeichneten,  nach 
Maspero,  die  Kinder  aus  dem  Volk  ihre  Abstammung  öfter  durch  den  Namen 
der  Mutter,  als  durch  den  des  Vaters.  Der  Erbgaug  der  Güter  jedoch  war  nicht 
rein  mutterrechtlich,  sondern  die  Kinder  beider  Geschlechter  erbten  gleich- 
mäßig, und  zwar  von  den  Eltern.  Anders  mag  wohl  der  Erbgang  zu  Herodots 
und  Diodors  Zeit  gewesen  sein,  wenn  deren  Mitteilung  richtig  ist,  daß  den 
Töchtern,  nicht  den  Söhnen,  die  Alimentationspflicht  gegenüber  bejahrten 
Eltern  oblag.  Wilhinson  bezweifelt  übrigens  die  Richtigkeit  dieser  Angabe, 
weil  die  Skulpturen  von  Theben  auf  strenge  Pflichten  der  Söhne  gegen  ihre  Väter 
hinweisen.  Die  Söhne  der  Könige  seien  beispielsweise  verpflichtet  gewesen,  bei 
feierlichen  Umzügen  hinter  dem  Siegeswagen  ihres  Vaters  einherzugehen  und 
die  königlichen  Iusignien  über  ihm  zu  halten;  saß  er  auf  dem  Thron,  so  standen 
sie  zu  seiner  Linken  als  Fächerträger;  auch  kam  ihnen  die  Pflicht  zu,  ihn 
auf  seinem  Palankin  zu  tragen,  und  in  der  Hitze  des  Gefechtes  folgten  sie 
ihm  mit  den  Amtsinsignieu  zu  Fuß  oder  zu  Wagen.  Achtung  vor  älteren 
Leuten  sei  überhaupt  Pflicht  gewesen2). 

■  Ob  auf  Grund  dieser  Ehrfurchtsbezeigungen  im  alten  Theben,  welches 
seit  100i >  v.  Chr.  zu  dekadieren  begann,  die  Mitteilungen  der  späteren  Geschichts- 
schreiber Herodot  und  Diodor  anzuzweifeln  sind,  und  ob  ein  Schluß  von  könig- 
lichen auf  volkstümliche  Zustände  gestattet  ist.  muß  ich  Berufenere  ent- 
scheiden lassen.  Samuel  Birch  bezweifelt  i^bei  Wilhinson)  auch,  daß  die 
Ägypter  der  Ansicht  waren,  die  Mutter  habe  wenig  mehr  Verdienst  um  das 
Leben  ihres  Kindes  als  eine  Amme,  daß  dieses  vielmehr  seine  Existenz  seinem 
Vater  verdanke,  und  daß  deshalb  illegitimen  Kindern  die  gleichen  Erb- 
rechte zukommen,  wie  den  Kindern  der  rechtmäßigen  Gattin. 

Nicht  weniger  widersprechend  erscheinen  ja  auch  die  Mitteilungen  über 
die  sittlichen  Zustände  in  Ägypten.  Einerseits  schilderte  Maspero  den  Ägypter 
aus  dem  Volk  des  14.  .lahrh.  v.  Chr.  in  einem  geordneten  Familienleben,  ja 
regelmäßig-  monogam,  obgleich  Vielweiberei  gestattet  war:  andererseits  schreibt 
Sextus  Empiricus  im  2.  Jahrhundert  n.  Chr.  von  einer  iippig  wuchernden 
Promiskuität*).  Kiese  anscheinenden  Widersprüche  werden  sich  aber  nur 
lösen  lassen,  wenn  man  bei  den  Ägyptern,  wie  bei  anderen  Völkern,  mit  einer 
Geschichte  von  mehreren  Jahrtausenden,  mit  Blütezeit  und  Zerfall  und  einer 
beträchtlichen  Verschiedenheit  ethnischer,  politischer  und  religiöser  Elemente 

rechnet. 

Im  lt',.  Jahrhundert  berichtete  Leo  Afrieanus  von  den  Rif-Berbern 
auf  Meriza,    daß  die   Frauen  ihre  Männer  wegen  der  geringsten  Beleidigung 


')  2.   Aull.    I.   177. 

-i  Vgl.  die  Charakterbildung  in  Ägypten,  §  292,   S.  425,   sowie  die  Ehrfurcht,   welche 
nach  Maspero  der  Ägypter  seinen   [Lindern  gegen  ihre  Mutter  einflößte,  in  Kap    LIX. 
\  gl.   Kapitel  IA 


§  339.     „Mutterrecht"  bei  Sudan-  und  Bantu- Völkern.  631 

verließen,  ihre  Kinder  mitnahmen  und  andere  Männer  heirateten.  Die  Kinder 
gehörten  ihren  Müttern. 

Die  von  RoMfs  besuchten  Berber  stamme  des  19.  Jahrhunderts  hingegen 
sprachen  bei  ihrer  häufigen  Verstoßung  ihrer  Eheweiber  die  Kinder  den 
Männern  zu.  Ob  es  sich  liier  um  einen  Übergang  vom  Mutterrecht  zum 
Vaterrecht  durch  den  Einfluß  des  Islam  handelt,  welcher  den  Rechten  des 
Weibes  im  allgemeinen  stark  zusetzte,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden.  Vielleicht 
handelt  es  sich  um  Tatsachen  bei  verschiedenen  Stämmen.  Eine  selbständige 
Entwicklung  nach  dem  Grundsatze,  daß  Vaterrecht  dann  einsetze,  wenn  die 
Geschlechtsverhältnisse  geordnet  sind,  wie  Bachofen  und  spätere  an- 
nahmen, bzw.  noch  annehmen,  ist  bei  diesen  Berberstämmen  kaum  anzunehmen; 
denn  nach  Roklfs  sind  ihre  Kinder  wegen  der  häufigen  Ehescheidungen 
und  Wieder  verehelichungen  nicht  selten  in  zwei  oder  drei  Familien  zer- 
streut. — 

Mutterrecht  herrscht  dann  wieder  bei  den  nördlichen  Stämmen  Abes- 
siniens.  — 

§  339.     „Mutterrecht"  bei  Sudan-  und  Bautu-Völkern. 

An  der  Goldküste  treten  die  Negerkinder  in  den  Stand  der  Mutter, 
d.  h.  sie  sind  Freie  oder  Sklaven,  je  nachdem  die  Mutter  frei  oder  Sklavin 
ist,     Als  Erben  gelten  die  Brüder  und  Schwesterkinder.  — 

Bei  den  Küsten-Ewe  in  Deutsch-Togo  erben  die  Söhne  eines  ver- 
storbenen Mannes  dessen  Haus  und  Grundstück,  die  Neffen  und  Nichten  dessen 
bewegliches  Vermögen  in  gleichen  Teilen.  Die  Grundstücke  einer  verstorbenen 
Frau  gehen  gleichfalls  auf  die  Kinder,  die  bewegliche  Habe  auf  die  älteren 
Brüder  und  Schwestern  der  Verstorbenen  über.  Sind  solche  nicht  vorhanden, 
dann  wird  auch  die  bewegliche  Habe  von  den  Kindern  geerbt. 

Ebenso  fällt  bei  den  Ewe  in  Agonie  Geld  und  Gut  beim  Tod  einer  Frau 
an  ihre  Brüder  und  Schwestern  zurück,  wenn  sie  keine  Kinder  hat.  Beim 
Tod  eines  Vaters  erben  die  Söhne  den  Grundbesitz  und  die  Frauen,  während 
den  ältesten  Söhnen  der  wirklichen  Schwestern  des  Verstorbenen  die  Sklaven 
und  alle  andern  Immobilien  zufallen. 

Stammbaum  nach  der  weiblichen  Linie  meldet  Tremearue  von  den 
Haussa,  jenem  mächtigen  Negervolk  des  inneren  Westsudan,  dessen  verhältnis- 
mäßig hohe  Kultur  schon  Leo  Africanus  überraschte. 

Sogenannte  niutterrechtliche  Erscheinungen  fand  auch  Barth  in  Mittel- 
afrika. 

Vom  untern  Kongo  schrieb  Weeks:  Nicht  der  Mann,  sondern  das  Weib 
isi  Stammhalter.  Die  Kinder  gehören  der  Familie  der  Mutter  und  beerben 
den  Onkel  mütterlicherseits.  Heim  Tod  der  Mutter  gehen  sie  in  deren  Familie, 
wo  sie  auferzogen  werden;  doch  hat  der  Vater  (nicht  aber  seine  Familie)  einige 
Autorität  über  sie.  Nur  wenn  die  Mutter  der  Kinder  Sklavin  war,  bleiben 
diese,  gleichfalls  als  Sklaven,  beim  Vater  und  gehören  seinem  Stamm  an  und 
werden  bei  seinem  Ableben  mit  dem  übrigen  Nachlaß  vererbt. 

Wie  an  der  Goldküste,  so  treten  also  auch  am  untern  Kongo  die  Kinder 
in  den  Stand  der  Mutter,  sind  Sklaven  oder  Freie,  je  nachdem  sie  es  ist, 

Die  Würde  eines  Häuptlings  geht  bei  dessen  Tod  nicht  auf  seine  Kinder, 
sondern  auf  einen  seiner  Brüder  von  der  gleichen  Mutter  oder  in  Er- 
manglung eines  solchen,  auf  den  ältesten  Sohn  der  ältesten  Schwester  des 
Verstorbenen  über.  Dieser  Neffe  erbt  auch  das  Vermögen;  das  Erbe  der 
eigenen  Kinder  besteht  nur  in  einem  Stück  vom  Leichentuch  des  Vaters.  Hat 
die  älteste  Schwester  des  Verstorbenen  keinen  Sohn,  dann  geht  das  väterliche 
Vermögen   auf  einen  Bruder   oder   eine  Schwester  des  Verstorbenen   von  der 


632      Kapitel  LI.    Fortsetzung  über  das  sog.  Mutterreeht.    Tatsachen  u.  Erklärungsversuche. 

gleichen  Mutter  über,  und  erst  wenn  auch  solche  Erben  fehlen,  wird  das 
Vermögen  unter  die  Eltern  oder  Geschwister  des  Verstorbenen  von  andern 
Müttern  verteilt.  -  Der  Vater  hat  am  untern  Kongo  kein  Anrecht 
auf  das  Vermögen  seiner  Kinder,  noch  darf  er  ihr  mütterliches  Erbe 
angreifen.  Er  kann  sie  aber  gerichtlich  verfolgen,  nicht  umgekehrt.  Die 
öffentliche  Meinung  verlangt  von  ihm  eine  pflichttreue  Behandlung  "seiner 
Kinder.  Seinem  Schutz  unterstehen  die  Söhne  bis  zu  1-4  oder  15  Jahren. 
Mit  Eintritt  dieser  Zeitgrenze  kommt  der  Onkel  mütterlicherseits  mit 
einer  Kalabasse  Palmwein  und  fordert  seinen  Neffen  vom  Vater,  der  ihn 
nicht  zurückhalten  darf.  Hingegen  kann  sich  der  Junge  weigern,  mitzugehen 
und  unter  der  Aufsicht  seines  Vaters  bleiben,  so  lang  es  ihm  beliebt.  Kommt 
er  der  Aufforderung  seines  Onkels  nach,  dann  hört  mit  seinem  Weggehen  die 
Verantwortlichkeit  des  Vaters  für  ihn  auf.  —  Die  Töchter  bleiben  bis  zu  ihrer 
Verheiratung  bei  der  Mutter,  wenn  die  Familie  nicht  zu  zahlreich  ist.  Sonst 
zieht  die  Tante  oder  Großmutter  mütterlicherseits  einige  Töchter  auf. 

Die  Zweige  eines  Stammes  (ekaudu)  werden  „vumu"  genannt,  was 
WeeJcs  mit  dem  englischen  womb  (Mutterleib)  in  Verbindung  bringt.  Jeder 
dieser  Zweige  geht  von  einem  Weib  aus  und  kann,  wie  es  scheint,  selbst 
zu  einem  Stamm  erstarken1).  W'eeks  erwähnt  die  drei  Töchter  einer  Krau, 
deren  jede  im  Laufe  der  Zeit,  d.  h.  durch  ihre  Kinder,  Enkel  und  Urenkel, 
das  Haupt  eines  Stammes  wurde.  So  hieß  beispielsweise  eine  der  drei  Töchter 
Nkenge;  heutzutage  nennen  sich  alle  ihre  Nachkommen  ,.esi  Kinkenge",  d.  h. 
die  der  Nkenge  Gehörigen. 

Daß  diese  Rechtsverhältnisse  hier  auf  lockeren  Geschlechts-Ver- 
hältnissen2) basieren,  ist  nicht  wahrscheinlich.  Denn  WeeJcs  schreibt,  Ehe- 
bruch werde  trotz  Vielweiberei3)  mit  schweren  Strafen  belegt.  Allerdings 
glaube  man  den  Bräuten  nicht,  wenn  sie  geschlechtlichen  Umgang  vor  ihrer 
Verlobung  in  Abrede  stellen.  Nun  fällt  aber  bei  Vielweiberei  der  bei  Polyandrie, 
Gruppenehe  und  Promiskuität  vorgebliche  Grund  des  unbekannten  Vaters 
weg,  und  vorehelicher  Häterismus  beeinflußt  selbst,  wo  er  nachgewiesen  ist, 
weder  Mutterabstammung  noch  Erbgang  innerhalb  der  Ehe.  Otto  H.  Schutt 
freilich  schildert  in  seinen  „Reisen  im  südwestlichen  Becken  des  Kongo" 
das  Eheverhältnis  derart,  daß  man  hier  an  eine  Bekräftigung  der  IJachofenschew 
Theorie  denken  kann : 

Bei  den  Bondo  kann  der  „Gatte  so  oft  gewechselt  werden,  daß  es  manch- 
mal schwer  zu  unterscheiden  sein  wird,  wer  der  Vater  eines  Kindes  ist,  und 
die  Neger  betrachten  auch  bei  den  meisten  Stämmen  den  Verkehr  ihrer  Frauen 
mit  anderen  Männern  nicht  für  schändend,  sehen  darüber  hinweg  oder  gestatten 
ihn  sogar,  wenn  er  nur  lukrativ  ist.  Hie  Kinder  erben  Bang,  Vermögen 
und  Namen  auch  nicht  vom  Vater,  sondern  vom  Onkel,  worauf  bei  den 
Familien  großer  Häuptlinge  besonderes  Gewicht  gelegt  wird.  Von  den  Kindern 
eines  Häuptlings  sind  die  vor  allen  erbberechtigt,  die  aus  der  Ehe  mit 
einer  Nichte  hervorgegangen  sind,  ein  Bündnis,  das  von  ihnen,  wenn  irgend 
tunlich,  jedem  anderen  vorgezogen  wird." 

Kieser  letzte  Satz  dürfte  allerdings  eher  gegen  als  für  die  Annahme 
sprechen,  daß  das  Mutter-  bzw.  Neffenerbrecht  bei  diesen  Stämmen  auf  dem 
geschilderten  Tiefstand  ehelicher  Keuschheit  beruht.  Denn  die  Ehe  zwischen 
Onkel  und  Nichte  bietet  ebensowenig  Garantie  für  die  Kenntnis  des  Vaters 
wie  irgendeine  andere.  Vielmehr  scheint  auch  diese  bevorzugte  Onkel-Nichte- 
Ehe  auf  das  Bestreben  der  Verwandtschaft  nach  Erhaltung  des  Vermögens  und 
der   Würde    innerhalb   ihrer   eigenen   Grenzen   zurückzuführen   zu   sein.     Der 

1     öanz  ähnlich  dir  „Suku"  der  Orang  Mamma  im   Urwald  auf  Sumatra  (§  340) 

\  ergl.  die  Theorie  Bachofens  und  Späterer  in  den  Kapiteln  L  und  LX. 
')  Vergl,   Rose  über  Vielweiberei  und  Mutterreeht  in  §  343. 


§  339.     ,,Mutterrecht"  bei  Sudan-  uud  Bantu-Völkern. 


633 


Selbsterhaltungstrieb  der  Sippe  würde  sonach  auch  im  südwestlichen  Becken 
des  Congo  das  sogenannte  Mutterrecht  hervorgebracht  haben. 

Schutt  fügte  seiner  obigen  Mitteilung  bei:  Söhne,  denen  die  Behandlung 
des  Vaters  nicht  zusagt,  gehen  einfach  zum  Onkel;  ihn  nennen  sie  tatu,  das 
„Vater  und  Herr"  zugleich  bedeutet.  Je  mehr  Söhne,  auch  solche  freiwillige 
Söhne,  ein  Mann  im  Hause  hat,  desto  reicher,  desto  mächtiger  ist  er;  denn 
die  Kinder  verursachen  ihm  weder  Erziehungskosten,  noch  gibt  er  ihnen  viel 
Nahrung;  im  Gegenteil,  sie  sind  seine  Diener,  sie  gehen  für  ihn  auf  die  Jagd, 
sie  führen  Krieg  für  ihn,  sie  sind  sein  Hofstaat. 

Gewissermaßen  als  Fremdkörper  in  der  Verwandtschaft  seines  Weibes 
gilt  ferner  der  Bayaga  (Bajaka?  im  westlichen  Kongostaat),  welcher,  wenn 
er  heiraten  will,  in  die  Familie  seiner  Frau  eintreten  muß.  Bekommt  er  einen 
Sohn,  so  gehört  dieser  der  Familie  der  Mutter  und  bleibt  bei  der  Mutter 
bis  zu  seiner  Heirat.     Er  selbst  aber  darf  wieder  in  seine  ursprüngliche  Familie 


Fig.  446.  Knabe  aus  Tschissambo. 
Loango-Küst.e.  Pechitel-Lösclie  phot.  Im 
Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


Fig.   447.     Knabe  aus  Loango.     Pechuel- Lösche 
phot.    Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


zurückkehren,  sobald  der  Sohn  so  weit  ist,  daß  er  einen  Elefanten  töten  kann- 
(Crampels).     (Vgl.  die  transsylvanischen  Zeltzigeuner.) 

Die  Aufgabe  des  Bayaga  scheint  somit  in  der  Zeugung  und 
Heranziehung  von  Kindern  für  die  Sippe  seines  Weibes  zu  bestehen. 
Hat  er  diese  Aufgabe  gelöst,  dann  ist  er  für  diese  überflüssig  geworden;  er 
kann  dahin  zurückkehren,  wo  er  geboren  ist. 

Das  Übergewicht  der  Mutterschaft  gegenüber  der  Vaterschaft,  bzw.  das 
Übergewicht  der  Muttersippe  über  die  Vatersippe  findet  sich  ferner  in  der 
Auffassung  der  Bafiote  an  der  Loaugo-Küste.  Hier  folgt  nach  Pechuel- 
Lösehe  die  Frau  zwar  ihrem  Mann,  behalt  aber  trotzdem  viel  festere  Beziehungen 
zur  Familie,  welcher  sie  entstammt,  als  zu  ihrem  Gatten.  Sie  gebiert  ihre 
Kinder  nicht  ihrem  Gatten,  sondern  ihrer  Familie.  Nicht  der  Vater,  sondern 
die  Mutter  und  deren  Verwandte,  namentlich  der  Erbonkel,  haben 
die  wichtigste  Verfügung  über  die  Kinder.  Wie  schon  erwähnt,  be- 
richtete Tacitus  von  den  alten  Germanen,  daß  bei  Geiselstellung  die  mütter- 
liche Verwandtschaft  als  stärkere  Sicherheit  galt;  ähnliches  erfahren  wir  durch 
Pechuel-Lösche  von  den  Bafiote:   Die  wertvollsten  Geiseln  und  Bürgen 


634     Kapitel  LI.    Fortsetzung  über  das  sog.  Mutterreeht.     Tatsachen  u.  Erklärungsversuche. 

des  dortigen  Negers  sind  nicht  die  eigenen  Kinder  eines  Mannes,  sondern  die 
seiner  Schwester.  Ferner  seien  liier  verschiedene  Klauseln  des  Erbrechts  für 
Mutter  und  Kinder  so  günstig,  und  die  außerordentliche  Liebe  und  Verehrung  der 
Kinder  gegen  ihre  Mütter  geben  dieser  ein  solches  Gewicht  in  der  Familie, 
daß.  wie  Pechuel-Lösche  meint,  „naturgemäß"  auch  ihre  öffentliche  Stellung 
wesentlich  beeinflußt  werde.  Furt  und  fort  werde  die  Mutter  durch  ihre 
Kinder  vor  dem  Vater  bevorzugt.  Selbst  ältere  Leute  rufen  mich  in  Erinne- 
rung der  sorgsamen  Schützerin  ihrer  Kindheit,  in  Schmerz.  Not  und  Kummer: 
„Mutter,  Mama".  Den  Vater  höre  man  in  dieser  Weise  nicht  erwähnen.  Die 
Mutter  rede  auch  ihre  längst  erwachsenen  Sühne  und  Töchter  noch  immer 
als  „Kind"  an. 

Hier  finden  wir  also  das  Mutterreeht  in  Verbindung  mit  einer 
angesehenen  Stellung  der  Mutter  in  und  außerhalb  der  Familie, 
eine  Art  Bachofensche  Gynäkokratie.  Allerdings  läßt  sich  die  Unter- 
ordnung des  Weibes  unter  die  Gewalt  der  Familie,  aus  welcher  sie  stammt, 
auch  hier  nicht  verkennen.  Ihr  Bruder,  nicht  ihre  Schwester,  hat  ,.nament- 
liclr  das  Verfügungsrecht  über  ihre  Kinder.  Er  ist  es  ja,  der  im  regelmäßigen 
Lauf  der  Dinge  seinen  und  der  Schwester  Vater  überlebt;  die  Söhne,  nicht 
ilic  Töchter,  gelten  dem  Gesagten  gemäß  als  Träger  der  Familienmacht,  und 
deshalb  konzentrieren  sich  die  Rechte  und  Pflichten  der  Sippe  im  „Erhonkel", 
Das  Weib  erscheint  also  trotz  dem  sogenannten  Mutterrecht  und  trotz  allem 
Ansehen  in  der  Öffentlichkeit  auch  bei  deiuBafiote  einem  Mann  untergeordnet. 

Dem  ältesten  Bruder,  oder  den  Brüdern  der  Mutter  gehören 
die  Kinder  ferner  in  Angola.  Stirbt  ein  Kind,  so  ist  der  Vater,  oder  dessen 
Familie  verpflichtet,  dem  gesetzlichen  Eigentümer  den  Schaden  mit  Sklaven 
oder  Vieh  zu  ersetzen.  Auch  in  diesem  (iebiet  gewahrte  Pogge,  der  ilieses 
berichtet,  „oft  eine  attische,  übergroße  Sorgfalt-'  der  Mütter  für  ihre  Kinder, 
was  Pogge  teils  auf  den  natürlichen  engen  Zusammenhang  zwischen  Mutter 
und  Kind,  teils  auf  das  erwähnte  Rechtsverhältnis  zurückbezieht. 

In  Kimbundu,  Angola,  haben  die  Erbonkel  als  Eigentümer  der  Söhne 
ihrer  Schwestern  unbeschränktes  (?)  Recht  über  sie.  dürfen  sie  im  Notfall  auch 
verkaufen.  Erben  und  Eigentum  des  Vaters  sind  nur  die  ihm  von  Sklavinnen 
gehornen  Kinder  {Magyar). 

Wie  der  Bantu-Neger  in  Angola,  so  ist  auch  der  Herero  der  Familie 
seiner  Frau  für  seine  Kinder  verantwortlich.  Stirbt  eines,  oder  kommt  eine 
Mißgeburt  vor,  so  muß  er  seinem  Schwiegervater  dafür  eine  Anzahl  Rinder 
liefern  ( //.  von   FVangois). 

In  den  Gebieten  zwischen  den  Oberläufen  von  Nil  und  Congo  konnte 
■  hm  CzeJcanowsM  zwar  keinen  Clan  beobachten,  wo  die  Verwandtschaft  nach 
der  mütterlichen  Linie  bezeichnet  würde,  doch  beerbte  der  Häuptling 
Gumbary  den  Bruder  seine]  Mutter,  trotzdem  dieser  selbst  einen  Sohn  hatte. 
Ferner  begegnete  Czehanowskx  beim  Az  and  e- Häuptling1)  Kissasi  einem  Mann, 
dessen  Kitern  ein  Sogo-Mann  und  eine  Zande-Fran  waren.  Dieser  Mann 
wurde  zum  Clan  seiner  Mutter  gerechnet.  CzekanowsJci  ist  geneigt,  diese 
Erscheinungen,  als  Überreste  des  „Matriarchats",  mit  dem  dortigen  sittlichen 
Tiefstand  in  Verbindung  zu  bringen.  Geschlechtliche  Verhältnisse  zwischen 
Vater  und  Tochter  sollen  bei  den  Avungura  der  Azandedynasten  nicht  selten  sein. 

In  Deutsch-Ostafrika  selten  bei  den  nördlichen  Wanjamwesi  in 
Usukuma  die  Kinder  als  Eigentum  des  Vaters;  trotzdem  beerben  die  Söhne 
nicht  ihre  Väter,  sondern  ihre  Onkel  mütterlicherseits.  Erben  der  Väter  sind 
bei  den  Wanjamwesi  nur  jene  ihrer  Kinder,  welche  ihnen  von  Sklavinnen 
geboren  wurden.     Die  Eingebornen  begründen  diesen  Brauch  mit  der  Angabe, 


')  Azanda  =  Asande  =  Njam-Njam  im  nordöstlichen  Kongo-Staat  und  französischen  S 


§  339.     „Mutfcerrecht"  bei  SudaD-  und  Bautu-Völkern. 


635 


die  Kinder  der  rechtmäßigen  Frauen  seien  weniger  hilfsbedürftig,  da  sie  sich 
an  Freunde  und  Verwandte  halten  können.  Allerdings  lesen  wir  bei  Andrer, 
der  dieses  mitteilt,  auch:  „Unter  den  Wanjamwesi  herrscht  der  Brauch,  daß 
die  unehelichen  Kinder  mit  den  ehelichen  bei  der  Erbschaft  in  gleiche  Teile 
gehen." 

Eine  merkwürdige  Verquickung  von  Mutter-,  Vater-  und  Sippen- 
recht  neben   der  Herunterwürdigung  der  Mutter  und  ihrer  Kinder 
zum  Erbgegenstand    finden    wir    bei    den 
Wadigo  im    nördlichsten  Küstengebiet    von 
Deutsch-Ostafrika. 

Erbe  ist  hier  gewöhnlich  der  nächste 
männliche  oder  weibliche  Blutsverwandte  durch 
Mutterabstammung.  Es  kommt  aber  nach 
St.  Paul  Hihi nr  auch  vor,"  daß  ein  Sklave, 
der  durch  besondere  Tüchtigkeit  sich  Achtung 
und  Einfluß  in  der  Familie  erworben  hat,  beim 
Tode  seines  Herrn  dessen  ganze  Eibschaft 
antritt,  also  auch  berechtigt  ist,  die  Frauen 
seines  Herrn  zu  übernehmen  und  dessen  Töchter 
zu  verheiraten.  Diese  „Erbschafts- Vormund- 
schaft" tritt  besonders  dort  ein,  wo  der  be- 
rechtigte Erbe  noch  sehr  jung  ist.  Sämtliche, 
etwa  später  erbberechtigte.  Verwandte  müssen 
aber  mit  dieser  Vormundschaft  einverstanden 
sein.  Sie  erkennen  dann  den  betreffenden 
Sklaven  bis  zu  dessen  Tod  als  das  Haupt 
ihrer  Familie  an.  Erst  nach  dessen  Tod  tritt 
der  eigentliche  Erbe,  wenn  unterdessen  er- 
wachsen, das  Erbe  an.  Da  dieser  für  die 
Schulden  des  Erblassers  haftbar  ist,  kann  er 
die  Kinder  des  Verstorbenen  von  einer  Neben- 
frau (shuri)  und,  wenn  nötig,  auch  die  einer 
rechtmäßigen  Frau  zur  Schuldendeckung  in 
die  Sklaverei  verkaufen. 

Die  Witwe  (wohl  die  Hauptfrau  gemeint) 
kann  übrigens,  wenn  sie  es  wünscht,  mit  ihren 
Kindern  zu  ihrer  Familie  zurückkehren,  oder 
die  Kinder  allein  dem  berechtigten  Erben 
ihres  Mannes  überlassen. 

Bei  Ehescheidungen  folgen  die 
Kinder,  wenn  der  Mann  das  Heiratsgut 
zurückverlangt,  der  Mutter.  Verzichtet 
er  auf  dieses,  so  behält  er  die  Kinder, 
kann  etwaige  Töchter  verheiraten  und  den  für  sie  gelösten  Brautpreis  behalten. 
Willigt  ein  Mann  nicht  in  die  Scheidung  ein,  gestattet  aber  seiner  Frau,  mit 
einem  andern  zu  leben,  so  gehören  ihm  auch  die  aus  dieser  Verbindung  her- 
vorgegangenen Kinder.  --  Auch  bei  den  Wakhutu  gehören  die  Kinder  eines 
Mannes  dem  Bruder  seiner  Frau   (Andree). 

Weule  schrieb  aus  dem  südlichen  Deutsch-Ostafrika:  Wir  leben 
hier  in  Ostafrika  ganz  im  Gebiete-  des  Mutterrechts;  da  gilt  der  Vater 
nichts;  er  ist  sozusagen  nur  angeheiratet.  Er  ist  zwar  der  Vater  seiner 
Kinder,  doch  kaum  ihr  Verwandter;  er  gehört  eben  einer  anderen 
Sippe  an.  Die  junge  Frau  siedelt  nicht  mit  in  das  Heim  des  Ehemanns 
über,  sie  tritt  auch  nicht  in  seine  Verwandtschaft  hinein,  sondern   der  Mann 


Fig.  148.   Mädchen  aus Ilonga,  Deutsch- 
Ostafrika.     Von  den  Missionären  r  Sp.  S. 
in  Knechtsteden. 


G36      Kapitel  LI.     Fortsetzung  über  das  sog.  Mutterrecht.    Tatsachen  u.  Erklärungsversuche. 

verläßt  Vater  und  Mutter  und  zieht  entweder  direkt  ins  schwiegermütterliche 
Haus,  oder  baut  sich  doch  unmittelbar  daneben  an.  Erben  des  Vaters 
sind  nicht  seine  Kinder,  sondern  ein  Schwestersohn. 

Bei  den  Makonde,  ebendort,  leben  die  Söhne  von  ihrer  Beschneidung 
an  nicht  mehr  im  Elternhans,  sondern  beim  Onkel  mütterlicherseits,  wo  sie 
warten,  bis  die  Töchter  des  Onkels  heiratsfähig  sind.  Noch  als  Ehemann 
dient  der  Makonde  seinem  Onkel  und  Schwiegervater  gleichsam  als  Höriger. 

Bei  den  Basutos  gehört  das  Erstgeborene  den  Eltern  der  Frau. 
Bereits  nach  der  Entwöhnung  wird  es  ihnen  gebracht,  und  die  wirklichen 
Eltern  haben  keinen  Anspruch  mehr  auf  das  Kind.  Ist  es  ein  Mädchen,  so 
fällt  den  Großeltern  mütterlicherseits  auch  der  Brautpreis  zu.  Hingegen' gilt 
für  die  folgenden  Kinder  die  Autorität  des  Vaters  allein.  Ohne  seine* Zu- 
stimmung darf  nichts  geschehen. 


Fig.  44!i.    Drei  Gassenjungen  aus  Peramiho,  Deutsch-Ost  a  f  ri  k  a.     Härder  |>1i •  >i . 

S  340.     „Mutterrechl"  bei  raalayisch-polynesischen  Völkern  inkl.  Negritos, 

Papuas  und   Australier. 

Zu  den  malayisch-polynesischen  Völkern  übergehend,  finden  wir  bei  den 
Orang-Laut.  Küstenstämme  von  Malakka,  Zugehörigkeit  der  Kinder 
zum  Geschlecht  der  Mutter.  Von  dieser  Erscheinung  abgesehen,  herrscht 
nach  Josef  Kohler  bei  den  „Urstämmen"  von  .Malakka  Vaterrecht 

„Die  ersten  Anfänge  (?)  des  Mutterreehts"  fand  M.  Moszkowski  bei  den 
Akiks  und  Sakeis1),  welche  dieser  Forscher  „die  primitivsten"  Völker  nennt. 
d.  h.  Völker,  die  auf  der  uns  bekannten  tiefsten  Kulturstufe  stehen.  -  Ein 
Znsammenhang  des  Mutterrechts  mit  Promiskuität  ist  auch  hier  kaum  anzu- 
nehmen, weil  Moszkowski  schreibt,  daß  immer  nur  eine  Familie  mit  ihren 
Kindern  in  einem  Hause  zusammen  lebt,  und  daß  die  einzelnen  Familien 
weit  zerstreut  wohnen. 

Bei  den  Orang  Mamma'-')  (Mamaq),  einem  Völklein  im  Urwald  auf 
Sumatra,  welches  von  Felix  Speiser  mit  den  eben  erwähnten  Sakeis  (Sakais), 

'i  Die  Sakeis  sind   Verwandte  der  Senois  auf  Malakka. 

■i   Bio   Fischer-    und  Jäger volk,    das   Bach   etwas  Reisbau    betreibt.     Es    wird,    wie   die 
obigen   Völker,   somatisch    vielfach    zu   den    Negritos    oder  Pygmäen    gerechnet.      Nach 
I   die  (»rang    Mamma  eine  Mischung  von  Malaycn  und  Weddahs. 


§  340.     „Mutterrecht"  bei  malayisch-polynesischen  Völkern  usw.  (537 

den  Kubu  und  Weddahs  auf  die  gleiche  Kulturstufe  gestellt  wird,  finden 
wir  mit  dem  sogenannten  Mutterrecht  eine  soziale  Organisation  verbunden,  die, 
wie  schon  früher  angedeutet,  auffallend  an  die  „vumu"  am  untern  Kongo  er- 
innert (§  339).  Graafland  schreibt  nämlich  über  die  Ürang  Mamma,  die 
sogar  ihren  Namen  dem  sogenannten  Mutterrecht  verdanken  sollen,  insofern 
„Mamma"  „Onkel  von  der  Mutterseite",  also  Bruder  der  Mutter  bedeute: 
Diese  Mamma  sind  die  Familien  und  Sippenhäupter;  aus  ihnen  werden 
die  Häuptlinge  gewählt.  Das  Volk  ist  in  Sukus  eingeteilt.  Eine  Suku 
umfaßt  alle  Abkömmlinge  einer  Stammutter  auf  der  Frauenlinie1). 
Die  Familie  besteht  nur  aus  der  Frau  und  ihren  Kindern;  der  Mann  gehört 
nicht  dazu  und  hat  keine  Beeilte  auf  seine  Kinder.  Die  Gatten  wohnen 
selten  beisammen,  da  nach  der  Kegel  Mann  und  Weib  nach  der  Heirat  jedes 
in  seiner  Suku  bleibt,  In  den  Ausnahmsfällen  ist  es  immer  der  Mann,  welcher 
in  die  Suku  der  Frau  eintritt,  Seine  Stelle  als  Haupt  der  Familie,  bzw. 
Sippe,  vertritt  der  älteste  Bruder  der  Frau,  der  „Mamaq".  Aus  diesen  Mamaqs 
wird  das  Haupt  der  Suku  gewählt,  der  „Panghulu".  Würden  gehen  aus- 
schließlich durch  die  Frauenlinie;  ebenso  die  Erbschaft2). 

Felix  Speiser  nennt  diese  Darstellung  Grraaflands  allerdings  ein  „Schul- 
beispiel". 

Ein  gewisses  Kecht  der  Verwandten  mütterlicherseits  auf  die  Kinder 
haben  auch  die  Battak  (vgl.  das  Erbrecht  des  Kindes  mit  Ausschluß  des 
Mutterrechts  in  Kap.  LH).  -  In  Semendo,  wo  Brautkauf  verboten  ist,  gilt 
die  älteste  Tochter  als  Stammhalterin. 

Die  muselmanischen  Strandbewohner  von  Seram  bezahlen  der  Familie 
ihrer  Frauen  das  mas  Kawin,  d.  h.  ein  Ehepfand,  dessen  Wert  fast  der  Höhe 
des  Brautpreises  entspricht,  Ohne  die  Leistung  des  mas  Kawin  könnte  der 
Mann  weder  Frau  noch  Kind  sein  eigen  nennen;  vielmehr  würden  beide  dem 
Stamm  der  Mutter  angehören.  Nach  der  Entrichtung  desselben  hört  jedes 
Becht  seitens  der  Familie  der  Frau  auf  diese  und  auch  auf  ihre  Kinder  auf. 

Mutterrecht  hat  Ploß  (II,  394)  von  den  Alfuren  auf  Mina  Hassa, 
der  nördlichsten  Halbinsel  von  Celebes,  erwähnt. 

Auf  den  Karolinen,  Yap  ausgenommen,  bildet  die  Frau  und  Mutter, 
mehr  als  der  Mann  und  Vater,  den  Mittelpunkt  der  Familie.  Gewöhnlich  zieht 
der  Mann  zum  Stamm  seiner  Frau  und  kehrt  nach  ihrem  Tod  mit  Hinter- 
lassung der  Kinder  wieder  zu  seinem  eigenen  Stamm  zurück.  Bang  und 
Stammeshoheit  sind  durch  die  Mutter  erblich.  —  Die  folgende  Schilderung  der 
diesbezüglichen  Verhältnisse  auf  den  Palau-Inseln,  westliche  Karolinen, 
zeigt  uns  die  Frau  auch  außerhalb  ihrer  Familie  in  angesehener 
Stellung.  Missionar  Salvator  schreibt  nämlich:  Das  weibliche  Geschlecht 
steht  hier  dem  männlichen  unabhängig  und  selbständig  gegenüber.  Die  Frauen 
bilden  gleichsam  einen  Staat  für  sich,  haben,  wie  die  Männer,  ihre  eigenen 
Klubs  und  regeln  ihre  Angelegenheiten  selbständig  unter  sich.  Sie  brauchen 
die  Männer  nicht,  wohl  aber  brauchen  die  Männer  sie  zur  Besorgung  des 
Haushalts  und  der  Tarofelder.  Ein  bezeichnender  Ausdruck  dieser  hohen 
sozialen  Stellung  der  Frau  ist  die  weibliche  Erbfolge.  Die  Familien-  und 
stammesgüter  vererben  sich,  wie  die  Häuptlingstitel,  nicht  vom  Vater  auf  den 
Sohn,  sondern  gehen  auf  die  Nachkommenschaft  seiner  Schwestern  über3). 
Der  Ehemann  als  solcher  spielt  eine  ganz  untergeordnete  Bolle.     Nur  in  der 


')   V'ergl.  die  obigen  „Vumu". 

2)  Diese  Orang  Mamma  leben  in  strenger  Monogamie.     Brautkauf  gibt  es  nicht. 

3)  Von  einer  „avuneuli  potestas"  bemerkt  P.  Salvator  nichts.     Der  Bruder  der  Haus- 
mutter seheint  weder  über  sie  noch  über  ihre  Kinder  Autorität  auszuüben. 


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Kapitel  LI.     Fortsetzung  über  das  sog.  Mutterrecht.     Tatsachen  u.  Erklärungsversuche 


weiblichen  Linie  besteht  die  Stärke  des  Stammes;  nur  im  weiblichen 
Geschlecht  erhält  sich  die  Familie  in  ihrer  Eigenart:  die  Frauen  sind  die 
Zukunft  und  Hoffnung-  des  Landes;  sie  sind  die  „ardalal  Bälau",  die 
Mütter  von  Palau. 

Was  Yap  betrifft,  so  gehören,  wie  es  scheint,  nur  jene  Kinder  der 
Familie  der  Frau,  welche  nach  einer  Ehescheidung  das  Licht  der  Welt  er- 
blicken (Senfft). 

Die  Chamorros  auf  den  Marianen  sprachen  bei  ihren  häufigen  Ehe- 
scheidungen den  Frauen  sowohl  Kinder  als  Vermögen  zu. 

Auf  den  Marschall-Inseln  wird  der  Kang  der  Häuptlingskinder  an 
erster  Stelle  nicht  durch  den  Rang  des  Vaters,  sondern  durch  den  der  Mutter 
bestimmt.     Durch  diese  vererbt  sich  das  adelige  Geschlecht. 

Über  Nauru  liegen  mir  zwei  sich  teils  widersprechende  Mitteilungen 
vor.  Nach  Brandeis  folgen  bei  dem  herrschenden  Mutterrecht  die  Kinder  der 
Familie  der  Mutter;  den  Häuptlingen  aber  ihr  ältester  Sohn:  nur  in  Er- 
mangelung eines  eigenen  Sohnes  folgt  der  (älteste?)  Sohn  der  ältesten  Schwester. —• 
Jung  schreibt:  Auf  Nauru  gehören  die  Kinder  dem  Stamme  der  Mutter  an. 
Da  somit  die  Söhne  eines  Häuptlings  nicht  dessen  Würde  erben  können, 
wählen  sie  sich  eine  Frau  aus  dem  Stamme  des  Vaters  und  pflanzen  die  Häupt- 
lingswürde  in  ihrer  Familie  durch  den  ersten  Sohn  aus  dieser  Ehe  fort.  Somit 
folgt  nicht  der  Sohn,  sondern  der  Enkel  des  Häuptlings  diesem  in  seiner 
Würde.  Bei  Ehescheidungen  bleiben  nach  Jung  die  Söhne  gewöhnlich  beim 
Vater;  die  Töchter  folgen  der  Mutter. 

Nach  Brandeis  gehen  die  Kinder  geschiedener  Paare  willkürlich  hin  und 
her,  bald  zum  Vater,  bald  zur  Mutter.  -  1  »er  Erbgang  der  Güter  trägt  teils 
vater-,  teils  mutterrechtlichen  Charakter.  Viele  Väter  verteilen,  wie  Brandeis 
schreibt,  ihr  Land  oft  noch  bei  Lebzeiten  an  ihre  Söhne,  falls  diese  gu1  Für 
sie  sorgen.  Den  Schmuck  der  Mutter  erbt  die  älteste  Tochter;  die  jüngeren 
können  ihn  aber  auch  benutzen.  —  Jung  stellt  als  Regel  gleiche  Erbteile  für 
alle  Kinder  auf.  Nur  wenn  in  einer  Familie  mehrere  Töchter  und  nur  ein 
Sohn  vorhanden  sei,  falle  diesem  ein  größeres  Erbteil  zu.  Bei  Vernachlässigung 
der  Kitern  an  deren  Lebensende,  oder  als  Folge  schlechter  Behandlung  der 
Eltern  durch  ihre  Kinder,  trete  auch  Enterbung  ein.  —  In  Ermangelung  einer 
Tochter  vergräbt  man  den  Schmuck  und  die  Kostbarkeiten  der  verstorbenen 
Mutter,  oder  man  versenkt   beides  ins  Meer. 

Als  Polynesier  mit  Mutterrecht  erwähnte  Floß  (II,  393)  die  Tonga- 
[nsulaner.  —  Hei  den  Melanesien!  auf  den  Banks- Inseln  vererbt  sich  das 
Landstück  stets  auf  die  Kinder  der  Schwester,  welche  als  Verwandte  „der- 
selben Seite  des  Hauses"  bezeichnet  werden. 

Auf  den  Viti-Inseln  und  Neuguinea  gibl  es  Vater-  und  Mutterrecht; 
bei  den  Motu-, Motu  letzteres  ausschließlich  (siehe  §  325,   Kap.  XL1X). 

Auf  Alu  (Salomo-Inseln),  wo  ein  reich  ausgebildetes  System  von  Totem- 
Klassen  besteht,  richtet  sich  Totem  und  Erbfolge  nach  der  Mutler.  Auch  in 
Huin  au  der  Südspitze  der  Salomo-InselBougainville  gehört  der  Sohn  /.um 
Totem  der  Mutter,  achtet  alier  auch  das  Totem  seines  Vaters. 

Im  Bismarck-Archipel   nennen  die  Laur  auf  Neu-Mecklenburg   ihre 

Kinder    nach    dem    Vogel    '1er    Mutter.      Die    Laur    lassen    nämlich    das    ganze 

Menschengeschlecht    von   zwei   Vögeln,   dem   mälaba   oder  pakiläba    und    dem 

rragon  oder  tarrago,  /«ei  Adlerarten,  abstammen.     Auch  der  Familienname 

wird  nicht  vom  Vater,  sondern  von  der  Mutter  geerbt. 

In  ,1er  Blanchebucht,  Neupommern,  kommt  die  väterliche  Linie  bei 
Feststellung  der  Verwandtschaft  weder  auf-  noch  seitwärts  in  Betracht. 


§  340.     „Mutterrecht"  bei  malayisch-polynesisclieu   Völkern  usw.  639 

Der  Oststamm  der  Gazellen-Halbinsel  kennt  nach  Jos.  Meier  keine 
Familien-,  sondern  nur  Stammesangehörigkeit,  „weshalb  auch  das  Mutterrecht 
Geltung  hat".  Der  Bruder  der  Mutter  steht  über  den  Eltern  der  Kinder;  der 
Vater  hat  über  diese  kein  Bestimmungsrecht.  Weib  und  Kind  verbleiben 
dem  Stamm  der  Mutter;  die  Söhne  beerben  den  Onkel  mütterlicherseits.  Das 
Weib  kann   ihren  Mann  beim  geringsten   unliebsamen  Vorkommnis  verlassen. 

In  Australien  ist  nach  F.  Graebner  die  Existenz  des  väterlichen 
Lokaltotemismus  bis  in  den  äußersten  Südosten  nachgewiesen;  zwar  herrscht 
in  Victoria  Mutterrecht,  aber  ein  starker  Einschlag  eines  ursprünglichen 
vaterrechtlichen  Lokaltotemismus  sei  nicht  zu  bestreiten.  Hingegen  tritt  uns 
in  der  Darstellung  des  Erbrechtes  durch  Spencer  und  Gittert  Erbgang  durch 
das  Weib  bei  einer  Reihe  von  Stämmen  entgegen.  Nach  dem  Erbrecht 
der  Warramunga,  Walpari,  Wulmala,  Tjingilli,  Umbaia  und  Bin- 
binga  geht,  nach  diesen  beiden  Forschern,  der  materielle  Besitz  eines  Ver- 
storbenen nicht  auf  seine  Kinder,  sondern  auf  die  Brüder  seiner  Mutter, 
oder  auf  die  Ehemänner  seiner  Töchter  über.  Im  ersten  Fall  haben  wir 
also  den  ..Erbonkel"'  afrikanischer  und  anderer  mutterrechtlicher  Völker  mit 
umgekehrter  Bolle,  d.  h.  er  tritt  in  Australien  als  Erbe  seiner  Neffen  schwester- 
seits  auf,  was  freilich  des  Alterunterschiedes  wegen  kaum  oft  praktisch  ein- 
treten wird.  Vaterrechtlichen  Erbgang  haben  nach  Spencer  und  Gillen 
die  Arunta,  Kaitish  und  Unmatjera.  Bei  diesen  Stämmen  hat  jedes 
Individuum  profanes  und  heiliges  Eigentum.  Jenes  besteht  in  Tieren,  Waffen, 
Handwerkszeug  u.  a.  m..  und  kann  zu  Lebzeiten  des  Besitzers  nach  Gutdünken 
weggegeben  werden.  Das  heilige  „Chüringa" ])  aber  wird  nach  ganz  be- 
stimmten Gesetzen  vererbt:  Der  Vater  hinterläßt  es  seinem  ältesten  oder 
einzigen  Sohn.  Ist  der  Sohn  noch  klein,  dann  geht  es  bis  zu  dessen  Mann- 
barkeit an  einen  jüngeren  rechten  Bruder,  oder  an  einen  Stammesbruder  des 
Verstorbenen  über.  In  Ermangelung  eines  Sohnes  tritt  ein  Bruder  als  Erbe 
des  „Chüringa"  ein,  von  welchem  es  auf  dessen  Sohn  übergeht.  Dieser  heilige 
Gegenstand  besteht  in  einem  Holz  oder  Stein  in  Form  eines  Bumerang,  oder 
einer  großen  Messerscheide,  oder  eines  Pfahles  mit  stumpfer  Spitze,  oder  eines 
Brettchens.  Er  gilt  als  Erbstück  aus  der  mythischen  Vorzeit,  als  Sitz  eines 
Geistes  und  berechtigt  den  Besitzer  zur  Ausführung  bestimmter  Zeremonien  -). 
Im  wirklichen  Sinn  des  Wortes  ist  das  Chüringa  freilich  nicht  ausschließlicher 
Privatbesitz,  sondern  steht  im  heiligen  Vorratshaus  der  lokalen  Stammesgruppe 
unter  Aufsicht  des  Häuptlings.  Es  scheint,  daß  Töchter  auf  dieses  heilige 
Erbe  im  allgemeinen  keinen  Anspruch  haben,  obgleich  auch  Weiber  Bein- 
karuationen  berühmter  Ahnen  sein  und  Chüringas  als  Sitze  von  Ahnengeistern 
besitzen  können.  Bei  ihrem  Tod  gehen  diese  Heiligtümer  auf  ihre  jüngeren 
eigentlichen  Brüder  oder  auf  jüngere  Stammesbrüder  über,  welche  von  den 
Verwandten  der  Verstorbenen  bestimmt  werden.  Bei  den  Warramunga 
scheint  sich  übrigens  das  Chüringa  auch  durch  das  Weib  zu  vererben;  denn 
Spencer  und  Gillen  schreiben,  daß  es  dort  mit  dem  materiellen  Besitz  gehe, 
welcher,  wie  oben  erwähnt,  dem  Onkel  mütterlicherseits,  oder  den  Ehemännern 
der  Töchter  zufällt.  Aber  das  Chüringa  der  Warramunga  verleiht  dem 
privaten  Besitzer  keine  zeremoniellen  Vorrechte,  da  diese  nach  dem  Glauben 
dieses  Stammes  nur  den  Stammesgruppen  als  Einheiten  zukommen. 

Die  Abstammung  nach  weiblicher  Linie  bei  dem  australischen  Stamm 
der  Urabunna  wurde  in  Kapitel  L  erwähnt.  — 


')  Dieses  Chüringa  erinnert  als  „Sitz  der  Ahnengeister"  stark  an  die  „Seelentäfelchen" 
der  Chinesen,  Japaner,  Koreaner  usw.  in  Kap.  XLVIII. 

-)  Die  Bedeutung,  welche  solche  Gegenstände  im  Fruch tbarkeits-  bzw.  Ge- 
schlechtskult haben,  läßt  deren  Bedeutung  auch  im  Erbrecht  erraten,  was  mit  dem  „Sitz 
der  Ahnengeister'  selbstverständlich   nicht  in   Widerspruch  steht. 


■640     Kapitel  LI.    Fortsetzung  über  das  sog.  llutterrecht.     Tatsachen  u.  Erklärungsversuche. 

§  341.     ,,M litterrecht"  in  Hinterindien.     Spuren  von  Gynäkokratie   und 
Neffenerbrecht  im  japanischen  Mythus. 

Der  japanische  Mythus  weist  Erscheinungen  auf,  welche  den  Charakter 

der  Gynäkokratie  und  des  Neffenerbrechtes  tragen.  Ph.  Frhr.  von  Siebold 
schrieb:  „Unter  den  vielen  Kindern,  die  Izanagi  mit  seinem  göttlichen  Weibe 
gezeugt  hatte,  war  die  älteste  Tochter.  Ama  terasu  ökami,  der  Himmel 
erleuchtende  große  Geist,  die  tugendhafteste.  Sie  wurde  von  ihren  himm- 
lischen Eltern  als  Thronerbin  des  irdischen  Reiches  erwählt  und  herrschte 
neben  ihrem  Bruder  Tsuki  jo  mi  no  mikotü,  dem  durch  die  Nacht  schauenden 
göttlichen  Monde,  über  die  Schöpfungen  ihrer  Eltern.  Nachdem  zweihundert- 
fünfzigtausend  Jahre  verflossen,  übergab  sie  das  Reich  ihrem  Neffen,  den 
sie  an  Sohnes  Statt  angenommen  hatte."   — 

In  Assam')  finden  wir  ein  eigentliches  Matriarchat  in  Verbindung  mit 
Gynäkokratie,  die  Herrschaft  des  Weibes  in  und  außerhalb  der  Familie 
im  Sinne  Backofen^.  P.  R.  T.  Gurdon  berichtet  nämlich  von  den  dortigen 
Khasis  und  Syntengs:  Hier  können  die  Söhne  nicht  erben,  überhaupt  nur 
Selbsterworbenes  als  Eigentum  besitzen.  Die  Mutter  ist  zeitlebens  das 
Haupt  der  Familie,  Eigentümerin  und  Hüterin  des  Familien-Ver- 
mögens. Nach  ihrem  Tod  geht  letzteres  auf  ihre  jüngste  Tochter 
über,  oder  wird  gleichmäßig  unter  sämtliche  Töchter  verteilt.  In  Er- 
mangelung von  Töchtern  erbt  die  jüngste  Nichte,  und  fehlt  auch  eine  Nichte, 
so  ist  die  jüngste  Base  Erbin.  Die  Häuptlingswürde  vererbt  sich  durch 
die  weibliche  Linie. 

Besonders  wichtig  sind  die  Mitteilungen  C.  Beckers  über  Matriarchat  und 
Gynäkokratie  in  Nongkrem  oder  Khyrim,  dem  größten  der  25  Khasi -Klein- 
staaten2), welcher  zur  britischen  Regierung  in  einem  gewissen  Abhängigkeits- 
verhältnis steht  und,  hauptsächlich  wegen  seiner  jährlichen  großen  Opferfeste,  der 
bekannteste  ist.  Abgesehen  vom  Matriarchat  im  Privatleben,  welches  den  Khasis 
gemeinsam  zu  sein  scheint,  finden  wir  es  hier  in  der  königlichen  Familie 
verbunden  mit  Gynäkokratie  in  der  höchsten  Potenz.  Denn  wohl 
regiert  der  König  S'iem  in  weltlichen  Dingen,  aber  nur,  nachdem  die 
ka  S'iem  sad,  die  Hohepriesterin.  ihm  diese  Regierung  übertragen 
hat.  Sad  bedeutet  nach  Becker  „die  Gottheit,  welche  über  die  königlichen 
Geschlechter  wacht".  Der  König  handelt  gleichsam  als  Bevollmächtigter  der 
Hohenpriesterin.  Diese  ist  die  Mutter,  oder  Tante,  oder  doch  entfernte  Ver- 
wandte des  jeweiligen  S'iem.  Ihre  eigene  Würde  aber  vererbt  sich  nach  ihrem 
Tod  auf  keinen  Mann,  sondern  auf  ihre  älteste  lebende  Tochter;  ist  diese 
schon  gestorben,  dann  geht  die  Würde  auf  die  älteste  Tochter  der  ältesten 
Tochter;  in  Ermangelung  dieser  Enkelin  auf  die  älteste  Tochter  der  zweiten 
Tochter  usf.  Fehlt  jede  Tochter  und  Enkelin,  dann  tritt  die  älteste  lebende 
Schwester  in  das  Amt  ein;  fehlt  es  auch  an  Schwestern,  so  ist  die  älteste 
Tochter  der  ältesten  Schwester  der  Mutter  der  verstorbenen  S'iem  sad  Nach- 
folgerin usf.  In  Sachen  der  Religion  ist  diese  Hohepriesterin  alleinige  Herrin; 
aber  auch  die  Finanzen  des  kleinen  Reiches  hat  sie  in  Verwahr.  Alles,  was  an 
Steuern,  Marktabgaben,  durch  Rechtspflege  u.  dgl.  eingeht,  muß  an  sie  ab- 
geliefert weiden.  Sie  kann  darüber  nach  Gutdünken  verfügen,  während  der 
S'iem  die  Geldmittel  zur  Bestreitung  der  Regierungsauslagen  von  ihr  erhält. 
Von  besonderer  Wichtigkeil  für  die  Ansicht  Backofens,  daß  die  Frucht- 
barkeit des  Weibes  die  tiefste  Grundlage  des  Mutterrechtes  sei, 
dürfte  die  folgende  Mitteilung  Beckers  sein:  Im  Hause  der  S'iem  sad.  also  der 
Bohenpriesterin    und    Spenderin    der  Herrscherwürde,    befindet   sich    in    der 

'i   Das    Lssami  isl  ein  arischer  Dialekt 

*)  I * i ■  -   Khasis   sind    ein    Hauptstamm    der    Lohita-Völker;   sie  gehören  also  zu  den 
in  mi:  isolierenden  Sprachen. 


§  342.     „Mutterrecht"  bei  Indianern. 


641 


Mitte  ein  Pfosten,  der  vom  Boden  bis  zum  Dachfirst  hinaufreicht.  Er  wird 
u  rishot  Blei  (Pfosten,  Säule  Gottes)  genannt  und  dient  gleichsam  als  der 
Altar,  vor  dem  vielfach  Opfer  stattfinden.  Die  Säule  ist  zwar  nach  Becker 
nichts  anderes,  als  der  Stamm  der  Khasi-Eiche,  die  dem  Khasi  heilig  ist, 
aber  der  Baumkult  der  Völker  weist  deutlich  darauf  hin,  daß  dieser  Stamm 
der  Khasi-Eiche  das  Bild  des  Volksstammes  ist,  der  sich  fortpflanzt  von 
Geschlecht  zu  Geschlecht.  Der  Fruchtbarkeitskult  kommt  nach  der 
obigen  Schilderung  der  hervorragenden  Stellung  des  weiblichen  Geschlechtes 
in  Nongkrem,  wie  bei  den  Khasi  überhaupt,  dem  Weibe  mehr  als  dem  Manne 
zugute,  und  daher  Matriarchat  und  Gynäkokratie. 

Der  Avunculus  tritt  hier  im  Ahnenkult  hervor.  Dem  Geiste  des  ersten 
Großonkels  mütterlicherseits,  „der  der  erste  König  war",  und  der  (weiblichen?) 
Gottheit,   „welche  die  Könige  zu  Königen  macht",  werden  Opfer  gebracht.  — 

Bei  den  Kaupuis,  einem  Bergstanini  in  Manipur,  Burma,  hat  der 
Ehemann,  dem  ein  Kind  stirbt, 
seinem  Schwiegervater  Ent- 
schädigung zu  zahlen.  Das  gleiche 
gilt,  wenn  ihm  sein  Weib  stirbt 
(vgl.  d.  muselman.  Strandbew. 
von  Seram,  S.  637).  George  Watt 
bemerkt  zur  obigen  Mitteilung,  das 
Recht  eines  Kaupni  erstrecke 
sich  auch  noch  über  seine  ver- 
heiratete Tochter.  —  Eiue 
gleiche  Erscheinung  kennen  wir 
aus  dem  alten  Rom. 

§  U'l.    „Mutterrecht"  bei 
Indianern. 

Abstammung  und  Erbgang 
durch  die  Mutter,  statt  durch  den 
Vater,  gibt  es  auch  bei  ameri- 
kanischen Völkern;  PJoß1)  schrieb 
sogar:  „Bei  fast  allen  Völker- 
stämmen Nord-Amerikas", 
nannte  aber  nur  die  Irokesen, 
die  Völker  von  Nordkarolina, 
die  Tscherokesen  und  die  Kolju sehen.  Nun  sind  aber  die  Tscherokesen 
nur  ein  Zweig  des  Irokesen-Stammes  (Scobel)  in  Nordkarolina.  Von  den 
Irokesen  schrieb  Herbert  Spencer  im  Hinweis  auf  L.H.Morgan,  daß  Mann 
und  Weib  je  sein  besonderes  Eigentum  hatte  (  .  .  .  the  proprietary  rights 
of  husband  and  wife  remained  distinet),  und  daß  die  Kinder  bei  Ehetrennungen 
mit  der  Mutter  gingen.  Der  Erbgang  war  nach  dieser  Mitteilung  also  nicht 
rein  mutterrechtlich. 

Bei  den  Koluschen  oder  Thlinkit  geht  das  Erbe  auf  den  Schwester- 
sohn, und  ist  ein  solcher  nicht  vorhanden,  auf  den  jüngeren  Bruder  des  Ver- 
storbenen.    Die  Kinder  gehören  zum  Geschlechte  der  Mutter. 

Bei  den  Indianern  des  Queen -Charlotte- Sund  geht,  nach  Hesse- Wartegg, 
Rang  und  Titel  des  Familienoberhauptes  nicht  vom  Vater  auf  den  Sohn, 
sondern  vom  Onkel  auf  den  Neffen  (Sohn  der  Schwester  oder  des  Bruders?)  über, 
was  aber  mit  großen  Opfern  verbunden  ist.     Denn  ehe  man  dem  neuen 


Fig.  450.    Halbzivilisierte  Irokesinnen  mit  Kindern.    Am 

i  iliereu  See   in  Michigan.     Im   K.  Ethnograph.  Museum  in 

Müh  ehen. 


i)  2.   Aufl.   H,   409. 

Ploß-Renz.  Das  Kind.     3.  Aufl.     Band  II. 


41 


(342      Kapitel  LI.     Fortsetzung  über  das  sog.  Mutterrecht.     Tatsachen  u.  Erklärungsversuche. 

Familien-  und  Stammhaupte  die  Totem-Säule  übergibt,  muß  er  der  Familie 
des  verstorbenen  Hauptes  reiche  Geschenke  machen,  für  welche  bisweilen  sein 
ganzes  Vermögen  nicht  ausreicht,  Ist  er  nicht  reich  genug,  um  jedes  Mitglied 
mit  Decken,  Perlen  u.  dgl.  beschenken  zu  können,  dann  geht  die  Würde  auf 
einen  andern,  reicheren  oder  ehrgeizigeren.  Verwandten  über. 

Bei  den  Ohama  in  Nebraska  gehören  nur  die  Kinder  von  fremden 
Männern  zum  Geschlechte  der  Mutter. 

Als  „Matriarchat"  und  mit  einem  gewissen  Grad  Gynäkokratie  außer- 
halb der  Familie  verbunden  tritt  uns  das  sog.  Mutterrecht  bei  den  Navajo 
in    Neumexiko   und   Arizona   entgegen,   von  denen   F.  Leopold   Ostermann 


Fi;;.   151.     [ndianei  aus  Caughnawaga  bei  Montreal,  einem  Irokesendorf  mit  vielen  Mischlingen.     Im 

K.  Ethnograph.  Museum  in  München. 

berichtet:  Die  gesellschaftliche  Stellung  der  Navajo-Indianerin  ist  sehr  unab- 
hängig. Sie  selbst  verwaltet  ihr  Vermögen,  und  ihr  gehören  die  Kinder,  die 
ihrem  Stamm  zugerechnet  werden.  Der  Mann  darf  die  Kinder  nur  mit  der 
Zustimmung  der  Mutter  strafen,  und  hat  überhaupt  wenig  darüber  zu  sa-eii. 

Auf  Uispaniola  (Haiti)  erbten  zur  Zeit  der  Entdeckung  die  eigenen 
Kinder  eines  Häuptlings  nur  in  Ermanglang  anderer  Erben.  Das  erste  An- 
recht hatte  der  älteste  Sohn  der  ältesten  Schwester.  Waren  seitens  der 
Schwestern  keine  männlichen  Erben  da,  dann  kamen  die  Söhne  der  Brüder 
in  Betracht 

Die  Eingebornen  von  Haiti  waren  meines  Wissens  Karaiben.  Bei  den 
Karaiben  der  Nordküste  Südamerikas  erbten  abei  nach  Floß  (II,  409)  die 
Söhne  meist  von  ihren  Vätern1);  bei  Ehetrennungen  fielen  die  Kinder  der  Mutter  ZU. 


i    Vielleicht    handelt  es  sich  hier  um  das  Volk;   oben  ist  von  Häuptlingen   die   I    ide 


§  343.     Überblick  und  Lösungsversucb.  643 

Karaiben  finden  sich  neben  Tnpi  und  Arrawak  im  heutigen  Guayana, 
wo  die  Kinder  zum  Stamm  der  Mutter  gehören.  Koch-Grünberg,  der  das 
mitteilt,  schreibt  es  der  hervorragenden  Stellung  der  dortigen  Indi- 
anerinnen überhaupt  zu. 

Im  alten  Peru  beerbten,  von  den  Inkas  abgesehen,  die  Neffen  ihre 
Onkel,  nicht  die  Söhne  ihre  Väter,  und  Abstammung  in  weiblicher  Linie 
komme  heute  noch  mehr  oder  weniger  sowohl  in  Peru  als  in  Mexiko  vor, 
wie  H.  Spencer  schrieb. 

Im  nordwestlichen  Brasilien  rechnen  die  Macusi  ihre  Kinder  der 
Mutter  zu. 

Beiden  Caraja  im  nordöstlichen  Brasilien  nehmen  sich  die  nächsten 
Verwandten  mütterlicherseits  der  verwaisten  Kinder  an.  Ist  der  Vater  auf 
einem  Kriegszug  gefallen,  dann  übernimmt  direkt  der  Häuptling,  indirekt  die 
Gemeinde  die  Unterhaltungspflicht,  wie  von  Königswald  mitteilt.  —  Es  scheint 
sich  also  hier  vor  allem  um  eine  Pflicht  zu  handeln,  von  welcher  die  Ver- 
wandten väterlicherseits  frei  sind,  was  allerdings  die  Auffassung  ausdrücken 
dürfte,  daß  das  Kind  den  Verwandten  mütterlicherseits  näher  steht. 

Der  gleiche  Schluß  ist  wohl  aus  dem  folgenden  Brauch  bei  den  Pehuenche, 
einem  Zweig  der  Araukaner  in  Chile,  gestattet.  Hier  rächen  sich  nämlich 
die  Verwandten  der  Mutter  an  deren  Mann,  wenn  dieser  Kindesmord  begeht, 
und  zwar  mit  der  gleichen  Strenge,  wie  jeden  andern  Mord.  — 

§  343.     Überblick  und  Lösungsversuch. 

Geht  man  bei  den  Völkern,  welche  in  den  §§  336 — 342  eingeführt 
worden  sind,  dem  Avunculus,  dem  Bruder  der  Mutter  nach,  so  findet  man 
ihn  tatsächlich  bei  manchen  Völkern  mit  mehr  Autorität  über  die  Kinder 
seiner  Schwester  ausgestattet,  als  dort  der  Vater  über  seine  Kinder  besitzt. 
Ausdrücklich  ist  das  erwähnt  von  den  Bantu  am  untern  Kongo  (bei  Weeks), 
von  den  Bondo,  Bäfiote1)  und  Angola-Negern,  von  den  Orang  Mamma  auf 
Sumatra  und  vou  den  Eingebornen  der  Gazellen-Halbinsel. 

Als  Erbonkel  tritt  er  noch  öfter  auf.  Daß  diese  Bolle  aber  nicht 
immer  ein  Eigentumsrecht  über  seine  Erben  in  sich  schließt,  dürfte  das 
Rechtsverhältnis  der  nördlichen  Wanjamwesi  (§  339)  beweisen,  wo  die  Kinder 
ihrem.  Vater  gehören  und  doch  ihren  Onkel  beerben. 

Öfter,  als  das  Rechtsverhältnis  des  Avunculus  allein  zum  Kind, 
ist  in  den  vorhergehenden  Paragraphen  jenes  der  Familie  der  Sippe 
(des  Stammes,  der  Verwandtschaft)  mütterlicherseits  erwähnt.  Dem 
Ausdruck  „Das  Kind  gehört-'  zur  Familie,  zur  Sippe,  zur  Verwandtschaft,  zum 
Stamm  der  Mutter  begegnen  wir  immer  wieder  und  wieder.  Beispiele  sind 
die  kanssylvanischen  Zeltzigeuner,  die  Pikten  und  Lykier,  die  Neger  der 
Goldküste,  die  Bantu  am  untern  Kongo  (bei  Weeks),  die  Bayaga  (Kongostaat)2) 
und  die  Herero;  ferner  die  Orang  Laut  und  teilweise  die  Battak  auf  Sumatra, 
die  muselmanischen  Strandbewohner  auf  Seram,  die  Koluschen  (Thlinkit)  in 
Nordamerika,  die  Macusi  in  Brasilien  und  die  Indianer  iu  Guayana. 

Ob  auch  bei  diesen  Völkern  gerade  immer  ein  Bruder  der  Mutter, 
also  ein  Oheim  (Avunculus)  des  Kindes  es  ist,  der  diesem  gegenüber  Rechte 
und  Pflichten  ausübt  und  erfüllt,  wage  ich  nach  dem  mir  vorliegenden  Material 
nicht  zu  entscheiden.  Bejaht  ist  diese  Frage  in  der  Mitteilung  über  die 
Gazellen-Halbinsel;  sie  ohne  weiteres  auch  von  den  andern  Völkern  dieser 
Kategorie  zu  bejahen,  dürfte  kaum  angängig  sein,  zumal  eine  indirekte  Ver- 

')  Hier  haben  aber  auch  die  Mutter.  Großeltern  und  übrigen  Verwandten  ein  Mit- 
anrecht auf  die  Kinder. 

2i  Den  ältesten,  oder  alle  Brüder  der  Mutter  zusammen,  sahen  wir  als  Eigen- 
tümer der  Kinder  in  Angola 

41* 


644     Kapitel  LI.     Fortsetzung  über  das  sog.  Mutterrecht.     Tatsachen  u.  Erklärungsversuche. 

n einung   von  den  afrikanischen  Basutos   und  den  hinterindischen  Kaupuis 

vorliegt,  da  bei  jenen  die  Großeltern  mütterlicherseits  es  sind,  welche  das 
erstgeborne  Kind  für  sich  beanspruchen,  und  bei  den  Kaupuis  der  Groß- 
vater mütterlicherseits  Entschädigung  erhält,  wenn  sein  Enkel  stirbt.  —  Die 
Zugehörigkeit  zu  einem  Stamm  beweist  an  und  für  sich  nicht,  daß  dieser 
eine  potestas  über  seine  Mitglieder  hat.  welche  mit  der  väterlichen  oder 
mütterlichen  Gewalt  zu  identifizieren  wäre,  sonst  würden  sich  z.  B.  Vaterreclit 
und  Stamniesmitgliedschaft  gegenseitig  ausschließen. 

Dem  Gesagten  zufolge  dürfte  das  sog.  Mutterrecht  bei  einer  Keihe  von 
Völkern  zunächst  eher  eiu  Sippenrecht  (oder  Stammrecht)  sein.  Die 
Sippe  oder  der  Stamm  macht  Anspruch  auf  das  in  ihr  (ihm)  geborne 
Weib  und  dessen  Leibesfrucht1)  und  verhindert,  wo  Erbgang  durch  das 
Weib,  den  Übergang  des  innerhalb  der  Sippe  oder  des  Stammes  vorhandenen 
Vermögens  auf  den  von  einer  fremden  Sippe  hereingeheirateten  Mann,  was 
besonders  dort  deutlich  hervortritt,  wo  der  Mann,  auch  noch  nach  seiner 
Heirat  in  den  Stamm  des  Weibes  hinein.  Mitglied  seiner  eigenen  Sippe  bleibt 
und  hierher  zurückkehrt,  sobald  sein  Weib  gestorben,  oder  die  von  ihm  &  - 
zeugten  Kinder  seines  Schutzes  und  seines  Unterhaltes  nicht  mein  bedürfe] 
wie  es  z.  B.  bei  den  transsvlvanischen  Zeltzioeunern  und  den  westafrikanischen 
Bayaga  der  Fall  ist  (§§  336  und  339). 

Daß  es  sich  bei  manchen  Völkern  um  ein  Sippenrecht  handelt,  dürfte 
ferner  aus  der  Bevorzugung  der  Onkel-Xickten-Ehen  der  Bongo  und  dein 
dortigen  Erbrecht  zugleich  hervorgehen:  Wenn  der  Onkel  seine  Nichte 
heiratet,  wird  er  von  seinen  eigenen  Kindern  beerbt;  die  Kinder 
anderer  Ehen  erben  Namen.  Würde  und  Vermögen  von  ihrem  Onkel  mü  tter- 
licherseits.  Die  Tendenz,  Namen.  Würde  und  Vermögen  der  Mutteisippe  zu 
erhalten,  scheint  mir  hier  klar  zu  sein.  Da  die  Ehe  zwischen  Onkel  und  Nichte 
Kiemente  aus  einem  fremden  Stamm  ausschließt,  können  die  Kinder  ihre  Eltern 
beerben.  -  ■  Eine  ähnliche  Tendenz,  aber  zugunsten  der  Vatersippe,  blickt 
durch  das  Erbrecht  der  Koluschen,  nach  welchem  der  Schwestersnhn  des  \  er- 
storbenen, in  Ermanglung  eines  solchen  aber  der  jüngere  Bruder  des  Ver- 
storbenen erbt.  Hier  hat  also  der  Sohn  der  Schwester  zwar  das  Vorrecht, 
ist  aber  ein  solcher  nicht  vorhanden,  dann  läßt  mau  das  Vermögen  nicht  etwa 
den  Kindern,  welche  mit  ihrer  Mutter  allenfalls  zum  fremden  Stamm  zurückkehren. 
sondern  das  Vermögen   muß  in  der  Sippe  des  Mannes  bleiben.     Das  Recht 


1  ähnlich  scheint  es  sich  im  indo-europäischcn  Institut  der  Erbtöchter  zu  verhalten. 
Nach  0.  Sehrader  konnten,  bzw.  können,  die  alten  Inder  und  Griechen,  sowie  die  heutigen 
Siidslawen,  bei  Ermanglung  von  Söhnen  eine  ihrer  Töchter  (Erbtochter)  unter  der  Be- 
dingung verheiraten,  daß  der  von  ihr  zu  gebärende  Knabe  als  Sohn  des  mütterlichen  '■ 
Vaters  gelte.  Bei  den  Südslawen  ist  mit  diesem  Rechtsverhältnis  Exogamie  verbunden. 
Schröder  schreibt  nämlich  mit  einem  Hinweis  auf  Krauß:  Bei  den  Südslawen  muß  der  Erb- 
tochtermann  durchaus  einem  andern  bratstvo  (Geschlecht,  gens?)  angehören  und  vom  Vater 
der  Erbtochter  erst  in  denn  bratstvo  eingekauft  werden.  —  Dabei  geht  der  Zuname  der 
Familie  des  Weibes  allmählich  au  f  den  Erb  t  och  t  ermann  und  seine  Blinde  r  über. 

I    rner  erinnert   S  hrader  an  den  schon  von  Bachofen  erwähnten  Fall  im  alten   Ron 
Numerius  Octavilius   seine  Tochter   dem  Patrizier   Fabius   nur   unter  der  Bedingung    zur   Ehe 
gab.  daß  dem  erstgebornen  Sohn  der  Vorname  des  mütterlichen  Großvaters  gegeben  werde.  — 
Bei   den    Griechen    mußte   der   Mann    ihr    Brbtochter   ein    naher    Verwandter   sein.    —   Die 
Inder   kannten    diese    Beschränkung    nicht.    —   Der   Sohn    der  Erbtochter   galt    in    der    iu<lo- 
ipäischen    Völkerfamilie    als    Nachfolger    und    Erbe    des    mütterlichen    Großvaters 
rader,    Reallexikon    der   indogermanischen   Altertumskunde,  S.   197f.).  —  Diese   Rechts- 
verh'ältnisse  unterscheiden   sich   ti"tz  aller  äußern  Ähnlichkeit   mit  dem  >"Lr.  Mutterrecht,   von 
diesem  aber  doch  wesentlich  durch  den  Verwandtschaftsbegriff,  der  im  indo-europäischen 
(indo-germanischen)  Altertum  agnatisch,  bei  den  „mutterrechtlichen"  Völkern   cognatisch 
I.  h.  hier  gelten  die  Kinder  als  verwandt  nur  mit  der  Sippe  (Verwandtschaft)  der  Mu1 
als  verwandt    nur  mii    der  Sippe    des   Vaters,    und    das   gleiche  Verhältnis   gilt  zwiac 
dem  Ehemann  und  den   Verwandten  seines  Weibes  (vgl.  Schröder,  ebenda  186  und  188). 


§  343.     Überblick  und  Lösungsversuch.  645 

der  Sippe  des  Weibes,  welches  uns  in  diesem  Kapitel  so  oft  begegnet  ist,  hat 
hier  eine  Parallele  im  Recht  der  Sippe  des  Mannes. 

Eine  ähnliche  Erscheinung  sahen  wir  (§  342)  im  Erbrecht  der  Häuptlinge 
auf  dem  früheren  Haiti:  Der  älteste  Sohn  der  ältesten  Schwester  hatte  das 
Vorrecht;  war  ein  Schwestersohn  überhaupt  nicht  vorhauden,  dann  erbten  die 
Söhne  der  Brüder.  — 

Nun  haben  wir  in  dem  vorliegenden  Kapitel  aber  auch  Völker  kenneu 
gelernt,  bei  welchen  das  Weib  nicht  nur  als  Medium  erscheint,  durch  das 
dem  Mann  Name,  Vermögen,  Titel,  Totem  und  Mitgliedschaft  des  Stammes ') 
zukommt,  sondern  dem  Weibe  zugleich  eine  autoritative  Stellung  in 
Familie  und  Stamm,  oder  doch  in  jener,  einräumen,  so  daß  die  Begriffe 
Matriarchat  und  Gynäkokratie  bei  ihnen  also  tatsächlichen  Verhält- 
nissen entsprechen2). 

Das  durchschlagendste  Beispiel  dieser  Art  sind  die  hinterindischen  Khasis 
in  Nongkrem,  bei  denen  das  Weib  die  höchste  Macht  inner- und  außerhalb  der 
Familie  im  religiösen  and  profanen  Leben  repräsentiert,  wie  denn  die  in  §  341 
geschilderten  .Rechtsverhältnisse  der  Khasis  überhaupt  und  der  Syntengs 
dem  J.  Bachofenschen  Begriff  zunächst  vom  Matriarchat  vollauf  Genüge  tun. 
Faßt  man  dann  die  Rechtsbefugnisse  des  dortigen  Weibes  inner-  und  außer- 
halb der  Familie  zusammen,  dann  resultiert  für  beide  Völker  eine  Übermacht 
des  Weibes,  d.  h.  eine  Gynäkokratie,  welche  bei  den  Khasis  in  Nongkrem 
in  ihrer  höchsten  Potenz  zum  Ausdrucke  kommt,  —  Eine  Übermacht  des  Weibes 
scheint  mir  in  §  340  ferner  auf  den  Palau-Inseln  erwiesen  zu  sein,  wo  die 
beiden  Geschlechter  außerhalb  der  Familie  zwar  nur  „gleichberechtigt"  sind, 
in  der  Familie  der  Mann  aber  eine  weit  geringere  Rolle  spielt  als  sein  Weib; 
wo  der  Mann  zwar  Häuptlingstitel,  und  Vermögen  besitzt,  beides  aber  dem 
Weibe  verdankt,  wie  es  bei  den  Völkern  mit  „Mutterrecht"  überhaupt  der 
Fall  ist,  so  daß  man  ungeachtet  der  „Tyrannis",  welche  sich  bei  manchen 
Völkern  neben  dem  Erbgang  und  der  Abstammung  durch  das  Weib  findet,  ge- 
stehen muß,  daß  derartige  Rechtsverhältnisse  im  allgemeinen  dem  Weibe 
doch  einen  tief  einschneidenden  Wert  in  Familie,  Stamm  und  Volk  beimessen, 
was  wahrscheinlich  noch  mehr  hervortreten  würde,  wenn  wir  von  allen  „mutter- 
rechtlichen" oder  vielmehr  sippenrechtlichen  Völkern  ebenso  genaue  Kenntnisse 
hätten,  wie  von  einzelnen  Völkern  Afrikas,  Hinterindiens  und  Amerikas 
(§§  339,  341  und  342).  Man  beachte  nur  die  höhere  Ehrung  des  Weibes  bei 
den  Lykiern,  die  Bevorzugung  der  Mutterverwandtschaft  bei  unseren  eigenen 
Vorfahren  und  den  Bäfiote  im  heutigen  Westafrika,  die  Benennung  des  Mannes 
nach  seinem  Weib  in  Andorra  (Spanien),  die  Bevorzugung  des  Mutternamens 
im  religiösen  Leben  der  Mandäer,  das  Eigentumsrecht  der  Mutter  über  ihre 
und  ihres  Gatten  Kinder  bei  den  Ehescheidungen  verschiedener  Völker  der 
vorhergehenden  Paragraphen3),  das  Erbrecht  der  Töchter  mit  Ausschluß  der 
Söhne  bei  den  Cantabrern  und  alten  Ägyptern  (?),  die  Übermacht  der  Navajo- 
Indianerin  in  der  Familie  und  ihr  Ansehen  im  Stamm  usw. 

Eine  Wertschätzung  des  Weibes  ist  also  im  sogenannten  Mutter- 
recht wenigstens  als  Regel  nachgewiesen.  Dennoch  scheint  nach  den  bis- 
herigen Auseinandersetzungen  dieses  Kapitels  der  Ausdruck  „Mutterrecht" 
nur  auf  die  wenigsten  der  in  diesem  Kapitel  eingeführten  Völker  zu  passen, 
weil    eben    nur    bei    den    wenigsten    die    Mutter    Rechtsbefugnisse    hat. 


>)  Vgl.  §  335. 

2)  H.  J.  Rose  anerkennt  eine  Gynäkokratie  nicht,  On  the  alleged  Evidence.  Folk- 
Lore  XXII,  277  f. 

*)  Z.  B.  bei  den  Riff-Berbern  des  16.  Jahrhunderts,  den  Chamorro  auf  den  Marianen- 
Inseln.  den  Karaiben  des  Festlandes  usw.  —  Ob  diese  letztere  Reehtsform  unter  allen  Kultur- 
verhä'ltnissen  eine  Begünstigung  des  Weibes  ist,  scheint  mir  allerdings  zweifelhaft. 


646     Kapitel  LI.     Fortsetzung  über  das  sog.  Mutterrecht.     Tatsachen  u.  Erklärungsversuche. 

Die  meisten  der  sogenannten  nratterrechtlichen  Völker  erkennen  diese  Befug- 
nisse der  Sippe  (Verwandtschaft)  der  Mutter  zu,  so  daß  der  Ausdruck  Sippen- 
recht  den  Ausdruck  Mutterrecht  überall  da  ersetzen  sollte,  wo  Abstammung 
und  Erbgang  (sei  es  Name,  oder  Totem,  oder  Titel,  oder  Vermögen)  durch  die 
Mutter  als  die  einzigen  sog.  mutterrechtlichen  Erscheinungen  nachweisbar  sind. 

Trotz  dieser  scheinbaren  Spaltung  der  ..mutterrechtlichen'-  Völker  dürfte 
ein  einheitlicher  Grundgedanke  für  Sippenrecht  (Mutterrecht),  Ma- 
triarchat und  Gynäkokratie  zu  finden  sein. 

Bachofen  nannte  das  Mutterrecht  das  „Recht  des  Uterus"1),  begründete 
jenes  also  mit  der  Mutterschaft.  Diesen  Gedanken  hat  man  meines  Wissens 
in  neuerer  Zeit  zu  wenig  beachtet.  Er  drängt  sich  aber  beim  Überblick  über 
das  vorliegende  Kapitel  in  den  Vordergrund,  allerdings  nicht  überall  als  persönliches 
Recht  der  Mutter,  wohl  aber  als  Wertschätzung  derMutterschaft,  derNach- 
kommen,  und  zwar  der  Nachkommen  aus  Müttern,  die  ihrerseits  einer  ge- 
meinsamen Urmutter  entstammen,  aus  einem  einzigen  Mutterleib  her- 
vorgegangen sind.  Man  beachte  nur  die  Einteilung  der  Bantu  am  untern 
Kongo  in  „vumu"  (Mutterleib),  die  eben  erwähnten  „Urmutter"  der.exogamen  Ge- 
schlechtsverbände  auf  dem  Makonde-Plateau  ( £  339)  und  die  Gliederung  der«  »rang 
Mamma  in  Suku,  von  denen  jede  die  Abkömmlinge  einer  Stammutter  umschließt. 

Bedeutungsvoll  in  dieser  Hinsicht  ist  auch,  daß  das  Motu-Motu-YVeib  in 
Britisch-Neuguinea  bei  Ehescheidungen  ihren  Anspruch  auf  sämtliche  Kinder 
mit  ihren  Geburtsschmerzen  begründet  (§-3^5,  Kapitel  XLIX),  und  wichtiger 
noch  als  das  erscheint  mir  die  Stammeseiche  im  Hause  der  Hohenpriesterin 
und  Spenderin  der  Königswürde  in  Nongkrem.  Hier  ist  Fruchtbarkeits- 
kult,  Mutterrecht,  Matriarchat  und  Gynäkokratie  in  engster  Verbin- 
d  u  n  g. 

Durch  das  Weib  erhält  der  Mann  die  Macht.  Dieser  Gedanke  geht, 
nach  meinem  Dafürhalten,  durch  alle  sogenannten  „mutterrechtlichen"  Völker. 
Die  Khasis  freilich  und  einige  andere  Völker  beschränken  den  Einfluß  des  Weibes 
nicht  auf  die  bloße  Vermittlung  der  Macht,  sondern  belassen  ihm  auch  per- 
sönliche Autorität. 

Uiese  Anerkennung  des  großen  Anteils  des  Weibes  an  der  Fort- 
pflanzung des  Menschengeschlechtes  ist  in  gewisser  Hinsicht,  und  insofern 
sie  nicht  zu  Extremen  übergeht  und  dadurch  das  Naturrecht  des  Vaters  und 
das  natürliche  Band  der  Familie2)  verletzt,  ein  Ehrenzeugnis  für  die  Er- 
kenntnis und  den  Gerechtigkeitssinn  der  betreffenden  Völker,  während  das 
ausschließliche  Vaterrecht  einen  Übergriff  des  Mannes  in  die  natürlichen  Rechte 
seiner  Zeugungshelferin  und  der  Pflegerin  des  Nachwuchses  bedeutet. 

Allerdings  sahen  Qrupp  und  andere  im  „Mutterrecht"  ein  Zeichen 
kulturell  zurückgebliebener  Völker,  ein  Rechtsverhältnis,  das  sich  „unter  rohen 
Verhältnissen"  ausdehnen  konnte  und  am  ehesten  dem  Jägerleben  entsprach, 
weil  dieses  die  Männer  mit  Jagden  und  Abenteuern  beschäftigte,  während  die 
Frauen  die  Herdwächterinnen  und  den  Mittelpunkt  der  Familien  bildeten.  Abe: 
das  vorliegende  Kapitel  wies  das  „Mutterrecht"  auch  nach  bei  Völkern,  die 
im  Rufe  nicht  als  Jäger,  sondern  als  Ackerbauern  stehen,  und  überhaupt 
bei  Völkern  auf  relativ  hohen  Kulturstufen8).  Ein  Beispiel  jener  sind  die 
Makonde,  von  denen  Weide  schrieb:  Die  junge  Frau  siedelt  nicht  in  das  Heim 
des    Ehemannes   über,   sie   tritt   auch    nicht    in   seine   Verwandtschaft   hinein, 

'i  Weide  vermutet,  daß  die  zahlreichen  weiblichen  Holziiguren.  welche  die  Makonde, 
Mavia  und  Wamatambwe  schnitzen,  die  „Urmutter"  dieser  Volker  darstellen.  Eine  Ab- 
bilduog  davon  siehe  in  dessen  Negerleben,  S.  317. 

I  »er  Vater  ist  unter  dem  Mutterrecht  weniger  wichtig  als  die  Mutter,  hat  aber  dafür 
die  Oberherrschaft  über  seine  Schwester  und  deren  Mann  und  Kinder,  schreibt  Rose  im  Hin- 
weis auf  Frazer  (Kolk-Lore  XXII.  27m 

s)  7.     B.   im   allen    Ägypten   und   Peru  (§§  338  und  342). 


§  343.     Überblick  und  Lösungsversuch. 


647 


sondern  der  Mann  verläßt  Vater  und  Mutter  und  zieht  entweder  direkt  bis 
schwiegermütterliche  Haus  oder  baut  sich  doch  unmittelbar  daneben  an  (5}  339). 

Unwillkürlich  erinnert  dieses  Rechtsverhältnis  exoganrischer  Völker  an 
1.  Mose  2.  4:  ..Darum  verläßt  ein  Mann  seinen  Vater  und  seine  Mutter,  und 
hängt  an  seinem  Weibe",  obgleich  das  Mosaische  Gesetz,  meines  "Wissens,  ein 
..Mutterrecht-'  im  heutigen  Sinn  nicht  kennt. 

Auf  ursprüngliche  Promiskuität,  wie  Backofen  und  spätere  wollten. 
brauchen,  schon  nach  Kapitel  L  zu  urteilen.  Sippenrecht,  Matriarchat 
und  Gynäkokratie  nicht  zurückgeführt  zu  werden1).  Das  vorliegende 
Kapitel  weist  diese  Rechtsformen  auf  höheren  und  niederen  Stufen  der  Sittlich- 
keit nach.  Auch  das  Vorrecht  des  Mutterbruders  (Avunculus)  vor  dem 
Vater  der  Kinder  fordert  die  obige  Voraussetzung  nicht,  sondern  erklärt  sich 
wohl  gleichfalls  aus  der  Wertschätzung  der  gemeinsamen  Abstammung 


Fig.    452. 


Wangoni-Knaben    aus    Peramiho,    südliches   Deutsch-Ostafrika. 
0.  S.  B.  in  St.  Ottilien. 


Von    den    Missionären 


aus  einem  Mutterschoß.  Diese  Wertschätzung  ist  meines  Erachtens  zu- 
gleich der  Ausdruck  eines  starken  Einheitsgedankens  der  Sippe,  und 
zwar  wiederum  auf  der  Grundlage  der  einen  Urmutterschaft2). 


J)  Auch  nach  H.  J.  Rose  sind  Promiskuität,  Gruppenehen  und  Polyandrie  unnötige 
Voraussetzungen  des  „Mutterrechts". 

2)  Nach  Rose  (Folk-Lore  XXII,  p.  277f.)  ist  „Mutterrecht"  mit  Vielweiberei  und 
Endogamie  fast  unverträglich.  —  Allein  Sj  339  zeigt  uns  Vielweiberei  und  „Mutterrecht" 
zusammen  am  untern  Kongo.  —  Nach  Weule  geht  bei  den  „mutterrechtlichen-1  i'ao  das 
Verbot,  eine  Frau  aus  der  eigenen  Sippe  zu  nehmen,  so  weit,  daß  der  Sohn  sogar  die  Nähe 
sei'uer  nächsten  Sippengenossinnen,  d.  h.  Mutter  urd  Schwestern,  möglichst  zu  meiden  hat, 
weshalb  er  sich  bei  der  Annäherung  an  das  mütterliche  Haus  zum  mindesten  vorher  melden 
muß.  Hingegen  dürfen  die  Söhne  der  nicht-mutterrechtlichen  Wangoni  ohne  Anstoß  im 
Haus   ihrer  Eltern  wohnen. 

Dem  .BaWsc/jschen  Versuch,  das  Mutterrecht  mit  der  Einverleibung  des  hereinge- 
heirateten Mannes  iu  die  Sippe  seines  Weibes  zu  erklären  (vgl.  Kap.  LX),  stellen  sich  die 
Tatsachen  entgegen,  daß  bei  den  t  ra  nssyl  vanischen  Zeltzigeunern,  den  Bayaga 
(Kongostaat)  und  den  Karolinen-Insulanern  der  Gatte  nach  dem  Tod  spiuer  Gattin 
wieder  zu  seinem  Stamm  zurückkehrt  (§§  33fi.  339  und  340).  Dem  Versuch,  das  ..Mutterrecht" 
allgemein  von  der  Ehe  ohne  Brautkauf  abhängig  machen  zu  wollen,  weil  im  südlichen 
Sumatra  die  Kaufehe  jenes  ausschließe  (Wißceri),  steht  die  Koexistenz  von  Brautkauf  und 
..Mutterrecht''  bei  den  Makonde  entgegen  (vgl.    Weule,  Negerleben  377  und  383).  — 


Kapitel   LH. 

Das  Erbrecht  des  Kindes  mit  Ausschluß 
des  sog.  „Miitterrechtes"1). 

§  344.  Das  vorige  Kapitel  machte  uns  mit  einer  Eeihe  von  Völkern 
bekannt,  bei  denen  die  Verwandtschaft  der  Mutter  die  Erbverhältnisse 
der  Kinder  wesentlich  beeinflußt;  das  vorliegende  zeigt  uns,  unter  anderen. 
Völker,  bei  denen  die  Verwandtschaft  des  Vaters  die  gleiche  Rolle  spielt. 
Diese  Völker  scheinen  zwar  weniger  zahlreich  zu  sein,  genügen  aber  zu  einem 
neuen  Beweis,  daß  der  Erbgang  durch  die  weibliche  Linie  eine  andere 
Erklärung  fordert,  als  jene,  welche  man  4n  einer  ursprünglichen  Unkenntnis 
des  Vaters  auf  Grund  loser  Geschlechtsverhältnisse  suchte.  Denn,  wenn  der 
Erbgang  durch  die  Mutter-Verwandtschaft  nur  unter  dieser  Voraussetzung 
möglich  wäre,  dann  könnte  der  Erbgang  durch  die  Vater-Verwandtschaft  nur 
durch  die  Unkenntnis  der  Mutter  erklärt  werden,  was  niemand  wohl  be- 
haupten wird.  Die  §§  345  und  348 — 351  weisen  die  Vererbung  von  Amt 
und  Würde  bzw.  des  Vermögens  eines  verstorbenen  Vaters  auf  dessen 
Brüder  oder  weitere  männliche  Verwandte,  mit  Umgehung  der  eigenen 
Söhne,  nach:  Teilweise  bei  den  alten  Kulturvölkern  in  Amerika2),  bei  den 
afrikanischen  Wapare,  Wakilindi"),  Waschamba  und  Auin-Buschleuten,  ferner 
bei  den  hinterindischen  Ao-Nagas  und  Thai.  —  Die  Wakilindi  und  Waschamba 
vererben  sogar  ihre  eigenen  Weiber  und  Kinder  auf  ihre  Brüder,  her  Aus- 
druck „Sippenrecht"  dünkt  mir  auch  hier  in  den  numerisch  überwiegenden 
Fällen  zutreffender  zu  sein,  als  der  Ausdruck  „Vaterrecht". 

Bedeutend  zahlreicher  sind  indessen  jene  Völker  der  §§  345 — 351,  deren 
Erbrecht  Amt.  Würde  und  Vermögen  von  Vater  auf  Sohn  übergehen 
läßt,  sei  es,  daß  der  Vater  ein  Wahlrecht  hat,  sei  es,  daß  von  Rechts  wegen 
der  Erstgeborene  als  Erbe  und  Nachfolger,  oder  alle  Söhne  zusammen  als  Erben 
bestimmt  sind.  —  Das  ist  Vaterrecht. 

Ein  Wahlrecht  des  Vaters  begegnet  uns  im  vorliegenden  Kapitel 
beispielsweise  am  königlichen  Hof  im  alten  Persien  (?),  bei  den  Bali  in  Kamerun, 
am  königlichen  Hof  des  Lunda-Reichs  im  Kongostaat  (16.  Jahrh.)  und  bei  den 
Sultanen  von  Kisiba  in  Deutsch-Ostafrika. 

Dieses  Wahlrecht  des  Vaters  beweist  eo  ipso,  daß  das  Erstgeburtsrecht, 
wenigstens  in  bezug  auf  Amt  und  Würde,  nicht  bei  allen  Völkern  besteht, 
obgleich  letzteres  schon  vom  persischen  Thronprätendenteu  Artabazanes  bejaht 
worden  ist  (§  345)  und  es  tatsächlich  bei  vielen  Völkern  zur  Geltung  kommt. 


')  Vgl.  die  Kap.  LIII,  LIV  und  LV. 

2)  Die  Thronfolge   vorwiegend  von  Bruder  zu  Bruder;  Lehen  und  Vermögen  im 
\  !i  1    von    Vater    auf  Sohn;    doch   war   die   Thronfolge,   wenigstens   bei  den  Quiche,   mit  der 

größeren  Einsicht  des  Alters,  nicht  mit  Stammrecht,  begründet. 

3)  Hier  geht    die  Häuptlingswürde   auf  den  Sohn    der  obersten  Frau,    aber  Vermögen, 
Weiber  und  Kinder  auf  die   Brüder  des   Verstorbenen. 


§  344.     Das  Erbrecht  des  Kindes  mit  Ausschluß  des  sog.  „Mutterrechtes--.  (549 

Bevorzugung  des  tüchtigsten  Sohnes  oder  Bruders  ist  im  vorliegenden  Kapitel 
bei  verhältnismäßig  wenigen  Völkern  bzw.  Ständen  nachgewiesen.  Zu  diesen 
wenigen  gehören  die  alten  Mayas  in  Mavapan,  der  niedere  Adel  im  alten 
Mexiko  und  die  deutsch-ostafrikanischen  Wasiba,  also  bei  Tölkern  auf  ver- 
schiedenen Kulturstufen. 

Bevorzugung  des  jüngsten  Sohnes  vor  den  Erstgebornen,  und  des 
letztern  vor  allen  übrigen,  entspricht  dem  Erbrecht  der  Abchasen  im  Kaukasus. 

Töchter  als  Erbinnen  von  Amt  und  Würde,  von  Vermögen,  oder  beidem 
zusammen,  verhalten  sich  im  vorliegenden  Kapitel,  wie  Ausnahmen  zur  Kegel, 
insofern  es  sich  nicht  um  Familien  handelt,  welche  Söhne  nicht  besitzen. 
Aber  auch  in  Ermanglung  von  Söhnen  wird  den  Töchtern  durch  das  Erbrecht 
verschiedener  Völker  der  Nachlaß  der  Eltern  entzogen.  Wohl  aber  haben  die 
Töchter  regelmäßig  Anspruch  auf  Lebensunterhalt  bis  zu  ihrer  Verheiratung 
und  auf  Ausstattung.  Auffallend  wirkt  die  Aberkennung  auch  dieser  Rechte 
bei  einzelnen  Völkern,  zu  denen  sogar  die  alten  Mayas  gehörten,  wenn  der 
Ausdruck,  daß  die  Töchter  nichts  erhielten,  im  Fall  ihre  Brüder  ihnen  nicht 
freiwillig  etwas  gaben,  im  weitesten  Sinne  zu  verstehen  ist.  was  mir  allerdings 
zweifelhaft  erscheint '). 

Von  den  Zweigen  der  indo-europäischen  Völkerfamilie  waren,  meines 
Wissens,  die  Römer  die  einzigen,  die  trotz  ihrer  ausgedehnten  patria  potestas, 
also  der  starken  Betonung  der  männlichen  Gewalt,  den  unverheirateten  Töchtern 
den  gleichen  Erbanteil  wie  deu  Söhnen  zusprechen. 

Ein  Grundsatz  des  indo-europäischen  Erbrechtes  der  ältesten  Zeit,  ferner 
der  dravidisehen  und  altmexikanischen  Erbrechte  war,  dem  Weib  keinen 
Grundbesitz  zuzuerkennen.  Ob  die  im  indischen  Erbrecht  ausgesprochene 
Geringschätzung  des  Weibes,  oder  ob  der  ebendort  ausgedrückte  Gedanke, 
es  sollen  durch  Verheiratung  nicht  zwei  Erbgüter  in  eine  Hand  kommen, 
der  ältere  ist  (§  346),  vermag  ich  nicht  zu  entscheiden.  Das  Christen- 
tum hat  in  der  indo-europäischen  Völkerfamilie  zugunsten  des  Weibes  manches 
gebessert,  aber  noch  stehen  einzelne  Zweige  betreffs  des  Erbrechtes  der 
Töchter  auf  dem  Staudpunkt  ihrer  vorchristlichen  Ahnen,  während  manche 
Völker,  außerhalb  des  Christentums,  und  auf  einer  Kulturstufe,  die  im  all- 
gemeinen unter  jener  der  Russen,  Polen  und  Südslawen  steht,  das  Weib  als 
Erbin  höher  einschätzen,  als  es  hier  der  Fall  ist.  Beispiele  hierfür,  sind  die 
arabischen  Muselmanen  in  Ägypten  (§  347),  die  (muselmanischen?)  Malayen  in 
Semendo  (Sumatra)  (§  345),  die  heidnischen  Monumbo-Papua  in  Deutsch- 
Neuguinea  (§  349)  und  die  confuciauisch-buddhistischen  Annamiten  in  Hinter- 
indien (§  350) "). 

Daß  die  finanzielle  Seite  der  Eheschließungen  im  Zusammen- 
hang mit  dem  Erbrecht  der  beiden  Geschlechter  steht,  darf  wohl  ohne 
weiteres  zugegeben  werden,  da  es  selbstverständlich  erscheint.  Wo  die  Braut 
gekauft  werden  muß.  braucht  der  Bräutigam  die  nötigen  Mittel,  um  das  tun 
zu  können,  und   wo  die  Braut  nur  eine  Ausstattung  in   die  Ehe   zu   bringen 


')  Vielleicht  findet  dieser  völlige  Ausschluß  der  Töchter  aus  dem  Erbe  bei  den  Mayas 
ihre  Erklärung  in  einer  Parzellierung  des  Grund  und  Bodens,  wie  Sundsfral  (Aus  dem  Reiche 
der  Inkas,  S.  30)  sie  von  den  Inka-Peruanern  mitteilt.  Hier  war  nämlich  das  Land,  wie 
im  heutigen  Togo,  Eigentum  des  Gemeinwesens.  Jeder  verheiratete  Mann  bekam  davon  so 
viel,  als  zur  Deckung  seiner  Bedürfnisse  nötig  war.  Bekam  er  Kinder,  dann  erhielt  jeder 
Sohn  und  jede  Tochter  auch  einen  besonderen  Anteil,  und  zwar  letzlere  die  Hälfte  von  jenem. 
In  die  Ehe  bekam  ein  Mädchen  diesen  Anteil  aber  nicht  mit,  weil  der  Ehegatte  den 
Familienunterhalt  aus  seinem  eigenen  Vermögen  bestreiten  mußte.  Vielmehr 
fiel  der  Anteil  nun  dem  Vater  des  Mädchens  zu,  und  dieser  selbst  mußte,  wenn  er  über  seine 
Bedürfnisse  hatte,  den  Überschuß  der  Gemeinde  zurückgeben.  Unter  solchen  Verhältnissen 
war  also  das  weibliche  Geschlecht  immerhin  versorgt. 

2)  Vgl.  auch  Kap.  LI. 


650      Kapitel  LH.     Das  Erbrecht  des  Kindes  mit  Ausschluß  des  sog-.  ,. Mutterrechtes". 

hat,  braucht  sie  kein  Vermögen,  vorausgesetzt,  daß  jedes  Mädchen  an  den 
Mann  gebracht  wird.  Für  den  negativen  Fall  sehen  wir  im  vorliegenden 
Kapitel  bei  verschiedenen  Völkern  lebenslängliche  Dotationen,  oder  doch 
lebenslänglichen  Anspruch  auf  Unterhalt  durch  die  männlichen  Erben,  was 
allerdings  das  Weib  wiederum  in  lebenslängliche  Abhängigkeit  vom  Manne 
versetzt.. 

Am  tiefsten  steht  das  Weib,  vom  Standpunkt  unserer  Kultur  beurteilt, 
im  Erbrecht  jener  Völker,  welche  es  selbst  zum  Erbgut  machen,  und  wiederum 
die  sittlich  tiefste  Stufe  unter  diesen  nehmen  gewisse  Völker,  z.  B.  die  Golden 
am  Amur  ein,  deren  Erbrecht  dem  Erstgebornen  seine  leibliche  Mutter  als 
Erbe  und  Eheweib  zuerkennt, 

Endlich  sei  im  voraus  auf  das  Erbrecht  der  Sklaven  bei  einzelnen 
Negervölkern  in  §  348  hingewiesen.  — 

§  345.     Nachfolge  in  Amt  und  Würde. 

Als  Darius  vor  seinem  Feldzug  gegen  Ägypten  und  Athen,  dem  persischen 
Gesetz  zufolge,  einen  Thronerben  zu  bestimmen  hatte,  entstand  unter  seineu 
Söhnen  Streit.  Artabazaues,  der  älteste  Sohn  aus  Darius"  Ehe  mit  der  Tochter 
des  Gobryas,  welche  Darius  schon  vor  seiner  Thronbesteigung  geheiratet 
hatte,  beanspruchte  die  Krone  als  Erstgeborner.  Aber  auch  Xerxes,  der 
älteste  Sohn  aus  Darius'  Ehe  mit  Atossa,  einer  Tochter  des  Cyrns,  der  keine 
männlichen  Nachkommen  hinterließ,  machte"~darauf  Anspruch,  und  zwar,  wie 
bekannt,  mit  Erfolg.  —  Zu  diesen  Mitteilungen  des  Herodot  (1.  VII,  c.  2— 4) 
bemerkte  Rawlinson,  daß  die  Forderung  des  Xerxes  wahrscheinlich  in  seiner 
Abstammung  rechtlich  begründet  war.  Das  königliche  Wahlrecht  gegen- 
über einem  Nachfolger  sei  wohl  sehr  eng  begrenzt  gewesen,  wenn  es  überhaupt 
bestanden  habe. 

Herodot  läßt  den  Artabazanes  seinen  Anspruch  damit  begründen,  daß  er 
sagt,  der  Vorzug  des  Erstgebornen  sei  ein  über  die  ganze  Erde  ver- 
breiteter Brauch.  Andererseits  unterstützt  der  Spartaner  Demaratus  bei 
Herodot  den  Anspruch  des  Xerxes  mit  einem  Hinweis  auf  das  spartanische 
Gesetz,  daß  nicht  der  vor  der  Thronbesteigung,  sondern  der  nachher  geborne 
Sohn  der  Thronfolger  sein  soll.  -  Darius  hatte  Atossa  erst  nach  seiner 
Thronbesteigung  geheiratet.     Diese  war  also  die  eigentliche  Königin. 

Im  Erbrecht  der  Lacedänmnier  fand  Herodot  ähnliche  Bestimmungen 
wie  im  Erbrecht  der  Ägypter,  d.  h.  da  wie  dort  gingen  die  Gewerbe  der 
Köche,  Flötenbläser  und  Herolde  vom  Vater  auf  den  Sohn  über.  Andere 
durften  diese  Gewerbe  nicht  ausüben. 

Erblich  waren  iu  mehreren  griechischen  Staaten  ferner  die  Priester- 
würde und  in  vielen  Familien  wissenschaftliche  und  künstlerische  Berufe 
{JBawlinson). 

Von  einer  Vererbung  der  Priesterwürde  im  alten  Ägypten  kennt 
Walter  Otto  zahlreiche  Beispiele.  —  Eine  Priesterkaste  hingegen  sei  nicht 
nachzuweisen;  die  typischen  Kastenzeichen  fehlen.  —  Die  Vererbung  des 
priesterlichen  Berufes  in  den  Familien  der  Priester  höherer  Ordnung  (Phylen- 
priester)  war  staatlich  anerkanntes  Recht.  Die  Töchter  erhielten  sogar  gleich 
vom  Tag  ihrer  Geburt  au  einen  bestimmten  Anteil  an  deu  Tempeleinkünften, 
worin  Otto  den  deutlichsten  Beweis  für  ihre  sofortige  Aufnahme  in  den  Priester- 
staml  sieht1).  Hingegen  brachten  die  Söhne  nur  die  Anwartschaft  auf  eine 
Priesterstelle  mit  zur  Welt  und  mußten  mit  dem  Antritt  eines  priesterlichen 
.Amtes    wahrscheinlich    bis    zum    Eintritt    der   Mannbarkeit    warten.     Zudem 


1 1   Vgl.    die    Benennung    der   Kinder   nach    der  Mutter    im    alten   Ägypten,    sowie     lie 
Dotierung   und   Klokation  der  Söhne  durch  deren  Schwestern  im  vorigen  Kapitel. 


Sj  345.     Nachfolge  in  Amt  und  Würde. 


651 


hatten  bei  ihnen  noch  andere  Faktoren,  z.  B.  die  Zustimmung  des  Königs, 
mitzuwirken.  —  Im  hellenistischen  Ägypten  hatten  die  Töchter  der  Priester 
in  früher  Jugend  auch  schon  priesterliche  Funktionen  auszuüben.  —  Aus  dem 
3.  uud  2.  Jahrhundert  vor  Chr.  kennt  Otto  einige  Priesterfamilien  niederer 
Ordnung,  Choachüten.  in  denen  sich  die  Priesterwürde  durch  mehrere 
Generationen  vererbte.  Ferner  werde  Vererbung  des  niederen  Priesterstandes 
der  Totenbestatter  und  der  Tierpfleger  durch  eine  Reihe  von  Belegen  bestätigt. 


Fig.  453.    Jagend  von  Yaunde.  südliches  Kamerun,  um  den  Stationsoclisen  versammelt.    Diehe  phot. 

Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


Fig.  454.     Gruppe  vom  Markt  in  Banyo,  Kamerun.   Diel:e  phot.    Im  Museum  für  Volkerkunde  in  Leipzig. 


Solche  fehlen  aber  für  eine  Vererbung  in  den  Priesterfamilien  der  Pastophoren, 
gleichfalls  Priester  niederer  Ordnung.  Ein  Zwang,  den  Beruf  der  Eltern  zu 
ergreifen,  bestand  weder  bei  den  Priestern  niederer  noch  höherer  Ordnung, 
wie  denn  andererseits  auch  Söhne  von  Nichtpriestern  den  priesterlichen  Stand 
erwählen  konnten.  — 

Vererbung  der  Häuptlingswürde  hat  L.  Conradt  von  den  Xgumba  im 
südlichen  Kamerun  mitgeteilt.  Nach  dem  herkömmlichen  Recht  erhält  der 
älteste  Sohn  eines  Häuptlings  dessen  Würde.  In  Ermanglung  eines  Sohnes 
kommt  der  (älteste?)  Bruder  des  Verstorbenen  daran,  und  fehlt  auch  ein 
Bruder,  dann  tritt  Neuwahl  ein. 


652      Kapitel  L1J.     Das  Erbrecht  des  Kindes  mit  Ausschluß  des  sog.  „Mutterrechtes". 

Niclit  erblich  ist  die  Häuptlingswürde  bei  den  Bali  im  Grasland  von 
Kamerun.  Hier  bestimmt  der  Häuptling  selbst  einen  seiner  Söhne  zu  seinem 
Nachfolger  (Bernhard  Ankermann). 

Ein  Beispiel  von  königlichem  Wahlrecht  liegt  in  der  folgenden  Mit- 
teilung bei  Curt  von  Frangois  aus  dem  Kongostaat  des  16.  Jahrh.  vor:  Ein 
König  des  großen  Lunda- Reichs  übergab  damals  die  Reichsinsignien.  ein 
Armband  aus  den  Zähnen  seiner  Ahnen,  nicht  einem  seiner  Söhne,  sondern 
seiner  Tochter  Lukokescha.  Der  jeweilige  Besitzer  dieses  Armbandes  ist  in 
den  Augen  der  Lunda-Xeger  gottähnlich  und  absoluter  Herrscher  des  Reiches, 
weshalb  Lukokescha  vom  Volk  ohne  Widerrede  als  Königin  angenommen  wurde. 
Von  den  beiden  Söhnen  des  Verstorbenen  huldigte  ihr  aber  nur  einer;  der 
andere  lehnte  sich  auf  und  entfloh. 


*icm 


l  iL'    165.     Knaben   aus  Hrogoro,   Dentsch-Ostafrika,   mit   Schlange  und  Huhn.     Die  Schlange   hatte 
das  Huhn  geraubt  und  mußte  deshalb  gleichfalls  das  Leben  lassen.  —  Hission  der  Väter  vom  hl.  Seist. 


Bei  den  Wambugu  in  üsambara,  Deutsch-Ostafrika,  geht  die  Jumben- 
d.  h.  Häuptlingswürde  regelmäßig  auf  den  ältesten  Sohn  und  in  zweiter  Lini>a 
auf  den  Bruder  des  Verstorbenen  über  (Storcli). 

Desgleichen  geht  bei  den  deutsch-ostafrikanischen  Wakilindi1)  die 
I uinbenwürde  vom  Vater  auf  den  Sohn  der  obersten  Frau  über.  Ist  dieser 
unmündig,  so  tritt  ein  Bruder  des  Vaters  für  ihn  ein.  — 

Bei  den  Wapare  im  Süden  des  Kiliniandjaro  ist  der  Bruder  des  Ver- 
storbenen der  regelmäßige  Erbe  der  Häuptlingswürde. 

Bei  den  Washambaa  nimmt  der  älteste  Bruder  des  Verstorbenen  über- 
haupt die  Vaterstelle  ein  (Storch).     Vgl.  §  348. 

Beim  Tode  drs  Sultans  der  Wapogoro  folgt  der  älteste  Sohn  der  Groß- 
frau auf  dem  Thron.  Hat  sie  keine  männlichen  Nachkommen,  so  wird  ein  Sohn 
der  2.  oder  3.  Frau  gewählt  (Fabry). 

In  Kisiba-Land  am  Viktoria-Nyanza  kommen  bei  der  Thronfolge 
vor    allem    die    Kinder    der    Sultane    in    Betracht.      Diese    bestimmen    einen 


')  Sollen  vi, ii  den  Arabern  abstammen  (Storch). 


§  345.     Nachfolge  in  Amt  und  Würde.  653 

Lieblingssohn,  meistens  einen  Sohn  der  vornehmsten  Frau,  als  Nachfolger. 
Unbotmäßige  Brüder  des  Thronfolgers  werden  aus  dem  Land  vertrieben,  bot- 
mäßige erhalten  große  Schamben  (von  Kalben). 

Bei  den  Auin-Busclileuten  in  der  Kalahari  ist  die  Häuptlingswürde 
im  männlichen  Stamm  erblich;  diese  Würde  aber  wird  erst  übertragen,  wenn 
der  Erbe  zu  den  Männern  gehört,  d.  h.  die  Reifezeremonien  durchgemacht  und 
ein  Stück  Hochwild  erlegt  hat  (Kaufmann).  — 

Die  Lampong  im  südlichen  Sumatra  anerkennen  als  Stammhalter  regel- 
mäßig den  ältesten  Sohn  der  ältesten  Frau.  In  Bengkoelen  wird  ausnahms- 
weise der  tüchtigste  Sohn  zum  Nachfolger  und  als  Geschlechtshaupt  erklärt. 
In  Ermanglung  von  Söhnen  wird  eine  Tochter  Erbfolgerin.  —  In  Semendo 
ist  überhaupt  die  älteste  Tochter  Stammhalterin  (vgl.  Kap.  LI).  Stirbt  ein 
Mann  kinderlos,  dann  ist  sein  (ältester?)  Bruder  erbberechtigt,  hat  aber  auch 
die  Pflicht,  dem  Verstorbenen  einen  Nachfolger  in  Leviratsehe  zu  erzeugen, 
oder  einen  eigenen  Sohn  zu  stellen.     Bei  Männern,  denen  die  Vermögensver- 


Fig.  45G.    Wauyat  uru.  Deutsch-Ostafrika.  —  Mit  Erlaubnis  des  Kunstverlags  0.  Vincmti, 

Dar-es-Salaam. 

hältnisse  zwei  Frauen  gestatten,  gilt  in  einem  solchen  Fall  ein  Sohn  der  ersten 
Frau  als  Nachfolger  des  Großvaters,  ein  Sohn  der  zweiten  Frau  als  Nachfolge; 
des  Vaters  (Schultheiß  nach   G.  A.   Wilken). 

Auf  Jap  folgt  der  älteste  Sohn  dem  Vater  in  der  Häuptlingswürde.  Ist 
er  noch  jung,  so  nimmt  er  einen  älteren  Mann  von  hohem  Rang  als  Ratgeber; 
schließt  seine  Jugend  die  Geschäftsführung'  überhaupt  aus,  dann  tritt  seines 
Vaters  Bruder  als  Regent  in  Wirksamkeit,  dem  der  Neffe  diese  Würde  aus 
pietätvoller  Rücksicht  oft  lebenslänglich  beläßt  (Senfft). 

Bei  den  Chalcha- Mongolen  erbt  in  den  Familien  der  regierenden 
Fürsten  der  älteste  legitime  Sohn  den  Fürstentitel,  und  zwar  nach  zurück- 
gelegtem 19.  Lebensjahr.  In  Ermanglung  eines  Sohnes  der  legitimen  Gattin 
kann  der  Fürst  seinen  Titel,  mit  Bewilligung  des  chinesischen  Kaisers,  einem 
Sehn  einer  Nebenfrau  oder  eines  nahen  Verwandten  übertragen  (PrschewalsH). 

Bei  den  sibirischen  Samojeden  wird  nach  dem  Tod  eines  Familien- 
vaters dessen  ältester  Bruder  Familienoberhaupt,  wenn  er  genügende  Fähig- 
keiten zeigt.  Im  negativen  Fall  tritt  ein  jüngerer,  fähiger  Bruder  an  dessen 
Stelle.  Sind  nur  minderjährige  Kinder  vorhanden,  dann  vertritt  die  Mutter 
die  Stelle  des  pater  familias,  verwaltet  das  Vermögen,  läßt  durch  Arbeiter 
Jagd-  und  Fischfang  besorgen  usw.  (P.  von  Stenin). 


654     Kapitel  LH.     Das  Erbrecht  des  Kindes  mit  Ausschluß  des  sog.  „Mutterrechtes". 

Tu  der  königlichen  Familie  der  Mayas  zu  Mayapan  (Yucatan)  scheint 
der  jeweilig  älteste  Sohn  der  Thronfolger  gewesen  zu  sein.  Jedenfalls  be- 
schränkte sich,  nach  Bancroft,  die  Thronfolge  auf  die  männliche  Linie,  und 
zwar  auf  die  Söhne  der  adeligen  Frauen  des  Königs.  War  aber  der  Nach- 
folger beim  Tod  seines  Vorgängers  noch  ein  Kind,  dann  übernahm  der  älteste, 
oder  der  fähigste  Bruder  des  Verstorbenen  die  Regierung,  nicht  nur  für  die 
Dauer  der  Minderjährigkeit   des  eigentlichen  Erben,  sondern   auf  Lebenszeit. 

Über  die  Thronfolge  der  Quiche  und  Cakchiquel,  Zweige  der  Maya, 
weiß  man.  nach  Bancroft,  wenig.  Nur  so  viel  scheine  gewiß  zu  sein,  daß  bei 
den  Quiche  nicht  der  Sohn,  sondern  der  Bruder  des  verstorbenen  Königs 
dessen  Nachfolger  wurde,  um  zu  verhindern,  daß  junge,  unerfahrene  Leute  zur 
Herrschaft  gelangten. 

In  den  hohepriesterlichen  Familien  der  Mayas  in  Yucatan  erbten  die 
Söhne,  oder  die  nächsten  Verwandten,  die  Würde  (Le  Plongeon,  nach  Landa). 

Wie  bei  den  Quiche,  so  ging  auch  im  alten  Mexiko  die  Herrschaft 
nicht  auf  den  Sohn  des  verstorbenen  Herrschers  über,  sondern  auf  den  ältesten 
überlebenden  Bruder  des  letztem.  Waren  die  Brüder  schon  tot,  dann  kamen 
die  Neffen  daran,  und  zwar  an  erster  Stelle  der  älteste  Sohn  des  ersten  ver- 
storbenen Bruders. 

Hingegen  folgten  in  Tezcuco  und  Tlacopan  die  Söhne  ihren  Vätern  in 
der  Regierung.  Entscheidend  war  bei  ihnen  nicht  das  Alter,  sondern  der 
Rang.  Immer  hatten  die  Söhne  der  Königin^  d.  h.  der  Hauptfrau,  den  Vorzug. 
Diese  war  gewöhnlich  eine  Tochter  aus  dem  königlichen  Hause  von  Mexiko. 

Abermals  finden  wir  zunächst  nicht  den  Sohn,  sondern  den  Bruder1)  als 
Thronfolger  im  peruanischen  Inkareich.  War  ein  leiblicher  Bruder  nicht 
mehr  am  Leben,  wohl  aber  dessen  Sohn,  dann  kam  dieser  an  die  Reihe,  und 
erst,  wenn  auch  dieser  fehlte,  wurde  ein  Sohn  des  verstorbenen  Königs  von 
dessen  Hauptgemahlin,  der  Koja2),  König  (Uapper). 

Bei  den  Indianerstämmen  am  Orinoco  geht  die  Häuptlingswürde  vom 
Vater  auf  den  Sohn  über3).  — 

§  346.     Erbe  an  Immobilien  und  Mobilien  bei  Indo-Europäern 

und  Abchasen. 

Nach  dem  ältesten  indo-europäischen  Recht  wurde  das  Gut  eines  ver- 
storbenen Familienvaters  unter  dessen  Söhne  verteilt.  Waren  solche  nicht 
vorhanden,  dann  kamen  dessen  Enkel  daran,  und  fehlte  es  auch  an  diesen,  die 
Urenkel.  Nächst  diesen  waren  erbberechtigt  die  Brüder  des  Verstorbenen, 
deren  Söhne  und  Enkel;  dann  die  Vatersbrüder  mit  ihren  Söhnen  und  Enkeln 
usw.  (0.  Sehrader).  ■  Unverheiratete  Töchter  konnten  nur  eine  Aussteuer 
beanspruchen,  welche  gewöhnlich  in  beweglicher  Habe  bestand.  Mit  ihrer 
Heirat  in  die  Familie  ihres  Mannes  hinein  verlor  die  Tochter  jedes  Recht  auf 
einen  sonstigen  Nachlaß  des  Vaters4).  Ks  sollten  nicht  zwei  Erbgüter,  d.  h. 
das  des  Vaters  der  Tochter  und  jenes  des  Vaters  ihres  Mannes,  in  eine  Hand 
kommen.  Durch  die  Hereinheirat  eines  fremden  Mannes  ohne  Erbgui  bestand 
eine  solche  Gefahr  nicht,  weshalb  das  älteste  indische  Recht  den  Sohn  einer 
Tochter,   die  mit   Zustimmung   ihres   Vaters   und   ihrer  Brüder   einen  solchen 


l)  Nach  I  hipper  war  es  hier  der  „leibliche"  Bruder,  also  wohl  der  Bruder  von  der 
gleichen  Mutier.  Vgl.  die  ..mutterrechtlichen"  Spuren  in  Peru  und  Mexiko  im  vorigen 
Kapitel,  Und  doch  wurde  der  Sohn  der  Gattin  und  Schwester  erst  an  letzter  Stelle 
als   Thronfolger  zugelassen,   wie   aus   dem   Obigen   ersichtlich   ist. 

*)  Gewöhnlich  des  Inkas  eigene  Schwester. 

•)   Floß  II.  409. 

•)   Vgl.  indessen    das  römische  Hecht  in  seiner  „ältest  erreichbaren"  Gestalt,   S.  ti.'ii. 


§  34ti.     Erbe  au  Immobilien  und  Jlobilien  bei  Indo-Europäern   und  Abchasen.      655 

Fremden  heiratete,  zur  Beerbung  des  Großvaters  berechtigte ').  —  Das  Gleiche 
findet  sich  im  alten  Recht  des  nördlichen  Gallien. 

Der  erwähnten  Begründung  steht  in  Indien  eine  andere  gegenüber,  welche 
auch  der  jetzigen  niederen  Auffassung  des  weiblichen  Geschlechts  in  Indien 
entspricht:  Bandhayana  Dharmasutra*)  äußert  sich  folgenderweise:  Das  Weib 
besitzt  keine  Selbständigkeit.  Es  wird  in  der  Kindheit  vom  Vater,  in  der  Jugend 
vom  Ehemann,  im  Alter  von  den  Söhnen  beschützt;  es  ist  nie  der  Selbständig- 
keit fähig.     Deshalb  erkläre  der  Veda  das  schwache  Weib  für  erbunfähig3). 

—  So  ganz  einig  war  man  im  alten  Indien  über  die  Erbunfähigkeit  des  Weibes 
aber  doch  nicht.  Vielmehr  bildete  dieselbe  einen  viel  umstrittenen  Punkt  der 
Erbordnung. 

Den  Schmuck  und  die  Mitgift  der  Mutter  sprach  man  den  Töchtern 
nicht  ab.  Auch  konnte  der  Großvater  mütterlicherseits  den  Töchtern  nach 
Belieben  Geschenke  machen.  Man  nannte  das  stri-dhana  (Frauengut)4).  Aller- 
dings mißt  Sehrader  dem  Schmuck  der  Mutter  in  der  ältesten  Zeit  keinen 
großen  finanziellen  "Wert  bei;  man  habe  ihn  zudem  wahrscheinlich  größtenteils 
mit  ins  Grab  gegeben5).  — 

Im  indisch-persischen  Grenzgebiet  Wasiri  sind  die  Töchter  und 
deren  Ehemänner  vom  väterlichen  Erbe  ausgeschlossen.  —  Die  legitimen 
Söhne,  ob  von  einer  oder  mehreren  Müttern  stammend,  erben  in  der  Regel 
gleichmäßig.  Doch  kann  ein  Vater  seinen  ältesten  Sohn  reichlicher  bedenken, 
als  die  jüngeren.  -  In  Ermanglung  von  Söhnen  erben  die  Brüder  des  Ver- 
storbenen, und  sind  auch  solche  nicht  vorhanden,  der  nächste,  oder  die  nächsten 
männlichen  Verwandten. 

Bei  den  Hügel-Wasiris  und  Dauris  könnte  zwar  ein  Mann  seiner  Witwe, 
oder  seiner  Tochter,  einen  Teil  seines  Vermögens  hinterlassen;  doch  würde 
dieser  Teil  ihnen  nur  auf  Lebensdauer  zukommen,  nach  deren  Tod  aber  dem 
gewöhnlichen  Erbgang  unterliegen.  In  AVirklichkeit  komme  so  etwas  nicht 
vor,  weil  das  weibliche  Geschlecht  ohnehin  auf  Unterhalt  berechtigt  sei. 

Findet  die  Teilung  der  Mobilien  und  Immobilien  schon  bei  Lebzeiten  des 
Vaters  statt,  dann  fällt  diesem  der  gleiche  Teil,  wie  jedem  seiner  Söhne,  zu 
(H.  A.  Böse). 

Nach  dem  attischen  Privatrecht  erbten  nur  die  aus  vollbürtiger  Ehe 
erzeugten  Kinder.  Söhne,  die  ohne  zureichenden  Grund  enterbt  worden  waren. 
hatten  jederzeit  das  Recht,  dagegen  Klage  zu  erheben.  Sie  durften  aber 
auch  eine  verschuldete  Erbschaft  nicht  ausschlagen  und  mußten  die  Atimie 
eines  Atimos  übernehmen.  Die  Töchter  erbten,  nach  Wachsmut,  weniger  als 
die  Söhne:  auf  Aussteuer  hatten  sie  ein  Anrecht.  Nach  0.  Schvader  konnten 
die  weiblichen  Familienmitglieder  in  Attika  nur  auf  Unterhalt  und  Ausstattung, 
nie  auf  eigenen  Besitz,  Anspruch  machen,  hingegen  bekamen  in  Gortyna, 
einer  dorischen  Kolonie  auf  Kreta,  die  Töchter  einen  Teil  von  jenem  Nach- 
laß des  Vaters,  der.  außer  den  Häusern  samt  Inhalt  und  Vieh,  übrig  blieb. 
Die  andern  zwei  Teile  fielen,  samt  Häusern.  Inhalt  und  Vieh,  den  Söhnen  zu. 

—  In  Ermanglung  von  Söhnen  erbten  in  Attika  die  Töchter  das  ganze  väter- 
liche Vermögen,  wie  Wachsmut  meint,  während  D'Arbois  schreibt:  Die  Tochter 
eines  ohne  Testament  gestorbenen  Atheners  beerbte  ihren  Vater,  wenn  sie 
keine  Brüder   hatte,   unter   der   Bedingung,   daß   sie   einen  Verwandten   ihres 


i)  Siehe  die  Erbtöehter  in  §  343,  S.  644  Anm. 

')  II.  2,  3,  44  ff.,  bei  0.  Schröder,  der  auf  Jolly  hinweist. 

3)  Demzufolge  läge  die  Herabwürdigung  des  Weibes  in  Indien  weiter  zurück,  als 
die  Herrschaft  des  Islam.     Vgl.  S.  475,  Anm.  2. 

*)  Jolly,  bei  Schröder,  183. 

6)  Im  heutigen  Indien  repräsentiert  der  Schmuck  aber  oft  ein  großes  Vermögen. 
Vgl.  Kap.  XLI,  S.  321  f. 


656      Kapitel  LH.     Das  Erbrecht  des  Kindes  mit  Ausschluß  des  sog.  „Mutterrechtes". 

Vaters    heiratete,    und    selbst    in    diesem    Punkte    hatte    sie     nicht     freie 
Wahl1). 

Das  gleiche  Gesetz  gilt  noch  heute  bei  den  Osseten  im  Kaukasus. 

Im  südlichen  Gallien  beließ  man  einer  solchen  Erbin  Freiheit  in  der 
Gattenwahl  (H.  D'Ärbois). 

Das  römische  Recht  hat  schon  in  seiner  ältest  erreichbaren  (iestalt  die 
unverheiratete  Tochter  dem  Sohn  im  Erbgang  gleichgestellt  (Sehrader). 

Hingegen  erhielt  sich  die  Enterbung  der  aus  dem  Vaterhaus  hinaus 
heiratenden  Tochter,  welche  wir  bereits  aus  den  ältesten  indo-europäiscben 
Zeiten  her  kennen,  bei  den  Polen,  Südslawen,  Russen  und  Skandinaviern 
(H.  D'Ärbois).  —  Nach  0.  Schrader  ist  es  für  das  Begriffsvermögen  der 
Slawen  undenkbar,  daß  ein  aus  der  Hausgemeinschaft  heraus  heiratendes 
Mädchen  nach  dem  Tode  des  Vaters  an  ihre  Brüder  Erbschaftsansprüche  auf 
das  väterliche  Vermögen  stellen  könnte.  Nur  auf  das  Mitgebrachte  der  Mutter 
steht  der  Tochter  ein  Erbanspruch  zu.  —  Im  altserbischen  Familienrecht 
teilen  die  Brüder  den  Nachlaß  des  Vaters  unter  sich  zu  gleichen  Teilen.  Die 
Schwestern  sind  von  der  Erbschaft  ausgeschlossen,  weil  sie  durch  ihre  Mitgift 
als  abgefunden  erscheinen.  Aussteuern  muß  der  Vater  seine  Töchter,  selbst 
wenn  das  zum  Nachteil  seiner  Söhne  wäre.  Ebenso  haben  unverheiratet« 
Töchter  Anspruch  auf  Lebensunterhalt.  —  Ist  kein  Sohn  vorhanden,  oder 
haben  die  Söhne  wider  Willen  des  Vaters  das  Haus  verlassen,  dann  wird  der 
Nachlaß  unter  die  Töchter  geteilt,  —  Der  Bruder,  welcher  vom  Vater  bei 
Lebzeiten  völlig  abgefunden  worden  ist,  hat  keinen  Anspruch  auf  den  väter- 
lichen Nachlaß,  bei  dessen  Teilung  der  überlebenden  Mutter  jener  Teil  zufällt, 
den  der  Vater  gehabt  hätte,  wenn  die  Teilung  noch  zu  seinen  Lebzeiten  .statt- 
gefunden hätte.  —  Auch  nach  dem  Tode  der  Mutter  sind  die  Töchter  nur  in 
Ermanglung  von  Söhnen  erbberechtigt.  —  Die  Waffen  des  Vaters  fielen 
nach  dessen  Tod  dem  ältesten  Sohne  zu;  war  ein  solcher  nicht  vorhanden,  dem 
nächsten  ältesten  Verwandten  des  Verstorbenen,  wenn  dieser  sie  nicht  schon 
bei. Lebzeiten  seiner  Tochter,  oder  einem  Dritten,  gegeben  hatte  i  Milovanovitseh ). 

Nach  deutschem  Volksrecht  erbte  der  nächste  waffenfähige  Schwert- 
mage  das  Heergerät  oder  doch  das  Schwert  des  Verstorbenen  (Walter)9),  Der 
Landbesitz  kam  auch  hier,  wie  bei  den  Germanen  überhaupt,  den  Männern 
zu.  An  den  Mobilien  hatten  im  deutschen  Recht  Söhne  und  Töchter  gleichen 
Anteil;  das  skandinavische  Recht  sprach  in  der  älteren  Zeit  den  Töchtern 
ein  Anrecht  auf  die  bewegliche  Habe  ab,  erkannte  ihnen  jedoch  später  einen 
Teil  der  Söhne  zu  (0.  Schrader).  — 

Was  den  Landbesitz  anbetrifft,  so  fühlten  sich  bei  den  alten  Germanen 
die  Söhne  schon  bei  Lebzeiten  ihres  Vaters  als  Mitbesitzer  des  Stammgutes, 
da  alle  waffenfähigen  Männer  sich  gleichstanden.  Ohne  Testierung-  ruckten 
die  Söhne  allmählich  in  die  Stelle  des  Vaters  ein  nach  dem  Grundsatz:  „Der 
Lebendige  erbt  den  Toten."  Haus  und  Hof  besaßen  sie  möglichst  Imme  ge- 
meinsam, doch  teilten  sie,  hauptsächlich  wenn  Töchter  fortgingen,  die  beweg- 
liche Habe.  -  Ein  viel  verbreiteter  Brauch  war  die  Verteilung  der  Habe 
durch  die  noch  lebenden,  aber  altersschwachen  Eltern.  -  In  den  Sippen 
standen  bei  Verteilungen  oder  Erben  die  Enkel  gegen  die  Söhne  zurück  (Orupp). 
Im  mittelalterlichen  Schweden  mußte  nach  dem  Tode  eines  Bauern, 
der  zu  seinen  Lebzeiten  einen  Teil  seines  Besitzes  mi  seine  Söhne  verteilt 
hatte,  alles  wieder  von  neuem  geteilt  werden.  --  Bis  zum  13.  Jahrhundert 
galt  in  Schweden  jenes  alte  indogermanische  Recht,  welches  die  Töchter 
vom  väterlichen  Erbe   ausschloß;   in   Dänemark   hatte   es   bis  zum  11.  Jahr- 

!i   Bin    Erstgeburtsrecht   gab   es   in  Attika    nur   insofern,    als   der  Erstgeborne    l"i 
Erbteiliingrn  eine  gewisse    Auswahl  treffen  konnte  (Wachsmut). 
»)  Bei   Floß  IIT    392. 


§  347.     Erbe  au  Immobilien  und  Mobilien  bei  Semiteu  und  Hamiten.  ß57 

hundert  Geltung,  und  von  ihm  leitete  sich  die  Bestimmung  im  Recht  der 
Salischen  Franken  ab,  daß  kein  Teil  salischer  Erde  auf  ein  "Weib  vererbt 
werden  dürfe.  Bei  den  Ripuarischen  Franken1)  durfte  ein  Weib  nur 
dann  Grund  und  Boden  erben,  wenn  sich  in  der  Verwandtschaft  des  Ver- 
storbenen kein  Mann  mehr  fand.  —  Einen  Schritt  vorwärts  machte  im  west- 
lichen Frankreich  das  weibliche  Erbrecht  mit  dem  Edikt  des  Merovingers 
Chilperich  L,  König  von  Soisson  (561 — 584),  welches  bestimmte,  daß  die 
Töchter  in  Ermanglung  von  Söhnen  erbberechtigt  seien. 

In  Irland  bewirkte  der  Einfluß  des  Christentums  um  das  Jahr  700,  daß 
die  Töchter  neben  den  Söhnen  erbberechtigt  wurden.  Doch  sprach  das  irische 
Recht  den  Töchtern  ihr  Erbe  nicht  für  alle  Zeiten,  sondern  nur  auf  Lebens- 
dauer zu.  Nach  deren  Tod  fiel  es  den  Agnaten  ihrer  Väter  zu.  Waren  Söhne 
nicht  vorhanden,  dann  wurden  die  Töchter  Alleinerben  unter  der  Bedingung, 
daß  sie  auch  die  Kriegspflichten  auf  sich  nahmen.  Weigerten  sie  sich,  hierauf 
einzugehen,   dann  erhielten  sie  nur  die  Hälfte  des  Nachlasses  (H.  D'Arbois). 

Hausgemeinschaft  läßt  sich  im  südwestlichsten  Departement  Frankreichs, 
Basses-Pyrenees,  und  im  nördlichen  Spanien  bis  zum  Jahre  1709  zurück 
verfolgen.  2 — 4  Generationen  lebten  im  Tal  der  Aspe  beisammen,  wie  Alfred 
Cadier  schreibt.  Erbe  war  nur  einer,  gewöhnlich  der  älteste.  Die  jüngeren 
Brüder  blieben  im  Hause  und  erhielten  für  ihre  Arbeit  den  Unterhalt.  — 
Nach  Basch  de  Lagreze  waren  die  jüngeren  Brüder  fast  Sklaven  der  älteren; 
sie  durften  ohne  Erlaubnis  weder  heiraten,  noch  das  elterliche  Haus  verlassen. 
Ereignete  sich  aber  doch  einmal  der  seltene  Fall,  daß  ein  solcher  heiratete, 
dann  bekam  er  eine  Ausstattung  und  durfte  an  das  Familienhaus  ein  Gelaß 
oder  einen  Schuppen  anbauen,  wo  er  wohnte.  —  In  einigen  Teilen  des 
Baskenlandes  und  in  Navarra  wurde  bei  der  Hochzeit  des  Erben  oder  der 
Erbin  zwischen  diesen  und  ihrem  Vater,  dem  Haupte  der  Hausgemeinschaft, 
ein  Abkommen  getroffen,  daß  der  Erbe  bzw.  die  Erbin  die  Hälfte  des  Ein- 
kommens selbständig  für  sich  verwenden  könne. 

Bei  den  Abchasen  (Asega).  einem  Zweig  der  westkaukasischen  Völker, 
ist  Teilung  des  Vermögens  zu  Lebzeiten  der  Eltern  selten.  Tritt  Teilung  ein, 
dann  behalten  die  Eltern  die  Hälfte  des  Ganzen.  Bei  einer  Teilung  zwischen 
Mutter  und  Söhnen  erhält  jene  außer  ihrer  Mitgift  einen  Sohnesanteil.  Dem 
ältesten  und  jüngsten  Sohne  kommt  ein  besonderer  Anteil  als  Altersvorrecht 
zu;  jenem  je  ein  Haupt  von  jeder  Viehgattung,  diesem  Haus  und  Hof  des 
Vaters,  wenn  nicht  noch  mehr.  Die  Töchter  erhalten  weniger  als  die  Söhne 
(K  v.  Seidlitz).  — 

§  317.     Erbe   an   Immobilien   und   Mobilien   bei   Semiten   und   Hamiten. 

Wie  das  indo-europäische  Erbrecht  der  ältesten  Zeit,  so  schloß  auch 
Hammurabis  Gesetz  im  alten  Babylonien  die  verheiratete,  also  mit  einer 
Mitgift  bedachte,  Tochter  grundsätzlich  vom  väterlichen  Erbe  aus.  Die  un- 
verheiratete und  nicht  dem  Tempeldienst  geweihte  Tochter  erhielt  eine  lebens- 
längliche Dotation,  welche  den  ihren  Brüdern  zufallenden  Anteilen  gleichkam, 
diesen  aber  nach  dem  Ableben  der  Schwester  zufiel.  Die  dem  Tempeldienst, 
bzw.  dem  Gott  Marduk  als  Jungfrauen  oder  Prostituierte  geweihten  Töchter 
erhielten  nur  ein  Drittel  von  dem  den  Brüdern  zukommenden  Teil,  durften 
ihren  Nachlaß  aber  nach  Belieben  vermachen  (H.  D'Arbois).  —  Die  Mitgift 
der  Mutter  fiel  nach  deren  Tod  ihren  Söhnen,  oder,  in  Ermanglung  von  Söhnen, 
wieder  ihrer  eigenen  Familie  zu.  —  Schenkte  ein  Vater  einem  bevorzugten 
Sohn  zu  seinen  Lebzeiten  Feld,  Garten  und  Haus,  und  beurkundete  er  dieses 
Geschenk,  dann  mußte  es  diesem  Sohn  nach  dem  Ableben  des  Vaters  überlassen 


')  Kipuarien  =  Niederlothringeu. 

rioß-Renz,  Das  Kind.     3.  Aufl.    Band  II.  42 


658     Kapitel  LH.     Das  Erbrecht  des  Kindes  mit  Ausschluß  des  sog.  ..Mutterrechtes". 

werden,  ohne  daß  er  bei  der  Verteilung  am  übrigen  Nachlaß  des  Vaters  ver- 
kürzt werden  durfte.  —  Hatte  jemand  seinen  erwachsenen  Söhnen  Frauen 
gegeben  und  starb  er,  ehe  er  auch  seinem  unerwachsenen  eine  gegeben  hatte, 
dann  mußten  bei  der  Teilung  des  Erbes  die  erwachsenen  Söhne  ihrem  Jüngern 
Bruder  nicht  nur  gleichen  Anteil,  sondern  auch  das  Geld  für  den  Brautpreis 
(Mahlschatz)  gewähren.  —  Hatte  jemand  nacheinander  zwei  Frauen  und  von 
jeder  Kinder  gehabt,  dann  mußte  nach  seinem  Tod  das  väterliche  Eigentum 
unter  die  Söhne  verteilt  werden,  die  Mitgift  der  Mütter  aber  an  die  betreffenden 
Söhne  übergehen.  —  Der  Sohn  eines  Kriegsgefangenen  war  zur  Übernahme 
des  Lehens  seines  Vaters  berechtigt.  War  er  noch  zu  klein,  um  die  Über- 
nahme anzutreten,  dann  wurde  seiner  Mutter  ein  Drittel  des  Lehens  (Feld 
und  Garten)  gegeben,  und  diese  hatte  den  Knaben  groß  zu  ziehen.  Den 
Töchtern  konnte  von  dem  Lehen  nichts  verschrieben  werden  (Hammurabis 
Gesetzbuch,  Übersetzung  WinckW). 

Bei  den  vormosaischen  Hebräern  scheinen  die  Töchter  ein  Anrecht 
auf  den  Nachlaß  ihrer  Väter  nicht  gehabt  zu  haben.  Denn  4.  Mose  27  stellt 
uns  die  Töchter  Zelaphads  vor,  die  vor  Moses,  Eleasar,  den  Priester,  vor  die 
Fürsten  und  die  ganze  Gemeinde  treten  und  hier  vorstellig  werden,  daß  ihr 
Vater  ohne  Söhne  gestorben  sei,  und  daß  sie  nicht  einsehen,  warum  ihres  Vaters 
Name1)  deshalb  ausgehen  soll.  „Gib  uns  ein  Eigentum  unter  den  Brüdern 
unseres  Vaters"  fordern  sie.  Da  brachte  Mose  ihre  Sache  vor  Jehova.  Und 
Jehova  redete  zu  Mose  und  sprach:  „Die  Töchter  Zelaphads  haben  recht  ge- 
sprochen, wohl  darfst  du  ihnen  ein  eigentümliches  Erbgut  geben  unter  den 
Brüdern  ihres  Vaters  und  das  Erbeigentum  ihres  Vaters  an  sie  übergehen 
lassen.  Und  zu  den  Söhnen  Israels  rede  und  sprich:  AYenn  jemand  stirbt  und 
keinen  Sohn  hat,  so  sollet  ihr  sein  Erbeigentum  an  seine  Tochter  übergehen 
lassen.  Und  wenn  er  keine  Tochter  hat,  so  sollet  ihr  sein  Erbeigentum 
seinen  Brüdern  geben  ..." 

Der  Erstgeborne  genoß  im  mosaischen  Gesetze  besondere  Vorteile,  zu 
welchen  der  doppelte  Anteil  vom  väterlichen  Nachlaß  gehörte. 

Ein  Vorrecht  des  Erstgebornen  erkennt  das  Erbrecht  des  Islam 
nicht  an.  Diese  Bestimmung  und  die  Zuerkennung  der  Hälfte  eines  männ- 
lichen Anteils  für  weibliche  Nachkommen  nannte  E.  W.  Laue  die  bemerkens- 
wertesten Grundsätze  des  moslemischen  Erbrechts2).  -  -  Diesem  zufolge  kann 
im  arabischen  Ägypten  ein  Familienvater  ein  Drittel  seines  Vermögens 
irgend  jemandem,  oder  zu  irgend  einem  Zwecke,  vermachen,  aber  nicht  mehr. 
Das  übrige  fällt,  wenn  er  weder  Eltern  noch  Frauen  hinterläßt,  nach  Abzug 
-einer  Schulden,  seinen  Kindern  zu,  und  zwar  so,  daß  jeder  Sohn  das  Doppelte 
eines  Tochter- Anteiles  erhält.  Verfügt  er  über  sein  Drittel  nicht,  und  hinter- 
laßt er  weder  Eltern  noch  Frauen,  so  fällt  seinen  Kindern  das  Ganze  zu.  doch 
erleidet  auch  dieser  Satz  eine  Beschränkung.  Sind  nämlich  die  Kimler  aus- 
schließlich weiblichen  Geschlechts,  so  erhalten  sie  nach  dem  Koran  nur  zwei 
I  Mittel,  oder  ist  das  einzige  überlebende  Kind  eine  Tochter,  so  fällt  dieser  nur 
die  Hälfte  zu.  Hingegen  spricht  die  Snnna  der  Tochter,  bzw.  den  Töchtern 
die  andere  Hälfte,  bzw.  das  dritte  Drittel  nur  dann  ab.  wenn  andere  Ver- 
wandte vorhanden   sind,   denen  dieses,  bzw.  jene,   zugewendet  werden   kann. 

In  Arabia  Petraea  kommen,  nach  Musil,  letztwillige  Verfügungen  des 
Vaters  nie  vor.  Bei  den  Shür  darf  der  Vater  seinen  Sohn  unter  keiner 
Bedingung  von  der  Erbschaft  ausschließen.     Dieser  kommt  nach  dem  Tode  des 

>)  Mit  dem  materiellen  Erbe  scheint  also  auch  die  Fortsetzung  des  Namens  verbunden 
zu  sein. 

2)  Daß  dieses  Gesetz  von  den  Muselmanen  niohl  allgemein  anerkannt,  oder  doch  nicht 
allgemein  durchgeführt  wird,  beweist  das  Erbrecht  in  Arabia  Petraea  und  bei  den 
Somal  w.  u. 


§  348.  Erbe  au  Immobilien  u.  Mobilieu  inkl.  Eheweiber  u.  Sklaven  bei  Negern  u.  Buschleuten.      659 

Vaters,  auch  wenn  er  von  ihm  bei  Lebzeiten  fortgejagt  worden  wäre1),  zurück 
und  nimmt,  was  ihm  gehört.  Die  Töchter  erben  nicht.  Sind  also  Söhne 
nicht  vorhanden,  so  geht  der  Besitz  auf  die  nächsten  männlichen  Verwandten 
des  Verstorbenen  über.  Nur  Geschenke  in  Gestalt  zweier  Kamelstuten  erhalten 
die  Töchter,  das  aber  auch  dann,  wenn  der  rechtmäßige  Erbe  leer  ausgeht. 
Der  Stamm  der  'Amärin  sieht  sogar  von  diesen  Bestimmungen  ab,  indem  er 
die  Form  des  Geschenkes  von  der  „Herzensgüte"  der  Erben  bestimmen  läßt. 

Bei  den  Galla  an  der  afrikanischen  Ostküste  fällt  der  ganze  Nachlaß 
des  Vaters  dem  ältesten  Sohne  zu.  Lebt  der  Vater  noch,  wenn  der  Sohn 
anfängt,  sein  Haupt  zu  scheren,  was  so  viel  heißt,  als  daß  er  mannbar 
geworden  sei,  dann  gibt  er  ihm,  je  nach  seinem  Vermögen,   2 — 3  Melkkühe2). 

Bei  den  Somal  sind  alle  männlichen  Nachkommen  erbberechtigt;  die 
weiblichen  haben  keinen  Anspruch  auf  Nachlaß;  auch  der  mütterliche  Erb- 
teil geht  auf  die  Söhne  über.  Dafür  haben  die  weiblichen  Überlebenden  ein 
Anrecht  auf  Lebensunterhalt  durch  die  männlichen  Erben  (Haggenmacher)3). 

§  348.     Erbe  au  Immobilien  und  Mobilien  inkl.  Eheweiber  und  Sklaven 

bei  Negern  und  Buschleuten. 

Nach  dem  Erbrecht  der  Bassari  in  Deutsch-Togo  erben  die  Kinder 
den  beweglichen  Nachlaß,  z.  B.  Vieh  und  Ackergeräte;  ferner  die  Hütten  und 
die  Ernte  auf  dem  angebauten  Felde.  Das  Land  selbst  gehört  der  Gemeinde. 
Sind  keine  direkten  Nachkommen  vorhanden,  so  erben  die  Sklaven.  Die  Erben 
haben  die  Verpflichtung,  auch  die  Schulden  des  Verstorbenen  zu  übernehmen 
und  für  dessen  würdiges  Begräbnis  zu  sorgen  (Klose). 

Das  Erbrecht  der  Kinder,  Neffen,  Nichten  und  Geschwister  bei  den 
Ewe-Negern  der  Küste  in  Deutsch-Togo  ist  bereits  in  Kapitel  LI  gestreift 
worden.  Hierzu  sei  noch  folgendes  über  die  Weiber  als  Nachlaß  bemerkt: 
Die  Weiber  eines  verstorbenen  Mannes  fallen  den  Söhnen  des  Verstorbenen 
als  Erbe  zu,  doch  wird  keines  dem  eigenen  Sohn,  sondern  einem  Stiefsohn 
zugewiesen.  Weigert  sich  eine  Frau,  mit  ihrem  Stiefsohn  zu  leben,  dann  kann 
sie  sich  mit  einem  andern  Mann  innerhalb  der  Kollektiv-Familie4)  verheiraten. 
Der  verschmähte  Stiefsohn  erhält  in  einem  solchen  Fall  eine  andere  Frau, 
oder  ein  Mädchen  zur  Entschädigung.  —  Beim  Tod  eines  Sklaven  gehen 
dessen  Kinder  und  Eigentum  auf  den  Besitzer  des  Sklaven  über.  — 

Der  Wai-Neger  in  Liberia  soll  von  Rechts  wegen  von  seinem  (ältesten?) 
Sohn  oder,  in  Ermanglung  eines  Sohnes,  von  seinem  nächsten  Verwandten  be- 
erbt werden.  In  der  Tat  aber  kommt  es  häufig  vor,  daß  der  Dorfhäuptling 
und  andere  Häuptlinge  den  rechtmäßigen  Erben,  wenn  dieser  noch  jung  oder 
abwesend  ist,  seines  Erbteils  unter  allerlei  Vorwänden  berauben  (Oskar Baumann). 

Weiber  des  Verstorbenen  als  Erbteil  finden  wir  wieder  im  Grasland 
von  Kamerun:  Wie  die  Ewe,  so  berücksichtigen  aber  auch  die  Bali  des 
Kameruner  Graslandes  wenigstens  das  Verhältnis  der  leiblichen  Mutter  zu 
ihren  Söhnen.  Universalerbe  ist  hier  der  älteste  Sohn  seines  Vaters.  Seine 
leibliche  Mutter  gehört  nicht  zum  Nachlaß.  Was  das  übrige  Erbe  betrifft,  so 
verlangt  der  Anstand,  daß  der  älteste  Sohn  seinen  Geschwistern  davon  einen 


')  Die  Vertreibungsformel  für  ungehorsame  Sühne  lautet  bei  den  Hwetät:  „O  N.,  ich 
scheide  dich  ab,  und  Gott  scheidet  dich  ab  vom  Besitz  und  Verkehr."  —  Aber  auch  bei 
diesem  Stamm  gilt  die  Vertreibung  und  Enterbung  eines  eigenen  Sohnes  nicht  bis  über  den 
Tod  hinaus  (Mnsil). 

«)  Ploß,  2.  Aufl.  II,  407. 

3)  Bei  Ploß.  ebenda. 

4)  Vgl.  die  Hausgemeinschaft  in  der  indo-europäischen  Völkerfamilie. 

42* 


660      Kapitel  LH.     Das  Erbrecht  des  Kindes  mit  Ausschluß  des  sog.  ..Mutterrechtes". 

kleinen  Anteil   gibt.     Die  unverheirateten  Kinder   gelten  nach   dem  Tod   des 
Vaters  als  die  Kinder  des  ältesten  Sohnes  {Bernhard  Ankermanri). 

Bei  den  Wambugu  in  Usambara,  Deutsch-Ostafrika,  erbt  ein  Bruder 
des  Verstorbenen  dessen  Weiber,  Hütte  und  Felder  und  übernimmt  Vaterstelle 
an  den  Kindern,  die  Vieh  und  Weideland  unter  sich  teilen.  —  Prozesse  ver- 
erben sich  oft  auf  Kinder  und  Kindeskinder  (Storch). 

Auch  bei  den  Wakilindi1),  ebenda,  werden  die  Weiber  eines  Ver- 
storbenen von  dessen  Brüdern  geheiratet;  wer  das  oberste  Weib  erhält,  vertritt 
bei  den  Hinterbliebenen  Vaterstelle.  Sklaven.  Vieh  und  Felder  bleiben  dem 
Nachfolger  des  Verstorbenen;  sonstiges  Vermögen  wird  unter  sämtliche  Kinder 
verteilt.  Zum  Zeichen,  daß  der  Gatte  der  obersten  Frau  nun  au  den  Kindern 
des  Verstorbenen  Vaterstelle  veitritt,  reicht  er  ihnen  von  dem  Opfertier,  das 
einige  Tage  nach  der  Beerdigung  geschlachtet  wird,  etwas  Fleisch,  geht  dann 
mit  ihnen  auf  das  Feld  hinaus,  und  hier  fingieren  die  Kinder,  zum  Zeichen, 
daß  sie  den  Mann  als  Vater  anerkennen,  die  dem  Feldbau  charakteristischen 
Arbeiten. 

Ähnlich  ist  es  bei  den  Washambaa  in  Usambara,  wo  aber  der  älteste 
Bruder  des  Verstorbenen  meistens  Universalerbe  ist.  Doch  haben  die  Kinder 
das  Recht,  von  ihm.  der.  wie  bei  den  Wakilindi,  Vaterstelle  vertritt,  einen 
Teil  des  Erbes  abzufordern,  wenn  er  sich  als  geizig  erweist  oder  sonsl  miß- 
liebig wird. 

Die  Sklaven  der  Wakilindi  und  Washambaa  vererben  ihre  Felder, 
Hab  und  Gut  ganz  oder  doch  teilweise  auf  ihre  Kinder,  obwohl  auch  diese 
Sklaven  bleiben  (Storch). 

Hingegen  haben  im  Kilwa-Bezirk  an  der  deutsch-ostafrikanischen 
Küste  die  Söhne  der  Sklaven  keinen  Anteil  an  dem  Nachlaß  ihrer  ver- 
storbenen Väter;  dieser  fällt  vielmehr  dem  Herrn  des  Sklaven  zu.  Sind  aber  die 
Söhne  beim  Herrn  beliebt,  so  überläßt  ihnen  dieser  den  Nachlaß  ihres  Vaters 
zur  Verwaltung  und  Nutznießung.  -  ■  Die  Söhne  eines  Freigelassenen 
beerben  ihren  Vater.  Der  frühere  Herr  bekommt  nur  einen  Sklaven  als 
Geschenk.  Überleben  einen  Freigelassenen  nur  Töchter  oder  Verwandte,  so 
fällt  dem  früheren  Herrn  die  Hälfte  des  Nachlasses  zu:  das  übrige  den  Erben 
(Frhr.  von  Eberstein). 

Das  Erbrecht  der  Wasiba,  westlich  vom  Viktoriasee.  Deutsch-Ostafrika, 
spricht  den  Nachlaß  dem  begabtesten  Sohn  des  Verstorbenen  zu.  Die 
übrigen  Söhne  und  die  Trichter  gehen  leer  aus  (Serrmann). 

Bei  den  Namib-Buschleuten  geht  der  Nachlaß  eines  Mannes  auf  dessen 
Frau,  und  erst  nach  ihrem  Tod  auf  den  ältesten  Sohn  über.  Dieser  gilt  jedoch 
gleich  nach  dem  Ableben  des  Vaters  als  Familienhaupt  und  muß  für  die 
Witwe  sorgen  ( Trenk). 

Den  Nachlaß  eines  Auin-Buschmannes  erbt  dessen  ältester  Sohn  direkt 
vom  Vater.  Die  Witwe,  Töchter  und  übrigen  Söhne  erhalten  nichts.  Der 
Nachlaß  ist  übrigens  sehr  gering,  d.  h.  er  besteht  gewöhnlich  in  einigen  Ge- 
brauchsgegenständen und  Fellen  (Kaufmann). 

ij  319.     Erbe  an  Töchtern  und  Weibern  bzw.   Immobilien  und  Mobilien 
bei  den  Battak,  Moniimbo-Papiias  und  Yapern. 

I>en  Battak  auf  Sumatra  beerben  seine  Söhne  oder,  wenn  solche  nicht 
vorhanden    sind,   seine   Brüder  und    männlichen  Verwandten.    Die  Töchter 

bilden    selbst    ein   Erbgut,    weil    für    sie   ein  Brautpreis  bezahlt   wird.     Die 
Witwe   unterstellt    der    Autorität    ihrer   Söhne,   die   für   ihren   Unterhalt   zu 

'i  Wie  schon  früher  erwähnt,  sind  die  Wakilindi.  nach  Storch,  arabischer  Ab- 
stimmung. 


§  350.    Erbe  an  Immobilieu  und  Mobilien  bei  Koreanern,  Chinesen,  Ao-Nagas,  Thai  usw.      661 

sorgen  haben.     Vorhandene  Nebenfrauen  werden  von  den  Söhnen  des  Ver- 
storbenen geerbt  und  geheiratet  (IC.  Ködding). 

Der  Monumbo-Papua  in  Deutsch-Neuguinea  verteilt  seine  Immo- 
bilien unter  seine  Söhne  und  Töchter,  wenn  diese  noch  in  den  Kinderjahren 
siud.  Diese  Immobilien,  welche  in  Feldern,  Palmen,  Kokosnußbäumen.  Brot- 
fruchtbäumen u.  a.  m.  bestehen,  sind  die  Summe  der  Immobilien,  welche  er 
und  sein  AVeib  bei  ihrer  Verheiratung  zur  Gütergemeinschaft  zusammengebracht 
haben,  die  aber  im  Falle  der  Trennung  zum  Nutzen  der  Kinder  (mit  diesen) 
dem  Mann  verbleiben.  An  diesem  Vermögen  nehmen  alle  leiblichen  und 
adoptierten  Kinder  des  Mannes  teil.  Ist  von  einem  Gegenstand  nicht  genügend 
vorhanden,  dann  sorgt  der  Vater  für  Ergänzung,  indem  er  z.  B.  mehr  Bäume 
pflanzt.  Franz  Vormann,  der  dieses  mitteilt,  bemerkt  auch,  daß  jedes  Kind 
der  dortigen  Missionsschule  bereits  ein  Stück  Land  sein  eigen  nenne,  welches 
von  den  Eltern  bebaut  werde.  Das  Kind  bekommt  seine  eigenen  Kokospalmen, 
Betelpalmen.  Brotfruchtbäume  usw.  --  Die  Mobilien,  z.  B.  Lanzen,  Taschen, 
Schmuckgegenstände.  Kleider  und  Töpfe  sind  am  Anfang  der  Ehe  nicht  Güter- 
gemeinschaft der  beiden  Gatten,  so  daß,  wenn  es  zur  Scheidung  kommt,  das 
Weib  seine  Mobilien  einfach  zusammenpacken  und  mitnehmen  kann.  Verden  aber 
diese  in  die  Ehe  gebrachten  Gegenstände  im  Laufe  der  Jahre  durch  neue 
ersetzt,  dann  tritt  auch  für  die  Mobilien  in  gewissem  Sinne  Gütergemeinschaft 
ein.  Doch  werden  diese  vom  Vater  nicht  an  die  Kinder  verteilt,  sondern 
diese  selbst  teilen  sie  unter  sich  oder  benutzen  sie  gemeinsam.  Der  Vater 
sorgt  ferner  dafür,  daß  jedes  Kind  einen  oder  mehrere  wertvollere  Schmuck- 
gegenstände aus  Muscheln  oder  Hundezähnen  erhalte,  indem  er  solche  kauft 
oder  selbst  anfertigt.  Sein  eigener  Schmuck  bildet  ein  Gemeingut  der  Kinder.  - 
Stirbt  der  Vater,  während  die  Kinder  noch  klein  sind,  dann  kommt  der  Mutter 
die  Verwaltung  und  Nutznießung  seines  Nachlasses,  d.  h.  des  Erbes  der  Kinder, 
zu.  Nach  ihrer  Wiederverheiratung  teilt  ihr  zweiter  Gatte  jenes  Verwaltungs- 
und Nutznießungsrecht.  Das  Vermögen  selbst  verbleibt  den  Kindern,  darf 
nicht  angetastet  werden,  nicht  den  Kindern  zweiter  Ehe  zukommen. 

Auf  Vap,  wo  im  Gegensatz  zu  den  meisten  Inseln  Mikronesiens  aus- 
geprägtes Vaterrecht  herrscht,  werden  die  Männer  ausschließlich  von  ihren 
Söhnen  beerbt;  die  Töchter  haben  nur  den  Nießbrauch  an  dem  Nachlaß.  Von 
den  Söhnen  übernimmt  in  der  Regel  der  ältere  das  Wohnhaus  des  Vaters; 
der  jüngere  baut  sich  auf  dem  väterlichen  Grund  ein  neues  Haus  (Arno  Senfft). 

Das  Erbrecht  auf  den  Banks- Inseln  wurde  in  Kapitel  LI  gestreift.  — 

§  350.     Erbe  an  Immobilien  und  Mobilien  bei  Koreanern,  Chinesen, 
Ao-Nagas,  Thai",  Annamiten,  Golden1)  und  Jakuten. 

In  Korea  vererben  sich  die  Familiengüter  nur  auf  die  Söhne,  nicht  auf 
die  Töchter,  weshalb  in  Ermanglung  eines  (legitimen)  Sohnes  zur  Adoption 
geschritten  wird  (Hamilton). 

In  China  darf  das  erbliche  Stammgut  der  Familie  nicht  geteilt  und  nicht 
veräußert  werden;  es  fällt  auch  nicht  immer  dem  ältesten  Sohn,  sondern  dem 
ältesten  männlichen  Verwandten  in  der  Familie  zu.  Das  übrige  väterliche 
Erbgut  wird  gleichmäßig  unter  die.  Söhne  verteilt,  ob  diese  nun  von  der  ersten 
Frau,  oder  von  einer  Konkubine  geholfen,  oder  ob  sie  adoptiert  sind.  Töchter 
erben  nur,  wenn  unverheiratet  und  wenn  keine  männlichen  Agnaten  mehr  am 
Leben  sind.  —  0 nutze!  fügt  diesen  Mitteilungen  übrigens  bei:  „In  manchen 
Provinzen  bekommen  die  unverheirateten  Töchter  die  Hälfte  des  Anteils, 
welcher  einem  Sohne  zufällt,   in   manchen  dagegen   nichts,  und  es  fällt  dann 


')  Hier  mit  Einschluß  der  leiblichen  Mutter,  s.  S.  663. 


6rj2      Kapitel  LH.     Das  ErbrecLt  des  Kiudes  mit  Ausschluß  des  sog.  ,.Mutterrechtes". 

den  Brüdern  die  Pflicht  zu.  für  deren  Lebensunterhalt  und  eventuell  auch  für 
deren  Verheiratung  Sorge  zu  tragen. 

Der  Ao-Naga  in  Assam  wird  nicht  von  seinen  Kindern,  sondern  von 
seinen  Verwandten  in  männlicher  Linie  beerbt,  obgleich  die  Kinder  zu  seinem 
Stamme  gehören  (Mols)1). 

Bei  den  Thai  erbt  nur  der  älteste  Sohn,  der  auch  Stammhalter  ist 
(vgl.  Ahnenkult).  Ob  er  seinen  jüngeren  Brüdern  von  seinem  Erbe  etwas 
abtreten  will,  hängt  von  ihm  ab.  Das  weibliche  Geschlecht  ist  überhaupt 
nicht  erbfähig.  Wo  weder  ein  eigener,  noch  ein  adoptierter  Sohn  vorhanden 
ist,  geht  der  Nachlaß  auf  einen  Vetter  oder  Neffen  des  Verstorbenen  über. 

In  Ann  am  tritt  nach  dem  Ableben  eines  Ehemanns  und  Vaters  dessen 
erste  Frau  die  Verwaltung  und  den  lebenslänglichen  Nießbrauch  der  gesamten 
Hinterlassenschaft  an,  insofern  sie  sich  nicht  durch  Onwürdigkeit  dieses  Rechtes 
verlustig  gemacht  hat.  Die  Witwe  kann  freiwillig  ihren  Anspruch  zugunsten 
der  Kinder  aufgeben  und  eine  Teilung  herbeiführen,  die  jedoch  erst  nach  Ab- 
lauf der  dreijährigen  Trauer  stattrinden  darf.  —  Bei  Lebzeiteu  der  Eltern  ist 
die  Teilung  des  Besitzes  verboten. 


Fig.   i.=>7.    Ao-Nagas  in  Assam,  Hinteriüdi  en.    Nach  iloU  im  ■.Aiithropos"  tV,  B8. 


Erbberechtigt  sind  alle  ehelichen  Kinder,  also  auch  die  Kinder  der 
Nebenfrauen.  Die  Töchter  sind  bezüglich  der  Erbansprüche  den  Söhnen  im 
allgemeinen  ebenbürtig,  doch  nicht  fähig.  Nutznießer  und  Verwalter  des 
„Huong-Hoa"  (brennende  Räucherkerze),  d.  h.  jenes  Feldes  zu  sein,  dessen 
Erträgnis  zum  Unterhalt  der  Grabstätten  und  Denkmäler  der  Vorfahren  und 
zur  Bestreitung  der  Ausgaben  für  Gedächtnisfeierlichkeiten  und  sonstige 
Kultusbräuche  verwendet  wird.  Vielmehr  muß  der  älteste  legitime  Sohn,  oder, 
wenn  dieser  schon  tot,  dessen  legitimer  Erstgeborner  dieses  Erbe  antreten. 
Fehlt  ein  männlicher  Sproß,  dann  tritt  ein  Verwandter  der  nächsten  Seiten- 
linie den  Huong-Hoa  an.  Ebensowenig  darf  ein  weiblicher  Nachkomme  das 
gleichfalls  unveräußerliche  „Tnyet-Tu"  (endgültige  Verehrung)  verwalten,  das 
eine  Familie  ihren  kinderlos  gestorbenen  Kindern  errichtet.  Hier  tritt  ein 
Bruder  oder  Neffe  in  die  Verwaltung  und  den  Nießbrauch  ein. 

Der  Annamite  kann  seine  eigenen  Kinder  zugunsten  anderer  enterben; 
nur  den  ..Huong-Hoa"  darf  er  seinem  Ältesten  nicht  entziehen,  wenn  sich 
dieser  nicht  als  ganz  unwürdig  erwiesen  hat,  dieses  Erbe  anzutreten  (H.Seidel, 
nach   Denjoy).  —  Das  Erbrecht  der  adoptierten  Kinder  s.  K.  LIV.  — 


s    68) 


')  „Die  Kinder  folgen  dem  Stamme  oder  der  Sektion  des  Vaters-'  (Moh  im  Anthrop.  IV, 


§  351.     Erbe  an  Mobilien  und  Immobilien  bei  amerikanischen  Völkern.  (j(j3 

Über  das  Erbrecht  der  Dravida  im  südlichen  Vorderindien  schrieb  Ploß1): 
Grund  und  Boden  vererbt,  samt  dem  Vieh,  nur  auf  die  Söhne;  die  Töchter 
können  keiu  Land  besitzen.  —  In  manchen  Bezirken  bekommt  der  älteste 
Sohn  einen  Extraanteil.  —  Schmucksachen,  Hausgerät,  Geld,  überhaupt  be- 
wegliche Sachen2)  fallen  den  Töchtern  zu,  welche  von  den  Brüdern  erhalten 
werden,  bis  sie  heiraten;  dann  bekommen  sie  eine  Aussteuer. 

Das  Erbrecht  der  Golden,  einem  Tungusen-Stamm  am  untern  Amur, 
spricht  den  Gesamtnachlaß  eines  Familienvaters  dessen  erstgebornem  Sohne  zu. 
Sogar  die  leibliche  Mutter  des  Erstgebornen  ist  in  dieses  Erbgut  ein- 
geschlossen. Sie  wird  von  ihrem  eigenen  Sohn  geeheUcht(Jakobsen-Genest). 

Der  Jakute  kann  zu  seinen  Lebzeiten  sein  Vermögen  nach  Belieben 
unter  seine  Söhne  verteilen.  Der  reiche,  von  Friedrich  Müller  erwähnte 
Uwotschan  vermachte  z.  B.  seinem  Liebliugssohn  den  größten  Teil  seines 
Vermögens.  Was  bei  seinem  Tod  übrig  bleibt,  fällt  seinen  Söhnen  in  gleich- 
mäßigen Quoten  zu,  seien  es  Aktiva  oder  Passiva.  Der  "Witwe  fällt  ihr 
Brautpreis  zu.  Die  Töchter  scheinen  nicht  erbberechtigt  zu  sein,  wohl  aber 
auf  Aussteuer  Anspruch  zu  haben.  Middendorf  teilte  die  Sage  mit,  ein  Jakute 
habe  aus  Zorn  darüber,  daß  um  eine  seiner  Töchter,  die  er  nicht  leiden 
konnte,  gefreit  wurde,  ihr  nur  eine  Stute  und  eine  rote  Kuh  mitgegeben.  — 

§  351.     Erbe   an  Mobilien  und  Immobilien  bei  amerikanischen  Völkern. 

Bei  den  Mayas  in  Yukatan  beerbten  die  Söhne  ihren  Vater  nach  dessen 
Tod  in  der  Regel  gleichmäßig.  Als  Ausnahme  galt,  daß  ein  Sohn,  der  sich 
bei  Erwerbung  des  väterlichen  Vermögens  besonders  verdient  gemacht  hatte,  mehr 
als  die  übrigen  erhielt.  —  Die  Töchter  erbten  nichts,  erhielten  überhaupt  nichts, 
wenn  ihnen  ihre  Brüder  nicht  aus  freien  Stücken  etwas  überließen  (Bancroft)*). 

Im  alteu  Mexiko  ging  in  den  Kreisen  des  Hochadels,  dem  ein  Teil 
des  Kronlandes  als  Lehen  überwiesen  war,  das  Lehen  mit  seinen  Rechten  und 
Pflichten  auf  den  ältesten  Sohn  des  Verstorbenen  über.  —  Bei  dem  niederen 
Adel  erbte  der  Erstgeborne  gewöhnlich  den  väterlichen  Besitz.  Nur  bei 
dessen  Unfähigkeit  setzte  der  Vater  einen  andern  Sohn  als  Erbe  ein  mit  der 
Bestimmung,  für  den  Unterhalt  des  Erstgebornen  zu  sorgen. 

Töchter  konnten  in  der  Republik  Tlascala  und  wahrscheinlich  auch  in 
den  Königreichen  Mexiko,  Tezcuco  und  Tlacopan  keinen  Grundbesitz 
erben.  Der  Grund  dieses  Gesetzes  lag  in  dem  Wunsche,  daß  kein  Grund- 
besitz, also  auch  nicht  durch  Heirat,  in  fremde  Hände  übergehe.  Ebenso  ging 
in  Zapotecapan  und  Miztecapan  der  Grundbesitz  nur  vom  Vater  auf  die 
Söhne,  und  zwar,  wie  es  scheint,  auf  den  Erstgebornen,  nicht  auf  die  Töchter  über. 

Merkwürdig  war  die  Vorbereitung  des  Erstgebornen  zur  Über- 
nahme des  Erbes  in  Miztecapan.  Der  junge  Mann  mußte  sich  in  ein 
heilig  gehaltenes  (religious)  Haus  zurückziehen,  wo  man  ihn  in  Lumpen  hüllte, 
mit  Federharz  und  stinkenden  Kräutern  einrieb.  Hier  mußte  er  ein  Jahr 
lang  unter  harter  Arbeit  und  Entbehrung  zubringen  und  seinem  Körper  und 
seinen  Extremitäten  wiederholt  Blut  entziehen*).  Nach  Ablauf  des  Jahres 
wurde  er  von  vier  Mädchen  mit  wohlriechendem  "Wasser  gewaschen  und 
hierauf  von  Freunden  festlich  in  sein  Haus  geführt.  —  In  der  Provinz  Pänuco 


M  2.  Aufl.  II,  404  f. 

2)  Nach  dem  Obigen  ist  das  Vieh  in  diesen  „beweglichen  Sachen"  nicht  eingeschlossen. 
—  Mit  der  ausdrückliehen  Verfügung,  daß  die  Töchter  kein  Land  besitzen  können,  reihte 
sich  das  Erbrecht  der  Dravida  an  jenes  der  Indo-Europäer,  die  Römer  ausgeschlossen,  an. 
Ebenso  war  es  im  alten  Mexiko,  wenn  hier  auch  anders  begründet. 

3)  In  Nicaragua  fiel  der  Nachlaß  kinderloser  Gatten  den  Verwandten  vater-  und 
mutterseits  zu  (Oviedo,  bei  Bancroft  II.  653);  nach  Squier  (bei  Bancroft,  ebenda)  nahmen 
solche  Leute  ihr  Vermögen  (?)  mit  ins  Grab. 

4)  Vgl.  die  Blutentziehungen  in  Kap.  XLVTII. 


G64      Kapitel  LII.     Das  Erbrecht  des  Kindes  mit  Ausschluß  des  sog.  ..Mutterrechtes". 


erbte  nur  der  älteste  Sohn  Land;  seine  Brüder  mußten  sich  von  ihm  solches 
pachten  (Bancroff). 

Söhne,  die  das  väterliche  Erbe  verschwendeten,  wurden  im  alten  Mexiko 
aufgehängt,  oder,  wenn  nicht  mit  dem  Tode,  doch  mit  andern  schweren 
Strafen  belegt.  Wer  den  fremden  Schweiß  nicht  achte,  von  dem  er  lebe,  der  sei  des 
Lebens  unwürdig,  oder  verdiene  wenigstens  schwere  Strafe,  hieß  es  I  Torquemada  I. 

Im  Inkareich,  Peru,  konnte  der  Thronfolger  kein  Vermögen  erben. 
Der  Nachlaß  des  verstorbenen  Königs  wurde  teils  zu  religiösen  Zwecken  ver- 
wendet, wozu  der  Bau  eines  ,.Guaka"  (Bethauses V)  gehörte,  in  welchem  der  Tute 
göttlich  verehrt  wurde;  teils  kam  das  Vermögen  dem  Hofgesinde  zugute  (Dapper). 

Eine  strenge  Beobachtung  der  Majorats-Einrichtung  war  während  der 
langen  Kolonialperiode  und  bis  in  die  70  er  Jahre  des  19.  Jahrhunderts  unter 
den  Vollbürgern  der  Kronindianer   (d.  h.  der  Indianer,   die  auf  staatlichem 


1 


Fig.  40s.    ßuarayas  in  Bolivia.    Mädchen  beim  Wasserholen.    Nach  Francaco  Pierini,  Anthropos  III,  876. 

Grundbesitz  angesiedelt  waren)  in  Bolivia  Pflicht.  Nur  auf  den  Erstgebornen 
vererbten  sich  die  Vorrechte  des  Vollbürgers  und  der  Genuß  des  Grundbesitzes. 
Kin  Bruder  oder  naher  Verwandter  des  Erstgebornen  trat  nur  dann  an  die 
Stelle  des  letztern,  wenn  der  Erstgeborne  nicht  alle  Prärogative  seines  Ranges, 
d.  h.  gewisse  Ehrenposten  ausfüllte,  die  der  Vollbürger  oder  Originario  der 
Reihe  nach  zu  übernehmen  hatte.  Starb  eine  Familie  aus.  dann  trat  irgend- 
ein Glied  der  Gemeinde,  das  noch  keinen  Grundbesitz  hatte,  den  freigewordenen 
Grundbesitz  (Sayafia)  an  (Chr.  Nusser). 

Über  das  Erbrecht  brasilianischer  [ndianer bemerkte  Floß1),  daii  Waffen 
und  Schmuck  entweder  auf  das  Grab  gelegt,  oder  von  deu  Söhnen  geerbt  werden. 

Besonders  bemerkenswert  dünkt  mich  endlich  die  Begründun»-  für  die 
Enterbung  der  Kinder  bei  den  Caraja  in  Brasilien,  über  die  von  Koenigswald 
schrieb:  .sie  vererben  bei  ihrem  Tode  nichts  auf  ihre  Kinder  und  sonstigen 
Hinterbliebenen,  damit  diese  nicht  beim  Anblick  "der  Gebrauch  des  Erbes  an 
den  erlittenen  Verlust   erinnert   werden.  — 


i  Nach  Bastian,  Rechi  vcrlililt  nissc  t.ri  wi-srhiril,  ■neu  Völkern  der  Erde.  Berlin  1870.  !S.  XI  V. 


Kapitel  LIII. 

Fragmentarische .  Berichte  über  das  Schicksal  des 
Waisen-  und  Stiefkindes. 

§  352.  Schon  die  vorhergehenden  zwei  Kapitel  machten  uns  teilweise 
mit  dem  Schicksale  der  Halb-  oder  Vollwaisen  mancher  Völker  bekannt,  in- 
sofern dort  hauptsächlich  der  rechtliche  Anspruch  der  Verwandten  vater- 
oder  mutterseits  auf  das  Kind  zur  Sprache  kam.  Das  vorliegende  Kapitel 
berücksichtigt  das  Waisen-,  bzw.  das  Stiefkind  vor  allem  vom  Standpunkt  der 
Fürsorge  aus.  welche  ihm  zuteil  wird. 

Das  Material,  welches  mir  in  dieser  Hinsicht  vorliegt,  ist  allerdings  noch 
spärlich,  genügt  aber  zu  dem  Beweise,  daß  es  selbst  auf  den  niedersten 
Kulturstufen  eine  Waisenfürsorge,  und  zwar  in  der  verhältnismäßig 
höchsten  Potenz  gibt,  d.  h.  in  der  Form  der  Adoption,  der  Annahme  eines 
Waisenkindes  an  Kindesstatt.  Nicht  nur  im  jungen  Christentum,  sondern  auch 
im  Buddhismus,  ja  bei  den  sogenannten  Wilden  auf  Formosa,  in  Australien, 
bei  den  sibirischen  Samöjeden,  in  den  Tauschehen  der  Nordindianer,  bei  den 
brasilianischen  Karaja  und  bei  den  Indianerinnen  in  Paraguay  finden  wir  sie *). 
Inwieweit  bei  dieser  Art  Waisenfürsorge  die  Nächsten-  oder  Selbstliebe,  das  Wohl 
des  Kindes,  oder  der  eigene  Vorteil  des  Individuums,  oder  des  Stammes  oder 
Staates  berücksichtigt  wird,  muß  freilich  unentschieden  bleiben.  Im  Juden-. 
und  Christentum  zunächst  gilt  als  höchster  Standpunkt  auch  in  dieser  Hinsicht: 
Das  göttliche  Gesetz. 

Überraschend  wirkt  die  staatliche  Waisenfürsorge  aber  auch  im  Inkareich, 
das  durch  die  Ausnützung  des  Anteils  der  Sonne,  der  obersten  Gottheit2), 
zum  Unterhalt  der  Waisen  diese  zugleich  als  Lieblinge  der  Gottheit  kenn- 
zeichnete und  seiner  Waisenfürsorge  einen  religiösen  Stempel  ebenso  tief  ein- 
drückte, wie  es  im  Christen-  und  Judentum  geschah,  mit  dem  wesentlichen 
Unterschiede  freilich,  welcher   den  Polytheismus  vom  Monotheismus  scheidet. 

Wie  ernst  die  alten  Mexikaner  es  mit  der  Waisenfürsorge  nahmen,  be- 
weist die  Todesstrafe,  welche  sie  auf  den  Mißbrauch  der  Vormundschaft 
setzten.  Solchen  Mißbrauch  weist  dieses  Kapitel  auch  bei  anderen  Völkern 
nach:  Bei  den  afrikanischen  Wadschagga  stellen  gewissenlose  Vormünder  dem 
Leben  ihrer  Mündel  nicht  weniger  nach,  als  es  bei  jenen  Griechen  der  Fall 
war,  gegen  die  Solon  die  Mündel  zu  schützen  suchte. 

Die  Wahl  eines  Vormundes  hängt,  je  nach  dem  Volke,  vom  Willen 
des  Vaters  der  zu  bevormundenden  Kinder  ab  und  geht  also  in  diesem  Falle 
immer  bei  dessen  Lebzeiten  vor  .sich,  oder  sie  hat.  wenigstens  zum  Teil, 
Richtlinien  zu  beobachten,  welche,  der  Stamm  oder  der  Staat  zu  ziehen  für 
gut  fand.    Ein  Beispiel  der  ersteren  Art  haben  wir  in  Arabia  Petraea,  wo  die 


i)  Vgl.  ferner  Kap.  LIV. 

s)  Oder  wenigstens  deren  Symbol. 


666     Kapitel  L1II.     Fragmentarische  Berichte  über  das  Schicksal  des  "Waisen-  und  Stiefkindes. 

Wahl  erst  auf  dem  Sterbebett  stattfindet.  Beispiele  der  letzteren  bei  den 
Arabern  in  Temen,  den  ostafrikanischen  Wadschagga,  in  Daur  (Wasirstan), 

im  altserbischen  Familienrecht,  im  alten  Griechenland,  in  China  usw. 

Als  Vormünder  erscheinen  im  vorliegenden  Kapitel  unter  anderen  die 
Witwe '  i.  ein  mündiger  Sohn,  ein  Bruder  oder  sonst  ein  Verwandter,  ein 
Freund,  der  Häuptling  des  Stammes  und  die  lokale  Behörde. 

Der  leicht  übersichtliche.  §  3Ö4  bedarf  einer  übersichtlichen  Einleitung 
nicht.  — 

§  353.     Das  Waisenkind.     Vormundschaft. 

Aus  den  nordwestlichen  Grenzgebieten  von  Britisch-Indien  berichtet 
H.  A.  Böse:  Nach  dem  Tod  eines  Familienvaters  in  Daur.  Wasiristan, 
kommen  dessen  unmündige  Kinder  unter  die  Vormundschaft  des  Erben,  d.  h. 
des  nächsten  Verwandten.  Dieser  kann  vom  Vater  nur  umgangen  werden, 
wenn    Feindschaft    zwischen    beiden    besteht.  Das   männliche   Geschlecht 

wird  mit  ungefähr  15,  das  weibliche  mit  etwa  14  Jahren  mündig.  --  Im 
Kurram -Tal  kann  ein  Vater  für  den  Fall  seiues  Todes  irgend  einen  zum 
Vormund  seiner  Kinder  bestimmen.  Hier  wie  dort  scheint  aber  ein  männ- 
licher Vormund  für  die  Söhne  nur  dann  aufgestellt  zu  werden,  wenn  der  Vater 
nach  der  Mutter  stirbt;  denn  bei  Böse  heißt  es  auch:  Die  Vormundschaft 
über  einen  minderjährigen  Sohn  hat  dessen  Mutter  so  lange,  bis  sie 
Sich  wieder  verheiratet.  Nach  ihrem  Tod  "geht  die  Vormundschaft  auf  die 
Onkel  väterlicherseits,  oder,  wenn  keine  vorhanden  sind,  auf  die  nächste 
männliche  Verwandtschaft  väterlicherseits  über.  —  Die  Vormundschaft  über 
minderjährige  Töchter  steht  dem  Erben  des  Vaters  zu.  Heiraten  sie,  dann 
kommen  sie  unter  die  Vormundschaft  ihrer  Männer. 

Im  neuzeitlichen  Persien  ist  es  gebräuchlich,  daß  die  Waisen  eines  ver- 
storbenen Familienvaters  samt  ihrer  Mutter  in  das  Haus  des  Bruders  des 
\  erstorbenen  zielten,  wo  sie  Pflege  und  Unterhalt  finden2). 

In  Griechenland  nahmen  sich  schon  Solons  Gesetze  um  die  Waisen 
an.  indem  sie  sie  gegen  habgierige  Verwandte  zu  schützen  suchten.  Niemand. 
der  beim  Tod  eines  Minderjährigen  das  nächste  Erbrecht  hatte,  durfte 
dessen  Vormund  werden.  Auch  staud  der  Vormund  unter  der  Aufsicht  des 
Archon  Eponymos,  der  bei  der  Anlage  des  Vermögens  auf  Zinsen  und  bei 
Verpachtung  der  (Grundstücke  durch  den  Vormund  mitwirkte.  Annen  weib- 
lichen Mündeln  mußte  der  Vormund  eine  Mitgift  geben  (Wacftsmuf).  Im 
4.  Jahrhundert  v.  Chr.  stand  es  aber  mit  den  griechischen  Vormundschafts- 
verhältnissen  ..sehr  schlimm",  wie  J.  Burchhardt  sich  ausdrückte,  der  als 
diesbezügliches  Beispiel  den  Diogeiton  bei  Lysias  anführte.  Diogeiton  habe 
als  Vormund  seine  Enkel  und  Neffen  schmählich  um  ihr  Vermögen  gebracht. 

Auch  das  altserbische  Familienrecht,  wel  ihes  freilich  erst  unter  dem 
Einfluß  des  Christentums  schriftlich  fixiert  worden  ist.  nimmt  sich  schon 
sorgfältig  der  Waisen  an: 

stirbt  in  der  serbischen  Hausgemeinschaft  ein  Familienvater,  dann 
haben  der  Stareschina3)  und  der  Etat  für  die  minderjährigen  Kinder  des  Ver- 
storbenen zu  sorgen,  ohne  daß  hierzu  ein  besonderer  Auftrag  nötig  ist.  — 
Stirbt  das  Haupt  einer  Einzelfamilie,  in  welcher  bereits  ein  über  18  Jahre 
alter  Sohn4)  vorhanden  ist.  dann  kommen  die  jüngeren  Söhne  und  die  un- 
verheirateten Töchter  unter  die  Vormundschaft  dieses  ihres  älteren  Bruders  und 


')   Oh'   Witwe  kommt  übrigens  bei  gewissen  Völkern  selbst  unter  Vormundschaft,  z.  B. 
in  Arabia   l'etraea. 

*)  77,//;  II.  402 

s)   Das    Eaupt   der  Hausgemeinschaft. 

'i  Mit   18  Jahren  wird  der  Serbe  mündig. 


§  353.     Das  Waisenkind.     Vormundschaft.  667 

ihrer  Mutter.  In  Ermanglung  eines  großjährigen  Sohnes  erhält  die  Witwe, 
welche  bei  der  Vormundschaft  in  erster-  Linie  herangezogen  wird,  zwei  gut 
beleumundete  reite  Männer  als  Vormünder  an  die  Seite,  sei  es,  daß  diese  vom 
Verstorbenen  zu  dessen  Lebzeiten  gewählt,  oder  daß  sie  nach  dessen  Tod  vom 
Gericht  bestimmt  werden.  Beim  Antritt  der  Vormundschaft  haben  sie  eidlich 
zu  versprechen,  daß  sie  ihre  Pflicht  gewissenhaft  erfüllen  wollen.  Ihre  Be- 
fugnisse dauern,  bis  die  Söhne  das  18.  Lebensjahr  erreicht  haben,  bis  die 
Töchter  verheiratet  sind1). 

Nach  Ablauf  der  Vormundschaft  haben  die  Vormünder  Rechnung  über 
das  Vermögen  ihrer  Mündel  zu  stellen.  Für  etwaige  Schäden  haften  sie  mit 
ihrem  Vermögen;  diese  Haftpflicht  erstreckt  sich  auch  auf  die  Erben  {Georg 
Milovanovitsch). 

Im  Urchristentum  galt  nur  der  als  wahrer  Christ,  der  sich  auch  um 
Waisen  und  Witwen  annahm.  Bei  Jacobus  1,  27  heißt  es:  „Eine  reine,  un- 
befleckte Religion  vor  Gott  dem  Vater  ist  diese,  sich  der  Waisen  und  Witwen 
in  ihrer  Bedrängnis  annehmen  und  sich  selber  unbefleckt  vor  der  Welt  erhalten." 
Und  in  den  sogenannten  Apostolischen  Constitutionen  und  Canonen 
(IV,  1)  lesen  wir:  „Ist  ein  Christ,  gleichviel  ob  Knabe  oder  Mädchen.  Waise 
geworden,  dann  ist  es  schön,  wenn  ein  Bruder'-),  der  kein  Kind  hat,  sich  des 
Waisen  annimmt  und  ihn  an  Kindesstatt  hält.  Hat  er  einen  heiratsfähigen, 
altersgleichen  Sohn,  so  möge  er  das  (adoptierte)  Waisenmädchen  ihm  zur  Ehe 
geben.  Die  solches  tun,  vollbringen  ein  großes  Werk,  indem  sie  Waisenväter 
werden,  und  von  Gott  dem  Herrn  werden  sie  für  solchen  Liebesdienst  den 
Lohn  erhalten."  —  Die  Waisenfürsorge  wurde  besonders  den  Bischöfen  ans 
Herz  gelegt.  Die  Bischöfe  sollten  den  Waisen  die  Eltern  ersetzen,  damit  es 
ihnen  an  nichts  gebreche.  Für  die  Mädchen  sollte  gesorgt  werden,  bis  sie 
heiratsfähig  wären  und  einem  „Bruder'',  d.  h.  einem  Christen,  zur  Ehe  gegeben 
werden  könnten.  Die  Knaben  soll  man  nicht  nur  aufziehen,  sondern  sie  auch 
ein  Handwerk  lehren  und  dann  die  nötigen  Mittel  zum  Ankauf  des  Handwerks- 
zeuges geben,  damit  sie  niemand  mehr  in  Anspruch  nehmen  brauchten,  sondern 
sich  selbst  fortbringen  konnten3). 

Schon  im  alten  Testament  tritt  die  Fürsorge  für  die  Waisen  wohltuend 
in  den  Vordergrund.  Das  2.  Buch  Mose  22,  22  mahnt:  „Witwen  und  Waisen 
sollt  ihr  nicht  beleidigen."  —  Am  Fest  der  Laubhütten  sollte  der  alttesta- 
mentliche  Hebräer  auch  Waisen  und  Witwen  zu  Tisch  laden  (V.  Mos.  16,  14), 
und  von  dem  Zehuten,  der  alle  drei  lahre  von  allen  Früchten  gegeben  wurde, 
sollten  wiederum  die  Waisen  und  Witwen  einen  Teil  erhalten  (V.  Mos.  26,  12). 
„Hätte  ich  allein  gegessen  meinen  Bissen,  und  nicht  die  Waise  davon  mit- 
gegessen, hätte  ich  wider  die  Waise  meine  Hand  erhoben,  weil  ich  im  Thore 
meinen  Beistand  sali,  so  falle  mir  die  Schulter  vom  Nacken  und  gebrochen 
werde  mein  Arm  in  der  Röhre,"  heißt  es  bei  Hiob  31.  17,  21  und  22. 

In  Y einen  erhalten  unmündige  Kinder  nach  dem  Tod  ihres  Vaters  dessen 
nächsten  Verwandten  zum  Vormund,  und  ist  ein  Verwandter  nicht  da,  die 
örtliche  Behörde.  -  -  Der  Vormund  hat  über  sein  Mündel  Vaterrechte,  die  sich 
aber  nicht  auch  auf  dessen  Vermögen  erstrecken  (Mamoni). 

In  Arabia  Petraea  wird  der  sterbende  Vater  unmündiger- Kinder  auf- 
gefordert, diesen  einen  Vormund  zu  bestellen.  Die  üblichen  Formeln  bei  Auf- 
stellung des  Vormundes  sind  bei  verschiedenen  Stämmen  verschieden.  Die 
der  cAmärin  übersetzte  Musil  folgenderweise:  „0  N.,  ich  vertraue  dir  meine 
Familie  an.     Ihre  Sünden  auf  deinen  Nacken.''     Bei  den  Shür  lautet  sie:  „0 


')  Das   unverheiratete  Weib   gilt    demnach    im    altserbiseben  Familienreeht   als   lebens- 
länglich unmündig. 

2)  Ein  Bruder  in  Christo,  also  irgend  ein  (guter)  Christ,  gemeint. 

3)  Die   sog.    apost.  Constit,   d.    Üb.  Boxler,  Kempten  1H74.  IV,  1   u.  2. 


(368     Kapitel  Lill.     Fragmeatarische  Berichte  über  das  Schicksal  des  Waisen-  und  Stiefkindes. 

X..  meine  Familie  (lege  ich)  von  meinem  Nacken  auf  deinen  Nacken."  —  Bei 
den  Salajta  fordert  einer  der  Söhne  oder  Verwandten  den  Sterbenden  auf: 
,,Sieh'  uns  an!  Lege  unsere  Vergehen  auf  den  Nacken  eines  Mannes,  bevor  du 
stirbst,"  worauf  der  Sterbende  einen  mit  den  Worten  bestimmt:  ..Einen  Tauben- 
kranz lege  ich  von  meinem  Nacken  auf  deinen  Nacken.-'  —  Ist  der  zum  Vor- 
mund Au->Tsehene  nicht  anwesend,  so  ruft  der  Sterbende  bei  denShür  zwei 
Umstehende  zu  Zeugen  an,  daß  N.  nun  der  Vormund  seiner  Familie  sei.  — 
Bei  den  Saläjta  bevollmächtigt  der  Sterbende  einen  Mann,  den  gewählten 
Vormund  von  seiner  Wahl  in  Kenntnis  zu  setzen  (Musil). 

Der  sterbende  Wadschagga  unterstellt  seine  kleineren  Kinder  dem  Schatz 
seiner  erwachsenen  Söhne,  denen  er  zugleich  die  Sorge  um  ihre  Mutter1)  zur 
Pflicht  macht.  „Bereitet  er  (der  Sohn)  Dir  Trübsal,"  sagt  er  zu  seinem  Weib, 
..dann  werde  ich  es  sehen  (und  rächen)."  —  In  Ermanglung  erwachsener  Söhne 
bittet  der  Sterbende  einen  Freund,  sich  der  Kinder  väterlich  anzunehmen, 
was  freilich  oft  nicht  geschieht,  wie  B.  Outmann  mitteilt.  Schon_  mancher 
Vormund  habe  seine  Mündel  ermordet,  um  das  Erbe  in  seinen  Besitz  zu  bringen. 

Die  Waisen  reicher  Männer  führt  man  nach  Abschluß  der  Trauerzeit  zum 
Häuptling,  den  man  folgenderweise  anspricht:  ..Da  sind  Deine  Waisenkinder, 
die  Dir  jener  zurückließ.  Schirme  den  Stab'2),  den  er  dagelassen  hat."  — 
Dabei  übergibt  man  dein  Häuptling  ein  Bind  zum  Geschenk,  das  man  sofort 
schlachtet,  und  von  welchem  der  Häuptling  den  Kindern  Brust  und  Bauch 
verteilt.  Dann  entläßt  er  sie  wieder,  aber  die  Kinder  stehen  von  nun  an 
unter  seinem  besonderen  Schutz  {Gutmann). 

Bei  den  eingebornen,  sogenannten  wilden  Stämmen  auf  Formosa  nehmen 
sich  nach  dem  Tod  eines  Familienvaters  die  Verwandten  um  die  Waisen  und 
deren  Mutter  in  aufopfernder  Weise  an  (IT.  Müller). 

Auf  Yap  gilt  der  Bruder  des  Erblassers  als  gesetzlicher  Vormund  von 
dessen  Kindern.  —  Über  blödsinnige  Kinder  können  auch  deren  ältere  Brüder 
nach  dem  Tod  des  Vaters  Vormundschaft  ausüben  {Senjf't). 

Über  Australien  bemerkte  Plofi*),  daß  die  nächsten  Verwandten  eine 
Art  Vormundschaft  und  die  Sorge  für  die  Familie  eines  Verstorbenen  zu  über- 
nehmen haben. 

Im  jetzigen  Japan  werden  Vollwaisen  gewöhnlich  von  „irgend  einer" 
Familie  adoptiert.  Früher  scheinen  sie  in  milden  Stiftungen  untergebracht  worden 
zusein,  deren  es  in  Japan  schon  bald  nach  Einführung  des  Buddhismus  viele  a;ab. 
Diese  Stiftungen  waren  durch  ein  kaiserliches  Edikt  ins  Leben  gerufen  worden, 
erwiesen  sich  aber  im  Laufe  der  Zeit  nicht  als  zweckdienlich,  insofern  sie 
von  gewissenlosen  Leuten  mißbraucht  wurden  (K.  Ringe  M.  Hirai)*).  — 

Kali  im  alten  Japan  Waisenmädchen  von  ihren  Verwandten  zu  Prostitutions- 
zwecken verkauft  werden  durften,  ist  in  i;  313  erwähnt  worden. 

In  China  wird  nach  dem  Tod  eines  Familienvaters  dessen  Gattin  das 
Haupt  der  Familie.  Zu  ihren  Lebzeiten  erhalten  die  Kinder  nur  dann  innen 
Vormund,  wenn  die  Mutter  die  Verantwortung  nicht  allein  übernehmen  will. 
Nach  ihrem  Ableben  gehl  die  patria  potestas  auf  den  ältesten  Sohn  über. 
sterben  beide  Eltern  mit  Hinterlassung  von  Kindern  unter  sieben  Jahren, 
dann  muß  der  nächste  männliche  Verwandte  des  gleichen  Familiennamens  die 
Vormundschaft  übernehmen.     Ein  Verwandter  mit  einem  andern  Familiennamen 


'i   Bzw.   Mütter,  wenn  polygam  verheiratet, 

2)  Der  Stab  als  Zeichen  der  Begattung,  z.  B.  im  alten  Arabien,  ist  in  diesem  Werk 
früher  erwähnt  worden.     Hier  ist   er  wohl  ein  uuserni  Stammbaum  ähnliches  Bild. 

3I  L'.    Aull.   II.  334   (nach    /•'.   '  'liris/imiiiii).  ohne   Angabe  des   Stammes. 

M  Der  Baddhapriester  Hirai  will  schon  im  7.  .lahrh.  v.  Chr.  von  mildtätigen  Stiftungen 
durch  buddhistischen  Einfloß  wissen,  obschon  Buddha  erst  um  die  Jlitte  des  6.  .lahrh.  lm'- 
boren  wurde, 


§  353.     Das  Waisenkind.     Vormundschaft. 


669 


kommt  nur  dann  in  Betracht,  wenn  kein  Verwandter  des  gleichen  Familien- 
namens mehr  vorhanden  ist.  Der  Vormund  verwaltet  das  Vermögen  der 
Kinder,  zieht  die  Nutznießung-  davon  und  übt  zeitlebens  die  vollen  Rechte 
eines  Vaters  aus.  Doch  bleibt  den  Kindern  ihr  Vermögen  als  Eigentum 
(Jos.  Grunzet). 

Das  Schicksal  mancher  Waisen  ist  auch  in  China  kein  beneidenswertes, 
das  geht  aus  der  folgenden  Äußerung  Lord  William  Ceeils  nach  seinem  Besuch 
dortiger  Waisen-  und  Findelhäuser  hervor,  welche  von  katholischen  Missions- 

schwestern    geleitet    werden: 

„Es  war  ergreifend  zu  sehen," 
schrieb  er,  „wie  diese  armen 
Kleinen,  von  den  eigenen  Müt- 
tern verlassen,  zu  den  Frauen 
einer  andern  B  asse  auf  seh  auten, 
die  an  ihnen  Mutterstelle  ver- 
treten. Viele  dieser  Kleinen 
tragen  noch  deutlich  die  Spuren 
der  grausamen  Mißhandlungen, 
die  sie,  vor  ihrer  Aufnahme 
durch  die  Schwestern,  erlitten 
hatten."  (Die  kath.  Miss.) 

Zwei  T  u  r  k  e  s  t  a  n  e  r 
Sprichwörter  über  Waisen 
lauten:  „Eine  Waise  ohne 
Mutter  ist  nichts  wert,  eine 
Waise  mit  einer  Mutter  — 
ein  Blümchen."  —  „Wenn  du 
ein  verwaistes  Lämmchen  auf- 
fütterst, wird  Mund  und  Nase 
bei  dir  im  Fette  sein  (wenn 
du  es  schlachtest);  wenn  du 
aber  einen  Waisenknaben  er- 
ziehst, wird  er  dir  Nase  und 
Mund  mit  Blut  beschmieren 
(undankbar,  frech  sein)"  (N. 
von  Seidlitz). 

Bei  den  Kirgisen  ent- 
ledigen sich  manche  Vorm  ünder 
vonKnaben  ihrer  Mühewaltung, 
indem  sie  ihre  Mündel  mit 
viel  älteren  Mädchen,  oder  mit 
Weibern  verheiraten,  damit 
diese    für    die   Knaben  Sorge 

tragen.  Mrs.  Atkinson  kannte  einen  neuvermählten  Knaben,  ein  pures  Kind, 
dessen  Gattin  etwa  dreißig  Jahre  zählte.  Der  Knabe  ließ  sich  von  ihr  zurecht- 
weisen, wie  ein  Kind  von  seiner  Mutter. 

Bei  den  Jakuten  vertritt  beim  Ableben  des  Familienhauptes  ein  er- 
wachsener Sohn  Vaterstelle  an  seinen  unmündigen  Geschwistern.  Er  muß 
dafür  sorgen,  daß  sie  selbständig  werden  und  sich  verheiraten.  Bis  dahin 
dienen  sie  ihm  ohne  andern  Lohn.  Ist  ein  erwachsener  Sohn  nicht  vorhanden, 
so  scheint  die  Witwe  Familienoberhaupt  zu  werden;  denn  Middendorff  bemerkt, 
man  stelle  verschwenderischen  Witwen  zugunsten  der  unmündigen  Kinder 
Kuratoren  zur  Seite. 


Fig.  4j 


Japanerin  mit  Kind.    Im  K.  Ethnographisoheu  Museam 
in  M  iinchen. 


t}70      Kapitel  LI1L     Fragmentarische  Berichte  über  das  Schicksal  des  Waisen-  und  Stiefkindes. 

Bei  den  Samojeden  übernehmen  gewöhnlich  die  Verwandten  die  Sorge 
für  die  Waisen,  kleiden  und  ernähren  sie,  auch  wenn  diese  ganz  arm  sind. 
Haben  die  Kinder  Vermögen,  so  wird  dieses  von  den  Vormündern  gewissenhaft 
verwaltet  und  den  Kindern  nach  erreichter  Mündigkeit  mit  dem  Zuwachs  an 
Vieh  und  Geld  herausgegeben.  Können  die  Verwandten  die  "Waisen  nicht 
selbst  zu  sich  nehmen,  dann  übergeben  sie  sie  einem  Bekannten,  der  für  den 
Unterhalt  jährlich  eine  bestimmte  Anzahl  Renntiere  erhält  (P.  von  Steniri). 

Auch  unter  den  Eskimos  gibt  es  mitleidige  Herzen  für  Waisen :  Astrup 
erwähnt  einen  kleinen  Waisenknaben  namens  Kadluktu,  der  in  seinem  Stamm 
am  Smith-Sund  zwar  kein  ständiges  Heim  hatte,  bald  in  dieser,  bald  in 
jener  Familie  lebte,  aber  überall  liebevoll  behandelt  wurde. 

Das  Los  der  Waisen  bei  den  nördlichen  Dene-Indianern  (Tinneh) 
schildert  A.  G.  Moriee:  In  den  Augen  der  Dene  hatte  das  Waisenkind,  wie 
die  Witwe,  der  Greis  und  die  Greisin  kaum  Menschenrechte.  Es  wurde  nicht 
bloß  das  factotum,  sondern  der  regelmäßige  Sklave  seiner  neuen  Herren,  d.  h. 
derer,  die  es  zu  sich  genommen,  und  waren  das  auch  die  eigenen  Verwandten. 


Fig.  4C0.    Chinesische  Yamen-Dieiier.    Miyün,   nördlich  von  Peking.  —  Mit  Erlaubnis  S.  K.  n.  Prinz 
RuppreeM  von  Bayern.     Im  K.  Ethnogr.  .Mus.  um  in  München. 

Mißhandelt,  schlecht  genährt,  halb  nackt  und  zu  immer  größeren  Anstrengungen 
gedrängt,  obgleich  es  sich  selbst  zu  Tode  arbeitete  -  das  war  sein  unver- 
meidliches Los.  Der  Begriff  Waise  hat  bis  auf  den  heutigen  Tag  einen  be- 
leidigenden Beigeschmack. 

Anders  verhielt  es  sich  mit  jenen  Halbwaisen  der  Nordindianer,  deren 
Mütter  von  ihren  Ehemännern  zu  deren  Lebzeiten  zeitweilig  ausgetauscht 
worden  warm.  Starb  ein  solcher  Mann,  dann  hielt  sich  der  Hinterbliebene 
für  verpflichtet,  die  Waisen  zu  ernähren  (Hearne)1). 

Eine  beachtenswerte  Waisenfürsorge  ist  von  den  alten  Kulturvölkern 
Amerikas  bekannt:  Im  Inkareich  kamen  die  Produkte  jenes  Drittels  aller 
ertragsfähigen  Ländereien,  welches  der  Sonne2)  gehörte,  den  Waisen,  Witwen. 
Utersschwachen  und  Annen  zugute.  In  jedem  Ort  gab  es  Beamte,  welche 
die  Nutzbarmachung  dieses  Drittels  und  die  rechtmäßige  Verteilung  Beiner 
Erzeugnisse  zu  beaufsichtigen  hatten.  Diese  Beamten.  I,;ictacainavu  genannt, 
kündigten  den  jeweiligen  Beginn  der  Feldarbeiten  für  die  Hilfsbedürftigen  in 


')  Die  Blutrache,   welche    bei    den   Nordindianeru    und  bekanntlich  bei  einer  Reihe 
anderer  Völker  sich  \ li    chlecht      i  Geschlecht   Fortpflanzt,  erlosch  bei  den  Nordindianero, 

wenn   es  sich    um    einen    Waisen    handelte,   mit    dessen   Tod. 

')  Die  Sonne,  als  Vater  des  ersten  Inka,  kennen  wir  bereits  ans  einem  früheren  Kapil   1. 


§  353.     Das  Waisenkind.     Vormundschaft. 


671 


den  Straßen  ihres  Reviers  jedesmal  einen  Tag  vorher  an  und  forderten  die 
Einwohner  zu  möglichst  zahlreicher  Beteiligung  auf.  Jede  Familie  stellte 
dann  ihr  Kontingent  an  Utensilien  und  Arbeitskräften  zur  Verfügung.  --  Die 
Waisen  der  im  Krieg  Gefallenen  wurden  auf  Staatskosten  erzogen  und  dann 
verheiratet  (Siotdstral).  — 

Bezeichnend  für  die  Waisenfürsorge  im  alten  Mexiko  ist  die  Mitteilung 
Torquemadas,  daß  Vormünder,  die  sich  in  der  Verwaltung  des  Vermögens  ihrer 
Mündel  gewissenlos  erwiesen,  aufgehängt  wurden. 

Auch  die  Maya-Völker  stellten  für  minderjährige  Erben  Vormünder 
auf.  Diese  erhielten  für  ihre  Mühen  Entgelt  aus  dem  Vermögen  ihrer  Mündel 
(Bancroft). 

Bei  den  brasilianischen  Karaja-Indianern  werden  die  Waisenkinder 
vom  Bruder  der  Mutter1)  aufgezogen  und 
unterhalten  (Frifz  Krause), 

Von  Martius  dagegen  fand  bei  den 
„Wilden"  Brasiliens  „keine  Spur  von 
Vormundschaft"  für  verwaiste  Kinder.  Der 
Häuptling  hatte  keine  Aufsicht  über  sie; 
gewöhnlich  wurden  sie  zwar  von  Ver- 
wandten oder  Nachbarn  aufgenommen,  aber 
viele  blieben  sich  selbst  überlassen  und 
starben  infolge  äußerster  Vernachlässi- 
gung2). 

Die  Fürsorge  für  mutterlose  Säug- 
linge in  Paraguay  ist  bereits  früher  er- 
wähnt worden.  Die  AVeiber  des  Stammes, 
welche  Milch  haben,  wetteifern,  um  das 
Kind  zu  bekommen,  es  nicht  nur  zu  stillen, 
sondern  auch  um  es  wie  ein  eigenes  auf- 
zuziehen (Juan  de  Escandoii) :!). 

Eine  für  die  Weißen  nicht  eben  ehren- 
volle Mitteilung  liegt  mir  über  das  Schicksal 
mancher  Waisenkinder  von  Bolivia  vor. 
Chr.  Nusser  schreibt  nämlich,  daß  dortige 
'Weiße  sich  bisweilen  für  die  Schulden 
verstorbener  Indianer  dadurch  entschädigen, 
daß  sie  sich  der  hinterlassenen  Waisen  Fig.  «1 
bemächtigen,  wenn  diese  die  Schuld  ihrer 
Eltern  nicht  tilgen  können;  oder  „die 
zarten  Geschöpfe  sind  die  Kriegsbeute  roher  Soldaten,  wenn  bei  einem  Auf- 
stand das  Schwert  ihre  Ernährer  weggefressen  hat".  — 

Dem  Abschluß  dieses  engbegrenzten  Kapitels  möge  je  ein  lettisches  und 
ein  estnisches  Waisenlied  in  der  Übersetzuno:  von  .4.  C.   Winter  folgen: 


Eskim o  -  Familie.      Westliches 
Grönland.      Nansen   phot.     Im    Museum    für 

Völkerkunde  in  Leipzig. 


I.  Lettisches  "Waisenlied: 

„War  noch  klein,  als  ich  die  Mutter 

Sah  zur  Pfort?  hinausgetragen. 

Lief  ihr  nach  —  nicht  holt  ich  ein  sie, 

Rief  nach  ihr  —  sie  hört'  mich  nicht! 

Jetzt  hab'  ich,  die  Herde  hütend, 

Ihre  Ruhstatt  aufgefunden. 

Auf  dem  Berg  im  gelben  Sande, 


')  Also  auch  hier  Zugehörigkeit  des  Kindes  zum  Stamm  der  Mutter  (vgl.  Kap.  LI) 

2)  Floß  H,  409. 

s)  Derselbe  II.  147. 


672      Kapitel  LI II.     Fragmentarische  Berichte  über  das  Schicksal  des  Waisen-  und  Stiefkindes. 


Unter  dichtem,  grünem  Käsen 1). 

"Weinend  setzte  ich  mich  nieder 

An  der  Mutter  Grabesrand. 

Bist  zu  früh  zur  Kuh  gegangen, 

Eh  dein  Kind  du  ausgestattet: 

Ohne  Brot  geh'  ich  zur  Hütung, 

OhDe  Mitgift  in  die  Fremde. 

Stehe  auf.  mein  Mütterlein! 

Werd'  die  Rasendecke  lüften, 

Du  hast  lange  schon  geschlafen, 

Viel  hab'  Tränen  ich  geweint."  — 

„Kann  nicht  aufstehn,  Töchterlein, 
Liege  unter  drei  Verschlüssen: 
Gelber  Sand  bedeckt  die  Augen, 
Meine  Brust  beschwert  der  Käsen, 
Meine  Glieder  ruhn  gefesselt 
Von  des  Birkeubaumes2)    Wurzeln! 
Weine  nicht,  mein  Töchterleiu, 
Gott3)  ist  armer  Waisen  Vater, 
Laima*)  ihre  liebe  Mutter, 
Ihre  Brüder  —  Gottes  Söhne6)."  — 

II.  Estnisches  Waisenlied. 

,.Wck',  ihr  armen   Waisenkinder. 
Mütterchen,  vom  Baum  gebrochen, 
Unbeschützte,  irre  Schaf  lein! 
Hart  die  Hand  der  Fremden  lastet, 
Kalt  und  strenge  straft  der  Brotherr, 
Mitleidlos  der  Mitknecht   höhnet. 
Schlecht  euch  schützenBettlerlumpen, 
Euer  täglich  Brot  sind  Tränen. 
Keines  Vaters  Hand  euch  hütet, 
Keiner  Matter  Lächeln  lohnet; 
Blauer  Himmel  nur  euch  hütet, 
Lind  euch  lächelt  Gottes  Sonne."  — 

§  354.     Das  Stiefkind 
(Fragmente). 

In  Daur,  nordwest- 
liches Grenzgebiet  von  Bri- 
tisch-] ndien,  haben  Stief- 
kinder kein  Anrecht  auf  den 
Nachlaß  ihresStiefvaters,wobJ 
aber  auf  ihren  Lebensunterhalt 
ImKurram-Tal  kann  derStief- 
vater  ihnen  sogar  auch  den 
Lebensunterhalt  versagen,  wenn 
er  sich  bei  seiner  Eheschließung 

nicht  eigens  dazu  verpflichtel  hat.  was  aber  in  der  Regel  geschieht  (H,  A.  Rose). 
Aul  Nauru  im  stillen  Ozean  erben  die  Stiefkinder  das  Vermögen   der 

Mutter  (.hnig). 


Fig    (82.    Kinderspielzeug  bei  den  I.engu:i -Indianern  im 

nordUchen   Chaoo   von   Paraguay       hu    Museum  I.  K.  H. 

Prinzessin  Thert  •>       n   ';  yern. 


si  Hierzu  bemerkt  Winter:  „Noch  im  vorigen  (18.)  Jahrhundert  klagten  die  Prediger 
über  die  ,. Huschbegräbnisse  der  Unteutschen" ;  denn  Letten  und  Esten  umgingen  gern 
das  Bestatten  ihrer  Leichen  auf  christlichen  Friedhöfen  und  begruben  sie  heimlich  an  ihren 
alten  heidnischen  Grabstätten  tief  im   Walde  oder  auf  dem  Felde." 

-i    VgL  die  Birke  als  heiliger  Baum  der  .Mordwinen  in  S;  27"). 

3)  Nach  einer  Anmerkung  Winters  steht  im  lettischen  Texte:  „Deews"  i  Wurzel  ..div"  = 
leuchten,  wie  bei  Zeus  und  Dyaus  pitar), 

')  Laiina  ist  die  Schicksalsgöttin. 

<>i  „Gottes  Söhne"  [Deewu  dehli).  obwohl  in  den  lettischen  Liedern  häufig  vorkommend, 
sind  noch   nicht  befriedigend  gedeutete,   mythische   Gestalten   (Winter). 


§  354.     Das  Stiefkind  (Fragmente). 


673 


Ähnlich  ist  es  im  altserbischen  Familienreeht.  Geht  hier  der  über- 
lebende Mann  eine  neue  Ehe  ein,  so  hat  er  den  Kindern  aus  erster  Ehe  auf 
deren  Wunsch  den  ganzen  Nachlaß  ihrer  Mutter  auszuhändigen.  Zudem  ist 
er  aber  auch  verpflichtet,  die 
Kinder  bei  sich  in  der  neuen  Ehe 
zu  behalten  und  zu  unterhalten, 
so  lange  er  die  Teilung  der  Dedo- 
vina1)  nicht  vornimmt,  oder  die 
Kinder  nicht  verheiratet  und  aus- 
gesteuert aus  dem  Hause  ge- 
schieden sind.  Zuwendungen  aus 
dem  mütterlichen  Nachlaß  zu- 
gunsten der  Stiefmutter  können 
die  Kinder  ihrem  Vater  verbieten. 
—  Die  Kinder  erster  Ehe  gelten 
durch  den  Abschluß  einer  rechts- 
gültigen zweiten  Ehe  dem  neuen 
Ehemann,  bzw.  Eheweib,  als  adop- 
tiert (Milovanovitsch). 

Bei  den  mohammedani- 
schen Serben  gelten  Stief- 
geschwister rechtlich  nicht  als 
Verwandte,  sondern  als  Freunde 
(Milovanovitsch). 

Von  den  Huzulen.  Slawen 
an  den  nordöstlichen  Abhängen  der 
Karpatheu,  teilt  Kaindl  mit,  daß 
durch  die  rechtliche  Zurücksetzung 
der  Stiefkinder  hinter  den  leib- 
lichen Kindern  viel  Streit  ent- 
stehe. — 

In  China  beerben  Stiefsöhne 
ihren  Stiefvater  nicht,  haben  aber 
ein  Anrecht  auf  das  Vermögen, 
welches  ihre  Mutter  in  die  Ehe 
brachte  (Jos,   Grwnzel). 

Die  Ostjaken  scheinen  ein 
Recht  über  Leben  und  Tod  ihrer 
Stiefkinder  zu  haben:  Castren  er- 
wähnte nämlich  in  seinen  Reise- 
briefen einen  Ostjaken  von  Surgut,  der  sein  Stiefkind,  einen  Knaben,  töten 
wollte,  dann  auf  Bitten  seines  Weibes,  der  Mutter  des  Knaben,  das  zwar 
unterließ,  ihn  aber  dafür  am  Ufer  des  Jugan  aussetzte.  — 


Fig.  403.    Kinderpuppe  bei  den  Kaingang-Indiauern  im 

Grau  Chaco.     Im  Museum   I.   K.  H.  Prinzessin   Therese 

von  Bayern. 


')   Das   vom  Großvater   und   der  Großmutter  väterlicherseits  Geerbte,   auf  welches   die 
Enkel  ein  Anrecht  haben  (Milovanovitsch.  S.  63). 


Ploß-Renz,  Das  Kind,    s    Aufl.     Bandit. 


43 


Kapitel  L1V. 

Das  Adoptiv-,  Pflege-  und  Ziehkind. 

§  355.  Der  Wunsch  nach  Kindern,  dem  Kapitel  I  gewidmet  war. 
kommt  auch  in  der  Adoption  vielfach  zum  Ausdruck.  Wo  eigene  Kinder, 
oder  doch  Söhne,  fehlen,  sucht  man  einen  bestmöglichen  Ersatz  dafür,  indem 
man  ein  fremdes  Kind,  meist  einen  Knaben,  in  sein  Haus  aufnimmt  und  ihm 
die  Rechte  und  Pflichten  zuspricht,  welche  ein  leibliches  Kind,  ein  eigener 
Sohn,  im  Recht  und  Brauch  des  betreffenden  Volkes  genießt  und  zu  erfüllen 
hat1).  Die  Adoption  eines  Sohnes,  trotz  vorhandener  Töchter,  hängt  vielfach 
mit  dem  Ahnenkult  und  dem  Erbrecht  zusammen.  Wo  Opfer  für  die  Toten 
zu  deren  jenseitigem  Glück  nötig  sind,  wo  solche  Opfer  aber  nur  von  leiblichen 
oder  adoptierten  Söhnen,  oder  doch  nur  von  männlichen  Verwandten  gebracht 
werden  dürfen2);  wo  die  Töchter  gar  nicht,  oder  doch  keine  Immobilien, 
wenigstens  keinen  Grundbesitz  erben,  wo  sie  den  Stammbaum  nicht  fortsetzen 
können,  da  schreitet  man  gewissermaßen  schon  aus  Not  zur  Adoption.  Die 
Osseten,  Iranier  im  Kaukasus.  Koreaner,  Japaner.  Chinesen  und  Siameseu  sind 
solche  Beispiele. 

Adoption  ist  aber,  selbst  von  diesen  Verhältnissen  abgesehen,  vielfach 
gebräuchlich.  Man  will  seine  Eamilie  vermehren,  sei  es  um  mehr  Arbeits- 
oder Wehrkräfte  zu  bekommen,  sei  es  ans  andern  Gründen,  von  denen  mir 
leider  nur  vereinzelte  vorliegen. 

;j  :>.j7  macht  uns  ferner  mit  Adoptionen  bekannt,  bei  denen  weniger  der 
Wunsch  nach  Kindern,  als  die  barmherzige  Liebe,  die  Caritas,  in  den  Vorder- 
grund tritt.  Man  erbarmt  sich  mutter-,  vater-,  elternloser  Waisen  oder  über 
Kinder  erwerbsunfähiger  Eltern:  man  rettet  Kinder  aus  den  Mörderhänden 
der  eigenen  Eltern  und  nimmt  sie  an  Kindes  Statt  in  das  eigene  Haus  auf. 
Auch  in  diesem  Sinne  finden  wir  die  Adoption  auf  sehr  niederen  Kulturstufen, 
z.  B.  bei  den  Neumecklenburgern  in  der  Südsee.  bei  Australiern  und  Eskimos. 

Dunkel  ist,  meines  Wissens,  noch  das  Motiv  der  Karolinen-Insulaner  bei 
der  Adoption  fremder  Kinder  und  der  Weggabe  der  eigenen.  Zwar  scheint 
die  Mitteilung  über  die  Bugis  auf  Celebes  (§  360),  welche  einer  Verzärtelung 
der  eigenen  Kinder  zuvorkommen  wollen,  einiges  Licht  darauf  zu  werfen,  aber 
diese  Erklärung  stimmt  nicht  mit  Sempers  Versicherung,  daß  das  Verhältnis 
zwischen  den  Adoptiveltern  und  Adoptivkindern  auf  den  Palau-lnseln  (östliche 
Carolinen)  ebenso  liebevoll  sei  wie  jenes  zwischen  filtern  und  deren  leib- 
lichen Kindern. 

Die  tief  einschneidenden  Folgen  einer  Adoption  für  die  daran  direkt 
und  indirekt  Beteiligten  hat  manche  Völker,  selbst  auf  relativ  niederen  Kultur- 


i)  Bei  den  alten  Griechen   galten  jedoch  die  Adoptivkinder   nicht  für  legitime  Kinder. 
(Ploß  II.    100.) 

'     Vgl.  S.  2C0. 


§  355.     Das  Adoptiv-,  Pflege-  und  Ziehkind.  (575 

stufen,  veranlaßt,  ganz  bestimmte  Richtlinien  zu  ziehen,  nach  welchen  eine 
Adoption  gestattet  ist.  So  finden  wir  in  §  359  Adoption  bei  den  Osseten  nur 
in  Ermanglung  von  Söhnen  und  männlichen  Verwandten  (und  nach  Blutfehden) 
erlaubt;  in  Attika  nur  in  Ermanglung  von  Söhnen;  im  nördlichen  Gallien 
(Kelten)  zwar  neben  eigenen  Söhnen,  aber  nur  aus  der  Familie  einer  Tochter 
und  unter  Zustimmung  der  eigenen  Söhne;  bei  den  alten  Iren  (Kelten)  nur 
mit  der  Zustimmung  aller  vier  Verwandtschaftsgruppen  der  adoptierenden 
Familie:  in  China1)  nur  aus  einer  gleichnamigen  Familie  usw. 

Andererseits  sucht  das  Gemeinwesen  das  zu  adoptierende  Kind  sicher  zu 
stellen,  damit  dieses  nicht  etwa  nach  Willkür  behandelt  und  später  wieder  ver- 
stoßen werden  könne.  Solchen  Mißbrauchen  stand  schon  im  alten  Babylonien 
Bammurabis  Gesetz  entgegen,  das  aber  auch  auf  den  Undank  der  Adoptiv- 
und  Pflegekinder  strenge,  ja  barbarische  Strafen  setzte. 

Am  deutlichsten  tritt  die  Innigkeit  des  Verhältnisses,  welches  man 
zwischen  den  Adoptiveltern  und  Adoptivkindern  herbeiführen  will,  bei  jenen 
Völkern  hervor,  welche  die  Adoption  unter  dem  Symbol  der  Geburt, 
bzw.  des  Säugens,  vornehmen.  Das  vorliegende  Kapitel  führt  als  solche 
Völker  die  Osseten,  alten  Kömer  (und  Griechen?),  die  alten  Äthiopier,  die 
Tscherkessen,  bosnischen  Türken  und  Bulgaren,  sowie  die  Sarawak-Dayaken 
auf  Borneo,  also  Vertreter  der  indo-europäischen,  kaukasischen,  ural-altaischen 
und  malayi.-chen  Völkerfamilien  an'2). 

Es  gibt  sogar  Völker,  welche  die  Adoptivkinder  über  die  eigenen  setzen. 
In  gewissem  Sinn  scheinen  die  Karolinen-Insulaner,  trotz  ihrer  großen  Kindes- 
liebe, hierher  zu  gehören,  insofern  sie  eben  ihre  eigenen  Kinder  weggeben 
und  durch  fremde  ersetzen.  Ausdrücklich  erwähnt  aber  ist  jene  Bevorzugung 
in  §  359  von  den  afrikanischen  Fulben  und  den  Sarawakern.  Das  Verheiratungs- 
recht, welches  der  Adoptivsohn  in  Arabia  Petraea  über  die  Töchter  seines 
Adoptivvaters  hat,  ist  wohl  nur  eine  Form  der  rechtlichen  Bevorzugung  der 
Adoptivsöhne  vor  den  eigenen  Töchtern,  sowohl  hier  als  bei  allen  jenen 
Völkern,  welche  das  weibliche  Geschlecht  lebenslänglich  bevormunden,  sei  es 
inner-  oder  außerhalb  der  Ehe. 

Das  Verhältnis  zwischen  Eltern  und  ihren  eigenen,  zur  Adoption  in 
andern  Familien  weggegebenen  Kindern  ist  bei  verschiedenen  Völkern  ver- 
schieden: Während  Attika  eine  spätere  Rückkehr  ins  elterliche  Haus  nach 
Erzeugung  eines  Eiben  für  das  Haus  seiner  Adoptiveltern  gestattete,  darf  auf 
Jap  das  Adoptivkind  nur  im  Falle  seiner  Mißhandlung  zurückverlangt  w7erden, 
und  während  in  China  das  Recht  des  eigenen  Vaters  auf  das  Kind  mit  dessen 
Adoption  durch  einen  andern  Mann  aufhört,  räumt  Japan  beiden  Eltern- 
paaren auf  die  Erziehung  eines  Adoptivsohnes  Rechte  über  dessen  Erziehung 
bis  zum   15.  Lebensjahr  ein. 

Das  attische  Verbot,  die  natürliche  Mutter  zu  verleugnen  (§  359),  beweist, 
daß  in  Attika,  trotz  mancher  Zurücksetzung  des  weiblichen  Geschlechtes  im 
allgemeinen,  die  Mutterschaft  doch  in  hohem  Ansehen  stand. 

')   Mit  Ausnahme  von  Findlingen? 

)  Vgl.  die  Symbole  der  Wiedergeburt  in  früheren  Kapiteln,  z  B.  bei  der  Haarschur, 
Namengebung,  Beschneidung  usw.  Auch  das  Durchkriechen  und  Durchziehen  als  Heilritus 
soll  ein  Symbol  der  Wiedergeburt  sein.  Zachariae  und  Liebrecht  faßten  es  als  solches  auf. 
Dieser  erinnert  zugleich  an  das  Schreiten  durch  das  geteilte  Opferlamm  mit  der  gleichen 
Bedeutung,  und  an  eine  symbolische  Wiedergeburt  in  Indien,  wo  sich  derjenige,  der 
symbolisch  wiedergeboren  werden  will,  in  eine  goldene  Kuh  einschließen  und  durch  die 
Geburtsteile  derselben  herausziehen  läßt.  Ferner  verwies  Liebrecht  auf  einen  von  Plutarch 
überlieferten  griechischen  Braueh:  Ein  Totgesagter,  für  den  die  Bestattungsriten  in  assentia 
vollzogen  worden  waren,  galt,  wenn  er  wider  Erwarten  zurückkehrte,  so  lange  für  unrein, 
bis  er  eine  symbolische  Wiedergeburt  durchgemacht  hatte,  d.  h.  er  mußte  durch  den  Schoß 
eires  Weibes  gehen,  sich  waschen,  in  Windeln  wickeln  und  säugen  lassen.  (Th.  Zachariae: 
Scheingeburt.     In  Ztschr.  der  Ver.  f.  Völkerkunde.     20.  Jahrg.  (1910),  S.   144  ff.) 

43* 


G76  Kapitel  LIV.     Das  Ädoptiv-,  Pflege-  und  Ziehkind. 

Bemerkenswert  ist  zweifellos,  daß  die  Adoption  in  allen  Völkerfamiließ 
der  Erde  nachweisbar  ist. 

Einen  Überblick  über  §  357  zu  geben,  dürfte  erläßlich  sein.  — 

§  356.     Das  Adoptivkind. 

Adoptionen  ans  Indien  und  bei  den  alten  Germanen  sind,  in  Ver- 
bindung mit  der  Zeremonie   der  Haarschur,  in  Kap.  XXXV  erwähnt  worden. 

Im  neuzeitlichen  Persien  ist  Adoption  durch  kinderlose  Eheleute  all- 
gemein üblich  (Rawlinsori).  —  Im  17.  Jahrhundert  berichtete  Delhi  Volle, 
man  habe  in  Persien  die  zu  Adoptierenden  nackt  in  das  Hemd  des  Adop- 
tierenden gesteckt,  sie  an  dessen  Fleisch  gelegt  und  dann  wieder  heraus- 
gezogen, gleichsam,  als  ob  sie,  wie  ein  leibliches  Kind,  aus  dem  eigenen  Leib 
herausgekommen  wären  (Zaehariae  nach  Della    Valle). 

Bei  den  Osseten  findet  Adoption  zunächst  bei  Ermanglung  von 
Söhnen  und  männlichen  Verwandten  statt.  Der  erstere  Fall  allein  genügt 
nicht,  um  adoptieren  zu  können,  da  die  Adoption  den  Osseten  nur  als  Not- 
behelf bei  Mangel  an  beiden  gilt.  Denn  nur  dann  könnte  der  Hauskult  nicht 
fortgesetzt  werden.  Das  ist  nach  Post-Kovalewsky  ossetischer  Grundsatz,  der 
aber  Ausnahmen  zu  erlauben  scheint,  da  Post-Kovalewsky  feiner  mitteilen: 
Gewöhnlich  finden  Adoptionen  beim  Friedensschluß  nach  einer  Blutfehde  statt, 
indem  aus  der  Familie  des  .Mörders  ein  Mitglied  zu  jener  des  Ermordeten 
übergeht '). 

In  Attika  kam  Adoption,  besonders  im  4.  Jahrb.  v.  Ohr.,  häufig  vor  in 
Familien,  wo  keine  Söhne  vorhanden  waren.  Man  wählte  den  zu  Adoptierenden 
mit  Vorliebe  aus  der  nahen  Verwandtschaft.  Nicht  selten  wurde  bei  der 
Adoption  die  Bedingung  gemacht,  daß  der  angenommene  Sohn  eine  der  Töchter 
des  Hauses  heiratete.  -  -  Kinder  von  Bürgern,  die  der  Atimie  verfallen  waren. 
adoptierte  man  nicht  gerne;  Wachsmut  vermutet,  daß  auf  einer  solchen 
Adoption  wiederum  die  Strafe  der  Atimie  lag.  Nach  Burchhardt  hielt  das 
Gesetz  eine  Adoption  nur  dann  für  gültig,  wenn  der  Adoptierte  weder  geistes- 
krank, noch  vor  Alter  kindisch,  noch  durch  ein  Zaubermitte]  betört,  noch  durch 
Weiberränke  verführt  war.  —  Die  zu  Lebzeiten  der  Adoptiveltern  Adoptierten 
hatten  den  Vorzug  vor  den  testamentarisch  Adoptierten.  —  Die  Ruchlosigkeil  des 
damaligen  Athen  soll  sich  bei  den  Adoptionen  entsprechend  gezeigt  haben.  - 
Adoptierte  Söhne  kehrten  unter  Umständen  wieder  in  ihr  väterliches  Haus 
zurück,  doch  durfte  das  nur  geschehen,  wenn  sie  dem  Hause,  das  sie  adoptiert 
hatte,  einen  Leibeserben  hinterließen.  Nach  einer  gesetzlich  korrekten  Rück- 
kehr  zum  Vaterhaus  konnten  solche  Söhne  ihre  Väter  beerben.  —  Kein 
Adoptierter  durfte  seine  natürliche  Mutter  verleugnen. 

In  Sparta  konnte  eine  Adoption  nur  vor  den  beiden  Königen  vor- 
genommen werden  (Hrroilot  VI,  57).  — 

Eine  wichtige  Rolle  spielte  die  Adoption  auch  im  alten  Rom,  wo  sie. 
ähnlich  wie  im  neuzeitlichen  Persien,  durch  Nachahmung  des  Geburtsaktes 
abgeschlossen  wurde.  Ohne  diese  Zeremonie  war  die  Adoption  un- 
gültig-), wie  denn  der  griechisch-römische  Mythus  die  Hera  (Juno)  selbst 
dieser  ..Sitte  der  Barbaren"  nachkommen  läßt.  Als  Zeus  die  eifersüchtige 
Hera  bewog,  den  Herkules  zu  adoptieren,  drückte  Hera  den  Helden  an  ihren 
Busen  und  ließ  ihn  durch  ihre  Gewänder  zur  Erde  fallen  [Frazer,  im  Hinweis 
auf  D'iodor). 


'  i  Vgl.  den  Indianerbrauch  am  Abschluß  dieses  Paragraphen. 
-)  Floß  II,  410. 


§  356.     Das  Adoptivkind.  Ö77 

Zu  einem  raffinierten  Mißbrauch  artete  die  Adoption  im  kaiserlichen 
Rom  aus,  nachdem  Privilegien  für  fruchtbare  Ehen  ausgesetzt  worden  waren. 
Kinder,  die  man  scheinbar  adoptierte,  wanderten  vou  Haus  zu  Haus  {Josef 
Müller). 

Über  Adoption  unter  den  Christen  der  ersten  Jahrhunderte  s. 
§  353.  —  In  der  Schweiz  gilt  die  Adoption  fremder  Kinder  noch  heute  als 
eine  Tat,  die  kinderlosen  Eltern  Gottes  Segen  erwirke,  indem  Gott  ihnen 
dazu  auch  leibliche  Kinder  schenke  (Hoff'mann-Kraijer). 

In  Serbien  ist  Adoption  selten.  Mädchen  adoptiert  man  in  früher 
Kindheit,  Burschen  erst  mit  15 — 16  Jahren,  weil  die  Adoptivväter  diese  bald 
verheiratet  sehen  wollen,  wie  Milovanovitsch  schreibt.  Die  Adoption  findet 
folgenderweise  statt:  Der  Adoptierende  ladet  den  Dorfältesten,  einige  Freunde, 
die  Eltern  des  zu  Adoptierenden  und  diesen  selbst  zu  Tisch.  Während  der 
Mahlzeit  steht  er  auf  und  hält  eine  Rede,  in  welcher  er  seinen  Entschluß 
mitteilt,  den  N.  au  Sohnes  Statt  anzunehmen.  Hierauf  küssen  sich  Adoptivvater 
und  Adoptivsohn,  womit  der  Vertrag  abgeschlossen  ist  (Wuk  Wrtschewitsch 
bei  Milovanovitsch).  —  In  Ragusa  gilt  Adoption  nur  dann,  wenn  sie  durch 
eine  Charta  publica  beurkundet  worden  ist.  —  Das  Adoptivkind  hat  im  alt- 
serbischen  Familienrecht  alle  Rechte  und  Pflichten  des  ehelichen  Kindes. 

Sehr  häufig  ist  Adoption  bei  den  ruthenischen  und  huzulischen  Land- 
leuten in  den  österreichischen  Karpaten1),  wie  R.  Fr.  Kaindl  mitteilt.  Die 
Adoptierenden  erwerben  dadurch  billige  Arbeitskräfte.  Indessen  bekommen 
die  Leute,  besonders  die  Rutheuen,  meist  nur  Waisenkinder,  da  die  Eltern 
sehr  an  ihren  Kindern  hängen  und  zudem  deren  Kräfte  selbst  zur  Arbeit 
brauchen.  -  ■  Das  Adoptivverhältnis  hebt  bisweilen  den  Verkehr  zwischen 
dem  Adoptivkind  und  dessen  wirklichen  Eltern  ganz  auf.  —  Ein  gerichtlicher 
Akt  ist  mit  der  Adoption  nicht  verbunden;  doch  treffen  manche  Ruthenen  mit 
den  Adoptiveltern  über  Kleidung  und  Ausstattung  der  Kinder  Vereinbarungen. 
Die  Adoptiveltern  sprechen  ihre  Adoptivkinder  als  Sohn  und  Tochter,  und 
diese,  jene  als  Vater  und  Mutter  an.  Ehen  zwischen  den  adoptierten  und  den 
leiblichen  Kindern  einer  Familie  kommen  selten  vor,  sind  aber  nicht  verboten. 
Bei  ihrer  Verheiratung  erhalten  die  Adoptivkinder  für  ihre  langjährige  Arbeit 
ein  kleines  Vermögen.  Kaindl  nennt  überhaupt  die  Adoption  bei  den  Huzulen 
und  Ruthenen  eine  Gesehäftssache.  — 

Das  alte  irische  Recht  verlangte  zu  einer  vollgültigen  Adoption  die 
Zustimmung  der  aus  vier  Verwandtschafts-Gruppen  bestehenden  Familie 
(fine)  und  die  Anwesenheit  der  ersten  dieser  Gruppen  (gelfine)  bei  den  münd- 
lichen Unterhandlungen,  welche  die  Adoption  zur  Folge  hatten.  Ein  auf  diese 
Weise  Adoptierter  hieß  mac  foesma,  d.  h.  Schützling  (fils  de  protection)  und 
hatte  Sohnesanteil  an  Haus  und  Grundbesitz.  —  War  bei  den  mündlichen 
Unterhandlungen  die  gelfine  nicht  zugegen,  dann  galt  die  Adoption  für 
unvollständig,  und  der  Adoptierte  hatte  kein  Anrecht  auf  das  Haus,  und  auf 
Grundbesitz  auch  nur  für  den  Fall,  daß  er  für  den  alten  Vater  wie  ein  Sohn 
sorgte.  H.  d'Arbois  vergleicht  die  vollgültige  Adoption  der  alten  Iren  mit 
jener,  welche  in  den  ältesten  Zeiten  Roms  Geltung  hatte,  wo  allerdings  das 
ganze  Volk  zustimmen  mußte. 

Im  nördlichen  Gallien  gestattete  das  Gesetz  nur  die  Adoption  eines 
Sohnes  von  einer  Tochter  des  gleichen  Hauses,  die  an  einen  Fremden  (also 
aus  dem  Vaterhaus  hinaus)  verheiratet  worden  war,  und  auch  diese  Adoption 


')  Erbberechtigt  scheinen  die  „Adoptierten"  hier  aber  nicht  zu  sein,  wie  aus  der  oben 
folgenden  Mitteilung  Kainäh  hervorgeht,  nämlich,  daß  sie  für  ihre  langjährige  Arbeit  ein 
kleines  Vermögen  erhalten,  wenn  sie  heiraten.  Demnach  genießen  sie  nicht  alle  Rechte  eines 
leiblichen  Kindes,   und   der  Ausdruck  Adoption   scheint   also   hier  nicht  ganz  zu  entsprechen. 


678  Kapitel  LIV.     Das  Adoptiv-,  Pflege-  und  Ziehkind. 

durfte  nur  mit  Zustimmung  der  Brüder  dieser  Tochter  stattfinden,  da  deren 
Erbe  durch  den  Anteil  des  Adoptierten  verringert  wurde  (D'Arbois). 

Mit  der  Zeremonie  des  Säugens  ist  die  Adoption  bei  den  Tscherkessen, 
einem  Kaukasusvolk,  verbunden.  Die  Adoptivmutter  reicht  dem  zu  Adoptierenden 
die  Brust1). 

Früher  war  die  Säuglingszeremonie  auch  in  Äthiopien  üblich.  Merk- 
würdigerweise soll  hier  aber  nicht  die  Adoptivmutter,  sondern  der  Adoptiv- 
vater dem  zu  Adoptierenden  die  Brust  oder  den  Daumen  zum  Saugen  gereicht 
haben2). 

Sehr  selten  ist  Adoption  bei  den  Kabylen,  und  auch  dann  nur  unter 
Verwandten  (Hanoteau-Letourneux). 

Unter  den  semitischen  Völkern  war  Adoption  schon  bei  den  alten 
Babyloniern  üblich.  In  den  Gesetzen  Hammurabh  (um  2250  v.  Chr.)  beziehen 
sich  mehrere  Paragraphen  darauf.  §  185 :!)  verbietet  zunächst,  daß  ein  Kind 
zurückverlangt  werde,  welches  von  jemandem  auf  seinen  Namen  als  Sohn  an- 
genommen und  großgezogen  wurde.  —  Dann  geht  der  Paragraph  auf  einige 
Einzelheiten  ein:  Der  Sohn  eines  „Buhlen"  im  Palastdienste,  oder  einer  Buhl- 
dirne, kann  nicht  zurückgefordert  werden.  Ebensowenig  ist  Zurücknahme 
statthaft,  wenn  ein  Zunftangehöriger  (Handwerker)  ein  Kind  zur  „Großziehung" 
übernimmt  und  ihm  sein  Handwerk  lehrt.  Wohl  aber  kann  ein  Großgezogener, 
dem  sein  Adoptivvater  sein  Handwerk  nicht  lehrte,  oder  der  nicht  „mit  dessen 
Kindern"  (wie  dessen  Kinder?)  gehalten  wird,  in  sein  Vaterhaus  zurückkehren4). 
-  §  191  bestimmt:  „Wenn  jemand,  der  ein  Kind  als  seinen  Solin  angenommen 
und  großgezogen  hat,  einen  Hausstand  begründet  und  darauf  Kinder  hat  und 
jenen  Großgezogenen  zu  verstoßen  beabsichtigt,  so  soll  jener  Sohn  nicht 
(einfach)  seines  Weges  gehen.  Sein  Ziehvater  soll  ihm  von  seinem  Vermögen 
ein  Drittel  seines  Kindesanteils  geben  und  dann  soll  er  gehen.  Von  Feld, 
Garten  und  Haus  soll  er  ihm  nichts  geben." 

Das  adoptierte  Kind  hatte  unter  Hiuitmurabis  Gesetz  Pflichten  der  Ehr- 
furcht und  Dankbarkeit  gegen  seine  Adoptiv-  bzw.  Zieheltern.  Die  Paragraphen 
192  und  193  lauten:  „Wenn  ein  Sohn  eines  „„Buhlen""  oder  einer  Buhldirne  zu 

Ziehvater  oder  Ziehmutter  sagt:  „„Du  bist  nicht  mein  Vater  oder  meine  Mnttei 

so  soll  man  ihm  die  Zunge  abschneiden.  —  Wenn  ein  Sohn  eines  „..Buhlen"' 
oder  einer  „„Buhldirne""  nach  seinem  Vaterhause  verlangt  (?).  von  Ziehvater 
und  Ziehmutter  sich  abwendet  und  in  sein  Vaterhaus  geht,  dem  soll  man 
das  Auge  ausreißen."  — 

Im  heutigen  Arabia  Petraea  ist  der  Adoptivsohn  eines  Mannes,  der 
keine  leiblichen  Söhne  hat,  nach  dessen  Tod  nicht  nur  der  gesetzliche  Erbe 
des  materiellen  Besitzes  dieses  Mannes,  sondern  er  hat  auch  das  Recht,  dessen 
Töchter  zu  verheiraten.  Er  selbst  darf  diese  nicht  ehelichen  *).  Er  gehört 
zum  Geschlecht  seines  Adoptivvaters. 

Eine  Adoption  geht  in  Arabia  Petraea  folgenderweise  vor  sich:  Her 
Adoptierende  ladet  seine  Stammesangehörigen  zu  sich  in  sein  Zelt  und  schlachtet 
im  Gastraum  ein  Schaf.  Dann  spricht  er  die  Anwesenden  an:  „Höret  zu, 
o  Zeugen!    Sehet  diesen  offenen  Zeltraum  und  dieses  für  jeden  bereitete  Fleisch. 


')  Floß  II,  410. 

s)  Ebenda. 

D.  Übers,  v.  Hugo  WinMer,  Lpzg.  1902. 

'i  Es  sclici.it  sieh  also  doch  nicht  um  eigentliche  Adoptivkinder,  sondern  um  Zieh- 
kinder  zu   handeln. 

:,i  Vgl,  die  Ermahnung  in  den  sog.  apostolischen  Constitutionen  und  Canonen  aus  den 
ersten  christlichen  Jahrhunderten,  man  solle  die  adoptierten  Waisenmädchen  mit  den  Söhnen 
der  Adoptiv- Eltern  vermählen  (§  353). 


§  35Ö.     Das  Adoptivkind. 


679 


Es  ist  dies  keine  Gunst  von  mir,  sondern  sehet,  ich  adoptiere  den  N.  (er  soll 
das  Recht  ausüben)  über  meinen  Besitz,  meine  Herden  und  meine  Töchter  (MusiTj." 

Adoption  von  Findlingen  in  Kairo  und  Ägypten  ist  in  §  61  erwähnt 
worden. 

Häutig  soll  Adoption  bei  den  nordafrikanischen  Fellata  oder  Fulben 
sein,  wo  die  Adoptivkinder  die  leiblichen  Kinder  sogar  aus  der  Erbschaft  ver- 
drängen '). 

Bei  den  \Yahehe,  südliches  Deutsch-Ostafrika,  sind  es  besonders 
kinderlose  Eheleute,  die  fremde  Kinder  adoptieren.     Der  Knabe  auf  Abbildung 


Fig.  464.    Ein  Walieu  e-Ehepaar  mit  ihrem  Adoptivkind.    Johannes  Hufliger  phot. 


464  wurde  nach  dem  Tode  seiner  Eltern  adoptiert,  und  wird  von  seinen 
Adoptiveltern  wie  ein  leibliches  Kind  gehalten,  wie  mir  Missionar  Johannes 
Häfliger  brieflich  mitteilte. 

Bei  den  Adoptionen  auf  Madagaskar  kommen  (nur?)  Kinder  von  Ver- 
wandten in  Betracht.  Auch  hier  werden  die  Adoptivkinder  wie  eigene 
gehalten  (Sibree)2). 

Adoption  mit  Geburtssymbolen  verbunden  finden  wir  dann  wieder  bei 
den   Dajaken   in   Sarawak,   Westküste   von   Borneo:   Hier   setzt   sich  die 


i)  Ploß  II,  410  (nach  Denham) 
2)  Bei  Ploß,  ebeuda. 


—  Vgl.  die  Adoption  auf  den  Karolinen. 


680 


Kapitel  L1V.     Das  Adoptiv-,  Pflege-  ur.d  Ziehkind. 


Adoptivmutter  in  Gegenwart  der  zahlreich  geladenen  Gäste  auf  eineir  hohen, 
bedeckten  Sitz  und  läßt  sich  das  zu  Adoptierende1)  von  hinten  her  durch  die 
Beine  kriechen.  Sobald  das  Adoptivkind  vorn  durchschaut,  bestreicht  man 
es  mit  den  süß  duftenden  Blüten  der  Areca-Palme  und  bindet  es  an  die 
Adoptivmutter,  worauf  beide,  zusammengebunden,  dem  ganzen  Haus  entlang  (?)2) 
und  wieder  zurück  wackeln. 

Ein  Vergehen  gegen  ein  Adoptivkind  ist  in  der  Anschauung  der  Sarawaker 
ärger,  als  ein  Vergehen  gegen  ein  leibliches  Kind  (J.  G.  Frazer,  nach  C.  Hose). 

Auf  den  östlichen  und  westlichen  Karolinen  der  deutschen  Südsee  ist 
Adoption  von  Kindern,  auch  wenn  deren  Eltern  noch  leben,  allgemein  üblich. 


Fig.  465.    Ein  Palaner  mit  seinen  eigenen  Kindern,  die  er  aber  später  von  andern  adoptieren  MeU,  wahrend 
er  selbst  fremde  Kinder  adoptierte.  —  Kapuzinermission  Elirenbreit stein  a.  Rh.     ... 


Nach  Senfft  zahlen  die  Eingebornen  für  Kinder,  die  sie  adoptieren  wollen, 
große  Summen.  Auch  hier  genießen  die  Adoptierten  die  gleiche  Liebe  und 
die  gleichen  Rechte  wie  die  leiblichen  Kinder.  —  Speziell  über  die  Palau- 
Inseln,  östliche  Gruppe  der  Karolinen,  schreibt  Semper,  man  suche  haupt- 
sächlich Knaben  zu  adoptieren.  Viele  angenommene  Kinder  wissen  gar  nicht, 
daß  sie  durch  Geburt  einer  anderen  Familie  angehören. 

Die  Adoption  ist  übrigens  auf  den  Karolinen  und  verschiedenen  anderen 
Inseln  der  Südsee  zugleich  eine  Art  Kindertausch.  Man  gibt  seine  eigenen 
Kinder  in  andere  Familien  zur  Adoption  und  nimmt  fremde  an  Kindes  Statt 
an  (siehe  Fig.  465  mit  Unterschrift).  Semper  kannte  den  Fürsten  Krei  auf 
Palau,  der  drei  Adoptivkinder  hatte.    Seine  eigenen  Kinder  waren  von  anderen 


')  Es  scheint  sieh  hier  aber  um  bereits  Erwachsene  zu  handeln, 
l'o  the  end  of  the  honse"  schreibt  J.  G.  Frazer. 


§  356.     Das  Adoptivkind. 


681 


Familien  adoptiert  worden.  —  Gescliwisterheiraten  vermutet  Semper  unter 
solchen  Verhältnissen  als  hantige  Vorkommnisse.  Sonstige  schlimme  Beein- 
flussung des  Familienlebens  gewählte  er  nicht.  Die  gegenseitige  Liebe  zwischen 
Adoptiv-Eltern  und  Adoptiv-Kindern  stellt  er  den  Europäern  als  nachahmens- 
wertes Beispiel  vor. 

Ein  Adoptivkind  kann  auf  Jap  von  seinen  eigenen  Eltern  nur  dann 
zurückgefordert  werden,  wenn  es  von  seinen  Adoptiveltern  schlecht  behandelt 
wird  (Senfft). 

Ankauf  und  Adoption  von  Kindern  meldete  Pfeil  auch  aus  dem  Bismarck- 
Archipel.  als  ,.bisweilen"  vorkommend.  Speziell  vom  mittleren  Neu- 
mecklenburg schrieb  aber  G.  PeeJcel:  Adoption,  selbst  zu  Lebzeiten  der 
Eltern,  ist  häufig.  —  Eine  Verwandtschaft  entstellt  durch  die  Adoption  nicht, 
obgleich  die  Adoptiveltern  als  Vater  und  Mutter  angesprochen  werden.  — - 
Waisenkinder  werden  von  Verwandten  angenommen. 


Fig.  466.    Pal  auerill  mit  zwei  Adoptivkindern  auf  Korror.  -    Von  dem  Missions-Sekretariatder  rheinisch- 
westfälischen  Kapuzinerprovinz  Ehrenbrei  tstein  a.  Rh. 

Adoption  fremder  Kinder  durch  kinderlose  Eheleute  ist  häufig  auf  Nauru. 
Die  Adoptierten  genießen  auch  hier  alle  Rechte  der  leiblichen  Kinder  (Jung). 

Selbst  bei  den  Monumbo-Papuas,  deren  Weiber  sich  doch  vielfach 
unfruchtbar  machen,  und  die  durchschnittlich  im  Zweikindersystem  leben,  weil 
sie  die  Last  der  Pflege  kleiner  Kinder  nicht  tragen  wollen,  ist  Adoption 
„ziemlich  im  Schwange",  wie  Franz  Vormann  berichtet.  Man  adoptiert  eben 
Kinder,  die  bereits  entwöhnt,  oder  noch  größer  sind.  —  Allerdings  schreibt 
Vormann  auch:  „Wenn  eine  Frau  schwanger  ist,  sagt  jemand,  der  gerne  ein 
Kind  adoptieren  möchte:  „„Du,  dein  Kind  nehme  ich""1).  Wenn  sie  zustimmt, 
so  läßt  sie  ihm  gleich  nach  der  Gebart  das  Geschlecht  und  die  Beschaffenheit 
des  Kindes  melden.  Wenn  es  ihm  genehm  ist,  läßt  er  zurückantworten,  daß 
man  es  waschen  solle.  Ist  es  ihm  nicht  genehm,  so  wird  es  in  die  See 
geworfen.  Es  kommt  auch  vor,  daß  jemand  sich  eines  Geschöpfes  erbarmt,, 
nachdem  der  eigentliche  Vater  es  zurückgewiesen  hat.  .  .  .  Wenn  die  Eltern; 

')  Demnach  kann  die  Mutter  über  ihr  Kind,  unabhängig  vom  Vater,  entscheiden. 


682 


Kapitel  LIV.     Das  Adoptiv-,  Pflege-  und  Ziehkind. 


wegsterben,  so  finden  die  Kinder  schnell  Adoptiveltern."  —  Adoption  kommt 
also  auch  schon  im  pflegebedürftigen  Alter  des  Kindes  vor.  —  Die  Adoptiv- 
kinder genießen  bei  den  Monumbo-Papua,  wie  bei  den  meisten  andern  Völkern, 
die  gleichen  Rechte  wie  die  eigentlichen  Kinder. 

Krieger  meldete  nach  seinen  Erfahrungen  unter  den  Papuas  auf  Neu- 
guinea Adoption  verwandter  Kinder  durch  kinderlose  Eheleute. 

Als  eine  Art  Tauschhandel  bezeichnete  Turner  auch  die  auf  Samoa  all- 
gemein übliche  Adoption,  welche  durch  die  Einführung  des  Christentums,  wie  es 
scheint,  etwas  eingedämmt  worden  ist.  Gewöhnlich  gab  ein  Vater  ein  Kind  seiner 
verheirateten  Schwester  und  erhielt  dafür  von  ihr  importierte  Ware.  Die 
Warenlieferungen  mußten  auf  gewisse  Termine  erneuert  werden. 

Die  Rechte  der  eigentlichen  und  der  adoptierten  Kinder  sind  auch  auf 
Samoa  im  allgemeinen  gleich.  Nur  betreffs  der  Würde  des  Familienoberhauptes 
geht  ein  eigentlicher  Sohn  einem  adoptierten  vor.     W.   von  Bülow  schreibt: 


Fi;;.  4o;.    Eine  Fisclierfamilie  auf  Tahiti,    Oattrrolh  phot.    Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 

Hinterläßt  das  Familienoberhaupt  keine  direkten  Nachkommen  so  wird  oft 
•dessen  Adoptivsohn  zum  Oberhaupt  gewählt, 

Auf  Tahiti  besuchte  in  neuester  Zeit  (1910)  Rene  La  Bruyere  eine 
Frau  aus  der  königlichen  Familie  von  Reiatea,  Tetua,  die  eine  beträchtliche 
Anzahl  kleiner  Kinder  adoptiert  hatte. 

Adoption  ist  ferner  in  Australien  gebräuchlich:  Schon  in  Kapitel  IX. 
S.  18i»,  wurde  erwähnt,  daß  neugeborne  Mädchen,  welche  am  Moore-Fluß, 
südwestliches  Australien,  von  den  eigenen  Müttern  mit  dem  Tode  bedroht 
wurden,  gelegentlich  von  einer  mitleidigen  Zuschauerin  gerettet  und  an  Kindes 
Statt  angenommen  wurden.  —  Um  Port  Stephens,  südöstliches  Australien, 
adoptieren  alleinstehende  Weiber,  sowie  Eheleute,  Waisenkinder1). 

In  Korea  muß,  wie  in  £  349  angedeutet,  in  Ermanglung  legitimer  Nach- 
kommen ein  Sohn  adoptiert   werden,  damit  auf  ihn   die  Familiengüter  erblich 


')   Am    Bert;    Muri'hison    niniinl    sich    der    ganze   Stamm    um    mutterlose   Kinder   an 
•{Floß,  nach  Gerland  und   Freycinet) 


§  356.     Das  Adoptivkind. 


683 


übergehen,   und  die  Begräbnisfeier  und  der  Ahnenkult  durch   ihn  gebührend 
vollzogen  werden  können  {Hamilton). 

Ähnlich  liegen  die  Verhältnisse  in  Japan.  „Ein  Fehlen  des  Sohnes," 
schreibt  der  Buddhapriester  Kinza  Bing!'  M.  Hirai,  „ist  .  .  .  dem  Japaner 
mehr,  als  der  Mangel  eines  Erben.  Denn  nur  der  männliche  Nachkomme  darf 
am  Schrein  der  Vorfahren  opfern:  ohne  einen  solchen  ist  also  der  häusliche 
Altar  verwaist,  entbehrt  der  Kultus  der  Verstorbenen  seines  Priesters1)."  Da 
in  jeder  Familie  also  notwendig  ein  Sohn  sein  muß,  werden  vielfach  Knaben 
adoptiert,  oder  der  Mann  nimmt  eine  Nebenfrau,  um  von  ihr  den  erwünschten 
Sohn  zu  bekommen.  Die  adoptierten  Kinder  genießen  in  jeder  Beziehung 
dieselben  Rechte  wie  die  leiblichen,  setzen   sogar  den  Stammbaum  fort2).  - 


Fi^.  4-;-.    Km.iIm-h  aud  Männer  m  Papiti    Papeete]   auf  Tahiti 

künde  in  Leipzig. 


Bim   Frulistii 


Im  Must  itin    für  Yulker- 


Der  Japaner  kann  sich  somit  auf  Ahnen  berufen,  von  denen  er  gar  nicht  stammt. 
Das  gleiche  System  gilt  im  japanischen  Geschäftsleben,  so  daß  gewisse  Ge- 
schäfte oder  Berufe  den  Schein  eines  höheren  Alters  haben,  als  es  in  Wirk- 
lichkeit ist,  indem  z.  B.  ein  Musiker  einen  anderen  Musiker  als  Sohn  an- 
nimmt, während  vielleicht  sein  leiblicher  Sohn  von  einem  Arzt  adoptiert  ist 
nnd  dessen  Generation  fortsetzt3). 

Nach  J.  J.  Bein  ist  die  Adoption  in  Japan  ein  sehr  alter  Brauch,  der 
sich  jedoch  erst  mit  der  Entwicklung  des  Feudalwesens  und  Shogunats  ver- 
allgemeinerte, dann  aber  auch  das  Volksleben  stark  beeinflußte.  Das  materielle, 
nicht  das  religiöse,  Motiv  sei  damals  bei  der  Adoption  meistens   ausschlag- 


')  Ohne  Opfer  müssen  die  Verstorbenen  in  der  Unterwelt  ewig  hungern  und  dürsten  (Rein). 
2I   Nach  .7.  J.  Rein   nimmt  der  Adoptivsohn  nicht  immer  den  Namen  seines  Adoptiv- 
vaters an. 

3)  Ploß  IL  410. 


gß j.  Kapitel  LIV.     Das  Adoptiv-,  Pflege-  und  Ziehkind. 

gebend  gewesen.  Man  habe  der  Familie  die  am  Militärdienst  haftenden 
erblichen  Reehte  zusichern  wollen.  Außerdem  suchte  man,  nach  Rein,  im 
Adoptivsohn  eine  Stütze  für  das  Alter  und  für  die  Tochter  des  Hauses.  In 
vielen  Fällen  heiratete  der  Adoptivsohn  eine  der  Töchter1).  Kegelmäßig 
entstammte  er  dem  Kreise  Verwandter.  So  lang  er  minderjährig,  d.  h.  unter 
15  Jahren,  war,  sorgten  beiderlei  Eltern  für  seine  Erziehung.  —  Schlechte 
Charaktere  adoptierten  o'ft  Mädchen  in  zartem  Alter,  um  sie  zu  Kurtisanen 
abzurichten  und  sich  später  von  ihnen  ernähren  zu  lassen.  —  Mit  der  Auf- 
lösung des  Feudalwesens  and  der  Reduktion  des  Familienerbes  verlor  die 
Adoption  vielfach  ihre  Bedeutung  und  ist  deshalb  jetzt  am  Aussterben. 

Hingegen  ist  sie  in  China,  bei  kinderlosen  Eheleuten,  noch  sehr  viel 
üblich.  Das  zu  Adoptierende  muß  hier  aus  einer  Familie  mit  dem  gleichen 
Familiennamen  stammen.  Ein  bestimmtes  Alter,  wie  es  im  römischen  Rechte 
war.  ist  nicht  vorgeschrieben,  wohl  aber  die  Zustimmung  des  nächsten  männ- 
lichen Verwandten,  in  dessen  patria  potestas  der  zu  Adoptierende  sich  befindet. 
Findlinge  unter  drei  Jahren  können  ohne  Formalität  adoptiert  werden.  Die 
Adoption  nimmt  nach  Grunzel  indessen  sehr  oft  die  Form  eines  Kaufes  an. 
indem  der  Vater  des  Kindes  eine  Vergütung  erhält.  —  Mit  der  Adoption  oder 
dem  Verkauf  ist  die  Gewalt  des  eigentlichen  Vaters  zu  Ende;  der  Adoptierte 
erwirbt  in  der  Familie  des  Adoptivvaters  Agnatenrechte.  —  In  China,  wie 
in  Annam,  erben  die  Adoptivkinder  wie  die  eigenen. 

Wie  die  Schweizer,  so  sind  auch  die  hinterindischen  Thai  (Siamesen) 
der  Ansicht,  Adoption  bringe  (unter  anderem  Glück)  Fruchtbarkeit  in  die 
Familie.  —  Kinderlose  Eheleute,  oder  solche,  die  keinen  Sohn  haben,  adoptieren 
gerne,  wenn  sie  ein  Kind  bekommen,  was  bei  der  Liebe  der  Thai  zu  ihren 
Nachkommen  aber  selten  ist  (IJourlet).  Da  es  auch  hier  dem  Stammhalter 
zukommt,  den  Seelen  der  Verstorbenen  zu  opfern,  so  unterliegt  der  Adoption 
auch  hier,  unter  anderen  Motiven,  ein  religiöses;  das  wichtigste  materielle 
Motiv  ist  wohl  der  Erbgang,  da,  wie  schon  früher  erwähnt,  das  Vermögen  in 
Ermanglung  von  Söhnen  an  einen  Vetter  oder  Neffen  des  Erblassers  übergeht. 

Mit  einem  Symbol  der  Geburt  ist  die  Adoption  dann  wieder  verbunden 
bei  den  bosnischen  Türken.  Die  Adoptivmutter  stopft  das  Kind  in  ihre 
weiten  Hosen  und  läßt  es  durch  diese  auf  die  Erde  gleiten  {Zachariae). 

Ähnliches  erwähnt  Frazer  von  den  Bulgaren. 

In  der  Türkei  wird  die  Adoption  mit  der  Redewendung  ausgedrückt: 
..Jemanden  durch  das  Hemd  gleiten  lassen"  {Zachariae)*). 

Adoption  ist  mir  ferner  bekannt  von  den  Ai'nu,  Eskimos  und  Indianern. 

Kinderlose  Ai'nu  adoptieren  gewöhnlich  ein  verwandtes  Kind  (Pilsudski). 

Bei  den  Zentral-Eskimos  ist  Adoption  häutig.  Kann  ein  Mann  aus 
irgend  einem  Grund  seine  Familie  nicht  ernähren,  oder  ein  Weib  seine  Haus- 
arbeit nicht  verrichten,  dann  werden  dessen  Kinder  von  Verwandten  oder 
Freunden  in  ihre  Familien  aufgenommen  und  ebenso  gut  ernährt  wie  i 
eigenen.  Das  gleiche  gilt  von  den  Kindern  der  Witwen.  Diese  dürfen  dann 
selbst  mitkommen  und  erhalten  eine  eigene  Feuerstätte  im  Haus,  oder  im 
Zelt  ihres  Wohltäters  i  Boas). 

Am  Cumberland-Sund  geben  kinderlose  Eltern,  die  fremde  Kindei 
adoptieren  wollen,  deren   Eltern  eine  Entschädigung  (H.  Abbes). 

Nach  Lyon')  erbt  bei  den  Eskimos  der  „Pnegesohn"  (wohl  Adoptivsohn 
gemeint)  die  Familiengüter. 

')  Vgl.  Attika. 

■i  Zachariae   weist    ferner   auf  die   hier   einschlägigen  Forschungen  von  Otto,  Grimm, 
Liebrecht,  Bachofen,  Herbelot,  Ducange  u.  a.  hin, 
»)  Bei  l'loß  II,  410. 


§  357.     Das  Zieh-  oder  Pflegekind  (Fragmente).  685 

Als  Beispiel  einer  Adoption  unter  Indianern  möge  hier  jene  des 
wiederholt  zitierten  Tanner  folgen:  Dem  Shawnee-Indianer  Manito-o- 
Gheezhik  im  Staate  Michigan  war  sein  jüngster  Sohn  gestorben,  worüber 
sich  sein  AVeib  fast  zu  Tod  grämte.  Deshalb  machte  sich  der  Mann  mit 
.seinem  ältesten  Sohn  und  einigen  andern  Männern  seines  Stammes  auf,  um 
aus  den  Niederlassungen  der  Weißen  am  Ohio  einen  Knaben  zu  rauben. 
Die  Tat  gelang,  und  der  geraubte  Knabe,  Tanner,  wurde  am  Tag  nach  seiner 
Ankunft  bei  den  Shawnee  auf  dem  Grab  des  Indianerknaben  adoptiert,  wobei 
er  den  Namen  „kleiner  Falke"  (Schaw-sehaw-wa-ne-ba-se)  erhielt.  Die  grausame 
Behandlung  dieses  Adoptivkindes  seitens  seines  Adoptivvaters  und  seiner 
Adoptivbrüder  habe  ich  in  einem  früheren  Kapitel  angedeutet.  Die  Liebe 
seiner  Adoptivmutter  wog  sie  nicht  auf.  Diese  wandte  die  Schläge,  welche  ihr 
Mann  dem  Kleinen  zugedacht  hatte,  durch  ihr  Dazwischentreten,  oft  auf  sich  selbst 
ab.  —  Nach  dreijähriger  Marter  wurde  Tanner  ein  zweites  Mal  adoptiert; 
diesesmal  von  der  Ottawa-Indianerin  Net-nokwa.  Von  ihr  und  ihrem 
Mann  wurde  der  Knabe  wie  ihre  eigenen  Kinder  behandelt. 

Bekannter  sind  die  Adoptionen  Erwachsener,  als  Stammesmitglieder, 
unter  den  Indianern.  —  Auch  Krieger  und  Mörder  werden  von  den  Familien 
der  Gefallenen  oder  Ermordeten  an  Kindes  Statt  angenommen ').  — 

§  357.     Das  Zieh-  oder  Pflegekind  (Fragmente). 

§  300  machte  uns  mit  dem  Brauch  der  Kelten  bekannt,  die  Söhne  in 
den  Familien  Untergebener  und  am  Hofe  der  Häuptlinge  erziehen  zu  lassen.  — 
Erziehung  und  Unterricht  begründete  bei  den  Kelten  eine  Art  Verwandtschaft, 
Die  Pflegekinder  ehrten  ihre  Pflegeeltern  wie  wirkliche  Eltern,  und  diese 
haßten  eher  ihre  wirklichen  Verwandten,  als  ihre  Pfleglinge  (und  Milchbrüder), 
wie  Grupp  schreibt. 

In  Neugriechenland  werden  gewöhnlich  arme  Kinder  in  reiche  oder 
vornehme  Familien  aufgenommen  und  mit  den  Kindern  des  Hauses  erzogen. 
Solche  „Seelenkinder"  werden  gut  behandelt,  nehmen  aber  doch  nur  eine  halb- 
dienende  Stellung  ein.  Später  hilft  man  ihnen,  als  Gesamtlohn  für  ihre  Arbeit, 
einen  eigenen  Haushalt  gründen  (Gustav  Hirschfehl). 

In  Daur,  nördliches  Wasiristan,  werden  Knaben  in  andere  Familien 
aufgenommen  und  hier  wie  die  eigenen  behandelt.  Eine  Adoption  wollte 
H.  A.  Rose  das  jedoch  nicht  nennen,  weil  solche  Knaben  nicht  erben  können. 
Es  handelt  sich  also  wohl  nur  um  Pflege-  und  Ziehkinder. 

Die  Osseten,  Iranen  im  Kaukasus,  geben  ihre  Söhne,  sobald  diese 
einen  Namen  erhalten  haben,  in  ein  fremdes  Haus,  wo  sie,  ohne  je  ihre 
Mutter  zu  sehen,  bis  zur  Vollendung  ihres  sechsten  Lebensjahres  bleiben. 
Dann  wird  der  Knabe  von  seinem  Atalyk  (Erzieher)  in  sein  Elternhaus  zurück- 
gebracht. —  An  diesem  Tage  findet  ein  Fest  statt,  wobei  der  Erzieher  und 
die  Amme  vom  Vater  des  Knaben  ein  beträchtliches  Geldgeschenk  erhalten. 
Von  jetzt  an  hat  der  Knabe  die  Herde  seines  Vaters  auf  die  Weide  zu  treiben, 
und  wird  vom  Vater  praktisch  in  den  Ackerbau,  die  Viehzucht,  Handhabung 
der  Waffen  und  andere  nützliche  Kenntnisse  und  Arbeiten  eingeführt2).  - 
Post-Koralewslij  geben  übrigens  den  Brauch,  die  Kinder  in  einer  andern  Familie 
erziehen  zu  lassen,  nur  für  fürstliche  Familien  an. 

Bei  den  Tscherkessen,  einem  Zweig  der  westlichen  Kaukasusvölker, 
werden  die  Kinder  der  Fürsten  bis  zu  einem  gewissen  Alter  bei  den  eigenen 
Eltern  gelassen,  dann  aber  Vasallen  zur  Erziehung  übergeben,  die  dadurch 
mit  der  betreffenden  Familie,  besonders  mit  dem  Zögling  (Knaben  oder  Mädchen) 


')   Vgl.  Renz,  Des  Indianers  Familie,  164  und   166. 
2)  Floß  II,  344 f.  (nach  dem  „Ausland"   1876,  S.  166). 


686  Kapitel  LLV.     Das  Adoptiv-,  Pflege-  und  Ziehkind. 

selbst,  gewissermaßen  verwandt  werden.  Dieses  ehrenvolle  Verhältnis  ist  der 
einzige  Lohn,  welchen  der  Vasall  für  seine  Mühewaltung  zn  beanspruchen 
hat.  Die  Erziehung  im  Hause  des  Vasallen  schließt  Verzärtelung  aus.  Anderer- 
seits würde  jener  Vasall,  der  sich  einer  Vernachlässigung  in  der  Erziehung 
des  jungen  Fürsten,  besonders  in  dessen  Schulung  in  den  ritterlichen  Künsten, 
schuldig  machen,  oder  für  die  junge  Fürstin  einen  nicht  ebenbürtigen  Mann  (?) 
wählen  würde,  zu  schwerer  Verantwortung  gezogen  werden.  Als  ein  besondeis 
glückliches  Resultat  einer  vollendeten  Erziehung  gilt  es,  wenn  der  Zögling 
seinen  Erzieher  bestehleu  und  dann  unbemerkt  entweichen  kann.  Denn  ein 
gewandt  und  kühn  ausgeführter  Diebstahl  ist  bei  ihnen  ebensowenig  eiu 
Verbrechen,  als  es  bei  den  Spartanern  war1).  — 

Ähnliches  teilt  N.  von  Seidlitz  von  den  Abchasen,  einem  andern  Zweig 
der  westlichen  Kaukasusvölker,  mit:  Auch  hier  lassen  die  Aristokraten  ihre 
Söhne  von  den  Bauern,  ihren  Vasallen,  erziehen,  die,  als  Lohn  hierfür,  sich 
des  Schutzes  der  Aristokraten,  ihrer  Feudalherren,  erfreuen.  Der  Brauch  sei 
hier  ein  Überrest  früherer  Leibeigenschaft.  Schon  vor  der  Geburt  findet  sich 
die  zukünftige  Erzieherin,  eine  Bauersfrau,  mit  ihren  männlichen  und  weiblichen 
Verwandten  ein.  Das  Neugeborne  geht  sofort  in  ihre  Hände  über.  Yt>n  Seidlitz 
schreibt,  die  Mutter  freue  sich  darüber,  weil  sie  dadurch  der  Kindespflege 
enthoben  werde,  sich  schneller  erholen,  ihre  Schönheit  und  Frische  leichter 
erhalten  könne.  Am  Tag  der  Abreise  der  Pflegemutter  mit  ihrem  Zögling 
veranstalten  die  Eltern  ein  Fest,  schenken  der  Bäuerin  Kleider,  "Wäsche  und 
andere  Kleinigkeiten,  sowie  einen  kleinen  Kessel  zum  Väschen  des  Kindes 
und  statten  die  Wiege  aus.  Der  Einzug  in  das  Dorf  der  bäurischen  Pflege- 
eltern vollzieht  sich  mit  möglichstem  Pomp.  Das  Kind  wird  mit  dem  Über- 
gang in  deren  Haus  als  Pflegling  der  Familie  anerkannt  und  lebt  da  im 
Überfluß.  Nach  2 — 3  Jahren  wird  es  besuchsweise  seinen  Eltern  gebracht, 
wobei  diese  von  den  Pflegeeltern  1 — 2  Ochsen,  einen  Ziegenbock,  Kapaunen. 
Wein,  Brot  u.  dgl.  m.  erhalten.  Die  Eltern  veranstalten  ein  Fest,  wozu  die 
Nachbarn  geladen,  und  bei  welchem  den  Pflegeeltern  alle  möglichen  Ehren 
erwiesen  werden,  die  sich  auch  noch  bei  der  Abreise  fortsetzen,  indem  ihnen 
die  Eltern  des  Kindes  beim  Besteigen  der  Pferde  die  Steigbügel  halten.  Auch 
reiche  Geschenke  an  Vieh,  Kleidern  und  Geld  werden  den  Pflegeeltern  bei 
ihrer  Rückkehr  gemacht,  auf  der  sie  das  Kind  wieder  begleitet.  Dieses  bleibt 
nun  bis  zu  seinem  8.  oder  i».  Lebensjahr  bei  ihnen,  worauf  man  es  seinen 
Eltern  zurückbringt.  Da  sich  der  Knabe  aber  nur  schwer  von  seiner  alten 
I  mgebuug  trennt,  erlaubt  man  ihm,  seine  Erzieher  öfters  wieder  zu  besuchen. 
Verwaiste  Zöglinge  bleiben  bis  zu  ihrer  Verheiratung  im  Hause  ihrer 
Erzieher.  — 

In  Mekka  geben  die  eingebornen  Scheriffamilien,  einem  vormohammeda- 
nischen Brauch  zufolge,  ihre  neugebornen  Söhne  auf  mehrere  Jahre  in  einen 
Beduinenstamm,  damit  die  Knaben  durch  das  Nomadenleben  in  der  Wüste 
möglichst  gekräftigt  werden8). 

Der  althergebrachte  Brauch  der  Waganda  in  Britisch-Ostafrika,  ihre 
Kinder  schon  früh  in  den  Dienst  eines  Vornehmen  zu  stellen,  ist  in  £  291 
erwähnt  worden. 

Die  Bugis  auf  Celebes  lassen  ihre  Kinder,  um  sie  nicht  zu  verzärteln3). 
vom   "i.  Jahr  an  durch  Freunde  erziehen. 

Auf  Jap  trennt  man  schon  das  Neugeborne  von  seiner  Mutter  und  gibt 
es  einer  andern  Frau  zur  Pflege  (ßenfft). 

l)  „Tscherkesse"  soll  ja  „Räuber",  „Wegabschneider"  bedeuten. 

Floß  lt.  3-15. 
')    Ploß  II.  6   und   344.  — -  Vielleicht  unterlag  dieser  Gedanke  ursprünglich  doch  auch 
dein  Kindertausch  auf  den  Karolinen  und  andern  Inseln  des  stillen  Ozeans  in  §  35ti  (vgl.  S.  6' 


§  357.     Das  Zieh-  oder  Pflegekind  (Fragmente).  687 

Auf  den  Marianen,  Gilbert-,  Tonga-,  Samoa-,  Marquesas-  und 
Banksinseln  nahmen,  bzw.  nehmen  Frauen  mutterlose  Kinder  in  Pflege 
(Lubbock  und  Eckardt). 

Das  gleiche  berichtete  Hager  von  den  Marschall-Inseln. 

Bei  den  Papuas  auf  Neuguinea  tauschen  befreundete  Stämme  ihre 
Kinder  vielfach  auf  Jahre  zu  Erziehungs-  und  Unterrichtszwecken  aus  (vgl. 
§  303)1). 

In  Peking  verschreiben  viele  Eltern  ein  Kind  mit  schlimmen  Vorzeichen 
anderen  Eltern  als  Pflegling  in  der  Hoffnung,  das  Kind  dadurch  am  Leben  zu 
erhalten.  Meist  werden  kinderreiche  Eheleute  hierfür  ausersehen.  Die  Über- 
gabe geschieht  unter  verschiedenen  Zeremonien.  Man  nennt  die  Pflegeeltern 
„trockener  Vater  und  trockene  Mutter"  (Stern,  nach  Grube). 

Bei  den  Burjäten  in  Transbaikalien  kommt  es  häufig  vor,  daß.  wenn 
einem  jungen  Ehepaar  ein  Kind  geboren  wird,  das  Neugeborne  nach  einigen 
Tagen  verschwindet.  Die  Eltern  klagen  und  weinen,  bitten  aber  die  Nachbarn, 
dem  Kinde  nicht  nachzuforschen.  Das  reiche  Burjätenpaar  hatte  nämlich  fin- 
den Fall,  daß  ihm  ein  Knabe  geboren  werde,  mit  einer  armen  Familie  die 
Verabredung  getroffen,  daß  diese  den  Neugebornen  bei  sich  aufnehme  und 
erziehe.  Der  arme  Burjate  stiehlt  sich  also  nachts  in  das  Haus  des  Eeichen 
und  empfängt  von  diesem  das  Kind.  Am  Morgen  wird  dann  ein  Geschrei 
erhoben,  daß  man  ihnen  das  Kind  gestohlen.  Nach  mehreren  Jahren  er- 

scheint im  Haus  des  Eeichen  ein  Bursche,  dem  ein  feierlicher  Empfang  be- 
reitet wird,  wobei  es  sich  herausstellt,  daß  der  junge  Burjate  das  gestohlene 
Kind  ist.  In  der  Jurte  der  armen  Familie  war  er,  ohne  zu  wissen,  wessen 
Kind  er  sei,  an  Arbeit,  Tätigkeit  und  Entbehrung  gewöhnt  worden.  — 


!)  In  der  2.  Auflage,  II,  S.  345,  erwähnte  Ploß  im  Hinweis  auf  Bastian  eine  frühe 
Trennung  der  Knaben  von  ihren  Familien  von  den  Gebirgsstämmen  in  Kambodscha.  Er 
nannte  hierbei  die  „Banar".  die  „den  auch  den  Mishmis  und  den  ihnen  benachbarten 
Stämmen  bekannten  Gebrauch  einer  spartanischen  Erziehung  der  Knaben-'  beobachten.  — 
„Mishmis"  weist  Andrees  Handatlas  im  tibetanisch-hinterindischen  Grenzgebiet  auf. 


Kapitel  LV. 

Das   illegitime   Kind.     Seine   sittliche   Auffassung' 
und  rechtliche  Stellung'1).    Positives  und  Negatives. 

§  358.  Was  versteht  man  unter  einem  illegitimen  Kind?  Diese  Frage 
beantworten  verschiedene  Volker  verschieden.  Ihre  Antwort  richtet  sich  im 
allgemeinen  nach  ihrer  Auffassung  von  einer  rechtmäßigen  Ehe.  Ausnahmen 
gibt  es  auch  hier,  wurden  z.  B.  im  Islam  geschaffen,  der  um  des  Kindes 
willen  heute  noch  den  Betrug  unsittlicher  Witwen  schützt  (§  359).  l'.ei 
Völkern,  deren  Eherecht  Vielweiberei,  Vielmännerei.  Gruppenehen2)  und  Kon- 
kubinat gestattet,  sind  die  Kinder  aus  solche«  Verbindungen  eo  ipso  in  einem 
gewissen  Sinne  legitime,  rechtmäßige  Kinder,  obgleich  sie.  je  nachdem  ihre 
Mutter  Hauptfrau,  oder  Nebenfrau,  oder  zeitweilige  Konkubine  ist.  innerhalb 
der  Sphäre  dieser  Rechtmäßigkeit  mehr  oder  weniger  Bechtsvorteile 
genießen.  Diese  letztere  Abstufung  ist  es  wohl,  welche  mehr  als  ein  Forschungs- 
reisender im  Auge  hat,  wenn  er  von  „legitimen"  und  ..illegitimen-'  Kindern 
bei  Völkern  mit  obigen  Eheformen,  bzw.  geschlechtlichen  Verbindungen, 
berichtet.  -  -  Das  vorliegende  Kapitel  behält  diese  Ausdrücke  in  den  §§  359 
bis  3(i2  bei.  Ob  sie  den  Rechtsgedanken  des  betreffenden  Volkes  korrekt 
ausdrücken,  kann  wohl  da  und  dort  aus  dem  Zusammenhang  geschlossen,  oder 
doch  vermutet  werden. 

Ausdrücklich  als  vollberechtigt  mit  den  Kindern  der  Hauptfrau  sind 
in  dem  vorliegenden  Kapitel  die  Kinder  der  Xebenfraueii  erwähnt  bei 
den  alten,  und  teilweise  noch  mittelalterlichen  Germanen,  bei  den  Japanern, 
Chinesen  und  Annamiten. 

Unter  diesen  Völkern  sind  es  die  Japaner  und  Chinesen,  die  sogar  den 
Kindern,  welche  ein  Ehemann  von  seinen  Konkubinen  hat,  Gleichberechtigung 
mit  den  Kindern  von  seiner  Hauptfrau  einräumen. 

Andere  Völker  machen  die  Rechtsstellung  der  Kinder  der  Nebenweiber 
und  Konkubinen,  oder  der  Bastarde  überhaupt,  von  bestimmten  Bedingungen 
abhängig,  z.  B.  von  deren  Adoption  durch  den  Vater  oder  die  Behörde,  oder 
der  Zustimmung,  bzw.  Anerkennung  seitens  der  Hauptfrau  des  Vaters,  oder 
von  der  Kinderlosigkeit,  oder  doch  Ermanglung  von  Söhnen  der  Hauptfrauen 
u.  a.  in.  Beispiele  hierfür  sind  die  Iranen  (?)  in  Kurram  und  die  Osseten, 
lranen  im  Kaukasus,  die  alten  Griechen  (je  nach  dem  Kecht  der  einzelnen 
Staaten),  die  alten  Babylonier,  .luden.  Germanen  und  Serben,  die  Samoaner 
und  Chalcha-Mongolen. 

Wieder  andere  Völker  sprechen  den  Kindern  der  Xebenfraueii.  oder 
doch  der  Konkubinen,  die  Gleichberechtigung  mit  den  Kindern  der  Haupt- 

')  Vgl.   die    Notizen    über    die    Rechtsverhältnisse    der    Kinder   von    Sklavinnen,    bzw. 
Kebsweibero  in  Kap.  XLIX. 
')   Vgl.   Kap.  L. 


§  359.     Indo-Europäer,  Semiten  und  Hamiten.  689 

frau  kurzweg  ab.  So  war  es  im  ältesten  russischen  Recht  mit  den  Kindern 
der  leibeigenen  Mägde  der  Fall,  so  ist  es  auch  im  heutigen  Arabia  Patraea 
und  bei  den  übrigen,  in  §  359  erwähnten  Araberstämmen;  ferner  bei  den 
Kaifiten,  einem  Zweig  der  hamitischen  Völkerfamilie,  sowie  bei  den  Nauru- 
Insulanern  in  der  Südsee,  bei  den  Koreanern,  den  alten  Mayas  in  Yukatan 
(Kinder  von  Sklavinnen)  und  am  Hofe  der  peruanischen  Inkas. 

Hingegen  machen  einzelne  Völker  keinen,  oder  nur  wenig  einschnei- 
dende rechtliche  Unterschiede  zwischen  den  Kindern,  seien  diese  vor, 
oder  in,  bzw.  während  der  Ehe  (auch  im  Ehebruch)  gezeugt  und  geboren. 
Hierher  gehören  die  Bassari  und  Ewe  in  Togo,  die  sibirischen  Samojeden,  die 
Kanada-Indianer  (zu  Lahontans  Zeit)  und  die  heutigen  Moki  iu  Arizona. 

Es  gibt  aber  auch  Völker,  die  den  außerehelichen  Kindern  eine  ideale, 
oder  eine  rechtliche  Vorzugsstellung  einräumen.  Ersteres  wird  durch  die  Auf- 
lassung gewisser  Bastarde  .als  Heilige  bei  den  persischen  Schiiten,  und  als 
Göttersöhne  bei  den  alten  Kelten  (ij  359)  bewiesen:  letzteres  ist  von  den 
ostafrikanischen  Wanjamwesie  (^  3*50)  mitgeteilt  worden. 

Diesen  Völkern  stehen  wieder  andere  gegenüber,  deren  materielle  Kultur  die 
materielle  Kultur  jener  nicht  überragt,  die  aber  in  der  außerehelichen1)  Ge- 
burt etwas  Unerlaubtes.  Gesetzwidriges,  oder  gar  einen  lebenslänglichen,  ja 
durch  Generationen  sich  hinziehenden  Schandfleck  sehen.  Den  letzten  Fall 
illustrieren  die  alttestamentlichen  Juden,  den  vorletzten  der  Nord-Oststamm  auf 
der  Gazellenhalbinsel  (Melanesier);  Beispiele  für  die  milderen  Formen  sind  die 
ostafrikanischen  Mkulwe  und  AVasuaheli  und  die  südamerikanischen  Aruak. 
Heuchelei  ist  in  diesem  Punkte  bei  den  unsittlichen  YVasuabeli -)  ebensowenig 
ausgeschlossen  wie  bei  den  Kabylen,  deren  Entrüstung  einerseits  dem  Bastard 
die  Existenzberechtigung  abspricht,  die  aber  anderseits  den  uns  bereits  bekannten 
Betrug  gefallener  Witwen')  und  Mädchen  durch  Kecht  und  Aberglauben 
schützen. 

Schließlich  sei  im  voraus  noch  auf  den  Anspruch  der  legitimen  Ehe- 
männer auf  die  illegitimen  Kinder  ihrer  Weiber  bei  den  Bassari  und  auf  die 
noch  merkwürdigere  Pflicht  des  legitimen  Ehemannes  bei  den  Namib-Busch- 
leuten  hingewiesen,  die  illegitimen  Kinder  seines  Weibes  für  den  illegitimen 
Vater  großzuziehen:  Rechtsverhältnisse  und  Auffassungen,  die  den  unseligen 
diametral  entgegengesetzt  sind.  — 

§  359.     Indo-Europäer,  Semiten  und  Hamiteu. 

Bei  den  Schiiten  in  Persien  gelten  die  Kinder,  welche  aus  den  vor- 
übergehenden Ehen  der  Wallfahrer  entspringen,  als  ein  besonderes  Geschenk 
vom  Himmel,  werden  in  den  Familien  der  Mütter  großgezogen  und  als  Heilige 
verehrt,  Die  Väter  sehen  ihre  Sprößlinge  wohl  nie  mehr,  haben  auch  keine 
Verpflichtungen  gegen  sie  (Fr.  Eugenieri). 

In  Kurram,  nordwestliches  Grenzgebiet  von  Britisch-Indien,  können 
Bastarde  durch  ihren  Vater  öffentlich  anerkannt  und  dadurch  erbberechtigt 
werden  (H.  A.  Rose). 

Der  Ossete  im  Kaukasus  darf  die  Kinder  seiner  Nebenweiber  ver- 
äußern4). Solche  Kinder  sind  bisweilen  reine  Sklaven  ihres  Vaters,  wie  Post 
(nach  Kovalewshy)  schreibt.     Sind  aber  von  der  Hauptfrau  nur  Töchter,  oder 


')  Kinder  von  Mebeuweibern,  bzw.  Konkubinen,  gelten  bei  verschiedenen  Völkern  als 
ehelich. 

-)   Vgl.  S.  543  dieses  Bandes. 

3J  Vgl.  Kap.  XLVII,  S.  536  und  §  359  des  vorl.  Kap. 

*)  Das  darf  er  übrigens  auch  mit  seinen  legitimen  Kindern  tun.  ja.  er  hat  das  Recht 
über  deren  Leben  und  Tod  (Post,  nach  Kovalewsky). 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.     Band  II.  44 


690     Kapitel  LV.     Das  illegitime  Kind.     Seine  sittliche  Auffassung  und  rechtliche  Stellung-, 

gar  keine  Kinder  vorhanden,   dann   geht   das   Erbe   bisweilen   auf  jene   der 
Nebenweiber  über. 

In  den  Bergen  von  Hoch-Albanien.  Diözese  Pulati.  gilt  das  Kind, 
welches  eine  Witwe  noch  nach  2 — 3  Jahren  gebiert,  als  das  legitime  Kind 
ihres  verstorbenen  Mannes,  wenn  das  Weib  behauptet,  sie  habe  es  von  ihm 
mich  zu  seinen  Lebzeiten  empfangen. 

Wir  haben  hier  also  die  gleiche  Erscheinung,  welche  uns  schon  in 
früheren  Kapiteln  im  nördlichen  Afrika  begegnet.  Ernesto  Cozzi,  der  die 
obige  Mitteilung  über  Albanien  machte,  bemerkte  dazu,  daß  das  moslemische 
Recht  nicht  zugebe,  daß  illegitime  Kinder  von  Witwen  und  geschiedenen 
Weibern  vaterlos  seien,  deshalb  habe  es  solche  Kinder  dem  letzten  recht- 
mäßigen Gatten  der  Mutter  zuerkannt.  -  Demnach  verstellt  der  Muselman e 
den  sinn  der  Aussage  eines  solchen  Weibes  recht  wohl  (vgl.  die  „verschlafenen" 
Kinder  in  früheren  Kapiteln,  sowie  die  illegitime  Geburt  bei  den  Kabylen 
w.  u.).  —  Ist  aber  der  illegitime  Vater  öffentlich  bekannt,  dann  muß  er 
Entehrung  der  Witwe,  bzw.  des  Mädchens,  mit  seinem  Leben  büßen.  Das 
Kirn!  wird  ihm  sofort  nach  der  Geburt  als  sein  Eigentum  zugeschickt.  Im 
Fall   er  die  Vaterschaft  ableugnet,   hat    er   seine  Unschuld  zu  beschwören1) 

In  Attika  sprach  Salons  (besetz  den  illegitimen  Kindern  das  Bürger- 
und Erbrecht  ab,  enthob  sie  aber  auch  der  Verpflichtung,  ihren  Vater  im 
Alter  zu  unterstützen,  wie  Jos.  Midier  und  Rawlinson  schrieben.  -  Nach 
Wachsmut  erlaubte  das  attische  Privatreclit  den  illegitimen  Kindern  einen 
Anteil  am  väterlichen  Nachlaß,  der  1000  Drachmen  nicht  übersteigen  durfte.  — 
Floß  wiederum  meinte2;:  „In  gewissen  Staaten  (Griechenlands)  erbten 
die  unehelichen  Kinder  das  Vermögen  ihres  Vaters,  wenn  keine  ehelichen 
Kinder  vorhanden  waren."  —  Als  illegitim  galten  die  Kinder  der  Beischläferinnen, 
jene,  deren  Vater  unbekannt  war,  die  Adoptivkinder  (vgl.  diese)  und  jene 
Kinder,  deren  Vater  und  Mutter  nicht  Bürger  ein  und  desselben  Staates 
waren  '■'■). 

Kbenso  entbehrten  im  alten  Rom  die  Kinder,  welche  ein  Freier  mit 
einer  Fremden  zeugte,  der  bürgerlichen  Rechte.  Das  gleiche  galt  von  den 
Kindern  aus  Ehen  eines  Freien  mit  einer  Sklavin,  oder  mit  einer  Freigelassenen 
(.7.  Müller). 

Weniger  streng  war  das  alte  germanische  Recht.  Hier  gab  es  eine 
formlose  Ehe  neben  der  Formehe.  In  der  Regel  begnügten  sich  zwar  die 
Germanen  mit  je  eiuer  Frau,  und  hielten  die  Einehe  hoch  (Grupp);  aber 
unter  den  Freien  und  Vornehmen  war  es  doch  nicht  ungewöhnlich,  Neben- 
frauen  und   Kebsen4)   zu  halten.     Die  Verbindungen   mit  Xebenfrauen  galten 


')  Nt  die  Schande  nicht  offenkundig,  dann  kann  der  illegitime  Vater  seine  Schuld  mit 
Geld  büßen;  nur  in  der  Kleinen  Mal  ei  ja  glaubt  man.  den  Fall  auch  dann  nur  mit  Blut 
sühnen  zu  können. 

2)  2.   Aufl.   II.  -fÜO. 

3)  Baß,  ebenda 

'i    Nach   dem   oben   Folgenden   scheinen   Nebenfrauen  und  Kebsen   bei   diu   (iermanen 

ebensowenig  identisch  gewesen  zu  sein,  wie  es  die  Nebenfrauen    und   Konkubinen    bei   vielen 

heu    Völkern   sind.      /'/>>/>'  schied   die  Hechte  der  Kinder  der  Net  cnfrauen   Ton  jenen 

der  Kinder  der  Kebsen.  —  Im  alteren   römischen  Recht   hatten   die  Kinder  einer  Konkubine 

zwar    imht    die    Krclite    der    legitimen   Kinder,    aber    doch    mehr    Recht    als  die   Kinder  einer 

pelb  aren  ..naturales",  diese  „spurii".    Diese  Unterschiede  dürften  auch  im  deutschen 

Mittelalter   bestanden    haben.     Übrigens   verbot    im    römischen  Reich   schon  Konstantin  I. 

i-  Ehegattin  eine  Konkubine  zu  halten.     Die  Kirche  verwarf  im  allgemeinen 

das  zeitweilige   Konkubinat  von  jeher,  und   wies  Personen,  die   in   einem   selchen   lebten,  ohne 

in    ein    unauflösliches    Khebiindnis    umwandeln    zu    wollen,    vom    Katechumenat     zurück. 

Ausnahmen   machte    sie    mit    den    Sklavinnen   heidnischer  Herren,  insofern   die   Sklavin   nur 

mit  ihrem  Herrn   allein  in  einer  solchen  Verbindung  stand  ( UY/.-fr  und  Weites  Kirchenlexikon 

2.  Autl.,  Bd.  :i.  842ff.).  — 


§  359.     Indo-Europäer,  Semiten  und  Hamiten.  (j'Jl 

als  rechte  Ehen;  die  daraus  hervorgehenden  Kinder  waren,  nach 
Ploß1),  vollberechtigt.  Die  Merowinger  hielten  noch  in  christlicher  Zeit 
an  diesem  Brauche  fest,  welcher  besonders  unter  den  nordger manischen 
Fürsten  gang  und  gäbe  war. 

Aber  nicht  nur  Vielweiberei,  sondern  auch  (zeitweiliges)  Konkubinat 
war  im  germanischen  Becht  gestattet  und  von  Reicheren  noch  durch  das 
ganze  Mittelalter  praktisch  durchgefühlt,  ohne  daß  die  öffentliche  Meinung 
großes  Ärgernis  daran  nahm,  wie  Ploß  schrieb.  Die  Kebse  (Konkubine?)  war 
nicht  gekauft  und  vermählt,  sondern  die  gegenseitige,  oft  auch  nur  die  ein- 
seitige Neigung  schloß  ohne  Förmlichkeit  die  Verbindung,  welche  der  Frau 
nicht  Rang  und  Recht  der  Ehefrau,  den  Kindern  nicht  die  Ansprüche  ehelicher 
Nachkommen  gewährte,  d.  h.  die  Kinder  der  Kebsen  (frillusynir)  hatten  keine 
Ansprüche  auf  väterlichen  Stand  und  väterliches  Erbe,  sondern  konnten  nur 
von  der  Mutter  erben.  Ebenso  verhielt  es  sich  mit  der  Teilnahme  am  Wer- 
geid und  Bußen,  denn  sie  gehörten  nicht  zu  der  Sippe  des  Vaters.  Hatte 
jedoch  der  Vater,  so  bestimmten  longobardische,  angelsächsische  und 
skandinavische  Rechte,  in  öffentlicher  Versammlung  die  Kinder  als  die 
seinen  anerkannt,  so  trat  ein  engeres  Rechtsverhältnis  ein.  —  Durch  eine 
spätere  rechtmäßige  Heirat  mit  der  Mutter  wurden  die  Kinder  nach  der 
Ansicht  des  Volkes  nicht  legitimiert,  so  sehr  auch  die  Kirche,  und,  unter  ihrem 
Einflüsse,  eine  Reihe  von  Gesetzen  seit  dem  13.  Jahrhundert  dafür  eintraten.  — 
Diese  Ehelichinachung  unehelich  Geborner  sei  übrigens  bis  ins  19.  Jahrhundert 
hinein  vielfach  angefochten  worden2). 

In  Spanien  wurde  noch  im  Jahre  1144  eine  natürliche  Tochter  des 
Kaisers  Don  Alfonso  VII.  mit  Don  Garcia  unter  Entfaltung  des  ganzen  Pompes 
vermählt,  welcher  damals  am  spanischen  Hofe  üblich  war.  Auch  in  Spanien 
waren  ja  die  Kinder  aus  den  Verbindungen  mit  Nebenfrauen  bei  Erbschaften 
und  Eheschließungen  gesetzlich  anerkannt  (Chaho)*). 

Noch  weiter  gingen  die  Kelten.  Sie  machten  zwischen  ehelichen  und 
unehelichen  Kindern  nicht  nur  keinen  Unterschied,  sondern  bezeichneten 
uneheliche  Söhne  auch  als  Göttersöhne.  —  Der  irische  Held  Lugaid  hatte 
drei  Väter4)  (Grupp).  --  Die  Sprößlinge  der  Einjahr-Ehen,  welche  im  alten 
Irland  (Kelten)  und  vom  6. — L6.  Jahrhundert  n.  Ohr.  auch  bei  den  schotti- 
schen Hochländern  vorkamen,  galten  als  legitim  (D'Arbois). 

Im  russischen  Recht,  dessen  älteste  Redaktion  bis  ins  11.  Jahrh. 
n.  Chr.  zurückgeht,  war  den  Bauern  das  Konkubinat  mit  ihren  leibeigenen 
Mägden  gestattet.  Die  Kinder  von  solchen  Verbindungen  erbten  von  ihrem 
Vater  nichts.  Nach  dessen  Tod  waren  sie  samt  ihrer  Mutter  frei  (Leop.  Karl 
Qoetz). 

Im  altserbisch en  Familienrecht  ist  das  uneheliche  Kind  erbfähig, 
wenn  es  vom  Vater  angenommen  ist  und  bei  ihm  lebt  und  arbeitet.  Den 
gleichen   Anteil,  wie  die   ehelichen  Söhne,  erhält  der   uneheliche   Sohn   vom 


')  II.  397. 

2)  Ploß  II,  397,  nach  K.   Weinhold.  — 

3)  Chaho  nennt  die  Verbindung  mit  Nebenfrauen  „manage  de  la  main  gauche'-.  Jetzt 
steht,  meines  Wissens,  diese  Bbetorm  (Ehe  zur  linken  Hand)  sittlich  auf  der  gleichen 
Stufe,  wie  die  normale  Ehe,  da  es  sich  ihr  zunächst  um  gesellschaftliche  Unterschiede 
des  Mannes  und  des  Weibes  handelt.  Allerdings  trat  dieses  ..matrimonium  ad  morganaticam" 
oder  „lege  Salica"  in  den  germanischen  Ländern  an  die  Stelle  des  Konkubinates  für  adelige 
Männer,  welche  sich  mit  Frauen  niederen  Standes  verbinden  wollten.  Frau  und  Kinder 
kommen  in  dieser  Eheform  nicht  in  den  Stand  und  die  Familie  des  Vaters.  Ausschließlichkeit 
und  Dauer  der  Ehe  sind  hier  aber  die  gleichen  wie  in  der  Ehe  zwischen  ebenbürtigen  Paaren. 
(Wetzer  und  Weites  K.-L.  2.  Aufl.,  Bd.  3,  814,  mit  einem  Hinweis  auf  Walters  deutsche 
B  chtsgeschichte,  Bonn  1853,  §  473). 

4)  Vgl.  die  Gruppenehen  der  Kelten  in  Kap.  L. 

44* 


692     Kapitel  LV.     Das  illegitime  Kind.     Seine  sittliche  Auffassung  und  rechtliche  Stellung. 

väterlichen  Nachlaß  nur  dann,  wenn  der  Vater  ihm  nicht  schon  bei  Leb- 
zeiten seinen  Erbanteil  bestimmt  hat.  Hingegen  wird  die  Mutter  von  ehe- 
lichen und  unehelichen  Kindern  gleichmäßig  beerbt.  —  Ohne  Annahme  an 
Kindes  Statt  kennt  das  uneheliche  Kind  im  altserbischen  Recht  keinen  Vater. 
nur  seine  Mutter.  Der  Vater  hat  somit  auch  keine  Alimentationspflichten. 
Annahme  an  Kindes  Statt  scheint  aber  nur  sehr  selten  vorgekommen  zu  sein. 
Wohl  finden  sich,  nach  Milovanovitsch,  Belege  dafür,  aber  in  solchen  Fällen 
lag  Zwang  vor  und  die  Furcht  vor  der  Blutrache  seitens  der  Verwandten  der 
Verführten.  War  der  Mann  noch  nicht  anderweitig  verheiratet,  dann  mußte. 
er.  gemäß  dem  Urteil  der  dobri  ljudi  (gute  Leute),  die  Mutter  heiraten,  und 
war  jene.-  bereits  der  Fall,  dann  wurde  er  gezwungen,  sich  des  unehelichen 
Kindes  anzunehmen.  Die  Stellung-  eines  solchen  Kindes  im  altserbischen  Recht 
nennt  Milovanovitsch  eine  sehr  schwere.  Es  durfte  von  seinem  Vater  und.  nach 
dessen  Ableben,  von  den  legitimen  Söhnen  und  von  seiner  Stiefmutter  nach 
Belieben  gesehlagen,  oder  sonstwie  gezüchtigt,  verstoßen  und  nach  auswärts 
verkauft  werden.     So  wenigstens  war  es  in  Ragusa. 

Milder  als  die  Serben,  waren  die  alten  Babylonier  gegen  illegitime 
Kinder.  Hammurabis  Gesetzbuch  bestimmte,  daß  ein  Mann  zu  seinen  Leb- 
zeiten die  mit  seiner  Magd  gezeugten  Söhne  als  die  seinen  erklären  und  den 
Söhnen  der  rechtmäßigen  Gattin  zurechnen  könne.  Dadurch  winden  die 
Bastarde  berechtigt,  gleichmäßig  mit  den  legitimen  Söhnen  zu  erben,  wobei 
der  (älteste?)  Sohn  der  Gattin  zu  teilen  und  zu  wählen  hatte.  —  Die  Töchter 
ler  Nebenfrauen  (und  Mägde?)  erbten  nicht,  erhielten  aber  eine  Mitgift,  sei 
es  noch  zu  Lebzeiten  des  Vaters  oder,  nach  dessen  Tod,  von  seinen  Sühnen, 
ihren  Halbbrüdern.  —  Das  Schicksal  der  Kinder  von  Buhlen  und  Dirnen  siehe 
Kapitel  LIV.  — 

Die  alttestamentlichen  Hebräer  machten  einen  wesentlichen  Unterst 
zwischen  den  Kindern  der  ,.Mägde"  (Kebsweiber)  und  den  Kindern  der  ..Huren". 
Nach  König  wurden  jene  von  den  eigentlichen  Frauen  sogar  als  die  ihrigen 
angesehen  und  formell  anerkannt,  indem  sie  sie  auf  den  Schoß  nahmen. 
(Die  gleiche  Anerkennungsformel  beobachteten,  nach  König,  die  legitimen 
Vater  gegenüber  ihren  legitimen  Xeugebornen.)  —  Bei  1.  Mose  30,  :>  will 
übrigens  Rahel,  daß  ihre  Magd  Bilha  auf  ihrem  Schoß  gebäre.  Die 
Vertreibung  Isinaels  mit  seiner  Mutter  beweist  indessen,  daß  Sarah  diesen 
Sohn  ihres  Mannes  eben  doch  nicht  als  den  ihrigen  behandelte  und  ansah.  —  Vom 
..Hurenkind"'  heißt  es  bei  5.  Mose  23,  2:  „Es  soll  kein  Hurenkind  in  die 
Gemeinde  Johovas  kommen:  auch  sein  zehntes  Geschlecht  soll  nicht  in  die 
Gemeinde  Jehovas  kommen." 

In  Arabia  Petraea  wird  der  von  einer  Magd  gebome  Sohn  den  Söhnen 
der  eigentlichen  Gattin  nicht  gleichgestellt  und  kann  nach  dem  Tode  des 
Vaters  sogar,  samt  seiner  Mutter,  vertrieben  werden  (Musil).  —  Das  ist  um 
so  bemerkenswerter,  als  die  Araber  den  mit  seiner  Mutter  von  Abraham  ver- 
triebenen  Ismael  ihren  Stammvater  nennen. 

Bei  den  Arabern  in  Kairo  und  Oberägypten,  wo  manche  Bräute 
Sklavinnen  als  persönliches  Eigentum  mit  in  die  Ehe  bringen,  dürfen  diese 
von  den  Ehemännern  nicht  ohne  Zustimmung  der  Ehefrauen  als  Konkubinen 
benutzt  werden.  Geschieht  das  doch,  und  wird  die  Sklavin  darauf  schwanger, 
dann  hängt  es  von  der  Herrin  ab,  ob  diese  die  Sklavin  vor  der  Entbindung 
dem  Gatten  schenkt  bzw.  'verkauft,  oder  nicht.  In  den  zwei  ersteren  Fällen 
wird  das  Kind  als  freies  Kind  geboren  (/."//-  i. 

Die  Meyrefab-Araber  in  Berber  heiraten  nur  arabische  Mädchen 
oder  Frauen,  halten  aber  Abessinierinnen  und  Negerinnen  als  Sklavinneu  und 
Ronkubiuen.  Die  Kinder,  welche  ihnen  von  diesen  geboten  werden,  dürfen 
sich   nur  mit  Sklaven  oder  Nachkommen  von  Sklaven  verheiraten  (BurclchaA  U). 


§  360.     Neger,  Buschleute  und  inalayisck-polyuesisehe  Völker.  (j93 

Bei  den  Arabern  in  Deutsch- Ostafrika  sind  die  im  Konkubinat 
gezeugten  Kinder  frei,  doch  mit  den  legitimen  Kindern  nicht  gleich  berechtigt 
(H.  F.  von  Behr). 

Burion  meinte  allerdings,  es  sei  schade,  daß  die  Christen  sich  nicht  die 
Muselmanen  zum  Beispiel  nehmen,  insofern  diese  ihre  von  Sklavinnen  gebornen 
Kinder  legitimieren.  Er  scheint  also,  nach  den  obigen  Mitteilungen,  den 
Betriff  „legitim"  in  jenem  weiteren  Sinn,  den  auch  ich  in  §  358  andeutete,  ge- 
nommen, oder  lokale  Rechtsbestimmungen,  bzw.  Bräuche  verallgemeinert  zu 
haben.  Seine  andere  Bemerkung,  daß  die  Muselmanen  ihre  Kinder  von 
Sklavinnen  nicht  verkaufen,  ist  nicht  allgemein  zutreffend.  J.  L.  Burckhardt 
hat  gegenteilige  Falle  mitgeteilt. 

Die  Kaffiten,  ein  Gallazweig  im  südlichen  Abessinien,  scheiden 
ihre  Kinder  aus  in  „dee  buscho",  was  Friedrieh  J.  Bieber  mit  „gute  Kinder' 
übersetzt,  und  in  „dikalo".  Jene  sind  die  Kinder  der  rechtmäßigen  Gattinnen, 
diese  sind  Bastarde,  Kinder  von  Mägden  oder  Beiweibern  (Medsche)  und  von 
Lustweibern  (Scliadetsche).     Die  Bastarde  sind  nicht  erbberechtigt. 

Die  Kabylen  erkennen  den  illegitimen  Kindern  ein  Recht  auf  das 
Leben  nicht  zu  (vgl.  Kap.  LS.  11 ).  Doch  helfen  sich  hier,  wie  unter  den 
Berbern  und  Albanesen,  die  Witwen  mit  Betrug  und  Aberglauben,  bzw. 
mit  Hilfe  des  mohammedanischen  Hechtes1),  durch.  Sie  können  ja  zeitlebens 
„eingescklafene"  Kinder  (it't'es)  im  Schöße  tragen,  wie  Hanoteau  und  Lrtom  neux 
berichteten.  Die  Witwe  (welche  für  die  Zukunft  nicht  gut  stehen  will)  legt 
einfach  nach  dem  Tod  ihres  Mannes  ihren  Gürtel  auf  dessen  Leiche  und 
erklärt,  sie  sei  schwanger.  Mag  sie  dann  nach  2— JO  Jahren,  oder  noch 
später,  gebären:  Das  Kind  gilt  als  der  legitime,  und,  wenn  ein  Sohn, 
als  der  erbberechtigte  Sprößling  des  Verstorbenen.  Die  Bemühungen  der 
französischen  Regierung,  diesen  Aberglauben  und  Unfug  auszurotten,  waren 
bisher  eifolglos. 

§  3(50.     Neger,  Buschleute  und  malayisch-polyiiesisclie  Völker. 

In  Deutsch-Togo  ziehen  die  Bassari  die  unehelichen  Kinder  ihrer 
Töchter  wie  ihre  eigenen  auf  und  lassen  sie  die  gleichen  Rechte,  wie  diese, 
genießen.  Der  illegitime  Vater  muß  den  Wert  des  üblichen  Hochzeitsgeschenkes 
den  Eltern  der  Mutter  geben  (Klose),  hat  somit  eine  Art  Alimentationspflicht. 

Im  Verhalten  der  Ewe-Xeger  in  Deutsch-Togo  gegen  die  illegitimen 
Kinder  treuloser  Eheweiber  kommt  der  Wunsch  nach  dem  Kind  (vgl.  Kapitel  I) 
ganz  besonders  deutlich  zum  Ausdruck.  Hier  gehören  nämlich  die  Kinder 
eines  Weibes,  das  seinen  Mann  aus  Abneigung  verlassen  hat  und  mit  einem 
Liebhaber  lebt,  dem  rechtmäßigen  Gatten.  Ja,  dieser  ist  sogar  berechtigt, 
Schadenersatz  für  ein  aus  dieser  Verbindung  hervorgegangenes  Kind  zu  ver- 
langen, wenn  das  Weib  in  der  Schwangerschaft  stirbt,  und  Herold,  der 
diese  Mitteilung  macht,  fügt  bei.  daß  ein  Stamm,  von  welchem  eine  ver- 
heiratete Frau  zu  einem  andern  Stamm  entflieht.  Anspruch  auf  alle  Kinder 
erhebt,  welche  jene  Frau  während  ihres  dortigen  Aufenthaltes  zur  Welt 
bringt,  es  sei  denn,  daß  die  Entflohene  nachträglich  von  dem  andern  Stamm 
bezahlt  wird. 

Die  Kinder,  welche  der  Ewe-Xeger  mit  seiner  Sklavin  zeugt,  erhalten 
Land  zur  Bewirtschaftung  und  Ausnutzung. 

Bei  den  Wambugu  in  Usambara,  Deutsch-Ostafrika,  gehören  un- 
eheliche. Söhne  ihrem   Vater,  uneheliche  Töchter  ihrer  Mutter  (Storch). 


')  Siehe  Cu::i,   S.  600. 


(594     Kapitel  LV.     Das  illegitime  Kind.     Seine  sittliche  Auffassung  und  rechtliche  Stellung. 

Die  gleichmäßige  Erbberechtigung  der  legitimen  und  illegitimen  Kinder, 
bzw.  sogar  Bevorzugung  der  letzteren,  bei  den  deutsch-ostafrikanischen 
Wanjamwesi  ist  in  Kapitel  LI.  §  339,  erwähnt  worden. 

Die  Mkulwe  in  Deutsch-Ostafrika  beschimpfen  die  Gespenster  ver- 
storbener Verwandten,  welche  ihnen  Krankheiten  verursachen,  als  Bastarde 
und  Handesöhne  (Alois  Hamberger).  Illegitime  Kinder  scheinen  also  bei  ihnen 
verachtet  zu  sein. 

Die  Wasuaheli  nennen  ein  uneheliches  Kind  ..mtoto  wa  haläli",  d.  h. 
ein  unerlaubtes  Kind.  Dieser  Titel  bleibt  ihm.  auch  wenn  seine  Eltern  sich 
miteinander  verheiraten.  Als  unehelich  scheinen  aber  die  mit  einem  Kebs- 
weib (Suria)  gezeugten  Kinder  nicht  zu  gelten.    Diese  sind  frei,  doch  genießen 


I  Scbulknaben  in   Nyanga'o,   Deutach-Ostafrika.    Mit   Erlaubnis  der  Missionäre   0.  S.  B.  in 

St.  ottilien. 


auch  sie  nicht  das  Ansehen  der  Kinder  legitimer  und  freigeborner  Krauen. 
was  sich  besonders  bei  der  späteren  Verheiratung  der  Mädchen  zeigt,  da  Männer 
mit  Familien-  und  Ahnenstolz  keine  Tochter  eines  Kebsweibes  zur  legitimen 
Gattin  wollen;  sonst  könnten  sich  seine  Kinder  ja  nicht  mit  ihrem  Stammbaum 
mütterlicherseits  rühmen.  Lieber  unterziehen  sich  solche  Männer  den  größeren 
Rücksichten,  welche  sie  einer  legitimen  und  freigebornen  Frau  schulden  (  Veiten). 

Fine  mich  auffallendere  Erscheinung,  als  bei  den  Ewe-Negern  in  Togo, 
finden  wir  bei  den  südafrikanischen  Namib-Buschleuten.  Hier  muß  nämlich 
der  Bräutigam  die  vorehelichen  Kinder,  welche  seine  Braut  von  einem  andern 
.Mann  hat.  übernehmen,  aufziehen  und  dann  ihrem  eigentlichen  Vater  zurück- 
geben (  Trenh). 

Weit  weniger  Wettbewerb  um  illegitime  Kinder,  als  bei  diesen  zwei 
afrikanischen  Völkern,  ist  unter  den  Europäern  auf  Java  zu  konstatieren, 
wo  wilde  Ehen  zwischen  Europäern  und  eingebornen  Weibern  an  der  Tages- 


Neger,  Buschleute  und  malayiseh-polynesische  Völker. 


G95 


Ordnung  sind.  Das  Los  der  Kinder  aus  solchen  Ehen  ist  nach  Emil  Metgger 
kein  günstiges.  Schon  die  Geburt  vieler  von  ihnen  ist  nicht  gerne  gesehen. 
Durch  die  Mutter  verzärtelt,  die  in  ihnen  das  Band  sieht,  welches  den  Vater 


für  immer  an  sie  binden  soll, 
die  Zukunft,  oder  aber,  wenn 
ein  Gegenstand  des  Kummers 
schwer   es   ihm   werden   wird. 


sind  sie  für  diesen  ein  Stein  des  Anstoßes  für 
das  Vaterherz  in  ihm  die  Oberhand  gewinnt, 
und  der  Sorge,  denn  er  weiß  nur  zu  gut,  wie 
ihnen  eine  Laufbahn  anzubahnen  und  sie  für 
dieselbe  vorzubereiten,  weil  die  Europäer  auf  Java  trotz  aller  offiziellen 
Gleichstellung  der  Mischlinge  von  jeher  „Hausmittel"  gefunden  haben,  durch 
deren  Anwendung  es  dem  Mischlinge  beinahe  nur  in  Ausnahmsfällen  möglich 
war,  die  gleiche  Stufe  wie  der  Europäer  zu  erreichen.  In  neuerer  Zeit 
haben  sich  ja  die  Unterrichtsverhältnisse  für  die  Mischlinge  vielfach  ver- 
bessert, was  aber,  nach  Metzger,  in  gewisser  Beziehung  um  so  schlimmer 
ist.  als  dieselben  durch  die  Vollblut- 
Europäer  selbst  aus  bescheidenen  Stel- 
lungen immer  mehr  und  mehr  ver- 
drängt weiden,  was  die  nun  intellektuell 
auch  höher  entwickelten  Mischlinge 
um  so  schmerzlicher  empfinden  müssen. 
Allerdings  erhalten  nur  die  wenigsten 
Kinder  aus  den  wilden  Ehen  der 
Europäer  mit  eingebornen  Weibern 
eine  Erziehung  in  diesem  Sinn.  Meist 
kümmert  sich  der  Mann  um  seine 
Sprößlinge  gar  nicht,  oder  er  ist  nicht 
imstande,  ihnen  eine  gediegene  Er- 
ziehung aiigedeihen  zu  lassen.  —  Als 
illegitim  wird  das  Kind  von  dem  Ge- 
setze freilich  nicht  hart  behandelt, 
aber  als  Mischling  steht  ihm  indirekt 
ein  schweres  Los  bevor. 

Auf  den  Marschall-Inseln  ver- 
pflegt man  die  unehelichen  Kindei  mit 
den  ehelichen  in  der  Familie  der  Mutter. 
bis  sie  gehen  können.  Dann  werden 
sie  von  ihrem  Vater  zu  sich  ge- 
nommen, wenn  er  ausfindig  zu  machen 
ist.  Im  andern  Fall  bleiben  sie  bei 
ihrer  Mutter  {Hager,    nach   Chamisso). 

Auf  Nauru  sind  uneheliche  Kinder  nicht  erbberechtigt  (Jung). 

Nordost-Stamm  der  Gazellen-Halbinsel.  Bismarck-Archipel, 
seiner  bilderreichen  Sprache  die  Geburt  eines  unehelichen  Kindes 
N.  N.  hat  geboren  hinein  ins  Freie"  (ins  Leere).  Das  Kind  selbst 
zeitlebens  Beschimpfungen  gefallen  lassen.  Man  nennt  es  „eine 
kleine  Winde",  weil  es  sich  schmarotzerhaft  um  andere  ranken  muß;  „einen 
kleinen  Fußknochen,  gut  für  einen  Hund",  „ein  kleines  Loch  im  Holze",  eine 
kleine  Frucht  des  gilaur",  der  auf  sandigem  Seeboden  wächst  und  das  Licht 
nicht  sieht,  wie  das  uneheliche,  gewissermaßen  in  der  Finsternis,  geborne 
Kind.  Man  wirft  dem  unehelichen  Kind  auch  vor.  ..man  habe  es  nicht  mit 
einer  jungen  Kokosnuß  ernährt",  weil  für  ehelich  geborne  Kinder  der  Vater 
junge  Kokosnüsse  vom  Baume  herunter  holt  (Jos.  Winthuis). 

Auf  Samoa  kann  ein  Mann  seine  illegitimen  Kinder  in  seine  Familie 
aufnehmen,  wodurch  sie  mit  seiuen  ehelichen  gleichberechtigt  werden  ( II'. 
von   Biilow).  — 


Fig.  47u.  ffa  m  w  e  r  a  -Knabe,  D  e u t  s  c li  -  0  s  t  a  f  r i  k  a. 
Mit  Erlaubnis  der  Missionäre  O.s.  B.  in  St.  Ottilieu. 


Der 

drückt  in 
aus  mit:  „ 
muß   sich 


Kapitel  LV.     Das  illegitime  Kind.     Seine  sittliche  Auffassung  und  rechtliche  Stellung. 


§  361.     Koreaner,  Japaner,  Chinesen  und  Annamiten. 


697 


§  361.     Koreaner,  Japaner,  Chinesen  und  Annaiuiten. 

Auf  Korea,  wo  Nebenfrauen  in  allen  Kreisen  der  Bevölkerung  ge- 
bräuchlich sind,  variieren  die  Kechte  dieser  Kinder  je  nach  dem  moralischen 
Standpunkt  der  betreffenden  Gesellschaftsklasse.  In  den  oberen  Klassen 
haben  sie  kein  Erbrecht  und  brauchen  (dürfen?)  die  Familienopfer  nicht 
darbringen,   d.   h.  sie   haben  keinen   Ahnenkult    zu   vollziehen.      Ebensowenig 


Fig 


Chinesischer  Kinderanzug.    Im  .Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


können  die  Kinder  der  Nebenfrauen  in  den  vornehmen  Kreisen  den  Stamm- 
baum fortsetzen.  Das  Volk  nimmt  es  jedoch  nicht  so  genau;  immerhin 
richtet  sich  hier,  wie  dort,  die  Stellung  solcher  Kinder  nach  dem  Stande 
der  Mutter. 

In  Japan  und  China  sind  die  Kinder  der  Nebenfrauen,  bzw.  Konkubinen, 
mit  jenen  der  legitimen  Gattin  gleichberechtigt,  in  Japan  sogar  im  kaiserlichen 
Btammregister  vertreten.  Korea  ist  in  diesem  Punkte  heikler.  —  Voreheliche 
Kinder,  die  durch  ein  matrimonium  subsequens  legitimiert   werden,  sowie  die 


698     Kapitel  LV.     Das  illegitime  Kind.     Seine  sittliche  Auffassung  und  rechtliche  Stellung. 

Kinder  der  Prostituierten,  unterstellen  in  China  der  mütterlichen  Gewalt  und 
tragen  den  Familiennamen  der  Mutter  (Jos.  Grunzel). 

In  Aniiam  haben  uneheliche,  vom  Vater  anerkannte,  Kinder  Anrecht 
auf  Alimentiemng  aus  dessen  Nachlaß,  und  zwar  auch  während  der  gesetz- 
lichen Nutznießung  durch  die  Witwe.  —  Die  Söhne  der  Nebenfrauen  gelten 


Fii;.  i7::.   Tonpuppe  (Papoose)  für  Kinder.    Blojave-Indianer  in  Californien  und  Arizona.    Im  Museum 
I.  K.  Hoheit  Prinzessin  Thwest  von  itayern. 

auch    hier    als    „eheliche"'    Söhne    und    sind    erbberechtigt     (H.    St  idel,   nach 
Denjoy*).  — 

8  362.    Ural-AItaien,  Hyperboräer  und  Indianer. 

Bei  den  Chalcha-Mongolen  im  Norden  der  Wüste  Gobi  sind  an  und 
für  sich  nur  die  Kinder  der  einen  legitimen  Gattin  erbberechtigt;  doch  können 
die  Kinder  der  Kebsweiber,  welche  als  außerehelich  gelten,  mit  Erlaubnis  der 
Behörden  adoptiert  werden  i.V.  von  Prschewalski). 


•,  Vgl.  S  349. 


§  362.     Ural-Altaien,  Hyperboräer  und  Indianer. 


699 


heutigen 


Die  unehelichen  Kinder  der  Samojedeu  genießen  die  gleichen  Rechte 
wie   die   ehelichen.     Dennoch   kommt   es   bisweilen   vor.   daß   ein  Mann   sein 
"Weib   mit   ihrem   Neugebornen   zu    ihren   Eltern    mit    der 
Behauptung   zurückschickt,   das    Kind   sei   nicht    von   ihm 
(P.   von    Stenin). 

Freie  Giljaken,  die  mit  Sklavinnen  Kinder  zeugen. 
leugnen  durchgängig  ihre  Vaterschaft,  und  da  der  dies- 
bezüglichen Aussage  einer  Sklavin  nicht  geglaubt  wird. 
fällt  das  illegitime  Kind  dem  Besitzer  seiner  .Mutter  zu. 
Dieser  läßt  es  aufwachsen  und  verkauft  es  dann  {von 
Schrenck). 

Bei  den  Kanada-Indianern  waren  zur  Zeit  De 
Lahontans  die  illegitimen  Kinder  mit  den  legitimen  gleich- 
berechtigt (vgl.  §  329). 

Nach   Nbrdenskiö'ld  ist   das   auch   bei    den 
Moki   in   Arizona  der  Fall. 

Die  Mayas  in  Yukatan  hingegen  sprachen  den 
Kindern,  die  ein  freier  Mann  mit  seinen  Sklavinnen  zeugte, 
das  Erbrecht  ab  (Bicncroft). 

Aus  der  Erbfolge  der  peruanischen  Inkas  waren 
die  Söhne  der  zahlreichen  Nebenfrauen  des  Inka  aus- 
geschlossen (Dapper).  — 

Zum  Abschluß  dieses  Kapitels  sei  noch  bemerkt,  daß 
die  Aruak  in  der  Sierra  Nevada  de  Santa  Marta 
das  Kind  einer  Unverheirateten  für  das  Kind  eines 
Hirsches  ..halten"  (?)  und  es  auch  so  nennen,  wie 
W.  Siem  rs.  im  Hinweis  auf  Nie.  de  la  Born,  schreibt. 
Sievers  schließt  aus  dieser  Benennung  des  Kindes,  daß 
die  Aruak  den  Umgang  eines  Indianers  mit  einer  Un- 
verheirateten für  unmöglich  halten. 

Mir  scheint  aber  eine  andere  Erklärung  wahr- 
scheinlicher zu  sein.  Der  Hirsch  dürfte  hier  ein  Bild 
der  sinnlichen  Leidenschaft,  der  Brunst,  oder  doch 
der  Begattung  sein,  wie  er  es  bei  so  manchen  andern 
Völkern  ist.  Auf  Hirschhaar  im  Sonnenkult  wies  S.  J. 
Sternberg1)  hin.  Hirschschwänze  an  Stäben  halten 
die  Cora-lndianer  bei  ihrem  Fest  des  Erwachens  in 
Händen'-'),    und    Hirsche   spielen   auch    im    Kore-Kult    eine    Bolle3). 


Fig.  474.  Zwei  Kinder- 
puppen aus  Knochen  von 
SU  außenzehen.  P  i  1  agä- 
Indianer,  Argenti- 
nien. Die  größere  ist 
in  Fetzen  europäischer 
Herkunft  gehüllt.  Im 
Museum  I.  K.  H.  Prin- 
zessin Therese  von  Bayern. 


i)  Glob.  97  (1910),  S.  221. 

2)  Preuß,  Das  Fest  des  Erwachens.  In  Verhdlg.  d.  XVI.  Intern.  Am.-Kongr..  2.  Hälfte.  492. 
(Val.  meine  Ansicht  über  den  Sinti  dieses  Festes  in  Kap.  XLVIII,  S.  581.) 

3)  Vgl.  Kap.  XLVIII.  S.  573 f. 


Kapitel  LVT. 

Verlobung  und  Verheiratung  des  Kindes. 

§  363.  Der  Wunsch  nach  dem  Kind,  d.  h.  das  Verlangen  der  Mensch- 
heit nach  Fortpflanzung1),  kommt  abermals  zu  einem  besonders  deutlichen 
Ausdruck  in  der  Verlobung  und  Verheiratung  schon  im  Kindesalter,  oder  doch 
nahe  an  dessen  Grenze.  Wir  finden  den  Brauch  der  Verlobung  im  Kindesalter 
über  die  ganze  Erde  verbreitet;  das  vorliegende  Kapitel  zeigt  ihn  uns  hei 
einem  oder  mehreren  Vertretern  aller  Völkerfamilien,  ja,  man  begnügt  sich 
nicht,  schon  Kinder,  Säuglinge  und  Neugeborne  zu  verloben,  sondern  kommt  bei 
einzelnen  Völkern  der  Geburt  zuvor,  verloht  das  za  erwartende  Kind  schon  im 
Mutterschoß,  und  noch  weiter  gehen  einzelne  Stämme  in  Australien,  indem  sie  gar 
schon  erhoffte  Töchter  von  Mädchen  verloben, "Welche  letztere  selbst  noch  unreife 
Kinder  sind.  Ob  solche  Bräute  je  geboren  werden,  weiß  man  natürlich  nicht. 
Man  begnügt  sich  im  negativen  Fall  bei  einzelnen  Völkern  mit  dem  Knaben. 
statt  des  erwarteten  Mädchens  kommt,  und  betrachtet  diesen  als  eine  Art  Patenkind 
des  Bräutigams,  wie  es  die  Arunta  und  Llpirra  in  Australien  machen  (§  366), 
oder  sieht  die  geplante  Verlobung  doch  als  Band  der  Freundschaft  zwischen 
dem  Bräutigam  und  dem  neugebornen  Knaben  an,  wie  es  bei  den  Ewe-Negern 
der  Fall  ist  (§  3G5),  oder  als  Band  der  Freundschaft  zwischen  den  beiden 
Familien,  wie  §  3G4  von  den  transkaukasischen  Armeniern  berichtet. 

Die  Verheiratung  der  Verlobten  im  Kindesalter  findet  bei  mam 
Völkern  gleichfalls  schon  vor  Eintritt  der  Keife  statt;  doch  beginnt  nicht  bei 
ihnen  allen  auch  schon  der  Beischlaf  vor  Eintritt  der  Reife.  Hochzeiten  vor 
dieser  Periode  weist  das  vorliegende  Kapitel  nämlich  nach  im  arischen  und 
nichtarischen  Indien,  bei  den  Neupersern,  Afghanen.  Osseten,  Bojken,  Serben. 
Russen,  Griechen  und  Engländern,  bei  Arabern  und  Kabylen,  bei  einigen 
Völkern  von  Britisch-  und  Deutsch-Ostafrika,  auf  Java.  Nauru  und  Neupommern, 
bei  Samojeden,  Renntier-Tschuktschen,  Eskimo,  Nordindianern,  Caingang- 
Indianern  u.  a.  m. 

Von  manchen  dieser,  sowie  von  anderen  in  diesem  Kapitel  aufgeführten 
Völkern  ist  aber  ausdrücklich  mitgeteilt,  daß  >\<-v  sexuelle  Verkehr, 
trotz  der  stattgehabten  Hochzeit,  erst  nach  Eintritt  der  Keife  beginnt. 
Bierher  gehört  die  Bevölkerung  von  Kumaon.  Pandschab  und  Radschputaua 
in  Vorderindien,  sowie  die  große  Mehrzahl  dei  Einwohner  der  indischen  Nord- 
westprovinzen und  die  niederen  Volksklassen  in  Bengalen;  feiner  im  südlichen 
Vorderindien  die  Toda  und  Kasubas;  dann  die  Armenier,  Serben  und  Küssen. 
Die  christliche  Kirche  des  Morgen-  und  Abendlandes  überhaupt  eilaubte  das 
eheliche  Leben  erst  mit  Kim  ritt  der  Reife.  Auf  dem  gleichen  Standpunkt 
erscheinen  die  A.ssyrer  und  Juden;  ferner  die  Ewe-Neger,  die  Bantu  am 
untern  Kongo,  die  Maquamba- Kaffern  und  Nama-Hottentotten,  auch  dieMikro- 
uesier  auf  Ya,p,  die  Papua,  die  Australier  am  Moore-River,  die  Indianer  in 
Guyana,  die  Capickrans  in   Brasilien  u.a.m. 


■)  Vgl.  /.    B.  Kap.  I  u    LtV 


§  3K4.     Indo-Europäer  und  vorderindische  Niehtarier.  701 

Ausdrücklich  erwähnt  ist  hingegen  der  sexuelle  Verkehr  vor  Eintritt 
der  Keife  tals  Ausnahme)  in  den  indischen  Nordwestprovinzen,  als  Regel(?) 
in  den  vornehmen  Kreisen  von  Bengalen:  eher  als  Ausnahme,  denn  als  Regel, 
bei  den  Kabylen;  als  allgemeiner  Brauch  bei  den  ostafrikanischen  Wapororo, 
den  früheren  (auch  jetzigen?)  Völkern  des  Makonde-Plateaus  u.  a.  m. 

Von  nicht  wenigen  Völkern  fehlen  mir  genaue  Angaben,  so  daß  hier 
nicht  festgestellt  werden  kann,  ob  bei  ihnen  einerseits  die  Verheiratung  auch 
schon  den  ehelichen  Umgang  in  sich  schließt,  und  andererseits  ob  die  Alters- 
angabe für  die  Brautpaare  unreife  Kinder,  oder  bereits  gereifte  Leute  bezeichnet. 
Denn  der  Umstand,  daß  z.  B.  zehn  Jahre  als  Alter  der  Bräute  angegeben  sind. 
beweist  noch  nicht,  daß  man  es  mit  unreifen  Mädchen  zu  tun  hat.  da  es 
sowohl  im  südlichsten  Afrika,  als  im  nördlichen  Sibirien  und  tropischen  Amerika 
10 — 1 2  jährige  Mütter  gibt.  Solche  Tatsachen  verbieten  wohl  auch  die  Annahme, 
daß  12jährige  Bräutigame.-  denen  wir  auf  Samoa,  in  Korea.  Sibirien  und 
andernorts  begegnen,  als  unreife  Knaben  bezeichnet  werden. 

Eheliche  Verbindungen  zwischen  unreifen  Knaben  und  gereiften 
Weibern,  zwischen  Mädchen  im  Kindesalter,  oder  doch  noch  nahe  an 
dessen  Grenzen,  mit  20-,  30-,  40jährigen  Männern  oder  gar  abgelebten 
Greisen,  sind  wohl  eine  der  widrigsten  Erscheinungen  in  der  Völkerpsychologie, 
hauptsächlich  wenn  sich  dazu  das  Konkubinat  gesellt.  Auch  solche  Erschei- 
nungen, vom  Landesbrauch  geduldet,  weist  das  vorliegende  Kapitel  auf  höheren 
und  niederen  Kulturstufen  nach.  Die  <  >-seten  im  Kaukasus,  die  früheren 
Bojken  (ein  ruthenischer  Volksstamm),  verschiedene  Negervölker,  aber  auch 
Koreaner,  ferner  Golden,  Samojeden  und  Eskimos  gehören  hierher. 

Schlimme  Folgen  des  vorzeitigen  Ehelebens.  welches  sich  freilich  kaum 
mit  dem  Wunsch  nach  dem  Kind,  wohl  aber  mit  einer  ethisch  weit  tiefer 
stellenden  Lust  erklären  dürfte,  sind  im  vorliegenden  Kapitel  nur  bei  einigen 
Völkern  nachgewiesen.  Beispiele  sind  die  Bengalen  (vornehme  Kreise),  die 
Kabylen  und  die  Eingebornen  auf  Neupommern. 

Bezeichnend  für  die  Inder  ist  es.  daß  sie  es  mit  der  Kinderheirat  an- 
stellten, wie  sie  es  mit  der  Witwenverbrennung  getan,  d.  h.  daß  sie  jene  wie 
diese  zu  einer  strengen  religiösen  Pflicht  stempelten,  deren  Nichterfüllung 
mit  furchtbaren  Jenseits-Strafen  bedroht  wird.  Das  alte  Indien  kannte  (nach 
/.'.  Sehröder)  weder  die  eine,  noch  die  andere.  Immerhin  ist  die  Ehe  in  einem 
Alter,  das  wir  als  Kindesalter  bezeichnen,  eine  sehr  frühe  Erscheinung  im 
Völkerleben;  denn  ^  3fi5  macht  uns  mit  Hochzeiten  13 jähriger  Assyrerinnen 
aus  dem  7.  Jahrhundert  v.  Chr.  als  historische  Tatsache  bekannt,  abgesehen 
von  dem  wahrscheinlichen  Brauch  der  Kinderehen  auch  schon  zu  Hammurabis 
Zeit  (ca.  2200  v.  Chr.).  — 

Jedenfalls  ist  das  vorliegende  Kapitel  ein  weiterer  Beitrag  zu  Kapitel 
XLVII.  „Kind  und  Keuschheit".  — 

§  364.     Iiulo-Europiier  und  vorderindisclie  Niehtarier. 

Im  Herbst  1911  ging  die  Nachricht  durch  einen  Teil  der  deutschen  Presse, 
daß  die  jüngste  Volkszählung,  welche  die  britische  Regierung  in  den  ihr  unter- 
stehenden Gebieten  Indiens  durchführte,  unter  anderem  zu  dem  Ergebnis 
gekommen  sei,  daß  dort  gegenwärtig  250  000  Mädchen  unter  fünf  Jahren  formell 
verheiratet  seien.  Die  Zahl  der  Ehefrauen  unter  zehn  Jahren  betrage  2  Millionen ; 
die  Zahl  der  im  Alter  von  10  bis  15  Jahren  6  Millionen,  uud  zwischen  15  und 
20  Jahren  seien  9  Millionen  vermählt  worden.  Die  Zahl  der  Witwen,  die 
kaum   ihr  fünftes  Lebensjahr  erreicht   hätten,   wurden   auf  10  000  angegeben. 

Nach  /'//.  Lenz  hat  man  in  verschiedenen  Teilen  Indiens  zwei  wesentlich 
verschiedene   Arten    von   Kinderheiraten    zu    unterscheiden,    deren   eine    vom 


702  Kapitel  LVI.     Verlobung  und  Verheiratung  des  Kindes. 

pli vsiologischen  Standpunkt  einwandfrei  sei,  während  die  andere  in  jeder  Hin- 
sicht verurteilt  werden  müsse.  Bei  der  ersteren,  im  Pandschab  vorherrschenden, 
tindet  zwar  die  Hochzeitszeremonie  sehr  früh,  bei  den  Jats  gewöhnlich  schon 
mit  fünf  bis  sieben  Jahren  statt,  aber  die  Gatten  kommen  erst  viel  später 
zusammen,  meist  nicht  vor  15  oder  16  Jahren.  In  diesem  Alter  oder 
noch  später  heiraten  die  Radschputen,  die  sofort  nach  der  Hochzeit  das 
eheliche  Leben  beginnen.  Weder  hier  noch  dort  seien  Anzeichen  von 
Entartung    zu    erkennen.  Lenz    weist    bei    dieser  Mitteilung    auf  Denzil 

lbbetson  hin.  Schlimmer  als  im  Pandschab  und  Eadschputana1)  sieht  es  nach 
dieser  Quelle  bei  den  Bramanen,  Chattri  und  Kayasth,  den  drei  höchsten 
Kasten  in  den  Nordwestprovinzen,  aus.  Hier  darf  die  Braut,  sei  sie  reif 
oder  unreif,  dem  Gatten  nach  der  Hochzeit  ins  Haus  gesandt  werden,  doch 
sind  hier  Fälle  letzterer  Art  noch  Ausnahmen;  regelmäßig  wartet  man  mit 
der  Auslieferung  (bis  zur  Reife?)  ein  bis  sieben  Jahre2). 

In  Bengalen  aber  beginnen  die  Töchter  der  sogenannten  besseren  Klassen 
ihr  Eheleben  regelmäßig  mit  neun  Jahren.  Ein  gebildeter  Hindu  des  19.  Jahr- 
hunderts äußerte  sich  nach  Lenz  über  diese  Unsitte  folgenderweise:  ..Es  ist 
allgemein  Sitte,  daß  Mann  und  Frau,  ohne  dazu  nach  den  heiligen  Schriften 
dei'Hindus  berechtigt  zu  sein,  sofort  nach  ihrer  Verheiratung  mit  der  geschlecht- 
lichen Beiwohuung  beginnen.  Die  Eltern  leisten  dem  Gebrauch  unbewußt 
Vorschub,  ja  sie  machen  ihn  zu  einer  Notwendigkeit  ....  Die  üblen  Folgen 
der  verderblichen  Sitte,  welche  der  unnatürlichen  Befriedigung  des  Geschlechts- 
triebes geradezu  Vorschub  leistet,  bedürfen  kleiner  weiteren  Auseinandersetzung. 
sie  befördert  unter  anderem  eine  vorzeitige  Pubertät  und  bildet  so  die  Haupt- 
wurzel all  des  Unheils,  das  frühes  Heiraten  im  Gefolge  hat." 

Den  tiefsten  Grund  der  Kinderheiraten  sucht  Lenz  in  den  verwickelten 
Kastenverhältnissen,  welche  es  den  Eltern  sehr  erschweren,  ihren  Töchtern 
passende  Männer  zu  verschaffen3).  Lieber,  so  schreibt  er  nach  einem  „er- 
fahrenen Hindu",  liefern  die  Eltern  ihre  Tochter  den  üblen  Folgen  einer 
Kinderheirat  aus,  als  daß  sie  die  Gelegenheit  vorübergehen  lassen,  sie  an  einen 
der  paar  Männer  zu  bringen,  unter  denen  sie,  nach  ihren  sozialen  Anschauungen, 
die  Wahl  haben.  Die  religiöse  Weihe  sei  dem  Brauche  der  Kinder- 
heiraten wohl  erst  später  aufgedrückt  worden4).  Jetzt  freilich  habe 
der  Hindu  die  streng  bindende  religiöse  Pflicht,  seine  Töchter  vor  Eintritt  de] 
Reife  zu  verheiraten,  wenn  nicht  ihre  Vorfahren  auf  drei  Generationen  zurück 
unermeßliche  Zeiträume  in  der  Hölle  zubringen  sollen.  Wenn  aber  auch  die 
hl.  Bücher  die  Hochzeitszeremonien  für  die  Mädchen  vor  ihrer  Reife  ver- 
langen, so  seien  sie  doch  gegen  den  ehelichen  Umgang  vor  dem  Eintritt 
der  Reife.  Mit  diesen  Geboten  stimme  der  Gebrauch  im  Pandschab  überein. 
Die  Handlungsweise  der  höheren  Kasten  in  Bengalen  aber  entspreche  nicht 
den  Lehren  der  hl.  Schriften  und  die  Folge  sei.  daß  diese  vornehmen  Bengalen 
körperlich  nicht  nur  hinter  den  Bewohnern  des  nördlichen  Indien,  sondern 
auch  hinter  dem  gewöhnlichen  bengalischen  Volk  zurückstehen,  welches  seine 
Töchter  bis  zu  deren  Beife  daheim  behalte.  Obgleich  es  vorkomme,  daß 
K)  jährige  Mädchen6)  nach  der  Brautnacht  sterben,  habe  die  gesetzliche  Ver- 


')   Pandschab  und    Radschrjutana  haben  arische  Bevölkerung. 

2)  An  der  Grenze  der  Nord westprovinzen  zieht  man  auch  die  übrigen  Familienmitglieder 
zu  Rat,  wenn  ea  sieh  um  die  Verlobung  eines  Kindes  handelt.  L>ie  Entscheidung  fällt  aber 
nicht    ihnen,    sondern    <\en    Eltern,    oder    nach    deren   Ableben    den  Erben    zu    i.-l.    //.    Rost, 

ins,  p.  8). 

3)  Vgl.   Bd.  I,  S.  17.".  IT. 

')    l>as   Gleiche  gilt   hinsichtlieh   der   Witwenverbrennung. 
.   Nach  Pechey-Pfipson  (Bombay)  ist  es  unrichtig,  daß,  wie  Ploß  ,.1).  W."  I,  133  schrieb, 
die   Bindumädchen    schon    im  10.  Jahre   reif   sind;    vielmehr  trete  ihre  Reife   sogar  spiitrr 
als  bei  Europäerinnen  ein. 


§  3<i4.     Indo-Europäer  und  vorderindische  Nicht arier.  7y3 

scliiebung  des  Heiratsalters  der  Mädchen  von  zelm  auf  zwölf  Jahre,  durch  die 
britische  Regierung,  unter  den  Hindus  im  Jahre  1891  doch  eine  gewaltige 
Aufregung'  verursacht. 

E.  Schröder  bezeichnet  die  Kinderheirat  als  einen  Brauch,  der  den  alten 
Indern  noch  unbekannt  war.  Aber  schon  im  mittelalterlichen  Indien 
wurden  die  Mädchen  in  sehr  zartem  Alter  verlobt  und  verheiratet  und  dem 
Bräutigam  mit  dem  Beginn  der  Geschlechtsreife,  oder  unmittelbar  darauf, 
ausgeliefert,  Tat  ein  Vater  in  dieser  Hinsicht  seine  (vorgebliche)  Pflicht  nicht, 
d.  h.  verheiratete  er  seine  Tochter  nicht,  ehe  drei  Jahre  nach  ihrer  Geschlechts- 
reife vergangen  waren,  dann  konnte  das  Mädchen  sich  selbst  einen  Gatten 
wählen. 

Die  Gesetzesbücher  unterschieden  verschiedene  Arten  guter  und  schlechter 
Eheschließungen.  Als  die  beste  galt,  daß  der  Vater  das  Mädchen,  gebadet  und 
geschmückt,  einem  im  Veda  wohlbewanderten  Mann  von  gutem  Charakter 
schenkte,  den  er  ehrenvoll  iu  sein  Haus  geladen  hatte.  Das  war  die  Brahman- 
Ehe.  Zu  den  schlechten  Ehen  gehörten  die  aus  gegenseitiger  Neigung,  ohne 
Wissen  der  Eltern,  geschlossenen. 

Die  heutigen  Kumaon  im  nördlichen  Vorderindien  verheiraten  nicht 
wenige  Mädchen  sogar  schon  mit  zwei  Jahren.  Die  Knaben  zählen  gewöhnlich 
neun  bis  elf  Jahre.  Das  ist  allgemeiner  Brauch;  doch  leben  die  Paare 
erst  dann  zusammen,  wenn  das  Mädchen  Li  bis  14  Jahre  erreicht  hat 
(E.  Schröder). 

Nach  Katharina  Zitelmann  gewinnen  jetzt  in  den  oberen  Ständen  Indiens 
europäische  Anschauungen  allmählich  an  Boden,  und  es  existieren  zwei  große 
Reformparteien,  deren  Mitglieder  ihre  Töchter  nicht  mehr  verheiraten,  ehe 
diese  erwachsen  sind.  Das  Volk  allerdings  hängt  noch  immer  am  alten  Brauch. 
So  waren  z.  B.  die  acht-  und  zehnjährigen  Töchter  der  armen  Landleute, 
unter  denen  Zitelmann  im  Distrikt  Banda  in  Bundelkhand,  Zentralindien, 
lebte,  bereits  längst  verheiratet. 

Über  die  Kinderverlobung  bei  den  polyandrischen  Todas  in  den  Nilgiri, 
südliches  Vorderindien,  siehe  Seite  623.  Der  dort  eingeführte  Pinpurz  Kutan 
mußte  bei  seiner  ersten  Verlobung  mit  einem  zwei  Monate  alten  Mädchen 
seinen  voraussichtlichen  Schwiegervater  bitten,  er  möge  ihm  gestatten,  daß  er 
mit  dessen  Fuß  seine  Stirne  berühren  dürfe,  was  dann  der  Knabe  unter  Ver- 
neigung  tat.  Pinpurzeus  Vater  gab  dem  Vater  der  kleinen  Braut  eine  Büffel- 
kuh und  für  das  Bräutchen  ein  Kleid.  Das  letztere  Geschenk  mußte  jedes 
Jahr,  in  verdoppeltem  Wert,  erneueit  werden1).  Starb  jemand  aus  der  Ver- 
wandtschaft der  Braut,  dann  opferte  der  Vater  des  Bräutigams  einen  Büffel 
und  schenkte  (der  Braut?)  ein  Stück  Baumwollstoff  („Kutsch").  Das  Gleiche 
hatte  er  bei  der  Beisetzung  der  Leiche  zu  tun.  Büffelopfer  hatte  auch  die 
Familie  der  Braut  zu  bringen,  wenn  in  der  Familie  des  Bräutigams  ein 
Todesfall  vorkam.     Eine  Hochzeit  mit  diesem  Mädchen  fand  nicht  statt. 

Seine  zweite  Braut  heiratete  Pinpurz.  nachdem  diese  zur  Reife  gelangt 
war.  Die  Ehe  wurde  vom  Stiefvater2)  des  Mädchens  durch  Auflegung  der 
Hände  eingesegnet, 

Von  deu  Kasubas  in  den  Nilgiris  teilte  C.  Sayavadana  Rao  häufigere 
Verheiratung  im  Kindesalter,  als  in  späteren  Jahren,  mit.  Die  letzteren  seien 
sogar  gewissermaßen  verachtet.  Doch  beginnt  der  eheliche  Verkehr  auch 
hier  erst  nach  Eintritt  der  Reife.  Bis  dahin  bleibt  die  Braut  bei  ihren  Eltern, 
zu  denen  das  getraute  Kind  nach  der  Hochzeit  zurückkehrt. 


')  Der  Wert   der   Geschenke   richtete   sich   nach   den    Vermögensverhältnissen   der   be- 
treffenden  Familien. 

2)  Der  rechte  Vater  war  gestorben. 


704  Kapitel  LVI.     Verlobung  und  Verheiratung  des  Kindes. 

Nach  dem  gleichen  Gewährsmann  verheiraten  die  Rai  Gonds,  Dravida 
in  den  östlichen  Ghats,  südliches  Vorderindien,  mehr  Töchter  vor.  als  nach 
Eintritt  der  Reife.  Liebt  ein  Mädchen  einen  anderen,  als  den  von  den  Eltern 
Bestimmten,  so  entflieht  sie  mit  ihm.  Ihr  Recht,  den  anderen  zurückzuweisen, 
wird  von  den  Eltern  schweigend  zugestanden. 

Diese  Eheform  nennt  man  „udiliyu  polaila",  d.h.  „aus  Liebe  entfliehen". 
Die  Eltern  des  Mannes  werden  in  der  Folge  von  einem  Kasten-Komite  zu 
einer  Geldstrafe  verurteilt,  wovon  eine  Hälfte  den  Eltern  des  Mädchens  zu- 
kommt, die  andere  zu  einem  Kasten-Mahl  verwendet  wird,  welches  bei  dieser 
Gelegenheit  stattfindet.  -  -  Eine  andere  Werbeform  ist  Raub.  Ob  das  Mädchen 
und  dessen  Eltern  einen  Werber  wollen  oder  nicht,  das  schreckt  diesen  nicht 
ab.  Er  wartet  nur  auf  einen  passenden  Zeitpunkt,  um  zum  Ziel  zu  gelangen, 
verabredet  sich  z.  B.  mit  Freunden,  das  Mädchen  forttragen  zu  helfen,  wenn 
es  Wasser  holt.  Einmal  gefangen,  wird  es  eine  Zeitlang  eingesperrt,  bis  es 
sich  mit  seinem  Räuber  versöhnt.     Von  da  an  sind  sie  Mann  und  Weih. 

Die  nicht  seltene  Verheiratung  von  Knaben  im  Kindesalter  bei  den 
Kunnuvan  oder  Mannadi  in  den  Palnibergen,  Südindien,  siehe  Kapitel  L. 
Seite  618. 

In  Persien  geben  Leute  aus  den  vornehmen  Kreisen  ilirenSöhuen  schon 
mit  zehn  Jahren  eine  „Vertragsfrau";  andere  tun  das  mit  16-  oder  17jährigen 
Söhnen.  Die  wirkliche  Verheiratung  findet  später  statt.  Weniger  bemittelte 
Familien  suchen  ihre  Töchter  bereits  mit  zehn  oder  elf  Jahren  zu  verheiraten, 
oder  sie  holen  priesterlichen  Dispens  ein, ""um  sie  gar  schon  im  7.  Lebens- 
jahr verehelichen  zu  können.  Der  Prophet  ging  ihnen  ja  als  Beispiel  voran 
(vgl.  §  365). 

Aus  Afghanistan  teilte  P.  von  Stenin  mit,  daß  in  den  wohlhabenden 
Familien  der  Wachietschi  die  Söhne  nicht  selten  mit  zehn,  bisweilen  sogar 
schon  mit  sieben  Jahren  verheiratet  werden.  Mädchen  gibt  man  da  und  dort 
mit  sechs  Jahren  in  die  Ehe.  Regel  ist.  daß  die  Braut  10  bis  14  Jahre,  der 
Bräutigam  nicht  über  20  Jahre  alt  ist. 

Bei  den  transkaukasischen  Armeniern,  Christen,  kommt  es  vor,  daß 
Eltern  Säuglinge,  ja  noch  ungeborne  Kinder,  verloben,  um  die  beiderseitigen 
Familien  fest  miteinander  zu  verbinden.  Bei  Wiegenverlobungen  macht 
der  Vater  des  Knaben  einen  Einschnitt  in  das  Obergestell  der  Wiege  des 
Mädchens,  oder  er  umwickelt  dieses  Gestell  dreimal  mit  einem  Linnenfaden. 
Die  Eheschließung  ist  aber  erst  mit  15,  bzw.  13  Jahren  für  Bräutigam 
und  Braut  gestattet.  Sind  die  Verlobten  noch  im  Kindesalter,  so  hat 
man  also  mit  der  Heirat  noch  so  lange  zu  warten  (.V.  von  Seidlite,  nach 
SelinsM  \. 

Bei  den  Osseten  besteht  neben  den  Knabenehen  das  Konkubinat.  Der 
Vater  verheiratet  nämlich  seinen  minderjährigen  Sohn  mit  einem  erwachsenen 
Mädchen  und  lebt  mit  diesem  im  Konkubinat.  Ebenso  verheiraten  Witwen 
unmündige  Söhne  mit  erwachsenen  Mädchen,  die  mit  einem  Fremden  im  Hause 
im  Konkubinat  leben.  Die  Kinder  aus  solchen  Ehen  gehören  dem  Knaben 
(Post  nach  Kovalewshy). 

Die  K'ica  in  Siidalbanien  glauben,  daß  der  Himmel  die  Verlobten 
besonders  schütze,  weshalb  Väter,  die  einen  einzigen  Sohn  haben  und  für 
dessen  Leben  fürchten,  diesen  in  der  Regel  schon  verloben,  ehe  er  drei  Jahre 
alt  ist  (Peschely. 

Die  liojken.  ein  ruthenischer  Volksstamm,  machten  es  früher  wie  die 
Osseten,  d.  h.  sie  verheirateten  ihre  Söhne  im  Knabenalter  mit  reifen  Mädchen. 
Worauf  de]'  Schwiegervater  die  Stelle  lies  kleinen  Gatten  einnahm.  Im  Jahre 
1623  setzte  aber  ein  polnisches  Gesetz  die  Todesstrafe  auf  diese  Unzucht 
</.'.  Fr.  Kaindl). 


§  361.     Indo-Europäer  und  vorderindische  Nichtarier.  705 

Im  alt  serbischen  Familienreclit  galt  das  vollendete  15.  Lebensjahr  als 
das  erforderliche  Alter  für  die  Eingehung  der  Ehe.  Dennoch  geschah  es  oft, 
daß  Knaben  schon  mit  13,  Mädchen  bereits  mit  10  oder  12  Jahren  heirateten, 
ohne  daß  es  eines  besonderen  Dispens  bedurfte.  Im  14.  Jahrhundert  ehelichte 
der  60jährige  König  Milutin  (1275 — 1321)  sogar  ein  achtjähriges  Kind, 
Symonida,  die  Tochter  des  griechischen  Kaisers  Ändronicus  sen.  —  Während 
der  Türkenperiode  und  dem  Räubertume  der  Janitscharen  verheiratete  man 
die  Knaben  sehr  früh,  um  sie  vor  Kaub  zu  sichern,  da  die  Türken  das  Band 
der  Ehe  berücksichtigten.  Im  Jahre  1731  verbot  jedoch  ein  Ferman  des  Sultans 
Mahmud  die  Verheiratung  vor  dem  von  der  griechischen  Kirche  vor- 
geschriebenen Alter. 

Kinderheiraten  waren  früher  auch  in  Kußland  üblich.  Fürsten  konnten 
ihre  Söhne  mit  dem  vollendeten  elften,  ihre  Töchter  mit  dem  vollendeten 
achten  Jahr  verheiraten.  —  Hier,  wie  bei  den  Serben,  wurde  jedoch  die  Ehe 
nicht  vor  Eintritt  der  Keife  vollzogen  (Milovanovitsch). 

Die  Jurdes,  ein  kulturell  zurückgebliebenes  Bergvölklein  dunklen  Ursprungs 
in  der  spanischen  Provinz  Extremadura,  verheiraten  jetzt  noch  bisweilen 
ihre  Töchter  schon  mit  12  oder  13  Jahren,  was  sie  mit  den  Worten  begründen: 
Die  Männer  sollen  die  Frauen,  welche  ihnen  dienen,  nun  auch  ernähren  (Juan 
Dominguez  Berrueta). 

Auf  eine  frühere  Verlobung  im  Kindesalter  bei  den  Iren  (Kelten)  scheint 
folgendes  hinzuweisen:  Wenn  heutzutage  im  südlichen  Irland  ein  Knabe  beim 
Spiel  ein  Mädchen  so  verletzt,  daß  Blut  fließt,  dann  sagt  seine  Wärterin: 
„Nun  wirst  du  sie  heiraten  müssen."  —  William  CrooTee,  der  dies  berichtet, 
fügt  bei,  daß  auf  solche  Verlobungen  schon  in  der  Sage  von  Perseus  hin- 
gewiesen sei. 

Im  kaiserlichen  Korn  gestattete  Augustus  reifen  Männern  Verlobungen 
mit  unreifen  Mädchen,  damit  die  Männer  durch  den  Titel  „ Bräutigam-'  zur 
Gründung  eines  Haushaltes  verlockt  werden  sollten.  Statt  dessen  erschlichen 
die  Männer  durch  solche  Verlobungen  und  Scheinheiraten  die  von  Augustus 
für  die  Ehe  (und  Kindererzeugung)  ausgesetzten  Belohnungen.  Darauf  erklärte 
Augustus  jede  Verlobung,  auf  welche  nach  zwei  Jahreu  nicht  die  Hochzeit 
folgte,  für  ungültig  und  bestimmte,  daß  die  zu  Verlobende  wenigstens  zehn  Jahre 
alt  sein  müsse  (Josef  Müller,  nach  Dio  Cassius). 

Diesen  gesetzlich  festgelegten  12  Jahren  für  die  Verheiratung  der  Mädchen 
entsprach  im  römischen  Recht  die  Bestimmung,  daß  die  Knaben  mit  ihrem 
14.  Geburtstage  heiraten  durften  (Richard  Koebner). 

Wie  schon  aus  den  Mitteilungen  über  das  altserbische  Familienreclit 
(w.  o.)  hervorgeht,  gestattete  auch  die  griechische  Kirche  Kiuderverlöbnisse. 
Das  Gleiche  war  in  der  abendländischen  Kirche  der  Fall,  wenigstens  im 
späteren  Mittelalter.  Eine  desponsatio  impuberum  (Kinderverlobung)  hatte 
nach  dem  Dekretalrecht  Geltung,  wenn  beide  Verlobte  das  7.  Lebensjahr 
überschritten  hatten.  „In  Fällen,  wo  die  Heirat  politische  Bedeutung  hatte, 
durften  sogar  Kinder  von  noch  geringerem  Alter  verlobt  werden.  Ein  Ver- 
löbnis war,  wenn  auch  unter  großen  Schwierigkeiten,  lösbar,  und  eine  Verbindung 
Unreifer  durfte  immer  nur  als  Verlöbnis  gelten."  —  Das  Recht  zu  heiraten 
gab  die  Kirche,  sobald  Geschlechtsreife  eingetreten  war1),  und  dieses  Rechtes 
bediente  man  sich  in  allen  Schichten  der  Bevölkerung.  Heiraten  zwischen 
13-  bis  15jährigen  Mädchen  und  13-  bis  19jährigen  Burschen  waren  häufig. 
Fürstentöchter  wurden  bisweilen  schon  mit  12  Jahren  vermählt  (Richard Koebner). 

In  einem  von  Maximilian  Sdralek  veröffentlichten  Brief  des  Erzbischofs 
Reinald  IL  von  Reims  aus  der  Zeit  zwischen  1131 — 1138  erklärt  dieser  dem 


1)   Vgl.  die  Heiraten  mit  2  und  4  Jahren  im  reformierten  England  w.  u. 
Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.     Band  II.  45 


706 


Kapitel  LVJ.     Verlobung  und  Verheiratung  des  Kindes. 


Bischof  Milo  I.  von  Terouane.  daß  das  Eheversprechen  eines  noch  nicht  zwölf- 
jährigen Mädchens  ungültig-  sei,  wenn  sie  später  ihre  Einwilligung-  zurückzieht. 
„De  puella,  de  qua  consuluit  prudentia  vestra,  hoc  caritati  vestre  respondeinus, 
quod  assensus  eins  infra  XII  annnin  datus  nullius  momenti  est  habendus, 
presertim  cum  eadem  pnella  facta  nnbilis  assentire  nolit." 

[n  England  waren  im  16.  Jahrhundert  Kinderehen  an  der  Tagesordnung. 
Die  Verhandlungen  des  Gerichtshofes  zu  ehester  von  15G1  — 1566  meldeten 
eine  Reihe  von  Scheidungsklagen,  welche  Eheleute,  die  in  ihrer  Kindheit 
verheiratet  wurden,  einreichten,  z.  B.  die  Klage  einer  Elisabeth  Hülse,  die  im 
Alter  von  drei  oder  vier  Jahren  von  ihren  Angehörigen  aus  Versorgungsgründen 
verheiratet  wurde.  Ihr  gleichfalls  in  den  Kinderjahren  stehender  Gatte,  Georg, 
wurde  nach  der  Hochzeit  auf  zehn  Jahre  zu  einem  Schuhmacher  in  die 
Lehre  gegeben  und  kam  dann  in  das  Haus  .seiner  Schwiegermutter.     Die  Ehe 

wurde  niemals  vollzogen  und  Elisabeth  ver- 
sicherte, sie  könne  den  Jungen  nicht  leiden 
(J.  H.,  nach  FurnivalV). 

Die  gleichen  Verhandlungen  erwähne!)  die 
Verheiratung  eines  vierjährigen  .Mädchens  mit 
einem  etwas  älteren  Knaben  durch  den  Vater 
des  Bräutchens,  eines  anglikanischen  Bischofs. 
Als  jüngstes  Brautpaar  wird  ein  Mädchen  von 
zwei,  und  ein  Knabe  mit  drei  Jahren  angegeben, 
welche  auf "den  Armen  ihrer  Verwandten  ver- 
mählt wurden.  Diese  Kinderehen  seien  (staat- 
licherseits?)  rechtskräftig  gewesen,  bis  sie 
durch  regelrechte  Scheidungsprozesse  gehist 
wurden.  Doch  ist  auch  eine  Strafe  verzeichnet, 
welche  der  Erzbischof  von  York  über  den 
Hilfsprediger  Sir  Richard  Blakey  verhängte, 
weil  dieser  ein  ca.  10 jähriges  Mädchen  mit 
einem  12jährigen  Knaben  in  der  Pfarrkirche 
iTL  \  ^"— *y  ^-  von  Colne  (Whalley,  Lancashire)  ver- 
^W'4  heiratete.    Wenn  bei  Ehescheidungsklagen  die 

Nichtvollziehung  solcher  Heiraten  zugestanden 
war.  dann  erfolgte  die  Scheidung.  Doch 
wurden  aus  den  meisten  Kinderehen  wirkliche 
Ehen.  Die  Paare  wurden  gemeinsam  erzogen 
und  lebten  auch  bald  ehelich'  zusammen.  ■ — 


Fig.  476.     Syrische    Dame    mit    Kind. 

Im    K.     Ethnographischen     Museum     in 

M  u  u  c  Iih  II. 


§  365.    Semiten,  Hamiten,  Neger,  Buschleute  und  Hottentotten. 

Kinderehen  kamen,  nach  Huyo  Wincklers  Vermutung,  auch  int  alten 
Babylonien  vor.  Wenigstens  handelt  i;  130*)  des  Gesetzbuches  Hammurabis 
von  Ehefrauen,  die  noch  im  Hause  ihres  Vaters  leben  und  noch  keinen  Ehe- 
mann erkannt  haben. 

Zu  Assurbanipals  Zeit  verheirateten  die  Assyrer  ihre  Töchter  schon  mit 
13  Jahren.  Die  Mütter  suchten  für  sie  Männer.  Die  Ehe  war  eine  Kaufehe 
i  Muspero). 

Manche  Beduinen  der  arabischen  Halbinsel  verheiraten  ihre  Töchter 
bereits  mit  10,  11  oder  1 2  Jahren  (.1.  M.  de  St.  Elie). 

I  las  moslemische  Gesetz  anerkennt  ja  ein  Mädchen,  welches  schwört, 
daß   sie  reif  geworden,   schon   mit  neun  .Iahten  als  volljährig,    Knaben,   unter 


i)  im  Glob.  ki.  asof. 

'i  Übersetz.    WinckUr,  Lpzg.  1001. 


§  365.     Semiten.  Hamiteu,  Neger,  Buschleute  und  Hottentotten. 


7U7 


der  gleichen  Bedingung',  mit  zwölf  Jahren.  Volljährige  Kinder  kann  der 
Araber  in  V einen  nur  mit  deren  Einwilligung  verheiraten,  minderjährige 
nach  Belieben,  wie  Manzoni  mitteilt.  Demnach  kommen  hier  Heiraten  auch 
bereits  vor  dem  9.,  bzw.  12.  Lebensjahre  vor.  Speziell  von  der  dortigen  Bauern- 
bevölkerung,  den  Qabili.  sagt  Manzoni,  daß  sie  ihre  Kinder  möglichst  bald 
verheiraten,  um  eine  rasche  Fortpflanzung  zu  erzielen. 

Auch  in  Kairo  und  Oberägypten  verheiraten  manche  Araber  ihre 
Töchter  schon  vor  Eintritt  der  Reife  und  haben  in  diesem  Fall,  ebensowenig 
wie  die  Araber  in  Temen,  die  Mädchen  um  ihre  Einwilligung  zu  fragen, 
während  später  die  Wahl  den  Mädchen  selbst  zukommt  {Juane). 

Mohammed,   der  Prophet,   verlobte   sich   mit   der   6-  bis  7  jährigen  Aisa 
und  führte  sie  in  sein  Haus.     Die  Ehe  vollzog  er  in  ihrem  10.  oder  11.  Lebens- 
jahr.     Auf   Grund   dieser   bezeichnenden   Tat   kennt  das  moslemische   Gesetz 
keine   Altersgrenze   für   die-  Verheiratung  der  Jugend. 
Nur  Brauch  und  Sitte  strafen  den  Wüstling,  der  durch 
die  vorzeitige  Consummation  seiner  Ehe  mit  einem  un- 
reifen Mädchen  diesem  schwere  Folgen  heraufbeschworen 
hat  (Hanotrua  und  Letourneux). 

Kinderverlobungen  sind  bei  den  Juden  der  Oase 
Mzab  in  der  Sahara  und  bei  den  Juden  der  Buko- 
wina üblich.  Jene  verloben  ihre  Kinder  mit  vier  bis 
fünf  Jahren.  Vierzehnjährige  Mütter  sind  keine  Selten- 
heit (E.  A.,  nach  Huguet1).  —  Unter  den  orthodoxen 
.luden  der  Bukowina  kommen  Verlobungen  vor  dem 
12.  Lebensjahr  vor.  Der  „Schadehen"  (Ehemäkler) 
fädelt  die  Sache  ein  und  wird  dafür  gewöhnlich  von 
den  beiderseitigen  Eltern  des  Paares  belohnt.  Ge- 
heiratet wird  meist  mit  H5  Jahren  (Kalndl). 

Bei  den  Kabylen  hat  jeder  Vater  einer  Tochter 
das  Kecht.  diese  im  Kindesalter  dem  Eheleben  aus- 
zuliefern, sobald  sich  eiu  Käufer  einstellt  (Hanoteau  und 
Letourneux).  Obgleich  die  Pubertät  verhältnismäßig- 
früh  eintritt,  wartet  man  nicht  einmal  diese  ab.  Die 
Mädchen  werden  gewöhnlich  mit  10  bis  12  Jahren, 
alier  auch  schon  früher  an  den  Werber  verkauft. 
Ein  Bekannter  Schönhärls  wohnte  der  Hochzeit  einer  Achtjährigen  bei. 

Wie  der  Araber,  so  hat  auch  der  Kopte  in  Ägypten  das  Recht,  seiner 
„unmündigen"  -)  Tochter  nach  Gutdünken  einen  Mann  zu  geben,  was  er.  wie 
der  bukowinische  Jude,  durch  einen  Heiratsvermittler  besorgen  läßt.  Die 
unmündige  Tochter  wählt  sich  einen  solchen  Vermittler  selbst  (Lerne). 

Fulbe-Mädchen    werden   schon   mit  11  Jahren   verheiratet  (Walte).  — 

Die  Hoer  in  Togo  verloben  ihre  Töchter  im  Alter  von  8  bis  10  Jahren 
(Fies). 

Viele  Ewe  in  Agonie,  Togo,  verloben  ihre  Töchter  schon  im  Mutter- 
schoß mit  dem  Sohn  eines  Nachbarn.  Als  Pfand  dient  ein  Strang  Kaurimuschelii. 
Der  Bräutigam  wird  um  sein  Einverständnis  gefragt.  Kommt  statt  des  er- 
warteten Mädchens  ein  Knabe  zur  Welt,  dann  sollen  die  beiden  Knaben  gute 
Freunde  werden.  Kommt  das  erhoffte  Mädchen,  so  ist  die  Freude  groß;  der 
junge  Bräutigam,  oder  seine  Eltern,  legen  für  die  Braut  eine  Farm  an;  der 
jährliche  Ertrag  davon  wird  ihr  vom  Bräutigam  gebracht.  Trotzdem  weigern 
sich  manche  Mädchen,  wenn  einmal   die  Zeit  der  Verheiratung  herankommt. 


Fig.  47e.    Ein  Dualla-Mäd- 

chui  aus  Kamerun.    Im  K. 

Ethnographischen  Museum  in 

München. 


')  Im  Glob.  83,  354. 

2)  Die  Mündigkeit  tritt  wohl  hier  nach  arabischem  Muster  ein  (s.  v.  S.). 


45* 


708 


Kapitel  LVI.     Verlobung  und  Verheiratung  des  Kindes. 


beim  Bräutigam  zu  schlafen,  weil  sie  Abneigung  empfinden.  Im  Gebirge  (Busch) 
gilt  das  als  eine  so  große  Beleidigung,  daß  sich  die  verschmähten  Jünglinge 
noch  vor  wenigen  Jahren  entleibten.  Wenigstens  war  dies  in  Avathne  ge- 
wöhnlich der  Fall.  Jetzt  machen  solche  Männer  in  Epando  mehr  von  dem 
Rechte  Gebrauch,  die  Widerspenstige  zu  verkaufen.  —  Die  Heirat  findet  statt, 
wenn  das  Paar  das  nötige  Alter  erreicht  hat,  schreibt  Herold.  —  An  der 
Küste  sind  so  frühe  Verlobungen,  wie  sie  in  Agonie  üblich  sind,  Ausnahmen. 
Auch  die  Bassari  in  Togo  bestimmen  ihre  Kinder  häufig  schon  als 
klein  für  einander,  indem  sich  befreundete  Eltern  über  deren  spätere  Ver- 
ehelichung verständigen.  Der  junge  Bursche  arbeitet,  wenn  einmal  fähig,  für 
seine  zukünftige  Braut  und  gibt   seine  Ersparnisse  den  Schwiegereltern,  was 

für  diese  ein  einträgliches 
Geschäft  bedeutet  {H.Klose). 
In  Kamerun  kaufen 
reiche  Dualla  bisweilen 
kleine  Mädchen  als  zu- 
künftige Frauen  für  ihre 
Söhne,  wenn  diese  noch  im 
Knabenalter  stehen  {Pauli). 
—  Max  Buchner  erwähnte 
aus  Kamerun  Verlobungen 
von  Mädchen  lange  vor  dem 
Eintritt  ihrer  Reife  als  nichts 
Seltenes.  Doch  ziehen  solche 
Mädchen  nicht  sogleich  zu 
ihrem  zukünftigen  Galten. 
Wenn  bei  den  Bantu 
am  untern  Kongo  ein 
Bursche  absichtlich  eine ( Jlas- 
perle  in  das  Bad  eines  kleinen 
.Mädchens  wirft,  so  muß 
dieses,  wenn  erwachsen,  ihn 
heiraten  (WeeJcs). 

In  Britisch  -  Ost- 
afrika verkaufen  viele  Ne- 
ger der  Provinzen  l'nyoro 
und  Toro  ihre  zehnjährigen 
Töchter  an  den  Meistbieten- 
den zur  Ehe.  Viele  dieser 
Käufer  sind  bejahrte,  ab- 
Die  armen  Mädchen  suchen 


Fig 


477.    Soldatenkind  aus  Bnnjio  (Banyo),  Kamerun. 
phot.    Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


gelebte  Greise 


ihre  Flucht   zu   den  Missionaren   zu 


die  schon  mehrere  Frauen  haben. 
einem  solchen  Loose  nicht  selten  durch 
entgehen.  Wenn  diese  die  nötigen  Mittel  haben,  um  den  Vater  zu  befriedigen. 
finden  sie  sich  in  ihrer  Hoffnung-  auch  nicht  getäuscht.  Die  Gesetze  und  Maß- 
regeln der  Regierung  haben  leider  beim  besten  Willen  diese  Art  Sklaven- 
handel noch  nicht  beseitigen  können  [Streicher). 

Mehr  Erfolge  scheint  die  deutsche  Regierung  in  Deutsch-Ostafrika 
zu  haben.  Missionar  Hurtinunn  meldet  vom  Tanganjika-See:  In  Kala  und 
Tembe  fällt  eine  alte  Unsitte  nach  der  anderen.  Erfreulich  rasch  geht  es 
weiter  im  Sieg  über  die  grauenvolle  Unsitte,  daß  alte,  vielbeweibte 
Kerle  Mädchen  im  zartesten  Kindesalter  zur  Frau  nehmen.  Die  kaiserliche 
Station  rückt  dem  Übel  ebenso  energisch  zu  Leibe,  wie  wir  Patres.  „Letzthin-' 
wurden  vier  dieser  alten  Unholde  zu  vier  und  drei  Monaten  Kettenhaft 
verurteilt. 


365.     Semiten,  Haniiten,  Neger,  Buschleute  und  Hottentotten. 


709 


Die  "Wapogoro,  Deutsch-Ostafrika,  verloben  ihre  Kinder  im  zartesten 
Alter.  Ist  der  Knabe  dann  etwa  sieben  Jahre  alt,  so  daß  er  etwas  arbeiten 
kanu.  dann  dient  er  dem  Schwiegervater  ein  Jahr.  "Während  dieses  Jahres. 
oder  am  Schlüsse,  baut  er  für  sich  und  seine  Zukünftige  ein  Haus,  welches 
von  den  beiden  Kindern  bezogen  wird.  Hier  verkehren  sie  geschlechtlich,  bis 
bei  dem  Mädchen  die  Reife  eintritt,  worauf  das  Paar  wieder  getrennt  wird, 
damit  der  Gatte  sich  seine  Gattin  erkaufe.  Hält  sich  ein  Weißer  über  diese 
Unsitte  auf,  dann  antworten  ihm  die  Eingeborneu,  sie  seien  eben  "Wapogoro 
(Fdbry). 

Ähnlich  war  es  früher  bei  den  Völkern  des  Makonde-Plateaus.    Man 

verband  hier  Kinder  von   5  bis  7  Jahren 

miteinander  und  baute  ihnen  Hütten,  in 
denen  sie  wohnen  mußten.  Auch  heut- 
zutage soll  das  noch  vorkommen.  —  Ein 
anderer  dortiger  Brauch  ist.  daß  ein  Weib, 
welches  von  einem  Knaben  entbunden  wird, 
diesen  einer  schwangeren  Nachbarin  zum 
Schwiegersohn  vorschlägt  für  den  Fall, 
daß  die  Nachbarin  von  einer  Tochter 
genese  und  umgekehrt.  Ist  das  noch  zu 
erwartende  Kind  von  dem  gehofften  Ge- 
schlecht, dann  fahrt  man  die  Verheiratung 
auch  aus.  —  Oder  der  Makonde-Knabe, 
der  nach  seiner  Beschneidung  bei  seinem 
Oheim  (mütterlicherseits)  lebt  und  eine 
seiner  Töchter  zu  heiraten  hat.  wenn  solche 
da  sind,  wartet,  wenn  noch  keine  geboren 
ist,  die  Geburt  ab.  Die  Verheiratung  der 
Mädchen  soll  vor  Eintritt  der  ersten 
Menstruation  stattfinden,  wie  Weule  von 
einigen  Eingeborneu  hörte. 

Bei  denMaquamba,  einem  Kaffern- 
volk,  ziehen  nicht  selten  Männer  mit 
ihren  kleinen  Töchtern  im  Land  herum, 
von  Spelonke  zu  Spelonke.  und  bieten  die 
Mädchen  zum  Kauf  an.  Findet  sich  ein 
heiratslustiger  Liebhaber,  der  Kapital  an- 
zulegen hat  und  über  den  Preis  einig 
wird,  dann  bezahlt  er  diesen  und  ist  nun 
nach  Kafferngesetz  der  Mann  dieses  Kindes. 

Das  Mädchen  geht  aber  noch  nicht  mit  ihm,  sondern  kehrt  mit  ihrem  Vater 
heim,  wo  sie  bis  zu  ihrem  15.  oder  16.  Lebensjahre  bleibt,  worauf  ihr  Mann 
sie  zu  sich  nimmt,  wenn  sie  nicht  vorher  mit  einem  Geliebten  entflieht,  was 
gar  nicht  selten  ist.  In  diesem  Fall  verlangt  der  Käufer  den  Brautpreis 
„Lobokv'  zurück,  was  in  der  Kegel  zu  einem  Prozeß  führt  (Adolf  Schiel). 

Die  südafrikanischen  Buschmänner  verloben  ihre  Töchter  regelmäßig 
im  Kindesalter.  Burehell  sah  in  Kaabis  Kraal  eine  siebenjährige  Verlobte 
und  l0-(?)  bis  12jährige  Mütter.  Die  Mädchen  haben  bei  ihren  Verlobungen 
nur  etwas  mitzureden,  wenn  sie  bereits  reif  sind.  Gewöhnlich  vergehen  zwischen 
Verlobung  und  Hochzeit  2  bis  3  Jahre.  "Während  dieser  Zeit  leben  die  Bräute 
bei  ihren  Eltern  {Burehell). 

Die  Nama-Hottentotten  verloben  ihre  Kinder  beiderlei  Geschlechts 
gleichfalls  schon  vor  Eintritt  der  Reife.  Das  eheliche  Leben  beginnt  auch 
hier  erst  nach  diesem  Zeitpunkt  (Schinz).  — 


Fig.  478.    Großvater  und  Enliel.     Kibosoho, 

Mission  der  Väter  vom  hl.  Geist,  Deutseli- 

OstafriU.i. 


7in 


Kapitel  LVI.     Verlobung  und   Verheiratung  des  Kindes. 


§  360.     Malayisch-polynesische  Völker. 

Auf  Java  verheiratet  sich  die  Jugend  in  der  Regel  ehe  sie  zur  Vater- 
und  Mutterschaft  gelangen  kann.  Sehr  begüterte  junge  Burschen  machen  von 
ihrem  polygamen  Recht  bisweilen  schon  mit  13  oder  li  Jahren  Gebrauch  {Pfyffer). 

Auf'  den  Aru-Inseln.  südwestlich  von  Neuguinea,  werden  die  Mädchen 
gewöhnlich  schon  bei  ihrer  Geburt  verlobt,  wobei  sogleich  der  Brautschatz 
festgesetzt  wird  {von  Rosenberg). 

Verlobung  in  den  Kinderjahren  ist  ferner  auf  Yap  gestattet.  Das  eheliche 
Leben  vor  Eintritt  der  Reife  zu  beginnen,  ist  verboten  (Senfft). 

Verlobungen  der  Kinder  im  Alter  von  acht  Jahren  sind  häufig  unter  den 
Papua-Stämmen  der  Geelvink-Bucht,  Holländisch-Neuguinea.  Das 
Mädchen  verbringt  seine  Brautzeit  im  Hause  der  Schwiegereltern,  wird  aber 
vor  jeder  Annäherung  an  ihren  Verlobten  und  andere  Männer  sorgfältig  be- 
wahrt und  vor  dem  16.  Lebensjahre  nicht  verheiratet  (Krieger).  —  Achtjährige 


Fi. 


\ 


47u.    Wakamba-Farailie,  Mann  mit  seinen  zwei  Frauen  und  Kindern,    Hof  mann  puot. 

für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


im  Museum 


Bräute  und  zwölfjährige  Bräutigame  lernte  Hagen  unter  den  Papuas  in 
Bogadjim,  Kaiser-Wilhelms-Land,  kennen.  Hier  dauert  der  Brautstand  oft 
6  bis  8  Jahre,  kürzer  als  ein  Jahr  nie.  Selten  heiratet  ein  Mann  vor  seinem 
20.   Lebensjahr. 

Verlobung  der  Mädchen  in  sehr  früher  .lugend  in  vornehmen  Familien 
bei  Melanesien!  und  Papnas  hat  auch  £  312  erwähnt. 

\ns  Nauru,  einer  Insel  von  1  leutseli-Mikronesien.  meldete  Jung,  daß 
viele  Kinderheiraten  vorkommen.  Besonders  sei  das  auch  hier  in  angesehenen 
Familien  der  Fall,  weil  diese  auf  ebenbürtige  Heiraten  Gewichl  legen.  Der 
Altersunterschied  der  Ehepaare  sei  oft  bedeutend. 

Im  Bismarck-Archipel  und  auf  den  Salomo-Inseln  ist  die  unterste 
Altersstufe  der  Braut  neun  Jahre;  bis  über  das  15.  Jahr  hinaus  bleiben  wenig 
Mädchen  ledig,  wie  Joachim  Graf  Pfeil  schrieb.  Auf  Neupommern  werden 
Mädchen  sogar  schon  im  Alter  von  6  bis  10  Jahren  von  Männern  heimgeführt, 
welche  die  20er  überschritten  haben  (Ph.  Braun).  Als  das  durchschnittliche 
Alter  der  Bräute  auf  Neupommern  eribl   Powell  zehn  Jahre  an;  doch  werden 


§  366.     Malayisck-polynesische  Völker.  711 

hier  Heiraten  oft  schon  geplant,  ehe  die  Braut  geboren  ist.  —  ,.Die  unseligen 
Folgen  solcher  Heiraten  liegen  auf  der  Hand,"  bemerkte  Braun. 

In  Buin  an  der  Siidspitze  von  Bougainville,  Salomo-Insel,  versprechen 
manchmal  Häuptlingsfamilien  ihre  Kinder  einander  schon  vor  deren  Geburt. 
Wie  andernorts,  so  durchkreuzen  indessen  auch  hier  die  Kinder  bisweilen  die 
Abmachungen  ihrer  Eltern,  indem  sie  sich  später  ihr  Lieb  selbst  suchen.  Das 
beschwört  dann  und  wann  Kämpfe  herauf,  aber  eigentlich  gezwungen  werden 
die  jungen  Leute  zu  der  von  ihren  Eltern  gewünschten  Heirat  nicht  (Richard 
Thurnwald). 

Verlobungen  siebenjähriger  Mädchen  erwähnte  Ploß  in  der  2.  Auflage 
aus  Neucaledonien,  französische  Südsee. 

Auf  Samoa  heiraten  viele  10-  bis  11jährige  Mädchen  und  ca.  12jährige 
Knaben  (W.  v.  Billoie). 

Australien  bietet,  wie  in  zahlreichen  anderen  Fällen,  auch  hinsichtlich 
der  Kinderverlobung  ganz  besonders  Interessantes. 

Babbeln  Spcm-er  und  F.  J.  Grillen  fanden  dort  bei  den  Aruuta-  und 
Ilpirra-Stäinmen  vier  Wege,  auf  denen  der  Mann  zu  einem  Eheweib  gelangt: 
Erstens  durch  Zauber,  zweitens  durch  Raub,  drittens  durch  Entführung  mit 
Zustimmung  der  zu  Entführenden,  viertens  durch  Vermittlung.  Von  diesen 
vier  Wegen  ist  der  letzte,  Tualcha  mura  genannt,  der  gewöhnliche.  Die  Mittels- 
personen sind  der  Vater  des  zukünftigen  Mannes  und  der  Großvater  des  zu- 
künftigen, mich  nicht  gebornen,  Weibes. 

Die  Werbung  bzw.  Verlobung  geht  bei  dieser  Werbeform  auf  folgende 
AVeise  vor  sich:  Ein  Mann,  der  für  seinen  Sohn  eine  Frau  aus  einer  gewissen, 
ihm  nicht  verbotenen.  Familie  wünscht,  kommt  mit  dem  Vater  eines  Mädchens 
überein,  daß  die  Nachkommen  beider  durch  das  Band  der  Verwandtschaft 
umschlossen  werden  sollen.  Hierauf  bringt  man  die  beiden  Kinder,  die  sich 
gewöhnlich  noch  im  zarten  Alter  befinden,  in  das  Erlukwirra,  d.  h.  in  das 
gemeinsame  AVeibei  lager  des  Stammes.  In  Gegenwart  aller  anwesenden  Frauen, 
die  als  Zeuginnen  gelten,  reibt  dann  die  Mutter  des  Mädchens  den  Knaben, 
und  die  Mutter  des  Knaben  das  Mädchen,  mit  Fett  und  rotem  Ocker  ein 
Auch  etwas  Haar  wird  dem  Mädchen  abgeschnitten  und  dem  Knaben  zum  Pfand 
gegeben,  daß  das  Mädchen,  wenn  erwachsen,  ihm  ihre  Kopfhaare  zu  einem 
Lendengürtel  liefern  müsse,  doch  nicht  als  seine  Braut,  sondern  als  seine 
Schwiegermutter.  Braut  und  Gattin  soll  ihm  die  gehoffte  Tochter  des  gegen- 
wärtigen, ihm  jetzt  gleichalterigen,  Mädchens  werden. 

Ein  solches  Verlöbnis  gilt  für  das  weibliche  Geschlecht,  bzw.  den  Ver- 
treter desselben,  als  bindend;  der  herangewachsene  junge  Mann  hingegen  braucht 
das  Versprechen  seines  Vaters,  wenn  er  nicht  will,  nicht  einzulösen.  Aller- 
dings können  auch  Verhältnisse  eintreten,  welche  die  Partei  der  Braut  zum 
Wortbruche  bewegen.  Entsteht  z.  B.  vor  der  Hochzeit  Feindschaft  zwischen 
den  beiden  Familien,  so  sehen  sich  die  Eltern  des  versprochenen  Mädchens 
eventuell  um  einen  anderen  Schwiegersohn  um.  Doch  weiß  dieser  dann  im 
voraus,  daß  ihm  sein  Weib  von  seinem  Nebenbuhler,  dem  ersten  Bräutigam, 
früher  oder  später  streitig  gemacht  wird. 

Mancher  Australier  hat  auf  dem  Tualcha-mura-Weg  mehr  als  ein  Weib 
in  Aussicht,  kann  aber  sein  Recht  auf  die  übrigen  an  ewien  jüngeren  Bruder 
abtreten,  sei  das  nun  ein  leiblicher  Bruder,  oder  ein  Stammesbruder.  Selbst- 
verständlich kommt  es  auch  vor,  daß  ein  zur  Schwiegermutter  ausersehenes 
Mädchen  keine  Tochter  gebiert.  Hat  sie  aber  einen  Sohn,  so  kann  der  Verlobte 
auf  diesen  als  seinen  „Unjipinna"  Anspruch  machen.  Das  Verhältnis  zwischen 
zwei  solchen  Männern,  bzw.  Mann  und  Knabe,  gleicht  nach  Spencer- Oillen 
einem  Paten  Verhältnis. 


712  Kapitel  LVJ.     Verlobung  und  Verheiratung  des  Kindes*. 

Eine  andere  Werbeform  meldete  der  Missionar  Rudesino  Salvado  vom 
Moore-River,  südwestliches  Australien:  Der  Werber  hält  beim  Vater  eines 
noch  unreifen  Mädchens  um  dieses  an.  Bekommt  er  die  Zustimmung:  des  Vaters, 
dann  ist  er  von  jetzt  an  der  Eigentümer  des  Mädchens,  das  regelmäßig  bis 
zu  seiner  Entwicklung  beim  Vater  bleibt.  Nur  mißtrauische  Werber  nehmen 
die  ihnen  versprochenen  Mädchen  gleich  mit,  berühren  sie  aber  vor  Eintritt 
der  Reife  nicht.  —  Ein  Wortbruch  des  Schwiegervaters  müßte  blutig  gerächt 
werden. 

Bei  den  Dieri  und  verwandten  Stämmen  am  Eyre-See,  südliches  Australien. 
werden  Mädchen  in  ihrer  Kindheit,  sei  es  von  ihren  Vätern,  oder  dem  Haupt 
und  dem  großen  Rate  des  Stammes,  einem  Mann  zur  „Noa-Ehe",  d.  h.  jener 
individuellen  Ehe  versprochen,  welche  dort  neben  der  Pirauru  oder  Gruppen- 
ehe besteht  (Howitt). 

§  367.     Koreaner,  Chinesen  und  Ural-Altaien. 

Bei  den  Koreanern  und  den  Golden,  einem  Zweig  der  Tungusen, 
besteht  der  Mißbrauch.  12  bis  13  jährige  Knaben  and  Mädchen  mit  30  jährigen 
Frauen,  bzw.  mit  Greisen,  zu  verheiraten  (Jakobsen- Genest). 


Fig.  480.     Chinesisches  Spielzeug. 
Frosch.  Ballendes  Kind.  Kind  zieht  eine  große  Rübe. 

Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 

In  China  verloben  viele  Kitern  ihre  Töchter  schon  in  den  Windeln  (Stern). 
Bei  den  ackerbautreibenden  Landleuten  weiden  die  Mädchen  oft  schon  im 
Alter  von  7  bis  8  Jahren  in  das  Haus  der  Schwiegermutter  genommen,  obgleich 
die  Hochzeit  erst  im  15.  Lebensjahre  stattfindet1).  Stern  schreibt  übrigens. 
daß  Verehelichungen  chinesischer  Mädchen  im  Alter  von  10  bis  14  Jahren  nichts 
seltenes  seien  (vgl.  §294),  und  der  Anonymus  im  „Globus",  Bd.  65,  382  fügt 
seiner  obigen  .Mitteilung  die  Bemerkung  bei.  daß  die  Chinesen  ihre  Kinder 
bereits  in  einem  Alter  verheiraten,  wo  das  Herz  noch  keine  gegenseitige  Liebe 
kennt,  wenigstens  nicht  jene  Liebe,  die  den  Erwachsenen  eigen  ist.  Die  wieder- 
holte Behauptung  europäischer  Beobachter,  das  chinesische  Mädchen  sei  sieb 
seiner  traurigen  Laue  als  zukünftige  Gattin  nicht  bewußt,  widerlegt  er  mit 
dem  Bericht,  daß  viele  Mädchen  nach  ihrer  Verlobung  Selbstmord  begehen. 
In  den  Wer  Jahren  des  19.  Jahrhunderts  ertränkten  sich  aus  diesem  Grunde 
15,  und  im  Jahre  L873  machten  bei  Kauton  acht  junge  .Mädchen  ihrem  Leben 
ein  Ende,  alle  aus  Angst  vor  der  Ehe.  -  Las  Mädchen  muß  hin.  wohin  seine 
Eltern  es  versprochen  oder  verkauft  haben,  ob  der  Auserwählte  schief  oder 
krumm,  oder  doppelt  so  alt  ist  als  sie.  schreibt  Stenz.  —  Ob  noch  in  den 
Windeln,  oder  älter,  das  Mädchen  wird  nicht  nach  Wunsch  und  Neigung  gefragt. 


5,  382. 


§  368.     Hyperboräer  und  Indianer.  713 

Mancher  Kirgise  auf  der  Halbinsel  Mangyschläk,  Ostküste  des  Kas- 
pischen  Meeres,  läßt  für  seinen  Sohn  schon  in  dessen  erstem  Lebensjahr  um 
eine  Braut  schauen.  Meistens  geschieht  das  jedoch  zwischen  dem  3.  und  8.  Jahr. 
Der  Vater  beauftragt  mit  diesem  Geschäft  einen  Vermittler.  —  Bei  der  Auswahl 
des  Mädchens  sieht  man  nicht  sehr  auf  passendes  Lebensalter.  Der  Unter- 
schied kann  sechs  und  mehr  Jahre  auf  der  einen  oder  andern  Seite  be- 
tragen. Wichtiger  ist  die  Übereinstimmung  des  Standes  und  Vermögens 
beider.  Die  Braut  kann  vor  der  Hochzeit,  welche  nach  erfolgter  Pubertät 
stattfindet,  zurücktreten,  wenn  sie  den  ihr  zugedachten  Mann  nicht  mag  (P. 
Ku  ratz). 

Im  Kreise  Saissa  nsk.  asiatisches  Bußland,  heiraten  viele  reiche  Kirgisen- 
Söhne  mit   14  Jahren:  arme  warten  bis  30,  ja  35  Jahre  (P  von  Stettin). 

Bei  den  Jakuten  maß  Middendorff  ein  Bräutchen  von  Höhe  von  4»  Zoll. 
Es  war  im  2.  Lebensjahr  verlobt  worden.  Gewöhnlich  verloben  die  Jakuten 
ihre  Töchter  zwischen  8  bis  10,  ihre  Söhne  mit   12  bis   13  Jahren. 

Von  den  Ostjaken  am  untern  (3b,  West-Sibirien,  teilte  0.  Finsch 
mit,  daß  auch  sie  ihre  Söhne  und  Töchter  in  den  Kinderjahren  verloben,  wobei 
wenig  nach  Liebe  gefragt  werde.  Hingegen  bemerkte  Brehm,  man  nehme  auf 
den  Wunsch  der  Knaben  viele  Bücksicht,  insofern  die  Vermögensverhältnisse, 
welche  bei  den  beiden  Familien  übereinstimmen  sollen,  das  gestatten.  Das 
Madchen  werde  schon  ans  dem  Grunde  nicht  gefragt,  weil  es  bei  seiner  Ver- 
lobung noch  zu  jung  sei,  um  selbst  über  seine  Zukunft  entscheiden  zu  können.  — 
Dieser  Grund  scheint  mir  freilich,  im  Hinblick  auf  das  Knabenalter  des  Bräu- 
tigams, nicht  unanfechtbar  zu  sein.  Das  Brautpaar,  welches  Brehm  am  untern 
Ob  kennen  lernte,  zählte  zusammen  27  Jahre,  wovon  12  Jahre  auf  die  Braut 
kamen. 

Bei  den  Samojeden  sind  12jährige  Mütter  keine  Seltenheit.  Knaben 
werden  bisweilen  mit  gereift eu  Mädchen,  kleine  Mädchen  mit  Männern  im 
besten  Mannesalter  verehelicht.  Die  meisten  Bräute  sind  beinahe  noch  Kinder 
(P.  von  Stenm). 

§  3GS.     Hyperboräer  und   Indianer. 

Die  Töchter  der  Eenntier-Tschuktscheu  im  Anadyrbezirk,  nordöst- 
liches Sibirien,  heiraten  mit  ca.  10,  die  Söhne  meist  mit  16  Jahren.  -  Die 
Elien  bleiben  jahrelang  kinderlos  (Cremat). 

Die  Zentral-Eskimos  verloben  ihre  Kinder  in  der  Kegel  sehr  früh, 
schreibt  Ports,  der  zu  den  Zentral-Eskimo  auch  die  Eingebornen  des  nördlichen 
Grönland  rechnet.  Solche  Verlobungen  sind  nicht  ernstlich  bindend  und 
können  zu  jeder  Zeit  wieder  gelöst  werden.  —  Nach  Hohn  gehört  an  der 
grönländischen  Ostküste  eine  3-  oder  4malige  Verheiratung  der  Eskimo- 
Kinder  vor  ihrer  Entwicklung  zu  den  gewöhnlichen  Vorkommnissen.  —  An 
der  grönländischen  Westküste  lernte  Mrs.  Peary  zwei  Bräutchen,  „reine 
Kinder-',  kennen,  und  der  12jährigen  Tooky  folgte  auch  ein  Verehrer.  — 
Fiühe  Zusammeubestininiung  der  Kinder  meldete  auch  //.  Abbes  von  den  Eskimos 
des  Cumberland-Sundes.  —  Hüll  erwähnte  die  kaum  über  die  Kinderjahre 
hinaus  gekommene  kleine  Ookoodlear,  welche  es  nur  durch  herzzerreißendes 
Weinen  verhinderte,    mit   dem  ca.  25  Jahre  alten  Etil   verbunden   zu   werden. 

Die  Nordindianer  zwischen  Hudson-Bucht,  Churchill-Fluß,  Athabasken- 
und  Großer  Sklavensee  verloben  ihre  Töchter  im  Kindesalter,  aber  nie  mit 
gleiclialterigen  Knaben.  Denn  der  Nordindianer  sagt:  Kinder  sind  in  ihren 
Sitten  und  Neigungen  so  unbeständig,  daß  mau  nicht  wissen  kann,  ob  ein 
Knabe  ein  geschickter  Mann  werde.  Sie  wählen  daher  Männer,  die  ihre  Frauen 
höchstwahrscheinlich  ernähren  können.    Auf  Alter,  Erscheinung  und  Charakter 


714  Kapitel  LVI.     Verlobung  und   Verheiratung  des  Kindes. 

wird  nicht  gesehen.  Nicht  selten  verehelicht  man  10-  bis  12jährige,  oder 
noch  jüngere.  Mädchen  mit  35-  bis  40jährigen  Männern.  Die  Mädchen  haben 
unbedingt  zu  gehorchen. 

Häufige  Kinderverlobung  erwähnte  Bancroft  von  den  Nutkas.  Indianern 
auf  der  Vancouver-lnsel,  an  der  westlichen  Küste  von  Nordamerika.  Als 
gegenseitige  Pfänder  hinterlegt  man  Decken  und  andere  "Wertgegenstände. 
Rückgängig  werden  solche  Verlobungen  selten  gemacht. 

Nach  Everhardt,  F.  im  Timm  kommen  bei  den  .Indianern  in  Guayana, 
Süd-Amerika.  Verlobungen  im  Knabenalter  vor.  die  der  zum  Manne  gereifte 
wieder  auflösen  kann,  wobei  er  alles,  was  er  seiner  Verlobten  an  Perlen  und 
sonstigem  Schmuck  geschenkt  hat,  wieder  zurückfordern  darf.  —  Koch-Grünberg 
erwähnt  aus  Britisch-Guayana  11-  bis  12jährige  Ehefrauen,  die  bereits  er- 
fahrene Mütter  waren.  Die  meisten  dortigen  Stämme  verheiraten  ihre  Kindei 
sehr  früh. 

Im  Staat  Maranhao,  Brasilien,  suchen  sich  die  Söhne  der  Capiekrans- 
oder  Canelas-Indianer  bereits  mit  8  bii  10  Jahren  selbständig  Bräute,  ob- 
gleich sie  nicht  vor  22  Jahren  heiraten.  Während  dieser  ganzen  langen  Braut- 
zeit  überwacht  sich  das  Paar  gegenseitig  (Etienne  Ignace). 

Wenn  ein  Caingang-Indianer  der  brasilianischen  Provinz  Paranä  ein 
Kind  oder  ein  junges  Mädchen  sieht,  das  ihm  gefällt,  so  fordert  er  es  vom 
Vater  gegen  ein  kleines  Geschenk.  Geht  der  Va!er*darauf  ein.  dann  schließt 
sich  der  Bräutigam  dessen  Familie  an  und -leistet  Dienste,  bis  die  Braut  10 
oder  12  Jahre  alt  i>t.  worauf  er  sie  heiratet. 

Mancher  Jivaro-lndianer.  Ecuador,  nimmt  sich  ein  Mädchen,  das  noch 
an  der  Brust  seiner  Mutter  trinkt,  zur  Frau,  damit  er  e*  nach  Wunsch  er- 
ziehen kann  (Reiss).  — 


Kapitel  LV1I. 

Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidung1». 

§  3<>9.  Der  Übergang  vom  Kind  zum  reifen  Weib  oder  Mann  wird  im 
Völkerleben  als  ein  hochwichtiges,  ja  bei  vielen  Völkern  allem  Anscheine  nach 
als  das  wichtigste  Ereignis  im  Leben  des  Einzelnen  aufgefaßt.  Er  gih  ihnen 
mehr  als  Geburt,  Heirat  und  Tod.  Zu  diesem  Schluß  berechtigt  ein  Ver- 
gleich der  Feier,  bzw.  der  hier  einschlagigen  Äußerungen  des  Seelenlebens  der 
Völker  bei  jenen  Ereignissen.  Mit  Recht  schrieb  Heinrich  Schürte  über  die 
Feier  der  „Jünglingsweihe"2),  sie  sei  meist  viel  großartiger  und  von  weit 
längerer  Dauer  als  die  der  Ehe").  --  Das  ist  bei  der  Auffassung  der  be- 
treffenden Völker  von  Zeugung  und  Ehe  auch  gar  nicht  zu  verwundern. 
Erstere  kann  ja  auch  außerhalb  der  Ehe  stattfinden,  und  letztere  ist  so  locker, 
daß  sie  häutig  ohne  Schwierigkeiten,  besonders  seitens  des  Mannes,  so  und 
su  oft  gelöst  werden  kann,  abgesehen  von  Vielweiberei  und  Konkubinat  inner- 
halb der  Ehe.  Die  Zeugungsfähigkeit  aber  ist,  etwas  konstanteres,  bleibt, 
hauptsächlich  beim  Mann,  für  den  größten  Teil  des  Lebens  und  wirkt  in  den 
Nachkommen  gewissermaßen  für  alle  Zeiten  fort.  Deshalb  dünkt  es  mich  den 
Tatsachen  entsprechend,  was  ich  auf  S.  143  d.  B.  schrieb,  nämlich  daß  bei 
jenen  Völkern,  welche  mit  der  Keifefeier  Beschneidung  verbinden,  diese  den 
wichtigsten  Teil  des  Festes  ausmache,  weil  bei  ihnen  eben  die  Zeugung 
als  das  vorherrschende  Recht  und  die  vorherrschende  Pflicht  des  Erwachsenen 
gelte4).  H.  Schürte  meint  im  Zusammenhang  mit  seinem  obigen  Satz  freilich. 
es  handle  sich  bei  der  ..Knabenweihe"  der  Völker  mehr  um  die  Aufnahme 
der  Knaben  in  den  Bund  der  Jünglinge,  als  darum,  den  Kandidaten  ihre  be- 
ginnende Zeugungsfähigkeit  zum  Bewußtsein  zu  bringen.  „Die  bloße  Tatsache 
der  eingetretenen  Geschlechtsreife  würde  .  .  .  schwerlich  zu  so  verwickelten 
Bräuchen  und  Förmlichkeiten  führen,"  so  schreibt  er.  ..wenn  nicht  gleichzeitig 
der  Eintritt  in  die  engverbundene  Gruppe  der  Jünglinge  entsprechend  betont 
werden  müßte;  bei  den  Mädchen,  deren  zweite  Altersstufe  bei  weitem  nicht 
so  geschlossen  und  kameradschaftlich  organisiert  zu  sein  pflegt,  sind  auch  die 
Festlichkeiten  und  Prüfungen  stets  unbedeutender." 


')  Siebe  diese  in  Kap.  XXXVIII. 

-)  Sclutrt?  und  andere  Ethnologen  bezeichnen  die  um  die  Zeit  der  Pubertät  des 
männlichen  Geschlechts  stattfindenden   Koste  auch  als  Knaben-  oder  .lünglingsweihe. 

3)  Altersklassen  und  Männerbünde.  Eine  Darstellung  der  Grundformen  der  Gesellschaft. 
Berlin   1002,  S.  96 f. 

*)  Daß  ich  trotzdem  die  Beschneidung  gesondert  (Kapitel  XXXVIII)  behandelte,  hat 
sowohl  einen  inneren  als  auch  einen  äußeren  Grund.  Ich  wollte  die  Beschneidung  jener 
Völker,  welche  sie  nicht  mit  der  Pubertätsfeier  verbinden,  mit  jener  der  numerisch  weit 
überwiegenden  anderen  zusammenstellen,  um  einen  Gesamtüberblick  über  diese  hochwichtige 
Operation,  und  dadurch  die  Erklärung  ihres  Ursprungs,  Wesens  und  Zweckes  zu  erleichtern. 
Der  äußere  Grund  war  die  beträchtliche  Ausdehnung  des  Stoffes. 


7K3  Kapitel  LVII.     Pubertä'sfeste  exklusive  Boschneidung. 

Letzteres  scheint  mir  aber  durch  eiuen  Vergleich  der  hier  folgenden  zwei 
Kapitel  verneint  zu  werden1),  und  auch  wenn  dieses  nicht  der  Fall  wäre, 
ließe  sich  die  feierlichere  Begehung  der  männlichen  Pubertät  unter  anderem 
mit  dem  in  der  Menschheit2)  vorherrschenden  Gedanken  erklären,  der  Mann  habe 
einen  größeren  Anteil  an  der  Zeugung  einer  neuen  Generation,  als  das  Weib. 

Übrigens  blickt  selbst  durch  den  Gedankengang  bei  Schürte  die  Idee, 
daß  die  Hochschätzung  der  Zeugung  es  ist,  was  die  Pubertätsfeste  der  Völker 
vor  allem  beseelt.  Dann  wohl  schreibt  er:  ..Der  neue  Mensch  ist  ein  Jüngling, 
ein  Krieger,  ist  fortan  nicht  mehr  der  Mutter  untertänig,  wohnt  nicht  mehr 
in  der  Hütte  der  Weiber  und  hilft  ihnen  nicht  mehr  bei  den  häuslichen 
Arbeiten.  Er  gehört  jetzt  auf  Jahre  hinaus  einer  Gruppe  an,  die  sich  meist 
schon  räumlich  von  den  Familien  sondert."  Aber  auf  S.  102  seiner  verdienst- 
vollen Arbeit  lesen  wir  doch  auch:  „Durch  die  Weihe  tritt  der  Knabe  in  Be- 
ziehungen zu  den  Geistern  des  Stammes,  ja  er  erhält  selbst  einen  neuen  Geist, 
er  stirbt  und  wird  wiedergeboren  und  tritt  nun  in  die  Reibe  derer,  die 
imstande  sind,  neue  Wesen  zu  zeugen  und  den  Stamm  fortzupflanzen. 
Völlige  Klarheit  über  den  Ideengang,  der  dieser  Anschauung  von  Tod  und 
Wiedergeburt3)  zugrunde  liegt,  ist  schwer  zu  erlangen,  aber  man  darf  wohl 
annehmen,  daß  sie  die  wunderbare  Gabe  der  Zeugungsfähigkeit  er- 
klären   und   versinnlichen  soll,   wenn    auch  nur  in  halbbewußter  Weise." 

Mit  diesen  Ausführungen  glaube  ich  auf  Grund  des  in  den  Kapiteln  XXXVIII, 
LVII,  LVIII  u.  a.  m.  verarbeiteten  Materials  übereinstimmen  zu  können,  sie 
aber  auch  auf  das  weibliche  Geschlecht  ausdehnen  zu  sollen.  Mit  der 
Auffassung  von  der  Zeugungsfähigkeit  als  dem  Hauptgegenstand  der  Pubertäts- 
feste oder  Männer-  und  Weiberweihe  sind  wir  aber  auch  bereits  über  den  Kreis 
jener  Völker  hinausgetreten,  welche  um  die  Zeit  der  eintretenden  Pubertät 
Beschneidung  oder  Aufschneidttng  vornehmen.  Auch  bei  vielen4)  außen- 
stehenden Völkern  scheint  das  Gesagte  zuzutreffen,  wenn  wir  ihre  Pubertäts- 
feste oder  Männer-  und  Weiberweihen  näher  ins  Auge  fassen,  was  hiermit  in 
möglichster  Kürze  geschehen  soll.  Manches,  aus  früheren  Kapiteln  Bekanntes, 
begegnet  uns  hier  wieder,  wird  dadurch  klarer  und  wirft  seinen  Schein  auch 
auf  die  neue  Umgebung.  Hierhergehören:  Isolierung  der  Kandidaten  beider 
Geschlechter,  Haarschur,  Erteilung  eines  neuen  Xantens,  Zahn- 
operationen, Tätowierung  usw.  Bei  Völkern,  welche  die  Beschneidung 
mit  dem  Eintritt  der  Reife  ausführen,  ist  eine  reine  Scheidung  der  Be- 
schneidungsfeier  im  engeren  Sinne  von  den  übrigen  Festlichkeiten  der  Mannes- 
oder Weibesweihe  wohl  überhaupt  unmöglich.  Ein  Vergleich  des  38.  Kapitels 
mit  dem  vorliegenden  und  folgenden  Kapitel  wird  deshalb  zum  besseren  Ver- 
ständnis imitier  wieder  und  wieder  ratsam  sein. 

Ein  Überblick  über  die  beiden  letzteren  ergibt  zunächst  eine  Isolierung 
der   Mädchen8)   beim   Eintritt   ihrer   Reife   in   Hütten   (Häusern),   bzw. 


'l  Vgl.  '..  B.  Wehrmeistevs  Mitteilung  über  Lukuledi  in  §  372.  nach  welcher  die 
Pubertätsfeier  des  weiblichen  Geschlechts  länger  dauert  als  jene  des  männlichen 

-I   Ausnahmen   dürften    die    Völker    mit    dem    Hecht    der    Muttersippe,    mit    Matriarchat 
uml  Gynäkokratie  bilden  (vgl.  Kap.  LI).    Zu  den  ersteren  gehört  z.  B.  die  Bevölkerung 
Lukuledi.     Eine   Untersuchung,   oh    ein    solcher  Zusammenhang  auch  andernorts  vorhanden 
ist,  wäre  interessant,  doch  muß  ich  hier  darauf  verzichten. 

')  Vgl.  meine  Darlegungen  über  den  Gedanken  der  Wiedergeburt  im  Kapitel 
.Sexuelle  t  iperationen",  besonders  §  244.  —  Laß  sich  mir  bei  der  Bearbeitung  des  einschlägigen 
Materials  der  Gedanke  der  Wiedergeburt  aufdrängte,  ehe  ich  von  dieser  Auffassung  bei 
//.    Schltrtz   wußte,    ist    wohl   mehr  von    wissenschaftlichem   als  persönlichem   Interesse. 

'i  Vim  den  kulturell  höher  stehenden  Völkern,  sowie  von  der  indo-europäiseheu  Völker- 
familie Überhaupi  (das  alte  Sparta  ausgenommen)  liegt  mir  einstweilen  betrcfls  Pubertätsfeier 
wenig   Material  vor. 

Oder,  wo  Hinderen«  mit  sexuellem  Verkehr  schon  vor  Eintritt  der  Reife  gebräuch- 
lich ist,  der  jugendlichen  Eheweiber. 


§  369.     Pubertätsfeste  exklusive  Besehneidung.  717 

Gehegen  im  vorherrschend  nichtarischen  südlichen  Indien,  und  zwar  bei 
den  Stämmen  auf  den  Palni-Hügelu,  den  Valayan,  Parivaram,  Kasubas.  Badagas 
und  Vedas;  im  nordwestlichen  und  westlichen  Afrika  bei  den  Golah 
und  Vai  in  Liberia,  bei  den  Bafiote  (und  andern  Stämmen?)  in  Loango;  im 
südlichen  und  östlichen  Afrika  bei  den  Hottentotten  und  Kaffern;  in 
Deutsch-Ostafrika  bei  den  Wambugo  und  der  Bevölkerung  von  Luknledi. 
feiner  auf  Yap,  den  früheren  Marschall-Inseln '),  auf  Karesau  und  in  Nord- 
queensland (Australien);  in  Nordamerika  bei  den  Sitka  und  andern  Zweigen 
der  Kolaschen,  bei  den  Nutka,  Delaware  und  Nordkarolinischen  Indianern, 
bei  den  Maskoki  und  Wintun  (letztere  in  Kalifornien);  in  Südamerika  bei  den 
Arrawak  in  Surinam,  den  Goajiros  in  Colombia  und  den  Coroados  im  südöst- 
lichen Brasilien. 

Von  andern  Völkern  mit  dem  Brauch,  ihre  Pnbertäts-Kandidatinnen  zu 
isolieren,  weist  Kap.  LVII  -eine  Bezeichnung  von  eigens  errichteten  Hütten 
usw.  nicht  auf,  aber  dafür,  als  Ort  der  Zurückgezogenheit,  den  „Busch"  (Wald), 
oder  einen  "Winkel  der  elterlichen  Hütte,  oder  deren  obere  Abteilung  u.  ä.  m. 
—  Bei  gewissen  Völkern  schließt  die  Absonderung  nur  den  Verkehr  der 
Kandidaten  mit  Nichtmitgliedern  des  Hauses  aus  und  verlangt  dementsprechend 
nur,  daß  das  Mädchen  in  dieser  Zeit  das  Heim  nicht  verlasse,  oder  doch  sich 
nicht  weit,  oder  nicht  unnötigerweise  davon  entferne,  oder  nicht  bei  Tag 
ausgehe. 

Hierher  gehören,  abgesehen  von  Eepräsentanten  der  Sudan-  und  Bantu- 
völker  und  der  Indianer,  Papuastämme  in  Deutsch-,  Britisch-  und  Holländisch- 
Neuguinea  und  die  Bevölkerung  von  Kambodscha,  letztere  vorwiegend  Khmer, 
also  ein  Zweig  der  Völkerfamilien  mit  isolierenden  Sprachen. 

Mit  der  Absonderung  der  Reifekandidatinnen  verbinden  manche  der  be- 
treffenden Völker  anscheinend  den  Gedanken  der  Dunkelheit,  der  Finsternis. 
Am  meisten  betont  ist  das  in  der  Mitteilung  über  Kambodscha,  wo  die 
Kandidatin  „in  den  Schatten  eintritt"  (§  375),  den  Urheber  der  Finsternis 
(ihren  derzeitigen  Gatten  ?)  anbetet,  ihm  opfert,  nur  nachts  ausgeht  usw. 
Aber  auch  die  schwarze  Stirnkruste  der  Badaga-Mädchen  im  südlichen  Vorder- 
indien (§  370),  die  schwarze  Beschmierung  des  Gesichtes  in  der  Beringstraße, 
die  breite  Hutkrempe  der  Sitka,  bzw.  das  hier  und  bei  den  Nutka  vorhandene 
Verbot  die  Sonne  und  Feuer2)  anzublicken,  das  Verbot  der  Lappen,  den  der 
Sonne  (und  dem  Thor)  geheiligten  Platz  zu  betreten,  die  von  der  Reife  an 
gebotene  Verhüllung  von  Oberkörper,  Kopf  und  Armen  (und  Händen)  bei  der 
Tatarin,  der  verhüllte  Kopf  der  gereiften  Delaware-Indianerin,  die  dunklen 
Isolierhäuser  der  Nordkarolinier.  der  Aufenthalt  im  dunkelsten  Winkel  der 
Hütte  bei  den  südamerikanischen  Macusi  u.  a.  m.  dürfte  begrifflich  zusammen- 
hangen (vgl.  die  schwarze  Farbe  w.  u.). 

Diese  und  ähnliche  Erscheinungen,  vor  allem  aber  die  Absonderung 
selbst,  durchwegs  mit  der  „Unreinheit"  der  Mädchen  zu  begründen,  wie 
das  gewöhnlich  der  Menstruierenden  überhaupt  und  der  Wöchnerin  gegenüber3) 
geschieht,  dürfte  schon  deshalb  nicht  angängig  sein,  weil  ja  viele  Völker 
ihre  männlichen  Pubertätskandidaten  gleichfalls  absondern,  und 
daß   diese   deshalb   als   „unrein"    bezeichnet   würden,   ist   mir  nicht  bekannt. 


i)  Hier  scheint  die  Isolierhütte  ein  Vorrecht  der  Häuptlingstöchter  gewesen  zu  sein. 
Der  Gedanke  der  Unreinheit  war  also  hier  kaum  vorhanden.  Ebensowenig  dürfte  das  bei 
den  südamerikanischen  Goajiros  der  Fall  sein,  wo  der  Brautpreis  um  so  höher  ist,  je  länger 
das  Mädchen  in  ihrer  Isolierhütte  war  (§§  374  und  376). 

2)  Es  soll  hier  an  eine  „Verunreinigung"  der  Sonne  gedacht  sein.  Mag  sein;  aber 
Sonne  und  Feuer  spielen  auch  im  Fruchtbarkeitskult  der  Völker  eine  so  hochgradige  Rolle, 
duß  Zweifel  an  der  Ursprünglichkeit  der  obigen  Auffassung  berechtigt  sind.  Vgl.  z.B. 
die  Sonne  auf  Abb.  483. 

3)  Siehe  Kap.  XXI  und  XXII. 


7jy  Kapitel  LYIL     Pübertätsfeste  exklusive  Beschneidung. 

Wohl  aber  gelten  sie  bei  den  Alfuren  im  Hinterland  des  Mac-Cluer-Golfes, 
Neuguinea,  als  „tabu"  (§  380),  d.  h.  als  das,  was  isolierte  Menstruierende, 
Wöchnerinnen  und  stillende  Weiber  gleichfalls  bei  manchen  Völkern  bezeichnet 
werden.  Gerade  auf  Neuguinea  führt  man  aber  bei  gewissen  Stämmen  die 
Begründung  der  Häuser,  in  denen  die  männlichen  Pubertätskandidateu  als 
„tabu"  isoliert  sind,  auf  die  Gottheit  zurück.  Somit  ist  hier  „tabu''  wohl 
als  „heilig"  oder  doch  „ehrwürdig",  „unberührbar"  zu  übersetzen,  was 
einen  Wink  auch  für  die  Auffassung  isolierter  Mädchen  und  Weiber  gibt. 

Schon  in  Kap.  XXXVIII  lernten  wir  Hütten  für  männliche  Pubertäts- 
kandidaten kennen,  in  welchen  diese  Unterricht  erhalten  und  der  Beschneidung 
unterworfen  werden,  und  welche  sie  nach  kürzerem  oder  längerem  Aufenthalt 
als  ..Männer"  verlassen.  Solche  Hütten,  von  gewissen  Völkern  ausdrücklich 
als  Magen  oder  Bauch  eines  Geistes  bezeichnet,  sind  bei  diesen  Völkern 
Stätten  des  mystischen  Todes  der  Unreifen  und  ihrer  mystischen 
Wiedergeburt  als  Reife.  Wo  Hütten  nicht  eigens  gebaut  werden,  oder 
wo  ein  schon  vorhandenes  Versammlungshaus  nicht  benutzt  wird,  vertritt  ein 
Gehege,  oder  sonst  ein  geräumter  Platz,  deren  Stelle. 

Zum  Teil  Gleiches,  zum  Teil  Ähnliches  haben  wir  in  den  Kapiteln  LVII 
und  LVI1I:  Bei  den  Golah  und  VaT,  Negervölkern  in  Liberia,  und  bei  den 
Mendi-Negern  in  Sierra  Leone  werden  z.  B.  die  Pubertätskandidaten  beider 
Geschlechter  vom  Teufel  gefressen  und  von  ihm  als  „Wissende"  wieder 
von  sich  gegeben,  d.  h.  als  Leute,  welche  injlie  theoretischen  und  praktischen 
Kenntnisse  ihres  Stammes  eingeführt  sind.  Die  Zeit  zwischen  dem  Auffressen 
und  Wiedergeben  ist  aber  jene  Zeit,  während  welcher  die  Kandidaten  im 
Busch  ihren  lang  dauernden  Unterricht  genießen  (§  372).  —  Nicht  ganz  so 
deutlich,  aber  immerhin  verständlich  genug,  lautet  in  §  380  die  Mitteilung 
aus  dem  nördlichen  Australien,  daß  ein  Geist  vom  Himmel  kommt  und  die 
Pubertätskandidaten  (Weihekandidaten)  des  Larakia-Stannnes  in  den 
Busch  trägt,  von  wo  sie  als  eingeweihte  Männer  zurückkehren. 

Der  Gedanke  des  mystischen  Todes  und  der  Wiedergeburt  ist 
bei  den  obigen  Golah.  Vai  und  Mendi  also  von  beiden  Geschlechtern  be- 
zeugt, und  die  Wiedergeburt  findet  für  beide  Geschlechter  während  ihrer 
Zurückgezogenheit  und  durch  den  Dämon  statt1).  In  der  Einsamkeit, 
oder  doch  auch  in  einer  mehr  oder  weniger  strengen  Absonderung  von  der 
übrigen  Welt,  verkehrt,  nach  verschiedenen  Stellen  des  vorliegenden  und 
folgenden  Kapitels,  der  Dämon  mit  den  Pubertätskandidaten,  ja.  der  iianze 
Unterricht,  welcher  den  Kandidaten  von  den  Priestern,  Zauberern.  Medizin- 
männern usw.  beider  Geschlechter  an  den  Stätten  der  Zurückgezogenheit 
gegeben  wird,  dürfte  auf  Dämonen  zurückgeführt  weiden,  weil  diese  sich  ja 
nach  der  regelmäßigen  Auffassung  der  Völker  durch  ihre  Priester  offenbaren. 

Daß  sich  dieser  Unterricht  zum  großen  Teil  um  Sexuelles  dreht, 
wird  von  verschiedenen  Missionaren  und  andern  Forschern  ausdrücklich  be- 
zeugt 2). 

Fassen  wir  zunächst  einige  unzweifelhafte  Mitteilungen  dieser  Art  in 
diesem  und  dem  folgenden  Kapitel  zusammen.  In  Loango  und  bei  den  Völkern 
des  ostafrikanischen  Makondeplateaus,  sowie  bei  den  südafrikanischen  Makololo 
ist  der  Unterricht  im  Sexuellen  ausdrücklich  bezeugt;  bei  den  dortigen  Bafiote 
trägt  die  fsolierhütte,  wo  das  Mädchen  unterrichtet  wird,  und  das  Jungfern- 
häutchen den  gleichen  Namen;  bei  den  Ama-Kosa.  Solu  und  BasutOS  läßt  die 
Unzucht  beider  Geschlechter  bei  der  Schlußfeier  auf  den  Inhalt  des  vorher- 


')    Beide    Geschlechter    werden    auch    beschnitten    (Caston,     im    Anthrop.    VI, 
s    742  f.). 

Das  schließt  selbstverständlich  den  Unterricht  in  nützlichen  Fächern  nicht   aus. 
Auch  ein  solcher  ist  bezeugt. 


§  369.     Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidung.  71 1> 

gehenden  Unterrichtes  schließen;  desgleichen  die  Prüfung  der  Kandidatinnen 
des  oben  erwähnten  Makondeplateaus  und  bei  den  Suaheli  im  Bauchtanz. 
Bei  den  Eingebornen  von  Madibira  gibt  es  Anschauungsunterricht  im 
Sexuellen  (Abb.  483);  auf  den  Unterricht  der  Auin-Kandidaten  gestattet  die 
rohsinnliche,  in  §  373  geschilderte  Feier  einen  Schluß;  dem  Hottentotten- 
mädchen hängt  man  das  Magenfell  einer  Färse  (diese  zweifellos  ein  Bild  des 
Mädchens)  mit  dem  Wunsch  über  den  Kopf,  au  Fruchtbarkeit  einer  Kuh  zu 
gleichen;  auf  Yap  wirkt  die  Isolierhütte  auf  jedes  Mädchen  entsittlichend; 
auf  den  Marschall-Inseln  wurden  früher  die  Töchter  der  Häuptlinge  in  den 
Isolierhütten  von  ihren  eigenen  Vätern  oder  von  andern  Vornehmen  defloriert^, 
bei  den  Wintun-Indianern  in  Kalifornien  schloß  die  Feier  mit  lasziven  Ge- 
sängen der  Männer  ab,  und  die  bis  zur  Ohnmacht  berauschten  Conibos-Mädchen 
bei  ihrer  Schlußfeier  lassen  ebensowenig  eine  Erziehung  zur  Sittlichkeit 
in  unserem  Sinn  erwarten.  Immerhin  liegen  über  die  Pubertätsfeier  der  Indianer 
weniger  ausgesprochene  Unsittlichkeitsbeweise  vor.  als  von  den  Völkern  Afrikas 
und  der  Südsee.  Bei  den  Arrawak  soll  die  Kandidatin  sogar  in  Demut, 
Gehorsam  und  andern  Tugenden  unterrichtet  werden.  Daß  das  alles  ist, 
erscheint  nach  den  Berichten  über  so  viele  andere  Völker  allerdings  zweifel- 
haft. Eine  tiefere  Kenntnis  der  Symbolik  würde  wohl  auch  da  manches  zu 
Tage  fördern.    Dies  läßt  die  wiederholt  zitierte  neueste  Arbeit  Weygolds  erraten. 

Viele  Zeremonien  und  Bräuche  freilich  sind  uns.  meines  Wissens,  in 
ihrer  Bedeutung  noch  mehr  oder  weniger  dunkel.  Unter  einigen  derselben 
haben  die  Kandidaten  beider  Geschlechter  so  sehr  zu  leiden,  daß  man  sie 
bisher  einfach  als  Leidens-  oder  Mutproben  ')  auffaßte,  zumal  die  Kandidaten 
sie  in  der  Eegel  mit  Gleichmut  hinnehmen  müssen2).  Hierher  gehört  der 
weitverbreitete  Brauch,  die  jungen  Leute  mit  Stöcken,  Buten,  Kiemen 
und  dgl.  zu  schlagen,  zu  geißeln,  zu  peitschen.  Das  weibliche  Ge- 
schlecht wird  dieser  Tortur  nur  bei  den  südamerikanischen  Macusi*)  und 
Uaupes  unterworfen,  und  zwar  ist  es  dort  die  eigene  Mutter,  hier  sämtliche 
Mitglieder  der  Familie  und  die  Freunde,  welche  das  Mädchen  peitschen.  Bei 
allen  übrigen,  diesem  Brauch  huldigenden  Völkern  sind  es  die  männlichen 
Pubertätskandidaten,  welche  entweder  von  den  weiblichen  gepeitscht  werden, 
oder  sich  selbst,  oder  sich  gegenseitig  peitschen,  oder  von  Jünglingen,  die 
schon  vor  ihnen  die  Pubertätsfeier  durchgemacht  haben,  oder  von  älteren 
Männern,  bei  gewissen  Völkern  vom  Häuptling  des  Stammes  selbst  gepeitscht, 
bzw.  mit  einem  Stock,  Bohr  oder  Palmenstamm  geschlagen  werden. 

Wieder  von  andern  Völkern  liegt  mir  eine  Bezeichnung  dessen,  der 
peitscht,  nicht  vor.  Stellen  wir  die  im  vorliegenden  und  folgenden  Kapitel 
erwähnten  Völker  zusammen,  bei  denen  der  eine  oder  andere  dieser  Peitsch- 
bräuche vorkommen,  dann  zeigt  es  sich,  daß  schon  die  alten  Spartaner  ihre 
Jünglinge  peitschten,  und  daß  ihnen  in  dieser  Hinsicht  die  heutigen  nordwest- 
afrikanischen  Senegalneger4),  die  Bamangwato,  Basutos  und  andere  süd- 
afrikanische Völker  zur  Seite  stehen.     Bei  den  Basutos  verdienen  zudem  die 


')  Als  solche  faßte  auch  ich  sie  auf  S.  151   d.  B.  zusammen. 

a)  Gewöhnlich  scheint  man  bei  dieser  Benennung  auch  nur  die  Kandidaten  männ- 
lichen Geschlechtes  im  Auge  zu  haben,  während  doch  die  Mädchen  bei  mauchen  Völkern 
ebensoviel,  wenn  teilweise  auch  in  andern  Formen,  auszuhalten  haben.  Als  ausschließ- 
liche Vorbereitung  zum  Kriegerstand  können  solche,  oder  doch  ein  Teil  dieser  Bräuche 
demnach  kaum  aufgefaßt  werden,  wie  naheliegend  das  auch  scheint,  wenn  man  z.  B.  die 
Mißhandlungen  der  Pimas-Jüuglinge  in  §  382  liest,  welche  als  Prüfungen  für  die  Krieger- 
kandidaten mitgeteilt  worden  sind. 

3)  Daß  hier  die  Mädchen  auch  noch  bei  der  zweiten  Menstruation  gegeißelt  werden 
(§  376),  weist  meines  Erachtens  auch  auf  eine  andere  Grundbedeutung,  als  die  einer  Mut- 
probe, hin. 

4)  Siehe  auch  die  Bambara  in  Kap.  XLVIII. 


720  Kapitel  LVI1.     Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidung. 

menschenlangen  Euten  auf  den  Hüttendächern  der  Kandidaten  (§  379)  unsere 
Aufmerksamkeit,  Vielleicht  könnte  ein  Sprachkundiger  Aufschluß  geben,  ob 
„Eute"  nicht  nur  in  indogermanischen,  sondern  auch  in  andern 
Sprachen  zugleich  das  männliche  Glied  bezeichne1).  -  Ferner  ist  bei 
den  Basutos  zu  beachten,  daß,  nach  der  Schilderung  bei  Floß  (2.  Auflage) 
die  Geißelung  erst  nach  der  Aufnahme  in  die  Eeihen  der  Männer  stattfindet, 
Entspricht  diese  Aufeinanderfolge  den  Tatsachen,  dann  wird  die  Basuto- 
Geißelung  auch  aus  diesem  Grund  nicht  so  aufgefaßt  werden  können,  als  ob 
der  junge  Mensch  durch  deren  geduldige  Ertragung  sich  würdig  erweisen 
müsse,  um  unter  die  Männer  aufgenommen  zu  werden. 

Unter  Eutenstreichen  führen,  wie  schon  in  Kap.  XXXVIII  erwähnt,  die 
Papua  in  Kaiser-Wilhelms-Land  ihre  Söhne  zur  Beschneidung;  die  Beifekandi- 
daten  der  Pyuma  und  Amis  auf  Formosa  erhalten  je  einen  Schlag  mit  einem 
Bambusstali;  jene  auf  Karesau  mehrere  Schläge  mit  einem  saftreichen  Bananen- 
stamm;  auch  die  Urabuuua,  Annita.  Ilpirra  und  Unmatjera.  Stämme  im  Innern 
von  Australien,  prügeln  die  Kandidaten,  und  das  Gleiche  tun  (unmittelbar 
vor  der  Beschneidung)  die  Eingebornen  um  die  Boebuck-Bay,  westliches 
Australien.  Das  Peitschen  begegnet  uns  dann  wieder  in  Amerika:  Bis  dem 
Häuptling  die  Hände  erschlafften,  peitschte  er  früher  bei  den  Maskoki- 
Indianern  den  Kandidaten,  und  im  nordwestlichen  Brasilien  peitschen  sich 
heute  noch  die  Pubertätskandidaten  und  wie  es  scheint,  auch  Ehemänner  an 
Festen,  welche  den  Dämonen  der  Fruchtbarkeit  geweiht  sind.  Da 
diese  Dämouen  zugleich  die  Urväter  der  betreffenden  Völker  sind  und 
Koeh-Ghrwiberg  einen  derselben  mit  stark  hervortretenden  Geschlechtsteilen 
abgebildet  sah;  da  ferner  der  Gepeitschte  während  dieser  Tortur  aus  Leibes- 
kräften die  Flöte  bläst,  deren  Ton  die  Stimme  des  Dämons  selbst  ist. 
ja,  welche  mit  dem  Dämon  gewissermaßen  identisch  ist  (§  382);  da 
ferner  zu  Humboldts  Zeit  die  Männer  am  oberen  Orinoco  (Colombia  und 
Colombia-Venezuelisches  Grenzgebiet)  sich  an  einem  Jahresfest  zu  Ehren  des 
Fruchtbarkeitsdämons  Cachimana  geißelten  und  hl.  Trompeten  unter  den  Palmen 
bliesen,  damit  diese  reichliche  Früchte  brächten,  so  ist  es  klar,  daß 
die  Geißelung  (Peitschung)  in  einem  innigen  Zusammenhang  mit  dem 
Fruchtbarkeitskult  hängt.  Daß  dabei  keineswegs  nur  an  eine  vegetative. 
sondern  auch,  und  wohl  vor  allem,  an  die  menschliche  Fruchtbarkeit  zu 
denken  ist,  bedarf  wohl  kaum  eines  besonderen  Hinweises,  zumal  ..  I>as  Kind" 
bereits  in  früheren  Kapiteln  das  Peitschen  mit  Riemen  und  Ruten, 
das  Schlagen  mit  Gerten,  Zweigen  u.  dgl.  als  uralte  Symbole,  bzw. 
Handlungen,  im  Fortpflanzungskult  indo-europäischer  und  anderer 
Völker  nachgewiesen  hat2).  Symbole,  die  au  klein  und  groß.  Mädchen  und 
Knaben,  Männern  und  Weibern  zur  Durchführung  gelangen.  Freilich  ist  damit 
das  Rätsel  mich  nicht  gelöst,  warum  das  Peitschen  und  Schlagen  zu  einem 
solchen  Kultakt  erhoben  wurde.  Wahrscheinlich  ist  in  diesem  Akt  ein  doppeltes 
-zu  beachten:  einerseits  das  Peitschen  oder  Schlagen  an  und  für  sich,  und 
andererseits  das  Instrument,  mit  welchem  die  Hiebe  erteilt  werden.  Was 
letzteres  betrifft,  so  waren  z.  B.  die  Riemen,  womit  im  alten  Rom  die  Frauen 
geschlagen  wurden,  damit  sie  fruchtbar  würden,  aus  den  Häuten  der  geopferten 
Böcke ;i);   die  Puten,   mit   welchen  die  Mordwinenmutter  ihre  Kinder  peitscht, 


')  Sehr  beachtenswert  sind  die  Peitschen  beim  Aperschnalzen  (Abb.  . -17).  Denn 
dieses  „Aper"  dürfte  mit  „Aprilis,  omnia  nperiens;  und  dem  Beinamen  des  Beins  ..Beel- 
phegor".  d.  h.  „apertor"  (terrae,  vulvae)  zusammenhängen".  Siehe  Zehetmayr,  Ana- 
logisch-vergleichendes  Wörterbuch,  S.  32. 

*)  Siehe  hauptsächlich  die  Kap.  X LI  1  und  XI. 111. 

')  Der  Bock  an  und  für  sicli  war  und  ist  ein  sexuelles  Symbol;  der  Bock  als  Opfer- 
tier soll  wohl  doppelte  Wirkung  haben. 


§  369.     Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidung.  721 

damit  diese  wachsen,  sind  vom  hl.  Baum  der  Göttin  der  Fruchtbarkeit  *).  Anderer- 
seits soll  wohl  auch  der  Schlag  wirken;  denn  die  Karesauer  schlagen  nicht 
nur  ihre  Pupertätskandidaten.  sondern  auch  die  Schweine;  diese,  damit  sie 
wachsen  (§  380).  Sehr  beachtenswert  ist  die  Bemerkung  über  das  Peitschen 
der  Muras  (§  382).  daß  es  ,.ein  Akt  der  Liebe"  sei.  Die  Vermutung,  es 
unterliege  hier  ein  „irregeleitetes  Geschlechtsverhältnis",  gründet  wohl 
in  dem  Zusammenbinden  männlicher  Paare.  Somit  hätten  wir  hier  keinen  Frucht- 
barkeitskult, sondern  einen  sittlich  tieferstehenden,  einen  sogenannten  wider- 
natürlichen Geschlechtskult'2).  —  Koch-  Grünberg  wiederum  sieht  in  der 
Peitschung  der  von  ihm  und  seinerzeit  von  Humboldt  besuchten  Völker  einen 
Akt  der  Kasteiung,  welcher  den  Dämon  der  Fruchtbarkeit  günstig 
stimmen  soll3).  Jedenfalls  wird  das  Peitschen  der  Pubertätskandi- 
daten nach  den  obigen  Darlegungen,  wenigstens  in  seiner  ursprünglichen 
Bedeutung,  nicht  mehr  als  ausschließliche  Mutprobe,  sondern  auch,  oder 
wohl  vor  allem,  als  ein  Fruchtbarkeits-  oder  Geschlechtsritus  auf- 
zufassen sein. 

Die  §§  380  und  382  berichten  von  sogenannten  Ameisen-  und  Wespen- 
proben, denen  sich  die  männliche  .Tugend  unterwerfen  muß,  und  welche  bei 
den  südamerikanischen  Mundrucus,  Tamanacos,  Ojana  und  Rucuyenne  sich  zu 
einer  hochgradigen  Quälerei  steigern,  unter  denen  der  Rucuyenne-Jüngling 
das  Bewußtsein  verliert,  während  der  Pubertätskandidat  auf  Karesau  in  der 
Südsee  mit  dem  Stich  einer  einzigen  Ameise  davonkommt.  Der  Sinn  dieser 
Bräuche  ist  weniger  aufgeklärt,  als  jener  des  Peitschens.  Früher  sah  man 
auch  sie.  meines  Wissens,  einfach  als  Mutproben  an,  oder  man  faßte  sie  als 
disziplinare  Mittel  auf,  da  die  Gestochenen  keinen  Schmerzeuslaut  von  sich 
geben  dürfen,  vielleicht  auch,  weil  nur  die  männlichen  Pubertäts-  oder 
Initiationskandidaten  dieser  Qual  unterworfen  werden.  Die  in  §  382  referierte 
Mitteilung  über  die  Ojana,  daß  die  Stiche  den  Kandidaten  kräftigen, 
geschickt  und  arbeitsam  machen  sollen,  sowie  der  Umstand,  daß  auf 
Karesau  der  Gestochene  die  Ameise,  welche  ihn  stach,  nachher  ißt,  lassen 
aber  an  der  Richtigkeit  der  obigen  Auffassung  abermals  zweifeln  und  er- 
wecken die  Vermutung,  daß  bei  diesen  Bräuchen  eine  Übertragung  wünschens- 
werter Eigenschaften  von  der  Ameise  auf  den  Knaben  und  jungen  Mann 
gehofft  wird4).  Ob  bei  diesen  Eigenschaften  nur  an  Kräftigung.  Geschick 
und  Arbeitsamkeit  zu  denken  ist,  oder  ob  auch  hier  ein  sexuelles  Symbol 
vorliegt,  muß  ich  noch  unentschieden  lassen.  Mehr  als  ein  Zeichen  sprechen 
für  das  letztere.  Der  Stachel  der  Wespen  und  Ameisen  erinnert  an  die 
Bedeutung  Wuotans  als  „penetrans"  (S.  723),  allerdings  auch  an  die  Aufgabe 
des  Waffentragenden,  des  Kriegers. 

Ein  dritter  schmerzhafter  Brauch  ist  das  Tätowieren5).  Männliche  und 
weibliche  Pubertätskandidaten  werden  dieser  Operation  unterworfen.  Wir 
finden  sie  zur  Zeit  der  Pubertät  bei  Dravidas,  Arabern,  Negern,  malayisch- 
polynesischen  Völkern.  Papuasund  Australiern,  sowie  bei  Indianern.  Bei  einzelnen 

')  Auch  hier  wird  wohl  eine  doppelte  Wirkung  erhofft,  da  der  Baum  schon  an  und 
für  sich  ein  Bild  der  Fruchtbarkeit  ist. 

2)  Geschlechtsleben  im  niedersten  Sinne  scheint  auch  in  den  Jsolierhütten  auf  Yap 
gepflegt  zu  werden  (s.  §  374). 

J)  Vgl.  das  Geißeln  der  „Töchter  der  Buße"  im  alten  Mexiko  (S.  585  d.  B.).  sowie 
<3ie  häufigen  Blutentziehungen  der  alten  Mexikaner  überhaupt  und  jene  anderer  Völker,  als 
Kultakte,  in  Kap.  XLVIII,  ferner  die  Blutentziehungen  an  den  Pnbert ätsf esten  der 
Abiponer,  §  382.  Dabei  ist  das  "Wesen  der  Religion  dieser  Völker  im  Auge  zu  haben, 
auf  das  ich  wiederholt  hingewiesen  habe. 

*l  Vgl.  das  Männerkindbett  bei  südamerikanischen  Völkern  (Kap.  Xi.  sowie  die  sym- 
pathetische Behandlung  des  Kindes  in  der  Krankheit,  als  Täufliug  usw.  in  früheren  Kapiteln. 

6)  Vgl.  Kap.  XXXVII,  §  242:  ..Die  im  Kindesalter  begonnene  Tätowierung"  und 
S.  104  d. B. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  46 


722  Kapitel  LY1I.      Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidung. 

Völkern  wird  sie  in  einer  so  qualvollen  "Weise,  auch  am  weiblichen  Geschlecht, 
ausgeführt,  daß  sie.  vom  Standpunkt  des  Leidens  aus  erfaßt,  sich  würdig  an 
das  Peitschen  und  an  die  Ameisen-  und  Wespenproben  reiht.  Grund  und 
Zweck  sind  auch  hier  nur  zum  Teil  bekannt.  In  Tunis  drückt  das  Mädchen 
damit  ihren  Wunsch  nach  einem  Mann  aus  (§  371);  in  Deutsch-Togo  deuten 
die  Strahlen  um  den  Nabel  der  Bassari-Mädchen  abermals  auf  Sexuelles  hin 
(§  372):  die  Mädchen  der  Hula-Papua  wollen  durch  ihre  Tätowierung  leichter 
einen  Gatten  finden;  in  Murray.  südliches  Australien,  haben  wir  dasselbe 
Motiv  (§  374);  bei  den  nordamerikanischen  Dene  tätowieren  die  Pubertäts- 
kandidatinnen die  jungen  Männer,  um  diese  vor  vorzeitiger  Schwäche  zu  hüten; 
die  südamerikanischen  Karaja  tätowieren  ihren  Pubertätskandidaten  beider 
Geschlechter  die  Stammeszeichen  ein  (§  376).  Die  der  Tätowierung  voraus- 
gehende Blutvergießung  der  Paten  der  Kandidaten  bei  den  südlichen  und 
westlichen  Stämmen  Australiens  und  die  Bezeichnung  der  zu  tätowierenden 
Stelle  in  dem  getrockneten  Blut  weist  auf  das  denkbar  innigste  Verhältnis 
hin.  welches  durch  die  Tätowierung  bezweckt  wird  (vgl.  meine  Anmerkung 
zu  Peak  River.  §  380).  Als  Mutprobe  für  den  Mann,  zur  Verschönerung 
des  Weibes  und  als  Reifezeichen  für  beide  soll  die  Tätowierung  auf  Samoa 
gelten  (vgl.  m.  Anm.  ebenda).  —  Liebe  zum  andern  Geschlecht.  Stammes- 
einheit und  Hochgefühl,  ein  volles  Mitglied  des  eigenen  Stammes  zu  sein. 
blicken  demnach  vorzugsweise  durch  die  obigen  Motive  und  Zwecke  der 
Tätowierung. 

Ein  vierter  schmerzlicher  Pubertätsbrattch  sind  die  Zahnoperationen  l), 
d.h.  das  Zufeilen  nach  einem  bestimmten  Brauch,  das  Ausbrechen  und 
Ausschlagen  von  Zähnen.  Auch  diese  Operationen  werden  an  beiden 
Geschlechtern  ausgeführt.  Wir  finden  sie  in  den  Kap.  LVII  und  LYIII 
bei  den  Schilluck  im  östlichen  Sudan,  bei  den  Herero,  Ovanibo,  Barutse 
und  anderen  südafrikanischen  Negervölkern;  ferner  auf  Sumatra  sowohl  bei 
den  anthropophagen  Battak  als  bei  den  Orang  Mamma  und  im  nörd- 
lichsten Teil  der  Insel  (Atjeh),  sowie  im  östlichen  und  südlichen  Australien, 
wo  diese  Operation  mit  so  komplizierten  Formen  und  so  hervorragender 
Feierlichkeit  vorgenommen  wird,  daß  man  annehmen  muß.  das  Ausschlagen 
eines  oder  zweier  Schneidezähne  habe  hier  eine  eminent  wichtige  Be- 
deutung. Der  Zahn  scheint  hier  als  Repräsentant  des  Menschen 
seihst  aufgefaßt  zu  werden.  Zu  diesem  Schluß  berechtigt  nach  meinem  Da- 
fürhalten der  in  £  380  beschriebene  Brauch  des  südaustralischen  Goulburn- 
Stammes,  welcher  uns  zugleich  wiederum  den  Baum  als  Repräsentanten 
des  Menschen  vorführt.  Der  Baum,  in  dessen  Ästen  die  zwei  ausgeschlagenen 
Zähne  geborgen  werden,  muß  sofort  nach  dem  Tode  des  Menschen  sein  Leben 
lassen,  darf  aber  nicht  verschwinden,  Sendern  muß.  versengt,  als  Denkmal  des 
verstorbenen  Menschen  stehen  bleiben.  Diese  Auffassung  wird  auch  durch  einige 
auf  S.  122f.  beschriebene  australische  Bräuche  gestützt.  Daß  bei  den  Warra- 
munga  die  eigene  Mutter,  oder  die  aktuelle,  oder  die  zukünftige  Schwieger- 
mutter die  ausgeschlagenen  Zähne  essen   muß,   erinnert   an  das  Aufessen  der 

Kinder  durch  die  Mütter,  welches  in  Australien  so  sehr  gebräuchlich  ist.  und 
damil  zugleich  an  den  Einheitsgedanken,  an  den  Gedanken  des  innigsten 
Zusammenlehens,   welcher  nirgends  stärker  zum   Ausdruck  kommt    als    in 

Australien*).  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  begreift  man  die  außerordentlich 
reichen  Zeremonien,  welche  hier  mit  den  Zahnoperationen  zur  Zeit  der  Pubertät 

')   Vgl.  die  Zahooperationeu  im  Kindesalter  S.  102f.  und  11911.  d.  B. 

gl.  die  australischen  Bräue]  en  sexuellen  Operationen  Kap.  XXXVIII.    Die 

nmunio    des  Stammes,    welch*  ralien   in    so   außerordentlich   vielfältigen   Fennen 

auftritt,    hat    manche   Parallele    bei    anderen   Völkern.    /..  B.    in   dem    gemeinsamen  Trunk  des 
owassers  '•        rvölkern,  in  den  altmexikanischen  Kommunionen  u.  a.  m 


§  369.     Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidung.  723 

verbunden  sind  (§  380).  Sie  erscheinen  da  als  ein  so  hochwichtiger  Akt,  daß 
vorher  'Waffenstillstand  geschlossen  wird,  und  daß  der  Zauberer,  also  der 
Repräsentant  der  Gottheit,  das  zur  Zahnoperation  nötige  Instrument  aus 
seinem  eigenen  Leib,  von  seinem  eigenen  Gebein  nimmt,  d.  h.  zu  nehmen  vor- 
gibt (vgl.  meine  Anmerkungen  zu  den  Mitteilungen  in  §  380).  Unwillkürlich 
erinnert  man  sich  bei  obigem  an  die  den  Manen  geopferten  Zähne  in 
indogermanischer  Vorzeit  (S.  54  d.  B.)  und  die  entsprechenden,  mitten  unter 
uns  fortlebenden  Bräuche ').  Denn  wenn  der  Zahn  der  Repräsentant  des 
ganzen  Menschen  ist,  versteht  man  dessen  Hingabe  als  Opfer. 

Das  Rätselhafte  der  Auffassung  eines  Zahnes  als  Symbol  des  Menschen 
könnte  vielleicht  durch  die  Sprachforschung  gelöst  werden.  Seb.  Zehetmaijr 
hat  in  seinem  analogisch-vergleichenden  Wörterbuch  über  das  Gesamtgebiet 
der  indogermanischen  Sprachen  die  Wurzel  unseres  „Zahn",  unter  anderem 
im  Namen  des  Bockes").  Thors,  Tann-griostr  „der  Zähneknirschen  und 
in  „Wuotan"  (penetrans,  der  Durchdringende)  gefunden.  Bedeutungsvoll 
ist  ferner  der  süddeutsche  Volksausdruck  Baünzäh  (Bauchzahn)  für  eine  Speise, 
die  ihrer  Form  nach  an  ein  Knabenglied  erinnert,  sowie  die  schweizerischen 
„Vulvenzähne" 3).  Es  scheint  an  eine  Ähnlichkeit  der  Zähne4)  mit  den  Ge- 
schlechtsorganen gedacht  zu  sein.  Dann  würde  der  Zahn  direkt,  wenigstens 
bei  gewissen  Völkern,  ein  Abbild  des  Zeugungsorgans  und  indirekt  das 
Bild  des  Menschen  sein.  Ob  dieser  Schlüssel  zur  Lösung  des  Problems 
auch  bei  jenen  Völkern  zu  finden  ist,  welche  die  durch  die  Operation  ent- 
standenen Zahnlücken  und  zugefeilten  Zähne  jetzt  als  Stammeszeichen  oder 
als  Schmuck,  als  Anziehungsmittel  für  das  andere  Geschlecht  usw. 
bezeichnen,  kann  ich  wegen  Mangels  an  Material  einstweilen  nicht  entscheiden. 
Vielleicht  sind  bei  verschiedenen  Völkern  verschiedene  Grundideen  maßgebend8). 

Eine  andere,  wohl  völlig  schmerzlose,  Pubertätszeremonie  ist  das 
Schwärzen6)  der  Zähne,  welches  jetzt  gleichfalls  als  eine  ästhetische  Korrektur 
der  Natur,  als  kosmetisches  Mittel,  als  Schmuck  interpretiert  wird.  Kap.  LVII 
und  LVI1I  zeigen  sie  uns  bei  den  Khmer,  Malayen,  Melanesiern  und  Anna- 
miten  (§  375,  380  und  381).  Andere,  dort  nicht  aufgeführte  Völker  mit  dem 
gleichen  Brauch  wurden  bereits  in  §  239  eingeführt.  Auf  Nikobar  (Ein- 
geborne:  Malayen)  geht  die  Abneigung  gegen  den  Naturzustand  der  Vorder- 
zähne beim  männlichen  Geschlecht  so  weit,  daß  kein  Weib  einen  Mann  ohne 
geschwärzte  Zähne  heiraten  kann,  ohne  sich  der  Verachtung  auszusetzen. 
Der  schon  auf  S.  121 7)  von  den  Malayen  überhaupt  mitgeteilte  Vergleich 
weißer  Vorderzähne  mit  Hundezähnen  findet  sich  auf  Nikobar  neben  dem 
weiteren  Vergleich  mit  Schweinezähnen  (§  380).  Auch  diesem  Färben,  bzw. 
Schwärzen  der  Zähne  wie  überhaupt  dem  Bemalen  gewisser  Körperteile 
beim  Eintritt  der  Pubertät,  welche  die  folgenden  Paragraphen  bei  verschiedenen 
Völkern  nachweisen,  möchte  ich  im  allgemeinen  eine  mystische  Grund- 
bedeutung nicht  absprechen,  obgleich  diese  bei  einzelnen  Völkern  jetzt  in 
Abrede  gestellt  wird.  Farben  sind  ja  bekanntlich  bei  vielen  Völkern  Symbole 
religiös-sittlicher   und  sozialer  Auffassungen.     Auf  Schwarz,   als  Farbe  der 


')  Sielie  Kap.  XXXIV. 

2)  Die  sexuelle  Bedeutung  des  Bockes  ist  uus  längst  bekannt. 

3)  Vgl.  S.  56  d.   B. 

*)    Es  handelt  sieh  bei  den  Zahnoperatioucn  stets   um   Vorderzähue. 

")  Wie  bei  den  Zahnoperatiouen  in  der  Kindheit,  so  sind  es  auch  bei  jenen  zur  Zeit 
der  Pubertät  nur  Vorderzähne,  an  denen  die  Operation  stattfindet;  und  zwar  scheinen  es 
bei  der   Pubertät   nur   1 — 2  zu  sein,  die  herausgenommen  werden. 

';i  Vgl.  S,  102f.  und  120ff.  Von  den  Melanesiern  im  Bismarckarchipel  (Neupommern, 
Xeumecklenburg  und  Neulauenburg)  liegt  mir  der  allgemeine  Ausdruck  „Färben"  vor. 

')  Siehe  dort,  bzvv  auf  S.  122.  Anm.  1  die  Gold-  und  Perltnuttereinlagen  u.  a.  m.  bei 
den  Batak. 

46* 


724  Kapitel  LVII.     Fubertätsfeste  exklusive  Beschneidung. 

wassergetränkten  Fruchterde,  hat  schon  Bachofen1)  hingewiesen.  In  Plutarchs 
Isis  et  Osiris  (22)  heiße  der  den  Osiris-Phallus  wälzende  NU  ,.Melo"  (der 
Schwarze),  und  die  Weiber  der  in  Promiskuität  lebenden  afrikanischen 
Troglodyten  seien  schwarz  bemalt  gewesen;  im  Bacchuskult  hießen  die  Priester 
„Schwarzfüßige".  und  ebenso  bedeutet  Krischna,  der  Name  des  indischen  Gottes, 
dessen  Liebesabenteuer  im  Mahabharata  geschildert  sind,  „der  Schwarze" s). 
Eine  schwarze  Stirnkruste  erhält,  wie  schon  erwähnt,  die  Pubertätskandidatin 
der  ßadaga  im  heutigen  südlichen  Vorderindien  (§  370);  schwarz  ist  das 
Gesicht  der  Pubertätskandidatinnen  der  Kolaschen  (Beriugstraße)  in  ihren 
Isolierhütten  bemalt;  schwarz  oder  dunkelblau  bemalt  man  den  süd- 
amerikanischen Indianer-Mädchen  zu  dieser  Zeit  den  Rücken  am  I^-ana  und 
Caiary-Uaupes;  blaue  Streifen  erhalten  sie  bei  den  Charuas-,  Minuanes-  und 
Payaguas-Indianern  (§  376). 

Blau  und  schwarz  können  sich  also  bei  den  obigen  Indianern  vertreten. 
Blau  aber  ist,  nach  den  neuesten  Mitteilungen  Weygolds s),  bei  den  nord- 
amerikanischen Dakotas  die  Farbe  der  Erde,  der  Fruchtbarkeit  und 
des  Friedens*).  Mit  schwarzer  Farbe  reiben  sich  ferner  die  jungen  Pannus 
am  Merauke-Fluß  zur  ..Jünglingsweihe"  ein.  und  im  australischen  Seegebiet 
schwärzt  man  den  Piibei'tätskandidaten  Gesicht  und  Vorderseite  des  Körpers; 
geschwärztes  Gesicht  und  Oberkörper  haben  auch  die  Kandidaten  der  Okande- 
Neger.  Schwarz  ist  ferner  eine  der  Farben  der  umringelten  Beschneidungs- 
bäume  in  Deutsch-Ostafrika  und  auf  Karesau  (vgl.  diese  auf  S.  177  und  199 
d.  B.)5).  Mit  einer  Mischung  aus  Blut,  Ivbhle  und  rotem  Ton  wird  der 
Beschneidungsbaum  der  Makua  (S.  17  7)  uniringelt. 

Das  Blut  ist  Opferblut,  seine  rote  Farbe  also  eine  heilige  Farbe 
und  bei  dieser  Gelegenheit  in  engem  Zusammenhang  mit  dem  Gedanken  der 
menschlichen  Fruchtbarkeit  und  der  Hingabe  des  Lebens,  dem  Produkt  der 
letzteren.  Rot  ist  aber  auch  eine  „heilige"  Farbe  als  Erdfarbe6),  z.  B. 
bei  den  Dakotas7).  Rot  werden  ferner  die  Pubertätskandidatinnen  der 
Tapuya  an  der  brasilianischen  Ost  käste  bemalt,  wo  der  Eintritt  der  Reife 
sofort  dein  Priester  mitgeteilt  wird,  also  ein  Ereignis  auch  von  religiöser 
Bedeutung  ist.  Schwarz,  weiß  und  rot8)  werden  die  Pubertätskandidatinnen 
in  Loango,  Westafrika,  bemalt;  rot  jene  der  Ama-Kosa  im  südöstlichen  Teil 
dieses  Kontinents,  sowie  die  Kandidatinnen  der  Roro-Papuas  auf  Neuguinea;  auf 
Karesati  besuchen  sie  einen  Baiini  mit  roter  Rinde9),  und  mit  Ton  sind  die 
Leiber  der  Kandidaten  bei  den  östlichen  und  südöstlichen  Kästenstämmen 
Australiens  bemalt. 


i)  Mutterrecht,  15. 
,  Siehe  Abb.  230  in  Bd.  I  d.  v.  W. 

3)  Die   Hunkazeremonie.     Im   Arohiv  f.  Anthropol.   X.  F.  XI  (1912),  S.  151,  Anni. 

4)  Also    eine    merkwürdige  Übereinstimmung   mit   der  Auffassung   der   alten   WeH    bei 
Bachofen  w.  o. 

)  Schwarz  war  ferner  die  heilige  Farbe  der  Inka-Peruaner,  nach  Sundslral  (37 f.), 
Freilich  mit  der  Begründung,  weil  schwarz  unter  allen  Tierfarben  am  reinsten  auftrete  (?). 
Bachofen  erinnerte  an  die  enge  Verbindung  von  Leben  und  Tod  in  der  Auffassung  der 
alten  Welt  und  das  daraus  hervorgehende  doppelte  Symbol  der  schwarzen  (und  weißen?) 
Farbe  für  Leben,  Fruchtbarkeit  und  Tod. 
6J   Blau   als    Farbe  der  Erde  s.  w.  o. 

')    WeygoM,  Die  Uunkazerem e,  152. 

i  Schwarz,  rot,  weiß  und  gelb  ist  der  Beschneidungsbaum  auf  Karesau  bemalt.     Weiß 

brachte   Bachofen,  wie  erwähnt,  gleichfalls  in  Beziehung  zum  sexuellen  Leben ;  weiß  oder  grau 

erscheinen  die  Pubertätskandidaten  der  Basutos  bei  der  Jagd,  welche  am  Schluß  des 

itattfindet;  weiß  soll  überhaupt   bei  vielen   Völkern  mit  ihrem  Dämonenglauben  in 

Verbindung   stehen  (der  Beleg   hierfür  ist   mir  leider  abhanden  gekommen). 

Eier  also  wohl  ein  doppeltes  Symbol  der  Fruchtbarkeit. 


§  369.     Pubertätsfeste  exklusive  Besehneidung.  725 

Eot  ist  ferner  eine  Farbe  des  Feuers  und  kann  bei  den  Beschneidungs- 
und Pubertätszeremonien  somit  auch  ein  Symbol  dieses  Elementes  sein,  zumal 
der  Feuerkult  bei  diesen  Festen  manchenorts  zur  Geltung  kommt1). 

Das  dreitägige  Feuer  und  dessen  Besingung  durch  die  „Einweihungsfrau" 
in  Loaugo  (§  372)  ist  wohl  ebenso  ein  Symbol  ehelicher  Liebe,  wie  die  Feuer- 
zeremonien  anderer  Völker  bei  der  Beschneidung2);  auch  die  Verordnung  der 
Macusi-Indianer,  daß  ihre  Pubertätskandidatinnen  die  Nächte  wachend  an  dem 
von  ihnen  selbst  angefachten  Feuer  zuzubringen  haben,  dürfte  hierher  gehören, 
obgleich  es  am  Schluß  der  Zeremonien  heißt,  daß  die  Mädchen  nun  „rein" 
seien.  Denn  es  heißt  auch  weiter,  daß  sie  jetzt  heiraten  dürfen.  Das 
„Reinsein"  scheint  eben  auch  hier  in  dem  von  mir  mehrfach  angedeuteten 
Sinn  des  Fruchtbarseins  aufzufassen  sein,  wie  denn  auch  im  Fetischdorf 
Avhegame,  Deutsch-Togo  (§  372),  der  Pubertätskandidatin  gesagt  wird,  daß 
nun  alles  Unreine  von  ihr  weiche  und  sie  nun  ein  Weib  werde3).  - 
Mit  Feuer  brannten  früher  gewisse  Karaibenstämme  ihren  Pubertätskandi- 
datiunen  die  Haare  ab  (vgl.  das  Feuer  als  ältestes  Beschneidungsmittel  in 
Australien,  S.  209  d.  B.,  und  die  Beschneiduno-  am  Feuer  an  der  Roebuck  Bay, 
§  380);  die  Söhne  der  Basutos  werden  nach  ihrer  Beschneidung  und  Peit- 
schung über  ein  Feuer  gehalten  u.  a.  m. 

Wie  diese  und  andere  Feuerzeremonien  im  Pubertäts-  bzw.  Beschneidungs- 
ritus  mit  jenen  zu  vereinen  sind,  welche  wir  in  Kap.  XXI  ..Isolierung  und 
Unreinheit  der  Wöchnerin  und  ihres  Kindes"  kennen  gelernt  haben,  wenn 
„Unreinheit"  und  „Reinheit"  bei  den  betreffenden  Völkern  in  dem  in  der 
Ethnologie  gewöhnlich  geltenden  Sinn  aufgefaßt  werden,  ist  mir  unklar. 
Mögen  weitere  Forschungen  das  Rätsel  lösen4). 

Das  Haar  als  Symbol  des  Lebens  ist  uns  aus  Kap.  XXXV  zur 
Genüge  bekannt;  desgleichen  die  zeremonielle  Haarschur  als  Symbol  des  Be- 
ginnes neuer  Lebensperioden:  Kein  Wunder,  daß  wir  sie  auch  unter  den 
Pubertätszeremonien  finden,  welche  doch  die  lebenspendende  Periode  des 
Menschen  eröffnen  und  einweihen.  Die  bei  4er  ersten  Menstruation  ab- 
geschnittenen Mädchenhaare  an  den  Zierlanzen  der  Jünglinge 
(und  Ehemänner  ?)  am  Rio  Ticruie  bei  ihren  Pubertäts-  bzw.  Fruchtbarkeits- 
festen, die  Lendengürtel  australischer  Pubertätskandidaten  aus  den 
Haaren  ihrer  zukünftigen  Weiber  (§§  380  und  382)  u.  a.  m.  dürften, 
wenigstens  hier,  das  Problem  lösen,  warum  das  Haar  zu  einem  Symbol 
des  Lebens  gewählt  wurde,  und  daß  es  sich  beim  Opfern  der  Bart-  und 
Kopfhaare  ursprünglich  kaum  überall  nur  um  das  Opfer  eines  Schmuckes 
handelte,  als  welches  wir  derartige  Bräuche  im  historischen  vorchristlichen 
Griechenland  und  Rom,  in  der  morgen-  und  abendländischen  Kirche  und 
andernorts  finden.     Haarwuchs  und  Pubertät  hängen  ja  zusammen. 

Auffallend  oft  wiederholt  sich  in  den  Kapiteln  LVII  und  LVI1I  die 
Mitteilung,  daß  die  Pubertäts-  oder  Weihekandidaten  beider  Geschlechter 
Diät  halten,  oder  absolut  fasten,  tagelang  ohne  Speise,  teilweise  auch 
ohne   Trunk,    zubringen   müssen.     Die    Fieberträume    der    ausgehungerten 


')  Vgl.  das  hier  Einschlägige  in  Kap.  XXXVI11:  ferner  „das  zeugende  Feuer"  in 
Kap  XXX  u.  a.  m. 

2)  „Das   Feuer  wird  nie  sterben"  singt  die  Zauberin. 

!i  Wohl  kommt  hier  zugleich  die  Wasserzeremonie  vor,  aber  aus  dem  Zusammen- 
hang ist  zu  ersehen,  daß  das  Rein-  und  Weib  werde  n  nicht  durch  das  Wasser  vor 
sich  geht,  sondern  durch  die  Menstruation,  und  daß  die  Wasserzeremonie  auch  nur  ein 
Symbol  dieses  Rein-  und  Weibwerdeus  ist  (vgl.  Kap.  XI.  XV  und  XVI). 

*)  Bei  den  Golah  und  V  a'i  in  Liberia  bedeutet,  nach  Cesfons  Vermutung,  die 
Waschung  der  Kandidatinnen  am  Schluß  der  Pubertätsfeier  Aufhebung  der  sexuellen 
Abstinenz.  Auch  hier  hat  demnach  der  Begriff  „Keinheit"  einen  anderen  Sinn,  als  den 
in   unserm   Kulturmilieu  geläufigen. 


y26  Kapitel  LVII.     Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidung. 

Kandidaten  bei  gewissen  Indianervölkern  als  göttliche  Offenbariingen 
werfen  einiges  Licht  auch  auf  das  Problem  dieses  Brauches.  Durch  die  neun- 
tägige  Enthaltung  von  jeder  Speise,  wie  es  z.  B.  bei  den  Maskoki-Indianern 
heute  noch  der  Fall  ist,  tritt  wohl  eine  Art  Wahnsinn  ein,  und  die  Wahn- 
vorstellungen werden  als  Offenbarungen  des  Großen  Geistes,  oder  des  eigenen 
Schutzgeistes  oder  anderer  Dämonen,  deren  Gesellschaft  und  Gunst  gewünscht 
ist,  aufgefaßt1). 

Doch  ist  nicht  überall  so  hochgradiges  Fasten  verordnet.  Häufiger 
genügt  die  Enthaltung  von  gewissen  Speisen.  Zur  Aufklärung  dieses 
Brauches  wären  eingehende  Studien  über  die  mystische  Bedeutung  der 
betreffenden  Nährmittel  nötig.  Denn,  daß  es  sich  bei  diesen  Diäten 
abermals,  wenigstens  teilweise,  um  mystische  Auffassungen  handelt,  ist  mehr 
als  wahrscheinlich,  wenn  man  solche  Fasten  im  Rahmen  der  übrigen  Pubertäts- 
zeremonien'-) betrachtet:  Der  Gatte  der  Pubertätskandidatin  bei  den  Vedas, 
südliches  Vorderindien,  wird  z.  B.  von  einem  Dämon  umgebracht,  wenn  er  Eeis 
ißt,  die  Auiu-Buschleute  verbieten  ihren  Söhnen  und  Töchtern  vor  deren 
Mannbarkeit  den  Genuß  von  Wildbret,  bei  der  Reifefeier  ahmen  sie  aber 
die  Laute  brünstigen  Wildes  nach,  und  von  da  an  ist  das  obige  Verbot 
für  die  gereifte  Jugend  aufgehoben.  Der  Genuß  von  Wildbret  erscheint  hier 
demnach  als  Symbol  des  Geschlechtsgenusses. 

Beachtenswert  dünken  mich  ferner  jdie  Brechmittel,  welche  die 
fastende  Pubertätskandidatin  bei  den  Delaware-Indianern  (§  376)  nehmen 
muß,  die  hierauf  gewaschen  und  neu  gekleidet  wird.  Es  scheint,  daß  all 
dieses  zusammen  zur  Erneuerung,  zur  mystischen  Wiedergeburt  bei- 
tragen soll  (Ausspeiung  schädlicher  Faktoren,  Dämonen  (?)  und  äußere  An- 
wendungen). 

Auch  Waschungen  und  Bäder  kehren  in  den  Kapiteln  LVII  und  LVIII 
immer  und  immer  wieder,  was  sicher  nicht  ausschließliche  diätetische  Be- 
deutung hat;  denn  bei  den  Nai'r  ist  es  die  Mutter  des  derzeitigen  Lieb- 
habers der  Pubertätskandidatiu,  welche  dieser  Wasser  über  den  Kopf  gießt 
(§  370);  Waschung  als  wahrscheinliches  Zeichen  zur  Eröffnung  des 
sexuellen  Verkehrs  bei  Negervölkern  in  Liberia  wurde  bereits  in  £  372  er- 
wähnt; ebenso  wurde  die  dreimalige  Benetzung  des  Kopfes  zum  Zeichen. 
daß  aus  der  Pubertätskandidatin  alles  Unreine  entweiche  und  sie  ein 
Weib  werde,  aus  dem  Fetischdorf  Avhegame  gestreift.  --  Aus  diesen  und 
ähnlichen  Bräuchen  ist  wohl  zu  schließen,  daß  hier  das  Wasser  vor  allem 
als  Symbol  der  Fruchtbarkeit3)  und  damit  als  ein  Element  aufzufassen  ist, 
welches  das  Weib  in  ihr  neues  Leben,  das  Eheleben,  einführt.  Auf  dieses 
allein  es  zu  beschränken,  ist  jedoch  kaum  gestattet.  Vielmehr  dürften  die 
Wasseranwendungen  bei  den  Pubertätskandidaten  beider  Geschlechter4)  anch 
eine  Erneuerung  des  Lebens  im  allgemeinen  bedeuten'). 

Letzteres  gilt  ferner  für  die  Erteilung  eines  neuen  Namens,  einer 
Zeremonie,  welche  wir  gleichfalls,  samt  Erklärungsversuchen,  bereits  aus  früheren 
Kapiteln  kennen. 


')  Vgl.  Hiawathas  Fasten  und  die  Erscheinung  des  Mondamin  bei  Longfellow.  In 
Wahnsinn  versetzen  sich  auch  die  südamerikanischen   Muras   nach    ihrer   Geißelang  (§  382). 

')  Fasten  kommen  ja  bekanntlich  auch  sonst  im  Leben  polytheistischer  Völker  viel- 
fach vor.  Als  Gründe  sind  mir  sozialreligiöse  und  rein  praktische  bekannt:  Zu  den  ersteren 
gehören  Fasten  nach  einem  gemeinsamen  Trunk  der  Flüssigkeit,  in  welcher  der  gemeinsame 
Schutzzoll  (Fetisch)  genossen  wird,  die  Pasten  bei  Todesfällen  u.  a.  in.;  eu  den  letzteren 
die  Fasten  vor  Jagden,   Wettläufen  u.  dgl  .  um  größere   Behendigkeit  zu  erlangen. 

I.  Kap.  XXX,  Bünderbringende  Sumpfvögel  als  Bilder  der  Zeugungskraft;  Deutsche 
Storchliedlein;  l>as  leuchte  Element  als  Ursitz  des   Kindes  u.  a.  m. 

l)   Kap    I.YIII   «eist  sie  für  das  männliche  Geschlecht  nach. 

6)  Vgl.  IM.  I.  S.  294ff. 


§  369.     Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidung.  727 

Ferner  dünkt  mich  die  hänfig  erwähnte  neue  Bekleidung  der  Kandi- 
daten beider  Geschlechter,  einerseits  wenigstens,  ein  Symbol  der  Er- 
neuerung des  Lebens  zu  sein;  andererseits  freilich  wird  das  neue  Kleidungs- 
stück, insofern  es  größer  ist.  als  das  vor  der  Pubertät  getragene,  mit  dem 
Schamgefühl  des  betreffenden  Volkes  in  Verbindung  stehen1).  Auch  als 
Schmuck,  und  deshalb  zum  Teil  als  ein  Anziehungsmittel  für  das  andere 
Geschlecht  ist  das  neue  Kleid  hier  wohl  aufzufassen.  Denn,  so  streng  auch 
bei  vielen  Völkern  die  Absonderung  der  Geschlechter  während  der  Vor- 
bereitung zum  neuen  Leben  ist2),  ebenso  ungeniert,  lebhaft  und  mannig- 
faltig äußert  sich  am  Schlußfest  der  Pubertätsfeier,  bzw.  der  Männer-  und 
Weiberweihe,  der  Wunsch  nach  ehelicher  Verbindung.  Bei  manchen 
Völkern  ist  diese  freilich  schon  vor  Eintritt  der  Reife  gestattet  und  ge- 
bräuchlich'), und  auf  den  Marschall-Inseln  konnten  früher  die  Töchter  der 
Häuptlinge  in  ihren  Isolierhütten  jede  Nacht  mit  ihren  eigenen  Vätern  oder 
anderen  Vornehmen  ehelich  verkehren,  nachdem  sie.  wie  erwähnt,  in  der  ersten 
Nacht  defloriert  worden  waren.  Hier  finden  wir  aber  auch  schon  in  der 
Isolierhütte  ein  fortgesetztes  Parfümieren  und  Salben,  ein  Flechten  von  Blumen- 
kränzen usw..  kurz  vielfältige  Ausdrücke  einer  hochgradigen  Fest- 
stimmung, welche  der  ganze  Stamm,  jung  und  alt,  teilt  (§  374).  Eine 
ähnliche  gehobene  Stimmung  geht  aber  durch  die  in  den  folgenden  Para- 
graphen geschilderten  Pubertätsfeste  der  Völker  überhaupt,  und  zwar  für  beide 
Geschlechter.  Man  denke  beispielsweise  nur  au  den  Triumphzug  der  nackten, 
gebadeten,  gesalbten  und  geschmückten  Mädchen  nach  ihrer  ersten  Men- 
struation in  Avhegame,  Togo,  an  die  Ankündigung  der  ersten  Menstruation 
mit  einem  Flintenschuß  bei  den  Fjort,  französischer  Kongo  (§  372),  an  den 
Parademarsch  der  Kandidatinnen  bei  den  Roro-Papuas  auf  Neuguinea  (§  374) 
usw.  usw.  Die  nun  Weib-  oder  Manngewordenen  erscheinen  in  möglichster 
Schönheit,  werden  bewundert  und  geehelicht. 

Unter  dem  Schmuck  der  Kandidatinnen  dünken  mich  die  vereinzelten 
Angaben  von  Kränzen,  bzw.  kreisrunden,  ringförmigen  Geflechten  besonders 
bemerkenswert;  denn  sie  erinnern  nicht  nur  an  die  Kränze  der  christlichen 
Jungfrauen,  sondern  auch  an  jene  der  Mordwinen-Mädchen  im  Kult  der 
Fruchtbarkeitsgöttin  Ange  Patyai*)  und  an  die  Kränze  (mit  einer  Flasche 


*)  Vgl.  „Die  Toilette  des  heranwachsenden  Kindes"',  Kap.  XLI.  —  Die  Weibert räch t 
der  männlichen  Kandidaten  bei  manchen  „afrikanischen''  Stämmen  ist  nach  Schürf-  (op.  cit  . 
S.  100)  ein  Symbol  der  Umwandlung  der  Knaben  zu  Männern.  Ahnlieh  glaubte  Plvß.  sie 
interpretieren  zu  sollen.  Aber  die  Basuto- Kandidatinnen  tragen  auch  Männerkleider 
und  Waffen.  Allerdings  werden  sie  am  Schlußfest  vom  Häuptling  auch  als  nunmehrige 
...Mäncinnen"  begrüßt,  was  zu  Schurtz- Ploßs  Annahme  stimmt.  —  Sollte  aber  bei  diesen 
Bräuchen  nicht  eher  an  Masken  (siehe  w.  u.)  zu  denken  sein?  Wir  sehen  ja  auf  S.  iOl  bei 
den  Beschneidungs-  bzw.  Initiationszeremonien  auf  K  aresau  in  der  Sudsee,  wo  die  Dämonen- 
masken  eine  so  große  Rolle  spielen,  auch  ein  junges  Weib  in  Männerkleidern.  Es  trägt 
eine  brennende  Fackel,  und  auf  dieses  Weib  folgt  ein  Mann,  gleichfalls  mit  brennender  Fackel. 
—  Ob  sie  nicht  Dämonen  des  Feuers,  und  also  der  Fruchtbarkeit,  darstellen? 

2)  In  den  Kap.  LVII  und  LVIII  finden  wir  wiederholt  das  Verbot,  daß  Männer  den 
Stätten  der  weiblichen,  und  Weiber  den  Stätten  der  männlichen  Kandidaten  nicht  nahen 
dürfen.  Diese  Verbote  können  demnach  nicht  in  ausschließlicher  Beziehung  zum  Geheim  - 
bund  der  Männer  stehen,  wie  von  anderer  Seite  schon  angenommen  worden  ist.  Ebenso- 
wenig dürften  sexuelle  Motive  diese  Absonderung  überall  erklären,  da  z.  B.  im  Hinterland  des 
Mac-Clu er- Golfes,  Holländisch-Neuguinea,  die  (männlichen)  Kandidaten  nicht  einmal 
von  ihren  Vätern  besucht  werden  dürfen.  Vielleicht  hält  man  die  Absonderung,  welche 
doch  mystische  Umgestaltung  bezweckt,  zum  Verkehr  mit  den  Dämonen  für  notwendig 
(vgl.  das  über  die  Isolierung  schon  früher  Gesagte). 

3)  Die  Kindergatten  der  Vedas  (§  370)  müssen  sich  während  der  Pubertätsfeier  der 
Gattin  ehelich  enthalten. 

4)  S.  394  und  396  d.  B.  —  Die  Gebete  der  Mordwinen-Mädchen  beim  Aufhängen  der 
Kränze  über  ihren  Betten  um  Gatten,  die  prophetische  Deutung  der  auf  dem  Wasser 
schwimmenden  Kränze  betreffs  Verheiratung  u.  a.  m.  siehe  S.  394  und  396  d.  B. 


728  Kapitel  LVII.     Pubertätsfeste  exklusive  Besekneidung. 

oder  einem  Topf  in  der  Mitte)  am  Maifest  im  Kanton  Freiburg  ')•  Unter  den 
Pubertätskandidatinnen  erscheinen  die  Tapuya-Mädchen  bekränzt.  Daß 
hier  der  Häuptling-  einen  Pfeil2)  nach  dem  Kranz  der  zum  erstenmal  Men- 
struierenden abschießt  und  das  dabei  fließende  Blut  ein  langes  Leben  für  das 
Mädchen  bedeutet  (§  376).  dürfte  auch  den  Kranz  der  langen  Reihe  sexueller 
Symbole  einverleiben.  Vielleicht  haben  wir  hier  die  gleiche  Grundbedeutung 
wie  bei  der  Bretze  bzw.  der  Sonne3).  Kranzartig  sind  ferner  die  Kopfringe 
der  Klamath-Mädchen  (Abb.  489). 

Nicht  zu  vergessen  in  dieser  Einleitung  sind  die  in  den  folgenden 
Paragraphen  gleichfalls  wiederholt  erwähnten  Tänze  oder  sonstigen  Auf- 
führungen maskierter  Individuen.  Über  die  Maskentänze  im  allgemeinen 
schrieb  neuestens  Theodor  Koch-Qrwnberg:  Sie  sollen  eine  Zauberwirkung 
ausüben.  Sie  sollen  einem  Dorf  und  seinen  Bewohnern,  den  Pflanzungen,  der 
ganzen  umgebenden  Natur  Segen  und  Fruchtbarkeit  bringen.  Dadurch,  daß 
der  Tänzer  in  Bewegungen  und  Handlungen  das  Wesen,  das  er  darzustellen  sucht, 
möglichst  getreu  nachahmt,  identifiziert  er  sich  mit  ihm.  Die  geheimnisvolle 
Kraft,  die  der  Maske  innewohnt4),  geht  auf  den  Tänzer  über,  macht  ihn  selbst 
zu  einem  mächtigen  Dämon  und  befähigt  ihn,  die  Dämonen  zu  vertreiben  oder 
günstig  zu  stimmen5). 

Beachtet  man  diese  Erklärung  Kochs  im  Kahmen  der  Pubertäts- 
zeremonien (inklusive  Beschneidung),  so  kommt  man  zu  dem  Ergebnis,  daß 
die  hierbei  auftretenden  Masken  wohl  vor  allem  Dämonen  der  Fruchtbarkeit 
im  engeren  Sinn,  d.  h.  der  menschlichen  Fruchtbarkeit  seien. 

Mit  der  Interpretation  der  Masken  als  Repräsentanten  der  Dämonen 
harmonieren  die  „Dämonenstimmen"  bei  den  Pubertätsfesten  voll  und  ganz. 
Ausdrücklich  als  solche  erwähnt  ist  das  Geräusch  des  heiligen  Stockes  beim 
Larakia-Stamm,  Australien  (§  380),  die  Töne  der  Bambusflöten  auf  Karesau 
in  der  Südsee  und  bei  den  von  Koch-Qrwnberg  besuchten  Indianervölkern  im  nord- 
westlichen Brasilien,  sowie  die  Trompetentöne  bei  den  von  Humboldt  erwähnten 
Indianern  am  oberen  Orinoko.  Diese  Dämonenstimmen  sind  nur  von  Pubertäts- 
bzw.  Initiationsfesten  für  das  männliche  Geschlecht  erwähnt.  Das  weib- 
liche Geschlecht  und  unreife  Knaben  dürfen  sie,  teils  unter  Todesstrafe,  nicht 
hören.  Aber  neue  Flöten  werden  am  Pubertätsfest  auch  der  Conibos- 
Mädchen,  Peru,  geblasen  und  es  liegt  nach  dem  oben  Gesagten  doch  der 
Schluß  nahe,  daß  diese  Flöten,  zu  denen  hier  ausnahmsweise  beide  Ge- 
schlechter zusammen  tanzen  dürfen,  ebenfalls  die  Stimme  eines  Frucht- 
barkeitsdämons seien. 

Geheimbündnisse  der  Männer  gibt  es  zweifellos,  aber  es  dürfte 
einstweilen  (wenn  überhaupt  je)  kaum  möglich  sein,  die  Grenze  zwischen  den 
Mysterien  dieser  Bündnisse  und  den  Mysterien  der  Pubertätsfeste  im  engeren 
Sinne  zu  finden,  weil  eben  hier  und  dort  die  sexuelle  Symbolik  das  stark 


'i  S.  392  d.  B. 

'-')  Diu  Pfeil  als  Bild  des  Sonnenstrahles,  bezw.  des  männlichen  Gliedes,  kennen  wir 
bereits.     Ob  das  Bild  auch  liier  zutrifft? 

')  In  Australien  ist  der  Kreis,  unter  anderem,  das  Symbol  der  Schlangenkinder 
( Spencer- Gülen,  Tlie  Northern  Tribes,  SM7);  in  China  bilden  das  männliche  und  weibliche 
Prinzip  durch  oim  bestimmte  Zusammenfügung  einen  Kreis,  und  ähnliche  Auffassungen  des 
finden   sich   bei   manchen  anderen   Völkern. 

'i  Richtiger  ist  wohl:  ..die  die  Maske  repräsentiert":  denn  nach  dein  oben  Ge- 
sagten sucht  ja  der  Tänzer  einen  Dämon  darzustellen.  Deshalb  wird  der  Tänzer  woh] 
auch  nicht  selbst  zum  Dämon,  sondern  von  diesem  besessen  und  wirkt  so  in  dessen  Kraft. 
Die    Priester,    Zauberer,    Medizinmänner   polytheistischer  Völker  behaupten   das   ja    auch   bei 

s)  1\  yg,  Zwei  Jahre,  1 1,  196. 


§  370.     Pubertätsfeste  des  weiblichen  Geschlechtes.     Südliches  Vorderindien.        709 

vorherrschende,  ja,  wie  es  scheint,  alles  durchdringende  Mysterium 
der  polytheistischen  Völker  ist1). 

Pubertätsfeste  des  weiblichen  Geschlechtes. 

§  370.     Südliches  Vorderindien. 

Ein  südindischer  Stamm  auf  den  Palni-Hügeln,  der  einen  Tamil-Dialekt2) 
spricht  und  von  F.  Dahmen  als  Paliyans  bezeichnet  wird,  feiert  den  Ein- 
tritt der  Eeife  bei  den  Mädchen  mit  einem  großen  Fest,  Zwei  Wochen  vor 
diesem  bauen  sie  eine  Grashütte,  in  welcher  das  Mädchen  zwölf  Tage  ein- 
geschlossen leben  muß.  Ein-  oder  zweimal  bringt  man  ihr  täglich  das  Essen. 
Am  Morgen  des  dreizehnten  Tages  wird  sie  von  den  älteren  Frauen  des 
Dorfes  zum  nächsten  Teich  oder  Fluß  geschleppt,  siebenmal  untergetaucht  und 
daun  wieder  in  die  Grashütte  zurückgebracht,  wo  sie  abermals  zwei  Tage 
lang  eingeschlossen,  und  zwar  diesesmal  ohne  Nahrung,  zubringen  muß.  Am 
fünfzehnten  Tag  erhält  sie  ihre  Freiheit;  die  Grashütte  wird  niedergebrannt, 
und  alle  Familien  des  Dorfes  versammeln  sich  zum  Fest,  bei  dem  manchmal 
der  Häuptling  des  Stammes,  oder  dessen  Stellvertreter,  den  Vorsitz  führt. 
Dafür  (?)  bekommt  er  ein  Fell  oder  wertvolle  Wurzeln  als  Geschenk.  Die 
Feier  besteht  in  Essen,  Trinken  und  Tanzen,  womit  der  ganze  Tag  fröhlich 
zugebracht  wird. 

Im  Madura-Distrikt  schließen  die  Valayan  ihre  Töchter  beim  Eintritt 
der  Eeife  vierzehn  Tage,  und  die  Parivaram  die  ihrigen  sechzehn  Tage  ein. 

Die  Töchter  der  Kasubas  in  den  Nilgiri-Bergen  bringen  beim 
Eintritt  ihrer  Eeife  fünf  Tage  lang  in  einer  Hütte  zu,  welche  in  der  Nähe 
der  elterlichen  Wohnung  errichtet  wird.  In  dieser  Zeit  haben  sie  eine 
gewisse  Diät  zu  beobachten  (Hayavadana  Uno). 

Bei  den  B adagas,  ebendort,  dauert  die  Absonderung  der  Mädchen  beim 
Eintritt  der  Eeife  drei  Tage.  Auch  hier  haben  sie  diese  Zeit  in  einer 
Isolierhütte  zuzubringen.  Milch  dürfen  sie  während  dieser  drei  Tage  nicht 
berühren  Cr1).  Freundinnen  bringen  ihnen  Nahrungsmittel,  welche  für  stärkend 
gelten3).  -  Zwischen  dem  12.  und  14.  Lebensjahr  werden  die  Mädchen 
tätowiert,  worauf  man  ihnen  eine  schwarze  Stirnkruste  aufträgt  (Jagor). 

Die  Töchter  der  Nair  in  Malabar  zeigen  den  Eintritt  ihrer  ersten 
Menstruation  durch  ihre  Mutter  den  Müttern  ihrer  derzeitigen  Liebhaber 
an4),  die  ihnen  einen  Krug  Wasser  über  den  Kopf  gießen. 

Isolierhütten  für  die  erste  Menstruation  gibt  es  dann  wieder  in  der 
Sklavenkaste  der  südindischeu  Vedas,  deren  Töchter  im  Alter  von  7  bis  9 
Jahren  verheiratet  werden  und  schon  vor  Eintritt  der  Eeife  mit  ihren  Männern 
kohabitieren.  Tritt  dann  diese  ein,  so  bezieht  die  Gattin  ihre  Isolierhütte 
auf  fünf  Tage,  und  nach  Verlauf  dieser  Frist  eine  zweite,  halbwegs  zwischen 
jener  und  der  Wohnstätte  ihres  Mannes  gelegene  Hütte,  in  der  sie  abermals 
fünf  Tage  zubringt.  Täglich  geht  das  junge  Weib  aus,  um  sich  zu  waschen. 
Am  zehnten  Tage  aber  wird  es  von  seiner  und  seines  Mannes  Schwester  an 
das  Wasser  geführt;  es  badet,  wäscht  seine  Kleidung,  reibt  sich  mit  Turmerik 
ein,  badet  abermals,  ölt  den  Körper  ein  und  kehrt  dann   (am  10.  Tage)   mit 


')  Manches  konnte  in  dieser,  ohnehin  schon  sehr  ausgedehnten  Einleitung  zu  Kap.  LVII 
und  LVIII  nur  angedeutet,  vieles  mußte  ganz  übergangen  werden.  Indessen  dürften  die 
kurzen  Randbemerkungen  zu  den  Mitteilungen  selbst  noch  manchen  erwünschten  Wink  geben. 

-1  Also  n  i  cht  arischen  Dialekt,  wie  denn  sämtliche,  in  diesem  Paragraphen  auf- 
geführten  Völker  des  südliehen   Vorderindien  Xichtarier  zu  sein   scheinen. 

*)  Auch  die  Wöchnerinnen  müssen  bei  denBadagas  drei  Tage  lang  in  abgesonderten 
Hätten  verweilen.    Für  die  Menstruierenden  sei  das  aber  nur  das  erstemal  der  Fall  (Plofl  II,  439 

4)  Bas  lose  Geschlechtsleben  der  Nair  wurde  andernorts  erwähnt. 


730  Kapitel  LVII.     Pubertätsfeste  exklusive  BeschDeidung. 

seinen  Begleiterinnen  in  seine  Wohnung  zurück.  Dort  angekommen,  kochen 
die  drei  Frauen  Eeis  und  verzehren  ihn  gemeinschaftlich.  —  Während  jener 
Tage  der  Absonderung  darf  der  Mann  in  seiner  Hütte  nur  Wurzeln  essen, 
keinen  Reis,  damit  er  vom  Teufel  nicht  umgebracht  werde;  am  9.  Tage  aber 
findet  ein  Fest  statt.  Der  Boden  der  Hütte  wird  mit  Palmbranntwein  be- 
sprengt, man  ladet  Freunde  ein  und  bewirtet  sie  mit  Reis  und  Branntwein. 
Die  Frau  hält  sich  noch  abgesondert  in  der  zweiten  Hütte  auf.  Am  10.  Tage 
muß  sich  der  Gatte  aus  seiner  Wohnung  entfernen  und  darf  sie  erst  wieder 
betreten,  nachdem  die  mittlerweile  angekommenen  Weiber  den  von  ihnen  ge- 
kochten Reis  aufgezehrt  haben.  Während  der  nächsten  vier  Tage  darf  der 
Mann  weder  Reis  im  eigenen  Hause  essen,  noch  Umgang  mit  seiner  Frau 
pflegen.  Jedes  Versehen  in  dem  vorgeschriebenen  Zeremoniell  wird  von  den 
Tschawus  (den  zu  Dämonen  gewordenen  Geistern  verstorbener  Vorfahren) 
streng  geahndet  (Jagor)1). 

§  371.     Griechen  und  Araber. 

Im  alten  Griechenland  war  es  Brauch,  daß  die  Mädchen  beim  Eintritt 
ihrer  Reife  ihr  Spielzeug  der  Aphrodite  weihten  und  in  deren  Tempel  auf- 
hingen. -  -  Das  Gebet  der  Sappho  bei  dieser  Gelegenheit  siehe  S.  243  d.  B. 

Die  bei  so  vielen  Völkern  übliche  Absonderung  der  Geschlechter  und 
die  Veränderung  der  Kleidung  beim  Eintritt  der  Reife  ist  auch  bei  den 
arabischen  Beduinen  Brauch.  Von  diesem  Zeitpunkt  an  darf  das  Beduinen- 
mädchen nicht  mehr  mit  ihren  männlichen  Altersgenossen  spielen,  noch  auch 
das  Zelt  zu  Besuchen  bei  Nachbarn  und  Nachbarinnen  verlassen.  Ferner  muß 
sie  zu  dem  langen  blauen  Gewand  ihrer  Kindheit  den  ximär  (kinä)  uud  den 
izär  (abä')  fügen.  Den  letztern,  ein  langes  Tuch-  oder  Linnenstück,  welches 
ihr  mantelartig  vom  Kopf  bis  zu  den  Füßen  herunterwallt,  kann  sie  zwar 
zu  Hause,  wenn  kein  Fremder  da  ist,  ablegen,  aber  beim  Ausgehen  ist  er 
unbedingt  notwendig.  Der  ximär  ist  ein  l1/»  m  langes  und  etwas  schmäleres 
Stück  Musselin,  das  auf  dem  Kopfe  teilweise  so  unter  dem  izär  angebracht 
ist.  daß  es  von  vorn  zurückgeschlagen  werden  kann  und,  herabwallend,  das 
Gesicht  umrahmt  (Ä.  M.  de  St.  Elie). 

In  Tunis  lassen  sich  die  Mädchen  beim  Eintritt  ihrer  Reife  einen  Hart 
auf  das  Kinn  tätowieren.  Damit  sollen  sie  ihre  Mütter  von  dem  Ereignis 
benachrichtigen  und  den  Wunsch  ausdrücken  wollen,  daß  sie  einen  Mann 
möchten  {Karate).  — 

§  372.     Sudan-  und  Bantuvölker. 

Die  Schilluk,  ein  Mischvolk  in  Sennär,  östlicher  Sudan,  nehmen 
ihren  Kindern  beider  Geschlechter  zur  Zeit  der  Pubertät  einen  Zahn  aus 
dein  Oberkiefer  {Pmdhoe) a). 

In  Senegambien  wird  der  Eintritt  der  Reife  festlich  begangen.  Die 
Mädchen  geißeln  die  gleichaltrigen  Burschen  (RaffeneT). 


'  i  Vgl.  die  Isolierung  der  Wöchnerin  mit  ihrem  Kind  in  Bd.  I.  —  Das  Geheimnis- 
volle der  ersten  Menstruation  in  der  Auffassung  der  Völker  auf  verhältnismäßig  niederen 
Kulturstufen  blickt  noch  durch  manche  Formen  des  Aberglaubens  inmitten  unserer  eigenen 
Kultur:  im  Liebauer  Tal.  Niederschlesien,  sollen  die  Mädchen  nach  ihrer  ersten 
Menstruation  einen  Rosenstrauch  mit  dem  Waschwasser  von  ihrem  Hemd  begießen,  damit  sie 
immer  rosig  aussehen.  Sie  sollen  aber  keinen  Rosenstrauch  berühren,  sonst  stirbt  er  ab, 
sollen  keine  Früchte  einmachen,  weil  diese  sonst  verderben,  keinen  Myrtenstrauch  pflanzen, 
:st  nicht  Bräute,  oder  wenigstens  nicht  „ Myrtenbräute"  werden  (Patschoosky,  Bei- 
träge, 

-)  Bei  Ploß  II,   437.  —  Zahnheilung   und    Zahnausbrechen    bei    der    Pubertät    beider 
cht     i    findet   bei  den  Herero,  üvambo  uud  anderen  Völkern  des  südlichen 
statt  (siehe   Kap.   LVIH). 


§  372.     Pubertätsfeste  des  weiblichen  Geschlechtes.     Sudan-  und  Bantuvölker.       731 


Bei  den  Golali  und  Vau  (Wei)  in  Liberia  und  bei  den  Mendi  in 
■Sierra  Leone  wird  die  Jugend  beider  Geschlechter  durch  eine  aus- 
gedehnte Schulung-  im  Busch  zu  Stammesmitgliedern  herangebildet.  Diese 
Lehrzeit  wird  mit  öffentlichen  Festen  abgeschlossen.  Wie  die  Beschneidung 
an  und  für  sich  bei  vielen  Völkern')  ein  Zeichen  der  Wiedergeburt  ist,  so 
auch  die  ganze,  mit  Beschneidung  verbundene  Initiation  dieser  drei  Negervölker. 
Der  Bauch  des  Geistes,  in  welchem  die  Beschneidungskandidaten  mancher 
Völker  wiedergeboren  werden,  ist  hier  durch  den 
„Teufel"  (devil)2)  vertreten,  der  die  Kandidaten 
beider  Geschlechter  bei  Beginn  des  Unterrichts 
aufißt  und  sie  am  Abschluß  der  Lehrzeit  als 
"Wissende  wieder  von  sich  gibt.  Ohne  Stammes- 
zeichen  treten  die  Golah.und  Wai  den  gree- 
gree-Unterricht  im  Busch  an  und  mit  dem 
Stammeszeichen  auf  den  Bücken  kehren  sie  nach 
Schluß  der  Lehrzeit  aus  dem  Busch  in  ihr  Dorf 
zurück.  Ohne  Kenntnis  ihrer  nationalen  Tänze, 
Gesänge  und  praktischen  Arbeiten  werden  Knaben 
und  Mädchen  vom  „Teufel"  oder  von  ihren  Eltern 
in  den  Busch  geführt;  als  geschickte  und  mit 
allen  theoretischen  und  praktischen  Kenntnissen 
eines  Golali  oder  Wai  ausgestattet,  kommen  sie 
wieder  zurück.  Die  „Waschung"  der  Mädchen 
am  Schluß  der  Feier  bedeutet  nach  Cestons  Ver- 
mutung, daß  für  sie  die  sexuelle  Abstinenz, 
welche  sie  während  der  Initiation  beobachten 
mußten,  nun  aufgehoben  ist3). 

Wenn  an  der  Goldküste  die  Negermädchen 
in  das  Alter  der  Mannbarkeit  treten,  so  werden 
sie  in  ihrem  schönsten  Putz  durch  die  Straße  ge- 
führt, und  ihre  Jungfrauschaft  wird  in  Lobliedern 
gepriesen,  schrieb  Phß  im  Hinweis  auf  Brodle 
öruicksha/nk. 

Den  Bassari-Mädchen  im  Innern  von 
Deutsch-Togo  macht  mau.  wenn  sie  das  heirats- 
fähige Alter  erreicht  haben,  3 — 4  wulstige,  vom 
Nabel  strahlenförmig  ausgehende  Einschnitte  (H. 
Klose)*). 

Aus  dem  Fetischdorf  Avhegame  in  Deutsch- 
Togo  teilt  K.  Fies  folgendes  mit:  Wenn  ein 
Mädchen  den  Eintritt  ihrer  ersten  Menstruation 
seiner  Mutter  mitgeteilt  hat,  dann  benach- 
richtigt   diese    sofort    sämtliche  Verwandte    von 

dem  Ereignis,  und  von  diesen  geleiten  am  folgenden  Morgen  die  weiblichen 
Mitglieder  samt  den  Freundinnen  des  Mädchens  dieses  auf  den  öffentlichen 
Wasserplatz.  Die  Kandidatin  trägt  auf  dem  mit  einem  Tuch  verhüllten  Kopf 
einen  kleinen  Topf.    Am  Platze  angelangt,  taucht  ein  noch  nicht  entwickeltes 

»)  Vgl.  Kap.  XXXVIII. 

2)  Das  englische  „devil"  ist  wohl  an  die  Stelle  eines  eingebornen  Ausdrucks  für  den 
einheimischen  Dämon  getreten.  Auch  Weide  führt  einen  ,. Teufel"  aus  Afrika  an  (siehe 
Jlakondep  lateau.  S.  736).     Ebenso  wurde  ein  solcher  bereits  bei  den  Vedas  erwähnt. 

*)  Die  Einzelheiten  dieser  Initiation,  darunter  die  Beichte,  das  Verbrennen  der  Ini- 
tUtionshütten  usw.,  siehe  bei  Jean  Marie  Ceston  „Le  Gree-Gree  Bush  chez  les  Xegres-Golah, 
Liberia".     Im  ,.Anthropos"  VI.  729ff. 

*)  Vgl.  die  Tätowierung  der  Bassari  als  StammeszeJcheu  usw.  in  §  242,  S.  129. 


Fig.    481.      Negermädchen    vom    Cap 

Verde.    Im  Museum  für  Völkerkunde 

in  Leipzig. 


732  Kapitel  LVII.     Pubertätsfeste  exklusive  Besehneidung. 

Mädchen  dreimal  die  Hand  ins  Wasser  und  benetzt  der  Freundin  den  Kopf 
zum  Zeichen,  daß  jetzt  alles  Unreine  von  ihr  entweiche  und  sie  nun 
ein  Weib  werde1).  Etwa  acht  Tage  später  badet  und  salbt  die  Mutter  die 
neue  Jungfrau  und  schmückt  sie  bis  unter  die  Brüste  mit  Perlenschnüren,  und 
nun  gellt  diese,  im  übrigen  nackt,  von  zahlreichen  Altersgenossinnen  und 
Freundinnen  begleitet,  grüßend  und  dankend  von  Haus  zu  Haus.  Zuletzt 
bringt  sie,  die  bereits  verlobt  ist,  ihrem  Bräutigam  einen  von  ihrer  Mutter 
gekochten  „Akyle"  (Maismehlbrei)  und  hält  ihm  beide  iibereinandergelegte 
offene  Hände  hin.  Der  Bräutigam  füllt  ihr  die  Hände  mit  einem  Stück  Akyle, 
das  sie  in  einem  Topf  eilends  nach  Hause  trägt  und  da  mit  ihren  sie  noch 
immer  begleitenden  Freundinnen  verzehrt.  Der  Bräutigam  ißt  seinen  Teil 
mit  seinen  Freunden. 

Wenn  bei  den  Fjort  im  französischen  Kongo  ein  Madchen  ihrer  Keife 
nahe  ist.  dann  hat  man  ein  scharfes  Auge  auf  sie.  Der  Eintritt  ihrer  eisten 
Menstruation  wird  mit  einem  Flintenschuß  und  einem  darauf  folgenden  Tanz 
gefeiert.  Unversehens  wird  das  Mädchen  dann  plötzlich  ergriffen  und  in  das 
„Malhaus"  gebracht,  wo  man  sie  rot2)  anstreicht  und  gut  füttert  und  behandelt, 
bis  man  sie  für  heiratstüchtig  (?)  ansieht,  worauf  sie  gewaschen  und  ihrem  Manne 
zugeführt  wird.  Wartet  noch  keiner  auf  sie.  so  hüllt  man  sie  in  ein  rotes 
Tuch,  und  nun  führen  "Weiber  das  Mädchen  von  Stadt  zu  Stadt,  bis  ein  Mann 
sie  zu  heiraten  wünscht  (B.  E.  Bautet). 

Aus  Loango  teilte  Wimwood  Reade  -seinerzeit  mit.  daß  die  gereiften 
Mädchen,  ehe  sie  zu  den  Erwachsenen  gerechnet  werden,  von  alten  Weibern 
(Ngembij  in  Mysterien  eingeweiht  werden.  Die  Xgembi  gehen  in  den  Wald. 
reinigen  eine  Stelle,  auf  der  sie  eine  heilige  Hütte3)  bauen;  diese  darf  kein 
Mann  betreten.  Dann  kommen  sie  ins  Dorf  zurück  und  holen  die  Igondschi, 
Novize,  welche  nie  zuvor  an  jener  Stelle  gewesen  sein  darf  und  während  der 
Einweihungszeit.  d.  h.  drei  Tage  lang,  fasten  muß.  So  lange  wird  auch  ein 
Feuer  im  Walde  unterhalten,  neben  welchem  stets  eine  Einweihungsfrau  sitzt, 
es  Unterhält  und  dabei  singt:  „Das  Feuer  wird  nie  sterben"4).  In  der  dritten 
Nacht  wird  die  Novize  in  der  Hütte  mit  schwarzer,  roter  und  weißer  Farbe 
bemalt.  Sje  ruft  ..Okanda!  yo,  yo.  yo!".  und  draußen  stehen  Männer,  die  eine 
Trommel  schlagen.  Was  in  der  Hütte  vorgeht,  wird  vor  den  Männern  geheim 
gehalten.  Man  weiß  nur.  daß  die  Gebräuche  phallischer  Art  sind.  Was  letzteres 
betrifft,  so  nieinte  Pechuel-Lösche  allerdings,  die  Instruktion,  welche  die  Mädchen 
in  den  Hüttenerhalten,  scheine  sich  auf  mütterliche  Aufklärungen  über  zukünftige 
Pflichten-  zu  beschränken.  Zu  der  Annahme,  daß  die  Mädchen  etwa  hier  so  ab- 
gerichtet würden  wie  an  der  Ostküste '').  liege  kein  Grund  vor.  Im  übrigen 
berichtete  Pechuel-Lösche  über  die  Pubertätsfeier  der  Bafiote-Mädchen  an 
der  Loango-Küste:  Sobald  die  erste  Menstruation  eintritt,  bringt  man  die 
Mädchen  in  eine  für  sie  reservierte,  etwas  abgesonderte,  jedoch  oft  mitten 
im  Dorfe  gelegene  Hütte.  Von  diesem  Tage  an  bis  zur  Hingabe  an  einen 
.Mann  weiden  sie  Jungfrauen   (nkumbi  oder  tschikumbi)   genannt.     Dies  ist 

')  Demnach  faßt  man  hier  die  erste  Menstruation  als  einen  Ueinigungsprozeß,  nicht 
als  etwas  Unreines  auf.  wie  es  von  manchen  Völkern  mitgeteilt  worden  ist.  Weib  sein 
(fruchtbar  sein)  heißt  nach  obigem  ..rein  sein".  Das  stimmt  mit  jenem  Gedanken  oberem, 
welchen  ich  unter  ander,  n  auf  S.  111  entwickelte  und  welcher  die  polytheistischen 
Religionen  der  Völker  überhaupt  durchzieht:  Zeugung  ist   eine  heilige  Pflicht. 

i  Vgl  rlie  bohi  Bedeutung  der  roten  Farbe  als  Schutzmittel  jii'p'n  böse  Mächte  in 
Kap.  V  und  VI,  sowie  nndere  dort  erwähnte  Schatzfarben,  hauptsächlich  aber  das  über  „rot" 
und  „schwarz"   in  «j  :ii>!)   Erwähnte. 

')  Die  Golah  und  Yai  erbauen  im  Busch  ein  ganzes  Hüttendoxf  für  die  zu  In 

terkult    bei    den    Bcschn  cid  ungszeremonien    verschiedener   Völker 
in  Kap.   WW1II. 

i  später  zu  erwähnenden  Tikitiza-Tanz  (Digitiseha)  der   Wasuaheli. 


§  37Ü.     Pubertätsfeste  des  weiblichen  Geschlechtes.     Sudan-  und  Baütuvölker.       733 

auch  der  Name  des  den  Baflote  wohlbekannten  Hymens.  Die  Hütte  heißt 
infolgedessen  nso  tschikumbi.  Nur  drei  Mädchen  finden  in  jeder  Eaum.  Ist 
eine  größere  Anzahl  im  Dorfe  gleichzeitig'  herangereift,  so  stellt  man  weitere 
Hütten  auf.  Wohlhabende  und  vornehme  Eltern  lieben  es,  ihren  Töchtern 
eine  besondere,  oft  sehr  zierlich  gearbeitete  und  reich  geschmückte  nso  tschi- 
kumbi neben  ihrer  Wohnung  zu  errichten.  Die  für  den  allgemeinen  Gebrauch 
bestimmten  zeigen  einfachere  Ausstattung.  Das  Innere  ist  mit  Tukula  bemalt. 
Matten  bedecken  den  Fußboden  und  die  erhöhten  Lagerstellen;  gewöhnlich 
sind  auch  einige  vom  weiblichen  Geschlechte  geschätzte  Fetische  vorhanden. 
Eine  beliebige  Frau,  eine  Vertrauensperson,  wird  von  den  Eltern  gewonnen. 
um  die  Tochter  zu  unterrichten.     Während  ihrer  Klausur  scheint  die  Novize 


Fig.  4s>.    Ein  Betschiiauenmädchen  im  Dienste  Holubs.    Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzij 


keine  besondere  Diät  zu  halten,  doch  darf  sie  die  Erde  nicht  mit  einem  ent- 
blößten Teil  ihres  Körpers  berühren1);  sie  ist  also  „unrein".  Will  sie  ein 
Bedürfnis  verrichten,  so  legt  sie  bei  gutem  Wetter  irgend  eine  Fußbekleidung 
an  und  sucht  irgendwo  ein  freies  Plätzchen;  bei  schlechtem  Wetter  wird  sie 
wohl  auch  auf  dem  Rücken  hinausgetragen.  Täglich  zweimal  erfolgt  Ein- 
reibung mit  Tukula  (roter  Farbe)  oder  Palmöl.  Ist  sie  aus  der  Klausur  ent- 
lassen, so  geht  sie  zum  Badeplatz. 

Die  Umzüge  der  gereiften  Töchter  der  Bamangwato,  die  Ploß'1)  als 
„Betschuanen  oder  Kaffern  im  Innern  von  Port  Natal"  bezeichnete,  sind 
bereits  im  Kapitel  über  die  Beschneidung  (XXXVIII)  erwähnt  worden.  Wie 
in  Senegambien,  so  geißeln  die  Mädchen  auch  hier  bei  dieser  Gelegenheit  ihre 


'i   Vgl.  die    Pubertätskandidatinnen    bei    den    alten 
(§  376).  deren  Füße  die  Erde  nicht  berühren  durften. 
s)  I,'381. 


Karaiben    in    Brilisch-Grnayana 


734  Kapitel  LVII.     Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidung. 

männlichen  Altersgenossen,  die  diese  Mißhandlung  ruhig  ertragen  müssen,  eine 
Prüfung  ihrer  eigenen  Eeife,  wie  Ploji  schrieb1). 

Das  Kaffermädchen  wird  zur  Zeit  seiner  Reife  7 — 10  Tage  in  einer 
abgesonderten  Hütte  von  einer  Gefährtin  gepflegt.  Ihre  ausschließliehe  Nahrung 
besteht  in  diesen  Tagen  aus  Milch.  Nach  Ablauf  (?)  der  Isolierzeit  wird  ein 
Fest  gefeiert,  zu  dem  bemittelte  Väter  7 — 10  Stück  Vieh  schlachten.  Solange 
das  Fest  damit,  lassen  sich  sämtliche  gereifte  Mädcheu  mit  ihren  Liebhabern 
ein  oder  mit  Männern,  die  ihnen  von  älteren  Weibern  zuerteilt  werden.  Am 
letzten  (?)  Abend,  wenn  es  dunkel  geworden  ist,  vergräbt  dann  das  Mädchen, 
dem  zu  Ehren  das  Fest  gegeben  wurde,  im  Beisein  der  Gefährtinnen  sorgfältig 
die  Gabel,  mit  welcher  es  während  seiner  Isolierung  aß.  Am  Morgen  darauf 
erklärt  man  es  für  „intombi",  d.  h.  als  reif  zum  Ehestand,  als  Weib  (Maclean)  -). 

Die  geschlechtlichen  Ausschweifungen  der  Ama-Kosa,  südlichster  Kaifern- 
zweig, und  der  Zulu  (Amazulu)  bei  der  mit  der  Pubertätsfeier  verbundenen 
Beschneidung  siehe  in  Kapitel  XXXVIII,  S.  181.  Daß  die  Töchter  der  Zulu 
zum  Zeichen  ihrer  Eeife  ..nur  mit  roter  Erde  bestrichen"  werden8),  ist  demnach 
nicht  richtig. 

Über  die  weibliche  Pubertätsfeier  der  Basutos,  einem  andern  Zwejo- 
der  Katfern  (bezw.  Betschuanen),  lagen  schon  in  der  zweiten  Auflage4)  zwei 
voneinander  abweichende  Berichte  vor:  der  eine  von  Missionar  Sfrrh,  der 
andere  von  Missionar  Endemann.  Nach  dem  ersteren  ist  die  Feier  mit  (Qualen 
verbunden,  nach  dem  letzteren  nicht.  Steehs  Schilderung  wird,  wegen  der 
dortigen  Verschmelzung  mit  der  männlichen"  Pubertätsfeier,  in  Kapitel  LV1II 
folgen;  Endeinanns  lautete  bei  Floß  wie  folgt: 

„Das  Polio5)  der  Mädchen  hat  mildere  Formen  (als  jenes  der  Knaben). 
Sie  ziehen  in  Begleitung  ihrer  Aufseherinnen  nach  einer  Stelle  am  Wasser,  wo 
es  tief  genug  zum  Untertauchen  ist.  Dort  müssen  sie  einen  ins  Wasser  ge- 
worfenen Armring  tauchend  herausholen.  Des  Tages  treiben  sie  sich  im  Felde 
umher,  um  für  den  weiblichen  Beruf  „geschult"  zu  werden,  daneben  zu  tanzen 
und  zu  singen.  Aber  nachts  brauchen  sie  nicht  im  Felde  zu  bleiben;  doch 
leben  sie  abgesondert.  Sie  schmieren  sich  mit  Asche  ein.  An  einem  Orte  sah 
Endemann,  daß  sie  Flechten  von  Gras  (ähnlich  den  Strohseilen)  •)  wie  Shawls 
um  Hals  und  Kopf  gewunden  trugen,  und  zwar  über  der  Brust  gekreuzt  und 
auf  dem  Kücken  zusammengebunden.  In  der  Zeit  ihres  Polio  darf  ihnen  keine 
männliche  Person  zu  nahe  kommen;  sie  wird  sonst,  von  der  Aufseherin  mit 
Kitten  durchgehauen.  Das  Weibervolk  ist  überhaupt  in  der  Zeit  wie  unsinnig; 
sie  nehmen  Vermummungen  vor.  ziehen  Männerkleidung  an,  tragen  Waffen; 
am  Mannsvolke  üben  sie  allerhand  Mutwillen,  der  in  einzelnen  Fällen  bis 
zum  Todschlag  geht,  der  dann  nicht  geahndet  wird.  Die  Mädchen  des  Polio 
nehmen  während  desselben  bestimmte  Waschungen  am  Wasser  vor.  Den 
Schluß  von  allem  macht  eiu  Fest  im  Januar  oder  Februar,  der  Erntezeit  der 
ersten  grünen  Feldfrüchte7),  zu  dem  die  zuletzt  beschnittenen  Burschen  ein- 
geladen werden.     Da  gibts  Schmauserei.  Tanzvergnügen  und  Unzucht." 


')  I,  381.     Daß  ich    das    wenigstens    nicht    ausschließlich    und   nicht    als  ursprüngliche 
Prüfung  erfasse,  habe  ich  in  §  369  dargelegt. 

-i   Bei    Floß  IL  443. 

*)   Floß  II.  4f-;.  im  Hinweis  auf  Dohne. 

i,   II.    144— 44(5.     I >;i s   Divergierende   erklärt    sich    wohl    auch    hier   mit    der  Stammes- 
verschiedenheit.     Vielleicht   sind   Endemanns  „Sotho"  doch  nicht   mit   den   Basutos  idei 

5)  Bezeich >    für    die    Aufnahme  der  Jugend  in  den  Kreis  der  Erwachsenen.     Siehe 

er,   sowie   die  I  lung   und   andere  Zeremonien   der  männlichen  Reifekandidaten, 

S    L82f.  d.  K.  und   Kapitel   LVIII. 

\  gl.  den   Kopfring   der   rHamatb.-Madc.hen  bei  ihrer  ersten   Menstruation,  Abb.  489. 
Die  Schlußfeier  zur  Erntezeit  dürfte  sich  kaum  nur  mit   kulinarischen  Genüssen  er- 
klären.    Fruchtbarkeit  erden  häufig  auf  keimende  oder  fruchtbringende  Jahres« 

Zeiten   Verl. 


§  372.     Pubertätsfeste  des  weiblichen  Geschlechtes.     Sudan-  und  ßantuvölker.       7'A'i 

Hat  im  Marutse-Mambunda-Reich,  britisches  Südafrika,  bei  den 
Makololo  und  anderen  Stämmen  ein  Mädchen  die  Eeife  erreicht,  so  werden 
sofort  ihre  Gespielinnen  davon  benachrichtigt,  die  sie  dann  täglich  acht  Tage 
lang  spät  am  Abend  aufsuchen  und  bis  tief  in  die  Nacht  in  ihrem  Hüfchen  (?) 
unter  Castagnetten-  und  Gesaugbegleitimg  einen  Tanz  aufführen,  nachdem 
zuvor  eines  der  Mädchen  bei  anbrechender  Dunkelheit  im  Orte  herumgegangen 
war  und  die  Genossinnen  durch  lautes  Jodeln  zum  Besuche  aufgeboten  hatte. 
Hat  die  Tochter  eines  Königs  oder  eines  seiner  nahen  Verwandten  ihre  Pubertät 
erreicht,  und  ist  sie  eine  „Verlobte"',  so  wird  sie  von  ihren  nächsten  weiblichen 
verheirateten  Verwandten  in  ein  nahes  Dickicht  geführt,  wo  sie  eine  Woche 
lang,  von  einer  Sklavin  bedient,  (untertags)  ein  abgeschiedenes  Leben  führen 
muß.  Gegen  Abend  wird  sie  täglich  von  ihren  Freundinnen  aufgesucht,  die 
ihr  Nahrung  hinstellen.  Ihr  Kopf  wird  mit  Parfüm  eingerieben;  sie  erhält 
Ermahnungen  für  den  ehelichen  Stand  und  wird  nach  Ablauf  der  Frist  ihrem 
Gemahl  übergeben  (Emil  Holub)1). 

Wenn  bei  den  Makalaka,  Britisch  Südafrika,  die  alteu  Weiber  ein 
Mädchen  für  heiratsfähig  erklären,  dann  beginnt  für  dieses  eine  martervolle 
Tätowierung.  Von  der  Brust  abwärts  wird  mit  Ausnahme  einer  zollbreiten 
Mittellinie  die  ganze  Vorderseite  des  Rumpfes  von  einer  Seite  zur  andern  in 
der  Weise  tätowiert,  daß  man  zirka  4000  Schnittchen,  in  30  oder  mehr  parallelen 
Linien  geordnet,  in  die  Haut  macht.  Auch  andere  Körperteile  erhalten  Ein- 
schnitte. Die  Wunden  weiden  mit  einem  ätzenden,  durch  Kohlenpulver  ge- 
schwärzten Saft  eingerieben,  damit  erhöhte  Narben  entstehen.  Fallen  die 
Linien  nicht  hoch  genug  auf.  dann  muß  die  Marter  wiederholt  werden  (C,  Maueh). 

In  Deutsch-Ostafrika  fand  Weule  Reifezeremonien  (Un3rago)  für  die 
weibliche  Jugend  bei  den  Yao,  Makonde,  Matambwe  und  Makua.  Die 
ihnen  gemeinsamen  Züge  sind  die  folgenden:  Jede  Kandidatin  bekommt  ein 
älteres  Mädchen  oder  Eheweib  als  Führerin  durch  die  „Stufenleiter  von 
Kursen'1,  welche  das  Unyago  umschließt,  und  diese  Führerin  bleibt  ihr  zeit- 
lebens befreundet.  —  Die  gleiche  Erscheinung  lernten  wir  bei  der  Beschneidung 
des  männlichen  Geschlechtes  bei  verschiedenen  Völkern  kennen.  —  Auch 
der  Lehrgang  der  Mädchen  entspricht  auf  dem  Makondeplateau  inhaltlich  dem 
der  Knaben,  d.  h.  die  Novizen  werden  rückhaltlos  über  die  Geschlechts- 
verhältnisse aufgeklärt  und  in  den  Sitten  bzw.  Umgangsformen  gegenüber 
Familien-  und  Stammesmitgliedern  unterrichtet. 

Neben  diesen  gemeinsamen  Einrichtungen  teilt  Weule  von  der  Pubertäts- 
feier  jedes  einzelnen  dieser  Völker  folgendes  mit:  Die  Makua  errichteten 
zum  Fest  der  ersten  Menses  (Echiputu)  einen  kreisrunden  Bau  aus  Hirse- 
stroh und  Holzstangen  von  10  Meter  Durchmesser  und  2  Meter  Höhe,  den 
Festsaal.  Anwesend  waren  hauptsächlich  Eheweiber  und  Mädchen,  doch  auch 
Männer,  darunter  die  jugendlichen  Gatten  der  Novizinnen;  denn  hier  wird 
schon  vor  Eintritt  der  Reife  geheiratet2).  Diese  Gatten,  selbst  erst  angehende 
Männer,  sitzen  im  Festsaal  auf  Ehrenschemeln.  Um  den  Mittelpfeiler  des 
Saales,  der  das  Dach  trägt,  stehen  die  Lehrerinnen  (Anamungwi)  der  Novi- 
zinnen. Nun  ziehen  die  weiblichen  Festgäste  in  ihrem  reichsten  Schmuck 
feierlich  ein,  bewegen  sich  unter  dem  Takt  der  Trommelu  zunächst  ..in  einer 
Art  Bachstelzenschritt"  um  den  Mittelpfeiler  und  gehen  dann  über  zum  Bauch- 
tanz, dessen  sinnlicher  Charakter  uns  schon  von  früheren  Kapiteln,  auch  aus 
dem  Orient  her,  bekannt  ist8).  Nach  diesem  Tanz  werden  den  Lehrerinnen 
Stücke  neuen   Zeuges,    Perlenschnüre,    fertige   Hals-   und   Armbänder   u.  dgl. 

i)  Bei  Ploß  II.  440. 
2)  Vgl.  Kap.  LVI. 

")  Vgl.  Pechuel-Lösches  Hinweis  gelegentlich  seiner  Mitteilung  über  die  Pubertätsfeier 
an   der  Loango-Küste. 


73G  Kapitel  LVII.     Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidimg. 

für  den  jahrelangen  Unterricht  der  Novizinnen  geschenkt,  welcher  mit  diesem 
Fest,  wenigstens  vorderhand,  seinen  Abschluß  findet.  Auf  diesen  Akt  folgt  das 
..Ausbrechen  des  Leoparden",  d.  b.  die  Ehemänner  der  Novizinnen  erheben  sich 
blitzschnell  von  ihren  Ehrenschemeln,  durchbrechen  die  Strohwand  des  Festbaues 
und  laufen  davon,  während  die  weiblichen  Festgäste  ihnen  ein  oft  wiederholtes 
..Hawaru  marre"  (..der  Leopard  bricht  aus")  nachsingen.  —  Nun  leert  sich 
fler  Festsaal  und  alles  begibt  sich  auf  den  sauber  gekehrten  Platz  daneben. 
wo  die  Lehrerinnen  der  Novizinnen  abermals  beschenkt  werden,  und  zwar 
diesesmal  mit  Maiskolben,  Hirserispen  u.  a.  m.  Dann  wird,  unter  Trommel- 
begleitung.  der  Ikoma,  ein  Eeigentanz,  aufgeführt,  bei  welchem  die  anfangs 
maßvollen  Bewegungen  im  Verlauf  des  Tanzes  immer  freier  werden,  bis  die 
Gewänder  der  Tänzerinnen  fliegen,  daß  man  die  wuchtigen  Ziernarben  an  den 
Schenkeln  und  auf  dem  Gesäße  sieht1). 

Die  von  Weule  beobachtete  Schlußfeier  der  Pubertätskandidatinnen  bei 
den  Makonde  im  Dorfe  Niuchi  verlief  wie  folgt: 

Morgens  um  8  Uhr  fegten  Weiber  den  Dorfplatz,  in  dessen  Mitte  ein 
Baum  stand2),  mit  Büscheln  grüner  Zweige  rein.  Schon  waren  auch  die  fünf 
Reifekandidatinnen,  in  grellfarbene  Tücher  gehüllt,  erschienen  und  hockten  im 
Schatten  eines  nahen  Hauses,  von  den  Dorfweibern  wie  mit  einer  Mauer  um- 
geben, Augen  und  Schläfen  mit  den  Händen  bedeckt.  Plötzlich  eilen  zirka 
sechs  Weiber  unter  schrillem  Trillern  über  den  Platz;  ihnen  folgt  bald  ein 
Dutzend  anderer  Weiber  nach,  die  mit  rhylhmischem  Händeklatxhen  tänzelnd 
über  den  Platz  hin  und  her  schreiten  und  singend  zuerst  den  Satz  .,Es  geht 
weg.  es  geht  weg.  mein  liebes  Kind"  wiederholen,  worauf  ein  zweiter  folgt: 
„Die  Knie  schreit  in  der  Scbamba".  Dann  kehren  die  Weiber  zu  den  fünf 
Kandidatinnen  zurück,  deren  Köpfe  nun  von  ihren  fünf  Lehrerinnen  mit 
Hirserispen  geschmückt  werden3).  --  Nach  diesem  Akt  erheben  sich  die  fünf 
Mädchen;  eines  tritt  hinter  das  andere  und  legt  dem  vor  ihm  stehenden  beide 
Hände  auf  die  Schultern;  die  Trommeln  setzen  ein,  und  alt  und  jung  wiegt 
den  Mittelkörper  rhythmisch  im  Bauchtanz.  —  Auf  diesen  Tanz  folgt  die 
Heschciikung  der  Lehrerinnen  mit  Hirse,  Maniok.  Kleidungsstücken  u.  a.  m. 
Dann  kommt  der  Schlußakt:  Die  fünf  Lehrerinnen  zerschlagen  ein  Ei.  streichen 
von  dem  Gelb  den  fünf  Novizinnen  etwas  auf  die  Stirne.  mischen  den  Rest 
mit  Rizinusöl  und  salben  damit  den  Mädchen  Brust  und  Bücken.  „Das  ist 
das  Zeichen  der  Reife  und  des  beendeten  Unyago",  schreibt  Weuk4).  Doch 
Eolgen  auch  diesem  Akt  noch  Gesänge,  das  Dauerlied  ..Die  kleine  Korbschale 
...-.  Bauchtänze6)  sowohl  als  Solotäuze  der  Kandidatinnen,  als  auch  von 
der  Gesamtheit  der  weiblichen  Festgäste  aufgeführt;  ferner  die  Aufführungen 
zweier  Maskenpaare  (Männer  und  Weiber),  darunter  der  Teufel  (Scheitani) 
mit    Hörnern  und  Bart  und  eine   Riesenmaske  auf  Stelzen,  deren  lange  Arme. 


'l  Weule  erwähnt  bei  dieser  Pubertätsfeier  auch  ein  loderndes  Strohfeuer.  Vgl.  das 
I         i  der   Beschneidung  der   Makua-Knaben    und   die   Ansprache   des   Oberpriesters   an 

in    Kap.   XXXVIII. 

■i  \n  einer  Stelle  des  Platzes  ragte  ein  einfacher  Stock  aus  der  Erde.  Darunter 
seien  „Medizinen"  begraben  gewesen,  die  zum  Unyago  gehörten.  An  einer  andern  Stelle 
war  ein  Topf  mit  Wasser  als  „Medizin"  schon  seit  Monaten  versenkt   worden 

3i  Vielleicht  hat  die  Hirse  auch  hier  die  uns  bereits  wohlbekannte  Bedeutung  der 
Fruchtbarkeit.  Nach  Weules  Vermutung  war  dieser  Ährenschmuck  gemeint,  als  die  Weiber 
nach  dem  oben  folgenden  Bauchtanz  immer  wieder  und  wieder  sangen:  „Das  Chihakatu 
(kleine  Corbschale)  ...  wird  früh  aus  dem  Baus  herausgetragen."  —  Mir  scheint,  daß  die 
„kleine  Korbschale",  so  Lrllt  wie  die  Hirse,  das  Bild  des  Mädchens  selbst  war. 

'i  Das  Ei  ist  also  wohl  auch  hur  ein  Symbol  der  Fruchtbarkeit.  Vgl.  die  Eier- 
Eierspiele  usw.  iu  Kap.   XI, II.  XI, III  usw. 

E)  Die  hervorragende  Bolle  dieser  sinnlichen  Tänze  bei  der  b'eier  allein  charakterisiert 
Sil        ler   letzteren.    Vgl.    was   0.  Kerstin    von    dem    „Digitischa"   (Tikitiza)  der" 

W  I      m  a  hell    s:i. 


§  372.     Pubertätsfeste  des  weiblichen  Geschlechtes.     Sudan-  und  Bantuvölker.        737 

mit  Stoff  entsprechend  besetzt,  wie  Windmühlenflügel  in  der  Luft  flattern 
usw.  Zweck  dieser  Masken  ist,  nach  Weule,  die  Mädchen  vor  ihrem 
endgültigen  Eintritt  in  die  Reihen  der  Erwachsenen  noch  einmal  tüchtig  zu 
ängstigen '). 

Im  Dorfe  Mangupa  wohnte  Weule  einem  Feste  der  Matambwe  bei, 
welches  die  erste  Unterricht  speriode  der  Reifekandidatinnen  abschloß.  Die 
8—  11jährigen  Mädchen  hatten  an  diesem  Tag-  bereits  eine  Unterrichtszeit 
von  mehreren  Monaten  hinter  sich,  der  ihnen  in  einer  besonderen  Hütte  ge- 
geben worden  war.  Die  für  das  Fest  aufgeführte  Hütte  (Likuku)  war  Mei- 
ern Zwillingsbau,  d.  h.  zwei  runde,  niedrige  „Salons-'  waren  aneinander  gebaut. 
Das  Fest  begann  früh  9  Uhr  mit  dem  afrikanischen  Weibertriller  in  vielfacher 
Variante,  während  welchem  die  sämtlichen  Teilnehmerinnen,  festlich  ge- 
schmückt, hinter  dem  Doppelhaus  standen.  Hierauf  trugen  sieben  Weiber 
unter  dem  Dauerlied  ..Mein  Vater  hat  mich  schlecht  behandelt,  er  hat  mir 
einen  schlechten  Mann  gegeben;  der  ist  von  mir  gegangen,  und  ich  sitze  nun 
da"  eine  lange,  neue  Zeugbahn  1  muten  Kattuns,  die  fahnenähnlich  an  einer 
Stange  hing,  zum  Festplatz  links  vom  Festbau.  Unmittelbar  darauf  lief, 
sprang,  tanzte  und  trillerte  der  ganze  Haufen  händeklatschend  und  wild  durch- 
einander. Dann  plötzlich  tiefe  Stille,  und  eng  hintereinander,  tief  gebückt, 
ganz  in  neue,  bunte  Tücher  gehüllt,  trippelten  die  fünf-)  Reifekandidatinnen 
zum  Festplatz  heran.  Wiederum  brach  ein  wüster  Lärm  aus,  diesesmal  von 
einem  halben  Dutzend  Trommeln  vermehrt.  Der  Weiberknäuel  ordnete  sich 
zu  einem  weiten  Kreis,  mit  den  fünf  tiefgebeugten  Novizinnen  in  der  Mitte. 
Hier  zeigten  diese  vor  dem  kritischen  Auge  der  Meisterin  ihre  Kunst  im 
Zittern  der  Gesäßpartie.  Nach  bestandener  Prüfung  schritten  sie  rückwärts 
zur  Doppelhütte,  in  welcher  sie  für  einige  Minuten  versclnvanden.  Dann 
aber  erschienen  sie  wieder,  überschritten  in  mäßigem  Abstand  hinterein- 
ander den  Festplatz  (jetzt  in  normaler  Gehweise)  uud  verschwanden  dann 
im  Busch. 

Auch  die  erwachsenen  Frauen  waren  mit  den  Novizinnen  in  den  Fest- 
bau gegangen,  wo  sie  nach  dem  Wiederhervorkommen  der  Kandidatinnen 
blieben.  Schließlich  zogen  sich  die  Männer  gleichfalls  dorthin  zurück  und 
taten  sich  mit  Pombe  in  mächtigen  Töpfen  gütlich  (Weule). 

Nach  Wehrmeister  nimmt  in  Lukuledi  das  ..große"  Unyago  (Puber- 
tätsfeier) der  Mädchen  gewöhnlich  längere  Zeit  in  Anspruch,  als  jenes  der 
Knaben.  Die  Kandidatinnen  stehen,  wie  die  Kandidaten,  im  Alter  von  7  bis 
10  Jahren.  Ein  Weib  unterrichtet  die  Mädchen  2  —  'i  Monate  lang  in  Hütten, 
welche  man  zu  diesem  Zweck  in  der  Nähe  des  Dorfes  aufschlägt.  Die  Mädchen 
dürfen  sich  während  dieser  Zeit  vor  keinem  männlichen  Wesen  blicken  lassen, 
oder  müssen  ihr  Kopftuch,  welches  sie  zu  diesem  Zwecke  tragen,  über  ihr 
Gesicht  decken,  sobald  sie  beim  Verlassen  der  Hütte  einen  Mann  sehen.  Mit 
Abschluß  des  Unyago  gelten  sie  als  heiratsfähig  und  werden  bald  geehelicht, 
leider  auch  von  polygamen  Häuptlingen  oder  anderen  schon  verheirateten 
Männern  zu  Nebenweibern  genommen. 

Mit  diesem  „großen"  Unyago  ist  aber  in  Lukuledi  noch  nicht  alles  ab- 
getan: vielmehr  folgt  im  ersten  Ehejahr  ein  zweites  und  drittes  nach.  Schon 
nach  der  ersten  Flitterwoche  findet  das  zweite  statt.  Ein  Weib  vom  Fach 
kommt   in    die   Hütte   des   Paares   zur   Belehrung    (beider?).     Beim   Wieder- 


x)  Vgl.  den  mit  riesigen  Flügeln  versehenen  Götzen  Mungi  in  Kamerun  (S.  575  d.  B.), 
der  nach  den  Initiationszeremonien  „davonfliegt".  Daß  die  obigen  Masken  nicht  nur  er- 
schrecken wollen,  sondern  eine  tiefere  Bedeutung  haben,  scheint  mir  zweifellos  zu  sein  (vgl. 
die  Einleitung  zu  diesem  Kapitel). 

2)  Bei  der  Pubertätsfeier  der  Makonde  sahen  wir  gleichfalls  fünf. 

FloO-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  47 


738 


Kapitel  LY1I.     Pubertätsfeste  exklusive  Besehneidung. 


verlassen  der  Hütte  wird  diese  Meisterin  von  einem  Haufen  Weiber  mit 
stürmischem  „lulu-lulu-lulu"  begrüßt;  die  junge  Gattin  sitzt  auf  der  Erde,  von 
den  Weibern  umringt  und  besungen.  Auch  ihrem  Mann  gilt  ein  Teil  der 
gesungenen  Weisen,  bei  denen  das  „lulu"  eine  Hauptrolle  spielt.  Die  Zeremonie 
dauert"  gewöhnlich  von  8  Uhr  früh  bis  3  Uhr  nachmittags. 

Zum  dritten  Unyago,  welches  einige  Monate  später  stattfindet,  kommen 
„sehr  viele"  Mütter.  Belehrung,  Tanz  und  Gesang  bilden  die  Elemente  auch 
dieser  Feier  (  Wehrmeister). 

Welch  wichtige  Rolle  das  Geschlechtliche  bei  der  Pubertätsfeier  in 
Madibira,  gleichfalls  südliches  Deutsch-Ostafrika,  spielt,  geht  aus  Abb.  483 
und  der  Mitteilung  des  Missionars  Johannes  Häfiiger  hervor,  welche  mir  brieflich 
zuging:  Mit  der  Pubertätsfeier  für  Mädchen  ist  ein  Unterricht  über  die  Ehe 
verbunden,  welcher  durchgängig  von  alten  Weibern  erteilt  wird.    Diese  machen 


1     •> 


m 


Fig.   WS. 


Leumfigureii  zum  Anschauungsunterricht  der  Pubertätskandidatinnen  in   Madibira,  südliches 
Deutsch-OstafriUa.    Johannes  Häfiiger  pliot.    Text  hierzu  oben  und  unten. 


hierzu  eigene  Lehmfiguren  (Abb.  483).  Bei  all  diesen  Figuren  ist  das  Ge- 
schlechtliche ganz  besonders  hervorgehoben.  Die  zwei  größten  stellen  Vater 
und  Mutter  dar;  die  Figuren  daneben  teils  Menschen,  teils  die  bekanntesten 
Tiere,  ebenfalls  männlich  und  weiblich;  dann  Sonne  und  Mond1)  und  ver- 
schiedene Hansgeräte,  besonders  Töpfe.  In  die  Lehmflgur  der  Mutter  sind  die 
Nahrungsmittel  eingedrückt,  welche  sie  braucht.  Die  Baumwolle  soll  vielleicht 
ihr  Kleid  versinnbilden.  wie   ///>'// />r  vermutet9). 

Die  Töchter  der  Wakilindi3)  und  Waschambaa  in  Usambara  müssen 
vor  ihrer  Reife  ein  Tanztest   mitmachen.     Zwei  nächtliche  Tänze  finden  beim 
Eintritt   der  Keife  statt,  wobei  in  der  ersten   Nacht  nur  Weiber  zugegen  sind 
ch). 


h  Sonne  und  Mond  sind  bei  nicht   wenigen  Völkern  als  Mann  und  Weib  gedacht;  daß 
mch  hier  so  aufgefaßt  sind,  dünkt  nur  sehr  wahrscheinlich. 

•)  Vgl.  die  Baumwolle  als  Attribut  der  altniexikanischen  Brdgöttin,  Bd.  I.  S.  583;  ferner 
Baumwollfaden  um  das   Handgelenk  der   Pubertätskandidatin  in   Kambodscha  (§  37.".). 
i  Stammen  von  Araber  -   weh). 


§  373.     Pubertätsfeste  des  weiblichen  Geschlechtes.     Buschleute  und  Hottentotten.      739 


Bei  dem  Hirtenvolk  der  Wambugu,  ebenda,  müssen  die  Mädchen  beim 
Eintritt  der  Eeife  das  „aigwa"  durchmachen.  Man  sperrt  mehrere  zusammen 
in  eine  Hütte,  in  der  sie  bis  zu  sechs  Monaten  auszuhaken  haben.  Nach 
Eintritt  der  Reife  schlachtet  man  für  jedes  Mädchen  ein  Rind,  worauf  die 
Kandidatinnen  von  ihren  Verlobten   in  Empfang  genommen  werden  {Storch). 

Sobald  bei  dem  Suaheli-Mädchen  in  Sansibar  die  Zeichen  der  Mannbar- 
keit eintreten,  was  gewöhnlich  im  12.  oder  13.  Jahr  geschieht,  so  wird  es 
noch  an  dem  gleichen  Tag  von  einem  alten  Weib  gewaschen,  mit  einer  für 
diesen  Zweck  gebräuchlichen  Malerei  im  Gesicht  versehen,  schön  frisiert,  mit 
Schmuck  behängen  uud  von 
Freundinnen  in  der  Stadt  her- 
umgeführt, wobei  es  Geschenke 
erhält,  aber  auch  viele  Necke- 
reien von  den  Gefährten  dulden 
muß.  Nach  0.  Kernten  werden 
die  Mädchen  von  jenem  alten 
Weibe  im  „Digitiseha"  unter- 
richtet, d.  h.  in  der  Ausführung 
gewisser  Hüftbewegungen,  wel- 
che den  Reiz  des  Koitus  erhöhen 
sollen ').  —  Nach  Veiten  wird 
dieser  Unterricht  und  jener  aber 
das  Eheleben  überhaupt  in 
Gegenwart  der  andern  alters- 
gleichen Mädchen  gegeben ; 
schamlose  Gesänge  begleiten 
ihn;  ungelehrige  Mädchen  be- 
kommen von  der  Lehrerin 
Schläge,  gelehrige  Lob.  — 

§  373.     Bnsclilente  und 
Hottentotten. 

Bei  den  Auin-Busch- 
leuten  in  der  Kalahari  ver- 
sammeln sich,  wenn  bei  einem 
Mädchen  die  erste  Regel  ein- 
tritt, benachbarte  und  befreun- 
dete Werften  zu  einer  Feier. 
Das  Mädchen,  schreibt  Sans 
Kaufmann,  liegt  auf  dem  Boden, 

während  alte  Weiber  in  ihrer  Nähe  singen  und  in  die  Hände  klatschen 
und  die  jüngeren  Weiber  mit  entblößtem  Gesäß  stampfend  einen  Gänse- 
marsch aufführen.  Von  Zeit  zu  Zeit  treten  einzelne  Männer  in  den  Reigen 
ein,  und  alles  ahmt  die  Bewegung  und  Laute  brunstigen  Wildes'-)  nach. 
Kaufmann  ist  der  Ansicht,  daß  dies  der  Elenbnllentanz  sei.  Bei  diesem  Tanz 
werden  Bockshörner  vor  die  Stirne  gebunden3).  --  Das  Mädchen  gilt  nach 
Eintritt  der  Reife  für  heiratsfähig.  Vor  Eintritt  der  Reife  dürfen  weder  die 
Mädchen   noch  die  Knaben  Fleisch   von  Wild   essen,    „weil   sie   sonst   mager 


Fig.  4*4.   Ein  Kikuj  u-Mädchen,  Britisch- Ostafrika.  —  Missions- 
sekretariat der  Vater  vom  hl.  Geist  in  Kneclitsteden. 


')  Vgl.  das    Zittern    der  Hüften,    in    welchem  die   Reitekandidatinnen   der  Völker  auf 
dem  Makondeplateau  geprüft  werden. 

2)  Ahnliches  scheint  mir  der  Sinn  der  „Hirsche"  bei  der  Initiationsfeier  derBambara 
zu  sein  (siehe  „Ahnenkult"). 

3J  Daß    der  Bock   in    der   sexuellen   Symbolik    mancher  Völker   eine  Bolle   spielt,    ist 
bekannt. 

47* 


740  Kapitel  LVII.     Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidung. 

blieben" 1).  —  Erst  nach  Eintritt  der  ersten  Regel  tragen  die  Mädchen  „angeblich" 
Schmuck. 

Bei  den  von  den  Hottentotten  beobachteten  Zeremonien  am  Feste 
der  Mannbarkeit  sollen  nach  Kolli  und  Thvmberg  sehr  schmutzige  Handlungen 
vorkommen.  -  Waite  vermutet  wohl  mit  Unrecht,  daß  sich  diese  Zeremonien 
darauf  beschränken,  daß  die  Jünglinge  mit  „heiligem  Wasser"  besprengt 
werden.     (Der  Urin  diente  den  Kap-Hottentotten  auch  zu  religiösen  Zwecken.) 

Bei  den  Nama  wird  das  Mädchen  bei  der  ersten  Menstruation  mit  einem 
reichgeschmückten  Broak-Kaross,  einer  Art  Mantel  aus  Schakal-  oder  Katzen- 
pelz, bekleidet,  der  sie  als  heiratsfähig  bezeichnet,  Bis  dahin  war  das  junge 
Mädchen  völlig  nackt  gegangen.  Nach  dieser  Einkleidung  sitzt  sie  drei  Tage 
lang  dem  Eingang  der  Hütte  gegenüber  an  der  Seite,  wo  das  Hausgerät  sich 
befindet,  in  einem  von  fußhohen  Stäben  eingeschlossenen  Kreis,  von  2 1/2  bis 
3  Fuß  im  Durchmesser,  mit  untergeschlagenen  Beinen,  den  Mund  zum  Zeichen 
ihres  Hochgefühls  und  Stolzes  fischmaulartig  vorgestreckt  und  zuweilen  mit 
ihrem  Kopfe  herausfordernd  nickend.  Am  dritten  Tag  wird  eine  junge  fette 
Ferse  geschlachtet.  Der  nächste  Anverwandte,  gewöhnlich  ihr  ältester  unver- 
heirateter Vetter,  erscheint  mit  der  Nachbarschaft  zur  Gratulation  und  zum 
Schmaus.  Iudem  er  ihr  das  Magenfell  des  Rindes  über  den  Kopf  hängt, 
wünscht  er  ihr,  so  fruchtbar  zu  sein  wie  eine  junge  Kuh,  und  reiht  viele 
Kinder  zu  gebären.  Dann  kommen  ihre  Freunde  und  Freundinnen  mit  ähnlichen 
Glückwünschen,  worauf  der  Festschmaus  beginnt.  Dieser  endet  mit  Tanz  und 
Gesang,  wobei  man  sich,  wenn  möglich,  mit  Honigbier  bezecht  (Tkeophil Hahn). 

§  374.    Malayisch-polynesische  Völker. 

Von  der  deutschen  Karolineninsel  Vap  (Wuap)  teilte  MiTüucho-Maday 
mit,  daß  die  Mädchen  beim  Herannahen  ihrer  Reife  das  elterliche  Haus  im 
Dorfe  verlassen  und  zwei  bis  drei  Monate  in  kleinen,  zu  diesem  Zweck  er- 
richteten Hütten  in  der  Nähe  des  Dorfes  zubringen.  Dieser  Aufenthalt  habe 
während  der  ersten  Regel  und  noch  einige  Zeit  nachher  gedauert-).  In 
neuerer  Zeit  schrieb  Senfft,  daß  die  Mädchen  in  diese  Häuschen  kurz  vor  Eintritt 
der  Reife  ziehen  und  sie  drei  Tage  nach  diesem  Ereignis  wieder  verlassen. 
Doch  kehren  sie  noch  nicht  in  die  Wohnung  ihrer  Eltern  zurück,  sondern 
beziehen  abermals  je  eine  Hütte,  welche  der  Vater  in  der  Nähe  seines  Hauses 
baut.  Hier  „schläft"  das  Mädchen  noch  100  Tage,  und  zwar  mit  einer  Frau 
aus  der  Milingei-Kiasse  3).     Dann  darf  sie  heimkehren. 

Der  Aufenthalt  in  diesen  Häuschen  wirkt,  nach  den  folgenden  Mitteilungen 
aus  dem  „Jahresbericht  1908  und  1911  der  .Missionen  der  rhein.-  westf. 
Kapuziner-Ordensprovinz  auf  den  Karolinen-.  Mariannen-  und  Palauinseln", 
entsittlichend  auf  die  Mädchen')-  Einzelheiten  über  das  Tun  und  Treiben  in 
diesen  Hütten  scheinen  den  betreffenden  Missionaren  aber  nicht  bekannt  zu 
sein.  Im  Jahresbericht  1908  heißt  es.  die  Mädchen  seien  in  diesen  Häuschen 
ohne  Arbeit  und  würden  von  je  einer  alten  erfahrenen  Frau  gut  gepflegl  und 
unterwiesen.  Vor  diesem  Häuschen  vollzieht  sich  die  Brautschau  der  heirats- 
fähigen jungen  Leute.  Ist  dieses  „Ehenoviziat"  nach  einigen  Monaten  oder 
auch  erst  nach  einem  Jahr  zu  Ende,  so  darf  die  also  Gefangene  heiraten. 
Weniger  harmlos  wird  dieses  „Ehenoviziat"  im  Jahresbericht  lvtll  von  Venanüus 


'  i  Diese  Begründung  dürfte  kaum  die  ursprüngliche  sein.  Die  Nachahmung  des  brünstigen 
Wildes  auch   hier   auf  einen    sexuellen    Grund    hin.     Vgl.    das   illegitime    Kind    als 

I  eines  „Hirsches"   in   Kapitel   LTV. 
■I   Bei    Ploß  11.  424f. 

i    ae  lilasse  von   Leuten,  die  etwa  jener  unserer  früheren  Hörigen  entspricht. 
')  Vgl,  deren  keineswegs  reines  Vorleben  in   Kapitel   XLVII,  S.  544. 


§  374.     Pubertätsfeste  des  weiblichen  Geschlechtes.     Malayiseh-polynesisehe  Völker.       741 

geschildert,  der  sich  zunächst  darüber  äußert,  daß  die  Yaper  und  Palauer 
Mädchen  einer  bestimmten  Altersklasse  oft  in  wenigen  Wochen  „äußerst  frech'' 
werden,  die  Missionsschwestern  verlachen,  den  Unterricht  absichtlich  stören, 
oder  diesen  ganz  meiden  u.  a.  m.  Dann  fährt  er  fort:  „Eine  hier  schwer  ins 
Gewicht  fallende  Ursache  dürfte  die  Unsitte  des  sogenannten  Tapal  sein. 
Sobald  nämlich  die  Mädchen  geschlechtsreif  werden,  was  in  hiesiger  Gegend 
früh  eintritt,  werden  sie  sozusagen  zur  Erlernung  und  Erziehung  für  theoretische 
und  praktische  Unzucht  kaserniert  und  jedem  besseren  Einfluß  entzogen. 
Noch  niemals  war  es  bis  jetzt  unseren  Schwestern  möglich,  selbst  nicht  auf 
die  früher  bravsten  und  zutraulichsten  Kinder,  nach  dieser  Zeit  irgendwelchen 
Einfluß  zurückzugewinnen.  Für  gewöhnlich  waren  alle  Beziehungen  später 
wie  abgeschnitten.  Da  dieser  Unsitte  sich  kein  Mädchen  entziehen 
kann,  so  steht  die  Mission  diesen  Hindernissen  jeder  Gesittung  und  Kultur 
machtlos  gegenüber,  solange  nicht  seitens  der  Behörde  einige  entschiedene 
Maßnahmen  ergriffen  werden,  welche  diese  unwürdige  und  für  das 
Familienleben  und  für  die  Zunahme  der  Bevölkerung  folgenschwere 
Unsitte  beseitigen  helfen."  — 

Auf  den  Marschall-Inseln  waren  früher  mit  dem  Eintritt  der  Pubertät 
bei  einer  lläup Hingst ochter  viele  Zeremonien  verbunden:  Alle  Untertauen 
eilten  mit  Speisen,  Matten  und  Blumen  herbei.  Für  das  Mädchen  wurde  nahe 
am  Lagunenstrand  eine  Hütte  aufgeschlagen,  deren  eine  Hälfte  sie,  deren 
andere  eine  Zauberin  und  verschiedene  eigens  gewählte  Frauen  und  Männer 
einnahmen.  Die  Zauberin  träufelte  wohlriechendes  Palmöl  in  ausgehechelte 
Kokosnußfasern  und  rieb  damit  das  Mädchen  ein,  indem  sie  an  der  Spitze  der 
rechten  Hand  begann  und  den  Arm  hinauf  bis  zur  Schulter  rieb.  Dabei 
sprach  sie:  „Dein  Nichtbeliebtsein  schwinde  von  dir,  meine  Tochter:  es  steige 
hinauf  und  bleibe  auf  deiner  Schulter  das  Beliebtsein1);  es  rage  hervor  dein 
Beiz,  dein  Reiz,  o  Maid;  es  mögen  die  Leute  im  Norden  und  Süden  um  die 
Hütte  einherziehen;  sie  mögen  lachen,  laufen.    Einzig  ist  dein  Reiz." 

Nach  der  Salbung  nahm  das  Mädchen  am  Binnen-  oder  Außenstrand  ein  Bad, 
das  sie  während  der  2 — 3  "Wochen  dauernden  Feier  täglich  dreimal  wiederholte, 
und  ebenso  oft  mußten  in  dieser  Zeit  die  Männer,  Frauen,  Knaben  und 
Mädchen  (des  Stammes  ?)  baden  und  sich  mit  wohlriechenden  Substanzen  ein- 
reiben. Auch  durften  sie  nur  dreimal  im  Tage  auf  der  Insel  Gänge  machen, 
wenn  ihre  eigenen  Bedürfnisse  es  verlangten,  oder  wenn  sie  Blumen  holen 
mußten.  Den  Weg  der  Häuptlingstochter  zum  Bad  durfte  sonst  niemand  be- 
treten. Ihre  Haltung  und  ihre  Lage  hatte  sich  Tag  und  Nacht  nach  bestimmten 
Vorschriften  zu  richten.  Die  in  der  anderen  Hälfte  der  Hütte  befindlichen 
Frauen  und  Männer  wanden  den  ganzen  Tag  Blumenkränze  und  parfümierten, 
damit  die  Jungfrau  stets  von  süßen  Düften  umgeben  war.  Dreimal  erneuerte 
man  dem  Mädchen  die  Matten  und  schenkte  die  gebrauchten  der  Zauberin 
und  den  Kranzflechtern.  Zum  Schluß  der  Feier  gab  man  ein  großes  Essen, 
an  dem  alle  Untertanen  teilnahmen.  Von  jetzt  an  durften  die  Eltern  des 
Mädchens,  welche  sich  während  der  Feier  voneinander  enthalten  hatten, 
wieder  zusammenkommen. 

Das  Mädchen  wurde  in  der  ersten  Nacht  der  Feier  von  einem  hohen 
Mitglied  der  Familie,  das  auch  der  eigene  Vater  sein  konnte,  defloriert  und 
konnte  in  jeder  der  folgenden  Nächte  mit  ihm  verkehren.  In  Ermangelung 
eines  ebenbürtigen  Mannes  auf  der  Insel  holte  man  einen  von  einer  anderen  Insel. 

Die  Pubertätsfeier  gewöhnlicher  Mädchen  durfte  nur  im  Kreise  der 
Familie   begangen  werden.     Die  Eltern   mußten  ihre  Töchter  am  Schluß   der 


')  Das   „Weibsein"  scheint  hier  als  ..Beliel  tseiir'  aufgefaßt  zu  werden.     Vgl.  die  Feier 
im  Fetischdorf  Avhegame,  Deutsch-Togo,  §  372. 


742 


Kapitel  LVII.     Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidung. 


Feier  dem  Häuptling  schicken,  der  eine  Verweigerung  strenge  gestraft  hätte.  — 
Auch  die  jetzigen  Häuptlinge  machen  von  diesem  Jus  primae  noctis  Gebrauch 
(Erdland). 

Feierlichkeiten  beim  Eintritt  der  Reife  bei  den  Häuptlingstöchtern  meldete 
Brandeis  auch  von  der  Insel  Nauru. 

Bei    den  Eoro-Papua  in   Britisch-Neuguinea  bildet   das  Pubertätsfest 
heutzutage  den  Abschluß  der  Tätowierung,  welche  dort  vier,  fünf  oder  noch  mehr 
Jahre  in  Anspruch  nimmt.    Missionar  V.  M.  Egidi,  der  mir  dieses  und  folgendes 
mitteilt,  bemerkt  allerdings,  daß  er  selbst  während  seines  Aufenthaltes  bei  den 
Koro  der  obigen  Feier  nie  beigewohnt  habe,  sondern,  was  er  hierüber  wisse,  ver- 
schiedenen   Missionaren    verdanke ; 
auch  kenne  er  die  Einzelheiten  des 
Festes  nicht.  —  Die  Tätowierung 
der    Roro -Mädchen    beginnt,    nach 
Egidi,  wenn  diese  acht  oder  neun 
Jahre  alt  geworden   sind,   und   er- 
streckt sich  über  den  ganzen  Körper. 
Das  Gesicht  kommt  zuletzt  daran, 
d.  h.  wird  vor  Abhaltung  des  Puber- 
tätsfestes  tätowiert.  Der  ganze  Vor- 
gangjbesonders  aber  die  Tätowierung 
dt»s  Gesichtes,  sei  äußerst  schmerz- 
lich.   Zum  Fest  tun  sich  gewöhnlich 
mehrere  Familien  zusammen.  Wenn 
dazu  alles  vorbereitet  ist,  schließt 
man  die  Kandidatinnen  in  Hütten 
ein,    wo   sie,    außer    der    Gesichts- 
tätowierung,   einer     strengen   Ent- 
haltung von  gewissen  Speisen  und 
Getränken     unterworfen      werden. 
Nach  Vernarbung  der  "Wunden 
iiibt    man    an    einem    vereinbarten 
Tag   ein   großes  Essen,    wozu    alle 
verwandten  und  befreundeten  Fami- 
lien  eingeladen    werden.      Vor   der 
Verteilung  deV  Speisen    führt    man 
die  Pubertätskandidatinnen  zum  Ge- 
meindehaus und    läßt  sie  auf  dem 
Dorfplatz    zwei-   oder   dreimal   auf 
und    ab    spazieren,   während    ihnen 
die  ledigen  Burschen,  in  Schußweite 
von  den  älteren  Männern,  Ausdrücke 
ihre    künftigen  Gattinnen    begrüßen. 
Öl  und   rotem  Ocker 
Muscheln,  Eber-  und 
Auch  ihre  Röckchen  sind  heute  schöner  als  gewöhn- 
lich,  und    ein    ähnliches    Kleidungsstück    tragen    sie    über    den    Schultern'), 
letzteres  ist  mit  Kokosöl  getränkt. 

Die  große  Sorgfalt,  welche  diese  Koro  auf  die  Tätowierung  ihrer  Töchter 
verwenden,  findel  wohl  eine  Erklärung  in  der  folgenden  Mitteilung  des  James 
Clialmers  und   des    W.    Wyati  Gil  über  einen  anderen  Papuastamm,   nämlich 


Fig.  4P6.    Papuamädchen   aus   dem   Stamm   Koro, 
Britisch-Neuguinea,  zu  ihrem Pubertätaf est  geschmückt. 

v.  li.  i:  i  H  i'li"t. 


der  Bewunderung  zürnten   und   sie   als 
Die  Reifekandidatinnen  erscheinen  zu  diesem  Fest  mit 
vom   Kopf  bis  zu  den  Füßen  gesalbt,    mit  Sehmuck   aus 
Hundezähnen  überladen. 


')  „Le  Bpalle",  schreibt   Egidi.     Der  Abbildung  (Fig.  485)  nach,   ist  wohl  der  Rüi    i 
ml.      Der   Behang  ist  von  vorn  an  «In,  Seiten,  bzw.  Armen  der  Mädchen  sichtbar. 


§  374.     Pubertätsfeste  des  weiblichen  Geschlechtes.     Malayisch-polynesische  Völker.      743 


die  Hula1).  Diese  tätowieren  ihre  Töchter  möglichst  reichlich  und  geschmack- 
voll, damit  sich  leichter  ein  Gatte  finde. 

Schon  vor  Egidi  hatte  Krieger  die  Vollendung  der  Tätowierung  als  ein 
Reifezeichen  der  Papua-Mädchen  in  Britisch-Neuguinea  erwähnt.  Vorher 
müssen  die  Mädchen  ein  zurückgezogenes  Leben  führen,  d.  h.  sie  dürfen  das 
Haus  nicht  verlassen. 

Das  dauert  bei  gewissen  Stämmen  zwei  Jahre  lang.  Ist  aber  die  Zeit 
der  Erlösung,  d.  h.  das  Pubertätsfest,  gekommen,  wozu  alle  jungen  Männer 
der  Nachbarschaft  geladen  werden,  dann  zeigen  sich  die  tätowierten  Mädchen 
zum  erstenmal  in  ihrer  ganzen  Schönheit,  genießen  an  diesem  Tag  die  größte 
Freiheit  und  dürfen  sich  ihre  zukünftigen  Männer  wählen.  Es  findet  ein 
großes  Essen  mit  darauffolgendem  Tanze  statt. 

In  Kaiser  Wilhelmsland  müssen  die  Reifekandidatinnen  sechs  Wochen 
zu  Hause  bleiben,  worauf  sie  von  Frauen  gebadet,  geschmückt  und  den  feier- 
lich versammelten  Dorfgenossen  vorgestellt 
werden.  Man  schlachtet  ihnen  zu  Ehren  einige 
Schweine  und  bewirtet  die  Frauen.  Die 
Mädchen  selbst  bekommen  von  diesen 
Schweinen  aber  nichts. 

In  Holländisch-Neuguinea  scheinen 
die  Pubertätskandidatinnen  zwar  nicht  völlig 
abgeschlossen  zu  sein;  doch  sollen  sie  mög- 
lichst wenig  ausgehen.  An  der  Humboldt- 
Bai  dürfen  sie,  ohne  passende  Begleitung, 
selten  sich  weit  vom  elterlichen  Haus  ent- 
fernen (Krieger). 

Bei  den  Karesau-Insulanern,  deren 
Beschneidung,  das  Hauptmoment  ihrer  Jüng- 
lingsweihe, in  Kap.  XXXVIII  so  eingehend 
beschrieben  wurde,  gibt  es  auch  eine  Art 
Mädchenweihe  (nedom),  Zeremonien  für  die 
Aufnahme  der  gereiften  Mädchen  in  die 
Reihen  der  Erwachsenen.  Leider  ist  von 
dieser  Feier  nur  folgendes  bekannt:  Die 
Mädchen  gehen  tief  in  den  Wald  zu  einem 
Baum  mit  roter'-)  Rinde.  Kaimer  genannt.  — 
Männer  dürfen  bei  der  Feier  nicht  zugegen 
sein.     Die  Mädchen  verweilen  einige  Tage 

in  zwei  Häusern;  am  Schluß  der  Feier  statten  sie  in  der  Umgegend  Besuch  ab. 
Ein  Verrat  der  Vorgänge  bei  der  Feier  wird  mit  Schlägen  bestraft  (W.  Schmidt. 
nach  Bonifaz-Tamatäi  Prital). 

Ein  Pubertätsfest  für  Mädchen,  bei  welchem  diese  beschenkt  werden. 
hat  Turner  von  den  Polynesiern  auf  den  Tonga-  oder  Freundschafts- 
inseln erwähnt. 

Auf  Samoa  werden  jene  Töchter  der  Häuptlinge,  welche  zu  Taupou 
oder  Dorf  Jungfrauen  ausersehen  sind,  beim  Eintritt  ihrer  Reife  als  solche 
erklärt. 

War  bei  den  Maori  auf  Neuseeland  ein  Mädchen  zur  Jungfrau  heran- 
gewachsen, so  wurde  ihr,  oder  zugleich  mehreren  ihrer  Freundinnen,  eine 
Schaukel  gebaut,  d.  h.  ihr  Vater  befestigte  an  eiuem  schattigen  kühlen  Platz 
ein  Bastseil  an  einem  schrägstehenden  Baum  und  lud  alle  Freunde  und  Ver- 


Fig.     4SÜ. 

nesien. 


«ksi 


P  a  u  m  o  t  u  -  JI  ;i  d  c  h  e  n  ,    P  o  1  y  - 
Im   Museum   für  Völkerkunde    in 
Leipzig. 


*)  Britisch-Xeuguinea  ('/). 
*)  Siehe  Einleitung. 


744  Kapitel  LVII.     Pubertätsfeste  exklusive  Beschneiduug. 

wandten  zur  Schaukel  seiner  Tochter  ein.  Damit  erklärte  er  sie  für  erwachsen. 
Nur  mit  einem  Streifen  topa,  einem  aus  Baumrinde  hergestellten  Kleidungs- 
stoff um  die  Hüfte,  schwang  sie  sich  mit  aufgelöstem  Haar  und  blumen- 
geschmückt auf  und  ab,  und  zog  durch  ihre  Schönheit  und  Gewandtheit 
Jünglinge  zu  ihrem  Vater,  die  sie  zur  Frau  begehrten.  Gvor<i  Lampreckt  in 
Papeete,  der  diese  Mitteilung  machte,  hat  im  Globus1)  den  Gesang  Potikitanas 
in  Übersetzung  veröffentlicht,  den  dieser  auf  seine  Tochter  sang,  als  er  ihr 
eine  Schaukel  dieser  Art  gemacht  hatte,  nachdem  sie  von  andern  zwei  Jung- 
frauen verspottet  worden  und  von  deren  Schaukel  als  noch  nicht  jungfräulich 
zurückgewiesen  worden  war. 

Über  die  Pubertätszeremonien  bei  den  Stämmen  im  inneren  Australien 
s.  Kap.  XXXVIII,  S.  231—233.     Ferner  sei  hier  folgendes  erwähnt: 

In  Nordqueensland,  nordöstliches  Australien,  werden  die  Mädchen 
beim  Eintritt  der  Pubertät  in  einer  Blätterlaube2)  halb  begraben  ( W. E. Roth). 

In  Murray 8)  mußten  sich  zu  Erijes  Zeit  die  Reifekandidatinnen  einer 
höchst  schmerzlichen  Tätowierung  des  Rückens  unterziehen.  Das  Mädchen 
kniete  dazu  nieder  und  legte  den  Kopf  einem  alten  kräftigen  Weib  zwischen 
die  Kniee.  Operateur  war  ein  Mann.  Dieser  schnitt  dem  Mädchen  mit  einem 
Stück  Feuerstein  oder  Muschel  Furchen  in  bestimmten  Zwischenräumen,  von 
der  rechten  zur  linken  Seite,  quer  über  den  Rücken,  bis  dicht  an  die  Schultern. 
Obgleich  die  Qual  den  Kandidatinnen  lange  Schmerzensschreie  auspreßte,  unter- 
zogen sie  sich  ihr  doch  bereitwillig,  weil  ein  gut  gekerbter  Rücken  sehr  be- 
wundert wurde  (Lvhhoclc). 

Das  Ausziehen  der  Zähne  als  Pubertätszeremonie  für  beide  Geschlechter 
im  australischen  Seengebiet  s.  Kap.  LVIII. 

§  375.    Chinesen,  Siamesen  und  Kliiner,  bzw.  Bevölkerung  von  Kambodscha. 

Das  Ghinesenmädclien  wird  zum  Zeichen  seiner  Reife  mit  einer  Haar- 
nadel, dem   Kopfputz  der  Frauen,  geschmückt. 

In  Siam  schert  man  den  Mädchen  beim  Eintritt  der  ersten  Menstruation 
die  Haare.  Manche  feiern  dieses  Ereignis  5 — 6  Tage  lang;  besonders  "hoch 
geht  es  bei  der  Reifefeier  der  königlichen  Prinzessinnen  her  (Robert  Schom- 
burgkY). 

In  Kambodscha5)  ziehen  sich  die  Mädchen  mit  eintretender  Reife 
zurück,  sie  „treten  in  den  Schatten  ein",  und  während  sie  vorher  „Prohmacarey", 
unantastbare  Gattinnen  Prah  Ens  (Indras)  waren,  gelten  sie  jetzt  als  Gattinnen 
Reas  (Ravanas),  und  auch  während  dieser  Zeit  wäre  es  ein  Sakrilegium,  sie 
zu  verführen.  Wenn  sie  aber  aus  ihrer  Zurückgezogenheit  hervortreten,  dann 
werden  sie  Frauen  von  Männern  aus  dem  Menschengeschlecht,  und  nun  gilt 
ihr  Fall  nur  mehr  als  natürliche  Sünde.  Noch  am  Abend  desselben  Tages, 
an  welchem  das  erste  Zeichen  ihrer  Entwicklung  erscheint,  befestigen  die 
Eltern  dem  Mädchen  Baumwollfäden  um  das  Handgelenk  und  bereifen  den 
Ahnen  ein  Opfer  (sam  nen)  aus  Speisen,  Kerzen  und  Räucherwerk.  ..Unsere 
Tochter  wird  mannbar,"  so  künden  sie  ihren  Verstorbenen  das  Ereignis  an, 
..wir  lassen  sie  in  den  Schatten  eintreten;  schenkt  ihr  eure  Gunst."  Ferner 
pflanzen  sie  an  diesem  Tag  eine  Banane  von  der  Sorte  chek  chvea  (auch 
mahatlan  genannt),  deren  Früchte  nur  für  das  betreffende  Mädchen  bestimmt 
sind,  oder  von  ihm  an  die  Bonzen  geschickt  werden. 

')  Bd.  7o.  265 f. 

-i  Vgl.  die  Laubmännchen,  ßegenbräute,  Pfingstquacke  u.  a.  in.  in  vorhergehenden 
Kapiteln,  hauptsächlich  in  Kap.  X.LIII. 

3)  Wolil  Murray-Distrikt,  im  südlichen  Australien  gemeint. 

'i   Mündliche   Mitteilung  an  Ploß  (II.  435). 

r')  Die  Sauptbevölkerung  von  Kambodscha  sind,  nach  Scobel,  die  K  lim  er  oder  K  harn«  n. 


§376.  Pubertätsfeste  d.  w.  Geschlechtes.  Ural-Altaien,  Hjperboräer  (Aleuten)  u.  Indianer.      745 

Das  Mädchen  erhält  für  die  Zeit  seiner  Zurückgezogenheit,  welche,  je 
nach  den  Vermügensverliältnissen  seiner  Eltern,  von  drei  Tagen  bis  auf  mehrere 
Jahre  dauert,  von  den  Eltern  gewisse  Verhaltungsmaßregeln:  „Laß  dich  vor 
keinem  fremden  Manne  sehen:  schau  einen  solchen  selbst  verstohlenerweise 
nicht  an;  nimm,  wie  die  Bonzen,  deine  Nahrung  nur  zwischen  Sonnenaufgang 
und  Mittag;  iß  nur  Eeis,  Salz.  Kokosnuß.  Erbsen,  Sesam  und  Früchte;  ent- 
halte dich  von  Fisch  und  jeglichem  Fleisch.  Bade  dich  nur,  wenn  die  Nacht 
eingetreten  ist,  zu  einer  Stunde,  wenn  man  die  Menschen  nicht  mehr  erkennt, 
damit  du  von  keinem  lebenden  Wesen  gesehen  wirst." 

Im  Dunkel  der  Nacht  darf  das  Mädchen  in  Begleitung  ihrer  Schwestern 
oder  anderer  Verwandten  ausgehen1).  Sonst  arbeitet  es  im  Hause  und  darf 
weder  in  die  Pagode,  noch  sonst  irgendwohin.  Wird  es  aber  dunkel,  dann 
versieht  es  sich  mit  Betel  und  dem  nötigen  Zubehör,  zündet  Lichter  und 
Räucherkerzen  an  und  geht  fort,  um  Rahu,  den  Urheber  der  Finsternis,  an- 
zubeten, auf  daß  es  glücklich  werde.  Dann  kehrt  das  Mädchen  wieder  „in 
den  Schatten"  zurück.  Arme  Leute,  denen  Kerzen  und  Räucherwerke  zu 
teuer  kommen,  begnügen  sich,  ihrer  Tochter  zu  diesem  ,, Opfer"'2)  ihre  besten 
Kleider  anzulegen. 

Zum  endgültigen  Austritt  aus  der  Zurückgezogenheit  wählen  wohlhabende 
Leute  mit  Vorliebe  die  Monate  Januar,  Februar  oder  Mai,  wozu  sie  Bonzen 
kommen  und  beten  lassen,  vor  denen  sich  das  Mädchen  niederwirft.  Auch 
Nachbarn  und  Freunde  werden  zu  diesem  Feste  geladen.  Bei  dieser  Gelegen- 
heit werden  dem  Mädchen  ferner  bisweilen  gleich  die  Zähne  gefärbt,  statt, 
wie  es  regelmäßig  ist,  bis  zur  Hochzeit  zu  warten3). 

§  376.     Ural-Altaieu,  Hyperboräer  (Aleuteii)  und  Indianer. 

Die  Burjatinnen  waschen  und  baden  sich  vom  Eintritt  der  ersten 
Menstruation  zeitlebens  nicht  mehr  (X.  J.  Kaschi7i)i). 

Die  Tatarin  im  russischen  Gouvernement  Astrachan  verfertigt  ihrer 
Tochter,  wenn  diese  12  oder  13  Jahre  alt  geworden  ist,  eine  Kopfumhüllung, 
welche  bis  über  die  Kniee  herabhängt  und  lange  Ärmel  hat.  Ohne  diese  Ver- 
hüllung darf  sich  das  Mädchen  von  nun  an  nie  mehr  in  der  Öffentlichkeit  zeigen. 
Nur  innerhalb  des  Hauses  kann  sie  sie  ablegen  (Alfred  Christoph). 

Bei  den  Lappen  darf  das  weibliche  Geschlecht  vom  Eintritt  der  ersten 
Menstruation  an  nicht  mehr  den  hinter  dem  Elternhaus  gelegenen,  dem  Tor  und 
der  Sonne  geheiligten  Platz  betreten;  auch  jene  heiligen  Berge  und  Gebiete 
überhaupt,  auf  denen  die  religiösen  Denkzeichen  der  Storjunctare  errichtet 
sind,  müssen  die  reifen  Mädchen  und  die  (verheirateten)  Weiber  meiden 
(Scheffer). 

Die  Renn tier-Samo jeden  räuchern  die  Menstruierenden  mit  ver- 
branntem"1) Renntierhaar  und  mit  Castoreum  (Bibergeil).    Ferner  schließen  sie 

')  Die  Erlaubnis  zu  diesen  nächtlichen  Ausgängen  steht  allem  Anscheine  nach  mit  der  oben 
folgenden  Verehrung  des  Urhebers  der  Nacht  in  enger  Beziehung.  Sollte  dieser  ., Rahu" 
mit  „Rea",  dem  Gatten  der  Pubertätskandidatin,  identisch  sein?  —  Diese  Umhüllung  mit 
Dunkelheit  erinnert  auch  an  gewisse  Menstruationsbräuche  bei  den  oben  folgenden  Tataren , 
Lappen,  Samojeden  und  einer  Reihe  von  Indianervölkern.  Vielleicht  hängt  ferner  die 
lebenslängliche  Enthaltung  der  Burjatinnen  von  Bädern  und  Waschungen  mit  einem  ähnlichen 
Gedanken  zusammen  (siehe  §  389). 

2)  Worin  das  obige  Opfer  besteht,  ist  mir  unklar. 

3)  (Anonymus  im)  Globus,  Bd.  48,  S.   109 f. 

4)  Bei  Ploß  II,  435. 

5)  Wohl  ..verbrennendem-'.  Der  Ranch  als  Mittel  zur  Vertreibung  von  Dämonen  und 
ähnlichen  Wesen  ist  uns  aus  früheren  Kapiteln  bekannt.  In  neuester  Zeit  wird  Rauch  (und 
Feuer)  aber  nicht  nur  als  Mittel  zur  Vertreibung  böser  Geister,  sondern  auch  als  Opfer 
in  den  Blitz  und  den  Donner  (die  „Donnervögel")  interpretiert.  So  bei  den  Dakotahs. 
Siehe    Weygohl  im  Archiv  f.  Anthropologie,  N.  F.  XI  (1912),  S.  145 ff. 


740  Kapitel  LVII.     Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidung. 

sie  von  einem  Teil  des  Zeltraumes  aus  und  halten  ihre  Nähe  während  der 
Jagd  auf  edles  Wild  für  nachteilig  (Pallas)1). 

Über  die  hier  einschlägigen  Auffassungen  und  Bräuche  der  Aleuten- 
Insulaner  s.  w.  u. 

Die  Koluschen  oder  Thlinkit-Indianer  in  Alaska  sondern  ihre 
Töchter  beim  Eintritt  der  ersten  Menstruation  als  „unrein"  in  abgelegenen 
Hütten  ab.  Früher  dauerte  diese  Isolierung  ein  Jahr,  in  der  zweiten  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts  nur  noch  drei  Monate.  Außer  der  Mutter  und  einer 
Dienerin,  welche  die  Speisen  zuträgt,  darf  niemand  ein  solches  Mädchen  be- 
suchen. Am  Abschluß  der  Isolierung  durchbohrt  man  ihm  die  untere  Lippe 
und  steckt  das  Zeichen  der  Reifheit,  einen  Silberstift,  hinein  (Müller). 

Statt  dieses  Stiftes  wird  dem  gleichfalls  abgesonderten  Koljuschen-Mädchen 
an  der  Küste  derBering-Straße  zur  Zeit  ihrer  ersten  Menstruation  einHolzklotz 
(Kaljuga)  in  die  Unterlippe  eingefügt.  Cl.  Erman  berichtet  hierüber  Folgendes: 
Außerhalb  des  Dorfes  stand  eine  Reihe  6 — 8  Fuß  hoher  Hütten  oder  Käfige, 
nur  mit  einem  vergitterten  Lichtloch  versehen.  In  jedem  dieser  Ställe  befand 
sich  ein  Mädchen;  eines  davon  zeigte  sein  Gesicht,  welches  mit  Ruß  und  Kohle 
beschmiert  war.  Man  erfuhr,  daß  diese  Mädchen  eben  menstruierten.  Ver- 
heiratete und  Unverheiratete  werden  dieser  Behandlung  in  ganz  gleicher 
Weise  unterworfen2).  Wenjaminow *)  berichtete,  daß  die  erste  Einsperrung 
dieser  Art,  welche  ein  Mädchen  erlebte,  nach  altem  Gebrauch  auch  hier  ein 
Jahr  dauerte,  und  daß  die  Durckschneidung~der  Unterlippe  und  das  mit  dieser 
verbundene  Fest  unmittelbar  auf  die  Isolierung  folgten.  Bei  den  Sitka, 
einem  Zweig  der  Kolju sehen,  sei  diese  Zeit  zwar  auf  3—6  Monate  herunter- 
gesetzt, die  sonstigen  Bräuche  aber  beibehalten  worden.  So  werde  namentlich 
der  Menstruierenden  eine  Art  Hut  mit  sehr  langer  Krempe  aufgesetzt,  damit 
sie  nicht  durch  ihre  Blicke  den  Himmel  verunreinige. 

Jede  spätere  Einsperrung  für  die  menstruierenden  Koljuschen-Mädchen  soll 
nur  drei  Tage  dauern  und  ebenso  lange  die  gewöhnliche  Einsperrung  der  Frauen. 
vor  deren  unheilvoller  Nähe  die  menschliche  Gesellschaft  nach  jeder  Menstruation 
noch  außerdem  zehn  Tage  lang  in  der  besagten  Weise  geschützt  wird. 

Die  gleichen  Vorsichtsmaßregeln,  wie  bei  den  Sitka,  wurden  auf  den 
Aleuten-Inseln  beobachtet;  nur  die  Dauer  der  Absperrung  scheint  ver- 
schieden gewesen  zu  sein.  Der  Einfluß  des  Christentunis  habe  hier  mit  dieser 
Absonderung  überhaupt  aufgeräumt. 

Bei  den  Ttynai  (zirka  65°  Breite,  200°  ö.  L.)  sah  Sagoskin  die  gleiche 
Sitte  im  Jahre  1842.  Er  schrieb:  In  dem  Wohnorte  Kadichljakakat  be- 
fanden sich  nur  zwei  Frauen:  Eine  alte  und  eine  jüngere;  die  Männer  waren 
zur  Jagd  gegangen.  Die  jüngere  Frau  war  in  der  Menstruation  begriffen  und 
deshalb  mit  schwarz  bemaltem  Gesichte  unter  einer  ledernen  Zeltdecke  ein- 
gesperrt. 

Ebenso  werden  die  Töchter  der  weiter  südlich  lebenden  Nutka  mit 
Eintritt  ihrer  Reife  mehrere  Tage  eingesperrt.  Außerdem  müssen  sie  sieh 
jeder  Nahrung  enthalten;  nur  Wasser  ist  gestattet.  Sie  dürfen  ferner  weder 
die  Sonne,  noch  ein  Feuer  sehen.  Dauernde  Schande  würde  die  Folge  einer 
Übertretung  dieser  Gebote  sein  (Baneroft). 

Pabertätskostüm  und  Pubertätsschmuck  der  Nntka-Mädchen  auf 
Vancouver-Island  zeigen  uns  die  Abbildungen  487,  488  und  489. 


')   Bei  Floß  11.  485. 

B  such    von    Männern    während    dieser    Zeil    eilt    als    schwere    Sünde.    —    Nach 
Mosaischem  Gesetz   war  bekanntlich    jeder,   der   bei   einer   Menstruierenden   schlief,  sieben 
unrein  (3.  Mose  15.  24). 
3)  Bei  Floß  II.   in 


§376.  Pubertätsfeste  d.w.  Geschlechtes.  Ural-  Altaien,  flyperboräer  (Aleuten)  u.  Indianer.      747 


Moriee  teilt  von  den  Dene  (Tinneh)  mit,  daß  Mädchen  zur  Zeit  ihrer 
Pubertät  jungen  Männern  ein  bis  zwei  Querstriche  auf  die  Vorderarme  oder 
auf  die  Beine,  direkt  über  den  Fußknöcheln,  eintätowierten.  Das  sollte  vor- 
zeitige Schwäche  verhindern. 

Der  südlichste  Zweig  der  Dene,  die  Apache,  feiern  den  Eintritt  der  Reife 
bei  ihren  Töchtern  als  ein  sehr  wichtiges  Familienfest,  an  welchem  alle 
Familienglieder  teilnehmen  (./.  A.  Spring). 

Wenn  bei  den  Delaware  ein  Mädchen  zum  ersten  Male  menstruierte,  so 
brachte  man  es  in  eine  Hütte  außerhalb 
des  Dorfes,  verhüllte  ihm  zwölf  Tage  lang 
den  Kopf,  damit  es  niemand  sehen  konnte, 
ließ  es  wenig  essen,  nichts  arbeiten,  und 
traktierte  es  mit  Brechmitteln.  Dann 
wurde  es  gewaschen,  neu  gekleidet  und 
nach  weiteren  zwei  einsam  zugebrachten 
Monaten   für    mannbar    erklärt   (Waitz). 

Eine  Pubertätszeremonie  war  nach 
Waites  Vermutung  auch  die  5 — «wöchent- 
liche Absonderung  der  nord-karolinischen 
Indianerjugend  beider  Geschlechter  in 
dunklen  Häusern,  wo  sie  hart  fasten 
mußten,  „angeblich,  um  sie  gehorsam  zu 
machen  uud  abzuhärten".  Über  den 
„Lebenstraum"  der  männlichen  Pubertäts- 
kandidaten s.  f.  K. 

Bei  den  heutigen  Maskoki-Indi- 
anern beginnt  nach  Owen  die  Vorbereitung 
der  Mädchen  für  die  Zeit  ihrer  Reife 
mit  dem  siebenten  Lebensjahr.  Schon 
in  diesem  Alter  legt  man  ihnen  gewisse 
Fasttage  auf  und  sucht  sie  an  Hitze  und 
Kälte  zu  gewöhnen.  Um  sie  mutig  zu 
machen,  schickt  man  sie  nachts  fort  und 
gibt  ihnen  zu  ihrem  Schutz  nur  die 
..Medizin" *)  ihrer  Mutter  und  ihren 
eigenen  Talisman  mit.  Hat  das  Mädchen 
sein  12.  oder  14.  Jahr  erreicht2),  dann 
baut  seine  Mutter  eine  Hütte,  in  welcher 
die  Reifekandidatin  mit  einem  alten  Weib 
eine  Woche  zubringen  muß.  Das  Weib 
hat  dafür  zu  sorgen,  daß  das  Mädchen 
nicht  hinausgeht  und  sehr  wenig  ißt  und 

trinkt.  Sie  hängt  ihr  auch  täglich  eiuen  vom  Medizinmann  gekauften  neuen 
Fetisch  um  und  singt  ihr,  solange  beide  wach  sind,  ein  Gebet  nach  dem  andern 
vor.  Nach  Ablauf  der  Woche  erhält  die  Alte  eine  Wolldecke  oder  ein  Pony 
als  Lohn  für  ihre  Dienste.  Das  Mädchen  wird  aus  ihrer  Hütte  herausgeführt, 
gewaschen,  neu  gekleidet  und  bewirtet.  Zu  diesem  Esseu  werden  alle  Ver- 
wandten beider  Geschlechter  geladen.  Das  Mädchen  setzt  zuerst  den  Männern  Topf 
um  Topf  vor,  ohne  von  ihnen  etwas  anderes  zu  hören,  als  ein  Grunzen,  zum 
Zeichen,   daß  sie  es  annehmen :;).     Weitere  Aufmerksamkeit  schenken  sie  ihr 

')  Ein  zauberki'äftiges  Mittel. 

2J  Das  8.  oder  9.  Jahr  ist  Ausnahme. 

3)  Owen  bemerkt  bei  dieser  Gelegenheit,  daß  die  Männer  nur  bei  Festlichkeiten  zuerst 
speisen. 


F;g.  -1S7.    Kostüm,  welches  die  Nutka-Mädrken 
auf  Yancouver-Island  liei  ihrer  ersten  Men- 
struation zu  tragen  haben.    K.  Museum  für  Völker- 
kunde in  Berlin. 


748 


Kapitel  LVII.     Pubertätsfeste  exklusive  Besehtieidung. 


nicht.  Hingegen  machen  ilir  die  eingeladenen  Weiber  und  Mädchen  kleine 
Geschenke.  Haben  die  Männer  gegessen,  dann  setzt  sie  sieh  auf  die  ihr  nachts 
als  Lager,  tagsüber  als  Tisch  dienende  Plattform  und  nimmt  mit  ihren  weib- 
lichen Verwandten  ihre  Mahlzeit  ein. 

Bei  den  Söhnen  oder  Töchtern  reicher  Väter  besteht  das  Festmahl  bei 
solchen  Gelegenheiten  in  einem  gerösteten  Hund,  einer  Suppe  aus  Truthahn, 
Hahn,  Ochsen-  und  Schweinefleisch,  Bohnen,  Kartoffeln  und  Mais:  aus  Kuchen  von 
Talg;  und  gemahlenen  Kirschensteinen  samt  dem  Fleisch  der  Frucht:  ans  Ahorn- 


fc'ig.  488.    Schmuck  aus  Zederbast,    Perlen   und  Muscheln,  welchen  die  Nutka-Mädchen  auf  Vancouver- 

Island  bei  ihrer  Pubertätsfeier  tragen.    Er  wird  ihnen  paarweise  in  das  über  den  Nacken  fallende  Haar 

geflochten.  —  Sammler  Jacobsen.    K.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 


Zucker,  Weizen-  und  Maisbrot,  Nüssen,  gedörrten  Pflaumen  und  einem  mit  <  »chsen- 
galle  vermischten  Zucker wasser. 

Nachdem  iMahlcschleirht  jedes,  in  seine  1  »eckegehüllt,  ohne  Abschied  davon.  — 
Härtere  Aufgaben  haben  jene  Mädchen,  welche  von  ihren  Eltern  zu 
Medizin-Weibern  (Zauberinnen)  bestimmt  sind.  Ihnen  zu  Ehren  werden  aber 
auch  heilige  Tänze  aufgeführt,  und  für  jeden  dieser  Tänze  darf  sich  das 
Mädchen  einen  roten  Tupfen  ins  Gesicht  machen,  ein  überreicher  Lohn  nach 
ihrer  Auffassung  (vgl.  Kapitel  III,  4).  Diese  Tupfen  sichern  ihr  die  Hoch- 
achtung- ihrer  Eltern  und  Altersgenossinnen  und  der  ganzen  Klasse  der 
Medizinmänner  für  die  jungen  Jahre  und  für  das  Alter  zu. 

Fühlt  das  Hupa-.Mädchen  in  Kalifornien  den  Zeitpunkt  seiner  Reife 
herannahen,  dann  muß  es,  wo  immer  es  sich  aufhalte,  den  elterlichen  Wigwam 


§  376.  Pubertätsfeste  d.  w.-Geschlechtes.   Ural-Altaien,  Hyperboräer  (Aleuten)  u.  Indianer.      749 


aufsuchen.     Bliebe  die  Tochter  iu   dieser  Zeit  fern,    so  gelte  sie  fortan   als 
Ausgestoßene,  als  Fremde. 

Die  2.  Auflage  enthielt  eine  hier  einschlägige  Sage  der  Hupa,  welche 
diese  Auffassung  illustriert.  Sie  lautet:  Nisli-Fang,  ein  Hupa-Hädchen,  hatte 
die  Heimat  ihres  Vaters  verlassen  und  lebte  bei  einer  weißen  Familie  am 
Eed  River.  Als  Nish-Fang  den  Zeitpunkt  kommen  fühlte,  welcher  in  der 
Heimat  festlich  begangen  wird,  fastete  sie  drei  Tage,  und  am  Morgen  des 
vierten  wanderte  sie  in  Begleitung  von  Hupa-Mädchen.  die  sie  abholten,  dem 
heimatlichen  Tale  zu.  Eine  lange,  mühselige  Wanderung  über  felsige  Berg- 
ketten, durch  tiefe,  zerklüftete  Talschluchten  und  wilde  einsame  Wälder  hatte 
sie  vor  sich.  Während  der  ganzen  Reise,  die  sechs  Tage  in  Anspruch  nahm, 
durfte  kein  Mann  ihr  Antlitz  sehen; 
wenn  daher  einer  in  ihre  Nähe  kam. 
bedeckte  sie  sich  das  Gesicht  mit  den 
Händen.  Der  Mann,  welcher  gewaltsam 
ihr  Gesicht  enthüllt  hätte,  wäre  sofort 
dem  Tode  verfallen.  So  wanderte  Nish- 
Fang.  nur  von  Wasser  und  Wurzeln 
lebend,  über  brennende  Felsen,  deren 
Pfade  nur  das  Maultier  erklimmt;  sie 
stieg  hinab  in  die  tiefen  Stromtäler;  sie 
schritt  durch  die  Wälder.  Alssieschw  ach 
und  müde  wurde,  stützten  sie  ihre  Ge- 
fährtinnen. Schon  war  die  Höhe  der 
zweiten  Bergkette  erreicht,  von  wo  ein 
silberheller  Quell  zum  Heimatstal  fließt. 
Hier  rasteten  die  Mädchen  bei  der  Quelle 
und  erfrischten  sich  durch  das  kühle 
Wasser.  Als  sie  von  hier  wieder  auf- 
brachen und  vor  sich  die  wilden  Rosen 
sahen  und  die  flüsternden  Blätter  des 
Manzanita,  da  war  Nish-Fangs  Kraft 
erschöpft,  und  sie  sank,  mit  den  Händen 
über  den  Augen,  ohnmächtig  auf  den 
Moosgrund.  Da  hoben  die  Gefährtinnen 
sie  auf  und  trugen  sie  in  das  sonnige 
Trinity-Tal  hinab,  wo  sie  im  Schatten 
dünnblättriger  Eichen  erwachte,  und  die 
Hupa  um  sie  her  den  Jungferntanz  (Kin- 
Alktha)  aufführten,  und  die  alten  Chor- 
gesänge in  ihr  Ohr  tönten.  Der  Älteste 
des  Stammes  nahm  sie  bei  der  Hand,  und  Nish-Fang,  das  Mädchen,  wurde  unter 
die  Weiber  des  Stammes  aufgenommen  (Elcho,  nach   Powers). 

Dieser  „Kin-Alktha"  oder  Jungferntanz  ist  ein  langes  Fest.  An  neun 
Abenden  kommen  die  Männer  zu  diesem  Tanze  zusammen.  Die  Frauen  nehmen 
nur  insofern  Anteil  an  demselben,  als  sie  ihn  mit  ihrem  Gesang  begleiten. 
Das  Mädchen  darf  unterdes  kein  Fleisch  essen  und  sich  vor  keinem  Manne 
sehen  lassen.  In  der  zehnten  Nacht  versteckt  es  sich  in  einem  Winkel  der 
Hütte.  Es  kommen  dann  zwei  junge  Männer  und  zwei  alte  Weiber  aus  ihrer 
Verwandtschaft,  um  die  Jungfrau  zu  suchen  und  hervorzuholen.  Die  jungen 
Burschen  stülpen  sich  eine  Maske1)  aus  Leder  und  Schilf  auf  den  Kopf,  der 
an  den  Seelöwen  erinnert,  und  nehmen  das  Mädchen  in  ihre  Mitte;  rechts  und 


Fig.    4S9.      Kopfring,    welchen    die   Mädchen    der 
Klamat  h-Indi  auer  bei  ihrer  ersten  Menstruation 
tragen.  —  Sammler  Farrer.    K.  Museum  für  Völker- 
kunde iu  Berlin. 


])  Über  die  Bedeutung   der  Masken  siehe  Sj  309. 


751)  Kapitel  LVII.     Pubertätsfeste  exklusive  Besehneidung. 

links  von  ihnen  stellen  sich  die  alten  Weiber  auf.  So  treten  die  Fünf  unter 
die  Versammlung.  Das  Mädchen  schreitet  zehnmal  vorwärts  und  rückwärts, 
erhebt  die  Hände  zu  den  Schultern  und  singt.  Das  letzte  Vorwärtsschreiten 
endigt  mit  einem  Hochsprung.  Darauf  begrüßt  die  Versammlung  die  Jungfrau 
durch  laute  Zurufe,  und  die  Zeremonie  ist  beendigt. 

Auch  die  Wintun-Indianer,  ein  anderer  kalifornischer  Stamm,  ver- 
anstalten, wenn  ein  Mädchen  in  das  Alter  der  Mannbarkeit  (12.— 14.  Lebens- 
jahr) eintritt,  einen  großen  Reifetanz,  zu  welchem  die  Bewohner  aller  umliegen- 
den Dörfer  eingeladen  werden.  Das  Mädchen  hat  sich  für  das  Fest  in  der 
Weise  vorzubereiten,  daß  es  sich  drei  Tage  vorher  jeder  animalischen  Nahrung 
enthält  und  nur  von  Eichelbrei  lebt.  Während  dieser  Fastenzeit  ist  sie  aus 
dem  Lager  verbannt  und  hat.  allein,  in  einer  entfernten  Hütte  zu  leben.  Todes- 
strafe wird  über  den  verhängt,  der  sie  während  dieser  Zeit  berührt,  oder 
es  nur  wagt,  sich  ihr  zu  nähern.  Nach  Ablauf  der  drei  Tage  nimmt  sie  eine 
„geweihte"  Suppe  zu  sich,  die  von  den  Früchten  der  „buckeye  California"1) 
in  folgender  Weise  bereitet  wird:  Die  Früchte  werden  erst  eine  geraume  Zeil 
unterirdisch  geröstet,  um  das  Gift  auszuziehen;  dann  kocht  man  sie  mittels 
heißer  Steine  in  einem  Sandloch.  Durch  das  Verzehren  dieser  Masse  macht 
sich  das  Mädchen  würdig,  an  dem  bevorstehenden  Tanze  teilzunehmen  und 
die  Pflichten  eines  Weibes  zu  übernehmen.  —  Indessen  erscheinen  nach 
und  nach  die  eingeladenen  Stämme.  Sobald  eine  Ortschaft,  oder  die  Deputa- 
tion einer  solchen,  auf  dem  Gipfel  eines  Hügels  erscheint,  stellt  sie  sich  in 
einer  langen  Reihe  auf  und  tanzt  den  Hügel  hinunter  und  um  den  Lager- 
platz, indem  sie  feurige,  sinnliche  Lieder  dazu  singt.  Wenn  alles  versammelt 
ist,  was  2 — 3  Tage  in  Anspruch  nimmt,  dann  vereinigt  man  sich  zu  dem 
großen  Tanze,  der  eigentlich  nicht  ein  Tanz,  sondern  ein  Rundgang  um  das 
Dorf  ist,  zu  welchem  ununterbrochen  im  Chor  gesungen  wird.  —  Zum  Schluß 
nimmt  der  Häuptling  das  Mädchen  bei  der  Hand  und  tanzt  mit  ihm  die  ganze 
Reihe  entlang,  während  die  Gäste  improvisierte  Gesänge  anstimmen.  Solche 
Gesänge  haben  keine  feste  Form,  sondern  wechseln  mit  der  Veranlassung,  für 
welche  sie  gedichtet  sind;  doch  hält  alles  den  Takt  genau  ein.  Die  Über- 
setzung eines  solchen  Gesanges  lautet  in  der  2.  Auflage: 

..Du  bist  kein  Mädchen  mehr  (wiederholt  sich) 
Der  Häuptling,  der  Häuptling  (wiederholt  sich; 

Ehret  dich 
In   dem  Tanz,  in   dem   Tänz- 
ln der  langen  und  doppelten  Linie 

Des   Tanzes. 
Tiiuz,  Tanz,   Tanz.  Tanz."  — 

Nicht  immer  sind  aber  die  Gesänge  so  unschuldig  und  keusch,  wie  der 
vorstehende,  sondern  so  obscön  werden  sie  manchmal,  daß  eine  Publikation 
derselben  unmöglich  sein  würde,  wie  Ploß  mit  einem  Hinweis  auf  Stephen 
Powers  schrieb.  Das  weibliche  Geschlecht  jedoch  drücke  keine  ankeuschen 
Gefühle  uns. 

An  der  Landenge  von  Darien  durften  die  Töchter  der  Indianer  beim 
Eintritt  ihrer  Reife  das  Haus  nicht  verlassen,  noch  sich  einem  Fremden  zeigen 
{Lionel    Wafer). 

Feste  beim  Eintritt  der  weiblichen  Reife  erwähnte  Waita  von  den 
Tschibtschas  (Chibchas),  „fälschlich"  *)  auch  Muiscas  oder  Mozcas  genannt. 
•lic  in   Neu-Granada,  besonders  in    liogota  und  Tanja,  lebten. 

Die  Reifefeier  der  Mädchen  bei  den  Arrawak  in  Surinam  beschrieb 
i '.  van   Coli:  Sobald  die  Zeichen  der  Reife  erscheinen,  wird  das  Mädchen  von 


')  So  bei    Ploß  11     13  I 
•',  Nach  Scobel 


§  37ti.  Pubertätsfeste  d.  w.  Geschlechtes.   ITral-Altaien,  Hyperboräer  (Aleuten)  u.  Indianer.      7öl 

allem  Verkehr  abgesondert.  Man  baut  ihr  innerhalb  des  Hauses  ihrer  Mutter 
eine  zwei  Meter  lange  und  breite  Hütte  aus  Palmblättern,  wo  sie  drei  Wochen 
lang  mit  ihrer  Mutter  in  strengster  Abgeschlossenheit  leben  muß.  Nach  Ab- 
lauf dieser  Zeit  ist  ihr  bisweilen  eine  Unterredung  mit  anderen  gestattet. 
Mit  der  genannten  Abgeschlossenheit  ist  eine  Art  geistiger  Exerzitien  ver- 
bunden, insofern  die  Mutter  den  Tag  mit  einer  ernsten  Mahnung  beginnt,  die 
Tochter  möge  nicht  hochmütigen  Sinnes  werden,  sondern  jedem  Höherstellenden, 
besonders  ihrem  zukünftigen  Manne,  demütig  gehorchen.  Und  wie  der  Tag 
begonnen,  so  schließt  er,  d.  h.  vor  dem  Schlafengehen  wiederholt  die  Mutter 
ihre  Ermahnung.  Der  Tag  selbst  wird  mit  Arbeit  ausgefüllt.  Das  Härteste 
für  das  Mädchen  ist  in  dieser  Zeit  eine  strenge  Diät,  da  sie  nur  etwas  Ge- 
flügel, ein  Stückchen  Manihotbrot  und  dreimal  am  Tage,  zu  bestimmten  Stunden, 
etwas  AVasser  genießen  darf.  Eine  Übertretung  dieser  Vorschriften  hätte  zur 
Folge,  daß  später  die  monatliche  Eeinigimg  je  eine  ganze  Woche  dauern 
würde,  während  sie  bei  pünktlicher  Beobachtung  mit  einem  oder  zwei  Tagen 
vorüber  sei.  Und  nicht  genug  damit,  würde  die  der  Übertretung  Beschuldigte 
aus  ihrer  Gemeinde  ausgestoßen  und  vom  göttlichen  Strafgericht  ereilt  werden.  — 
Nach  dreiwöchentlicher  strenger  Abgeschlossenheit  folgt  ein  Fest,  zu  welchem 
alle  Dörflinge,  auch  entfernt  lebende  Bekannte,  geladen  werden.  In  Gegen- 
wart der  Gäste  wiederholt  die  Mutter  ihre  oben  erwähnten  Mahnungen  in 
ernstem  Tone,  worauf  die  geschmückte  Tochter  eine  Stunde  lang,  von  8  bis 
9  Uhr  früh,  im  ganzen  Dorfe  auf  einem  Tragsessel  herumgetragen  wird.  Das 
Fest  dauert  bis  nachmittags  vier  Uhr. 

Damit  schließt  der  erste  Teil  der  Reifezeremonien  ab.  Nun  beginnt 
der  zweite:  Das  Mädchen  muß  einen  weiteren  Monat  lang  zurückgezogen 
leben,  doch  ist  ihr  jetzt  erlaubt,  Besuche  anzunehmen  und  auch  mit  ihnen  zu 
sprechen.  Auch  die  Diät  ist  insofern  gemildert,  als  das  Mädchen  kleines 
Ketfügel  und  Fischschwänze  (?)  essen  darf.  Nach  Verlauf  dieses  Monats  gilt 
die  Jugend  des  Mädchens  als  gesetzmäßig  abgeschlossen.  Doch  muß  sie  das 
ganze  folgende  Jahr  in  Unterwürfigkeit  zubringen.  Nach  Ablauf  desselben 
stellt  sich  ein  Freier  ein. 

In  Britisch-Guayana  kündigen  die  Warrau-lndianer  die  Reife  ihrer 
Töchter  dadurch  an,  daß  man  diese  ihrer  langen  Haare  beraubt.  Dann  folgt 
ein  Tanz,  wobei  das  Mädchen  mit  Perlen  und  weißen  Daunen  verschiedener 
Vögel  geschmückt  erscheint.  Die  Daunen  sind  mit  einer  Gummilösung  an 
dem  glattgeschorenen  Kopf,  au  den  Armen  und  Schenkeln  befestigt1). 

Die  Macusi,  gleichfalls  in  Britisch-Guayana,  sondern  das  zum  ersten 
Male  menstruierende  Mädchen  als  „unrein"  von  allem  Umgang  mit  den  Be- 
wohnern der  Hütte  ab.  Die  Hängematte  des  Mädchens  wird  „in  die  äußerste 
Kuppelspitze"  der  Hütte  gehängt,  wo  die  Ärmste  dem  ganzen  Rauche,  der 
jetzt  womöglich  noch  vermehrt  wird,  ausgesetzt  ist.  In  den  ersten  Tagen 
darf  sie  während  des  Tages  die  Hängematte  nicht  verlassen.  Nachts  aber 
muß  sie  herunter  kommen,  sich  an  ein  selbst  angezündetes  Feuer  setzen  und 
die  Nacht  an  diesem  zubringen;  sonst  bekommt  sie  eine  Menge  schlimmer 
Geschwüre  am  Halse,  einen  Kropf  usw.  So  lange  die  heftigsten  und  auf- 
fallenden Symptome  des  physischen  Übergangs  anhalten,  bleibt  sie  dem 
strengsten  Fasten  unterworfen.  Haben  die  Schmerzen  nachgelassen,  dann  darf  sie 
aus  der  Höhe  herabsteigen  und  einen  kleinen  Verschlag  beziehen,  der  unter- 
dessen in  dem  dunkelsten  Winkel  der  Hütte  gemacht  worden  ist.  Am  Morgen 
kann    sie    sich    in   einem    eigenen   Topfe,   an   einem   besonderen  Feuer,  ihren 


')  Diese  Daunen  sind  wohl  gleichbedeutend  mit  Flaum,  der  bei  mehreren  nordameri- 
kanischen  Stämmen  das  Bild  des  Lebens  ist  (siehe  Weygoldt  im  Archiv  f.  Anthropol.  JJ.  F.  XJ, 
S.  150).    Siehe  auch  den  weißen  Flaum  auf  den  Köpfen  australischer  Küsten  stamme  in  §  380. 


752  Kapitel  LVII.     Pubertätsfeste  exklusive  BeschneiduDg. 

Kassavebrei  kochen,  der  während  der  ganzen  Absonderungszeit  ihre  einzige 
Nahrung  bildet,  bis  etwa  nach  10  Tagen  der  Piay  (Zauberer.  Arzt)  erscheint 
und  sie  und  alles,  womit  sie  in  Berührung  kam.  entzaubert,  indem  er  das 
Mädchen  und  die  wertvolleren  Sachen  anbläst.  Die  von  ihr  gebrauchten 
Töpfe  und  Trinkschalen  werden  zertrümmert,  die  Scherben  begraben.  —  Noch 
aber  wartet  des  Mädchens  eine  schmerzhafte  Probe.  Nach  der  Rückkehr  aus 
dem  ersten  Bade  muß  es  sich  während  der  Nacht  auf  einen  Steiu  oder  Stuhl 
stellen,  wo  es  von  der  Mutter  mit  dünnen  Ruten  gegeißelt  wird,  „ohne  einen 
Schmerzenslaut  ausstoßen  zu  dürfen,  der  die  Schläfer  in  der  Hütte  aufwecken 
könnte,  was  ihr  künftiges  Wohl  gefährden  würde".  —  Bei  der  zweiten  Periode 
findet  diese  Geißelung  abermals  statt,  später  nicht  mehr.  —  Das  Mädchen 
kann  jetzt  wieder  unter  den  anderen  Leuten  erscheinen,  ist  rein,  und,  wenn  es 
bereits  versprochen  sein  sollte,  erscheint  am  folgenden  Tage  der  Bräutigam 
in  der  Hütte  und  führt  die  junge  Braut  heim. 

Noch  qualvoller  war,  was  ehemals  andere  Karaiben-Stämme  in 
Britisch-Guayana  über  die  Pubertätskandidatinnen  verhängten.  Dem  Mädchen 
wurden  zuerst  die  Haare  abgebrannt,  dann  wurde  es  auf  eine  Steinplatte 
geführt,  wo  ihm  der  Zauberer  mit  den  Nagezähnen  des  Dasyprocta1)  zwei 
tiefe  Einschnitte  längs  des  Rückens  und  von  Schulter  zu  Schulter2)  machte, 
die  er  mit  Pfeffer  einrieb,  ohne  daß  die  Gequälte  sich  eine  Schmerzens- 
äußerung  gestatten  durfte3).  Nach  dieser  Operation  wurde  sie,  mit  an  den 
Körper  gebundenen  Armen,  in  die  Hängematte  gelegt,  und  ihr  ein  Amulet  aus 
Zähnen  umgehangen.  Nachdem  sie  da  drei  Tage,  ohne  Speise  und  Trank, 
und  ohne  ein  Wort  sprechen  zu  dürfen,  gelegen  hatte,  wurde  sie  auf  die  erwähnte 
Steinplatte  getragen,  wobei  die  Füße  aber  die  Erde  nicht  berühren  durften4). 
Dann  band  man  ihr  die  Arme  los  und  brachte  das  Mädchen  wieder  in  die 
Hängematte,  in  der  sie  nun  einen  Monat  zubringen  mußte,  ohne  etwas  anderes 
zu  sich  zu  nehmen,  als  ungekochte  Wurzeln,  Kassavebrot  und  Wasser.  Am 
Ende  des  Monats  wiederholten  sich  die  geschilderten  Operationen,  und  ersi 
nach  Ablauf  des  dritten  Monats  war  die  Prüfung  überstanden  (ßchomburglc). 

Die  Goajiros,  ein  arrawakischer  Stamm  auf  der  nördlichen  Halbinsel 
von  Columbia,  schließen  ihre  Pubertätskandidatinnen  2 — 5  Monate  in  je  eine 
kleine  Hütte  ein,  vermauern  (?)  die  Türe  und  lassen  nur  ein  altes  Weib  mit 
dem  .Mädchen,  durch  das  Fenster,  verkehren.  —  Nach  der  Dauer  der  Klausur 
(coiimii  richtet  sich  die  Höhe  des  Kaufpreises  (Reyel). 

Mit  großen  Festlichkeiten  feiern  die  Conibos  am  Ucayale  in  Peru  die 
Pubertät  ihrer  Töchter.  Man  spielt  bei  diesem  Fest  („cuenianabiqui")  auf 
neuen  Flöten,  und  es  ist  ausnahmsweise  erlaubt,  daß  Weiber  und  Männer 
miteinander  tanzen.  Neben  der  fünflöcherigen  Flöte  erschallt  die  Trommel. 
Die  Kandidatinnen  müssen  sich  toll  und  voll  trinken,  sich  einen  Tag  und  eine 
Nacht  vnn  alten  Weibern  im  Tanz  drehen  lassen,  bis  sie  wie  tut  nieder- 
sinken [Marcoy). 

Die  Ticunas  bei  San  Paulo  de  Olivenza  am  Amazonas,  nordwestliches 
Brasilien,  hängen  ihre  Töchter,  wenn  die  ersten  Zeichen  der  Reife  auftreten, 
unter  das  Hüttendach,  wo  sich  der  Rauchfang  befindet. 

Den  gleichen  Brauch  haben  die  Maues  (Mauhe)  am  Amazonas  und  die 
Collina.  Bates  habe  von  einem  Fall  gehört,  in  welchem  das  Mädchen  infolge 
dieser  Mißhandlung  starb5). 


\  _".ti.  ein  Nagetier. 

i  Kreuz? 
Siehe  die  gleiche  Marter  der  Männer  in  der  Couvade  der  Karaiben,  Kap.   VII. 
*)   Vgl.  die   Pubertätskandidatinnen  der   Bafiote  an  der  Loango-Küste  (Jj  .-17^). 

B       eh         ,  oder  dii    Dunkelheit,  oder  die  Isolierung,  oder  ob  all 
tuen  mystische  Bedeutung  hat?     Vgl,  frühere  Anmerkungen  und  §  3H9. 


§  376.  Pubertätsfeste  d.  w.  (^schlechtes.  Ural-Altaieu,  Hyperboräer  i  Aleuteni  u.  Indianer.      753 

Koch-Grimberg  beobachtete  am  Icaua  und  Caiary-Uaupes,  Nebenflüsse 
des  Eio  Negro,  daß  die  Pubertätszeremonien  bei  Mädcheu  mit  Abschneiden 
der  Haare  und  mit  dunkelblauer1)  Bemalung-  des  Rückens  eingeleitet  wurden, 
was  die  Mutter  oder  ein  altes  Weib  übernahm.  Die  Handlung  wurde  im 
Hause  der  Kandidatin  vorgenommen,  wo  sich  auch  ihre  Freundinnen  ver- 
sammelt hatten,  die  zum  Schluß  je  eine  Haarlocke  als  Kopfschmuck  erhielten. 
Die  neue  Jungfrau  mußte  sich  während  der  folgenden  vier  Wochen  mit 
Maniok.  Pfeffer,  Maniuara-Ameisen  und  Maniok-Wasser  begnügen.  Manche 
Stämme  erlaubten  indessen  auch  den  Genuß  kleiner  Fische.  Aber  große  Fische 
und  warmblütige  Tiere  waren  ausnahmslos  verboten.  Nach  Beendigung  der 
Fasten  zählte  der  Vater  des  .Mädchens  vor  Sonnenaufgang-  die  Namen  der 
Früchte  und  Tiere,  welche  das  Mädchen  nun  wieder  essen  durfte,  in  einem 
langen  eintönigen  Gesang  auf.  Dann  badete  sie  sich  und  stillte  ihren  Hunger 
mit  verschiedeneu  Arten  von  Fisch,  Fleisch  und  Geflügel,  welches  man  ihr  in 
einem  Topfe  vorstellte.     Ein  Trinkgelage  schloß  die  Feier. 

Floß  schrieb  von  den  Uaupes  (Waupes)  in  der  zweiten  Auflage'-):  Die 
Mädchen  werden  bei  Eintritt  der  Pubertät  auf  eine  kärgliche  Kost  beschränkt 
und  im  oberen  Teile  der  Hütte  zurückgehalten,  wo  sie  eine  Emanzipations- 
prüfung durch  schwere  Streiche  mit  schmiegsamen  Ranken  zu  überstehen 
haben.  Sie  empfangen  von  jedem  Familiengliede  und  Freunde3)  mehrere 
Hiebe  über  den  ganzen,  nackten  Leib,  oft  bis  zur  Ohnmacht,  ja  bis  zum  Tode. 
Diese  Exekution  wird  in  sechsstündigen  Zwischenräumen  viermal  wiederholt, 
während  sich  die  Angehörigen  dem  reichlichen  Genüsse  von  Speisen  und 
Getränken  überlassen,  die  zu  Prüfende  aber  nur  an  den  in  die  Schüsseln 
getauchten  Züchtigungsinstrumenten  lecken  darf.  Hat  sie  die  Prüfung  über- 
standen, so  darf  sie  alles  essen  und  wird  als  mannbar  erklärt. 

Einwickeln,  Verwundung  der  Haut  und  Bemalen  der  Pubertätskandida- 
tinnen teilte  Floß4)  von  den  Manäos5)  und  ihren  Stammverwandten,  sowie 
von  den  Tamayos  in  Südbrasilien  mit. 

Im  östlichen  Ecuador  fastet  die  angehende  Jungfrau  monatelang  in  ihrer 
Hängematte  im  oberen  Kaum  der  Hütte. 

Die  Toba,  Zweige  der  Guaicurustämme  im  Grau  Chaco,  feiern  den 
Eintritt  der  Reife,  bei  einer  Häuptlingstochter  mit  Schmausereien,  die  bisweilen 
zwei  bis  drei  Wocheu  dauern  sollen.  Der  ganze  Stamm  nimmt  an  dem  Fest 
teil.  Im  Laufe  des  folgenden  Jahres  muß  die  Jungfrau  einen  der  Festteilnehmer 
heiraten,  den  ihr  ihre  Eltern  auswählen  (Koeh-Grüriberg). 

Festlich  begehen  diese  Zeit  auch  die  Kadiuevo,  ein  anderer  Zweig  der 
Guaicuru,  im  westlichen  Brasilien.  Das  Mädchen  muß  sich  während  dieser 
Zeit  gewisser  Speisen  enthalten.  Früher  war  bei  diesem  Stamm  der  Eintritt 
der  Reife  auch  der  Zeitmoment,  in  welchem  das  weibliche  Geschlecht  unter 
gewissen  Feierlichkeiten  mit  einem  Dorne  tätowiert  wurde. 

Das  Muster  bestand  aus  kleinen  Quadraten  auf  Wangen  und  Kinu,  auf 
der  Stirn  in  Linien  von  der  Haargrenze  bis  zu  den  Augenbrauen.  Die 
heutigen  Kadiuevo  haben  das  Tätowieren  ganz  aufgegeben  {Koch-Grünberg). 

Absonderung  der  Pubertätskandidatinnen  von  ihren  Eltern,  Geschwistern 
und  Stammgenossen  erwähnte  Burmeister  von  den  Coroados  (Puri)  im  süd- 


*)  Bei  den  Käua  traf  Koch-Grünberg  ein  Mädchen,  das  zum  Zeichen  ihrer  ersten  Men- 
struation den  Kücken  mit  schwarzer  Farbe  überstrichen  hatte.  Die  Haare  waren  kurz 
geschnitten  (Zwei  Jahre  I.  111). 

2)  II,  427. 

3)  Schon  der  Umstand,  daß  jedes  Familienmitglied  und  jeder  Freund  die 
PubertätskaDdidatin  peitscht,  weist  eher  auf  die  Bedeutung  der  Geißelung  als  Fruchtbar- 
keitsritus hin.  als  auf  eine  Mutprobe.     Näheres  siehe  §  369. 

*)  Ebenda. 

6)  Zwischen  Rio  Negro  und  Solimoes. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  48 


754  Kapitel  LVJ.I.     Pubertätsfeste  exklusive  BesohneiduDg. 

östlichen  Brasilien.  Die  Mädchen  sollen  hier  die  Zeit  ihrer  ersten  Menstruation 
in  einem  Behälter  (casca)  aus  Baumrinde  zubringen.  Nachher  dürfen  sie 
heiraten. 

Bei  den  Earaja  am  Schingu  und  Araguaya  wird  beiden  Geschlechtern 
mit  Eintritt  der  Pubertät  auf  jede  Wange  ein  Kreis,  das  Stammeszeichen, 
eingeschnitten.  Andere  Zeremonien  scheinen  hier  nicht  stattzufinden  (Koch- 
Grwnberg  und  Fritz  Krause). 

Bei  den  Tapuya.  einem  Zweig  der  Ges  an  der  brasilianischen  Ostküste, 
fand  Johann  Rabe  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  folgenden  Brauch:  Die 
Mutter  meldete  die  eingetretene  Reife  ihrer  Tochter  den  Priestern,  die  das 
Ereignis  dem  Häuptling  hinterbrachten.  Hierauf  führte  man  diesem  das  rot 
angestrichene  Mädchen  mit  bekränztem  Haupte  vor.  Der  Häuptling  b  e r  ä acher te 
sie  und  sich  selbst  mit  Tabak  und  schoß  einen  Pfeil  nach  dem  Kranze1)  ab. 
Traf  er  so,  daß  Blut  floß,  dann  leckte  er  dieses  ab.  und  das  Mädchen  hatte 
Hoffnung  auf  ein  langes  Leben  (Dapper). 

Von  den  Indianern  am  La  Plata  teilte  Antonio  liids  mit,  daß  man  die 
zum  erstenmal  Menstruierende  in  ihre  Hängematte  so  einnähte,  daß  nur  am 
Mund  eine  kleine  Öffnung  zum  Atemholen  blieb. 

In  Paraguay  pflegen  sich  einige  Frauenzimmer  zur  Zeit  der  Reife  zu 
tätowieren,  schrieb  Ploß2).  Bei  dem  darauffolgenden  Fest  berauschen  sich 
die  Männer  mit  Branntwein  oder  Chicha. 

Die  Charuas  und  Minuanes  malen  den  Reifekandidatinnen  drei  blaue 
Streifen  von  der  Stirne  zur  Nasenspitze,  "zwei  andere  senkrecht  über  die 
Schläfen. 

Ähnlich  verfahreu  die  Payaguas  (von  Azara). 

Tätowierung  der  Pubertätskandidatinnen  erwähnte  ferner  Dobrizhoffer 
von  den  jetzt  ausgestorbenen  Abiponern,  einem  Zweig  der  Guaicuru8). 

Bei  den  Tehttelchen  (Patagonen)  am  Rio  Chico  wohnte  Mus/er* 
der  Feier  der  ersten  Menstruation  eines  Mädchens  bei.  Es  wurde  ein  Fest- 
zelt, aufgeschlagen  und  mit  anbrechender  Dämmerung  ein  Feuer  angefacht, 
um  das  sich  Männer,  Knaben  und  Weiber  getrennt  im  Kreise  lagerten.  Hierauf 
führten  die  Männer  und  Knaben  zu  je  vieren  Tänze  auf.  und  zwar  in  der  Reihen- 
folge, daß  die  Häuptlinge  zuerst  und  die  Knaben  zuletzt  daran  kamen.  Die 
Häuptlinge  waren  in  wollenen  Decken  erschienen,  warfen  diese  aber  beim 
Beginn  eines  rascheren  Tempos  ab  und  zeigten  sich  nun  mit  weißbeschmiertem 
Körper.  Gurte  voller  Glöckchen  liefen  ihnen  von  den  Schultern  zu  den  Höften 
hinunter.  Auf  dem  Kopf  trugen  sie  Federschmuck  und  in  der  Hand  zeitweilig 
ein  Bündel  Binsen.  Der  Tanz,  an  dem  kein  Weib  teilnehmen  durfte,  dauerte 
bis  gegen  neun  Uhr  abends,  worauf  man  zur  Ruhe  ging.  —  Auch  Pferdeopfer 
erwähnte  Musters  von  der  Pubertätsfeier  der  Patagonen. 


')  Über  die  vermutliche  Bedeutung  dieser  drei  Zeremonien  siehe  frühere  Annieil. 
und  §  3(39. 

2)  II,  429,  uach  Detnersay. 

3)  Zwei  andere  Zweige  dieser  Yolkergruppe,  die  Toba  und  Kadiuevo,  s.  S.  7.">.-i. 


Kapitel  LVIII. 

Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidung  (Fortsetzung 

und  Schluß}. 

Pubertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 

§  377.     Indo-Eiiropäer. 

Wenn  im  alten  Indien  der  Sohn  des  Arja  jenes  Alter  erreicht  hatte, 
mit  welchem  seine  „Lehrjahre" l)  begannen,  dann  rasierte  man  ihm  den  Kopf. 
Später,  d.h.  im  16.— 18.  Lebensjahr-),  fand  die  zeremonielle  Bartschur,  Goda- 
navidhi,  statt,  bei  welcher  (nach  Avesta  6,  68)  gewisse  Formeln  gesprochen 
wurden.  Ploß'3)  zitierte  daraus  die  folgende:  „Savitar,  der  kam  herbei  mit 
dem  Barbiermesser;  mit  heißem  Wasser  tritt  heran,  o  Vayu;  die  Adita,  Rudra, 
Yasu  sollte  ihn  (den  Bart)  scheren:  einträchtig  scherte  König  Somas  Bart, 
einsichtsvoll!" 

Auch  im  alten  Griechenland  fand  mit  dem  Eintritt  in  das  Epheben- 
alter  die  erste  Bartschur  statt,  welche  feierlich  vollzogen  wurde4). 

Diese  Zeremonie  erhielt,  nach  A.  Franz,  in  der  orientalischen  christ- 
lichen Kirche  eine  religiöse  Weihe.  Der  Jüngling  empfing,  indem  er  den 
Bartschmuck  zum  Teil  ablegte,  den  Segen  der  Kirche  für  weiteres  Gedeihen 
zum  vollen  männlichen  Alter.  Die  dabei  verrichteten  Gebete  waren  eine 
Umschreibung  des  Psalmes  1336). 

Auch  bei  den  Römern  war,  nach  Franz,  die  depositio  barbae  eine  Zeremonie 
beim  Eintritt  in  das  Mannesalter.  Das  abgeschnittene  Barthaar  wurde  der  Fortuna 
Barbata,  oder  anderen  Göttern  geweiht,  Die  Feier  kam  wahrscheinlich  aus 
Griechenland,  und  zwar  in  der  Kaiserzeit.  Man  bezeichnete  den  Akt  mit 
dem  Ausdruck  „barbatoriam  facere".  Die  Sitte  wurde  volkstümlich  und  ging 
dann  auch  hier  auf  die  Christen  über. 

Diese  weihten  die  Bartfiocken  einem  Heiligen.  Als  Beispiel  führt  Franz 
den  hl.  Paulinus  von  Nola  an,  der  sich  seinen  ersten  Bart  am  Grabe  des  hl. 
Felix  abschnitt  und  ihn  diesem  opferte.  In  der  mittelalterlichen  Kirche  gab 
es  eigene  Gebete,    welche    bei    der    Bartschur    von    dem   Priester    verrichtet 


')  Vgl.  S.  474  d.  B. 

2)  Ploß  (II.  448)  bezeichnet  diese  Zeit  als  Eintritt  der  Mannbarkeit  und  als  die  der 
Verheiratung  des  Jünglings  direkt  vorangehende  Zeit  (vgl.  die  Kinderheiraten  im  neuzeitlichen 
Indien  in  Kap.  LVI). 

3)  Ebenda.     Xach  H.  Zimmer,  Altindisches  Leben,  222. 

*)  Kpheben,  „Mannbare",  hießen  die  Athener  im  Alter  von  18 — 20  Jahren.  Die  Epheben 
wurden  als  bürgerlich  mündig  erklärt  und  leisteten  im  Tempel  der  Aglauros  in  Athen  den  Fahnen- 
und  Bürgereid.  An  den  Volksversammlungen  durften  sie  aber  noch  nicht  teilnehmen.  — 
Das  Abschneiden  und  Opfern  der  Kopfhaare  im  Ephebenalter  siehe  S.  66  d.  B.,  die  spar- 
tanische Geißelung  auf  S.  756. 

*)  S.  f.  S.,  Anm.  1. 

48* 


756  Kapitel  LVIII.     Pubertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 

wurden,  der  in  Spanien  die  Schur  selbst  vornahm,  oder,  wie  andernorts,  nur 
assistierte  und  den  kirchlichen  Segen  erteilte.  Eines  dieser  Gebete  lautet 
nach  Franz:  „Omnipotens  sempiterne  deus,  benedic  hanc  t'anmlum  tuum  illiun. 
qui  tibi  primitias  suae  ofEert  iuuentutis.  Effunde,  domine.  benedictionem  tuam. 
in  caput  barbamque  eius  transeat.  sicut  in  barbam  Aaron ').  ut  in  eadem 
benedictione  in  uia  mandatorum  tuorum  ambulet  et  cum  eadem  ad  summam 
senectutem  perueniat2)."  —  Nach  dem  Liber  Ordinum  von  Silos  habe  der  Priester 
bei  der  Bartschur,  welche  am  Schluß  der  Messe  unter  Antiphonengesang  statt- 
fand, nach  langen  Gebeten  die  Spitzen  des  Schnurr-  und  Kinnbartes  mit 
Wachs  von  einer  geweihten  Kerze  gefaßt,  sie  durch  einen  goldenen  Ring  ge- 
zogen  und  dann  abgeschnitten. 

Aus  dem  alten  Sparta  erwähnt  II.  Schürte  den  Brauch  des  Peitschens, 
und  zwar  soll  dieses  hier  zuweilen  so  ausgiebig  geschehen  sein,  daß  der 
Betroffene  daran  starb.  —  Geißelungen  am  Altar  der  Artemis  sind  schon 
auf  S.  410  d.  B.  erwähnt  worden.  Die  dort  ausgesprochene  Vermutung 
Wachsmuts,  daß  diese  später  (?)  als  Abhärtungsmitte]  aufgefaßte  Geißelung 
ursprünglich  religiösen  Charakter  trug  und  vielleicht  ehemalige  Ofenscheuopfer 
vertrat,  dürfte  im  Hinblick  auf  die  Geißelung  bei  den  Pubertätsfesten  so 
vieler  Völker  wohl  dahin  modifiziert  werden,  daß  sie  eben  auch  hier  ein 
Kultakt  im  Dienste  der  apotheosierten  Fruchtbarkeit  war  (siehe  Einleitung, 
§  369). 

Eine  ältere  Pubertätszeremonie,  als  die  Bartschur,  war  in  Koni  das 
feierliche  Anlegen  der  Toga  virilis.  Diese  Feier,  tirocinium,  fand,  nach  Böttiger*), 
in  der  ältesten  Zeit  wahrscheinlich  im  16.,  später  im  15.  Lebensjahre  statt, 
wenn  der  Vater  des  Jünglings  diesen  üblichen  Termin  nicht  hinausschob,  was 
gestattet  war4).  Der  für  die  Feier  bestimmte  Tag  waren  die  Liberalia,  der 
16.  März.  Da  wurde  im  Hause  den  Laren  geopfert,  wo  der  Knabe  seine 
Bulla  und  die  übrigen  Insignia  puerilia  (Zeichen  seiner  Knabenschaft)  ablegte. 
Er  trug  dabei  die  Tunica  recta  oder  regilla.  Die  ihm  angelegte  Toga  virilis 
hieß,  auch  Toga  pura  oder  libera.  Dann  zog  mau  mit  Freunden  zum  Forum, 
opferte  auf  dem  Käpitol,  und  nunmehr  konnte  der  Jüngling  in  das  öffentliche 
Leben  eintreten. 

Die  Fähigkeit  zum  Kriegsdienst  erlangte  der  Römer  mit  dem  17.  Jahre, 
während  der  Germane  durch  die  Jünglingsweihe  auch  schon  in  das  Heer 
aufgenommen  wurde,  wie  in  neuester  Zeit  (1910)  Richard  M.  Meyer  schreibt. 
Ploß  hatte  hierüber  folgendes  ausgeführt6): 

Unsere  Vorfahren,  die  Germanen,  übergaben  den  herangewachsenen,  reifen 
Jünglingen  als  Zeichen  der  Manneswürde  die  Waffen,  die  sie  von  da  an  auch 
fort  und  fort  zu  tragen  berechtigt  waren;  denn  die  Germanen  verhandelten, 
wie  Tut  Uns  berichtet,  keine  Sache,  weder  eine  öffentliche  noch  private,  anders 
als  in  Wehr  und  Wallen.  Selche  aber  durfte  keiner  anlegen,  bevor  nichl  die 
Gemeinde  ihn  für  wehrhaft  erklärt  hatte:  „Dann  schmückt  in  öffentlicher 
Versammlung  entweder  ein  Häuptling,  oder  der  Vater,  oder  ein  Verwandter 
den  Jüngling  mit  Schild  und  Frame8):  das  ist  ihre  Toga,  das  der  Jugend 
erste  Ehrenstufe,  bis  dahin  war  er  Glied  des  Hauses;  nunmehr  gehörl  er  zu 
den    Wehrhaften." 


i  Pa  L33,  2:  „Siehe:  wie  schön  und  wie  lieblich  ist's,  daß  Brüder  beieinander  wohnen! 
Wie  das  kostbarste  Salböl  auf  dem  Haupte,  das  herabfließt  auf  den  Hart,  den  Hart  Aarons, 
der  berabhängl   bis  auf  den  Saum  seiner  Kleider." 

Franz  zitiert  hier,  unter  anderem,   .Manual  Ambros.   II.  497. 
3)  Bei  Ploß  II,  447. 

4 1   Nach  Ploß.    ebenda,    bestimmte  Justitium    das    14.  Jahr   als   (gesetzlich   geltenden) 
rmin,   nachdem   dieser  in   der   Kaiserzeit   viel   umstritten   worden   war. 
8)    II.  448 f. 
6j  Ein  langschäftiger  Speer,  Bauptwaffe  der  alten  Germanen. 


§  378.     Semiten  und  Bannten.  757 

Zeremonielle  Schur  des  Kopfhaars  und  des  Bartes  berichtete  Tacitus 
von  den  Chatten,  welche  hier  aber  nicht,  wie  bei  den  Indern,  Griechen, 
Römern  und  christlichen  Völkern  des  Morgen-  und  Abendlandes,  mit  Eintritt 
der  Eeife  stattfand.  Im  Gegenteil  ließ  dieser  germanische  Stamm  Bart  und 
Haupthaar  mit  dem  Eintritt  der  Reife  wachsen.  Hatten  sie  dann  einen  Feind 
erschlagen,  so  legten  sie  diesen  der  Tapferkeit  geweihten  Schmuck  ihres 
Antlitzes  ab '). 

Ein  bestimmtes  Alter  für  die  Erkläruug  der  Wehrhaftigkeit  gab  es,  nach 
(nimm,  bei  den  Germanen  nicht,  sondern  man  wählte  den  Zeitpunkt  je  nach 
der  Körperkraft  des  Kandidaten.  In  den  „Weisthümern"  heiße  es,  „daß 
Alles,  was  Spieß  und  Stangen  tragen  mag2),  Heerfolge  thun  muß".  Der  mündige 
Bauernjunge  trug  einen  Stab,  der  oben  und  unten  mit  Ring  und  Stachel  ver- 
sehen war. 

Die  "Wehrhaftmachung  der  alten  Germanen  lebte  im  12.  und  13.  Jahr- 
hundert mit  dem  Ritterschlag  (Swertleite)3),  allerdings  bedeutend  modifiziert, 
wieder  auf.  Bekanntlich  ward  dieser  Ritterschlag  aber  nur  einem  bevor- 
zugten Teil  der  Bevölkerung  zuteil. 

Einen  Überrest  vermutlicher  Jünglingsprüfungen  unter  den  Germanen 
glaubte  PJoß  in  dem  folgenden  Brauch  der  Angelsachsen  in  Altengland 
zu  sehen:  Man  setzte  die  Knaben  auf  das  abschüssige  Hausdach.  Hielten  sie 
sich  ohne  abzurutschen,  dann  galten  sie  als  kräftig  und  mutig  (S.  Forsyth). 

§  378.     Semiten  und  Hauiiteu. 

Bei  den  Juden  trägt  die  Pubertätsfeier  vor  allem  einen  religiösen 
Charakter,  d.h.  man  legt  dem  ] 3jährigen  Knaben  die  Gebetriemen  (Jephillin) 
an.  Es  sind  das  Pergamentkapseln  an  Lederriemen,  welche  der  über  13  Jahre 
alte  Israelite  beim  Gebet  an  der  Stirn  und  am  linken  Arm  trägt.  In  den 
Kapseln  sind  Pergamentstreifen  mit  den  Stellen  2.  Mos.  13,  3 — 10  und  11—16; 
5.  Mos.  ö,  5 — 9  und  11.  13 — 21,  als  Hauptinhalt  des  Gesetzes.  Schon  zu  Jesu 
Zeit  trugen  die  Juden  diese  Pergamentstreifen,  bei  Matth.  23,  5  als  tpuXax-T,pia 
erwähnt,  an  der  Stirn  und  am  linken  Arm,  als  symbolische  Ausführung  von 
5.  Mos.  6,  8,  bzw.  2.  Mos.  13.  9  und  10:  „Und  es  sei  dir  ein  Zeichen  auf 
deiner  Hand,  und  ein  Denkband  zwischen  deinen  Augen,  damit  das  Gesetz 
Jehovas  in  deinem  Munde  sei;  denn  mit  starker  Hand  hat  Jehova  dich  aus 
Ägypten  geführt." 

Von  der  ersten  feierlichen  Anlegung  dieser  Tephillin  an  ist  der  junge 
Israelit  ein  Mitglied  der  Gemeinde,  speziell  auch,  wie  Kaindl  über  diese 
Zeremonie  bei  den  Juden  der  Bukowina  bemerkt,  ein  vollgültiges  Mitglied 
der  mindestens  aus  1<>  Männern  bestehenden  Betgemeinde,  welche  in  der 
Synagoge  gegenwärtig  sein  muß,  um  die  vorgeschriebenen  gemeinsamen  Gebete 
verrichten  zu  können.  Von  jetzt  an  wird  der  Knabe  auch  zur  Thora  gerufen, 
d.  h.  er  muß  bei  den  Gebetsübungen  den  entsprechenden  Abschnitt  aus  dem 
Gesetz  vorlesen.  —  In  der  Bukowina,  und  wohl  auch  andernorts,  fällt  die 
Zeit  der  Anlegung  der  Gebetriemen  mit  der  Entlassung  des  Knaben  aus  der 
Schule  zusammen,  und  man  veranstaltet  für  jene  Zeremonie  ein  Fest,  an 
welchem  der  Lehrer  den  Kuaben  über  das  Anlegen  der  Riemen  (und  wohl 
vor   allem   über  die  Bedeutung  dieser)   unterweist.     Vou  jetzt  an  gilt  der 


')  Vgl.  die  Bedeutung  der  Haaj'schur  bzw.  das  Haar  als  Symbol  des  Lebens  bei  einer 
Keine  von  Völkern  in  Kap.  XXXV,  sowie  meinen  Erklärungsversuch  betreffs  gewisser  Völker 
in  §  369. 

9)  Das  Mögen  ist  hier  wohl  als  Können   aufzufassen. 

3i  Schwertübernahme.  Wie  die  Wehrhaftmachung  der  alten  Germanen,  so  verlieh  die 
Schwertübernahme  im  (romantischen)  Rittertum  die  Mündigkeit. 


758 


Kapitel  LV1I1.     Piibertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 


junge  Israelite  für  seine  Handlungen  als  selbstverantwortlich,  während  bisher 
sein  Vater  die  Verantwortung  trug,  wie  Weisseriberg  schreibt,  indem  er  die 
erwähnte  Zeremonie  als  Mannbarkeitserklärung  im  religiösen  Sinne 
von  den  südrussischen  Juden  erwähnt.  Hier  bereitet  oft  der  „Rebe"  den 
Kandidaten  zu  einem  Vortrag  vor,  welcher  am  Abend  des  Festtages  gehalten 
wird.  Ein  Schmaus  und  eine  Beschenkung  des  nun  zum 
Mann  Erklärten  bilden  den  Abschluß  der  Feier '  i. 

In  Futä  Djallon,  französischer  Sudan,  geben 
die  Fulbe,  der  südwestlichste  Zweig  der  hamitischen 
Völkerfamilie,  ihren  mannbar  gewordenen  Söhnen  das 
Hüftkleid.  Diese  Zeremonie  findet  einen  Monat  nach 
der  Beschneidung  statt.  Von  jetzt  an  gelten  die 
jungen  Leute  für  kämpf-  und  heiratsfähig  (H.  Schwte),  — 


i 


§  379.     Sudan-  und  Bantuvölker,  Auin-Busclileute. 

Die  Donga  in  Kamerun  tätowieren  ihre  jungen 
Burschen  im  Pubertätsalter  mit  einer  spitzen  Eisen- 
nadel, wobei  ein  Gemisch  von  Kohle  und  Farbstoff 
zur  Anwendung  gebracht  wird  (Sans  Ziemann). 

1  »aß  in  Y au ndttv  Kamerun,  das  Sexuelle  eine  Rolle 
bei  der  Mannbarkeitserklärung  spielt,  geht  aus  Ab- 
bildung 4!iD  hervor'-'). 

Als  symbolische  Darstellung  des  Übergangs  vom 
„Jüngling  zum  .Mann-  führte  Ploßs)  die  folgenden 
Zeremonien  an,  welche  Oskar  Lenz  im  Jahre  1876  bei 
den  westafrikanischen  Ok  an  de -Negern  beobachtete: 
Junge  „Künstler",  in  zwei  feindlichen  Parteien  von 
je  Lud  Köpfen,  führten  einen  Scheinkampf  auf.  Zwischen 
ihnen  und  den  Zuschauern  waren  30  junge  Burschen 
aufgestellt.  Nach  der  Beendigung  des  Kampfes  um- 
ringte ein  Teil  der  Krieger  jene  dreißig  Neophyten, 
packte  sie  an  Händen  und  Armen  und  schleppte  sie 
in  den  Wald,  wo  sich  die  dreißig  mit  Laubwerk 
schmückten4)  und  Gesicht  und  Oberkörper  schwärzten. 
Dann  wurden  sie  in  den  Kreis  der  Krieger  auf- 
genommen. —  Eingeborne  sagten  Lenz,  diese  Neuauf- 
genommenen hätten  nie  zuvor  einen  derartigen  „Kriegs- 
tanz und  die  darauf  bezüglichen  religiösen  Zeremonien" 
gesehen. 

Bei  den  Fjort  im  französischen  Kongo  lassen 
reiche  Leute  zur  Pubertätsfeier  ihrer  Söhne  nach  der 
Bescbneidung  einen  Tanz  aufführen  (Dennef). 
Ovambo,  Mambukuschu,  Barutse,  Batoka  und 
Maschukulumbwe  linden  zur  Pubertätszeit  Zahnfeilung  und  Zahnansbrechen 
für  beide  Geschlechter  statt.     Mit  diesen  Operationen  ist  eine  religiöse  P'eier 


Fig.  490.  Penisfutteral  aus 
^  ii  ii  n  il  •• ,  k  B  in  i'  r  il  n  ,  wah- 
rend der  Mannbarkeitserklä- 
rung getragen.  Im  Museum 
fiir  Völkerkunde  in  Leipzig. 


Bei   den   Herero, 


'i  Die  Beschneidung  bei  musclmanischeD  Völkern  semitischer  und  anderer  Kassen 
um  die  Zeil  des  Reifeeintritts  siehe  Kap.  XXXVIII. 

■'i  Vgl.  die  Initiationszeremonien  der  Bambara.  Kap.  XLVIII;  ferner  die  der 
Schilluk,  Go Iah,  Vau  und  Uendi  (für  beide  Geschlechter)  in  Kap.  LYII. 

3i  II.  140.  —  I'hß  meinir  wohl  den  Übergang  muh  Knaben-  zum  llannesalter,  da 
er  ä  Sei ien  in  seinem  Kapitel  „Abschluß  der  Kinderjahre-'  anführt. 

'i  Vgl.  das  in  früheren  Kapiteln  über  den  Baumkult  Gesagte,  z.  B.  in  den  Kap.  XXW  [II, 
XI. II  und  XI. III:  auch  Kap.  III   u.  a. 


§  379.     Sudan-  und  Bantuvölker,  Auin-Buschleute.  759 

verbunden.     Die  durch  die  Operation  entstandenen  Zahnlücken  und  zugefeilten 
Zähne  gelten  als  Stammeszeichen,  wie  Siegfried  Passarge  bemerkt. 

Plo/s1)  beschrieb  eine  als  „Seccho"  bezeichnete  Zeremonie,  unter  welcher 
bei  mehreren  Kaffernstämmen  die  Knaben  um  ihre  Reifezeit  herum  unter 
die  Männer  aufgenommen  werden,  wie  folgt:  Die  zirka  14jährigen  Burschen 
werden  in  einer  Reihe  aufgestellt;  jeder  hat  ein  Paar  Sandalen  in  den  Händen; 
die  älteren  Leute,  mit  langen  Ruten  oder  Gerten  bewaffnet,  stellen  sich  vor 
ihnen  auf.  bzw.  schwingen  die  Ruten  springend  und  tanzend.  „Willst  du  den 
Häuptling  schützen?"  fragen  die  Tänzer  eiuen  Knaben.  „Ich  will,"  antwortet 
dieser  und  erhält  gleich  darauf  Rutenhiebe,  gegen  die  er  sich  mit  seinen,  als 
Schild  gebrauchten,  Sandalen  zu  schützen  sucht,  die  ihm  aber  doch  blutige 
Streifen  auf  dem  Rücken  zurücklassen.  Er  springt  grinsend  umher,  darf  sich 
aber  nicht  zurückziehen.  .Dann  folgt  die  zweite  Frage:  „Willst  du  das  Vieh 
hüten?"  —  ...Ja."  —  Und  abermals  fallen  Rutenhiebe  auf  seinen  Rücken 
nieder.  —  Nach  Überstehung  dieser  Probe  fühlt  sich  der  junge  Kaffer  als 
Mann  und  gilt  als  solcher;  ohne  sie  würde  er  nie  von  einem  KaiTernmädchen 
geliebt  werden. 

Bei  deu  Betschuanen'-')  fand  Livingstone  das  ..Boguera",  eine  Ein- 
richtung, welche  die  männliche  Jugend  beim  Herannahen  ihrer  Reife  durch 
eine  strenge  Disziplin  an  die  Familie  des  Häuptlings  fesseln  soll.  Man 
bestimmt  die  Knaben  im  Alter  von  10 — 15  Jahren  zu  Lebensgefährten  der 
Häuptlingssöhne.  Zunächst  haben  sie  sich  an  einem  bestimmten  Ort  im 
Walde  zu  versammeln,  wo  ihnen  Unterkunftshütten  errichtet  werden.  Dann 
kommt  ein  alter  Mann,  ihr  Lehrer,  der  sie  im  Tanzen  und  in  der  Politik 
und  Verwaltung  ihres  Landes  unterweist8).  Jeder  Kandidat  muß  eine  Lob- 
rede auf  sich  ausdenken  und  halten.  Dazu  sei  ein  guter  Teil  Schläge  nötig. 
Wenigstens  kommen  die  Knaben  mit  zahlreichen  Narben  auf  dem  Rücken 
aus  ihrer  Abgeschiedenheit  zurück.  Wer  bei  der  Rückkehr  am  schnellsten 
laufen  kann,  erhält  einen  Preis.  —  Von  jetzt  au  befolgen  diese  jungen  Kaffern 
die  Anordnungen  ihres  jugendlichen  Oberhauptes,  führen  unter  sich  ein  Leben 
der  Gleichheit  und  des  teilweisen  Kommunismus  und  nennen  sich  Molekane 
(Kameraden). 

•  Unter  den  Basutos,  einem  Zweig  der  Betschuanen,  findet  das  Fest 
der  Mannbarkeitserklärung,  die  Koma,  bei  großen  Stämmen  jährlich,  bei 
kleineren  alle  zwei  oder  drei  Jahre  statt,  und  währt  vom  Mai  oder  Juni  bis 
in  den  August.  Zunächst  wird  ein  angesehener  Zauberer  ersucht,  die  Koma 
zu  leiten.  Dieser  wählt  einen  verborgenen  Platz  im  Felde  oder  im  Gebüsch 
aus  und  feit  ihn  durch  Zaubermedizin  gegen  auswärtige  und  einheimische, 
neidische  Zauberer.  Dann  wird  der  Platz  mit  Dorngebüsch  umzäunt.  Aber 
auch  schon  in  einiger  Entfernung  von  dem  Hain  wird  Dorngebüsch  aus- 
gestreut, um  jede  Annäherung  Unberufener  fernzuhalten.  Zugleich  werden 
andere  Haine  mit  solchen  Dornhaufen  umgeben;  denn  der  Ort  der  Koma  muß 
bis  zu  ihrem  Beginn  geheim  gehalten  werden.  Wer  den  Platz  unbefugter- 
weise betritt,  wird  jämmerlich  zugerichtet  und  eventuell  getötet. 

Ist  der  Platz  eingezäunt,  so  schneiden  sich  die  schon  (früher)  für  mündig 
erklärten  jungen  Burschen  eine  Anzahl  langer  Ruten  von  der  Dicke  eines 
Fingers   und    der   Länge   eines  Menschen4).     Eine   solche  Rute  wird   in   das 


»)  II,  442  f. 

2)  Vgl.  einen  Zweig  der  Betschuanen,  die  Basutos,  w.  u. 

3)  Daß  Tanz,  Politik  und  Verwaltung  die  einzigen  Lehrgegenstände  bilden,  ist  nach 
<  1  f •  1 1 1  I'ubertätsunterricht  der  oben  folgenden  Basutos  und  anderer  Völker,  sowie  nach 
Kap.  XXXVIII,  nicht  wahrscheinlich. 

4)  Über  diese  menschenlangen  Ruten  siehe  auch  die  Einleitung  zu  diesem  und  dem 
vorigen  Kapitel. 


760  Kapitel  LVIII.     Pubertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 

Strohdach  eines  jeden   Hauses ')  gesteckt,   in  welchem  sich  die  jungen  Leute 
befinden,  die  der  Koma  unterworfen  werden  sollen. 

Nachdem  alles  vorbereitet  worden,  macht  man  den  Platz  bekannt,  damit 
die  Mütter  und  die  erwachsenen  Mädchen  wissen,  wohin  sie  während  dieser 
Monate  das  für  die  Kandidaten,  Zauberdoktoren.  Häuptlinge  und  übrigen 
Teilnehmer  bestimmte  Essen  bringen  sollen.  Die  Koma  selbst  beginnt  mit 
einer  Beichte  der  Pubertätskandidaten.  Die  dabei  zutage  tretenden  Ver- 
gehen werden  durch  harte  Züchtigung  geahndet.  Sodann  macht  ein  großer 
Topf  voll  Zaubermedizin  die  Runde,  wovon  jeder  trinken  muß.  Wer  die 
Wahrheit  gesagt  hat,  dem  soll  die  Medizin  nicht  schaden,  während  der  Lügner 
bald  furchtbare  Schmerzen  empfindet  und  schließlich  tot  zu  Boden  stürzt, 
wie  glaubwürdige  Eingeborne  dem  Missionar  Chr.  Stech  wiederholt,  als  Augen- 
zeugen, versicherten.  Ploß-)  fügte  hinzu:  „Es  hängt  das  natürlich  so  zusammen, 
daß  der  Zauberdoktor  und  der  Häuptling  in  solchen  Fällen  wußten,  daß  sie 
einen  Lügner  vor  sich  hatten,  und  ihm  so  oder  so  Gift  einflößten." 

Nun  folgt  die  Beschneidung3)  und  die  Aufnahme  unter  die  Erwachsenen, 
und  dann  beginnen  neue  Quälereien.  Die  Härtesten  kommen  am  besten  weg: 
denn  wer  schreit,  wird  gequält,  bis  er  verstummt,  oder  zu  den  Schmerzen 
lacht.  Jeder  Mündige  hat  das  Recht,  sein  Mütchen  an  den  Opfern  der  Koma 
zu  kühlen  und  sie  nach  Lust  mit  langen  Ruten  zu  schlagen.  Dann  bekommen 
die  Kandidaten  selbst  Ruten  in  die  Hände,  mit  denen  sie  sich  gegenseitig 
den  Rücken  zerfleischen  müssen.  Man  peinigt  sie  auch  sonst  auf  verschiedene 
Weise,  hält  sie  über  Feuer  usw.  Viele  erliegen  den  Qualen,  aber  die  Mütter 
und  Schwestern  bringen  nach  wie  vor  das  Esseu  für  sie,  und  erst  nach 
Monaten,  wenn  die  Koma  zu  Ende  ist,  erfahren  sie,  daß  ihr  Liebling  nicht 
wiederkehrt.  ,.Die  Koma  hat  ihn  gefressen",  heißt  es  dann.  Versuche,  diesen 
Martern  zu  entfliehen,  werden  mit  dem  Tod  bestraft. 

All  das  geht  unter  Tanz,  Trommelschlag  und  weithin  schallenden  Ge- 
sängen, unter  dem  Essen  und  Trinken  der  Festgäste  vor  sich. 

Gegen  Ende  des  letzten  Monats  unterweist  man  die  jungen  Leute  in 
den  Namen  der  Götter  und  in  anderen  Mysterien,  wobei  man  ihnen  das  Ver- 
sprechen abnimmt,  daß  sie  nichts  davon  vergessen  wollen. 

Schließlich  findet  eine  gemeinsame  Jagd  statt,  an  der  sich  der  Häuptling 
beteiligt.  Die  Mannbargewordenen  erscheinen  dabei  weiß  oder  grau  gefärbt. 
Dann  geht  es.  in  die  Hauptstadt,  wo  der  Häuptling  die  jungen  Leute  beider 
Geschlechter  als  seine  Kinder,  als  „wahre  Männer,  bzw-  Männinnen"  begrüß 
und  ihnen  neue  Namen  gibt4).  Hiermit  sind  sie  (öffentlich  ?)5)  als  Erwachsene 
erklärt.  -  Die  mit  der  Pubertätsfeier  verbundene  Beschneidung  der  Basutos 
siehe  S.  18a  f.  d.  B.  — 

Als  das  wesentlichste  Moment  der  Pubertätsfeier  bei  den  deutsch-ost- 
afrikanischen  Yao  (Wayao)  und  Makua  wurde  .!ie  Beschneidung  gleichfalls 
schon  früher  (S.  176  — 180)  geschildert.  -  Hier  möge  noch  folgendes  erwähnt 
winden:  Beim  Beginn  der  Feier  (Unyago)  rasiert  man  den  Knaben  das  Kopf- 
haar6),    Eine  zweite,    teilweise,   Schur   findet   am  Schluß   des  Unyago   statt. 

Bis  dahin  ist  das  Haar  wieder  etwas  gewachsen,  und  nun  schneidet 
man  oberhalb   der  Stirn   einen   Halbkreis  heraus.  —  Auf   diese   zweite  Schur 


')  Augenscheinlich  sind   liier  die  im  Wald  errichteten  Hütten  gemeint. 
■')  JI,  445. 

•)  Siehe  Kap.  XXXY1II. 

')  Vgl.  die  Erneuerung  der  Namengebung  bei   der  Beschneidung,  Kap.  XXXVIII, 
andern  Lebensabschnitten  in  früheren  Kapiteln.     Offenbar  ba(  auch  die  obige  Erteilung 
eines  neuen  Namens  die  Bedeutung,  daß  jetzt   ein  neuer  Lebensabschnitt  beginnt. 
■   Die    Aufnahme  unter  die  Erwachsenen  s.  o. 

"Im   .■    \nmerkung  über  die   Bedeutung  der  Namengebung  gilt  mutatis  nnitumi'* 
auch    für   die    II  aa  rsuh  a  r. 


§  379.     Sudan-  und  Bantuvölker.  Auin-Buschleute. 


761 


folgt  ein  Unterricht  über  Anstandsregeln,  Sexnalia  usw.,  und  schließlich  stattet 
man  den  neuen  Mann  mit  schönen  Kleidern  aus  und  gießt  ihm  so  reichlich  Öl1) 
über  den  Kopf,  daß  der  ganze  Körper  davon  trieft.  Dann  führt  man  ihn,  bzw. 
alle  mündig  Erklärten,  in  das  Dorf,  wo  sie  von  ihren  Müttern  und  Verwandten 
mit  Jubel  begrüßt  und  zu  Festtänzen  herangezogen  werden  (Wehrmeister). 

Unyago-  oder  Manyago-Tänze  haben  auch  die  Suaheli  für  beide  Ge- 
schlechter,  obgleich  deren  Keifefeier  verschiedene  muselmanische  Züge  trägt,. 


Fig.  491.    Deutsch-Ostaf likanische  Jünglinge.  —  Von  deu  Benediktiner-Missionaren  in  St.  Ottilien. 


wie  A.  Werner  mitteilt.  Zu  diesen  Tänzen  wird  eine  Puppe  aus  Gras  und 
Laub  gemacht,  welche  durch  einen  darunter  verborgenen  Tänzer  in  Bewegung 
versetzt  wird,  „um  die  Knaben  zu  erschrecken"2),  wie  Werner  beifügt. 


')    Über  die  mystische  Bedeutung  des  <  )ls  bei  verschiedenen  Völkern  siehe  frühere  Kapitel. 

2)  Dieser  Zweck  ist  meines  Erachtens  auch  hier  nicht  der  einzige.  Vgl.  die  Laubmännchen, 
den  Baum  usw.  als  Symbole  der  Fruchtbarkeit,  des  menschlichen  Lebens  usw.  in  früheren 
Kapiteln,  z.  B.  Kap.  XLII  und  XL1I1.  Bei.,  den  Suaheli  haben  wir  wohl  außerdem  die 
Maske  eines  Fruchtbarkeitsdänions.  Über  die  Bedeutung  der  Masken  siehe  Ein- 
leitung zu  diesem  und  dem  vorigen  Kapitel. 


yg2  Kapitel  LVIII.     Pubertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 

Bei  den  Auin-Buschleuten  vereinigen  sich  zirka  14 — 16  Pubertäts- 
kandidaten aus  benachbarten  Werften,  um  gemeinsam  mit  einem  „Doktor"  in 
den  Busch  zu  ziehen.  Hier  leben  sie  einige  Wochen  von  Feldkost,  werden 
in  ,.geheimen  Dingen"  unterwiesen,  und  tanzen.  Einen  dieser  Tänze  schilderte 
man  dem  Leutnant  Hans  Kaufmann  als  eine  Art  Huckepack-Tragen.  wobei 
der  Träger  und  der  Getragene  ein  möglichst  schauerliches  ,.Hu,  hu"  aus- 
stoßen. Auch  treiben  die  Kandidaten  nachts  in  den  benachbarten  Werften 
allen  möglichen  Schabernack,  entwenden  Nahrungsmittel  und  spielen  Gespeuster '). 
Im  übrigen  sei  ihre  Behandlung  in  dieser  Zeit  eine  üble.  —  Daß  die  obigen 
Unterweisungen  in  „geheimen  Dingen"  sich  nicht  auf  das  Geschlechtsleben 
beziehen,  wie  ein  Auin  Kaufmann  versicherte,  ist  zum  mindesten  zweifelhaft, 
wenn  man  die  mit  der  weiblichen  Geschlechtsreife  verbundenen  Zeremonien 
der  Auin  (§  373)   und  die  Keifefeier  der  weitaus  meisten  Völker  vergleicht. 

§  380.     Malayisch-polyuesische  Völker. 

Bei  den  Batak  im  Innern  von  Sumatra  fand  Frhr.  J.  von  Brenner 
eine  ganz  ähnliche,  Form  der  Pubertätsfeier,  wie  wir  sie  bereits  von  afrikanischen 
Völkern  her  kennen,  d.  h.  Zahnoperationen.  Beide  Geschlechter  werden  diesen 
<  »perationen  unterworfen.  Der  Zweck  soll  ein  ästhetischer  sein.  (Näheres 
hierüber  s.  S.  121  d.  B.) 

Im  nördlichsten  Teil  von  Sumatra,  in  Atjeh,  ist  bei  den  dortigen 
Malayen  das  Abfeilen  der  Zähne  zur  Zeit  der  Pubertät  gleichfalls  gebräuchlich. 
Es  gilt  auch  hier  als  Verschönerungsmittel  (Moor). 

Ferner  schleifen  die  Orang  Mamma,  Jäger  und  Fischer  auf  Sumatra, 
den  Kindern  in  der  Pubertätszeit  die  oberen  Schneidezähne,  und  zwar  bis  zum 
Zahnfleisch,  ab.  Dann  lackieren  sie  die  Zahnstummel  und  die  übrigen  Zahne 
mit  dem  Saft  einer  Ficusart  schwarz.  Bei  den  Kubu  in  Süd-Sumatra,  welche 
Felix  Spi  iser  mit  den  Orang  Mamma  auf  ungefähr  die  gleiche  Kulturstufe 
stellt,  hat  dieser  Brauch  nicht  Eingang  gefunden'-). 

Die  Nikobaresen,  Malayen  im  bengalischen  Golf,  schwärzen  ihre  Zähne 
vom  Pubertätsalter  an.  Nähme  ein  Weib  die  Huldigung  eines  Mannes  an. 
der  diese  „Verschönerung"  nicht  besitzt,  so  würde  sie  verachtet.  Weiße 
Zähne  vergleicht  man  dort  mit  den  Zähnen  eines  Hundes  oder  Schweines 
i  Riehard  Lasch,  nach  E.  H.  Man). 

Die  Orang  Temia  auf  Malakka  verbinden  mit  der  Aufnahme  in  die  Männer- 
gemeinschaft Namenwechsel,  Inspektion  physischer  Tauglichkeit  und  Heirat. 
Ohne  auf  die  von  Stevens-Stönner  hierüber  mitgeteilten  Einzelheiten  einzugehen, 
diene  hier  nur  zur  Kenntnis,  daß  die  den  Kindes-  bzw.  Knabennameu 
tragende  Kopfbinde  bei  der  Aufnahme  in  die  Männergemeinschafl 
sorgfältig  begraben  wird,  wählend  das  Mädchen  seinen  Namen  im  geheimen 
behält;  doch  darf  dieser  in  der  Zukunft  von  niemandem,  auch  nicht  von  der 
Trägerin  selbst,  ausgesprochen  werden,  es  müßte  denn  sein,  daß  sie  ihren 
Mann  überlebte.  Ihre  Kopfbinde  mit  ihrem  Mädchennamen  wird  in  der 
Hütte  des  Zauberers  aufgehängt,  damit  sie  ihr  als  Witwe  wieder  aus- 
gehändigt,  und  sie  dann  wieder  bei  ihrem  Mädchennamen  genannt  werde.    In 

Ehe  trägl  sie  eine  Binde  mit  einem  Namen,  der  ihr  als  Traumoffenbarung 
eines  Zauberers  am  Hochzeitstag  gegeben  worden  war.    Dieser  Tag  ist  zugleich 


1  Siegfried  Passarge  erwähnt  die  Rolle  der  Jugend  zur  Pubertätszeit,  die  Ahnen- 
geister im  Husch  zu  repräsentieren,  von  verschiedenen  südafrikanischen  Stämmen  und 
bezeichnet  das  als  „ Kaffer nschule".  Dieses  Geisterspiel  ist  aber  nur  ein  Teil  dessen,  was  im 
Husch  gelehrl   wird,  wie  das  vorliegende  und  das  vorige  Kapitel  zeigen. 

2)  Die  Beschneidung  auf  Sumatra  siehe  S.  194  f.  d.  B. 


§  380.     Malayisch-polynesische  Völker.  7(53 

der  Tag  der  Aufnahme  ihres  Gatten  in  den  Männerbund.  —  Demnach  gibt 
es  hier  eigene  Namen  für  die  Verheirateten,  und  nur  diese  scheinen 
vollgültige  Männer  und  "Weiber  zu  sein. 

Auf  Formosa  sondern  die  „Wildenstämme"  Pyuma  und  Amis  ihre 
Reifekandidaten  zur  Vorbereitung  von  ihren  Eltern  ab  und  stellen  sie  in  einer 
Hütte  unter  strenge  Aufsicht.  Frauen  dürfen  sich  einem  solchen  Hause  nicht 
nähern.  Der  Mündigkeitserklärung  geht  eine  Art  „Ritterschlag-  voraus,  wie 
W.  Müller  schreibt,  Der  Schlag,  vom  Häuptling  mit  einem  Bambusstab1) 
ausgeführt,  wird  hier  allerdings  auf  den  Hintern  gegeben  und  dürfte  gleich- 
falls mit  den  den  Pubertäts-  bzw.  Initiationskandidaten  anderer  Völker  versetzten 
Schlägen  mit  Peitschen.  Ruten  u.  a,  m.  Verwandtschaft  haben,  wenn  es  andererseits 
ausgeschlossen  ist,  daß  selbst  der  mittelalterliche  Ritterschlag  im  Zusammenhang 
mit  den  entsprechenden  Pubertäts-  bzw.  Mannbarkeitszeremonien  steht  (vgl. 
die  Prüfungen  im  Inkareich,  §382).  Bei  den  Ataiyal  auf  Formosa  findet 
die  Mündigkeitserklärung  nach  Erbeutung  des  ersten  Kopfes  statt-). 

Der  junge  Alfur  auf  Seram.  Niederländisch-Indien.  legt  beim  Eintritt 
der  Pubertät  einen  weißen  Gürtel  aus  Baumbast  (djidako)  an.  Dann  hängt 
sein  Vater  seinem  eigenen  Namen  den  des  zum  Mann  gereiften  Sohnes  an3). 
Heißt  z.  B.  der  Sohn  Teleamie  und  der  Vater  Sapialeh,  dann  lautet  der  Name 
des  letzteren  von  nun  an  Sapialeh-Teleamie-amay.  Wird  ein  zweiter  Sohn 
mannbar,  der  etwa  Karapupuleh  heißt,  dann  lautet  der  Name  des  Vaters  in 
Zukunft  Sapialeh-Teleamie-Karapupuleh-amay  usw.  Je  länger  daher  der  Name 
eines  Mannes,  desto  höher  das  Ansehen;  denn  der  Name  weist  auf.  wie  viele 
wehrbare  Söhne  dem  Stamm  geliefert  wurden  (Schulze). 

Die  AI  füren  oder  Wuka4)  im  Hinterland  des  Mac-Cluer-Golfes. 
Holländisch-Neuguinea,  sperren  ihre  Knaben  vor  der  Mannbarkeits- 
erklärung mehrere  Monate  in  das  Rumsram  (Versammlungshaus),  wo  die 
Knaben  nicht  einmal  von  ihren  Vätern  besucht  werden  dürfen.  Eine  alte 
Frau  billigt  ihnen  Nahrung  und  sorgt  für  die  Wahrung  ihrer  Abgeschlossen- 
heit, —  Die  Knaben  sind  tabu5)  (M.  Krieger). 

Die  Noefoor-Papua  schicken  ihre  Söhne,  wenn  diese  ungefähr  im 
12.  Lebensjahr  stehen,  auf  Reistn  nach  einer  fernen  Insel,  von  wo  sie  nach 
etwa  einem  Monat  zurückkehren.  Nun  wird  ein  großes  Fest  veranstaltet,  zu 
welchem  ganze  Kähne  voll  Vorrat  herbeigeschafft  werden.  Da  gibt  es  Reis, 
Sagobrei.  Bohnen,  Potatoes,  gebratene  Bananen.  Zuckerrohr  u.  a.  m.  Auch  soll, 
wenn  möglich,  der  Palmwein  nicht  fehlen.  Getanzt  wird  nicht,  aber  ge- 
sungen. —  Der  Held  des  Festes  wird  gebadet,  erhält  einen  Maar  und  wird 
dann  von  einer  Menge  Frauen  auf  den  dazu  ausgebreiteten  Messingschüsseln  (?) 
umhergeführt.  Danach  bekommt  er  einen  neuen  Namen,  wobei  zwei-  bis 
dreimal  über  den  Kopf  des  Knaben  mit  einem  Gewehr  geschossen  wird,  um 
dem  Feste  mehr  Weihe  zu  geben  (./.  B.  von  Hasselt6). 


')  Vgl.  die  Schläge  mit  einem  ..sehr  saftreichen"   Bananenstamm  auf  Karesau  f.  S. 

s)  Xach  Erbeutung  des  ersten  Kopfes  erhalt  der  junge  Mann  sowohl  bei  den 
Ataiyal,  als  auch  bei  den  Pyurua,  Paiwan  und  Tsarisen  (alles  .„wilde  Stämme"  mit 
malayischer  Sprache  auf  Formosa)  den  ersten  Strich  der  landesüblichen  tätowierten  Figur 
(senkrechte  Striche  auf  Stirne  und  Kinn).  —  Vgl.  Samoa.  —  Söhne  hervorragender  Jlänner 
erhalten  ihn  bisweilen  früher  ( 11'.  Müller). 

3)  Ahnliche  Erscheinungen  bei  andern  Völkern  sind  bereits  in  den  Kapiteln  über 
X'amengebung,  Bd.  I,  erwähnt  worden.     Siehe  ferner  die  Annamiten  in  §381. 

4)  Xach  M.  Krieger  zur  Papua-Rasse  gehörig. 

b)  Als  ..tabu"  gelten  auch  die  isolierten  Wöchnerinnen  bei  manchen  Völkern  (siehe 
Kap.  XXI).  Obiges  dürfte  abermals  vor  der  Verallgemeinerung  der  gebräuchlichen  Auf- 
fassung isolierter  Weiber  als  ..unrein"'  warnen  (Näheres  siehe  t;  369). 

«)  Bei  Ploß  II,  423  f. 


7ß4  Kapitel  LVI1I.     Pubertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 

In  Britisch-Neuguinea  müssen  sich  die  14— 15jährigen  Pubertäts- 
kandidaten  auf  einige  Zeit  in  den  Busch  zurückziehen  und  durch  Jagd  und 
andere  Geschicklichkeit  auf  eigene  Faust  leben,  wobei  sie  das  Eigentumsrecht 
der  älteren  Dorfbewohner  nicht  immer  strenge  wahren  sollen.  Während  des 
Reifefestes  müssen  alle  Weiber  und  Kinder  das  Dorf  verlassen1).  Im  Elama- 
und  Xama-Bezirk  bereiten  sie  sich,  wie  die  Wuka  (v.  S.),  durch  Ab- 
geschiedenheit in  den  Versammlungshäusern  (Elamo,  Marea,  Dubu)  vor.  Die 
Motu-Motu  schneiden  den  Burschen  vor  ihrem  Eintritt  in  diese  Häuser  die 
Haare  ganz  kurz  ab  und  lassen  sie  erst  heraus,  wenn  die  Haare  wieder  lang 
gewachsen  sind,  worauf  man  sie  feierlich  dem  Dorfe  zeigt.  -  -  Schweineopfer 
dürfen  bei  dieser  Feier  nicht  fehlen.  —  Die  Elama  verbinden  mit  diesem 
Tage  die  Enthüllung  des  Götzen  Semese  oder  Hiovaki  für  die  Mannbar- 
gewordenen. Dieser  Götze  gilt  als  Begründer  der  Versammlungshäuser,  die 
ihm  alle  heilig  sind.  Er  wird  besonders  von  den  Elama-Leuten  hoch  vereint.  - 
Nach  Anlegung  der  Schambinde  gelten  die  Burschen  für  Erwachsene. 

Bei  den  Stämmen  des  Merauke-Flusses  reiben  sich  die  Kandidaten  für 
die  Jünglingsweihe  mit  schwarzer  Farbe  ein.  Das  Alter  scheint  hier  weite 
Grenzen  zu  haben,  denn  J.  D.  E.  Schmeltz  führt  (nach  W.  de  Jong)  junge 
Leute  zwischen  8 — 16  Jahren  an.  Die  Weihe  findet  in  einem  dafür  bestimmten 
besonderen  Gebäude  statt.  Während  dieser  Zeit  heißen  die  Kandidaten 
„oklivide",  dürfen  keine  Weiber  sehen  und  müssen  daher  auch  bei  Bootfahrten, 
wenn  ein  Boot  mit  Weibern  passiert,  sich  niederlegen.  Nach  Beendigung  der 
Reifezeremonien  dürfen  sie  den  Penisdeckel,  die  Muschel,  anlegen,  heißen 
„ewatti"  und  sind  heiratsfähig2). 

Wenn  auf  Karesau  die  beschnittenen  Knaben  und  Jünglinge  von  ihrer 
Besuchsreise  bei  Freunden  und  Bekannten  heimgekehrt  sind:i),  dann  harren 
ihrer,  unter  anderem,  Zeremonien,  welche  im  wesentlichen  mitten  in  unserer 
eigenen  Kultur  als  abergläubische  Bräuche  bekannt  sind.  Auf  Karesau  löst 
man  nämlich  im  Wald  von  einem  Baume,  far  genannt,  die  Rinde  so,  daß  sie 
unten  und  oben  noch  festhaftet,  im  übrigen  aber  genügend  vom  Baum  ab- 
steht, damit  die  neugeweihten  Jünglinge  und  auch  die  übrigen  Männer  durch- 
gehen können4).  Das  geschieht  unter  Lachen  und  Stoßen.  Sind  alle  durch, 
dann  bindet  man  das  Stück  lose  Rinde  wieder  fest  an  den  Baum.  Doch  fault 
es  ab  und  ersetzt  sich  durch  ein  neu  wachsendes  Stück. 

Nach  der'  obigen  Zeremonie  begeben  sich  die  Karesauer  Neophyten  und 
die  anderen  anwesenden  Männer  zu  einem  Baum,  kakär  genannt,  an  dessen 
Stamm  beständig  ca.  1  cm  lange  Ameisen  auf-  und  ablaufen.  Die  Knaben 
leimen  sich  der  Reihe  nach  an  diesen  Baum,  indem  sie  den  Kopf  etwas  Dach 
vorn  neigen.  Nun  schlägt  ein  Mann  auf  den  Baum;  eine  (?)  Ameise  fällt  den 
Knaben  in  den  Nacken  und  beißt  sich  ein;  einer  der  herbeilaufenden  Männer 
faßt  sie.  kneift  ihr  den  Kopf  ab  und  steckt  sie  in  eine  Betelnuß,  welche 
später  (s.  w.  u.)  samt  der  Ameise  gegessen  wird''). 


')  Die  gleiche  Vorschrift  besteht    in    Kaiser- Wilhelmsland   Für  die  Beschneidung. 

2)  Die  Beschneidung  auf  Neuguinea  siehe  S.   195 — 197  il.  B. 

3)  Die    besonders    ausführlich    geschilderten    Zeremonien    vnr.    bei     und    nach    der    Be- 
schneidung   auf    Karesau    siehe   S.    197 — 201    d.    lt. 

*)   Vgl.  das  ..Durchziehen  des  kranken  Blindes  durch  gespaltene  Bäume  usw."  inDeutsch- 
land,  England   und   Frankreich,   Bd.  I,  S.   526f. 

B)  Der  Stich  einer  einzigen  Ameise  ist.  wie  schon  in  5}  369  angedeutet,  kaum  als 
„Mutprobe"  aufzufassen,  als  welche  bisher  die  Ameisen-  und  Wespenstiche  bei  l'ubertats- 
i  gewöhnlich  aufgefaßt  werden  sind.  Auch  weist  das  nachherige  Verzehren  der  Ameise 
aut  eine  andere  Bedeutung  hin,  welche  eher  jene,  sein  dürfte,  die  allem  Anschein  nach  in 
S,  382  bei  den  üjana  zugrunde  liegt,  d.  h.  die  Übertragung  der  Eigenschaften  der 
Ameisen,  l>/.w.   Wespen  auf  den  jungen  Mann. 


§  380.     Malavisch-polynesische  Völker.  765 

Eine  dritte  Zeremonie  folgt:  an  der  Küste  stecken  einige  Männer  ca.  sechs 
Lanzenpaare  in  gewissen  Zwischenräumen  mit  den  Spitzen  so  in  die  Erde, 
daß  sich  die  mit  Kasuarfedern  versehenen  oberen  Teile  der  Schäfte  paarweise 
kreuzen.  Diese  Lanzenpaare  bilden  eine  Beihe.  an  deren  einem  Ende  eine 
größere  und  eine  kleinere  Ahnenfigur,  jene  männlich,  diese  weiblich,  in  die 
Erde  gesteckt  werden.  Durch  diese  gekreuzten  Lanzen  nun  gehen  die 
Neophyten  gebückt  in  einer  derartigen  Eeihenfolge.  daß  immer  ein  größerer  und 
ein  kleinerer1)  sich  folgen.  Die  Männer  machen  ihnen  Mut  und  fordern  sie  auf. 
den  Bauch  nicht  so  sehr  einzuziehen,  damit  die  Lunge  nicht  in  den  Brustkasten 
gedrängt  werde,  wodurch  diese  leiden  und  die  Knaben  erkranken  würden.  Bechts 
von  den  Durchkriechenden  stellt  zwischen  den  reihenförmig  aufgestellten  Lanzen- 
paaren je  ein  Mann  mit  einem  ca.  zwei  Arm  dicken,  sehr  saftreichen  Bananen- 
stamm  und  gibt  mit  diesem  jedem  Knaben  mit  aller  Wucht  einen  Schlag,  wobei 
die  Knaben  schreien,  obgleich  ihnen  die  Männer  vorhalten,  sie  seien  doch  keine 
Kinder  mehr,  und  obgleich  der  Bananenstamm  schon  nach  den  ersten  Schlägen 
an  Konsistenz  verliert,  so  daß  die  Letzten  der  Beihe  den  Schlag  nur  wenig 
spüren').  Die  Ersten  der  Beihe  freilich  erhalten  schmerzende  Schläge.  - 
Jeder  Neophyte  macht,  nachdem  er  durch  die  gekreuzten  Lanzenpaare  ge- 
gangen oder  gekrochen  ist,  vor  den  beiden  Ahnenbildern  eine  Kniebeugung, 
schwenkt  dann  links  um  sie  herum  und  geht  zur  See,  wo  sich  alle  tüchtig 
recken  und  strecken,  damit  der  geschlagene  Bücken  wieder  in  Ordnung 
komme.  —  Beachtenswert  ist,  daß  der  Eingeborne,  dem  Schmidt  diese  Mit- 
teilungen verdankt,  auf  die  Frage  nach  dem  Zweck  dieser  Zeremonie  ant- 
wortete: ,.Das  Schlagen  solle  stark  machen3)",  aber  die  Männer  hätten 
nichts  gesagt.  Am  Schweinefest  werden  auch  die  Schweine  ähnlich 
geschlagen4),  und  zwai.  wie  der  obige  Eingeborne  meinte,  zu  dem  gleichen 
Zweck. 

Auf  diese  Zeremonie  folgt  die  Transfiktion  des  Benis  der  Männer  und 
das  Bluttrinken  der  Knaben  (s.  S.  201  d.  B.).  Dann  geht  alles  nach  Hause, 
und  hier  kauen  die  Neophyten  Kalk,  Bfeffer  und  jene  Betelnuß  samt  Ameise, 
welche  wir  auf  S.  764  kennen  gelernt  haben,  d.  h.  die  Ameise,  welche  den 
Kandidaten  stach  und  nach  abgenommenem  Kopf  in  die  Betelnuß  gesteckt 
wurde. 

Damit  schließt  die  Hauptfeier  der  Jünglingsweihe  ab.  Von  jetzt  an 
•dürfen  die  Neophyten  wieder  mit  anderen  Mädchen  und  Weibern,  als  nur  mit 
ihren  eigenen  Müttern  und  Schwestern,  sprechen5),  doch  nicht  längere  Zeit 
mit  ihnen  verkehren.  --  Aber  auch  die  Nachfeier  ist  wichtig;  denn  ihre 
religiösen  und  sexualen  Charaktere  weisen  nochmals  nachdrücklich  auf  die  hohe 
Bedeutung  der  Jünglingsweihe  oder  Mannbarmachung  hin:  Nach  4 — 5  Tagen 
versammeln  sich  nämlich  die  Männer.  Weiber  und  Kinder  auf  dem  Dorfplatz; 
die  Weiber  kochen  Vams,  geben  diesen,  in  Scheiben  geschnitten,  mit  Kokos- 
nüssen und  Kokosmilch  in  eine  große  Schüssel  und  bestecken  den  Inhalt  mit 

1)  Wenn  man  an  die  Symbolik  der  Kreuzung  bei  verschiedenen  Völkern  denkt  und 
diese  Reihenfolge  größerer  und  kleinerer  Knaben  mit  der  größeren  uud  kleinereu  (männ- 
lichen und  weiblichen)  Ahneufigur  vergleicht,  dieses  im  Rahmen  der  ganzen  Feier  der 
Karesauer  und  der  Beschneidungs-  bzw.  Pubertätszeremonien  der  Menschheit  überhaupt  be- 
trachtet, dann  erscheint  es  wahrscheinlich,  daß  "auch  diese  Zeremonie  auf  das  Eheleben 
Bezug  habe,  abgesehen  von  den  mehrfach  besprochenen  Schlägen  und  dem  Durchkriechen.  — 
Vgl.  das  Durchkriechen  usw.  in  der  Behandlung  des  gesunden  Kindes,  Bd.' I,  S.  36f.,  sowie 
das   Durchkriechen   der   schwangeren  Araberin    durch    die  Beine   eines  Kamels,   Bd.  I,  S.  47. 

2)  Als  ausschließliche  Mutprobe  ist  schon  aus  diesem  ürunde  die  Zeremonie  nicht  auf- 
zufassen.     Vgl.  den   Schlag  mit  einem  Bambusstab   auf  Formosa. 

3)  Also  ein  Wachstums-  oder  Fruchtbarkeitsritus  im  weiteren  Sinne,  auch  wenn  die 
obige  Erklärung  ., stark  machen"  buchstäblich  zu  nehmen  ist. 

*)  Für  die  Schweine  sind  Schläge  sicher  keine  Mutprobe. 
6)   Vgl.  S.  199  d.  B. 


766  Kapitel  LV1II.     Pubertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 

Papagei-,  Tauben-  und  Hahnenfedern,  worauf  zwei  Männer  die  Schüssel  empor- 
halten und  so  neigen,  daß  die  beiden  Geister  Mais  und  Matakau  hineinsehen 
können,  deren  geschnitzte  Figuren  auf  dem  Geisterhaus  angebracht  sind  und 
deren  Geister  selbst  in  diesem  Hause  wohnen.  Dazu  singen  die  beiden  im 
Verein  mit  einem  Dritten,  der  mit  einer  Handtrommel  daneben  steht:  „0  Mais, 
o  Matakau,  blicket,  schaut  auf  uns",  worauf  ein  starker  Wirbel  auf  der  großen 
Trommel  geschlagen  wird  und  alles  zur  See  eilt.  Hier  werfen  die  beiden 
Männer  die  Schüssel  samt  Inhalt  in  die  Fluten,  und  auch  die  andern  Leute, 
welche  auf  diesem  Gang  beständig  zwei  Kokosnußschalen  aneinander  schlugen, 
schleudern  diese  in  die  See ').  Dann  wirft  alles  mit  beiden  Händen  einmal 
etwas  Seewasser  in  die  Höhe  (Libation?),  wäscht  sich  die  Finger  und  geht 
nach  Hause. 

Auch  die  Zeremonien  desfolgenden  Tages  tragenreligiösen  Charakter,  insofern 
jeder  Mann  aus  der  Gruppe  der  Kiuau  (eine  Art  Priester)  vor  dem  Gitter. 
auf  welchem  das  gekochte  Fleisch  eines  am  gleichen  Tage  geschlachteten 
Schweines  liegt,  zu  Wonekau,  dem  höchsten  Gott  im  Himmel,  betet:  „0 
Wonekau,  du  schwebe,  siehe,  schaue  auf  meine  Frau,  Kinder,  Mütter,  Väter, 
Schwestern,  Brüder,  Tanten,  Onkel,  Vettern,  Freunde  (und  alle)  meine  Menschen". 
worauf  ein  Kinau,  also  ein  Mann  mit  priesterlichen  Befugnissen,  das  Fleisch 
zerteilt  und  unter  die  Frauen  und  Kinder  der  beiden  tiefer  stehenden  Volks- 
klassen (Winau  und  Kapin)  verteilt.  Die  Frauen  der  höchsten  Klasse  (Kiuau) 
„stehen,  wie  stets  bei  religiösen  Feierlichkeiten,  beiseite".  Ihnen  und  ihren 
Kindern  wird  Essen  von  den  Männern  der  beiden  unteren  Klassen  ("Winau 
und  Kapin)  aus  den  Häusern  dieser  Männer  selbst  geholt  und  auf  Tellern  und 
Schüsseln  an  die  Stelle  getragen,  wo  vorher  das  Schwein  lag2).  Verzehrt 
werden  diese  und  das  Schwein  aber  nicht  an  Ort  und  Stelle,  sondern  erst 
daheim  3). 

Schließlich  reinigen  die  Männer  den  Platz,  womit  auch  die  Nachfeier  ihr 
Ende  erreicht  hat. 

Ein  Zweig  der  Papua  sind,  nach  Alfred  C.  Haddort.  wahrscheinlich  auch 
die  Eingebornen  auf  Mer,  einer  Torres-Insel.  Die  dort  üblichen  Zeremonien 
bei  der  Aufnahme  der  männlichen  Pubertätskandidaten  in  eine  Art  Bruder- 
schaft beschreibt  G.  Thilmiw  (nach  Haddori)  im  wesentlichen  wie  folgt:  Die 
Aufnahme  fand  auf  einem  heilig  gehaltenen  Platze  statt,  der  von  Weibern  und 
Kindern  nicht  betreten  werden  durfte.  Die  Novizen  saßen  geschmückt  in  der 
Nähe  der  Trommler  in  einem  Halbkreise,  von  dem  die  Männer  bis  zu  der 
Hütte,  wo  die  heiligen  Embleme  aufbewahrt  wurden,  Spalier  bildeten.  In  einem 
gegebenen  Moment  erschienen  am  Ende  dieser  Männerreihe  drei  mit  Grasschürzen 
bekleidete  Männer,  die  mit  eigenartigen  Schritten  und  Bewegungen  auf  die  Novizen 
zutanzten.  Der  erste  trug  eine  Maske4),  deren  Vorderstück  ein  menschliches,  mit 
weißen  Federn  und  roter  Farbe  verziertes  Gesicht  darstellte,  und  von  dessen 


')  Von  der  See  her  kam  auch  der  Kasuargeist  Makarpon,  der  während  der  Be- 
schneidung im  Geisterhaus  weilte  und  in  dessen  (?)  Bauch  die  Besehncidungskandidaien  ihrer 
Wiedergeburt  entgegensahen.  Siehe  S.  197  und  199  d.  B.  Bas  Opfer  scheint  also  den  beiden 
Geistern  im  Geisterhaus  und  einem   Wassergeist  (dem  Makarpon?)  zu  gelten. 

')  Diese  Speisung  der  Frauen  und  Kinder  der  zwei  niederen  Klassen  durch  die  Männer 
der  höheren  Klasse  und  die  Speisung  der 'Frauen  und  Kinder  der  höheren  Klasse  durch  die 
Männer  der  beiden  niederen  Klassen  ist  ebenso  merkwürdig  wie  der  Ausschluß  der  Frauen  und 
Kinder  der  höheren  Klasse  von  dem  Schweinefleisch,  das  nach  dem  oben  Gesagten  doch  einen 
ehrwürdigeren  t'harakter  zu  tragen  scheint,  als  die  aus  den  Häusern  der  niederen  Klassen 
herbeigeholten  Speisen,  die  erst  durch  die  Stätte,  auf  welcher  vorher  das  Schwein  lag. 
geheiligt  zu  werden  scheinen.  —  Sollte  die  obige  Art  der  Speisung  der  Frauen  viel- 
leicht den  Gedanken  der  alle  Klassen  umfassenden  Brüderlichkeit,  also  eine  Art  Bundes- 
eigen  ausdrücken,  wie  er   uns   in   Kap.   XXXV11I  wiederholt  begegnet  ist V 

*)  Als  Opfermahlzeit  wird  also  das  kaum  anzusehen  sein. 

*)  Über  die  Bedeutung  der  Masken  bzw.  Maskentänze  siehe  §  369. 


§  380.     Malayisch-polynesische   Völker.  767 

Kinn  menschliche  Unterkiefer  herabhingen.  Das  Hinterstück,  ein  gemalter 
Schildkrötenpanzer,  wurde  von  dem  zweiten  Mann,  der  barhäuptig  war,  an  einer 
Schnur  gehalten.  Die  Maske  des  dritten  war  ein  aus  Schildpatt  gefertigter 
Kopf  eines  Hammerhais ').  Man  sang  heilige  Lieder  und  teilte  den  Kandidaten 
heilige  Namen  mit.  —  Das  war  der  erste  Teil  der  „Malu"-Zeremonie.  Der 
zweite  Teil,  der  am  Strande  gefeiert  wurde,  bestand  aus  symbolischen  Tänzen, 
an  denen  auch  die  Frauen  teilnahmen.  Jünglinge  schwangen  Steinkeulen,  und 
Männer  trugen  Stöcke.  Ein  Festessen  schloß  diesen  Teil.  Hierauf  kamen 
die  Novizen  in  die  Lehre,  d.  h.  man  unterwies  sie  in  der  Anlage  von  Gärten, 
im  Hausbau  und  in  der  Behandlung  der  Bananenpflanzen;  man  verbot  ihnen 
den  Diebstahl  und  für  die  folgende  Trockenzeit  Tanzen,  Bauchen,  Haar- 
kämmen, Haarschneiden  u.  a.  m.  Hauptsächlich  wurde  ihnen  strengstes  Still- 
schweigen über  die  Aufnahmezeremonien  auferlegt.  Letzteres  soll  aus  diszi- 
plinarischen Gründen  geschehen  sein.  Verschiedene  Schreckmittel  sollten 
für  das  Stillschweigen  garantieren  (Cr.  Thilo/ins  nach  Alfred  C.  Haddori). 

In  Bainu  auf  Bougainville  werden  die  Söhne  der  Häuptlinge,  nachdem 
sie  mündig  geworden,  durch  die  Unufeier  in  ein  Blutrachebündnis  der 
Häuptlinge  aufgenommen.  Eine  Beihe  von  Festessen  und  Tänzen  mit  Flöten- 
spiel gehen  voraus.  Am  verabredeten  Tag  wird  der  Knabe  von  den  Frauen 
des  Schlaf hauses  geschmückt  und  bemalt;  seine  langen  Haare  bindet  man  mit 
einer  bemalten  Blatt-Tüte  zusammen,  und  er  selbst  wird  mit  Muschelgeld  be- 
hängt. Auch  der  Vater  ist  geschmückt,  wenn  er  ihn  abholt.  Im  Hause  singen 
die  Frauen.  Vorher  hat  man  im  Busch  einen  Baum  mit  seiner  Wurzel  aus- 
gerissen und  nach  dem  Hauptplatz  gebracht,  daran  ein  Schwein  gebunden  und 
zu  beiden  Seiten  Kokosnüsse  mit  Keimblattrieben  befestigt.  Nun  wird  der 
Knabe  rittlings  auf  den  Baumstamm,  über  das  Schwein,  gesetzt,  der  Vater 
auf  einen  andern  Baumstamm,  und  so  werden  beide  nach  der  Häuptlingshalle  des 
Vaters  gebracht,  wo  vorher  ein  Gerüst  aufgebaut  worden  war.  Dieses  be- 
steigen die  beiden,  während  unten  die  Angehörigen  des  Vaters  und  die  Leute 
des  Häuptlings,  mit  dem  das  Treubündnis  eingegangen  wird,  versammelt  sind. 
Von  dem  Gerüst  aus  hält  der  Vater  dann  eine  Rede,  worin  er  die  Anwesenden 
zum  Genuß  der  an  sie  verteilten  Kokosnüsse,  Bananen  und  Taro  auffordert, 
dem  Häuptling  das  Schwein  zuerteilt  und  ihn  um  seinen  Schutz  und  Beistand 
im  Kampf  für  sich  und  seinen  Sohn  bittet,  was  er  mit  Gleichem  vergelten 
wolle.  Dabei  hüpft  er  gestikulierend  mit  Keule  und  Speer  umher  und  läßt 
schließlich  diesen  dem  Häuptling  unten  überreichen,  was  das  Blutrachebündnis 
besiegelt.  Für  das  Schwein  erhält  der  Vater  des  Jünglings  ein  Gegengeschenk 
in  Muschelgeld.  —  Oft  reihen  sich  an  diese  Feier  noch  weitere  Tauschgeschenke. 
Auch  kann  Unu  wiederholt  und  mit  verschiedenen  Häuptlingen  eingegangen 
werden,  was  ein  großer  Häuptling  zugunsten  seines  Sohnes  auch  ausnützt 
{Richard  Th urnwald). 

Als  Fubertätsbrauch  auf  Neupommern,  Neumecklenburg  und  Neu- 
lauenburg  (Bismarck-Archipel)  erwähnte  J.  Graf  Pfeil  Färben  der  Zähne 
(vgl.  Malayen)2). 

Aus  Australien  meldeten  Si)e»cer  und  GMlen:  Jeder  Eingeborne  muß, 
ehe  er  in  die  Geheimnisse  seines  Stammes  eingeweiht  und  als  dessen  volles 
Mitglied  angesehen  wird,  gewisse  Einweihungsformalitäten  durchmachen, 
welche,  je  nach  dem  Stamme,  ihrer  Natur  und  Zahl  nach  voneinander  ab- 
weichen. Jene  der  östlichen  und  südöstlichen  Küstendistrikte  sind 
von  denen  der  Zentralstämme  durchwegs  verschieden.     Die  letzten  dehnen 


l)   Vgl.  den  vom  Meer  kommenden  Kasuargeist  auf  Karesau,   die  Wassertiere  und  das 

Wasser  selbst  in  der  Fruchtbarkeitssymbolik  der  Völker  in  verschiedenen  Kapiteln  d.  v.  W. 

<t)  Die  Beschneidung  auf  Kenpommern  und  Neumecklenburg   siehe  S.  202  d.  B. 


768  Kapitel  LVI1I.     Pubertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 

ihre  mehr  komplizierten  Zeremonien  auf  eine  lange  Reihe  von  Jahren  aus, 
beginnen  schon  mit  ungefähr  dem  zehnten  oder  zwölften  Lebensjahr  und  schließen 
sie  mit  der  ausdrucksvollsten  Zeremonie  erst  im  25. — 3u.  Lebensjahr  des 
Kandidaten  ab.  --  Eine  Aufnahmszeremonie  der  östlichen  und  südöstlichen 
Küstenstämme  ist,  nach  den  genannten  zwei  Forschern,  das  Ausschlagen  eines 
oder  mehrerer  Schneidezähne.  Diese  Zeremonie  („Kebarrah")  ist  schon  früher 
Aron  Collins  beschrieben  und  von  Floß  der  zweiten  Auflage  einverleibt  worden. 
Bei  den  Stämmen  des  Macquarie-Distrikts  im  östlichen  New  South  Wales 
verläuft  sie,  wie  folgt:  Nachdem  allenfallsige  Feindseligkeiten  unter  den 
Stämmen  beigelegt  worden  sind,  versammeln  sich  diese  an  einem  Sommermorgen 
auf  den  Macquarie-Hügeln.  Jene  Stämme,  bei  denen  die  Zeremonie  ihren 
Anfang  nimmt,  eröffnen  sie  mit  einem  schauerlichen  langgezogenen  Schrei, 
•der  im  Wald  wiederholt  und  von  den  andern  Stämmen  ringsum  beantwortet 
wird.  Nun  ziehen  sich  die  Weiber  und  Kinder  in  die  Klüfte  zurück;  die 
alten  Männer  versammeln  sich  zu  einer  Beratung,  und  die  jungen  fällen 
Bäume,  um  einen  freien  Platz  zu  schaffen.  Ein  anderer  Schrei  folgt,  und  der 
ganze  Stamm  versammelt  sich  im  Kreise;  der  Wakui,  eine  Waffe,  wird  ge- 
schwungen;  ihr  Zischen  ist  weithin  hörbar,  und  große  Feuer  werden  angebrannt. 
Bei  solchen  Gelegenheiten  sind  oft  fünf-  bis  sechshundert  Eingeborne  gegen- 
wärtig; ihre  nackten  Leiber  haben  sie  mit  Ton  bemalt  und  die  Köpfe  reichlich 
mit  dem  Flaum  des  weißen  Schwans')  bedeckt.  Ein  alter  Mann  stellt 
sich  an  einen  Baum,  macht  die  wütendsten  Gesten  und  wirbelt  seinen  Wakui 
um  sich  her.  Nun  werden  die  Jünglinge  durch  ihre  Väter  oder  nächsten  Ver- 
wandten in  den  Kreis  gebracht,  und  der  Kebarrah-Gesang  beginnt,  durch  welchen 
den  Kandidaten  die  Qualen  geschildert  werden,  denen  sie  sich  unterwerfen 
müssen.  Dann  schreitet  man  zum  Ausbrechen  eines  Vorderzahns.  Dies  wird 
so  ausgeführt,  daß  man  in  einen  Baumstamm  ein  Loch  macht,  in  welches  man 
einen  Stab  von  hartem  Holze  steckt;  dann  bringt  man  den  Zahn  in  Berührung 
anit  dem  Ende  des  Stabes,  indem  eine  Person  den  Kopf  des  Knaben  in  der 
richtigen  Position  hält,  worauf  ein  anderer  den  Kopf  von  hinten  nach  vorn 
stößt.  Die  Erschütterung  bewirkt,  daß  der  Zahn  meist  mit  einem  Teil  des 
anhängenden  Zahnfleisches  ausfällt.  Einige  dabeistehende  Männer  drohen  dem 
Knaben,  ihn  sofort  zu  töten,  wenn  er  Schmerz  äußere,  während  andere  ihm 
mit  scharfen  Steinen  lange  Streifen  auf  den  Rücken  und  auf  jede  Schulter 
schneiden.  Sobald  das  Opfer  Klagen  laut  werden  läßt,  verkünden  die  Operateure 
mit  Geschrei,  daß  der  Unglückliche  nicht  weit  sei,  sich  unter  die  Männer  des 
Stammes  zu  mischen;  dazu  kommen  die  Weiber  und  verspotten  den  Burschen 
als  einen  der  Ihrigen.  Hält  aber  der  jun»e  Mensch  die  Qualen  ohne  Zucken 
aus,  so  tritt  er  hiermit  in  den  Rang  eines  Jägers  und  Streiters  ein ;  man 
umringt  ihn  und  übergibt  ihm  das  Mundi,  d.  i.  ein  Stückchen  kristallheller 
Substanz,  welches  vor  den  Weibern  stets  verborgen  gehalten  wird.  Schließlich 
begrüßen  Männer  und  Weiber  den  Aufgenommenen,  den  man  mit  Schild  und 
Kriegswaffen  ausrüstet,  mit  Cooi-Rufen. 

Auch  im  Süden  ist  das  Zahnausschlagen  eine  Initiations-Zeremonie:  Im 
Goulbourn-Stamm,  nördlich  von  Melbourne -'),  führen  die  Stammesmitglieder 
den  Kandidaten  in  den  Wald,  wo  er  zwei  Taue  und  eine  Nacht  bleibt  und 
sich  selbst  zwei  obere  Schneidezähne  ausschlägt.  Diese  übergibt  er  nach 
seiner  Rückkehr  seiner  Mutter.  Die  .Mutter  sucht  einen  jungen  Gummibaum, 
den  nur   wenige,   nie   der  Sühn   selbst,   wissen   dürfen,   und   steckt  die  beiden 


')  Vgl.  die  Bedeutung  des  Flaums  (Bild  des  Lebens  und  Atems)  bei  nordamerikanischen 

Stummen,    sowie    die    Daunen    an   den   I'ulieitiitsUandidatinnen  der  südamerikanischen   AYarrau, 
§  376. 

*)  So  Plnß  II.  41".     Ks    ist  hier  wohl  an  einen  Stamm  am  Goulburn-Kiver,    Quellen- 
gebiet des  Murrav-Kiver,  gedacht. 


§  380.     Malayisch-polynesische  Völker.  769 

Zähne  in  die  obersten  Äste.  Stirbt  der  Sohn,  so  schält  man  die  Rinde  unten 
am  Baum  ab  und  tötet  diesen  durch  ein  Feuer,  welches  man  unten  um  den 
stamm  anzündet,  so  daß  er  als  ein  Denkmal  des  Toten  stehen  bleibt  (Wilhelmi, 
nach  11".  r.  BandowsM)  *). 

An  der  südöstlichen  Küste,  bei  Port  Jackson,  verlief  die  Zeremonie. 
bei  welcher  Collins  Augenzeuge  war,  wie  folgt:  Alle  Knaben,  bzw.  Jünglinge 
der  Nachbarschaft,  an  denen  die  Kebarrah -)-Zeremonie  noch  nie  vorgenommen 
worden  war,  wurden  gegen  Ende  Februar  auf  einen  eigens  hierzu  hergerichteten, 
offenen  Platz.  Yoolang,  gerufen.  Hier  hatten  sich  die  eingebornen  Stämme 
versammelt,  bemalt  und  mit  Federn  und  anderem  Schmuck  bedeckt,  mit  Keulen 
uud  Spießen  bewaffnet.  Vor  der  eigentlichen  Zeremonie  wurde  jede  Nacht  getanzt ; 
am  zweiten  Februar  langte  das  Volk  von  Cammeray  (Camera-gal)  an,  und  mit  ihm 
der  Koradjee  oder  Priester,,  der  die  Operation  des  Zahuausbrechens  ausführen 
sollte.  Auf  der  einen  Seite  des  Platzes  stellten  sich  die  von  ihren  Freunden 
umgebenen  Kandidaten  auf;  auf  der  anderen  Seite  befand  sich  das  bewaffnete  Volk, 
welches  die  Zeremonie  mit  Singen,  Schreien,  Zusammenschlagen  der  Schilde 
und  mit  dem  Aufstampfen  der  Füße  eröffnete,  indem  der  ganze  Trupp  gegen 
die  Knaben  vorging.  Bei  diesen  fast  angelangt,  stürzte  einer  der  Männer 
aus  der  Schar  vor,  ergriff  einen  Knaben  und  kehrte  zu  seiner  Partei  zurück, 
die  den  Knaben  mit  einem  Schrei  empfing,  ihn  in  die  Mitte  nahm  und  die 
Speere  vor  ihn  hielt,  damit  er  nicht  entkam.  Nachdem  die  ungefähr  15  Knaben 
nach  und  nach  so  eingefangen  waren,  setzte  man  sie  an  dem  einen  Ende  des 
Yoolang  nieder.  Jeder  Knabe  hielt  sich  den  Kopf  mit  den  Händen  und  saß 
mit  gekreuzten  Beinen  da. 

Nun  begannen  die  Koradjees  ihre  mystischen  Bräuche.  Einer  von  ihnen 
warf  sich  auf  den  Boden,  verfiel  in  eine  scheinbare  Bewußtlosigkeit,  und 
während  die  andern  um  ihn  her  tanzten,  sangen  und  ihn  mit  Stecken  schlugen3), 
befreite  er  sich  anscheinend  von  einem  Knochen4),  der  dann  bei  der  folgenden 
Zeremonie  eine  Rolle  spielte.  Kaum  hatte  sich  dieser  Maun,  in  Schweiß  ge- 
badet, vom  Boden  erhoben,  so  fiel  ein  anderer  in  scheinbare  Agonie  und  es 
wurde  abermals  ein  Knochen  produziert,  nach  und  nach  so  viele,  als  Knaben 
vorhanden  waren,  die  unter  die  Männer  aufgenommen  werden  sollten.  Am 
nächsten  Morgen,  bald  nach  Sonnenaufgang,  liefen  die  Koradjees,  die  in  der 
Nähe  geschlafen  hatten,  einer  nach  dem  andern  zum  Yoolang  und  rannten 
2— 3 mal  rings  um  den  Platz.  Dann  wurden  die  Knaben  herbeigebracht,  auf 
dem  Platze  niedergesetzt  und  von  den  zirka  20  Operateuren,  die,  wie  Hunde, 
auf  Händen  und  Füßen  krochen,  mehrmals  umkreist.  Dabei  schleuderten  die 
Operateure  mit  ihren  nackten  Füßen  Sand  auf  die  Knaben. 


')  Ebenda.  Vgl.  „Kind  und  Baum"  in  Kapitel  111;  ferner  das  in  §  869  über  die 
Zahnoperationen    Gesagte. 

2)  Die  Bedeutung  von  „Keba"  s.  w.  u. 

3)  Auch  dieser  Zauberer,  der  mit  Sehlägen  traktiert  wird,  braucht  kaum  eine  „Mut- 
probe" auszuhalten.  Die  Schläge  haben,  nach  meinem  Dafürhalten,  auch  hier  mystische, 
leider  nur  allzu  dunkle,  Bedeutung.  Der  nach  den  Schlägen  aus  dem  Körper  der  Zauberer 
hervorgebrachte  Knochen  dient  später  zur  Operation  des  Kandidaten.  Besonders  bemerkens- 
wert dünkt  es  mich,  daß  für  jeden  Kandidaten  ein  eigener  Knochen  (wie  es  scheint,  jedes- 
mal mit  vorausgehender  „Agonie"  und  Durchhauen  eines  Zauberers)  produziert  werden  muß. 
Es  ist  hier  wohl  au  ein  inniges  Verhältnis  zwischen  dem  Operierenden  und  Operierten  zu 
denken.  Ebenso  fasse  ich  den  oben  folgenden  Brauch  auf,  das  Blut  des  Knaben  auf  dem 
Kopf  seines  Trägers  (Paten?)  fließen  und  hier  trocknen  zu  lassen.  Diese  Blutgemeinsch  aft, 
wenn  ich  mich  so  ausdrücken  darf,  stimmt  sehr  gut  zu  jener  Blutgemeinschaft,  auf  welche 
ich  bei  den  Beschneidungszeremonien  australischer  Stämme  in  Kap.  XXXVIII  hingewiesen 
habe.     Weitere  hier  einschlägige  Formen  siehe  bei  südlichen  und  südwestlichen  Stämmen  S.  771. 

4)  Ahnliche  Seheinoperationen  sind  uns  bereits  aus  der  ärztlichen  Behandlung  des 
Kindes  bekannt. 

Ploß-Renz,  Das  Kind,    s.  Aufl.    Band  II.  49 


rfTQ  Kapitel  LVIII.     Pubertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 

Diese  Zeremonie  sollte  den  Hunden  (?)  Kraft  verleihen  und  deren  „gute" 
Eigenschaften  auf  die  Knaben  übertragen.  —  Die  nächste  Szene  eröffnete 
ein  kräftiger  Eingeborner,  der  auf  seinen  Schultern  eine  aus  Gras  gemachte 
Figur  eines  Känguruh  trug;  ihm  folgte  ein  anderer  mit  einem  Bündel  Reisig, 
während  die  übrigen  sangen  und  den  Takt  nach  den  Schritten  des  letzteren 
schlugen;  schließlich  legte  dieser  sein  Bündel  zu  den  Füßen  der  Knaben  nieder. 

Das  Reisigbündel  stellte  das  Nest  des  Känguruh,  die  Graspuppe  ein  totes 
Känguruh  vor,  und  beides  sollte  andeuten,  daß  die  Kandidaten  fähig  würden, 
solche  Tiere  zu  erlegen.  Auch  eine  Känguruhjagd  wurde  nachgeahmt,  indem 
einige  Männer  langes  Gras  in  Schwanzform  sich  an  den  Hintern  hielten  und 
sich  von  zwei  bewaffneten  Männern  jagen  ließen. 

Plötzlich  ergriff  dann  jeder  dieser  Männer  einen  Knaben,  hob  ihn  auf 
seine  Schultern,  trug  ihn  im  Triumph  umher,  und  ebenso  nahmen  Männer 
andere  Männer  auf  die  Schultern,  wobei  sie  wilde  Grimassen  machten.  Wieder 
andere  legten  sich  nieder,  ließen  sich  die  Knaben  auf  ihre  Körper  legen,  und 
ähnliches  mehr.  Dann  schritt  man  zur  eigentlichen  Operation.  Zuerst  wurde 
ein  Knabe  auf  die  Schultern  eines  im  Gras  sitzenden  Mannes  gesetzt.  Der 
Knochen,  welcher  am  vorhergehenden  Tage  zum  Vorschein  gekommen  und  an 
einem  Ende  geschärft  war,  wurde  nun  dazu  benutzt,  um  das  Zahnfleisch  auf- 
zuschneiden, damit  der  Zahn  leichter  gezogen  werden  konnte.  Mit  einem 
Stecken  von  8—10  Zoll  Länge,  welcher  vom  Operateur  mit  dem  einen  Ende 
am  Rande  des  Zahnfleisches  angesetzt  wurde,  während  er  auf  das  andere 
Mnde  mit  einem  großen  Steine  schlug,  war  die  Sache  bald  abgetan.  Nach  dem 
Ausziehen  des  Zahnes  wurde  der  Knabe  wieder  in  die  Nähe  seiner  Freunde 
gelegt,  die  ihm  das  Zahnfleisch  (die  Wunde  ?)  schlössen  und  ihm  die  Abzeichen 
seines  neuen  Standes1)  anlegten.  Um  den  Unterleib  bekam  er  einen  Gürtel. 
in  den  man  ein  hölzernes  Schwert  steckte;  um  den  Kopf  wand  man  ihm 
ein  mit  den  Blättern  des  Grasbaumes  geschmücktes  Band.  Seine  linke  Hand 
legte  er  sich  auf  den  Mund,  um  ihn  zu  verschließen;  denn  er  durfte  nicht 
sprechen,  durfte  auch  den  ganzen  Tag  über  nichts  essen.  —  Das  Blut,  welches 
aus  der  Wunde  des  Zahnfleisches  floß,  wurde  nicht  abgewischt,  sondern  rann 
auf  die  Brust  des  Patienten  und  auf  den  Kopf  des  Mannes  herab,  auf  dessen 
Schultern  jener  saß;  hier  mußte  es  trocknen  und  liegen  bleiben.  —  Die  Knaben 
hießen  von  nun  an  „Kebarralr,  von  „Keba".  d.  i.  Fels  oder  Stein. 

Im  Seengebiet  Australiens  vollzieht  man  die  Operation  (Tschirrintschirri) 
bei  Mädchen  und  Knaben.  Hier  werden  zwei  zirka  30  cm  lange  Stäbe  von 
Cuyamurra-Holz  an  den  Enden  geschärft,  so  daß  sie  die  Gestalt  eines  Keils 
haben,  und  dann  zu  beiden  Seiten  des  herauszuziehenden  Zahnes  eingetrieben. 
Auf  den  Zahn  selbst  legt  man  ein  Stück  Wallaby-Fell  in  drei  bis  vier  Falten 
und  setzt  darauf  ein  scharfes,  etwa  60  Zentimeter  langes  Stück  Holz.  Ein  bis 
zwei  Schläge  mit  einem  schweren  Stein  auf  dieses  Holz  genügen  in  der  Reg<  1. 
den  Zahn  so  zu  lösen,  daß  er  mit  der  Hand  herausgezogen  werden  kann.  Der  zweite 
Zahn  wird  auf  die  gleiche  Weise  entfernt,  worauf  man  feuchten  Ton  auf  die 
Wunden  drückt,  um  die  Blutung  zu  stillen.  Obschon  die  Kinder  „noch  sehr 
jung"  sind2)  und  die  Operation  durchaus  nicht  schmerzlos  sein  kann,  so  ver- 
raten sie  doch  kaum  durch  ein  Zucken  des  Gesichts,  daß  sie  leiden.  Drei 
Tage   nach  der  Operation  muß  das  Kind  sich   wohl  hüten,   den  Rücken  von 


')  Also  wohl  die  Abzeichen  als  .Mann   und  als  Stammesraitglied. 

')  Floß  fügte  diese  Operation  dem  Kapitel  „Abschluß  der  Kinderjahre"  ein,  was 
hiermit  auch  in  der  dritten  Auflage  geschieht,  üer  obige  Ausdruck  „noch  sehr  jung"  scheint 
aber  auf  eine  Operation  in  zarterem  Alter  hinzuweisen.  Vgl.  die  Zahnoperationen  in 
Kapitel  XXXVII.  Nach  Spencer  und  Gillen  findet  Zalinausschlagcn  für  beide  Geschlechter 
bei  den  nördlichen  Stämmen  wenigstens  jetzt  statt,  ohne  daß  diese  Operation  etwas  mit 
der  Mannbarkeitsfeier  zu  tun  hat. 


tj  380.     Malayisch-polynesische  Völker.  771 

irgend  jemand  zu  sehen,  sonst  wächst  sein  Mund  zu  und  es  muß  Hungers 
sterben.  Dagegen  ist  es  ihm  gestattet,  Freunden  ins  Gesicht  zu  sehen.  Die 
ausgezogenen  Zähne  hüllt  man  in  ein  Bündel  Emu-Federn,  welche  mit  dem 
unvermeidlichen  Fett  beschmiert  sind,  und  bewahrt  sie  ein  Jahr  oder  darüber 
sorgfältig  auf.  damit  die  Adler  sie  nicht  linden.  Sonst  wachsen  dem  Kinde, 
an  Stelle  der  ausgezogenen,  größere  Zähne,  welche  sich  in  die  Höhe  krümmen 
und  unter  großen  Schmerzen  den  Tod  verursachen  1). 

Über  den  Ursprung  der  obigeu  Zeremonie  geht  die  Sage,  daß  der  gute 
Geist.  Muramura,  nach  Erschaffung  des  ersten  Kindes  diesem  die  betreffenden 
beiden  Zähne  ausgeschlagen  habe  (warum  wird  nicht  gesagt) ;  die  Veränderung 
im  Aussehen  des  Kindes  habe  ihm  zugesagt,  und  daher  sei  der  Befehl  gegeben 
worden,  man  solle  so  mit  jedem  Kinde  verfahren  2). 

Von  südlichen  und  westlichen  Stämmen  Australiens  beschrieb  Ploß3) 
Initiationszeremonien  (Wily  al  Kanye),  welche  im  zwölften  Lebensjahr  der 
dortigen  Knaben  vorgenommen  werden:  Jeder  Novize  hat  einen  Paten,  der 
ihn  auf  dem  Kücken  in  eines  anderen  Mannes  Schoß  legt;  die  Operateure 
stehen  rings  umher.  Nun  werden  den  jungen  Leuten  die  Augen  verbunden, 
und  man  legt  sie  auf  einer  entfernten  Stelle  nieder.  Die  Weiber  klagen  und 
kreischen.  Die  Knaben  werden  mit  dem  Gesicht  auf  die  Erde  gelegt  und 
mit  Känguruhfellen  bedeckt.  Die  Männer  lassen  alle  drei  bis  fünf  Minuten 
Weherufe  ertönen.  Nach  einiger  Zeit  werden  die  Knaben  wieder  aufgehoben; 
während  sie  noch  immer  die  Augen  verbunden  haben,  werfen  zwei  Männer 
grüne  Zweige*)  auf  sie:  auch  machen  diese  mit  ihren  Waffen  und  ihrem 
Geschrei  einen  gewaltigen  Lärm,  während  die  anderen  im  Halbkreise  auf- 
gestellt sind.  Plötzlich  bringt  einer  von  diesen  Leuten  einen  Zweig  herbei 
und  läßt  ihn  fallen;  andere  folgen,  und  so  bildet  sich  ein  Haufen  Zweige,  auf 
den  die  Knaben  gelegt  werden.  Nun  nehmen  die  Paten  ihre  kleinen  geschärften 
Quarzstückchen  hervor,  indem  sie  zugleich  für  jeden  Knaben  einen  neuen 
Namen  wählen,  der  ihm  fürs  ganze  Leben  bleibt,  (Diese  Namen  enden  stets 
auf  alta,  ilti  oder  ulta.)  Die  Paten  öffnen  dann  sich  selbst  die  Venen  an 
den  Armen,  lassen  die  Knaben  den  Mund  aufsperren  und  träufeln  ihnen  zunächst 
etwas  Blut  in  den  Schlund.  Hierauf  fallen  die  Knaben  auf  Hände  und  Knie, 
und  man  läßt  ihnen  das  Blut  auf  den  Kücken  rinnen,  wo  es  zu  einer  Masse  gerinnt 
und  eintrocknet.  Ist  diese  fest  genug,  so  bezeichnet  ein  Mann  die  Stellen, 
auf  welchen  die  Tätowierung5)  stattfinden  soll,  indem  er  mit  seinem  Daumen- 
nagel  das  Blut  entfernt.  Nun  macht  der  Pate  mit  seinem  Kiesel  dem  Knaben 
einen  tiefen  Einschnitt  in  den  Nacken  und  bringt  ihm  breite,  zolltiefe  Wunden 
von  der  Schulter  bis  zu  den  Hüften  bei.  Dann  wird  dem  Kandidaten  ein 
Büschel  grünes  Laub,  um  welches  ein  Gürtel  von  Menschenhaar6)  gebunden 
wird,  rings  um  den  Unterleib  geschlungen,  jeder  Arm  über  den  Ellenbogen 
mit  einem  Band  umwunden,  um  den  Nacken  ebenfalls  ein  Band  gewunden, 
welches  über  den  Kücken  herabreicht  und  an  dem  Haargürtel  befestigt  wird. 


')  Ganz  ähnliche  Auffassungen  von  vermeintlichen  Beziehungen  zwischen  Menschen- 
zähnen und  Tieren,  bzw.  deren  Zähnen.  Schnäbel  usw.  finden  sich  inmitten  unserer  eigenen 
Kultur.     Siehe  Kapitel  XXXIV. 

*)  Ploß  II,  418.  —  Vgl.  die  andere  Sage  auf  S.  122,  daß  zwei  Schi  angenbrüder 
sich  zuerst  gegenseitig  die  Zähne  ausschlugen;  ferner  das  Aufessen  der  Zähne  von  der 
Schwiegermutter  (S.  123  d.  B.). 

3)  II.  416f. 

4)  Sollte  das  auf  den  mystischen  Tod  des  Kindes,  bzw.  das  darauffolgende  Aufleben 
des  Mannes  hinweisen?  Grüne  Zweige  als  Bilder  des  Lebens,  des  Wachstums  und  der 
Fruchtbarkeit  sind  uus  bekannt. 

6)  Diese  innere  Verbindung  des  Blutes  mit  der  Tätowierung  hat  wohl  wieder  einen 
tieferen  Sinn. 

6)  Siehe  die  Gürtel  aus  den  Haaren  der  zukünftigen  Weiber  bei  den  Initiationskandidaten 
der  Kai  tisch  S.  774. 

49* 


7  72 


Kapitel  LYI1I.     Pubertätsi'este  des  männlichen  Geschlechtes. 


Gesicht  und  Vorderseite  des  Körpers  der  jungen  Männer  werden  mit  Kohle 
geschwärzt.  Zum  Schluß  umschwärmen  alle  Männer  den  Initiierten,  ermahnen 
ihn,  einige  Monate  lang  nur  zu  flüstern  und  erteilen  ihm  Unterricht  im  Jagen. 
Fechten  und   Ertragen  der  Strapazen. 

Eine  ähnliche  Tätowierung  beim  Abschluß  der  Kinderjahre  beschrieb 
Plofi1)  als  „Willyarn"  von  den  Eingehornen  am  Peak  River.  Südaustralien. 
Die  Ausführung  der  Tätowierung  fällt  hier  zwischen  jene  der  Zirkumzision 
mit  Naraengebung  und  jene  der  „Kulpie"  oder  Aufschlitzung  der  Harm  (ihre2) 
und  geht  unter  folgenden  Begleiterscheinungen  vor  sich: 

An  einem  verabredeten  Abend  fallen  die  alten  Männer  des  Stammes  über  den 
ahnungslosen  Kandidaten  (Thutschawara)  her  und  tragen  ihn  aus  dem  Lager  fort. 
Die  Weiher  erheben  ein  Geschrei  und  brechen  in  Weinen  aus,  das  bis  tief  in 
die  Nacht  hinein  dauert.  Der  junge  Mann  schläft  mit  seineu  Entführern  einige 
hundert  Schritte  vom  Lager.  Mit  Sonnenaufgang  kommen  auch  die  übrigen  Männer, 


Fig. 


4  12.      Talambe,     ein    junger    tätowierter    Bngan.      Darling-Fluß,    südliches    Australien. 
/,.  Mitchells  „Turee  Expedition  into  tue  Interim-  of  Eastein  Ausiralia".  Vol.  I.  p.  S14, 


(Aus 


alt  und  jung,  zur  Stelle;  nur  der  Vater  und  die  Brüder  des  Kandidaten  bleiben 
zurück.  Man  gebietet  ihm,  die  Augen  zu  schließen.  Ein  alter  Manu,  welcher  dazu 
bestellt  ist.  läßt  nun  drei  oder  vier  alte  Männer  zur  Ader,  so  daß  das  Blut  auf  den 
Körper  des  jungen  Mannes  strömt.  Der  Aderlaß  wird,  nach  Unterbinden  des 
rechten  Oberarms,  mit  einem  scharfen  Stein  vollzogen.  Der  junge  Mann  ist  bald 
von  Kopf  bis  zu  Kuß  mit  Blut  bedeckt,  das  man  trocknen  läßt.  ..Das  soll  dem 
jungen  Krieger  Mut  einflößen;  ersollsichan  den  Anblick  von  Blutgewöhnen"8). 

i)  IL  421. 

2)  Siehe  S.  209f.  —  Plofl  schrieb  in  der  zweiten  Auflage  (II.  421 1.  der  Kandidat  habe 

nach  der  Zirkumzision  und  der  NamengebuDg  „alle  Kochte  und  Privilegien,  welche  den  Männern 

ukommen",   fügt   jedoch    gleich   bei:    „Aber   noch    hat  er  zwei  Prüfungen  zu  bestehen,   eho 

er  die  höchste!'.")  Manneswürde  erreicht-',  worauf  er  das  „  Willyanr'  und  die  „Kulpie"  als  diese 
zwei  „Prüfungen"   beschreibt. 

:'i  Dali  nicht  die  Gewöhnung  au  den  Anblick  allein  von  Blut  gemeint  ist.  dürfte  aus 

dem  Einträufeln  dos  Blutes  in  den  .Mund  der  Kandidaten  hervorgehen,  welches  von  den 
erwähnten  südlichen  and  westlichen  StS ien  überhaupt  mitgeteilt  worden  ist.  Wahr- 
scheinlicher dünkt  mir  die  Mitteilung  dos  Mutes  der  alten  Männer  durch  das  Blut,  welches 

Inen  \Jrin  auf  die  Kandidaten,  oder,  wie  früher  mitgeteilt,  in  deren  Mund  fließt. 
Vgl.  übrigens  das  Blut,  welches  vom  Kandidaten  bei  Port  Jackson  auf  den  Manu  i'ießt. 
der  ihn  trägt.     Blutgemeinschaft,   Einheitsgedanken  scheinen  nur  auch  da  unterzuliegen. 


380.     Malayiseh-polynesischc  Völker. 


773 


Dann  folgt  der  zweite  Akt:  Dem  jungen  Mann  wird  befohlen,  sich  auf 
das  Gesicht  zu  legen.  Zwei  junge  Männer  ergreifen  scharfe  Steine  und  machen 
sechs  bis  zwölf  tiefe  Einschnitte  auf  Nacken  und  Schultern.  Wenn  die  Wunden 
heilen,  bleiben  dicke  Wülste  als  Narben,  auf  welche  der  Eingeborne  stets 
mit  einem  gewissen  Stolz  hinweist.  Bis  sie  aber  heilen,  muß  der  junge  .Mann 
sich  vom  Lager  fernhalten.  Man  gibt  ihm  ein  Stück  Holz,  Yuntha;  es  ist 
etwa  22  Zentimeter  lang,  6  Zentimeter  breit  und  kaum  2  Millimeter  im 
Durchschnitt:  an  dem  Ende  ist  ein 
Loch,  in  welchem  ein  mehr  als  2  Meter 
langer  Faden  befestigt  ist.  Diese  Yuntha 
muß  der  Jüngling-  auf  seinen  Jagden 
schwingen.  Man  glaubt,  daß  dadurch 
Schlangen.  Eidechsen  und.  anderes  eß- 
bares Getier  sich  vermehrt J) ;  ebenso 
muß  er  jede  Nacht,  bis  seine  Wunden 
geheilt  sind,  in  die  Nähe  des  Lagers 
kommen,  aber  nicht  näher  als  400 
Schritte,  und  die  Yuntha  schwingen, 
damit  ihr  waldteufelartiges  Summen 
seinen  Angehörigen  anzeige,  daß  er 
noch  am  Leben  ist  und  sie  ihm  Speise 
bringen  können. 

Ist  die  Heilung  vollendet,  so  kehrt 
er  zurück  und  es  fehlt  nicht  an  Be- 
weisen von  Freundschaft  unter  seinen 
Genossen.  Aber  er  hält  sich  nur  kurze 
Zeit  bei  den  Seinen  auf;  er  muß  auf 
die  Yinainda,  auf  die  AVanderschaft. 
bei  befreundeten  Stämmen  gehen.  Einige 
seiner  Freunde  begleiten  ihn.  Er  darf 
kein  Lager  ohne  irgendein  Geschenk 
verlassen,  sei  es  Speer.  Bumeiang.  ein 
gestrickter  Beutel,  ein  paar  schöne  Federn 
usw.  Diese  Geschenke  verteilt  er  bei 
seiner  Rückkehr  unter  die  Freunde, 
welche  tätigen  Anteil  an  der  Operation 
genommen  haben.  Inzwischen  ist  ein 
junges  Mädchen  beauftragt  worden,  ein 
Gedicht  zu  machen,  welches  sie  dem 
Zurückkehrenden  vorsingt,  dem  zu  Ehren 
alles  tanzt,  lacht,  kreischt,  ißt  und  trinkt. 

Als  ..Willyaru"  bezeichneten 
Spc/tciT  und  (i'illeu  die  Tätowierung  auch 
bei  den  Urabunna,  einem  der  Zentral- 
stämme Australiens  -).    Auch  hier  wird 

der  Kandidat  am  Schluß  der  Einweihungszeremonien,  mit  dem  Gesicht  zur  Erde, 
hingelegt.  Dann  schlagen  alle  anwesenden  Männer  fest  auf  ihn  los, 
worauf  zwei  Verwandte  ihm  vier  bis  acht  Schnitte  zu  beiden  Seiten  des 
Bückgrates  und  einen  Schnitt  am  Genick  beibringen.    Diese  Zeremonie  wollen 


Fig.  493. 

Ceylon. 


Ein  tätowierter  Hindu,  Reishändler  auf 
Im    K.    Ethnographischen    Museum    in 
München. 


*)  Vgl.  den  heiligen  Stock  bei  den  Larakia  w.  u.  Übrigens  kennen  wir  dieses 
Schwirrholz  bereits  aus  früheren  Kapiteln.  Es  steht,  unter  anderem,  gleichfalls  in  Beziehung 
zum  Geschlechtsleben. 

2)   Vielleicht  haben  wir  es  hier  gar  mit  ein  und  demselben  Stamm  zu  tun. 


774:  Kapitel  LVIII.    Pubertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 

Spencer  und  Gillen  auf  kannibalische  Gebräuche  in  mythischer  Vorzeit  zurück- 
führen (?) J). 

Bemerkenswert  ist  zweifellos  auch  der  Brauch  der  Urabunna,  dem 
Kandidaten  den  Mund  mit  Pelzstreifen  zu  verstopfen,  zumal  Spencer  und 
Grillen  zwei  Schlangen  als  Ahnen  der  Urabunna  erwähnen,  die  in  der  grauen 
Vorzeit  Pelzstreifen  machten.  Von  diesen  Schlangen  gehen  alle 
Geisterkinder  aus,  die  seitdem  in  jedem  empfangenen  und  ge- 
bornen  Kind  ihre  Reinkarnation  finden2). 

Im  Kaitisch-Stamm  umgürtet  man  den  Kandidaten  bei  seiner  Initiation 
mit  einem  Gürtel  aus  den  Haaren  seines  zukünftigen  Weibes*)  (Spencer-GHllen). 

Bei  den  Eingebornen  von  Queensland,  nordöstliches  Australien, 
ist  die  Tätowierung  ein  Vorrecht  der  Volljährigkeit.  Der  heranwachsenden 
Jugend  bringt  man  nur  einige  Schnitte  mit  einem  scharfen  Kiesel  oder  einer 
scharfen  Muschel  bei;  später  werden  Brust.  Unterleib  und  Schaltern  ganz  mit 
Schnitten  bedeckt.  Um  eine  zu  rasche  Vernarbung  zu  verhindern  (?),  über- 
streut man  die  Wunde  mit  Kohle  oder  Asche.  -  Frauen  dürfen  Arme,  Brust 
und  Bücken  nur  in  beschränktem  Maß  tätowieren  (Karl  Jbumholtz). 

Bei  den  Unmatjera,  einem  der  nördlichen  Zentralstämme,  haben  die 
Knaben  nach  der  Zirkumzision  das  schmerzliche  Skalp-Beißen  auszuhalten, 
wobei  sie  oft  laut  aufheulen  vor  Schmerz.  Die  herumsitzenden  Männer  eifern 
den  Beißer  an.  sein  möglichstes  zu  tun.  Dach  sollen  nur  solche  beißen,  die 
selbst  sehr  starken  Haarwuchs  haben:  denn  der  Biß  soll  bei  dem  Kandidaten 
das  Wachstum  des  Haares  befördern4)  (Spencer  und  Grillen). 

Den  letzteren  Zweck  wollen  die  Warramunga  mit  dem  Besingen 
der  Haare  des  Zirkumzitierten  erreichen  (Spencer  und  Gfillen). 

Zu  den  Pubertäts-  und  Initiationsbräuchen  der  Arunta  und  llpirra5) 
gehört,  außer  der  Zirkumzision  (Lartna)  und  Subinzision  (Ariltha) "),  das  Be- 
malen und  In-die-Luft-Werfen  der  Kandidaten;  ferner  die  Feuerzeremonie 
(Engwura).  Auch  die  Unmatjera  werfen  ihre  Kandidaten  in  die  Luft. 
Hier,  wie  bei  den  Arunta,  leitet  man  mit  dieser  Handlung  die  Zirkum- 
zision ein7).  Der  zukünftige  Schwiegervater  des  Kandidaten  prügelt  diesen, 
wenn  er  von  ihm  noch  nicht  die  gebräuchlichen  Geschenke  erhielt,  tüchtig 
durch,  solange  der  Bursche  in  der  Luft  schwebt.  Beim  Herunterholen  wird 
der  Kandidat  von  anwesenden  Männern  mit  den  Armen  aufgefangen  (Speito 
und  Gtilh  ii  i. 

Über  die  Reifefeier  in  Roebuck  Bay.  westliches  Australien,  schreibt 
Ada  Janet  Pegg*:  Wenn  ein  Knabe  ..zum   Manne  gemacht"  werden  soll,   wie 


')   Vgl.    ähnliches   bei  den  Pubertätsfeiern  anderer   Völker  in  diesem  und   dem  vorigen 
Kapitel.     Mir  scheinen   deshalb  diese  Schnitte   nicht    auf  Kannibalismus  hinzudeuten,   und  noch 

r   die    Schlüge,   \wlchr   der   australische    l'ubertätska;  didat    erhält. 

•i  Jedes  Kind  verdankt  als"  auch  heute  noch  diesem  Schlangenpaar  seine  Existenz. 
Die  obigen  Pelzstreifen  dürften  begrifflich  mit  den  oben  erwähnten  Haargürteln 
australischer  Stämme  und  den  bei  der  ersten  Menstruation  abgeschnittenen  Mädchen] 
an  den  Zierlanzen  der  Pubertäts-  oder  Initiationskandidaten  am  Rio  Tiquie,  Brasilien  f§  389), 
übereinstimmen.  Vielleicht  sind  diese  Haarformen  Symbole  der  Zeugungsorgane.  Vgl. 
tu  Penisqnaste  des  Vaters,  welche  bei  den  Warramunga  die  Pelzstreifen  anderer  Stämme 
ersetzt  (S.  207  d.   B  |,  sowie  das   hier   Kinsehlägige  in   S.   369. 

*)   Ich  hatte,   als   ich   auf  S.  210  d.   B.  auf   diesen  Brauch   hindeutete,    die  Quelle   aus 
dem    Vuge  verloren,  welche  nun  oben  bezeichnet  ist. 

1     \lso  wieder  sympathetische  Übertragung  einer  Eigenschaft. 

5I   Gleichfalls    nördliche   Stämme   des   Innern. 

■  i  Siehe   Kapitel   XXXVITI. 

Ti   Vgl.  deD  Mythus  der  Kaitisch  (S.  206  d.  B.),  der  Geist  Atnatu   habe   das  Stein- 
Beschneidung   vom   Himmel    fallen    lassen:    ferner    die  Stimme    des    vom    Himmel 
Beschneidungs-    bzw    Initiationsgeistes   des    Larakia-Stammes  w.u.     Vielleicht 
steht   das  obige  In-die-Luft-Werfen  und  darauffolgende  Auffangen  damit  in  Verbindung. 


§  380.     Malayiseh-polynesische  Völker.  7.75 

die  Eingebornen  sich  ausdrücken,  dann  nimmt  man  ihn  zum  Busch,  wo  sich 
eine  Anzahl  Männer  mit  Stöcken  in  den  Händen  versammelt  haben.  Der 
Knabe  muß  nun  durch  den  Busch  laufen,  bis  er  vor  Erschöpfung  niedersinkt, 
worauf  man  ihn  mit  Schlägen  auf-  und  abermals  zum  Laufen  antreibt  und  so 
fort;  ist  er  vor  Ermüdung  dem  Tode  nahe,  dann  facht  man  ein  Feuer  an 
und  vollzieht   die   Beschneidung1).  Weiter    im    Innern    muß    der   Beife- 

kandidat  das  Gesicht  vierzehn  Tage  lang  mit  einer  Maske  bedecken.  Die 
Linien  der  Maske  erklären,  nach  Mrs.  Peggs,  den  Grund,  warum  sie  getragen 
wird.  Niemand  darf  während  dieser  Zeit  das  Gesicht  des  angehenden  Mannes 
sehen2),  der  von  einem  alten  Weib  mittels  einer  Bohre  unter  der  Maske 
gespeist  wird,  die  ihm  das  Weib  in  den  Mund  steckt. 

Peggs  erwähnt  ferner  die  uns  bereits  bekannte  Zeremonie,  den  Kandi- 
daten in  die  Luft  zu  werfen.  Die  Männer,  welche  ihn  auch  hier  beim  Her- 
unterfallen in  ihren  Armen  auffangen,  bezeichnet  sie  als  Krieger,  und  die  zur 
Feier  aufgeführten  Tänze  als  Kobba-Kobba  oder  Corroboree.  Sie  dauern 
14  Tage;  Weiber  nehmen  daran  teil3). 

Im  Larakia-Stamm,  Port  Darwin-Distrikt,  müssen  sich  die  mannbar 
gewordenen  Burschen  zusammen  an  einen  abgelegenen  Ort  zurückziehen,  wo 
sie  bei  spärlicher  Ernährung,  unter  den  Befehlen  alter  Männer  stehen,  denen 
sie  unbedingten  Gehorsam  schulden.  Von  Zeit  zu  Zeit  erhalten  sie  von  diesen 
ohne  vorhergehende  Warnung,  einen  heftigen  Schlag  oder  Stoß,  was  sie  ohne 
das  geringste  Zeichen  von  Schmerz  ertragen  müssen,  wollen  sie  sich  nichts 
Schlimmeres  zuziehen.  Ferner  haben  sie  schwere-  körperliche  Arbeit  zu 
leisten,  z.  B.  wuchtige  Baumstämme  zu  fällen  und  zu  wälzen,  oder  ein  Krokodil 
ans  Land  zu  bringen4).  Nach  den  bestandenen  Proben  zeigen  die  Greise 
ihren  Kandidaten  einen  heiliggehaltenen  Stock6),  mit  dem  sie  durch  Schwingung 
ein  eigentümliches  Geräusch,  ..Eruba",  hervorbringen,  das  nach  dem  den 
Weibern  beigebrachten  Glauben  die  Stimme  eines  vom  Himmel  ge- 
kommenen Geistes  ist,  der  die  Burschen  in  den  Busch  trägt,  von 
wo  sie  als  eingeweihte  Männer  zurückkehren6). 

Bei  allen  von  Spencer  und  Qillen  beobachteten  Stämmen  erhalten  die 
jungen  Leute  durch  ihre  Aufnahme  in  die  Beihen  der  Männer  die  Erlaubnis,  von 
nun  an  den  heiligen  Riten  (Performances)  ihres  Stammes  beizuwohnen  und 
selbst  dabei  mitzuwirken.  — 

Der  Samoaner  gilt  so  lange  als  minderjährig,  als  er  noch  untätowiert 
ist.  Bis  dahin  darf  er  auch  nicht  ans  Heiraten  denken.  Doch  wird  das 
Alter,  in  welchem  sich  der  junge  Bursche  dieser  schmerzlichen  Operation 
unterwirft,  verschieden  angegeben:  Nach  Turner  waren  es  zu  seiner  Zeit 
16  —  17jährige  Jünglinge;  in  neuerer  Zeit  gibt  Thilenius  (nach  A.  Krämer) 
14 — 18  Jahre  an. 


:)  Auch  diese  Verbindung  des  Durchhauens  mit  der  Beschneidung  am  Feuer  weist  auf 
etwas  anderes,  als  auf  eine  ausschließliche  Mutprobe  hin. 

s)  Der  junge  Mann  soll  währenddessen  wohl  in  einen  neuen  Menschen  umgewandelt 
werden.     Vgl.  ferner  die  Bedeutung  der  Masken  iu  §  369. 

3)  Die  Beschneidungszeremonien  australischer  Stämme  siehe  Kap.  XXXVIII,  §  244  und 
§  250,  S.  204—211  d.  B. 

4)  Hier  haben  wir  augenscheinlich  tatsächliche  Kraftproben,  Aufgaben,  welche 
unter  den  dortigen  Kulturverhältnissen  an  einen  Blaun  gestellt  werden.  Auch  die  Schläge 
oder  Stöße  weisen,  nach  der  obigen  Darstellung,  hier  eher  auf  Abhärtungsmittel,  als  auf  einen 
Fruchtbarkeitsritus  hin. 

r,i  Vgl.  das  ,.Yuntha"  am  Peak  River  und  die  entsprechenden  Namen  für  diese 
heiligen  Schwirrhölzer  bei  früher  erwähnten  Stämmen  Australiens. 

6)  Gedanke  der  Wiedergeburt.  Was  die  Dämonenstimme  hier  und  bei  andern 
Völkern  betrifft,  s.  §  369. 


776  Kapitel  LV1II.     Pubertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 

Den  Vorgang  selbst  beschrieb  Ploß  (wohl  nach  Turner)  wie  folgt1): 
Der  junge  Mann  streckt  sich  auf  eine  Matte  aus  und  legt  den  Kopf  in  jemandens 
Schoß,  „während  einige  andere  ihn  an  den  Beinen  halten  und  aus  Leibes- 
kräften singen,  um  das  Schmerzensgeschrei  und  das  Stöhnen  des  Burschen 
zu  übertäuben.  Nun  erscheint  der  Künstler  mit  einem  Hammer  und  mehreren 
Kämmen,  die  aus  Menschenknochen  gemacht  und  an  einem  Griffe  befestigt 
sind.  Den  Kamm  taucht  der  Künstler  in  eine  Mischung  von  Kokosnußasche 
und  Wasser,  setzt  die  Zinken  auf  die  Haut  des  jungen  Mannes  und  treibt  sie 
mit  raschen  Hammerschlägen  in  die  Haut.  Zur  Seite  stehen  Leute,  die  das 
aus  den  zerstochenen  Teilen  hervorquellende  Blut  abwischen.  Auf  diese  Weise 
überzieht  der  Tätowierer  den  ganzen  Leib  mit  Mustern,  die  er  einschlägt; 
aber  er  briugt  in  einer  Stunde  kaum  eine  Fläche  von  9  cm  im  Geviert  fertig; 
dann  läßt  er  den  Burschen  aufstehen,  und  es  legt  sich  ein  anderer  an  dessen 
Stelle  nieder.  Nach  etwa  einer  Woche  geht  es  von  frischem  los,  und  so 
wird  das  Geschäft  drei  bis  vier  Monate  fortgesetzt,  bis  der  ganze  Körper 
tätowiert  ist.  —  Während  der  Zeit,  welche  von  der  Operation  in  Anspruch 
genommen  wird,  sieht  der  arme  Teufel  jämmerlich  aus;  die  zerstochenen 
Körperteile  sind  geschwollen  und  entzündet  und  lassen  noch  nichts  von  einem 
Muster  sehen.  Er  humpelt  unter  entsetzlichen  Schmerzen  umher  und  sucht 
sich  der  Fliegen,  die  ihn  quälen,  mit  einem  Wedel  zu  erwehren.  Endlich 
aber  kommt  der  Lohn:  sobald  die  Wunden  geheilt  sind,  treten  die  Muster  in 
ihrer  ganzen  Pracht  zutage,  und  dieses  Ereignis  wird  durch  einen  tüchtigen 
Tanz  gefeiert." 

Die  Muster  bestehen  in  ihren  Hauptelementen  aus  geraden  Punktreihen, 
Winkeln,  Zickzacklinien  zwischen  Parallelen  und  Wellenlinien.  Auch  der 
Tausendfuß,  Seeschwalben,  Seesterne  und  Quallen  werden  in  den  Mustern 
nachgeahmt,  Im  wesentlichen  sind  die  Muster  für  beide  Geschlechter  gleich: 
doch  nimmt  man  es  bei  der  Tätowierung  der  Mädchen  weniger  genau.  — 
Ein  Zweck  der  Tätowierung  ist:  Verschönerung,  und  das  zwar  für  beide 
Geschlechter;  ein  anderer  ist  für  den  Jüngling:  Erprobung  seines  Mutes2). 
Deshalb  gilt  es  auch  heute  noch  als  eine  Ehrensache,  tätowiert  zu  sein 
(Thilenrus.  nach  Krämer). 

Zur  Ergänzung  dieser  Mitteilungen  möge  hier  noch  beigefügt  werden, 
daß  Kubary  schrieb,  der  Samoaner  dürfe,  ehe  er  tätowiert  ist.  nicht  nur  um 
kein  Mädchen  werben,  sondern  auch  seine  Hand  nicht  nach  dem  Haupt  eines 
gefallenen  Kriegers  ausstrecken3).  Ohne  Tätowierung,  den  Beweis  seiner 
Mannbarkeit,  schäme  sich  der  Samoaner,  unter  seinen  Kameraden  zu  er- 
scheinen. Deshalb  seien  auch  die  Versuche  der  Missionare,  diesen  Brauch 
auszurotten,  bisher  vergebens  gewesen.  —  Vom  Nabel  abwärts  reiche 
das  dichte  Muster  bis  zum  oberen  Drittel  des  Oberschenkels,  so  daß  der 
tätowierte  Teil  aussehe,  wie  wenn  der  Mann  eine  unserer  Schwimmhosen 
anhätte. 

§  381.     Japaner,  Chinesen,  Aniiamiten,  Siamesen  und  ATnos  (Fragmente). 

Im    alten   China    bekamen    die    heranwachsenden    jungen    Burschen    im 
15.  Lebensjahr    den    männlichen    Hut    und   wurden    in    die   (Tesellschaft   ern- 
ährt, wie  Ploß*)  mit  einem  Hinweis  auf  Plath  schrieb.     Im  (neuzeitlichen  ?) 


'  i   I.  336  f. 

i    Wenn   die  Tätowierung;  für  beide   ^schlechter  wesentlich  gleich  ist,    dann   ist   nicht 
einzusehen,  warum  sie  für  den  Mann  allein   „Mutnrobe"  ist. 
3)   Vgl.  Furmosa. 
*)  II,  136 


§  382.     Indianer.  777 

China  feiere  man  den  Eintritt  in  das  Jünglingsalter1)  zwischen  12  und  15 
Jahren  durch  die  Verleihung-  einer  Mütze. 

Dem  15jährigen  Japaner  schneidet  sein  Pate  die  vordere  Haarlocke 
ab.  (Näheres  hierüber  und  über  die  Erteilung  eines  neuen  Namens  siehe 
S.  74  d.  B.) 

Auch  bei  den  Ainos  findet  zur  Zeit  der  Pubertät  ein  bestimmter  Haar- 
schnitt statt,  und  es  wird  dem  Kandidaten  hier  und  bei  den  Japanern  eine 
Art  Mütze  aufgesetzt.  Bei  dem  damit  verbundenen  Fest  der  Arno  soll  der 
Sake  (Reiswein)  eine  Hauptrolle  spielen  (H.  von  Sieboldt) 2). 

Den  feierlichen  Haarschnitt  bei  den  12— 13jährigen  Siamesen-Knaben 
siehe  S.  79  d.  B. 

Wie  der  Japaner,  so  erhält  der  junge  Annamite  mit  Eintritt  der 
Mannbarkeit  einen  zweiten  Namen,  den  Ten-goi  oder  Rufnamen,  und  ist  er 
der  älteste  Sohn  seiner  Eltern,  so  tritt  zudem  eine  jener  Erscheinungen  ein, 
welche  wir  bei  verschiedenen  Völkern  schon  in  früheren  Kapiteln3)  kennen 
gelernt  haben,  d.  h.  es  wird  auch  der  Name  seiner  Eltern  abgeändert.  Diese 
nennen  sieh  dann  von  dieser  Zeit  an  mit  dem  Rufnamen  ihres  Sohnes.  Letzterer 
läßt  von  jetzt  an  seine  Haare  wachsen  und  seine  Zähne  schwärzen4). 

§  382.     Indianer. 

Die  Mannbarkeitsfeier  der  Mandan-Indianer  „im  Osten  der  Felsen- 
gebirge"5) fand  am  „Fest  der  großen  Flut-'  statt  und  wurde  als  O-kih-pa 
bezeichnet.  Es  war  mit  grauenerregenden  Martern  für  jene  jungen  Männer 
verbunden,  welche  im  vorhergehenden  Jahr  zur  Pubertät  gelangt  waren.  Den 
durch  vierthalbtägiges  Fasten  und  ebenso  lange  Schlaflosigkeit  mattgewordenen 
Jünglingen  stießen  zwei  maskierte15)  Operateure  ein  zugespitztes  Messer  mit 
ausgezackter  Klinge  (so  daß  jeder  Einschnitt  den  größtmöglichsten  Schmerz 
verursachen  mußte)  am  Vorder-  und  Oberarm,  Schenkel,  Kniegegend  und 
Waden,  dann  an  Brust  und  Schultern  durch  das  Fleisch,  worauf  spitze  Holz- 
ptlöcke  von  der  Dicke  eines  Fingers  sofort  durch  die  Wunden  geschoben 
wurden.  Dann  ließ  man  vom  Dache  der  Medizinhütte  einen  Lederstrick  herab, 
den  man  an  diese  Pflöcke  in  der  Brust  oder  in  den  Schultern  befestigte  und  woran 
man  die  Gemarterten,  die  obendrein  mit  Medizinbeutel,  Schild  und  an  Armen  und 
Füßen  befestigten  Büffelköpfen  beschwert  wurden,  so  weit  emporhißte,  daß 
letztere  frei  hin  und  her  baumeln  konnten.  Endlich  drehte  man  die  Dulder 
um  sich  selber  herum,  anfangs  langsam,  dann  immer  schneller  und  schneller, 
bis  der  Gewirbelte  das  Bewußtsein  verlor  und  regungslos  dahing,  den 
Kopf  vornüber,  die  Zunge  weit  aus  dem  Munde  heraus.  Die  Marter  in  der 
Luft  dauerte  15 — 20  Minuten.  Dann  nahm  man  den  Gepeinigten  und  ent- 
fernte die  Pflöcke  aus  Brust  oder  Schultern,  beließ  aber  die  übrigen.  Wer 
sich  endlich  zu  erheben  vermochte,  schleppte  sich  zu  einem  neuen  Quälgeist, 


1)  Ob  die  obige  Einführung  „in  die  Gesellschaft"  jetzt  schon  mit  diesem  Lebens- 
abschnitt zusammenfällt,  ist  bei  Ploß  nicht  ersichtlich. 

2)  Bei  Ploß  11.  436. 

3)  Hauptsächlich  Kap.  XXEII  und  XXIV.  Vgl.  ferner  die  Alfurer.  auf  Seram  in 
§  380. 

4)  Der  Anonymus  im  „Globus"  (Bd.  58,  266),  welcher  Obiges  mitteilt,  erwähnt  ferner 
einen  dritten  Xamen  (Ten-hem),  den  „verborgenen"  Namen  des  Aunamiten,  mit  welchem 
dieser  in  den  genealogischen  Ahnentafeln  verzeichnet  sei.  Ob  der  dritte  Name  schon  bei 
Eintritt  der  Mannbarkeit  erteilt  wird,  ist  mir  nicht  klar.  Als  Rufname  darf  er  nicht  ver- 
wendet werden.  Ebensowenig  darf  man  einen  Erwachsenen  mit  seinem  Namen  aus  der  Kind- 
heit ansprechen. 

5)  So  Ploß  II,  429.  Tanner  erwähnte  Mandan  als  einen  Zweig  der  Sioux  am 
Missouri. 

•)  Ob  auch  hier  an  Dämonen  zu  denken  ist?     Vgl.  die  Masken  in  §  369. 


778  Kapitel  LVIII.     Pubertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 

von  welchem  er  sich  zu  Ehren  des  großen  Geistes  den  kleinen  Finger  ab- 
hacken ließ,  ein  Brauch,  der  ganz  gleich  bei  den  Buddhisten  Hinter- 
indiens wiederkehrt.  Zuweilen  wurde  darauf  mit  dem  Zeigefinger  in  der- 
selben Weise  verfahren.  (Vgl.  die  Fiugeramputationen  in  Afrika  und  Australien 
S.  135  d.  B.)  Endlich  zur  Medizinhütte  hinausgeführt,  hatten  sie  noch  das 
„Jekinahka  Xajaik",  den  letzten  Lauf,  zu  überstehen.  Man  packte  sie  nämlich 
und  schleppte  sie  wild  um  die  Hütte  herum,  so  daß  Büffelköpfe,  Schild  und 
alles  andere  an  den  Pflöcken  Befindliche  auf-  und  niedersprang.  Die  Kandi- 
daten verloren  das  Bewußtsein,  ehe  sie  auch  nur  den  halben  Kreis  durch- 
gemacht hatten.  Endlich  riß  man  ihnen,  was  an  den  Pflöcken  befestigt  war, 
ab,  bedeckte  sie  mit  Weidenbüscheln  und  ließ  sie  liegen.  Nach  einiger  Zeit 
erhoben  sie  sich  und  gingen,  so  gut  sie  konnten,  nach  ihrem  Wigwam,  wo 
man  die  Wunden  verband.  Tödliche  Ausgänge  sollen  trotz  aller  Marter  sehr 
selten  gewesen  sein.  —  Im  Zusammenhange  mit  diesem  Feste  stand  der 
„Bellokh  Napik",  der  große  Büffeltanz,  dessen  Ausführung  die  Mandan  das 
Kommen  der  Büffel  zuschrieben,  um  sie  während  des  folgenden  Jahres  mit 
Nahrung  zu  versorgen1). 

Nicht  so  hochgradige,  aber  immerhin  bemerkenswerte  Leiden  sind  mit 
der  Pubertätsfeier,  bzw.  Männerweihe  auch  anderer  Indianervölker  verbunden. 
Ein  verzärteltes  Knabenalter  wird  da  kaum  vorangehen,  wenn  auch  Ver- 
zärtelung im  Säuglingsalter  bezeugt  ist2).  Von  den  heutigen  Maskoki 
wenigstens  schreibt  Miß  Owen:  Sobald  deT"  Knabe  entwöhnt  ist.  d.  h.  mit 
4-  5  Jahren,  gehört  er  seinem  Vater,  oder,  wenn  seine  Mutter  geschieden  oder 
verwitwet  ist.  ihrem  Vater,  und  wenn  dieser  tot.  ihren  nächsten  männlichen 
Verwandten*).  Damit  beginnt  für  das  verzärtelte  launische  Bürschlein  eine 
schwere  Zeit,  und  diese  wird  mit  jedem  Monat  schwerer.  Er  hat  Nachtwachen 
zu  halten,  muß  fasten  und  bei  Schmausen  hungrig  zusehen,  Gänge  bei  Nacht 
machen,  während  nach  dem  ihm  beigebrachten  Glauben  doch  alles  voll  bos- 
hafter Teufelchen  und  kannibalischer  Geister  ist;  er  muß  unbändige 
Füllen  reiten,  wird  in  den  Fluß  geworfen,  aus  dem  er  sich  nach  Kräften 
herauszuarbeiten  hat.  wird  der  Sonnenhitze  und  bitteren  Kälte  ausgesetzt,  und 
liefe  er  zum  Mütterchen  um  Trost,  so  wäre  er  für  immer  gebrandmarkt. 
Später  dehnen  sich  die  Fasten,  welche  anfangs  in  der  Entbehrung  einer  einzig«  n 
Mahlzeit  bestehen,  auf  Tage  und  Nächte,  auf  Speise  und  Trank  aus. 

Früher  wurde  der  Pubertätskandidat  vom  Häuptling  seines  Klans  so 
lange  gepeitscht,  bis  dem  Häuptling  die  Hände  erlahmten.  Durch  eine  „Offen- 
barung" wurde  diese  Tortur  abgeschafft. 

Um  aus  seinem  Sohn  einen  prächtigen  Mann  zu  machen,  scheut  der 
.Maskoki  ferner  keine  Kosten  beim  Medizinmann,  der  vor  der  Tür  des  Schwitz- 
hauses, wo  er  sein  Schwitzbad  genommen,  hin  und  her  wirbelt,  wobei  er  das 
Totem  des  Knaben  mit  Absingung  von  Gebeten  und  Komplimenten  ehrt 
Ferner  gibt  der  Vater  möglichst  viele  religiöse  Tänze  und  lehrt  seinen  Sohn 
während  achtzig  Tagen  innerhalb  des  letzten  Noviziat enjahres  die  Leitung 
solcher  Tänze.  Endlich  kommt  das  neuntägige  Fasten,  während  welcher  der 
Kandidat    einsam   in   Fieberträumen   im    Wald   umherwandert.     Diese  Träume 


')  Ploß  II.  429f.  mit  einem  Hinweis  auf  Glob.  Bd.  16,  1  -7  und  17—21,  sowie  auf 
Catlin,  Nordam.-Indians,  1,  178.  Die  Torturen  der  Mandan,  mit  denen  der  Pirnas  (8.  780) 
verglichen,  scheinen  tatsächliche  Mutproben  zu  sein.  Allerdings  bleibt  l»'i  diesem  Br- 
klät  ich    doch  auch  manches  dunkel,    während  andererseits  das   Bedeckeu  der   Bi ■- 

wußtlosen  mit  Weidenbüscheln  an  früher  erwähnt.'  australische  Zeremonien,  bzw.  an  einen 
mystischen  Tod  erinnern.  Daß  auch  hier.  wi<  bei  den  Maskoki  (s.  o.),  an  ein  Aufwachen 
als  „neue  Männer"   zu  douken   ist,  dünkt  mir  wahrscheinlich. 

-i  Vgl.  die  Kapitel  über  Pflege  und  Erziehung. 

3)  Wir  haben  also  auch  hier  Sippenrecht.     Vgl.  Kap.  LI. 


§  382.     Indianer.  779 

gelten  als  prophetisch.  Hauptsächlich  einer  davon  offenbart  ihm  seinen  Beruf 
uud  seine  „Medizin"  *).  Es  liegt  ihm  nun  ob,  letztere  noch  vor  Ablauf  dieser 
Fastenzeit  aufzufinden  und  sich  eines  Teils  derselben,  ohne  die  ..Medizin" 
selbst  zu  töten  oder  zu  vernichten,  zu  bemächtigen  und  diesen  Teil  in  ein 
Säckchen  zu  legen,  welches  er  unter  dem  linken  Arm  tragen  muß2).  Am 
letzten  Tag  des  Noviziates  erscheinen  die  noch  immer  fastenden  Kandidaten 
im  Tanzhause.  in  dessen  Mitte  gewöhnlich  der  Kriegspfahl,  bald  mit.  bald 
ohne  Flagge  steht.  In  einem  großen  Kreis  sitzen  die  Häuptlinge  und  Räte 
herum,  der  Medizinmann  macht  außerhalb  des  hl.  Kreises  wiederholt  die  Kunde 
und  betet  um  guten  Erfolg;  die  übrigen  Stammesangehörigen  schauen  von 
außen  zu.  Auf  ein  Zeichen  des  Oberhäuptlings  galoppieren  die  bereits  in  den 
Kreis  gerittenen  Kandidaten  auf  ihren  ungesattelten,  aber  aufgezäumten 
Kennern  um  den  Kriegspfahl,  welchen  sie  mit  ihren  Kugeln  oder  Pfeilen, 
Beilen  oder  Messern  zu  treffen  suchen.  Jede  Waffe  trägt  die  Erkennungsmarke 
ihres  Eigentümers,  so  daß  die  auf  ein  gegebenes  Zeichen  erfolgte  Untersuchung 
herausstellt,  wessen  Waffe  gefehlt  hat.  Der  Eigentümer  ist  für  immer  aus 
der  Zahl  der  Männer  ausgeschlossen,  doch  kommt  ein  Fehlen  selten  vor.  — 
Eine  in  unserer  Zeit  nur  noch  fingierte  Bärenjagd,  ein  Bärentanz  und  aber- 
mals ein  Jagdspiel  bilden  den  Schluß  der  ersten  Abteilung  dieses  letzten  Tagvs. 
worauf  die  Kandidaten  heim  dürfen,  um  bis  Sonnenuntergang  auszuruhen. 

Das  Waffenspiel  um  den  Kriegspfabl  kann  von  den  Häuptlingen  und 
Greisen  durch  andere  Proben  ersetzt  werden.  In  diesem  Falle  reiten,  schleudern, 
schießen  und  ringen  die  Kandidaten  stundenlang,  um  ihre  Kraft  und  Ge- 
schicklichkeit zu  beweisen.  Hierauf  stellen  sie  sich  in  einer  Reihe  auf  und 
versprechen,  treue  Freunde  und  Stammesangehörige  zu  sein,  alle  ihrem 
Volke  angetanen  Beleidigungen  zu  rächen,  die  Ahnentiere  (ancestral  animal)3) 
und  das  Andenken  der  ins  Geisterland  gegangenen  Männer  zu  ehren  und 
eifrig  zu  Meechee  Manito-ah  zu  beten.  Der  religiöse  Tanz  der  Kandidaten 
dauert  von  Sonnenuntergang  bis  Mitternacht.  Dann  legen  sie  sich  auf  den 
Boden  des  Tanzhauses,  um  bis  Tagesanbruch  zu  schlafen  und  als  Männer  zu 
erwachen4).  An  diesem  Tag  ladet  jeder  neugeweihte  Mann,  dem  seine 
Mittel  es  gestatten,  die  Männer  seines  Totems  zu  einem  Mahle  ein. 


')  Ploß  schrieb  im  Hinweis  auf  Waitz  und  Catlin  betreffs  ..einiger'  nordamerikanischer 
Stämme,  wobei  er  hauptsächlich  jene  in  Nord -Carolina  im  Auge  gehabt  zu  haben  scheint : 
„Vor  allem  aber  ist  für  den  Übergang  des  Knaben  zum  Hanne  sein  „„Lebenstraum""  von 
Wichtigkeit,  durch  den  er  einen  individuellen  Schutzgeist  erwirbt,  welchen  er  von  da 
an  als  eine  ..„Medizin"",  gewöhnlich  in  Gestalt  eines  Tierbalgs,  immer  mit  sich  führt.  Zu 
•diesem  Zwecke  zieht  sich  der  14 — 15jährige  Knabe  in  die  Einsamkeit  zurück,  um  besser 
träumen  zu  können.  Der  Traum  offenbart  ihm  sein  Lebensschicksal  und  seine  künftige  Be- 
stimmung; die  höheren  Weisungen,  die  er  durch  ihn  erhält,  begleiten  ihn  sein  ganzes  Leben 
hindurch.  Manche  sonderbare  Namen  erklären  sich  aus  diesen  Traumbildern:  „„Loch  im 
Himmel""  war  der  Name  eines  Mannes,  dem  sein  Schutzgeist  durch  ein  Loch  im  Himmel 
•erschienen  war.  Es  handelt  sich  nämlich  vor  allem  darum,  daß  dieser  sich  sehen  lasse:  es 
muß  das  Fasten  und  Träumen  so  lange  fortgesetzt  werden,  bis  ein  Tier  erscheint.  Nachdem 
Erwachen  wird  diesem  Tiere  sogleich  nachgespürt  und  der  Balg  oder  sonst  ein  Teil  des  er- 
legten (Tieres),  welchen  der  Traum  besonders  bezeichnete,  sorgfältig  aufbewahrt  und  stets 
getragen,  denn  der  Verlust  desselben  würde,  wie  Catlin  angibt,  die  tiefste  Verachtung  des 
„„Mannes  ohne  Medizin""  von  Seiten  anderer  und  beständiges  Unglück  im  späteren  Leben  zur 
Folge  haben. 

2)  Owen  führt  uns  im  Anhang  zu  ihrem  „Folk-Lore  .  .  ."  auf  Tafel  3  eine  Adler- 
kralle als  eine  solche  „Medizin"  vor.  Der  Besitzer  hatte  während  seiner  Pubertätsfasten  von 
einem  Adler  geträumt.  Bevor  er  bei  seinem  Stamm  als  Mann  anerkannt  wurde,  mußte  er 
sich  etwas  von  diesem  Adler  verschaffen,  ohne  daß  er  dem  Vogel  Schmerzen  verursachte  oder 
durch  andere  verursachen  ließ.  Doch  durfte  er  auch  eine  Kralle  oder  eine  Feder  von  einem 
bereits  erlegten  Adler,  der  im  Besitz  des  Häuptlings  oder  eines  andern  war,  heimlich  ent- 
wenden. 

3)  Wohl  „Totem"  gemeint. 
*)  Wiedergeburt. 


780  Kapitel  LVIII.     Pubertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 

Als  bei  „Indianern  Nordamerikas"  um  die  Zeit  der  Mannbarkeit  ge- 
bräuchlich gab  Floß  folgende  Bräuche  wieder:  ,.Ehe  der  Jüngling  zum  Krieger 
wird,  hat  er  sich  nicht  nur  allerlei  Zeremonien  zu  unterwerfen,  sondern  auch 
während  seiner  ersten  drei  Feldzüge  manche  lästige  Bräuche  zu  beob- 
achten, deren  die  älteren  Krieger  überhoben  sind.  Er  muß  stets  sein  (iesicht 
schwarz  bemalen,  eine  Kopfbedeckung  tragen  und  den  alten  Kriegern  auf  dem 
Fuße  folgen.  Nie  darf  er  vor  ihnen  hergehen;  ihm  ist  verboten,  sich  den 
Kopf  oder  irgendeinen  anderen  Teil  des  Körpers  mit  den  Fingern  zu  kratzen, 
er  muß  dazu  ein  Stückchen  Holz  nehmen.  Seine  Geräte  und  Waffen  darf 
außer  ihm  niemand  anrühren.  Am  Tage  darf  er  weder  essen  noch  trinken, 
noch  sich  setzen;  wenn  er  einen  Augenblick  Halt  macht,  um  auszuruhen, 
wendet  er  sein  Antlitz  der  Heimat  zu,  damit  der  große  Geist  erfahre,  daß  er 
wieder  in  seine  Hütte  zurückzukehren  wünscht." 

Schwere  Proben  mußten  ferner  die  14— 15jährigen  Söhne  der  Pirnas 
in  Mexiko  zur  Zeit  des  Missionars  Och  (1757  —  1707)  bestehen,  wenn  sie  ihre 
Häuptlinge  um  Aufnahme  als  Krieger  baten:  Zunächst  ergriff  der  Häuptling 
den  Kandidaten  bei  den  Haaren,  warf  ihn  auf  dem  Boden  hin  und  her  und 
gab  ihm  Faustschläge.  Ein  einziger  Seufzer  hätte  genügt,  den  Burschen  als 
untauglich  zurückzuweisen.  Die  zweite  Probe  bestand  in  einer  blutigen  Aus- 
peitschung  mit  Ruten  und  Dornen.  Zur  dritten  Probe  stach,  hackte,  kratzte  und 
riß  der  Häuptling  den  Leib  des  Kandidaten  mit  getrockneten  Raubvögel- 
krallen blutig,  wobei  dieser  sich  munter  Steffen  mußte.  Fielen  schließlich  die 
Versuche  des  Kandidaten  auch  im  Pfeilschießen  gut  aus,  dann  reichte  ihm 
der  Häuptling  Bogen  und  Pfeile  und  hielt  an  ihn  eine  Ansprache:  Er  solle 
niemals  zaghaft  sein,  sich  gern  in  Gefahren  jeder  Art  wagen,  auf  jeden  "Wink 
seines  Häuptlings  achten,  sich  und  sein  Volk  allein  als  Menschen,  die  Feinde 
aber  als  Avilde,  doch  nicht  zu  fürchtende  Tiere  ansehen,  und  sich  und  seine 
Landsleute  stets  zu  schützen  suchen.  —  Damit  war  der  Bursche  in  den  Stand 
der  Krieger  aufgenommen  (Och  bei  Chr.  G.  von  Murr). 

Wie  bei  den  heutigen  Maskoki  die  Jugend  überhaupt,  so  wurden  sein  in 
im  peruanischen  Inkareich  die  Söhne  der  Adeligen  von  Kindheit  an  syste- 
matisch auf  die  Prüfungen  vorbereitet,  welche  sie  im  Alter  von  Di — 20  Jahren 
zu  bestehen  hatten,  ehe  sie  den  Ritterschlag  erhalten  konnten.  Ohne  diesen 
konnten  sie  weder  im  Krieg  noch  im  Frieden  eine  bevorzugte  Stellung  be- 
kleiden. Der  Ritterschlag  wurde  jedes  Jahr  vor(?)  dem  „Guaraca"  oder 
Ritterfest,  dem  zweitgrößten1)  Fest  des  ganzen  Jahres,  gewöhnlich  im  eisten 
-Mi.ij.it  des  Jahres  in  der  Hauptstadt,  Cuzco,  erteilt.  Die  Präfangen  wurden 
größtenteils  in  einer  Anstalt  (Collcampata)  unter  der  Leitung  einer  Kom- 
mission aus  zehn  Greisen  von  reicher  ziviler  und  militärischer  Erfahrung  ab- 
gehalten. Die  erste  Aufgabe  bestand  in  einem  sechstägigen  strengen  Fasten, 
welches  den  Kandidaten  täglich  nur  eine  Handvoll  roher  Maiskörner  mit 
einem  Trunk  Wasser  gestattete.  Dabei  mußten  die  Jünglinge  barfaß  gehen 
und  auf  nackten  Felsen  übernachten.  -  Am  siebenten  Tag" erhiell  jeder  eine 
doppelte  Kation,  um  sich  für  die  /weite  Aufgabe,  einen  Dauerlauf,  zu  starken. 
I  lieser  fand  am  achten  Tage  statt.  Man  führte  die  Kandidaten  zu  diesem 
Zweck  frühmorgens  auf  den  heiligen  Hügel  „Huanuncari"  und  ließ  sie  \uii 
hier  aus  bis  zur  Mauer  der  Hauptstadt,  eine  Strecke  von  ca.  10  Kilometer, 
lauten.  Am  Ziel  war  ein  Wimpel  aufgesteckt,  der  dem  Sieger  als  Preis  zu- 
fiel. Längs  der  Rennbahn  standen  die  Eltern  und  Angehörigen  der  Jünglinge 
und  ermunterten  diese,  wenn  sie  vorbeiliefen.  Wer  unterwegs  blieb,  galt  für 
untauglich.  Nach  diesem  teilte  man  die  Kandidaten  in  zwei  gleiche  Parteien, 
von  denen  jede  wechselseitig  die  Stadtmauer  in  Besitz   nahm,   um    sie.   zwar 


M   Das  größte  Fest  war  das  Sonnenfest  (Yntip  Raynii),  welches  im  .Juni  gefeint  wun'c 


§  382.     Indianer.  781 

ohne  Waffen,  doch  so  nachdrücklich  zu  verteidigen,  daß  mancher  gelähmt 
oder  mit  gebrochenen  Gliedern  liegen  blieb.  —  Tags  darauf  fanden  teils  in 
der  Anstalt,  teils  im  Freien,  gewöhnlich  zwischen  je  zwei  gleichalterigen 
Jünglingen,  Ringkämpfe  und  Waffenspiele  statt.  AVer  unterlag,  wurde  aus- 
geschaltet. —  Eine  weitere  Prüfung  bestand  in  einem  Wachtdienst  während 
zwölf  aufeinander  folgenden  Nächten  in  und  außerhalb  der  Stadtgrenze.  Be- 
waffnete Patrouillen,  welche  die  Jünglinge  dann  und  wann  in  der  Dunkelheit 
mit  Scheinangriffen  überraschten,  erprobten  dabei  ihren  Mut;  Inspektoren 
hatten  nachzusehen,  ob  sie  wach  waren.  Wer  im  Schlaf  angetroffen  wurde, 
oder  wer  sich  feig  und  erschrocken  zeigte,  hatte  keine  Aussicht  auf  eine 
fühlende  Stellung  im  Staat. 

Dann  kam  die  sechste  Probe:  Die  entkleideten  Jünglinge  mußten  sich 
in  den  Hofräumen  der  Anstalt  mit  den  Füßen  stoßen,  mit  Knüffen  und  Stock- 
hieben auf  Arme,  Beine  und  Rücken  mißhandeln  lassen  und  waren  den  tollsten 
Scheinangriffen  ausgesetzt.  Man  rannte  mit  gefällter  Lanze  und  mit  Speeren 
auf  sie  ein,  als  wollte  man  ihnen  den  Leib  durchbohren  und  die  Augen  aus- 
stechen, oder  man  drohte  ihnen,  mit  einer  Keule  den  Schädel  zu  zerschmettern. 
Das  geringste  Zeichen  von  Furcht  machte  den  Mann  unmöglich.  Die  letzte 
Prüfung  unterschied  sich  wesentlich  von  den  vorhergehenden,  d.  h.  sie  be- 
stand in  der  eigenhändigen  Anfertigung  von  Waffenstücken  aller  bei  den 
Inkas  üblichen  Gattungen,  sowie  in  der  Herstellung  der  „Usutu"  oder  sandalen- 
artigen Fußbekleidung. 

Diese  Prüfungen  nahmen  beinahe  einen  Monat  in  Anspruch,  während 
welcher  Zeit  die  Greise  täglich  die  Jünglinge  an  ihre  erhabene  Rasse  er- 
innerten und  sie  ermahnten,  ihre  Sache  gut  zu  machen.  Nach  Ablauf  dieser 
Zeit  erschien  der  König,  von  den  Ältesten  seiner  „Rasse"  begleitet,  in  der 
Anstalt,  ermahnte  die  Jünglinge  zur  praktischen  Betätigung  dessen,  was  sie 
bisher  gelernt,  und  durchstach  hierauf  jedem  Kandidaten,  indem  dieser  vor 
seinem  König  niederkniete,  die  Ohrläppchen.  Dann  steckte  er  jedem  zwei 
Goldspangen,  Zeichen  der  Ritterwürde,  in  die  durchbohrten  Lappen.  Der  neue 
Ritter  küßte  seinem  König  die  Hand  und  erhielt  hierauf  aus  den  Händen 
beauftragter  Greise  die  seinem  Stand  gebührende  Bekleidung  und  Kopfschmuck. 
Letzterer  bestand  in  drei  Kränzen,  Symbole  der  Sanftmut,  Gerechtigkeit  und 
Ehrfurcht1).  Ferner  reichte  man  jedem  einen  silbernen  Wurfspeer  und  eine 
eiserne  Streitaxt  mit  entsprechender  Ermahnung. 

Härter  noch  waren  die  im  wesentlichen  gleichen  Prüfungen  des  Thron- 
folgers, der  außerdem  vier  Wochen  lang  öffentlich  in  Lumpen  gekleidet  er- 
scheinen mußte,  damit  er  das  Elend  empfinden  lerne  und  mit  Recht  „Wohl- 
täter der  Armen-'  (Huacchacuyac)  genannt  würde  (Sundstral). 

Nach  Riehard  Karutz  war  die  in  den  „Pubertätsjahren"  vorgenommene 
Durchlöcherung  des  Ohrläppchens  bei  den  alten  Inkas  ein  der  (jüdischen?) 
Beschneidung  analoger  religiöser  Akt,  Man  sammelte  das  aus  der  W'unde 
tropfende  Blut  in  einen  Schwamm  und  drückte  diesen  über  der  Opferschale 
vor  den  Götterbildern  aus.  Ferner  bemerkt  Karutz,  daß  der  Jüngling  mit 
dieser  Zeremonie  in  die  Reihe  der  vollberechtigten  Männer  seines  Volkes 
eintrat2). 

Floß3)  dachte  an  zwei  Feste  für  die  Einweihung  der  männlichen  Jugend 
im  Inkareich.     Der  „Wehrhaftmachung''  im   16.  Lebensjahr  sei  ein  Fest  im 


')   Näheres  hierüber  bei  Frau:  Sundstral:  Aus  dem  Reiche  der  Inkas,  Berlin  1902,  S.  42. 

2)  Den  religiösen  Charakter  der  Ohrendurchbohrung  an  kleinen  Kindern  im  alten 
Jlexiko  siehe  S.  117  d.  ß.  —  Beschneidung  scheint  im  Inkareich  nicht  üblich  gewesen 
zu  sein.  —  Über  die  Beschneidung  im  heutigen  Peru  s.  S.  215  d.  B. 

3)  II,  447. 


782  Kapitel  LVIU.     Pubertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 

10.  bis  12.  Lebensjahr  vorausgegangen,  an  welchem  die  Knaben  ihren  zweiten 
Namen  erhielten. 

Geißelung  und  Fasten  finden  wir  dann  wieder  bei  der  Aufnahme  in  den 
Männerbund  im  nordwestlichen  Brasilien.  Theodor  Koch- Grünberg  wohnte 
einer  solchen  am  Rio  Tiquie  bei.  Die  Aufnahme  fand  nach  andauernden 
Yurupary-Tänzen  ')  statt.  Die  Kandidaten  waren  mit  roten  Mustern  bemalt 
und  in  Galaschmuck.  .Teder  umklammerte  bei  der  Geißelung  mit  beiden 
Händen  den  Schaft  einer  langen  Lanze*)  mit  Eisenspitze,  die  im  Boden 
steckte.  Oberkörper  und  Gesicht  hatte  er  etwas  geneigt,  die  Stirne  preßte  er 
wider  die  Hände.  Der  Großonkel  des  Häuptlings,  ein  außergewöhnlich 
kräftiger  Mann,  brachte  ihm  mit  einer  schwanken  Gerte,  deren  Nebenzweige 
man  so  abgeschnitten  hatte,  daß  spitze  Knoten  stehengeblieben  waren,  drei 
scharfe  Hiebe  über  den  nackten  Körper  bei,  die  hauptsächlich  Waden  und 
Bauch  trafen  und  klaffende  "Wunden  hinterließen  *). 

Die  Uanana  (gleichfalls  im  nordwestlichen  Brasilien)  peitschen  die 
„Jünglinge"  am  großen  Dabukuri4),  besonders  über  den  Bauch.  Nach  dieser 
Peitschung  dürfen  die  Jünglinge  fünf  Monate  lang  kein  Fleisch,  keine  Fische, 
kein  Kapsicum,  sondern  nur  ganz  leichte  Speisen  essen,  z.  B.  Mandiokagerichte, 
Ameisen  und  Käferlarven.  Hier  sollen  die  Jünglinge  nur  dieses  eine  Mal, 
d.  h.  bei  ihrer  Aufnahme  in  den  Männerblind,  gepeitscht  werden,  was  aber 
Koch-Grünberg  bezweifelt,  da  er  auch  an  jungen  verheirateten  Männern 
wiederholt  frische  Narben  sali.  — 

Die  Feste  des  Männerblindes  finden  im  nordwestlichen  Brasilien  Mets 
zur  Zeit  der  Beife  einzelner  Waldfrüchte  statt  und  sind  den  Dämonen  der 
Fruchtbarkeit  geweiht.  Koch-Grünberg  faßt  sie  unter  dem  gemeinsamen 
Ausdruck  Yuriiparj'feste  zusammen,  wenn  auch  der  Namen  sowohl  des  Festes 
als  des  Dämons,  zu  dessen  Ehre  es  gefeiert  wird,  je  nach  der  Sprache  des 
Stammes,  verschieden  ist.  „Yurupary"  ist  nach  Kochs  Ausführungen  in  der 
Lingoa  geral  der  Name  des  am  meisten  gefürchteten  (?)  Dämons  der  alten 
Tupinamba  und  ist  identisch  mit  dem  Jyäimi  der  Aruakstämme  im 
nordwestlichen  Brasilien.  Nach  diesem  Dämonen  Jyäimi  nennt  sich  ein 
Indianerstamm,  der  auch  als  „Jurupary-tapuyo"  (Dämonen-Indianer)  bekannt 
ist5).  Hier  identifiziert  sich  also  das  Volk  selbst  mit  dem  Dämon,  weshalb 
mir  der  obige  Ausdruck  „gefürchteter"  Dämon  zweifelhaft  erscheint. 

Dem  Vurupar)1  entspricht  ferner  der  Küai  (Koai,  Uamüdana,  Man- 
hekanalienipe)  bei  deuKäua6).  einem  Stamm  am  oberen  Aiary.  dessen  Bild, 
eine  große  menschliche  Figur  mit  stark  hervorgehobenen  Geschlechts- 
teilen, Koch-Grünberg  bei  den  Käua  sah7). 

.. Ki'iai"  heißen  ferner  (bei  den  Käua?)  die  großen  Flöten,  welche  bei 
den  gleichnamigen  Tänzen  gespielt  werden,  die  Koch- Grünberg  als  religiöse, 
geheimnisvolle  Tänze  zu  Ehren  Küais  bezeichnet,  sie  aber  auch  unter  den 
^  nruparutänzen  subsumiert,   die  von  den  Indianervölkern   am   ganzen   oberen 


')  IJber  diese  w.  u. 

2)  Ober  diese,  mit  den  Haaren  einer  Pubertätskandidatin  verzierten  Lanzen  s.  §  ;jfiy. 
Hin    Lanzen   waren  außerdem   Hasseln   eingefügt. 

y  „Pubertätsgebräuche"  wurden  diese  Zeremonien  nicht  genannt,  doch  zweifelt 
Koch-Gfriinberg  nicht,  daß  es  solche  sind. 

*)  Yurupary-JPest. 
'    Koch-Grünberg,  Zwei  Jahre  II,  5a. 

e)  Auch  dieser  Stammesname  scheint  nach  dem  Namen  des  Stammdämonen  gebildet 
zu  sein,  was  ja  so  ziemlich  selbstverständlich  ist.  wenn  diese  Dämonen  die  mächtigsten  i'rucht- 
barkeitsdämonen  ihres  Volkes  sind.  Sie  sind  dadurch  gewissermaßen  auch  als  Stammväter 
gekennzeichnet,  worauf  die  oben  folgende   Beschreibung  des  Küai-Bildes  hinweist. 

ri  Zwar  bezeichneten  die  Käua  diesen  Küai  als  den  „Sohn"  des  Stammvaters  (Taperi- 
culi;  der  Aruakstämme  (Koch  I,  113).  aber  der  Sohn  stammt  eben  von  seinem  Vater. 


§  382.     Indianer.  783 

Rio  Negro  und  seinen  Nebenflüssen,  auch  noch  von  den  sogenannten 
christlichen  Indianern,  getanzt  werden,  und  die  allem  Anschein  nach  in 
vielen  Variationen  über  einen  großen  Teil  des  tropischen  Südamerika 
überhaupt  verbreitet  seien.  Die  Teilnahme  an  der  Feier  ist  ein  Privileg  der 
erwachsenen  Männer.  Weiber  dürfen  die  Flöten  nicht  einmal  sehen;  sonst 
werden  sie  vom  Köai  getötet,  d.  h.  mit  dem  Tod  bestraft1). 

Schon  Humboldt  habe  von  einem  Fest  der  Völker  am  oberen  Orinoco, 
am  Atabapo  und  Inirida  (Zuflüsse  des  Orinoco)  zu  Ehren  des  „guten"'-) 
Geistes  Cachimana  berichtet,  der  die  Jahreszeiten  regiert  und  die  Früchte 
reifen  läßt.  Statt  der  Flöten  gab  es  hier  heilige  Trompeten,  die 
ßotutos,  aus  Ton  gebrannte  Röhren  von  4—5  Fuß  Länge,  die  sich  an  mehreren 
Stellen  zu  Hohlkugeln  erweiterten.  Sie  wurden  von  einigen  alten  Indianern, 
die  in  die  Mysterien  eingeweiht  waren,  aufbewahrt  und  während  des  Festes 
unter  den  Palmen  geblasen,  damit  sie  reichlich  Früchte  trugen. 
Die  Eingeweihten  unterzogen  sich  der  Geißelung,  dem  Fasten  und  andern 
„angreifenden  Andachtsübungen".  Bald  blies  Cachimana  selbst  die  Trompete, 
bald  ließ  er  seinen  Willen  durch  den  Mann  kundtun,  der  das  wunderbare 
Instrument  aufbewahrte.  Auch  diese  Trompeten  durften  von  keinem  Weib 
erblickt  werden.  Hatte  eines  das  Unglück,  es  zu  sehen,  dann  wurde  es  ge- 
tötet 8). 

Die  heutigen  Indianer  kennen  die  Grundbedeutung  dieser 
Feste  nicht  mehr.  Ein  Eingeboruer  antwortete  auf  die  diesbezügliche 
Frage  Kochs,  ihre  Vorfahren  hätten  das  von  alters  her  so  gemacht,  und  so 
machten  es  auch  sie.  Korh  selbst  sieht  in  diesen  Festen  ein  ursprüngliches 
Dankfest,  um  den  Geist  (Koai  oder  wie  die  Namen  bei  den  verschiedenen 
Stämmen  lauten)  zu  befriedigen,  und  zugleich  eine  Zauberhandlung,  um  ihn 
durch  Tänze,  Kasteiungen  und  Geißelung  zu  beeinflussen  und  weitere  reiche 
Ernte  zu  erlangen. 

Bei  den  Yahüna  lernte  Koch-Grimberg  über  die  Entstehung  der  ge- 
schilderten Feste  (Yurupary)  folgende  Sage  kennen:  Vor  vielen  Jahren  kam 
aus  dem  großen  Wasserhaus,  der  Heimat  der  Sonne,  ein  kleiner  Knabe,  namens 
Milomaki ' ),  auf  dessen  schönen  Gesang  die  Leute  von  nah  und  fern  herbei- 
eilten, um  ihn  zu  hören  und  zu  .-.eben.  Als  aber  die  Leute  heimkehrten  und 
Fisch  aßen,  fielen  sie  alle  tot  nieder.  Die  Hinterbliebenen  verbrannten  dafür 
deu  mittlerweile  zum  Jüngling  herangereiften  Milomaki  auf  einem  Scheiter- 
haufen. Mitten  in  den  Flammen  sang  der  Jüngling:  ..Jetzt  sterbe  ich,  mein 
Sohn  (?),  jetzt  verlasse  ich  diese  Welt;  jetzt  zerbricht  mein  Leib,  jetzt  bin 
ich  tot."  Bei  den  letzten  Worten  zerplatzte  der  von  Hitze  angeschwollene 
Leib;  dieser  wurde  zu  Asche  verbrannt,  die  Seele  aber  stieg  zum  Himmel 
auf.  Noch  am  gleichen  Tag  erwuchs  aus  der  Asche  ein  langes,  grünes  Blatt, 
das  bis  zum  folgenden  Tag  sich  zu  einem  hohen  Baum,  zur  ersten 6)  Paxiuba- 
palme  entwickelte.  Aus  ihrem  Holz  machten  die  Leute  große  Flöten,  und 
diese  gaben  die  wunderschönen  Weisen  wieder,   die  einst  Milomaki  gesungen 


')  Zwei  Jahre  I,   189. 

2)  Diese  Eigenschaft  entspricht  dem  „Fruchtbarkeitsdämon"  eher,  als  „gefürchtet". 
(Vgl.  v.  S.)  Cachimana  ist,  nach  dem  Zusammenhang  zu  urteilen,  wesentlich  der  gleiche 
Däruon,  wie  die  früher  erwähnten,  und  wie  der  noch  zu  erwähnende  Milomaki  der  Yahüna. 

3)  Koch-Grünberq,  Zwei  Jahre  I,  189  nach  Humboldt:  Reise  in  die  Äquinoktialgegenden 
des  neuen  Kontinents.  In  deutscher  Bearbeitung  von  Hermann  Hauff'.  Bd.  III,  S.  295,  323 fl'. 
Stuttgart  1860. 

1 1  ..Maki"  bedeutet  nach  Koch-Grünbery  (II,  292)  in  der  Sprache  der  Yahüna  „Sohn". 

6)  Vorher  gab  es  keine  solche  Palme.  —  Vgl.  in  Longfellmrs  Hiawatha  die  Identifi- 
zierung des  Mais  mit  dem  Menschen:  Mondamin  ist  beides,  hat  als  Mensch  mit  Hiawatha 
gerungen,  wurde   besiegt  und  begraben  und  wächst  als  Mais  aus  dem  Grabe  hervor. 


784  Kapitel  LVIII.     Pubertätsfeste  des  mäunlicheD  Geschlechtes. 

hatte1).  Die  Männer  blasen  sie  bis  auf  den  heutigen  Tag  jedesmal,  wenn 
die  Früchte  Inga,  Pupünha,  Castänha,  Uniari  und  andere  reif  sind,  und  tanzen 
dabei  zu  Ehren  Milömakis,  der  alle  Früchte  geschaffen  hat.  —  Die 
Weiber  und  kleinen  Kinder  dürfen  auch  hier  die  Flöten  nicht  sehen.  Jene 
würden  sonst  sterben,  und  die  Kinder  würden  zunächst  Erde  essen  und  er- 
kranken und  dann  auch  sterben.  Die  Männer  dürfen  nach  dem  Tanz  erst 
wieder  etwas  genießen,  nachdem  ihnen  der  Zauberarzt  eine  geröstete  Pfeffer- 
frucht gegeben  hat,  und  auch  dann  ist  ihnen  21;.,  Tage  lang  nur  Beijü. 
Kapsikum,  Tukupi  und  Saüba-Ameisen  gestattet.  Einmal  im  Jahr  aber,  bei 
dem  „großen  Yurupary-Fest",  zu  dem  viele  Leute  zusammenkommen,  geißeln 
sich  die  Teilnehmer  bis  aufs  Blut.  Die  Wunden  werden  mit  Pfeifer  einge- 
rieben und  „schmerzen  drei  Tage  lang  fürchterlich". 

So  erzählte  ein  Yahüna-Indianer  Koch-Qrwnberg,  der  in  diesem 
Milömaki  die  Sonne  selbst  sieht,  die  von  Osten  aus  dem  Meere  steigt, 
über  die  Erde  wandert  und  im  Feuer  gen  Himmel  geht2). 

Am  Aiary  findet  das  entsprechende  Fest  statt,  wenn  die  Früchte  der 
Assa'i-  und  Bacäba-Palme  reif  sind.  Es  beginnt  hier  nachmittags  3  Uhr.  31  it 
den  Flötenbläsern  an  der  Spitze  werden  die  eingeernteten  Palmfrüchte  in 
feierlichem  Zug  in  die  Maloka  (Gemeindehaus)  gebracht.  Bei  den  ersten 
Flötentönen  verlassen  alte  weibliche  Personen  und  kleine  Knaben  das  Haus 
und  ziehen  sich  in  ein  anderes  zurück,  dessen  Ausgänge  verschlossen  werden, 
oder  sie  verbergen  sich  im  Walde.  Gewöhnlich  sind  es  zwei  Flöten,  die  die 
Musik  liefern;  drei  sind  eine  Ausnahme.  Sie  sind  in  Länge  und  Ton  ver- 
schieden, aber  genau  aufeinander  gestimmt.  Der  Tanz  besteht  in  einfachen 
Rundgängen  der  Flötenbläser,  und  zwar  in  raschem  Marschtempo.  Dazu  blasen 
die  Tänzer  auf  ihren  Flöten,  die  sie  mit  der  rechten  Hand  halten,  eine  dumpfe, 
jedoch  nicht  unangenehme  Weise.  Die  linke  Hand  ruht  auf  der  rechten 
Schulter  des  Nebenmannes.  Die  Peitsche  tragen  sie  unter  dem  rechten  Arm 
eingeklemmt.  Nach  jeder  Kunde  stellen  sie  sich  nebeneinander  auf;  der  eine 
Tänzer  nimmt  seine  Flöte  in  die  linke  Hand  und  bringt  seinem  Partner,  der 
sein  Instrument  in  die  Höhe  hält  und  aus  Leibeskräften  bläst,  mit  der  Peitsche 
drei  heftige  Hiebe  über  Bauch  und  Seiten  bei,  so  daß  das  Blut  aus  den 
klaffenden  Wunden  strömt.  So  geht  es  längere  Zeit  fort,  Der  Anblick  der 
blutüberströmten  Leiber  und  der  reichliche  Genuß  des  berauschenden  Kaschiri 
steigern  die  Erregung  immer  mehr.  Ein  Tänzer  löst  den  andern  ab,  bis  alle 
teilgenommen  haben  und  die  ernste  Feier  den  gewöhnlichen  Tänzen  Platz 
macht,  an  denen  auch  die  Weiber  sich  beteiligen3). 

Bei  Floß4)  fand  sich  über  den  Abschluß  der  Kinderjahre  bei  den  Muras 
am  Madeira,  zentrales  Brasilien,  folgendes:  ..Sie  begehen  jährlich  einmal  acht 
Tage  lang  ein  Fest,  welches  den  Eintritt  der  JüDglinge  in  die  Mannbarkeit 
feiern  soll.  In  einem  geräumigen,  offenen  Hause5)  versammeln  sich  die  Männer, 
denen  die  Weiber  reichlich  Kaschiri  und  andere  berauschende  Getränke  spenden. 
Sie  reihen  sich  sodann  nach  gegenseitiger  Wahl  paarweise  zusammen  und 
peitschen  sich  mit  langen  Kiemen  von  Tapirhaut6)  bis  auf  das  Blut,  Diese 
Geißelung    ist    ein   Akt   der   Liebe    und   dürfte   als   Ausdruck   eines 


')  Die  Flöten  sind  also,  wie  die  Palme,  gewissermaßen  mit  Milömaki  identifiziert; 
bVuchtbarkeitsdämon  und  Stammvater,  vegetative  und  menschliche  Fruchtbarkeit  schmelzen 
ineinander. 

•')  Zwei   Jahre    II.   <i92f.  —   Die  Sonne   selbst   lernten  wir  im  „Kind"  wiederholt  als 

apotheosieite   Fruchtbarkeit,  bzw.  als  deren  Symbol  kennen. 

3|  Koch-Grünberg,  Ebenda  I,  187 f. 

•'i  II,   127. 

6)  Wohl  das  Gemeindebaus  gemeint. 

'  i  Vgl.  die   Riemen  aus  den   Häuten  der  Opferböcke  an  den  altrömischen  Luperkalieu 

usw.  aul  S    :;;.  l    d     |(.   ,,.  ,,,  ni. 


§  382.     Indianer.  795 

irregeleiteten  Geschlechts  Verhältnisses  zu  betrachten  sein1).  Nachdem 
die  blutige  Operation  mehrere  Tage  lang  fortgesetzt  worden,  blasen  sich  die 
paarweise  verbundenen  Gefährten  Parica,  das  ist  eine  narkotische  Substanz 
(Pulver  aus  den  getrockneten  Samen  der  Mimosa  acacioides),  mittels  einer 
Röhre  aus  Bambus  (Tabacos)  in  die  Nasenlöcher;  eine  plötzliche  Exaltation, 
unsinniges  Reden,  wildes  Springen  usw.  sind  die  Folgen  dieser  Operation." 

Die  Mundrucüs  im  Stromgebiet  des  Tapajoz,  zentrales  Brasilien, 
gewöhnen  ihre  Söhne  schon  im  Knabenalter  an  den  Biß  der  großen  Ameise 
(Tocangnira,  Cryptocercus  atratus).  Man  füllt  einige  dieser  Tierchen  in  einen 
baumwollenen  Ärmel  (der  dem  Knaben  angezogen  wird?)  und  läßt  sie  unter  dem 
wilden  aufmunternden  Geschrei  der  Nachbarn  „beißen"2).  Die  Arme  des 
Knaben  schwellen  von  den  Bissen  an  und  werden  entzündet.  An  diese  Quälerei, 
welche  gewöhnlich  bis  zum-  14.  Jahr  nach  Zwischenpausen  fortgesetzt  wird, 
hat  sich  der  Reifekandidat  dann  insofern  gewöhnt,  als  er  die  Stiche  ohne  ein 
Anzeichen  von  Unmut  hinnimmt.  Von  jetzt  an  gilt  er  als  ein  selbständiger 
und  heiratsfähiger  Mann  (von  Martins). 

Noch  schmerzhafter  schildert  Daniel3)  diese  „Prüfungen",  indem  er 
schreibt,  daß  der  Kandidat  den  Vorderarm  in  eine  mit  Sauba,  einer  kleinen 
Ameisenart,  gefüllte  Kürbisschale  stecken  und  so  lange  darinnen  halten  müsse, 
als  die  Horde  um  ihn  herumtanze.  Der  Oberarm  werde  zu  dieser  Zeremonie 
mit  bunten  Federn  verziert. 

Auf  gleiche  Art  versuchen  auch  die  Tamanacos  am  Orinoco  die 
„Standhaftigkeit"  ihrer  Jünglinge,  schrieb  Floß. 

Nach  C.  H.  de  Goeje  ist  es  nicht  gewiß,  ob  die  „Wespenproben"  (wenigstens 
jene  in  Surinam)  mit  der  Reifefeier  in  Verbindung  stehen.  De  Goeje 
wohnte  einer  solchen  bei  den  Ojana  am  Tapanahoni,  Surinam,  bei.  Drei 
Jünglinge  unterzogen  sich  den  Qualen  in  ihrem  ganzen  Umfang,  indem  sie 
sich  einen  Kunanä,  d.  h.  einen  mit  Wespen  gefüllten  Behälter  (in  Fischform?) 
auf  Rücken,  Brust,  Bauch,  Beine  und  Amte  drücken  ließen,  ohne  einen  Laut 
von  sich  zu  geben,  obgleich  ein  einziger  Stich  dieser  Wespenart  bedeutenden 
Schmerz  verursache.  Mehrere  Kinder  ließ  man  von  großen  schwarzen 
Ameisen  stechen,  was  ein  Teil  mutig  aushielt,  während  andere  schrieen. 
Was  den  Zweck  dieser  Zeremonie  betrifft,  so  weist  De  Goeje  auf  eine 
Mitteilung  Coudreaus  hin,  nach  welcher  die  Ojana  von  diesen  Stichen 
Kräftigung,  Geschick  und  Arbeitsamkeit  erwarten. 

Den  „Wespenproben",  welchen  Jules  Crevaux  bei  den  Rucuyenne, 
einem  Zweig  der  Karaiben  am  Vary,  beiwohnte,  unterzogen  sich  Kinder  von 
8 — 12  Jahren  und  erwachsene  Heiratskandidaten.  Die  Zeremonie,  Marake 
genannt,  verlief  wie  folgt: 

Zuerst  setzte  man  die  Tanzkostüme,  besonders  die  mit  Federn  bedeckten 
Hüte,  instand.  Diese  kolossalen  Gebäude  von  nicht  weniger  als  1%  m  Größe4) 
waren  mit  Massen  von  Federn  und  mit  glänzenden  Käferflügeln  verziert. 
Den  Unterleib  bedeckten  sich  die  Tänzer  mit  einer  Menge  Binden.  Manche 
trugen  an  dem  rechten  Bein  eine  Art  Knieband  mit  Schellen;  noch  andere 
hatten   auf   dem  Rücken   einen   hölzernen  Fisch6)  mit  Löchern,  aus   welchen 


*)  Dem  obigen  Ausdruck  „irregeleiteten''  zufolge  scheint  Ploßs  Quelle  die  Geißelung 
der  Huras  als  den  Ausdruck  eines  perversen  Geschlechtsverhältnisses  aufgefaßt  zu 
haben.  Ploß  selbst  dürfte  dieser  Andeutung  kaum  einen  großen  Wert  beigelegt  haben, 
denn  er  bezeichnete  im  allgemeinen  die  von  den  Kandidaten  zu  ertragenden  derartigen  Leiden 
als  Proben  der  Standhaftigkeit  (vgl.  2.  Aufl.     II,  412  f.). 

*)  So  bei  Ploß  II,  427.     Es  ist  aber  wohl  an  den  Stachel  zu  denken  (vgl.  §  369). 

*)  Ebenda 

*)  Als  Maske  gedacht? 

*)  Der  Fisch  ist  bei  manchen  Völkern  ei»  Bild  der  Fruchtbarkeit. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.     3.  Aufl.    Band  II.  50 


786  Kapitel  LV1II.     Pubertätsfeste  des  männlichen  Geschlechtes. 

große  Vogelschwänze  herabhängen.  Bei  Sonnenuntergang-  begann  der  Tanz 
beim  Schein  großer  Feuer  und  unter  Gesängen  über  Liebesgeschichten  und 
Kriegstaten.  Die  jungen  Leute  standen  dabei  rund  um  ein  mit  einem  großen 
Stück  Rinde  bedecktes  Locli  und  stampften  im  Takt  mit  dem  rechten  Bein 
darauf,  während  sie  es  mit  dem  linken  festhielten.  Bei  jedem  Tritte  entlockten 
sie  einer  kleinen  Bambu-Trompete1)  einen  kurzen  Ton.  Mit  Sonnenaufgang 
legten  die  Tänzer  ihre  Kostüme  ab,  und  nun  begann  die  Makare-Marter.  Der 
Piay2)  ließ  einen  der  Heiratskandidaten  von  drei  Männern  ergreifen;  einer 
hielt  diesen  an  den  Beinen,  der  zweite  an  den  Armen,  während  ihm  der  dritte 
den  Kopf  rückwärts  bog.  Dann  setzte  er  ihm  die  Stacheln  von  hundert 
Ameisen  an,  welche  in  einem  gitterförmigen  Geflecht  so  steckten,  daß  sie 
um  die  Mitte  des  Leibes  festgehalten  werdenkonnten.  In  gleicherweise  wurden  ihm 
Wespenstiche  an  der  Stirn  beigebracht,  und  dann  der  ganze  Körper  ab- 
wechselnd mit  Ameisen  und  Wespen  bearbeitet.  Schließlich  wurde  der 
mittlerweile  ohnmächtig  gewordene  Kandidat  in  eine  Hängematte  gelegt  und 
mit  Stricken  festgebunden.  Dann  zündete  man  ein  kleines  Feuer  unter  ihm  an. 
Blutentziehung  als  Zeremonie  bei  der  Pubertätsfeier  der  männlichen 
.lugend  erwähnte  PloßA),  im  Hinweis  auf  Döbrizhoffer,  von  den  Abiponem. 
einem  Zweig  der  Guaikuru  in  den  Grenzgebieten  von  Paraguay  und  Brasilien. 


')  Stimme  des  Dämon?    Vgl.  die  Trompeten  am  Orinoco,  die  FlöteD  am  .Rio  Negro  usw. 
2)  Zauberer,  Priester.  •> 

s)  U,  429. 


Kapitel  LIX. 

Gegenseitige  Lie'be  zwischen  Eltern  und  Kindern. 
Positives  und  Negatives. 

§  383.  Die  Liebe  der  Eltern  zu  ihren  Kindern  ist  unter  den  mannig- 
faltigsten Formen  der  Gegenstand  der  weitaus  meisten  Kapitel  dieses  Werkes,  und 
auch  die  kindliche  Pietät  spricht  aus  einigen  derselben,  z.  B.  aus  den  Kapiteln 
über  Ahnenkult,  Charakterbildung  und  Rechtsverhältnisse  (Kap.  XLIV,  XLVIII 
und  XLIX).  Dennoch  glaubte  ich,  ein  eigenes  Kapitel  mit  dem  obigen  Titel  und 
dem  folgenden  Inhalt  nicht  umgehen  zu  dürfen,  damit  gewisse  Äußerungen 
des  Seelenlebens  der  Menschheit,  welche  in  den  Rahmen  früherer  Kapitel 
nicht  paßten,  ins  Auge  gefaßt  oder  besser  beleuchtet  werden  können,  als  es 
dort  der  Fall  gewesen  wäre.  Freilich  liegt  durch  die  Zusammenfassung  lieb- 
reicher Verhältnisse  zwischen  Eltern  und  Kindern  und  deren  Heraushebung 
aus  dem  übrigen  Material  jene  Gefahr  nahe,  welche  jedem  System  droht,  d.  h. 
Einseitigkeit,  zumal  ich  gerade  in  diesem  Kapitel  wiederholte  Hinweise  auf 
frühere  unterlassen  zu  sollen  glaube,  weil  diese,  durch  den  innigen  Zusammen- 
hang dieses  Kapitels  mit  dem  ganzen  Werke,  allzu  häufig  sein  müßten.  Um 
so  mehr  möchte  ich  hier  darauf  aufmerksam  machen,  daß  das  Kapitel  „Gegen- 
seitige Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern"  nur  dann  vor  Mißverständnissen 
bewahren  kann,  wenn  man  es  mit  den  früheren  Kapiteln  vergleicht  und 
unter  diesen  vor  allem  mit  den  Kapiteln  über  Aussetzung  und  Kindermord, 
über  Erziehung  und  Rechtsverhältnisse,  da  beispielsweise  ein  und  dasselbe 
Volk  vielfach  innige  Liebe  der  Eltern  zu  jenen  Kindern  aufweist,  welche  zuni 
Fortleben  bestimmt  sind,  aber  zugleich  auch  direkte  Tötung  oder  doch  Aus- 
setzung mißliebiger  Kinder  als  Brauch  duldet,  oder  für  gut  oder  gar  für 
nötig  erachtet.  Nicht  selten  ist  ferner  im  Völkerleben  wahrzunehmen,  daß 
die  zärtliche  Liebe  zum  kleinen  Kind  einer  Gleichgültigkeit  oder 
selbstsüchtigen  Berechnung  gegen  das  größere  Kind  mehr  oder  weniger 
Platz  macht,  was  bereits  teilweise  in  den  Kapiteln  über  Erziehung  und 
Rechtsverhältnisse  zum  Ausdrucke  kam,  teils  im  vorliegenden  Kapitel 
wiederholt  erwähnt  wird,  z.  B.  von  den  Melanesiern  des  Bismarck-Archipels 
und  der  Salomo-Inseln,  sowie  von  gewissen  Stämmen  des  australischen  Konti- 
nents. Als  Gründe  dieser  Erscheinung  in  Australien  wird  einerseits  die  Früh- 
reife des  dortigen  Kindes  und  andererseits  der  intellektuelle  Tiefstand  der 
Erwachsenen  angegeben,  wodurch  jung  und  alt  sich  bald  auf  der  gleichen 
Stufe  als  Gleiche  gegenüberstehen.  Aber  diese  Gründe  können  nicht  die  einzigen 
sein,  da  sie  zweifellos  auch  bei  den  Australiern  am  Moore-Fluß  zutreffen,  bei 
denen  doch  die  erwachsenen  Söhne  ihren  altersschwachen  Eltern  das  Beste  von 
ihrer  Jagdbeute  geben  und  die  denselben  widerfahrenen  Beleidigungen  rächen 
i£  388).  Immerhin  dürfte  die  frühe  Möglichkeit  der  Selbsternährung 
der  Kinder,  hauptsächlich  männlichen  Geschlechts,  bei  manchen  Völkern  dazu 
beitragen,  das  Verhältnis  zwischen  Eltern  und  Kindern  früh  zu 
lockern.     Ausschlaggebend  ist  es  aber  nicht. 

60* 


788     Kapitel  LIX.    Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.    Positives  und  Negatives. 

Gar  mannigfaltig  sind  die  Formen,  in  welchen  uns  die  Liebe  zum  Kinde, 
auch  in  diesem  Kapitel,  kundgetan  wird.  Die  Hindu-Mutter  kasteit  sich,  um 
ihren  Kindern  die  Götter  geneigt  zu  machen;  die  Toda-Mutter  empfiehlt  ihren 
Säugling  abends  betend  dem  Mond;  Said  ßargäsch.  der  Sultan  auf  Sansibar, 
sucht  allabendlich  seine  Erholuug  bei  seinen  Kleinen;  der  Sklavenjäger  und 
Sultan  Mukni  in  Fessan  weint  vor  Freude  über  die  Taten  und  die  Rückkehr 
seines  Sohnes;  altägyptische  Philosophie  appelliert  selbst  für  schlechte  Söhne 
an  das  Vaterherz;  zu  den  Lega-Galla  im  oberen  Nilgebiet  fand  der  Islam  den 
Weg  durch  Talismane,  welche  den  Kindern  Segen  verhießen;  bei  den  Raffern 
machen  die  weißen  Händler  gute  Geschäfte,  wenn  sie  vorher  den  Kindern 
eine  Kleinigkeit  geben,  und  christliche  Missionare  finden  bei  den  Erwachsenen 
empfängliche  Herzen  durch  die  den  Kindern  erwiesene  Liebe.  Bei  den  deutsch- 
ostafrikanischen  Wagogo  gehen  Eltern  an  Stelle  ihrer  Kinder  in  die  Ge- 
fangenschaft (und  umgekehrt);  manche  Hottentottin  und  manches  Buschweib 
hungert  lieber  selbst,  als  daß  sie  ihr  Kind  hungern  ließe,  und  der  von  Schurz 
erwähnte  Fall  in  §  387  beweist,  daß  auch  ein  Hottentotte  sein  Leben  für 
seinen  Sohn  hinzugeben  vermag.  Eine  Samoanerin  deckte  ihren  Sohn  mit  ihrem 
eigenen  Leib  gegen  den  Feind;  eine  Indianerin  aus  dem  Stamme  der  Ohaina. 
Nebraska,  ließ  sich  bei  lebendigem  Leib  skalpieren,  um  ihre  Kinder  zu  retten. 
und  eine  Tsclnnna-Indianerin  warf  sich  trotz  sinkender  Nacht  und  drohendem 
Sturm  ins  Meer,  um  zu  ihrem  Kind  zu  gelangen.  Bezeichnend  ist  auch  die 
Bitte  der  Ojana-Indianerin  <§  392)  um  ein  Mitte],  durch  welches  ihr  Söhnchen 
ewig  leben  könne,  und  nicht  weniger  bezeichnend  der  Mutterstolz  im 
Harem  des  Untergouverneurs  von  Disful  (§  385),  welcher  schon  im  zehn- 
jährigen Sohn  eine  zukünftige  Stütze  des  Staates  sieht.  Eine  Parallele  hierzu  ist 
der  Vaterstolz  des  obigen  Sultans  auf  Zansibar,  der  mit  seinen  Kindern  am  offenen 
Fenster  spielt  (§  385),  und  die  Mutter  des  Häuptlings  am  Tanganyka,  welche 
die  Weiber  des  Dorfes  zur  Begrüßung  ihres  Sohnes  aufrüttelt  (§  386)'). 

Doch  nicht  nur  Positives  bringt  das  vorliegende  Kapitel  über  die  Liebe 
zum  Kind,  auch  Negatives.  Hierher  gehört  die  Gefühlsroheit  der  in  §  385 
erwähnten  zwei  Kabylen-Mütter  und  die  Vernachlässigung  der  heranwachsenden 
Somaliknaben  durch  ihre  Väter;  die  Preisgabe  der  Kinder  zu  selbstsüchtigen 
Zwecken,  wie  es  manche  Kaffern  machen;  die  häufige  Mißhandlung  der  Kinder 
infolge  ehelicher  Zwistigkeiten  bei  Buschleuten  (§  387);  die  stark  hervor- 
tretende Selbstsucht  in  der  übrigens  sorgsamen  Aufziehung  der  Thai  oder 
Siamesen  u.  a.  m. 

Noch  mehr  Schattenseiten,  mehr  Negatives  finden  wir  in  den  folgenden 
Paragraphen  in  dem  Verhalten  der  Kinder  zu  ihren  Eltern:  Roheit  gegen 
verwitwete  alte  Mütter  ist  bei  den  Hindu  eine  nur  zu  gut  bekannte  Er- 
scheinung; wenig  Dank  ernten  die  Eingebornen  der  Palni-Hügel,  südliches 
Vorderindien,  von  ihren  erwachsenen  Kindern;  mit  Roheit  in  Wort  und  Tat 
vei gelten  manche  arabische  Buduinen  ihren  alten  Müttern  die  parteiische 
Liebe,  mit  welcher  sie  von  ihnen  in  der  Kindheit  den  Schwestern  vorgezogen 
wurden  waren;  selten  behalten  erwachsene  Somal  ihre  arbeitsunfähigen  Väter  bei 
sich,  von  denen  sie,  wie  erwähnt,  freilich  in  der  Jugend  wenig  Zärtlichkeit  er- 
fahren; die  Aussetzung  bzw.  direkte  Tötung  alter,  erwerbsunfähiger  Eltern  bei 
Germanen,  Hottentotten,  Papuas.  Kamtschadalen,  Tschuktschen,  Eskimos, 
nördlichen  Tinneh- Völkern2)  und  Karaiben  ist  teils  in  Kap.  XLIX  erwähnt 
worden,  teils  kommt  es  im  vorliegenden  zur  Sprache. 


1)  Hänge    es   von    den  Urteilen    der  Mütter   inmitten  unserer  eigenen  Kultur  ab,  dann 
gebe  es  nur  Idealmensehen. 

2)  Über  die  ethnische  Zugehörigkeit  der  Naskopi  in   Labrador  (§392),  welche  ihre 
greisen,  irrsinnigen   Väter  töten,  bin  ich  im  Zweifel. 


§  384.     Indo-Europäer,  Nicht-Arier  in   Vorderindien  und  Abchasen.  789 

Ob  die  Auffassung  solcher  Taten  als  „heilige"  Pflicht,  als  „gutes  Werk" 
und  „Liebesdienst"  (§  391  und  392)  den  Brauch  der  Tötung  hervorrief,  oder 
ob  die  Erhebung  der  Tat  zu  einem  heiligen  verdienstvollen  Akt  jene  nur 
rechtfertigen  sollte,  ist  wohl  unerwiesen.  Wahrscheinlicher  dünkt  mir  das 
letztere,  weil  Erwerbsunfähigkeit  als  Grund  der  Tötung  oder  Aussetzung  bei 
den  Germanen,  Hottentotten  und  nördlichen  Tinneh  angegeben  ist,  und  die 
Roheit  der  Kamtschadalen  gegen  alte  und  hilflose  Eltern  zum  gleichen 
Schluß  berechtigt.  Wohl  ersuchen  die  Eltern  selbst  ihre  Söhne  um  den  Tod, 
aber  die  Stelle  bei  Morice  (§  392)  klärt  dieses  Ansuchen  zur  Genüge  auf. 

Was  den  alten  Persern,  nach  Herodots  Darstellung  (§  384),  unmöglich 
schien,  d.  h.  die  Ermordung  eines  Mannes  oder  Weibes  durch  sein  leibliches 
Kind,  finden  wir  also  als  tatsächlichen  Brauch  bei  einer  Reihe  von  Völkern, 
ja  wir  finden  diesen  Brauch  zu  eiuem  religiösen  gestempelt, 

ludessen  macht  uns  das  vorliegende  Kapitel  auch  mit  mannigfachen 
Formen  kindlicher  Pietät  im  positiven  Sinn  bekannt.  Neben  rohen 
Söhnen  der  Hiudu-Mütter  stehen  andere  mit  rührender  Anhänglichkeit;  Heim- 
weh nach  der  Mutter  spricht  aus  russischen  Versen  und  aus  Zigeunerliedern, 
Heimweh  nach  dem  Vater  aus  armenischen.  Nicht  nur  rohe,  sondern  auch 
ritterliche  Söhne  gibt  es  unter  den  arabischen  Beduinen;  pietätvoll  kniet  der 
junge  Sklavenjäger  in  §  385  vor  seinem  Vater  und  küßt  ihm  die  Hand,  und 
pietätvoll  legen  die  Marokkaner  und  Fessaner  die  heilige  Myrte  als  Tribut 
des  Dankes  auf  den  Gräbern  ihrer  Eltern  nieder.  Kindliche  Pietät  war  schon 
im  alten  Ägypten  heilige  Pflicht,  der  Fluch  der  Mutter  wurde  von  der  Gott- 
heit gehört.  Ein  lebenslängliches  inniges  Verhältnis  zwischen  Kindern  und 
ihren  Müttern  ist  bei  einer  Reihe  westafrikauischer  Völker  beobachtet  worden, 
speziell  unter  den  Hoern,  eine  Liebe,  welche  bei  den  Töchtern  die  Liebe  zu 
ihren  Männern  überwiegt,  und  die  Liebe  der  Kaffern  zu  ihren  Eltern  reicht 
über  das  Grab  hinaus.  Pietätvoll  sorgen  die  Malayen  auf  Java  für  den 
Unterhalt  ihrer  alten  Eltern;  der  Held  einer  samoanischen  Sage  hungert  aus 
Liebe  zu  seinem  alten  blinden  Vater;  die  Fürsorge  der  Australier  am  Moore- 
River  ist  schon  erwähnt  worden;  in  China  hält  man  pietätslose  Kinder  den 
unvernünftigen  Tieren  gleich,  und  manche  Kinder  geben  Teile  aus  dem  eigenen 
Fleisch,  ja  ihr  Leben,  um  den  hohen  Anforderungen  chinesischer  Pietät  voll 
und  ganz  gerecht  zu  werden.  Dennoch  sollen  nicht  die  Chinesen,  sondern  die 
Annamiten  jenes  Volk  seiu,  welches  unter  allen  Völkern  des  Orients  den  alten 
Eltern  die  größte  Liebe  und  Ehrfurcht  erweist.  In  China  scheint  mehr  äußere 
Form,  in  Annani  mehr  innerliche  Liebe  zu  walten.  Besonders  beachtenswert 
dünkt  mich  die  Art  und  Weise  der  Thai  (Siamesen),  ihre  Liebe  und  Dank- 
barkeit gegen  ihre  verstorbenen  Mütter  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Diese 
mußten  als  Wöchnerin  „das  Feuer  hüten";  ihre  Söhne  müssen  es  nach  dem 
Ableben  der  Mutter  tun;  die  Mütter  mußten  im  Leben  auf  gewisse  Speisen 
verzichten;  die  Söhne  müssen  es  nach  dem  Tode  der  Mütter;  diese  waren  als 
Wöchnerinnen  „unrein";  jene  sind  es  nach  der  Mutter  Tod  usw.  (§  389). 
Tiefe  Ehrerbietung  gegen  alte  Eltern  finden  wir  schließlich  auch  bei  den 
Karaiben  und  manchen  anderen  Völkern  der  roten  Rasse.  — 

§  384.     Indo-Europäer,  Nicht-Arier  in  Vorderindien  und  Abchasen. 

Die  gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern  bei  den  Hindus 
wird  von  verschiedenen  Seiten  verschieden  gekennzeichnet,  Wilh.  Hoffmann 
sprach  von  einer  blinden  Affenliebe  der  Eltern,  die  sich  aber  mitunter  in 
barbarischen  Schlägen  äußere.  Die  Selbstliebe  der  Weiber,  deren  Stellung 
ihren  Ehemännern  gegenüber  so  sehr  davon  abhängt,  ob  sie  lebende  Söhne 
haben,  verhindert  eine  unparteiische  Liebe  für  die  Kinder  beider  Geschlechter. 


790     Kapitel  L1X.   Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.  Positives  und  Negatives. 

Wohl  schrieb  Hoffmann,  daß  die  Mütter,  von  inniger  Liebe  angetrieben,  sich 
schmerzliche  Kasteiungen  auferlegen,  um  den  Zorn  der  Götter  von  ihren 
Kindern  abzuwenden,  aber  das  scheint  doch  vor  allem  für  die  Söhne  der 
Fall  zu  sein.  Die  Sorge  um  diese  treibt  die  Mutter,  nach  Niehus,  so  oft 
zum  Götzenaltar,  zum  Fasten  und  zum  Beschenken  der  Priester.  Selbst  wenn 
der  Sohn  längst  erwachsen  ist,  werde  sie  nimmer  müde,  über  ihr  „bachha" 
(Kind)  zu  wachen.  Dafür  hänge  der  Sohn  meist  mit  rührender  Liebe  an 
seiner  Mutter  und  lasse  sich  von  ihr  stark  beeinflussen.  —  C.  Keller  hin- 
gegen spricht  den  Hindu-Kindern,  also  beider  Geschlechter,  das  Gemüt  ab. 
Wenigstens  glaubte  er,  jene  auf  Reunion  so  charakterisieren  zu  sollen,  und 
in  geradezu  düstern  Farben  zeichnete  Ho  ff  mann,  im  Hinweis  auf  die  Er- 
fahrungen der  Frau  Mault,  Gattin  eines  Missionärs  an  der  Coromandel- 
Küste,  das  Verhalten  gerade  der  Söhne  gegen  ihre  Mütter. 

Von  den  Todas,  Nichtariern  int  südlichen  Vorderindien,  erwähnt  Marshall 
liebende  Mütter,  die  abends,  wenn  sie  ihre  Säuglinge  zur  Ruhe  legten,  schlichte 
Gebetsworte  zum  Mond  aufsteigen  ließen,  und  nach  Hurknef  flehten  die  Männer 
bei  der  Verbrennung  der  Leiche  Kenbalis,  eines  angesehenen  Toda,  neben  der 
Leiche  für  Weib  und  Kind.  Von  den  Müttern  nahm  dieser  Forscher  den  Kindruck 
mit.  daß  sie  auch  an  ihren  Töchtern  mit  zärtlicher  Liebe  hängen,  obgleich 
gerade  dieses  Volk  früher  Mädchenmord  besonders  häufig  beging.  -  -  Die  kind- 
liche Pietät  findet  eine  Illustration  in  der  früher  erwähnten,  von  Harkneß 
beobachteten  Heimkehr  eines  Familienvaters,  dem  Sohn  und  Tochter  entgegen- 
eilen, ihm  seine  Bürde  abnehmen  und  sich  Tii  der  Beobachtung  der  gewöhn- 
lichen Begrüßungsform  vor  ihm  so  tief  ueigen,  daß  sein  etwas  aufgehobener 
Fuß  ihre  Stirne  berührt,  worauf  sie  sich  wieder  aufrichten  und  der  Vater 
ihnen  segnend  die  Hände  aufs  Haupt  legt.  —  Auch  bei  Krankheit  und  Tod 
zeigt  sich  nach  Harhneß  die  gegenseitige  Liebe  der  Kitern  und  Kinder. 
Traurig  führten  ihn  zwei  Jünglinge  zu  ihrem  schwerkranken  Vater,  damit  er 
ihn  gesund  mache.  Man  fragt  den  Sterbenden  nach  seinen  Wünschen  und 
legt  ihm  seinen  schönsten  Schmuck  an.  Zur  Verbrennung  der  Leiche  Kenbalis, 
welche  an  einem  fern  gelegenen  Orte  stattfand,  trugen  dessen  Söhne  ihre 
Mutter  und  Tanten  auf  den  Schultern.  Auch  die  kleinen  Kinder  hatten  der 
Leiche  eine  letzte  Ehre  zu  erweisen.  Man  lehrte  sie  an  Ort  und  stelle,  je 
eine  Hand  voll  Erde  auf  die  Leiche  zu  weifen  und  dabei  zu  sagen:  ,. Laß 
ihn  in  den  Hoden  gehen!"1). 

Die  Eingebornen  auf  den  Palni-Hügeln  im  südlichen  Vorder-Indien 
setzen,  nach  F.  Dahmen,  ihren  Stolz  darein,  daß  ihre  Kinder  recht  wohl 
genährt  aussehen,  und  pflegen  sie  mit  viel  Liebe  und  Sorgfalt,  wenn  auch 
nach  ihrem  eigenen  Geständnis  mit  der  Absicht,  daß  sie  einmal  im  Alter  von 
ihren  Kindern  ernährt  und  gepflegt  werden.  Die  in  den  Nilgiri  beobachtete 
l'ietiit  fehlt  aber  gerade  hier  vielfach.  Dahmen  schreibt  nämlich :  Die  Kitern 
sehen  sich  in  ihren  Hoffnungen  oft  genug  getäuscht;  sobald  die  Sprößlinge 
sich  selbständig  fortbringen  können,  kümmern  sie  sich  wenig  mehr  um  ihre 
Eltern,  deren  Vernachlässigung  sie  mit  der  Angabe  zu  entschuldigen  suchen. 
daß  sie  sich  selbst  und  ihre  eigene  Familie  kaum  fortbringen  können. 

Von  den  transsylvanischen  Zelt-Zigeunern  sagt  von  WlislocM,  die 
innige  Liebe,  welche  Mutter  und  Kind  verbinde,  sei  überraschend.  Die  größten 
Entbehrungen  des  Kindes2)  werden  durch  die  Liebe  seiner  Mutter  erleichtert, 
die  es  „mein  Blümchen",  „süßes  Würmchen",  „mein  Äuglein"  nennt.  Heiratet 
der  Sohn  und  zieht  er  nach  Zigeunerbrauch  von  da  an  mit  der  Sippe  seines 
Weibes  umher,  so  folgt  ihm  die  Sehnsucht,  aber  auch  die  vorwurfsvolle  Klage 


'i   Das  gleiche  tuten  die   Erwachsenen. 
•i  Siehe  8.   109  d.  H. 


§  384.     Indo-Europäer,  Nicht-Arier  in  Vorderindien  und  Abcbasen.  791 

seiner   Mutter   nach,   welche   in    zahlreichen  Zigeunerliedern   ihren   Airsdruck 
findet.     Als  ein  Beispiel  hat  ron    WlislocM  folgendes  übersetzt: 

..Keine  Biene  ohne  Stachel  ist; 

Acb,  mein  Sohn  schon  jetzt  auf  mich  vergißt! 

Seine  alte  Mutter,  müd"  und  matt, 

Er  im  Elend  hier  gelassen  hat." 

„Bist  mein  Trost,  den  ich  noch  hab', 
Grabe  mir  doch  nicht  das  Grab! 
Meine  Freud'  bist  du  allein. 
Bist  mein  goldner  Sonnenschein; 
Komm  zu  mir  samt  deinem  Lieb, 
Alles  tu'  ich  euch  zulieb'." 

Ein  anderes  Zigeunerlied,  auf  den  Tod  einer  Mutter,  lautet  nach  dem 
gleichen  Übersetzer. 

..Hier  auf  Erden  weit  und  breit 
Eind'  ich  überall  nur  Leid,   — 
Schmerz  und  Leid  muß  stets  ich  haben. 
Seit  ich   Mütterchen   begraben." 

„Schmucklos  einfach  war  der  Sarg, 
Der  mein   Liebstes  in  sich  barg: 
Blumen   könnt'   ich  ihr  nur  geben. 
Ihr,   die  mir  geschenkt  das  Leben." 

„Schöner  Sommer  schwand  dahin.  — 

Grau  die   Wolken  seh'  ich  ziehn', 

Kalt  fühl'  ich   den  Regenschauer, 

Lud   mein   Herz  ist.  ach!   voll  Trauer."   — 

Ein  Sprichwort  der  Muselmanen  im  heutigen  Persien  lautet:  ..Der 
Himmel  ist  zu  den  Füßen  der  Mutter." 

Aus  dem  alten  Persien  erwähnte  Herodot  die  Anschauung,  es  sei  un- 
wahrscheinlich, daß  ein  Vater  durch  sein  leibliches  Kind  das  Leben  verliere: 
ja  die  Perser  behaupteten  nach  Herodot  geradezu,  daß  nie  jemand  seinen 
eigenen  Vater  oder  seiue  eigene  Mutter  getötet  habe:  eine  genauere  Unter- 
suchung hier  einschlägiger  Anklagen  würde  sicher  die  Tatsache  beweisen. 
daß  der  Mörder  nicht  das  rechte  Kind  des  Ermordeten,  sondern  ein  Wechsel- 
balg oder  die  Frucht  eines  Ehebruchs  sei.  Hingegen  gehörte  Kindermord 
zum  religiösen  Kult  ( vgl.  Kapitel  VIII). 

Hochgradige  Zärtlichkeit  gegen  ihre  Kinder  wird  von  den  räuberischen 
Kurden  bezeugt. 

Das  Heimweh  eines  jungen,  fern  von  der  Heimat  lebenden  Armeniers 
nach  seinem  Vater  klingt  aus  einem,  von   Volland  übersetzten,  Lied: 

„0  Schwalbe,  Schwalbe, 

Du  des  Frühlings  lieblicher  Vogel! 

Sage  mir,  wo  du   hin   willst, 

Daß  du  so  schnell  fliegst 

In  eine  ferne  Welt. 

Ich  habe  einen   trauernden   Vater, 

Der  einsam  seines  Sohnes 

Wartet  von  Tag  zu  Tag. 

Falls  du  ihn  sehen  wirst.  " 

Nimm  viele  Grüße  von  uns  mit; 

Er  soll  sich  setzen  und  weinen 

Über  seinen  unglücklichen   Sohn. 

Erzähle  du,  wie 

Ich  im  Elend   hier  sitze; 

Immer  mit  Weinen  und  Klagen 

Ist  mein  Leben  verkümmert, 

So  daß  es  nur  zur  Hälfte  geblieben." 


792     Kapitel  LIX.  Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.  Positives  und  Negatives. 

In  einem  Lied  aus  dem  russischen  Gouvernement  Kasan  klagt  eine 
Tochter  nach  ihrer  toten  Mutter: 

„Du  meine  Ernährerin,  Mutterehen! 

Warum  hast  du  mich  Betrübte,  Unglückliche  verlassen  ? 

Mit  wem  hast  du  dir  diesen  Gedanken  erdacht? 

Warum  hast  du  mich  bitterlich  Betrübte  verlassen? 

Ich  bin  eine  Betrübte,  eine  Unglückliche, 

Ernährerin,  Mütterchen, 

Erheb'  dich,  erwache,  öffne  die  hellen  Augen, 

Falt'  auseinander  die  weißen  Hände 

Und  nimm  mich  Betrübte,  Unglückliche, 

Mit  dir  unter  das  rechte  Elügelchen  '). 

Laß  mich  nicht  ein  Kummerdasein   führen. 

Viel  Kummer  sehe  ich  voraus  ohne  dich. 


Wenn  du  uns  doch  sagen  wolltest,  wann  du  zu  uns  kommst, 
Wir  würden  dann  alle  Türen   öffnen 
Und  für  dich  auftun  die  Fenster." 

Über  die  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern  im  Heroen-Zeitalter  der 
Griechen,  oder  vielmehr  in  der  poetischen  .Schilderung  Homers2)  bemerkte 
Pouqueville:  Die  Zuneigung  und  die  Zärtlichkeit  der  Gatten  teilte  sich  den 
Kindern  mit.  Während  der  Vater  in  der  Tochter  die  Reize  seiner  Gattin 
wiederfand,  freute  sich  diese,  an  den  Söhnen  die  Züge  des  Vaters  wieder- 
zuerkennen. Hieraus  entsprang  die  Ehrfurcht  der  Kinder  von  ihren  Eltern, 
die  einer  göttlichen  Verehrung  nahe  kam.  Die  Liebe  bewog  die  Kinder, 
ihren  Eltern  die  Füße  zu  waschen,  sie  zu  salben  u.  a.  m.  Sie  sorgten  für 
ihre  Bedürfnisse  und  opferten  alles  auf,  um  ihrer  sterblichen  Hülle  ein  an- 
ständiges Begräbnis  zu   geben. 

Zärtliche  Liebe   zum  Kind  spricht  in  der  Uias  aus  Hektors3)  Abschied: 

„Lächelnd  schaute  der  Vater  das  Kind  und  die  zärtliche  Mutter. 
Schleunig  nahm  vom  Haupte  den  Helm  der  strahlende  Hektor, 
Legete  dann  auf  die  Erde  den  schimmernden ;  aber  er  selber 
Küßte  sein  liebes  Kind  und  wiegt  es  sanft  in  den  Armen ; 
Dann  erhob  er  die  Stimme  zu  Zeus  und  den  anderen  Göttern : 
Zeus  und  ihr  anderen  Götter,  o  laßt  doch  dieses  mein  Knäblein 
Werden  dereinst,  wie  ich  selbst,  vorstrebend  im  Volk  der  Troer, 
Auch  so  stark  an  Gewalt,  und  Uios  mächtig  beherrschen! 
Und  man  sage  hinfort:  Der  ragt  noch  weit  vor  dem  Vater! 
Wenn  er  vom  Streit  heimkehrt,  mit  der  blutigen  Beute  beladen 
Eines  erschlagenen  Feinds!     Dann  freue  sich  herzlich  die  Mutter!" 

Arixtotrli*  dachte  sich  das  Verhältnis  des  Vaters  zu  seinen  Kindern  als 
herrschende  Liebe,  analog  dem  des  Zeus  gegenüber  den  andern  Göttern  und 
den  Menschen:  „Die  Herrschaft  über  die  Kinder  ...  ist  königlich.  Denn  das 
Erzeugende  ist  sowohl  hinsichtlich  der  Liebe  als  hinsichtlich  des  Alters  das 
Herrschende,  und  dies  ist  die  Form  der  Königsherrschaft.  Daher  nannte 
passend  Homeros  den  Zeus,  wenn  er  sang:  „„Vater  der  Götter  und  Menschen uu, 
den  König  dieser  aller*)." 

Obwohl  die  alten  Germanen  nach  der  Schilderung  des  Tatitus  ihre 
Kinder  nackt  und  schmutzig  aufwachsen  ließen  (vgl.  d.  Kap.  über  Pflege 
und   Erziehung),   so   beschwört   doch   in   der   altem  Edda   die  Göttin  Idini 


')  Nach  A.  C.  Winter,  dem  Übersetzer  dieser  Totenklage.  „In  deinen  Schutz,  in  dein 
Grab." 

2J  Die  Wirklichkeit  dürfte  in  den  Kapiteln  über  Aussetzung  und  Kindsmord  und 
die  übrigen  Rechtsverhältnisse  wahrheitsgetreuer  geschildert   sein. 

3)  Grieche  oder  Niehtgrieche?  In  beiden  Fällen  ist  in  der  Uias  griechische  Auffassung 
vorhanden. 

4)  Siehe  aber  auch  Kindesmord,  Aussetzung  u.  a.  m.  in  Griechenland. 


§  385.     Semiten  und  Härmten.  793 

ihren  Gatten  Braga  bei  seiner  und  aller  Wünschelsöhne  Wohl.  —  Tötung 
und  Aussetzung  mißliebiger  Kinder  waren  aber  trotz  aller  Liebe  zu  den  übrigen 
auch  hier  nicht  ausgeschlossen,  und  wie  diesen  Brauch,  so  lernten  wir  das 
Aussetzungs-  und  Tötungsrecht  der  Söhne  über  ihre  altersschwachen  Väter 
in  einem  früheren  Kapitel  kennen1).  Der  deutsche  Spruch:  „einem  Kind,  das 
seine  Eltern  schlägt,  wächst  die  Hand  aus  dem  Grabe",  dürfte  also  nicht 
bis  auf  jene  Zeit  zurückgehen. 

Liebevolle  Verpflegung  bejahrter  Eltern  rühmt  N.  von  Seidlite  den 
Abchasen,  einem  Kaukasusvolk,  nach.  — 

§  385.     Semiten  und  Hamiten. 

Die  Auffassung  der  alten  Babylonier  von  der  kindlichen  Pietät  geht 
aus  §  195  der  Gesetze  Hammurabis  (um  2200  v.  Chr.)  hervor:  „Wenn  ein 
Sohn  seinen  Vater  schlägt,  so  soll  man  ihm  die  Hände  abhauen."  Anderer- 
seits soll  der  Vater  selbst  ungeratenen  Söhnen  gegenüber,  wenigstens  für  das 
erstemal,  Nachsicht  walten  lassen. 

Die  Liebe  der  alttestam entlichen  Israeliten  zu  ihren  Kindern  und 
die  Pietätspflichten  dieser  zu  ihren  Eltern  sind  bekannt.  Hier  sei  im  Zusammenhang 
mit  Hammurabis  £195  nur  an  2.  Mos.  19,  3  erinnert:  „Wer  seinem  Vater  oder 
seiner  Mutter  flucht,  soll  sterben."  —  Mutter-  und  Vaterliebe  dient  im  Alten  und 
im  Neuen  Testament  in  zahlreichen  Fällen  als  das  Bild  der  Liebe  Gottes  zu  den 
Menschen. 

Ebenso  verschieden  wie  über  die  gegenseitige  Liebe  der  Hindu-Eltern 
und  -Kinder lauten  die  Berichte  über  die  Araber.  Während  der  alte Burckhardt 
das  Ritterliche  der  jungen  Araber  gegenüber  ihren  Müttern  hervorhob,  schreibt 
in  neuester  Zeit  Anastase  Marie  de  St.  Elie  von  den  Söhnen  der  arabischen 
Beduinen,  daß  sie  ihre  Mütter  beschimpfen,  schlagen,  schändlich  mißhandeln. 
All  das  sehen  sie  ihren  Vätern  ab,  die  sie  nachahmen,  hauptsächlich  wenn 
die  Söhne  ein  gewisses  Alter  erreicht  haben,  und  wenn  die  Mutter  über  die 
Jugendjahre  hinaus  ist.  —  Bei  den  seßhaften  Arabern  (Fellähin  oder  Hadrän) 
in  Arabia  Petraea  hörte  Musil  oft,  daß  Eltern  ihren  Kindern  fluchten,  und 
daß  diese  in  gleicher  Weise  erwiderten.  Doch  seien  das  mehr  gedankenlos 
hingeworfene  Worte;  die  gegenseitige  Liebe  sei  groß.  --  Im  Stamme  Hewät 
verlangt  die  kindliche  Pietät,  daß  nach  dem  Ableben  eines  Familienvaters, 
der  eine  Blutrache  schuldig  blieb,  dessen  Söhne  diese  auf  sich  nehmen.  Der 
Sterbende  selbst  legt  ihnen  diese  Pflicht  auf,  indem  er  spricht: 

„Höret,  meine  Kinder,  ich  soll  von  N.,  dem  Sohne  des  N,  Blut  verlangen; 
wenn  ihr  Männer  seid,  nehmet  an  ihm  Rache,  und  mein  Gebein  wird  sich  dann 
in  seinem  Grabe  und  Grabhügel  freuen,  daß  ihr  euren  Vater  liebet.  Es  ist 
eure  Pflicht,  Rache  zu  nehmen,  denn  es  ist  keine  Schande."  —  Bei  den 
Ka  ahne  sagt  der  sterbende  Vater:  „Ehret  euren  Gast.  Nachbar  und  Schutz- 
befohlenen! Der  N.  war  mein  guter  Freund  und  der  N.  mein  Genosse;  hütet 
euch,  ihn  anzufeinden!  Der  N.  war  mein  erbitterter  Feind;  nehmet  euch  in 
acht  vor  seiner  Treulosigkeit,  und  bekommt  ihr  ihn  in  eure  Gewalt,  so 
schonet  ihn  nicht."  —  In  el-Kerak  spricht  die  sterbende  Frau  zu  ihrem  Manne: 
„0  N.,  ich  übergebe  dir  meine  Kinder,  daß  sie  die  N.  nicht  mißhandelt.  Ihre  Sünden 
von  meinem  Nacken  auf  deinen  Nacken  (du  bist  für  sie  verantwortlich)"  (Musil). 

Nach  Renzo  Manzoni  wird  in  El  Yemen  dem  Kind  im  Harem,  unter 
andern  Tugenden,  auch  Liebe  zur  Mutter  anerzogen.  —  Die  Araberin  Matab 
Chanum,  welche  Mme  Dieulafoy  als  eine  der  Frauen  des  Untergouverneurs 
von   Disful   im   westlichen  Persien   in   dessen  Harem   kennen   lernte,   nannte 


x)  Nach  einer  mündlichen  Mitteilung  F.  von  Tessens  in  Breslau  werden  in  Schweden 
heutzutage  noch  Keulen  gezeigt,  mit  denen  früher  Kinder  ihre  alten  Eltern  erschlugen. 


794     Kapitel  LLX.  Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.  Positives  und  Negatives. 

ihren  Zehnjährigen  „die  Erquickung  meiner  Augen-'.  So  oft  ihr  Blick  den 
Knaben  streifte,  erheiterte  er  sich.  Hochgradiger  Matterstolz  sprach  aus  ihren 
Worten:  „Dieses  Kind  ist  bestimmt,  eine  Stütze  des  Staates  zu  werden.  Kaum 
zehn  Jahre  alt,  weiß  es  schon  mehrere  Kapitel  des  Korans  und  die  schönsten 
Stellen  unserer  klassischen  Dichter  auswendig." 

Im  arabischen  Ägypten  bildet,  nach  Cromer,  die  wenigstens  äußere 
Hochachtung  der  Kinder  vor  ihren  Eltern  (und  vor  dem  Alter  überhaupt) 
eine  Lichtseite  neben  den  vielen  Schattenseiten.  Das  uns  schon  von  Persien 
her  bekannte  Sprichwort:  ..Das  Paradies  liegt  zu  den  Füßen  der  Mutter", 
wird  als  ein  Spruch  des  Propheten  Mohammed  bezeichnet.  —  Die  Eltern  be- 
handeln ihre  gehorsamen  Kinder  gut:  nur  in  sehr  hohen  Kreisen  bestehe 
Mißtrauen  zwischen  Eltern  und  Kindern. 

Auf  Sansibar  begibt  sich,  nach  G.  Revoil,  der  Sultan  Said  Bargasch 
trotz  seiner  vielseitigen  Beschäftigung  allabendlich  bei  Sonnenuntergang  auf 
einige  Zeit  zu  seinen  Kindern,  die  er  gern  auf  seinen  Knieen  tanzen  läßt  und 
mir  denen  er  sich  am  offenen  Fenster  zeigt. 

Aus  dem  ethnisch  gemischten  Fessan  hat  Lyon  die  folgende  Szene  am 
Hof  des  Sultans  Mukni  in  Mursuk  geschildert:  Mukni  hatte  seinen  noch  im 
Knabenalter  stehenden  ältesten  Sohn  und  Liebling  Aleiwa  zum  erstenmal  mit 
der  Anführung  einer  Sklavenjagd  gegen  die  Tibbu  in  Borgu  betraut  und 
harrte  nun  der  Rückkehr  der  Expedition.  Ich  fand,  so  schrieb  I/yon,  Mukni 
in  der  größten  Aufregung,  bleich  und  allein  im  Hof  seines  Schlosses  auf  einem 
großen  Stuhl  sitzend,  kaum  eines  WillkomnTgrußes  fähig.  Man  bahnte  von 
ihm  aus.  durch  die  Menschenmenge,  einen  Weg  bis  zum  Absteigplatz  Aleiwas, 
der  an  der  Hand  seines  jüngeren  Bruders  zu  seinem  Vater  lief,  sich  vor  ihm 
auf  die  Kniee  niederließ  und  ihm  die  Hand  küßte.  Laut  weinend  fiel  Mukni. 
der  vielfältige  Mörder,  seinem  Sohn  um  den  Hals,  bekleidete  den  jungen 
Sklavenjäger  mit  einem  goldgewirkten  Burnus,  der  Auszeichnung  siegreicher 
Generale,  und  kehrte  dann,  mit  einem  huldvollen  Lächeln  zum  Volk  und  auf 
seine  beiden  Söhne  gestützt,  in  sein  Schloß  zurück.  —  Die  Kinder  der  Musel- 
manen in  Mursuk  gehen  nie  an  den  Gräbern  ihrer  Eltern  vorüber,  ohne  diesen 
einen  Tribut  ihres  Dankes  zu  zolleu  (Lyon). 

Ähnliches  berichtet  Charlotte  S.  Burne  aus  Marokko.  Hier  legen  die 
Kinder  auf  das  Grab  ihrer  Eltern  (und  sonst  lieber  Verstorbenen  i  Myrte, 
weil  diese,  neben  dem  Lorbeer,  der  Gott  wohlgefälligste  Strauch  sei  und  sonst 
nur  bei  außerordentlichen  (Telegenheiten  benutzt   werden  soll. 

Aus  dem  alten  Ägypten  teilte  Maspero  die  folgende  Mahnung  mit. 
welche  der  weise  Chonshotpu  seinem  Sohn  Anigab:  „Gott  ist  es,  der  dir  deine 
Mutter  gegeben  hat.  Sie  hat  eine  große  Last  an  dir  getragen,  ohne  daß  ich 
ihr  dabei  helfen  konnte,  und  als  du  endlich  geboren  wurdest,  machte  sie  sich 
zu  deinem  Sklaven  drei  Jahre  hindurch,  solange  sie  dich  nährte  .  .  .  Habe 
immer  deine  schmerzvolle  Geburt  vor  Augen  und  alle  Sorgfalt,  welche  dir  die 
Mutter  gewidmet,  damit  sie  dir  nie  einen  Vorwurf  machen  möge  und  ihre 
Hände  zu  dem  Gott  erheben;  denn  er  würde  ihren  Fluch  erhören."  —  J.  Wolf 
machte  uns  mit  den  pädagogischen  Grundsätzen  des  altägyptischen  Philosophen 
Ptah-Hotep  bekannt,  auf  welche  schon  früher  hingewiesen  wurde.  Hier  sei 
nur  daran  erinnert,  daß  Ptah-Hotep  die  Väter  ermahnte,  ihre  Herzen  selbsl 
von  schlechten  Söhnen  nicht  abzuwenden:  Wir  begegnen  hier  also  einer 
ähnlichen  Mahnung  wie  im  Gesetzbuche  Hammurabis.  Auch  in  der  Schule 
pllegte  man  die  kindliche  Liebe  zu  den  Eltern,  welche,  nach  dem  festwurzelnden 
Glauben  der  Ägypter  an  die  Fortexistenz  der  Seele,  sich  auch  nach  dem  Tod 
der  Eltern  noch  zu  betätigen  hatte.  „Habe  liebreiches  Andenken  gegen  deinen 
Vater  und  deine  Mutter,  die  im  Grabe  sind,  damit  es  dir  dein  Sohn  in  gleicher 
Weise  zuteil  werden  lasse.*  lautete  nach   Wolf  ein  Gebot. 


§  386.     Sudan-  und  Bantuvölker.  795 

Ein  weit  weniger  anmutendes  Bild  zeichnet  uns  Schönhärl  von  einem 
andern  Zweig  der  hamitischen  Völkerfamilie,  nämlich  von  den  Kabylen:  Die 
Kabylin  läßt  es  an  Aufopferung  für  ihre  Söhne  und  noch  mehr  für  ihre  Töchter 
fehlen,  sieht  jene  nur  als  Mittel  an,  um  sich  bei  ihrem  Mann  halten  zu  können, 
und  zeigt  gegen  die  Töchter  eine  hochgradige  Gefühlsroheit,  Als  Beweis 
hierfür  führt  Schönhärl  folgende  Beispiele  an:  „Eine  mir  bekannte  Dame," 
schrieb  er  im  Jahre  1904,  „betrat  einmal  die  Wohnung  eines  Kabylen.  Die 
Hausfrau  lag  auf  dem  Boden  im  tiefsten  Schlafe,  neben  ihr  ein  Bündel,  ihr 
Töchterchen,  das  eben  gestorben  war.  Durch  das  beim  Eintreten  verursachte 
Geräusch  wacht  sie  auf  und  stößt  das  Bündel  von  sich.  „„Aber  dein  Kind!"" 
ruft  die  Besucherin.  „„Wenn  du  es  sehen  willst,  so  nimm  es;  vielleicht  lebt 
es  noch!""  entgegnete  kalt  die  Kabylin,  kehrte  sich  auf  die  andere  Seite  und 
schlief  weiter."  —  Eine  andere  Mutter  versagte  ihrem  Kinde  jedwede  Nahrung 
mit  der  Begründung,  dasselbe  habe  ihr  genug  Leiden  verursacht;  es  sei  nun 
Zeit,  daß  es  sterbe.  Die  lierangewachsenen  Kinder  vergelten  ihren  Eltern 
Gleiches  mit  Gleichem.  —  Die  Abbildungen,  mit  welchen  Schönhärl  diese  Mit- 
teilungen illustrierte,  sprechen  allerdings  von  Liebe  auch  bei  den  Kabylen. 
Ein  Vater  sitzt  nämlich  allem  Anscheine  nach  vergnügt  neben  seinem  Söhnlein, 
und  einige  Mütter  tragen  freudestrahlend  ihre  Kleinen. 

Die  Liebe  der  marokkanischen  Beiber  zu  ihren  Kindern  nennt 
Quedenfeldt  eine  große.  Eine  solche  Liebe  spricht  auch  aus  manchen  der  von 
Hans  Stumme  übersetzten  marokkanischen  Märchen.  z.B.  aus  „Aggelamusch": 
Ein  armes  Ehepaar  hat  sein  Töchterlein  so  lieb,  daß  es  ihm  keinen  Wunsch 
abschlagen  kann.  Nun  naht  das  marokkanische  Fleischtest,  an  welchem  jede 
Familie  einen  Hammel  schlachtet.  Die  Kleine  läuft  zu  ihrem  Vater,  küßt  ihn 
und  fragt  nach  dem  Festbraten.  Aber  der  Vater  kann  in  seiner  Armut  nur 
einen  Hasen  statt  des  Hammels  braten  und  will  das  nicht  eingestehen,  weil 
er  fürchtet,  sein  Töchterlein  könnte  zu  weinen  anfangen.  Deshalb  schickt  er 
es  zur  Mutter,  daß  diese  mit  der  Wahrheit  herausrücke.  Doch  will  auch  sie 
ihr  Kind. nicht  weinen  sehen  und  schickt  dieses  wieder  zum  Vater  usw. 

■  hm  11  Muii«  Sehuver  berichtet  aus  seinen  Erfahrungen  bei  den  Lega- 
Galla  im  obern  Nilgebiet,  ihr  alter  König  und  Hoherpriester  Tulu  sei  mit 
seinen  Schwiegertöchtern  immer  auf  dem  Kriegsfuß  gestanden,  weil  er  ihnen 
seine  Enkelkinder  nicht  lassen  wollte,  die  er  innig  liebte,  sie  aber  auch  verzog.  — 
Als  der  Islam  bei  den  Lega-Galla  eingeführt  werden  sollte,  und  ein  arabischer 
Fakir  als  Missionär  erschien,  bahnte  sich  dieser  in  seiner  Menschenkenntnis 
dadurch  den  Weg,  daß  er  den  Frauen  des  Königs  Talismane  mit  der  Versicherung 
schenkte,  diese  würden  ihren  Kindern  zum  Segen  gereichen.  Damit  war  die 
Schlacht  auch  schon  gewonnen,  fügt  Schmer  bei. 

Ziemlich  auseinandergehende  Mitteilungen  liegen  mir  über  die  Somäl  vor: 
Jltnion  nannte  im  Jahre  J  856  die  Somäl- Weiber  schlechte  Mütter,  die  von 
ihren  Kindern  weder  geliebt  noch  geachtet  seien.  PaulitschJce  hingegen 
schrieb  im  Jahre  1886:  Die  Somälinnen  hängen  mit  aller  Glut  der  Mutterliebe 
an  ihren  Kindern,  um  die  sich  die  Väter  nicht  weiter  kümmern.  Bei  den 
(jüngeren)  Kindern  habe  er  zwar  öfter  Züge  von  Anhänglichkeit  und  Liebe 
gegen  ihre  Eltern  gefunden,  aber  selten  habe  ein  Sohn  seinen  alten  erwerbs- 
unfähigen Vater  bei  sich  behalten,  und  in  diesen  seltenen  Fällen  sei  der  Vater 
nicht  gut  behandelt  worden.  Doch  findet  sich  auch  bei  Paulitschke  der  Satz: 
Ehrfurcht  vor  dem  Alter  ist  ein  schöner  Zug  im  Charakter  der  Somäl.  — 

§  386.     Sudan-  und  Bantuvölker. 

Zu  den  Berbern,  also  Hamiten,  zählt  Xachiigal  die  Tibbu  oder  Teda 
in  den  Oasen  der  östlichen  Sahara.     Eohlfs  gesellte  sie  den  Negern  bei,  und 


796      Kapitel  LIX.  Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.  Positives  und  Negatives. 

Scobel  reiht  sie  als  Mischvolk  mit  vorherrschendem  Negerblut  auch  linguistisch 
den  zentralen  Sudan-Negern  ein.  —  Von  der  Liebe  der  Tibbu  des  18.  Jahrhunderts 
zu  Weib  und  Kind  legt  die  folgende  von  Behm  gemachte  Mitteilung  Zeugnis 
ab:  In  der  zweiten  Hälfte  des  genannten  Jahrhunderts  hatten  die  Tibbu  (Tebu) 
durch  die  Truppen  des  Sultans  von  Fessan  eine  Niederlage  erlitten.  Da 
schickten  sie  in  das  Lager  des  Siegers  Gesandte  mit  der  Bitte  um  Schonung 
für  ihre  Weiber  und  Kinder,  und  fügten  dieser  Bitte  bei,  sie  würden  sich 
jeder  Forderung  unterwerfen,  wenn  die  Erfüllung  dieser  Bitte  gewährt  würde. 

Nach  Mungo  Pari-  lautet  ein  Spruch  der  Mandingo-Neger:  „Schlage 
mich,  aber  fluche  nicht  meiner  Mutter."  J.  IÄghton  Wilson  fand  dieses  innige 
Verhältnis  zwischen  Mutter  und  Kind  bei  allen  von  ihm  besuchten  west- 
afrikanischen  Stämmen:  „Ein  Afrikaner,"  schrieb  er,  „wird  überall  alles, 
was  gegen  seine  Mutter  gesagt  wird,  sei  es  auch  noch  so  unbedeutend,  schneller 
ahnden,  als  irgend  eiue  ihm  selbst  zugefügte  Beleidigung,  und  wenn  ihn  nach 
seinen  Begriffen  von  Ehre  und  Pflicht  irgend  etwas  veranlassen  kann,  das 
Blut  seines  Nebenmenschen  zu  vergießen,  oder  sein  eigenes  Leben  zum  Opfer 
zu  bringen,  so  ist  es  gewiß  die  Verteidigung  der  Ehre  seiner  Mutter."'  Bei 
den  Kru-Negern  seien  Beleidigungen  der  Mütter  die  hauptsächlichsten  Ur- 
sachen zu  heftigem  Streit  unter  Knaben.  Die  Zuneigung  zum  Vater,  der  bei 
den  häufigen  Zwisten  des  polygamen  Haushaltes  der  Schiedsrichter  ist  und  in 
Gegenwart  der  Kinder  von  den  Müttern  der  Parteilichkeit  beschuldigt  wird, 
entwickle  sich  gewöhnlich  erst  im  reiferen  Alter,  wenn  die  Kinder  ihre  Stellung 
begreifen  lernen  und  im  Verkehr  mit  der  Außenwelt  des  väterlichen  Beistandes 
häutiger  bedürfen. 

Zärtliche  Mutterliebe  beobachtete  auch  Fies  unter  den  Hoern  in  Deutsch- 
Togo.  Das  Band  der  Liebe  zwischen  Mutter  und  Tochter  sei  hier  so  stark, 
daß  beide  bis  zum  letzten  Atemzug  der  einen  oder  anderen  aufs  innigste  mit- 
einander verbunden  bleiben.  Niemals  könne  die  Liebe  zum  Mann  jene  zur 
Mutter  aus  dem  Herzen  der  Tochter  verdrängen. 

Den  Batanga-Negern  in  Deutsch-Kamerun  schreibt  Alfred  Kirchoff 
eine  leidenschaftliche  Liebe  zu  ihren  Kindern  zu. 

Bei  den  Herero  kommt  es  nach  H.  v.  Frangois  bisweilen  vor,  daß 
Kinder  aus  Schmerz  über  den  Tod  ihrer  Eltern  Selbstmord  begehen. 

In  den  Familien  der  Bergdamara  ist  (trotz  den  lockern  ehelichen  Banden) 
die  gegenseitige  Zuneigung  sehr  stark.  Ein  mit  F.  gezeichneter  Artikel  im 
< .  1 . . b u s  (Bd.  96,  S.  173)  erwähnt  einen  Mann,  der  bei  der  Nachricht  vom  Tod 
seiner  Mutter  heftig  weinte  und  fast  untröstlich  war. 

Mutterliebe  und  Mutterstolz  stehen  im  Hiutergrund  der  folgenden  Mit- 
teilung: Daull  wohnte  am  Tanganyka-See  einmal  der  Heimkehr  des  Häupt- 
lings von  Kapufi  bei,  der  eine  Herde  Ochsen  nach  der  deutschen  Militärstation 
Kasan ga  getrieben  hatte.  Während  nun  einige  seiner  Leute  ihm  entgegen 
gingen,  um  ihn  mit  Freudenschüssen  zu  empfangen,  blieben  die  Weiber  des 
Dorfes  nachlässig  zu  Hause.  Darüber  alterierte  sich  die  Mutter  des  Häuptlings 
gewaltig.  Sie  rüttelte  die  Weiber  durch  Schreien  und  Gebärden  aus  ihrer 
Indolenz  auf  und  ließ  nicht  nach,  bis  jene  den  Häuptling  mit  dem  üblichen 
..  Yu-Yu"-schrei  bewillknmmten. 

Franz  Müller  traf  bei  seiner  Durchquerung  von  Unjamwesi,  !>eutsch- 
Ostafrika  einen  Neger,  namens  Maganga,  dessen  Mutter  2'/.2  Jahre  von  ihrem 
Sohn  getrennt  gelebt  hatte,  da  sie  dem  Spital  der  Missionsstation  Mittlers 
vorstand.  Beim  Anblick  Müllers  blitzten  des  Negers  Augen  freudig  auf,  weil 
er  durch  ihn  vom  Mütterlein  Nachricht  hoffte,  und  um  möglichst  vieles  über 
sie  zu  erfahren,  wich  er  während  des  ganzen  Tages,  den  Müller  dort  zubrachte, 
nicht   von  dessen  Seite. 


§  386.     Sudan-  und  Bantuvölker.  797 

Ganz  anderes  haben  wir  von  den  Eingebornen  Unjamwesis,  den 
Wanjamwesi,  in  den  Kapiteln  über  das  Erbrecht  gehört.  Den  dortigen  Mit- 
teilungen nach  Andree,  bzw.  Burion  und  SpeJce,  sei  hier  noch  beigefügt,  daß,  nach 
den  gleichen  Quellen,  ein  Wanjamwesi  selten  um  Eltern  uud  Verwandte  weint, 
Liebe  zum  Vater,  Sohn  und  Bruder  scheine  überhaupt  der  Ostafrikaner  nicht 
zu  kennen.  Wo,  wie  hier,  ein  Vater  nicht  wisse,  ob  die  Kinder  seiner  Weiber 
seine  eigenen  seien,  könne  man  auch  nur  wenig  Liebe  der  Väter  zu  den 
Kindern  voraussetzen.  Zärtlichkeit  für  die  Mutter  zeige  sich  dann  und  wann, 
aber  nur  durch  den  Ausdruck  „Mama,  mama"  bei  Furcht  oder  Verwunderung. 

Indessen  dürften  Burton-Spehes  Darstellungen  den  tatsächlichen  Ver- 
hältnissen im  allgemeinen  kaum  ganz  entsprechen;  denn  es  liegen  aus  Afrika, 
speziell  auch  aus  Ostafrika,  verschiedene  anderseitige  Mitteilungen  über  ein 
herzliches  Verhältnis  zwischen  Eltern  und  Kindern  vor. 

So  lobt  Herrmann  an  den  deutsch-ostafrikanischen  Wagogo  die  hohe 
Achtung  der  Jugend  vor  dem  Alter  und  die  oft  rührende  Eltern-  und 
Kindesliebe.  In  zahlreichen  Fällen  boten  Vater  und  Mutter  sich  als  Geiseln 
für  den  Sohn  an,  und  Söhne  übernahmen,  als  Tausch  für  ihre  Väter,  das 
Sklavenjoch. 

„Bwana  Mganga,  mein  Kind  ist  gestorben;  warum  mußtest  du  gerade 
so  weit  fort  sein?"  fragte  Chetemalulus,  der  Oberhäuptling  der  deutsch- 
ostafrikanischen  Wah ehe,  den  Missionar  Alfons  M.  Adams,  während  tiefer 
Schmerz  in  seinen  Zügen  lag.  Er  freute  sich  nicht  mehr  über  die  reiche 
Beute  seines  Kriegszuges,  sondern  saß  in  stummer  Trauer  da,  schreibt  Adams, 
•der  ihn  zu  trösten  versuchte. 

In  der  deutsch-ostafrikanischen  Landschaft  Mkulwe  betet  der  Familien- 
vater, ehe  sein  Kind  eine  längere  Beise  antritt:  „Schütze,  Gott,  dein  Ge- 
schöpf! Es  geht  fort;  erfreue  es.  Möge  es  sein  Ziel  erreichen,  nicht  er- 
kranken, sich  der  Buhe  des  Leibes  erfreuen  und,  wohin  immer  es  komme, 
Freunde  finden!"  Dann  empfiehlt  der  Vater  das  Kind  auch  noch  den  Geistern 
seiner  Ahnen:  „Und  du,  Vater  N.,  und  du,  Großvater  N.,  ihr  Ahnen  alle,  ge- 
leitet es  wohl,  fallt  für  ihn  bittend  bei  Gott  nieder!"  usw.  (Aloys  Hamhen/cr). 

Die  Kinder  der  deutsch-ostafrikanischen  Wadschagga  hängen  mit 
großer  Liebe  an  ihren  Großeltern.  „Wie  manches  Mal,"  schreibt  B.  Gut- 
mann, „ist  mir  schon  ein  Kind  begegnet,  das  einen  Topf  voll  Bohnen  oder 
Milch  auf  dem  Kopfe  trug,  und  auf  meine  Frage:  „„Wo  trägst  du  es  hin?"" 
mit  glücklichem  Lächeln  sagte:  „„Zur  Großmutter.""  —  Kinder  und  Enkel 
bringen  Ziegen  zum  Geschenke,  daß  sich  der  Großvater  an  deren  Fleisch  güt- 
lich tue  und  ihnen  noch  lange  erhalten  bleibe.  Fühlt  er  sich  aber  dem  Tode 
nahe,  dann  spricht  er  zu  seinem  Sohne:  „Mein  Sohn,  geh'  hin  und  schneide 
mir  einen  Wanderstab,  mit  dem  ich  gehen  kann."  Damit  will  er  sagen,  daß 
er  nun  aus  dem  Diesseits  ins  Jenseits  wandern  wolle.  Der  „Wanderstab"1) 
ist  eine  fette  Ziege,  welche  ihm  auch  auf  seinen  Wunsch  von  jedem  seiner 
Kinder  gebracht  wird,  und  der  alte  Mann  zehrt  sie  nach  und  nach  alle  auf. 
Es  ist  das  sein  „mbuka-u-Essen",  d.  h.  sein  Abschiedsmahl. 

Von  den  Negervölkern  des  deutsch-ostafrikanischen  Makonde-Plateaus 
schreibt  Weule:  „Fraglos  liebt  der  Neger  sein  Kind  aus  jenem  angebornen 
Triebe  heraus,  der  allen  Eltern  eigen  ist;  er  nährt  es  und  schützt  es,  wo 
immer  es  schutzbedürftig  ist;  er  freut  sich  über  sein  Gedeihen  und  ist  traurig 
über  sein  Siechtum  und  seinen  Tod."  Aber  in  zwei  darauf  folgenden  Bei- 
spielen zeigte  Weule  die  Bequemlichkeit  und  Unwissenheit  von  Negern  bei 
Erkrankungen  ihrer  Kinder. 


x)  Demnach  seheint  der  „Stab"  auf  S.  668  „Stütze"  zu   bedeuten.     Auf  das  dort  aus- 
gesprochene Schutzbedürfnis  der  Kinder  paßt  dieses  Bild  freilich  nicht. 


798     Kapitel  LIX.  Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.  Positives  und  Negatives. 

Die  Makololo  siud  vou  ihren  Kindern  meist  so  sehr  eingenommen,  daß 
sie  sich  von  ihnen  beherrschen  lassen,  schrieb  Hol  üb. 

Die  Kaf fernweiber  erinnern  sich  jahrelang  kleiner  Freuden,  die  man 
ihren  Kindern  gemacht  hat.  Die  meisten  Händler  wissen  das  wohl  und  machen 
es  ungefähr  wie  der  muselmanische  Missionär  es  bei  den  Lega-Galla  gemacht 
hat,  d.  h.  sie  suchen  beim  Betreten  eines  Kaffer-Kraals  zunächst  die  Kleinen 
anzuziehen,  spielen  mit  ihnen  und  beschenken  sie.  Dann  machen  sie  gute 
Geschäfte  bei  den  Müttern.  An  den  Knaben  spart  der  Kaffer  zwar  die  Prügel 
nicht,  und  wenn  ein  vielbeweibter  Vater  sonst  keine  Mittel  zur  Bezahlung 
der  Brautpreise  mehr  ausfindig  macht,  dann  verpfändet  er  auch  bisweilen  seine 
Kinder.  Ebenso  läßt  mancher  Weib -und  Kind  im  Stich,  wenn  er  sich  da- 
durch in  einer  Lebensgefahr  retten  kann.  Doch  findet  sich  neben  diesen 
selbstsüchtigen  Zügen  auch  beim  Kaffer  mancher  ansprechende,  besonders  wo  es 
sich  nicht  um  große  Opfer  handelt.  Er  ist  gegen  seine  Töchter  gut.  was 
freilich  nicht  ohne  Hoffnung  afuf  einen  hohen  Brautpreis  geschehen  soll,  und 
mancher  Vater  spricht,  wie  Skooter  schrieb,  am  liebsten  von  seinen  kleinen 
Kindern  und  deren  Schelmenstreichen.  --  Die  folgende  Mitteilung  aus  dem 
../Sambesi  Mission  Record"  zeigt  uns  den  Einfluß,  welchen  eine  Tochter  auf 
ihren  Vater  in  der  Todesstunde  ausübte:  Kakubi,  der  Anführer  des  Maschona- 
aufstandes,  sollte  hingerichtet  werden,  und  Missionar  Francis  Bicharti  hatte 
vergeblich  versucht,  ihn  noch  vorher  für  djs  Christentum  zu  gewinnen.  Da 
kam  Kakubis  getauftes  Töchterlein  Dzirbi  als  Missionarin,  und  jetzt  wider- 
stand der  Häuptling  nicht  mehr.  —  Was  Mutterliebe  in  der  Angst  um  das 
Seelenheil  eines  Kindes  bei  den  Kaffern  vermag,  sei  durch  die  Mitteilung  des 
Missionars  Ckas.  HicJc  angedeutet,  eine  Frau  habe  ihre  18jährige  schwerkranke 
Tochter  25  Meilen  weit  auf  dem  Rücken  getragen,  um  sie  vor  ihren  Ende 
taufen  zu  lassen,  da  sie  selbst  nicht  genügend  unterrichtet  war,  um  die  Not- 
taufe zu  spenden.  —  Die  Pietät  auch  des  ungetauften  Kaffers  reicht  über 
das  .Grab  hinaus.  Nicht  nur  dem  lebenden  Vater  gegenüber  ist  Ehrfurcht  und 
Gehorsam  strenges  Gesetz  in  der  patriarchalischen  Kaffernfamilie.  auch  der 
Verstorbene  muß  geehrt  werden  und  wird  noch  geliebt.  Die  Kinder  erinnern 
sich  seiner  Güte  gegen  sie,  als  er  noch  am  Leben  war,  vergegenwärtigen  sich 
ihre  Behandlung  durch  ihn,  fühlen  sich  dadurch  ermuntert  und  sagen:  „Er 
wird  mit  uns  jetzt,  da  er  tot  ist,  ebenso  verfahren.  Warum  sollte  er  sich 
jetzt  um  andere  kümmern,  statt  sich  allein  unser  anzunehmen?"  Kehrt 
Krankheit  im  Kraal  ein,  dann  wendet  sich  der  älteste  Sohn  mit  den  Ehren- 
titeln, welche  der  Vater  ehemals  auf  dem  Schlachtfeld  erworben,  an  den  Ver- 
storbenen. Allerdings  erlaubt  sich  der  Sohn  auch  Vorwürfe  und  Drohungen, 
wenn  eine  (ansteckende?)  Krankheit  um  sich  greift.  Wenn  der  Kraal  aus- 
stirbt, so  droht  er  dem  verstorbenen  Vater,  dann  bekomme  sein  Geist  kein 
Opferfleisch  mehr  und  habe  fernerhin  weder  Obdach  noch  Verehrer:  dann  könne 
er  Heuschrecken  essen.  —  Die  Sorge  eines  verstorbenen  Familienvaters  um 
seine  überlebenden  Kinder  geht  nach  dem  Glauben  der  Suhl  so  weit,  daß  er 
seine  Witwe  verfolgt,  wenn  sie  ihre  Kinder  verläßt  und  zu  einem  andern 
Mann  geht:  „Wo  hast  du  meine  Kinder  gelassen?  Was  tust  du  liier?  Geh' 
zu  ihnen  zurück!  Folgst  du  mir  nicht,  so  töte  ich  dich!"  wann  sein  (..ist. 
Die  Verehrung  der  überlebenden  Kinder  beschränkt  sich  aber  nicht  auf  den 
Geisl  des  Vaters,  sondern  umschließt  auch  die  Seelen  der  Hauptfrauen,  welche 
Kinder  «reboren  haben.  Sie  gelten  als  Schutzpatroninnen  des  Kraals,  während 
die  Seelen  der   Väter  als  dessen   Haupt  angesehen  werden  (Callatoay). 

§  387.     Hottentotten  und  Buschmänner. 
ifoffat  beobachtete  bei  den  Hottentotten,  daß  Mütter,  die  wochenlang 
gehungert  hatten,  dargereichte  Speisen  selbst  kaum  verkosteten,  um  sie  ihren 


§  388.     Malayisch-polyuesische  Völker.  7991 

hungrigen  Kindern  reichen  zu  können.  Aber  die  erwachsenen  Kinder  setzten 
ihre  armen  hilfsbedürftigen  Eltern  aus,  was  sowohl  Moffat  als  Kolb  bezeugen 
(vgl.  Rechtsverhältnisse). 

Auch  bei  den  Buschmännern  sah  Moffat  wiederholt  den  von  den 
Hottentottinnen  erwähnten  mütterlichen  Opfersinn.  Moffat  erwähnt  aber  auch 
folgende  Mitteilungen  Kicherers:  Die  Buschleute  kümmern  sich  wenig  um  ihre 
Kinder,  weisen  sie  nur  im  Zorn  zurecht  und  mißhandeln  sie  in  diesem  Falle 
so  sehr,  daß  die  Kinder  dem  Tode  nahe  kommen  oder  ganz  unterliegen. 
Letzteres  sei  zu  Kicherers  Zeit  beispielsweise  vorgekommen,  wenn  Vater  und 
Mutter,  oder  wenn  die  verschiedenen  Weiber  eines  Mannes  miteinander  in 
Streit  gerieten.  Wer  den  kürzeren  zog,  ließ  seine  "Wut  an  einem  Kind  des 
Mannes  oder  Weibes  aus,  der  aus  dem  Streite  siegreich  hervorgegangen  war. 
Die  Sorge  der  Mütter  um-  ihre  Kinder  hörte  im  allgemeinen  auf,  sobald  diese 
im  stände  waren,  sich  im  Freien  selbständig  zu  bewegen.  —  Ungleich  günstiger 
schildert  Schinz  etwa  ein  halbes  Jahrhundert  später  das  Verhältnis  zwischen 
Eltern  und  Kindern.  Nach  Schinz  geht  die  Liebe  der  Buschmänner  zu  ihren 
Kindern  so  weit,  daß  sie  im  Fall  der  Not  ihr  Leben  für  sie  aufs  Spiel  setzen. 
Als  Beispiel  führt  er  die  Erzählung  eines  ihm  persönlich  bekannten  Jägers  an, 
der  am  Okovangotluß  Zeuge  war,  wie  ein  junger  Buschmann  daran  war,  von 
einem  heranstürmeuden  Elefanten  zertreten  zu  werden,  aber  dadurch  entkam, 
daß  dessen  Vater  den  Zorn  des  Tieres  auf  sich  richtete,  indem  er  ihm  eine 
Keule  an  die  Stirn  schleuderte.  Der  Elefant  zermalmte  ihn  dafür  unter  seinen 
Füßen.  —  Ein  Beispiel  kindlicher  Liebe  führt  H.  von  Francois  an:  Er  wollte 
einen  Buschknaben  mit  sich  nach  Windhoek  nehmen,  gab  aber  diesen  Plan 
auf,  weil  der  Knabe  nicht  freiwillig  mitging,  sondern  meinte,  er  bekäme 
Heimweh  nach  der  Mutter.  — 

§  388.     Malayisch-polyiiesisclie  Völker. 

Bei  den  Sakalaven  auf  Madagaskar  fand  C.  Keller  die  Anhänglichkeit 
der  Kinder  an  ihre  Eltern  stark  ausgeprägt.  In  einem  von  Keller  beobachteten 
Fall  war  diese  Liebe  stärker  als  die  Liebe  zum  eigenen  Kind,  d.  h.  eine  Mutter 
ließ  ihr  Kind  im  Stich,  um  ihre  erkrankte  Mutter  pflegen  zu  können. 

Bei  den  Lampangs  auf  Sumatra  fand  Zollinger  eine  wahre  Affen- 
liebe für  die  Kinder. 

Auch  auf  Java  und  Celebes  werden  diese  mit  inniger  Liebe  behandelt. 
Nach  Morin  sorgen  auf  Java  die  Kinder,  sobald  sie  etwas  verdienen,  pietät- 
voll für  den  Unterhalt  der  Eltern.  Vorwürfe  wegen  der  Last  des  Unterhaltes 
alternder  Eltern  gebe  es  auf  Java  nicht. 

Die  Dajaken  bestreichen  in  ihrer  zärtlichen  Liebe  zu  ihren  Kindern 
diese,  nachdem  sie  sie  gestraft  haben,  mit  Blut,  damit  die  Seele  des  Kindes 
nicht  traurig  werde  und  sich  selbst  wegwerfe,  d.  h.  sterbe. 

Zärtliche  Liebe  zu  den  Kindern  fand  Le  Oolnen  ferner  auf  den  Marianen. 

Die  Karolinen-Insulanerin  pflegt  ihre  Kleinen  gleichfalls  mit  großer 
Liebe;  den  zu  dieser  Gruppe  gehörigen  Ponapesen  nennt  Christian  einen 
gütigen  Vater.  Ebenso  rühmt  Senfft  den  Vap -Leuten  zärtliche  Liebe  zu 
ihren  Kindern  nach  (cfr.  Erziehung).  Hingegen  will  Beina  bei  Ploß  (II,  335) 
auf  Ruck  keine  Liebe  der  Eltern  zu  ihren  Kindern  gefunden  haben. 

Der  kindlichen  Pietät  auf  Nauru,  einer  Insel  der  Geilbertgruppe,  stellt 
Jung  kein  gutes  Zeugnis  aus.  Fast  immer  seien  persönliche  Interessen  im 
Spiel.  Haben  altersschwache  Leute  noch  Vermögen,  dann  lassen  es  ihre 
Kiuder  an  Pflege  nicht  fehlen;  aber  um  mittellose  Eltern  kümmern  sich  die 
Kinder  nicht. 

Auf  Samoa  und  andern  polynesischen  Inseln  führt  nach  Hootl  die 
Affenliebe   der  Eltern,  welche   den  Kindern   keinen  Wunsch  versagen  kann, 


800     Kapitel  LIX.  Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.  Positives  und  Negatives. 


oft  den  Tod  dieser  herbei.  Nach  Turner  wird  auf  Samoa  jedes  Kind  liebe- 
voll verpflegt.  Turner  erwähnt  auch  ein  Beispiel  heldenmütiger  Liebe  einer 
Mutter,  die  ihren  Sohn  mit  ihrem  eigenen  Leib  gegen  den  Feind  deckte,  bis 
sie  in  Stücke  zerhauen  war.  Opferwillige  Kindesliebe  wird  in  eine)'  von  W.  v, 
/mime  übersetzten  Legende  verherrlicht,  deren  Held  Atiogie,  Sohn  des  greisen 
und  blinden  Häuptlings  Feepö  ist.  Atiogie  entzieht  sich  selbst  die  kärgliche 
Nahrung,  um  sein  „Väterchen"  speisen  zu  können,  was  er  ihm  verheimlicht. 
bis  der  Blinde  tastend  die  noch  vorhandenen  Yams,  ihr  einziges  Nahrungs- 
mittel, zählt  und  so  darauf  kommt,  daß  sein  Sohn  hungert.  Der  väterliche 
Segen  für  diese  Tat:  „Möge  dein  Stammbaum  bestehen,  mögest  du  leben  wie 
der  Brotfruchtbaum!"  machte  den  Sohn  zum  Stammvater  mächtiger  Häuptlinge. 

Auf  Tahiti  erwiderten  zu  Försters 
Zeit  (18.  Jahrh.)  die  Kinder  die  Liebe 
ihrer  Eltern  mit  Vernachlässigung  im  Alter. 
Auch  auf  Nukahiva.  einer  Marquesas- 
Insel,  wird  den  Kindern  wenig  Pietät 
gegen  ihre  Eltern  nachgesagt.  Plo/i  schrieb 
(II,  337),  diese  hätten  keine  Gewalt  über 
sie  und  würden  von  ihnen  höchst  über- 
mütig behandelt. 

Wenn  William  J.  Thomson  sich  nicht 
* -  i ,  /  I  P  '  y£  getäuscht  hat,    dann  haben  wir    in    dem 

™  Text   einer  seiner  Schrifttafeln    von    der 

^  y  Osterinsel  Waihu  oder  Teapi,  der  öst- 

lichsten   Insel    Ozeaniens,    einen    Beweis 
W  -  inniger  Vaterliebe  unter  den  Eingebornen 

W  dieser  Insel.     Die  Tochter  ist   durch  das 

V  v  weite  Meer  vom  Vater  getrennt,  worüber 

Q^Ä^Xa  dieser    in    jene    schmerzliche   Klage    aus- 

bricht, welche  in  der  folgenden  englischen 
Übersetzung  Thomsons  ausgesprochen  ist : 

„The  sail  of  my  daughter, 

Never  broken  by  the  force  of  foreign  clans! 


i 


Fig.  494.      Mischblut    auf    Tahiti.      Vater: 

Chinese.      Otttrroth    phot.      Im    Museum    für 

Völkerkunde  in  Leipzig. 


The  sail  of  my  daughter, 

Unbroken  by  the  eonspiraey  of  Honiti! 


Ever  victorious  in  all  her  rights, 

She  could  not  be  enticed  to  drink  poison  waters 

In  the  cup  of  obsidian  glass. 
Can  my  sorrow  ever  be  appeased 

While  we  are  divided  by  the  mighty  seas? 
Oh  my  daughter,  oh  my  daughter! 

It  is  a  vast  and  watery  road 

Over  wbich  1  look  toward  the  horizon, 

51  v  daughter,  oh  my  daughter! 

I"  11  swim  over  the  deep  to  meet  you. 

My  daughter,  oh  my  daughter!"  — 

Hier  sei  zum  Abschluß  der  mikronesisch-polynesischen  Völker- 
gruppe  noch  der  Maori  auf  Neuseeland  gedacht,  bei  denen  Taylor  wenig 
Zärtlichkeit  gegen  die  Kinder  gefunden  hat.  — 

Beim  Übergang  zu  den  Melanesiern  begegnen  wir  auf  Neukaledonien 
der   folgenden   Mitteilung   J.  J.  Atkinsons:      Athinson   hatte   während   seines 


§  388.     Malayiseh-polynesische  Völker. 


801 


dortigen  Aufenthaltes  einen  sehr  geweckten  achtjährigen  Knaben  in  seine 
Dienste  genommen.  Nach  fünf  Jahren  befiel  den  mittlerweile  zum  Jüngling 
herangereiften  Burschen  Heimweh  nach  seiner  Mutter.  „Mutter  hält  mich  für 
tot,"  sagte  er  und  ließ  sich  nicht  mehr  halten.  Vor  seiner  Abreise  kaufte 
er  für  sie  Kleider  und  was  er  sonst  hoffte,  daß  es  ihr  Freude  machen  würde. 
Nach  Joachim  Graf  Pfeil  wird  keinem  europäischen  Fürstensohn  und 
keiner  europäischen  Millionärstochter  vor  und  nach  der  Geburt  mehr  Fürsorge 
zuteil,  als  dem  Kind  eines  Kanaken  des  Bismarckarchipels  und  der 
Salomo-Inseln.  Schon  vor  der  Geburt  ist  das  Kind  der  Gegenstand  aber- 
gläubischer Sorge,  und  auch  nachher  tut  die  Mutter  so  manches,  entbehrt 
dies  und  das,  um  ihr  Kind,  wie  sie  meint,  günstig  zu  beeinflussen.  Auch  der 
Vater  beschäftigt  sich  mit  nichts  lieber  als  mit  seinen  kleinen  Kindern.  Oft 
sehe  man  baumlange  bärtige  Männer,  die  mit  unerschütterlicher  Geduld  einen 
kleinen  Schreihals  zu  begütigen  suchen,  indem  sie  ihm  allerlei  Leckerbissen 
in  den  Mund  stecken.      Powell   sah   auf  Xeu-Britannien1)  bei  seinem  ersten 


Fig.  495.     Die  Königlich«  Familie  auf  Raiatea,  Insel  unter  dem  Winde,  Tahiti-Gruppe.     Osterroth  phot. 

Im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 

Besuch  bei  dem  berüchtigten  Menschenfresser  Thorough-good,  daß  dieser 
Häuptling  eines  seiner  Kinder  auf  den  Armen  hielt,  während  zwei  andere 
um  seine  Kniee  spielten. 

Um  den  Unterhalt  seiner  Kinder  soll  sich  der  Kanake  aber  nicht 
kümmern,  wie  er  überhaupt  seine  Kinder  sich  selbst  überlasse,  sobald  sie 
gehen  können. 

Nach  Pfeil  ist  dafür  der  heranwachsende  Knabe  seinem  Vater  ungehorsam 
und  verachtet  seine  Mutter.  Dennoch  geht  der  Sohn,  wenn  einmal  verheiratet 
und  von  seinem  Weib  vernachlässigt,  noch  lange  zur  Mutter  —  allerdings 
nur  zum  Essen. 

Frhr.  von  Sehleinitz  gewann  im  Bismarckarchipel  den  Eindruck,  daß 
es  in  den  Familien  nicht  an  Gemüt  fehle.  Väter  führten  ihre  Söhnchen  an 
der  Hand,  und  diese  flüchteten  sich  sofort  zum  Vater,  wenn  sie  vor  etwas 
Angst  bekamen.     Die  Töchter  waren  immer  bei  ihren  Müttern  zu  finden. 

Von  den  Salomo-Inseln  berichtet  Missionär  Braun,  daß  sich  weder 
Vater  noch  Mutter  darum  kümmern,  wo  ihre  sechsjährigen  Schlingel  die  Nächte 
auf  der  ..Walz'  zubringen. 

1)  Frühere  Benennung  des  Bismarckarchipels,  besonders  Neupommerns. 
Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Bd.  II.  öl 


802      Kapitel  LIX    Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.  Positives  und  Negatives. 

Über  die  Liebe  der  Papua  auf  Neuguinea  schrieb  Wyatt  Gill: 

Was  für  glückliche  Kinder!  glücklicher  als  die  meisten  unserer  englischen 
Kinder.  Kein  unglückliches  Heini,  keine  betrunkenen  Eltern,  keine  hungrigen 
Tage  und  Nächte.  Den  Eltern  mag  manchmal  die  Nahrung  knapp  sein,  aber 
ihre  ganze  Zeit  und  Kraft  verwenden  sie.  um  etwas  für  die  Kinder  zu  finden, 
und  ich  glaube,  jeder  Vater  unter  den  Wilden  würde  sagen:  Wer  wagt  es, 
mein  geliebtes  Kind  zu  berühren,  meinen  Augapfel,  mein  Leben!  Es  klingt 
vielleicht  übertrieben,  aber  es  ist  wahr,  ich  habe  gefunden,  daß  in  Neuguinea 
das  vierte  Gebot  mehr  gehalten  wird  als  oft  in  England  .  .  .  Ein  Missionar, 
der  nur  für  acht  oder  vierzehn  Tage  eine  Bemannung  für  sein  Boot  braucht, 
findet  keinen  Eingebornen  dazu,  wenn  dessen  Mutter  oder  Vater  die  Ein- 
willigung hierzu  versagen.  Männer  von  40  Jahren  antworten:  Laß  mich  erst 
heimgehen  und  hören,  was  meine  Mutter  und  Frau  dazu  sagen :  wenn  sie  ein- 
verstanden sind,  komme  ich  bald  zurück.  Kein  Bursche  von  18  oder  19  Jahren 
würde  daran  denken,  eine  Zusage  zu  geben,  ehe  nicht  Mutter  einverstanden  ist. 

Allerdings  schrieb  Wyatt  Gill  auch,  er  habe  von  dein  eingeborueu 
Christen  Matina  erfahren,  daß  in  Aroma  die  allgemeine  Sitte  herrsche,  alte 
Eltern  und  Großeltern  lebendig  zu  begraben.  Matina  habe  einmal  selbst 
gesehen,  wie  ein  Mann  seiner  Großmutter  das  Grab  grub  und  sie  trotz  ihrer 
Tränen  und  ihrem  Widerstand  hineinhob.  Um  den  Grund  gefragt,  habe  der 
Mann  erwidert:  Sie  kann  ja  nicht  mehr  leben:  sie  ist  schon  so  gut  wie 
tot.  —  Darauf  habe  er  das  Grab  zugeworfen,  die  Erde  festgetreten  und  sei, 
augenscheinlich  mit  sich  ganz  zufrieden,  fortgegangen. 

Bei  Krieger  lesen  wir:  Von  den  Eltern  zärtlich  geliebt  und  verhätschelt, 
von  jedermann  freundlich  behandelt,  selten  ein  Scheltwort  hörend,  niemals 
darbend,  verlebt  der  Papua  die  Tage  der  Kindheit  wie  im  Paradiese.  —  Der 
Vaterstolz  regt  sich  nach  Krieger  auch  beim  Papua,  der  dem  Europäer  mit 
Vorliebe  seine  Kinder  zeigt  und  dabei  ausdrücklich  betont,  daß  es  die  seinigen 
seien. 

Hagen  versichert  uns.  daß  die  Mutterliebe  in  der  nackten  Brust  des  armen 
Papuaweibes  ebenso  gut  wohne,  wie  im  spitzen-  und  seidenumwogten  Busen 
der  Europäerin.  Jene  küsse  zwar  ihr  Kind  nicht,  da  Küssen  auf  Neuguinea 
nicht  üblich  sei,  aber  man  lese  ihr  das  Mutterglück  aus  den  Augen.  Auch 
der  Vater  habe  seine  Kinder  sehr  lieb,  und  es  mache  einen  merkwürdigen 
Eindruck,  so  ein  wildes  braunes,  schwarz  oder  rot  bemaltes  Menschenfresser- 
gesicht  mit  Nasenpfeil  und  Eberhauern  zu  sehen,  wenn  er  unter  freundlichem 
i. linsen  seinen  kleinen  Liebling  herze.  —  Opfer  bringen,  wie  europäische  Eltern 
es  jahrelang  für  ihre  Kinder  tun.  will  freilich  der  Papua  nicht  (vgl.  die 
Kapitel  über  Kindesmord  und  Wunsch  nach  Kindern). 

Was    die   Liebe  der   Eingebornen    des    australischen    Kontinents    zu 

ihren  Kindern  betrifft,  so  schrieb  P/o/i  tll.  333f.): alle  Berichterstatter 

{Koler,  Ounningham,  StoJues,  Orey,  Turnbull,  Campbell,  Freyeinet)  sprachen 
mit  gleicher  Bewunderung  von  der  [nnigkeit  derselben."  Ploß  wies  dann 
aber  auch  auf  F.  Christmann  hin,  welcher  meinte,  die  Mütter  kümmerten 
sich  zwar  in  den  ersten  Jahren  um  ihre  Kinder  etwas,  aber  später  höre  jeder 
familienartige  Zusammenhang  so  völlig  auf,  daß  Eltern  und  Kinder  ihr  gegen- 
seitiges Verhältnis  vergessen.  Hierbei  müsse  man  freilich  berücksichtigen, 
daß  die  Australier  mit  10  bis  12  Jahren  bereits  ausgewachsen  seien,  und  daß 
der  Kreis  ihrer  intellektuellen  Bildung  so  eng  sei,  daß  halberwachsene  Kinder 
sich  in  dieser  Hinsicht  bereits  mit  den  Stammesältesten  messen  können.  Viele 
Kleinen  hätten  bei  guter  Pflege  einen  liebenswürdigen  Eindruck  gemacht. 
Feiner  zitierte  Ploß  K.  E.  Jung,  welcher  die  zärtliche  Liebe  der  australischen 
Mutter  zu  ihrem  Kind  eines  der  schönsten  Schauspiele  nannte.  Und  der  Vater 
wetteifere  mit  ihr  in  ängstlicher  Fürsorge  für  die  kleinen  drolligen  Wesen. 


§  388.     Jlalayisch-pülynesische  Völker.  803 

Unter  keiner  Bedingung,  was  das  Kind  auch  immer  tue,  dürfe  es  bestraft 
werden.  Für  alle  Vergehen  und  Beschädigungen  an  fremdem  Eigentum,  die 
sich  jugendlicher  Übermut  zuschulden  kommen  lasse,  hafte  der  Vater;  das 
Kind  erfahre  kaum  eine  Zurechtweisung.  Wenn  es  sich  verletzt  habe,  so  falle 
der  schwere  Knüppel  des  Vaters  mit  gewaltiger  Wucht  auf  alle  in  seinem 
Bereiche,  mögen  sie  auch  nicht  die  entfernteste  Schuld  an  dem  Unfälle  tragen, 
weil  man  glaube,  daß  das  Quantum  von  Schmerz,  welches  das  Kind  fühle, 
durch  die  Mitleidenschaft  anderer  sich  auf  diese  verteile,  so 
daß  dem  Kind  Erleichterung  verschafft  werde1).  Nirgends  ist  nach 
Jung  der  Weg  zum  Herzen  des  Vaters  und  der  Mutter  sicherer  zu  finden  als 
in  Australien.  Ein  freundliches  Wort,  ein  Geschenk  für  die  Kleinen  habe 
manchem  Reisenden  den  Weg  durch  unerforschte  Gebiete  gebahnt,  manchen 
wohl  auch  aus  Gefahren  gerettet. 

Ähnliches  lesen  wir  bei  Mitchell,  Sdlvado,  Spencer  und  Gillen,  Jos. 
Bischof  und  im  Globus,  Bd.  56,  S.  1 23.  Die  letztere  Mitteilung  bezieht  sich 
speziell  auf  Queensland,  also  auf  den  Nordosten  des  australischen  Kontinents 
samt  den  anliegenden  Inseln.  Nach  ihr  kann  man  überall  die  große  und 
hingebende  Liebe  der  Mütter  zu  ihren  Kindern  beobachten.  Diese  scheinen 
ihren  Müttern  im  allgemeinen  mehr  zugetan  zu  sein  als  ihren  Vätern,  die  sie 
vielfach  aber  auch  zärtlich  behandeln,  mit  ihnen  spielen,  sie  auf  die  Kniee 
nehmen,  ihnen  kleine  Bumerangs  schnitzen  u.  a.  m.  Doch  wird  auch  bemerkt. 
daß  der  Familienvater  seinen  Kindern  (und  seiner  Frau)  gewöhnlich  nur  einen 
kärglichen  Anteil  von  seiner  Jagdbeute  zukommen  lasse,  alles  andere  selbst 
aufesse.  ■  Aus  dem  südöstlichen  Australien  hat  Mitchell  ein  Beispiel 
inniger  und  opferwilliger  Mutterliebe  mit  der  jungen  Witwe  Turandurey  auf- 
gestellt (Abb.  347),  die  sich  beim  Anblick  des  gebrochenen  Beines  ihres 
Töchterleins  schmerzerfüllt  auf  die  Erde  warf,  ihren  Kopf  unter  das  Bein 
ihres  Kindes  legte  und  dieses  achtzehn  Tage  lang  unermüdlich  pflegte,  bis  es 
wieder  hergestellt  war.  Als  Mitchell  nach  weiteren  drei  Wochen  den  Wunsch 
aussprach,  Ballandella  mit  sich  nach  Sydney  zu  nehmen,  wollte  die  Mutter  nichts 
von  einer  Trennung  hören.  Allerdings  willigte  sie  einige  Monate  später  ein,  als 
das  Kind  durch  den  Umgang  mit  den  Engländern  deren  Nahrungs-  und  Lebens- 
weise bereits  jener  ihrer  Laudsleute  vorzog,  so  daß  die  Mutter  fürchtete, 
Ballandella  möchte  sich  nur  sehr  schwer  an  das  Töten  und  Essen  von 
Schlangen,  Eidechsen,  Ratten  u.  ä.  gewöhnen.  Am  Morgen  der  Trennung 
umränderte  Turandurey  zum  Zeichen  der  Trauer  ihre  Augen  mit  weißer  Farbe 
und  bestrich  auch  mit  Weiß  das  Gesicht   ihrer  Tochter. 

Von  den  Eingebornen  am  Moore-Fluß,  südwestliches  Australien, 
schrieb  um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  Missionar  Rudesino  Salrado,  daß  die 
dortigen  Kinder2)  sich  der  innigsten  Liebe  ihrer  Eltern  erfreuen.  Nicht  um  alle 
Reicht ümer  der  Welt  gebe  ein  Vater  sein  Söhnchen  her,  und  die  Kinder  vergelten 
die  Liebe  ihrer  Eltern  mit  dankbarer  Gegenliebe,  indem  sie  ihnen  bei  vor- 
gerücktem Alter  das  Beste  von  ihrer  Jagdbeute  mitteilen  und  die  ihnen  zu- 
gefügten Beleidigungen  rächen.  —  Weniger  günstig  lautet  eine  Mitteilung  des 
Missionars  Jos.  Bischof  von  den  Niol-Niol  im  nordwestlichen  Australien. 
Hier  zeige  sich  die  Mutterliebe  in  den  ersten  Monaten  nach  der  Geburt  sehr 
schwach;  erst  später  seien  die  Mütter  etwas  zärtlicher. 

Alle  diese  Berichte  über  australische  Stämme  beziehen  sich,  wie  es 
scheint,    auf    ein    normales    Fainiliensystem.      Über    das    lose   Familien- 


1)  Der   Glaube    vieler   Völker    an    die    Übertragbarkeit    von    Zuständen   verschiedener 
Arten  ist  uns  aus  den  letzten  zwei  und  aus  früheren  Kapiteln  hinreichend  bekannt. 

2)  Insofern  sie  nicht  getötet  werden. 

51* 


804     Kapitel  LDL  Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.  Positives  und  Negatives. 

Verhältnis  der  Urabunna  in  Zentral- Australien1)  berichteten  Spencer 
und  GUllen  im  Jahre  1899:  Das  Band,  welches  einen  Vater  mit  den  Kindern 
jener  Weiber  verbindet,  mit  denen  er  gewöhnlich  ehelich  verkehrt,  ist  inniger 
als  das  zwischen  ihm  und  den  Kindern  anderer  Weiber,  die  ihm  nur  Neben-, 
andern  Männern  aber  Hauptweiber  sind.  — 

§  389.     Japaner  und  Völker  mit  isoliei-enden  Sprachen. 

Wernich,  der  in  Japan  mehrere  Jahre  als  Arzt  praktizierte,  rühmte  den 
Japanerinnen  nach,  daß  sie  als  Mütter  unermüdlich  um  ihre  Kleinen  sorgen  und 


Fig.  49(5.    Gratulierende  japanische  Kinder.    Im  K.  Etlinogr.  Museum  in  München. 

sie  rührend  lieben.  Die  von  AlcocJc  erwähnte  häufige  Erscheinung  in  den  Straßen 
Japans,  Kindlein  auf  den  Armen  ihrer  sorgsamen  Väter  zu  seilen,  wurde  bereits 
in  einem  früheren  Kapitel  erwähnt.  —  Trotz  so  vieler  Liebe  umarmt  nach 
Hugues  Krafft  keine  Mutter  ihr  Kind,  und  kein  Kind  wirft  sich  den  Eltern 
um  den  Hals. 

rSJJJJNach  der  Anschauung  der  chinesischen  Moralisten  ist  das  menschliche 
Herz  viui  Natur  aus  gut,  und  die  erste  Offenbarung  dieser  angebornen  Güte 
ist  kindliche  Pietät.  Die  ganze  Moral  des  Confucius  beruht  nach  Hoogers 
auf  dem  Grundsatz  der  Liebe  zu  den  Eltern.  Kaiser  Joung  tscheng  sage  in 
seinen  Edikten,  welche  früher  im  ganzen  Reich  am    1.  und   15.  jeden  Monats 

')   Vgl    K:i|,    L.  §   331,   und   s.  819. 


§  389.     Japaner  und  Völker  mit  isolierenden  Sprachen. 


805 


von  den  lokalen  Mandarinen  selbst  öffentlich  verlesen  werden  mußten:  Wenn 
du  deinen  Eltern  nicht  ehrerbietige  Liebe  erweisen  kannst,  dann  gleichst  du 
den  unvernunftigen  Tieren  und  sollst  nicht  mehr  zu  den  Menschen  gerechnet 
werden,  da  dir  die  natürliche  Güte  abgeht.  —  Der  Chinese  genügt,  nach  der 
Anschauung  seines  Volkes,  mit  der  Erfüllung  seiner  kindlichen  Pflicht  seinen 
Pflichten  als  Mensch  überhaupt  und  kann  sich  im  übrigen  der  himmlischen 
Fügung  überlassen.  Allerdings  umschließt  der  chinesische 
weit  mehr  als  der  unsrige1).  —  Was  die  Liebe  der  Eltern 
betrifft,  so  haben  sie  viel  vom  Recht  des  Stärkeren  in  sich 
ihre  Kinder  ungestraft  so  „züchtigen-,  daß  diese  den  Mißhandlungen  erliegen, 
und  das  geschieht,  wenigstens  in  den  niederen  Volksschichten,  nicht  sehr  selten'2). 
Zärtliche  Liebe  zu  den  Kindern  erwähnt  H.  Seidel  von  den  Tongkinesen, 
die  sich  „im  Aussehen,  in  Sprache,  Sitte  und  Lebensweise  wenig  von  ihren 


Begriff   „Pietät" 

zu  ihren  Kindern 

Eltern   können 


Fig.  497.    Chinesen  mit  kleinen  Kindern.    Modelle  im  Museum  für  Völkerkunde  in  Leipzig. 


chinesischen  Nachbarn,  aus  denen  sie  hervorgegangen  sind,  unterscheiden"3) 
[Scobel).  Tin  ihren  Kindern  ihre  Zärtlichkeit  zu  beweisen,  beschnobern  sie 
ihnen  das  Gesicht,  ähnlich  wie  die  Hunde  dtn  Kopf  ihrer  Jungen.  Umarmungen 
der  Kinder  ffibt  es  nicht.  Gegen  die  Liebkosungen  von  Europäern  protestieren 
die  Mütter  mit  einem  energischen  „Soolam!",  d.  h.  unrein4). 

Ein  Sprichwort  der  Aunamiten  lautet,  nach  Codiere:  „Das  Kind,  welches 
nicht  mehr  auf  seine  Mutter  hört,  ist  bereits  verloren."  Die  Väter  leiten  die  Kinder 
zur  Hochachtung  gegen  die  Mütter  an;  überhaupt  werde,  wie  wir  im  Globus 
(Bd.  58,  S.  266)  lesen,  alten  Eltern  bei  diesem  Volk  größere  Liebe  und  Ehr- 
erbietung erwiesen,  wie  bei  irgend  einem  andern  Volk  des  Orients.  Man 
versuche  sie  in  jeder  Weise  für  die  Opfer  zu  entschädigen,  welche  sie  den 
Kindern  gebracht  haben. 


')  Näheres  hierüber  auf  S.  433  f.  d.  B. 
-i  Näheres  ebenda. 

3)  Tongkin  und  Annam  fs.  w.  u.)  ist  von  der  gleichen  Rasse  bewohnt. 

4)  Oder  tabu?  (unberührbar). 


806      Kapitel  LIX.  Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.  Positives  und  Negatives. 


Von  den  Siamesen  schreibt  A.  H.  Hillmann:  Die  Zuneigung,  die  der 
Siamese  seinen  Kindern  entgegenbringt,  fällt  dem  Fremden  sehr  bald  ange- 
nehm auf.  —  Nach  Bourlet  sind  Eltern  und  Kinder  durch  eine  wahre  und  auf- 
richtige Liebe  miteinander  verbunden,  obgleich  sich  diese  Liebe  für  gewöhnlich 
wenig  nach  außen  zeigt.  Solange  das  Kind  ganz  klein  ist,  liebkost  und  küßt 
man  es;  aber  vor  dem  Kuß  eines  erwachsenen  Kindes  schrickt  selbst  dessen 
Mutter  zurück1).  Dann  gilt  nur  mehr  ein  gegenseitiges  Ergreifen  der  Hände 
oder  der  Arme  als  der  kräftigste  Ausdruck  ihrer  Liebe.  Bei  einem  AYieder- 
sehen  nach  langer  Trennung  weinen  Mutter  und  Kind.  Lange  Trennung 
wird  besonders  von  den  Müttern  schmerzlich  empfunden.  Bourlet  sah,  wie 
an  den  Abenden  Eltern  um  lang:  abwesende  Kinder  weinten,  als  ob  diese  tot 
wären.  Allerdings  stimmt  mit  einer  „wahren  und  aufrichtigen  Liebe"  nicht 
recht  überein,  was  Bourlet  weiter  ausführt,  nämlich,  daß  Selbstsucht  die 
Triebfeder  der  Thai,   hauptsächlich   der   Väter,   gegenüber    den  Kindern   sei. 

Die  Eltern,  schreibt  er,  sehen  in  ihren 
Kindern  nur  ihre  zukünftige  Milchkult. 
Schon  zum  Baby,  das  die  ersten  Schritte 
zu  machen  versucht,  sagt  der  Vater 
schmeichelnd:  Wenn  du  einmal  groß  bist, 
esse  ich  deine  Kräfte.  „Kräfteessen" 
(kin  heng)  bedeutet  „von  jemandem 
leben"-  der  Grundsatz  des  Thai  sei  ja, 
möglichst  wenig  Arbeit  in  einem  langen 
und  angenehmen  Leben,  und  deshalb 
müsse  er  jemandens  „Kräfte  essen".  Über- 
wacht  der  Thai  sein  Kind  im  zarten 
Alter  und  pflegt  er  es  in  kranken  Tagen, 
so  hegt  er  dabei  den  Hintergedanken, 
er  könne  eines  Tages  dessen  Kräfte 
essen;  am  Grabe  seines  Sprößlings  be- 
trauert und  beweint  er  vor  allem  seine 
getäuschte  Hoffnung.  Verkauft  er  seine 
Tochter  gut  an  einen  Werber,  so  ißt  er 
ihre  Kräfte;  trägt  sein  herangewachsener  Sohn  für  ihn  die  Last  der  Arbeit, 
so  ißt  der  Vater  seine  Kräfte. 

Stirbt  aber  eine  Mutter,  dann  versammeln  sich  alle  ihre  Söhne  und  bringen 
drei  Tage  und  drei  Nächte,  auf  Schemeln  sitzend,  um  die  Feuerstätte  des  elter- 
lichen Hauses  zu,  wie  ehemals  die  nun  Verstorbene  nach  der  Geburt  eines 
jeden  Kindes  hatte  tun  müssen,  und  wie  sie  damals,  so  gelten  ihre  Söhne  in 
dieser  Trauerzeit  für  unrein,  essen  nur  Khau  läm,  d.  h.  Reis,  in  Wasser  ge- 
kocht,  und  Salz,  und  müssen,  um  nicht  andere  zu  verunreinigen,  ihre  eigenen 
Teller,  ihr  eigenes  Messer  und  ihr  Bambusrohr  mit  Wasser  haben.  Damit 
drücken  sie  ihrer  verstorbenen  Mutter  ihre  Dankbarkeit  dafür  aus,  daß  sie 
ihnen  das  Leben  schenkte.  Die  Töchter  haben  diese  Pflichten  nicht,  teils 
weil  sie,  wenn  bereits  verheiratet,  andere  Pflichten  zu  erfüllen  haben,  teils 
weil  sie  bei  der  Geburt  ihrer  Kinder  ohnehin  ..das  Feuer  hüten",  d.  h.  die 
obigen  Formalitäten  beobachten  müssen. 

Trauer  für  ihre  verstorbenen  Kinder  legen  die  Eltern  nicht  an;  hingegen 
trauern  die  Kinder  für  ihren  Vater  ein  Jahr  und  drei  Monate  und  für  ihre 
Mutter  drei  Jahre,  weil  diese  mehr  Mühe  mit  den  Kindern  gehabt  habe, 
der  Vater.     Zum    Ausdrucke  der   Trauer  in   der  Kleidung  kommt 


Fig.  «8. 

Spielzeug 


Chinesisches    Pferd,    ein    Kinder- 
Im    Museum    für    Völkerkunde    in 
Leipzig. 


beim 


als 

Tode 


')  Vgl.  die  Annamiten  \.  S. 


§  390.     Ural-Altaien. 


807 


der  Mutter  auch  noch  die  Abstinenz  von  Hundefleisch1),  Fröschen, 
Lampreten  (Neunaugen)  und  verschiedenen  anderen  Gerichten,  deren  sich  die 
Thai-Mütter  enthalten  müssen  von  der  Geburt  ihres  ersten  Kindes  an  bis  zu 
ihrem  Tode.  — 


§  390.     Ural-Altaien. 

Der  Mongole  ist  nach  Prsehewalshi  ein  guter  Familienvater,  der  seine 
Kinder  innig  liebt.  Erhält  er  irgend  etwas  Teilbares,  so  bekommt  jedes  Familien- 
mitglied gleichen  Anteil,  und  wäre  es  nur  ein  Körnchen  von  einem  Stücklein 
Zucker,  das  zur  Verteilung  vorhanden  ist.  Andererseits  erweisen  die  Kinder 
ihren  Eltern  Liebe  und  Achtung,  befolgen  gewissenhaft  deren  Ratschläge  und 
leisten  pünktlichen  Gehorsam.  —  Auf  der  Karawanen- 
straße zwischen  Kiachta  und  Peking  kam  gegen  Huc 
und  Gäbet  ein  Mongole  zu  Pferd  herangestürmt,  der 
schon  von  der  Ferne  durch  Rufe  und  Gesten  erklären 
wollte,  was  er  gleich  darauf  knieend  erzählte  und  mit 
emporgehobenen  Händen  bat.  Huc  und  Gäbet  trugen 
Lamatracht,  und  so  flehte  denn  der  Mongole:  „Meine 
Herreu  Lamas,  erbarmt  euch  meiner!  Zieht  nicht 
vorüber,  sondern  helft  meine  Mutter  retten  mit  euerm 
Gebet!"  —  Freilich  haben  sowohl  Huc-Gabet  als  Prsche- 
walski  u.  a.  auch  den  bedauernswerten  und  ekelerregenden 
Zustand  verlassener  Armer  und  Kranker  in  der  Mon- 
golei und  in  Tibet,  sowie  das  Verhalten  gegen  die 
Leichen  verstorbener  Eltern  in  abstoßenden  Farben  ge- 
zeichnet. Gleichgültig  sehen  nach  PrschewalsJci  in  Urga, 
der  Hauptstadt  der  Mongolei,  Eltern  ihre  Kinder  und 
Kinder  ihre  Eltern  von  Krähen  und  Hunden  verzehren. 
Hunderte  von  Leichen  verschwinden  täglich  auf 
solche  Weise.  Aber  auch  in  die  Steppe  trägt 
der  Mongole  und  Tibetaner  die  Leichen  seiner 
Angehörigen  auf  einen  Berg  oder  in  eine  Schlucht, 
wo  er  sie  den  Raubvögeln  und  wilden  Tieren  überläßt. 
Schnelles  Verzehrtwerden  gilt  als  Zeichen,  daß  der 
Verstorbene  ein  gottgefälliges  Leben  geführt  hat.  — 
Der  tiefere  Grund  dieser  Auffassung  findet  sich 
in  der  Mitteilung  Huc-Gabets,  daß  die  Hunde  in 
Tibet  als  heilige  Tiere2)  gelten.  Es  sei  eine  große 
Ehre,  von  Hunden  und  Krähen3)  gefressen  zu  werden. 

Aber  auch  pomphaft  verbrennen  oder  mühsam  an  einen  heiligen  Ort 
übertragen  läßt  mancher  pietätvolle  Sohn  die  Leichen  seiner  Eltern.  Nach 
Huc-Gabet  begegnet  man  in  der  Wüste  nicht  selten  Karawanen,  welche  die 
irdischen  Überreste  verstorbener  Eltern  zu  dem  gesuchtesten  aller  mongolisch- 
tibetanischen Friedhöfe  in  der  Nähe  des  Lama-Klosters  U  Tay  (fünf  Türme) 
in  der  chinesischen  Provinz  Schansi  bringen.  Denn  hinter  dem  Kloster 
ist  ein  steiler  Berg4),   in  welchem  Buddha  gegenwärtig  ist  und  von  hier  aus 

')  Vgl.  die  Heilighaltung  der  Hunde  iu  Tibet  w.  u.  Die  Thai  sind  mit  den 
Tibetanern  sprachlich  und  somatisch  verwandt. 

-i  Wohl  noch  vorbuddhistische  Anschauung.  Vgl.  meine  wiederholten  Hin- 
weise auf  den  Hund  als  sexuelles  und  deshalb  als  religiöses  Symbol  in  der  alten  und 
neuen  Welt  in  früheren  Kapiteln. 

3)  Vgl.  die  Krähe  als  Symbol  des  Neumondes  und  Gehilfin  des  Mondes  beim  Er- 
schaffen der  Mädchen  in  Australien,  bei  W.  Schmidt  im  Glob.  97,  175.  Ob  verwandte 
Begriffe  auch  bei  den  Tibetanern  und  Mongolen  vorliegen? 

4)  Hier  liegt  wohl  ein  Rest  eines  vorbuddhistischen  Höhenkultes  vor. 


Fig.  499.   Chinesische  Kin- 
derklapper.    Im  Museum    für 
Völkerkunde  iu  Leipzig. 


808      Kapitel  LIX.  Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.  Positives  und  Negatives. 


den  im  Friedhof  Ruhenden  eine  glückliche  Seelenwanderung  verleiht.  Mit 
schwerem  Gold  erkaufen  die  Hinterbliebenen  ihren  Eltern  dieses  Glück. 

Bezeichnend  für  das  Verhältnis  zwischen  Vater  und  Kind  in  Turkestan 
scheint  das  von  X.  u.  Seidlite  mitgeteilte  Sprichwort  zu  sein:  „Das  Herz  des 
Vaters  ist  beim  Kinde;   das  des  Kindes  in  der  Steppe  (wo  es  spielen  kann)." 

Bei  den  Kirgisen  fand  Mrs.  Atkinson  eine  hochgradige  Liebe  zu  den 
Söhnen;  Mädchen  seien  nur  unbedeutende  Handelsartikel.     Hingegen  schrieb 


^v!  _^/< 


Fi;;.  603.     Eine  Lao -Familie.    Josef  Kienningera  phot. 


Die  Laos  »inil  eiu  Bergvolk  in  Siam  ,  II1111 . 


Brehm:  Beide  Eltern  lieben  ihre  „Kinder"  ungemein,  behandeln  sie  stets  mit 
größter  Zärtlichkeit  und  schlagen  sie  nie.—  Von  den  Kirgisen  auf  Mangy- 
schlak  berichtet  B.  Kanttz:  Mit  der  Zahl  der  Kinder  (10 — 12  von  einei 
Frau  sind  nicht  selten)  scheint  die  Liebe  zu  ihnen  zu  wachsen;  ihnen  wendet 
sich  alle  Zärtlichkeit  zu.  die  man  der  .Mutter  versagt. 

Ein  Beispiel  kindlicher  l'iei.it  haben  wir  in  dem  Jahresfest,  welches 
Ata  Bek,  nach  der  Mitteilung  Wilhelm  Radioffs,  zu  Einen  seines  verstorbenen 
Vaters,  nördlich  vom  Flusse  Meikä  gab.  Zu  dieser  Totenfeier  in  der  großen 
K  hinsenhorde   kamen   außer   den  Verwandten  und  Nachbarn   des  Ata   Bek 


§  391.     Hyperboräer.  8C9 

gegen  5000  Menschen.  Das  Fest  dauerte  vier  Tage  und  umschloß,  neben  Eß- 
und  Trinkgelagen,  Gesangsauf  führungen,  Wettrennen  und  Wettkämpfe. 

Die  große  Liebe  der  Tuugusen  zu  ihren  Kindern  ist  nach  Middendorfß 
Beobachtung  unverkennbar,  und  was  ein  Tunguse  für  seine  alte  kranke  Mutter 
tun  kann,  ersehen  wir  an  einem  schon  bejahrten  Tungusen,  der,  nach  Midden- 
dorff,  bei  der  Nachricht  von  der  Erkrankung  seiner  Mutter  sich  sofort  auf 
den  Weg  machte,  und  den  weiten  Weg  vom  Aemgünj  zu  den  Toröm- 
Quellen  unternahm,  um  sie  zu  besuchen. 

Der  Ostjake  am  Ob  und  Irtysch,  meint  Castren,  hat  freilich  bei  der 
sorglichen  Pflege  und  Erziehung  seiner  Töchter  ebenso  seinen  Vorteil  vor 
Augen,  wie  wenn  er  Füchse  füttert;  aber  unbewußt  übt  dabei  doch  auch  die 
elterliche  Liebe  ihren  Einfluß  aus.  Den  Müttern  rühmte  Brehm1)  zärtliche 
Liebe  zu  ihren  Kindern  und  treue  Erfüllung  ihrer  Mutterpflichten  nach.  — 
Nach  Erman  bezahlen  die  Söhne  freiwillig  die  Schulden  ihrer  verstorbenen 
Väter,  weil  die  Haltung  eines  gegebenen  Versprechens  für  eine  heilige  Pflicht 
gilt,  die  bis  ins  Jenseits  nachwirke.  — 

§  391.     Hyperboräer. 

Die  Giljaken  lieben  ihre  Kinder  sehr,  zeigen  das  auch  nicht  selten, 
obschon  sie  sonst  mit  ihren  Gefühlsäußerungen  zurückhaltend  sind.  Niemals 
sah  z.  B.  L.  von  Schrenck,  daß  ein  Giljake  seine  Fi  au  küßte,  wohl  aber  daß 
Mütter  und  Väter  ihre  kleinen  Kinder  liebkosten. 

Die  Liebe  der  Kamtschadalen  zu  ihren  Kindern  nannte  Steller  Affen- 
liebe. Sie  war  ebenso  groß,  wie  die  Mißachtung,  welche  die  Eltern,  haupt- 
sächlich wenn  einmal  alt  und  hilflos,  von  ihren  Kindern  erfuhren.  Die  Kinder 
beschimpften  ihre  Eltern  in  häßlichen  Ausdrücken.  Sahen  sich  Väter  und 
Kinder  nach  längerer  Trennung  wieder,  so  wurden  diese  wohl  freudig  um- 
armt, zeigten  sich  aber  ihrerseits  gleichgültig.  —  Als  ein  Akt  kindlicher 
Pietät  scheint  bei  den  früheren  Kamtschadalen,  wie  bei  einigen  anderen  schon 
früher  erwähnten  Völkern,  die  Beförderung  alter  Eltern  ins  Jenseits  gegolten 
zu  haben.  Lebensmüde  Männer  forderten  ihre  Söhne  selbst  dazu  auf.  Steller 
erwähnte  einen  derartigen  Fall  aus  dem  Jahre  1737:  Ein  Sohn  wollte  seinen 
Vater  auf  dessen  Aufforderung  hin  erhängen.  Las  erstemal  brach  der  Eiemen; 
das  zweitemal  wurde  ein  doppelter  genommen. 

Als  „heilige  Pflicht"  des  Sohnes  erwähnt  Vasilij  Priklonski  die  Er- 
mordung des  altersschwachen  Vaters  bei  den  Tschuktschen.  Wenn,  so 
schreibt  er,  ein  alter  Tschuktsche  wahrnimmt,  daß  seine  Kräfte  verfallen  und 
er  seiner  Umgebung  lästig  wird,  dann  richtet  er  an  seinen  ältesten  Sohn 
die  Bitte,  er  möge  ihn  zu  seinen  Vorfahren  entlassen.  Um  nun  seiner  „heilig" 
gehaltenen  Pflicht  nachzukommen,  stellt  der  Sohn  seinen  Vater  hinter  einen 
Vorhang,  um  dessen  Todesqualen  nicht  mit  ansehen  zu  müssen,  und  sticht  ihm 
mit.  fester  Hand  das  Messer  ins  Herz.  —  Nordenskjöld  rühmte  den  Tschuktschen 
eine  liebevolle  Behandlung  ihrer  Kinder  nach.  Selten  höre  man,  daß  sie  ihnen  ■ 
böse  Worte  geben. 

Der  Aleute  liebt  nach  Langsdorff  seine  Kinder  und  seine  Eltern  mit 
Aufopferung,  obschon  man  ihm  wenig  von  einem  starken  Gemütsleben  ansieht. 

Die  grönländischen  Eskimo  hängen  regelmäßig  an  ihren  Kindern  als 
ihrem  größten  Schatz.  Unter  den  Eskimos,  welche  im  Jahre  lß06  von  GoltzJce 
IAndenau  gefangen  nach  Dänemark  brachte,  war  einer,  der  jedesmal  weinte. 
wenn  er  ein  kleines  Kind  auf  den  Annen  oder  an  der  Brust  der  Mutter  sah. 
Die  Eskimo  des  19.  Jahrhunderts  im  nordöstlichsten  Amerika  standen  jenen 
in  der  Liebe  zu  ihren  Kindern  nicht  nach:  Das  Ehepaar  Ebierbing  und  Tookoo- 


')  Bei  Ploft  II,  404. 


810      Kapitel  LIX.  Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.  Positives  und  Negatives. 


lito,  welches  bei  Hall  eine  so  große  Bolle  spielt,  hatte  durch  den  strengen 
Winter  1861  viel  gelitten.  Ebierbing  war  krank  und  elend;  Hunger  und  Kälte 
setzten  seiner  Frau  Tookoolito  stark  zu;  die  Hunde,  diese  dem  Eskimo  un- 
entbehrlichen Tiere,  waren  eingegangen,  und  die  für  den  Winter  so  notwendigen 
Felle  mangelten.  Aber  Tookoolito  hatte  ihr  erstes  Kind  geboren,  und  so 
meinte  Ebierbing:  ,,Macht  nichts!  Wir  leben  und  sind  beisammen;  wir  haben 
einen  prächtigen  Knaben  und  sind  glücklich."  —  Nach  Saäbye  hielten  die 
grönländischen    Eskimo    des    18.   Jahrhunderts    die   Europäer    für    unwürdig, 

Kinder  zu  haben,  weil  sie  sie  züchtigen.  — ■ 
Nansen  teilt  im  20.  Jahrhundert  mit,  daß 
die  Eskimos  ihren  Kindern,  besonders  den 
Knaben,  alles  tun,  was  sie  ihnen  an  den 
Augen  absehen;  niemals  hörte  er  Kindern 
harte  Worte  sagen.  Den  Eltern  schneide 
es  besonders  ins  Herz,  wenn  sie  ihre 
Kleinen  hungern  sehen.  —  Eimnd  Astrup 
schrieb  von  den  Eskimos  am  Smith- 
Sund,  es  herrsche  zwischen  Eltern  und 
Kindern  ein  ebenso  liebevolles  „nioor- 
schnepfenartiges"  Verhältnis  wie  überall 
auf  Erden.  Der  kleine  korpulente  Ekva, 
ein  anerkannter  Komiker  des  Stammes, 
vergaß  fite,  einen  Teil  des  ihm  geschenkten 
Zwiebacks  in  seinen  schmutzigen  Leder- 
beutel zu  stecken,  um  ihn  seinem  zwei- 
jährigen Söhnchen  Annedor  zu  bringen. 
Ein  Weib,  Mutter  zweier  Söhne,  er- 
wähnte zwar  den  lialbverrückten  Anin- 
gana  fast  nie,  wenn  Besuch  kam,  sprach 
dafür  aber  um  so  mehr  von  ihrem  „un- 
vergleichlichen" Kaschu.  Astrup  bemerkt 
dazu:  Wenn  sie  dann  gar  von  seiner 
Schönheit  schwärmte  und  wenn  man 
sich  dabei  das  Holzgesicht  mit  dem 
großen  Mund  und  den  halbzugekniffenen 
Augen  vorstellte,  konnte  man  kaum  das 
Lachen  verbeißen.  —  Was  die  kindliche 
Pietät  betrifft,  so  hat  Saabye  die  Hoch- 
achtung   und   Liebe   der   grönländischen 


Fig.  601.     Wiege  als  Kinder-Spielzeug  bei  den 

Kiii  li  cn-Iiid  innern  in  Montana.  Im  Museum 

I.  K.  H.  Prinzessin  Therese  von  Bayern. 


Eskimos  gegen  ihre  betagten  Eltern  be- 
tont. Mit  Freuden  gewährten  sie  ihnen 
Unterhalt.  Aber  es  kam  auch  vor,  daß 
man  alte  Leute,  je  nach  Wunsch, 
Meer  wart.  Nach  Boas  gilt  bei  den  Zentral- 
Tötung    alter    Eltern    für    erlaubt.  Krauken 


lebendig    begrub    oder    ins 

Eskimos    heutzutage    noch 

Eltern  und   Kind. tu  suchen   die  Kskimos  durch  Herbeirufung  eines  Zauberers 

(Angekok)   zu   helfen;   nimmt  jedoch  die  Krankheit    eine  schlimme   Wendung, 

dann   überläßt   man   den  Patienten   seinem  Schicksal,  sei  es   in    einem   eigens 

erbauten  Schneehaus,  wenn  es  Winter  ist,  oder  in  einer  Hütte  in  der  mildereu 

Jahreszeit1).     Eine   Lampe   als   Licht-   und   Wärmespenderin,   alte   Felle   zur 


'i  Der  Tote  verunreinigt  nach  Eskimo-Auffassung  den  Raum  und  alles  darin  Befindliche. 
Das  scheint  der  Grund  zu  sein,  warum  man  die  Sterbenden  aus  den  Wohnungen  der  Lebenden 
entfernt,  wenn  derselbe  nicht  erfunden  wurde,  um  Lieblosigkeit  mystisch  zn  begründen,  wv 
auch   Eür  andere  Völker  mit   ähnlichen  Bräuchen  nicht  unwahrscheinlich  dünkt. 


§  392.     Indianer.  811 

Bekleidung  und  etwas  Nahrungsmittel  ist  alles,  was  man  dem  Schwerkranken 
in  sein  Sterbehaus  mitgibt,  bzw.  ihm  läßt.  Dann  und  wann  besucht  man  ihn 
noch,  bis  man  den  Tod  heranrücken  sieht,  worauf  man  die  einzige  Öffnung 
des  Schneehauses  oder  der  Hütte  verschließt,  also  den  Sterbenden  lebendig 
begräbt.  Doch  sieht  man  in  diesem  alten  Brauch  keinen  Mangel  an  Liebe, 
wie  andererseits  Sterbende  bisweilen  noch  kindliche  Pietät  zeigen.  Boas 
z.  B.  erzählt,  ein  junges  Mädchen  habe  ihn  einige  Stunden  vor  ihrem  Verscheiden 
holen  lassen  und  ihn  um  etwas  Tabak  und  Brot  gebeten,  damit  sie  diese  Ge- 
schenke ihrer  kurz  vorher  gestorbenen  Mutter  ins  Jenseits  bringe.  — 

§  392.     Indianer. 

Den  gleichen  Brauch,  wie  bei  den  Kamtschadalen,  Tschuktschen  und 
Eskimos  des  vorigen  Paragraphen,  finden  wir  bei  den  nördlichen  Tinneh  oder 
Dene,  einer  Gruppe  von  lud ianer Völkern  in  Nordamerika.  Manche  Eltern  bitten 
auch  hier  ihre  eigenen  Kinder  um  den  Tod,  wie  A.  G.  Morice  schreibt,  der 
zugleich  als  Grund  dieser  Bitte  angibt,  weil  alte  und  kranke  Leute  in  der 
Pegel  herzlos  ihrem  Elend  überlassen  werden.  —  Nach  J.  West1)  überredete 
ein  altes  Weib  ihren  Sohn,  ihr  eine  Kugel  durch  den  Kopf  zu  jagen. 

Bei  den  Nascaupees2)  (Naskopi)  in  Labrador,  einem  getauften, 
aber  dem  Geiste  nach  noch  vielfach  heidnischen  Stamm  reiner  Rasse,  besteht 
die  Ansicht,  daß  Greise  mit  Anzeichen  von  Irrsinn  von  ihren  Kindern  möglichst 
bald  getötet  werden  müsseu,  weil  sie  sonst  Menschenfresser  würden s).  In  diesem 
Glauben  tötete  noch  im  Winter  1909  ein  junger  Nascaupee  seinen  alten  Vater 
(Labadie  Lagrave). 

Die  Liebe  der  Indianer  zu  ihren  Kindern  und  dieser  zu  ihren  Eltern 
halie  ich  in  ..Des  Indianers  Familie,  Freund  und  Feind"4)  eingehender  behandelt, 
als  es  in  dpm  vorliegenden  Werk  geschehen  kann.  Es  mögen  also  hier  nur 
noch  einige  diesbezügliche  Mitteilungen  folgen: 

Th.  L.  Me.  Kenney  schrieb  von  dem  Häuptling  der  Chippeway  in 
Fond  du  Lac:  Er  hatte  ein  Söhnchen  bei  sich,  das  er  leidenschaftlich  liebte, 
und  das  Kind  wich  nicht  von  seiner  Seite.  Bei  unserer  ersten  Begegnung  fand 
der  Häuptling  kaum  Zeit,  seine  Freude  über  unser  Kommen  auszudrücken. 
Gleich  hob  er  seinen  Knaben  in  die  Höhe  und  bahnte  sich  mit  ihm  einen 
Weg  durch  die  Menge,  damit  auch  er  uns  die  Hand  reiche,  wobei  er  betonte, 
daß  es  sein  Sohn  sei. 

Die  Maskoki-  oder  Fuchs-Indianer  lieben,  nach  Mary  A.  Owen,  ihre 
Kinder  innig.  Die  Väter,  welche  unter  den  jetzigen  Peservationsverhältnissen 
ihren  Kindern  mehr  Zeit  als  die  Mütter  widmen  können,  während  sie  früher 
im  Zustande  der  unbeschränkten  Freiheit  viel  nach  Beute  liefen,  folgen  Tag 
und  Nacht  jedem  Wink  ihrer  kleinen  Tyrannen  (die  Mütter  bebauen  nach 
wie  vor  das  Feld).  Im  zarten  Alter  werden  die  Kinder  der  Maskoki  nach- 
sichtiger und  zärtlicher  behandelt,  als  die  meisten  weißen  Kinder,  wie  Owen 
bemerkt. 

Die  Ohama-Frauen  in  Nebraska  gruben  für  Kriegszeiten  Löcher  in 
die  Erde,  worin  sie  sich  und  ihre  Kinder  bargen,  indem  sie  Felle  darüber 
dickten.  Nach  einer  Mitteilung  im  Globus  (Bd.  50,  S.  350)  ereignete  es 
si<  h    dabei   einmal,  daß   eine  Frau,  die  ihre  Kinder  bereits  in  einer   solchen 


*)  Bei   Morice,  im  Anthropos  II,   194. 
2)  Französische  Schreibweise. 

3I  Labadie  Lagrave,  der  Übiges  mitteilt,  nennt  diesen  Glauben  einen  alten  Aberglauben 
der  Rothäute.     Demnach  scheint  er  sich  auch  bei  andern  Indianer-Völkern  zu  finden. 
*)  Münster  i.  W.  1907. 


812      Kapitel  LIX.  Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.  Positives  und  Negatives. 

Vertiefung  untergebracht  hatte,  plötzlich  überfallen  wurde,  so  daß  sie  die 
Öffnung  nicht  anders  als  mit  ihrem  eigenen  Leibe  decken  konnte.  Sie  stellte 
sich  also  tot  und  ließ  sich  vom  Feind  den  Skalp  nehmen,  um  ihre  Kinder 
zu  retten. 

Den  Kindern  der  Navajos,  einem  Zweig  der  südlichen  Tinneh.  schrieb 
Ostermann  eine  hochgradige  Anhänglichkeit  an  ihre  Eltern  zu,  welche  ihre 
Kinder  zärtlich  lieben.  Wenn  von  den  Eltern  getrennt,  leiden  die  Kinder  viel 
an  Heimweh,  und  in  diesem  Heimweh  entlaufen  bisweilen  Knaben,  die  in  fernen 
Schulen  Unterricht  genießen,  und  legen  Hunderte  von  Meilen  zu  Fuß  zurück, 
um  wieder  heimzukommen.     Dieser  Anhänglichkeit  entspreche  der  Gehorsam 

und  die  Artigkeit  der  Navajo-Kinder, 
welche  körperliche  Züchtigung  oder 
auch  nur  strengen  Tadel  nur  selten 
brauchen. 

Einen  egoistischen  Zug  aus  dem 
Kindesleben  der  Pirnas  im  südlichen 
Arizona  und  in  Nettmexiko  be- 
richtete seinerzeit  Missionar  Och:  Als 
im  Jahre  1763  Oc/js  Missionsbezirk  so 
stark  vom  Fieberheimgesucht  war,  daß 
in  drei  Dörfern  keine  zehn  gesunden 
Männer  mehr  zu  finden  waren,  und  als 
Och  "den  Kranken  durch  deren  Bänder 
Speisen  schickte,  aßen  diese  das  für 
ihre  Eltern  Bestimmte  jedesmal  heimlich 
weg,  bis  der  Missionar  hinter  den 
Betrug  kam. 

An  einen  Akt 
Mutterliebe  unter  den  jetzt  aus- 
gestorbenen Tschu'ma-Indianern 
auf  der  Insel  Santa  Cruz  erinnert 
11'.  J.  Hoffmann:  Als  anfangs  des 
19.  Jahrhunderts  Missionäre  versuchten, 
die  auf  Santa  Cruz  zerstreuten  Tschu'ma 
dem  mexikanischen  Festland  über- 


heMenmütigei 


Fig. 


Im  K.  Ethno£ 


ihes  Mischblut.:  Neger-Indianer. 
laph.  Museum  in  München. 


nac 


zuführen,  bemerkte  ein  Weib,  daß  ihr 
Kind  nicht  mit  auf  dem  Boot  war. 
Die  Sonne  war  schon  am  Untergehen;  die  See  ging  hoch;  der  Himmel  kündigte 
Sturm  an,  und  das  Bunt  war  schon  ziemlich  weit  von  der  Insel  entfernt.  Die 
Insassen  des  Bootes  wollten  nicht  umkehren,  die  Mutter  aber  ihr  Kind  nicht 
zurücklassen.  Sie  sprang  daher  in  das  .Meer  und  schwamm  zurück.  -  Nach 
12  Jahren  wurden  Mutter  und  Kind  zufällig  aufgefunden. 

Bezeichnend  für  die  Mutterliebe  einer  0  Jana -Indianerin  in  Surinam. 
Bolländisch-Neuguinea,  ist  die  Bitte,  welche  sie  an  ('.  //.  de  Gheje  richtete, 
nämlich,  er  möge  ihr  bei  seiner  Wiederkehr  einen  teremopüilatop,  d.  h.  ein 
„Sterbe-nicht-Werkzeug",  mitbringen,  das  ihrem  Söhnchen  ewiges  Leben  ver- 
leihen könnte.  —  Nach  einer  Notiz  im  Globus  (Bd.  46.  s.  23)  werden  die 
Indianer-  Kinder  in  Guayana  überhaupt  zärtlich  behandelt.  —  Kapph  rschreibl 
allerdings,  es  komme  in  Surinam  häufig  vor.  daß  Indianer  ihre  Weiber  samt 
den   Kindern  verlassen,  um  sich  irgendwo  anders  anzusiedeln. 

\uch  die  Karaiben  der  Antillen  verließen  nach  Du  Terire  ihre  Familien 
nach  Willkür,  obgleich  viele  opferwillige  Vaterliebe  gefunden  wurde,  wie  schon 
aus  der  Couvade  (vgL  diese)  hervorgeht  Die  Mütter,  bemerkte  Dapper,  er- 
zogen ihre  Kinder  mit  viel  Zärtlichkeit  und  großer  Sorgfalt.     Dapper  erwähnte 


§  392.     Indianer. 


813 


auch  die  tiefe  Ehrerbietung  der  Jugend  gegen  das  Alter.  Aber  De  Rochefort 
schrieb,  es  sei  „früher"  manchmal  vorgekommen,  daß  Karaiben  den  Tod  ihrer 
alten  Eltern  beschleunigten,  weil  sie  der  Ansicht  waren,  ein  gutes  Werk  zu 
tun  und  ihnen  einen  Liebesdienst  zu  erweisen,  wenn  sie  sie  von  den  Beschwerden 
und  der  Langeweile  des  Alters  befreiten.  Ein  alter  Häuptling  habe  sich 
gerühmt,  mehreren  seiner  Vorfahren  diesen  Dienst  erwiesen  zu  haben.  Bei  den 
Karaiben  sei  dieser  Brauch  jedoch  nicht  entstanden,  und  zu  Bocheforts  Zeit  sei 
er  von  den  Einsichtsvollsten  verabscheut  und  die  Eltern  bis  ins  höchste  Alter 
liebevoll  und  ehrerbietig  gepflegt  worden. 


Fie 


603.     Araueaniscke  Weiber  und  Kinder. 
Ethnograph.  Museum  in  München. 


Im  K.  Fig.504.  Ein  Yahgan-M  ädchen,  Feuer- 

lan  d.   (Hyades-Deniker,  Mission  scientilique 
du  Cap  Hörn.    VII,  PI.  13.)    Im  K.  Museum 
für  Völkerkunde  in  Berlin. 


In  neuerer  Zeit  erwähnte  Schomburglc  eine  herzlose  Vernachlässigung 
alter  und  kranker  Leute  aus  Guayana,  dessen  Bevölkerung  größtenteils  aus 
Karaiben,  Tupi  und  Arrawak  besteht1). 

Den  nordwestlichen  Brasilianern  stellt  Koch-Grünberg  das  Zeugnis 
aus,  daß  sie  gegen  ihre  Kinder  gewöhnlich  liebevoll  seien,  ihre  Gefühle  aber 
vor  Fremden  verbergen.  In  manchen  Dörfern,  wo  Koch  bereits  zur  Familie 
gerechnet  wurde,  bemerkte  er  die  gleiche  Zärtlichkeit,  besonders  gegen  kleine 
Kinder,  wie  in  europäischen  Familien.  Mütter  und  Großmütter  sah  er  stunden- 
lang mit  den  Kleinen  spielen. 

Hingegen  fand  sich  bei  Ploß  (II,  339)  folgende  Stelle  über  das  Verhältnis 
zwischen  Eltern  und  Kindern  bei  den  tropischen  Indianern:  „Im  tropischen 
Amerika  stehen  im  indianischen  Hauswesen  und  in  den  mit  Indianismus  reich 
vermischten  Volksschichten   die  Kinder   dem  Vater   fern.     Sie  sind   scheu 


')  Rem,  Des   Indianers   Familie,   78  f.     Die  mit  dem   Töten   alter  Väter  verbundenen 
Feierlichkeiten  bei  den  nördlichen  Chippeway  siehe  S.  172,  ebenda. 


814      Kapitel  LIX.  Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.  Positives  und  Negatives. 

vor  ihm  und  in  der  zartesten  Jugend  von  ihm  entfremdet;  sie  fliehen  Zuflucht 
suchend  in  die  Arme  der  Mutter;  frühzeitig-  entwachsen  sie  dem  väterlichen 
Hause,  und  die  Mutter  wird,  wie  einst  ihres  Mannes,  so  ihres  Sohnes  Dienerin : 
doch  kindliche  Ehrfurcht  auch  im  vorgeschrittenen  Lebensalter  ist  ein  allgemein 
vorteilhaft  hervortretender  Charakterzug."  — 

Die  Caraya-Indianerin  am  Xingü  und  Araguay.  nördliches  Brasilien^ 
widmet  sich  ihren  Kindern  mit  liebevoller  Hingebung,  schreibt  G.  v.  Koenigswald. 

Die  hochgradige  Zärtlichkeit  der  Caingangs-Indianer  gegen  ihre  Kinder 
in  Paranä,  südliches  Brasilien,  und  der  völlige  Maugel  an  Strafen  ist.  nach 
Telemaco  Maroeines  Borba,  die  Ursache,  daß  die  Kinder  ihren  Eltern  wenig 
Achtung  bezeigen.  Borha  sah,  wie  sich  Männer  von  ihren  Kindern  mit  Stücken 
mißhandeln  ließen. 

Die  große  Liebe,  welche  Maria,  die  Pampa-Indianerin  und  Gattin  des 
patagonischen  Häuptlings  Conchingan,  ihren  Kindern,  besonders  aber  ihrer 
ältesten  Tochter,  bewies,  machte  auf  Moreno  einen  wohltuenden  Eindruck. 

Nach  Hyades  behandeln  die  Feuerländer  am  Kap  Hörn  ihre  Kinder 
sehr  gut,  wenn  sie  auch  nicht  so  zärtlich  mit  ihnen  tun,  wie  es  in  Europa 
Brauch  ist.  — 


Kapitel  LX. 

Hypothesen  der  letzten  fünf  Jahrzehnte  über  die 
Urgeschichte  der  Familie.     Einschlägige  Tatsachen 

und  Mythen. 

§  393.  Nachdem  wir  das  Kind  von  seiner  Konzeption  einerseits  bis 
ins  Jenseits,  andererseits  bis  zum  Eintritt  in  die  Reihen  der  Erwachsenen 
begleitet  haben,  ja.  bereits  dem  Wunsch  nach  ihm  unter  den  Völkern  nach- 
gegangen sind  und  damit  zugleich  das  Spiegelbild  der  Menschheit  am  Kind 
beobachtet  haben,  dürfte  ein  kurzer  Blick  auf  einige  in  den  letzten  fünf 
Jahrzehnten  aufgestellte  Hypothesen  betreffs  Urgeschichte  der  Familie  am 
Platze  sein,  obgleich  die  wichtigsten  Ausgangspunkte  derselben,  nämlich 
Promiskuität.  Gruppenehe  und  Polyandrie,  besonders  aber  das  Recht 
der  Muttersippe  (bisher  gewöhnlich  „Mutterrecht"  genannt),  samt  Matri- 
archat und  Gynäkokratie  schon  in  den  Kapiteln  L  und  LI  ins  Auge 
gefaßt  worden  sind,  insofern  sie  die  Zugehörigkeit  des  Kindes  zu  Vater  oder 
Mutter,  bzw.  das  Rechtsverhältnis  des  Kindes  gegenüber  seinen  Eltern  beein- 
flussen, und  die  Überblicke  über  jene  beiden  Kapitel  ergaben,  daß  die 
genannten  Ausgangspunkte  die  Hypothese  einer  ursprünglich  allgemeinen 
Promiskuität  nicht  stützen. 

Damit  wurde  bereits  ein  Beitrag  zur  Lösung  des  Problems  der  Urgeschichte 
der  Familie,  wenn  auch  nur  in  negativer  Form,  gegeben.  Penn  hauptsächlich 
um  eine  positive  oder  negative  Antwort  auf  die  Frage  einer  ursprünglichen 
Promiskuität  drehten  sich  in  den  letzten  fünf  Jahrzehnten  die  Forschungen 
nach  der  Urgeschichte  der  Familie. 

Die,  meines  Wissens,  zeitlich  erste  und  hervorragendste  Arbeit  auf  diesem 
Gebiet  leistete  Bachofen. 

§  394.     Bachofens  „Mutterrecht". 

Bnchofen  schloß  von  der  mehr  oder  weniger  freien  Geschlechts- 
mischung einiger  historischer  Stämme  und  Völker1),  die  eine  Ehe  in 
unserem  Sinne  nicht  haben,  auf  eine  allgemeine  Promiskuität  der  ganzen 
Menschheit  im  Urzustand.  „Auf  der  tiefsten  Stufe  zeigt  der  Mensch  neben 
völlig  freier  Geschlechtsmischung  auch  Öffentlichkeit  der  Begattung",  schrieb 
er  und  nannte  diese  Erscheinung  die  Betätigung  des  Jus  naturale,  welches 
so  alt  sei  wie  das  Menschengeschlecht  und  erst  durch  das  spätere  Jus  civile, 
dem  die  Ehe  ihren  Ursprung  verdanke,  eingeschränkt  worden  sei2). ~ 

Ein  anderer  Ausgangspunkt  Bachofen?,  war  der  Hetärismus  gewisser 
historischer  Völker   vor   der  Ehe.     Ein   solcher   Hetärismus   findet   sich   bei 


')   Vgl.  Kap.  L  und  den  §  395  dieses  Kapitels. 
-)  Das  Mutterrecht,  S.  10,  13  und  18  f. 


gl(j      Kapitel  LX.     Hypothesen  der  letzten  fünf  Jahrzehnte  über  die  Urgeschichte  der  Familie. 

Völkern  des  Altertums  und  der  Neuzeit,  und  zwar  teilweise  bei  Völkern, 
welche  die  einmal  geschlossene  Ehe  keusch  halten.  Er  ist,  nach  Bachofen, 
eine  Nachwirkung  der  alten  Auffassung  und  praktischen  Durchführung  des 
Jus  naturale.  Die  durch  Eheschließung  verletzte  Naturmutter  müsse  versöhnt, 
die  Keuschheit  des  Matrimonium  durch  vorgängige  Unkeuschheit  erkauft 
werden *). 

Ein  dritter  Ausgangspunkt  Bachofens  war  das  uns  bereits  wohl  bekannte 
„Mutterrecht-'  -),  welches  er  gleichfalls  nur  mit  einer  ursprünglichen  Weiber- 
gemeinschaft, bzw.  der  aus  ihr  folgenden  Unkenntnis  des  Vaters  erklären 
zu  können  glaubte3). 

Die  bei  einzelnen  Völkern  nachgewiesene  Gynäkokratie  in  Familie 
und  Staat4)  erfaßte  Bachofen  als  eine  Durchgangserscheinung  in  der  Ent- 
wicklung vom  Mutterrecht  zum  Vaterrecht,  als  eine  Wirkung  der  Reaktion 
des  vom  Mann  zunächst  geschlechtlich  mißbrauchten  Weibes. 

Gruppenehe  und  Polyandrie  galten  ihm  als  Durchgangsfoimen  inner- 
halb des  Entwicklungsprozesses  von  einer  allgemeinen  Promiskuität  zur  Einehe. 
Auch  in  jenen  beiden  Eheformen  sei  übrigens  wegen  der  Unkenntnis  des 
Vaters  Mutterabstammung  am  Platze5).  — 

Bachofens  Forschungsresultate  und  Hypothesen  spornten  zu  weiteren 
Forschungen  und  Hypothesen  an.  Was  zunächst  seine  urzuständliche  Promis- 
kuität betrifft,  so  wurde  von  verschiedenen^  Seiten  eingewendet,  der  Schluß 
auf  eine  solche  sei  schon  deshalb  unerlaubt^ weil  kein  historisches  Volk,  kein 
bekannter  Stamm  als  Ganzes,  eine  derartige  Zügellosigkeit  aufweise. 

Letzteres  war  nun  allerdings  eine  Behauptung,  welche  vnr  den  Tatsachen 
weichen  muß,  was  sowohl  aus  Kap.  L  als  aus  dem  hier  folgenden  §  395 
hervorgeht.  Daß  es  Völker  mit  einer  mehr  oder  weniger  weitgehenden  Weiber- 
gemeinschaft6) gegeben  hat  und  noch  gibt,  scheint  mir  heutzutage  eine 
erwiesene  Tatsache  zu  sein,  wenn  auch  die  Berichte  der  Alten  nicht  in  jedem 
Wort  über  alle  Zweifel  erhaben  sind.  Hingegen  ist  die  Hypothese  Backofens 
und  Späterer,  daß  solche  Zustände  ursprünglich  und  allgemein  waren, 
und  daß  die  Urmenschheit  eine  Dauerehe  überhaupt  nicht  kannte. 
wissenschaftlich  nicht  bestätigt.  Sittlicher  Bückgang  war  bei  alten 
Völkern  ebenso  möglich  wie  bei  neuzeitlichen7).  — 

§  395.     Völker  mit  Promiskuität,  Gruppenehe  und  Polyandrie  (ohne  Ke- 
rücksichtigung  des  Kindes).     Vorehelicher  Hetärismus. 

Nach  Sextus  Empiricus  übten  gewisse  indische  Stämme  unterschieds- 
lose und  öffentliche  Begattung  (u.qvovTou  äoia'.io'pu>?  5T,u.oaia s). 


')  Ebenda,  S.   13. 

-)  Vgl.  Kap.  LI. 

3)  Vgl.  den  Erbgang   durch  die  Verwandtschaft   des  Vaters  auf  S.  648  d.  B. 

*)   Vgl.  Kap    LI. 

6)  Vgl.  Kap.  L. 

6)  Der  obige  Ausdruck  sei  der  Kürze  wegen  auch  für  Gruppenehen  und  Polyandrie 
gestattet.  » 

7J  Vgl.  den  in  der  Neuzeit,  unter  Christen,  entstandenen  Brauch  der  Promiskuität 
bei  den  Bibel-Kommunisten  in  N  ordamerika,  bei  Josef  Miillrr  indessen  ..Renaissance" 
1.  s.  22.  I  »a  heifit  es  mit  einem  Hinweis  auf  S.  Schweiger-Lerchenfeld:  „Eine  Weibergemeinschaft 
in  neuerer  Zeit,  und  noch  dazu  auf  religiöser  Grundlage,  haben  die  Bibel-Kommunisten  am 
Oneido-Bacli  in  den  Vereinigten  Staaten  errichtet.  Die  ganze  Bibelfamilie  ist  ein 
Ehekreis.  Jeder  Mann  wird  der  Mann  und  Hruder  jeder  Frau,  jede  Frau  Frau  und  Schwester 
jedes  Mannes  .  .  .  Ausschließliche  Liebe  gilt  als  Sentimentalität.  Vergötterung  und  Anbetung. 
Das  Heiz  müsse  frei  gehalten  werden,  um  alle  Würdigen  zu  lieben,  und  solle  nie  durch  Aus- 
schlieUlichkeit  und  selbstische  Liebe  sich  beschränken.  Jede  Frau  hat  (aber)  das  Recht, 
jedes  Mannes  Hewerbung  zurückzuweisen." 

8;  Pyrrhoniae  hypotyposes  3,  618,  cd.  Bekker.     Bei  Bachofen,  Mutterrecht,  S.  10. 


§  395.     Völker  mit  Promiskuität,  Gruppenehe  und  Polyandrie.  Vorehelicher  Hetärismus.      817 

Promiskuität  erwähnte  ferner  Megasthenes1)  von  Kaukasus-Völkern. 

In  Griechenland  soll  bis  zu  Kekrops  Zeit  Promiskuität  geherrscht 
haben2).  Nach  Zendbiw*)  standen  in  Arkadien  Weiber,  die  mit  mehreren 
Männern  verkehrten,  in  Ehren4). 

Bei  den  alten  Goten  und  Medern.  sowie  bei  den  nun  ausgestorbenen 
Guanchen  auf  den  Kanarien-Inseln,  sollen  ähnliche  Eheverhältnisse,  wie 
bei  den  britischen  Kelten,  d.  h.  Gruppenehen,  gebräuchlich  gewesen  sein 5) 
(Siehe  diese  auf  S.  619  d.  B.) 

Aus  dem  alten  Ägypten6)  ist  eine  ähnliche  Erscheinung  wie  die  aus 
Arkadien  erwähnte  bekannt. 

Nach  Sextus  Empiricus  trugen  hier  jene  Weiber,  welche  mit  den 
meisten  Männern  verkehrt  hatten,  einen  Fußknöchelschmuck,  was  als  Ehren- 
zeichen galt  (tscioi  yo'jv  o-i  ai  -Xsiarou  auvioGaoti  xal  xoau.ov  syousi  irepiacpupiov, 
auvi)rlu.a  ttoö  -ap'  au-al;  asu.voX077ju.orro;)  '■).  —  Ganz  ähnlich  lautet8)  eine  Stelle 
bei  Herodot  über  die  Gidanen9):  Ihre  Weiber  tragen  Bänder  um  die  Fuß- 
knöchel (irsptotpüpia),  jede  eine  große  Anzahl.  Sie  sind  aus  Fellen  gefertigt 
und  haben  folgende  Bedeutung:  Bei  jeder  Mischung  mit  einem  Mann  legt 
die  Frau  ein  solches  Band  um.  Die  nun  die  meisten  hat,  wird  für  die 
trefflichste  gehalten,  da  sie  von  den  meisten  geliebt  worden  ist. 

Die  öffentliche  Promiskuität  der  alten  Äthiopier  mit  Einschluß  der  alten 
Ägypter  glaubte  Bachofen  auch  indirekt,  und  zwar  durch  den  Hundekult, 
beweisen  zu  können.  Unter  dem  Bild  des  Hundes,  der  sich  regellos  und 
öffentlich  begattet,  vereinten  die  Äthiopier  ihre  höchste  Gottheit,  die 
Zeugungskraft,  und  in  Ägypten  habe  der  Hund  von  alters  her  die  größte 
Verehrung  genossen.  Belege  hierfür  seien  bei  Plinius,  Aelian  und  Plutarch 
zu  finden. 

Von  den  Massageten,  einem  wahrscheinlich  turanischen  Nomadenvolk 
in  den  Steppen  nördlich  vom  Kaspischen  Meer,  schrieb  Herodot1"):  ,. Jeder 
ehelicht  eine  Frau,  allen  aber  ist  erlaubt,  sie  zu  gebrauchen  ...  So  oft  einen 
Mann  nach  einem  Weibe  gelüstet,  hängt  er  seinen  Köcher  vorn  an  dein 
Wagen  auf  und  wohnt  ihm  unbesorgt  bei."  Dabei  steckt  er  seinen  Stab  in 
die    Erde,    ein    Abbild    seiner    eigenen    Tat.  Ganz    ähnlich    lautet,    nach 

Bachofen,  Strabos11)  Bericht. 

Bei  den  Nasamonen  hatte  jeder  „nach  Gebrauch"  viele  Frauen,  welche 
Gemeingut  waren.  Auch  sie  steckten  während  des  Beischlafes  ihren  Stab  in 
die  Erde  ,2). 

>)  Bei  Strabo  15,  710.     Ebenda,  19. 

*)  Emil  Jung,  Polyandrie  und  Polygamie.  Im  Glob.  52.  93.  —  H.  J.  Rose  schreibt 
allerdings:  Alles,  was  sich  auf  einen  sagenhaften  ehelosen  Zustand  der  Hellenen  vor  Kekrops 
bezieht,  ist  eben  Sage  nach  der  wohlbekannten  Form,  alle  großen  sozialen,  religiösen  oder 
ökonomischen  Einrichtungen  auf  einen  einzigen  Erfinder  zurückzubeziehen.  Bewiesen  kann 
es  nicht  werden.  (On  the  Alleged  Evidence  for  Mother-Right  in  Early  Greece,  Polk-Lor.e, 
Vol.  XXII,  London  1911,  p.  289.)  Rose  hat  einerseits  recht.  Allein  es  ist  andererseits 
kein  genügender  Grund  vorhandeu,  die  obige  Mitteilung  als  bloße  Erdichtung  zu  bezeichnen, 
da  Weibergemeinschaft  bei   Völkern  der  Neuzeit  nachweisbar  ist. 

3)  Bei  Bachofen,  S.  12. 

4)  Vgl.  die  bis  ins  Alter  hochgeehrten  Indianerinnen,  die  in  ihrer  Jugend  ein 
„Reisfest"  gaben  (S.  551  d.  B). 

b)  Jos.  Müller,  Das  sexuelle  Leben  der  Naturvölker.     Renaissance  I,  24. 
6)  Hami tische  Bevölkerung  (?). 
')  Bei  Bachofen,  S.  12. 

8)  Nach  Bachofen,  ebenda  und  S.   15. 

9)  Vielleicht  handelt  es  sich  um  ein  und  dasselbe  Volk. 
I0)  1,  12«  und  4,  172,  bei  Bachofen,  S.  10. 

«)  11,  513. 

12)  Herodot  4,  172,  bei  Bachofen,  10. 

Ploß-Eene,  Das  Kiiid.    3.  Aufl.    Band  n.  52 


818      Kapitel  LX.    Hypothesen  der  letzten  fünf  Jahrzehnte  über  die  Urgeschichte  der  Familie. 

In  China  herrschte  nach  Jiuii/  Promiskuität  bis  zn  Buddha«  Zeit1!. 

Promiskuität  war  ferner,  nach  Baegert,  in  Kalifornien  und,  nach 
Garcilasso  dt  Ja  Vega,  bei  einigen  peruanischen  Stämmen  vor  der  Zeit  der 
Inkas  gebräuchlich-). 

Weibergemeinschaft  in  bestimmten  Grenzen  bei  den  Herero  ist  auf 
s    541   d.  B.  erwähnt  worden. 

Die  Eruier.  Stämme  der  Piney  Hills  in  Madura,  lebten  nach  den 
Aussagen  zweier  Eingeborner  zu  Harkneß'  Zeit,  also  in  der  ersten  Hälfte 
des   19.  Jahrhunderts,  in  fast  unterschiedsloser  Geschlechtsvermischung s). 

Ähnliches  berichtete  Lubbock  von  den  indischen  Teehurs,  von  denen 
es  hieß:  „(they)  live  together  almost  indiscriminately  in  large  communities, 
and  even  when  two  people  are  regarded  as  married.  the  tie  is  but  nominal4)." 

Bei  den  Kodagu  in  Kurg.  gleichfalls  im  südlichen  Vorderindien,  waren 
die  Frauen  der  Söhne  einer  Familie  Gemeingut  innerhalb  der  Familie.  Man 
berief  sich  dabei  auf  die  Polyandrie  der  Dranpadi.  (Vgl.  Kap.  L, 
§  333.)  —  Den  Kodagu  galt  dieses  Familiensystem  als  nationale  Einrichtung6). 
Einzelne  Familien  dieser  Art  gab  es  noch   Kode  des  19.  Jahrhunderts. 

Von  den  Giljaken  berichtete  L.  J.  Sternberg: 

„In  einer  gewissen  Gruppe,  deren  Zusammensetzung  durch  Geschlech 
bände    bestimmt   wird,    gelten   die  Frauen,    auch   wenn   sie   einen   bestimmten 
Mann  gewählt  haben,  doch  für  gemeinsam,?).'' 

Die  Waran -Indianer  in  Guayana  halten  es  nicht  für  böse,  wenn  zwei 
Männer  ein  Weib  gemeinsam  haben,  wie  ein  alter  Manu  dieses  Volkes  dem 
Missionar  Brett  versicherte  mit  der  Bemerkung,  er  kenne  ein  Weib,  das  drei 
Männer  habe7).  — 

Zu  diesen  Tatsachen  kommt  der  voreheliche  Hetärismus  viele] 
Völker,  welcher  bereits  in  Kap.  X1.V11  zur  Genüge  nachgewiesen  worden 
ist.     Auch  hier  mögen  noch  einige  diesbezügliche  Beispiele  folgen: 

Die  zur  indogermanischen  Völkerfamilie  gehörigen  Thraker  des  Alter- 
tums ließen  ihren  Töchtern  bis  zur  Verehelichung  völlige  Geschlechtsfreiheit, 
bewachten  aber  ihre  Frauen  streng8). 

Auf  den  Balearen-Inseln,  deren  frühere  Besiedelung  durch  Phönizier 
und  Griechen  bekannt  ist.  herrschte  nach  Diodor  der  Brauch,  daß  sieh  die 
Braut  beim  Hoehzeitsgelag  mit  allen  anwesenden  Freunden  und  Bekannten, 
vom  ältesten  angefangen,  der  Reihe  nach  verband.  Den  Schluß  bildete  der 
Bräutigam9). 

Die  Töchter  der  Lokrer,  Etrusker,  äthiopischen  AugileT  und  der 
Babylonier  verdienten  sich  ihre  Aussteuer  durch  Betärismus;  in  der  Ehe 
aber  war  ihnen  strenge  Keuschheit   Pflicht. 

Auf  den  Andaman-Inseln  im  Bengalisehen  Meerhasen  fühlt  sich  der 
von  einer  Unverheirateten  zurückgewiesene  Mann  beschimpft  und  räcbl  sieh 
manchmal  an  ihr  bitter1"). 


i)  Jung,  Glob.  52,  93.     Vgl.   Rose*  Ansicht   \.  S..  Anne  2. 

2)  Ebenda. 

■     Vgl.  die  ganz  ähnlichen  Verhältnisse  bei  den  heutigen  Mannadis  oder  K  im  n  u  vans 

Palni   Hills".  Kap.  L. 
li   //    Spencer,  Principles   1.  631. 
*)  Hunter,  l»i  Jung,  Polyandrie.     Glob.  52,  S.  92. 

lob.  79.   50,    nach   einem  Vortrag  Sterilbergs   am    1.  Dezember  1900  in  der  Rusa. 
Q ■  si -lisch,  in   St.  Petersburg. 
')  Brett,  bei  Benz,  Des  fndis  ie,  S    63. 

~i  Herodot  5,  •;.  bei   Bachofen  S.  12. 

Bei   Bachofen,  ebenda.     Vgl.  Australien  f.  S. 
Nach   11.   Spencer.   Principles    1.   631f. 


§  396.     Monogamie  bei  Völkern  auf  der  historisch  tiefsten  Stufe  sonstiger  Kultur.      819 

Vom  Innern  Australiens  führen  B.  Spencer  und  Gillen  Stämme  an.  bei 
welchen  die  Braut  sich  mit  einer  Anzahl  von  Männern  nach  ganz  bestimmten 
Vorschriften  verbinden  muß,  ehe  sie  das  auch  dann  noch  nicht  ausschließ- 
liche Eigentum  ihres  Mannes  wird1). 

Freie  Liebe  vor  der  Ehe  herrscht  nach  F.  L.  Krauß2)  heutzutage  noch 
bei  den  Bauern  der  Südslawen.  — 

Wie  naheligend  es  jedoch  nach  diesen  Berichten  über  relativ  niedrig- 
stehende Völker  erscheint,  mit  Bachofen  und  Späteren  einen  Schluß  auf  all- 
gemeine Urzustände  ähnlicher  Art  zu  wagen,  so  verbietet  das  die  Tatsache, 
daß  die  monogame  Ehe  sich  gleichfalls  auf  niederer,  ja  den  nieder- 
sten Stufen  sonstiger  Kultur  findet. 

§  396.     Monogamie  bei  Völkern  auf  der  historisch  tiefsten  Stufe  sonstiger 

Kultur. 

Die  elenden  Wald-Veddahs  (auf  Ceylon),  schrieb  Herbert  Spencer*), 
leben  so  weit  zerstreut,  daß  man  von  ihnen  kaum  sagen  kann,  daß  sie  auf 
der  Anfangsstufe  menschlicher  Geselligkeit  angelangt  sind.  Bei  ihnen  ist 
strenge  Monogamie  beobachtet  worden. 

Mit  diesen  "Wald-Veddahs  sind  wohl  die  „Natur- Weddas"  des  L.  Rüümeyer 
identisch,  welche  er  einen  Stamm  nennt,  dessen  geistig- transzendent  es  Besitz- 
tum wohl  auf  der  tiefsten  Stufe  alles  Menschentums  stehe.  —  Wir  haben 
hier  demnach  die  tiefste  Stufe  materieller  und  geistiger  Kultur  innerhalb 
unseres  kulturhistorischen  Gesichtskreises.  Von  der  Ehe  dieses  Volkes  aber 
schrieb  Bütimeyer:  „Ihre  strenge  Monogamie  wird  . . .  allgemein  anerkannt.  Der 
Wedda  bleibt  seinem  eiiien  Weibe  lebenslang  treu,  die  Eifersucht  auf  ihre 
Frauen  ist  außerordentlich  groß.  Diese  strenge  Monogamie  des  kleinen  Stammes 
innerhalb  der  sie  seit  Jahrtausenden  umgebenden,  im  größten  Gegensatze 
dazu  lebenden  Kulturindier  ist  außerordentlich  markant4)." 

Die  Kulms  in  den  Urwäldern  des  südlichen  Sumatra  sind  nach 
Wilhelm  Volz ")  die  letzten  Reste  einer  uralten  Bevölkerungsschicht  der  Insel 
und  stehen  auf  einer  „außerordentlich  tiefen  Stufe"  des  Kulturlebens,  d.  h. 
sie  siud  halbe  Nomaden,  die  als  Jäger  und  Fallensteller  den  Wald  auf  der 
Suche  nach  Nahrung  durchstreifen,  teilweise  von  Fischfang  und  Waldes- 
produkten leben,  bis  vor  kurzem  kaum  eigene  Hütten  besaßen,  in  den  Gipfeln 
der  Bäume  ihre  Zuflucht  suchten  und  kaum  eine  Spur  von  Religion  aufweisen  (?). 
Ihre  Ehe  ist  „in  der  Regel  monogam";  doch  ist  Polygamie  statthaft;  auch 
legt  man  auf  die  Reinheit  der  Braut  keinen  großen  Wert,  und  die  Ehe  kann 
beiderseitig  gelöst  werden. 

Die  (»rang  Mamma,  gleichfalls  in  den  Urwäldern  Sumatras  und  eines 
der  kulturell  tiefststehenden  Völker  der  Gegenwart,  leben  in  strenger  Mono- 
gamie^). 

Auf  Celebes  sehen  F.  und  P.  Sarasin1)  in  den  T_oäla  die  Autochthouen 
der  Insel,  erwähnen  ihre  niedrige  Intelligenz,  ihre  Scheu  vor  Fremden  usw., 
aber  auch  ihre  Übereinstimmung  mit  den  Weddas  durch  Monogamie. 


i   /.'.   Spencer  and  (rillen,  The  Central  Tribes,   133 ff. 

2)  Th.   Aehelis  im  Archiv  für  Anthrop.,  Bd.  26,  903. 

3)  Principles  I.  674. 

4)  L.   Riitimeyer,  Die  Nilgalaweddas  in  Ceylon.     Im  Glob.  Bd.  83,  S.  264. 

*)  Beiträge  zur  Anthropologie  und  Ethnographie  von  Indonesien.  III.  Zur  Kenntnis 
der  Kubus  in  Südsumatra.  Im  Archiv  für  Anthropologie,  N.  F.,  Bd.  7.  S.  89,  98.  100, 
101    und    107. 

6l  Grraafland,  bei  Speiser,  Beiträge  z.  Ethnologie  der  ürang  Jlamma  auf  Sumatra. 
J   i   Arohiv   für  Anthropol,  N.  F..  IX.  76  und  85.  —  Vgl.  Kap.  LI,  §  340. 

7)  Über  die  Toäla  von  Süd-Celebes      Im  ülob.  83,  280. 

52 


820      Kapitel  LX.     Hypothesen  der  letzten  tünf  Jahrzehnte  über  die  Urgeschichte  der  Familie. 

Die  Aetas  (Ajitas).  Negritos  in  den  Urwäldern  des  Binnenlandes  von 
Luzon  (Philippinen)  haben  nach  A.  Hr.  Piehler*)  keine  festen  "Wohnsitze, 
sondern  durchstreifen  die  dichten  AVälder,  je  nachdem  sie  "Wild  antreffen. 
Aher  ihre  Ehe  ist  monogam,  und  beide  Eheleute  halten  viel  auf  Treue. 

Bei  den  Buschmännern,  deren  Kultur  Herbert  Spencer  auf  die  Stufe 
der  Kultur  der  "Wald-Yeddahs  stellte,  ist  Monogamie  Kegel.  Polygamie 
Ausnahme2). 

SS  3!)7— 399.     Vertreter  und  Gegner   der  Bachofensehen   Proniiskiiitiits- 

hypothese. 

§  397.  Die  verhältnismäßig  vielen  Völker  mit  Monogamie,  welche  §  39C> 
auf  der  tiefsten  Stufe  sonstiger  Kultur  erwähnte,  und  die  wohl  noch  vermehrt 
werden  konnten,  entziehen  der  Baehofenscheii  Promiskuitätshypothese  so 
ziemlich  den  Boden.  Sie  dürften  diesem  Gelehrten  und  seinen  Nachfolgern 
nicht  bekannt  gewesen  sein,  da  sich  sonst  ein  Festhalten  an  der  genannten 
Hypothese  schwer  erklären  ließe.  Auch  die  Gegner  verfügten  hauptsächlich 
in  den  ersten  paar  Jahrzehnten  nur  über  ungenügendes  Tatsachenmaterial, 
und  ihr  spekulatives  Vorgehen  war  nicht  immer  glücklich. 

Zunächst  suchten  auch  John  Lubbock,  M'Lennan  und  A.  H.  Post  einen 
allgemeinen  Hetärismus  der  menschlichen  Urgesellschaft  nachzuweisen.  Lubbock 
bezeichnete  diesen  hypothetischen  Urzustand  als  „communal  marriage"  (Ge- 
rn einschaftsehe),  worauf  Herbert  Spencer  eTwiderte.  er  glaube  nicht,  daß  ein 
Beweis  für  eine  uneingeschränkte  allgemeine  Geschlechtsvermischung  vorliege, 
und  selbst  wenn  es  so  wäre,  würde  der  Ausdruck  Lubboeks  unzutreffend  sein. 
Denn  im  Urzustand  habe  es  keine  sozialen  Gesetze (?)3)  gegeben,  folglich 
könne  man  auch  nicht  von  „Gemeinschaftsehen"  sprechen.  Hingegen  trat 
Spencer  für  eine  Promiskuität  in  gewissen  Grenzen  ein,  da  ihn  Abstammung 
und  Erbgang  durch  die  Mutter  nur  auf  diese  Weise  erklärbar  dünkte. 

Hingegen  bezeichnete  Peschel  die  Annahme  eheloser  Vorzeiten  des 
Menschengeschlechts  als  häßlich  und  für  unglaubwürdig,  letzteres,  weil  schon 
bei  Tieren,  z.  B.  bei  Affen,  Raub-  und  Huftieren,  bei  Sing-,  Hühner-  und 
Raubvögeln,  starke  Paarung  nachweisbar  sei'). 

Den  Einwurf  Peschels  erneuerte  Westermarck5)  im  Jahre  L889.  dein  sich 
.1/.  Winternitz*)  anschloß:  Schon  viele  höhere  Säugetiere,  z.  B.  Gorilla  und 
Schimpanse,  leben  nach  der  Geburt  eines  Jungen  zusammen,  und  die  eheliche 
Treue  der  Vögel  habe  Brehm  geschildert.  Winternite  nennt  Mc.  Lenncms 
Voraussetzung,  man  kenne  den  Vater  nicht,  wo  dieser  nicht  als  Haupt  der 
Familie  gelte,  ganz  willkürlich.  Der  engere  Zusammenhang  zwischen  Mutter 
und  Kind  als  zwischen  Vater  und  Kind  trete  durch  den  Geburtsakt,  durch 
das  jahrelange  Säugen,  durch  das  stete  Zusammensein  von  Mutter  und  Kind 
in  den  ersten  Lebensjahren  den  Natur-  und  Kulturvölkern  deutlich  genug  vor 
Augen.  Daß  Unsicherheit  der  Paternität  Mutterfolge  bedinge,  das  habe 
StarcJce  widerlegt,  indem  er  auf  zahlreiche  Völker  mit  patriarchalischen  Zu- 
ständen und  unsicherer  Vaterschaft  hingewiesen  habe7). 

§  398.  Die  Folgerung  einer  urzuständlichen  Promiskuität  aus  dein 
Mutterrecht  wies  ferner  Lothar  von   Dargun8)  zurück,  der  zugleich  auf  eine 


')  Die  Ajitas  (Aetas)  der  Philippinen.     Im  Glob.  96,  197  ff. 
2)  H.  Spencer,  Principlea  I.  <>74. 

*)   „Social    laus." 

'i   Bei    Emil  Jung,  Polyandrie  im  Glob.  52,  S.  93. 

5)  The   llistorv  ot  Human  Marriage.     Helaingfors  1889. 

"i  Zur  Geschichte  der  Ehe.     Im  Glob.   Bd.  00.  S.  129ff.,  148 ff.  und  166 f. 

')  Vgl.  Kap.  L. 

•i   Biutterrechi   und  Vaterrecht.     I.  Hälfte.     Lpzg.  1892,  S.  2f. 


§§  397—399.     Vertreter  und  Gegner  der  Baehofenschen  Promiskuitätshypothese.      B21 

Distinktion  zwischen  Mutterrecht  und  Matriarchat  drängte.  Dieses 
beziehe  sich  auf  die  Gewalt,  das  Herrschen  der  Mutter;  jenes  auf  ausschließ- 
liche Mutterverwandtschaft.  Diese  Distinktion  hatte  Bachofen  mit  „ein- 
seitigem Mutterrecht"  und  „Gyuäkokratie  in  der  Familie"1)  gemacht,  so  daß 
von  Dargun  nicht  ganz  recht  hatte,  als  er  meinte, .  dieser  Unterschied  sei  in 
der  Geschichte  der  Familie  bis  in  die  neueste  Zeit  übersehen  worden. 
Auch  Darguns  anderer  Gedanke,  daß  ausschließliche  Mutterverwandtschaft 
sieh  mit  ausschließlicher  Vatergewalt  sehr  wohl  vertrage,  findet  sich  schon 
bei  Bachofen,  und  abermals  tritt  die  Gedankenverwandtschaft  beider  hervor, 
wo  Bachofen  im  Vatertum  bloße  Fiktion  sieht  und  diese  Fiktion  über  das 
Naturrecht  (Mutterrecht)  siegen  läßt,  und  wo  von  Dargun  schreibt:  Nicht 
die  physische  Vaterschaft  isl  ursprünglich  die  rechtlich  relevante 
Grundlage  der  Sozial-  und  Familienorganisation  gewesen2).  Beide 
sprechen  dem  Vaterrecht  vom  Standpunkte  des  Naturrechtes  aus  gewisser- 
maßen die  Existenzberechtigung  ab.  Der  Versuch  L.  v.  Barguns;  das  Vater- 
verhältnis auf  dem  Grundzug  der  Gewalt  aufzubauen3),  ist  kaum  haltbar, 
wenn  man  die  Erscheinungen  auch  des  Gemütslebens  der  Völker  ins  Auge 
faßt,  denn  diese  reden  eine  ebenso  beredte  Sprache,  wie  die  Erscheinungen 
der  ..strengen  Hausgewalt  des  Vaters",  was  durch  „Das  Kind"  wohl  erwiesen  ist. 

Grosst  l)  nannte  die  Promiskuitätstheorie  eine  Jugendsünde  der  Soziologie, 
die  bereits  gerichtet  sei  und  am  besten  möglichst  bald  vergessen  weide.  Aber 
stützte  sich  dabei  auf  die  Ansicht,  es  gebe  ..kein  einziges  primitives5) 
Volk,  dessen  Geschlechtsverhältnisse  sich  eini  m  Zustande  von  Promiskuität 
näherten  oder  auch  nur  auf  ihn  hindeuteten",  und  diese  Ansicht  ist  durch 
Tatsachen  widerlegt 6). 

Gh  osses  Hinweis  auf  die  damals  viel  umstrittene  Gruppenehe  australischer 
Stämme  war  nicht  glücklich,  als  er  die  hier  einschlägige  Arbeit  Howitts 
über  die  Familienverhältnisse  der  Australier7)  mit  den  Worten  streifte:  „Er 
hat  sich  so  gründlich  in  seine  Hypothese  einer  Gruppenehe  der  prähistorischen 
Australier  vertieft,  daß  er  darüber  ganz  vergißt,  seine  Leser  darauf  aufmerksam 
zu  machen,  daß  die  historischen  Australier  in  Einzelehe  leben")."  Denn,  wohl 
schrieb  auch  Curr,  e^  gebe  unter  den  Australiern  keine  Weibergemeinschaft; 
der  Ehemann  sei  der  absolute  Eigentümer  seines  Weibes  oder  seiner  Weiber, 
und  auch  Greg  erwähnte  die  wachsame  Eifersucht  des  australischen  Ehemannes. 
Aber  diese  Verhältnisse  finden  sich  eben  nicht  bei  allen  australischen  Stämmen. 
Howitt  hatte  im  Hinweis  auf  Gason0)  die  Dieri  und  verwandte  Stämme  am 
Eyre-See  im  Auge.  Um  bloße  „Verwandtschaftsnamen",  wie  einzelne 
gner  der  Berichte  über  australische  Weibergemeinschaft  meinten,  handelt 
es  sich  doch  weder  bei  Gason,  noch  bei  den  späteren  Forschern  B.  Spencer  und 
Gillen,  deren  eingehende  Erörterungen  über  australische  Gruppenehe  und 
Promiskuität  uns  aus  Kapitel  L  usw.  genügend  bekannt  sind.  AVer  Weiber- 
gemeinschaft in  der  Urgeschichte  der  Familie  nicht  annehmen  will, 
darf  eben  von  der  Weibergemeinschaft  einzelner  historischer  Völker 

')  Bachofen,  Mutterrecht,  S.   18 
-i   Ebenda,  S.  16. 

:'>   Kbenda,  8  f.  und  28. 

*)   Die  Formen  der  Familie  und  die  Formen  der  Wirtschaft.  Freiburg  1896,  S.  43.  Anm. 

6)  Der  Ausdruck  ,.primitiv"  kann,  trotz  seiner  allgemeinen  Anwendung  auf  die  Völker 
der  tiefsten  Kulturstufe,  den  Laien  zu  Mißverständnissen  führen.  Die  Wissenschaft  kennt 
tatsächlich  kein  Volk,  das  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  primitiv,  d.  h.  urzuständlich, 
genannt  werden  kann,  weil  eben  über  den  Urzustand  der  Menschheit  einstweilen  nur  Hypo- 
thesen vorliegen.    Bei  Grosse  ist  ..primitiv"  als  auf   tiefster  Kulturstufe    stehend    aufzufassen. 

6l   Siehe  Kap.   L  sowie  S,   39,"j  des  vorl.   Kap 

7i   Im  Journal  of  the  Anthropological  Institute  XX  (1890).     Xaeh  Glob.  59    345  ff. 

8)  Ebenda,  S.  6. 

")  Gason,  The  Dieyerie  Iribe,  Adelaide  1871. 


8W?2      Kapitel  LX.     Hypothesen  der  letzten  fünf  Jahrzehnte  über  die  Urgeschichte  der  Familie. 

nicht  auf  einen  allgemeinen  Urzustand  schließen.  In  solchen  und 
ähnlichen  Schlüssen,  nicht  in  den  Tatsachen,  liegt  die  Gefahr,  zu  irren. 
Die  ausnahmslose  Anwendung  der  den  Stoff  beherrschenden  Gesetze  auf  die 
menschliche  Psyche,  also  auch  auf  die  geschlechtlichen  Verhältnisse  der 
JfenSEEheit,  sei  es  in  historischer  oder  prähistorischer  Zeit,  mußte  wiederholt 
korrigiert  weiden.  Man  übersieht  zu  leicht  die  Möglichkeit  des 
Menschen,  sittlich  zu  degradieren,  und  erfaßt  irrtümlicherweise 
den  sittlich  Tiefstehenden  als  den  zeitlich  ersten.  Je  schneller  die 
Entwicklungshypothese   von   dieser  Krankheit   zu  genesen  sucht,  desto  hesser. 

Ein  anderer  Gegner  derPromiskuitätshypothese  war  Richard  Hildi  brand '  >, 
aber  auch  sein  Ausgangspunkt  hat  vor  den  Tatsachen  zurücktreten  müssen. 
Er  schrieb: 

Die  Theorie,  daß  es  ursprünglich  noch  keine  Ehe  im  Sinne  des  Allein- 
besitzes einer  Frau  gegeben,  sondern  die  Frauen  noch  Gemeingut  gewesen 
seien,  oder  nur  sogenannte  Stammes-  oder  Gruppenehen  bestanden  haben,  und 
daß  deshalb  das  Mutterrecht,  nicht  das  Vaterrecht  das  ursprüngliche  sei.  be- 
ruht nicht  auf  Tatsachen.  Wir  begegnen  bei  Völkern,  welche  sich  noch  auf 
der  untersten  wirtschaftlichen  Stufe  (Jäger.  Fischer,  Pflanzen- 
sammler) befinden,  niemals  und  nirgends  einem  Zustande  der  Frauengemein- 
schaft oder  Promiskuität.  Vielmehr  besitzt  hier  der  einzelne  Mann  seine  Frau 
immer  ganz  ausschließlich  für  sich,  und  niemals  teilt  er  sie  mit  anderen,  oder 
findet  auch  nur  die  geringste  Spur  einesTele-iuele  zwischen  Mannern  und 
Weibern  statt. 

Diese  Sätze  suchte  auch  HUdvlnnvl  unter  anderni  mit  den  Australiern 
zu  beweisen.  Aber  gerade  in  Australien,  dessen  Bevölkerung  von  Fisch- 
fang, Jagd  und  Wurzeln  lebt.  ist.  wie  gesagt,  das  gefunden  worden,  was 
von  Hildebrand  und  andern  in  Abrede  gestellt  ist.  Fischer  und  Jäger  sind 
ferner  die  Eskimos,  bei  denen,  neben  Polygamie,  Polyandrie  nachgewiesen  ist; 
ebenso  die  Aleuten-Insulaner  mit  der  gleichen  doppelten  Eheform  usw.  - 

Auf  einen  Urzustand  mit  freier  Liebe  rohester  Art  schloß  dann  wieder 
/V//;  Schultee2),  indem  er  von  dem  „fast  schrankenlosen  geschlechtlichen 
Durcheinander-  der  Andamanen,  Apachen  und  anderer  tiefstehender  Völker 
unserer  Zeit  ausging  und  Mutterrecht.  Preisgabe  der  Braut.  Geschwisterehe, 
Weiberverleihung  und  die  Hochachtung  für  Hetären  als  fünf  „Überbleibsel" 
erfaßte. 

Bei  Kurt  Breysig*)  finden  wir  einen  etwas  unklaren  Dualismus  als 
hypothetischen  Urzustand:  Abstammung  von  einer  gemeinsamen  Stamm- 
mutter in  lockeren  Stammesverbänden  und  zugleich  einen  „ganz  unge- 
zügelten Geschlechtsverkehr".  -  -  Ob  hier  an  ein  monogames  Ehepaar 
als  Stammhalter  oder  an  eine  polyandrische  Stammutter  zu  denken  ist? 
In  beiden  Fällen  dürfte  der  ..ganz  ungezügelte  Geschlechtsverkehr"  unklar 
bleiben. 

Übrigens  riet  Breysig,  bis  zur  definitiven  Entscheidung  des  Streites, 
wenn  sie  überhaupl  je  möglich  werde,  muh  weitere  ethnologische  und  urge- 
schichtliche Untersuchungen  abzuwarten. 

Heinrich    Schürte1)  meinte:    „Die   angeblichen    Reste   und   Spuren    der 

Promiskuität  sind  nichts  weiter  als  Zeugnisse  für  die  freie  Liebe  der  geschlechts- 

cii.    alicr    noch    unverheirateten    .lugend.      Die    Ehe    aber    geht    in    ihren 


i   Recht  und  Sitte  auf  den  verschiedenen  wirtschaftlichen  Kulturstufen.    1.  Teil.    Jena 
1896,  S.    loil 

i   Psychologie  dei   Naturvölker.     Leipzig  1900,  S.  198. 
»)  Kulturgeschichte  der  .Neuzeit.     Berlin   1901,   Bd.  II.  1.  Hälfte,  S.  2—5. 
Litersklassen  und  Männerbände.     Berlin   1902,  V. 


§§  397 — 399.      Vertreter  und  Gegner  der  Bachofenscheu  Promiskuitätshypothese      8215 

Anfangen  so  weit  zurück,  wie  die  Gesellschaft  der  Menschen  überhaupt  zu 
verfolgen   ist. 

liefen  eine  hypothetische  allgemeine  Weiberherrschafi  machte  Schurtz 
entschieden  Front l):  „Das  natürliche  Verhältnis  der  Geschlechter  ist  von  denen 
vergessen  worden,  die  aus  dem  Bestehen  des  sogenannten  Matriarchats  auf  eine 
ehemalige  allgemeine  Frauenherrschaft  schließen  wollten."  Das  Weib  sei 
körperlich  schwächer  und  zeitweilig  außerstande,  sich  zu  verteidigen;  auch  führe 
das  Überwiegen  des  geschlechtlichen  Lebens  zu  einem  Zurücktreten  des  ver- 
staiulesmäßigen  Erkennens,  zur  Vorherrschaft  der  Gefühle  über  die  Gedanken  weit. 

§  3'J9.  Auch  Joh.  Richard  Mucj$fi  ist  ein  Gegner  der  Hypothese  einer 
ursprünglichen  Promiskuität,  und  wie  so  mancher  seiner  Vorgänger  verbindet 
auch  er  mit  seiner  Spekulation  einen  Erklärungsversuch  betreffs  „Mutterrecht", 
der  aber  bei  Mucke  einen  ganz  eigenen  Charakter  trägt.  „Das  Mutterrecht," 
so  schreibt  er 2),  „ist  nicht  inmitten  des  ungebundenen  Geschlechtsverkehrs 
der  Horde  hervorgegangen,  wie  viele  Phantasten  behaupten,  sondern  ist  als 
ein  Bestandteil  der  Geschwisterehe  aufzufassen."  Diese  Ehe  ist  die  ur- 
sprüngliche. Denn  solange  noch  nicht  Personen  aus  fremdem  Stamm  da  waren, 
konnten  nur  geschwisterliche  Beziehungen  vorhanden  sein. 

„In  der  Geschwisterehe  ist  selbstverständlich  Gatte:  der  Bruder  der 
Schwester:  Gattin:  die  Schwester  des  Bruders.  Erzeugen  die  Geschwister 
Kinder,  so  ist  deren  Vater  der  Mutterbruder  (avunculus)  und  ihre  Mutter  ist 
zugleich  ihre  Tante,  nämlich  des  Vaters  Schwester."  Es  besteht  also  in  der 
Geschwisterehe  das  sogenannte  Avunculat,  d.  h.  ein  Zustand,  in  welchem  der 
Mutterhruder  Vater  der  Kinder  ist.  Stirbt  er,  so  beerben  die  Kinder  in 
ihm  den  Bruder  ihrer  Mutter;  stirbt  die  Mutter,  so  beerben  sie  in  ihr  die 
Schwester  ihres  Oheims,  also  Erbschaft  in  jedem  Falle  mütterlicherseits. 

Als  Ausgangspunkt  dienten  Mache  die  Mortlock-Insulaner  Kubarys. 
Muckes  Hypothese  findet  ferner  eine  Stütze  an  den  häutigen  Geschwisterehen 
und  der  häufigen  Mutterabstammung  im  alten  Ägypten.  Aber  im  peruanischen 
Inkareich  vererbt  sich  nach  Dapper  die  Königswürde  zunächst  nicht  auf 
den  Sohn  des  vermählten  königlichen  Geschwisterpaares,  sondern  auf 
einen  Bruder  des  Verstorbenen3).  Weniger  Stütze  als  hier,  ja  gerade  eine 
Verneinung  findet  die  Muckesche  Erklärung  des  Erbgangs  durch  die  Mutter 
bei  den  Völkern  mit  Exogamie  (siehe  Kapitel  LI).  Wo  der  Vater  gewisser- 
maßen als  Fremdkörper  in  der  Sippe  des  Weibes  erscheint,  kann  Abstammung 
und  Erbgang  durch  die  Mutter  nicht  aus  der  Geschwisterehe  erklärt  werden. 
Zudem  wäre  es  ein  Rätsel,  daß  sich  aus  der  Geschwisterehe  der  Vater  nicht 
als  Vater,  sondern  als  Onkel,  und  die  Mutter  nicht  als  Mutter,  sondern  als 
Tante  in  andere  Eheverhältnisse  hinübergerettet  haben  sollte*). 


')  Urgeschichte  der  Kultur.    Leipzig  1900,  S.  9t>. 

-)  Das  Problem  der  Volkerverwandtschaft.     Greifswald  1905,  S.  87  und  90. 

')  Siehe  S.  H5-1  d.  B.  —  Nach  Sundstral  ging  die  Erbfolge  allerdings  auf  den  Sohn 
des  Geschwisterpaares  über  (Aus  dem  Reiche  der  Inkas,  S.  25).  Beim  Volk  herrschte 
Neffenerbrecht. 

4)  Es  sei  hier  noch  einmal  an  Bachofen  erinnert,  der  (nach  Ploß)  in  seinen  „Antiquarischen 
Briefen"  (Straßburg  1880)  das  Maternitäts-System  bzw.  innige  Verhältnis,  welches  uns  im 
Hütten  echt  zwischen  Oheim  und  Sehwestersohn  entgegentritt,  mit  der  Stärke  und  Heiligkeit 
der  B  lutsge  meinschaft  von  Bruder  und  Schwester  zu  erklären  versucht  habe.  Diese 
Erk  amng  widerspricht  ja  Bachofens  Ansicht  über  urzuständliche  Promiskuität  und  graduelle 
Entwicklung  der  Familie  nicht,  scheint  vielmehr  von  dieser  gestützt  zu  werden.  Denn  Bruder 
und  Schwester  haben  das  Blut  ihrer  gemeinsamen  Mutter  in  ihren  Adern,  sind  von  der  ge- 
meinsamen Mutter  genährt  uad  gepflegt  worden  und  haben  wenigstens  ihre  erste  Jugend 
zusammen  gelebt,  während  Mann  und  Weib  bei  lockern  Ehebanden  (oder  Promiskuität)  oft 
schon  bald  wieder  auseinandergehen.  —  Im  übrigen  sei  noch  einmal  auf  die  Kapitel  L  und 
LI  zurückgewiesen,  welche  bewiesen  haben  dürften,  daß  Abstammung  und  Erbgang  durch 
die  weibliche  Linie  in  keinem  notwendigen  Zusammenhang  mit  geschlechtlicher  Zügel- 
losigkeit  stehen,  und  daß  das  sog.  Mutterrecht  größtenteils  ein  Recht  der  Sippe  der  Mutter  ist. 


824      Kapitel  LX.     Hypothesen  der  letzten  fünf  Jahrzehnte  über  die  Urgeschichte  der  Familie. 

Robert  Bartsch1)  schloß  sich  in  seinem  Versuch,  das  Mutterrecht  zu  er- 
klären, Tylor,  Winternite  u.  a.  an.  Einen  Schluß  auf  urzuständliche  Promis- 
kuität erachtete  auch  er  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  nicht  für  nötig. 

Das  Vaterrecht  sei  gerade  in  der  ältesten  historischen  Zeit  be- 
sonders scharf  ausgeprägt;  ein  Übergang  jedoch  von  einem  vorgeschichtlichen 
ausschließlichen  Mutterrecht  auf  jenes  schwer  zu  erklären.  Das  älteste  arische 
Familienrecht,  dem  das  römische  und  deutsche  entstamme,  sei  jedenfalls  rein 
patriarchalisch  geordnet. 

Was  Bartschs  „älteste  historische  Zeit"  betrifft,  so  ist  aber  auf  die 
überwiegend  weibliche  Abstammung  im  Ägypten  des  14.  Jahrhunderts 
v.  Chr.,  auf  das  Neffenerbrecht  beim  Volk  im  alten  Peru,  sowie  auf  die 
mutterrechtlichen  Spuren  bei  den  alten  Indogermanen  hinzuweisen,  welche  in 
Kapitel  LI  zur  Sprache  kamen.  — 

§  400.     Die  Degradations-Hypothese.     Mythen  und  Tatsachen. 

Es  ist  bemerkenswert,  daß  Robert  Bartsch  in  seiner  eben  zitierten 
Arbeit  über  „die  Rechtsstellung  der  Frau  als  Gattin  und  Mutter"  di 
Degradations-Hypothese  einen  überwundenen  Standpunkt  uennt.  Die  Ver- 
suche, in  dem  Kulturleben  jener  Völker,  welche  andere  Formen 
des  Geschlechtsverhältnisses  kennen,  Spuren  einer  früheren  mono- 
gamen Ehe  aufzufinden,  seien  erfolglos  geblieben. 

Dieser  Satz  bedarf  einer  Korrektur.  Fassen  wir  z.  B.  die  Erzählung 
von  der  Erschaffung  des  Menschen  in  der  Genesis  ins  Auge:  Auch  wer  sie 
nur  als  Sage  anerkennt,  findet  in  ihr  ein  monogames  Ehepaar  als  die  Stamm- 
eltern der  Menschheit.  Ein  Sohn  dieses  ersten  Ehepaars,  Kain.  wird  gleich- 
falls mit  nur  einem  Weib  erwähnt,  und  die  ausdrückliche  Bemerkung,  Lamech 
habe  zwei  Weiber  genommen,  läßt  es  wenigstens  wahrscheinlich  erscheinen, 
daß  der  Verfasser  bzw.  die  Redakteure  der  Genesis  annahmen,  seine  Vorgänger 
Methusael,  Mehujael,  Irad  und  Henocli  hätten  noch  an  der  monogamen  Ehe 
festgehalten.  Später  wird  nach  der  biblischen  Darstellung  Bi-  oder  Poly- 
gamie  eine  so  häufige  Eheform,  daß  bei  5.  Moses  21.  11  — 17  eine  allgemein 
gültige  Regel  für  Israel  aufgestellt  winde,  die  sich  auf  erbeutete  Weiber  als 
Nebenfrauen  und  auf  das  Erbrecht  der  Kinder  von  Bigamisten  beziehen.  Mit 
einer  sentenziösen  Einschaltung  aus  nachpolygamer  Zeit  dürfte  die  Monogamie 
in  der  Genesis  kaum  erklärt  weiden  können,  weil  es  sonst  rätselhaft  wäre, 
da  Li  man  die  Patriarchen  und  andere  hervorragende  Männer  des  vorexilisehen 
Israel  als  Bi-  bzw.  Polyganiisten  einführte. 

Wie  die  Israeliten,  so  hielten  sich  die  alten  Mexikaner  und  Maya- 
Volker  für  die  Nachkommen  eines  Mannes  und  eines  Weibes.  Seier  brachte 
eine  hier  einschlägige  Darstellung  in  seinen  Tierbildern  der  mexikanischen 
und  der  Maya- Handschriften2).  Diese  Vorstellung  erhielt  sich  unter  den 
Mayas  und  Mexikanern  trotz  üppiger  Prostitution,  trotz  Konkubinat  und 
Polygamie. 

Auch  in  Japan,  wo  das  Gesetz  bis  in  die  neueste  Zeit  herauf  dem 
Ehemann  Nebenfrauen  und  Konkubinen  und  dem  Vater  den  Verkauf  seiner 
Trichter  zu  Prostitutionszwecken  gestattete,  finden  wir  die  Monogamie  im 
Mythus.  Der  Gott  Izanagi  und  die  Göttin  Izanämi,  vom  Vogel  Isi  tataki 
zur  Begattung  angeleitet,  gelten  als  das  erste  Ehepaar8). 


')  Die  Rechtsstellung  der  Frau  als  Gattin  und  Mutter.  Leipzig  1903,  S.  7ff.  —  I  bei 
Bartschs  Versuch,  das  Muttenecht  zu  erklären,  s.  S.  <U7,  Anm.  2:  ein  anderer  erfolgt  oben. 
In  Zts.hr.  I.  Ethnol.  42.  Jahrg.,  Berlin  1910,  S.  33. 

')  Th.  Fr.  von  Sieboki,  Nippon,  Archiv  zur  Beschreibung  von  Japan.  Würzburg 
1MI7.    B,l.   a,   S.   3 f. 


§  400.     Die  Degradations-Hypothese.     Mythen  und  Tatsachen.  825 

Nach  dem  Rigveda  war  im  alten  Indien  durchaus  Monogamie  ge- 
bräuchlich, wie  Leopold  von  Schroetter1)  schrieb.  Polygamie  habe  sich  erst 
später  eingebürgert. 

Ein  moifogames,  „von  Gott  geschaffenes  Ehepaar"  als  Urahnen  finden 
wir  bei  den  Miao,  vorchinesischen  Barbaren,  in  Kiry-tscheu,  bei  denen  zwar 
Polygamie  nicht  häutig  ist,  aber  doch  vorkommt2). 

Nach  Joachim  Graf  Pfeil  besteht  das  Ideal  der  Kanaken  im  Bismarck- 
Archipel  und  auf  den  Salomo-Inseln  in  möglichst  vielen  Weibern.  Aber 
ihre  zwei   höchsten  Wesen   sind  das  monogame  Ehepaar  Tamenit  und  Bea3). 

Derartige  Beispiele  könnten,  uhne  allzu  große  Mühe,  von  vielen  anderen 
Völkern  angeführt  werden.  Ihr  sagenhafter  Charakter  läßt  sie  wenigstens 
als  ..spur',  als  Vorstellung  eines  ursprünglich  monogamen  V erhältnisses  3er 
Geschlechter  anführen.  Zudem  findet  sich,  meines  Wissens,  im  wirklichen 
Leben  bei  den  meisten.'  wenn  nicht  bei  allen  Völkern  mit  polygamen  oder 
polyandrischen  Eheformen,  neben  diesen,  auch  die  monogame.  Diese  und  jene 
in  §  396  erwähnten  Tatsachen  bilden  /war  keinen  stringenten  Beweis  für 
monogame  Urzustände,  beweisen  aber  wenigstens  so  viel,  daß  die  Degra- 
dationstheorie in  bezug  auf  die  Eheform,  und  dadurch  auf  die 
Urgeschichte  der  Familie,  noch  immer  lebenskräftig  ist  und.  auch 
\  oiu  wissenschaftlichen  Standpunkt  aus,  noch  immer  ein  Anrecht 
hat  auf   Kxist  enz.  — 


l)  Indiens   Literatur  und  Kultur  in  historischer  Entwicklung.     Leipzig  18S..  S.    10. 

-)  Aloys  Schotter:  Notes  Ethnographiques  sur  les  Tribus  du  Kouy-tcheou  (Chine). 
Im  Anthropos  111  (1908),  420  und  IV   (1909),  327. 

:1i  J  Gral  Pfeil,  Studien  und  Beobachtungen  aus  der  Südsee.  Braunschweig  1899, 
137—139. 


Anhang  I. 

Zitate1). 

§  2.  Hindu:  L.  von  Schröder,  Indiens  Literatur  428f.;  H.  Oldenberg,  Aus  Indien  und  Iran 
86;  H.  Niehus,  Zenana  248;  E  Schröder,  Land  und  Leute  244  u.  268;  Zilelmann.  Indien 
50  u.  59;  Wilhelm  Hoffmann,  Der  Zustand  des  weiblichen  Geschlechts  73 f..  87 f.  u.  22.  — 
Singhalesen:  Bertolacci  471.  —  Zigeuner:  von  Wlishcki,  Gebräuche  374  u.  250;  der- 
selbe bei  v.  Reitzenstein,  Kausalzusammenhang  667f.  —  Perser:  Rawlinsons  Herodot  I, 
262  u.  Anm.  1 ;  Stapf  202:  Dieulafoy  325.  —  Osseten:  Ehrenzweig  273f.  u.  Anm.;  Post, 
Das  Recht  164.  —  Ind'ogerm.  Altertum:  Schröder,  Reallexikon  660f. 

§  3.  Altserbien:  Milovanovitsch  53f.  —  Alte  Preußen:  Folk-Lore  XII,  300;  Waldheim 
269.  —  Ostpreußen:  Beyer  502.  —  Germanen:  Grupp  230;  von  Reitzenstein, 
Kausalz.  673f.  —  Christliches  Mi ttelalter:  Frau:,  Kirch!.  Ucnediktioneu  II,  17711'., 
185f.  u.  223.  —  Schweden:  S.  v.  W.  382.  —  Schweiz;  Hoff  mann- Kr  ay  er  144.  — 
Böhmerwald:  Bayerl-SwejdaS'tiherberg,  Briefl.  Mitt. 

§  4.  England:  Folk-Lore  II,  54,  67  u.  10911'.;  Oountry  Folk-Lore  I,  11  und  III,  151.  — 
Irland  u.  schottische  Hochländer:  D'Arbois  153f.  —  Römer  (alte):  Mommsen 
1,  162.  —  Korsika:  Ehrenzweig  273f.  Anm.  —  Catalonien:  Frau  Michael-Breslau. 
Persönl.  Mitteil.  •—  Frankreich  u.  Kanada:  Le  Tour  du  monde  1910,  p.  2941'.; 
Sebillot  56f.  u.  145;  Globus  59,  62.  --  Griechen  (alte):  J.  Burckhardt,  Gr.  K.  I, 
78  u.  IV,  411;  Aristoteles,  Politik,  Ausg.  u.  Übers,  v.  Stahr  VII,  cap.  14,  10. 

§  5.     Tschetschenzen  (Kaukasusvolk):  Dirr,  Die  alte  Religion  1054,  1059  u.   1062. 

§  6.  Babylonier:  Hammurabis  Gesetze.  Übers.  Windeier,  §§  144—147;  D'Arbois  113  u. 
Anm.  Hebräer,  alttestament liehe:  1.  Moses  15.  1—3;  16,  1  u.  2;  30,  1—:! 
u.  911'.;  16,  4l'f.  —  Juden,  südrussische:  Weißenberg.  Beiträge,  315.  —  Syrien: 
Denl;T2.  —Araber:  MusillU.  214:  Man:..,,'/  52;  Lanel,  80  u.  257.  —  Trip  olita  nie  n  : 
Lyon  211    u.  292;  wo«  Maltzan,  Reisen  II.  22911. 

§7.    Ägypter,  alte:    Wolf  tili.  —  Kabylen:  Schönhärl,  in  Völkerschan  III.  148;  Honot< 

Letoumeux,  II,   174f.   —  Ibäla;  Schluh:  E.   Westermark   Folk-Lore  XVI,  28,  32.  - 
Berber  (im  Großen  Atlas):    Hooker  and  Ball  209.  —  Somal:    Button.    First    Footst. 
31.  —  Njam-Njam:    Schweinfurth   175  u.  243. 

§  8.  Bambara:  Henry,  Anthrop.  III,  708.  —  llaussa,  Kolk-Lore  XXI.  199.  —  Gold- 
küste: Vortisch  280.  —  Hoer  und  Bassari  in  Togo:  Fies  75;  Klose  313;  Luschan, 
Heiträge  48.  —  Dahome;  SkertchlyilO;  Burton,  A  Mission  II,  162f.;  Weißenborn  \\* 


')  Zur  gefälligen  Orientierung:  Die  Paragraphen  (§)  entsprechen  jenen  des  Textes. 
Die  Namen  der  Völker,  bzw.  Länder  usw.  sowie  der  Schriftsteller  innerhalb  des  ent- 
sprechenden Paragrapheu  folgen  sich  regelmäßig  in  den  Zitaten  so,  wie  sie  sich  im  lext 
d.  v.  W.  folgen.  Lücken  in  den  Zitaten  und  mangelhafte  Zitate  kommen  »t.  Sie  sind  ■ 
es  darf  wohl,  ohne  die  Plofl  schuldige  Pietät  zu  verletzen,  bemerkt  werden  —  größtenteils  aal 
diesbezügliche  Mängel  in  den  Auflagen  1  n.  2  zurückzuführen.  Einzelne  Helege  gingen  aber 
auch  dei  Bearbeiterin  dieser  3.  Auflage  während  der  mehr  als  fünfjährigen  Arbeit  verloren. 
Ergänzungen    zu    diesen  Zitaten  linden  sich   in  Anhang  II. 


Anhang  I.     Zitate.  9  827 

Adauiaua:  Pussarge  203f.  ßorau:  Lyon  159.  —  (Dualla)  Pauli  17.  —  Bantu: 
ain  untern  Kongo:  Weeks  419.  —  Herero:  H.  von  Franeois  195  u.  C00.  —  Suaheli: 
Veiten  31'..  28f.  u.  lOOf.  —  Sansibar:  Burton.  Zanzibar  1,  464.  —  Uganda:  Glob. 
Bd.  96.  S.  33  (nach  Rev.  J.  Roscoe).  —  Wapororo:  Fabry219  u.  222.  —  Wadschagga: 
Gutmann  19St.  —  Vau  und  Makonde:  Weule  342.  —  Mkulwe:  Hamberger,  Anthrop. 
V,  800  und  IV,  310.  —  Amazulu:  Callaicay.  Keligious  System  182.  —  Kaffern  in 
N  a  t  a  I :  Sliootcr  82  u.  85  ff.  —  N  e g e  r  s  k  1  a  v  i  n  n  e  u  auf  den  Antillen:  Labat  II,  120 f. 

:§  9.  Hottentotten:  Kolb  453;  Fritach91;  H .  von  Franeois  214f.  —  Namib-Buschleu  te: 
Trink  168.  —  Auin  -Buschleute:  H.  Kaufmann,  Die  Auin  157. 

!§  10.     Madagaskar:  Keüer  65;  Camboue  988.  —   Batakker:    Ködding  91f.;    Warneck  48. 

—  Dajaken:  Spenser  St.  John  I,  47  ff.  —  Java:  Metzger,  Herrscher  42.  —  Karolinen: 
Semper  138:  Senfft,  Gefühlsleben,  Völkerschau  111,  22.  —  llarschall-Inseln:  Senfft, 
ebendort.  —  Nauru:  Brandeis  77 .  —  Samoa:  Turner.  Samoa  81  f.  —  Fidschi-Inseln: 
Rangier  1003f.  —  Bismarck-Archipel:  Graf  Pfeil,  Studien  30ff.  —  Neu-Guinea: 
Krieger  165,  174,  292f.,  301  u.  390;  Hagen,  Unter  den  Papuas,  241  Anm.  —  Warra- 
munga:  Spencer  and  Gillen  330f. 

:§  11.  Korea:  Hamilton,  Korea  36.  —  Japan:  Rein  I,  587;  Hirai  37.  —  China:  Stenz 
29,  37,  42  u.  206f.:  Dols  761;  Kathol.  Missionen  1910,1911.  S.  25;  —  Cambodja: 
Globus  48,  109.  —  Annaraiten:  Globus  58,  266.  —  Thai:  Bourlet  358f. 

§  12.  Todas:  Marshatt  199,  208  u.  214.  —  Munda-Kolh:  Jellinghaus  in  Ztschr.  f.  Ethnol. 
1871,  III,  363. 

§  13.  Mordwinen:  Äbercromby,  The  Beliefs  99  u.  106.  —  Türkei:  v.  Hammer.  Ausland 
1877.  S.  791.  —  Turkestan:  von  Seidlitz,  Sprichwörter  333.  —  Baschkiren:  v.  Stenin, 
D.  neue  Forschung,  156.  —  Burjäten:  Jacobsen-Genest,  Gl.  Bd.  51,  S.  13  u.  Bd.  52, 
S.  16.  —  Ostjaken:  Patkanow  I,  139f.  II  83ff.;  Brehm,  Vom  Nordpol  364 f.;  Finsch, 
Heise  431.   —  Jakuten:  St.   Petersb.  Zuschrift   Bd.   9  S.  20711'. 

§14  Giljaken:  von  Schrenek  III,  638ff.;  Pilsudski,  Schwangerschaft  760  u.  762.  — Aiuu: 
Ebenda.  769  u.  772.  —  Kam tschadalen:  Steller  349f.  —  Eskimo,  grönländische: 
Saabye  27:  Helms  121  f.:   Nansen,  Eskimoleben  I20ff. 

§  15.  Tinneh:  Gibbs  1 97 ff.  —  Nutka:  Bancroft  1.  197.  —  Kanada-Indianer:  De 
Lahonion  378.  —  Nadowessier:  Carver  S67f.  —  Omaha:  Globus  50,  :!48.  — 
Florida:  Torquemada  II,  444.  —  Karaiben:  Dapper,  D.  Unbekannte  207:  Du  Tertre 
II,  379.  —  Maya:  Bancroft  II,  678  u.  Anm.  —  Altes  Mexico:  Sehr.  Codex  Borgia 
II,  19Sf.  u.  211:  Torquemada  II,  448.  —  Tezcoco,  Pipiles:  Bancroft  11,  678  u.  Anm. 
u.  269.  —  Tepecano-lndianer:  Fehlinger  292.  —  Altes  Peru:  Torquemada  II,  398. 
Chanchamayo-lndianer:  Grube  45.  —  (ruaicuru:  Bastian.  Kulturl.  2,  658.  — 
Schingu-Stämme:   Von  den  Steinen  87.  —  Vahgan:  Globus  47,  33'. 

§  17.  Mungeli  Tehsil:  Gordon,  p.  3.  —  Transsyl vanische  Zeltzigeuner.  Von 
W'lislocki.  Gebr.  250.  —  Au,  Kanton  St.  Gallen:  Hoffmann-Krayer  144.  —  Spanisch- 
portugies.  Volksglaube;  Ilocanen:  Blumentritt  Glob.  48,  2C0.  —  Fessan:  Lyon 
184f.    —  Fidschi-Inseln:  Marzan  401f.;  Rougier  996. 

§  18.  Prabhus:  Kritikar  75f.  —  Bilaspore- Distrikt:  E.  M.  Gordon  5f.  —  Suffolk: 
Country  Folk-Lore  I,  lOf  —  Wakilindi  u.  Waschamba:  Storch  312.  —  Batak: 
II 'arnerk  47 f.  —  Saibai:  W.  Schmidt,  D.  St.  d.  A  ,  900  Anm.  4.  Nauru:  Brandeis  59 
u.   77.    —    Alte  Mexikaner:    Bancroft   11,  1671'. 

i:   19.     Oberpfalz:  Schönwerth,  Aus  d.  Oberpf.  I,  151.  —  Iglauer  Sprachinsel:  Piger  252. 

—  Nikobaren:  H  W.  Vogel,  Ztschr.  f.  Ethnol.  1875,  S.  18S;  Derselbe,  Vom  ind. 
Ocean  294.  —  Nauru:  Brandeis  ."'9  u.  77.  —  Noefoor:  Van  Hasselt,  Ztschr.  f. 
Ethnol.  1877,  VIII.  183.  —  Oroken  u.  Aiuu:  Pilsudski,  Schwangerschaft  765.  — 
(üljaken:  Derselbe  763. 

S  20.  Bombay:  Kritikar  75f.  —  Transsylv.  Zeltzig.:  Von  Wlislocki,  Gebr.  347  f  — 
Europ  Völker:  Heilung  125.  —  Iglau:  Piger  252.  —  (Alte)  Römer:  Festus,  De 
verb.  signif.  quae  supersunt  85;  Bartholinus,  I8f.;  v.  Siebold,  Vers,  einer  Gesch.  d.  Ge- 
burtsh.  I.   114:  Ehrenzweig  276f.  — Chaldäer:   Lehmann,  Aberglaube  41  f.  —  Ewe 


828  Anhang  I.     Zitate. 

Zündel  in  Zeitschr.  d.  Ges.  f.  Erdk.  z.  Berlin  1877.  XII.  291.  —  Togo:  Herold  146.  — 
Brasilianische  Negerinnen:  Etienne Ignace,  Le  fetishisme  903.  — Bavili:  Dennett 
380f.  —  Bakwiri:  Seidel  390.  —  Bantu  am  unteren  Kongo:  Weeks  419f.  — 
Makonde:  Weide  384.  —  Indonesien:  Bouchal  232 ;  Kbdding  109;  Grabowsky  209  f. 
—  Celebes:  Riedel,  Zeitschr.  f.  Ethnol.  1871,  S.  403.  —  Dajaken:  0.  -  Kessel  in 
Zeitschr.  f.  allg.  Erdkunde,  N.  F.,  Bd.  3  (1857),  S.  390.  —  Jap:  Senfft,  D.  R.  d.  J.-E. 
142.  —  Australien:  Oberländer  im  Glob.  4,  280.  —  Japan:  Petersb.  med.  Zeitung 
1862.  III.  —  Tibet  u.  Mongolei:  Koppen  320.  —  Chinesen:  Dols  765.  —  Mord- 
winen: Äbereromby,  The  Beliefs  117.  —  Esthland:  Krebel,  Volksmed.  21.  —  A  mos: 
Frhrr.  v.  Siebold.  Xippon  II,  247. 

§  21.  Völker  Indonesiens  (Menta  wei):  Plegie  24.  —  Fidschi- Insel  n:  Rougier  996.  — 
Wakua:  von  Behr  S3.  —  Wapogoro:  Fdbry  223.  —  Bantu  am  unteren  Kongo: 
Weeks  419 f.  ■ —  Auin-Buschleute:  Hans  Kaufmann  157.  —  Ainu:  PtfetwZsW, 
Schwangerseh.  769.  —  Indianerinnen  am  Hudson:  Däpper,  Die  Unb.  150.  —  Alte 
.Mexikaner:  BancroftYL,  2r>7.  —  Tapuya:  Dapper o.e.  566.  —  Tehuelhet:  Moreno 445. 

§  22.  Transsylv.  Zelt  zigeuner:  von  Wlislocki,  Gebräuche  250.  —  Liebauer  Tal:  Pat- 
owsky  55.  — Ngumba:  Conradt  337.  —  Makonde:  Wetde  386.  —  Wasiba:  Reise 
.  im  Glob. 98,  77.  —  Howa:  Camboue  '.'s4.  —  Xias:  J.  II".  Thomas  im  Glob.  39,  U.  - 
Indonesien:  Pleyte  24.  —  Jap:  Se/i//'f.  D.  K.  d.  J.-E.  142.  —  Nauru:  Brandeis  59.  — 
Fidschi-Iusul.:  Rougier  996.  —  Papua:  Kri<,j,r  104t..  293  u.  390.  —  (Kuni): 
Egidi  754.  —  Urabunna,  Annita.  Kaitisch.  Warramunga,  Gnanji  u.  Binbinga 
(Zentral-Australien) :  Spencer  and  GiZte»!  614.  — «\inu:  Püsudski  o.  c.  763.  —  Caraja: 
ro/(  Koenigswald  237.  —  Araua:  Chandless  im  Ausland  1870.  S.  450.  —  Karaiben: 
Brett,  The  Ind.  Tribes. 

§  23.     Nias:  .7.  II".   Thomas  im  Glob.  1S81  Bd.  39,  S.  14.  —  Dajaken:  Grabowsky  269f.  — 
Jap:  Senfft,  D.  K.  d.  J.-E.  142.—  Nauru:  Brandeis  59  u.  77.  —  Papuas:  A7< 
164t.    u.   293.   —   Urabunna   u.    Unmatjera:    ^peweer    u.    CriMen    614.    —    Khasis: 
Gwrdon  66.  —  Ainu:   Püsudski,  Schwangerschaft  763. 

§  21.     Huzulen:    Kaindl   im  Glob.   69,  73,  Karlsbad  u.  Umgebung:  Schaller  179.  — 

Kurisch.'  Nehrung:   >  in   289.    --   China:  ».   Martins,   Abhandl    S.  64. 

5  L'5.  Liebauer  Tal:  Patschovsky  55.  —  Mark  Brandenburg:  Praloi  183.  —  Karls- 
bad u.  Umgebung:  Schaller  179    —  Oldenburg  usw.:  Hellwig,  der   Eid    125. 

§  26.  Khasi:  i,,i,-J,,,i  66.  —  Prabhu:  Krilikar  75t'.  —  Altes  Indien:  Susratas  Ayur- 
/s  11,39.  —  Tr  a n  s  s y  1  v  a  n  i  s  c  h  e  Z  e  1 1  z i ge  u  n  e  r :  Von  Wlislocki,  Gebr.  250.  —Araber: 
Zachariae  111.  —  Ngumba:  Conradt  337.  —  Basuto:  Cartwrighi  248.  —  Makonde: 
Weule  385f.  —  Hova  (Madagaskar):  Camboue  984.  —  Fidschi  -  Insulaner: 
Rougier  996.  —  Unmatjera:  Sjpencer  u.  ffüfe»  606.  —  Azteken  (Mexiko):  Bastian. 
ü.  C.  d.  A.  A.  2.  65S,  Anm.  2  u.  659.  Anin.  3.  —  Callegari:  L'Antico  Messico  II,  123 

§  28.     Böhmen   und   Mähren:   Grohmann,    Aberglauben   114.  —  England:  Jones-Kropf 
378.  —  Xeugrieehen:  B.   Schmidt,  D.  Yolksleb.  d.  Neugriecheu  212.  —  Neger  auf 
Jamaica:    Folk-Lore  XV,  210.    --   Assinie:    Reichenbach,  Glob.  59,  176.  —  Bantu 
am  untern  Kongo:   Weeks  420.  —  Ilocanen:  Blumentritt,  Glob.  Bd.  48.  v   20(1 
Mongolen:  .1/.  o.  Beguelin  209    —  Magyaren:  Jones-Kropf  378. 

§  29  Südslawen:  Kraus,  Slav.  Volksforsch.  147.  —  Schwaben:  Birlinger,  Sitten  und 
Rechtsbr.  II,  234.  —  Karlsbad:  Schaller  179.  —  Seh  weiz :  Rochhoh,  Alcm.  Einder- 
lied 280.  —  Siebenbürger  Sachsen:  Hiüner,  Gymnasial-Programiu  15.  —  Nor- 
wegen: F.  Liebrecht,  Z.  Volkskunde  324.  —  England:  II'.  Henderson,  Notes  of  the 
folklore,  p.  14.  —  Island:  J.  Grimm,  Deutsche  Mythol.  2.  Ausg.  II,  1844.  S  B28; 
Fischart,  Gargantua,  Kap.  28  u.  39.  —  Gräco-Wal  achen :  Sajatzkis  136f.  —  Ja- 
maica: Kolk-Lore  XV,  210.  —  Mordwinen:  Äbereromby,  The  Beliefs  105.  — 
Kurische  Nehrung:  ./  r.  Negelein  im  Glob.  82,  238.  —  Giljaken:  Pilsudski, 
Schwangerschaft,  im  Anthrop.   V.  75s 

§  30.  Polnisches  Oberschlesien:  W.  Nehring  3ff.  —  Kranken wald:  Flügel,  Volksmed. 
49.—    Bayr.  Rheinpf.:  Land-  u.  Volksk.  d.  b.  Rh    346.  —  Schwaben:    Bück,   Med 


Anhang  I.     Zitate.  829 

Volksgl.  56.  —  Schweiz:  Rochholz,  Alem.  Kinderl.  280.  —  Böhmerwald:  Bayerl- 
Schweyda,  Schriftl.  Mitt.  —  Karlsbad  u.  Urug. :  Schaller  179.  —  Iglauer  Sprach- 
insel 6,  253.  —  Gräco  -  Walachen  in  Monastir:  Sajatzkis  135f.  —  Amärin,  Arabien: 
Musil  III,  215.  — Somali:  Maggenmacher,  Peterm.  Mitt.,  Ergh.  47,  29. —  Wahuma: 
Perty,  Authrop.  II,  272.  —  Noli-  und  Meta-Galla:  Glob.  Bd.  46,  S.  175.  —  Hoer: 
Fies  75.  —  Hova:  Camboue  985.  —  Makassaren  u.  Bugi:  Verh.  d.  Berl.  Gesellsch. 
f.  Anthrop.,  Ethnol.  u.  Urg.,  Berlin  1892,  S.  233 f.  —  Papuas  in  Kaiser-Wilhelms-Land 
u.  Holländisch-Neu-Guinea:  Krieger  165  u.  :.90.  --  Fidschi:  Rougier  II,  996.  — 
Australien  am  unteren  Murray:  Jung  in  „Die  Natur"  1878,  S.  ^02.  —  Zentral- 
Australien  (Kaitisch,  Warmiunga,  Binbinga):  Spencer  u.  Gillen  607f.  —  China:  »ti 
Martins,  Abhandl.  üb.  Geburtsh.  d.  Chines.  Ü0.  —  Dsungaren  u.  Kalmücken:  Krcbel, 
Volksmed.  56.  —  Grönländer:  H.  Rink,  Danish  Greenl.  205.  — Ameriuden  (Tschero- 
kesen-,  Kiowas-  u.  Cheyenne-Indiauer):  Mooney,  The  Ind.  Navel  Cord.  197.  —  Maya- 
Völker  (Guatemalteken):  Bancroft  II,  679  u.  Anm.;  Torquemada  II,  448.  — Mexiko: 
Bastian,  Die  Kulturländer  2,  659,  Anm.  3.  —  Tapuya:  Dapper,  D.  Unbek.  418.  - 
Peruaner:  Baumgarten,  Allg.  Gesch.  II,  199. 
§  31.  Mecklenburg:  A'.  Bartsch,  Sagen  43.  —  Karlsb.  u.  Umg.:  Schalter  180.  —  Schweiz 
(Aargau):  Rochholz,  Alem.  Kinderl.  2S4;  Mannhardt  50;  (Bern)  Rothenbach,  Volksthüml. 
14.      -  M'Bengas  u.  Ind.  Arch  :  Andree,  Ethn.  Par.  22f.  —  Fidschi:  Rougier  996. 

—  Maori:  Hooker,  Journ.  of  the  ethnol.  Soc.  of.  Loud.  1869,  S.  72. 

$  32.  (Vormoh.)  Araber:  Robertson  Smith  154.  —  Howa:  Camboue  988.  —  Nayas: 
Bancroft  II,  679 

§  33.  Hindu:  Rose,  Uulucky  Children  OUT.  —  Singhalesen:  Knox  92. —  Transsylva- 
nische  Zeltzigeuner:  von  Wlislocki,  Festgebräuche  3C0.  —  Karlsbad  u.  Umgeb.: 
Schaller  179.  Katscher:  Drechsler,  Sagen  26.  —  Bern:  Hoffmann-Krayer,  Volksmed. 
144.  —  Neapel:  J.  B.  Andrews  9.  —  Azoren:  Longworth  Dames  and  Seemann  142.  — 
Rumänien:  Prexl,  Geburts-  u.  Totengebr.  27.  —  Chaldäer:  Alfred  Lehmann  50f.  — 
Arabia  Petraea:  Musil  III,  215.  —  Ägypter  (alte):  Herodot  3,  12;  J.Wolf,  A.  d. 
Privat!,  6771'.  — Howa:  Camboue  C87f.  —  Dajaken:  Grdbowsky 270.  —  Ilocanen: 
Blumentntt.  Glob.  48,  200.  —  Kan-su:  Dols  7651'.  —  Korea:  Watters  83.  —  (Buddhi- 
stische) Mongolen:  .1/.  v.Bcguelin  209.  —  Musquakie:  Owen  63f.  —  Nahua-  Völker 
inkl.  Mexikaner:  Bau croft  II,  253 f.  u.  2711'.:  Dellenbaugh  373;   Torquemada  II,  449. 

5;  34.  Hindus:  The  Folk-Lore  VI,  76.  —  Drahwener  (Wendland):  Tetzner,  D.  Drahwener 
271.  —  Humanen:  Prexl,  Glob.  Bd.  57,  S.  27.  — Sparta:  Herodot  VI,  Kap.  61.  — 
Xeugriechen:  Thumb  128f.  --  Lesbos:  Folk-Lore  VII,  145f.  —  Karpathos: 
./.  1h.  Beut,  Glob.  Bd.  50,  S.  94f.  —  Burjäten:  Mclnikow,  Glob.  75,  132.  —  Mord- 
winen: Abercromby,  The  Beliefs  65  ff.  —  Giljaken:  Genest,  Glob.  52,  522.  — 
Mexikaner,  alte:  R.  Andree,  Ethnogr.  Parallelen,  N.  F.,  23;  Scherzer,  Glob.  66,  161  f. 

§  36.  Wachietschi:  P.  v.  Stettin,  Glob.  Bd.  78,  S.  79.  —  Abchasen:  K.  v.  Seidlitzr  Glob. 
06.  20.  —  Syrien:  Hoffmann,  Der  Zustand  151.  —  Arabische  Beduinen  der 
prä-islamischen  Zeit  u.  der  Gegenwart:  De  St.  Elie  65f.  —  Ägyptische 
Araber:  Laue  II,  275.  —  Araber  der  tunesischen  Ostküste:  Filzner  222.  — 
.Maurische  Nomaden  der  westl.  Sahara:  Douls  25.  —  Kabylen:  Schönhärl 
148.  —  Somäl:  Paulitschke  30.  —  Ngumba:  Conradt,  Glob.  Bd.  81,  S.  337.  - 
Basutos:  M.  Cartwright  250.  —  Hottentotten:  Kolb  447.  —  Südwestliches 
Australien:  Salvado  3101'.  —  China:  A.  R.  Wright  295;  W.  Hoffmann,  Der 
Zustand  107  u.  131.  —  Thai:  Boariet  359.  —  Jakuten:  St.  Petersb.  Zeitschr.  9, 
218.  —  Mayas:  Bancroft  II,  679. 

§  37.     Northumberland  u.  Yorkshire:  Gutch  II,  287.  —  Lesbos:  Folk-Lore  VII,  145. 

—  Araber:  Robertson  Smith  154.  —  Ägypten:  Lane  II,  275.  —  Maurische  No- 
maden: Douls,  Erlebnisse  25.  —  Neger  der  Goldküste:  Tortisch  281.  —  Msua- 
heli:  Veiten  3ff.  —  Namib-B  uschleute:  Trenk  168.  —  Auin-B  uschleute: 
//.  Kaufmann  158.  —  Madagaskar:  C.  Keller  65f.  —  Mentawei-Inseln :  Plegie  24. 
Indonesischer  Zahlenglaube:  Bouchal2'i2.  —  Nauru:  Brandeisll.  —  Marschall- 


830  Anhang  I.     Zitate. 

Inseln:  Erdland  110.  —  Samoa:  Kubary,  A.  d.  s.  F.  70.  —  Papua:  Krieger  164  u.. 
294.  —  Kaitisch:  Spencer  u.  Grillen  606f.  und  336  f.  —  Tunguse:  St.  Petersburger 
Zeitschr.  Bd.  9  (1823),  S.  307.  —  Mordwinen:  Abercromby  106.  —  Giljaken:  von 
SchrenckUI,  640.  —  A'i'nu:  Pilsudski,  Schwangerschaft  764f.  —  K  am  t  schadalen  : 
Steiler  349f.  —  Mixteken:  Baneroft  II.  280.  --  Alte  Mexikaner:  Baneroft  II. 
276.  —  Mayas:  Baneroft  II,  679.  —  Guatemala:  Torquemada  II,  448.  Knsko: 
(Cuzco)  Dappcr  D.  Unb.  339.  —  Chili:  Derselbe,  634.  —  Nordwestliches  Brasilien 
(Uaupe,  Isana,  Tuyuka,  Siusi  u.  Kobena):  Koch-Grünberg,  Women  374. 

§  38.  Whitby:  Country  Folk-Lore  II.  284.  —  Arabische  Stämme:  Musü  111.  215f.  — 
Msuaheli:  Veiten  3ff.  —  Madagaskar:  Camboue  986.  —  Neupommern:  H.  Schürft 
96.'—  Marschall-Inseln:  Erdland  110.  —  Peking:  Stenz,  Z.  P.  V.  274.  —  Thai: 
Bourlet  361  f.  —  Alte  Mexikaner:  Baneroft  II,  276.  --  Tupinamba:  Lery.  bei 
Benz,  Des  Indianers  Familie  39. 

§  39.  Wachie  tschi:  von  Stenin,  Geburts-  u.  Hochztsbr.  79.  --  Catalonien:  Frau  Julita 
Michael-Bres\a.u,  Pers.  Mitt.  —  Wakilindi  u.  Waschamba:  Storch  312.  —  Howa: 
Camboue  985  f.  —  Nauru:  Brandeis  77.  —  Peking:  Stenz,  Z  P.  V.  275.  — 
Tschuktschen:  Cremat  2Sli.  —  Altes  Mexiko:  Baneroft  II,  276. 

§  40.  Alte  Germanen:  Grupp,  K.  d.  a.  K.  u.  G.  258.  ■-  Arabische  Stämme  (Teräbin, 
'Azäzme,  Tijäha,  Zulläm,  Sa'idijjin  u.  'Amarin):  Musü  III,  216.  —  Vormohammed. 
Araber:  Bobertson  Smith  lJif.  —  Bassari:  Klose,  Glob.  83,  313.  —  Uganda: 
Glob.  96,   33    (nach   Rev.    J.    Roscoe).  Iban:    Nyuak    166.    —    Nias:    Suder- 

mann, tilob.  59,  373.  —  Khämti  u.  Singphu-  Gramatzka  :,65.   —  Ainu:   Pike: 
Schwangerschaft  766.   —   Guatemala:    Torquemada  II,  448. 

§  41.  Konstantinopel:  Th.  Zachariae,  Ztschr.  d.  V.  f.  Volkskunde  20,  141f.  --  Araber 
(Hanägre):  Musü  III.  Ll4;  1'.  de  St.  Elie,  Anthrop.  III.  64.  —  Somali:  Parditschke  30. 

—  Wapogoro:  Fabry  223.         Wakonde:  von  Behr  79.  --    Kaffer:    Fritsch   I07f. 

—  Mentawei -Inseln:  Plegie  24.  —  Samoaner:  Kubary,  A.  d.  s.  F.  70.  —  Kaitisch: 
Spencer  u.  Grillen  606f.  —  Chinese:  Z)o/s  767.  —  Maskoki-Indianer:  Owen  64.  — 
Tupinamba:  Lery,  bei   M'ȣ.  Des  Indianers  Familie  39. 

§44.'  Armenier:  Bendel  Harris  445.  —  Russen:  P.  v.  Stenin  im  Glob.  57.  283.  — 
Gral,, na  na.  Abergl.  14.  —  Karlsbad  u.  Um«.;  Schallerl8l.  —  Böhmerwäldler:  BayerU 
Schweyda,  Schriftl.  Mitt,  —  Herbersdorf  (Schlesien):  Steig  14,  425.  —  Poln.  Ober- 
schi.: W.  Nehring  7.  —  Liebauer  Tal:  Patschovsky,  Beitr.  45  u.  55.  —  Wenden 
d.  Lausitz:  Haupt  u.  Schmaler,  Volksl.  II,  268.  Masuren:  Toppen,  Abergl.  19.  — 
Island:  Maurer,  Island.  Volkssag.  (p.  ?).  —  Irland  inkl.  Hebriden:  Ausland  1S77. 
S.438;  l.el.1,,,1  /..  Duncan  163 f. ;  J.  Britien91t  -  Nördl  England:  Hardy,  Denham 
Tracts  137  f.  -  Norddeutsche  B  :  Kuhn  u.  Schwartz,  Nordd.  Sag.  91,  120  n.  421: 
Kühn  in  Vonderhagens  Jahrb.  IX,  !)5.  —  Franken  (Spessart):  Bavaria  IV.  I,  201. — 
Rumänen:  Prexl  im  Glob.  57,  27.  —  Ajab.  Petraea:  Mtail  1 II,  323.  —  Suaheli: 
Veiten  26.  —  Magyaren:  Jones-Kropf,  Introd.  XIV. 

§45.     Hindus:  Folk-Lore  Journal  VI,  77.  —  Waehietschi:  P.  8.  Stenin,  D.  G.  u.  H.  d.W. 
Glob.  78,    S.  79.   —   Transsylv.   Zeltzig.:   ron  Wlislocki,  Gebr.  260f.   —    Persien 
Polak,   Persien  T,   122.  —  Armenien:  Bendel  Ilanix  4451'  —  Rußland:  V.   e.  Stenin, 
Glob.  57.  285;   Krebel,    Volksmedizin  139.  —  Kurische  Nehrung:  J.  ron 
Abergl.  289. —  Serben:  Kanitz,  Serbien;  Petrowitsch,  Ausland  1876,  26,  S.  516.  --  Süd- 

slawen     (in    Österreich):     ebenda.  Krakau:     Kopernicki,     Des    idees     i I. 

Preußisches  Mittelschlesien:  Aug  Baumgart,  Aus  d.  m.  Dorfleben,  in  Z.  A.  V.  f.\  .. 
3.  Jahrg.  L49.  —  Karlsbad  u.  Umg.:  Schauer  1801.  -  Böhmerwald:  /■ 
Schweyda,  Schriftl.  Mitt,  Glasuren:  Pisansky,  BLöoigsb.  Frag.  u.  Anz.  1756,  Nr.  22. 
S.  5;  Toppen,  Abergl.  18f.  —  Lothringen:  Br.  Stehle,  Glob.  59,379.  Schweiz: 
Rochholz,  Alem.  Kinderl.  289.  —  Tirol:  „Jlorgenblatt"  1865,  Nr.  32.  764.  -  Noi 
wegen:  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  320.  —  Wales  u.  Ins.  Uanx:  Bhys  288.  — 
Countj  Leitrim:  Leland  /..  Duncan  1631'.  Schottland:  J.  Napier,  Folk-Lore 
1879.    —    Shetland-Ins.:    Countn     Kolk-Lore    III.    22  1V.     o.    31.    -       Bret« 


Anhang  I.     Zitate.  831 

0.    Ferrin    du    Finistere,    Gal.    ßret.    —    Appen.    Marken:     Pigorini-Beri,    Glob. 
59,  341.   —   (Alte)   Griechen:   Qu.  Sereni  Samonici  de  medic.  praec.  CLIX  v.  1044; 
Ovid,  Fast.  VI,  v.  131.  —  Neugriechen:  Bybilakis,  Neugr.  Leb.  74. 
§  46.     Chewsuren:  C.  v.  Hahn,  Glob.  76,  208.   --   Imeretier:  Glob.  80,  305  f.   —   Chal- 
däer:    Alfred  Lehmann   36.   —   Juden:   Ploß-Bartels,   D.   Weib,   8.  Aufl.    II.    4'24ff.; 
Goodrich- Freer    186.    —    Maroniten:    Chanali,    Anlhrop.    V,    744.     —    Assyrer    u. 
Akkader:  Lenormant,  La  Magie  35.  — Oberägypteu:  Khmzinger  im  Ausland  1840, 
Nr.  40.   —   Sokna:   Lyon  313.    —    Bakama  -  Neger :    Clavel   36.   —    Wai  -  Neger: 
O.  Baumann,  Glob.  52,  239.  —  Togo:  Klose,  Glob.  81,  191.  —  Fjort:  Dennet  8.  — 
Wasaramo:    K.   Andree,    D.   Bxped.    295.    —   Mentawei:   Pleyte,   Glob.   79,   24.   — 
Batak:  Warneck  16  u.  120.  —  Dajaken:  Grabowsky  269f.  —  Papuas:  Krieger  391.  — 
Neupommern:  J.  Meier,   A  Kaia  1016.   —  Fidji:  Rougier  996ff.   —  Chinesen  in 
Kingsai:    Glob.    59,    175.    --    Chinesen    in  Kau-su    u.  Lan-tchou:   Dols   767.  — 
Tongkinesen:  H.  Seidel,  Glob.  57,  247.  —  Baschkiren:  P.  v.  Stettin,  D.  n.  F.  156.  — 
Mittelamerika:   Brasseur  de  Bourboury,   Cartas  3,  p.  32,  Anm.;   D.   Brinton,   Glob. 
66,  162.  —  Mayas:  Brinton.  Glob.  59,  99. 
§  48.     Transsylv.  Zeltzig.:  »091  Wlislocki,  Glob.  54.  359  u.  251.  —  Persien:  Sykes  268C  — 
Ukrain  u.  Ostgalizien:   von  Hocorka  u.  Kronfeld  1,  74ff.    —    Slowenen   u.  Kro- 
aten: Huhad,  Gottesgerichte  im  Glob.  1879,  74 ff.  —  Serben:   Petrowitseh   im    Glob. 
1878,  348.    —   Slowaken:  von  Hovorka  u.  Kronfeld  1.  76.    —   Böhmen:  Grolintann, 
Aberglauben   156.    —    Karlsbad   u.    Umg.:    Sehaller   180.    --    Liebau:   Patschovsky, 
Beiträge  65,  67  f.  —  Böhmerwald:  Bayerl-Schweyda,  Schriftl.  Mitt.  —  Drahwener: 
refc:?!e)'imGlob.81,  271.  —  Kur ische  Nehrung:  von  Negelein,  Abergl.289.  —  Sieben h. 
Sachsen:   Jolt.  Miliner,  Gymnas.-Progr.  1877,   Schäßb.,  S.  22.   —  Franken,  Bavaria 
IV,  202.  —  Berlin:  O.  v.  Hocorka  1,  74.  —   (Frühere)  Deutsche:  Gestrieg.  Bocken- 
Pnilos.,  2.  Hundert.  Kap.  92.  —  Schottland  (alte  Galen):  Maclagan  95f.  —  Neapel 
u.   Spanien:    Hildhurgh   454ff.   u.   461.    —   (Alte)   Griechen    und  heutiges    Lesbos: 
Rouse  148.  —  Neugriechen:  Bybilakis.  Neugr.   Leben,  S.  74. 
§  49.    Imeretien:  C.  v.  Hahn,  Sitten  305.  —  Assyrer:  Bonavia  272.  —  Syrien:  Ch.  S.  Burne 
202.   —  Juden  in  Jerus.    Goodrich-Frecr  187  ff.  —  Südruss.  Jud.:  S.   Weissenberg, 
Glob.  83,  316.  —  Arabia  Petraea:  Musil  III,  417.  —  Tunis:  Richard  Karat:,  Tatau- 
iermuster.  —  Mauren:  Hillburgli  59.  —  Arab.  Ägypten:  Latie  II,  811'.  u.  277.  — 
Maroniten:  Chemali  742  ff.   —  Baut»  am  unt.  Kongo:   Weeks  422.  —  Mentawei- 
Ins.:  von  Rosenberg,  D.  mal.  Archip.  198.  —  Badagar:  Jagor  in  Verh.  d.  Berl.  Ges. 
1'.  Anthrop.    1876,   S.   196.    —   Akkader:  Lenormant,   La   Magie,    Prot'.    VII:   pp.   1  ff. 
—   Mordwinen:    Abercromby,  The  Beliefs  116  —  124.  —  Baschkiren:    P.  v.  Stettin, 
Glob.  80,  156.  —  Türkei:    Oppenheim,    üb.   d.   Zust.  d.  Heilk.  i.  d.  T.  5.  —   Esthen: 
Krebel,  Volksmed.  23.  —  Indianer:  Seligmann  I,  41  f.  —  Magateka:    Wilhelm  Bauer, 
Mexiko  861. 
§  50.     Deutsche   Volkssage:   C.  Haberland,   Glob.  1880,   Nr.  5,   S.  72;   Grimm,   Deutsche 
Sag.  II,  209,  257.  321,  330;  Panzer,  Beitr.  z.  d.  Myth.  78,  85;  Tettau  u.   Temme,  Die 
Volkss.   Ostpr.   67;    Strackerjan   1.    c.   I,   S.    111.    --    Kaiserliches    Rom:    Plinitts, 
Naturgesch.  VII,  9. 
§  51.     Fauti   u.   Aschanti:    O.   Finsch,   Allg.    Ztschr.   f.    Erdk.   Bd.    17;   Vortisch    281.   — 
Fetu:    TT.   ./.    Müller.   Die    afrik.    Landschaft   Fetu.   —    Togo:   Klose,   Relig.    Ansch., 
Glob.    81,    190f.    —    Dahome:    Skerfchly,    Dalmmey   470    u.    500.    --    Benin:    Waitz, 
Anthrop.  II.  124.   —  Ibos:    Burton    Nouv.  Ann.  178.   --  Bonny:   Köler,  Einige  No- 
tizen  101  ff.  — Alt-Kahibor:   Hewan,   Edinb.   med.  Journ     18(i4,  S.  224.  —  Bakwiri: 
A.    Seidel,    Glob.   SO,   390.    —    Batanga:    Alfr.   Kirchhoff  in    Pet.   Mitt.   32,    146.   — 
Ngumba:  L.   (_'o,ir<i<lt.    I).   X.   i.  S.  337.   —   Unterer  Kongo:   Beets  421.  —  Äqua- 
toriales Afrika:  Ausland  1867,  S.  342.  —  Herero:  Danncrt  im  Glob.  Bd.  38,  S.  365.  — 
Neger  am  ob.  Nil:  Speke,  Entdeck.  I,  7.  —  Wanjamwesi:  Andree,  Expedit.  2,  215.  — 
Wasaramo:   Burton,   Nouv.  Ann.,  May  1S62.  S.  178.  —  Wakilindi   u.   Wasambara: 
Storch  311.  —  Mkul  we:  .4.  Hamberger,  Nachtrag,  S.  803  f.  —  Yao  u.  Makonde:  Weide. 


g32  Anhang  I.     Zitate. 

Negerleb.  344.  —  Kiziba:  Nile.  Fisch,  Afrika-Bote  9,  133.  —  Basutos:  Stech,  im 
„Daheim"  1879,  24,  S.  382.  —  Kaff  er:  Callauny.  Glob.  1867,  I,  S.  29;  Shooter 
88.  —  Auin-Busehleute:  Kaufmann  158.  —  Hottentotten:  M.  P.  Kolb,  Caput 
b.  s.  h.  424  u.  444 ff.;  Novara-Reise,  Anthropolog.  Th.  III,  118;  Le  Yaidant.  Reisen 
II,  42  u.  IV,  198. 

§  52.  Kubus:  Yolz  104.  —  Dajaken:  Grabowsky,  Glob.  72,  270.  —  Britisch  -  Neu- 
Guinea:  Krieger,  N.-ü.  293.  —  Nauru:  Brandeis  76;  Jung  65f.  —  Australien: 
Delessert,  Voy.  142ff.;  K.  E.  Jung  in  „Die  Natur"  1877,  Nr.  7,  S.  90.  —  Nördl. 
Stämme:  Spencer  u.  Grillen  609.  ■ —  Giljaken:  Pilsudski,  Schwangerschaft  760f.  — 
Ainu:  Derselbe  S.  770-772;  H  v.  Siebold  in  Zeitschr.  f.  Ethnol.  1881, 
Supplem.  S.  32.  ■ —  K  amt  seh  adalen:  Steller  327.  —  Renntiertschuktschen: 
Cremat,  Glob.  66,  286f.  —  Mojave:  Glob.  65,  152.  —  Californien:  Glob.  29,  311. 
Mexiko:  Bancroft  II,  269;  Preuss,  D.  Schicksalsbücher,  Glob.  79,  262;  Seier,  Codex 
Borgia  I,  31f.  u.  1 92  f. ;  II,  186.  —  Peru  (altes)  u.  Guayana:  Bastian,  D.  Cultur- 
länder,  Bd.  2,  S.  657,  Anm.  —  Buck-Ind.:  Folk-Lore  XV,  343.  —  Salivas: 
V.  Humboldt,  Reise  in  die  Aquin.-Geg.  IV,  27.  —  Tschibtschas:  Acosta,  Hist.  nat.  20. 

§  55.  Altes  Rom:  Mommsen,  Rom.  Gesch.,  6.  Aufl.  1,  180f.  —  Sparta:  Waehsmuth  2. 
364.  —  Arabische  Beduinen:  A.  M.  de  St.  Ehe  65f.  —  Arabia  Petraea:  Musil 
3,  213.  —  Fetu:  W.  J.  Müller,  Die  afrik.  Landsch.  Fetu.  —  Ngangas:  Pechuel- 
Loesche,  Ztschr.  f.  Ethnol.  1878,  S.  29.  —  Wauika,  Waseguha,  AVakiku y  u:  Hilde- 
brandt  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  1S78,  S.  395.  —  Wasiba:  Behse,  Glob.  98,  78.  —  Kaffer: 
Barrow,  An  Account  204.  ■ —  Betschuanen?""iw77s<7i.  Archiv  f.  Anat.  1867,  S.  769. — 
Basutos:  Chr.  Stech  im  „Daheim"  1879,  24,  S.  382.  —  Buschmänner:  Moffat  :~,  : 
Schinz  395.  —  Papuas:  Krieger  165.  —  Admiralitäts  -  Inseln :  Pfeil  303.  ■ — 
Australien:  Gerland.  Völker  der  Südsee  III,  778;  A".  E.  Jung  in  „Die  Natur" 
1878,  271;  Oberländer  im  Glob.  4,  279;  Salvodo  310f.  —  Salivas:  V.  Humboldt,  Heise 
in  (I.  Aquin.-Geg.  IV,  27.  —  Menaos:  von   Martius,   Zur  Ethnogr.  Am.  590. 

§  56.  Araber:  Musil  3,  215.  —  Tripolis  u.  Mursuk:  Lyon  91.  —  Kabylen:  Han.- 
Let,  II,  188f.  —  Wapare:  Storch  322.  --  Hottentotten:  Kolb,  0.  b.  s.  h.  450; 
Fritsch  328.  —  Coopers  Creek:  K.  Müllers  „Die  Natur"  1877,  S.  90.  —  Ao-Nagas: 
Molz,  Ein  Besuch,  Anthrop.  IV,  62.  —  Kan-su:  Dols  764.  --  Ostjaken:  Kon- 
dratowitsch,  Z.  f.  d.  O.  290.  —  Giljaken  auf  Sachalin:  Pilsudski,  Anthrop.  V,  760; 
Giljaken  im  Amurgebiet:  von   Schrenck   III,  637  f.  u.  647  f. 

§  57.  Perser  (alte):  Herodot  VII.  —  Island:  Winifred  Faraday,  Custom  in:  F.-L.  XVII. 
419.  _  Alte  Deutsche:  Hänselmann  in  Westerm.  111.  Monatsh.  1877,  S.  403;  Wuttlte, 
1).  deutsche  Volksab.  281;  Panzer,  Bayerische  Sagen  254  u.  559.  —  Keltisches  Gallion: 
Calhyari.  11  Druidismo  66.  —  Altes  Rom:  J.  Burckhardt  II,  152.  —  Französ. 
Volkssagen:  Sebillot  IV,  89f.  —  Chanaaniter  u.  Ammoniter:  Dapper,  I».  Dnb. 
348;  .V.  Peters,  Hiels  Opfer  in:  Theol.  u.  Glaube  1,  25  ff.  —  Ägypten:  Flinders  Petrie, 
Hyksos  in:  British  School  of  Ärch.  in  Egypt  12th  year,  p.  29.  —  Schoa:  Harris  Gesandt- 
schaftsreise 2,  286.  —  Haiti:  E.  Meteger  im  Glob.  47.  253f.  u.  265;  Glob.  78,  879 
(nach  11.  Prichard).  —  Florida:  Dapper,  Die  Unbek.  172.  —  Apachen:  Woodworth 
Cozzen,  The  Marv.  Country  125 f.  —  Azteken  (alte  Mexikaner):  Bancroft,  The  Native 
Races  II,  305;  vgl.  W.  Lehmann,  D.  s.  Kalender  Ixtlil.,  Anthrop.  III,  991;  .1.  Bastian, 
Culturländer  638f.,  641  f.  u.  645.  —  Huichol:  Th.  Preuss,  Parallelen  im  Glob.  80, 
315.  —  Tuateken  u.  Chinanteken:  Bastian,  Culturländer  638.  —  Mayas:  F.  S. 
Delknbough,  The  North-Americans  371.  —  Yslas  de  Sacrificios:  Wieser,  Islario 
general  42f.  —  (Altes)  Peru:  Dapper.  D.  U.  339,  348  u.  390. 

§  58.  Böhmen,  Bosnien,  Deutschland:  0.  r.  Hororka,  Vergl.  Volksmed.  1,  234.  — 
Haiti:  E.  Metzger,  Glob.  47,  217  u.  265.  —  Mangbattu:  Schtoeinfurth,  I.  Herz.  v. 
Afr.  2S3f.  —  Niam-Niam:  Ebenda  368.  —  Australien:  „Die  Natur"  1877,  S.  90; 
Sjpencer  u.  Gilhn  473 ff.  u.  608 f.;  Mrs.  Peggs  343  u.  352;  Glob.  56,  121;  J.  Bischofs 
in  Anthrop.  111,35.  —  Mexikaner  (alte):  Dapper,  Unbek.  N.  W.  278  —  Guairuura 


Anhang  I.     Zitate  g33 

u.  Tobas:  Ebenda  430  u.  644.  —  Tupin-Imba:  Lery  bei  Renz,  Des  Indianers 
Familie  39  f. 
§  60.  Indien:  TT".  Soffmann,  D.  Z.  d.  w.  G.  5 ff.,  8  u.  16;  Grenzboten  1865,  384;  O'Brien, 
Fem.  Inf.  in  Folk-Lore  XIX.  261  ff.;  The  Imper.  and  Asiat.  Quart.  Rev.  April  1901; 
Lenz,  Ind.  Kindern,  im  Glob.  59,  202;  Zitelmann,  Ind.  51.  —  (Alte)  Perser:  Herodoi 
VII,  c.  10.  27,  38  u.  39.  —  Germanen:  Tacitus,  Germ.,  c.  19;  J.  Grimm,  Deutsche 
Rechtsalt.  455;  Weinhold,  Altnord.  Leben  260;  derselbe.  D.  deutschen  Frauen,  2.  Aufl., 
I,  90  u.  II,  92.  —Skandinavier:  Stricker,  Archiv  f.  Anthr.  V,  451.  —  Christ  1  iche 
Kirche:  J.  Conrad,  Findelhäuser,  im  Handwörterb.  d.  Staatswissensch.,   2.  Aufl.,  3.  Bd. 

—  Kelten:  Grupp,  K.  d.  a.  K.   u.  G.  172f.  —  Lemnos:   Herodot  VI,  c.  138. 

§  61.     Araber:    A.  M.  de   St.  Elie,    Anthrop.   III.   64 ff.;    Musü   3,   213;    Earan,   Sure  VI. 

XVI  u.  f.  —  Kairo  u.  Oberägypten  (Araber):  Lane  I,  269.  —  Sockna:  Lyon  314. 
§  62.     Somäl:  Paulitschke  32.  ^-  Kabylen:  Hanoteau-Letourneux II,  188f.  —  Guanchen: 

Bibliothek,  d.  neuesten  u.  interessant.  Reisebeschr.,  Bd.  21,  S.  198. 
§  63.     Assinie:  Reichenbach,  Glob.  59,  176.  —  Alt-Kalabar:  Hewan,  Edinb.  med.  Journ. 

1864,  S.  224.  —  Kongo:  Weeks  42\:  E.  Jung,  Polyandrie,  Glob.  52.  91.  —  Angola: 
C.  von  Francois  274.  —  Zentralafrika:  Livingstones  letzte  Reise  I,  332.  —  Basutos: 
Grützner.  Zeitschr.  f.  Ethnol.  (Verh.)  1877,  S.  78.  —  Kaffer:  Livingstone,  Missionsreis. 
11,237;  Shooter  88;  Schiel,  23  Jahre  Sturm  98.  —  Deutsch-Üstafrika:  Storch  311, 
322  u.  324.  —  Wasaranio:  Burton.  Nouv.  Annales  1862,  p.  178.  —  Wasuaheli: 
Vettern  24. 

§  64.     Buschmänner:  Moffat,  Miss.  Lab.  57.  —  Hottentotten:    Sparrmann,   Reise  n.  d. 

Vorgeb.  320;  Le    Vaillant,   Reisen  i.  d.  I.  v.  A.  II,  43.  —  Aui  n -B  uschleu  te:  Hans 

Kaufmann,  Die  Auin  136. 
§  65.     Batak:  v.Brenner,  B.  b.  d.  K.  225 f.  —  Dayaken:  Spencer,  St.  John,  Ausland  1862. 

S.  723.  —  Marshall-Inseln:  C.  Hager  (17  u.  76.   —  Hawaii:  ./.  Remy  in  Xouv.  ann. 

1865,  S.  331.  —  Samoa:  Turner  81.  —  Neuseeland:  Meinicke,  I).  Inseln  I,  50; 
von  Wuttersdorff-Urbair,  Reise  derXovara  3,  S.  III.  —  Xeukaledonien:  J.  J.  Atkinson 
in  Folk-Lore  XIV,  243 ff.  —  Xeu-Mecklenburg:  Sen/f't  in  Völkerschau  1904,  S.  21f. 

—  Bismarck-Archipel  u.  Salomon-Inseln:  Graf  Pfeil.  Stud.  30ff.:  D.  Kathol. 
Missionen  1899,  S.  94.  —  Neu-Guinea:  Hagen,  (Jnt.  den  Papuas  230  u.  Krieger, 
Xeu-Guinea  165;  van  der  Crab  im  Ausland  1880,  S.  544;  van  Hasselt  in  Zeitschr.  f. 
Ethnol.  1876.  VIII,  184:  Krieger,  Xeu-Guinea  292  f.  —  Australien:  Spencer  u.  GiUen 
608f.;  Peggs  343f.;  J.  Bisehofs  im  Anthrop.  III.  35;  Glob.  56.  121;  Salcado  310f.; 
K.  E.  Jung  in  „Die  Natur"  1877,  S.  90  u.  1878,  S.  271;  Glob.  4,  279:  G.  Gerland, 
Die  Volk.  d.  S.  III.  778:  Coüins,  Account  124. 

§  66.  Japan:  Die  kath.  Miss.  57,  83ff.  —  China:  Arbeiten  der  Kais.  russ.  Gesandtsch.  II, 
451;  Milne  40;  Magazin  der  Lit.  d.  Ausl.  1860.  Nr.  5,  58;  Zeitschr.  d.  K.  K.  Ge- 
sellsch.  d.  Aerzte  z.  W.  185S,  S.  93.;  K.  Fr.  Neumann,  Ostasiat.  Gesch.  362;  Lechler, 
Acht  Vortr.  172;  L.  Katseher,  Bilder  55;  Dols  764;  Stenz,  In  d.  Heimat  29,  126  u. 
130f.;  Glob.  55,  382;  D.  kath.  Miss.  37,  85f.  —  Annamiten:  Glob.  58,  266. 

§  67.     Todas:  Marshall.  A  Phrerologist  194f.  u.  Anm. 

§  68.  Hakka:  Hubrig,  Bericht  der  Anthrop.  Ges.  z.  Berlin  1879,  S.  104.  --  Türkei: 
J.   r.  Hammer,  Staatsverfassung,  T.  2,  S.  77;  Das  Ausland  1S77,  S.  791.  — 

§  69.  Kamtschadalen:  Steller  349.  —  Eskimo:  Hans  Egede  Saabye,  Bruchstücke,  S.XLVf.; 
Hall,  Lue  II,  280;  Nansen,  Eskimoleben  126 f.;  Mrs.  Peary  87 f.;  Boas  574  u.  580; 
Bessels,  Polar- Exped.  365  u.  im  Archiv  f.  Anthrop.  VIII,  2.  H,  S.   112. 

§  70.  Kutschin-Ind.:  D.  Ausland  1862,  S.  578.  —  Pirnas:  Annual  Report  of  the  Board 
of  Regents  1871.  —  Kalifornien:  Adelung  I,  62.  —  Florida:  Torquemada  II,  426 f. 

—  Mexiko  (altes):  Derselbe  III,  82 ff.  —  Honduras:  Dapper.  D.  D.  309f.  —  Guanas: 
Azara  II,  93;  M.  v.  Neuwied,  Reise  n.  Br.  II,  39.  —  Tobas:  Koch,  D.  G.  108.  — 
Abiponer:  Dapper  o.  c.  644;  Azara  H,  93.  —  Yahgans     Glob.  47,  333. 

§  72.  Gujerät:  Ploß-Bartels  (nach  Rieh.  Schmidt)  in:  Das  Weib,  8.  Aufl.,  II,  438f.  — 
Irland:  Leland  L.  Duncan,  Folk-Lore  X,  119.  —  Iberer:  Strabo  III,  C.  17.  — 
Ploß-Reuz,  Das  Kind.     3.  Aufl.    Band  II.  53 


qq  i  Anhang  I.     Zitate. 

Basken:    Francisque- Michel   201    u.    Anm.;   De   Laborde,   Itineraire   II,    150;    Chabo, 
Voyage  390;  Aranzada,  Anthrop.  V.  775  ff.:  Buschan,  Glob.  79,  12:5;  H.  Winkler,  Das 
Baskische  lff.:  A".  Friedrichs,  Das  Ausland  63.  802.  —  Korsen:  Diodor  V,  c.  14.  — 
Sardinien:   Frhr.  v.  Maltzan,    Sizilien.   —  Tibarener:    B.  v.  ^Yeiss,    Weltgesch.   1, 
425ff.;  ApoUonvus  v.  Rhodos,  Argon.  II;  C.  Valerius  Flaccus,  Argon.  V.  vers.  148.  — 
Kongo- Neger:  Zuchelli,   Missions-  u.  R.    196.    —   Boeroe:    A*.  Friedrichs,  Ausland 
63,  858.  —  Land-Dajaken:  Ausland  1862,  S.  727.  —  Mentawei-Inseln:    Pleyte, 
Glob.  79,  24.  —  Miaotse:  Marco  Polos  Reisen,  d.  Übers,  v.  Brück.  2.  400;  Lockhardt 
in    Tr.  Ethn.  Soc.   1861,  S.  181.    —    Dravida:    K.   Friedrichs,    Ausland  63,    859. 
Karaiben  (Xingustämnie):  Karl  v.  d.  Steinen,  ü.  d.  Naturvolk.  289 f.    Vgl.  K.  Friedrichs 
im  Ausland  63,  806    u.  Benz,   Des   Indianers   Familie  40:    Karaiben    der  Antillen: 
De  Bochefort  495 f.:    Du   Tertrc  II,   373 f.;    Dahat  IV.    368;    Tgl.  Benz,   D.  Ind.  Farn. 
65ff.-  Dapper  207 ;  Karaiben  in  Guayana:  Allgem.  Med.  Centralztg   1857,  S.  34:  R. 
Schomburgk,  R.  in  Brit.-Guay.  II.  314,  389:    KochrGrünberg,  Women  377  f.;  Glob.  46, 
23;   Brett  101   u.  ::5.3;    Kappler.    Surinam    238     —    Per  len- Ins  ein:    Allerhand   lehr- 
reiche Briefe  I,  56.   —   Passes:   von  Martius,    Zur  Kthru.gr.  Am    511.   —   Zaparo: 
Orton,  The  Andes,  Ausland  1870,   S.  267.   —   Piojes:  Simson,  Mitth.  des  Anthropol. 
Inst.  v.  Großbrit.,  8.  Bd.  —  Omaguas:  von  Martius  441.  — Indios  bravos:  v.  Tschudi, 
Peru  II,   234  u.  St.  Cricq   im   Bullet,   de   la   soc.    geogr.    1853,    I.    252.    —    Cnlinos: 
v.  Martins,   Z.    Ethn.  Am.   429.    —   Ipurina:    Koch-Grünberg,   Women    378   o.  c.    — 
Abiponer:   Dobrizhoffer,    Gesch.  d.  Abip.  II.   231    u.  273.    —    Juris   und    Mundu- 
rueus:   V.  Spix  und  v.  Martius.   Reise  nach  Bras.  1186  u.  1339.  —  Petivarcs:   De 
Laet,  Novus  orbis.  XV,  2.    Lettres   edit.  II,  132.  —  Caraja:  G.  v.  Königswald,  Glob. 
94,  237. 
§  75.     Heutige  Inder:  Jagor,  Ber.  d.  Berl.  Anthrop.  Ges.  1878.    --    Pers.  Provinz  Gilan: 
Häntzche  in  Zeitschr.  f.  allg.  Erdk.   1864.  Nr.   138:    Ausland  1865,    Nr.   5.  S.  116.    — 
Farsistan:    Dieulafoy,    Reise    i.   Westpers.    im    Glob.  46,    293f.    —    Alte    Perser, 
Meder  u.  Baktrer:   Duncker,    Gesch.  d.  Alt.  II,  355.    —    Armenier:    StojanOK    im 
Glob.  1880,  Nr,  16,  S.  253;  Meyerson  in:  Medic.  Ztg.  Rußlands  1S60.  S.  189;  Oganisjanz 
inKawkas  1879,  No.  62  u.  54.  —  Rußland  (Somara):    Ucke,  D.  Klima  87;  Peters- 
burg: Reimer  in  St.  Pet.   med.  Wochenschr.  1878,  S.  411.  —  Zigeuner   in    Ungarn: 
Csaplovics,  Gem.  v.  Ung.  II,  301;  Grellmann,  Versuch.  —  Böhmen  u.  Mähren,  (iroh- 
mann,  Abergl.  107.  —  Württemberg:  Wiirtt.  medic.  Corresp.-Blatt  1868,  Beil.  z.  Nr.  3. 

—  Frankenwald:  Flügel,  Volksmed.  51.  —  Bayr.  Oberpfalz:  Wolfsteiner,  Ba- 
varia,  2.  Bd.,  1.  Abth.,  S.  337;  Brenner-Schaffer,  Darstell.  13.  -  Thüringen: 
Schraube  im  Monatsbl.  f.  med.  Stat,.  Beil.  z.  „Deutschen  Klinik"  1864,  Nr.  9,  S.  65.  — 
Schweiz:  Rochholz,  Alem.  Kinderl.  282.  -  -  Schottland:  Xapier,  Folk-Lore  or 
superst.  belief.  —  Altes  Rom:  Saranus  edit.  Pinoff  60:  Galenus,  De  sanitate  I.  cap.  10; 
T.  Kroner,  in  Jahrb.  f.  Kinderheilk.  X,  3.  u.  4,  360.  —  Fellachen:  Wiener  Medi- 
ciualhalle  1864,  Nr.  33,  S.  346.  —  Somäl:  Hildebrandt,  Zeitschr.  f.  Ethnol.  1878, 
S.  390.  —  Schangallas:  Bruce,  Reisenil,  426.  —  Hoer:  Fies  75.  —  Ewe:  Herold 
149.   _   Xgumba:    Conradt  337.    —    Bubis:    Coli,   Los  Indig  .    im  Anthrop.  II,  389. 

—  Loango-Neger:  Pechuel-Loesche,  Zeitschr.  f.  Ethnol.  1878,  S.  30.  —   Fjort:  D> 

20.  —  Unterer  Kongo:  Weeks  420.  —  Makonde-Plateau:  Weuli  I  15  -  Botten- 
totten:  Th.  Hahn.  Glob.  1868.  —  Mentawei:  Pleyte  24.  —  Andamanen:  Aus- 
land 1863,  S.  869.  —  Celebes:  Eienzi,  Oceanien,  D.  Üb.  1.  245.  —  (Philippinen) 
Btas:  Schadenberg,  Zeitschr.  f.  Ethnol.  1880,  S.  135.  —  Palawan  u.  Calamianen: 
Blumentritt,  Glob.  59,  168.  —  Zambalea:  W.  Allan  Eeed,  Negritos  II.  P  I.  55.  - 
Kusaie:  Gulik.  Naut.  Mag.  1S62,  S.  180.  --  Maori:  Ttike,  Edinburgh  med.  Journ. 
L864,  Nr.  104.  S.  726;  Hooker,  Journ.  of  Th.  Ethnol.  Soc.  of  Lond.  1869.  p.  72. 
Peking:  Stenz,  Z.  P.  V.  im  Glob.  8".  274.  -  Kan-su:  Dols  765.  —  Thai:  Bourkt 
khuls:  Glob.  52,  159  -  Dravida:  Shortt,  im  Edinb.  med.  Journal 
1864,  S.  554.  —  Malediven:  Ftnfce,  Vers.  1,  68S.  —  Mongolen:  Yambery  im  Glob. 
1875.    Nr.    II.    S.   222.  Burjaten:    Kaschin,    Mosk.    med.    Ztg.    1862.    —    Asiat. 


Anhang  I.     Zitate.  835 

Türkei:  Erani,  Quelques  coDsid.  —  Kirghisen:  Brehm,  Vom  Kordpol  418;  Glob. 
1881,  Bd.  39,  S.  110.  —  Tataren:  Glob.  1880,  Nr.  16,  S.  253.  —  Esthen:  Sitznugsb. 
d.  g.  Ethn.  Ges.  in  Dorpat  1879,  S.  144.  —  Lappen:  Sche/feri,  Lappland  336.  — 
Aleuten:  Bancroft,  The  Nat.  Races  I,  92  u.  130,  Anm.  —  Ainu  u.  Giljakeu: 
Pilsudski,  Schwangerschaft  768.  —  Neuschottland:  Dierville,  bei  Unzer,  Diss.  Lips. 
1771,  p.  35.  —  Hudson-Ind.:  Dapper,  D.  Unbek.  150.  —  Virginia-lnd.:  Ebenda 
158.  —  Nozi:  Powers,  Tribes  of  Calif.,  3.  Bd.  der  „Contrib.  to  North  Am.  Ethn."  — 
Sumos:  Sapper,  R.  a.  d.  B.C.  274.  —  Karaiben:  II'.  Sievers,  Die  „Floresta"  im 
Glob.  53,  234.  --  Chili:  Dapper  o.  c.  634.  -  i'ningangs:  Glob.  50,  235.  — 
Tapuya:  Dapper  418.  —  Caraja:  von  Koenigsirall  237. 

§  76.  Armenier:  Glob.  1880,  Nr.  16,  S.  253;  Kawkas  1879,  Nr.  54  u.  62;  Med.  Ztg.  Rußi. 
1860.  S.  189.  —  Schweiz:  Rot-ltliolz,  Allem.  Kinderl.  282.  —  Altes  Rom:  Soranus 
60;  Galenus,  Vor  Erh.  -d.  G.  VI;  Kroner  im  Jahrb.  f.  K.  u.  ph.  Erz.  X,  3.  u.  4,  360.  — 
Lesbos:  Folk-Lore  VII,  145.  —  Neugriechen:  Ausland  1864,  Nr.  25,  S.  599.  — 
(Heutige)  Araber:  Musil  III,  215.  —  Somäl:  Rüdebrandt,  Zeitschr.  f.  Ethn.  1878. 
S.  390.  —  Loango:  Pechuel-Loesche,  Zeitschr.  f.  Ethnol.  1878,  S.  30.  —  Basuto: 
Chr.  Stech  im  ..Daheim"  1879.  —  Deutschostafrika:  Weide  342.  —  Hottentotten: 
Peter  Kolb,  Caput  bonae  Spei,  Nürnberg  1719,  S.  443;  Hahn  im  Glob.  1868.  —  Auin- 
Buschleute:  Hans  Kaufmann  158.  --  Howa:  Camboue  988.  —  Makassaren  u. 
Bngis:  Rienzi,  Oceanien  I,  245.  —  Negritos:  Deutsche  geogr.  Blätter  1877,  S.  94.  — 
Australien  (Kol.  Vict.):  Oberländer,  Glob.  1863,  S.  27S.  —  Malediven:  Finke, 
Vers.  I.  688.  —  Isaurien:  Sperling  in  Zeitschr.  f.  allg.  Erdk.  1S64,  Bd.  16,  S.  28.  — 
Kirghisen:  Glob.  1881.  Bd.  39,  S.  110.  —  Ostjaken:  Ausland  1865,  S.  520;  Kon- 
ratowitsclt,  Z.  E.  d.  O.  290.  —  Blackfeet:  G.  Bird  Grinnel  im  Glob.  70,  323.  — 
Virginia-lnd.:  Dapper,  D.  Unb.   158. 

§  78.  Persien:  Polak.  Persien  I,  196.  —  Bagdad:  Glob.  1868,  Bd.  14,  S.  53.  —  Ar- 
menier. Glob.  1880,  Nr.  16,  S.  253;  Kawkas  1879,  S.  62.  —  Samara:  Ucke,  D.  Klima, 
S.  87.  —  Isländer:  Baumgarten,  Allg.  Gesch.  II,  879.  —  Schwed.  Bauern:  S.  v.  W., 
Zur  Volkskunde  382.  —  Angelsachsen  u.  heutige  Engländer:  Tltomas  Wrigld, 
The  Homes  of  other  Days.  Ausland  1874,  S.  627:  Lederer,  Mutter  u.  K.  199.  - 
Nordwestl.  Deutschland:  Goldschmidt,  Volksmedicin  140.  —  Freising:  C.  Mayer, 
ßairisch.  ärztl.  Intell.  Blatt  1878,  S.  269.  —  Bairische  Oberpfalz:  Wolfsteiner, 
Bavaria  II,  I,  337;  Brenner-Schäffer,  Darstellung  S.  13  u.  15.  —  Frankenwald: 
Flügel,  Volksmed.  i.  Frankenw.  52.  —  Siebenbürger  Sachsen:  Fronius,  Bilder  .31; 
■loh.  Ziegler,  Gymnasial-Progr.  Schäßburg  1877.  —  Römer  (alte):  Plautus,  Trucul. 
v.  23  u.  Amphitr.  V.  I,  52;  Sorani  Ephes.  Lib.  de  mu!.  affect.  edit.  Ermerins.  123; 
Moschisonis  de  mul.  pass.  lib.  Cap.  66  u.  68.  —  (Alte)  Griechen:  Guhl  und  Koner, 
D.   Leb.  d.  Gr.  233.  —  Schol.  in  Callim.  Hymn.  in  Jov.  77. 

§  79.  Araber:  D'Arvieux,  Memoire.  —  Libanon:  Chemali,  Anthrop.  V,  738.  —  Ycmen: 
Manzoni  52.  —  (Alte)  Ägypter:  Hippokr.  lib.  de  aere  aquis  et  locis:  Wilkinson  2,  334.  — 
Schangallo:  Bruce,  Reise  LT,  426.  —  Djolof:  de  Bochebrune  in  Rev.  d'Anthrop.  1881, 
IV,  282.  —  Loango-Küste:  Pechuel-Loesehe,  Zeitschrift  f.  Ethnol.  1878,  S.  17.  - 
Makonde -Plateau:  WeuUM&.—  Natal:  Fr.  Mayr,  The  Zulu,  Anthr.ll,  635  f.  —  Ho  wa: 
Camboue  9SS.  —  Makassaren  u.  Bugis:  de  Rienzi.  Oceanien  I,  245.  —  Dajaken: 
Grabowsky  im  Glob.  72,  270.  —  Japan:  George  Smith.  Ten  weeks,  p.  89.  —  Chinesen: 
Bureau  d<  Villeneuve,  De  l'accouche,  37.  —  Badugar:  Jagor,  Verh.  d.  Berl.  (■«■-.  !. 
Anthr.  1876,  S.  199.  —  Malediwa:  L.  L.  Finke,  Versuch  I,  688.  —  Tataren:  Kawkas 
1879,  Nr.  54  u.  55  (nach  Garril  Oganisjanz);  Glob.  1880,  Bd.  38,  S.  270  u.  Nr.  16, 
8.  253  (nach  B.  Stojanow).  —  Kirghisen:  Brehm,  V.  Nordpol  418f.,  Glob.  1881,  Bd.  39. 
S.  110.  —  Türkei:  Eram,  Quelques  cousid.  63;  Oppenheim,  Zust.  d.  Heilk.  47.  — 
Tungusen:  MiddendorflV,  Teil  2,  S.  1500.  1535  u  a.  o.;  Fr.  Midier,  Unter  Tungusen 
47.  —  Samojeden:  de  Dobbeler,  Glob.  49  (1886).  S  200  -  Esthen:  Glob.  1880. 
Nr.  16,  S.  262.  —  Lappen:  Sehefjir,  Lappland  337;  Dahl,  Norsk.  Mag.  1862,  Heft  7  u.  8.  - 
Korjaken:   Krebel,   Volksmed.   versch.  St.   in  Rußl.  81.    —  Koluschen:  Fr.  Midier 

53* 


y;3(j  Anhang  I.     Zitate. 

(nach  Dali)  in  Mitt.  d.  Anthrop.  Ges.  in  "Wien  1871.  —  Hudson-Ind.:  Dapper  150.  — 
Alte  Mexikaner:   Torquemada,  Monarquia  II,  44öf.  —  Karaibenund  Inka-Reich: 
Baumgarten,  Allg.  Geschichte  II,  214  u.  857;  Sundstral,  A.  d.  .Reich  d.  Inkas  26.   - 
Tupin-Juba:  Lcrys  Heise;  vgl.  Benz,  D.  Indianers  Familie  39.  —  Kap  Hörn:  Glob., 
Bd.  49,  S.  33. 

5;  81.  Transsylv.  Zeltzigeuner:  H.  ü.  Wlislocki  im' Glob.  Bd.  51,  S.  249.  -  Kurden: 
Nach  Garrü  Oganisjanz  im  Kawkas  1879,  Nr.  £4 ff. —  Armenier  (in  Nucha):  Nach 
B.  Stojanow,  Glob.  Bd.  38,  S.  253  f.;  (in  Eriwan):  Nach  Garrü  Oganisjanz  im  Kawkas 
1879:  Glob.  38,  270f.  —  Hutheneu:  Franz  r.  Gabnay,  U.  K.,  S.  60.  —  Schweden: 
S.  v.  W.  382;  Unzer,  Med.  Handb.  100.  —  London:  Süßmilch,  D.  göttl.  Ord.  I.  542.  - 
Sagen  der  Deutschen:  Sepj),  Altbayr.  Sagensehatz  48  u.  601:  A.  Kulm,  Westfäl. 
Sagen  301.  —  Kiesengebirge:  A.  Oborn,  Wanderungen  in  Böhmen.  —  Franke nwald: 
Flügel,  Volksmed.  53.  —  Niederbayern:  ./.  G.  Egger,  Topographie  19.  —  Württem- 
berg: Rüdiger,  Die  Sterblichk.,  S.  14.  —  Siebenb.  Sachsenland:  Fronius,  Bilder,  31; 
Hillner,  Schäßb.  Gymnasial-Progr.  20.  —  Altes  Rom:  Plautus,  Trucul.  u.  Amphitr.; 
Bartholinus,  Antiquit.  102. —  Alte  Griechen:  Wachsmut,  Hell.  Altertumsk.  2.  362: 
Callimach.  Uymn.  I;  Homer,  Hymn.  in  Mercur;  Theokrit.  XXIV,  4.  —  Oatalonien: 
Frau  Micliael- Breslau  (pers.  Mitt.). 

§  82.  Maroniten:  Glob.  1880,  Bd.  38,  S.  164;  Chemdli,  Anthrop.  V,  738.  —  Persische 
Syrer:  Frangian  im  Glob.  96,  119.  —  Agypt.  Araber:  Lane  I,  79  u.  Anm.  — 
Algerien:  Abbild,  n.  C.  Bruti  in  The  lllustr.-Lond.  News  1872,  3.  Ausg.  —  Ägypten: 
Wilhinson,  The  Manners,  Vol.  2,  p.  334.  —  Kaf  fit  sc  ho:  Bieber,  Glob.  96,  S.  93.  - 
Kabylen:  (Abbild.)  in  Völkerschau  III,  133.-  —  Njani-Njain:  Schweinfurth,  Im 
Herzen  243.  —  Mangbattu:  Schweinfurth,  Ztschr.  f.  Ethnol.  1873,  S.  17. —  Bongo: 
Derselbe  im  Glob.  1875,  S.  78. 

§  83.  Djolof:  de  Rochebrune,  Rev.  d'Anthrop.  1881,  IV,  2,  p.  282  u.  268.  —  Goldküste: 
Verlisch  280 f.  —  Bassari:  Klose,  D.  B.  311.  —  Ewe-Neger:  (Hob.  68,  314.  - 
Ngumba:  Conradt  337.  —  Bayaka:  Die  Loango-Expeditiou.  —  Fan:  Glob.  1866, 
IX,  226.  —  Kioko:  Bogge,  Beiträge  S.  46.  —  Angola:  Ebenda  S.  5.  —  Luschase: 
Serpa  Pinto  I,  237.  —  Kaffer:  Kranz,  Natur-  und  Kulturleben  72:  Fritsch  lo7f.; 
Fr.  Mayr,  The  Zulu  Kafirs  Anthrop.  11,  640.  —  Matebele:  Zambesi  Miss.  Rec.  1900, 
p.  266.  —  Vao:  Weide,  Negerleben  208.  —  Usarama:  K.  Andree,  D.  Exped,  2,  96f. 
Kiziba:  Nile.   Fisch   in   ,. Afrika- Bote"  9,  S.   133. 

g  84.     Hottentotten:  Le  Vaillants  Neue  Reise  211. 

§  85.  Madagaskar:  Ellis,  Three  visits,  p.  137:  Camboue,  -Notes  989  (Abbild.)  u.  Anm.  — 
Tjidatop  (Java):  Marin,  Unter  der  Tropensonne,  Nat,  u.  Kult.  VII,  20.  —  Dajaken: 
Grabowsky  im  Glob.  72,  271.  —  Timor:  de  Rienzi,  Oceanien  I,  47.  —  Alfuren: 
Schabe,  Zeitschr.  f.  Ethnol.  1877,  S.  121.  -  Aetas:  Sehadendorf,  Ztsohr.  f.  Kthnol. 
1880,  S.  235.  —  Karolinen:  V.  Eittlitz,  Denkwürdigkeiten  L858,  S.  2  f.  -  Guam: 
de  Rienzi,  Oceanien  II,  87.  —  Samoa:  Kubary,  Glob.  47.  71.  -  Viti:  /»'" 
Maladies  997.  —  Admiralitäts-Inseln:  Birgham,  Glob.  1877.  S.  202.  —  Neu- 
guinea: Albertis,  Die  Kolonisationsfähig.,  iu  Pet.  Mitt.  1865,  S  276;  Krieger,  Neu- 
Guin.  165,  295  u.  390.  —  Australien:  Mitchell,  Three  Expeditions  II;' Tgl.  „Völker- 
schau"   I.  43;  Glob.,  Bd.  56,  S.  123 

g  86.  Korea:  Hamilton,  Korea  57.  —  China:  Kuntze,  „Um  d.  Erde"  176.  —  S  i  n  in  : 
Hillmann  im  Glob.  78,  191;  Bourht,  Les  Thay,  \nthr.  II.  616.  --  Tonkin:  Seidel, 
Land  u.   Leute  im  Glob.  07,  247.  —  Annain:  Kuntze,  Um  d.  Erde  192. 

§  87.  Dekan:  Kril ilcar,  The  Folk-Lore  Journal  VI,  70;  Caius,  Au  I'ays,  im  Anthropos  [II, 
242  u.  640.  —   Port  ot  Spain:  Kuntze,   l'in  die  Erde  38. 

§  88.    Tunguaen:  Middendorff,  Reise  IV,  T.  2,  S.  L580  u.  1535;  Hiekisch,  l>.  Tungusec  80. 

Orotschen:  Glob.  1880,  S.  218.  —  Kirghisen:  Glob.  1881,  Bd.  39,  S.  110;  Brehm, 
Vom  Nordpol  418.  —  Ostjaken:  Kondratowitsch ,  Z.  E.  d.  O.  290.  —  Samojeden: 
de  Dohbeler ,    Globus  49.  200.  —   Kinnen:    Arosenins    in  Zlsehr.   f.    wissensch.   Geogr. 


Anhang  I.     Zitate.  837 

1881,  S.   170.  —  Esten:   Nach  KreuzwaU  im   Glob.   1880,   S.  2.32;   Holst,  Beiträge  2, 

93.   —   Magyaren:  Wettermanns  Illustr.  Monatsh.   1867,  S.  295. 
§  89.     Grönland:  Helms,  Grönland  113;  Boas,  Central  Eskim.  566.  —   Kamtschadalen: 

Süßer  349.    —   Aiuos:    Pilsudski,    D.   Bärenfest,   im  Glob.   Bd.  96,   S.  39:    Ztschr.  f. 

Ethnol.   1872,  Taf.  III  (Abbild.);  Bird  im  Glob.  1881,  Bd.  39,  S.  218. 
§  90.     Tinneh:  .4.  G.  Morice,  The  Great  Dene  Kaee,  Anthr.  I.  722.  —  Apachen:  Spring 

im   Glob.    Bd.  48,    S.   171.    —    Chippewa:    Mc.    Kenney,    Sketches    255    u.    307.    — 

Yukatan:   Baneroft  II,   681  f.   —    (Alte)    Mexikaner:    Torquemada,   Monarch.    Ind. 

II,  451.  —  Chimu- Reich:  Bastian  in  Ztschr.  f.   Ethnol.   1877,  Bd.  9,  S.  149,  Taf.  V. 

—  Inkareich:  Baumgarten,  Allgem.  Gesch.  II,  214;  Purchas  (nach  Acosta),  Histoire 
IV,  Ch.  II;  Picard,  Zeremonie  205;  Gr.  Klemm,  Allg.  Kulturgesch.  V,  36;  Sundstral, 
A.  d.  Reiche  26.  —  Araukaner:  Wood,  The  nat.  Hist.  II,  545f.  —  Tehuelchen: 
Musters,  U.  d.  Patag.  175.  —  Onas:  Fr.  A.  Cook,  D.  e.  Südpolarnacht  97  (Abb.  S.  28). 

—  Paraua-Eluß:  Patino  im  Bulletin  de  la  Societe  de  geogr.  1868,  p.  137.  — 
Caingangs:  Borba  im  Glob.,  Bd.  50,  S.  235.  —  Botokuden:  Ehrenreich  im  Glob., 
Bd.  49,  S.  237.  —  Guayana:    Wood,  Natural  Hist.  I,  609. 

§  95.  Inder  (alte):  Zimmer,  Altind.  Leb.  320.  —  Germanen  (alte):  Grimm.  Deutsche 
Mythol.,  2.  Aufl.,  S.  559:  E.  Mühlhause,  D.  a.  d.  Sagenzeit  7.  —  Goten:  Geiger, 
Schwed.    Urgeschichte    407,    Anm.    5.  Unterer   Kongo:   J.  H.    Weeks,   477  ff.  — 

Joruba:  Bastian,  Geogr.  u.  ethnol.  Bilder  182.  —  Lamaische  Kirche:  Huc-Gabct, 
Wanderungen  203 ff.;  Koppen,  Die  lamaische  Hierarchie  320;  M.  r.  Beguelin,  Religiöse 
Volksgebräuche  (nach  Posdnäjew),  Glob.  57,  209  —  Moslem  auf  Ost-  und  Zentral- 
Suiua'tra:  Moszkowski  644.  —  Battak:  Vrhv.  v.  Brenner,  Besuch  243.  —  Dayaken: 
Ehu.  Dünn,  Keligious  Rites  106.  --  Uvea:  Annal.  de  la  foi  1841,  I,  14.  —  Neu- 
seeland: Baseler  Mission.  Magazin  1836,  S.  602;  vgl.  Hooker  in:  Journ.  of  the  Ethnol. 
Soc.  1869,  S.  72.  —  Noefoerezen:  van  Hasselt,  Ztschr.  f.  Ethnol.  1876,  S.  185. 

§  96.  Lappen:  Passarge,  Ausland  1881,  S.  564.  —  (Altes)  Mexiko:  Torquemada,  Mo- 
aarchia  TL  445,  449  f.  u.  456 ff.;  Bancroß  IL  277;  vgl.  auch  Bancroft  II,  269  ff.  — 
Guatemala:  Torquemada  II.  448  u.  Baneroft.  The  Nat.  Races  II,  681.  —  (Alte) 
Mayas:  Baneroft,  The  Nat.  Races  IL  682  ff.;  Schott  im  „Ausland-'   1868,  S.  608 '). 

§  123.  Kanton  Tessin:  V.  Pellandini  im  Suhw.  Arch.  f.  V.,  J.  8,  S.  254.  —  Italien: 
Über  Kindersparbüchsen,  Glob.  87,  277.  —  Rumänen:  Prexl,  Glob.  Bd.  57,  S.  27.  — 
Lesbos:  Folk-Lore  VII.  145.  —  Arabia  Petraea:  Musil  III,  214.  —  Arabisches 
Ägypten:  Klunzinger,  „Ausland"  1871,  Nr.  40;  Laue  II,  277;  Ägypt.  christl. 
Kirche:  Hijipolytus'  Canones,  D.  IT.,  Can.  17.  —  Samoa:  Kubary  im  Glob.,  Bd  47. 
S.  71.  —  (Altes)  Mexiko:  Torquemada,  Monarch.  Ind.  II,  446 ff.  u.  456.  —  Surinam: 
Waßmer-Joest  im  Glob.,  Bd.  49,  S.  359.   —  Karaiben:  TU.  Sievers  234. 

§  125.  Kafir:  Ausland  1862,  S.  2018;  Elphinstone,  Gesch.  d.  engl.  Gesandtschaft.,  Übers. 
II,  334:  Marie, in.  I  um]),  of  Kafir  Laws.  —  Meder,  Baktrer,  Perser:  Monatschr. 
f.  Geburtskunde,  Bd.  VI,  S.  172.  —  (Neuzeitliches  Persien):  Polak  I,  220.  - 
Färsen:  Vendidad  V.  136—157;  VII,  158—182;  Duncker,  Gesch.  d.  Altert.  II,  394; 
Dosabhoy  Framjee,  The  Parsis.  —  Jafa:  T.  Tobler,  Schweiz.  Zeitschr.  f.  Natur- 
u.  Heilk.  III,  1,  1839.  —  Arabisches  Ägypten:  Lane  II,  278.  —  Morgen-  u. 
abendl.  Kirche:  Franz,  Die  kirchl.  Bened.  II,  215  u.  218.  —  Dalmatien:  K.  Rhamm 
(nach  Hacquet),  Der  Verkehr  d.  Geschl.,  Glob.  82.  275.  —  Alte  Griechen:  Hippo- 
krates,  De  natura  pueri,  edit  Kuhn  I,  p.  392;  Euripid.  Iph.  Taurid.  370;  Censorinus,  De 
Die  Natali,  Kap.  XL  —  Neugriechen:  C.  Wachsmuth,  D.  alte  Grieehenl.  im  neuen 
74.  —  Georgier:  E.  Eichwald,  Reise  I,  2.  143. 

§  126.  Wakonde:  von  Behr  79.  —  Betschuanen:  Feilsch,  Arch.  f.  Anat,  1867.  S.  767. 
Basutos:  Minnie  Cartwright  250.  —  Herero:  Danuert,  Glob.  1880,  S.  363.  — 
Bantu  am  unt.  Kongo:  Weeks  420.  —  Fjort:  Dornet  137.  —  Loango-Neger: 
Pechuel-Loesche,  Ztschr.  f.  Ethnol.  1878,  S.  30.  —  Deutsch-Togo:  Herold  150. 


l)  Die  Zitate  für  §§  98 — 123  finden  sich  als  Randbemerkungen  des  Textes. 


838  Anhang  I.     Zitate. 

§  127.  Dajaken:  Spencer.  St.  John,  im  „Ausland"  1862.  S.  727.  —  Marianen-,  Karolinen-, 
Marshall-  u.  Gilbert-Inseln:  Hertens.  Recueil  des  aetes  1829,  p.  129.  —  Sand- 
wich-Inseln:  Campbell,   Heise  111.  —  Maoris:  Novara-Reise.  Anthropol.  T.  III,  55. 

—  Neuguinea:  M.  Krieger,  Neu-Guiuea  389C;  L.  D'Albertis  in  Petermanns  Mitteil., 
Bd.  20  (1874),  p.  109. 

§  128.  China  (Kan-su):  Dols  765.  —  Japan:  Petersburg,  med.  Ztsehr.  1862.  III.  — 
Thai'  (Siam):  Bonriet  :Slil  f.  —  Busta  r  (Zentral-  Indien):  Glasfurä  in  Peter m.  Mitteil. 
VII,  258.  —  Munda  Kolh  (Nagpur):  Zeitschr.  f.  Ethnologie  1871,  Heft  6. 

g  129.  Mongolen:  Gabriel  von  Baliut,  Glob.  1875,  S.  222.  —  Ostjaken:  Kondratoieitsch, 
Zur  Ethnogr.  d.  Ostj.,  Glob.  74,  290;  „Das  Ausland"  1865.  S.  520.  —  Wogulen: 
Marthe  im  Glob.  54,  332. 

tj  130.  Ainos:  Frhr.  v.  Siebold,  Nippou  II,  247.  —  Giljakinnen:  L.  v.  Schrenck,  Reisen 
III,  640f.  —  Thlinkit:  F.  Müller  (nach  Dali)  in  Mitt.  d.  anthrop.  Ges.  in  Wien  1871, 
Nr.  8.  —  Nordindianer:  Hearnes  Reise,  D.  Übers.  100  u  202.  —  Oree:  Richardson 
in  J.  Franklin,  Reise  I,  71.  —  Maskoki:  Owen  63ff.  —  Kalifornien:  Burton,  „D. 
Ausland''   1862,  S.  346.  —  Sumo:  Sapper,  Reise  a.   d,    Rio  Coeo,  Glob.  78,  274 'i. 

Sj  134.  Mittelalterl.  Deutschland:  Franz,  D.E.  B.  II,  239f.  —Tschechen  u.  Mähren: 
Tetzner,  I».  Tschechen  321.  —  Liebauer  Tal:  Patschovsky,  Beiträge  56;  vgl. 
Drechsler.  Sitte  I,  207.  —  Jauer.  Rosenberg,  Ereuzburg:  Drechsler,  ebenda.  — 
Braunsdorf:  Adler  429.  —  Lechrain:  von  Leoprechting  236.  —  Carlsbad  u. 
Umgeb.:  Schalter  181;  J.  Hofmann  in  „U.  JE."  XI,  63f.  —  Suffolk:  Countj  Folk- 
Lore  1,  12.  —  Nördliches  England:  Denham  Tracts,  Vol.  II,  23:  vgl.  Gutch  II, 
287.  —  Northurnb'erland:  Balfour-Northcote,  County  Folk-Lore  IV,  90 ff.  -  Ua- 
lymnos:  1'ntoti  in  Folk-Lore,  Vol.  XI.  p.  221.  —  Transsylv.  Zeltzig.:  von  Wlislocki, 
Gebr.  251. 

§  135.     Prabhu    in   Bombay:    Kritikar   in    The  Folk-Lore   Journ.   VI,    76;    Sitaram    Vashnu 
Sukhthanker,   ebendort   77.  —    Ho-Neger:  Fies  75.  —  Makonde-Plateau-    II 
344f.  —  Wakilindi  u.  Washamba:  Storch,  Sitten.    In  M.  a.  d.  D.  Seh..   Bd.  S.  S.  311. 

—  Basutos:  Grützner  in  Ztsehr.  f.  Ethnol.  1S77,  Verlull.  S.  78.  —  flowa:  Camboui 
989.  —  Battak:  Warneck  48.  —  Papua:  Krieger,  Neu-Guinea  165.  —  Warramunga: 
Spenceru.  Giüen,  NativeTribes607f.  -  Thai:  Boiwfe<362f.  —  Altes  Jlexiko:  Bancrofl 
II,  2791'.  —  Siusi,  Uatipes,  Isana  u.  Tuyuka:   Koch-Griinberg,   Womea  374. 

§  137.  Prabhus:  The  Folk-Lore  Journal  YJ.  76.  —  Griech.  Kirche  d.  M.:  Franz,  Die 
kirchl.  Bened.  2,  209.  —  Alte  Germanen:  Grnpp,  Kultur  d.  a.  K.  u.  G.  231.  — 
Philippinen:  Tetzner  im  Glob.  76,  189.  — Südruss.  Juden:  Weißenberg,  Beiträge 
316.  —  Arabia  Petraea:  Musü  111.  217t'.  —  Kat'fitscho:  Bveber  94.  —  Wasiba: 
Herrmann,  Die  Wasiba,  in  Mitteil.  a.  d.  I).  Schutzgeb.,  Bd.  7  (1894).  S.  54.  — Washam- 
baa:  Storch,  Sitten  313.  —  Yao,  Makua,  Makonde,  Matambwe:  Weule,  Neger- 
leben 339ff.  Soninke:  Daniel,  Etüde  Anthrop.  V,  34.  ■  Liberianische 
Küste:  0.  Baumann,  Zur  Kenntnis,  im  Glob.  52,  238.  —  Ewe:  Herold  150;  Pater 
L.  im  Glob.  79.  350.  —  San  Salvador:  Weeks,  Notes  in  Folk-Lore  XX,  305.  — 
Berero:  Dannert  im  Glob.  3S,  364.  —  Basutos;  Steel,  im  Daheim  1879,  S.  383. — 
Siau,  Baduis,  Ranoigpo:  Bouehal232.  — Batak:  Ködding  92;  v.  Brenner,  Besuch 
bei  den  Kannibalen  243f.  —  Kubus:  Volz.  zur  Kenntnis  der  Kubus.  104.  —  Mentawei: 
Plegie  im  Glob.  79,  24.  —  Nias:  v.  Rosenberg,  Malayische  Archipel  154.  —  Dajak: 
Transact.  of  Ethnol.  Soc.  1863,  IL  234;  Spencer  St.  John,  Life  1,  197.  —  Andamanesen: 
Jagor  in  Ztsehr.  f.  Ethnol.  1877,  Verhdl.  S.  51.  —  Weddas:  Jagor,  Her.  d.  Berl.  Anthrop. 
Gesellsch.  1879,  S.  199.  Urstämme  von  Malakka:  Kohler  248.  —Philippinen: 
Blumentritt  (nach  Chirino),  Glob.  62,  254;  derselbe,  Über  d.  Eingeborenen  der  Insel  Palawan, 
Glob.  59,  168;  A.  Marche,  Lucon  et  Palaouan  in  Le  Tour  du  .Monde  lssii,  2,  3S8. 
Samoa:  Kubary,  Glob.  47,  71.  —  Papua,  Kaiser- Wilhelmsland-  Krieger,  Neu- 
Guinea    165.    —    Saibai:     W.  Schmidt.    D.  St.  d.   A..  in  Ztsehr.   I'.   Ethnol.,  40.  Jahrg., 


')  Die  Zitate  für  dir  tj^   132  u.   133  sind   als   Kandbemorkungen  zum  Text  gegeben. 


Anhang  I.     Zitate.  839 

S.  900,  Anm.  4.  —  Doreh:  Finsch.  Neu-Guinea  117.  —  Australien:  K.  E.  -Jung, 
in  „D.  Natnr"  1878,  S.  271.  —  Koreaner:  Arnous,  Die  Frauen,  im  Glob.  66,  156.  - 
.lapan:  von  Kudriaffsky,  Japan  48f.  —  Chinesen:  Stenz.  In  d.  Heimath  11  u.  30f. : 
derselbe  (nach  Gruber)  im  Glob.  80,  275;  Bastian,  D.  Völker  VI,  266  u.  176; 
Dols  766f.  —  Khamti  u.  Singpho:  Gramatzka,  Sagen  365.  —  Annamiten:  Glob. 
58,  266.  —  Mongolen:  von  Klaprot,  Reise  I,  253.  —  Samojeden:  Bastian,  Mensch 
in  d.  Gesch.  II,  276.  —  Ainos:  Russ.  Revue  1877,  VI,  10.  Heft.  —  Eskimos: 
Astrup  205.  —  Thlinkit:  Fr.  Maller  und  Dali,  Mitt.  d.  Anthrop.  Ges.  in  Wien  1871, 
S.  8.  —  Nutka-Sund:  De  Boquefeuü,  Reise  325.  —  Itzas  u.  Pipiles:  Bancroft  II, 
680f.;  Peru:  Sundstral  25f.  —  Karaiben:  Dapper,  Die  Unbek.  N.  W.  207.  —  Tupi: 
Friederici  61.  —  Uaupes  u.  Isan;i:  Koch-Grimberg,  Women  374.  —  Feuerländer: 
Byades,  Glob.  49,  39. 

§  138.  Transsylv.  Zeltzigeuner:  H.  v.  WlislocM,  Gebräuche,  Glob.  51,  251.  —  Her- 
manen:  Grupp,  K.  d.  a.  K.  u.  G.  231;  Simrock,  Edda  Bigsmal.  —  Norwegen:  Lieb- 
recht,  Zur  Volkskunde  311.  —  England:  Vgl.  Bob.  Ferguson.  The  Teutonie  Name- 
in.  Ausland  1871,  S.  712  (nach  Gornhill  Magazine.  Miß  Yonge's  History  of  Christian 
Names  I.  353).  —  Deutschland:  Vgl.  Grösse,  Unsere  Vor-  und  Taufnamen;  Pott, 
über  die  Personen-  und  Familiennamen:  Schönwerth,  Aus  d.  Überpfalz  1,  165.  — 
Oberösterreich,  Kärnten,  Kroatien,  Tirol:  Schukoivitz,  Üb.  Volkstum!  Namen- 
geb..  in  ,.Z.  d.  V.  f.  V.".  J.  7.  S.  lOOf.  —  Mahren:  Jiriczek  in  „Mitt.  d.  Schi.  lies.  f. 
V  •  1.  30.  —  Alte  Griechen:  Guhl  u.  Koner,  D.  Leben,  4.  Aufl..  S.  233.  —  Cata- 
lonien:  Mündl.  Mitteil,  der  Frau  J.  Michael- Breslau.  —  Tscherkesseu:  v.  Klaproth. 
Reise  1.  594.  —  Inguschen:  Ebenda. 

;  39.  Hebräer:  F.  Hommel,  Die  Namen  der  Säugetiere  b.  d.  semit.  Volk.  —  Araber: 
Journ.  Anthrop.  lnstit.  (1872),  I,  406:  Wetzstein,  Reisen;  Lane  I.  7s:  Musil,  Arab. 
Petr.   111.  2\i.  —  Kaffitscho:  Bieber  94. 

§  140.  Malinke:  Brun  im  Anthrop.  II,  7-7.  --  Bambara:  Henry,  Le  C'ulte,  Anthrop. 
111.  708.  —  Wai:  y.  Baumann  im  Glob.  52,  23S.  —  Goldküste:  Vortisch  281.  — 
Sklavenküste:  Zündel,  Ztschr  d.  Ges.  f.  Erdk.  zu  Kerlin  (1877),  XII,  292.  —  Togo: 
r,  Hornberger  u.  Wicke  bei  P.  L ,  Naruengebuug,  Glob.  79,  350;  Fies  75.  — 
llaussu:  G.  A.  Krause,  Merkwiird.  Sitten,  Glob.  69,  374:  Tremearne  in  Folk-Lore 
XXI.  191n,  p.  202.  —  San  Salvador:  Weeks,  Notes  in  Folk-Lore  XX.  305.  -  He- 
rero:  Dannert  im  Glob  38,  364.  — Bergdamara:  H.  von  Frangois,  Glob.  96,  173. — 
Va...  Makua:  HY/f/.- 339  ri\  —  Wazaramo:  Andres,  Die  Espeditionen  II,  95.  —  Was- 
hambara:  Storch,  Sitten  313  Wanika:  Kropf,  Reisen  I.  415.  —  Wopogaro:  Fabry 
223.  —  Madagaskar:  C.  Keller,  D.  ostafr.  Inseln  66f.  —  Batak:  von  Brenner. 
Besuch244.  —  Kubus:  Voh  L04.  —  Mentawei:  Pleyte,  Glob.  79.  24.  —  Belendas: 
Stevens,  Namengeb.,  Glob.  »2.  254.  —  Semang:  Winds*      Karl,  The  native  races  154. 

—  Tagalen:  Blumentritt  mach  P.  Chirino)  Glob.  62.  254.  —  Jap:  Senfft,  Rechtssitten 
142.  — Gazellen  -  Halbinsel:  Winthuis  24.  -  Kai  ser-W'i  lhelms-Land:  Krieger, 
Neuguinea  165  u.  171  f.  — Britisch-Neu-Guinea:  Derselbe  294:  „Die  Natur"  1879, 
S.  289.  —  Neuseeland:  Tylor,  Anfänge  II,  432.  —  Arunta:  Spencer-Gillen  580 ff.  — 
Murn:   BuUay  in  „Xature"   1874,  S.  521. 

§  142.  Kan-su:  Dols  766.  —  Peking:  Stcnz  (nach  Gruber,  Glob.  80,  275;  Derselbe,  In 
der  Heimat  11  n.  30f.  —  Miao:  Schotter,  Notes,  Anthrop.  III,  4171'.;  Anonymus  im 
Glob.  55,  382.  —  Khamti  u.  Singpho:  Gramatzka,  Sagen  365.  —  Siamesen: 
Bastian,  Die  Völker  d.  östl.  Asien  III,  219.  —  Paliyan:  Dahmen  im  Anthrop. 
III,  27.  —  Khond:  The  Anthropolog.  Review  II  (1866).  S.  362.  —  Kolh:  Burton, 
City  of  the  Saints  141. 

§  143.  Mongolen:  von  Beguelin,  Klob.  57,  210.  —  Tscheremissen:  Bastian,  D.Mensch 
II,  279.  —  Samojeden:  P.  v.  Stenin,  Clob.  60,  173.  —  K  am  tschadalen:  Erntan, 
Reise  III.  472.  —  Eskimo:   Astrup  205.   —    lioas  bei  Ehrenreich:   Glob.  79,  44f. 

—  Sioux:  Burton,  City  141.  —  Maskoki:  Owen  64f.  —  Alte  Mexikaner:  Torque- 
mada,  Mon.  Ind.   II,  456:  Bancroft,  Nat.  reces  II,  274  f.  —  Pipiles,  Itzas:  Ebenda 


840  Anhang  I.     Zitate. 

II,  680f.  —  Karaiben  der  Inseln:  Dapper,  D.  Unbekannte  207;  Karaiben  der 
Sierra  Nevada:  Sievers  334  f.  —  Guiana-Indianer:  Glob.  46,  23 f.  —  Tupi: 
Friederici  60 f.  —  Feuerländer:  Glob.  49.  39. 

§  146.  Prabhus:  The  Folk-Lore  Journal  VI.  76.  —  Transsylv.  Zeltzig.:  von  Wlislocki 
Gebr.  251.  —  Alte  Germanen:  Grimm,  Deutsche  Mythol.,  2.  Aufl.,  S.  559;  Mühl- 
hause 7;  Die  Edda.  Übers.  Simrock  (Rigsmal);  Rituale  Augustanum,  pp.  10 f.  —  He- 
bräer: 1  Mose  4.  1:  1  Mose  29;  32—35  u.  30;  1— 8.  —  Araber:  W.  R.  Smith  154; 
\Iu8Ü  III.  2171'.:  Law,  An  Aeeount  I,  78.  —  Kaffitscho:  Bieber  94.  —  Soninke: 
Daniel  :'.!.  —  Togo:  Paler,  L.,  Glob.  79,  350.  —  Sakeis  u.  Mandelinger:  Mosz- 
kowski  643.  —  Dajaken:  Grabowsky,  Gebräuche.  Glob.  72.  271.  —  Tagalen:  Blumen- 
tritt, (Hob.  62,  254.  —  Jap:  Senfft,  Rechtssitten  142.  —  Nauru:  Brandeis  76.  -- 
Saibai:  W.  Schmidt  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  40.  900,  Anm.  4.  —  Annita:  Spencer  und 
Gillen,  Xative  Tribes  581.  —  Japan:  v.  Kudriaffsky,  Japan  48f.  —  Kan-su:  Dols 
766.  —  Ao-Xagas:  Motz  68.  --  Jakuten:  St.  Petersb.  Ztschr..  Bd.  9.  218.  — 
Tungusen:  Ebenda,  S.  307.  —  Maskoki:  Owen  64 f.  —  Hispaniola:  Dapper,  Die 
Unbekannte,  185.   —  Peru:   Snndstral,   Aus   dem  Reiche  26. 

i;  147.  Prabhus:  The  Folk-Lore  Journal  VI,  76.  —  Germanen:  Weinhold,  D.  deutschen 
Frauen  781.  —  B.  M  Meyer,  Altgerm.  Religionsgeschichte  421.  —  Griechische 
Kirche:  Franz,  D.  K.  Benediktionen  II.  209.  —  Arabia  Petraea:  Musil  III.  217  f. 
—  Soninke:  Etüde  34.  —  Herero:  Dannert,  Glob.  :  s.  364.  —  Wasiba:  Herrmann, 
Die  Wasilia.  Mitt.  a.  d.  Deutschen  Schutzgeb.  7, 54. —  Wazaraino:  Audree,  1  Me  Expeditionen 
II,  95.  —  Mentawei:  Pleyte,  Glob.  79,  24.  —  Dajaken:  Grabowsky,  Gebräuche,  Glob  72, 
271.  —  Orang  Temia  u.  Belendas:  Sterem-Stöinn  r  254.  —  Strand-Negritos: 
Mundt-Lauff  in  deutsche  gegr.  Blatt.  (1877),  II.  94.  —  Papua,  Süd  Westküste  v. 
X  eu- Guinea:  von  Bosenberg,  Malayisch.  Archip.  4C4.  —  Saibai:  W.  Schmidt  in  Ztschr. 
f.  Ethnol.  40,  900,  Anm.  4.  —  Mongnnui  (Austrat.):  Ilooker,  Journ.  of  th.  Ethnol. 
Soc.  1869,  S.  72.  —  Todas:  Marshall  71  f.  —  Badagar:  Jagor  im  Bericht  d.  Berl, 
anthrop.  Gesellseh.  1878,  S.  123  u.  199.  —  Khamti  u.  Singpho:  Gramatzka  365.  — 
Ostturkestan:  Schlagintweit ,  Glob.  1877,  17,  S.  265.  -  Baschkiren:  P.  v.  Sir 
im  Glob.  80,  154 f. —  Apachen:  Spring,  Glob.  48,  171.  —  Altes  Mexiko:  Bancroß 
II,  275  f.  —  Pipiles:  Bancroß  II,  680f.  —  Inkareich:  Sundstral  25f.;  Dapper,  D. 
Unb.  339.  —  Tupi:  Friederici  60. 
148.  Basuto:  M.  Carlwright,  F.  of  the  H.  258.  —  Madagaskar:  C.  Keller,  D.  ostafr. 
Ins.  66f.  —  Batak:  v.  Brenner  2441'.;  Ködding  92.  -  Tagalen:  Blumentritt  (nach 
Chirino)  im  Glob.  62,  254.  —  Südaustralien:  Jung  in  „Natur"  1878.  S.  271.  — 
Khasi  und  Synteng:  Gurdon,  Note  69.  —  Ao-Naga:  Moh  68.  —  Guatemala: 
Bancroß  II,  680  f. 

§  150.  Altes  Indien:  Susrutas  Ayurvedas.  edit.  Hessin-  II.  S.  43;  .Tob.  A.  Yidlers  in 
Eenscheh  Janus  I,  225 — 256.  —  St.  Petersburg:  Reimer  in  St.  Petersb.  medic. 
Wochenschrift  1878,  S.  411.  —  Europ.  Völker:  Biedert,  Die  Kinderernährung,  S.  I  l-"> 
Vgl.  Ritter  von  Rittershain,  Statist.  —  Kaffitscho:  Bieber  93.  -  üld  Calabar: 
Hewan,  Edinb.  med.  Journ.  1864,  S.  224.  —  Unterei  Kongo:  fVeeks  420.  —  Basuto: 
Stech  im  ..Daheim"  1879,  24,  S.  382.  —  Samoa:  Turner,  Samoa  81  f. :  Xovara- Heise, 
anthrop.  Teil  III,  40.  —  Japan:  Petersb.  med.  Ztschr.  1862.  III,  I.  2.  —  Südliches 
(nicht- arisches)  Indien:  Jagor  i.  d.  Her.  der  Berl.  Anthrop.  Gesellsch.  1879,  S.  L68. 
-  Esten:  Glob.  1880.  S.  252  (nach  Krettzwald).  —  A  mos:  Bird  im  Glob.  1881,  Bd  39, 
S.  218;  Pilsudski,  Schwangerschaft,  im  Anthrop.  V.  768. 

§  151.  Bannu:  Gerland  (nach  Thorbum),  (ih.l>.  4<i,  294.  —  Farsistan:  Dieulafoy,  Glob. 
46,  294.  —  Nucha:  Glob.  1880,  S.  254  mach  Stojanow).  Kriwan:  Oganisjanz, 
Kawkas  1879,  Nr.  55.  —  St.  Petersburg:  Attenbofer,  Medicin.  Topogr..  4.  Abschnitt; 
Reimer  in  St.  Petersb.  med.  Wochenschrift  1878.  S.  411.  —  Samara:  l'cke.  Das  Klima 
87.  —  Moskau:  Conrad.  Findelhäuser;  Mischler,  Sterblichkeit.  —  Island:  Olafsen 
und  Povelsen,  Reise,  I.  178;  Schleissner,  Island,  d.  Übers,  von  Thomsen  88.  —  Skandi- 
navien:  Westergaard,  Die  Lehre  169.  —  Irland:  Burke  bei  ff.  Mayr,  Die  Sterblichkeit 


Anhang  I.     Zitate.  Q±\ 

Ztschr.  d.  kgl.  bayer.  stat.  Bureaus  2,  245.  —  Deutschland;  Bollinger  im  Glob.  76, 
24"i.  —  Schongau:  Kruger  im  Bayr.  ärztl.  Intel). -Blatt  1874,  S.  45;  Wolfsteiner  in 
Bavaria,  I.  Bd.,  1.  Abt.,  S.  455;  Freising:  Carl  Mayer,  Bayr.  ärztl.  Intell.-Blatt  1870, 
26.  269.  —  Schwaben:  Bück,  Medic.  Volksgl.  10;  Rüdiger,  Sterblichkeit  10—12, 
Würltemb.  medic.  Corresp. -Blatt  1868,  Beilage  zu  Nr.  3.  —  Bayr.  Schwaben  und 
Oberbayern:  C.  Majer,  Journal  für  Kinderkrankheiten  1871,  S.  153;  G.  Mayr.  Über 
Kindersterblichkeit,  Ztschr.  des  kgl.  bayr.  statist.  Bureau,  II.  Jahrg.  (1870),  S.  205; 
Mischler,  Sterblichkeit,  im  Wörterb.  für  Volkswirtschaft,  2.  Aufl.,  2.  Bd.  —  Posen: 
Kapuschiski,  Deutsche  med.  Wochenschr.  1879,  Nr.  32.  —  Würzburg:  Ringleb,  Ver- 
handlungen der  physik.  -medic.  Gesellsch.  in  Würzburg,  N.  F.  V  (1873),  S.  81.  —  Braun- 
schweig:  Hampe,  Monatsblatt  f.  medic.  Stat.  1862,  Nr.  1.  (Neuere  Literatur  findet 
sich  als  Randbemerkungen  des  §  151  zitiert.) 

§  152.  Südruss.  Jüdinnen:  Weissenberg,  Beiträge  315.  —  Jüdinnen  der  OaseMzab:  R.  A. 
im  Glob.  83,  354.  —  Ägypten:  Wiener  Medizinalhalle  1864,  Nr.  33.  S.  346.  — 
Somali:  Hildebrandt  in'Ztschr.  f.  Ethnol.  1878.  S.  39G.  —  Kaffitscho:  Bieber  93.  — 
Djolof:  De  Roehebrune,  Rev.  d'Anthrop.  1881,  IV,  2,  S.  290.  --  üld  Calabar: 
lleiraii.  Edingb.  med.  Journ.  1864,  p.  224.  —  Angola:  Pogge,  Beiträge  z.  Entd.  Afr. 
111.(1880),  S.  5.  —  Unterer  Kongo:  Weeks  420.  —  Makalaka:  Mauch  in  Peter- 
manns Mitteil.  Ergzgsh.  Nr.  37,  1874,  S.  38.  —  Makukira:  Cameron,  Quer  durch 
Afr.,  I,  236.  —  Hottentotten:  Novara-Reise,  anthropol.  Th.  III,  118.  —  Kubus: 
\~"l:  104.  —  Mentawei:  Pleyte  24.  -  Karolinen- Archipel:  Mertens,  Kecueil, 
129.  —  Korea:  Arnous.  die  Frauen  160.  —  Tongkin:  Seidel  im  Glob.  57,  247.  — 
Assam:  Molz  67.  —  Malediven:  von  Rienzi,  Ozeanien,  deutsch,  I,  245.  —  Siam: 
Grehan,  in  Annales  des  voyages.  1869,  278. 

§  153.  Kauikar:  Jagor,  im  Bericht  d.  Berl.  Anthrop.  Gesellsch.  1879,  S.  78.  —  Buräten: 
Kaschin  in  Mosk.  uiedic.  Zeit.  1862.    —   Isaurien:    Sperling  in  Ztschr.  f.  allg.  Erdk. 

1864,  XVI,  S.  28.  —  Tataren  in  Eriwnn:  Oganisjanz  im  Kawkas  1879,  Nr.  55.  — 
Tungusen:  Middendorf,  Sib.  Reise  IV,  T.  2.  S.  1488.  —  Ostjaken:  „Das  Ausland", 

1865,  Nr.  22,520;  Kondratowitseh,  Z.  E.  d.  0.,  290.  --  Finnen:  Procqpius,  Corp. 
Byzant.  Tom.  I;  Abelin  im  Journal  f.  Kinderkrankh.  1864,  Septemb.  und  Oktob.  195; 
Scheffer,  Lappland.  342.  —  Esten:  Glob.  1880,  S.  252  (nach  Kreuzivald). 
Eskimo:  Klemm.  Allg.  Culturgesch.il,  208.  — Tepecano:  Fehlinger,  D.  T.-J..  292. 
—  Brasilien:  Lerg  in  Allg.  Hist.  d.  Reisen  XVI,  S.  259.  —  Roucouyenne: 
Crevaux  im  Glob.  1881,  Bd.  40.  S.  70.  —  Karaiben:  Baumgarten,  1.  c.  II,  858. 

§  154.  Alte  Inder:  Susrutas  Ayurvedas.  edit.  Hessler  II,  S.  43;  Juli.  A.  VuUers  in  Henschels 
Janus  I,  1846,  S.  225 — 256.  —  Neuzeit!  Europa:  B.  Rominel,  D.  Ammenwesen,  in 
Blätter  f.  Säuglingsfürs.  I,  14S  ff.  —  Heut.  Deutschi.:  1.  Beilage  des  „Vorwärts". 
Berliner  Volksblatt,  27.  Jahrg.,  Nr.  HS. 

§  155.     Samoa:   Turner,  Samoa,  81  f.  —   „Indios"  —  Torquemada,  Monarch.  Ind.  IL   460f. 

§  156.  Indien:  VuUers,  Janus  I,  253.  --  Armenier,  Tataren  u.  Kurden:  Nach  dem 
Russischen  von  Oganisjanz  im  Kawkas  1879.  Nr.  54.  —  Basuto:  Grützner,  Ztschr. 
f.  Ethnol.  1877,  III.  Verhaudl.,  S.  77.  —  Maoris:  Tuke,  Edinb.  med.  Journ.  1864,  Nr. 
104,  p.  726.  —   Chinesen:    Walbaum  in  Petersb.  med.  Ztschr.  III,  862,  I.  2. 

§  158.  Indien:  M.  Duncker,  Gesch.  des  Alterthums  II,  231.  —  Muselmanen  (Perser): 
Koran,  Übers.  Wahl,  Sure  IL  36;  Polak,  Persien  I,  195.  —  Alte  Germanen:  Tacitus, 
Lib.  de  mor.  Germ.  §  20.  —  Angelsachsen:  Beda,  Hist.  eccles.  I,  27.  — 
Deutsche  des  15.  u.  16.  Jahrb.:  Weinhold,  D.  deutschen  Frauen  1,  103.  —  Rom: 
/'/•■ilus,  Dialogus  de  orat.  XXVIII  u.  XXIX.  —  Romanische  Länder:  Torquemada, 
Uon.  Ind.  II,  461;  Rommel  1461'.  —  Babylon:  Die  Gesetze  Hammurabis,  Deutsche 
Übers.  Winckler,  §  194.  —  Akkader:  Lenormant,  La  Magie  I.  lff.  —  Libanon: 
Chemali,  Naissance,  Anthrop.  V,  739.  —  Bukowina:  Kaindl,  Die  Juden,  Glob.  80, 
134.  —  Yemen:  Manzoni  52. 

§  159.  Ägypten:  Rommel,  Das  Ammenwesen,  S.  145 ff. ;  Pseudo-hippolyt.  Oanones,  D.  U. 
Grüne.    —   Ngumba:    Conradt   337.  —  Hova:   Camboue,    Anthrop.  4,  384.    —   Viti: 


842  Anhang  I.     Zitate. 

Rougier  im  Anthrop.  II,  99Kf.  —  China:  Math,  Üb.  d.  häusl.  Verh.  33.  —  Türkei: 
P.  Eram,  Quelques  eonsiderations  p.  65.  — Aiuu:  Filsudski,  Schwangerschaft  768.  — 
Irokesen:  Baumgarten,  Allg.  Gesch.  I.  272.  —  Azteken:  Klemm,  Allgera.  Culturgesch. 
V.  36.  —  Inkareich:  Ebenda;  Sundstral  26. 
§  160.  Armenier:  Nach  Gfarrü  Oganisjanz  im  Kawkas  1879;  Glob.  38,  270.  —  Raffer: 
Siech  im  Daheim  1879;  Glob.  XX,  149.  —  Angola:  Pogge,  Beiträge  z.  Entdeckungs- 
gesch.  Afr.,   7.  H.,    S.  5.   —    Loango-Küste:    Pechuel-Loesche   in   Ztschr.  f.  Ethnol. 

1878,  S.  31.  —  Hottentotten:  Le  Yaillant,  Reise  2,  39.  —  Randavu:  Buchner, 
Reise  durch  d.  stillen  Ocean  268f.  —  Australien:  Laie,  Vier  Jahre  1!I7.  Chili: 
Dapper,  D.  U.  633.  —  Inkareich:  Baumgarten,  Allgem.  Gesch.  II,  214;  Sundstrai 
26.  —  Chippewa:  Mc  Kenney,  Sketches  290. 

§  161  Norwegen:  Westergaartl,  Die  Lehre,  I.Abt.  —  Juden:  Kotehnann,  Die  Geburtsh. 
149.  —  Damaskus:  Robson  m  Dubl.  quart.  Journ.  of  med.  sc.  1865.  Febr.  —  Süd- 
russ.  Jüdinnen:  Weissenberg,  Beitrage  315.  —  Araber:  Koran,  Deutsch  von  Bogsen, 
S.  36,  516  u.  387;  Sure  46  u.  31;  Lerne  I,  79 f.  --  Kaffitscho:  Bicber  93.  - 
Kabylen:  Ledere,  Une  mission  medicale.  —  Berber:  Rohlfs.  Mein  erster  Aufenthalt 
71.  —  Mandingo:  Mungo  Park,  Reisen,  Ubers.  237.  —  Goldküste:  Vortisch  280 
—  Ho:  Fies  75.  —  Ewe:  Herold,  Bericht  betr.  Eechtsgew.  i:i  Mitt.  a.  d.  Deutschen 
Schutzgeb.  5,  161.  —  Dualla:  Pauli,  Kamerun  17.  —  Ngumba.  Conradt  337.  — 
Fjort:  Dennet  20.  —  Unterer  Kongo:  Weeks  420.  —  Bergdamara:  Glob.  96, 
173.  —  Wazaramo  u.  Wanyarawozi:  Andres,  Die  Expeditionen  II,  96  und  215.  — 
Suaheli:  Hildebrandt,  Ztschr.  f.  Ethnol.  1878,  S.  39;>.  —  Basutos:  Stech  im  „Daheim" 

1879,  Ly.  24.  S.  3S3:  M.  Cartwright,  Folklore  of  the  Basutos  in  F.-L.  XV.  251.  - 
Hottentotten:  Schinz  98. 

§  162.  Howa,  Camboue,  Anthrop.  IV.  3s4.  Batak:  von  Brenner  247.  —  Kubus:  Voh 
104.  —  Danigala-  Weddas:  RUHmeyer,  D.  Nilgalaweddas  im  Glob.  83.  203  u.  221.  - 
Aetas:  Schadenberg  in  Ztschr.  f.  Ethnolog.  1880,  S.  135.  —  Celebes:  Fii/ke,  Versuch  I. 
688.  —  Jap:  Senjft,  Die  Rechtssitten  142.  —  Nauru:  Brandeis  77.  —  Britisch-Neu- 
Guinea:  Krieger  294.  —  Motu:  „Die  Natur"  1879,  S.  289.  -~  Bismarckarehipi 
iye;719.  —  Bougainville:  Thurnwald  in  Ztschr.  f  Ethnol.  42, 123.  —  Samoa;  /' 
Samoa  81  f.;  Kabarg  im  Glob.  Bd.  47.  S.  71.  —  Neuseeland:  Take  im  Edinb.  med. 
Journal  1864,  p.  725.  —  Moore  River  (Australien):  Salvado  311. 

§  163.  Tongkin:  Seiltet,  Glob.  57.  247.  -  Kansu  (China):  Dols  768.  —  Japan:  Schmid, 
Notes  in  New- York  Medie.  Record  1869  (Juli  1  u.  Sept.  15);  „Das  Ausland'  1881, 
S.  liiü.  —Korea:  Arnous,  Die  Frauen  160.  —  Mongolen:  G.v.Baliut,  Glob.  1875, 
14,  222.  —  Steppen-Kirgisen:  Mrs.  Atkinson,  Recollections  126.  152  u.  178.  — 
Seissansk:  von  Stenin,  Glob.  1.9,  228.  —  Baschkiren:  Derselbe,  Glob.  80.  156.  — 
Türken:  Eram,  quelques  consid.  —  Esten:  Glob.  1880.  252—  Ostjaken:  Archiv  f. 
Anthropol.  VIII,  113.  —  Kara gössen:  Ztschr.  f.  allgem  Erdk.  VIII, 404.  Tungusen: 
Middendorffs  Sibir.  Reise  IV,  T.  2,  1488,  L495,  L500  u.  1535.  —  Giljaken:  /.. 
v.  Sehrenck  III,  640—645.  —  Eamtschadalen:  Steller  349ff.  -  Renntier- 
Tschuktschen:  Cremat,  Glob.  66.  2sti.  —  Eskimos:  E.  Bessel  im  Archiv  f.  Anthrop. 
VIII,  113.  —  Cumberland-Su.nl:  Abbes,  Glob.  46.  216:  Hall,  Life.  -  Nutka: 
Bancroft  I,  197.  —  Dakotah:  Schoolcraft,  Information  111,  212  u.  240.  —  Florida: 
Torquemada,  Mim.  Ind.  II.  460.  —  Sac-  u.  Foxind.:  Oieen,  Folk-Lore  65.  —  Azi 
Bancroft  II.  281.  —  Tepecano:  Fehlinger  292.  —  Hayas:  Bancroft  II.  681.  —  Caraja- 
1ml  :  von  Königswald  237.  — Tukano:  Koch-Qrünberg,  Women378.  — Arawak:  V 
Nachricht  von  Surinam.  —  Waran:  Srhoiiibnrgk,  Reisen  I,  166.  --  Caingangs: 
Borh,,.  Club,  50,  235. 

§164.  Drusen,  Kafir,  Marokkaner:  Floß- Bartels,  D.  Weib,  8.  Aufl. II,  483f.  -  Antillen: 
Du   Tertre  II.  5<»6— 508.  —  Ainu:   Pilsudski  769  n.  773.  Eonumbo:    Vormann, 

Zur  Psychologie  411.  —Fidschi-Inseln:  Rougier  in  Anthropos  II.  9961.  —  Florida: 
/;„,  Hon.    Ind.    II.    46H.  Azteken:    Bancroft  II,   282.    —   Inka-Reich: 

Son.lstralM:  llanmgarten.  Allgem.  Gesch.  11,  21  1.  -  Tapuya:  Dapper,  D.  U.  N.  W.41S. 


Anhang  I.     Zitate.  843 

§  165.  Armenier:  Kawkas  1S79.  Xr.  62.  —  Paris:  Floß-Bartels  II,  477.  —  Egba, 
Xosa-Kaffer:  Ploß-Bartels,  II,  475f.  —  Hottentotten:  Schinz  98.  —  Neger 
auf  den  Antillen  und  Guayana:  Du  Tertre  II,  506—508.  —  Java,  .Su- 
matra: Ploß-Bartels  II,  477  (nach  W.  Reiß  und  Julius  Jacobs).  —  Maori:  Tuke, 
Edinb.  med.  Journ.  1864.  S.  72.3.  —  Dieri:  Siebert,  Sagen,  Glob.  Bd.  97,  S.  49.  — 
Irokesen:  Lafttau  bei  Baumgarten,  Allg.  Gesch.  1,272.  —  Britisch-Guay  an  a:  Qiuir.lt. 
Nachricht  von  Surinam;   Appun,   ,.Das  Ausland''    1871,  S.   125. 

§  166.  Neu-Andalusien,  Chippeway  usw.:  Ploß-Bartels,  Das  Weib,  8.  Aufl.,  II,  478 
bis  480.  —  Buschmänner:  Fritsch,  Die  Eingeborncu  407.  —  Dieri:  Sichert,  Sagen, 
Glob.   Bd.  97.  S.  49. 

§  167.  Perser,  Siebenbürger  Zeltzigeuner  usw.:  Ploß-Bartels,  Weib  II,  500—504,  429f. 
und  47S.  —  Canarische  Inseln:  Mac-Gregor  91.  —  Basutos:  Cartwright,  Folk- 
lore XV,  251.  —  Hottentotten:  Schinz  98.  —  Gesellschaftsinseln,  Hawaii, 
Neuseeland,  Australien:  Sei  Ztschr.  f.   Ethnol.  1880,   S.  135.    —    Pirna: 

von  Murr  2(>7.   —  Britisch-Guayana:   Si  'c,  Keisen  in  Brit.-Guay.  I,  166  u.  II. 

239,  289  u.  315:  Appun,  ..Das  Ausland",  1871,  S.  125. 

•§  168.  Eriwan:  Oganisjanz  im  Kawkas  1879,  Nr.  58.  —  Libanon:  Chemali  739. —  Süd- 
arabien: Hiltlebrandt,  Ztschr.  f.  Ethnol.  1S7S,  S.  396.  —  Bongo:  Schweinfurth,  Im 
Herzen  I,  331.  —  Unterer  Kongo:    Weeks  420. 

•§  169.     Hebräer  (alttestamentliche) :  Kotelman,  Die  Geburtsh.  der  alten  Hebräer.  S.  46  — 49. 

—  Mentawei:  Pleyte  24.  —  Inka:  Sundstral  25f. 

S  170.  Libanon:  Chemali,  Naissance,  Authrop.  \'.  739.  — Deutsche:  Florilegium  politicum. 
Durch  Chr.  Lehmann,  Frankfurt  1639.  —    II".  Kurte.  Die  Sprichwörter. 

§  171.  Liebauer  Tal:  Patschnvsky,  Beiträge  55.  —  Sonneberg:  Schleicher.  Volkstum!. 
145.  —  Franken:  Flügel,  Volksmedizin  56.  —  Rumänen:  Prexl,  Glob.  57.  27.  — 
Serben:  Petrowitsch,  Glob.  1878,  S.  349.  —  Finnen:  Krebel,  Volksmedicin  S.  17. — 
Unterer  Kongo:  Weeks  421.  —  Mkulwe:  Hamhcrycr.  Nachtrag  S05.  -  Libanon: 
Bechara  Chemali,  Naissance.  Anthrop.   V.  735.  739  und  747. 

§  172.  Lückendorf:  .4.  Yoß  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  1881,  Bd.  XIII;  Bericht  d.  Berl.  Anthrop. 
Gesellseh.  S.  104.  —  ßayr.  Oberpfalz:  Bavaria  II.  Abt.  1.  254.  —  Thüringen: 
F.  Schmidt,  Situ-u  u.  Gebr.  in  Thür.  7S.  —  Schwaben:  Buch,  Medic.  Volksgl.  6(1. — 
Tübingen,  Reutlingen:  Meier,  Gebräuche  Xr.  302.  —  Mittelfranken:  Bavaria 
III.  2.  954.  —  Hessen:  MühVuiuse  80;  Wolf,  Beiträge  I.  212,  Nr.  114.  —  Baden: 
Mone,    Anz.    1838,  Nr.   53:    Journal   von    und    für   Deutschland   1787.    Bd.    2.    S.    344. 

—  Elsaß:  Stilher,  Elsässische  Sagen  Nr.  83.  —  Friesen:  Miillenhoff .  Schleswig-Holst. 
Sagen  183.  —  Luschtenitz:  Grohmann,  Abergl.  Nr.  870ff.  —  Karlsbad  u.  Um- 
gebung: Schaller  181.  —  Aargau:  Rochholz,  Alemanu.  Kinderspiel  354.  —  Neu- 
griechen: B.  Schmidt,  Volksleben  I,  1872.  S.  242.  —  Bafiote:  Pechuel-Loesche  in 
Ztschr.  f.  Ethnol.   1878,  Bd.  26,  S.  18. 

§  174.  Akkader:  Lenormant,  La  Magie  1  ff.  u.  160.  —  Persien:  Sykes  in  Folk-Lore  XII, 
271.  —  (Altes)  Rom:  Küchenmeister  u.  Ploß,  Ztschr.  f.  Medicin,  X.  F.  Bd.  V  (1866), 
S.  116;  Th.  BartolinuSj  Antiquitatum  .  .  .  Synopsis  164.  —  Deutschland,  Serbien, 
Ostafrika:  Treichel,  Ztschr.  f.  Ethnol.  XIII;  Bericht  d.  Berl.  Anthrop.  Gesellsch.  S.  23, 
34,8.5.  —  Appen.  Marken:  Pigorini-Beri  344.  —  Siebenbürger  Sachsen:  Miliner 
49;  M.  Bartels  in  Ztschr.  d.  Ver.  f.  Volksk.  5.  Jahrg.,  S.  8.  —  Kuppin:  Haase, 
Volksmedizin  288.  —  Northumberland:  Balfour-Northcote  in  Folk-Lore  IV,  56 f.  — 
Schweden:  Kahle,  Krankheitsbeschwörnngen  195.  —  Aargau:  Hoff  mann -Krayer 
1451'f.  —  Herzegowina:  Boyisic  560.  —  Slawonien:  Kramhergcr.  Glob.  39,  333. — 
•tien:   C.  von  Hahn,    Sitten  330.    —   Kamerun:    Conrau,   Einige  Beiträge  199. 

—  Unterer  Kongo:  Weeks  415f.  —  Mkulwe:  Hamberger,  Religiöse  Überl.  S04f. — 
Fiji:  Rougierl2,  —  Kan-su:  Dols  766.  — Tataren:  Castren,  Reiseberichte  313.  — 
Rattenindianer:  Lony,  See-  u.  Landreisen  161  f.:  vgl.  Rem,  Des  Ind.  Familie  180.  — 
Macatecas:  11'.  Bauer,  Heidentum  861.  —  Araucos  etc.:  Musters  bei  Renz,  Des 
Indianers  Familie  25. 


844  Anhang  I.     Zitate. 

§  175.  Schweden:  Zachariae,  Scheingeburt  155f.  —  England:  Lady  Gurdon  in  C.  F.-L. 
Printed  Extracts  Xr.  2.  p.  14,  20f.  u.  26ff.  —  Xorthumberland:  Balfour-Norihcote, 
Couuty  Folk-Lore  IV,  49.  —  Innishowen:  Doherty  15 f.  —  Schlesien:  Mitteil, 
d.  Schles.  Gesellseh.  f.  Volkskunde  I,  1.  4.  —  Frankreich:  Zachariae,  Scheingeburt 
155f.  —  Franche-Comte,  Saint-Michel  la  Riviere:  Sebillot  IV,  14öf. 

§  177.  (Altes)  Indien:  Susruta  ed.  Hessler  II.  43.  —  (Xeuzeitl.)  Südindien:  Shortt, 
Edinb.  med.  Journ.  1864,  554.  —  Nordwestl.  Deutschland:  Goldschmidt,  Volks- 
medicin  140.  —  Frankenwald:  Flügel,  Volksmedicin  50— 50.  —  Oberpfalz:  Bn 
Schäffer  14;  J.  Wolfsteiner  in  „Bayaria"  11.  Abt.  1,  S.  337.  —  Pfalz:  Pauli  101; 
G.  La  in  uteri.  Volksmedizin  113  u.  119  ff.  —  Sachs.  Vogtland:  C.  Michaelis,  Über 
die  körp.  Erziehung  9  u.  11.  —  Karlsbad:  Schauer  ISO.  —  Araber:  Bertherand, 
Med.  ::88.  —  Fessan:  NachHgal,  Sahara  I,  154.  —  Zulu:  Fr.  Mayr,  The  Zulu  Katirs 
394f.  —  Java:  Jid.  Kögel,  Ausland  1863,  S.  740.  —  Tataren:  Oganisjanz  im  Kawkas 
1879,  Nr.  55. 

§  178.  ßlaubeuren:  Rüdiger,  Die  Sterblichkeit  16.  —  Bayern:  Blätter  f.  Säuglingsfür- 
sorge 1.  Jahrg.,  S.  168f.  —  St.  Gallen:  Wartmann,  Beitr.  I07.  —  England:  Gaz. 
med.  de  Paris  XVIII,  T.  IL  Nr.  8:  ./.  Reid,  Laryngismus:  (Marshalh  Hall,  Beob- 
achtungen 365.  —  Archangelsk:  .4.  H.  Sehrenk,  Reisen  durch  d.  Tundren,  1 .  T.  — 
Persien:  Häntzsche,   Ztschr.   f.   allg.  Erdkunde,  Dez.   1864,  S.  427;   Polak.  Persien  196. 

—  Tataren  u.  Armenier:   Oganisjanz  im   „Kawkas"   1879,  Nr.  55. 

§  180.  Northumberland:  Balfour-Norihcote.  County  Folk-Lore  IV,  49.  —  Suffolk: 
Lady  Gurdon,  C.  F.-L.  I,  Printed  Extracts  Xr.  2,  p.  14  u.  20 f.  —  Kanton  Kern: 
Hoffmann- Krayer,  Volksmedizinisches  145ff."*~—  Jamaica:  Folk-Lore   XV.  454. 

g  181.  Germanen:  Mitteil,  d  Schles.  Gesellsch.  f.  Volksk.  I,  1  —  4  u.  10.  —  Schlesien: 
Ebenda  u.  Drechsler.  Sitte  I,  S.  120.  —  Sachs.  Vogtland:  C.  Michaelis,  Üb.  d.  körp. 
Erzieh.  9  u.  11.  —  Siebenbürger  Sachsen:  Fronivs,  Bilder  33;  Hill»  er  16.  — 
Nordwestl.    Deutschland:    Goldschmidt,    Volksmedizin    140.  Frankenwald: 

Flügel,  Volksmedizin  50 — 56.  —  Schongau:  Krüger,  Bayrisch,  ärztl.  Intelligenz-Blatt 
1874,  Nr.  45.  —  Böhmen:  Grohmann,  Aberglaube  I,  178;  Bayerl-Swejda  (sehriftl. 
Mitteil.).  —  Schweiz:  Muralt,  Hippokrat.  helvet.;  Receptir-Hds.  144:  Hoffmann- 
Krayer  145  ff.  —  Oldenburg:  Strackerjan,  Aberglaube  1.  71. 

§  182.     Norwegen:  Grookshank,    Old   Time  320.    —    Irland:   Doherty    15f.    —    England: 
Lady  Gurdon   in  C.  F.-L.  I,    Printed    Kxlr.    2.  25:    Gomme,    Folk-Lore  XIII,   69ff.  — 
Schottland:   Mitchel,  Magazin  f.  d.  Lit.  d.  Auslandes  1876.  Nr.  40.  —  Buren:   (ioiuhn  . 
Folk-Lore,  ebenda.  —  Rutenen:  Kanftl.  A.  d.  V.  d.  I!.  i.  G.  9.;.  —  Georgier:   EHch- 
wald,   Reise.   —   Libanon:  Chemdli,  Naissance  746.    —    Südruss.   Juden:    Weissen- 
berg,  Kinderfreud  316.  —  Arabia   Petraea:   Musü  111.    il7.   —  Togo:  Spieß,  Glob. 
'.Mi.   221.    —  Kikuyu:   Bugeau   191;    Cayzac,    La   Religion  310  f.    --    Uganda:    Glob. 
96,  33    (nach  J.  Boscoe).   —   Dar-es-Salaam:    Wehrmeister,    Vor   d.  Sturm   219.   — 
Basuto:  Grützner  in  Ztschr.  f.  Ethnologie  1877,  Verhandl.  S.  78.  —  Howa;  Ca 
985.  —   Fidschi:    Rangier   im    ,.Anthropos"  II,    10005.    -       Kan-su:    Dols  765. 
Badagas:  Jugor  in   Verhdl.  d.  Berl.  Ges.   f.  Anihrop.  1876,    S.  199.   -      Kirghisen: 
Glob.  39,    111.    —    Mordwinen:    AJbercromby    im    Folk-Lore  Journal  VIT,  I05f.    - 
Esten:    Krebel,  Volksmedicin  24.    —    Oltscha:   /.    V.  Schrenck,   Reisen   111.    766 
Indianer:  Heckeweicher,  Mitteilungen  387—410;   Schoolcraft,  Oneota  195.  —  Chippe- 
ways:   Me  Kenney.  Sketches  362.  —    Maskoki:   Owen  66.  —  Vuina:   Spring  im  Glob. 
50,  268.  —  Trios:  De  Gocje,  Beiträge  15. 

§   183.      Israel:    1    K'".iii-c    14,    1  ff.    --    Bachtiaren:    Dieulafoyt    Reise   258.    -       Mkulwc: 
Hambi  rgt  r,  lteligir.se  Überlieferungen  308.  —  Nyangao;  Wehrmeister 35.  —  Makon de- 
Plateau: )Vtule351ü.  —London:  Gomme.  Folk-Lore  XI11.  69ff.  —  Buren:  Derselbe, 
ebenda.     Kendal  Franks,  ebenda  72.   —  China:   StenZ,    In  d.  Heimat  47,   138  0.  126. 
Trichinopoly:   Kath.  Missionen  1909/1910,  S.  U.  —  Ainu:   Pilsudski,   Bärenfesl  39. 

—  Brasilien:  Koch-Grünberg,  Women  380.  —  Cumbe  rl  and-Sund  :  Abbes.  Deutsche 
Polar-Bxped.  297  u.  314.   —   Chippeways:   Me  Kenney,   Sketches  302.  310  u.  323 f. 


Anhang  I.     Zitate.  815 

§  1S5.  Maroniten:  Chemäli,  Naissance  746.  —  Unterer  Kongo:  Weeks  415f.  — 
Wasarauio:  K.,Andree,  B.  Exped.  2,  95.  —  Lukuledi:  Wehrmeister  90.  —  Altes 
Peru:  Dapper,  B.  U.  N.  W.  349. 

§  1S6.  Albaner  Berge:  Cozzi.  Malattie  914.  —  Schlesien:  Drechsler,  Sitte  I,  221.  — 
Hessen:  Mühlhause  SO.  —  Doresen:  Rosenberg,  Hat.  Areh.  456.  —  Loyalty- 
Inseln:    Waitz-Gerland,  Anthrop.  VI,  641.   —  Eskimos:  Hall  II,  321;   Helms  129f. 

—  Cora:  Preuß.  Ethnogr.  Erg.  588 f.  —  Patagonen:  Musters,  D.  Übers.  192. 

§  187.  Albaner  Berge:  Cozzi,  Malattie  915.  —  Lumda-Tal:  W.  Lentz,  Hess.  Blätter  f. 
Volksk.  VI,  107  u.  Anm.  —  Belgien:  J.  W.  Wolf,  Niederländ.  Sagen  684.  —  Ober- 
pfalz: Fr.  Schönwerth,  A.  d.  Überpfalz  I,  255.  —  Kanton  Tessin:  Pellandini  254.  — 
Spezia:  Martinengo-Cesaresco,  American  Songs  in  Folk-Lore  Journal  II,  248.  — 
Kaffitscho:   Bieber  96.  —  Bassari:  Klose  344.  —  Unterer  Kongo:    Weeks  422  f. 

—  Kavirondo:  Stam,  The  Keligious  Conceptions  im  Anthropos  V,  3.">9ff.  —  Luku- 
ledi: Wehrmeister  91  u.  85.  —  Makua:  Weide  168.  —  Kaffer:  Barrow  220f.  — 
Batak:  Frhr.  v.  Brenner  235  u.  196.  --  Papua:  Krieger,  Xeu-Guinea  391.  — 
Australien:  Xortlicote  W.  Thomas,  The  Disposal  401  u.  403;  Spencer  u.  Gillen  505. 

—  Korea:  Watters,  Some  Corean  Customs  83.  —  China:  De  Groot,  The  Religious 
System  III,  1387f.;  Stenz  40.  —  Thai:  Bourkt  361.  —  Pamir-Kirghisen:  Sven 
Hedin,  I).  Asiens  "Wüsten  I,  2.  —  Giljaken:  Pilsudski,  Schwangerschaft  761; 
L.  v.  Schrenck,  Reisen  III.  761 — 776.  —  Tschuktschen:  Priklonski  im  Glob.  59,  83. 

—  Eskimo:  Ausland  1S70,  Nr.  9;  Abbes,  Hie  deutsche  Nordpolar-Expedit.  314.  - 
(Jhippeways:  Mc  Kennet)  305f.  —  Pirnas:  von  Murr  197.  —  Altes  Peru:  Reiss 
und  Stiibel,  Bas  Todtenfeld  von  Ancon  in  Peru.  —  Biagitas:  Boman,  Antiquites  1, 
144  u.  149.  —  Bolivia:  Erl.  Nordenskiöld,  Meine  Reise  215.  —  Tapuya:  Dapper, 
B.  U.  N.  W.,  566.  —  Camacan:  Spix-Martius  bei  Benz,  Des  Iudianers  Familie  55.  — 
Karaiben:  Ebenda  82.  / 

§  18S.     Russen:  A.C.  Winter,  Toteuklagen  389.  —  Kasckuben:  Tetzner  im  Glob.  70,  271. 

—  Huzulen:  Kaindl  im  Glob.  67,  358.  —  Südslawen:  Glob.  29,  125.  —  Letten: 
A.  C.  Winter,  Lettische  Totenklagen  368£f  ■-  Westfalen:  Hartmann.  Bilder  95.  — 
Lumda-Tal:  W.  Lentz  Ulf.  —  Apulien,  Calabrien.  Sizilien:  lila  v.  Dürings- 
feld  u.  Frhr.  v.  Reinsberg-Düringsfeld  67  u.  81.  --  Arabia  Petraea:  Musü  III. 
435,  i44  u.  219.  —  Wapororo:  Fabry  22J.  —  Wasaramo:  Andree,  B.  Exped.  2, 
95.  —  Wangoni:  Wehrmeister  146  (nach  P.  Johannes).  —  Wahehe:  Alfons  M. 
Adams  in  Missionsblätter  St.  Ottilieu  II,  Nr.  3.  —  Chokoa:  Oscar  Baumann,  Sansibar- 
Archipel  37.  —  Kap-Hottentotten:  Kolb  442.  —  Haiti  u.  span.  Südamerika: 
E.  Metzger  im  Glob.  47.  232.  —  Papua:  Krieger,  Neuguinea  177,  S95  u.  398;  „Bie 
Natur-  1879,289;  Chalmers-Wyatt  Gill  149.  —  Palau:  Semper  234ff.  —  Australien: 
Spencer  u.  Gillen,  The  Northern  Tribes  75:    Salvado  298.    —   Fidschi:    Rougier  74f. 

—  China:   Stenz   40.    —   Finnland:    Will.    Fischer,   Aus    allen    Weltteilen    IX,    75. 

—  Eskimo:  Helms,  Grönland  130f.;  Hall  11,  314.  —  Chippeway:  Mc  Kenney, 
Sketches  294.  —  Hudson-lnd.:  Dapper,  B.  U.  N.  "W.  151.  —  Nadowessier:  Carver, 
Travels  403ff.  (vgl.  Renz,  Des  Ind.  Familie  135f.).  —  Calif  ornien:  Westermanns  Ulustr. 
Monatsh.  1881,  Nr.  298,  S.  512  (nach  Power).  —  Mexik.  Ind.:  Sartorius  in  Augs- 
burg. Allgem.  Ztg.  1852,  Nr.  72.   —   Argentinien:  Söchting  im  Glob.  1877,  S.  127f. 

—  Nordwestl.  Brasilien:  Koch-Grünberg,  Women  380.  —  Karaiben:  Kappler, 
Surinam  231f.;  Du  Tertre,  Hist.  nat.  II,  411.  —  Feuerländer:  Hyades  im  Glob.  49,  39. 

§  189.  Kanton  Bern:  Rothenbaeh,  Volksthümliches  11.  —  Böhmen:  Grohmann,  Abergl. 
Nr.  757 f.  —  Kurische  Nehrung:  Negelein,  Aberglaube  289.  —  Slawen:  A.  Hell- 
a-ig.  Aberglaub,  und  Strairecht,  in  Unterhaltungsbeilage  z.  Tägl.  Rundschau,  Berlin 
1905,  Nr.  220.  —  Bleichach  (Oberhessen):  W.  Lentz  in  Hessische  Bl.  f.  Volksk.  VI, 
106.  —  Rumänen:  Prexl  im  Glob.  57,  30.  —  Makua  u.  "Wayao:  Wehrmeister  91.  — 
Batak:  Frhr.  v.  Brenner  2.J5  u.  196.  --  Brasilien:  Etienne  Ignuce,  Le  fetichisme 
903  f. 


846  Anhang  I.     Zilale. 

§  L92.  Elbogner  Kreis:  Jos.  Hofmann,  Taufbräuche  61.  —  Schlesien:  DrecJisler,  Sitte- 
180.  —  Tonga:  Torrend  58.  —  Basutos:  Ausland  1881,  S.  276  (nach  Putnu).  — - 
Mayas  u.  Mexikaner:  Seier,  Tierbilder  31  ft'.;   derselbe.  Codex  Borgia  II,  213. 

§  193.  Altes  Indien:  v.  Reitzenstein,  Kausalzusammenhang  656 f.  —  Germanen:  Sepp, 
Altbay.  Sagenschatz  12.3.  —  Tirol:  v.  Reitzenstein  (nach  Zingerle  u.  Sepp)  in  Ztschr. 
f.  Ethnol.  41.  661  Ö.  --  ßambara:  Anthrop.  III,  708f.  —  Abessinien:  Glob.  96, 
240f.  (nach  Duschene  Fournet).  —  Semang  u.  Warramunga:  Graebner,  Zur  austral. 
Religionsgesch  ,  Glob.  96,  344;  W.  Schmidt,  Die  soziol.  Verhältnisse,  Glob.  9",  I86f. 
—  ßuin:  Thurnwald,  Im  Bismarckarchipel  130f.  —  Altes  Mexiko:  von  Beil 
652  f.  u.  Anm.  2:  Htiniy,  Codex  Barbouicus   Kl  f. 

§  194.  Gristow:  von  Reitzenstein  661f.  —  Einsiedeln:  Schweiz  Archiv  f.  Volksktir.de 
8,    308.    —   Australien:   Spencer-Gillen,   The  Native   Tribes   of  Uentr.  Austr.  .Vitiff. 

§  195.  Klewe  (Deutsch-Togo):  C.  Spiess  im  Glob.  98,  337.  Kiene  (Deutsch -Toge):  C.  Spiess 
im  Glob.  98,  337.  —  Bakwiri:  .1  Seidel  im  Glob.  80,  390.  —  W  adschagga:  Gutmann, 
im  Glob.  96,  104.  —  Vorderasien:  von  Reitzenstein 668 f.  —  Cape  Graf  ton:  Rat 
ebenda. —  Euahlayi:  Parker  bei  Schmidt,  Die  soziol.  Verhältnisse.  Glob.  97.  173 ff.  — 
Ainu:  Pilsudski,  Schwangerschaft  765.  —  H  uichol:  Th.  Frevss,  Ethnogr.  Ergebnisse 
59.5.   —   Misquito:  Lehmann   in   Ztschr.  f.   Ethnol.   1910,  Heft  5. 

§  196.  Sumatra:  MoSzkowski,  Sagen  995f.  —  Südöstl.  Australien:  W.  Schmidt.  I). 
soziol.  Verhältnisse,  Glob.  97,  173 ff.  —  Ozvkumra:  Mol:,  Ein  Besuch  56.  —  Mas- 
koki: .1/.  .4.  Owen  66. 

§  197.  Neugriechen:  B.  Schmidt.  D.  Volksleben  I.  173,  241  u.  245.  —  Südslawen: 
Albin  Kohn,  Glob.  1876,  Xr.  8,  8.  124.  —  Huzulen:  Glob  67,  35S.  —  England: 
Denhain  Tracts  II,  58f.  —  Brabant:  von  Düringsfeld,  Forziuo  134.  —  Wasaramo: 
K.  Andree.  Die  Expeditionen.  —  Amazulu:  Callaway,  The  religioua  System,  in  Folk- 
Lore-Society  XIV,  176  u.  Glob.  1867,  I,  29.  -  Basutos:  Cartwright  in  Eolk-Lore 
XIV  (1903),  p.  417.  —  Polynesien:  F.  Solowjew.  im  Archiv  f.  Anthrop.  1880,  XII. 
415.  —  Doreh:  Rosenberg.  Malaviseher  Archipel  456.  —  Japan:  G.  Kreiiner,  Im 
fernen  Osten  253.  —  China:  /..  Kutscher,  Bilder:  Huc  u.  Gäbet.  Wanderungen  331; 
Glob.  59,  175  (uach  J.  H.  S.  Lockhart).  —  Tscherem  issen :  P.  v.  Stettin,  Km 
neuer  Beitrag  202.  —  Giljakeu:  L.  v.  Schrenck,  Reisen  III,  761  ff. ;  Pilsudski, 
Schwangerschaft  761  f.  —  Mexiko:  Callegari,  L'Autico  Messico II,  23;  Pr<  uss,  Ethnogr. 
Ergebnisse  588  f.  und  594. 

5'  198.  Hakka:  Hubrig  im  Bericht  d.  Anthropol.  Gesellsch.  z.  Berlin  1879.  104.  —  Unterer 
Kongo:  Wecks  422  f.  —  Australien:  Spencer-Gillen.  145 ff.,  505,  606,  609  u.  887, 
Anm.  —  Maskoki:   Owen,  Folk-Lore  22 ff. 

§  199  Transsyl  vanische  Zeltzigeuner:  von  Wlislocki,  Gebräuche  251.  —  Zakynthos: 
B.  Schmidt,  Das  Volksleben:  Miller  in  Melanges  de  litter.  grecque  442.  —  Rutenen  u. 
Huzulen:  Kaindl.  Die  Seele  357  f.  —  Rußland.  Sibirien:  P.  von  Stenin,  Über  den 
Geisterglauben  2(isi'.  u.  285;  A".  R.  Papst,  Die  Gespenster.  —  Schlesien:  Vreclislcr. 
Sittel.  188;  Mitteil.  d.  Seid.  Gesellsch.  1.4.  Brabant:  J.  c.  Düringsfeld  134.  —  Pia  I  f  en- 
dorf:  Schöppners  Sagenbuch  II.  929.  —  Saaltal:  Börnera  Sagen  aus  dem  Orlagau. 
-    Mit  tel  franken:    Bavaria    III.   2,    953.    -       Ka  eröer- Inse  1  u :    Otto  Jiriezek  31.   — 

Lewis:  ./.  Abercromby  (nach  .1/.  Mc.  Plutil),  In   Folk-Lore  VI,  170.  —  Schottland: 
J.  Napier,    Kolk-Lore  or  Superstitious  Reliefs:   l'hiimlurs.    I'opulur  lihyines.   —  Irland: 
W.  R.    Wilde  134.     —  Frankreich:   Made.   Contes  populaires.    —   Rumänen:   Prexl 
im   Glob.   57.   17.  Magyaren:    Kropf.  The   Kolk-Tales  94. 

§  201.  Transsylv.  Zel  tzi'geu  ner:  //.  c.  Wlislocki,  Gebräuche  251.  —  Schlesien: 
Drechsler.  Streifzüge,  in  Mitt.  d.  Schles.  Ges.  f.  \'olksk.  I.  IL  IL  22ff.  -  Liebauer 
Tal:  Patschovskjf,  Beiträge,  ebenda  II.  IL  IV.  :'.  —  Vogtland:  Kühler.  Volks- 
bram-h  331.  —  Kran  kisch-H.cn nebe rg:  Spiess,  Volkstümliches  71.  —  Mein  ingen: 
Schleicher.  Volkstümliches  a.  Sonneberg  95.  —  Zützschdorf:  Adler  430.  —  Sieben- 
bürg. Sachsen:  Hillner  46;  Front««,  Bilder  34.  —  Westfalen:  Hartmann,  Brider 
209.  —  Ostfriesland:  Herrn.   Meier,  Ostfriesland  205.  —   England:  Deuham  Tracts. 


Anhang  I.     Zitate.  g^y 

vol.  II,  p.  27 f.,  53  u.  69.  —  Argylshire:  Maclagan,  The  Games  253 ff.  — 
Aschaffenburg:  Sepp,  Altbayer.  Sagenschatz  488.  —  Spessart  u.  Oberpfalz: 
Englert  in  Ztschr.  d.  Vor.  f.  Volksk.  4,  54ff.  —  Althochdeutsches  Schlummer- 
lied: J.  Grimm,  Über  d.  Göttin  Taufana:  Willi.  Miilltr,  Göttinger  gelehrte  Anz.  1860, 
Stück  21  u.  22;  r  Grohmann,  Über  die  Echtheit;  C.  Hof  mann  a.  Joffe",  Sitzungsber. 
d.  bayer.  Akad.  d.  Wissensch.  z.  München  1866,  H.  I,  S.  103.  —  Steirisches  Ober- 
land: Bosegger,  Sittenbilder  24.  Tirol:  Zingerle,  Sitten  232.  —  Schweiz: 
■  Rochholz,  Alemann.  Kinderlied  L99.  --  Lothringen:  Theuriet  in  Revue  des  deux 
moudes  1877,  Mai,  p.  49.  —  Frankreich:  0.  Kamp.  Frankreichs  Kinderwelt;  Kuhff, 
Les  enfantines;  vgl.  auch:  Jerome  Bujeaud,  Cliants.  —  Italien:  Badke.  Das  ital. 
Volk  150. 
§  202.  Georgier:  .4.  Dirr,  Fünfundzwanzig  georg.  Volksl.  483ff.  —  Südruss.  Juden: 
S  Weissenberg,  Beiträge  130ff.  —  Wasuaheli:  Veiten  17.  —  Hottentotten: 
Theoph.   Hahn   in  (ilob.   12,  27s.           Ost-Sumatra:   Moszkowski,   Die  Völkerschaften 

ii.V>.    —    Australien:    Gerland- Waitz,    Anthiop.    d.    Xaturv.    VI,   782.   Dieri    u. 

Nachbarstämme:  Siebert,  Sagen  u.  Sitten  49.  —  Maori:   Dieffenbach,  New-Zealand 
2,  '27.  —  Dravida:  Gallenkamp,  Dravidische  Volkspoesie  81.  —  China:  Glob.  80,  20.  — 
Finnen:  Castrin,  Kl.  Sehr.  242.   —   N  ordamerikanische  Jägervölker:  Schoolcraft, 
Oneöta  212(1'.  in  Renz,  Des  Indianers  Familie  168f.  —  Sioux:  K.  Woltereck,  Aus  dem 
Leben   eines  Siouxiudianers,  Glob.  98,   128. 
§  203.     Wiener  Gegend:   Vernaleken,   Mythen  03.  —  Liebauer  Tal  (Niederschlesien): 
Patschovsky    in    Mitteil.    d.    Schles.    (Jes.    f.    Volksk.    II.    IV,    27.    —    Schottland: 
11".  Gregor  in  Folk-Lore  Journ.  1\'.   132  ff.    —    Frankreich:    0.  Kamp,   Frankreichs 
Kindervveit  55. 
§  204.     Plattdeutsch:  Frischbier,  Preuß.   Volksr.  32.  —  Seh ottl and:  W.  Gregor  in  Folk- 
Lore  Journal  IV  (!S8ii),  132  ff.    —    Dravida:    Gallenkamp,    Dravidische    Volkspoesie, 
im  Glob.  82  (1902),  81. 
§  207.     Armenier:    Nach    Garril  Oganisjnnz   im    Kawkas    1879,   Glob.    Bd.  38,    S.  271.    — 
Kussische   Völker:    Archiv  f.  Anthiop.  XI,  259.  —  Esten:   Glob.  1880,  S.  282.  — 
Queen-Gharlotte-Island:  Dixon  u.  Portloeks  Reise,   D.  Üb.,  S.  213.  —   Alaska: 
Whymper,  Alaska,   D.   [Jb.,  225.  —  K o beua-Indianer:   Koch-Grünberg,  Woinen  of 
all  Nations,  374. 
§  210.     Rumänen;    R.   Prexl,   Glob.  57,   S.  26  f.   —   Polnisch    Oberschlesien:    Nehring, 
Über  Aberglauben  6.        Karlsbad:  Schaller  181.  —  Rumänen:   Prexl,  Glob.  57,  26  f. 
—  Kleinrußland:  v.  Stettin,  Glob.  57,  284 f. 
§  211.     Zeltzigeuner:  von   Wlislocki,  Gebräuche  251.  —  Rutenen:  Kamill,  Aus  d.  Volks- 
glauben   93.     —     Schlesien:    August   Baumgart,    Aus   dem    mittelschles.    Dorfleben, 
in  Ztschr.  d.  V    f.  V.  3,   U9.   —    North  Riding:    Blakeborough  in  Oounty  Folk-Lore 
IL  284.  —  Suffolk:  ü.  F.-L.  I.  11.  —   Uri.  Franz,  D.  K.  B.  2,  237.  —  Maroniten: 
Chemali  738   und   745.    --    Unterer  Kongo:    Weeks   420.    —   Jamaica:    Folk-Lore 
XVI,  68.    —  Kamtschadalen:  Steuer  349  ff. 
§  212.     Maroniten:  Chemali,  Naissance,  in  Anthropos  V,  747. 

§  213.     Kurische  Nehrung:  von  Negelein,  Abergl.  289.  —  Schlesien:  Drechsler,  Sitte  I, 
21D.    --   Ruteuen:  Kaindl,  Aus  d.   Volksglauben,  Glob.  64,  93.    —   Jamaica:  Folk- 
Lore  XV.  454  f. 
§  214.     Schlesien:  Patschovsky,  Beiträge  6">,  67  f.  —  Syrien;  Sessions,  in  Folk-Lore,  Vol. 
IX,  p.   14.   -      Frankreich:  Sebillot  IV,  59.  —  Südrussische  Juden:  Weissenberg, 
li.H  rage  316. — Jamaica:  Folk-Lore  XV.  454f.  —  Luzon:  Blumentritt,  Glob.  48,  200. 
§  215.     Nördl.  England:   Denham  Traets  Vol.  II,  p.  25.  —  Northumberland:  Balfour- 
Northcote,  County  Folk-Lore  IV,  90f.  —  North  Riding:   Gutch  II,  287.  —  Karls- 
bad:  Schalter     81  f.  —  Bern:  Zur  icher- Reinhard  in  Schweiz.  Arch.  f.  Volksk.  8,  267. 
—  Howa:  Camboue  385f. 
§216.     Schlesien:    Drechsler,   Sitte  I,    214f.    —   Karlsbad:    Schaller    181  f.   —   Kanton 
Uri:  Franz,  D.  K.  B.  2,   237.    —    Saint-Die:    Sebillot  IV,    145.    —   Südrussische 


348  Anhang  I.     Zitate. 

Juden:    Weissenberg.    Beiträge   316.    —   Serben:    Petrowitsch    im  Ausland  1876,   26, 
g  517_  —  Maroniten:  Chemali,  Naissance  746.  —  Madagasear:  Camboue  38öf. 

§  217.  Tschechen  und  Mähren:  Tctzner,  Die  Tschechen  321.  —  Italien,  Spanien:  Hildburgh, 
Notes  461.  —  Alte  Ägypter:  Wükinson  II,  335f.  —  Abchasen:  Karutz,  D.  ü.  i.  V. 
oig  —  Araber:  Sandreczki,  Ausland  1876,  244.  —  Kabylen:  Lissauer  522.  —  Ewe: 
Herold  149f.  —  Fjort:  Dennet,  Notes  20.  —  Kaffer:  Bastian,  D.  C.  d.  a.  Am.  Bd.  2, 
658,  Anm.  3.  —  Zulu:  Fr.  Mayr,  The  Zulu,  Anthrop.  II,  635.  —  Kambodscha: 
Glob.  48,  158.  —  China:    Wright,  Some  Chinese  Folklore,  in  F.-L.  XIV,  292ff. 

§  219.  Transsylv.  Zeltzigeuner:  von  Wiislocki,  Gebräuche  250.  —  York:  Gröber,  Zur 
Volkskunde  aus  Concilbeschliissen  p.  13.  —  Heutiges  England:  County  Folk-Lore 
I,  12;  Stamfordham:  Balfour-Northcote,  C.  F.  L.  IV,  58;  Snffolk:  C.  F.-L.  I,  10; 
Nordengland:  Denham  Tracts  II,  43.  — Pennsylvanien:  Hoffmann,  Z.  Volksk.  d. 
Deutsch.,  Glob.  67,  48.  —  Schlesien:  Drechsler,  Sitte  I,  213;  Patschovsky,  Beiträge 
65,  67  f;  Aug.  Baumgart,  Aus  d.  mittelschl.  Dorfl.,  in  Z.  d.  V.  f.  V.  3,  149.  —  Karls- 
bad: Sehaller  179  und  181  f.  —  Schweiz  und  Süd  deutschland  (Ablutionswein): 
A.  Franz,  D.  K.  Benediktioneu  2,  237,  Anm.  —  Poitou  usw.:  Sebillot  IV.  152  und 
146.  —  Italien:  Kaden,  Skizzen  89.  —  Serben:  Petrowitsch,  Ausland  1876,  28, 
S.  516.  —  Maroniten:  Chemali,  Anthrop.  V,  738  und  747.  —  Armenier:  Kawkas 
1879,  Nr.  62.  —  Kongo:  Weeks,  Customs,  in  F.-L.  XX,  473f.  —  Jamaica:  Kolk- 
Lore  XV,  4541'.  und  XVI,  68.  —  Hots:  Camboue  385f.  —  Dajaken:  Grabowsky, 
Gebräuche,  Glob.  72,  271.  —  Luzon:  Blumentritt,  Glob.  48,  200.  —  Viti:  Bmigier, 
Anthrop.  II,  996f.  —  Tataren:  Oganisjanz,  Kawkas  1879,  Nr.  54.  —  Altes  Mexiko: 
Torquemada,  Monarchia  II,  456 f.:  Bancroft  II,  277  und  Anm. 

S  221.  Hindus:  Rose,  Folk-Lore  XIII,  07.  Anm.;  H.Zimmer,  Altindisches  Leben  325.  — 
Zeltzigeuner:  H.  v.  Wiislocki,  Gebräuche  251.  —  Armenier:  J.  v.  Negelein,  Der 
arm.  Volksglaube,  Glob.  78,  292;  N.  v.  Seidlitz,  Hochzeitsgebräuche  der  Arm..  Clob. 
78,  244.  —  Norwegen:  F.  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  319.  —  Hiddensee:  .1.  licilborn. 
Zur  Volkskunde  v.  Hiddensee,  in  Glob.  78,  384.  —  Bayern  und  Österreich:  Andree- 
Eysen,  Volksfeindliches  135.  —  Zürich,  Bern:  Hoffmann-Krayer,  Volksmedizinisches, 
in  Schweiz.  Arch.  f.  Volksk.  8.  Jahrg.,  242  u.  244.  —  England:  Denham  Tracts  II, 
4g.  _  Northumberland:  Balfour-Northcote,  County  Folk-Lore  IV,  57.  —  Spree- 
wald: W.  v.  Schulenburg,  Wendische  Volkssagen.  —  Serben:  Petrowitsch,  Ausland 
1876,  26,  516. 

§  222.  Südrussische  Juden:  Weissenberg,  Beiträge  3 1 6 f.  —  Maroniten:  Beckum  chemali. 
Naissance  745.  —  Sansibar:  K.  Andree,  Die  Expedition  2,  96.  —  ünjöro  und 
Uganda:  Emin-Bey  in  Peterm.  Mitt.  1879.  Bd.  25,  186.  —  Mkulwe:  Alois  Ham- 
berger,  Nachtrag,  im  Anthrop.  V,  803  und  805.  —  Unterer  Kongo:  Weeks  422.  — 
Jamaica:  Folk-Lore  XV,  454.  —  Carolina:  Steffens  3l2.  —  Maori:  Fr.  Müller, 
Heise  der  österr.  Fregatte  Novara,  Anthrop.  Th.  HL  Ethnogr.,  S.  55.  —  Nauru- 
Insel:  Brandeis  60.  —  Tungusen:  Uiddendorff  IV,  T.  2.  1488.  —  Argentinien: 
Mantegazza,  Glob.  1880,  S.  334. 

§  224.     Indien:  Potkänski   in   Glob.  70,  228;  E.  Sehroder,    Land  und   Leute  267.   —  Ger 
manen:  Potkänski,   I.   c.  —  Hellenen:    Theodoret  (bei    Franz).  1).   kirchlichen  Bene- 
diktionen 2,  248   u.  Anm.  2.  —  Spartaner:     Wachsmuth  2.  365:    Franz   (nach    GrOOr 
u.  a.)    2,   245.    —    Mainoten:     Henri    Belle    bei     Floß,    I).   Kind.    2.  Aufl.   I,  29.".. 
Maroniten:  Franz  2,  247.  —  Malisoren:   Sp.   Gopceviee,  Clob.  1881.  Bd.  39,  S.  154. 
—  Byzantiner,   Kranken  u.  Longobarden:    Fenn:,  op.  fit.  2.  248f.  u.  Anm.  2. 
Slawen:  Potkänski,  Glob.  70,   228;   Müovariovitsch  38.  -    Araber  (Bob.  Smith,  vide 
Kap.  IV);  Laue  I,  79  u.   Anm. 

^  225.  Ägypten:  Herodot  II,  65  (Comment.  Rawltnson).  —Bassari:  Klose  im  Glob.  83, 
313.  —  Unterer  Kongo:  Weeks  422.  —  Mhonda:  Vogt  im  Echo  aus  Afrika  XXI, 
177.  —  Basutos:  Stech  in  „Daheim"  1879,  Nr.  24.  S.  3.X2;  Cartwright,  Folklore  of 
th.   B.  250. 


Anhang  I.     Zitate.  £4.9 

§  226.  Madagaskar:  Vamboue  988.  —  Indonesien:  Bouchal,  J.  Z.,  232.  —  Maori: 
Novara-Reise,  Anthropol.  Teil  III,  55.  —  Japan:  Ausland  1881,  Nr.  9.  S.  1(37.  — 
Munda-Kolh:  Ztschr.  f.Ethnol.  1871,  Heft .6.  —  Mongolen:  Huc-Gabet,  Wanderungen. 

—  Mayas:  Torquemada  II,  448;  Tgl.  Schott  im  „Ausland"  1868,  S.  608.  —  Mexi- 
kaner:  Torquemada  II,  521.  —  Peru:  Sundstral  25f.;  Baumgarten,  Allg.  Gesch.  II,  239. 

§  227.  Transsylv.  Zeltzigeuner:  von  Wlislocki  187.  —  Ägyten:  Ratvlinson,  Herodot  II. 
p.  111,  Auin.  9;     Wükinson  II,   326  u.  I.  50.  —  Marokko:  Rohlfs,  Glob.  1875,  286. 

—  Soninke:  F.  Daniel  34.  —  Lukuledi:  Wehrmeister  65.  —  Mentawei:  PLeyte, 
Glob.  79,  24.  —  Alfuren:  J.  G.  F.  Riedel,  Ztschr.  f.  Ethnol.  1871,  S.  403.  —  China: 
Plath,  Die  häusl.  Verhältnisse  32:  Ausland  1877,  Nr.  1.  S.  20.  —  Siam:  Grehan,  in 
Anuales  des  voyages,  Dez.  1869,  S.  269;  Hillmann,  Kinderspielzeug  191.  —  Aymara- 
lndianer:  Ch.  N.,  Gebräuche,  im  Glob.  51,  221. 

§  228.     Goldküste,    Vortisch,   Die  Neger  277.  —   Batak:    Frhr.   v.   Brenner,    Besuch   193. 

—  Tecunas:  v.  Spix  u.  v.  Martins,  Heise  III,  1188.  —  Andaman-Inseln:  Jagor 
in  Ztschr.  f.  Ethnol.  1877,  III.  Verhdlg.,  S.  59.  --  Todas:  Derselbe,  ebenda,  187  , 
S.  700.  —  Pirnas:  Ch.  G.  von  Murr,  Nachrichten  196f. 

§  230.  Bannu:  Gerland  (nach  Thorbtirn),  Glob.  1877,  S.  331.  —  Armenier,  Kurden  u. 
Tartareu:  Kawkas  1879,  Nr.  54f.  —  Thraker  u.  Makedonier:  Soranus  Kap.  29.  — 
Niederösterreich:  Fitzinger,  Denkschriften  d.  Wiener  Akad.  1851,  I.  —  Ger- 
manen :  .4.  Scltliz,  Künstlich  def.  Schädel,  Archiv  f.  Anthrop.  N.  F.  3,  191  ff.  — 
Göttingen:  Blumenbach,  De  generis  hum.  variet.  nat  63;  Niederolm:  Ecker,  Archiv 
f.  Anthropol.  1866,  I,  75.  —  Heilbronn:  Schliz,  op.  cit.  —  Schweiz,  Rütimeyer  u. 
Eis,  Crania  helretica;  Muralt.  Hebammenbüchlein  S.  39.  —  Frankreich:  Lagneau, 
Les  deform,  eephaliques  en  France;  Derselbe  in  Gaz.  hebdom.  med.  et  chirurg.  1879. 
Nr.  5  u.  6;  vgl.  Bullet,  de  la  soc.  d'Anthropol.  de  Paris  1879,  p.  417  u.  699.  — 
Bretagne:  O.  Perrin  du  Finistere,  Gallerie  Bretonne.  —  Kaukasus:  Hijipo- 
krates  Werke,  übers.  Grimm,  1,  2n:;;  Plinius  I.  VI,  Kap.  4.  —  Krim:  Bogdanow, 
Nachrichten  d.  Kais.  Gesellsch.  d.  Freunde  der  Naturkunde  XXXV,  T.  II,  H.  3.  — 
Nord-  und  Transkaukasien:  Virchow,  Ztschr.  f.  Ethnol..  24.  Jahrg.,  Supplem.  S.  7. 
— ■  Mongolen:  Bastian,  Der  Mensch  IV.  227.  —  Senegal :  Hamy  in  Revue  d'Anthropol., 
2.  Serie  II  (1879),  p.  22;  Faulherbe  im  Bulletin  de  la  Societe  d'Anthropol.  Paris  VII, 
1872,  p.  766;  Thulic,  Cräne  deforme  in  Bulletin  de  la  Soc.  d'Authrop.  de  Paris  IsT.j. 
April.  —  Kalunda-Neger:  Pogge.  Im  Reich  242.  —  Wasiba:  Rehse,  Glob.  98,  77. — 
Nikobaren:  H.  W.  Vogel,  Ztschr.  f.  Ethnol.  1875,  Sitz.  d.  Berl.  Anthropol.  Gesellsch., 
S.  187.  —  Kanikar:  Jagor,  Verhdlg.  der  Gesellsch.  f.  Anthrop.  Berlin  1879,  S.  78. 
-  Borneo:  H.  Ling  Roth,  The  Natives  II,  80;  vgl.  A.  B.  Meyer,  Über  künstlich 
def.  Schädel;  ferner  Will.  M.  Cracker  in  Proceedings  uf  the  Boy.  Geogr.  Soc.  1881, 
p.  199.  -  Celebes:  Riedel,  Ztschr.  f.  Ethnol.  1871.  Bericht  der  Berl.  Anthrop. 
Gesellsch.  S.  110;  1874.  S.  215;  1875,  S.  11;  1876,  S.  69.  —  Philippinen:  Thevenot, 
Belations:  Virchow,  Ztschr.  f.  Ethnol.  II  (1870)  S.  151:  Jagors  Reisen  3.35.  —  Neu- 
pommern: Von  der  Hamburger  Südsee-Expedition,  Glob.  96,  66.  —  Mallikollo: 
Bück,  Journ.  of  the  Anthropol.  Institute  of  Gr.  Brit.  and  Ireland  Vol.  VI  (1877),  p.  200; 
Krause,  Über  küustl.  mißstaltete  Schädel,  zehnte  allgem.  Vers.  d.  D.  Gesellsch.  f. 
Anthrop.  z.  Straßb.  1879,  S.  121.  —  Samoa:  Kubary  im  Glob.  47,  71.  —  Badagar: 
Jagor,  Verhdlg.  d.  Gesellsch.  f.  Anthrop.  z.  Berlin  1876,  S.  196.  —  Ainu:  Pilsudski, 
Schwangerschaft,  Anthrop.  V,  767f.  —  Eskimo:  Hall.  Life;  vgl.  Ausland  1865,  S.  69. 

§  231.  Van  cou  ver-Island  (nördlicher  Teil):  von  Hesse-Wartegg,  Sitten  u.  Gebräuche  der 
Ind.,  Glob.  53,  140.  —  Tschinuk:  Derselbe  ebenda;  Catlin,  Lettres;  Kane,  Wande- 
rungen 84;  „Flathead"  (am  Columbia) :  Morton,  Crania  americaua  124ff.,  Taf.  7  — 11; 
vgl.  D.  Wilson,  The  American  cranial  Type,  Annual  Report  245.  —  Florida:  A.  Ecker, 
Archiv  f.  Anthrop.  1877,  S.  109.  —  Nahua- Völker:  Bancroft  II,  281.  —  Maya: 
Derselbe  II,  681f.  u.  732.  —  Smu:  Bell  im  Ausland  1863,  S.  676.  —  Karaiben:  Gosse, 
S.  23,  Taf.  VI,  Fig.  4.  —  Südamerika:  Zuckerkandl  in  Reise  der  österr.  Fregatte 
Novara,  Anthropol.  Teil.  I.  Abt.,  Wien  1875,  S.  89.  —  Peru:  Virchow,  Ztschr.  f.  Ethnol. 
Ploß-Renz,  Das  Kind.     3.  Aufl.    Band  II.  54 


850  Anhang  I.     Zitate 

1892.  24.  Jahrg..  Supplem.,  S.  5  u.  20;  A.  Bastiati,  Die  Kulturländer  d.  alten  Am.  I, 
140;  Squiei;  Peru  244:  Bull,  de  la  Soc.  d'Anthropol.  de  Paris  1878,  S.  230.  —  Konquelas: 
Wien   im  Berieht    der   Anthrop.    Gesellsch.    z.    Berlin   1881,    S.    175.  Patagonen: 

l  irchovo  im  Bericht  der  Anthrop.  Gesellseh.  z.  Berlin  1879,  S.  200  u.  Ztschr.  f.  Ethnol. 
XI,  1879,  Heft  IV  u.   V. 

§  232.  Broca  im  Bulletin  de  la  soc.  anthr.  1879,  p.  417;  derselbe,  Congr.  d'Anthr.  Conipte- 
rendu  de  la  huitieme  session,  Budapest  1876,  Vol.  I.  S.  101;  Dudlik.  Zeitsuhr.  f. 
Ethnol.  1S78,  X,  S.  227;  Wankel,  Die  angeblich  trepanirten  Crunien  zu  Sedlee,  in 
den  Mitteil,  der  Wiener  Anthropol.  Gesellsch.  1879;  Credncr  und  Virchow,  Verhandl. 
der  Berl.  Anthrop.,  Gesellsch.  in  Zeitschr.  f.  Ethnol.  1879,  S.  60  und  (iö;  Schneider, 
daselbst  239;  v.  Erckert,  daselbst  436;  Virchow,  Über  eine  eigentümliche  Knocheuscheibe 
(Trepanseheibe)  aus  dem  Bieler  See,  Verhandl.  der  Berliner  Gesellsch  f.  Anth  op. 
1879,  S.  383;  J.  de  Baye.  La  trepanation  prehistorique,  30  p.  av.  Fig  St.  Germain 
1879;  Ed.  Blanc,  Essai  sur  un  crane  trepane  provenant  du  tumulus  de  Noves  (Alpes 
maritimes),  11  p.  I  Plaoch.  Cannes  1879.  —  Neumecklen  bürg  u.  N  eu  h  ann  over: 
Glob.  89,  211. 

§  234.  Altes  Indien:  Susrutas  Ayurvedas.  l'bers.  Hessler  II,  41.  —  Bannu:  G  erfand 
(nach  Thorbum)  im  Glob-  1877,  S.  331.  —  Eriwan:  Kawkas  1879,  Nr  54  u.  .  — 
Rußland:  Krebel.  Volksmedicin  versch.  Volksst.  Kußlands  11.  —  Altes  Rom:  T  Kro 
im  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde  X.  3  u.  4.  S.  360.  —  Deutschland:  Bösslin,  Der 
schwangern  frawen;  C.  L.  Walter,  Tortura  infantum.  —  Basutos:  Stech  im  „Daheim" 
1879,  S.  382.  —  Ye.las:  Jagor,  Bericht  der  Berliner  Anthropol.  Gesellsch.  1879,  S.  169. 
—  Yap:  Miklueho-Maclay,  Bericht  der  Berliner  Anthropol.  Gesellschaft  187S,  S.  10  ..  — 
Australien:  Hooker,  Journal  of  the  Ethnol.  Soc.  of  London  1869,  71  u.  73.  — 
Esten:   Krebel,   Volksrnediein   usw.   in   Kußland  22. 

§  235.  Tanganyika-See:  Stanley,  Durch  den  dunklen  Weltteil  II,  82.  —  Celebes:  J.  R. 
Forster,  Observations.  D.  Übers.  2.  Aufl.  516.  —  Samoa:  Turner,  Sanioa  81;  Ku- 
bary  im  Glob.  47,  71.  —  Tupin-Inba:  Lery,  Keise  247.  —  Maragnas:  Dapper,  Die 
Unbekannte  447. 

§  236.  Böhmen  und  Luzon:  Blumentritt  im  Globus  48,  200.  —  Bannu:  Gerland  (nach 
Thorbum)  im  Glob.   1877.  S.  331.  —  Armenier:  Kawkas  1879.  Nr,  54  ff',   u.  55. 

t;  237.  Jaunde:  Zenker,  Yaunde  42.  —  Lukuledi:  Wehrmeister,  V.  d.  Sturm  47.  Yao, 
Suaheli  u.  "Wangoni:  Weitle.  Negerleben  68.  —  Jap:  Senfft.  Die  Kechtssitten  143; 
Miklueho-Maclay,  Bericht  d.  Anthropol.  Gesellsch.  z.  Berlin  1878,  S  105.  —  Neu- 
Guinea:  Krieger,  N.-G.  295  u.  391.  —  Südliches  Australien:  K.  Jung  in  „Ans  allen 
Weltteilen"  1877.  Nr.  12,  S.  355;  Spencer  and  Gillen  615.  —  Maya-Völker:  Bancroft 
II,  732. 

^  238.  Massai:  .1/.  Weiss,  D.  Völkerstämme  335  f.  —  Mangandscha:  .1.  Richel  mach  Living- 
stone),  Lippenschmuck  im  Glob.  84,  32.  —  Nyangao  u.  Lukuledi:  Wehrmeister  28 
u.  47.  -  Wa  ni  uera  u.  31  a  konde:  Weule  76  f.  u.  438 f.  —  Zulu:  Mayr  im  Anthrop.  II. 
645.  —  Neuguinea:    Krieger  391;    Sollen   im    Anthrop.  IV,  568:    S  Beiträge 

zur  Ethnogr.  197.  —  Jap:  Senfft,  Kechtssitten  143.  —  Nauru:  Brandeis  60.  —  Katchin: 
GiUiodes,  La  Culture  619 f.  —  Ao-Nagas:  Mol:  68.  —  Mongolen:  Karute,  I>.  O. 
i.V.  216.  —  Babine:  Kaue  n.  Gordon  bei  Hesse-Wartegg  140  Altes  Mexiko: 
Bancroft II,  280;  W.  Lehmann,  D.  s.  K  J.  p.  1003;  Dapper,  Die  Unbekannte,  298.  — 
Pirnas:  Ch.  G.  von  Murr.  Nachrichten  196  f.  —  Passe:  Koch-Grünberg,  Women  381.  — 
Carajas:  von  Koenigswald  233.  —  Tapuya:  Dapper  o.  c.  418.  -  Capiekrans: 
Etienne  17.'.  u.  Anm.  —  Bororo:  Richel  im  Glob.  84.  32  (nach  von  den  Steinen).  — 
Siacusi;  Schomburgk,  Reisen  in   Br.-G.  11.  314.  —  Karaibeu:  Dapper  o.  c.  207. 

§  239.  Massai:  M.  Weiß,  Die  Völkerstämme  334 f.  —  Kikuyu:  Cayzac,  La  Religion  312 
i  317.  --  Wakua:  von  Behr  81.  —  Wahua:  Walter- Hutley  in  Proceedings  of  the 
Roy.  Geogr.  Soc,  April  1881,  p.  222.  —  Wakamba:  Hildebrandt,  Ztschr.  f.  Ethnol. 
1878,  S.  350.  —  Batongas:  Echo  aus  Afrika  XXI.  59 f.  —  Herero:  Ztschr.  f  Ethnol. 
4i).  930ff.  -    Bientawei-lnsul.:   Plegie  24.  —  Batak:  von   Brenner,  Besuch  192     — 


Anhang  I.     Zitate.  851 

Negritos:  Thivenot,  Relat.;  Semper.  Palauiuseln  364;  Jagor,  Reise  in  d.  Philipp.  367; 
Schadendorf,  Ztschr.  f.  Ethnol.  1880,  S.  136.  —  Kubus:  Volz  105.  —  Australien: 
Ausland   1866,   S.  63;   Spencer  u.    Gillen   588  ff.   u.   592  ff.;  Wundt,  Völkerpsychologie, 

2.  Bd.,  2.  T.,   S.  56 ff.  —  Mayas:  Bancroft  II,  732.  —  Japan:  Glob.  58,  190. 

§  240.     Afrikanische  Westküste:  Pogge,  Heiträge  z.  Entdeckungsgeschichte  Afrikas  1880, 

3.  Heft,  8.  35.  —  Amazonen-Inseln:  Alonso   de  Santa  Cruz,   Islario  General,  S.  42. 
§  241.     Wakuma   u.   Wakuafi:    Burton,   Nouv.    Ann.    des  Voyages,   May   1862.   p.    195.    — 

Australien:  Hooker,  Journ.  of  the  Ethnol.  Soc.  of  London  1869,  S.  73.  —  Japan: 
Das  Ausland  1881,  Nr.  8,  S.  148.  —  China:  Morache,  Pekiug  et  ses  habitants,  in 
Annales  d'hygiene  publ.  et  de  med.  legale  1869;  G.  Kcitner,  Im  fernen  Osten  S.  533; 
Stenz,  In  der  Heimat  29f.;  „Die  Kathol.  Missionen",  37.  Jahrgang,  1908,  S.  85;  Weichet 
im  Archiv  f.  Anthropol.  IV,  1870,  S.  221  u.  V,  1871,  S.  132.  —  Kalmücken:  Archiv 
f.  Anthropol.  1879,  XXII,  S.  259.  —  Loucheux:  Bichardson  bei  P.  Morice  im  An- 
throp.  I,  723.  —  Carrier-Indianer:  P.  Morice  ebendort. 

§  242.  Bannu:  Gerland  (nach  Thorium),  Glob.  1877,  S.  331.  —  Tunis:  B.  Karutz,  Tatauier- 
muster  55.  --  Bassari:  Klose,  Das  Bassarivolk,  Glob.  83,  310.  —  Jaunde:  Zenker 
Yaunde  42.  —  Meutawei-Insulaner:  Pleyte  24 f. ;  T'ok,  Zur  Anthropologie  u.  Ethno- 
graphie  von    Indonesien,   im    Archiv    f.   Anthropol.,   Bd.   32,   N.   F.   IV,    S.    107 f.    

Aino:  Isabella  L.  Bird,  Glob.  1881,  Bd.  39,  S.  218.  —  Eskimo:  Fr.  Mütter,  Allgem. 
Ethnogr.,  Wien  1873,  S.  203.  —  Passes:  Koch-Grünberg,  Women  381.  —  Tupin- 
Imba:  Lery  bei  Benz,  Des  Ind.  Familie  39.  —  Maranas:  Dapper,  Die  Unbekannte  447. 

§  243.  Farsistan:  Dieulafoys  Reise,  Glob.  46,  294.  —  Maroniten:  Chemali,  Naissance 
p.  740.  —  Togo:  P.  L.  (nach  Hornberger),  Namengebung,  Glob.  79.  351.  —  Deutsch- 
Ostafrika:  Weide,  Negerleben  342.  —  Basutos:  Grützner,  Ztschr.  f.  Ethnol.  1877, 
Verhdlg.  S.  79.  —  Amabomvu:  Fr.  Mayr  im  Anthrop.  II,  645.  —  Yap:  Senff't,  Reehts- 
sitteu  143.  —  Australien:  de  Bienzi,  Üceanieu,  Übers.  Mebold  III,  566.  — Badagas 
u.  Todas:  Jagor  im  Bericht  d.  Berl.  anthropol.  Gesellsch.  1876.  — Eskimo:  Lubbock 
Die  Entstehung  der  Civil.,  Übers,  v.  Passow,  S.  48.  —  Carrier:  Morice,  The  Great 
Dene  Race,  Anthropos.  I,  723.  —  Mexiko  (Altes):  Dapper,  Die  Unbekannte  298; 
Bancroft  II.  279  u.    183  u.  Anm. 

§  247.  Ohios:  Herodot  VIII.  0.  105  u.  106.  —  Persien:  Polak  1,  255.  —  Kaiserliches 
Rom:  Mommsen,  Rom.  Gesch.  5,  549.  —  Falaschas:  Glob.  96,  257.  —  Bejah: 
Magrizi  bei  B.  Hartmann  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  1879,  S.  124.  —  Hottentotten: 
P.Kolben,  Beschreibung,  Ausg.  1745,  S.  147;  Ausgabe  1719,  S.  424,  426f.  u.  451  ff.; 
Sparrmann,  Reise  nach  dem  Vorgebirge  173.  —  Ponape:  0.  Finsch  in  Ztschr.  f.  Ethno- 
logie 1880,  Jahrg.  XXII.  S.  316. 

§  248.  Kaiserliches  Rom:  Mommsen,  Rom.  Gesch.  5,  549.  —  Karäer:  S.  Weissenberg, 
Die  Karäer  143.  —  Falaschas:  Glob.  96,  257.  —  Abessinier:  Ludolph,  Histor. 
aethiop.,  lib.  I;  Von  Autenrieth,  Abhandl.  üb.  d.  Ursprung  d.  Beschneid.  39.  —  Assyrer: 
Caspar  Hoffmann,  De  Thorace  II,  c.  29,  p.  77.  Edit.  de  1625.  —  Phönizier:  Herodot 
II,  36,  104;  Diodor  I,  28;  Strabo  XVII,  824  ed.  Casaub.  —  Arabia  Petraea: 
Musil  III,  219ff.  —  Yemen:  Manzoni  214f.  —  Südwestliches  Arabien:  Hilde- 
brandt in  Ztschr.  f.  Ethnol.  X,  397.  —  Araberstamm  zwischen  Abu-Arisch  u. 
Herlschas:  Niebuhr,  Beschreibung  von  Arabien  269.  —  Araber  u.  Suaheli  in 
Deutsch-Ostafrika:  H.  F.  von  Bell r  73 f.  —  Araber  in  Oberägypten  u.  Kairo: 
Lane  I,  82,  85  u.  Anm.  u.  233;  II,  278 ff. ;  Klunzinger,  Oberägypten  190.  —  Algier: 
Bertherand,  Med  et  Hygiene  307.  —  AVachietschi:  P.  von  Stenin,  D.  G.  u.  H.  d.  \V. 
79.  —  Perser:  Polak,  Persien  I,  197.  —  Babisten:  AT.  von  Seidlitz,  Neue  Mittei- 
lungen. Glob.  81,  158. 

§249.  Kolchier,  Ägypter  u.  Äthiopier:  Herodot  (von  Bairlinson  kommentiert)  II, 
c.  104.  p.  46,  Anm.  6;  p.  61f.,  Anm.  9;  p.  171  f.  u.  Anm.  5;  c.  37;  G.  Ebers. 
Ägypten  u.  die  Bücher  Mosis;  H.  Welcher,  Archiv  f.  Anthrop.  1878.  X.  623.  — 
Kopten:  Lane  II,  320.  --  Kabylen:  A.  Lissauer,  Archäolog.  u.  anthrop.  Studien 
519.  —  Kaffitscho:  F.  J.  Bieber  93.  —  Kavirondo:  N.  Stam,  The  Religious  Con- 

54* 


852  Anhang  I.     Zitate. 

ceptions  361.  —  Massai:  Max  Weiss.  Die  Völkerstämme  im  Norden  D.-Ostafr.  336ff.  — 
Bakulia:  Derselbe  285ff.  —  Akka:  R.  Andree,  Ethnogr.  Parallelen  174  u.  204.  - 
Kikuyu:  Waitz,  Anthropol.  VI;  Cai/zac,  La  .Religion  des  Kikuyu  312  u.  317.  — 
Wapokomo:  Clemens  Denhardt  in  Petermanns  Mitteil.  1881,  Bd.  27,  S.  17;  vgl. 
Richard  Andree,  Ethnogr.  Parall.  180.  —  Quellengebiet  des  Nil:  Bruce,  Reise  zur 
Entdeckung  der  Quellen  des  Nil.  —  Wasiba:  Herrmann,  Die  Wasiba  54.  —  Wakua: 
von  Behr  81.  —  Vao  (W'ayao):  Weide,  Negerleben  213,  233—235,  269 f.,  226f.,  229.  — 
Makua:  Ebenda  366 — 369.  —  Lukuledi:  Wehr  nie  ister  64f.  —  Sulu:  Fr.  Mayr  im 
Anthrop.  II,  645;  Callaway,  Keligious  System  58;  Fritsch,  Eingeborene  Südafrikas  140; 
Maclean,  Compendium  of  Kafir  Laws  1858. — Ama-Kosa:  Skooter  44f.  u.  52:  Fritsch 
9  u.  140.  —  Basuto:  Endemann  in  Ztsehr.  f.  Ethnol.  1874,  S.  37—39.  —  Barolong: 
R.  Andree,  Ethnogr.  Parallelen  180.  —  Balemba:  H.  A.  Junod  im  Eolk-Lore  XIX. 
(1908),  282ff.  —  Madagaskar  (Malaien  undNegerJ:  Sibree,  The  great  African  Island 
217.  D.  l'bers.  243.  —  Bara:  Richardson  bei  V.  Keller,  D.  ostalr.  Inseln  67.  — 
Sakalaven:  Derselbe;  Grandidier  im  Bulletin  Soc.  deGeogr.  VI.  Sit.  Hl  (1872),  p.  397. 

-  R.  Andree,  Ethnogr.  Parall.  66.  —  Antankarana:  J.  M.  Hildebrandt  in  Ztsehr.  d. 
Gesellsch.  f.  Erdkunde  z.  Berlin  1880,  XV,  267.  —  Herero:  Sanitätsamt  in  Windhuk, 
Ztsehr.  f.  Ethnologie,  40.  Jahrg.  (1908),  S.930.  —  Loanda:  R.  Andree,  Ethnogr  Parallelen 
177.  —  Songo:  P.  Pogge,  Im  Reiche  39.  —    San   Salvador   u.   Wathen:   ,/<»//,/    //. 

Weeks,  Notes  ou  some  Uustoms,  in  Eolk-Lore  XX  (1909),  304ff.  —  Kongo-Fälle: 
Glob.  70,  nach  P.  Briart.  —  Manjema:  Livingstone,  Letzte  Heise,  deutsch  34.  — 
Warega:  Dclhaise  im  Glob.  97,  210.  —  Baf^ote:  Falkenstein  in  Yerhandl.  d.  Heil. 
Anthrop.  Gesellseh.  1877,  S.  ISO.  —  Ejort:  Dennet,  Notes  20.  —  Dualla:  Pauli   17. 

-  Bakwiri:   R.  Andree,  Ethnogr.  Parall.  177.  —  Batanga:  AI/r.  Kirchoff,   Pet.  Butt. 
32,  146.  —  Dahorne:  R.  Burton,  in  Mein,  read  before    the  Anthrop.  Soc.  I,  318. 
Deutsch-Togo:  Fr.  Müller,  Fetischistes,    Glob.  81,  281.   —   Hoer:    K.   Fies  75.  - 
Ewe:  Zündel  in  Ztsclir.  d.  Gesellsch.  f.  Erdkunde,    Berlin  1877,  XII,  292.  —  Gold- 
küste (Accra):  Cruikshank,  18  years  II,  213;   vgl.  R.  Andree,    Ethnogr.  Parall.   175. 
—  Gä- Volk:    Vortisch.  281.  —  Wai  in  Liberia:  Oskar  Baumann  im  Glob.  52,  238. 

•  Sierra  Leone:    Winterbottom,  Nachrichten  145;  vgl.    H.  Andree,  Ethnogr.  Parall.  175. 
Balantes:    Ebenda.   —    Mandingo:    Lajaille,    Reise  n.  Senegal  h'i:    Mungo    Park, 
Reisen    im   Innern  v.  Air.  238.   —   Soninke:    Fern     Daniel,    Etüde  sur   les   Soninkfis 
34f.  —  Neger  in   Brasilien:   Ignace  Etie.nne,  La  Seote  musulnianc,   Anthrop.  IV,  103. 
ij  250.     II  owa:  <  'ambou6,  Les  dix  premiers  ans,  Anthrop.  IV,  375 ff.;  Sibree,  The  Great  Africau 
Island;    C.    Keller,   Die    ostafrik.    Inseln    67;    R.   Andree,    Ethnogr.    Parall.    INJ  f. 
Indischer   Archipel:    Ebenda    171.   --   Battak:    l'Yhr.   v.  Brenner,    Besuch    193   a 
247.    —  Mittel- Sumatra;    R.  Andree,  op.  cit.  171.    -       Kubus:     II'.    Volz    105. 
Sakai:  .1/.  Moszkowski,  The  Pagan  Bacea  177.  —  Nias:  Rosenberg,  Malayischer  Archipel 
168;    R.  Andree,    Ethn.  Par.    191  f.    --    Celebes:    Ztsehr    f.  Ethnol.   1871,    8.    101. 
Amboina    usw.:    7»'.    Andree,    1.    c.   —   Philippinen:    Derselbe    193.    —     Malakka: 
Derselbe,  ebenda  195.  —  Kaiser- Wilhelms-Land:  Krieger,  Neu-Guinea  I67ff.;<  - 
im  Glob.  1877,  S.  89.  —  Holländisch-Neu-Üuinea:   Krieger,  op.  eil.  171   u.  391. 

-  Britisch-Neu-Guinea:  Ebenda  296.  --  Karesou:  II'.  Schmidt,  Die  gel 
JiingliDgsweihe,  Anthrop.  II.  1036ff.  -  Rook:  Reina  in  Ztscln-.  f.  allgem.  Brdkunde, 
X.  F.  IV  (1858),  357.  —  Neil-Mecklenburg;  von  Schleinitz,  Ztsehr.  d.  Gesellsch.  f. 
Erdkunde,  Berlin  1 S77,  XII.  246.  Tanna:  Eckardt  in  Verhdlg.  d.  Vereins  f.  natur- 
wissensch  Unterh.  in  Hamburg.  I  \'  (1879),  -lau.  21,  ..Das  Ausland"  1880,  S.  789.  — 
Neu-Caledonien:    Meinieke.    Inseln   des   stillen    Oceans   I,   225.   —    Viti-Inseln: 

Williams,  Figi  I.  166;  Rougier,  Ualadies,  im  Anthrop.  1 1.  997;   B.  Andree,  Ethnogr.  Parall. 

198;  ■/.  </(  Marzan  im  Anthrop.  V.  mini'.  --  Samoa:  Kubary  im  Glob.  47,  71; 
Phüenius-Kramer  im  Glob.  85,  55;  W.  T.  Pritchard  in  Mein,  read  before  the  Anthrop. 
Soc.  Vol.  1.  326.  —  Tonga-Inseln:  Mariner,  Account  of  the  Tonga-Isl.  II,  252. — 
Tahiti:  Forster,  Bemerkungen  :.7t  u.  482.  lüurchison  River:  Oldfield  in  Trans- 
act.  Ethnol.  Soc.  New  Seriös  1865,  111.   252.   —   King-Georges-Sound   u.   Swan- 


Anhang  I.     Zitate.  853 

River:  Eyre  im  Journal  of  the  Anthropol.  Soc.  1870.  Xo.  XXIII.  —  Roebuck 
Bay:  Peggs,  Notes,  in  Folk-Lore  XIV,  334  u.  345.  —  Xative  Tribes  of  Central- 
Australia:  Spencer  and  GiUen,  Seitenangaben  als  Randbemerkungen.  —  Peake- 
Fluß:  Rieh.  Schomburgk  in  Verhandig.  d.  Berl.  Anthrop.  Gesellsch.  1879,  S.  235.  — 
Lake  Blanche  usw.:  Sturt  I,  209,  274,  341.  —  Adelaide:  Gaston,  The  Dieyrie  tribe. 

—  Port  Lincoln-Distrikt:  Wilhelmi,  Manners  and  Customs  24:  R.  Andree, 
Ethnogr.  Parall.  195.  —  Narrinyeri  usw.:  W.  Schmidt,  Die  soziologischen  Ver- 
hältnisse, Glob.  97,  174  u.  Anm. 

Sj  251.     Tataren:  Dapper,  Die  Unbekannte  287.  —  Üst-Tu  rkestan:  E.  Schlagintioeit,  Glob. 

1877,  17.  S.  205.  —  Karak  urtschinen:  Glob.  1878.  S.  232.  —  Baschkiren:  P.  v. 
Stenin,  D.  n.  F.  ü.  d  B.,  Glob.  80,  155.  —  Türken  (Monastir):  F.  IV.  Oppenheim, Über 
den  Zustand  der  Heilkunde,  128.  —  Bosnien:  Nach  Klaics  „Bosna",  Glob.  1880,  S   283. 

—  Sklaven-,  H  undsrippen  -.  Hasen-Indianer  und  Loucheux:  Morice,  The 
Great  Dene  Race,  Anthropos  I.  723  f.  —  Mexikanische  und  Maya- Völker: 
Torquemada,  Libros  rituales  y  monarquia  Indiana  VI,  48;  Brasseur  de  Bourboitrg, 
Hist.  des  nations  civil.  III,  526  und  I,  c.  2,  51;  Bancroft,  Xative  Races,  I,  278  u. 
666;  II,  679.  —  Squire,  Transact.  Americ.  Ethnol.  Soc.  III.  145.  —  Baumgarten, 
Allgem.  Gesch.  der  Länder,  II,  52;  Waüz,  Anthrop.  IV.  307.  —  Islas  des  Saerif icios: 
Alouso  de  Santa  Cruz,  Islario  General  (Ausg.  R.  v.  Wieser),  42.  —  Ticunas:  r.  Spix 
und  v.  Martins,  Reisen  in  Brasilien  III,  1188;  v.  Martins,  Zur  Ethnogr.  Amerikas. 
583,  445. 

Sj  252.  Dahomey:  Adams,  Remarks,  15  u.  75.  —  Makua:  Weule  370f.  —  Uhiya: 
Cameron.  Quer  durch  Afrika  I,  295.  —  Hottentotten:  Le  Vaillant,  Reisen  in  d. 
Innere  v.  Afrika  II,  294  u.  IV,  38:  Fr.  Müller,  in  Reise  der  Fregatte  Novara. 
Anthropol.  Teil.  3.  Abt.  Ethnogr.  (Wien  1868)  S.  119.  —  Auin-Buschleute:  II 
Kaufmann.  Die  Auin,  in  Mitteil.  a.  d.  D.  Sehutzgeb.  2.'!.  142.  —  Niederländisch- 
Ustindien:  F.  Epp,  Schüderuugen  aus  Holländisch-Ostindien.  —  China:  Hureaii  de 
Villeneuve,  De  l'accouchement,  20.  —  Ponape:  0.  Finsch  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  XII, 
1880,  S.  316.  —  Mandan.  Minetari  u.  Crow:  Prtn:  zu  Wied,  Reise  II.  107.  — 
Machacuras:  v.  Fddner,  Reisen  II,  148.  —  Altes  Mexiko:  Bancroft,  The  Xative 
Races   II,  2711    Anm. 

§  253.     Persien:   Chardin,    Vovage  en  Perse,   X.   p.   76.   ed.   Anist.;  Polali,  Persien  I,   10S. 

Falaschas:  (ilob.  96,  257.  —  Arabien:  Strabo,  Geogr.  XVII,  e.  2.  §  5,  eds.  Sieben- 
kees;  Rhazes'  Zehn  Bücher,  V.  c.  69;  Seezen,  in  „Fundgrube  des  Orients"  I,  65 
(Brief  an  Hammer);  Niebuhr,  Beschreib,  von  Arabien.  76 ff.;  Muradyca  d'Ohsson, 
Allg.  Schilderung  d.  Othom.  R.,  Übers.  Leipzig  1788,  S.  288.  —  Araber  am  west- 
lichen Ufer  des  Nil:  Burckharät,  Travels  in  Xubia.  297  Anm.  u.  Deutsche  Übers. 
(Weimar  1820),  S.  453  f.  —  Ägypten  u.  Abessinien:  ß.  Hartmann.  Naturgesch.- 
med.  Skizze  der  Nilländer,  278.  —  Agau,  Gallas  usw.:  J  Bruce.  Reisen  in  d.  Innere 
v.  Afrika.  Übers.  1791,  II,  224.  -  Kaffitscho:  Bieber  im  Glob.  96,  93.  —  Nubier: 
Werne,  Reise  durch  Sennaar,  25:  Tanner,  The  Lancet,  1867,  7.  Aug..  p.  165;  J.  Russ- 
egger,  Reisen  in  Europa,  Asien  u.  Afrika.  —  Wadi  Halfah,  Dar  Sennär,  Rordofan: 
R.  Hartmann,  Natorgesch.-medicin.  Skizze,  278f.;  Rappel,  Reisen  in  Nubien,  Kordo- 
fahn,  42;  Palhne,  Beschr.  v.  Kordofahn;  Fr.  Caäliaud,  Voyage  ä  Meroe.  au  Fleuve 
Blanc,  IL  —  Dar-For:  Brehm,  Reiseskizzen  aus  N.-O.-Afrika,  I,  169.  —  Bajudah- 
Steppe:  A.  f.  Barnim   a.  R  Hartmann,  Ztschr.  f.  allgem.  Erdkunde.  X.  I".  XII,  3,  203. 

—  Kleine  Oase:  P.  Ascheron  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  1876,  S.  357.  —  Altes  Ägypten: 
Paidus  v.  Agina,  Lib.  DIL  c.  70  (bei  Ploß  I,  2.  Auf!  ,  379  u.  Anm.);  Bachofen,  Das 
Mutterrecht,  351.  —  Somali:  Hildebrandt.  Ztschr.  f.  Ethnol.  1878,  S.  398.  —  Kikuyu: 
Cayzac,  La  Religion,  312  u.  317.   —  Kikuyn  usw.:  Hildebrandt  in  Ztschr.  f.  Ethnol. 

1878,  S.  398  f.  —  Massai:  Max  Weiss.  Die  Völkerstämme,  366  ff.  u.  im  Glob.  97,  153  ff.; 
Hildebrandt,  Ztschr.  f.  Ethnol,  1878,  S.  397.  —  Bakulia:  Weiss,  Völkerstämme, 
299ff.    —   Mandingo:  Mungo  Park,  Reisen  im  Innern  v.  Air.   (Berlin  1799),  S.  238. 

—  Soninkes:    Ferd.    Daniel.     Etüde    sur   les    Soninkes,   34f.    —    Deutsch- Togo. 


$54  Anhang  I.     Zitate. 

Yoruba-Stämnie:  Fr.  Müller.  Fetischistisches,  280.  —  Alt  Calabar:  Arehib. 
Heuaii  im  Etlinb.  med.  Journ.  1864.  Xr.  CXI.  p.  219.  —  Unterer  Kongo:  Weeks 
in  Folk-Lore  XX.  307.  —  Loanda:  J.  B.  Douville,  Voy.  au  Congo.  Vol.  I.  — 
Bamangwato:  Chapman  im  Ausland  1868,  S.  1083.  —  Malayischer  Archipel-. 
F.  Epp,  Allg.  med.  Centralzeituug,  1853,  S.  37.  —  Pegu:  G.  H.  Lindschotten.  Über- 
setz. Bn  (1613),  S.  48;  Ztschr.  f.  Ethnol.  1876.  Verh.  d.  ßerl.  Anthrop.  Ges.,  S.  27.  — 
Java:  ./.  Engel.  Ausland  1863,  S.  280.  —  Celebes:  J.  G.  F.  Riedel.  Ztschr.  f.  Ethnol. 
1871.  S.  402.  —  Stämme  im  Innern  von  Australien:  Spencer  u.  Gillen,  The 
Xative  Tribes  269ff.  —  Peake-Fluß  usw.:  Ztschr.  f.  Ethnol.  1879,  Bericht  d.  Berl. 
Anthrop.  Ges.  235.  —  Conibos:  Alfred  Reich  u.  Felix  Stegelmann,  Bei  den  Indianern 
des  Urabamba,  Glob.  83,  134.  —  Campas:  E.  Grrandidier,  Xouv.  annal.  des  voyages, 
1861,  Oktob.,  p.  73  u.  1862,  Aoüt,  p.  1J6;  r.  Martins,  Ethnol.  Amerikas,  582.  — 
Jlaynas:  Frau:  X.    Veigl.  Gründl.  Nachrichten  67  u.  71. 

:;  -'"4.  Australien:  Miklucho-Maclay  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  1882.  —  (Ostindien):  Roberts. 
Reise  von  Delhi  nach  Bombay,  in  Müllers  Archiv  1843;  Pitreell.  Rites  and  Customs, 
Ploß- Bartels,  Das   Weib  (8.  Aufl.)  I.  294  f. 

;  256.  Indien:  Hoffmann,  Der  Zustand.  4  u.  24;  P.  Karsten,  Kinder  und  Kinderspiele 
der  Inder,  Glob.  76,  2l5f.;  Dalton  in  Ztschr.  f.  Ethnol  1873,  S.  265;  Venkatamami, 
The  Hindu  Singing  Games,  Folk-Lore  XX  (1909).  p.  337  ff.;  Loeett.  The  Ancicnt  and 
Modern  Game  of  Astragais  in  Folk-Lore  XII,  280ff.  —  Altes  Griechenland: 
Elisabeth  Lemke  in  Ztschr.  d.  V.  f.  Volksk.  5.  Jahrg,  184;  Waclismuth  II,  362;  Pluto, 
Gesetze,  Buch  VIII;  Aristoteles  ad  XicomachuTB  X,  6;  IV.  8.  1.2.  u.  Politik  VIII,  2; 

—  Italien:  v.  Beinsberg-Düringsfeld  im  Glob.  1876,  S.  318;  Forzino,  Ethnograph. 
Curiositäten,  12;  0.  Badke,  Das  italienische  Volk.  160;  Dom  Guis.  Bernoni,  Canti 
popolari  Veneziani;  derselbe,  Xuovi  Canti  popol.:  Ida  v.  Düringsfeld,  Volkstümliches 
aus  Venedig,  im  „Ausland-  1876,  Xr.  10.  —  Sizilien:  H.  C.  Coote,  Cliildrens  tiames 
in  Sicily,  in  The  Folk-Lore  Journal,  II.  83.  —  Spanisches  Mexiko:  F.  8t(l 
Catalogue  24 — 76.  —  Frankreich:  Otto  Kamp,  Frankreichs  Kinderwelt,  S.  44. 

i   l'."„S.     Schottisches    Hochland:    R.  Craig,   Maclagan,    The  Games  TL,   13.    39  f.  u.  257. 

—  Englisch  -  Schot  tisehes  Grenzgebiet,  Balfour-Xortlicotc,  l'ounty  Folk-Lore 
IV,  lt. 9.  —  Suffolk:  Lady  E.  <\  Gurdon  in  Countj  Folk-Lore.  Publications  of  th. 
F.  L.  S.,  Printed  Extracts  Xr.  2.  Suffolk  Ol  IT  u.  142.  —  Xorfolk:  11'.  B.  Gerish  in 
Fulk-Lore  VI  (1895),  202.  —  Ureinwohner  Deutschlands:  Host  mann,  Der  Urnen- 
friedhof bei  Darzau  118;  Preusker,  Vaterländische  Vorzeit;  Züricher  Antiquar.  Mitteil. 
2,  12.  —  Xürnberg  usw.:  Joh.  Bulle,  Zeugnisse  z.  Gesch.  unserer  Kinderspiele,  in 
Ztschriff  d.  V.  f.  Volksk.,  19.  Jahrg..  S.  385.  Indogermanische  Vorzeit: 
Samuel  Singer,   Deutsche  Kinderspiele   in  Ztschr.  d.   V.  f.  V..   Bd.   13  (1903),   S.  50  ff. 

—  Schlesien:  Drechsler.  Streifzüge,  I.  Jugendbrauch  in  M.  d.  Seh.  G.  f.  V..  Bd.  I, 
H.  II,  47 — 49.  —  Nördliches  Vogtland  und  Ka'schuben:  Tetzner  im  Glob.  70, 
271.  —  Dithmarschen:  Müttenhojf,  Sagen.  Märchen  484.  —  Northumberland: 
Balfour-Northcote  in  Counly  Kolk-Lore,  Vol.  IV,  113f.  —  Ensheim:  Friedrii 

Eine  vollständige  Fassung  des  Kinderliedes  v.  d.  Xormen  in  Ztschr.  tl    V.  f.  V  .  19.  .luhrg. 
(Berlin  1909),  S.  417  f.  —  Friesische  Inseln:  Hans  Leuss.  '/..  Volkskunde  der  Insel- 
frieseu  im  Glob.  84,  205.    --     Leipzig  u.    I    ingegcnd:    Karl    Mi/Her.    Kinderreime  in 
Ztschr.  tl .  V .f.  V .,   5.  Jahrg.  (Berlin  1895),  S.  200.   —   Liebenthal.  Jauer:  Brecht 
Streifzüge.   —     Bukowina   n.   Galizien:  Kai/ull,  Lieder.  Neckreime  in  Ztschr.  d.   V. 
f.   V.  7,  296. 
^  259.      Kroaten,    Slawonier    u.    Syrmier:     Rajacsieli.    D.    Leben,    d.  Sitten    und    Ge- 
bräuche der  Südslawen  103.  —  Mähren  (Tibet   u.  Indien):  /..  r.  Schroeder,   Waffen- 
tänze, in  Wiener  Ztschr.  f.  d.  Kunde  des  Morgenlandes,  XXIII.  Bd.,  405 ff.         Litauer: 
F.    Tetzner,  Feste  und  Spiele  der  Litauer  im  Glob.  73.  319 ff. 
1    Orient:    H.  Petermann,    ßeisen    im    Orient.   2.  Ausg.  I,    151    u    II.  307.    —    Syrien: 
/.'.   Lovett,   The  Ancient    and    Modern  Game  of  Astragais  in  Folk-Lore  XII.   2S(lff.   — 
Mekka:  John  F    Keane,  Six   Months  in  the  Hejaz  47.   —   Arabia  Petraea:    I 


Anhang  1.     Zitate.  855 

Arabia  Petraea  III,  229f.  —  Uled  üelini  (westl.  Sahara):  Camille  Douls,  Erleb- 
nisse 26.  —  Südrussische  Juden:  S.  Weisseuberg,  Kinderfreud  und  Kinderleid  b. 
d.  südruss.  Juden  318ff.  —  Altes  Ägypten:  J.  Wolf,  A.  d.  P.  d.  a.  Ä.  679f.; 
Champollion- Figeac.  Gemälde  von  Ägypten  306;  Wiücinson-Birch  II,  65.  —  Berabra: 
Hartmann  im  Berieht  der  Berliner  Anthropol.  Gesellsch.  1877,  S.  457.  —  So  mal: 
Nach  G.  Revoil,  Glob.  1880,  S.  281. 

§  261.  Atvuti-Land  (Togo):  H.  Klose,  Musik,  Tanz  u.  Spiel  in  Togo,  Glob.  89  (1906), 
S.  74.  —  Hoer  (Togo):  K.  Fies,  Die  Hoer  in  Deutsch-Togo  77.  —  Togo:  C.  Spiess, 
Die  Verwendung  der  Holzarten  Togos,  Glob.  96,  217.  —  Haussa:  F.  v.  Luschan, 
Beiträge  z  Völkerkunde  45.  —  Unterer  Kongo:  Weeks,  Notes  on  some  customs, 
Folk-Lore  XX  (1909),  457 ff.  —  K  assai:  Glob.  75,  193.  —  Equateurville :  Glob.  48, 
79.  —  Nyamba:  L'Afrique  exploree  et  civilisee,  Dez.  1879,  p.  107.  —  Unjanjembe: 
David  Livingstones  letzte  Reise  in  Zentralafrika,  deutsch  272,  vgl.  Glob.  29,  179.  — 
Makakira:  Cameron,  Quer  durch  Afrika,  deutsch  1,236.  —  Wapogoro:  Fabry  219. 
—  Makonde  -  Plateau:  Weide,  Negerleben  348  ff.  u.  356.  —  Lukuledi:  Wehr- 
meister, Vor  dem  Sturm  85.  —  Wakamba:  Hildebrandt  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  1878, 
S.  393.  —  Makololo:  Hartmann  im  Bericht  der  Berliner  Anthropolog.  Gesellseh. 
1877,  S.  457.  —  Basuto:  Endemann  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  1874,  S.  37;  Chr.  Stech  im 
„Daheim'   1879.  Bd.  24,  S.  383 

§]262.  Howa:  Camboue,  Jeux  des  enfants  malgaches,  Anthrop.  VI,  665ff.  —  Batak: 
Frhr.  v.  Brenner,  Besuch  332.  —  Orang  Mamma  (Sumatra):  Schneider  bei  Speiser 
85.  —  Formosa:  W.  Müller,  Wildenstämme  240.  —  Palau:  Raymund,  Die  Faden- 
und  Abnehmespiele  auf  Palau,  im  Anthropos  VI  (1911).  40ff.  —  Yule  Island:  G. 
Thilenius  im  Glob.  83,  20.  —  Kaiser- Wilhelms- Land:  M.  Krieger,  Neu-Guinea 
176.  —  Holländisch-Neu-Guinea:  Derselbe,  ebenda  391.  —  Motu-motu  (Brit.- 
Neu-Guinea):  „Die  Natur"  1879,  S.  280.  —  Laur.  (Neu-Mecklenburg):  Abel,  Knaben- 
spiele auf  Neu-Mecklenburg  (Südsee)  im  „Authropos"  I,  818 ff.,  219 ff.  --  Hawaii: 
Stewart  Culin  bei  Karutz.  Die  Spiele  der  Hawaiier,  Glob.  76,  340.  —  Australien: 
E.  Jung,  Aus  allen   Weltteilen  1877,  S.  347. 

§  263.  China:  Gustav  Kreitner,  Im  fernen  Osten  007;  Dols  768;  L.  Y.  Fischer  (nach 
Walter  Medhurst)  in  „Aus  allen  Weltteilen-1  18S1,  XIII,  S.  73;  John  Antenorid, 
Kinderspiele  und  Spielzeug  in  Ostasien,  in  „Völkerschau"  11,  274 f.;  A.  R.  Wright, 
Some  Chinese  Folklore,  iu  „Folk-Lore"  XIV,  Lond.  1903,  pp.  292f.;  Stenz,  In  der 
Heimat  des  Konfuzius,  S.  lOf.  u.  32.  —  Japan:  Isabella  Bird,  Unbetretene  Reise- 
pfade,  a.  d.  Engl.  (Jena  1882),  S  97.  —  Siam:  H.  Hillmann,  Kinderspiele  in  Siam 
im  Glob.  78,  191  ff. 

§  204.  Dravida  (Landschaft  Croog):  TT.  Gallenkamp,  Dravid  Volkssp.  81.  —  Golden: 
Jakobsen-Genest,  Glob.  52,  174.  —  Ostjaken:  Kondratowitsch,  Z.  E.  d.  O.,  290,  West- 
sibirische Expedition,  in  „Deutsche  geogr.  Blätter"  1877,  II.  —  Ungarn:  Franz  von 
Gabnay,  Ung  Kindersp.,  im  Glob.  85,  42ff.  u.  60ft.;  derselbe,  Ungarische  Puppen, 
Glob.  81,  205  ff. 

§  265.  Tschuktschen:  Nordenskiöld,  Die  Umsegelung  139.  —  Eskimos  (am  Smith-Sund): 
Eivind  Astrup  205.  —  Chippeways:  Th.  L.  Mc.  Kenney,  Sketches  of  a  Tour  to  the 
Lakes  180ff.  —  Maskoki:  A.  Owen  06.  —  Pirnas:  von  Murr  208.  —  Mexiko: 
Starr,  Catalogue  28.  —  Choctaw:  Bushneil,  Glob.  97,  350.  —  Kalifornien:  Powers 
bei  Elcho  in  Westerm  Monatsh.  1881,  Nr.  298,  S  502.  —  Peru  (Altes):  Reiss  und 
Stiibel,  Das  Todtenfeld  von  Ancon  in  Peru,  Taf.  88— 90.  —  Kaua  u.  Kobeua:  Koch- 
Grünberg,  Zwei  Jahre  unter  den  Indianern  II,  1 19 ff  u.  150.  —  Caraja:  von  Königs- 
wald  23S.  —  Guayana:  F.  im  Timm  in  Folk-Lore  XII,  (1901)  134f.  --  Gran 
Chaco:  Erland  Nordenskiöld,  Spiele  und  Spielsachen  im  Gran  Chaco  und  in  Nord- 
amerika, in  Ztschr.  f.  Ethnol.,  42.  Jahrg.  (1910),  S.  42711. 

§  267.  Hindu:  Wilhelm  Hoffmann,  Der  Zustand  des  weibl.  Geschlechts  24.  —  Ceylon: 
Malve-zi,  L:isola  del  paradiso,  in  Nuova  Antologia  43  (1908),  p.  203.  —  Farsistan: 
Dieulafoy  im  Glob.  46,  293f.  —  Sparta:    Wachsmuth  2,  365.  —   Ruthenen:   Franz 


856  Anhang  I.     Zitate. 

xon  Gabnay,  U.  K.,  60.  —  Arabisches  Oberägypten:  Lane  I.  79.  —  Altes 
Ägypten:  Wilkinson,  The  Manners  II,  334.  —  Lega-Galla  u.  Koma-Neger: 
Sehuver,  Reisen  im  ob.  Nilg.  32.  —  Goldküste:  H.  Vortiscli  278.  —  ßassari: 
H.  Klose,  Das  Bassarivolk  311.  —  Bphe-Neger:  H.  Seidel  u.  Henrici  im  Glob.  68, 
314.  —  Dualla:  Pauli  17.  —  Yaunde  (ein  Fan-Stamm):  ff.  Zenker,  Yaunde,  in 
Mitteilungen  a.  d.  Deutschen  Schutzgebieten,  7,  42.  —  Fan:  O.  Lenz,  Deutsche  geogr. 
Blätter  1877,  S.  72,  —  Afrikanische  Westküste:  Palavertromel,  Koloniales,  in 
„Völkerschau''  III.  377  u.  379.  —  Herero:  H.  von  Frangois,  Nama  und  Damara 
163.  —  Bergdamara:  F.,  Die  ßergdamara  oder  „Klippkaffern".  im  Glob.  96,  170ff. 
-  Deutsch-Ostafrika:  Weule,  Negerleben  257,  264,  359,  384,  360—362.  —  Lukii- 
ledi:  P.  C.  Wehrmeister,  Vor  dem  Sturm  62.  —  Wagogo:  Herrmann,  Ugogo,  in 
Mitteil.  a.  d.  Deutschen  Schutzgebieten  5,  194.  —  Wahima:  Weiss,  Land  und  Leute 
von  Mpororp,  im  Glob  91,  166.  —  Bahima  u.  Baziba:  Nik.  Fisch  in  „Afrika-Bote", 
9.  Jahrg.,  S.  133.  —  Wapogoro:  Hermann  Fabry,  Aus  dem  Leben  der  Wapogoro, 
Glob.  91,  £00.  —  Zulu:  Fr.  Mayr,  The  Zulu  Kafirs,  im  Anthropos  II,  6351'.  — 
Auin-ßuschleu  te:  Hans  Kaufmann  143.  —  Nama-Hot  ten  totten  :  Teoph.  Hahn 
im  Glob.  XII  (1868),  307. 

§  268.  Batak:  von  Brenner,  Besuch  247.  -  -  Flores:  Le  Cocq  d' Armand  rille,  Deutsche 
Übers.,  80.  —  Holländisch-  u.  Bri  tisch-Neuguinea:  Krieger  391  u.  295.  - 
Yule-Insel:  V.  M.  Egidi,  La  tribu  di  Tauata  677  f.  —  Nauru:  Brandeis  60.  - 
Ost-Stamm  der  Gazellen-Halbinsel:  Jos.  Meier,  Primitive  Völker  382.  — 
Tahiti:  O.  Wedekind,  Land  246.  —  Korea:  B.  G.  Arnous,  Charakter  u.  Moral  der 
Koreaner,  im  Glob.  67,  374;  vgl.  Hamilton,  Korea  40.  —  Formosa:  Kisak  Tatnai  im 
Glob.  70,  96.  —  China:  Stenz,  In  der  Heimat  9,  31  u.  37:  Dols  768.  —  Miao: 
A.  Schotter  416.  —  Tongkinesen:  H.  Seidel  im  Glob.  57,  247.  --  Kambodja: 
Aymonier  im  Glob.  48,  158.  —  Thai:  Bourlet,  Les  Thay,  im  „Anthropos"  II,  356, 
359f ,  363,  367,  617  u.  627.  —  Katschin:  Ch.  Gilhodes.  La  eulture  materielle  den 
Katchins,  im  Anthropos  V,  615ff.  —  Burjäten:  Kaschin,  Mosk.  med.  Ztg.  1862.  — 
Kirghiseu:  Brehm,  Vom  Nordpol  418 f.  --  Samojeden:  De  Dobbeler,  Glob.  19, 
168.  —  Tungusen:  Middendorf  IV,  T.  2.  —  Carrier-Insulaner:  Morice,  The 
Great  Dene  Hace.  im  Anthropos  II.  11.  —  Indianer  in  Neu-Niederland:  Dapper, 
Dio  Unbekannte  Neue  Welt  (1673).  149.  —  Yukatan  u.  Guatemala:  Bancroft  II, 
662f.  —  Kuba  u.  die  Baham  a-Inseln:  Dapper,  D.  Unbek.  Neue  Welt  173.  — 
Guarayos  u.  Siriones:  Cortes,  Bolivia  (vgl.  Ren:,  „Völkerschau"  III,  102.  —  Ona- 
Cook,    Die   erste  Südpolarnacht  97. 

ij  Iti'.V  Hindus:  Zitelmann,  Indien  57  f.  —  Singhalesen:  Selenka,  Der  Schmuck  dea 
Menschen    19.   —   Mursuk:   Lyon    175 f.  Togo:    ff.    Klose    im    Glob.    81.    191; 

I!  Tiüttner,  Bilder  aus  dem  Togohinterlande,  in  Mitteil  a.  d  deutschen  Schutzgebieten 
6,  241.  -  Yaunde:  Zenker  42.  --  Herero:  H.  v.  Frangois,  Nama  und  Damara 
163.  -  Bergdamara:  F.  im  Glob.  96,  170ff.  —  Wahima:  Weiss,  Land  und 
Leute  von  Wpororo,  t i lob.  91,  166.  —  China:  St,  :.  In  der  Heimal  31  n.  37.  — 
Tongkin:  H.  Seidel  im  Glob.  57,  247.  —  Kambodja:  Aymonier  im  Glob.  4s,  I, 
.">8.  —  Katschin  (Burma):  Gilhodes,  La  Culture  materielle  des  Katchins,  Anthropos 
\',  620.  —  rLobeua-Indianer:  Koch-Grünberg,  Zwei  Jahre  unter  den  Indianern  11, 
1 49 f.  —  Carajä-Ind ianer:  von   Koenigswald  237f. 

i;  270.  Herero:  //,  v.  Frangois,  Nama  und  Damara  163.  -  Wakisi  und  Manda:  //. 
Seidil,  Körperverunstaltungen,  Glob.  80,  291.  -  Wahima:  Weiss,  Land  und  Leute 
von  Mpororo  164.  —  Mombassa:  Wehrmeister,  Vor  dem  Sturm  28.  -  A  nin-  Busch- 
leute: Hans  Kaufmann,  Die  Auin,  in  Mitteil.  a.  d.  Deutschen  Schutzgeb.  23,  140.  — 
Howa:  Comboui  im  Anthrop.  IV.  384.  —  Samoa:  von  Hesse-Wartegg,  Samoa,  Bis- 
tnarckarchipel  234.  -  Kambodja:  Aymonier  im  (Hob.  Is.  158.  — -  Tongkin:  //. 
Seidel  im  Glob  57,  247.  Katschin  (in  Burma):  Gilhodes,  La  Culture  materielle 
des  Katchins,  Anthrop.   V,  621. 


Anhang  I.     Zitate.  357 

§  272.  Schweden  u.  Norwegen:  Höfler,  Lichttneßgebäcke  in  Ztsehr.  d.  Vereins  f.  Volks- 
kunde 15,  310;  derselbe:  Das  Spendebrot  bei  Sterbefällen  im  Glob.  80,  93 ff.  —  Athen: 
Plntarch,  Theseus  c.  22.  —  England:  Charlotte  S.  Burne  in  Folk-Lore  Journal  IV, 
London  188(5,  S.  357  f.  —  Yorkshire:  Joung  in  County  Folk-Lore  II,  267. 

§  273.  Eisleben:  F.  Kunze  (nach  Möbius)  in  Zeitschr.  d.  Vereins  für  Volkskunde,  Jahrg.  6, 
S.  18  f.  —  Liebauer  Tal:  Patschovsky,  in  Mitteil.  d.  Schles.  Gesellsch.  f.  Volkskunde, 
Bd.  II,  H.  IV,  34.  —  Porto:  M.  Abeking  (nach  TkeophUo  Braga),  Der  Weihnachts- 
monat  in   Portugal,   im   Glob.  74,  387. 

§  274.  Alnwick:  Balfour-Northcbte,  County  Folk-Lore  IV,  79.  —  Münchener  Vorstädte: 
Reichling- Meldcgg  in  ihrem  anonym  erschienenen  „Weihnachts-Gruß  eines  Muenehner- 
kindl"  7. 

§  275.  Siehe  verschiedene  hierher  gehörige  Zitate  als  Randbemerkungen  zum  Text. 
Shetland:  Black,  County  Folk-Lore  III,  197  f.  —  North  umberla  nd:  Balfour- 
NoHheote,  County  Folk-Lore  IV,  80.  —  Yorkshire:  Mrs.  Gutch  in  C.  F.-L.  II  (1901), 
S.  274f.  —  Suffolk  County:  Gurdon,  C.  F.-L.  1893,  S.  HOf.  —  Northumber- 
land:  Balfour-Northcote,  C  F.-L.  IV.  79  u.  88.  —  Lerwick:  Black,  C.  F.-L.  III, 
20J.  —  Fröhden:  Paul  Otto,  Gebräuche  und  Spiele  usw.,  in  Ztsehr.  d.  Vereins  f. 
Volkskunde,  9.  Jahrg.,  Berlin  1899,  S.  441  f.  —  Oberbayern:  Reichlin- Meldegg, 
Weihnachts-Gruß  7-  —  Lothringen:  Brunn  Stehle,  Volksglauben  usw.,  im  Globus  59, 
378.  —  Tirol:  Oswald  Menghin  in  Ztsehr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde,  20.  Jahrg.,  387fl'. 

—  Liebauer  Tal:  Patschovsky,  Beiträge  49.  —  Liebental:  Drechsler  in  Mitt.  d.  Schles. 
Gesellsch.  f.  Volkskunde  I  (1896).  S.  60 IT.  —  Tschechen  und  Mähren  in  Schlesien: 
Tetzner  322.  —  Serben  im  Banat:  Richard  von  Strele,  Weihnachtsfeier  usw.,  in  Ztsehr. 
d.  Ver.  f.  Volkskunde  15,  179  f.  —  Mordwinen:  Jidm  Abercromby,  The  Beliefs  and 
Religions  Ceremonies  of  the  Mordwius  (nach  Melnikof),  in  The  Folk-Lore  Journal, 
London  1889,  VII.  13".  11".  —  Hopi  (Moki)-Indianer :  Willy  F.  Fischer,  Ein  „Julfest" 
bei  den   Jloki,   in   Völkerschau   II,   257f. 

£  276.  Kärnthen:  Rud.  Waizer,  Amthor,  Der  Alpenfreund  1876,  IX,  6,  S.  374.  —  Geisel- 
tal: Max  Adler,  Allerlei  Brauch  u.  Glauben  aus  dem  Geiseltal,  in  Ztsehr.  d.  Vereins 
f.  Volksk.  14,  427.  —  Lissabon:  Abeking-Braga,  Der  Weihnachtsmonat  in  Portugal, 
im  Glob.  74,  388.  —   Vlämen:  J.  von   Düringsfeld,  Forzino  145. 

§  277.  Mordwinen:  Abercromby  (nach  Melnikof):  The  Beliefs  and  Religions  Ceremonies 
of  the  Mordvins,  in  Folk-Lore  Journal,  London  1889,  VII,  S.  6.">ff.  —  Yorkshire: 
Gutch  in  County  Folk-Lore  II  (1801),  pp.  270f.  u.  230.  —  Neugriechenland: 
0.  Ernst,  Neugriechische  Familien-  und  Kirchenfeste,  in  „Unsere  Zeit"  1881,  10,  S.  622. 

—  China:  Ereitncr.  im  fernen  Osten  175;  Katscher,  Bilder  aus  dem  chinesischen 
Leben  120;  Euntze,  Um  die  Erde  (1881),  S.  175.  —  Söul:  Watters  in  Folk-Lore  VI 
(1895),  p.  83  f. 

i;  278.  Bedano:  T".  Pellandini,  Usi  e  costumi  di  Bedano,  in  „Schweizerisches  Archiv  für 
Volkskunde",  8.  Jahrg.,  p.  248.  —  Tal  von  Mexiko:  Frederick  Starr,  Catalogue, 
p.  76.  —  Tschechen  a.  Mähren:  Tetzner,  Oie  Tschechen  und  Mähreu  in  Schlesien, 
im  Glob.  78,  322.  —  Ostpreußen:  J.  von  Meiern,  Ostpreußische  Volksgebräuche,  in 
Ztsehr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde,  Jahrg.  7,  3161'.  —  Niederrhein:  O.  Schell,  Drei 
Königslieder  vom  Niederrhein,  in  Ztsehr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde,  Berlin  1897,  S.  90 f. 

—  Vlämen:  J.  e.  Düringsfeld,  Forzino  145.  —  Schweiz:  Höfler,  Die  Gebäcke  des 
Dreikönigstages,  in  Ztsehr.  d.  V.  f.  V.  14.  265.  —  Steiermark:  P.  E.  Rosegger,  Sitten- 
bilder aus  dem  steierischen  Oberlande  49. 

§  279.  Ell wangen:  A)iton  Birlinger,  Sitten  und  Rechtsbräuche,  2.  Bd.,  S.  31.  —  Sater- 
land:  Strackerjan,  Aberglaube  und  Sagen  aus  Oldenburg,  2.  Bd.,  S.  37.  —  Anhalt: 
Oskar  Härtung,  Zur  Volkskunde  aus  Anhalt,  in  Ztsehr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde, 
7.  Jahrg.  (1897),  S.  75.  —  Leobschütz  usw.:  P.  Dittrich,  Schles.  Ostergebräuche, 
in  Mitteil.  d.  Schles.  Gesellseh.  f.  Volkskunde  1  (1896),  11.  II,  S.  101.  —  Rhön: 
L.  Höhl,  Rhönspiegel  87.  —  Fulda:  B.  Spieß,  Europa  1881,  Nr.  10,  S.  375.  —  Esta- 


858  Anhang  I.     Zitate. 

vayer:  Volmar,  Us  et  coutumes  d'Estavayer.  —  Bedano:  V.  Pellandini,  Usi  e  costurni 
di  ßedano  248  f. 

§  280.  Lausitz:  Mannhardt  bei  K.  Th.  Preuß,  Phallische  Fruchtbarkeits- Dämonen,  im 
Archiv  f.  Anthropol.,  Bd.  29,  N.  F.,  S.  139 f.  —  Altes  Mexiko:  Prmß,  ebenda.  — 
Kroatien  und  Slawonien:  Fr.  Huber,  Die  Frühlingsfeier  der  Slawen,  im  Glob.  Bd  38 
(1880),  S.  32G.  —  Liebauer  Tal:  Patschovsky,  Beiträge  zur  Schles.  Volkskunde  a.  d. 
Liebauer  Tal,  in  Mitt.  d.  Schles.  Gesellschaft  f.  Volkskunde  II,  H.  IV,  33  u.  50f.  — 
Pfalz:  L.  Fränkel,  Das  Sommertags-  oder  Staubaus-Fest  in  der  Pfalz,  in  Ztschr.  d. 
Vereins  f.  Volkskunde,  9.  Jahrg.,  Berlin  1899,  S.  207  f.  —  Kronacher  Gegend: 
A.  Schuster  u.  A.  Ziegelhöfer,  Volkspoesie  im  Bamberger  Land,  in  „Das  Bayerland", 
19.  Jahrg.  1908,  Nr.  31,  2.  Blatt.  —  K  hätisch-romanisehe  Schweiz:  Lechner, 
Das  Tal  Bergell  94;  Caviezel,  Das  Überengadin.  —  Vorderschweiz:  Spruchgedichte 
und  Volksbräuche  aus  der  Vorderschweiz,  in  Ztschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde,  5.  Jahrg., 
Berlin  1895,  S.  386.  —  Vlämen:  Wetzer  u.  Weites  Kirchenlexikon,  2.  Aufl.,  4.  Bd.. 
1410.  —  Bristol:  County  Folk-Lore  I  (1895),  p.   19. 

4)  281.     Bamberg:  Max  Lingg,  Kultur-Geschichte  1,  159 f. 

§  282.  Nordthüringen:  Rud.  Reichhardt,  Volksbräuche  aus  Nordthüringen,  in  Ztschr. 
d.  Vereins  f.  Volkskunde  13,  3S6.  —  Liebauer  Tal:  Patscliovsky,  Beiträge  52. 
—  Leobschütz:  P.  Dittrich,  Schlesische  Osterbräuche,  in  Mitt.  d.  Schles.  Ges.  f. 
Volkskunde  I  (1896),  H.  IL  S.  lOf.  —  Nördliches  Baden:  Otto  Heilig,  Karfreitags- 
glocken, in  Ztschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde,  20.  Jahrg.  (1910),  398f.  —  Süddeutsch- 
land:  Richard  Andree,  Ratschen  usw.,  in  Ztschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde,  .0.  Jahrg., 
Berlin  1910,  S.  254.  —  Bedano,  Kanton  Ticino:  Pellandini,  Usi  e  costumi  di  Be- 
dano,  im  Schweiz.  Archiv  f.  Volkskunde,  8.  Jahrg.,  4.  H.,  S.  248.  —  Malschenberg 
bei  Heidelberg:  Heilig,  Karfreitagsglocken,  in  Ztschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde,  20.  Jahrg., 
S.  398f.  —  (England)  York:  Halliwell  in  County  Folk-Lore  II,  London  1901,  244  f. 

-  (York)  Whitby:  Ghdch,  County  Folk-Lore  II,  Londonl901,  S.  245f.  —  Neudorf 
auf  d.  Harze:  Oskar  Härtung.  Zur  Volkskunde  76f.  —  Kiebensdorf ,  Gouvernem. 
Worönesh:  Bruno  Adler,  Die  deutsche  Kolonie  Riebensdorf  im  Gouvernement  Wo- 
ronesh,  im  Glob.  87,  39.  --  Borkum:  H.  Meier  im  Glob.  1876,  S.  382.  —  Ober- 
pfnlz:  Albert  Bierling,  Erinnerungen  aus  der  Überpfalz.  —  Gerstungen  b.  Eisenach: 
Fr.  Schmidt  im  Glob.  1870,  S.  209.  —  Schlesien:  F.  Yogi,  Mitt.  d.  Schles.  Gesellsc.h. 
f.  Volkskunde  I.  54:  P.  Dittrich,  Schles.  Osterbräuche,  ebenda  I,  Heft  II,  12.  — 
Radisleben:  Oskar  Hartimg,  Zur  Volkskunde  76  f. — Epinal:  Otto  Kamp,  Frankreichs 
Kinderwelt  400. 

§  283.  Azoren:  M.  Longtcorth  Dames  u.  E.  Seemann,  Folklore  of  the  Azores.  in  Folk- 
Lore  XIV,  137  ff.  —  Riebensdorf:  Adler  39.  -  Weisweil:  Otto  Heilig.  I'lingst- 
ii.  Johannisfeier  im  nördlichen  Breisgau,  in  Ztschr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde,  Berlin 
1897,  S.  328f.  —  Saargegend:  Karl  Lohmeyer,  Der  I'fingstquak  in  der  Saargegend, 
in  Ztschr.  d.  V.  f.  V.,  20.  Jahrg.,  399  IT.  --  Molschieben:  Rudolf  Reiehhardl. 
Thüringer  Pfingstvolksfest,  ebenda  14.  J.,  418  IT.  —  St.  Georgenberg:  Drechsler. 
Schlesische  Pfingstgebräuche,  ebenda  10.  J.,  252.  —  Fricktal,  Aargau:  Bower,  The 
Elevation  and  Procession  of  the  Ceri  at  Gubbio,  Kapitel:  May  and  Summer  Trce- 
Festivals  71  IT. 

§  284.     Javier:  Amin    l'urtuschke,  in  Mitteil.  d.  Schles.  Gesellseh.  f.  Volkskunde  II.   II.  III. 
S,  24.  —  Whalton:   J.  F.  Elliot  Bates,  in  The  Denham  Tracts  II,  342.    —  Araber 
und  Berber   in    Marokko:    Edward  Westermarck   in   Folk-Lore  XVI,   30  ff.  u.  42.  - 
Spanien    u.    Mexiko:     Christoph    Gottl.    von    Murr.    Nachrichten    von    verschiedenen 
Ländern  79.  —  Nördliches  England:  The  Denham  Tracts  II,  1  f. 

S  2S5.  Achtcrneed,  Ross-shire:  Walter  Gregor,  Notes  on  Beltane  Cakes,  in  Kolk-Lore  VI 
(1895),  p.  2.   —    Lincolnshire:  Dorothea  Townsend  in  Folk-Lore  IX   (ls9S).  p.  276. 

—  Oxford:  Percy  Manning,  Some  Oxfordshire  Seasonal  Festivals,  in  Folk-Lore  VIII, 
307f.  —  Gloucester:  Counly  Kolk-Lore  I,  18.  —  Thaun.  Elsaß:  Percy  Manning 
307  1.  c.  —  Bedano:   Pellandini,  I  si  e  costumi  di  Bedano,  im  Schweiz.  Archiv  f.  Volk.- 


Anhang  I.     Zitate.  859 

künde  8.  J.,  p.  249f.  —  Eslavayer,  Kanton  Freiburg:  Josef  Yolmar,  Us  et  cou- 
tumes  d'Estavayer.  im  Archiv  Suisses  des  Traditions  Populaires  6.  annee,  2.  livr., 
pp.  9  ff.  — ■  Salles  a.  d.  Marne:  Otto  Kamp,  Frankreichs  Kinderwelt  43.  —  Japan: 
Anesaki  in   Kolk-Lore  XII,  71. 

:§  286.  Mordwinen:  Abercromby,  The  Beliefs  usw.,  in  The  Folk-Lore  Journal  VII,  107  ff. 
(uach  Mdnikof).  —  Fgin  (Armenien).  Mesopotamien  u.  Trapezunt:  J.  Rendel 
Harris,  Notes  from  Armenia,  in  Folk-Lore  XV,  427  ff.  —  Cumanen:  Jones-Kropf, 
The  Folk-Tales  of  the  Jlagyares,  Introduction  XVI  —  Rhöngebirge:  Aug.  Schmidt 
im  ßayr.  ärztl.  Intelligenz-Blatt  1880,  S.  362.  —  Ruhla.  Thüringen:  Herbert  M. 
Boicer,  The  Elevatiou  and  Procession  of  the  (,'eri  at  Gubbio  (Kapitel:  May  and  Summer 
Tree- Festivals)  71  ff. 

§  287.  England:  C.  S.  Burne,  Fifth  of  November  Customs,  in  Folk-Lore  XIV,  London 
1903,  p.  89ff.  —  Bretagne:  Alte  Sitten  in  der  Bretagne,  im  Glob.  98,  327. 

§  288.  Schlesien:  Drechsler,  Sitte  218.  —  Indien:  Helene  Niehaus,  Zenana-Leben  249. — 
Mungeli  Tehsil  (Bilaspur-Distrikt):  Gordon,  Some  Notes.  —  Kan-su:  Dols  7(i7. 
Peking:  Stenz  (nach  Grube)  im  Glob.  80,  275.  —  Papua:  Krieger,  Neu-Guinea  164.  — 
Mongolen:  .1/.  v.  Beguelin:  Religiöse  Volksgebräuche  der  Mongolen  (uach  Posdnäjew), 
im  Glob.  57,  209f.  —  Kirgisen:  Brehm  418 f.  —  Maya:  Bancroft  11,662;  Torque- 
mada  II,  448.  —  Mixteken:  Bancroft  II,  281. 

§  289.  Vuatom:  Otto  Meyer,  Mythen  und  Erzählungen  von  der  Insel  Vuatom,  im  An- 
thropos  V  (1910),  S.  715.  —  Rumänen:  Bob.  Prexl,  Rumänische  Brautwerbung,  im 
({lob.  55,  61. 

■§  291.  Transsy  Ivanische  Zeltzigeuner:  H.  von  Wlislocki,  Gebräuehe  d.  transsylv.  Zelt- 
zig.,  im  Glob.  51,  250f.  —  Farsistan:  Dieulafoy  im  Glob.  46,294.  —  Kreta,  Sparta, 
Athen:  Wachsmut  2,  365  u.  3671'.  —  Albanien:  Cozzi,  Malattie,  Morte,  Fuuerali 
nelle  Montagne  dAlbania,  im  Anthrop.  IV,  905.  -  Rom:  Mommsen  I,  3,  868.  - 
Germanen:  Tacitus,  c.  XX.  —  Württemberg:  G.  Zappert,  Über  das  Badewesen 
mittelalterlicher  u.  späterer  Zeit,  im  Archiv  f.  Kunde  Österreich.  Geschichtsqiullen, 
21.  Bd.,  Wien  1859,  S.  158.  --  St.  Gallen:  Hoft'manu-Krayer,  Volksmedizinisches, 
im  Schw.  Archiv  f.  Volkskunde,  Jg.  8,  H.  2,  S.  145.  —  Rumänen:  Prexl  im  Glob. 
47,  28.  —  Arabisches  Ägypten:  Laue  79f.  —  Port  Said:  H.  Morin,  Unter  der 
Tropensonne,  in  Natur  und  Kultur  VI  (1909),  S.  454.  —  Yemen:  Manzoni  52.  — 
Altes  Ägypten:  J.  XVolff  in  Natur  und  Kultur  V,  678;  Gaston  Maspero,  Ägypten 
und  Assyrien  1.!;  Wilkinson  Birch,  The  Manners  and  Customs  of  the  Ancient  Egyptiens, 
N.  Ed.  II,  334.  -■  Fellachen:  B.  T.  K.  im  Glob.  79,  106.  —  Social:  G.  Becoil 
im  Glob.  1880,  S.  2S1 :  P.  Moses,  Somaliland  und  seine  Mission,  in  „Die  kathol.  Mis- 
sionen" 1909,1910,  S.  163.  Uganda:  Afrika-Bote.  8.  Jaürg.,  S.  77.  —  Yao:  Weide, 
Negerleben  197  f.  (vgl.  345f,  357ff.).  —  Suaheli:  Ebenda  461.  —  Loango-Küste: 
Pechuel-Loesche  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  1878,  S.  17.  -  ■  Batak:  W.  Ködding  92.  — 
Samoaner:  Kabary  im  Glob.  47,  71.  —  China:  Stenz,  In  der  Heimat  9  ff. ;  Dols  7  GS. 
—  Ao-Nogas:  Molz  68.  —  Kirgisen:  P.  v.  Stenin,  Die  Kirgisen  des  Kreises  Saissamk, 
im  Glob.  69,  228.  —  Üstjaken:  Castren,  Reisebriefe  12If.  u.  Anm.;  Brehm,  Vom  Nordpol 
365:  Patkanoiv  I,  79,  82ff.  —  Samojeden:  De  Dobbeler,  Die  Samojeden,  im  Glob.  49, 
200.  —  Tungusen:  Glob.  1881,  Bd.  40,  S.  123.  —  Eskimos  (am  Cumberland-Sund): 
Abbes  im  Glob.  46,  216.  —  Gros  Ventres:  Boller  bei  Benz,  Des  Indianers  Familie, 
Freund  u.  Feind  127.  —  Mayas:  Bancroft  II,  681.  —  Azteken:  Derselbe  II,  242.  — 
Pirna:  Josef  Och  bei  von  Murr,  Nachrichten  199f.  —  Inka-Peruaner:  Picard, 
Ceremouies  et  coutumes  relig.  I,  205. 

§  292.  S.  Lefmann,  Die  Geschichte  des  alteu  Indiens  106;  M.  Duncker.  Geschichte  der 
Arier  185.  —  Alte  Perser:  Rawlinsons  Herodotus  I,  262f.  u.  Anm.  1,  2.  —  Neu- 
zeitl.  Perser:  Ella  C.  Sykes  im  Glob.  98,  351.  —  Alte  Griechen:  Wachsmuth  2, 
354 ff.  —  Rom:  Mommsen,  R.  G.  I,  3,  868f.  u.  I,  2,  471.  —  Cleve  u.  Mark:  11"  Meiners, 
Landschulwesen  im  Herzogtum  Cleve  vor  hundert  Jahren,  im  Archiv  f.  Kultur-Geschichte, 
3.  Bd.,   Berlin   1905,   S.  345f.    —   Südrussische   Juden:    Weissenberg,   Kinderfreud 


860  Anhang  I.     Zitate. 

3 1 7 f.  —  Arabia  Petraea:  Musil  III,  229.  —  Mekka:  Keane,  Six  nionths  in  the 
Hejaz  53ff.  u.  47  f.  —  Arabisches  üstafiika:  H.  F.  v.  Behr,  Die  Völker  zwischen 
Rufiyi  u.  Rovuma,  in  Mitt.  a.  d.  Deutschen^  Schutzgebieten  6,  73.  —  (Arabisches). 
Ägypten:  Cromer  II,  160.  —  Fessan:  Lyon,  Travels  287  u.  186f.;  Hartmann, 
Xaturgeschichtl.-medicin.  Skizze  der  Nilländer.  II.  Abth.,  S.  "229.  —  Altes  Ägypten: 
J.  Wolf,  Aus  d.  Privatl.  d.  alten  Ägypter  6781'.;  Herodot  bei  Cromer  II,  160.  —  Bn'ber: 
Qutden  fehlt  in  Ztschr.  f.  Ethnol.,  20,  159.  —  Galla:  Schuver  in  Petermanns  Mitt.. 
Ergzgh.  7.  2,  31. 

Sj  293.  Km:  Lighton  Wilson,  Westafrika,  a.  d.  Engl,  von  Lindau  (1862),  83.  —  Gold- 
käste: Vortisch,  Die  Keger  der  Goldküste,  im  Glob.  89,  280.  —  Ewe:  Zinnie}  in 
Ztschr.  d.  Gesellsch.  f.  Erdkunde,  Berlin  1877,  XII,  392.  --  Ngumba:  L.  Conradt, 
Die  Xgumba  in  Südkamerun,  Glob.  81,  336.  --  Unterer  Kongo:  John  H.  Wecks, 
Customs  of  the  Lower  Congo  People,  in  Folk-Lore  XX  (1909),  472.  -  Herero: 
H.  V.  Francois,  Nama  u.  Damara  197.  —  Wapogoro:  Fabry  222.  —  Luktiledi: 
Welt  nun  nl  er.  Vor  dem  Sturm  63f.  u.  66.  —  Basuto:  Chr.  Stech  im  „Daheim"  1879, 
S.  383.  —  Nama:  H.  r.  Frangois,  Nama  und  Damara  232.  —  Batak:  II".  Ködding  92 ; 
Wamerk  -.8.  —  Kubus:  Tob  105.  —  fiota.  Jap  u.  Korror:  Jahresbericht  1911 
aus  den  Missionen  der  rheinisch-westfälischen  Kapuziner-Ordensprovinz  auf  den  Karo- 
linen-, Mariannen-  u.  Palau-Inseln  .  .  .  471'.  u.  57.  —  Jap:  Senff't,  Die  Rechtssitte  142. 
—  Kaiser- Wilhelms -Lau  d  .  Britisch-  u.  II  olländisch-Neu-G  ui  nea:  Krieger, 
Neu-Guinea  167,  296  u.  390f.  —  Kami:  Egidi,  Questione.  im  Anthropos  V,  755.  — 
Neu-Oaledonien:  J.  J.  Atkinson  in  Folk-Lore  XIV,  London  1903,  S.  248.  —  Viti: 
Williams,  Fiji  and  the  Fijians  I.  134.  —  Australien:  F.  Christmann,  Australien  350; 
K.E.Jnng,  „Aus  allen  Weltteilen"   1877,  S.  347:  Globus  56,  123;  Salvado  311. 

§  294.  Japan:  Alcock,  Im  Ausland  1881.  S.  166;  Isab.  Bird,  Reise  durch  Japan,  im  Glob. 
1881,  Bd.  39.  S.  157.  —  Korea:  Arnous,  Ch.  u.  M.  d.  K.,  im  Glob.  67.  304  a.  376; 
derselbe:  Die  Frauen  .  .  .,  im  Glob.  (iti,  157  ff.  —  China:  James  Legge,  The  Chinese 
Classics  I,  Chapt.  VI  u.  VII;  L.  Kaischer,  Hilder  aus  dem  chinesischen  Leben  5 1 : 
■Stenz,  Aus  der  Heimat  des  Konfuzius  911'..  18,  22,  35,  42,  186f.;  Frhr.  von  Rieht- 
hofen,  Tagebuch  I,  261.  —  Annamiten:  Glob.  58,  266.  —  Thai:  Bourlet,  Les  Thay, 
im  Anthropos  II,  356f.  —  Burmanen:  Pilate,  En  Birmanie,  in  Le  Tour  du  Monde, 
X.  S.  17«  Annee  (1911),  p.  482.  —  Nichtarisches  Vorderindien:  Willi.  Hoffmann, 
Der  Zustand  des  weiblichen  Geschlechts  in  der  Heidenwelt  32,  47  f..  ~>1  u.  54;  Thwston 
im  Glob.  91.  100.  —  Toda:  Harkncß  17  f. 

§  295.  Baschkiren:  P.  von  Stenin,  D.  n.  E.  ü.  d.  B.  156.  —  Turkestan:  2V.  v.  Seidlüz 
im  (Mob.  56,  333.  —  Giljaken:  L.  v.  Schrenck  III.  640—645.  —  Ainos:  //.  v.  Siebold 
in  Ztschr.  F.  Ethnol.  18S1.  Supplem.,  S.  30;  Isab.  L.  Bird  im  Glob.  lssl.  Bd.  39, 
S.  218.  —  Kamtschadalen:  Steller  349  ff. .  K.  von    Ditmar,  Reisen  u.  Aufenthalt  in 

Kamtschatka,  in  Bd.  VII  der  Beiträge  zur  Kenntnis  d.  Russ.  Reiches  428.  —  Eski 

Bessels,   Polaris-Expedition   366;    Saabye   1571'.;    Nansen,    Eskimoleben   (Epzg.    190 
S.  130;   Eivind  Astrup  205;  Garde  im  Glob.  48,  108;  H.   Hink  in  „Die  Natur"    1879 
S.  363.   —  Indianer:   Th.  Wait;,  Die  Indianer  Nordamerikas  101;  F.  Midier.   Allgem 
Ethnologie  (Wien  1873),  S.  250.  —  Botokudcn:  l'rin:  zu    Wird.  Heise  nach  Brasil 
391.    u.    43    (vgl.    Benz,    Des     Ind.    Familie   41).    —    Gros    Ventres:    Jioller.    AmODg 
the   Indians,   56   (vgl.  Benz,  ebenda).      -    Östliche   Sioux:    Mooney,    The    Siouan 
Tribes  of  the  East,  33.  —  Chippeway:   Long  (nach   der   Mitteilung  eines   .Missionars) 
in    See-    u.   Landreisen   115.    —    Lenni    Lenape:   Hirkncelders    Nachricht    145IT.    ivgl. 
Benz,    •>■    e.    17<l   u.    1761'.).    —    Ottawa:    Tanners    Denkwürdigkeiten    1211.    u.    171".    — 
Apachen:    Sjjrni.j    im    Glob.    48,    171;    S.    W.    Cozzen,    The    Marvelous    Countrv.    121. 
-  Insel-Karaiben:   Dapper,    Die  l'nl.ekannte  Neue  Welt  207.   —   Mayas:   Boncrofl 
II,  663f.  —  Azteken:  Derselbe  II,  256,  242.   —    Tükano:    Koch-Grünberg,  Women 
all   Nations  380f.   u.   Zwei  Jahre    unter   den  Indianern  11.  150.   —   Feuerländ    r: 
Hyades  im  Glob.  49,  S.  35  u.  38. 


Anhang  I.     Zitate.  gßj 

§  296.  Sohlesien:  Drechsler.  Streifzüge  49 ;  derselbe,  Sitte  217.  —  Spreewald:  Tr.  v.  Schulen- 
burg.  Wendische  Volkssagen  u.  Gebräuche  aus  dem  Spreewald.  —  Esthern  Magazin 
f.  d.  Literatur  d.  Auslandes  1876,  Xr.  10,  S.  140.  —  Haiti:  Metzger  (nach  Spenser 
St.  John)  im  Glob.  47,  265.  —  Griechen:  Beruh.  Schmidt.  Das  Volksleben  der  Neu- 
griechen I.  133.  —  Maroniten:  Chemali.  Naissauce  745.  —  Arabia  Petraea:  Musil 
III,  322 f.  —  Kru:  Lighton  Wilson,  Westafrika,  a.  d.  Engl.  v.  Lindau  83.  —  Nege- 
rinnen in  Washington  D.  C. :  Ch.  Griffith  Hoffmann  im  Glob.  73,  88.  —  Australien: 
Karl  Emil  Jung  in  „Natur"  (von  Müller)  1877,  Nr.  38,  S.  525.  —  Korea:  Korea 
Revue,  Vol.  I,  Januar  1901,  p.  20.  —  Aymara:  Chr.  Kusser.  Das  Chilinchili-Fest 
der  Aymara,  im  Glob.  52,  1 23 ff.  —  Feuerländer:  Glob.  49,  39  (nach  Hyades). 

§  297.  Indien:  Wilhelm  Hoff'mann  15,  33,  43,  36  u.  56;  Zitelmann,  Indien  56f.  —  Persien 
(neuzeitliches):  Sykes  im  Glob.  9S,  351.  —  Germanen:  Grupp,  Kultur  d.  alten 
Kelten  u.  Germanen  231f.  —  Beduinen  d.  arab.  Halbinsel:  De  St.  Elie  im 
Anthropos  III,  66.  —  Yemen:  Renzo  Manzoni,  El  Yemen  49  u.  201.  —  Tunesische 
Ostküste:  B.  Fitzner,  Aus  dem  Eranenleben  a.  d.  tun.  Ustk,,  im  Glob.  57,  222.  — 
Berber:  Bohlfs  71f.  —  Makonde-Plat eau:  Weide  342.  —  Lukuledi:  Wehrmeister 
63.  —  Makololo:  Holub  in  Mitteil.  d.  geograph.  Gesellsch.  in  Wien  1879.  Nr.  2. 
S.  90.  —  Unterer  Kongo:  Weeks  424.  —  Ngumba:  L.  Conradt,  Die  Ngumba  in 
Südkamerun,  Glob.  81,  336.  —  Howa:  Camboue,  Les  dix  premiers  ans  de  Tenfance 
chez  les  Malgackes,  Anthrop.  IV,  384f.  —  Batak:  Frhr.  V.  Brenner,  Ein  Besuch 
251.  —  Samoa:  Eubary  im  Glob.  47,  72.  —  Korea:  Hamilton,  Korea    14  ff.  u.  108. 

—  China:  Stenz,  In  der  Heimat  des  Konfuzius  31  f. ;  Joh.  Hcinr.  Plath,  Über  d.  häusl. 
Verhältnisse  d.  alten  Chinesen  34 ff.  —  Thai:  Bourlet,  Les  Thay  im  Anthropos  II 
(1907),   pp.  356f.  —  Alno:    H.  D.  Siebold   in  Ztschr.  f.  Ethnol.   1881,    Supplement  30. 

—  Eskimo  am  Mackenzie-  u.  Anderson-Fluß:  F.  Müller.  Allgem.  Ethnogr.  (Wien  1873), 
S.  204;  Garde  im  Glob.  48,  108.  —  Nordindianer:  Hearne  bei  Benz,  Des  Indianers 
Familie  189.  —  Algonkiu-Stämme :  Long,  William  Wood  u.  Schoolcraft  bei  Benz, 
ebenda  154ff.  —  Altes  Mexiko:  Bancroft  II,  242.  —  Goajiros:  Begel,  Kolumbien 
168.  —  Juri:  Koch-Grünberg,  Women  of  all  Nations  p.  381.  —  Kobeua:  derselbe, 
Zwei  Jahre  unter  d.  Indianern  II,  150.  —  Caraya-Indianer:  G.  v.  Koenigswald  237. 

—  Feuerländer:  Frederick  Cook,  Die  erste  Südpolarnacht  100ff.;  Hyades  im  Glob. 
49.  35— 3S. 

§  298.  Nordgermanen:  Altere  Edda,  Lied  von  Bigr,  Übers,  v.  Simroek.  —  Litauer: 
F.  Tetzner  (nach  Brand)  im  Glob.  73,  HOff.  —  Berber:  Rohlfs  71  f.  —  Makua  u. 
Wayao:  Wehrmeister  63.  —  Abanyai:  Prestage,  Zambesi  Mission  liecord,  May  1808, 
p.  17.  —  Unterer  Kongo:  Weeks  424.  —  Xgumba:  L.  Conradt,  Die  Ngumba  in 
Südkamerun,  im  Glob.  81,  336.  — Ho:  Fies  77.  —  Hova:  Camboue,  Le  dix  premiers 
ans  384.  —  Deutsehe  Südsee:  Hollrung  im  Glob.  54,  339.  —  Marschall-Inseln: 
Carl  Hager,  Die  Marsehall-Inseln  76.  — Neuguinea:  Krieger  167  u.  296.  —  China: 
Stenz,  In  der  Heimat  9  ff..  13  ff. :  Frhr.  von  Bichthofen,  Tagebuch  1,  261.  —  Thai:  Bourlet, 
Les  Thay  356 f.  —  Samojeden:  De  Dobbeler  im  Glob.  49,  200.  —  (Indianer),  Jäger- 
stämme: Schoolcraft  a.Long  hei  Benz,  Des  Ind.  Familie  154  f.  —  Karaiben:  Schomburgk, 
ebenda  64.  —  Feuerländer:  Hyades,  ebenda  8.  —  Altes  Mexiko:   Bancroft  VI,  242. 

S  299.  Arabia  Petraea:  Musil  III,  229.  —  Oberägypten:  Lane  1,  268.  —  Somali: 
Bevoil  im  Glob.  47,  326.  —  Wapogoro:  Fabry  222.  —  Hova:  Camboue.  Les  dix 
premiers  ans  384f.  —  Monumbu-Papua:  Franz  Tormann,  Zur  Psychologie  ..  .  der 
Monumbo-Papua,  im  Anthropos  V.  407  ff.  —  Katchin:  Gilhodes.  ebenda  621. 

§  300.  Germanen:  Grupp.  Kultur  d.  a.  Kelten  u.  Germanen  231  f. ;  Ältere  Edda,  Übers. 
Simroek,  Lied  von  Bigr.  —  Indien:  Zitelmann  i,9  f.  —  Bedja:  B.  Hartmann, 
Naturgesch.-medic.  Skizze  der  Nilländer  II,  296.  —  ilakua  u.  Wayao:  Wehrmeister 
63.  —  Makondeplateau:  Weide,  Negerleben  348.  —  Makololo:  Holub  in  Mitteil. 
d.  geogr.  Gesellsch.  in  AVien  1879,  Nr.  2,  S.  90.  —  Abanyai:  Prestage  in  Zambesi 
Mission  Record,  May  1898,  p.  17.  —  Hoer:  Fies  77.  —  Aetas:  .4.  Br.  Piehler,  Die 
Ajitas  (Aetas)   der   Philippinen,   im   Glob.   96,    197.   —   Japan:    Mishima,   Japanische 


862  Anhang  I.     Zitate. 

Schulhygiene  1 — 10;  Kinza  Ringe  M.  Hirai.  Japan  wie  es  wirklich  ist  20.  —  Kam- 
bodscha: E.  Aymonier  im  Glob.  48,  158.  —  Baschkiren:  Peter  v.  Stettin.  D.  n.  F 
üb.  d.  B.  156.  —  A'inos:  Heinrich  V  Siebold  in  Ztschr.  f.  Elhnol.  1881.  Supplem.  30. 
—  Sara-Sioux:  Mooney  bei  Renz,  Des  Indianers  Familie  1 16 f.  —  Apachen:  Spring 
im  Glob.  4S,  171.  —  Caraya:  G.  V.  Koenigsicald  237.  —  Goaji'ros:  Regel,  Ko- 
lumbien 168. 

§  301.  Indien:  Massie  bei  II".  Hoffmann.  Der  Zustand  51  u.  54:  Josef  Dahhnann,  Das 
altindische  Volksthum,  107  u.  109;  11'  Hoffmann  o.  c.  13,  43,  51;  E.  Schröder 
2>ß:  Zitelmann,  54f.  u.  ">8.  —  Kelten:  Grupp,  Die  Kultur  der  alten  Kelten  und 
Germanen  123.  —  Griechenland:  Wachsmulh,  2,  354  ff.  —  Lydien:  Mommsen, 
Köm.  Gesch.  5  Bd..  Berlin  1885,  S.  334f.  —  Rom:  Mommsen  I.  3,  868 f..  877ff-, 
881;  II,  4.  429ff.;  111.  557  ff.  —  Germanen:  Weinlwld.  Die  deutschen  Frauen,  2.  AuH., 
S.  90  u.  !25;  Grupp,  Kultur  d.  alten  Kelten  u.  Germanen  231  f.;  Altere  Edda.  Übers, 
von  Simrock,  Lied  von  Rigr.  —  Christliches  Mittelalter:  Siebengar tner,  Volks- 
schule. In  Wetzer  und  Weites  K.-L.  2.  Aufl.  12.  Bd..  1048 f  ;  Ploß,  D.  K.,  2.  Aufl., 
11,  351  ff.;  A.Franz,  D.  Kirchl.  Benediktionen  II,  257 ff.  —  Pommern:  MarHnWehr- 
mann.  Von  der  Erziehung  u.  Ausbildung  pommerischer  Fürsten  im  Refurmationszeit- 
alter.  im  Archiv  f.  Kulturgeschichte,  1.  Bd.,  Berlin  1903,  S.  268 f. 

!;  302.  Assyrien:  Maspero.  Ägypten  u.  Assyrien.  S.  238.  —  Alttestam.  Israeliten: 
König.  In  Wetzer  u.  Weites  K.-L.,  2.  Aul!..  7.  Bd..  460.  —  Juden  der  Bukowina: 
Kaindl,   (ilob.  80,    134 f.  Südrussische   Juden:    S.    Weißenberg,    Kinderfreud    u. 

Kiuderleid  b.  d.  südruss.  Juden,  318 f.  —  Arabien:  G.  Giehtel,  Kleine  Bilder  aus 
Tunis,  in  Natur  und  Kultur  VII.  4ti3.  —  Arabisches  Ägypten:  Karl  of  Oromer, 
Ködern  Egypt.,  Vol.  11.  539f  :  Mustafa  Bei.  Die  mohammedanische  Frau  im  (<]ob. 
66,  141;  Hamilton  Fyfe,  im  Feuilleton  der  Sehles.  Volksztg.  Nr.  166.  13.  April  1910; 
Hartmann,  Xaturgesehichtl.-medizin.  Skizze  der  Nilländer.  II.  Abth.  Berlin  1860, 
S.  229;  Gelliow-Danglar,  Lettres  sur  l'Egypte  contemporaine,  Paris  1876.  —  Mekkah: 
Keane.  Six  months  in  the  Hejaz,  53  ff.  —  Yemen:  R.  Manzoni,  El  Ymen  49  u.  201 
Arabische  Beduinen:  .4.  .1/.  de  St.  Elie.  im  „Anthropos"  III.  tili.  —  Arabia  Petraea: 
Musil  III.  229  u.  232  f.  —  Lied  De  lim.  Sahara:  G.  Doids.  Erlebnisse.  25 
Sukkot-  u.  ilahaß- Xubier:  Burckhardt,  Travels  in  Nubia,  p.  47  Anm.  —  El- 
Bedjah  (Bischarin):  R.  Hartmann,  Naturgesch.-medizin.  Skizze  der  Nilländer  II. 
296.  —  So  mal:  Burton,  First  Eootsteps,  123;  Vanutelli-l  '*>>  rni,  Vlaggio  d'Esplorazio 
Ferrand,  lies  Qomalis.  —  Abessiuien:  Friedrich  J.  Bieber,  Durch  Südäthiopien  zum 
Nil.  im  (Hob.  97.  72f.  —  Kabylen:  .4.  Lissauer.  A.  u.  a.  S.  ü.  d.  K.  523f.  — 
Kopten:  Laue  II,  321.  —  Altes  Ägypten:  .7.  Wolf.  Aus  dem  Privatleben  d.  alt. 
Ägypt.,  679;    Wükinson-Birch  I.  175 i'. 

§  303.     Tanganika:  J.  Roos.  im  ,.Afrika-Bote",  9.  Jahrg..  S.  270f.  —  Makua  u.  Wayao: 
Wehrmeister,  Vor  dem  Sturm,  63  u.  23 f.  —  Kurasini,  ebenda,  220  f.  —  Khodesia: 
Zanibesi  Miss.  Record,  Vol.  1,  1898.  p.  266.   —   Fort  Salisbury:  Notes  and  Extracts, 
ebenda,  9.  —  Matebele,  ebenda.   II  (1904),   S.  :;77  ff.  u.  392  ff.    —    Angoni-Land: 
Hiller,    aus   der  Jesuitenmission    am   Zanibesi,    im    „Echo    aus    Afrika".    XXI.  Jahl 
S.   1241'.   —    Kap-Kolonie:  J.  Byan,  in  Zambesi  Miss   Kee.  I  (Apl.  1900),  S.  2l 
Calabar:   Jos.  Kraft  im  „Echo  aus  Afrika".   XXI.   141.    —  Aluru:    Fr.  Xav.  Geifer 
in  „Kathol.  Missionen",   1910,  S.  241.   —   Haiti:  F..  Metzger  mach  Spenser  St.  J< 
im  Glob.  47.   2321'.  u.  2S1  f.   —    Borna:    Durand   im    Bulletin   de   la   societe   de   <■ 
graphie.  Paris  1876.  p.  420.    —    W'ai:    Oskar  Baumann  im  (ilob.  52,   239.    —   Auin: 
Kaufmann   159.  —   Madagascar:  Camboui,  Les  dix  premiers  ans.  Antbrop.  I\'.  '■'•>)■■. 
C.  Keller.  Die  ostafr.  Inseln,  78.  —  Batak:   Meyners  d  Estray  in  „Exploration"   Is77: 
Frhr.    v.    Brenner,    Ein   Besuch,   293  ff  u.   166.    —    Flores:    A.  Jacobsen  u.   //.    A 
Reise   in  Niederländisch-Indien,  Glob.  55,  200f.   -     Java:    Emil  Metzger,    Herrscher 
und   Beherrschte    auf  Java,    Glob.    56,    9.    —    Deutsche    Südsee:    M.    Hoürung,    Mas 
deutsche  Sohutzgelmt,  (ilob.  54.  339.  —  Papuas:   Krieger,  Neu-Guioea,  1 « ;-t .  li>7.  176 
u.   296.    —    Karolinen    u.    Marianen:    Kilian   Midier.    Bericht   über  d.    Mi   äionen   d. 


Anhang  I.     Zitate.  gti3 

rheiniseh-westfäl.  Kapuziuer-Ordensprovinz  auf  den  Karolinen  usw.  1908,  S.  7,  11 14, 

19  u.  28.  --  Rota  u.  Korror:  Jahresbericht  1911  aus  den  Missionen  der  rheinisch- 
westf.  K.-O.  usw.  —  Samoa:  Kübary  im  Glob.  47,  72;  Deeken,  Manuia  Somoa, 
121  f.  —  Tahiti:  „Die  Kath.  Missionen-',  39.  Jahrg.  (1910/1911),  S.  256.  —Australien: 
ebenda,  258;  Christmann,  Australien,  350. 

§  304.  Japan:  Hirai,  Japan,  wie  es  wirklich  ist,  S.  22f.  u.  19f.;  J.  .7.  Rein,  Japan,  2.  Aufl. 
1.  590  ff;  Lehzen,  Reiseerinnerungen  aus  Japan  u.  China  im  Glob.  56,  298;  Hugues 
Krafft  im  Glob.  48,  220;  Max  Jacobi,  Das  staatliche  Schulwesen  Japans,  in  „Alte 
u  Neue  Welt",  42.  Jahrg.  1907/08,  S.  30f.  —  Korea:  The  Korean  Review,  Januar- 
heft 1901;  Hamilton,  Korea,  26f.,  109,  232,  104ff.  u.  44.  —  China:  J.  Doolittle, 
Social  Life  of  the  Chinese  I,  370  f.;  Stenz,  In  der  Heimat  des  Konfuzius,  12—17, 
31  f.;  J.  Dols  768f.;  Ferdinand  Frhr.  v.  Richthofen,  Tagebücher  I,  158f.  u.  217; 
Nuova  Autologia,  Anno  43,  (190S)  Fase.  880,  p.  669;  Die  Kathol.  Miss.,  37.  Jahrg. 
(1908/09),  S.  158;  Le  Tour  du  Monde,  Xouv.  Serie,  16,  annee  1910,  p.  372.  —  Khmer 
(Kambodscha):  Gutsdon,  La  Litteratufe  khmere  et  le  ßuddhisme  in  Anthrop.  I, 
IM  f.,  96,  99—101.  —  Thai:  Bandet,  Les  Thay  im  Anthrop.  II,  359f.   u.  363f. 

§  305.  Mongolei  u.  Tibet:  Huc  u.  Gäbet,  Wanderungen,  D.  Übers.  1855.  —  Ost- 
Thi  krstan:  E.  Schlagintieeit  im  Glob.  17  (1877).  S.  365;  (Kaschgar):  Papier,  im 
Bulletin  de  la  Soc.  de  Geogr.  1877,  p.  598.  —  Turkmenen:  Jaworski  bei  Stada  im 
Glob.  74.  97.  —  Tataren  u.  Baschkiren:  Peter  v.  Stenin,  Die  neue  Forschung  über 
d.  Baschkiren,  156.  —  Astrachan  (Tataren,  Kalmücken,  Armenier):  Alfr.  Christoph, 
Hunte  Bilder  im  Glob.  55,  85.  —  Kirghisen:  Finsch,  Reise  nach  West-Sibirien,  299; 
Brehm,  Vom  Nordpol,  418f.;  P.  v.  Stein.  1).  K.  d.  K.  S.,  Glob.  69,  228.  —  Tschere- 
nnssen:  Glob.  52,  47.  —  Burjäten:  M.  A.  Krols  im  Glob.  77,  216.  —  Jakuten: 
Friedr.  Müller,  Unter  Tungusen  u.  Jakuten,  255.  —  Samojeden:  De.  Dobbeler  im  Glob. 
49,  uO.  —  Ostjaken:  Gastrens  Reiseberichte  u.  Briefe,  S.  116. 

§  06.  Altes  Mexiko:  Bancroft  II,  242-245;  Torquemada,  Monarchia  (1723)  P.  3,  p.  28  f. 
—  Mayas:  Bancroft  LI,  6b3f.  —  Inka-Peruaner:  Sundstral,  Aus  dem  Reiche  der  Inkas 
l.'.tr,  8.  —  üneida  usw.:  G.  Bird  Grintieü,  The  Indians  of  To-Day  153ff.  —  Mi- 
ch 1 1  li  mackinac  u.  Seneca:  Mc.  Kenney,  Sketches  387  u.  428.  —  Sioux;  W.Welsh, 
Report  of  a  visit  33  (bei  Renz,  Des  Indianers  Familie  128).  —  Navajos:  D.  Kath. 
Missionen,  37.  Jahrg.,  S.  92f.  —  Sitkausw.:  Woltereck,  ludianer  von  heute,  im  Glob. 
08,  90f.  —  Comanches  u.  Caihuas:  S.  A.   Galpin,  Report,  5. 

§  309.  Kelten:  H.  D'Arbois,  La  famille  celtique  187  ff.  u.  Introduction  p.  V.  —  Griechen: 
Waehsmut,  Hellenische  Altertumskunde,  2.  Ausg.,  Bd.  2  (Halle  1846),  S.  381  ff.  u  11; 
Jacob  Burckhardt,  Griechische  Kulturgeschichte,  Ausg.  Oeri,  Berlin  1902,  Bd.  4, 
S.  146,  414  u.  6118;  Josef  Müller,  Das  sexuelle  Leben  der  alten  Kulturvölker,  in 
„Renaissance"  H,  244  u.  269f.;  Bachofen,  Mutterrecht  336  u.  424;  Bancroft,  II,  468f.  — 
Perser:  Herodot  I,  135.  --  Juden:  1.  Könige  15,  12  u.  22,  47;  2.  Könige  23,  7; 
1.  Mos.  19;  3.  Mos.  18,  22  u.  26ff. ;  Deuter.  22,  5;  Torquemada,  Monarchia  II,  380.- 
Azaamur:  Leo  Africanus,  Beschr.  von  Afrika  133 f.  —  Tunis:  Heinrich  Frhr. 
v.  Maltzan  I,  97 f.  —  Maskat- Araber:  Oskar  Baumann,  Der  Sansibar- Archipel, 
H.  IL  S.  23  u.  H.  III,  S.  10.  —  Sansibar:  Burton,  Zanzibar  I,  3S0f.  —  Türken, 
Albanesen  usw.:  Ed.  Nolde,  Reise  nach  Innerarabien  usw.  263.  --  Massai:  Max 
Weiss,  Die  Völkerstämme  386.  —  Wasuaheli:  Burton,  Zanzibar  I,  419  u.  431.  - 
Hottentotten:  Fritsch,  Die  Eingeborenen  Südafrikas  351.  —  Marshall-Inseln: 
Carl  Hager,  Die  Marschall-Inseln  96 f.  —  Australien:  Ferd.  Frhr.  v.  Reitzenstein 
(nach  Klaatsch),  Der  Kausalzusammenhang  651  f.  —  China:  Dols,  L'enfance  chez  les 
Chiuois  de  la  Province  de  Kan-sou,  im  Anthrop.  III,  768.  —  Kamtschatka: 
Stellas  Beschreibung  (Frankfurt  1774),  288f.  Anm.  u.  350f.  Anm.  —  Aleuten:  Th. 
L.  Mc.  Kenney,  Sketches  316.  —  Ottawa:  Tanners  Denkwürdigkeiten  97 ff.  — 
Illinois:  De  Laliontans  Historische  Nachrichten  386.  —  Mayas  u.  Nahuas: 
Bancroft  II,   677  u.  Anm.;    Torquemada.    Monarchia  II,  380,   391  f.  394.  —  Florida: 


864  Anhang  I.     Zitate. 

Ebenda  427;  Dapper,  Die  Unbekannte  Neue  Welt  172.  —  Südamerika:  Mar/ins,  Zar 
Ethnographie  Amerikas,  Bd.  1,  S.  112  f. 

§  310.  Alte  Inder:  Josef  Müller,  Das  sexuelle  Leben  der  alten  Kulturvölker,  in  „Renais- 
sance" II,  130.  —  Neuzeit!.  Indien:  ir.  Hoffmann,  Der  Zustand  16  u.  60.  — 
Toda:  Harkness,  A  Deseription  77;  W.  MarshaU,  A  Phrenologist  2201'.  -  Ceylon: 
Knox,  An  Historical  Relation  92  u.  1991T. ;  Percicals  Beschreibung  der  Insel  Ceylon, 
D.  Ü.  —  Persien:  Polak,  Persien  I,  206.  —  Attika:  Josef  Müller,  1.  c.  II,  242ff. 
u.  261.  —  Sparta:  Ebenda  259ff.  —  Lokri  u.  Gortyn:  Ebenda  II,  264.  —  Rom: 
Ebenda  II,  325,  3091'.,  300,  .307,  323;  Mommsen  I,  T.  3,  S.  868 f. 

§  311.  Ägypter  (alte):  Wilkinson  I,  321;  Maspero.  Ägypten  und  Assyrien  6;  Bachofen, 
Mutterrecht  12  (nach  Sextus  Empirieus).  —  Berber:  Erhr.  von  Maltzan,  Reise  in  die 
Regentschaften  Tunis  u.  Tripolis  2,  144;  Johann  Leo,  Des  Afrikaners  Besehreibung, 
D.  Üb.  1805,  Bd.  1,  S.  64,  125 ff.  u.  348;  Bohlfs,  Mein  erster  Aufenhalt  in  Marokko 
68  u.  136;  Stumme,  Dichtkunst  33f.  u.  50ff.;  Ch.  de  Foucauld,  Recounaissance  au 
Maroc,  I,  174.  —  Kabylen:  Hanoteau-Letourneux,  La  Kabylie  II.  14S,  165f.  u.  Anm., 
172,  181  u.  187;  III,  201  f.  u.  75;  Schönhärl,  Noch  einmal  etwas  aus  dem  Kabylen- 
land,  in  „Völkerschau"  III,  146.  —  Somal:  Burton  119  u.  121:  Paulitschke  26  u.  31; 
Yannutelli  u.  Citerni,  L'Omo  106.  —  Njam-Njam:  Schweinfurth,  Im  Herzen  von 
Afrika  183f.,  237 f.  u.  242f.  —  Bongo:  Jos.  Müller,  Das  sexuelle  Leben  der  Naturvölker,  in 
„Renaissance"  I,  76.  —  Mangbattu:  Ebenda  184  u.  242.  —  Nubier:  Waitz,  Anthro- 
pologie d.  Naturvölker.  Lpzg.  1860,  2.  Teil  471  u.  485;  J.  L  Burckhardt,  Travels  in 
Nubia  134,  197ff.  u.  203—205.  —  Adamauar^Pnssm^e  488.  —  Araber:  von  Maltzan, 
Reise  in  den  Regentschaften  I,  97  u.  207;  II,  121  ff. ;  J.  B.  Burckhardt,  Bemerkungen  über 
d.  Beduinen  (D.  Üb.  1831)  220.  —  Tibbu:  Nachtigal,  Sahara  u.  Sudan  4X1.  443f. 
u.  449:  Behm,  D.  Land  u.  Volk  der  Tebu,  in  Petermanns  Mitteil.  1862,  Ergänzungsh. 
IV,  S.  40;  J.  BÄchardson,  Travels  in  the  Great  Desert  II,  344;  derselbe,  Narrative  of 
a  Mission  II,  51;  Rohlfs,  Quer  durch  Afrika,  T.  1.  —  Wadai:  Nachtigal,  Sahara, 
T.  3,  S.  252,  91  u.  97;  Mohammed  el  Tunsy.  Voyage  au  Üuaday  406  ff.  u.  414  f.  — 
Bornu:  Nachtigal,  ebenda;  Jos.  Müller,  Das  sexuelle  Leben  der  Naturvölker,  in 
Renaissance  I,  75.  —  Dahome:  Skertchly,  Dahomey  480:  Burton,  A  Mission  to 
Gelele  11,  671'.,  1 60 ff.  u.  I,  191  f.,  276  n.  366;  Hugo  '/.-Ihr,  Das  Togoland  u.  die 
Sklavenküste  180;  Forbes,  Dahomey  I,  1 3 4 f.  —  Herero:  H.  v.  Francois,  Nama  u. 
Damara  195,  199;  Seiner,  Bergtouren  1941'.;  L.  von  Bohden.  Geschichte  der  Rheiuischen 
Missionsgesellschaft  168.  —  Schinz,  Deutsch-Südwestafrika  171  f.  —  Kaff  er:  Jos. 
Müller,  D.  sexuelle  Leben  der  Naturvölker,  Renaissance  I,  76;  Skooter,  The  rlafirs  of 
Natal  47  u.  51;  Fritsch,  Die  Eingebornen  Südafrikas  9,  95,  113f.,  136  u.  140f.;  Schiel, 
23  Jahre  Sturm  236;  Isaac  bei  Skooter  86.  —  Wasualieli:  Burton,  Zanzibar  11. 
25f.;  Veiten,  Sitten  28f.,  100,  402.  --  Neger  auf  den  Antillen:  Labat,  Nouveau 
Voyage  I  V,  167  f.  —  Britisch-Guayana:  Iüippler,  Surinam  281f.  —  Georgetown: 
Joest.  Ethnographisches  und  Verwandtes  30  u.  38.  —  Buschleute:  U".  J.  Burcheü, 
Reisen  in  d.  Innere  von  Süd-Afrika,  I).  (Jb.,  Weimar  1825,  II,  74;  H.  v.  Francois, 
Nama  u.  Damara  2:!7.  —  Kap-Hottentotten:  Kolb,  Caput  bonne  spei  (Ausg.  1719) 
550f.  —  Nama-Hottentotten:  //.  v.  Francois,  N.  u.  D.,  2131'.:  Fritsch,  I).  Ein- 
gebornen Südafrikas  328;  Holub,  Sieben  Jahre  in  Südafrika  115. 
§  312.     Dajaken:    Spencer    St.  John,    Life    in    the    Forest   1,   52—54,   8S,   113    u.    I65ff. 

Karolinen-Inseln:  Kilian  Müller,  Bericht  üb.  d.  Missionen  der  rhein -westf. 
Kapuziner-Ordensprovinz  auf  den  Karolinen-,  Marianen-  u.  Palau-Inseln  1908.  8 
Ulf.;  Finsch,  Marianen  u.  Carolinen  33ff.;  Souper,  Die  Palau-Inseln  68;  Daiber, 
Eine  Australien-  u.  Südseefahrt  29!)  f.  u.  296;  Christian.  The  Caroline  Islands.  — 
Marianen:  Die  Katholischen  Missionen  1899,  S.  244.  —  Marschall-Inseln: 
Carl  Hager,  Dir  Marschall-Inseln  76.  —  Neuguinea:  Krieger,  Ncu-Guinea  172; 
Ilagen,  Unter  d.  Papuas  241  u.  234;  Chalmera,  Neuguinea,  Die  Üb.  141;  O.  Finsch, 
Neu-Guinea  101  u.  92.  —  Neue  Hebriden  u.  Viti:  Jos.  Müller,  D.  sex. 
Leb.   d.   Naturvölker,    in    Renaissance    I,   78.   —    Viti:   J.    d.   Marzan  im  Anthropos 


Anhang  I.     Zitate.  gg5 

V,   809.    —    Bisinarck-Archipel    u.    Salomo-Inseln:     Pfeil,    Studien    und    Be- 
obachtungen    74  f.,    288     u.    31  f.;    Powell,    Unter    den    Kannibalen    234     (Anh.).    — 
Samoa:  Turner,  Samoa  a  Hundred  Years  ago  91,95  u.  155;  Deeken,  Manuia  Samoa; 
Indra,  Südseefahrten  131  ff.  u.  203—205. 
§   313.     Korea:  II*.  G.  Arnous,  156  u.  159;  Hamilton,  Korea  52f.,  46  u.  llOf.    —   China: 
Glob.  55,  382;  Stern,  In  der  Heimat  des  Konfuzius  36  u.  39f.;  Josef  Hoogers,  Theorie 
et  pratique  10.    —  Japan:    Mitford,   Tales    of  Old  Japan  I,  59f.,  63,  67,  70  u.  220; 
Pein  587.  —  Cambodja:  Glob.  48,  109.  —  Katchin:   Gilhodes  im  Anthrop.  V,  621. 
§  314.     Kirghisen:  Brehm,  Vom  Nordpol  418f.  —  Tungusen:  Middendorff,  Sibirische  Reise 
IV,  Teil  2,  1429.  —  Orotschen:  L.  v.  Schrenck,  Reisen  und  Forschungen  III,  659  ff.  — 
Jakuten:  Middendorff IV,  2,  1613  f.  —  Giljaken:  L.  v.  Schrenck  US,  637  f.;  Pilsudski, 
Schwangerschaft  757.    —    Ainu:    von   Siebold,    Nippon   2.   Aufl.,   H,    238;    Pilsudski, 
Schwangerschaft  765  u.  769.  —  Kamtschadalen:    Steiler,  Beschreibung  345f.,  350f. 
u.  288f.   —   Eskimos:    Xansai,   Auf  Schneeschuhen,   D.  Üb.  II,   316   u.   318;    Hans 
Egede  Saabye,   Bruchstücke   eines  Tagebuches  154f.,    101  f.,  149;    Cranz,    Historie   von 
Grönland  I,  239  ff.,  bei  Jos.  Müller,  in  „Renaissance"  I,  77. 
§  315.     Kanada-Indianer,  De  Lahn,, tan,  Historische  Nachrichten  386.    —   Ojibwa  usw.: 
Jos.  Müller,  D.  s.  L.  d.  N.,  Renaissance  I,  77:  Hemme,  Reisen  261,  126,  128,  108  ff.  u. 
86f.  —  Mandan:  Jos.  Müller,  Renaissance  I,  77.  —  Nodowessier:  Carver,  Travels 
245 ff.  —  Indianer  in  Oregon  und  Washington:  Gibbs,  Tribes  of  Western  Washington 
197  ff.  208,  210  u.  219.    —    Pueblos:    Xordenskiöld,    The  CliffDwellers  1621.  u.  139   • 
(nach  Castanedd).  —  Pirnas:  von  Murr  mach  Och)  213f.  —  Indianer  am    Maranon: 
Nielutsch,    Amerikanische  Nachrichten  GS  ff.   —  Abiponer:   Klemm.   Kulturgeschichte 
2,  75,  bei  Jos.   Müller,  D.  sex.  Leb.  d.  Naturv.,   Renaissance  I,  79 f.    —  Chavantes: 
Martins,  Zur  Ethnographie  Amerikas  I,  112f.  —  Indianer  am  Amazonas  usw.:  Eben- 
da 72  u.   115  f.    —   Mundrucus,  Guaycurus  usw.:  Ebenda  118  u.  120 f.   —   Boto- 
kuden:    Prinz   zu    Wied  2.    38f.   —   Tupin   Imbas:   Lerys   Reise  295.   —   Indianer- 
Stämme   im  (^uellengebiet   des   Schingu;   Bororö:    Karl   von  den  Steinen,   Unter  d. 
Naturvolk.  Zentralbrasiliens  6Sf.,    187f.,  377  u.  388  ff.  —  Karaja  u.  Kayapö:   Fritz 
Krause,    In    den    Wildnissen    Brasiliens    326,    329    u.   401.    —    Antillen-Karaiben: 
Labat,  Nouv?an  Voyage  II,  13 f.;  de   Pochefort,  Histoire  naturelle  468,  488 f.  u.  492 f.: 
du   Tertre,  Histoire  generale  II,   379.   —   Karaiben   u.   andere   Stamme   in    Surinam: 
W.    Joest,   Ethnographisches    und   Verwandtes    74   u.   95:    Kappler,   Surinam   214.    — 
Patagonen  u.  Feuerländer:  Musters,  At  home  134,  140  u.  188:  Moreno,  Viaje  116, 
234  u.  367;  Guinnard,  Trois  ans  d'esclavage  122,  128,  161  u.  231. 
§  316.     Oberägypten  usw.:  Lane  1,  257.    —  Nubien  usw.:  Burckhardt,  Travels  in  Nubia 

300ff.  u.  197  ff.  —  Sioux  u.  Cheyenne:  Custer,  My  life  ou  the  Plains  82. 
$5  318.  Alte  Germanen:  Grupp,  Kultur  d.  alten  Kelten  u.  Germanen  230.  —  Europ. 
Steinzeit:  Ebenda  24.  —  Tscherkessen-  von  Klaproth,  Reise  in  d.  Kaukasus  u. 
Georgien  I,  603.  —  Wai:  Oskar  Baumann,  Z.  K.  d.  W.-N.  238.  —  Ibos:  M. 
Friedrich,  Descriptions  de  l'enterrement,  Anthrop.  II,  lOUff.  —  Benin:  R.  E.  Dennett, 
Notes  from  South  Nigeria,  Folk-Lore  XVI,  434  ff.  —  Bambara:  Henry,  Le  Culte  des 
Esprits  710  u.  Anm.  —  Fan:  H.  Trittes,  Les  Legendes  des  Bena  Kanioka  et  le  Folk- 
lore Bantu,  Anthrop.  IV,  946  f.  —  (Landschaft)  Mkulwe:  Hornberger,  Religiöse  Über- 
lieferungen, Anthrop.  IV,  305  u.  307.  —  Batakker:  Kbdding  92.  —  Formosa 
II".  Mütter,  Wildenstämme  240.  —  Korea:  Hamilton  111  u.  77 — 79;  Watters  in 
Folk-Lore  VI  (1895),  83f.  —  China:  Hoogers,  Theorie  et  pratique  Anthrop.  V,  12, 
688 ff.  —  Japan:  Mein  595 f.;  Frhr.  von  Siebold,  Nippon  H,  92,  125  u.  a.  m.,  vgl. 
Menz,  Streiflichter  auf  d.  religiöse  Denken  u.  Handeln  der  Japaner,  in  „Natur  und 
Kultur"  5,  500.  — Ann  am:  Gabrielle  M.  Yassal,  Mes  trois  ans  d'Annam,  in  „Le  Tour 
du  Monde",  N.  S.  17.  Annee,  Paris  1911.  p.  255  f. 
§  319.  Indien:  W.  Hoffmann,  Der  Zustand  d.  weibl.  Geschl.  22.  ■ —  Griechenland: 
Jos.  Mütter,  D.  s.  L.  d.  a.  K.,  Renaissance  II,  228,  231  f.  u.  234  (nach  Pausanias  8. 
47,  3;  10,  34,  8;  8,  32,  12).  —  Rom:  Müller  ebenda  292 f.  u.  333 f.  (nach  Aulus 
Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  55 


ggy  Anhang.  I.     Zitate. 

GeUius  1,  12,  1  u.  7,  7.  4;  Tac.  annal.  2,  86  u.  87,  u.  Dio  Cassius  55,  22).  —  Bam- 
bara:  J.  M.  Henry.    Le  Culte    des   Esprits    ckez   les  Bambara,  Anthrupos  III,  710ff. 

—  Ho:  A".  Fies,  Der  Hostamm,  Glob.  87,  16.  —  Weida  (Dahome):  J.  Weissen- 
born.  Tierkult  iu  Afrika,  in  Internationales  Archiv  für  Ethnographie  Bd.  XVII. 
Leiden  1905,  S.   117.    —  Kamerun:    Find   im   Glob.  78,   379.    —   Unterer  Kongo: 

Weeks,  Customs,  in   Folk-Lore  XX  (1909).  478  f.  —  Kaffer:  Glob.  96,  175.  Anna.  14. 

—  Andaman-Inseln:  A.  R  Brown,  The  Keligion  of  the  Andamau  Islanders, 
in   Kolk-Lore    XX  (1909),    p.    261.    —   Japan:    J.   J.    Rein    I,    364f.;    Hiräi,    Jap 

1.  Aufl.,  S.  34.  —  China:  Joint  Antenorid,  Kinderspiele,  in  „Völkerschau-'  II, 
274f.    —   Laos:    Jean   Laurtl.    Moeurs    Laotienne,    in    Le    Tour    du    Monde,    N     S. 

16.  Annee.   Lecembre  1910,   p.  419.   —   Burma:    Pilate.    En   Birmanie,   ebenda  X.  S. 

17.  Annee,  14.  Octobre  1911,  p.  4841'.  —  Mongolen:  M.  von  Beguelin  im  Glob.  57. 
209.  —  Eskimos:  Thalbitzer,  The  heathen  Priests  of  East  Greenland,  in  Vcrhandl. 
des  XVI.  Internat.  Amerikanisten-Kongresses  2.  447  f.  —  Sioux:  Woltereck,  Glob  98, 
1-28 f.  —  Chippeway:  Th.  L.  Mc.  Kenney,  Sketches  207  u.  322.  —  Cora-1  ndianer, 
Altes  Mexiko,  Huichol  usw.:  Preuß,  Das  Fest  des  Erwachens,  in  Verhandl.  des 
XVI.  Internat.  Amerikanisten-Kongresses  2  Hälfte,  489 ff. ;  derselbe,  Ethnographische 
Ergebnisse,  in  Ztschr.  f.  Ethnologie,  40.  Jahrg.  (1908).  S.  582 ff.  u.  594;  Bancroft, 
The  Native  Races  II.  242:  CaUegari,  Messico  II,  33 f.;  Dapper,  D.  Unbekannte  Neue 
Welt  294  f.  u.  29S:  Clavigero  bei  Bancroft  11;  Torquemada,  Monarchia  Ind.  3,  02  f.  — 
Mayas:  Le  Plongeon  (nach  Landa),  Sacred  Mysteries  68.  —  Peru:  Dapper,  I>ie 
Unbek.  Neue  Welt  347.  —  Insel-  K  araiberj*.  Derselbe  20S. 

§  32t:.     Araber  in  Ägypten:  Lane  I,  89f.  —  El  Yemen:  Renzo  Manzoni,  El  Yemen  198. 

—  Astrachan:  A.  Cristoph,  Bunte  Bilder  109.  —  Araber  u.  Berber  in  Marokko: 
Ethf.  Westermarfk,  The  Populär  Kitual  of  the  Great  Eeast  in  Marocco.  In  Folk-Lore 
XXI 1   (1911),  131ff. 

§  322.  Inder:  Jolly  bei  Schröder,  Reallexikon  216f.;  Hoffmann,  D.  weibl.  Geschlecht  8f. 
u.  12.  —  (Kumaon):  E.  Schröder,  Land,  im  Glob.  53,  242.  —  Römer:  (., 
Kultur  d.  a.  K.  223;  Bartsch.  D.  Rechtsstellung  16—37;  Mommsen,  R.  G  Bd.  1.  Buch  2. 
432.  —  Griechen:  Schratler  217:  J.  Burckhardt,  Gr.  Kulturgesch.  1,  78  u.  250; 
Aristoteles,  Politik  VII,  c.  14,  2.  —  Germanen:  Grupp,  Kultur  223:  Bartsch,  Rechts- 
stellung 56f.,  60,  80  Anra.  u.  124:  Schröder  bei  Schröder  217.  —  Schweden:  S.  v. 
W.  383.  —  Bamberg  u.  Lichtenfels:  Lingg,  K.-G.  1.  160  u.  162;  Grimm,  Rechts- 
altert. 410;    Götzinyer.   Reallexikou  03.  —  Alte  Preußen:    Waldheim  in  Völkerschau 

2,  217.  —  Serben:  Milovanovitsch  6,  31f.,  081'.  u.  72.  —  Russen.  Derselbe  32  u. 
Anm.  3  (nach  Sergjewitsch).  —  Kelten:  Caesar  VI,  19;  D'Arboü  2t.  —  Thrakien 
Torquemada  II,  410.  —  Albanien:  Co:zi  665. 

§  323.  Babylonien:  Samwabk  Ges..  Edit.  Winckler,  §§  117.  137,  155—161.  165.  168.  169, 
175.  177.  — Alttestamentliehe  Hebräer:  2.  Moses  21;  5.  Moses  5  u.  21 ;  3.  Moses 
25.  —  Arabien  (vorislamisches):  Robertson  Smith  HOff.  -  Arabia  Petraea; 
Musil  3,  213.  —  Arab.  Ägypten:  Laue  I,  268.  —  Algerien:  Das  Ausland  1881, 
S.  687.  —  Kabylen:  Hanoteau-Letourneux  II,  191— J93;  Schönhärl  148f. 

§  324.  Soninke:  Daniel,  Etüde  32  u.  36.  —  Mandingot:  Glob.  5n.  260.  —  Bautschi: 
Missions-Magazin  1851,  Heft  1.  —  Bubis:  Coli,  Los  Indigenus  3'J1.  —  Wanyam- 
wesi:  Andree,  Die  Exp.  2,  215.  —  I)ar-es-Salaam:  Wehrmeister  219.  Wasiba: 
Glob.  97.  77  (nach  H.  Rehse).  —  Kilwa:  von  Eberstein  in  Mitt.  a.  d.  D.  Schutzgeb.  9, 
17'.H1".  —  Brasilianische  Neger:  Breitenbach  im  Glob.  54.  43.  —  Hottentotten: 
Kolb  127.  542,  3441'.  u.  462:  Moffat  136;  Schiw  98  u.  100;  Barrow  148.  —  Auin- 
Buschleute:  Kaufmann   155  u.  157.  —  Js  amib- Buschleute :   Trenk  168. 

§  325.     Bat  taker:  Kbdding  91  f.    —    Sakai:    Mo8zkowski,    The  Pagan   Races   715;    Speis,  r. 

Beiträge    75ff..    —    Iban:    Nyuak  168.   —   Kaiser-Wilhelms-Land:  Krieger,  Neu- 

ea  164—166  u.  174f.  —  Britisch-  u.  Holl.-N'eu-Guinea:   Derselbe    300ff    U 

395.    —    Bisniarck- Archipel    u.   Salomo-Inseln:    Pfeil    18    u.  30 ff.;   Anonym    in 


Anhang  I.     Zitate.  867 

„Gott  will  es"  1901.  S.  347f.  —  Fidschi:  Marzan,  Anthrop.  II.  403.  —  Samoa: 
Turner  97f.  —  Australien:  Jung  in  „Aus  allen  Weltteilen"  1877.  12,  354  u.  347. 
§  326.  Japan:  Ausland  1881,  S.  165,  167;  Mitford,  Tales  H,  160;  Rein  581f.  —  Korea: 
Arnous,  Glob.  66,  157ff.;  Hamilton,  Korea  52 f.,  50  u.  110.  —  China:  D.  kath.  Mis- 
sionen 38,  248:  Plath,  Über  d.  häusl.  Verhältnisse  47;  Stenz  126;  Masip  im  Anthrop. 
II,  715.  —  Leitsohou:  Hirth,  Chines.  Studien  1,  168.  —  Thai:   Bourlet  364  u.  373. 

—  Annaraiten:  Glob.  58,  266.  —  Tanguten:  Hedin,  Im  Herzen  2,  468. 
§  327.     Toda:  Harkness  44,  47t.  u.  123;  Marsliall  206. 

}j  328.  Mongolen:  Hedin  1.  c.  —  Burjaten:  Schendrikowsky  202.  —  Ostjaken:  Brehm 
365.  —  Zentral-Eskimos:  Boas,  The  Central  Kskimo,  im  Sixth  Annual  Report  of  the 
Bureau  of  Ethuology,  1884—1885,  p.  578  f. 

§  329.  Xordindiane  r:  Hearne  bei  Rinz,  Des  Indianers  Familie  184  u.  204.  - -,  Chippe- 
wayer:  Long,  See-  und  Landreisen  109  ff.  —  Oregon  U.Washington:  Gibbs  bei  Benz, 
o.  c.  202.  —  Ottawa:  Tallinns,  Denkwürdigk.  21  u.  23;  Schoolcraft,  Oneota 
483ff.  —  Kanada:  De  Lahontan  bei  Benz,  D.  Ind.  Fam.  171.  —  Sioux:  Schoolcraft, 
Uneota  309 f.  —  Gros-Ventres:  Boiler  125  —  Moki:  Nordenskiöld,  The  Cliff 
Dwellers,  Übers.  139.  —  Altes  Mexiko:  Baneroft  IL  217f.  u.320f.  —  Guatemala: 
Torquemada  II,  387.  —  Karaiben:  Dapper,  Die  Unbekannte  613.  —  Goajiros: 
Regel,  Kolumbien  167.  —  Caveres  u.  Tapakosos:  Nielutsch,  Am.  Nachrichten  104f. 

—  Brasilien:  Martins,  Ethnogr.  Am.  121  —  126;  Botokuden:  Ehrenreich  im  Glob. 
49,  237;  Prinz  zu  Wieä,  Reise  2,  39f.  u.  43.  —  Patagonen:  Musters,  At  home  44f.  u.  64. 

Sj§  330 — 334.     Die  Zitate  zu  Kap.  L  sind  als  Randbemerkungen  dem  Text  beigefügt. 

§  336.  Transsylv.  Zeltzigeuner:  H.  v.  II  lislocki,  Die  Stamm-  und  Familienverhältnisse, 
Glob.  53,  185.  —  Pikten:  0.  Schröder,  Reallexikon  5641'.:  Grupp,  Kultur  10f.,  117 
u.  224.  —  Nördliches  Gallien,  Irland  usw.:  D'Arbois  71  f.  —  Lykier:  Bachofen, 
Mutterrecht  1.  —  Germanen:  Orupp,  Kultur  lof.;  Stuart-Glennie  bei  Alfr.  Nutt  in 
Folk-Lore  II,  367 ff.;  G.  Cohn,  Die  Gesetze  Hammurabis  12f. 

§  337.  Cantabrer:  Strabo  bei  Bachofen,  Mutterrecht  VI.  —  Basken:  Grupp,  1.  c.  — 
Andorra  (nördl.  Spanien):  G.  Diercks,  Ein  Ausflug,  im  Glob.  55,  122.  —  Spanien: 
L.  de  Paladini,  Spanische  Frauen,  in  „Die  Welt",  Bd.  23  (1911),  S.  318.  —  Mandäer: 
Petermann,  Reisen  im  Orient. 

§  338.  Altes  Ägypten:  Maspe.ro,  Ägypten  u.  Assyr.  12 f.;  Diodor  bei  Backofen,  Mutter- 
recht VI;  Bcrodot  bei  Wilkinson,  The  Manners  and  Customs,  Vol.  I,  330f.  u.  Anm. ; 
Wilkinson-Birch,  2.  Aufl.,  Vol.  I,  49f.  —  Berber:  Leo  Africanus,  Beschreibung  319; 
Rohlfs,   Mein   erster  Aufenthalt  66 — 68. 

§  339.  Ewe:  Herold  (nach  Graf  Pfeil)  163 f.  Anm.  u.  169.  —  Haussa:  Tremearne,  Fifty  llaussa 
Folk-Tales,  in  Folk-Lore  XXI,  199 f.  —  Unterer  Kongo:  Weeks  414f.  u.  423—427. 

—  Bondo:  Otto  H.  Schutt,  Reisen  56.  —  Bayaga:  Crampels  im  Glob.  59,  238.  — 
ßafiote  (an  der  Loango- Küste):    Pechuel-Loeschc  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  1878,    S    17f. 

—  Angola:  Pogge,  Beiträge  111,  5.  —  Kimbundu:  Maggar,  Reisen  I,  284.  —  He- 
rero:  H.  v.  Francois,  Nama  und  Damara  200.  —  Oberl.  v.  Nil  und  Congo:  Czeka- 
nouski  in  Ztschr.  f.  Ethnol.,  41.  Jahrg.,  597  u.  591  ff.  —  Waujamwesi:  Andres, 
D.  Kxp.  2,  215  u.  374.  —  Wadigo:  St.  Paul-Hilaire,  Über  die  Rechtsgewohnheiten, 
in  Mitteil,  a.  d.  Deutschen  Schutzgeb.  8,  195—199  u.  207.  —  Wakhutu:  Andree  o.  c.  2, 
97  f.  _  Südl.  Deutsch-Ostafrika:  Weule  236,  340,  342,  377  u.  426.—  Basutos: 
Minni  Cartwright,  Folklore  of  the  B.  250f. 

§  340.  Orang-Laut:  ./.  Kohler,  Über  d.  Recht  d.  Urstämme,  in  Ztschr.  f.  vgl.  Reehts- 
wissensch.  XXI,  243f.  —  Akiks  u.  Sakeis:  M.  Moszkouski  in  „Ztschr.  f.  Ethnol.", 
40.  Jahrg.  —  Orang  Mamma:  Graafland  bei  Speiser,  Beiträge  z.  Ethnol.  der  Orang 
Mamma  auf  Sumatra,  im  Archiv  f.  Anthropol.,  N.  F.,  Bd.  IX,  76  u.  85.  —  Semendo: 
Schultheiss  (nach  G.  A.  Wilken)  im  Glob.  60,  157  f.  —  Seram:  ^Yassmer  und  Joest 
im  Glob.  49,  361.  —  Karoliuen:  Finsch,  Marianen  32  f.  —  Palauinseln:  Salvator, 
Die  Mission  auf  den  Palauinseln.  im  Jahresbericht  1911  der  Rheiniseh-we.-tfäl.  Kapu- 
ziner-Ordensprovinz   auf  den  Karolinen   usw.  54.   —   Vap:    Senfft,  Die   Rechtssitten,  im 

55* 


8(38  Anhang  I.     Zitate. 

Glob  91,  Ulf.  —  Chamorros:  D.  Katholischen  Missionen  1899.  S.  212.  —  Marshall- 
Inseln:  A.  Erdland  106.  —  Nauru:  Jung,  Aufzeichnungen,  in  lütt.  a.  d.  Deutsch. 
Schutzgeb.  10,  65;  Brandeis  76.  —  Yao  u.  Wangoni:  Weule  236  n.  426f.  — 
Banks-Inseln:  Erkardt  im  ülob.  40,  367.  —  Alu:  TT.  Schmidt  (nach  C.  Ribbc) 
im  Anthrop.  II,  344.  —  Buin:  Thurnwäld,  Im  Bismarckarchipel,  in  Ztschr.  f.  Ethnol. 
42,  124.  —  Laur:  Abel,  Knabenspiele,  im  Anthrop.  II,  220  Anm.  —  Blanchebu cht : 
Jos.  Meier,  A  Kaja  1018.  —  Gazellen-Halbinsel:  Jos.  Meier,  Primitive  Völker, 
Anthrop.  II,  380f.  —  Australien:  F.  Graebner,  Zur  austral.  Religionsgeseh. ,  im 
Glob.  96,  34 1  ff. ;  Spencer  and  Gillen,  615  ff.  u.  258  ff. 

§  341.  Japan:  Ph.  Fr.  v.  Siebold,  Nippon  II,  4.  —  Khasis  u.  Syntengs:  Ourdon,  Note 
on  the  Khasis  60;  C.  Becker  im  Anthrop.  IV,  892f.  —  Kaupuis:  Watt  im  Glob.  52,  158. 

K  342.  Irokesen:  H.  Spencer,  The  Principles  I.  691.  —  Queen-Charlotte-Sund:  Hesse- 
Wartegg  im  Glob.  53,  141.  —  Ohama:  Glob.  50,  348.  —  Navajo:  Ostermann,  The 
Navajo,  im  Anthrop.  III,  862.  —  Hispaniola:  Dapper,  Die  Unbekannte  185.  — 
Guayana:  Koch-Grünberg,  Women  371.  —  Peru:  H.  Spencer  (nach  Gomara),  The 
Principles  I,  698.  —  Macusi:  Friedrichs  803.  — ■  Caraja:  v.  Koenigsicald  238. 

i;  345.     Persien:  Herodot  VII,  2 — 4;  Jtairlinsons  History  of  Herodot,  Vol.  IV,  p.  2.  Anm.  6. 

—  Lacedämonier  u.  Ägypter:  Ebenda,  Vol.  111,  pp.  446 f..  Anm.  7;  Walter  Otto, 
Priester  u.  Tempel  im  hellenist.  Ägypten  I,  201 — 203  u.  Anm.  3.  —  Ngumba:  L  Con- 
radt,  Die  Ngumba,  Glob.  81,  334.  —  Bali:  B.  Ankermann,  Bericht  ü.  e.  elhnogr. 
Forschungsreise,  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  -12,  304.  —  Lunda-Keich:  C.  v.  Frangois, 
Geschichtliches  über  die  Bangala,  Lunda  u.  KToko,  Glob.  53,  273f.  —  Wambugu: 
Storch  327.  —  Wakilindi,  Wapare  u.  Washambaa:  Storch  317  f.  —  Wapogoro: 
Fabry  221.  — Kisiba-Land:  von  Kalben,  Über  Rechtsverhältnisse  der  Eingeborenen, 
in  Mitteil.  a.  d.  D.  Schutzgeb.,  Bd.  9,  S.  39  f. —  A uin-Busehleute:  Kaufmann  154 f. 
u.  157.  —  Sumatra:  Sdiultheiss  (nach  G.  A.  Wilken)  im  «'lob.  60.  157 f.  —  Jap: 
Senfft,  Die  Rechtssitten,  im  Glob.  91,  172 f.  —  Chalcha-Mongolen:  N.  v.  Prsche- 
ivalski,  Reisen,  D.  Übers.,  2.  Aufl.,  S.  58  u.  73.  —  Samojeden:  P.  r.  Statin.  Das 
Gewohnheitsrecht,  Glob.  60.  137.  —  Mayas:  Bancroft  II,  634  u.  639f.:  Le  Plongeon 
(nach  Landa),  Sacred  Mysteries  68  u.  82.  —  Inka-Peruaner:  Dapper,  Die  Unbekannte 
339. 

§  346.  Indo-Europäer:  O.  Schröder,  Reallexicon  186  u.  188;  H.  D'Arbois  631V.  u.  09ff. 
Waziristen:  H.  A.  Rose,  Oustoms  in  the  Trans-Border  territories,  in  Journal  of  the 
Asiatic  Sociaty  of  Bengal,  Vol.  LXXIII,  Part.  IH.  Extra  Number  1904.  pp.  3 f.  u.  24. 
Attika  u.  Gortyna:  Wachsmut  2,  172f.;  Schröder  187;  H.  D'Arbois  63ff.  — 
Osseten,  südl.  Gallien:  D'Arbois,  ebenda. —  Rom:  0.  Schröder  188.  —  Serbien: 
G.  Milovanovitsch,  Das  altserb.  Faniilienreckt  76 — 79.  —  Deutsche  u.  Skandinavier: 
O.  Schrader  lS7f.  —  Germanen:  Grupp  232ff.  —  Franken  u.  Iren:  D'Arbois  66 
u.  74f.  —  Basses-Pyrenees:  Alfred  Codier  im  Glob.  61,  253.  —  Abchasen: 
JV.  v.  Seidlitz,  Die  Abchasen,  im  Glob.  66,  20. 

5;  347.  Babylonien:  'Rammurabis  Cesetzbueh,  Übers.  Winckler. —  Alttestaro.  Hebräer: 
4.  Mose  27.  —  Arabisches  Ägypten:  Lane  I.  143.  —  Arabia  l'etraea:  Musil  III, 
349  f. 

§  348.     Bassari:  Klose  344  f.  —  Wai-Neger:   Oskar  Baumann,  Z.  K.  d.  WaUNeger  238. 

—  Bali:  B.  Ankermann,  Bericht  ü.  e.  ethnogr.  Forschungsreise,  in  Ztschr.  f.  Ethnol. 
42,  304.  —  Wambugu:  Storch  327.  —  Wakilindi  u.  Washambaa:  Storch,  Sitten, 
Gebräuche,  in  Mitteil.  a.  d.  1).  Schutzgeb.  8,  312,  317—310.  322.  —  Kilwa:  Krhr. 
von  Eberstein,  Über  die  Rechtsanschauungen,  ebenda  9,  17911'.  —  Wasiba:  Herrmann 
54.  -     \ \i  ini  b-Buschleute:   Trenk  169.  —  Auin-B  usch  1.:   Kaufmann   154  f.  u.  157. 

19.     Battak:    II'.  Ködding  91  f.  —  Monumbo- l'apua:  Franz   Vormann,  Zur  Psychologie, 
im  Anthrop.   V,  413  f. 
i  :i.")0.     Korea:  Hamilton  111.  —  China:   Grün  el,    I  >.    Familienrecht  der  Chinesen,  im  (Jlob. 
58,  269.  —  Ao-Nogas:   Mob  im   Anthrop.  IV,  68.  —  Thai:  Bourlet,  Les  Thay  358. 

—  Aunam:   //.   Seidel  nach   Denjoy   im  Glob.  65,  343.   —   Golden:   Jakobsen-Gem   I 


Anhang  I.     Zitate.  869 

im  Glob.  52.   172.   —    Jakuten:   MMdendorf,   Sibirische  Reise  IV.    2.    1542  f.,   Anm. : 
Friedrich  Müder,  Unter  Tungusen  u.  Jakuten  47,  57  u.  87. 

§  351.  Yukatan:  Bancroft  II,  639f.  u.  653.  —  Mexiko:  Derselbe  II,  224  ff. ;  Torquemada, 
Monarchie  (Ausg.  1723),  II,  385.  —  Bolivia:  Chr.  Nusser,  Die  soz.  u.  Wirtschaft!. 
Verh.,  im  Glob.  56,  141  f.  —  Caraja:  von  Koenigswald  238. 

§  353.  Wa sirist  an  u.  Kurram- Tal:  H.  A.  Böse,  Customs  22 ft\  —  Griechenland: 
Wachsmuth  2,  169f.j  J.  Burckhardt,  G.  K.  4.  412f.  —  Serbien:  Müovanovitsch 
82ff.  —  Yemen:  Manzoni  188.  -  Urchristentum:  Apostol.  Constitutionen,  D. 
Übers.  Boxler  IV,  1  u.  2.  —  Arabia  Petraea:  MusilTLI,  421  f.  —  Wadschagga: 
B.  Gutmann,  Trauer-  u.  Begräbnissitten,  Glob.  89,  197 f.  u.  200.  —  Formosa:  W. 
Müller,  Über  die  Wildenstämme  der  Insel  Formosa,  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  42,  230.  — 
Yap:  Senff't,  Die  Rechtssitten  der  Yap-Eingeborenen,  im  Glob.  91,  141  f.  —  Japan: 
Hirai,  Japan  32.  —  China:  J.  Qrunzel,  D.  Familienrecht  der  Chinesen,  im  Glob.  58, 
269;  Die  Kath.  Missionen,  38.  Jahrg.,  S.  66.  —  "Tnrkestan:  N.  v.  Seidlifz,  Glob.  56, 
333.  —  Kirgisen:  Mrs.  Atkinson,  Recollections  204f.  —  Nördliche  Denc:  A.  G. 
Morice.  The  Great  Däne  Race,  Anthrop.  II,  163.  —  Nordindianer:  Hearnes  Reisen 
126  u.  128.  —  Inkareich:  Sundstral.  Aus  d.  Reiche  d.  Inkas  29f.  —  Altes  Mexiko: 
Torquemada  II.  385.  —  Mayas:  Bancroft  II,  653.  —  Karaja-Indianer:  Fritz 
Krause,  In  den  Wildnissen  Brasiliens  326.  —  Bolivia:  Chr.  Nusser,  Die  sozialen  u. 
Wirtschaft!  Verhältnisse  d.  boliv.  Ind.-Bevölk.  172.  —  Letten  u.  Esten:  A.  C.  Winter, 
Waisenlieder  der  Letten  und  Esthen,   Glob.   76,  31  ff. 

§  354.  Daur:  H.  A.  Böse,  Customs  22  ff.  —  Nauru:  Jung  66f.  —  Serben:  Müovanovitsch 
37  u,  85.  —  Mohammedanische  Serben:  Derselbe  37,  Anm.  —  Huzulen:  Kaindl, 
D.  volkstüml.  Rechtsansch..  im  Glob.  66,  273f.  —  China:  J.  Grunzet,  D.  Familien- 
recht d.  Chinesen,  Glob.  58,  269.  —  Ustjaken:   Castren,  Reisebriefe  121  f.  u.  Anm. 

§  356.  Persien:  Rawlinson,  History  of  Herodot  I,  262;  Zachariae,  Scheingeburt,  in 
Ztschr.  d.  V.  f.  Volksk.  20.  144ff.  —  Osseten:  Post-Kovalewsky  im  Glob.  65.  164. 
Attika:  Wachsmuth  2.  167  u.  172f.:  Burckhardt.  Griech.  Kultur  4.  4 1 1  f.  u.  1,  78.  - 
Sparta:  Herodot  VI.  57.  —  Griechenland  u.  Rom:  Frazer,  The  Golden  Bough  I. 
74 f.;  Jos.  21  aller,  Das  sexuelle  Leben  d.  alten  Kulturvölker,  in  Renaissance  II,  330.  — 
Schweiz:  Hoffmann-Krayer  im  Schweiz.  Archiv  f.  Volksk.  8,  144.  —  Serbien: 
Müovanovitsch  70f.  —  Rutenen  u.  Huzulen:  Kaindl,  Die  volkstüml.  Rechtsan- 
schauungen. Glob.  66,  273f.  —  Iren  u.  Kelten  im  nördlichen  Gallien:  D'Arbois 
83ff.  —  Kabylen:  Hanotcan  <•  !.,  t,,,n  ,<<  nx  II.  18  i.  —  Arabia  Petraea:  MusilHI, 
349f.  —  Sarawak:  J.  G.  Frazer  (nach  C.  Hose),  The  Golden  Bough  I,  74f.  — 
Karolinen:  Senff't  in  „Völkerschau"  III.  22  und  Die  Rechtssitten  der  Yap-Eingeboruen, 
(Hob.  91.  143:  Semper,  Die  Palau-Iuseln  117.  —  Bismarck- Archipel:  Pfeil. 
Studien  20f.  —  Neu  mecklenburg:  G.  Peckel,  Die  Verwandtschaftsnamen  des  mittleren 
Neumecklenburg,  im  Anthrop.  III.  479.  —  Nauru:  Jung  66.  —  M  on  umbo-Papua: 
Franz  Vormann,  Zur  Psychologie,  im  Anthrop.  V.  413.  —  Papuas:  Krieger  165.  — 
Samoa:  Turner.  Samoa  83:  W.  von  Biilow,  Die  Ehegesetze  der  Samoaner,  im  Glob. 
7:!,  186.  —  Tahiti:  Rene  La  Bruyere,  Trois  Archipels  de  la  Polynesie  Orientale,  in 
L*  Tour  de  Monde,  N.  S.  —  17e  Annee  (1911)  p.  118.  —  Koren:  Hamilton  111.  - 
Japan:  Hirai.  Japan.  2.  Aufl.,  37;  Rein,  I,  582f.  —  China:  J.  Grunzet,  Das 
Familieureeht  der  Chinesen,  im  Glob.  58,  269.  —  Annam:  H.  Seidel  mach  Denjoy), 
Glob.  65,  343.  —  Thai:  Bourtet,  Les  Thay  358  u.  364f.  --  Türken  u.  Bulgaren: 
Zachariae,  Seheingeburt,  in  Ztschr.  d.  Ver.  f.  Volksk.  20,  153;  Frazer,  The  Golden 
Bough  I,  74f.  —  Ai'nu:  Pitswtski  im  Anthrop.  V,  772.  —  Zentral- Eskimos:  Boas 
5S0.  —  Camberland-Sund:  H.  Abbes  im  Glob.  46,  216.  —  Indianer:  Tannen 
Denkwürdigkeiten   12ff. 

§  357.  Kelten:  Grupp,  Kultur  d.  alten  Kelten  u.  Germanen  123.  —  Neugriechenland: 
G.  Hirschfeld.  Aus  dem  Orient  291.  —  Daur:  Böse,  Customs  12.  —  Osseten:  ..Das 
Ausland-'  1876,  S.  166;  Post-Kowalewski  im  Glob.  65,  164.  —  Tscherkessen: 
Rittich,  in  Petermanns  Mitteil..  Ergänzungsheft  54,   1878,  S.  5.   —  Abchasen:   X  von 


870  Anhang  I.     Zitate. 

llitz,  Die  Abchasen,  im  Glob.  66,  20f.  —  Jap:  Senfft,  Rechtssitten  142.  — 
Marianen  usw.:  Lubbock.  Entstehung  der  Civilisation,  D.  Üb.  77;  Eekardt  im  Glob. 
40,  367.  —  Marschall-Inseln:  Hager  67.  —  Kambodscha:  A.  Bastian,  Geogr. 
u.  ethnolog.  Bilder  121.  —  Peking:  Stent  mach  Grube)  im  Glob.  80.  275.  —  Bur- 
jaten: ,.Das  Ausland"  1878.  S.  650. 
§  359.  Schiiten:  Fr.  Eugenien,  Les  Chiites  d'aujourd'hui,  Anthrop.  II.  418.  —  Kurram: 
H.  A.  Rose.  Customs,  in  Journal  of  the  Asiat.  Soc.  of  Bengal.  LXXIIf.  P.  III.  Extra 
Number,  1904.  p.  23f.  —  Osseten:  Post  (nach  Kovalewsky)  im  Glob.  65,  164.  —  Hoch- 
Albanien:  E.  Cozzi,  La  Vendetta  del  sangue,  Anthrop.  V.  675.  —  Attika:  Jos. 
Miiller.  1).  sex.  Leb.  d.  alt.  Kultur*-.,  Renaissance  II,  243;  Rawlinson,  History  of 
Herodot,    Vol.  III,  p.  400;     Wachsmut  ?.   1721'.  u.  Anm.  —  Altes  Rom:   Jos.  Müller, 

1.  e.  304.  —  Germanen:  Grupp.  Die  Kultur  229.  —  Spanien:  Chaho,  Hist.  prim.  des 
Euskariens-Basques  3,  40 ff.  —  Kelten:  Grupp.  Die  Kultur  116.  —  Irland  u.  achott. 
Hochland:  D'Arbois  154.  —  Russen:  Leopold  Karl  Goetz,  Das  Russische  Recht,  in 
Ztschr.  f.  yergl.  Rechtswissensch.,  24.  Bd.  (1910).  —  Altserbien:  Müovanovitsch  67f., 
77ff.  u.  Anm.  —  Babylonien:  Hammurabis  Gesetzb.,  Übers.  Winkler,  Lpzg.  1902. 
§§  170—176  u    178 — 184.  —  Hebräer:  König  in    Wetzer  u.    Weites  Kirchen-Lexikon, 

2.  Aufl.,  7.  459:  1.  Mose  30,  3.  u.  5.  Mose  23,  2.  —  Arabia  Petraea:  Musil  III, 
349f.  — Araber  in  Kairo  u.  Oberägypten:  Lane  I.  254.  —  Meyrefab-Araber: 
Burckhardt,  J.  L..  Travels  200.  —  Muselmanen:  Burton,  Zanzibar  I,  464:  J.L. 
Burckhardt,  Travels.  —  Araber  in  Deu tsch-Ostaf rika:  H.  F.  von  Behr  73.  — 
K.affiten:  Fr.  J.  Bieber,  Das  Familienleben  der  Kaffitseho.  Glob.  96,  72.  —  Kabylen: 
Hanotcau-Letourneux,  La  Kabylie  II,  1711 

§  360.  Hassari:  Klose  313  f.  —  Ewe:  Herold  161  ff.  -  -  Wambugu:  Storcli.  327.  — 
Mkulwe:  Alois  Hornberger,  Nachtrag,  im  Anthrop.  V.  798  ff.  —  Wasuaheli:  Veiten 
I00f.,  315f.,  vgl.  auch  S.  4(12.  —  Xamib-  Buschleute:  Trenk,  Die  Buschleute,  in 
Mitteil.  a.  d.  D.  Schutzgeb.  23.  168.  --  Java:  Emil  Metzger,  Herrscher  uud  Be- 
herrschte auf  Java,  in  Glob.  56,  42  ff.  —  Marschall-Inseln:  Hager  (nach  Chamisso), 
Die  Marschall-Inseln  67.  —  Nauru:  Jung  66f.  —  Samoa:  11'.  von  Bülow,  Die  Ehe- 
gesetze der  Samoaner,  im  Glob.  73,  186. 

§  361.  Korea:  Hamilton  Ulf.  —  China:  Grunzet.  Fanülienrecht.  Glob.  58.269;  Stenz,  In 
der   Heimat  40    —  Annain:  //.   Seidel  (nach  Donjoy)  im  Glob.  65,  343. 

§  362.  Samojeden:  P.  von  Stenin  im  Glob.  60,  186.  —  Giljaken:  von  Sehrenck  III,  647 f . 
—  tfoki:  Nordenskiöld,  The  Cliff  Dwellers  139.  —  Yukatan:  Bancroft  IL  651.  — 
Peru:  Dopper.  Die  Unbekannte  Neue  Welt.  339.  —  Aruak:  Sieeers  (nach  Nie.  de  la 
Rosa)  235. 

§  364.  Indien:  l'li.  Lenz.  Indische  Kinderheiraten,  im  Glob.  58,  199ft,  240:  E.  Schröder 
244;  /,  von  Schröder.  Indiens  Litteratur  und  Cultur  429f.;  Katharina  Zitehnann  51 
u.  56;  vgl  auch  Helene  Melius.  Zenana-Leben,  im  (Hob.  89,  246  u.  11".  Hoffmann, 
Der  Zustand  d.  weibl.  Geschl.  15  u.  35.  —  Toda:  Harkness,  A  Description  121  ff  — 
Kasubas:  C.  Hayavadana  Rao,  The  Kasubas,  Anthrop.  IV.  179ff.  —  Kai  Gouds: 
Derselbe,  The  Gonds  of  the  Eastcrn  Ghauts,  Anthrop.  V,  791  ff.  —  Wachietschi: 
P.  von  Sie, im.  D.  G.  u.  II.  d.  W.  im  Glob.  78.  79.  -  Armenier:  N.  D  3 
(nach  Selinski)  im  Glob.  78,  2431'.  —  Osseten;  Post  mach  Kovalewsky)  164.  — 
Riga:  Pescliel.  Über  die  Wasserweihe  des  germanischen  Eeidenthums.  —  Bojken: 
i;  Fr.  Kaindl,  Ä.us  d.  Volksüberlief.  d.  Bojken,  Glob.  79, 155.  —  Serbeu  u.  Bussen: 
Wüovanovitch  121.  —  Jurdes:  J.  1  >.  Bemteta,  Las  Jurdes,  Anthrop.  II,  496.  — 
[ren:    W    Crooke,    Folk-Lore  XVII,    114.  Rom:  J.  lHüler,   Das  ses    L 

K.   i„   i;,,  .  ,,    n.   :ü9.   _    Abendländische    Kirche:    Richard   Koebner,    Hie 

Eheauffassung,    im    Archiv   f.    Kulturgesch.    IX.    137  f    u.   Anm.  2.  —  Keims:  Sdraleh: 
nbüttler  Fragmente,  in   Kirchengeschichtl.  Studien  1.  Bd.  S.  123.  —  England: 
./.   //    (nach    Furnivall),  Englische   tinderehen,  ȟob.  64,  380f. 

g  365  Babylonieu:  Die  Gesetze  Hammurabis,  §  130,  Übersetz.  Winckkr,  1-pzg.  1904.— 
Assyrien:    Vaspero,   igypt.  o     \   ryr    238.  —  Arab.  Beduinen:  .4.  .1/.  de  St.  Ehe. 


Anhang  I.     Zitate.  gyj 

La  femme  du  desert,  Anthrop.  III,  185.  —  Yemeu:  Manzoni  188  u.  49.  —  Araber 
in  Kairo  u.  Oberägypten:  Lane  I,  217.  —  Juden  d.  Oase  Mzab:  R.  A.  (nach 
Huguct)  im  Glob.  83,  354.  —  Juden  d.  Bukowina:  Eaindl,  D.  Juden  in  d.  Buko- 
wina 135.  —  Kabylen:  Hanoteau  u.  Letourneu.r.  La  Kabylie  IL  149  u.  Anm.; 
Schönhärl  in  „Völkerschau"  111.  147.  —  Kopten:  Lane  II,  330.  —  Fulbe:  Waitz, 
Anthropol.,  Lpzg.  1860,  2.  Teil.  S.  471.  —  Hoer:  Fies  75.  —  Ewe:  Herold  149—151 
u.  160.  —  Bassari:  H.  Klose  312.  —  Unterer  Kongo:  Wecks  420.  —  Britisch- 
u.  Deutsch  -  Ostafrika:  Streicher  u.  Hartmann  im  „Afrika-Bote",  8.  Jahrg.,  101  f. 
u.  137-  —  Wopogoro:  Fdbry  221.  — Mako  nde  -  Plateau:  Weule,  Negerleben  371  f. 
u.  383.  —  Maquarnba-Kaffer:'  Schiel.  23  Jahre  Sturm.  232f.  —  Buschmänner: 
B".  J.  Bnrcltell.  Heisen  in  das  Innere,  D.  Übers.  1825,  Bd.  II,  77. —  Nama-Hotten- 
totten:  Schinz,  Deutseh-Sildwestafrika  96. 
§  366.  Java:  Pfyffer  de  Neueck,  Esquisses  de  l'ile  de  Java.  —  Aru-Inseln:  von  Rosenberg, 
Malayische  Archipel  3:39.  —  Yap:  Senfft  in  Petermanna  Geogr.  Mitt.  1903,  Heft  III. 
—  Holländisch-Neuguin  ea:  Krieger,  Neu-Guinea  391  f.  —  Kaiser-  Wi  Ihelms- 
Laud:  Hagen,  Unter  den  Papuas  241  f.  —  Nauru:  Jung  66.  —  Bismarck- Archipel, 
Salomo  -  Inseln:  Pfeil,  Studien  u.  Beob.  a.  d.  Südsee  26f.  —  Ph.  Braun  (Neu- 
pommeru)  in  „Gott  will  es!"  19J2,  S.  50;  Powell  (Neupommern),  Wanderings,  D. 
Übers.,  Lpzg.  1884,  S.  811'.;  Buin  auf  Bongainville  (Salomo-Ins.),  R.  Thumwald, 
Im  Bismarckarckipel  u.  a.  d.  Salomoins..  iu  Ztschr.  f.  Ethnol.  42.  Jahrg.  (1910),  S.  122. 
-  Samoa:  W.  v.  Union-  im  Glob.  69,  193.  —  (Australien)  Arunta-  u.  Ilpirra- 
Stämme:  Bdldvnn  Spencer  and  F.  J  Gillen,  The  Native  Tribes  of  Central  Australia 
554  u.  55811'.  —  Moore-River  (südw.  Austrat.):  Salvado,  Memorie  storiche  313  u. 
302.  —  Dieri  u.  verwandte  Stämme:  Glob.  59,  347  (nach  Hoicitl). 
§367.  Koreaner  und  Golden:  Jakobsen- Genest,  Glob.  52,  172.  —  China:  Stenz  37; 
Glob.  55.  382.  —  Kirgisen  aut  Mangyschläk:  R.  Karutz,  Von  Kirgisischer  Hoch- 
zeit, Glob.  97,  37 S".  —  Kirgisen  des  Kreises  Saissansk:  P.  von  Stenin  im  Glob. 
69,  228.  —  Jakuten:  St.  Petersburger  Ztschr.  Bd.  9.  S.  211ff.  —  Ostjaken: 
O.  Finsch,  Reise  nach  West-Sibirien  540 ff. ;  Brehm,  Vom  Nordpol  361  ff.  —  Samo- 
jeden:  P.  von  Stenin,  Das  Gewohnheitsrecht  d.  Samojedeu,  Glob.  60,  170. 
§  368.  Renntier-Tschuktschen:  Cremat,  Glob.  66.  286.  —  Zen  tral-Eskirno:  Boas, 
The  Central  Eskimos,  in  Sixth  Annual  Rep.  of  the  Bureau  of  Ethnology  1884 — 85, 
■s  578f.  —  Grönl.  Üstkiiste:  Holm  bei  Nansen,  Auf  Schneeschuhen,  D.  Übers. 
1891.  Bd.  2.  S.  313.  —  Grönl.  Westküste:  Mrs.  Peary,  My  Arctic  Journ.  121  u. 
204.  —  Cumberland-Sund:  H.  Abbes,  D.  Esk.  i.  C.-S.,  Glob-  46,  216.  —  Nord- 
indianer: Hearne  bei  Renz,  Des  Indianers  Familie  1831'.  —  Nutka:  Bancroft  I, 
196.  —  Guiana-Indianer:  Globus  46,  24,  nach  Everhardt  F.  in  Thurn;  Koch- 
Grünberg,  Women  of  All  Nations  362.  —  Capiekrans:  Etienne  Ignace  im  Anthrop. 
V.  477.  —  Caingang:  Glob.  50,  235.  —  Jivaros:  Reiss.  Verhdlg.  d.  GeselUreh.  f. 
Erdkunde  zu  Berlin  1880,  S.  333. 
§  370.  Palivans  u.  Madura-Distrikt:  F.  Dahmen,  The  Paliy&ns,  Anthrop.  III,  27.  — 
Kasubas:  Hayavadana  Rao  181.  —  Badagas:  Jagorim  Bericht  d.  Berliner  Anthrop. 
Gesellseh.  1S76,  S.  196  u.  iOO.  —  Nair:  Derselbe,  ebenda  1878.  —  Vedas:  Derselbe, 
ebenda  1879,  S.  169. 
§  371.     Arabische    Beduinen:     Anastase   Mark    de    St.    Elie   im   Anthrop.    III,    66f.    — 

Tunis:  Karutz,  Tatuiermuster,  im  Archiv  f.  Anthropol.  N.  F.  Bd.  VII,  S.  55. 
§  ;!72.  Senegambien:  Haffenel,  Nouv.  voyage  dans  le  pays  des  negres  I,  223.  —  Golah, 
Vai  u.  Mendi:  Ceston,  Le  Gree-Gree  Bush,  im  Anthrop.  VI,  729 ff.  —  Bassari: 
Klose,  Das  Bassarivolk,  im  Glob.  83.  310.  —  Avhegame:  Fies.  Das  Fetischdorf 
Avhegame.  Glob.  80,  382.  —  Fjort:  R.  E.  Dennet,  Notes  on  the  Folklore  of  the 
Fjort  20  —  Loango:  Winwood  Reade,  Savage  Africa  243ff.;  Pechuel-Loesche  in 
Ztschr.  f.  Ethnol.  1878,  S.  23.  --  Kaffer:  Maclean,  Compendium  of  Kalir  Laws.  — 
Zulu:  Dohne,  Das  Kafferland  352.  —  Basutos  (Sotho):  Endemann  in  Ztschr.  f. 
Ethnol.  1874,  S    37.  —   Makalaka:  C.  Manch  in  Petermanns  Mitteil.  Ergänzgsh.  37, 


g72  Anhang  I.     Zitate. 

1874.  S.  352.  —  Makua  usw.:  "Weilte,  Negerleben  272 ff.  —  Makonde:  Derselbe, 
ebenda  284£f.  —  Matambwe:  Ebenda  292 ff .  —  Lukuledi:  Wehrmeister  66.  68.  — 
Wakilindi,  Washambaa  u.  Wambugu:  Storch  311  u.  324.  —  Suaheli:  0.  Kirsten. 
in  Ztschr.  f.  allgem.  Erdkunde  1860,  IX,  460;  Veiten  93  ff. 

§  373.  Auin-ßuschleute:  Hans  Kaufmann,  Die  Auin,  in  Mitteil.  a.  d.  D.  Schutzgeb. 
23.  Bd.,  140.  150  u.  158.  —  Nama-Hottentotten:  Theoph.  Hahn.  (Hob.  12  (1868), 
S.  307. 

t;  374.  Yap:  Milducho-Haclay  im  Glob.  1878,  S.  41;  Senfft,  D.  K.  d.  J.-E.  142:  h'ilian 
Müller,  Bericht  üb.  die  Missionen  d.  rliein-westf.  Kap.-Ordensprov.  1908,  S.  11  f.:  Aus 
den  Missionen  der  rheinisch-westf.  K.-O.,  Jahresbericht  1911.  S.  39.  —  Palau:  Ebenda. 

—  Marschall-Inseln:  Erdland  111  f.  —  Nauru:  Brandeis  78.  —  Hula:  Chalmers- 
ßil,  Neuguinea,  D.  Übers.  250.  —  Bri  tis ch-Neuguinea:  Krieger,  Neu-Guinea  295 f. 

—  Kaiser-Wilhelmsland:  Derselbe,  171.  —  Holländisch  Neuguinea:  Derselbe, 
391.  —  Karesau-Insulaner:  Schmidt,  nach  Tamatäi  Pritak  im  Anthrop.  II,  1056.  — 
Tonga-Inseln:   Turner,  Nineteen  Years  177,  181,  184.  —  Samoa:  Hesse-Wartegg  238. 

—  Maori:  G.  Lamprecht  im  Glob.  70,  265 f.  —  Nordqueensland:  E.  W.  Roth  im  Glob. 
84,  243.  —  Murray:  Lubbock,  Die  vorgeschichtl.  Zeit.  D.  Übers.  Jena  1874  II,  S.  150. 

§  375.     Kambodscha:  Anonymus  im  Glob.  48,  109f. 

§  376.  Tataren:  .4.  Christoph,  Bunte  Bilder  1C8.  —  Lappen:  Sche/f'er.  Lappland  113.  — 
Koluschen  (Thlinkit),  Alaska:  Müller,  Mitteil.  d.  Anthropol.  Gesellsch.  in  Wien, 
1871,  Nr.  8.  —  Koluschen  an  der  Beringst raße:  Cl.  Erman  in  Ztschr.  f.  Ethnol. 
2.  Jahrg.  1870,  H.  IV,  S.  318.  --  Nutka:  Bancroft  I,  197.  —  Dene:  Morice  in 
Anthrop.  I,  720.  —  Apachen:  .7.  A.  Spring.  D*er  Apache-Indianer,  Glob.  48,  171.  — 
Delaware:  Waitz,  Anthropologie  (Leipzig  1862)  IV,  125.  —  Nord- Carolina:  Ebern  i. 
III,  118.  —  Maskoki:  Owen,  Folk-Lore  67 ff.  —  Hupa  u.  Wintun:  Stephan  Powers 
in  Contributions  to  North  American  Ethnol.  III.  „Tribes  of  California".  Vgl.  Glob.  1879, 
S.  156.  —  Tschibtschas:  Waitz,  Anthropologie  IV,  367.  —  Arrawak:  C  ran  Coli, 
Matrimonia  Indigen.  Surinamens,  im  Anthropos  II,  4L  —  Warrau:  Schomburgk,  Reisen 
in  Britisch-Guyana  I,  168.  —  Macusi:  Ebenda  II,  315.  —  Andere  Karaiben- 
Stämme:  Ebenda  II,  431.  —  Goajiros:  Regel,  Kolumbien,  S.  168.  —  Conibos: 
Marcoy  im  Glob.  9,  106.  —  Tucunas,  Maues  u.  Collina:  Bates  in  „Das  Ausland'' 
1864,  50,  1182.  —  Igana  u.  Caiary-Uaupes:  Koch-Grünberg.  Women  360f.  — 
Toba  u.  Kadiueo:  Koch-Grünberg,  Die  Guaikurustärame  im  Glob.  81,  S.  39f..  45  u. 
106f.  —  Coroados:  Burmeister,  Reise  n.  Bras.  250.  —  Karaja:  Fritz  Krause,  In 
den  Wildnissen  Brasiliens.  —  Tapuya:  Rahe  bei  Dapper,  D.  ünbek.  566.  —  La 
Plata:  A.  Ruis,  Conquist.  espiritual  de  Paraguay.  —  Payaguas:  v.  Azara,  Reisen 
in  Paraguay,  Übers  v.  Weylandl,  207.  224  u.  II,  26.  —  Tehuelchen  (Patagonen): 
Musters  bei  Rob.  Lehmann- Nitsche,  Patagonische  Gesänge  im  Anthrop.  III,  920 f. 

§  377.  Indien:  /"/.  Zimmer,  Altindisches  Leben  222.  —  Griechenland,  Rom,  Christ- 
liehe Kirche:  A.  Frau:.  D.  Kirchlichen  Benediktionen  II,  253  ff.  —  Sparta:  //. 
Schurtz,  Altersklassen,  98.  —  Germanen:  Rieh.  M.  Meyer,  Altgermanische  Religions- 
geschichte 421:  Tacitus,  Germania,  c.  13.  —  Chat!  n:  Ebenda,  e.  31.  —  Angel- 
sachsen: S.   Forsyth,  The  A.ntiquarys  Portfolio.  I,  p.  14. 

§  37s  Juden:  2.  Mos.,  13.  3—10  u.  11  —  16:  5.  Mos.  6,  5-9  u.  11.  13—21:  Matth.  23, 
5;  5.  Mos.  6,  8,  2;  Mos.  13.  9  u.  16;  Kaulen  in  Wetzer  a.  Weites  K.-L..  2.  Aufl.. 
9.  Bd.,  2094.  —  Juden  der  Bukowina:  Kaindl,  I».  Juden  d.  Buk.  im  Glob.  80, 
134f.  —  Süd  russische  Juden:    Weißenberg  318. 

|  379.  Pulbe:  //.  Schurtz,  Altersklassen  97.  —  Donga:  Hirn«  Ziemann,  Zur  Tätowierung 
der  Donga  in  Kamerun  im  (Hob.  82,  344.  —  Okande:  Oscar  Leu:  in  Verhdlg.  d. 
Gesellsch.  f.  Erdkunde  zu  Berlin  III,  9  u.  10,  1876,  S.  226.  —  Fjort:  Dennett,  Notes 
20  Berero  usw.:  S.   Passarge,  Südafrika  231  u.  258.  —  Basutos:  Cur.  Stech  im 

„Daheim"  1879,  24.  384.  —  Sfao  a.  Makua:  Welirmeister  66f.  —  Suaheli:  A. 
Werner,  The  Bantu  Element  in  Swahili  Folklore  in  E.-L.  XX.  437.  —  Auin-ßusch- 
leute: Haus   Kaufmann  157. 


Anhang  I.     Zitate.  873 

§  380.  Batak:  v.  Brenner.  Besuch  247  u.  192 f.  —  Atjeh:  Moor,  Notiees  of  the  Ind. 
Arch.  252.  —  Orang  Mamma:  Speiser,  Beiträge  z.  Ethnographie  d.  Orang  Mamma 
im  Archiv  f.  Anthropol.  N.  F.  Bd.  IX.  79.  —  Xikobaresen:  R.  Lasch.  Die  Ver- 
stümmelung der  Zähne,  in  Mitteil.  d.  Anthropol.  Gesellseh.  in  Wien  XXXI.  Bd.  (3.  Folge 
I.  Bd.),  S.  19.  —  Drang  Temia:  Stevens- Stönner  im  Glob.  82,  254f.  —  Formosa: 
W.  Müller,  Wildenstämme  233.  —  Alfuren  auf  Seram:  Schuhe,  in  Ztschr.  f.  Ethnol. 
1877;  Bericht  der  Berliner  Anthropol.  Gelisch.,  121.  —  Alfuren  oder  Wuka, 
Holl.  Neuguinea:  M.  Krieger,  Neu-Guiuea  412.  —  Xoefoor-Papua:  J.  B.  v. 
Hasselt  iu  Ztschr.  f.  Ethnol.  1876,  VIII,  185.  —  Britis  ch-Neuguinea:  Krieger  296 
u.  30Sf.  —  Stämme  am  Merauke:  J.  D.  E.  Schmeltz  197  f.  —  Karesau:  11".  Schmidt 
(nach  B-Tamatäi  Pritäk),  Die  geheime  Jünglingsweihe,  Anthrop.  II,  1053,  1055 f.  — 
Mer:  ff.  Thilenius  nach  Haddons  Forschungen  a.  d.  Inseln  d.  Torresstraße,  Glob.  81, 
327ft.  —  Baiuu:  Richard  Jhurnwald,  Im  Bismarckarchipel,  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  42, 
125f.  —  Bismarck- Archipel:  Lasch  (nach  Graf  Pfeil),  Die  Verstümmelung,  in  Mit- 
teil, d.  Anthrop.  Ges.  Wien  XXXI.  S.  19.  —  Australien:  Spencer  u.  Gülen,  The 
X'ative  Tribes  of  Central  Australia,  212  ff. ;  Collins,  Account  of  the  Colony  in  N. -S.- 
Wales. —  Urabunna:  Spencer- Gülen,  335  u.  146f.  —  Queensland:  Glob.  56, 
121  (nach  Karl  Lumholtz).  (Unmatjera):  Spencer- Gillcn  341.  —  (Warramunga): 
Dieselben,  352.  —  (Annita  u.  Ilpirra):  Dieselben,  212ff.  —  (Roebuck 
Bay):  Peggs.  Xotes,  in  Folk-Lore  XIV.  334.  345  a.  353.  —  (Larakia  -Stamm): 
Spencer  u.  Gülen  328 — 332.  —  Samoa:  G.  Turner,  Samoa  a  Hundred  Years  ago  92; 
Thilenius,  A.  Krämers  Werk  „Die  Samoa-Iuseln",  im  Wob.  85,  55:  Kubarg  im  Glob. 
47,  72;  vgl.  auch  Hesse-  Wartegg,  Samoa  234. 

§  381.     Japaner  u.  Ainos:  H.  0.  Sieboldt  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  1881,  Supplement  32. 

§  382.     Mandan-Indianer:  Globus  16,  4 — 7  u.   17—21;    Catlin,    Nord- Am. -Indiana  I.  172. 

—  Maskoki:  .4.  M  Omen,  Folk-Lore  of  the  Musquakie  Ind.  67 ü.  —  Pirnas:  Och  bei 
Chr.  G.  von  Murr,  Nachrichten  200 f.  --  Inkareich:  Sundstral  3QS.;  Rieh.  Karuiz, 
Ohrdurchbnhrung,  im  Glob.  70,  1921'.  —  Kio  Tiquie,  LI a nana  usw.:  Koch-Grünberg, 
Zwei  Jahre  I,  3471,  344  u.  Aum.,  189f.;  II,  5S  (weitere  Zitate  über  die  von  Koch- 
Grünberg  beobachteten  Manubarkeitsbräuche  sind  der  Genauigkeit  wegen  als  An- 
merkungen dem  Text  beigefügt).  —  Muudrucus:  von  Martins.  Zur  Ethnographie 
Amerikas  403,  410,  589,  599  u.  644.  —  Ojana:  C.  H  deGoeje,  B.  z.  V.  v.  S.  17 ff.  — 
Rucayenne:  Jules  Crevaux  im  Glob.  11  (1881),  81. 

§  384.  Hindu:  TV.  Hoffmann,  Der  Zustand  30,  60;  H.  Niehus,  Zenana-Leben  249.  —  Toda: 
Marshaü,  A  Phrenologist  233—236,  70f.  175:  Harktless,  A  Description  162.  71.  10, 
44,  154ff.  —  Palni-Hügel:  F.  Dahmen,  The  Paliyans,  Antrop.  III,  28.  —  Koro- 
mandel-Küste:  Mault  bei  Hoffmann.  Der  Zust.  d.  w  G.  öl.  -■  Transsylv.  Zelt- 
zigeuner: von  Wlislocki,  Glob.  53,  1851".  u.  Glob.  51,  251.  --  Persien:  A.  Seidel, 
Der  Perser,  Glob.  58.  223;  Dieulafog,  Glob.  49,  325;  Herodot  I,  c.  138.—  Kurden: 
Glob.  57,  362.  —    Armenier:   Volland,    Beiträge,   im  Archiv  f.  Anthrop.,  N.  F.  VIII. 

—  Russ.  Gouv.  Räsan:  .4.  C.   Winter,  Glob.  86,  389;  Griechen:   llias.  Übers,  von 
Voss,  6,470,  481:  Aristoteles,  Politik,  Ausg.  n.  Übers.  Stahr,   I.  I.  c.   V,  2      -  (Alte) 

Germanen:  Altere  Edda,  Oegirsdrecka  (Oegirs  Trinkgelag),  Übers.  Simrock.  — 
Abchasen:  V*.  von  Seidiitz,  Die  Abchasen,  im  Glob.  66,  20. 
§  385.  Altes  Babylouien:  D.  Gesetze  Hammurabis.  Übers.  Winkler,  §  195.  —  Araber: 
M  de  8t.  Elie  im  Anthrop.  III,  191  ;  Musil  III.  229.  232 f.  a.  4221'.:  Manzoni,  El  Yemen 
198:  Dieulafog  im  Glob.  49,  325;  Revoils  Reise.  Glob.  47,  294.  —  Mursuk:  Lyon 
175f.  u.  99f.  —  Marokko:  Charlotte  S.  Burne,  Folklore  from  Tangier,  in  Folk-Lore 
XIX.  455.  —  Altes  Ägypten:  Maspero,  Aegypt,,  D.  Üb.  13;  J.  Wolf,  A.  d.  P. 
d.  a.  A.,  in  „Natur  und  Kultur"  V,  678f.  —  Kabylen:  Schönlttlrl.  in  „Völkerschau" 
III,  148f.  —  Marokk.  Berber:  Quedenfeldt,  Einteilung,  in  Ztschr.  f.  Ethnol.,  Berlin, 
20,  193;  Stumme.  Märchen  der  Schluh  von  Täzerwalt.  —  Lega-Galla:  Sehuver.  Reisen, 
in  Peterm.  lütt-,  Ergäuzungsh.  Nr.  72,  S.  23f.  u.  31.  —  Somäl:  Burton,  First  Foot- 
steps  119;  Paulitschke.  Beiträge  30—32. 


874  Anhang  I.     Zitate. 

§  386.  Tibbu:  Behm.  Das  Land,  in  Petermanns  Mitt.  1862,  Ergänz.  IV.  40.  —  Hoer: 
Fies,  D.  H.  in  D.-T.,  76f.  —  Batanga:  A.  Kirchoff  in  Peterm.  .Mitt.  32.  146.  — 
Herero:  H.  v.  Francois,  Xama  201;  Seiner.  Bergtouren  188 f.  —  Tangany ka-See: 
Daull  im  Afrika-Kote  8.  186.  —  Unjamwesi:  F.  Müller  in  Afrika-Bote  8,  104: 
Burton- Speeke  bei  Andree,  D.  Exp.,  2.  221,  323.  254  u.  2ö6.  —  Wagogo:  Berrmann 
198.  —  Wahehe:  Adams.  Im  Dienste  d.  Kreuzes  40.  —  Mkulwe:  Hamburger,  Relig. 
Überlief.,  Anthrop.  IV,  307.  —  'Wadschagga:  B.  Gutmann  199.  —  Makonde- 
Plateau:  Weide,  Xegerleben  357  u.  236.  ■ —  Makololo:  E.  Holub.  Mitt.  d.  geogr. 
Ges.  in  Wien  1879,  Xr.  2,  S.  90.  —  Kaffer:  Skooter  88ff.;  Fritsch  142:  Zambesi 
.Mission  Hecord.  Xov.  1898,  p.  53f.  u.  32:  CalLnnnj.  Tlie  Keligious  System,  London  1870, 
p.  145  f.;  vgl.  Public,  of  the  Folk-Lore  Soc,  London  1884. 
§  387.     Buschmänner:  Moffat,  Miss.  Labours  57ff  ;  Schinz.    Deutsch-Südwest-Afrika    392; 

H.  v.  Francois,  Xama  und  Daniara  237. 
§  388.     Sakalaven:   C.  Keller  im  Glob.  51,  183.  —  J  ava:  Morin,  U.  d.  T.  454.  —  Daja  ken: 
Grabowsky  im  Glob.  72,  271.  —  Karolineu-Ins.:  Montero  y    Vidal,   El  Arohipelago 
461;  (Ponape)  F.  W.Christian,   The   Caroline   Islands  72.  —  X'auru:  Jung  66.   — 
Samoa:    Turner.  Samoa  195:    II*.  v.  Bülow  bei  Deeken,  Manuia  Samoa  54ff.  — Oster- 
insel:    II".  J.  Thomson  bei  M.  Haberlandt,  Die  Schrifttafeln  d.  O.,  Glob.  61.  l77. 
Xeukaledonien:  J.J.  Atkinson  in   Kolk-Lore  XIV,  249 f.  —  Bismarck- Archipel: 
J  Graf  Pfeil,  Studien   19ff..  30ff.  u.  4.".:    Powell,  Unter  den  Kannibalen.   D.  Ü.,  Leipzig 
1884,  S.  60.  —  Salomo-Inseln:  Braun  in  „Gott  will  es'-,  1902,  S.  50f.  —  Papua: 
Chalmers  und  Wyatt  QyU,  Neuguinea  2o9l.  u.  260;  31.  Krieger.  Xeuguinea  164  u.  193; 
B.  Hagen,    Papuan.    Kulturbild,    in  ,.Völkerschair'  III,    15    u.    Unt.  d.    Pap.  230.    — 
Australien:   Christmann,    Australien   350;    E.  Jung  in    ..Die  Natur"   1878,    S.  271   u. 
in  ..Aus  allen  Weltteilen"  1877,  S.  347;  vgl.  ferner  Mitchell,  Three  Expeditions II,  44 f. j 
Salvado,  Memorie  storiche  3 1 1  f . ;  Bischofs  im  „Anthropos"  III,  35;  Spencer  and  ffü 
The  Xative  Tribes  63f.  u.  312. 
§  389.     .Japan:  Krafft,  Glob.  48,  220.  —  China:  Hoogers,  Theorie  im  Anthrop.  V,    2;   De 
Groot  bei  Behrens,  Der  Kannibalismus.  Glob.  81,  96;  ff.  M  Stenz  9ff.  —  Tongkinesen : 
H.  Seidel  im  Glob.  57.  247.  —  Annamitcn:  Cadiere,  Philosophie,  im  Anthropos  111. 
270;  Glob.  58,  266.   —  Siamesen:  A.  H   Hillmann,    Kinderspielzeug.    Glob.  78,   191. 
—  Thai:  Boitrlet,  Les  Thay,  im  Anthrop.  II,  364,  356f.  u.  361  f. 
§  390.     Chnlcha-Mongolen:    Prschewalski,    ['eisen   in    der  Mongolei:   Huc-Gabet,   Wande- 
rungen 59Ö'.,  191   u.  295.  —  Turkestan:  N.  V.  Seidlitz,  Sprichw.  333.  —    Kirgisen: 
Atkinson,  liecollections  126.  152  u.a.;  Brehm,  Vom  Nordpol   418f.:   R.  Karute,  Von 
kirgisischer    Hochzeit,    im  Glob.   97,   43:    Radioff    im    Glob.  48.  43ff.    —   Tnnguaen: 
Middendorff,  Sib.   Heise  IV,  T.  2,  1500  u.  1535.  —  Ostjaken:  Castrin,  Reiseberichte 
56f.;   Erman,  Reise  um  die  Erde. 
§  391.     Giljaken:   /..  0.  Schrenck,  Reisen  III.  t'40f.  —Kamtschatka:  Stellen  Beschreibung 
294f.  u.  362f.   —   Tschuktschen:    Vasüij    Priklonski,   Totengebräuche   der  Jakuten. 
im  Glob   59,82;  Nordenskjöld,  Die  Umsegelung.  —  Aleuten:  Langsdorff,  Reise  am  die 
Well    11,  63.   —   Eskimo:   Ausführliche  Beschreibung  70;  Hall,  Life  I.  1021t'..   1.  106(1 
u.  II.  170;  Saabye  157ff.;  Nansen,  Eskimoleben  130;  Eivind  Astrup,  Unt.  d.  Nacl 
D.  Übers.  205,  217   Q.  223;  Boas,  The  Central  Eskimos  612f.  u.  615. 
§  392.    Dene:  Morice  im  Anthrop.  II.  194.  —  Nascaupee:  Labadie  Lagrave,  Le 

Indiens,  in  Le  Tour  du  Monde,   N.  S    16,    Am p.  365.    -    Chippeway:    I    I.    Mi 

Kenney,  Sketches  270.    —   Maskoki:    Owen  65 f.  —    Navajos:    Ostermann   866 
Pirnas:  von  Murr  174.  —  Tschu'ma:    W.J.  Hoffmann,  D   ausgestorbenen  Tschu'ma- 
[nd.,    Glob     61,    3601'.    —    Surinam:    De    Goeje.    B.  Z.  V.  V.  S.   22;    Kappler,    Surinam 
214.  —   Karail.en  der  Antillen:    Iht  Tertre,   Hist,  gen.  IL  376;    Dapper,  D.  nnbek 

e  Wel<  207f.  u  201.  —  Nordwest!    Brasilien:  Theod.  Koch-Grünberg,  Women  of 

all  Nations  379.  —  Caraya:  G   t)   Koenigswald  237.  —  üaingangs:  Borba  im  '"lob.  50. 
235.  —  Pampa:  0.  Moreno,  \  Feuerländer:  Hyades  im  Glob.  49.  35  u.  38. 

§§   393      100      Zitate  als  Randbemerkungen.  — 


Anhang;  II. 


^ 


Quellenverzeichnis  in  alphabetischer  Ordnung1). 

Abbes,  H.,  Die  deutsche  Nordpolar-Expedition  nach  dem  Cumberland-Sunde.  Im  Glob.  4G. 

Abeking,  M.  (nach   Theophilo  Braga),  Der   Weihnachtsmonat  in  Portugal.     Glob.  74. 

Abel,  M.  S.  C,   Knabenspiele   auf  Neu-Mecklenburg   (Südsee)    im    fAnthropos",    Bd.  [  u.  II. 

Salzburg  1900  u.   19  '7. 
Abelin,  H.,  Über  die  Sterblichkeit  unter  jungen  Kindern.     Im  Journ.  f.  Kinderkrankh.  1864. 
Abererondnj.  John,   The  ßeliefs  and  Reli^ious  Cerernonies  of  the  Mordwins  (nach  Melnikof). 

In  The  Folk-Lore  Journal  Vol.   VII.     London  1889 
Derselbe  (nach  Malcolm  Mac  Phail  in  Folk-Lore  VI,   1895). 
Achelis,   Th.,  im   Archiv  f.  Anthrop.,  Bd.  26. 

Acostn.  J".s-    de,   Hist.  natural  y  moral  de  las  Indias.     Sevilla   1590. 
Adams,   Alfons  M.,    Im   Dienste    des   Kreuzes.      Erinnerungen    aus    meinem   Missionsleben    in 

Deutsch  Ostafrika.     St.  Ottilien  1899. 
Adams,  Remarks  1823. 

Adelung.  Natürl.  a.  bürgert.  Gesch.  von  Californien.     Lemgo  1769. 

Adlet;  Bruno,  Die  deutsche  Kolonie  Riebensdorf  im  Gouvernement  Woronesh.     Glob.  87. 
Adler,    Max,    Allerlei    Brauch    und   Glauben    aus    dem   Geiseltal.     In  Ztsehr.  des  Vereins   für 

Volkskunde,  Bd.   14. 
Africanus  siehe  Leo  Africanus. 

Albertis,  Luigi  d'.  in  Petermanns  Mitteilungen     20.     1874. 

Albertis,   L    .1/ '..  Colonisationsfähigkeit.     In  Petermanns  Mitteil.    1865.    H.  VII. 
Alexandrow,  M..  in   „Sammlung  hist. -statist.   Mitteilungen  über  Sibirien''.     I.   1875. 
Allan   Herd  siehe  Rced. 

Alonso  de  Santa  Cruz  siehe    Wieser,  Franz  E.  v. 

Alzoij,  Johannes,   Universalgeschichte  der  christliehen  Kirche.    4.  Aufl.     Mainz  1846. 
Ammon,  Friedrich  Aug.  v..  Die  ersten  Mutterpflichten.  19.  Aufl.  1875  u.  35.  Aufl.    Leipzig  1895. 
Amthor,  in   „Der  Alpenfreund",  IX.     1870. 
Andre,  Edouard,  <;iob.  1880. 
Ainlree,    Karl,    Die  Expeditionen  Bartons   und   Spekes  von  Zunzibar   bis   zum  Tanganyka-   u. 

N'vanza-See  ....     Leipzig  1861. 
Derselbe,  Die  Personennamen  in  der   Völkerkunde.     Ztsehr.  f.  Ethnol.   1876. 
Derselbe,  im   Archiv  f.  Anthropologie.      1880.    Bd.  XIII. 

Andree,  Richard,  Ethnographische  Parallelen  u.  Vergleichungen.     Neue  Folge.    Leipzig  1889. 
Derselbe,  im  Glob.  62. 
Derselbe.    Ratschen,    Klappern    und    das  Verstummen    der   Karfreitagsglocken.     In  Ztsehr.  d. 

Vereins  f.  Volkskunde.     20.  Jahrg.      Berlin   1910. 
Andree-Eysn,  Marie,   Volkskundliches.     Braunschweig  1910. 
Andrews,  J.   B..  Neapolitan   Witchcraft,     In  Folk-Lore  VIII   (1SÜ7). 
Anesaki,  in  Folk-Lore  XII. 

Ingas,  Savage  life  in   Australia  and  X.-Zealand.     London  1847. 
Anhalt,    Darstellung   des    Erziehungswesens    im   Zusammenhang   mit    der   allgemeinen   Cultur- 

geschichte.     Jena  1846. 
Ankermann,    Bernhard,    Bericht   über  eine  ethnographische  Forschungsreise  ins  Grasland  von 

Kamerun.     In  Ztsehr.  f.  Ethnol    42. 
Anienorid,  John,  Kinderspiele  u.  Spielzeug  in  üstasien.    In  „Völkerschau'',  II.    München  1902. 

')  Die  benutzten  Zeitschriften,  Lexika  u.  ä.  m.  werden  nicht  alphabetisch,  sondern  nur 
im  Zusammenhang  mit  den  Schriftstellern  eingeführt.  Ebensowenig  kommen  hier  anonyme 
Artikel  in  Betracht.  Solche  und  andere  Ergänzungen  zu  diesem  alphabetischen  Verzeichnis 
finden  sich  bei  den  Zitaten,  Anhang  I. 


gyg  Anhang  II.     Quellenverzeiehnis  in  alphabetischer  Ordnung. 

Antz.  Jos.,  Über  Spiel  u.  Spielzeug.     In  „Die  Christliche  Frau'',  7.  Jahrg. 

Appun,  Das  Ausland,  1871. 
[ranzadi,  Telesforo  de.  De  la  „Covoda"  en  Bspafia,  Anthrop.  V.     1910. 

Arbois,   De  H.,   de  Jubainvüle,,lia  Familie  Celtique.      Etüde  de  droit  compare.     Paris  1905. 

Aristoteles'   Politik.     Ausg.  u.  Übers,  von  Adolf  Stahr.     Leipzig  1839. 

Derselbe,  Ad  Nicomachum. 

Arndt,  Augustin,  Die  heilige  Schrift  des  Alten  u.  Neuen  Testamentes.     Regensburg  1907. 

Arnim,  A.  ».,    und  Brentano,    Cl,   Des  Knaben  Wunderhorn.     1.  Aufl.  1806—1808.     2.  Aufl. 
1845—1846. 

Dieselben.  Kinderlieder,  Anhang  zum  Wunderhorn.     1808. 

Arnous,    W.  G.,  Die  Frauen  u.  das  Eheleben  in  Korea.     Glob.  66  (1894). 

Derselbe,  Charakter  und  Moral  der  Koreaner.     Glob.  67. 

Arosenius,  J.  N.,  Ztschr.  f.  wissenschaftl.  Geographie.     1881.  Heft  5. 

Arvieux,  de,  siehe  Labat. 

Ascherson,  Paul,  in  Ztschr.  f.  Ethnol.     1870. 

Astrup,    Eivind,   Unter  den  Nachbarn  des  Nordpols.     D.  Übers.     Leipzig  1905. 

Atharae  Veda,  XIX. 

Atkinson,  Recollections  of  Tartar  Steppes  and   their  Inhabitants.     London  1863. 

Atkinson,  The  Natives  of  New  Caledonia  in   Folk-Lore.    Vol.  XIV.     London  1903. 

Attenhofer,  II.  Z.  v.,  Medizin.  Topogr.  der  Haupt-  u.  Residenzstadt  St.  Petersburg.     1817. 

Aufhauser,    Das    Weihnachtsfest    in    geschichtlicher    und    religionsgeschichtlicher   Bedeutung. 
In  Literarische  Beilage  zur  Augsburger  Postzeitung.     Nr.  6.     1.  Febr.   1912. 

Augusti,    Die    heil.   Handlungen   der   Christen,    archäologisch    dargestellt.     In    dessen    ..Denk- 
würdigkeiten". 

Autenrieth,   ».,  Abhandlung  über  Ursprung  der  Beschneidung.     Tübingen  1829. 

Aymonier,  /-.'..  im  Glob.  48. 

Azara,   i\.  Reisen  in  Paraguay.     Übers.  Weyland. 

Baader,  B.,  Volkssagen  a.  d.  Lande  Baden  u.  d.  angrenz.  Gegenden.     Karlsruhe  1851. 

Bachmann,  Johann,  Egerländer  Volkstum.     In  „Unser  Egerland",  XI.     19  >7. 

Bachofen,   J   J.,    Das    Mutterrecht.     Eine    Untersuchung   über    die    Gynaikokratie    der    alten 

Welt  nach  ihrer  religiösen  und  rechtlichen  Natur.     Stuttgart  1861. 
Derselbe.  Antiquarische  Briefe  vornehmlich  zur  Kenntnis  der  älteren  Verwandtscbaftsbegriffe 
Straßburg  1880. 

Badke,  Otto,  Das  italienische  Volk   im  Spiegel   seiner  Volkslieder.     Breslau  u.  Leipzig  1S7Ü. 
Baer,  von,  Die  Makrocephalen  im  Boden  der  Krim.     Petersburg  1860. 

Baeieman,  Josef,  Abyssinien  u.  Abyssinier.     In  „Echo  aus  Afrika'1.     XXIII. 

Bajon,  Nachr.   zur  Gesch.  von  Cayenne.     Erfurt  1781. 

Bahr  siehe  Zachariae,   Theodor. 

Balfour-Northeote,  M.  G,  County  Folk-Lore,  Vol.  IV,  Printed  Extracts  Nr.  6.    Exemples  of 
Printed   Folk-Lore  concerning  Northumberland.     London  1904. 

Baliut,  Gabriel  von,  im  Glob.  1875 

Bancroft,  II.  II.,    The  Native  Races   of  the  Pacific  States  of  North  America.     Leipzig  187S 

Barrow,  .lohn,  Au  Account  of  Travels  into  the  Intcrior  of  Southern  Africa  in  the  Vears  1791 
and   1798.     London   1801. 

Pxirsoie,  J.    11".,  im   Archiv  f.   Anthrop.    1879. 

Bartels,  Max,  siehe  Ploß. 

Derselbe,  in  Ztschr.  f.  Ethnol.     Berlin  1881. 

Derselbe,  in  Ztschr.  d.  Vereins  f.   Volkskunde.     ö.  Jahrg.      Berlin   1895. 

Bartholinus,   Tit.,  Antiquitatum  veteris.  puerperii  Synopsis.     Amstelodami   1626. 

Bartsch,  Germania.     XVI.  42. 

Bartsch,   A'.,  Sagen,  Märchen  und  Gebräuche  ans  Mecklenburg.     Wien   1880. 

Bartsch,    />'.,   Die   Rechtsstellung  der  Frau  als  Gattin  und  Mutter.     Leipzig  1903. 

Basüius  des  Großen  neue  Homilien:  Über  das  Sechstagewerk  (Hezaemeron).     1).  Ubers.  von 
Valentin  Grüne.     Kempten  1875. 

Bastian,  Adolf,  Der  Mensch  in  der  Geschichte.     Leipzig  1860. 

Derselbe,    Dir  Völker  des  östlichen  Asien.    Studien  u.  Reisen.    3.  Bd.  Siam.     Jena  1866 — 1871. 

Derselbe,   Rechtsverhältnisse  bei  versch.   Völkern  der  Erde.     Berlin  1870. 

Derselbe,  Geogr.  n.  ethnol.  Bilder.    Jena   1873. 

Derselbe,   Die   Kulturländer  des  Alten   Amerika.     Berlin  1878 — 1889. 

Derselbe,   Bericht   der  anthrop.  Gesellsch.  zu   Berlin   1881. 

Derselbe,  Zur  Tgl.   Psychol,  in  Lazarus'  und  Steinthals  Ztschr.  5. 

Derselbe,   1  > t < -   Yerbleibsorte  der  abgeschiedenen  Seelen.     Berlin  1893. 

Bates,  The  Naturalist  on  the  river  Amazonas.     London  1864. 

Derselbe,  in  „Das  Ausland".     1S04. 

Bauer,  Beschreibung  der  gottesdienstl.    Verfassung  der  alten   Hebräer. 


Anhang  II.     Q.uellenverzeichnis  in  alphabetischer  Ordnung.  877 

Bauer,     Wilhelm,    Mexico.     Heidentum    u.    Aberglaube    unter    den    Magateca-Indianeru.      In 

Zeitschrift  für  Ethnologie.     40.  Jahrgang.     Berlin   1908. 
Baumann,  Oskar,  Zur  Kenntnis  der  Wai-Neger.     Glob.  52. 
Derselbe,  Der  Sansibar-Archipel.     Leipzig  1896. 
Baumgart,   August,    Aus    dem    mittelschlesischen    Dorfleben.      In    Z.  d.  V.  f.  V.      3.  Jahrg. 

Berlin   1893. 
Baumgartens  Allgem.  Gesch.  der  Länder  und  Völker  von  Amerika.     Halle  1752. 
Bag,  J.  de,  La  trepanation  prehistorique.     St.  Germain  1879. 
Bechara  siehe  Chemali. 

Becker,  in  Ztschr.  d.  K.  preuß.  staust.  Bureaus.     1869. 

Becker,  Jac.,  Die  Behandlung  verlassener  Kinder  im  Altertum.     Frankfurt   1x71. 
Bedi,  Historia  ecelesiastica  gentis  anglorum. 

Beguelin,    M.  von,   Religiöse  Volksgebräuche  der  Mongolen  (nach  Posdnäjew).     Im  Glob.  57. 
Behm.  Das  Land  u.  Volk  der  Tebu.     In  Petermanns  Mitteil.     1862.     Ergänzungsh.  IV. 
Behr,  H.   F.  von,  Die  Völker   zwischen  Kufiyi   u.  Rovurua.     In    Mitteilungen  a.  d.  deutschen 

Schutzgeb.  6. 
Behrens  (nach  De  Groot),  Der  Kannibalismus  der  Chinesen.     Glob.  81. 
Bell,  A.    11".  in  The  Journal  of  the  Ethnol.  Soc.  of  London.     1869.     I. 
Beut,  .7.  Tit..  im  Glob.  50. 
Bert.  Caterina  Pigorini,  im  Glob.  59. 
Bemoni,  G.,  Canti  popolari  Veneziani.     Venezia  1S72. 
Derselbe.  Nuovi  Canti  popol.     Venezia  1874. 
Berrueta,  Juan  Dominguez,  Las  Jurdes.     In  „Anthropos-',  II. 
Bert  sieh»  Chailly-Bert. 

Bertherand,   Med.  et  Hygiene  des  Arabes.     Paris  1855. 
Bertolacci,  Anthony,  A  View  of  the  agricultural,  commercial  and  financial  interest  of  Ceylon. 

London  L817. 
Bertrand.  Josef,  in   „Die  katholischen  Missionen''.     37.  Jahrgang  (1908/09). 
Beschreibung,  Ausführliche,  des  theils  bewohnt  —  theils  unbewohnt  —  so  genannten  Grönlands. 

Nürnberg  1679. 
Besteh.   E..  im  Archiv  f.  Anthrop.     1875.     VIII. 
Derselbe,  Die  amerik.  Nordpolexpedition.     Leipzig  1879. 

Bessicres,  Les  prejuges  populaires  sur  les  maladies  de  l'enfance.     Paris  1875. 
Bei/er,  R.,  Über  die  Alraunen.     In  Natur  u.  Kultur.     IV.  Jahrg.     München  1907. 
Bieber,  Friedrich  J.<  Das  Familienleben  der  Kaffitscho.     Glob.  96. 
Derselbe,  Durch  Südäthiopien  zum  Nil.     Im  Glob.  97. 
Biedert,   I'h..   Die  Kinderernährung  im  Säuglingsalter.     Stuttgart  1880. 
Bierling,   Albert,  Erinnerungen  aus  der  Oberpfalz.     Weiden   1878. 
Bilharz,  .1.,  Ztschr.  f.  wissensehaftl.  Zoologie.     Bd.  X. 
Billroth  siehe  Podrazki. 
Bindewald,  im  „Daheim".     1865.     17. 

Bird,  Isabella  L.,  Reise  durch  Japau.     Glob.   1881.     Bd.  39. 
Dieselbe,  Unbetretene  Reisepfade.     A.  d.  Engl.     Jena  1882. 
Bird   Grinnell  siehe  Orinnel. 
Birgham,  Franz,  im  Glob.  1877. 

Birtinger,  A..   Nimm  mich  mit.     Kinderbüchlein.     Freiburg  1871. 
Derselbe,   Sitten   u.   Rechtsbräuche.      1874. 
Bischofs,  Jos.,  Die  Niol-Xiol,  eiu  Eingeboreuenstamm  in  Norwest-Australien.  Im  „Anthropos", 

DI  (1908). 
Bizyenos,  Georg  M.,  Das  Kinderspiel   in  bezug  auf  Psychologie  u.  Pädagogik.    Leipzig  1881. 
Black,  in  County  Folk-Lore,  III. 

Blade,  J.  F.,  Contes  populaires,  reeueillis  en  Agenais.     Paris  1874. 
Blakeborough,  in  County  Folk-Lore,  II. 
Blanc,   Ed.,    Essai   sur   un   cräne  trepane  provenant   du  tumulus  de  Noves  (Alpes  maritimes). 

I  'nnnes   1879. 
Blumenbach,  J.   Fr.,  De  generis  humani  varietate  nativa.     Göttingen  1776. 
Derselbe,  Collectio  craniorium  divers,  gentium  illustr.     Göttingen  1790 — 1828. 
Derselbe,   Nova  collect,   craniorum  div.   gent.  ill.     Göttingen   1828. 
Blumentritt,  Ferdinand,  im  Glob.  48  u.  49. 
Derselbe,  Über  die  Eingebornen  der  Insel  Palawan.     Glob.  59. 
Derselbe  (nach  P.  Chirino),  im  Glob.  62. 
Blaut,  ./.  J.,  Ursprung  religiöser  Ceremonieu  und  Gebräuche  der  röm.-kathol.  Kirche.    Darm- 

stadt  u.  Leipzig  1826. 
]'.    <a.   Franz,  The  Central  Eskimo.     In   Sixth   Annual   Report   of  the   Bureau   of  Ethnology. 

1NS4— 85.     Washington  1888. 
Bodin,   TL,  in   „Die  Natur"   1876  u.  1880. 


878  Anhang  II.     Quellenverzeichnis  in   alphabetischer  Ordnung. 

BSrnera   Sagen  aus  dem   Orlagau. 

Bogdanow,  A.,    Nachrichten   der  kais.    Gesellsch.   der   Freunde   der  Naturkunde.  Anthrop     u 

EthQogr.     T.  XXXV.     1879. 
Bogisic,  Zbornik  pravnih  obicaja  u  juznih  Slovena.     Agram  1874. 

BolUr.   Henry  A..  Among  the   Indians.     Eight   years  in   the   far  West.     1858 — 1866.     Phila- 
delphia 1868. 
Bulte.  Johannes,  in  Ztsehr.  d.  Vereins  f.  Volkskunde.     19.  Jahrg.     Berlin  1909. 
Boman,  Eric,  Antiquites   de    la    Region   Andine   de   la   Republique  Argentine   et   du   Dcseri 

d'Atacama.      Paris  1908.     T.  I  u.  II. 
Borba,  T   M.,  im  Glob.  i.0. 

Boamann,    Viaggio  in  Guinea,  trad.   dal   Francese.      Venezia  1752. 
Bouchal,  L.,  Indonesischer  Zahlenglaube.     Glob.  84. 
Bourbourg  siehe  Brasseur. 

Bourlet,  Antuine,  Les  Tbay.  Anthrop.     Bd.  II.  1S07. 
Braga,  Theoplälo,  siehe  Abeking,  M. 
Brandeis  siehe  Tetzner. 
Brandeis,  Antonie,   Ethnographische  Beobachtungen  über  die  Nauru-Insulaner.     Im  Glob.  91. 

19.17. 
Branky,  Frau:,  in  Ztschr.   d.  Ver.  f.  Volkskunde.     Jahrg.   16.     Berlin  1900. 
Brasseur  de  Bourbourg,  Hist.  des  nationa  civilisees  de  Mexique.     Paris  1857. 
Derselbe,  Cartas. 

Brauers  Sagen   und  Geschichten   der  Stadt   Baden. 
Braun,  PA.,  in  „Gott  will  es!-'     M.-Gladbaeh  1902. 
Brelnn,  Reiseskizzen  aus  Nord -Ost- Afrika.     Jena  1855. 
Derselbe.   Vom   Nordpol  zum   Äquator.     Stuttgart   1S90. 
Breitenbach,  II'.,  Die  Aufhebung  der  Sklaverei  in  Brasilien.     Glob.  54. 
Brenner,  Fr.,    Geschichtliche   Darstellung  der  Verrichtung   u.   Ausspendung   der   Saerani. 

Bamberg   1818. 
Brenner,  Joacliim    Frltr.   von,  Besuch  bei  den  Kannibalen  Sumatras.     Würzburg  1894. 
Brenner-Schäffer,    H "..   Darstellung  der   sanitätlichen   Volkssitten    u.   des   medizinischen   Volks- 

Aberglaubens  im  nordöstlichen  Teile  der  Oberpfalz.     Amberg  1861. 
Brentano.  Ct.,  siehe  Arnim,  A.  r. 

Brett.  11*.  H..  The  Indian  Tribes  of  Guiana;  their  condition  and  habits.     London  1868. 
Breysig,   Kurt.   Kulturgeschichte  der  Neuzeit.     Bd.   1   u.  2.     Berlin   1900  u.   1901. 
Bridge,  F.,  im  Glob.  47. 
Briefe.   Allerhand   lehrreiche  von  der  Mission  der  Gesellschaft  Jesu  oder  der  Neue  Welt-Bote. 

Augsburg  1726. 
Brincker,  im  Glob.  62  (1892). 
Brinton,  Daniel,  im  Glob.  66. 

Britlen.  James,  in  Folk-Lore-Journal,  II.     London  1884. 
Broca,  P.,  Sur  la  deformation   Toulousaine  du   Grane.      Paris   1872. 
Broca.  in  Revue  d'Anthropologie.    1874. 

Broca,  Anciens  eränes  macrocephales  de  Tiflis.     Bull,  de  soc.  d'Anthrop.  de  Paris.     Is77. 
Brake.  De,   lufantes   pro   a   diabolo   suppositis   habitae   quos  vulgo   Wechselbälge  appelarunt. 

Helmstadii  1725. 
Brown,  A.   R..  The  Religion  of  the  Andaman  Islanders,  in  Folk-Lore  XX  (1909). 
Bruce.  J.,  Reise  zur  Entdeckung   der  Quellen  des  Nils  in   den  Jahren  1768 — 1773,  übersetzt 

von   Volkmann.     Leipzig  1790 — 91.     5  Bde. 
Derselbe,   Reisen   in  das  Innere  von  Afrika,  übers.  V.   Cuhn.      1791. 
Brttn.  Notes  sur  les  Croyanees  et  les  Pratiques  religieuses  des  Malinkes  fetichristes.    Anthrop.  II 

(1907i. 
Brau.  C.  in  The  LTustrated   London  News.     1872,  3.  August. 
Buchner,  Max,  Reise  im  Stillen  Ozean.     1878. 
Derselbe,  im  Glob.  52  u.  74. 

Bude,  im  Journ.  of  the  Anthropol.  Institute  of  Gr.   firit.  and  Ireland.     Vol.   VI.     1877. 
Buck,   M.   R.,  Medicio.    Volksglauben  aus   Schwaben.     Ravensburg   1865. 
/miau    F.  Weisice  u.  t>.  Leutsch,  Die  Germania  des  Tacitus.     Leipzig  1828. 
Biilow,  U".  r.   Die  Ehegesetze  der  Samoaner.     Glob.  7:'.. 

Büttner.    Ft.,  Bilder  aus  dem  Togohinterlande.     In   Mitteil.   a.   d.   Deutsch.  Schutzgeb.  6. 
Bugeau,   Der  Zauberer  der   Kikuyu.     Im    ..Kcho   aus   Afrika-'.     XXII.   Jahrg.   (1.910). 
Burcheü,   W.  J.,  Travels  in  southern  Africa.     London   1822 — 24.     2  vols.    D.  Ubers.     Reisen 

in   das   Innere  von   Süd- Afrika.      Weimar   1825. 
Burkhardt,  Jakob,  Griechische  Kulturgeschichte.     Herausg.  v.  Jakob  Oeri.     Berlin  1898. 
Burckhardt,  Joh.   Ludw.,  Reise  in  Nubien.     Weimar  1820. 
Derselbe,  Travels  in   Nubia.     London   1822. 
Derselbe,  Bemerkungen  über  die   Beduinen  D.    Wahaby.     D.   Obers.     Weimar  1831. 


Anhang  II.     Quellenverzeichnis  in  alphabetischer  Ordnung.  879 

Burmeister,  Reise  nach  Brasilien.     Berlin  1853. 
Burne,  Charlotte  S.,  in  Folk-Lore-Journal,  Vol.  IV.     London   1886. 
Dieselbe,  in  Folk-Lore,  Vol.  XLII. 

Dieselbe,  Fil'th  of  November  Customs.     In  Folk-Lore,  Vol.  XIV.     London  1903. 
Dieselbe.  Folklore  from  Tangier.     In  Folk-Lore,  Vol.  XIX.     London  1E08. 
Burton.  R.  F.,  Mem.  read  before  the  Anthrop.  Soc.  I. 
Derselbe,  First  Footsteps  in  East  Africa.     London   1856. 
Derselbe,  Nouv.  ann.  des  voyages.     May  1862. 
Derselbe,  im   Ausland.      186:2. 

Derselbe,  A  Mission  to  Gelele,  King  of  Dahome.     London   1864. 
Derselbe,  Zanzibar,  City,  Island  and  Coast.     London  1872. 
Buschan,  Georg,  Der  Stand  unserer  Kenntnis  über  die  Basken.     Glob.  79. 
Byan.  ./.,  in  Zambesi  Mission  Kecord,  Vol.  I.     London   1600. 

Bybilakis.   E..   Neugriechisches   Leben,   verglichen    mit    dem   altgriechischen,   zur  Erläuterung 
beider.     Berlin   1840. 

Cadiere,   L.,  Philosophie  populaire  annamite.     Im  Anthrop.  III  (1908). 

Caesars  Gallischer  Krieg,  edit.  Fügner.     Leipzig   1804. 

Cains,    '/'..   Au   Pays  des   Uastes.     Anthrop.   11.     Salzburg   1907. 

Caittiaud,  Fr,  \'oyage  ä  Meroe,  au  Fleuve  Blanc.     Paris   1S2C. — 27. 

Caüaway,  The  Religious  System  of  the  Amazulu.     Natal  1S68 — 70. 

Derselbe,  in   Publications  of  the  Folk-Lore-Society,   Vol.  XIV.     London  1884. 

Callegari,  G.  ().,  II   Druidismo  nell!  Antica  Gallia.     Padova  1904. 

Derselbe,   L'Antico  Messico.     Kovereto  1908.     2.   Voll. 

Calvert  siehe  Williams. 

Camboue,   l'aul.  Notes  sur  quelque  moenrs  et  coutumes  malgaches.     Anthropos  IL     1907. 

Derselbe,  Les  dix  premiers  ans  de  l'Knfance  chez  les  Malgaches.    Anthrop.  IV.     1909. 

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Derselbe,  Die  Juden  in  der  Bukowina.     Glob.  80. 
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h'uliff,  Ph.,  Les  infantines  du  bon  Pays  de  France;  le  livre  des  Meres.     Paris  1878. 
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890  Anhang  II.     Quellenverzeichnis  in  alphabetischer  Ordnung. 

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Kuntze,  Um  die  Erde.     Leipzig  1881. 

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Labadie  siehe  Lagrave. 

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Labat,  Mem.  du  Chev.  dArvieux.     Paris  1735. 

Laborde,  De,  Itineraire  descriptif  de  l'Espagne.     Paris  1809. 

La   Bruyere,  Rene,  Trois  Archipels  de  la  Polynesie  Orientale.     In  Le  Tour  du  Monde.  X.  S. 

17«  Annee,  15.  April  1911. 
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Lafitau,  J.   F.,  Moeurs  des  Sauvages  Americains  eomparees  aux  moeurs  des   premiers  temps. 

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Lagneau,  Les  deforruatioDS  cephaliques  en  France.     Paris  1870. 
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Langsdorff,   Bemerkungen  auf  einer  Reise  um   die  AVeit.     2   Bde.      Krankfurt   1812. 
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Le  Cocq   d' Armandville,    Skizze    aus   dem   Missionsleben   von   Nieder!  Ostindien.      D.   Übers. 

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Legge,  ./-ums,  The  Chinese  Classics.     Hongkong  u.  London  1861. 
Le  Grand  d'Aussy,  Fabliaux  ou  contes.     Paris  1S2Ü. 
Lehmann,   Alfred,  Aberglaube  u.  Zauberei  von  den  ältesten  Zeiten  an  bis  in   die  Gegenwart. 

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Lehren   u.   Sprichwörter  etc.      Frankfurt   L639. 
Lehmann,    Waller,  Der  sogenannte  Kalender  Ixtlilxoehitls.     Anthrop.  III.     1908. 
Lehmann- Nitsche,   Robert,  Patagonische  (lesiinge  mit  Musikbogen.     Anthrop.  III.     1908. 
Lehzen,   PA.,   Reiseerinnerungen  aus  Japan  u.  China.     Glob.  56. 
Leiahhardt,   Ludwig,  Joum.  of  an  overland  Expedition  from  Moreton  Bay  to  Port  Bssingi 

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Lenhossek,  Joseph    von,    Die   künstlichen  Schädelverbildungen   im  Allgemeinen  u.  zwei  künstlich 

verbildete  makrocephale  Schädel  aus  Ungarn,   sowie  ein  Schädel  aus  der  Barbarenzeit 

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Lennox,    II'.,   Merrie   England;  its  s]iorts  and  pastimes.     London   1857. 
Lenormant,   Les  sciences  oecultes  en   Asie;  la  Magie  chez  les  Ohaldeens  et  les  origines  acca- 

diennes.     Paris   1874.     Deutsch:  Magie  and  Wahrsagekunst  der  Chaldäer.     Jena  1878. 
H  ..  Vom  Tod.     In  Eessische  Blätter  für  Volkskunde.     Bd.  VI  (1907), 
Lenz,  ()..  Deutsche  geograph.  Blätter.     Bremen   1877. 

Oscar,   Verhandl.  d.  Gesellsch    f.   Erdkunde.     III.     Berlin   1876. 
/.  n      PA.,  in  Glob.  58. 

Indische  Kinderheiraten.     Im  Glob.  59. 
Leon,  Cieza  de,  siehe  Cieza  de  Leon. 


Anhang  II.     Quellenverzeiehnis  in  alphabetischer  Ordnung.  891 

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Le  Plongeon,  Augustus,  Sacred  Mysteries    among   the  Mayas    and  the  Quiches,    11  500  Years 

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Lery,  Hist.  d'un  voyage  en  la  terre    de  Bresil  etc.     Geneve  1.380.     Deutsche  Übers.  Münster 

1479. 
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Le   Vaillant,  Voyage  dans  l'interieur   de  lAfrique   par  le  Cap    de  Bonne-Esperance   pendant 

1780—  So."    Paris  1790.     Deutsche  Übers.  Frankfurt  a.  M. 
Derselbe,  Seeond  Voyage  dans  l'interieur  de  l'Afrique  1783 — 85.    2  Bde.    Paris  1795.    Deutsche 

Übers.   Berlin   1795. 
Lexis,    II'..  siehe  Conrad. 
Liebrecltt,  Felix.  Gott.  Gel.  Anz.  35.     1871. 

Derselbe.  Zur   Volkskunde.     Alte  u.   neue  Aufsätze.     Heilbronn   1879. 

Ligorio,  8.  Alphonsi  M.  de.  Theologia  Moralis.  Vol.  I.  Augustae  Tourinorum.    MDCCCLXXIX. 
Lim me>\  Entwurf  einer  Geschichte  des  Vogtlands.     Gera  1825. 
Lindenschmit.  Handbuch  der  deutschen  Altertumskunde.     Braunsehweig  1880. 
Lindschotten,  G.  H.,  Ander  Theil  des  Orient.  Indien.     Deutsch  v.  J.  v.  Bry.    Prankfurt  a.  M. 

1013. 
hing  Henry,  siehe  Roth,  Henry  Ling. 
Lingg,  3Iax,  Kultur-Geschichte  der  Diözese  und  Erzdiözese  Bamberg  seit  Beginn  des  sieben- 

zehuten  Jahrhunderts  auf  Grund  der  Pfarr- Visitations-Berichte.     Kempten  1900. 
läppert,  Julius.  Kulturgeschichte  der  Menschheit.     Stuttgart  1886—1887. 
Derselbe.  Christenthum.  Volksglaube  u.  Volksbrauch.     Berlin  1882. 
Lissauer,  A  ,  Archäologische   u.    anthropologische  Studien    über   die  Kabylen.     In  Zeitschrift 

für   Ethnologie.  "40.  Jahrg.     Berlin   1908. 
Livinqstone,  Missionsreisen  u.  Forschungen      Leipzig  1858. 
Derselbe,   The   last  Journals    in    Central   Africa.    published    by   H.  Waller.     2  Voll.     London 

1874.     Deutsche  Übers.  Hamburg  1875. 
Liringstone  siehe  auch  Richel,  A. 
Lobsaheid,   II".,  Ethnogr.  Miscellen.     Berlin   1876 
Lochhardt,  J.  H.  S.,  Glob.  59. 
Lockhart.    H'.,  i'i  Tr.   Ethn.  Soc.     1861. 
Derselbe,  Der  ärztl.  Missionär  in  China.     Aus  d.  Englischen  übers,  v.  H.  Bauer.    Würzburg 

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Longworth  siehe  Uanics  M.  Longworth. 
Lortet,  Glob.  38.     1880. 

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Lubbock,  John,  Die  Entstehung  der  Civilisation.     Deutsch  von  Passow.     Jena  1875. 
Ludolf,  Hiob,  Historia  Aethiopica.     Frankfurt  1681. 
Lumholtz,  Karl,  im  Glob.  56. 

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Luschka,  in  Monatsschr.  f.  Geburtskunde.     1868.     Heft  5. 
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Maclayan,  in  Folk-Lore  XIV.     London   1903. 

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Derselbe,  Additions  to  the  Games  of  Argyleshire.     In  Folk-Lore,  XVI.     London  1905. 

Maclean,  Compendium  of  Kafir  Laws  and  Customs.     1858. 

M'Lennan,  Studies  in  ancient  History,  comprising  a  reprint  of  primitive  Marriage.  London  1876. 

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Magyar,  Keisen  in  Südafrika.     Herausgegeben  von  Hwnfdlvy. 

Mai,  Diss.  de  usu  salis  symbolico  in  rebus  sacris.     Gießen   1692. 

Majer,  C.  Fr.,  in  Deutsche  Zeitschr.  für  Staatsarzneikunde.     Bd.  29.     1864. 

Maine,  Henry  Siimner,  Lectures  on  the  early  history  of  lustitutious.     London  1875. 

Maltzan.  Freih.  ».,  Sicilien.     Leipzig  1869. 

Derselbe,  Reisen  in  den  Regentschaften  Tunis  u.  Tripolis.     2  Bde.     Leipzig  1870. 

Malcezzi,  Ablobrandino,   L:isola   del   paradiso.     Un   viaggio   a  Ceylon.     In  Nuova  Antologia. 

Anno  43  (1908). 
Man,  E.  H.,  siehe  Lasch,  Richard. 


892  Anhang  II.     (^uellenverzeichnis  in  alphabetischer  Ordnung. 

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Derselbe,  Der  Baumcultus  der  Germanen   u.   ihrer  Nachbarstämme.     Kerlin   1875. 

Manning,  Percy,  Sume  Oxfordshire  Seasonal  Festivals.    In  Folk-Lore,  Vol.  VIII     London  1897. 

Mantegazza.  Glob.   1880. 

Manzoni,   Renzo,  El  Yemen.     Roma  1884. 

Marche,  Alfred,   Lucon   et  Palaouan.     Le  Tour  du  monde.     1886. 

Marcoy,  Paul,  Glob.  9. 

Marcy,   Exploration   of  the   Red   River  of  Louisiana  in  the  year  1852.     Washington   1853. 

Mariner,   Account  of  the  Tonga-Islands.     London  1818. 

Marshall,    William   E..   A  Phienologist  amongst  the  Todas,  or  the  study  ot  a  primitive  tribe 

in   South  India.      London    IST:!. 
Marthe,    /■'..  im  Glob.  54. 
Martinengo-Casaresco,   Evelyn,    American   Songs   and  Games.     In   „The  Folk-Lore  Journal", 

Vol.  IL     London  1884. 
Martins,  v..  Abhandl.  über  Geburtshilfe.     Aus  dem  Chines.     Freiburg   1820. 
Martius,  von,  Zur   Ethnogr.  Amerikas,  zumal  Brasiliens.     Leipzig  1867. 
Derselbe,  siehe  Spix. 

Marzan,  J.  de,  Le  totemisme  aux  lies  Fiji.     Im  Antlirop.  IL     1907. 
Derselbe,  Mutilatio  ethnica  in  Australia  subincisio  (mika)    dicta   existitne    in   insula   Fiji?     Im 

Anthrop.   V.      1910. 
Masip,  Jahne,   Del  matrimonio  chino.     Im  .Anthrop.  IL 

Maspero,   Ägypten  u.  Assyrien.     Deutsche  Übers,  v.  Birnbaum.      Leipzig   ls'.U 
Maßmann,  Haus   Ferd.,  Denkmäler  deutscher  Sprache   u.   Literatur.     Bd.    1.     München    1827 
Manch,  ('..  in  Betermanns  Mitteilungen.     Ergiinzungsh.  Nr.  37.      1874. 
Maurel,  /•.'..  Glob.  71. 

Maurer,    Konrad  van.  Isländische   Volkssagen  der  Gegenwart.     Leipzig   1860. 
Maurer,    Kourail,    l'ber   die    Wusserweihe   des   germanischen    Heidentums.      München    lssn. 

Mauthner,  Ritter  von  Mauthstein,  Kinder-Diätetik.     :!..  Aufl.     Wien  1 8 "•  7 . 

Mayer,  Carl,  im  Bayr.  Ärzl.  Intell.-Blatt  1876  u.   1878. 

Mayr,   Fr,,  The  Zulu  Kafirs  of  Natal.     Im   Anthrop.  II.      1807. 

Mayr,  '■'.,  Die  Sterblichkeit  der  Kinder  während   des  ersten  Lebensjahres  in  Süddeutschland, 

insbesondere  in  Bayern.     Ztschr.  d.  k.  bayer.  statist.   Bureaus.     2.  Jahrg.      1870. 
Maximus    Valerius  siehe   Valerius. 

Meilrm.  J.  von.  Ostpreußische   Volksbräuche.     In  Ztschr.  d.  Vereins  f.    Volksk.     Jahrg.   7. 
Meier,  Deutsche  Kinderreime  und   Kinderspiele  aus  Schwaben.     Tübingen   1851. 
Meier,  Hermann,  Ostfriesland  in   Bildern  und  Skizzen  usw.     Leer  1868. 
Meier,  Josef,  Primitive    Volker  und   „Paradies"zustand.     Anthrop.    11   ^907). 
Derselbe,    A  kaja    oder    der    Schlangenaberglaube    bei    den    Eingebornen    der    Blanchcbiicht 

(Neupommern).     Anthrop.  III. 
Meiners,    U'..   Landschulwesen  im  Herzogtum  Cleve  vor  hundert  Jahren.    Im  Archiv  f.  Kultur 

u.  Geschichte.     ;!.   Bd.     Berlin    1905. 
Meinecke,   Die   Inseln  des  Stillen  Ozeans.     1876. 
Melnikow,  M .    Die  ehemaligen  Menschenopfer    u.    der   Sehamanismus    bei   den   Burjaten    des- 

[rkutskischen   Gouvernements.     (Hob.   75. 
Melnikof  siehe  Abercromby,  John. 

Merensky,     I..  Ztschr.  f.   Ethnologie.    Jahrg.  1875.     Bericht  der  Berliner  Anthropol.  Gesellsch. 
Mertens,  Etecueil  des  actes  de  la  seance  publ.  de  l'Acad    de  Sl    Petersb     Dec.    1829. 
Metzger,  Emil,  nach  Spenser  St.  John,  im  (Hob.  47. 
Derselbe.    Herrscher   u.    Beherrschte  auf  Java.      Glob.   56. 

Meyer,  Otto,  Mythen  und   Erzählungen  von  der  Insel   Vuatom.     Anthropos  V.     1910 
Meyer,    Richard  .1/..   Altgerinanische   Religionsgeschichte.     Leipzig   1910. 
Meyerson,  Medicin.  Zeitung  Rußlands.     1860. 
Meyners,  d'Estrey,  in  „Exploration".     1877. 
Michaelis,  Diss..  in   Ritual  Cod.  Sacr    ex  Alcorano  illustr. 
Michaelis,  <'.  Über  die  körperliche  Erziehung  der  Kinder. 
Michel  siehe   Francisque-Michel. 
Miclucho-Maclay.   \    v.,  Sitzungsbericht  der  Berliner  Anthropol.  Gesellsch.  v.  17.  April  1880. 

In  Ztschr.   f.   Ethnol       1880. 
Derselbe,  in  Ztschr.  I.    Ethnol.     1882. 
Derselbe,  im  Glob    1878      Nr.  3. 

Middendorff,  .1.    Th.  VOn,  Ri  ise  in  den  äußersten  Norden  und  Osten  Sibiriens  während  der  Jahre 

1843  u.    1844       l    Bde.     St.   Petersburg  1848—75. 
Milm .   Life  in  l  Ihina.     London   is.">7. 

Milovanovitsch,  Georg,  Mus  altserbische  Familienrecht.    [naugural-Dissertation.    Breslau  1910. 
Tischler,  „Unehel.  Geb."     Im   Wörterbuch  der  Volkswirtschaft.     2.  Aufl.     Bd.  2. 
Mishima,  Japanische  Schulhygiene.     1911.     s.  1. 
Mitchel,   Arthur,  im    Magazin   für  d.  Literatur  des  Auslandes.      1876.     Nr.  4d. 


Anhang  II.     Quelleuverzeichnis  in  alphabetischer  Ordnung.  893 

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Mitford,  A.  R..  Tales  of  Old  Japan.     2  Bde.     London  1871. 

Moebius  siehe  Kunze,  F. 

Mo/fat.  Robert,  Missionary  Labours  and  Seenes  in  Southern  Africa.     London  1842. 

Mohammed  siehe  El  Tunsy. 

Moldenhauer,   Zur  Physiologie  des  Gehörorgans  Neugeborener.    In  Beiträge   zur  Geburtshilfe, 

Gynäkologie  u.  Pädiatrik.     Leipzig  1881. 
Mol:.  Marcellinus,   Ein  Besuch  bei  den  Ao-Nagas  in  Assam  (Indien),  im  Anthrop.  IV. 
Mummst».   Theodor,   Kömische   Geschichte.     3.  Aufl.     Berlin    1861.     6.  Aufl.     Berlin    1874  u. 

188.-1. 
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Montanus,  Die  deutschen  Volksfeste,  Jahres-  u.  Familienfeste.     Iserlohn  1854. 
Montelius,  Oscar,  Der  Orient  u.  Europa.     Deutsche  Übersetzung  von  Mestorf.    Stockholm  1899. 
Montero  y  \idal.  El  Archipelago  Filipino  y  las  Islas  Marianas,  Carolinas  y  Palaos.    Madrid  1886. 
Mooney,  James,  The  Siouan  tribes  of  the  East.     Washington  1894. 

Mooney,  James.  The  Indian  Navel  Cord.     In  The  Journal  of  American  Folk-Lore.    Vol.  XVII. 
Moor.  Ed..  in  County  Folk-Lore.     Vol.  1.     Printed  Extracts,  N.  2. 
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Moore.  George  Fletcher,  A  descriptive  vocabulary  of  the  language  amongst  the  aborigines  of 

Western   Australia.     London   1842. 
Morache,  G.,  Peking  et  ses  habitants.     Annales  d'hygifeue  publ.  et  de  med.  legale.     1869. 
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Derselbe,  Die  operative  Behandlung  der  weiblichen  Geschlechtsteile  bei  verschiedenen  Völkern. 

In   Ztsehr.  f.  Ethnol.   1871. 
Derselbe,  Die  ethnographischen  Merkmale  der  Frauenbrust,  nebst  einem  Anhang:  Das  Säugen 

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Portlock  siehe  Dixon. 
Posdnäjew  siehe  Beguelin,  M.  v. 
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Derselbe,   Bausteine  für  eine  allgemeine  Rechtswissenschaft.     %2  Bde.     Oldenburg  1881. 
Derselbe,   Das  Recht  der  Osseten  (nach  Koralewsky),  im  Glob.  65. 
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lN'.H 
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uß,    Karl   Theodor,    Parallelen   zwischen   den   alten  Mexikanern   u.   den    heutigen  Huichol- 

indianern.     Glob.  80. 


')  Es  sei  hier  nachträglich  noch  auf  Ploß,  das  kleine  Kind  vom  Tragbett  bis  zum  ersten 
Schritt.  Über  das  Legen,  Tragen  und  Wiegen,  Gehen,  Stehen  und  Sitzen  der  kleinen  Kinder 
bei  den  verschiedenen  Völkern  der  Erde,  Berlin  1881,  hingewiesen. 


Anhang  II.     Quellenverzeichnis  in  alphabetischer  Ordnung.  897 

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Reichard,  C.  C,  Math,  und  Veit  Conr.  Schwarz  nach  ihren   merkwürdigen   Lebensumständen 

und   Kleidertrachten,   nach   dem    zu    Braunsehweig    befindlichen    Original    beschrieben. 

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Reinecke,  Diss.  de  expositione  infantum.     1S44. 
Reinhard  siehe  Züricher. 
Heinsberg,  Früh,  V.,   Das  festliche  Jahr   in  Sitten,    Gebräuchen  u.  Festen   der   germanischen 

Völker.     Leipzig  1863. 
Reinsberg-Düringsfeld,  Freih.  v.,  im  Glob.  1876.     Siehe  auch  Düringsfeld. 
Reiss,  Wilhelm,  u.  Stübel.  A..  Das  Todtenfeld  von  Aucon  in  Peru.     Berlin  1880—86. 
Rciss,  in  Verhandl.  der  Gesellsch.  f.  Erdkunde  zu  Berlin.     1880. 
Reitzenstein.  Ferd.  Frhr.  v..  Kausalzusammenhang  zwischen  Geschlechtsverkehr  u.  Empfängnis 

in  Glaube    und  Brauch   der  Natur-    und  Kulturvölker.     In    Zeitschrift,   für  Ethnologie. 

41.  Jahrg.     Berlin  1909. 
Remy,  Jules,  in  Nouv.  aun.  des  voyages.     Dec.  1865. 
Rendel,  Harris,  siehe  Harris. 

Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  57 


898  Anhang  II.     Quellenverzeicbnis  in  alphabetischer  Ordnung. 

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Dieselbe,  Streiflichter  auf  das  religiöse  Denken  und  Handeln    der  Japaner,     lu    „Natur   und 

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Washington   1873. 
Revoih   Reise  im   Laude  der  Benadir,  Somali  u.  Bajun   18S2 — 1883.     ülob.  47. 
Rhamm,    Karl   ([jach  Hacquet),    Der   Verkehr   der  Geschlechter    unter   den  Slawen   in    seinen 

gegensätzlichen  Erscheinungen.      Glob.   82. 
RhaztS,   zehn  Bücher  an  den  König   AI    Mansur.      Lat.    Übers.      (Ad   Almausorem    libri    X..) 

Venedig  1500. 
Rhys,   Maus   Folk-Lore  and  Superstitions.    In  Folk-Lore.     Vol.  II.     London  1891. 
Richardson,  James,  Travels  in  the  (-ire.it  Desert   of  Sahara,    in  the   years  of  184.5  and   1846. 

2  Voll.     London  1848. 
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Richthofen,   Ferdinand  Freiherr  von,  Tagebücher  aus  China.     2  Bde.     Berlin  1907. 
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RieeJce,  in  Neue   Keyclop.  der  Wissenschaft  u.  der  Künste.    Stuttgart.     1.  Abth.,  2.  Bd.     1852 
Riedel,  J.  G.  F.,  in  Ztschr.  f.  Bthnol.  1871,   1874,  1875,  1876. 
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Ringleb,  in   Verhdlg.  d.  phvsikal.-medic.  Cesellsch.  in  Würzburg.     N.  F.     Bd.  V.      187:!. 
Hink,  //.,   Rskimoiske  Eventyr  og  Sagn.     1866. 
Derselbe,  Danish.   Greenland.     London   1877. 
Derselbe,  in   „Die  Natur"   1879.     Nr.  29. 

Rittershain,   Ritter   von,  Statist,   u.   pädiatr.  Mittheil. .aus  der  Prager  Findelanstalt.    Prag  1878. 
Rittich,  in   Petermanns  Mittheil.     Ergänzungsheft  54.     1878. 
Rituale  Augustanum   Rituali  Romano  conformatum   ac  jussu   et    auetoritate  Reverendissimi   et 

Illustrissimi    Domiui  Domini   Pancratii    Lpiscoj)i   Augustani    editnm   Augustae  Vindeli- 

corum.     1870. 
Rituale  St.  Floriani  siehe  Franz,  Ad. 

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Rochebrune,  A.  T.  de,  Rev.  d'Anthrop.  1881.     1\'. 
Roche/ort,    De,    Hisfoire   Naturelle   et   Morale    des   lies   Antilles    de    lAmerique.     Rotterdan» 

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Rochholz,  E.  L.,  Alemannisches   Kinderlied   u.  Kinderspiel  aus  d.  Schweiz.     Leipzig  1S57. 
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BössKw,   llebammenbüchlein.     Herausgegeben  von  Lonicerus.     15bl. 
Rogers,  Abr  ,  Sitten  der  Brahmanen. 

Rohden,  L.  von,  Geschichte  der  Rheinischen   Missionsgesellschaft.     Barmen   1856. 
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Derselbe,  im  Glob.    1875. 
Romanoff,    Sketches    of   the   Rites    and    Customs   of   the   Greco-Russian    Church.     „Ausland" 

1868. 
Rommel,  Otto,   Das   Ammenwesen    u.   Vorschläge    zu   seiner  Verbesserung    nach  Erfahrungen, 
iiinell   im   Münchener  Säuglingsheim.     In  Blätter  für  Säuglingsfürsorge.     1.  Jahrg. 
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Roquefeuü,   De,  Krise  um  die  Welt.     Jena  1823. 

Röscher,   II.     II',,   Studien   zur   vergleichenden    Mythologie   der   Griechen    und   Römer.      Leipzig 
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Rüppel,  Eduard,  Keisen  in  Xubieu,  Kordofahn  u.  dem  peträischen  Arabien.    Frankfurt  a    M 

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RiippeU,  Keisen  in  Abessynien.     2  Bde.     Ebenda  1838 — 40. 
Rütitneyer  u.  His,  Crania  helvetiea      Basel  1864. 
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Riiis.  Antonio,  Conquist.  espiritual  de  Paraguay. 
Russeggcr,  Keisen  in  Europa,  Asien  u.  Afrika.     Stuttgart  1843. 

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Derselbe,  im  „Ausland-'.     1862. 
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Mitteil.  a.  d.  Deutschen  Sehutzgeb.  8. 
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Salvador,  Geschichte  der  mosaischen  Institutionen  und  des  jüdischen  Volkes.     Hamburg. 
Samonici.  Qu.  Sereni,  de  medicina  praeeepta  saluberrima.  edit    J    Chr.  G.  Ackermann.     Lips 

1786. 
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Sanitätsamt  in   Wiudhuk.     In  Zeitschrift  für  Ethnologie.     40.  Jahrg.     190S. 
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Sartori.  Paul,  im  Glob.  69.     1896. 
Saussaye  siehe  Chantepie. 
Saxby  siehe  Edmonston-Saxby. 
Schaaffhausen,  Über  einen  makrocephalen  Schädel  aus  dem  fränkischen  Grabfeld  von  Mecken- 

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Schefferi,  Joannis  von  Straßburg,  Lappland,  das  ist  Neue  und  wahrhaftige  Beschreibung  von 

Lappland  u.  dessen  Einwohner  .  .  .     Frankfurt  a.  M.  u.  Leipzig  1675. 
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Schmitz,  Sitten  und  Bräuche,  Lieder,  Sprichwörter  und  Räthsel  des  Eitler  Volks. 
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Schmitz,  <>.,  im  Archiv  f.  Anatomie,  III.     1869. 

Schön.  Friedrich.  Eine  vollständige  Fassung  des  Kinderliedes  von  den  Nornen.  In  Zeitschrift 
des  Vereins  für  Volkskunde.     19.  Jahrg.     Beilin   1909. 

Schoen,  Heinrich,  Alte  Sitten  in  der  Bretagne.     Im  Glob.  98. 

Schönhärl,  M.,  Ein  Blick  auf  die  früheren  u.  jetzigen  sozial-politischen  Verhältnisse  der  Ka- 
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Derselbe,  Noch  einmal  etwas  aus  dem  Kabylenland.     Ebenda 

Schönwerth,  Fr.,  Aus  der  Oberpfalz.     Sitten  und  Sagen.     Volksausgabe.     Augsburg  1869. 

Schöppners  Sagenbuch  der  bayrischen  Lande. 

Schomburgk,  Reisen  in  Guiana  u.  am  Orinoko  während  der  Jahre  1835 — 1839.    Leipzig  1841. 

Schoolcraft,  H.  R,  Oneöta. 

Derselbe,  Information  respecting  the  historv.  conditio!)  and  prospect  of  the  Indian  tribes  of 
the  United   States.     Philadelphia  1852. 

Schott.  Arthur,  Ausland.     1868. 

Schotter,  Aloys,  Notes  Ethnographiques  sur  les  Tribus  du  Kouy-tcheou  (Chine).  Anthrop.  III. 
I'.I.IS 

Schreier,   I>.  O.   M.,  Kallipädie  oder  Erziehung  zur  Schönheit.     Leipzig  1858. 

Schrenck,  L.  von,   Reisen   u.    Forschungen  im  Amur-Lande.     1854 — 56.     St.  Petersburg  1881. 

Schrenk,  .1    O-,   Reise  durch  die  Tundren  der  Samojeden. 

Schröder,  F..  Land  u.  Leute  des  Theedistriktes  von  Kumaon.     Glob.  53. 

oeder,  Leopold  "•».  Indiens  Litteratur  u.  Cultur  in  historischer  Entwicklung.    Leipzig  1887. 

Derselbe,    Wafientänze   bei   Slawen   und   Tibetanern.     In   Wiener   Zeitschrift    für    die   Kunde 
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Schröder,   ().   Krallexikon  der  indogermanischen  Altertumskunde.     Straßburg  1901. 

Schröer,   Deutsche   Weihnachtsspiele  aus  Ungarn.     Wien  1858. 

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Beilage  zar  „Deutschen   Klinik".     1864.     Nr.  9. 

Schutt,  Otto  II-.   Reisen  im  südwestlichen  Becken  des  Congo.     Berlin   1881. 

.  //..    „Über   volkstümliche   Namengebung."     In   Ztschr.  d    Vereins  f.   Volkskunde. 
Jahrg.  7      Berlin  1897. 
\enburg,  II      v.,   Wendische  Volkssagen  u.  Gebräuche  aus  dem  Spreewald.     Leipzig  1880. 

Derselbe,   Wendisches  Volks thum  in  Sage.  Brauch  u,  Sitte.     Berlin   1882. 

Schultheiß  (nach  O.  A.  Wilken),  im  Glob.  60. 


Anhang  II.     Quellenverzeichnis  in  alphabetischer  Ordnung.  901 

Schxtltz,  Alwin,  Das  höfische  Leben  zur  Zeit  der  Minnesinger.     Leipzig  1S79. 
Schultz,  Fritz,  Die  Sprache  des  Kindes.     Leipzig  1880. 
Schnitze,  Fritz,  Psychologie  der  Naturvölker.     Leipzig  191  0. 
Schulz,   Woldemar,  in  Zeitschr.  f.  allgemeine  Erdkunde.     1865.     X.  F.     Bd.  19. 
Schulze,  Ztschr.  f.  Ethnol.  1877,  Bericht  der  Berliner  Anthropol.  Gesellsch. 
Schürte,  H..  Urgeschichte  der  Kultur.      Leipzig   IM  0 

Derselbe,   Altersklassen    und  Männerbünde.     Eine   Darstellung   der   Grundformen   der  Gesell- 
schaft.    Berlin  1902. 
Schuster,  Siebenbürgiseh-sächsische   Volkslieder.     Hermannstadt  1856. 
Schwer,  Juan  Maria.  Reisen  im  oberen  Nilgebiet.    In  Peterm.  Mitt.  1883 — 84.    Ergänzungs- 

heft  72. 
Schwarte  siehe  Kuhn. 
Schwarte,    F.  L.  W.,   Der  Ursprung   der  Mythologie,    dargelegt   an  griechischer   u.  deutscher 

Sage.     Berlin   1860. 
Schwarz,  in  Ztschr.  der  Gesellschaft  der  Arzte  zu   Wien.     Nr.  37,  1858. 
Schweinfurth,  Georg,  in  Ztschr.  f.  Ethnol.   1873. 
Derselbe,  im  Glob.   1875.     Nr.  7. 
Derselbe,  Im  Herzen  von  Afrika.     Leipzig  1878. 
Sdralek.   Maximilian,    Wolfenbüttler  Fragmente.     In    Kirchengeschichtliche   Studien.     1.  Bd. 

Münster  i.  W.  1893. 
Scbillot.  Faul,  Le  Folk-Lore  de  France.     Paris  1907. 
Seemann,  E.,  siehe  Danies. 

Seidel,  Land  u.  Leute  in  Tongking.     Glob.  57. 
Seidel,  A  .  Der  Perser  im  Lichte  seiner  Sprichwörter      Glob.   58. 
Derselbe,  im  Glob.  80. 
Seidel,  H.  (nach  Denjoy),  im  Glob.  65. 
Derselbe,  Die  Ephe-Xeger.     Glob.  68. 

Derselbe.   Körperverunstaltungen  im   Süden  Deutsch-Ostafrikas.     Glob.  80. 
Seidlitz,  N.  v..  Sprichwörter  der  Eingeb.  des  Turkestan.     Glob.  56. 
Derselbe,  Die  Abchasen.     Glob.  66     1894. 
Derselbe,  Hochzeitsgebräuche  der  Armenier  Transkaukasiens.     Glob.  78. 

Derselbe,  Neue  Mitteilungen  über  den  Babismus  in  Persien.     Glob.  81. 
Seiner,  Franz,  Bergtouren  u.  Steppenfahrten  im  Hererolar.de.     Berlin  1904. 
Derselbe,    Die    Buschmänner     des     Okawango-     und     Sambesigebietes     der     Xord-Kalahari. 
Glob.  97. 

Seleuka,  Emil,  Der  Schmuck  des  Menschen.     Berlin  1900. 

Seier,  Codex  Borgia.     Eine  altmexikanische  Bilderschrift  der  Bibliothek  der  Congregation    de 
Propaganda  Fide.     3  Bde.     Berlin  1904—1909. 

Derselbe,  Die  Tierbilder  der  mexikanischen  u.  der  Maya-Handschriften.    In  Ztschr.  f.  Ethnol. 
42.  .lahrg.     Berlin  1910. 

Seligmann,  S.,  Der  böse   Blick.     2  Bde.     Berlin   1910. 

Selinski  siehe  Seidlitz,  X.  v. 

Sello,  Frühlingsfeste.     In  ,,Im  neuen  Reich".     1881.     Nr.  22. 

Semper,  Karl,  Die  Palau-Inselu  im  Stilleu  Ozean.     Leipzig  1873. 

Sen/f't,  Arno,  Gefühlsleben  bei  Südsee-Insulanern.     In  „Völkerschau"  III.     München  1904. 

Derselbe,  Die  Rechtssitten  der  Vap-Eingebornen.     Im  Glob.  91. 

Derselbe,   Ethnographische    Beiträge   über   die   Karolineninsel   Yap.      In    Petermanns    Geogr. 
Mitteil.   1903. 

Sepp,  Altbayerischer  Sagenschatz.     München   1876. 

Serpa  Pinto,  Alexander  Albert  de  la  Roche,  Wanderung  quer  durch  Afrika.    Deutsch.    2  Bde. 
Leipzig  1881. 

Sessions.  Frederick,  in  Folk-Lore.     Vol.  IX. 

Sheiki  Macdonald,  siehe  Macdonald. 

Shooter,  The_  Kafirs  of  Natal.     London  1857. 

Shortt,  in  Edinb.  med.  Journ.     1864. 

Sibree.  The  great  African  Island.     London  1880.     Deutsch.     Leipzig  1881. 

Siebenkees  siehe  Strabo. 

Siebert,  Sagen  u.  Sitten  der  Dieri  u.  Nachbarstämme  in  Zentral-Australien.     Glob.  97. 

Siebold,  H.  von,  Ztschr.  f.  Ethnol.  1881. 

•liebold,   Ph.   Fr.   von,  Nippon.     Archiv  zur  Beschreibung   von  Japan.     2  Bde.     Würzburg  u. 
Leipzig  1897. 

Sievers,  W.,  Die  „Floresta"  des  Nicolas  de  la  Rosa.     Im  Glob.  53. 

Simrock,  Karl,    Das    deutsche  Kinderbuch.     Altherkömmliche   Reime,    Lieder   usw.     2.  Aufl. 
Frankfurt  a.  M.  1857. 

Derselbe,  Handbuch  der  deutschen  Mythologie..     Bonn  1858. 

Derselbe,  Deutsche  Weihnachtslieder.     Leipzig  1874. 

Derselbe  siehe  Edda. 


'.Ii  ij  Anhang  II.     Quellenverzeichnis   in   alphabetischer  Ordnung. 

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lt.    Walter,  Malay  Spiritualism.     In  Folk-Lore  XIII.     London  1902. 
Skertchly,  J.  A.  Dahomay  as  it  is.     London  1874 

/•.   George,  Ten  weeks  in  Japan.     London  1861. 
Smith,    II".   Robertson.  Kinship  and  Mariage  in  Early  Arabia.     Cambridge  188.3. 
Söehting,  G-erman,  im  Glob.  1877.    Nr.  8. 

j,  w,    F..  im  Arch.  f.  Anthrop.     1880.     XII. 
Somm  T.   Sagen.   Märchen  und   Gebräuche   aus  Sachsen,      1846. 
Soranus  edit.  Pinoff. 

an.   l-^phesii  Lb.de  muliebribus  affect.   edit.  Fr.  Z.  Ermerins.    Trajecti  ad  Rhenum  1869. 

e,   //..  Aus  West-Afrika.     1873—1876.     Leipzig  1879. 
Sparrmann,  Reise  nach  dem  Vorgebirge  der  guten  Hoffnung.     Berlin   1784. 
Speiser,   heiträge  zur  Ethnographie   der  Ürang-Mamma   auf  Sumatra.     Im  Archiv  f.  Anthro- 
pologie.    X.  F.     Bd.  IX.     Braunschweig   1910. 
Speiser,   Felix,  siehe  Graafland. 

Spelte,  3    ff.,  Entdeckung  der  Nilquellen.     Aus  d.  Engl.     Leipzig  1864. 

Spencer,   Baldwin,  and   (rillen.  J.  F.,  The  Native  Tribes  of  Central  Australia.    London   1899. 
Svencer,  Herbert,  The  Principles  of  Sociology.     2  Voll.     3.  Aufl.     New  York  1893. 
Spencer,  St.  John,  siehe  St.  John. 

Sperling,   E.,  Ztschr.  f.  allgem.  Erdkunde.     1864.     Bd.  16. 
Spieß,  B.,   Europa.     1881.     Xr.   10. 

Spieß,   Balt.,   Yolksthümliches  aus  dem  Fränkisch-Henuebergischen.     Wien  1869. 
Spieß,  C,  Die   Verwendung  der  Holzarten  Togos  durch  die  Eingeborenen.     Glob.  96. 
Hei  selbe,  Die  Johulü-Gottheit  u.  ihr  Schlangenkult.     Im  Glob.  98.     1910. 
Sjiieß.  M.  Aberglauben.  Sitten  u.  Gebräuche  des  sächs.  Obererzgebirgs.     1862. 
Spix,   v.,   und   v.  ^f(ll■til(S.  Reise  nach  Brasilien  (1817-^20).     München  1823. 
Sprengel,   A"..  Geschichte  der  Medicin  im  Alterthum.     Leipzig  1846. 
Spring,  Johann  A.,  Der  Apache-Ind.  im  Krieg  u.  Frieden.     Glob.  48. 
Derselbe,  Glob.  50. 

Squier,  in  Transaet.  Americ.  Ethnol.  Soc.  III.     New  Vork  1853. 
Slam,  X..  The  Religious  Conceptions  of  the  Kavirondo.     Anthrop.  V.     1910. 
Stambul    und   das   moderne    Türkenthum.     Politische,    soziale  u.   biographische  Bilder.     Von 

einem  Osmanon.     Leipzig   1877. 
Stamford  siehe   T&affles  Stumford 

Stanley,  Durch  den  dunklen  Welttheil.     Deutsch  von  ]>öfti/cr.     2  Bde.     Leipzig  1878. 
Stapf,  Otto.  Glob.  51. 
St, irr.   Frederick,   Childrens  Toys  and  Maines,   im  Catalogue  of  a  Collection  of   Objects    illu- 

strating   the   Folklore  of  Mexico.     London  1899. 
Steeh.  Chr.,  im  „Daheim"   1879. 

Steffens,  C.   Negeraberglaube  in  den  Südstaaten  der  Union.     Glob.  67. 
Stegelmann,  Felix,  siehe  Reich,  Alfred. 

Stehle.    'Bruno,  Volksglauben,  Sitten  u.  Gebräuche  in  Lothringen.     Glob.  59. 
Steig,   Reinhold,   Volksbräuche,   Volksglauben    u.   Volkssagen    im  Ländchen  Bärwalde.     „Z.  d. 

V.  f.  V."  14. 
Steinberg,  M.   von,  Ein  Schädelfund  von  Szekelv-Udvarhely.     Hermanustadt  1875. 
Stirnen.   Karl  von  den,  Unter  den  Naturvölkern  Centralbrasiliens.    Volksausgabe.    Berlin  1897. 
Sieller.  (!.    11'.,   Beschreibung  über  Kamtschatka.      1771. 
Slinin.    P.    von,    Über  den   Geisterglauben   in  Rußland.     Glob.  57. 
Derselbe,   Bin   neuer  Beitrag  zur  Ethnographie  der  Tscheremissen.     Glob.  58. 
Derselbe,   l>as  Gewohnheitsrecht  der  Samojeden.     Glob.  60. 

Derselbe,  Die  Kirgisen  des  Kreises  Saissansk  im  Gebiete  von  Ssemipalatinsk.    Glob.  60. 
Derselbe.   Die  Geburts-  und  Hochzeitsbräuche  der  Wachietschi.     Glob.  78. 
Derselbe,    Die  neuen  Forschungen  über  die   Baschkiren,     tilob.  80. 
Sten  .  Qeorg   .1/..  In  der  Heimat  des  Konfuzius.     Steyl   1902. 
Derselbe  (nach  Grube),  Zur  Pekinger  Volkskunde.     Glob.  80. 
Stenzler,  Indische  Hansregeln.     Sanskrit  u.  deutsch.     Leipzig    1878. 
Stevens.   Hrolf   Vaughan,    Namengebung  und   Heirat    bei  den  Orang  Temia  auf  der  Halbinsel 

Malakka      Berausgeg.  von  //.  Stornier.     Glob.  82. 
Stieda,  Archn   F.  Anthrop.   1S79. 

Glob.  74. 
Stöber,  Elsässisches  Volksbüchlein.     Straßburg  1842 
Derselbe,  Die  Sogen  des  Elsasses.    St.  Gallen   1862. 

Stevens,  Hrolf  Vaughan. 
Stojanow,  R.     Glob.   I8S0.     Nr.  16. 


Anhang  II.     (^uellenverzeiehnis  in  alphabetischer  Ordnung.  90,°, 

Storch,    Sitten.    Gebräuehe    u.    Rechtspflege    bei    den    Bewohnern    Usambaras    u.    Pares.     In 

Mitteil.  a.  d.   Deutschen  Schutzgeb.     Bd.  8.     1895. 
Storch,   Spruchgedichte    u.    Volksbräuehe    aus    der   Vorderschweiz.     In    ,.Ztschr.    d.    Ver.    f. 

Volkskunde.     5.  Jahrg.     Berlin  1895. 
Strabo  ed.  Siebenkees. 
Strabo  ed.  Casaubonus. 

Sirackerjan,   L..  Aberglaube  u.  Sagen  aus  dem  Herzogthum  Oldenburg.     1867. 
Siratmann,  77t.,   Kurze  Bemerkung  zu  dem  vorhergehenden  Funde.     Anthropos.     IV.     Siehe 

Otto,  Fund  usw. 
Strauch,  //.,  Ztschr.  f.  Ethnol.     1877. 
Strele,   Richard    von,   Weihnachtsfeier   in    der   ehemaligen   Deutsehbanater   Militärgrenze      In 

Ztschr.  d    Ver.  f.   Volksk.     15. 
Stricker,   II'..  im  Archiv  f.  Authropol.     IV   u.  V. 
Struck  siehe  Frontin   und  Struck. 

Strutt,  J.,  The  sports  and  pastimes  of  the  people  of  England.     2.  edit.     London  1831. 
Stübel,  A.,  siehe  Reiß,   Wühelm. 

Stumme,  Haus,  Märchen  der  Schluh  von  Tazerwalt.     Leipzig  189t. 
Derselbe,  Dichtkunst  u.   Gedichte  der  Schluh.     Leipzig  1895. 
Südsee-Expedition,  von  der  Hamburger.     Erste  Durchquerung  von  Neu-Pommern.     Im  Glob 

96.     1909. 
Süßmilch',  Die  göttliche  Ordnung  in  den  Veränderungen  des  Menschengeschlechts.     Berlin  1776. 
Sumner,  Maine,  siehe  Maine,  Henri/. 
Sundermann,  IL.  Der  Kultus  der  Niasser.     Glob.  59. 
Sundstral,   Franz,  Aus  dem  Reiche  der  Inkas.     Berlin  1902. 
Susritfis,  Ayurvedas.     Übersetz.  Heßler. 
Swientek,  Die  Aussegnuug  der  Wöchnerinnen  und  ihre  Grenzen.     In  Archiv  für  katholisches 

Kirchenrecht.     41.  Bd.     Mainz  1879. 
Sykes,  Persiau   Folklore.     In  ,.Folk-Lore"  XII.     London  1901. 

Tacitus,  Ausg.  Schweizer,  Sidler,  Andresen  a.   Meiser.     Berlin  1879-95. 

Derselbe  siehe  Biiliu. 

Tamai,  Kisak,  im  Glob.  70. 

Tanner,   John,    Des    Kentuckiers   Denkwürdigkeiten    über    seinen   dreißigjährigen    Aufenthall 

unter  den  Indianern   Nord-Amerikas.     Aus   d.   Engl,   von  Karl  Andree.     Leipzig  1840 
Tarde,  La  eriminalite  comparee.     2.  ed.     Paris  1890. 
Taylor  Beadland  siehe  Headland. 

TertuUian.  Ausgewählte  Schriften.     Übers,  von  Heinrich   Kellner.     Kempten  1872. 
Tettau  u.   Temme,  Die  Volkssagen  Ostpreußens. 
Tetzner,  F.,  im  Glob.  70. 
Derselbe,  bei  Brand,  im  Glob.  73. 
Derselbe,  Die  Philippouen  in  Ostpreußen.     Glob.  76. 
Derselbe.  Die  Tschechen  u.  Mährer  in   Schlesien.     Glob.  78. 
Derselbe,     Die     Drahwener     im     Hannoverischen     Weudlande     um     das     Jahr     1700.      Im 

Glob.  81. 
lhalbitzer.    IT..    The   heathen   Priests    of    East    Greenland    (Angakut).     In   Verhandlungen    des 

XVI.    Internationalen    Amerikanisten-Kongresses.      Wien   9.    bis    14.  September    1908. 

2.  Hälfte.     Wien  u.  Leipzig  1910. 
Therese,  Prinzessin  von  Bayern,  Reiseeindrücke  und  Skizzen  aus  Rußland.     1885. 
Theuriet,  Andre,  in  Revue  des  deux  mondes.     Mai  1877. 
Tlterenot,  Relations  de  divers  voyages  eurieux.     Paris  1591   u.   1664. 
Thüenius,  G ,  Alfred  C.   Haddons  Forschungen   auf  den  Inseln  der  Torresstraße  und  in  Neu- 

Guinea.     Glob.  81. 
Derselbe,  im  Glob.  83. 

Derselbe,  A.  Krämers  Werk  ,.Die  Samoa-Inseln.     Glob.  85. 

Thomas,  The  Scape-Goat  in  European  Folk-Lore.     F.-L.     XVII.     London  1906. 
Thomas,  I    W.,  im  Glob.  39. 
Thomas,  Northcote   TT'.,  The  Disposal   of  the  Dead  in  Australia.     In  Folk-Lore.     Vol.  XIX. 

London  1908. 
Thomson,    William  L,  bei  Haberlandt,  M. 
Thorhurn  siehe  Gerland. 

Thulie,  Cräne  deforme  de  negre  Yolof.     In  Verhdlg.  der  Soe.  d'Anthrop.  de  Paris.     1875. 
Thumb,    Albert.    Zur   neugriechischen    Volkskunde.      Ztschr.    d.    Ver.    f.    Volksk.      1.    Jahrg. 

Berlin  1891. 
Thurn  siehe  Im  Thum. 
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D-eichel,  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  XIII.     Berieht  der  Berliner  Anthrop.  Gesellsch. 
Tremearne,  in  Folk-Lore  XXI.     1910. 
Tretik,   Die  Btischleute   der  Nainib,   ihre  Rechts-   und  Familienverhältnisse.     In  Mitteil.   a.   d. 

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Trittes,  H.,   Les  Legendes   des  Bena  Kanioka   et   le  Folk-Lore  Bantu.     Anthrop.   IV.     1909 
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Van  Hasselt  siehe  Hasselt. 

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Veiten,   Carl,  Sitten  und  Gebräuche  der  Suaheii  nebst  einem  Anhang  über  Rechtsgewohnheiten 

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Vernaleken,    Tli.,  .Mythen  und  Bräuche  des  Volkes  in  Österreich.     Wien   1859. 
Vernalehen,  Th„  und  Bromky,  Frz.,  Spiele  und  Reime  der  Kinder  in  Osterreich.     Wien  187:'. 
Vierkandt.  .1..  Naturvölker  und  Kulturvölker.     Leipzig  1896. 

Vierordt,  Die  Sprache  des  Kindes.     In  R.   Fleischers  „Deutsche  Revue'-.     III.     1879. 
Vüleneuve,  Hureau  de,  De  l'aceouchement  dans  la  race  jaune.     Paris  18(12. 
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Derselbe,  in  Ztschr.  für  Ethnol.     II.   1870.     XI.  1879  und  XXIV.  1892. 
Derselbe,  Die  Weddas  von  Ceylon.     Berlin  1881. 
Vogel,  H.    W„  in  Ztschr.  f.  Ethnol.  1875. 
Vogt,    /-'..  in   -Mitt.  d.  Schles.  Ges.  f.  Volkskunde.     I. 
I  bgt,  Friedrich,  Beiträge  zur  deutschen  Volkskunde  aus  älteren  Quellen.     Ebenda.     :!.  Jahrg. 

1893. 
Volland,   Beiträge  zur  Ethnographie  der  Bewohner  von  Armenien  und  Kurdistan.     Im  Archiv 

für  Anthropologie.     Braunschweig  1909.     N.  F.     Bd.   VIII. 
Volmar,  J.,  Us  et  coutumes  d'Estavayer.  Airlines  Snisses  des  Traditious  Populaires.   6""   an) 

■_'">•    livr. 
Voibs,    Wilhelm,   „Beiträge   zur  Anthropologie   u.   Ethnographie  von   Indonesien."     Im  Archiv 

f,   Anthropologie.     Bd.  32.     X.   F.     Bd.  4.     1906. 
Derselbe,    Beiträge   zur  Anthropologie  und  Ethnographie  von  Indonesien.     III.     Zur  Kenntnis 

der   Kulms  in  Südsumatra.     Im  Archiv  für  Anthropologie.     X.   F.,   Bd.  7. 
Von  den  Stehlen  siehe  Steinen. 

mann,  Frau:,  Zur  Psychologie.  Religion,  Soeiologie  und  Geschichte  der  Monumbo-Papua 
Deutsch-Neuguinea.     Anthrop.   V.     1910. 

/,.  II .  Die  Neger  der  Goldküste.     Glob.  89. 
i(    Schlesiens,  in  Bild  und  Schrift.     III.     Breslau  1870. 
VotS,  .!..  Ztschr.   F.   Ethnol.      1881.     XIII.     Bericht  der   Berliner  Anthrop.  Gesellsch. 
Vullers,  Joh.  A.,  Altindische  Geburtshilfe  in  Henschela  Janus  I.     Gießen  18-.6. 


Anhang  II.     Quellenverzeichnis  in  alphabetischer  Ordnung.  905 

TT'.,  S.   v..    Zur   Volkskunde    der  schwedischen   Bauern    im    Mittelalter.      (Nach  Hildebrands 

„Sverijes  medeltid'-  übersetzt.     Glob.  89.     1906. 
Wachsmuth,  Gu/rt,  Das  alte  Griechenlied  im  neuen.     Bonn  1864. 
Wachsmuth,   Wilhelm,  Hellenische  Altertumskunde.     2.  Ausg.     2  Bde.     Halle  1846. 
]\'ahl  siehe  Koran. 
Waitz,  Theodor,  Anthropologie  der  Naturvölker.     Bd.  1—4.     Leipzig  1859—1865.     Bd.  5—6 

herausgeg.  von  Gerland.     1867—1872.     Ebenda. 
Waitz,   Theodor,  Die  Indianer  Nordamerikas.     Leipzig  1865. 
Walbaum,  Ch.  F.,  in  Petersb.  med.  Zeitschr.  III. 

Waldheim,  Siegfried,  Die  alten  Preußen.     In  „Völkersehau'1,  Bd.  2.     München  1902. 
Waller,  H.,  siehe  Livingstone,  The  last  Journals. 

Watter,    C.   L.,    Tortura   infantum;    vom    Wehethun,   so   den  kleinen   Kindern   fälschlich    auf- 
gebürdet wird.     Leipzig  1721. 
Walter,  Ferdinand,  Deutsche  Rechtsgeschichte.     Bonn  1853. 
Walter,  Gregor,  in  Folk-Lore  Journal  Vol.  IV.     London  1886. 
Wanket,    Die   angeblich   trepanierten    Cranien    zu    Sedlec.      In    Mitt.    d.  Wiener    Anthropol. 

Gesellsch.   1879. 
Warneck,  Joh.,  Die  Religion  der  Batak.     Leipzig  1S09. 
Wartmann,  Beitr.   zur   St.  Gallischen  Volksbotauik.     Im  Bericht   über  die  Tätigkeit   der  St. 

Gallischen  Naturw.  Gesellsch.     St.  Gallen  1860. 
Wassmer  und  Joest,  Glob.  49. 
Watt,  George,  im  Glob.  52. 

Watters,   T.,  Some  Corean  Customs  and  Notions,  in  Folk-Lore.     Vol.  VI.     London  1895. 
Weber,   Ferd.,  Wiener  Medicinalhalle.     1864.     Nr.  37  u.  38. 
Wedekind,  Otto,  Land  und  Leute  in  Tahiti,  in  ..Völkerschau".     III. 
Weeks,   John  H.,    Notes  on  some  customs  of  the  Lower  Congo  people.     In   Folk-Lore.   Vol. 

XIX  u.  XX.     London  1908  u.  1909. 
Wehrmann,  Martin,  Von  der  Erziehung  und  Ausbildung  pommerischer  Fürsten  im  Reformations- 
zeitalter.    Archiv  für  Kulturgeschichte.     1.  Bd.     Berlin  1903. 
Wehrmeister,    Cyrillus,   Vor   dem  Sturm.     Eine  Reise   durch  Deutsch-Ostafrika  vor   und   bei 

dem  Aufstande  1905.     St.  Ottilien  1906. 
Weinhold,  Karl,  Die  deutschen  Frauen  im  Mittelalter.     Wien  1851. 

Derselbe,  Weihnaehts-Spiele  und  -Lieder  aus  Süddeutschland  und  Schlesien.     Graz  1853. 
Derselbe,  Altnordisches  Leben.     Berlin  1856. 

Weiß,  Joh.   Bapt    v.,  Weltgeschichte,  3.  verb.  Auflage.     Graz  und  Leipzig  1890. 
Weiß,  Max,  Land  und  Leute  von  Mpororo.     Glob.  91. 
Derselbe,  im  Glob.   97. 

Derselbe,  Die  Völkerstämme  im  Nordeu  Deutsch-Ostafrikas.     Berlin  1910. 
Weißenberg,  S.,  Beiträge  zur  Volkskunde  der  Juden.     Glob.  77.     1900. 
Derselbe,  Kiuderfreud  und  -leid  bei  den  südrussischen  Juden.     Glob.  83. 
Derselbe,  Die  Karäer  der  Krim.     Glob.  84. 
Weißenborn.  J.,  Tierkult,  in  Afrika.     Im  Internationalen  Archiv  f.  Ethnographie.     Bd.  XVII. 

Leiden  1905. 
Welcher,  in  Archiv  f.  Anthrop.     IV.  1870,  V.  1871  u.  X.  1878. 
Welsh,    William,   Report   of  a  visit  to  the  Sioux  and  Ponka  Indians   on  the  Missouri  Kiver. 

July  1872.     Washington  1872. 
Weite  siehe   Wetzer. 
Werne,  Reise  durch  Sennaar  nach  Madera,  Nasub,  Cheli  im  Lande  zwischen  dem  blauen  Nil 

und  dem  Atbara.     Berlin  1852. 
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Westergaard,  Harald,  Die  Lehre  von  der  Mortalität  und  Morbilität.     Jena  1881. 
Westermarck,  Edward,  In  Kolk-Lore  XVI. 
Derselbe,   The  Populär  Ritual   of  the   Great  Feast   in  Marocco.     In  Folk-Lore.     Vol.  XXII. 

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Wetzstein,  J.  G.,  Reisen  in  den  Trachonen  und  um  das  Haurangebirge.     Berlin  1864. 
Weule,    Karl,    Negerleben    in    Ostafrika.     Ergebnisse     einer    ethnologischen    Forschungsreise. 

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Wied,  Prinz  zu,  Reise  nach  Brasilien  in  den  Jahren  1815  u.  1817.    2  Bde.   Frankfurt  a.  M.  1821. 
Wieser,  Franz  R.  v.,  Die  Karten  von  Amerika  in  dem  Islario  General  des  Alonso  de  Santa 

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Wilde,   W.  R.,  Irish  populär  superstitions.    Dublin. 
Wilhelmi,  Manners  and  Customs.     Melbourne  1862. 
Wilhelmi,   „Aus  allen  Welttheilen".     I.  Jahrg.     1870. 


•906  Anhang  II.     Quellenverzeichnis  in  alphabetischer  Ordnung. 

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Wilken,  A.  H  .  Uver  de  primitieve  vormen  van  het  huwelyk  en  den  vorsprong  van  het  gezin 

..De  indische  Gilde".     Amsterdam  1881. 
11  ilken,  0.   A..  siehe  Schult heiss. 
Wilkinson  siehe  Rawlinson,  Henry. 
Wilkinson-Birch,    The    Manners   and   Customs    of   the   Ancient    Egyptiaus.     N.  Ed.      3  Bde. 

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der,  Hugo,  siehe  Hammurabi. 
Windel,  in  Ilenkes  Ztschr.  f.  Staatsarzneikunde.     1836.     31.  Bd. 
Windischmann,  Abh.  d.  philos.  Ol.  d.  bayr.  Ak.  d.  YViss.     VIII.     1858. 
Windsor,  The  native  races  of  the  Indian  Archipelago.     London  1853. 
U  inkler,     Heinrich,    Das    Baskische    und    der     vorderasiatisch-mittelländische    Völker-    und 

Kulturkreis.     Breslau  1909. 
Winter,  A.  C.  Esthische  und  lettische  Waisenlieder.     Übersetzt.     Glob.  70. 
Derselbe.  Lettische  Totenklagen,  im  Glob.  82. 
Derselbe,  Totenklagen  der  Bussen.    Nach  der  Moskauer  Ethnogr.  Rundschau.   Bd.  35  u.  38. 

Glob.  85. 
Winterbottom,  Nachrichten  von  der  Sierra-Leone-Küste.     Weimar  lSn."). 
Wintemitz,   M..  Zur  Geschichte  der  Ehe.     Glob.  60. 
Winthuis,  -Ins.,  Die  Bildersprache  des  Nordoststammes  der  Gazelle-Halbinsel.    Im   Anthropos. 

Bd.  IV.     Salzburg  1901». 
Winwood  siehe  Rende  Winwood. 

II' islit  i  nus,   Paul,  in  0.  T.  Kuppius'  Sonntagsblatt.     Berlin  1877.     Nr.  9. 
Witzschel,  Sagen   aus  Thüringen.  •■ 

Wlislocki,  H.  f.,  Gebräuche  der  transsylvanischen  Zeltzigeuner.     Im  Glob.  51. 
Derselbe,   Die   Stamm-   und  Familienverhältnisse    der   transsylvanischen   Zeltzigeuner.      1888. 

Im  Glob.  53. 
Derselbe,  Festgebräuche  der  transsylvanischen  Zeltzigeuner.     Glob.  f>4. 
Wöste,  F..  Einderspiele  in  Westfalen,  im  Jahrb.  des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung. 

Jahrg.    1877. 
Woldrich,  N'aturhist.  Aberglaube  in  Nordungaru.     Im  „Lotos"   1862.     XII. 
Wolf,   Josef.   Aus   dem  Privatleben   der   alten  Ägypter.     In  „Natur  und  Kultur".     5.  Jahrg. 

München  190S. 
Wolf,  J.    W.,  Niederländische  Sageu.     Leipzig  1843. 
Wolfsteiner,   J.,   in  Bavaria,  Landes-  und  Volkskunde  des  Königr.  Baiern.     1.  Bd.     Manchen 

1860. 
Derselbe,  Volksmedietn  in  Oberbaiern.     In  Bavaria.     II.  Bd. 
Woltereck,   K.,  Aus  dem   Leben  eines  Sioux-Indianers.     Glob.  98. 
Derselbe,   Indianer  von  heute.     Ebenda. 
Wood,  The  natural  history  of  man.     London   1875. 
Wood,     William,    New   Englands   Prospect.      London    1634.      (Auszug   davon   in    Schoolcrafh 

Oneöta.  i 
Wnodville  siehe  Rorkltill    Woodville. 
Woodworth  siehe  Cozzens. 

Wright,  A.   R.,  Some  Chinese  Folklore.     In  Folk-Lore  Vol.  XIV.     London   1903. 
Wright,    Thomas,    The  Homes  of  other  Days.     London  1871.  —  Ausland  1874. 
Wandt,    Willi..   Völkerpsychologie.     Leipzig  1906. 
Wustermann,   Rudolf,   Von  einigen  Tieren  und  Pflanzen  bei  Dürer.     In  Ztschr.  für  bildeude 

Kunst.     46.  Jahrg.      Leipzig   1911. 
Wutfke,  Adolf.  Gesch.  des  Heidentums.     Breslau  1852 — 1853. 
II  uttke,  Der  deutsche  Volksaberglaube  der  Gegenwart.     2.  Aufl.     Berlin  1869. 
Wyatt,    W.   bei  Schmidt.    II".,  Die  soziologischen  Verhältnisse  der  südostaustralischen  Stämme. 

Glob.  97. 

ler   Mission.     Magazin  1836. 
7.  in  County  Folk-Lore.     II. 

'/.  chariae,     Theodor    (nach    Baker).       In    Ztschr.     d.    Ver.     f.    Volksk.      Bd.     12.      Berlin 

Zacher,   K.,  Glob.   17.     1877. 

Zappert.  O.,  Über   das  Badewesen   mittelalterlicher   und   spaterer  Zeit.     Im  Archiv    f.   Kunde 
Österreich.  Geschiohtsquellen.    21.  Bd.     Wien  1859. 


Anhang  II.     Quelleuverzeichnis  in  alphabetischer  Ordnung.  907 

Zehetmayr,  Seb.,  Analogisch  vergleichendes  Wörterbuch  über  das  Gesamtgebiet  der  indo- 
germanischen Sprachen.     Leipzig  1879. 

Zcller,  Über  Ursprung  und  "Wesen  der  Religionen.  In  dessen  „Vorträge  und  Abhandlungen". 
Bd.  II.     Leipzig  1877. 

Zenker,  O.,  Yaunde.     In  „Mitteil.  a.  d.  Deutsch.  Schutzgeb."  7. 

Ziegler,  Joh.,  Gymnas.-Progr.     Schäßburg  1877. 

Ziemann,  Hans,  Zur  Tätowierung  der  Donga  in  Kamerun.     Glob.  82. 

Zimmer,  F.,  Volkstümliche  Spiellieder  und  Kinderspiele  für  Schule  und  Haus.  Quedlinburg 
1879. 

Zimmer,  II.,  Altdeutsches  Leben.     Berlin  1879. 

Zingerle,  lanaz,  Sitten,  Bräuche  und  Meinungen  des  Tiroler  Volkes.    2.  Aufl.     Innsbruck  1871. 

Derselbe,  Das  deutsche  Kinderspiel  im  Mittelalter.     2.  Aufl.     Innsbruck  1873. 

Zitelmann,  Katharina,  Indien.     Leipzig  1905. 

Zöller,  Hugo,  Das  Togolaud  und  die  Sklavenküste.     Berlin  1885. 

Zuchelli,  P.  Antonio,  Relazioni  del  Viaggio  e  Missione  di  Congo.  Venezia  1712.  D.  übersetz. 
Missions-   und  Reisebesehr.  nach  Congo.  1715. 

Zuckerk  null,  Cranien  der  Xovara-Sainmlung.  Iu  Reise  der  österr.  Fregatte  Novara.  Authropol. 
Teil.     I.  Abt.     Wien  1875. 

Zündel,  in   Ztschr.   d.   Gesellseh.   f.   Erdkunde  zu   Berlin.     XII.      1877. 

Züricher.  G..  und  Reinhard,  M.,  Allerhand  Aberglauben  aus  dem  Kanton  Bern.  „Schweizerisches 
Archiv  f.   Volkskunde"     8.  Jahrg.     Zürich   1904. 


Anhang  III. 

Alphabetisches  Völkerverzeichiiis. 

Abchasen  (Asega).     Ein  Zweig  der  westliehen  Kaukasusvölker. 

Abessinier.    Ein  Mischvolk  aus  Negern,  Arabern  u.  Ägypto-Libyern.    Semitische  Sprache  i-t 

vorherrschend.     Ostafrika. 
Abiponer.     Jetzt  ausgestorben;  gehörten  der  Indianergruppe  der  Guaikuru  in  Brasilien  und 

Paraguay  an. 
All  miralitäts-  Insulaner.     Melanesien     Bismarck- Archipel.     Deutsche  Südsee. 
Aetas  (Ajitas).     Auf  den  Philippinen.     Siehe  Xegritos. 
Ägypter  (alte).     Hamitische  SprachenfamUie. 
Äthiopier.  Ursprünglich  ein  Kullektivname  für  alle  Schwarzen,  bei  Homer  noch  im  entferntesten 

Osten  und  im  entferntesten  Westen  wohnend.    Auch  Herodot  dachte  sich  noch  Äthiopier 

in  Asien,  während  er  die  libyschen  Äthiopier  in  das  östliche  Afrika,  aufwärts  von 

Elephantine  versetzte. 
Afghanen.     Ein  Zweig  der  iranischen  bzw.  indo-etfropäischen  Volker. 
Agome- Keger.     Bewohner  der  Gebirgslandschaft  Agome  in  Deutsch-Togo. 
Aguitequedichayas.      Indianerstamm  in   Paraguay.      (Ignace.) 
Ajitas  siehe  Aetas. 
Ai mores  siehe  Botokuden. 

Ainos.    Ein  Zweig  der  Hyperboräer  auf  der  Insel  Jesso  (Esso)  u.  im  südlichen  Sachalin. 
Akik  (Akit).     Wahrscheinlich  eine  Mischung  von  Somang.-  mit  .l.ikuns.     (M.  Mozzkouvki.) 

Gehören  zu  den  kulturell  tiefst  stehenden  Völkern  der  Gegenwart.    Sumatra.    Malayisch- 

polynesische  Sprachenfamilie.     Siehe  Sakeis. 
Akikuyu  siehe  Wakikuyu  und   Kikuyu. 
Akkader  siehe  Sumero- Ak  ader. 

Albanesen.     Ein  Zweig  der  Indo-Europäer  in  der  Türkei,   in  Griechenland  und  Süditalien. 
Aleuten.    Ein  hyperboraiscb.es  Volk  auf  den  Inseln  gleichen  Namens  zwischen   Kamtschatka 

und  Alaska.     Powell  rechnet  die  Aleuten  zu  den  Eskimos. 
Alfuren  (Harafura).    1.  Mischlinge  von  Malayen-  und  Papuablut  auf  Celebes.    2.  Affuren 

oderWuka  im  Hinterland  desMap-Cluer-t  iolfes.  Holländisch -Xeuguinca.  von  Max  Krieger 

zur  Papua-Kasse  gerechnet. 
Algonkin-  Indianer.   Eine  Volkerfamilie,  deren  Zweige  früher  das  weite  i  lebiel  von  Labrador 

bis  zti  den  Felsengebirgen  und  von  der  Hudsonsbai  bis  Nord-Karolina  beherrschten. 

Die  Algonkin  im  engeren  Sinn,   die  Kris  (Crees),  OjibwS  (Chippewa),  die  Sacs, 

Delaware    (Lenni   Lenape),   Schani    (Shawnee)  u.  a.,  teils   in  Kanada,    teils    in 

den  Vereinigten  Staaten  noch  lebend,  gehören  hierher. 
Amahuacas.     Indianer  im  Bergland  der  peruanischen  Ostgrenze. 
A  märin.      Ein  arabischer   Stamm  im  nordwestlichen  Arabien. 
Amazulu  siehe  Sulu. 

Amis.     Ein  sogenannter  wilder  Stamm  auf  Formosa.     (W.  Müller.) 
Amuesha.     Indianerstamm  im  Bergland  der  peruanischen  Ostgrenze. 
Andamanesen  (Minkopi).     Im  bengalischen  Meerbusen.     Sprachlich  von  den  Papuas  und 

Australiern  sehr  verschieden,  aber  somatisch  mit  ihnen  verwandt.     Scobel  erwähnt  Bii 

unter  den  insularen  Zwergstämmen. 
An:  i  ii  dies.      Ein   Stamm   am   Murchison    River,   westliches   Australien. 
Anna  initen.  Volk  mit  isolierender  Sprache  im  Osten  der  hinterindischen  Halbinsel,  in  Tongkin 

und  Cbchinchina.     Chinesisch  ist  Schrift-  und  Gelehrlcnsprache.     iSeolnl.) 
Antankarana.     Schwarze,  kraushaarige  Eingeborne  von  Madagaskar. 
Anula.    Einer  der  nördlichen  Stamme  von  Central-Australien. 

An  Xagas.    Ein  seßhaftes  Gebirgsvolk  in  Assam,  jetzt  unter  englischer  Herrschaft.  (M.  .1/"/;.; 
id  die    Lo   Nagas  ein  Zweig  der  Lobita-Völker,   geh n   also   zu   den 

Völkern  mit   isolierenden  Sprachen. 
Apatschen.    Südlicher  Zweig  der  Athabasken  oder  1)  en  e.   Von  Zentral-Tezas  bis  fast  zun» 
irado  Etivei   in  Arizona. 


Anhang  III.     Alphabetisches  Völkerverzeichnis.  909 

.Araber.  Ein  südlicher  Zweig  der  Semiten.  Arabische  Halbinsel,  Syrien,  Mesopotamien,  nörd- 
liches und  östliches  Afrika. 

Aranda  siehe  Arunta. 

Araukaner.  Nennen  sich  selbst  Moluche,  d.  h.  Krieger.  Bewohnten  vor  der  spanischen  Er- 
oberung Chile,  wo  sie  jetzt  nur  noch  den  südlichen  Teil  einnehmen. 

Arawäk  (Arhuacos)  siehe  Arrawak. 

Arier  siehe  Indo-Europäer. 

Arktische  Völker  siehe  H yperboräer. 

Armenier.     Ein  westlicher  Zweig  der  Indo-  Europäer. 

Arrawak.  Indianer  in  Surinam,  Niederländisch-Guayana.  Zweige  der  weit  verbreiteten 
Xu- Aruak-(Aroak-  oder  Maipure-)Stämme,  die  von  der  Nordküste  (durch  das 
zentrale  Südamerika  am  Ostabhange  der  Andes)  bis  nach  Bolivia  reichen.  Auch  am 
oberen  Paraguay  in  Zentral-Brasilien  wohnen  einige  Stämme.  Zur  Zeit  der  spanischen 
Eroberung  beherrschten  sie  die  ganze  Nord-  und  Nordostküste  von  Südamerika.  Siehe  auch 
Goajiros. 

Aru-  Insulaner.      Vorherrschend  Negritos.      Südöstliche  Gruppe  der  kleinen  Sunda-Inseln. 

Arunta.     Einer  der  nördlichen  Stämme  von  Zentral-Australien. 

Asande   (Azande)   siehe   Njam-Njam. 

Aschanti.    Sudanneger  im  Hinterland  der  Goldküste.     Nordwestafrika. 

Assinneboines.     Em  Sioux-Stamm.     Nordamerika. 

Assyro-  Babylonier.     Nördliche  Zweige  der  semitischen  Völker  in  Mesopotamien. 

Ataiyal.    Em  sogenannter  wilder  Volksstamm  auf  Formosa.     (W.  Müller.) 

Athabasken  oder  Tinneh,  siehe  diese. 

Atjinesen.  Eingeborne  (Malayen)  von  Atjeh,  Atjih,  Atchin,  Atschin.  Gouvernement 
von  Niederländisch-Ostindien  im  nördlichsten  Teil  der  hinterindischen  Insel  Sumatra. 

Auin.      Buselileute   der   Kalahari-Wüste,   Deutsch-Südwestafrika.      Siehe   Buschmänner. 

Australier  siehe  malayisch-polynesische  Völker. 

Avaren.  Ein  den  Hunnen  verwandtes  Volk  türkischen  Stammes,  also  der  ural-altaischen 
Völkerfamilie  angehörig.  Die  Avaren  saßen  früher  nördlich  vom  Kaukasus,  drangen  im 
6.  Jahrhundert  bis  an  die  Donau,  im  7.  bis  nach  Thüringen  und  Italien  vor. 

Aymara.  Einer  der  sechs  Stämme  der  Kitschua  (Quichua,  Quetschua)  in  Bolivia.  Vgl. 
Kitsch.ua  und  Inkaperuaner. 

Azande  siehe  Asande. 

Azteken.  Hauptstamm  der  mexikanischen  oder  Nahua-Völkergruppe,  deren  Vasallenreich 
sich  beim  Einfall  der  Spanier  von  Meer  zu  Meer  erstreckte.     (Scobel.J 

Babylonier  siehe  Assyro- Babylonier. 

Bachtijäri.  Persisch-kurdisches  Mischvolk,  oder,  wie  andere  wollen,  reine  Kurden  in  den 
persischen  Provinzen  Luristan  und   Chusistan, 

Backwiri.     Neger  an  den  südlichen  und  südöstlichen  Abhängen  des  Kamerungebirges. 

Badagar  (Badagas).  Ausgewanderte  Kanaresen  (also  ein  Dravida-Volk),  in  den  Nilgiri- 
Bergen  des  südlichen  Vorderindien. 

Bafiote  (oder  Kabinda).     Neger  an  der  Loango-Küste. 

Bahima  siehe  Wahima. 

Bajaka.     Neger-Völker  im  französischen  Kongo  und  im  westlichen  Kongostaat. 

Bairu.  Eingeborene  in  Kiziba  (Kisiba),  Landschaft  am  Westufer  des  Viktoria-Nyanza,  Deutsch- 
Ostafrika.      (Hermann  Rehse.) 

Bakairi.     Ein  Zweig  der  Karaiben  im  Quellgebiet  des  Schingu,  Brasilien. 

Baktrer.     Ein  ackerbauendes  Volk  des  Altertums  im  nördlichen  Afghanistan. 

Bakulia.     Neger  im  nördlichen  Deutsch-Ostafrika.      (M.    Weiss.) 

Bakundu.     Negervolk  im  nordwestlichen  Kamerun. 

Bakwiri  siehe  Backwiri. 

Balemba.     Bantuneger  in  Transvaal. 

Bamangwato.     Bantu-Neger  in  Südafrika. 

Bambara.     Sudanneger  am  oberen  Senegal  und  Niger. 

Bantu-Völker.  Die  Bantu-Völker  (Neger)  im  mittleren  und  südlichen  Afrika  bilden  den 
Sudannegern  gegi-nüber  ein  sprachlich  wühl  geschlossenes  Ganzes;  alle  (16S)Bantusprachen 
sind  miteinander  im  grammatischen  Bau  und  in  den  Wortwurzehi  nahe  verwandt.  Sie 
lassen  sich  in  drei  Hauptgruppen  teilen,  die  östlichen,  zentralen  und  westlichen. 
(Scobel.) 

Barmanen  (Burmanen,  Birmanen).  Volk  mit  isolierender  Sprache  im  Westen  der  hinter- 
indischen  Halbinsel. 

Barutse  siehe  Barotse  und  Marutse. 

Basari  (Bassari).     Neger  im  Innern  von  Deutsch-Togo. 

Baschkiren.     Ein  turk-tatarisches  Volk  an  der  unteren  Wolga,  südöstliches  Rußland. 

Basiba  siehe  Wasiba. 


910  Anhang  III.     Alphabetisches   Völkerverzeiehnis. 

Ba    ken  (Iberer).    Ein  Volk  im  nördlichen  Spanien  und  südwestlichsten  Frankreich,  deren  lin- 
bisehe  Verwandtschaft   in  neuester  Zeit  Heinrich   Winkler  gelöst  zu  haben  seheint. 

Nach   Winkler  gehört  das  Baskische  den  nord-  und  südkaukasischen  .Sprachen  an. 

1 11  siehe  Basari. 
Basuto.   Zweige  der  Betschuanen  in  Britisch-Südafrika.    Gehören  also,  wie  diese,  den  Kaffern 

und  mit  diesen  den  zentralen  Bantu  an. 
Batak(  ker)  (Battas).  Früher  a  uf  der  Nordwest  half  te  von  Sumatra,  dann  nach  der  Umgebung 

d<      Toba-  Sees  im   Innern    verdrängt.      Gehören  anthropologisch  zur  braunen   oder 

in  .l.iyischen  Rasse,  die  mit  der  mongolischen  nahe  verwandt  und  aus  ihr  hervor- 
gegangen ist,  sprachlich  zur  westliehen  Abteilung  der  mala yisch-pol yncsischen 

Völker. 
Batanga,  Batonga  (Matoka),  Batoka.    Negerin  Britisch-Südafrika,  zwischen  dem  oberen 

Sambesi  und  dem  Kafue. 
Battak  siehe  Batak. 
Bautschi  siehe  Bolo- Bolo. 

I'.;i\  ili.     Neger  an  der  Loango-Küste,  Westafrika. 
Bayaga  siehe  Bajaka. 
Bedja  siehe  Bischarin. 
Beduinen,  arabische,  siehe  Araber. 

Beh.     Neger  des  Ortes  gleichen  Namens  an  der  Sklavenküste. 
Belendas.     Volk  auf  Malakka. 

Bena  Kanioka.     Bantu-Neger  im  belgischen  Kongo.     (Trilles.) 
Beräbir  siehe  Breber. 

Berber.     Zweige  der  hamitischen  Völkerfamilie,  nördliches  Afrika. 
Bergdamara.      Deutsch-Südwest afrika.      Werden    mit   Unrecht    Klippkaffern     genannt,     da 

sie  keine  Kaffern  sind,  ihre  ethnographische  Stellung  ist  noch  unbekannt.     Sie  selbst 

nennen  sich  „Haukoin",  d.  h.  Menschen  (Glob.  96,  170ff.). 
Betschuanen  siehe  Kaffer. 

Bicols.     Ein  malayisch-indonesisches  Misohvolk  auf  den  Philippinen. 
Binbinga.     Einer  der  nördlichen  Stämme  von  Zentral-Australien. 
Birmanen  siehe  Barmanen  und  Burmanen. 
Bischarin  (oder  Bedja).     Ein  äthiopischer  Zweig  der  hamitischen  Völker  im  Land  El  Bedja, 

von  Abessinien  nördlich  bis  zum  24°  nördl.  Breite  und  östlich  vom  Nil.     Somalisch  ein 

berberisch-negrisches  Mischvolk. 
Boeroe  siehe  Buru. 

Bogan.     Ein  Stamm  am  Darling-Fluß,  südliches  Australien. 
Bojken.     Ein  ruthenischer  Volksstamm. 
Bolo'- Bolo  oder  Bautschi -Neger.     In   Nigeria. 
Bombe.     Ein  Zweig  der  Njam  -  Njam.     Siehe  diese. 
Bondo.     Neger  im  südlichen  Kongo-Staat. 
Bongo.     Zwei   Negervölker,    von    denen    das    eine    im   Britischen   Ostafrika,    das  andere   im 

KniiL'osfciat  ist. 
Bororö.     Ein  Volk  im  Innern  von  Südamerika,  zwischen  dem  oberen  Paraguay  und  Parana, 

in   Goyaz   und   Matto   Grosso   (Brasilien).      Sprachenverwandtsehaft    noch  ungenügend 

bekannt. 
Botokuden  (oder  Aimores).     Ein  Zweig  der  Ges.     Östliches  Brasilien. 
Brabanter.     Vlämisches  Belgien.     Der  Mundart   nach  hochdeutsch,  und  zwar  oiederloth- 

ringiseh. 
Breber  (Beräbir).     Ein  Berberstamm  in  Zentral-Marokko. 
Bubis.      Neger  auf  der  Insel    Fernando   Pöo.      Afrikanische    Westküste. 

Bugis.     Ziemlich  reinblütige  Indonesier  im  südöstlichen  Celebes. 

Bulgaren.      Ursprünglich  ein  Zweig  der   l  'ral-Altaien,  jetzi   slawisiert. 

Bunjoro  siehe  Wahuma. 

Burjaten.     Ein  mongolisches  \'<ilk  im  südlichen  Irkutsk,  um  den  Baikalsei',  zwischen  Ix^na 

und   sibirischer  Südgrenze,   und   zwischen   Omni  und   Oka. 
Buru-  Insulaner.      Malaven   einer  Molukkeiiinsel   gleichen   Namens. 
Buru  len.     Chinesische    Benennung  der   Karakirgisen. 
Bu   chmänner.     [hre  ethnographische  Stellung  ist   noch  unsicher.      Sie  nennen  sich  selbst 

Sau    (Sing.    Sagua).      Früher   weiter    verbreitet,   sind    sie   jetzt    in   die   ödesten   Teile  der 
Kala  hirsleppe.   Südafrika,    verdrängt.      (Scobd.)      Vgl.   Auin   und   Namib. 
Buschongo.     Negervolk  im  südlichen   Kongobecken.     (Torday.) 

<  achibos.     Indianer  im  Bergland  der  peruanischen  Ostgrenze. 

Cadiocos  (Caduveos,  Kadiueo).     Ein  Guaicuru-Stamm  im  südwestlichen  Brasilien. 

Cain '     iehe   K  a  i  nga  ng. 

i    i  in  pa  .     Indianer  in   Peru,  am  Ucayali. 
Can e  la      iehe  '  !a  piek ra  as.  * 


Anhang  Il[.     Alphabetisches  Völkerverzeichnis.  9JJ 

Capanahuas.     Indianer  im  Bergland  der  peruanischen  Ostgrenze. 

Capiekrans.     Ein  Zweig  der  Timbiras-  oder  Gesvölker  im  .Staat  Maranhao  in  Brasilien, 

nahe  der  Sierra  dos  Canelas.      (Etienne  Ignace.J 
Caraya  (Caraja,  Karaja).     Brasilianische  Indianer  am  Xingu  und  Araguay. 
Carrier.     Ein  Zweig  der  Dene-Indianer.     Nordamerika.     (P.  Morice.) 
Ceram  -  Insulaner.     Bewohner  der  Insel  gleichen  Namens  in  Xicderländisch-Indien.    Einge- 

borne:  Alfaren. 
Chacobo.     Der  südhehste  Zweig  der  Pano-Stämme.     Südamerika. 
Chalcha  -  Mongolen.     Im  Norden  der  Wüste  Gobi;  gehören  sprachheh  zur  ural-altaischen 

Völkerfamihe. 
Chamorro.     Bewohner  der  Marianen-Inseln.     Mikronesiscke  Rasse.     Durch  die  Spanier  fast 

ganz  vernichtet.    Die  überlebenden  vermischten  sieh  mit  ihren  Nachbarn,  den  Tagalen 

auf  den  Philippinen. 
Chavantes.     Ein  Zweig  der  Ges  in  Brasilien. 
(  he  yennes.     Indianer  in  Dakota. 
Chibchas  siehe  Tschibtschas. 
Chinesen.     Körperheh  ein  Mischvolk  aus  Zentralasiaten  und  Indonesiern,  sprachlich  zu  der 

Völkergruppe  mit  isolierenden  Sprachen  gehörig. 
Chippewa(e).     Ein  Zweig  der  Algonkin -Indianer.     Nordamerika. 
Choctaws  siehe  Tsehokta. 
Churrues.     Indianer  in  Columbia. 
Cimbern  (Kimbrer).    Ein  germanisches  Volk,  dessen  ältest  bekannter  Wohnsitz  das  heutige 

Jütland  (Dänemark)  war. 
Cirkassier  siehe  Tscherkessen. 
Comanches  (oder  Ne-unre).     Ein  mit  den  Utah  und  Shoshonen  oder  Schlangenindianern, 

also  auch  mit  den  mexikanischen  Sonoravölkern  und  den  Azteken  verwandter  Indianer- 
stamm. 
Conibos  (Cunibos).     Ein  Zweig  der  kriegerischen  und  meist  kannibalischen   Pano,   in  Peru 

am  Ueayali-Fluß. 
Cora.     Indianer  in  der  mexikanischen  Sierra  Madre  Occidental. 
Coroädos,  d.   h.   ..Gekrönte",   nach  ihrem  kranzförmig  geschnittenen  Kopfhaar  so   benannt. 

Indianer  im  südöstuchen  Brasilien,  Rio  Grande  do  Sul  und  Santa  Catharina.     (Auch 

als  Puri  werden  sie  bezeichnet.) 
Cree  (Crih)  siehe  Kris  und  Algonkin. 
Culinos.     Indianer  an  der  Grenze  des  nordöstlichen  Peru,  am  Rio  Javari,  einem  südliehen 

Zufluß  des  Amazonas. 
Cunibos  siehe  Conibos. 

Dahomeer.    Neger  in  dem  früher  mächtigen  Reich  Dahome,  nordwestliche  Küste  von  Afrika. 
Dajaken.      Ziemlich   unvermischte   Vertreter   der   reinen   indonesischen   Rasse   im   Innern 

von  Borneo.     Linguistisch  gehören  die  D.  zu  den  malayisch-polynesischen  Völkern. 
Dakota  siehe  Sinus. 
Damara  siehe  Herero. 
Danigala  -  Weddas.     Volk  auf  Ceylon. 

Dauris.     Ein  Volk  im  persisch-indischen  Grenzgebiet.     (H.  A.  Böse.) 
Dene  siehe  Tinneh. 

Dieri.     Ein  Stamm  am  Eyre  See  in  Süd-Australien. 
Dinka.     Ostsudanneger  im  oberen  Nilgebiet. 
Djolof  (Wolof ,  Yolof).    Sudanneger  zwischen  Senegal  und  Gambia,  französisches  Nordwest» 

afrika. 
Dongolawi.     Nubier  zu  beiden  Seiten  des  oberen  Nil,  also  in  Nubien. 
Dravida.     Nichtarische  Völker  der  vorder-indischen  Halbmsel  und  der  Insel  Ceylon. 
Drawehner.     Slawen  im  hannoverschen  Wendland. 
Drusen.     Ein  semitisches  Bergvolk  des  Libanon. 
Dsungaren.     Em  Zweig  der  Westmongolen  in  der  Dsungarei. 
Dualla.     Neger  in  Kamerun. 

Efe,.     Ein  den  Akka  sehr  ähnliches  mittelafrikanisches  Zwergvolk.     (Scobel.) 

Erular  siehe  Irular. 

Eskimos.  Arktisehe  (hyperboräiseke)  Küstenvölker.  Man  unterscheidet  Eskimos  von  Grön- 
land und  Labrador,  mittlere  Eskimos,  Alaska-Eskimos,  eine  aleutische  und  eine  asiatische 
Gruppe,     (Scobel.) 

Esten  (Esthen).  Ein  Zweig  der  Finnen  oder  Tschuden.  also  zur  ural-altaischen  Volker- 
familie gehörig.  In  Esthland  und  den  westlich  vorliegenden  Inseln,  im  nördlichen 
Livland  und  Teilen  von  Pskow,  Petersburg  und  Witebsk.     (Scobel.) 

Etas  siehe  Attas. 


912  Anharjg  III.     Alphabetisches  Völkerverzeichnis. 

Ewe.  Negerstämme  zwischen  den  Flüssen  Volta  und  Ogun,  also  in  Togo,  dessen  Haupt- 
bevölkerung aus  Ewe  besteht,  und  landeinwärts  in  Dahome.  Der  Ewe-Stamm  Efik 
befindet  sich  in  Calabar. 

Falaschas.    Vortalmudische  Juden  in  Abessinien.    Sollen  Nachkommen  der  Samaritaner  sein. 
Fan.     Ein  kriegerischer  Stamm  im  französischen  Kongo,  der  sprachlich  zu  den  Bantu  gehört. 

in  manchen  Gebräuchen  aber  an  die  Njam-Njam  erinnert. 
Fanti.     Sudaimeger  an  der  Goldküste.     Nordwestafrika. 
Fellachen  siehe  Fellah. 

Fellah  (Fellachen).     Nachkommen  der  alten  Ägypter. 
Fellata  (Fellani)  siehe  Fulbe. 
Fidschi   (Vit i)-Insulaner.     Eingeborne   der   Inseln   gleichen   Namens   in   Britisch-Ozeann  n. 

Mischlinge  mit  nielanesisch-polynesischem  Blut. 
Finnen  (Tschuden).     Zweige  der  Ural  -  Altaien.     Siehe  diese. 
Fjort.     Neger  im  französischen  Kongo. 
Flachkopf  -  Indianer  (Flathead)  siehe  Tschinuk. 
Fula  siehe  Fulbe. 
Fulbin  (Fellani,  Fellata,  Sing.  Pulo).    Em  Mischvolk  im  nordwestlichen  Afrika,  das  sich 

sprachlich  der  hemitischen  Völkergruppe  nähert.     (Scobel.)     Sic  sind  die  hellsehende 

Rasse  in  den  Haussa  -  Staaten  und  in  Adamaua;  ferner  leben  viele  in  Bornu,  Bagirmi 

und  Wadai. 

Galen.     Ein  Zweig  der  Kelten.     Siehe  diese. 

Galla.     Ostafrika.     Ein  Mischvolk,  sprachlich  zur  hamitischen  Völkerfamilie  gehörig. 

Gauchos.     Argentinien.     Mischlinge  zwischen  Weißen  und  Indianern. 

Georgier.     Ein  westliches  Kaukasusvolk. 

Ger  manische  Völker.  Sie  teilen  sieh  in  Nord-  und  Südgermanen.  Zu  jenen  gehören  die 
Isländer,  Norweger,  Schweden  und  Dänen;  zu  den  Südgermanen  die  Deutschen, 
Friesen  und  Engländer.     Vgl.  Indo  -  Europäer. 

Gethen  (Geten,  lat.  Getae).  Von  J  Grimm  und  andern  mit  den  Goten  identifiziert,  nach 
neueren  Forschungen  aber  ein  Zweig  der  thrazischen  Völkergruppe,  also  immerhin 
ein  Zweig  der  Indo-Europäer.  Zu  Herodots  Zeit  lebten  sie  zwischen  Balkan  und  der 
unteren  Donau. 

Gilbert- Insulaner.     Mikronesier.     Südsee. 

Giljakon.  Ein  sog.  hyperboräisches  oder  arktisches  Volk  am  unteren  Amur  und  im  nördlichen 
Sachalin.     Asiatische  Nordostküste. 

Goajiros.  Nomadische  Indianer  auf  der  Halbinsel  Goajira;  nördlichstes  Colombia.  Zweig 
der  Nu  -  Aruak  (Arrawak  oder  Maipure). 

Golah.     Neger  in  Liberia,  afrikanische  Nordwestküste.     (Jean  Marie  Ceston.) 

Golden.     Ein  Tungusenstamm  am  unteren  Amur. 

Goldküstcn  -  Neger.  Am  Küstengebiet  zwischen  der  Elfenbein-(Zalm)-Küste  und  der  Sklaven- 
küste.    Oberguinea.     Nordwestliches  Afrika. 

Gonds  (Gonda).     Ein  Dravida-Zweig  in  den  Zentralprovinzen  des  südliehen  Vorderindien. 

Grönländer  siehe  Eskimos. 

<  rrusi  siehe  (Jeorgier. 

Guajajaras.     Indianer  im  nordöstlichen  Brasilien. 

Guaikuru.    Eine  Gruppe  von  Indianervölkern  im  Gran  Chaco  und  westliehen  Matto-Groaso, 

als rdöstl.    Argentinien,    nördl.    nordwestliches  Paraguay    und    westlich-zentrales 

Brasilien. 

Guanas.     Ein  Zweig  der  Nu-aruak  am  oberen  Paraguay.     Südamerika. 

Guanchen.  Wahrscheinlich  ein  Berberzweig.  Lebten  zur  Zeit  der  Entdeckung  auf  den  Kana- 
rischen Inseln,  wurden  aber  von  den  Spaniern   bald   vernichtet.      (Scobel.J 

Guarani  siehe  Tupi  -  Guarani. 

Guarayas.     Indianer  in  Bolivia.     Südamerika. 

t  :11a  yiui  ii  siehe  < !  uaikuru. 

Hakka.     Mongolen  in  der  chinesischen  Provinz  Kwang-tung. 

Samiten.  [hre  Sprachen  sind  mit  den  semitisohen  Sprachen  verwandt.  Man  unterscheidet 
drei  hamitische  Völkerzweige:  den  altägyptischen,  den  berberischen  und  den 
äthiopischen.  Die  alten  Ägypter,  Garamanten  und  L\!>ier.  die  heutigen  Herber 
bzw.  Kabylen,  die  Guantschen,  KTnbier,  Bischarin,  Falasoha,  Galla,  Somal,  Massai,  Njam- 
Njam,   Fulbe  und  andere  gehören   hierher. 

1 1 ..  i ..  1 1 .     Bevölkerung  der  Landschaft  Harar  in  Abeesinien,    Das  Har(r)ari  ist  ein  Zweig  dei 
Hl ischen  Sprachen. 

Hau   -i.     Neger  des  inneren  Westsudan,   Bewohner  des  Fulbereiohs  Sokoto  mit  den  Tribu- 
i  ii  i.i.iiin   Gando  und  Adamaua.     Ihre  Sprache  hat  Ähnlichkeit  mit   hamitisc] 
Sprachen.  (Scobel.) 


Anhang  III.     Alphabetisches  Völkerverzeichnis.  913 

Hawaiier.  Ein  polyncsischer  Volksstannn  auf  Hawaii  (Sandwichinseln).  Vor  dem  10.  Jahr- 
hundert auf  Samoa  und  vielleicht  noch  früher  auf  den  Marquesas  und  Tahiti.     (Scobel.) 

Herero  oder  Damara,  ein  Bantuvolk  im  Damaraland,  Deutsch-Südwestafrika. 

Hindu.  Indien.  Ihre  Sprache,  das  Hindostani,  wird  von  mehr  als  100  Millionen  Menschen 
gesprochen.     (Scobel.) 

Ho.     Ein  zu  den  Ewe-Negern  gehöriger  Stamm  in  Deutsch-Togo. 

Hopi  siehe  Moqui. 

Hottentotten.     Reste  eines  früher  bedeutenden  Volkes  in  Südafrika. 

Howa.  Eingeborne  von  Madagaskar.  Sie  gliedern  sich  sprachlich  den  indonesischen  Völkern, 
t_  besonders  den  Battak  auf  Sumatra,  an;  somatisch  sind  sie  ein  indonesisch-afrikanisches 
Mischvolk. 

Huasteken  (Huaxtecas).     Ein  Zweig  der  Maya-Völker.     Nordöstliches  Mexiko. 

Huichol.     Indianer  in  Mexiko.     Nachbarn  der  Cora. 

Hunnen.  Ein  Turkstamm,  also  zur  ural-altaischen  Völkerfamihe  gehörig.  Die  Hunnen  waren 
jene  Uigur,  welche  als  östlichster  Zweig  der  Turkstämme  seit  den  ältesten  Zeiten  Nach- 
barn der  Chinesen  waren  und  mit  diesen  jahrhundertelang  kämpften. 

Hupa.     Indianer  in  Kalifornien. 

Hurdes  siehe  Jurdes. 

Huzulen.     Slawen  an  den  nordöstlichen  Abhängen  der  Karpathen.     (Kaindl.) 

Hyperboräer.  Sie  scheiden  sich  in  eine  westliche  und  eine  östliche  Gruppe.  Jene  bildet  sich 
aus  den  Jenissei  -  Ostjaken;  diese  aus  den  Jukagiren,  Tschuktschen,  Kor- 
jaken, Kamtschadalen,  Juit  und  Aleuten. 

Jabim.     Ein  Papuastamm  in  Finsehhafen,  Deutsch-Neuguinea. 

Jakuten.  Sibirische  Nomaden,  zur  batavischen  Völkergruppe,  also  ural-altaischen  Völker- 
familie gehörig. 

Japer  siehe  Yaper. 

Japaner.  Ihre  durch  das  Chinesische  stark  beeinflußte  Sprache  steht  dem  Mandschuischen, 
einer  ural  -  altaischen  Sprache,  am  nächsten.  Somatisch  sind  sie  ein  aus  ver- 
schiedenen Elementen  hervorgegangenes  Mischvolk.     (Scobel.) 

Jaunde.     Neger  im  südlichen  Kamerun. 

Javanen.  Eingeborne  des  östlichen  Teiles  der  Insel  Java.  Sprachlich  ein  Zweig  der  malayisch- 
polynesischen  Völkerfamihe. 

Jesiden.     Eine  (muselmanische?)  Sekte  in  Mesopotamien. 

Jivaros.     Indianer  im  Waldland  an  der  Ost-Cordillera  von  Ecuador.     Südamerika. 

Jolo  -  Insulaner  siehe  Sulu  -  Insulaner. 

Juden  siehe  Hebräer  bei  Semiten. 

Juraken.     Nördliche  Samojeden,  also  ein  Zweig  der  Ural-Altaien. 

Jurdes  (Hurdes  oder  Urdes).  Ein  kulturell  zurückgebliebenes  Bergvölklein  in  der  spanischen 
E»|     Provinz  Extremadura,  dessen  Ursprung  noch. dunkel  ist.     (Berruata.) 

Ibäla.     Ein  arabisch-berberisches  Mischvolk  im  nördlichen  Marokko. 

Iban  siehe  Dayaken. 

Iberer  siehe  Basken. 

Ibo.     Sudanneger.     Nordwestliches  Afrika. 

Ilocanen.     Auf  Luzon,  Philippinen-Insel. 

Imeretier.     Im  südwestlichen  Kaukasus. 

Indier  siehe  Hindu  und  Indo  -  Europäer. 

Indo  -  Europäer.  Diese  Völkerfamilie  umschheCt  eine  östliche  und  eine  westliche  Gruppe. 
Zu  jener  gehören  die  hinduisicrten  Arier  in  Indien,  die  Singhalesen,  die  arischen 
Gebh-gsstämme  im  Süden  des  Hindukusch  und  die  Iranischen  Völker  (Parsen,  Kurden, 
Osseten  u.  a.  m.).  Zur  westlichen  Gruppe  gehören  die  Armenier,  Albaneser., 
Lettoslawen,  Slawen,  Germanen,  Kelten,  romanische  Völker  und  Griechen. 

Indonesen  siehe  Malayisch  -  polynesische  Völker. 

Indo  -  Iranier  siehe  Indo  -  Europäer. 

Inkaperuaner  (Kitsehua,  Quichua,  Quetschua).  Ein  auf  der  höchsten  einheimischen 
Kultur  stehendes  Volk  in  Südamerika,  das  in  sechs  Stämme  zerfiel. 

Inuit  siehe  Eskimo. 

Ipurina.     Indianer  in  Bolivia  und  den  angrenzenden  brasilianischen  Gebieten. 

Irokesen.  Eine  Gruppe  nordamerikanischer  Indianervölker,  deren  Hauptgebiet  am  St.  Lorenz- 
strom und  den  großen  Seen  war. 

Irular  (Erular).  Ein  im  südliehen  Vorderindien  weit  verbreiteter  Stamxnesname.  Viele 
dieser  Stämme,  z.  B.  jene  in  den  Nilgiri,  leben  auf  der  historisch  tiefsten  Kulturstufe. 

Isana.     Indianer  im  nordwestlichen  Brasilien. 

Isolierende  Sprachen  siehe  Völker  mit  isolierenden  Sprachen. 

Itelmen  (Kamtschadalen).  Bewohner  von  Kamtschatka,  Halbinsel  im  nordöstlichen  Sibirien. 
Ploß-Renz,  Das  Kind.    3.  Aufl.    Band  II.  58 


914  Anhang  III.     Alphabetisches  Völkerverzeichnis. 

Kabinda  siehe  Bafiote. 

Kabylen.     Berberstämme,  also  zur  hamitischen  Völkerfamilie  gehurig.     Nördliches  Algerien. 
Kadiueo  siehe  Cadiocos. 

Kaffern.     Die  energischsten  und  historisch  bedeutungsvollsten  Repräsentanten  der  Bantu- 
rasse,  welche  in  die  Südost  kaffern,  die  Zulu  und  Betschuanen  zerfallen.     (Oskar 
Lenz  bei  Scobel.) 
Kaffitscho  (Kaffitcn).     Bewohner  von  Kaffa  oder  Gömara  im  südlichen  Abessinien.     Die 

Kaffiten  sind  ein  Zweig  der  Galla.  bezw.  Hamiten. 
Kafir  oder  Sijähposch  (Siaposeh).     Ein   arischer  Volksstamm   in  Kafiristan.     Sie  selbst 

behaupten,  griechischen  Ursprungs  zu  sein. 
Kaia-Kaia.     Als  —  bezeichnet  H.  Nollen  eine  Gesellschaft  (Societe.)  der  Eingeborenen  von 

Merauke  in  Niederländlsch-Neuguinea. 
Kaingang.     Indianer  im  Gran   Chaco.      Südamerika. 
Kaisaken  (Kassaken)  siehe  Kirgisen. 

Kaitisch.     Einer  der  nördlichen  Stämme  von  Zentral-Australien. 
Kalmücken.    Am  Altai.   Ein  Zweig  der  Mongolischen  Völker.    Ihr  ältest  bekannter  Ursitz  u.u 

die  Dsungarei. 
Kamtschadalen.     Ein  hyperboräisehes  Volk  in  Kamtschatka,  nordöstliches  Asien. 
Kanikar.     Ein  kraushaariges  Volk  in  den  Wäldern  Südindiens  (Jagor). 

Karagassen.     Südlicher  Zwei»:  der  Samojeden,  welcher  einen  der  historisch  ältesten  Wohnsitze 
dieser  Völkergruppe  innehat,  d.  h.  den  Nordabhang  des  satanischen  Gebirges,  also  an 
der  Grenze  zwischen  Sibirien  und  der  Mongolei.     Uralaltaische  Völkerfamilie. 
Karaja  siehe  Caraya. 
Karakirgisen  siehe  Kirgisen. 

Karesauer.     Eingeborne   der   Insel  Karesau,   deutsche  Schouten-Gruppe,    zu  Deutsch-Neu- 
guinea gehörig. 
Karolinen- Insulaner.    Mikroncsier  in  der  deutschen  Südsee.    Man  unterscheidet  eine  »et- 
liche und  eine  östliche  Gruppe.    Zu  jener  gehauen  die  Palauer  und  Yaper;  zu  diesen 
die  Ponaper,  Kusaier  u.  a.  m. 
Karthager.     Ein  Zweig  der  nördlichen  Semiten. 
Kaschgarier,  Turktataren.     Die  herrschende  Bevölkerung  von  Ostturkestan.    Ural-altaische 

Völkerfamilie. 
Kaschubcn.     Slawische  Reste  der  Pommern  am  Lebasee.     (F.  Tetzner.) 
Kassuben  siehe  Kaschuben. 

Kasubas.    Ein  Volk  in  den  Nilgiris  im  südlichen  Vorderindien.     (C.  Hayavadano  Bao.) 
Katschinzen.     Ein  turk-tatarischer   Zweig   im   ostsibirischen  Gouvernement  Jenisseisk. 
Kaukasusvölker,   Dem  Blut  nach  zur  mittelländischen  Rasse  gehörig,  sondern  sie  sich  sprach- 
lich ab.    Man  teilt  sie  in  östliche,  mittlere  und  westliche  Völker.    Die  Osseten,  obschon 
jetzt  im  Kaukasus  lebend,  gehören  sprachlich  nicht  zu  den  Kaukasusvölkern,  sondern  zu 
denlranen,  bezw.  Indo-Europäern.   In  neuester  Zeit  rechnet  Heinrich  Winkler  die  Basken 
oder  Iberer  zu  den  Kaukasusvölkern. 
Käupuis.     Ein  Bergstamm  in  Manipur,   Barma,   Hinterindien. 
Kavirondo.      Ein   Zweig  der  Nilvölker  in   Britisch-Ostafrika. 
Kayapo  siehe  Cayapo. 

Kelten.    Zweige  der  Indo-Europäer.    Ihre  beiden  volkreichsten  noch  lebenden  Zweige  sind  die 
Galen  und  die  Kymrer;  jene  in  Irland,  Schottland  und  auf  der  Insel  Man;  diese  in 
Wales  und  in  der  Bretagne. 
Khamti.     Volk  mit  isolierender  Sprache  in  Assam. 
Khasi.     Ein  Volk  in  Assam,  das  in  2~<  Kleinstaaten  geteilt  ist. 
Khmer  (Khamen).    Ein  hinterindisches  Volk  in  Kambodja.    Sprache  isolierend. 
Khyrini  siehe  Nongkrem. 
Kikuyu  siehe  Wakikuyu. 
Kimbrer  siehe  Cimbern. 

Kinibundu.      Bantuneger  in  Angola,  portugiesisch  Südwestafrika. 

Kirghisen  (Kirgisen).  Tatarischer  Zweig  der  ural-altaischen  Völierfarnilie.  Hie  schwarzen 
Kirgisen  (Karakirgisen)  waren  früher  am  oberen  Jenissei  und  hi  den  Sajanschen 
Bergen,  jetzt  in  Tien-Schan  bis  gegen  Kokand.  Die  Kirgis- Kassaken  (Chazak), 
drei  Horden  bildend,  leben  in  den  Steppen  Mittelasiens  zwischen  Amu  Darja  und  dem 
82  Grad  östL  Länge,  südlich  bis  Chotan. 
Kitechua  (Quichua  ,Que1  seh  na).  Siehe  Inkaperuaner.  Jetzt  wird  das  Kitschua  in  mehreren 
Mundarten  in  Peru  (aber  nicht  auf  der  Hochebene),  sowie  in  Bolivia  und  in  einigen  Teilen 
ran  Ecuador  und  Argentinien  gesprochen.  (Scobel.) 
BLlamath-  Indianer.      Im   Staate   Oregon,   westliches  Nordamerika. 

Kling  (Telugu  oder  Telinka).  Ein  Dravida-Volk  im  südlichen  Vorderindien  zwischen  Pulikat 
und  Orissa,  westlich  vom  Mahrattaland  und  Mysore  begrenzt.  Die  Kling-Sprache 
nannte  .1.  Scobel  das  ..Italienische  der  Dravidasprachen". 


Anhang  III.     Alphabetisches  Völkerverzeichnis.  915 

Klippkaffern  siehe  Bergdamara. 

Kobeua,     Indianer  am  Rio  Cuduiary,  nordwesti.  Brasilien. 

Kolchier.    Volk  der  alten  Welt,  nach  einer  anonymen  Arbeit  in  der  „Civiltä  Cattolica",  Jahrg. 

1893,  Scythen  (Hettiter),  Nachkommen  der  Hyksos  und  Verwandte  der  Ägypter.    (Die 

Arbeit  ist  eine  diesbezügliche  Verteidigung  Herodots  gegen  Rawlinson  und  Sayce.) 
Koljuschen  (Koluschenoder  Thlinkit).     Stämme:  Sitka.  Jakutat  u.  a.  zwischen  55  und  60« 

nördl.  Breite.     (Scobel.J     Vgl.  Thlinkit. 
Kolstämme.     Sprachlich,  aber  nicht  somatisch  von  den  Dravida  verschiedene  Stämme  in 

Zentralindien.  Bengalen  und  Assam.   Sprachlich  sollen  sie  mit  den  Schan  in  Hinterindien 

verwandt  sein.    (Scobel.)^ 
Koudh.     Ein  Dravida-Volk  in  Orissa.^Vorderindien. 

Kongo- Völker.     Sie  zerfallen  in  zahlreiche,  meist  den  Bantu-Negern  angehörige  Stämme. 
Kopten.    Nachkommen  der  alten  Ägypter,  am  zahlreichsten  in  den  Städten  Oberägyptens 

vertreten. 
Koreaner.     Ihre  Sprache  steht,  wie  das  Japanische,  in  einem  entfernten  Zusammenhang  mit 

den  ural-altaisclien  Sprachen.    Viele  Wörter  sind  aber  aus  nordchinesiscben  Dialekten 

entlehnt.      (Scobd.) 
Korror-  Insulaner.   Westliche  Karolinen.    Gehören  somatisch  zu  den  Mikronesiern,  sprachlich 

zur  malayisch-polynesischen  Völkerfamilie. 
Krähen- Indianer  (Crow).     Ein  Zweig  der  Sioux-Indianer.     Nordamerika. 
Kratji- Neger  (Kratyi).     Sudanneger  in  Togo.     Nordwestliches  Afrika, 
Kris.      Indianer.      Ein  Zweig  der  nordamerikanischen   Algonkin-  Familie. 
Kroaten.     Ein  Zweig  der  Siidslawen. 
Kru.     Ein  als  Arbeiter  und  Schiffsleute  sehr  geschätztes  Negervolk  östlich  und  westlich  von 

Kap  Palmas,  nordwestliche  Küste  von  Afrika. 
Kubus.     Ein  zwerghaftes  Volk  mit  welligem  Haar  in  den  Urwäldern  des  südlichen  Sumatra, 

welches,  wie  die  Wedda,  Senoi,  und  Toala,  von  W.  Schmidt  als  „Pygmoide"  im  Gegensatz 
zu  den  kraushaarigen  Pygmäen  bezeichnet  wird.     Vgl.  Pygmoide  und  Pygmäen. 
Kumaon.     Volk  im  nördlichen  Vorderindien.     (E.  Schröder.) 
Kumi.     Stamm  in  Britisch-Neuguinea.     (Egidi.) 
Kunnuvans  siehe  Mannadis. 
Kurden.    Zweig  der  iranischen  Volker,  also  zur  östlichen  Gruppe  der  Indo-Europäer  gehörig. 

Früher  am  Wan-See  im  armenischen  Hochland,  haben  sie  sich  später  in  den  Nachbar- 
gebieten verbreitet. 
Kuren.    Zweig  der  ural-altaischen  Völkerfamilie,  früher  auch  auf  der  Kurischen  Nehrung.  Jetzt 

sind  die  Kuren  dort  ausgestorben  (Mankowski),  und  man  spricht  deutsch,  lettisch  und 

litauisch 
Kutschin.     Nordamerikanisehe  Indianer. 
Kvänen   (Kväiicr)  siehe   Finnen. 
Kwakiul  (Kwakiutl).     Indianer  in  Britisch-C'olumbia  und  auf  Vancouver-Island. 

Laos.  Bergstämme  im  nördlichen  Siam.  Sie  unterscheiden  sich  von  den  Südsiamesen  durch 
schlankeren  Wuchs,  dunklere  Hautfarbe  und  größere  Energie.    (Rein  bei  Scobel,  5.  Aufl.) 

Lappen.  Ein  Zweig  der  samojedisch-finnisehen,  und  durch  diese,  der  ural-altaisshen  Völker- 
gruppe. 

Larrekiya  (Larrakiya).     Stamm  bei  Port  Darwin,  Nord-Australien. 

Lenguas  oder  Guaikurus  im  engeren  Sinn.  Ein  Zweig  der  Guaikuru  im  weiteren  Sinne.  Para- 
guay. 

Leptscha  oder  Rong.     Ein  den  Tibetanern  verwandtes  buddhistisches  Volk  in  Sikkim. 

Letten.      Ein  Zweig  der  Slawen   in  Livland   und   Kurland. 

Libyer  siehe  Äthiopier. 

Lingoas  siehe  Lenguas. 

Litauer.  Gehören  zur  letto-slawischen  Völkergruppe,  leben  in  Ostdeutschland  und  West- 
rußland. Hierher  gehörten  auch  die  alten  Preußen  in  Kurland  und  Livland.  (Scobel, 
:>.  Aufl.) 

Loango-  Neger.     An  der  südliehen  Küstenstrecke  des  französischen  Kongo,  Westafrika. 

Logo.     Volk  im  nordöstlichsten  Kongostaat. 

Logon.     Volk  im  Süden  Bornus,  zentraler  Sudan. 

Lunda.     Volk  und  Reich  im  südwestlichen  Kongostaat. 

Lydier.     Ein  Volk  der  alten  Welt.     Indogermanen  an  der  Westküste  Kleinasiens. 

Macedonier  siehe  Makedonien 

Machololo  siehe  Makololo. 

Macuchis.    Wohl  identisch  mit  Macusi? 

Macusi.     Ein  Zweig  der  Karaiben  in  Britisch-Guayana. 

Madagassen.     Bevölkerung  von  Madagaskar.     Vorherrschend  Malayen  und  Neger. 

Madi.      Ost-Sudanneger  im  oberen  Nilgebiet. 

58* 


9^6  Anhang  III.     Alphabetisches  Volkervrzeiehuis. 

Mafulu.     Ein  Papua-Bergstamm  in  Britisoh-Neuguinea.     fP.  Egidi.) 

Magyaren.   EinZweig  der  ugrischenVölkergrnppeund,  durch  diese,  der  samojedisch-finnischen, 
bezw.   ural-altaischen  Völkerfamilie.      Ihr  ältester  bekannter  Woluisitz  war  am  Ural. 
Mainoten  siehe  Maniaten. 
Maipure  siehe  Xu- Aruak. 

Maka.     Nordanierikanisehe  Indianer  im  Staat   Washington. 
Makalaka.    Negervölker  am  Zambesi  und  am  Limpopo.    Britisch-Südafrika.    Zentrale  Bantu- 

völker. 
Makassaren.     Zweig  der  Malayisch-polynesischen  Völkerfamilie  auf  Celebes. 
Makedonier.     Volk  der  alten   Welt,  Zweig  der  Albanesen,  also  auch  der  indoeuropäischen 

Völkerfamilie. 
Makololo.     Negervolk  in  Britisch-Südafrika,  südlich  vom  Njassa-See. 
Makonde.     Negervolk  im  südöstlichen  Deutsch-Ostafrika. 
Makusi  siehe  Maeusi. 
Malabaren.    Ein  dravidischer.  mit  den  Tamiten  nah  verwandter  Stamm  in  Malabar,  Kotschin 

und  Travancore,  zwischen  den  Westghats  und  der  Küste  Vorderindiens. 
Malayen  siehe  malayisch-polynesische  Völker. 

Malayisch-polynesische  Völker.   Diese  Völkerfamilie  umfaßt  Völker,  die  ihren  körperlichen 
Eigenschaften  nach  ganz  verschiedenen  Rassen  zuzurechnen  und  geographisch  weit  Ber- 
streut sind.     Sprachlich  aber  bilden  sie  ein  Ganzes.   Nach  Rassen  unterschied   Scobel 
zentral-   und   ostasiatische   (Malayen),  tropisch-kontinentale  (Papuas)  und  tropisch- 
insulare  (Indonesen);  sprachlich:  Eine  westliehe  Abteilung  (Völker  des  Malayisch'-n 
Archipels    und    Madagaskars),    eine    östliche    Abteilung,     pazifische     Gruppe     (poly- 
nesisch-  mikronesische  Völker  und  melanesische  Völker),   Papuas.  Australier 
und  Tasmanien 
Malinke.    Ein  Zweig  der  Mandingo  in  der  Provinz  Kita,  französischer  Sudan. 
Malisoren.    Ein  Volksstamm  in  Oberalbanien,  europäische  Türkei. 
Mamaq  siehe  Orang  Mamma. 

Mambunda.     Zentrale  Bantu  im  Nordwesten  des  britischen  Südafrika. 
Mamwera.     Negervolk  an  der  südlichen  Küste  von  Deutsch-Ostafrika. 
Manaos.     Indianer  zwischen  Rio  Negro  und  Solimöes,  nördliches  Brasilien. 
Manda.    Volk  im  Süden  Deutsch-Ostafrikas.     (H.  Seidel.) 
Mandäer.     Anhänger  einer  morgenländischen  Religionsgesellschaft  am  unteren  Euphrat,  den 

semitischen  Sprachenfamilien  angehörig. 
Mandan.    Nordamerikanische  Indianer.    Tanner  erwähnte  Mandan  als  einen  Zweig  derSioux, 
am  Missouri.    Ploß  führte  (im  „Kind",  2.  Aufl.  II,  429)  Mandan  im  Osten  der  Felsen- 
gebirge an. 
Mandingos.     Neger/  am  oberen  Senegal  und  Niger,  westlicher  Sudan. 
Mangandja  (Mangandscha).     Östliche  Bantuneger  am  Njassa-See  und  Schire.     Britisches 

Südafrika. 
Mangbuttu  (Monbuttu).    Wie  die  Njam-Njam  ein  negerähnliches  Volk  mit  stark  semitischem 
Typus  im  Gebiet  der  westlichen  Zuflüsse  des  Nil.  Rohl  und  Jei  bis  an  den  Mittellauf 
des  Scharf.      (Scobel.) 
Mangischläk   =   Kirghisen.     Auf  der  Halbinsel  Mangischläk  am  Ostufer  des  Kaapischen 

M  «res. 
Maniaten  (Maionoten).    Kriegerische  Bewohner  der  Landschaft  Mani  (Maina)  im  südlichen 

Peloponnes. 
Manika.     Bantu  im  östlichen  Küstenvorland  des  britischen  Südafrika. 

Mannadis  (Kunnuvans).    Stamm  auf  den  Palnihügeln,  südliches  Vorderindien.     (Dahmen.) 
Maori.     Die  historisch  älteste  Bevölkerung  von  Neuseeland.     Polynesien 
Mapuches.     Indianer  in  Chile. 
Maquamba.     Ein  Kaffernvolk  in  Südafrika. 
Mara.     Ehler  der  nördlichen  Stämme  von  Zentral-Außtralien. 
Marokkaner.      Gemischte  Bevölkerung:   Biber,   Araber,  bzw.   Mauren,   Juden,    Neger  und 

Europäer. 
Maxoniten.     Arabisierte,  christliche  Syrier  mit  syrischer  Kirchensprache  im  Libanon. 
Marsehall- Insulaner.     Größtenteils  Mikronesier.     Deutsche  Südsee. 
Marutsc.     Zentral-Bantu  im  Nordwesten  des  britischen  Südafrika. 
Masai  siehe  Massai. 

Maschukulumbwe  (Maschikolumbwe).     Ein  sogenanntes  Sambesivolk  in  Britisch-Süd- 
afrika, verwandt  mit  den  Makalaka,  Balonda.  Barutse,  Ovambo  u.  a.  m.     (Scobel.) 
Maskoki  (Foxindianer).    Waren  früher  in  Kanada,  später  im  Mississippi-Tal  und  sind  jetzt 

in  den  Sae-   u.  Fox-Reservations.     Westliches  Nordamerika. 
Massai.    Nach  Scobel  ein  äthiopischer  Zweig  der  hamitisehen  Völker  in  Britisch-  und  Deutsch- 

(»stafrika.     M.    Weiß  rechnet  sie  zu  den  Semiten. 
Matambwe.    östliche  Bantuneger  am  Rovuma,  Deutsch-Ostairika. 
Matabele.     Bantu -Neger  auf  dem  Hochland  des  britischen  Südafrika. 


Anhang  III.     Alphabetisches  Völkerverzeichuis.  917 

Matoka,  siehe   Batanga. 

Maues  (Mauhes).     Indianer  am  Amazonas,     nördliches  Brasilien. 

Mauren  werden  gewöhnlich  die  Nachkommen  der  aus  Spanien  vertriebenen  arabischen  Städter 

in  Marokko  genannt.     Doch  spricht  man  auch  von  maurischen  Nomaden. 
Mayas.    Eine  Gruppe  alter  Kulturvölker  in  Guatemala,  Yucatan,  Tabasco  und  Chiapas.    Auch 

die  Huasteken  im  Noi  dosten  des  heutigen  Mexiko  gehören  hierher. 
Mekeo.    Ein  Papua-Stamm  nahe  der  Küste  von  Britisch-Neuguinea.    (Egidi.) 
Melanesien     Siehe  malayisch-polynesische  Völker. 
Melchiten.     Eine  Sekte  der  griechischen  Kirche  in  Damaskus. 

Mendi.  Ackerbauende  Neger  in  Sierra  Leone.  (Gestern.)  Die  Mendi  sind  mit  Mandingo  vermischt. 
Mentawei-  Insulaner.    An  der  Westküste  von  Sumatra.      Die  Eingebornen  sind  Malayen. 
Meta.     Ein  Zweig  der  Galla.     Ostafrika. 
Mexikaner,  alte,  siehe  Nahua-  Völker. 

Meyrefab.     Ein  Araber-Stamm  in  Berber.     ( ' Burckhardt. )     Ostafrika. 
Mfiote.    Neger  an  der  Loango-Küste.    Westliches  Afrika. 

Miao-tse  (Miao-sse,  auch  Yao-sse,  Yao-jen  und  Yao).   Vorchinesische  Stämme  in  der  chine- 
sischen Provinz  Kwei-t  chou  und  in  Tonkin,  das  geographisch  der  genannten  Provinz 
nahe  hegt. 
Mikionesier  siehe  Malayisch-polynesische  Völker. 
Milanaus.     Ein  Dayaken-Stamm  im  nördlichen  Borneo. 
Minkopi  siehe  Andamanesen. 
Misquitos  siehe  Mosquitos. 
Mit  tu.     Ackerbauende  Neger  im  obern  Nilgebiet. 
Mixteken.      Ein   Zweig  der   alten   Nahuavölker,   also   der   mexikanischen   Völkergruppe. 

Reste  leben  noch  in  Oaxaca,  Puebla  und  Guerrero. 
Mkulwe  -  Neger.      Eingeborne    der   gleichnamigen    Landschaft    im    südwestlichen    Deutsch- 
Ostafrika,  am  Unterlauf  des  Sasi.     Siehe  Wakulwe. 
Mojave.     Indianer  in  Californien  und  Arizona,  Nordamerika. 

Moki.     Gehören,  nach  der  vorherrschenden  Meinung  der  Ethnographen,  sprachlich  zur  mexi- 
kanischen Völkerfamilie.      Sie   bewohnen   mehrere  Dörfer  auf  einem   der  Tafelberge 
(mesas)  im  Staate  Arizona.  Nordamerika. 
Monumbo.     Papuas  in  Deutsch-Neuguinea.     (Yormann.) 
Mordwinen.     Rußland.     Zwischen  Oka  und  Wolga,  ein  Zweig  der  bulgarischen,   im  weiteren 

Sinn  der  finnischen  Völkergruppe,  bzw.  ural-altaisehen  Völkerfarnihe. 
Mosquito,  unrichtige  Schreibweise  für  Misquito. 
Motu -Motu.     Ein  hellfarbiger  Stamm  in  Britisch-Neu-Guinea. 
Msuaheli  siehe  Suaheli. 

Muiseas  (Mozcas).     Unrichtige  Benennung  der  Tschibtschas  ((Jnibchas).      (Scobel.j 
Munda  -  Kolh.     Unrichtige  Benennung  der  Mundari  -  Kolh. 
Mundari  -  Kolh.      Eni   Zweig  der  Koralier.  einer  der  vier  großen  Volksstämnie  Indiens. 

Als  Ureinwohner  gedacht.     Nicht -Arier. 
Mundrucüs  (Mundurucüs).      Indianer  am  Tapajoz.     Brasilien. 
Mungeli  Tehsil.     Ein  Volksstamm  im  Bilaspur-Distrikt,  Indien. 
Muralug.     Ein  Stamm  am  Kap  York,  Nord-Australien. 
Muras.     Indianer  am  Rio  Madeira,  nördliches  Brasilien. 
Mzab  (Bon,  Mzab).     Volk  in'der  Sahara.' südliches  Algerien. 

w 

Nahua  -Völker.  Eine  Völkergruppe. 'deren  Sprache  das  Nahuatl  war.^T DerJHau ptstamm 
dieser  Völkergruppe  waren  die  kulturell  hochstehenden  Azteken  (Mexikaner). 

Nair  (Nhair).  Eine  der  dravidischen  Sprachenfamilie  angehörige  Militärkaste  in  Malabar, 
Vorderindien. 

Nama.  In  Lüderitzland  und  Walfischbai.  Sind,  nach  Scobel,  die  typischsten  Hotten- 
totten. 

Namib.     Ein  Buschmann- Volk.     Südafrika. 

Namollos.     Ein  Zweig  der  Tschuktschen  an  der  Beringstraße. 

Narrinjeri.     Stämme  am  unteren  Murray.     Südliches  Australien. 

Nascopies  (Nascaupees).     Indianer  in  Labrador. 

Natchez.  Indianerstamm  am  untern  Mississippi.  Wurden  1730  von  den  Franzosen  fast  ganz 
vernichtet.  * 

X avajos.  Ein  Zweig  der  südlichen  Tinneh  oder  Dene  in  den  Staaten  Arizona,  Colorado 
und  Utah. 

Negritos.  Ein  kraushaariges  Volk  von  relativ  geringer  Körperhöhe,  welches  gewöhnlich  als 
die  ureingehorne  Bevölkerung  der  Philippinen  gib.  W.Schmidt  nennt  sie  echte  Py- 
gmäen, zu  denen  er  ferner  die  Anda  manesen  (Minkopi)  und  Semang,  sowie  die 
afrikanischen  Buschmänner  zählt.     Vgl.  Pygmäen  und  Pygmoiden. 

Njam-Njam  (Asande).  Ein  äthiopischer  Zweig  der  hamitischen  Völker,  vom  4.  bis  6.  Grad 
nördlicher  Breite  im  Quellgebiet  des  Gazellenflusses.     (Scobel.) 


918  Anhang  III.     Alphabetisches   Völkerverzeichnis. 

Nikobaresen.     Malayen  im  Bengalischen  Golf. 

Nilgalaweddas.     Ein  auf  historisch  tiefster  Kulturstufe  stehendes  Volk  auf  Ceylon.     (Riiti- 

meyer.) 
Noefooresen.     Papuas  auf  der  Insel  Noefoor  bei  Neuguinea. 
Noli.     Ein  Zweig  der  Galla.     Ostafrika. 
Nootka  siehe  Nutka. 
Nordindianer.       Jäger    zwischen    Hudsonbai,     Churchill-Fluß.     Großer     Sklaven-See     und 

Athabacken-See.     (Hearne.) 
Nu-Aruak,  siehe  Arrawak. 
Nubier.     Im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  sind  nur  die  Barabra  im  Niltal  Nubier,   (J.  L. 

Burckhardt),  die  sich  durch  ihren  Charakter  weit  über  die  sogenannten  X u b i e r  einem 

Mischvolk  in  Berber,  erheben. 
Nutka.     Indianer  auf  Vancouver-Island. 

Odschibbeway  (Ojibwä).     Ein  Stamm  der  Chippeway  im  weiteren  Sinne. 

Ojana.     Indianer  am  Tapanahoni  in  Surinam,  Südamerika. 

Omaguas.  Indianerstamm  in  San  Paulo  de  Olivenca  am  Amazonenstrom,  nordwestliches 
Brasilien. 

Orang  -  Laut.     Sogenannte  „TTrstämme"  an  der  Küste  von  Malakka.     (Josef  Kohler.) 

Orang  Mamma  (Mamaq).  Fischer-  und  Jägervolk,  das  auch  Reisbau  betreibt,  in  den  Ur- 
wäldern Sumatras,  welches  von  Felix  Speiser  auf  ungefähr'  die  gleiche  Kulturstufe 
wie  die  Kubu,  Sakei,  Weddahs  u.  a.  m.  gestellt  wird.  Wahrscheinlich  seien  die 
Orang  Mamma  eme  Mischung  von  Weddah  und  Malaien. 

Orang  Temia.     Ein  Stamm  auf  Malaka. 

Oroken.     Volk  auf  Sachalin  (Pilsudski). 

Osseten.  Sie  nennen  sich  selbst  Iron  (Iran),  sind  ein  Zweig  der  Indo-Europäer.  Früher 
weiter  verbreitet,  wurden  sie  im  13.  Jahrhundert  aus  der  Dongegend  ins  Hochgebirge 
getrieben.     (Scobel.) 

Ostjaken  (ugrische  und  Ostjak  -  Samojedcn).  Sind  Zweige  der  samojedisch-finniselim 
Gruppe  und  gehören  zur  ural-altaischen  Völkerfamilie.  Ugrische  Ostjaken  leben  in 
den  Gouvernements  Tobolsk  und  Tumsk;  Ostjak-Samojedcn  am  linken  Ufer  des  mitt- 
leren Jenissei. 

Ovaherero  siehe  Herero. 

Ozokumra.     Ein  Zwei,"  der  Ac  - Nagas  in  Assam.     CP.  Marcellinus  Holz.) 

Päonie r.     Im  Altertum  ein  über  Thrazien  und  Macedonien  verbreitetes  Volk. 

Palau  -  Insulaner.     Gehören  zur  malayisch-polynesischen  Völkerfamilie. 

Paliyans.     Ein   nichtarisches   Nomadenvolk  in  den    Palm-Bergen,   südliches    Vorderindien. 

(Dahmen.) 
Paloczen.  (Bergkumanen).     Ein  türkischer  Stamm  im  Matra-Bükkgebirge  in  Ungarn. 
Pampas  -  Indianer  (Araukaner).     Südliches  Südamerika. 
Pani.     Nordamerikanische  Indianer  zwischen  Nebraska  und  Arkansas. 
Papuas,  siehe  malayisch  -  polynesische  Völker. 
Parsen.     Iranisches  Volk  im  nordwestlichen  Indien  und  in  den  persischen  Landschaften  Jesd 

und  Kirman.     (Scobel.) 
Passes.     Indianervolk  im  östlichen  Ecuador. 
Patagonen.    Von  den  Pampas  Tehuelche,  d.  h.  Südmänner,  genannt.     Sind  nomadisierende 

Jäger  und  Fischer  in  Patagonien,  südliches  Südamerika. 
Pau motu  -  Insulaner.     Dunkelhäutige,  grausame  und  kriegerische  Polynesien 
Pawnee  siehe  Pani. 
Pehuenohen.     Ein  Zweig  der  Araukaner  an  der  Küste  von  Chile,   südlich  bis  nach  Valdivia 

hinab.         H 
Pepos.     Eingeborne  auf  Formosa. 
Perser.     Iranischer  Zweig  der  Indo-Europäer. 
Peruaner,  siehe  Inkaperuaner. 
Petivares.     Indianerstamm  in   Brasilien. 
Peul.     Semitisches  Volk  im  nordwestlichen  Afrika. 
Philipponen.     Eme  religiöse  Sekte  in  Ostpreußen. 
Pilagä.     Indianer  in  Argentinien. 
Pi  mas.     Indianer  in  Arizona  und  Sonora,  am  Gila  und  seinen  südliehen  Zuflüssen.     Sprachlich 

gehören  sie  zu   dem  sogenannten  großen  sonnrisehen  Sprachstamm. 
Vi p iles.     Nach  Bancroft  ein  Zweig  des  Maya-,  nach  Scobel  ein  Zweiu  des  Xahuastammes  an 

der  pacifischen   Küste  des  Mayalandes.     Zentral-Amerika. 
Piros.     Indianer  im  Bergland  der  Ostgrenze  von  Peru. 
Pokomo  siehe  Wapokomo. 

Polynesier  siehe  Malayisch-polynesische  Völker. 
Potowatomie.     Waren  ein  Zweig  der  Chippeway. 


Anhang  III.     Alphabetisches  Völkerverzeichnis.  919 

Prabhu.     Eine  Hindugemeinde  in  Bombay,  Vorderindien. 

Preussen,  alte.     Ein  Zweig  der  lettoslawischen  Völkergruppe.     Kurland  und  Lavland. 

Pulayer.     Eine  .Sklavenkaste  in  Malabar.     .Südliches  Vorderindien.     (Jagor.) 

Pulo  siehe  Fulbe. 

Puri  siehe  Coroädos. 

Pygmäen.  Den  Begriff  der  Pygmäen  beschränken  W.  Schmidt  und  G.  Schuxdbe  auf  kraus- 
haarige Stämme  von  geringer  Körpergröße  (unter  150  cm).  Wellhaarige  Völker  von  nur 
wenig  größerer  Körperhöhe,  wie  die  Wedda,  Senoi.  Toala,  Kubu  rechnet  Schmidt 
nicht  zu  den  Pygmäen,  sondern  schlägt  vor,  sie  als  „Pygmoide"  zu  bezeichnen.  Als 
kraushaarige  echte  Pygmäen  bleiben  nach  Schmidt  in  Asien  die  Negrito,  Andama- 
nesen  und  Semang  und  in  Afrika  die  zerstreuten  zentralafrikanischen  Pygmäen- 
stämme, sowie  die  Buschmänner. 

Pygmoide  siehe  Pygmäen. 

Pyuma.     Ein  sogenannter  wilder  Volksstamm  auf  Formosa.     (W.  Müller.) 

Qabili.     Die  arabische  Bauernbevölkerung  in  Yemen.     (Manzoni.) 
Quetschua  (Quichua)  siehe  Inkaperuaner  und  Kitschua. 

Bai  Gonds.     Volk  in  den  östlichen  Ghats,  südliches  Vorderindien. 

Ranqueles.     Zweig  der  Pampas-Indianer,  Südamerika.     Jetzt  fast  ganz  verschwunden. 

Remos.     Indianer  im  Bergland  der  peruanischen  Ostgrenze. 

Romanische  Völker.  Die  alten  Römer,  Volsker  und  Umbrer,  die  jetzigen  Italiener,  Spanier, 
Portugiesen,  Franzosen,  Rumänen  u.  a.  gehören  zu  dieser  Völkerfamilie.  Vgl.  Indo- 
Europäer. 

Roucouyenne.  Karaiben -Zweige  in  Surinam  und  französisch  Guayana,  sowie  im  nordöst- 
lichen Brasilien. 

Rumänen.  Sprachlich  zur  romanischen  Gruppe,  anthropologisch  und  kulturell  zur 
griechisch  -  illyrischen  .Gruppe  gehörig.     (Scobel.) 

Russen  (Großrussen  und  Kleinrussen).     Zweige  der  Ostslawen. 

Ruthenen.     Zweig  der  slawischen  Völker. 

Sabari.     Volksstamm  auf  Formosa. 

Sakalaven.     Bevölkerung  mit  Negertypus  auf  Madagaskar. 

Sakeis  (Sakai).  Ein  kulturell  niederstehendes  Volk  im  östlichen  Sumatra,  mit  den  Akit, 
Orang  Mamma  und  andern  Völkern  als  Negritos  bezeichnet,  nach  Speiser  aber  wahr- 
scheinlich, so  gut  wie  diese  Völker,  Malayen.  Moszkowski  erkennt  in  den  Sakai  auf 
Sumatra  die  Senois  von  Malakka  wieder,  die  Richard  Andree  somatisch  zur  Papua- 
rasse rechnete. 

Sakubansen.     Russische  Benennung  der  Tscherkessen  oder  Cireassier. 

Salivas.     Indianervolk  in  Columbia. 

Salomo  -  Insulaner.     Melanesier.     Malayisch-polynesische  Völkerfamihe. 

Samoaner.  Polynesier.  Die  Pflanzungsarbeiter  auf  Samoa  sind  aber  größtenteils  Melanesier 
aus  andern  Inseln. 

San.     (Sing.     Sagua.)     So  nennen  sich  die  Buschmänner  selbst.     Siehe  diese. 

Sandwich  -  Insulaner  siehe  Hawaiier. 

Sarawaker.     Dajaken  in  Sarawak,  Westküste  von  Borneo. 

Sarten.  Mischvolk  aus  Turktataren  und  Iranern,  von  den  Chinesen  Tarantschi  (Hirse- 
säer)  genannt.     Turkestan. 

Sauromaten.  Volk  der  alten  Welt,  welches  den  Turkstämmen,  also  Ural-Altaien,  zugerechnet 
wird. 

Schan  siehe  Thai. 

Schangalla  (o).     Ostafrikanisches  Mischvolk,  dessen  Sprache  dem  Nubisehen  ähnlich  ist. 

Schilluk.  Ostafrikanisches  Mischvolk.  Araber-  und  Negerblut,  letzteres  vorherrschend. 
Am  westlichen  Ufer  des  weißen  Nil,  Ost-Sudan.  Sprachlich  zu  den  Sudan-Negern  ge- 
rechnet.    (Scobel.) 

Schluh  (Schluch,  Schelluh).     Ein  Berberstamm  in  Südmarokko. 

Schoschonen  siehe  Shoshonen.         f     i 

Semang.     Ein  mit  den  Papuas  verwandtes  Volk  auf  der  hinterindischen  Halbinsel  Malakka. 

Semiten.  Die  Semiten  scheiden  sich  in  nördliche  und  südliche  Zweige  aus.  Zu  jenen  ge- 
hören die  Aramäer,  Chaldäer,  Syrer,  Assyrer-Babylonier,  Hebräer,  Phö- 
nicier  und  Karthager  (Punier);  südliche  Zweige  sind:  die  Zentralaraber  (Ismae- 
liten)  und  die  Südaraber;  jene  im  nördlichen  und  mittleren  Arabien,  im  westlichen 
Asien  und  nördlichen  Afrika;  diese  im  südlichen  Arabien  u.  östlichen  Afrika  (Abessinien 
u.  a.  O.). 

Senois.     Volk  auf  Malakka.     Siehe  Sakei. 

Serben.     Südslawen.     Indo-Europäer. 

Shipibos.     Indianer  im  Bergland  der  peruanischen  Ostgrenze. 


920  Anhang  III.     Alphabetisches  Völkerverzeichnis. 

Shoshoncn.     Nordanierikanische  Indianer,  Verwandte  der  Co  manches. 

Siamesen  siehe  Thal. 

Sijähposch  siehe  Kafir.  . 

Singhalesen.  Ein  Mischstamm  von  Ariern  und  Dravidas,  sprachlich  zu  den  lndo-lramern 
'    bzw.  Indo -Europäern  gehörig.     Südliche  Hälfte  der  Insel  Ceylon. 

Singpho.    Volk  mit  isolierender  Sprache  in  Ass  am.  Ein  Zweig  der  Sc  han-Völker.   (Gramalzka.) 

Sitka.     Ein  Zweig  der  Koljuschen  oder  Thlinkit. 

Sioux  oder  Dakota.  Indianer  Nordamerikas.  Früher  im  Osten  der  Alleghanyberge,  jetzt 
größtenteils  westlich  vom  Mississippi. 

Siusi.     Indianer  im  nordwestlichen  Brasilien. 

Skandinavier.     Xordgermanen. 

Skythen.     Volk  der  alten  Welt,  das  zu  den  Turkstämmen  gerechnet  wird.     Vgl.  Kolonien 

Slawische  Völker  siehe  Indo  -  Europäer. 

Slowenen  siehe  Winden. 

Somali.  Volk  in  Somaliland,  südlich  vom  Golf  von  Aden,  Ostafrika.  Gehören  spraehheh  zur 
hamitischen  Völkerfarnilie,  sind  aber  stark  mit  arabischem  und  teilweise  auch  mit  Neger- 
blut gemischt.     (Scobel.) 

Songo.     Negervolk  in  Portugiesisch-Südwestafrika. 

Soninke.     Zweig  der  Mandingo,  zwischen  dem  obern  Senegal  und  obern  Niger. 

Sorben  siehe  Wenden.  . 

Sotho.     Ein  südafrikanisches  Negervolk,  nach  Endemann  identisch  mit  den  Basutos.ku 

Suaheli.  Neger,  stark  mit  ambischem  Blut  gemischt.  Auf  Sansibar  und  an  der  ostafrikanischen 
Küste. 

Sudanneger.  Scobel  unterscheidet  vier  Gruppen:  Die  Neger  von  Senegambien  und  Ober- 
guinea, die  Neger  des  innern  Westsudan,  die  des  zentralen  Sudan  von  Bornu  bis 
Darfor'  und  die  Negerstämme  des  Ostsudan  im  oberen  Nilgebiet. 

Suhl  (Amazulu).    Ein  Kafferzweig  im  Sululand,  Natal  und  nördlich  vom  Tugela.     Südafrika. 

S  u  m e r o  -  Ak k a d e r.  Thuranier  (?)  der  alten  \\  elt ,»  vm baby Ionische, Bevölkerung  am  unteren 
Euphrat  und  Tigris. 

Synteng.     Ein  Hügelstamm  in  Assam.    Indien. 

Syrier.     Ein  nördlicher  Zweig  der  Semiten. 

Tagalen.     Volk  auf  den  Philippinen. 

Ta h i  te r  (Gesellschafts-Insulaner).     Polynesien"  |Südsee. 

Tamanacos.     Indianer  am  Orüioco.     Venezuela.     Südamerika. 

Tamayos.     Indianer  im  südlichen  Brasilien.  '■■ 

Tamilen.     Dravidische  Stämme  im  südlichen  Vorderindien  und  im  nördlichen  und'östlichen 

Ceylon. 
Tanguten.     Nach  Sven  Hedin  ein  den  Tibetanern  verwandter  Stamm;  nach  Seobe!  werden 

sie  oft  zur  mongolischen  Völkergruppe  gerechnet.    Sie  „beweiden"  die  Landschaft  Tsaidam 

im  Norden  Tibets,  westlich  des   Kuku-nor. 
Tanklmls.     Bergstamm  in  Manipur.     Indien. 
Tapuya.     Zweig  der  Ges-Völker.     Brasilianische  Ostküste. 
Tarantschi  siehe  Sarten. 
Tataren   (Turkstämme).     Sie   bilden   eine  Abteilung  der  uralall aisehen  Völkerfarnilie.     Zu 

ihnen  gehören  die  sibirischen    Tataren,  die  schwarzen  Kirgisen   (chinesisch   Buruten); 

die  Kassak-Kirgiscn,  IV.beken,  Turkmenen,  Baschkiren,  Osmanli  oder  Türken,  Skythen, 

Hunnen,  Avaren  u.  a.  m.  * 

Tasmanier  siehe  Malayisch  -  Polynesischc  Völker. 

Tecunas.    Ein  aussterbender  Indianersiammfnm  oberen  Solimoes,  nordwestliches  Brasilien. 
Tehuelche  (Tehuelhet)  siehe  Patagonen. 

Telinka  I     ■  ,      t.-  1  ■    „ 
m   .  siehe  Kling. 

Telugu   I 

Tenkterer.     Waren  ein  westgermanischer  Stamm  am  Niederrhein. 

Tepehuane.     Indianer  in  Mexiko. 

Thai.    Völkergruppe  im  westlichen  Hinterindien.     Gehören  der  Völkerfarnilie  mit  isolierenden 

Sprachen   an. 
Thlinkit   (Koljuschen).      Indianer    in  der   Beringstraße,    im    südöstlichen  Alaska    und    im 

Alevmder    \rehipcl.     Vgl.   Sitka. 
Thracier  siehe  Thraker. 
Thraker.    Volk  der  alten  Welt.     Gehörten  zur  indo  -  europäischen  Völkerfamilie,  westliche 

Abteilung.     Homer  nannte  sie  eines  der  größten  Völker  des  südöstlichen  Europa. 
Tibbu  (Teda).     Ein  Mischvolk  mit  vorherrschendem  Negerblut  in  den  Oasen  der  östlichen 

Sahara. 
Tibetaner.     Volk  mit  isolierender  Sprache  in  Tibet,  Bhutan,    den  oberen  Stufcnländern  der 

hinterindischen  und  chinesischen  Flüsse  bis  zu  denen  des  Hwangho;  im  Westen  reichen 

die  Tibetaner  bis  nach  Ladak  und  Baldistan.     (Scobel.) 


Anhang  III.     Alphabetisches  Völkerverzeichnis.  921 

Ticunas.  Indianer  am  oberen  Amazonas,' an  der  peruanisch-ecuadorianisch-brasilianischen 
Grenze.  j.  ; 

Tinneh.  Eine  Gruppe  nordamerikanischer  Indianervölker.  Scheiden  sich  in  nördliche,  pazi- 
fische und  südliche  Zweige  aus.  Die  nördlichen  grenzen  an  die  Eskimos.  Die  pazifischen 
sind  zwischen  andern  Indianervölkern  der  Staaten  Washington,  Oregon  und  Kalifornien 
eingekeilt.     Die  südlichsten  sind  die  Navajos  und  die  Apatschen 

Tobas.  Indianer,  Zweige  der  Guaikurugruppe  im  Gran  Chaco.  Nordöstliches  Argentinien, 
nordwestliches  Paraguay. 

Toda.  Sogenannte  Ureinwohner  in  den  Nilgiri-Bergen,  südliches  Vorderindien.  Caldwell 
nennt  sie  reine  Dravida.  Von  andern  Gelehrten  werden  sie  den  Dravida  nicht  bei- 
gezählt. 

Togo.     Ein  Volk  aus  der  Gruppe  der  Ewe  -  Neger.     Nordwestliches^  Afrika. 

Tonga.     Östliche  Bantu  in,Rhodesia  und  Gasa-Land.     Südafrika. 

Totonaken.  Eüi  Volk  auf  ziemlich  hoher  Kulturstufe  im  Küstenland  des  Golfes  von  Mexiko, 
das  im  letzten  Jahrhundert  vor  der  spanischen  Eroberung  von  den  Azteken  unterworfen 
wurde.  Ihre  Kultur  ist  der  der  Huaxteka  verwandt,  die  zur  Völkerfamilie  der  Mayas 
gehören. 

Troglodyten.  Ostafrikanisches  Volk  der  alten  Welt.  Sirabos  Troglodyten  sind  wahrschein- 
lich die  Vorfahren  der  heutigen  So  mal.     (Eichard  Andree.) 

Tschautschu  siehe  Tschuktschen. 

Tschechen.  Ein  Zweig  der  Westslawen  in  Böhmen,  Mähren,  Preußisch-Schlesien  und 
Österreich. 

Tscher  e  missen.  Ein  Zweig  der  samojedisch-finnischen  Völkergrnppe,  also  der  großen  Völker- 
familie  der  Ural-Altaien.    Wohnsitz  am  linken  Wolgaufer,  Gouvernement  Kasan. 

Tscherkessen  (Cirkassier).     Ein  Zweig  der  westlichen  Gruppe  der  Kaukasusvölker. 

Tscherokesen  (Tschiroki).     Ein  Zweig  der  Irokesen,  östliches  Nordamerika. 

Tschetschenzen.     Ein  östlicher  Zweig  der  Kaukasusvölker. 

Tschibtschas.  Nach  Scobel  „fälschlich"  auch'Muisca  genannt,  sind  ein  hervorragender 
Stamm  der  südpazifischen  Indianer  in  Columbia.  Ihre  Sprache  ist  seit  Mitte  des  18.  Jahrb.. 
erloschen. 

Tschiglit.     Eskimo  am  Mackenzie-  und  Anderson-Fluß. 

Tschinuk.  Indianerstamm  an  der  Mündung  des  Columbia.  Gehören  zur  nordpazifischen 
Gruppe. 

Tschokta  (Choctaws).     Ein  Zweig  der  Maskoki-Familie. 

Tschuden  siehe  Finnen. 

Tschuktschen.  Hyperboräer  im  Osten  der  nordasiatischen  östlichen  Küste,  zwischen  Tschaun 
Bai  und  Anadyr  Golf.     (Scobel.) 

Tschuma.     Jetzt  ausgestorbene  Indianer  auf  der  Insel  Santa  Cruz. 

Tuasok.     Ein  Volksstamm  auf  Formosa. 

Tucanos.  Indianer  im  nordwestliehen  Brasilien  (ein  Zweig  der  Miranha -Stämme  an  den 
Grenzgebieten  von  Columbia,  Ecuador  und  Brasilien).  Die  Tucanos  selbst  leben  am 
Ri  Woaupes,  nordwestliches  Brasilien. 

Türken.    Ein  Zweig  der  ural-altaischen  Völkerfamilie. 

Tungusen.  Im  weiteren  Sinne  eine  zu  den  Ural-Altaien  gehörige  Völkergruppe,  zu  denen  auch 
die  Mandschu  gehören;  im  engeren  Sinn  eine  Abteilung  dieser  Gruppe  zwischen  dem 
Jenissci,  den  Jakuten,  dem  Ochotskischen  Meer  und  dem  Amur. 

Tupi- Guarani.  Eine  Gruppe  südamerikanischer  Indianervölker,  deren  Stammsitze  in  Para- 
guay und  im  östlichen  Bolivia  waren,  von  wo  aus  sie  sich  durch  Brasilien  nach  dem 
Nordosten  und   Norden   Südamerikas  ausbreiteten. 

Tupin-Imbas.     Indianer  in  Brasilien. 

Tuyuka.     Indianer  im  nordwestlichen  Brasilien. 

Uaupes  (Waupes).  Indianer  an  dem  Flusse  gleichen  Namens  infcolumbisch-brasilianischen 
Grenzgebiet. 

Uigur  siehe  Hunnen. 

Unmatjera.    Einer  der  nördlichen  Stämme  von  Zentral-Australien. 

Urabunna.     Stamm  in  Zentral-Australien. 

Ural-Altaische  Völker.  Sie  bewohnen  das  mittlere,  nördliche  und  nordwestliche  Asien; 
Zweige  davon  sind  auch  im  südwestlichen  Asien  und  in  Europa.  Man  unterscheidet 
sa  mbjedisch-finnische.  tat  arische  (Turkstämme),  tungusische  und  mongolische 
Gruppen.  Die  Ostjaken,  Samojeden.  Magyaren,  Bulgaren,  Tscheremissen, 
Mordwinen,  Finnen.  Esthen.  Lappen,  Jakuten,  Tataren,  Kirgisen,  Turk- 
menen, Baschkiren,  Osmanli  und  Tungusen  mit  ihren  Zweigen  (Golden, 
Orotschen  usw.);  ferner  die  Mandschu,  Mongolen,  Kalmücken,  Burjaten  u.  a. 
gehören  zur  ural-altaischen  Völkerfamilie. 

Urdes  siehe  Jurdes. 


922  Anhang  III.     Alphabetisches  Völkerverzeichnis. 

Vai  siehe ]Wai. 

Visayas.     Volk  auf  den  Philippinen. 

Vili  siehe  Fidschi. 

Völker  mit  isolierenden  Sprachen.     Hauptsächlich  im  Osten  und  Südosten  Asiens.     Die 

Chinesen,  Miaotse,  Tibetaner,  Bhuta,  Khasi,  Barmanen  (Burmanen),  Thaivölker  (Sia- 

mesen),  Annamiten,  Khmer  u.  a.  gehören  hierher. 
Volsker.     Ein  Zweig  der  italischen  Völkergruppe  des  Altertums. 

Wachietschi.     Volk  in  Afghanistan.     (P.  v.  Stettin.) 

Wadäwa.  .Bevölkerung  von  Wadäi.    Zentraler  Sudan.     (Neger,  Araber  und  Fulben.) 

Wadschagga  (Dschagga,  Djagga).  Volk  am  Kilima-Xdjaro,  also  nordöstliches  Deutsch- 
Ostafrika. 

Wagaya.     Volk  am  Victoria  Nyansa.     Deutsch-Ostafrika.      (Weiß.) 

Wagogo.     Bantuneger  der  Landschaft  Ugogo  im  Innern  von  Deutsch-Ostafrika. 

Wahehe.     Bewohner  von  Uhehe. 

Wahima  (Watussi).     Hamiten  im  Nordwesten  Deutsch-Ostafrikas.     (M.   Weiß.) 

Wahutu.      Bantuneger  im  Norden  von  Deutsch-Ostafrika.      (M.    Weiß.) 

Wal.     Neger  in  Liberia,  afrikanische  Nordwestküste. 

\\ 'akamba.     Volk  in  Ukamba,  enghsches  Ostafrika. 

Wakikuyu.      Bewohner  der  Landschaft  Kikuyu  in   Britisch-Ostafrika. 

Wakilindi.  Ein  von  den  Arabern  abstammendes  Volk  in  Usambara,  Deutsch-Ostafrika. 
(Storch.) 

Wakimbu  (Wakimba).    Volk  im  Innern  von  Deutsch-Ostafrika. 

Wakisi.      Volk  im  Süden  Deutsch-Ostafrikas.      (H.   Seidel.) 

W'akua.     Volk  in  Deutsch-Ostafrika.     (Von  Behr.) 

Wakuafi.  Ein  Mischvolk,  sprachlich  zum  äthiopischen  Zweig  der  hamitischen  Spracken- 
familie  gerechnet.  Früher  zwischen  Kilimandscharo  u.  Usambara,  jetzt  von  den  Massai 
vertrieben,  auf  dem  Leikipi-Plateau  und  am  Viktoria-See.     (Scobel.) 

Wakuhve.     Volk  in  der  deutsch-ostafrikanischen  Landschaft  Mkulwe.     (Alois  Hamberger.) 

Wakuma.  Volk  in  Unjamwesi,  Deutsch-Ostafrika.  Südöstlichster  Zweig  der  hamitischen 
Völkergruppe.     (Scobel.) 

Wal  pari.     Einer  der  nördlichen  Stämme  von  Zentral-Australien. 

Wambugu.  |Ein  Hirtenvolk  in  Usambara,  Nordöstliches  Deutsch-Ostafrika.     (Storch.) 

Wamuera  (Wamwera).     Negervolk  an  der  südlichen  Küste  von  Deutsch-Ostafrika. 

Wangoni.  Deutsch-ostafrikanische  Neger  zwischen  Victoria-  und  Tanganyika-See,  also  'in 
■  n.>rdwestlichen  Teil  des  Landes. 

Wanjambo.  Bantustämme  im  Norden  von  Deutsch-Ostafrika,  beherrscht  von  den  hami- 
tischen eingedrungenen  Wahima. 

Wanjamwesi.     Volk  in  Deutsch-Ostafrika,  südlich  vom  Viktoria-See. 

Wanika.     östliche  Bantu  bei  Mombas,  enghsches  Ostafrika. 

Wapare.     Neger  am  Pare-Gebirge,  südlich  vom  Kilimandjaro.     Deutsch-Ostafrika. 

Wapogoro.     Volk  in  Deutsch-Ostafrika.     {Fabry.) 

Wapokomo.     Neger  im  britischen,  südöstlichen  Ostafrika. 

Waramunga.     Einer  der  nördlichen  Stämme  von  Zentral-Australien.     (Spencer-Güllen.) 

Waraus  (W'araun,  Warraws)  siehe  Warrau. 

Warrau.     Indianerin  Britisch-Guayana.     Südamerika. 

Warna.     Bevölkerung  von  Urua,  Negerreich  im  Kongostaat. 

Wasagara.     Bewohner  von  Usagara,  östliches  Deutsch-Ostafrika. 

Wasango.     Bewohner  von  Madibira,  Deutsch-Ostafrika. 

Wasaramo.     Bewohner  von  Usaramo,  Deutsch-Ostafrika. 

Waschambaa.     Bewohner  von  Usambara,  Deutsch-Ostafrika. 

Wasegua  (Waseguha).     Deutsch-ostafrikanische  Bewohner  der  Landschaft  Useguha. 

Wasiba  (Basiba).  Bewohner  der  Landschaft  Kisiba  (Kiziba)  im  Westen  des  Viktoriasces, 
I  >■  iitseh-Ostafrika. 

Wasiri.     Volk  im  Indisch-Persischen  Grenzgebiete. 

Wasu.     Neger  im  Para-Gebirge,  südlich  vom  Kilamandjaro.     Deutseh-Ostafrika. 

Wasuaheli  siehe  Suaheli. 

Waupes  siehe  Uaupes. 

Waziri  siehe  Wasiri. 

Wa  yao  siehe  Yao. 

Wedda  (Veda).  Sogenannte  Ureinwohner  auf  C/Cylon  (und  im  südlichen  Indien?).  Siehe 
auch  Nilgalaweddas. 

Wenden  oder  Sorben  (Serbjo)  Rest  eines  früher  großen  slawischen  Volkes  in  Ober-  und 
X  iederlausitz  (Spreewald). 

Whan-tshut.     Ein  Volksstamm  auf  Formosa. 


Anhang  III.     Alphabetisches  Völkerverzeichnis.  923 

Winden  oder  Slowenen,  Südslawen. 

Wintun.     Gebirgs-Indianer  in  Kalifornien,  im  Quellengebiet  des  Sacramento. 

Wolof  siehe  Djolof. 

VVuka  siehe  Alfuren.     Im  Hinterland  des  Mac-Cluer-Golfes. 

Yahgan.     Indianer  auf  dem  Feuerland. 

Yanäygua.     Teilweise  „wild",  am  Rio  Parapiti.     Südamerika.     (  N  ordenskiöld. ) 

Yao  (Wayao).     Bantu  im  Südosten  von  Deutsch-Ostafrika. 

Yaper.     Eingeborne  von  Yap.     Mikronesier.     Deutsche  Südsee.     Karolinen-Inseln. 

Yaunde.  Gehören  nach  G.  Zenker  zu  den  afrikanischen  Fang-Völkern.  Nach  Scobel  erinnern 
die  Fan  im  französischen  Kongo  in  manchen  ethischen  Dingen  an  die  Njam-Njani 
(Hamiten),  werden  aber  sprachlich  zu  den  Bantuvölkern  gerechnet. 

Yolof  siehe  Djolof. 

Yuracare.  Indianer  an  den  Flüssen  Chimore.,  Mamoreeillo.  Chapare,  Secure  und  deren  Neben- 
flüssen. ^Südamerika.     (  N  ordenskiöld. ) 

Zambalen.     Auf  der  Philippinen -Insel  Luzon. 

Zapoteken.     Ein  zur  mexikanischen  Völkergruppe  gehöriges  Volk  am  Isthmus   von  Tehu- 

antepec.     (Scobel.) 
Zeltzigeuner,    transsylvanische.      Ein^Zweig    der    indo-europäisohen    VölkerfamiUe    in 

Siebenbürgen. 
Zigeuner  siehe  Zeltzigeuner. 
Zwergvölker  siehe  Pygmäen  und  Pygmoide. 


Inhalt  des  zweiten  Bandes. 


Seite 

Kapitel  XXXI:  Das  kleine  Kind  und  das  ihm  gesungene  Lied 1 

200.  Einleitung  1.  —  201.  Wiegen-  uDd  Schlummerlieder  bei  Indogermanen  2. 
—  202.  Wiegenlieder  bei  Nicht-Indogermanen  1H.  —  203.  Sogenannte  Reiter-  und 
Knieliedehen  16.  —  204.  Eingerliedchen  19.  —  205.  Lieder  oder  Verse  auf  andere 
Körperteile  20. 

Kapitel  XXXII:  Sitz-,  Steh-  und  Gehversuche  des  Kindes,  Hilfsmittel    ....      21 
206  u.  207.  Einleitung  Ü2. 

Kapitel  XXXHI:    Sympathie  oder  Zauber   und  verwandter  Aberglaube   in  der 

Behandlung  des  gesunden  Kindes 7" 28 

208.  Einleitung  28.  —  209.  Wie  bringt  man  ein  Muttermal  weg?  28  —  210.  Das 
Kinderbad  und  der  Aberglaube  29.  —  211.  Kinderschlaf  und  Wiege  im  Aber- 
glauben 30.  —  212.  Geheimnisvolle  Beziehungen  der  Haare  und  Nägel  zum  Kind 
33.  —  213.  Zauberische  Wirkung  der  Kleidung  auf  das  Kind  35.  —  214.  Das 
Durchkriechen,  Durchziehen,  Durchreichen  und  Überschreiten  des  gesunden  Kindes 
36.  —  215.  Ei,  Brot  und  andere  Nährstoffe  in  ihren  geheimnisvollen  Wirkungen 
auf  das  Kind  37.  —  216.  Das  Sprechenlernen  des  Kindes  im  Volksglauben  38. 
—  217.  Amulette  als  Schutzmittel  des  gesunden  Kindes  40.  —  218.  Die  Zauber- 
wirkung des  Kusses  auf  das  Kind  45.  —  219.   Varia  45. 

Kapitel  XXXIV:  Das  Zahnen 52 

220.  Einleitung  52.  —  221.  Das  zahnende  Kind  im  Brauch  und  Aberglauben 
indogermanischer  Völker  53.  —  222.  Die  Kinderzähne  im  Brauch  und  Aberglauben 
nicht-indogermanischer  Völker  58. 

Kapitel  XXXV:  Haaroperationen  am  Kinde.  Das  Haar,  ein  Bild  des  Lebens  64 
223.  Einleitung  64.  —  224.  Das  Schneiden  und  Basieren  der  Kopfhaare  als  religiöser 
Akt  bei  Indogermanen  und  Semiten  66.  —  225.  Das  Schneiden  und  Basieren  der 
Kopfhaare  als  religiöser  Akt  bei  Hamiten  und  Negern  69.  —  226.  Das  Schneiden 
und  Basieren  als  religiöser  Akt  bei  malayisch-polynesischen  Völkern,  .Japanern, 
Dravida,  Mongolen  und  Indianern  72.  —  227.  Das  zeremonielle  Schneiden  und 
Rasieren  der  Kopfhaare  ohne  nachgewiesene  religiöseBedeutung  76.  —  228.  Varia  80. 

Kapitel  XXXVI:  Operationen  am  Kindessehädel 82 

229.  Einleitung  82.  —  230.  Die  künstliche  Schädelverbildung  bei  Völkern  der 
alten  Welt  •  und  bei  den  Eskimos  85.  —  231.  Künstliche  Schädelverbildung  bei 
Indianern  92.  —  232.  Die  Sehädeltrepanation  98. 

Kapitel  XXXVII:  Operationen  mannigfacher  Arten  am  Körper  des  Kindes  .  100 
I  Einleitung  100.  —  234.  Das  Ordnen  des  kindlichen  Organismus  104.  —  235. 
Das  Abplatten  der  Nase  108.  —  236.  Die  Verschmälerung  der  Nase  109.  237. 
Das  Durchlöchern  der  Nasenscheidewand  und  der  Nasenflügel,  Einführung  von 
Fremdkörpern:  Schmuck  usw.  109.  --  238.  Das  Durchlöchern  der  (Ihren  und 
Lippen.  Einfügung  des  Schmuckes  112.  —  239.  Das  Ausschlagen,  Schärfen  und 
Bemalen  der  Zähne  119.  —  240.  Bruchstücke  über  wirkliche  und  sagenhafte 
Behandlung  der  Kinderbrust  124.  —  241.  Die  Verunstaltung  der  Füße  und  Beine 
124.  —  242.  Die  im  Kindesalter  begonnene  Tätowierung  —  Bemalung  des  Kindes 
128.  —  243.   Varia  133. 


Inhalt  des  zweiten  Bandes. 


925 


Kapitel  XXXVIII:  Sexuelle  Operationen. 
244.  Überblick  137. 


I.  Teil 


Seite 
137 


Kapitel  XXXVilJ.:  II.  Teil.  Sexuelle  Operationen  am  männlichen  Geschlecht 
245.  Künstliche  Verlängerung  des  Gliedes  154.  —  246.  Infibulation  bei  Knaben 
154.  —  247.  Kastration  des  männlichen  Geschlechtes  154.  —  248.  Knabenbeschnei- 
dung  bei  Semiten  und  Iraniera  157.  —  249.  Knabenbeschneidung  bei  Hamiten 
und  Negern  169.  —  250.  Knabenbeschueidung  bei  malayisch-polynesischen  Völkern 
inkl.  Papuas  und  Australier  189.  —  251.  Knabenbeschneidung  bei  Turkstämmen 
und  Indianern  211. 


154 


Kapitel  XXXVTH:    III.  Teil.     Sexuelle  Operationen   am  weiblichen  Geschlecht    215 
252.  Künstliche  Verlängerung  der  weiblichen  Genitalien.  Deflorierung  im  Kindes- 
alter   215.    —   253.  Exstirpation,   Zirkumzisiou,   Infibulation,    Aufschneidung   usw. 
220.  —  254.  Operative  Eingriffe  in  die  Eierstöcke  234. 

Kapitel  XXXIX:  Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug 236 

255.  Einleitung  236.  —  256.  Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Indern  und 
Persern  240.  —  257.  Griechen,  Römer  und  romanische  Völker  der  Neuzeit.  Seiten- 
stücke bei  Germanen  243.  —  258.  Kelten  und  Germanen.  Europäische  sogenannte 
Urbevölkerung.  Seitenstücke  bei  Slawen  252.  —  259.  Lettoslawen.  Seitenstücke  bei 
(iermanen,  Tibetanern   und  alten  Indern  268. 


Kapitel  XL:  Des  Kindes  Spiel  und  Spielzeug  bei  Nicht-Indoeuropäern  .... 
260.  Orientalische  Misehvölker.  Semiten  und  Hamiten  270.  —  261.  Sudan-  und 
Bantuneger.  Buschleute  274.  —  262.  Malayiseh-polynesische  Völker  281.  —  263. 
Völker  mit  isolierenden  Sprachen.  Japaner  und  Koreaner  288.  —  264.  Nichtarische 
Inder  und  Ural-Altaien.  Ungarisch-schwäbische  Vergleiche  296.  —  265.  Hyperboräer 
und  Indianer  300. 


270 


Kapitel  XLI:  Kleidung,  Schmuck  und  Haartracht  des  heranwachsenden  Kindes 
266.  Einleitung  307.  —  267.  Die  Kleidung  des  heranwachsenden  Kindes  bei  Indo- 
europäeru,  Semiten,  Hamiten,  Sudan-  und  ßantuvölkern,  Buschleuten  und  Hotten- 
totten 308.  —  268.  Die  Kleidung  des  heranwachsenden  Kindes  bei  malayisch- 
polynesischen  Völkern,  Japanern,  Koreanern  und  Völkern  mit  isolierenden  Sprachen, 
sowie  bei  nichtarischen  Indern,  Ural-Altaien,  Hyperboräern  und  Indianern  313. 
—  269.  Schmuck  des  heranwachsenden  Kindes  321.  —  270.  Haarfrisuren  327. 


307 


Kapitel  L.XIT:  Feste  und  Festfreuden  des  Kindes.  Christliche  und  vorchristliche 
Erinnerungen.     Fruchtbarkeitskulte  und  Verwandtes 

271.  Einleitung  329.  —  272.  Allerseelen  332.  —  273.  St.  Nikolaus  und  St.  Martin 
334.  -  274.  Advent  338.  —  275.  Weihnachten  339.  —  276.  Fest  der  unschuldigen 
Kinder  350.  —  277.  Neujahr  353.  —  278  Das  Fest  der  heiligen  drei  Könige  357. 
—  279.  Fastnacht,  Aschermittwoch  und  Funkensountag  —  Lichtmeß  in  Armenien 
361.  —  280.  Sonntag  Lätare  367.  —  281.  St.  Gregorius-  und  St.  Georgstag  373. 


Kapitel  XT.TTT:  Festfreuden  des  Kindes.  Christliche  und  vorchristliche 
Erinnerungen.  Fruchtbarkeitskulte  und  Verwandtes.  Fortsetzung  und  Schluß 
282.  Karwoche  und  Ostern  375.  —  283.  Pfingsten  382.  —  284.  St.  Johannes  in 
der  Sonnenwende  387.  —  285.  Maibräuche  389.  —  286.  Frühlings-  und  Sommer- 
feste verschiedener  Arten  393.  —  287.  Herbstfeste  400.  —  288.  Geburtstage  und 
ähnliche  Feste.  Religiöse  und  profane  Bräuche  401.  --  289.  Kinderrollen  bei 
Hochzeiten  404. 


375 


Kapitel  XLIV:  Pflege,  Abhärtung,  Charakterbildung  und  körperliche  Züchtigung 

des  heranwachsenden  Kindes 406 

290.  Einleitung  406.  —  291.  Abhärtung  und  Pflege  des  heranwachsenden  Kindes 
409.  —  292.  Charakterbildung  und  Züchtigung  des  Kindes  bei  Indoeuropäern, 
Semiten  und  Hamiten  419.  —  293.  Charakterbildung  und  Züchtigung  des  Kindes 
bei  Sudan-  und  ßantuvölkern,  Hottentotten  und  malayisch-polynesischen  Völkern 
426.  —  294.  Charakterbildung  und  Züchtigung  bei  Japanern,  Koreanern.  Völkern 
mit  isolierenden  Sprachen  und  vorderindischen  Nichtariern  431.  —  295.  Charakter- 
bildung und  Züchtigung  des  Kindes  bei  Ural-Altaien,  Hyperboräern  und  Indiaue'n 
437.  —  296.  Dämonenfurcht  als  Zuchtmittel  und  Verwandtes  445. 


926  Inhalt  des  zweiten   Bandes. 

Seite 

Kapitel  XLV:  Die  Heranziehung  des  Kindes  zu  körperlicher  Arbeit 451 

297.  Mädchenarbeit  451.  —  298.  Knabenarbeit  458.  —  299.  Gemeinsame  Arbeiten 
beider  Geschlechter  465.  —  300.  Gymnastik,  Tanz,  Waftenübungen,  Reiten. 
Schwimmen  u.  a.  m.  467. 

Kapitel  XL  VI:  Das  Kind  und  das  Schulwesen 474 

301.  Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Indoeuropäern  und  vorderindischen 
Nichtariern  474.  —  302.  Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Semiten  und  Hamiten 
480.  —  303.  Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Sudan-  und  Bantunegern,  Busch- 
leuten und  malayisch-polynesischen  Völkern  486.  —  304.  Das  Kind  und  das 
Schulwesen  bei  Japanern,  Koreanern,  Chinesen,  Khmer  und  Thai  496.  —  305. 
Das  Kind  und  das  Schulwesen  bei  Ural-Altaien  507.  —  306.  Das  Kind  und  das 
Schulwesen  bei  Indianern  510.  —  307.  Das  Kind  und  das  Schulwesen  516. 

Kapitel  XLVH:  Kind  und  Keuschheit.  Das  Beispiel  der  Erwachsenen  ....  519 
308.  Einleitung  519.  —  309.  Sogenannte  widernatürliche  Laster  (Päderastie.  Unanie 
usw.)  521.  —  310.  Verkehr  der  beiden  Geschlechter.  Theorie  und  Praxis  bei  Indo- 
europäern und  nichtarischen  Indern  531.  —  311.  Hamiten.  Semiten,  Neger,  Busch- 
leute und  Hottentotten  535.  —  312.  Malayisch-polynesische  Völker  544.  —  313. 
Koreaner,  Chinesen,  Japaner,  Katchin,  Thai  und  Bevölkerung  von  Kambodscha 
548.  —  314.  Ural-Altaien  und  Hyperboräer  552.  —  315.  Indianer  553.  —  316. 
Die  Keuschheit  des  Kindes  in  der  Gefangenschaft  558. 

Kapitel  XL  VIDI:  Das  aktive  Kind  im  religiösen  Kult.     Verwandtes 560 

317.  Einleitung  560.  --  318.  Ahnenkult  562.  —  319.  Götterkult  570.  —  320. 
Islam  587. 

Kapitel  XLIX:  Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes 590 

321.  Einleitung  590.  —  322.  Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Indo- 
europäern 593.  —  323.  Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Semiteu  und 
Hamiten  597.  —  324.  Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Negern.  Hotten- 
totten und  Buschleuteu  600.  —  325.  Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei 
malayisch-polynesischen  Völkern  603.  —  326.  Rechtsverhältnisse  des  legitimen 
Kindes  bei  Japanern,  Koreanern  und   Völkern  mit  isolierenden  Sprachen  605.  — 

327.  Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  den  Dravida  inkl.  Toda  609.  — 

328.  Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Ural-Altaien  und  Hyperboräern 
609.  —  329.  Rechtsverhältnisse  des  legitimen  Kindes  bei  Indianern  610. 

Kapitel  L:  Vater-  und  sogenanntes  Mutterrecht,  bzw.  Zugehörigkeit  des  Kindes 

bei  Völkern  mit  Promiskuität,  Gruppenehe  und  Polyandrie 614 

330.  Einleitung  614.  —  331.  Zugehörigkeit  des  Kindes  bei  Völkern  mit  Promis- 
kuität 614.  —  332.  Zugehörigkeit  des  Kindes  in  Gruppenehen  619.  —  333.  Zu- 
gehörigkeit des  Kindes  in  polyandrischen  Ehen  620.  —  334.   Überblick  824. 

Kapitel   LI:   Portsetzung    über    das    sogenannte    Mutterrecht.      Tatsachen    und 

Erklärungsversuche 626 

335.  Einleitung  626.  —  336.  Das  sogenannte  Mntterreeht  bei  Indoeuropäern  mit 
Einschluß  einiger  ethnisch  umstrittener  Völker  627.  —  337.  „Mutterrecht"  bei 
üaukasusvölkern  und  Semiten?  —  Spuren  in  Spanien  629.  — 338.  „Mutterrecht" 
bei  Hamiten  630.  —  339.  „Mutterrecht"  bei  Sudan-  und  Bantuvölkern  631.  —  340. 
...Muiterrecht"  bei  malayisch-polynesischen  Völkern  inkl.  Negritos.  Papuas  und 
Australier  636.  —  341.  ,, Mutterrecht"  in  Hinterindien.  Spuren  von  Gynäkokratie 
and  Neffenerbrecht  im  japanischen  Mythus  640.  —  312.  Mutterrechl  bei  Indianern 
641.  —  343.  Überblick  und  Lösungsversueh  643. 

Kapitel  LH:  Das  Erbrecht  des  Kindes  mit  Ausschluß  des  sog.  Mutterrechtes  648 
341.  Einleitung  648.  —  345.  Nachfolge  in  Amt  und  Würde  650.  —  346.  Erbe 
an  Immobilien  und  Mobilien  bei  liidoeumpärni  und  Abchasen  654.  —  347.  Erbe 
an  Immobilien  und  Mobilien  bei  Semiten  und  Hamiten  657.  —  348.  Erbe  an 
Immobilien  und  Mobilien  inkl.  Eheweiber  und  Sklaven  bei  Negern  und  Busch- 
leuteu 659  319.  Erbe  an  Töchtern  und  Weibern  bzw.  Immobilien  und  Mobilien 
bei  den  Battak,  Monumbo-Papuas  und  Vapern  660.  —  350.  Erbe  an  Immobilien 
and  Mobilien  bei  Koreanern,  Chinesen.  Ao-Nagas,  Thai.  Annamiten,  Golden  und 
Jakuten  861.  -  351.  Erbe  an  Mobilien  und  Immobilien  bei  amerikanischen 
Völkern  663. 


Inhalt  des  zweiten  Bandes.  927 

Seite 
Kapitel  LUI:  Fragmentarische  Berichte   über   das  Schicksal   des  Waisen-   und 

Stiefkindes 665 

352.  Einleitung  665.  —  353.  Das  Waisenkind.  Vormundschaft  666.  —  354.  Das 
Stieikind  (Fragmente)  672. 

Kapitel  LIV:  Das  Adoptiv-,  Pflege-  und  Ziehkind 674 

355.  Einleitung  674.  —  356.  Das  Adoptivkind  676.  —  357.  Das  Zieh-  oder  Pflege- 
kind (Fragmente)  685. 

Kapitel  LV:  Das   illegitime   Kind.      Seine   sittliche   Auffassung   und   rechtliche 

Stellung.     Positives  und  Negatives 688 

358.  Einleitung  688.  —  359.  Indoeuropäer,  Semiten  und  Hamiten  689.  —  360. 
Neger,  Buschleute  und  malayisch-polynesisehe  Völker  693.  —  361.  Koreaner, 
Japaner,  Chinesen  und  Annamiten  697.  —  362.  Ural-Altaien,  Hyperboräer  und 
Indianer  698. 

Kapitel  LVI:  Verlobung  und  Verheiratung  des  Kindes 700 

363.    Einleitung   700.   —   364.  Indoeuropäer    und   vorderindische    Nichtarier   701. 

—  365.  Semiten,  Hamiten,  Neger,  Buschleute  und  Hottentotten  706.  —  366. 
Malayisch-polynesisehe  Völker  710.  —  367.  Koreaner,  Chinesen  und  Ural-Altaien 
712.  —  368.  Hyperboräer  und  Indianer  713. 

Kapitel  LVU:  Pubertätsfeste  exklusive  Beschneidung 715 

369.  Einleitung  715.  —  Pubertätsfeste  des  weiblichen  Geschlechtes:  370. 
Südliches  Vorderindien  729.  —  371.  Griechen  und  Araber  730.  —  372.  Sudan- 
und  Bantuvölker  730.  —  373.  Buschleute  und  Hottentotten  739.  —  374.  Malayisch- 
polynesisehe  Völker  740.  —  375.  Chinesen,  Siamesen  und  Khmer,  bzw.  Bevölkerung 
von  Kambodscha  744.  — 376.  Ural-Altaien,  Hyperboräer  (Aleuten)  und  Indianer  74."». 

Kapitel  LVIU:   Pubertätsfeste   exklusive  Beschneidung   (Fortsetzung  und  Schluß)  755 
Pubertätsfeste    des    männlichen   Geschlechtes:    377.    Indoeuropäer   755. 

—  378.  Semiten  und  Hamiteu  757.  —  379.  Sudan-  und  Bantuvölker.  Auin- 
Buschleute  758.  —  380.  Malayisch-polynesisehe  Völker  762.  —  381.  Japaner, 
Chinesen,  Annamiten,  Siamesen  und  Ainos  (Fragmente)  776.  —  382.  Indianer  777. 

Kapitel  LIX:  Gegenseitige  Liebe  zwischen  Eltern  und  Kindern.    Positives  und 

Negatives 787 

383.  Einleitung  787.  -  -  384.  Indoeuropäer,  Nichtarier  in  Vorderindien  und 
Abchasen  789.  —  385.  Semiten  und  Hamiten  793.  —  386.  Sudan-  und  Bantu- 
völker 795.  — ■  387.  Hottentotten  und  Buschmänner  798.  —  388.  Malayisch-polyne- 
sisehe Völker  799.    —  389.  Japaner   und  Völker  mit  isolierenden  Sprachen   804. 

—  390.  Ural-Altaien  807.  —  391.  Hyperboräer  809.  —  392.  Indianer  811. 

Kapitel  LX:  Hypothesen  der  letzten  fünf  Jahrzehnte  über  die  Urgeschichte  der 

Familie.  Einschlägige  Tatsachen  und  Mythen 815 

393.  Einleitung  815.  —  394.  Bachofens  „Mutterrecht"  815.  —  395.  Völker  mit 
Promiskuität,  Gruppenehe  und  Polyandrie  (ohne  Berücksichtigung  des  Kindes). 
Vorehelicher  Hetärismus  816.  —  396.  Monogamie  bei  Völkern  auf  der  historisch 
tiefsten  Stufe  sonstiger  Kultur  819.  —  397 — 399.  Anhänger  und  Gegner  der  Bach- 
ofenschen  Promiskuitätshypothese  820.  -  400.  Die  Degradationshypothese. 
Mythen  und  Tatsachen  824. 

Anhang  I:  Zitate 826 

Anhang  II:  Quellenverzeichnis  in  alphabetischer  Ordnung 875 

Anhang  DU:  Alphabetisches  Völkerverzeichnis 908 


Errata: 


Bd.  I,  S.  266,  oben.  Soll  heißen:  Malayisch-polynesisehe  (statt  malayische 
polyn.). 

Bd.  I,  S.  408,  §  136  (am  Schluß).  Soll  heißen:  Parallelen  folgen  am 
Schluß  dieses  und  am  Anfang  des  folgenden  Kapitels. 


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